Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010: Unternehmen, Markt und Verantwortung 9783899496321, 9783899496284

Klaus J. Hopt is celebrating his 70th birthday on 24 August 2010. Hopt is not only one of the most prestigious legal exp

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German, English Pages 3489 [3480] Year 2010

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Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
I. Privatrecht
Grenzen des Erfüllungsanspruchs im System des Leistungsstörungsrechts der PICC, PECL und des DCFR im Vergleich zum CISG – Probleme und Änderungsvorschläge
Mangold, Audiolux und die allgemeinen Grundsätze des europäischen Privatrechts
Der Einfluss der Leistung auf den Verzug des Schuldners
Welche Einheit des Privatrechts?
Haftungsrisiken für Vorstandsmitglieder insolvenzgefährdeter Vereine
Haftung des Verkäufers wegen Informationspflichtverletzung beim Unternehmenskauf
Ein Plädoyer für die Vereinfachung des Rechts der Insolvenzanfechtung im Bereich der Globalsicherheiten unter gleichzeitiger Angleichung an die englische floating charge
Proportionalhaftung und Mitverschulden im Transportrecht
Die staatsfreie Stiftung
Der Verein im Verein
Tilgungsbestimmung – quo vadis?
Der funktionale Ansatz in der UNIDROIT Geneva Securities Convention vom 9. Oktober 2009
Verzicht auf eine vertragliche Forderung im Europäischen Vertragsrecht und im Recht der internationalen Handelsverträge
„Nemo ex suo delicto meliorem suam condicionem facere potest“
II. Unternehmensrecht
Der Rechtsschein bei Firmenfortführung
Suing directors in international litigation
Aufsichtsratsautonomie
Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention
Unterschiede im Aktienrecht zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Gesellschaften
Kapitalaufbringung und verdeckte Sacheinlagen bei der Aktienplatzierung durch Emissionsbanken
Internationalisierung der Rechnungslegung und Corporate Governance
Vorstandsvergütung als Gegenstand rechtlicher Regelung
Sharia Boards and Corporate Governance
The European Private Company (SPE): Uniformity, flexibility, competition and the persistence of national law
Die gerichtliche Überprüfung der Entlastung durch die Hauptversammlung
Nicht delegierbare Geschäftsleiterpflichten
Die Pflicht des Managements zur Vermeidung existenzgefährdender Risiken
Unternehmensinsolvenz und Abschlussprüfung
Haftungsprobleme bei der Unternehmensbestattung
Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders?
Three Recent Developments in Auditors’ Liability
Europäisches Gesellschaftsrecht
Zur Orientierung der Vorstandsvergütung an der Lage der Muttergesellschaft
Krisenhaftungsansprüche und Verjährung
Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach MoMiG
The Contractualization of Organizational Law
Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht
Takeovers, Poison Pills and Protectionism in Comparative Corporate Governance
Corporate Governance durch Steuerrecht im Nonprofit-Sektor: wünschenswert oder systemwidrig?
Gesellschaftsrecht und Art. 14 GG
Der SPE-Formwechsel nach dem schwedischen Kompromissvorschlag
Utopies ou anticipations sociétaires
Die Aktiengesellschaft als Rechtsform gemischtwirtschaftlicher Unternehmen
Dienstabreden über die Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen durch einen Inferenten im GmbH-Recht
Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung nach MoMiG und ARUG: Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der neuen Vorschriften
Konzerne und Abhängigkeitslagen jenseits des Gesellschaftsrechts
Compliance-Pflichten von Vorstandsmitgliedern und Aufsichtsratsmitgliedern
Die Entdeckung des Marktes durch die Rechtsprechung bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen
Der Kodex und das Recht
Grundsatz- und Praxisprobleme der Einwirkungen des Art. 14 GG auf das Aktienrecht
Die Vereinfachung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Irrungen und Wirrungen
Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder und Kommunikation im Aufsichtsrat
Enforcement of corporate governance codes: A legal perspective
Drag along- und Call-Option-Klauseln in der GmbH-Satzung
Eine empirische Abschätzung der Aussagekraft von Studien über den Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg
Mitbestimmungsvereinbarungen im Konzern
Capital and Establishment – Never the Twain shall Meet?
Schatten des Rechts
Die SE – ein europäisches Zukunftsmodell
Besondere Regeln für geschlossene und börsennotierte Gesellschaften
Structural Analysis of Corporate Law
Gesellschaftsrechtliche Implikationen bei der Durchsetzung einer menschenrechtskonformen Geschäftspolitik im Konzern
Vollmachtlose Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern
Die reformierte Namensaktie
Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Gesellschaftsrecht
Interessenkonflikte im Aufsichtsrat
Gedanken zur Bedeutung des Unternehmenszwecks
Prämien und Leistungen an Vorstandsmitglieder bei Unternehmenstransaktionen
Liability for Breach of Trust in Corporate Groups
Selbst-Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen?
Zur Signalstärke der Entsprechenserklärung
Mehrheitsbeschlüsse und Gesellschafterschutz in Personengesellschaften
Sunlight for a Healthy Body Corporate
Corporate Governance Going Astray: Executive Remuneration Built to Fail
Direct shareholder suits for damages based on reflective losses
Shareholder(s) matter(s)
III. Bank- und Kapitalmarktrecht
SchVG, Anleihebedingungen und AGB-Recht: Nach der Reform ist vor der Reform
The Governance of Financial Institutions in Crisis
Das Moratorium
Insiderwissen, Interessenkonflikte und Chinese Walls bei Banken
The Private Action Against Insider Trading: A Question of Incentives
Bankrechtliche Fragen zur Finanzmarktkrise
Restrukturierung systemrelevanter Finanzinstitute
Sachdividenden für Aktionäre – sinnvolles Gestaltungsinstrument oder nutzloses Phantasieprodukt einer hypertrophen Finanzwirtschaft?
Zinsanpassungsklauseln im Kreditgeschäft
Creeping Takeovers in Deutschland und in der Schweiz
European Takeover Law: Designing a Neutral Approach
Equity Derivatives and Transparency: When Should Substance Prevail?
Übergang von Kreditrisiken – Einzelübertragungen, Umwandlungsmaßnahmen et al.
Chancen und Nutzen von Finanzmarktregulierung
Anlegerschutz in geschlossenen Fonds – Kapitalmarkteffizienz, Behavioral Finance und Anlegerkoordination als Bausteine eines neuen Regulierungsparadigmas
Ordentliche Kündigung der Geschäftsbeziehung durch die Sparkasse
Best Execution
Die Haftung der Aktiengesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder im Rahmen des Anlegerschutzes
Aktien statt Cash – Offene Fragen beim Tauschangebot unter dem WpÜG
Mifid and the Return of Concentration Rules
Reorganisation systemrelevanter Banken
Die Reichweite der Haftung der Depotbanken vor dem Hintergrund des Madoff-Skandals
Erste Schritte gegen Schmier-, Schweige- und Schutzgelder
Bemessung von Geldbußen im Wettbewerbs- und Kapitalmarktrecht: Eine komparative Betrachtung
Berichtigungs- und Aktualisierungspflichten im Kapitalmarktrecht
EU-ausländische Beteiligungskonsortien im Visier der BaFin – Keine multiple Meldepflicht nach § 21 WpHG für Gesellschafter eines ausländischen Anteilserwerbers!
Institutional Deficits in the International Financial Markets Crisis
Structured Products from the Perspective of Investor Protection: Can the Courts Police the Market or Do We Need More Regulation?
Taming the Monsters?
Regulierung von Ratingagenturen – ein anreizorientierter Ansatz
Zur Auflösung von Systemspannungen zwischen Bankaufsichtsrecht und Privatrecht
Does the Takeover Bids Directive Need Revision?
Kapitalmarktrecht
Anlegerschutz im System des Kapitalmarktrechts
The Financial Crisis and EU Securities Law-Making: A Challenge Met?
Bankaktienrecht und Aktienbankrecht
Veräußerung und Vollstreckung Not leidender Grundpfandkredite unter Berücksichtigung des Risikobegrenzungsgesetzes
Ziele und Konzeption des deutschen „Bad Bank“- Modells – IFRS als Hindernis für eine erfolgreiche Umsetzung?
Host’s Dilemma
Reform der Europäischen Finanzaufsichtsstrukturen
Unternehmensplanung und Insiderrecht
Bankregulierung nach der Finanzkrise
Die Pflicht zur Protokollierung des Anlageberatungsgesprächs gemäß § 34 Abs. 2a, 2b WpHG
Pflicht zur Gleichbehandlung konkurrierender Übernahmeinteressenten bei der Due Diligence?
Finanzmarktkommunikation anlässlich von Kapitalmarkttransaktionen
Anlegerschutz als Juristentagsthema
Die Grundsätze der anleger- und objektgerechten Beratung im Lichte des Geeignetheitstests (§ 31 Abs. 4 WpHG)
Deutschland im Herbst – Erinnerungen an die Entstehung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes im Oktober 2008
Die Verfassungsmäßigkeit des Haftungsausschlusses für fehlerhafte Bankaufsicht
Golden Shares: Recent Developments in E.C.J. Jurisprudence and Member States Legislation
Änderung von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz
The civil law effects of MiFID in a comparative law perspective
Aufsicht über die Kapitalmärkte in Europa
Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei der Abgabe der Stellungnahme nach § 27 WpÜG
Vollstreckungsunterwerfungsklauseln in der Kreditpraxis
Rating-Agenturen: Reformbedarf nach der Reform
IV. Wirtschaftsrecht, Marktwirtschaft und Rechtsdurchsetzung
Zum Verhältnis von lauterkeits- und kartellrechtlicher Anknüpfung nach der Rom II-VO
Das schwindende Vertrauen in die Marktwirtschaft und die Folgen für das Recht
Die Fairness Opinion bei M&A-Transaktionen zwischen Markt und Recht
Zum Schriftformerfordernis für Schiedsvereinbarungen
Gemeinschaftsrechtliche Fragen des Code of Conduct des CCBE
Der „Unternehmer“ im Lauterkeitsrecht
Die Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB auf Absatzmittlerverträge
„Governance by Default“
Nichtigkeit von Gesellschaftsverträgen bei Verstoß gegen das europäische Kartellverbot
Business networks as a legal explanatory framework
Wettbewerb und Daseinsvorsorge
Zur Befangenheit von Schiedsrichtern
Moving towards the creation of an exceptional law of financial crisis?
Zusammenschlusskontrolle und „Sanierungsfusionen“ in Zeiten der Wirtschaftskrise
Stolpersteine in nationalen und internationalen Schiedsgerichtsverfahren
V. Ausländisches Recht
Zum neuen Schweizer Vergütungsrecht – Entlöhnung der Unternehmensspitze zwischen Lohndirigismus, Populismus und Aktienrecht
The reform of the French financial supervision structure: “Twin-Peaks” on the menu
Group of companies governance in Belgium
Die Typologie des Aufsichtsrats und die Logik seines Versagens
Die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen im sich entwickelnden japanischen Übernahmerecht
Intermediated Holding of Investment Securities in Japan
Corporate Legal Personality and Corporate Loss in Korean Law
Aufsichtsrat: Terra incognita des englischen Gesellschaftsrechts?
“Squeeze out” in Argentina
Towards the supremacy of the criterion of incorporation in French law
The Draft Turkish Commercial Code and Corporate Governance
Die Schweizer Krise
Derivative Action in Japan: A System of Public Censure?
Die neue Prospekthaftung in Griechenland
The new Greek Bankruptcy Code: How close to the InsO?
Der Haftungsdurchgriff im chinesischen Gesellschaftsrecht
Die Reform des griechischen Aktienrechts
Squeeze-out and Appraisal Rights in Japanese Company Law
Danish Company Law Reform
Der Papierlose Schuldbrief – Einführung eines Registergrundpfandrechts in der Schweiz und die Auswirkungen auf die Bankpraxis
Backmatter
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Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010: Unternehmen, Markt und Verantwortung
 9783899496321, 9783899496284

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Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag

Festschrift für

KLAUS J. HOPT zum 70. Geburtstag am 24. August 2010 Unternehmen, Markt und Verantwortung

herausgegeben von

Stefan Grundmann Brigitte Haar Hanno Merkt Peter O. Mülbert Marina Wellenhofer sowie Harald Baum Jan von Hein Thomas von Hippel Katharina Pistor Markus Roth Heike Schweitzer

De Gruyter

ISBN 978-3-89949-628-4 e-ISBN 978-3-89949-632-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Datenkonvertierung/Satz: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ' Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Klaus J. Hopt zum 24. August 2010 Holger Altmeppen Rafael Arenas García Yes¸im M. Atamer Gregor Bachmann Jörg Baetge Jürgen Basedow Harald Baum Walter Bayer Marco Becht Gerold Bezzenberger Tilman Bezzenberger Hans-Joachim Böcking Peter Böckli Reinhard Bork Petra Buck-Heeb Richard M. Buxbaum Andreas Cahn Claus-Wilhelm Canaris Matthias Casper Carsten Peter Claussen Patricia Colard Pierre-Henri Conac Yves De Cordt Paul Davies Christian E. Decher Peter Doralt Meinrad Dreher Josef Drexl Tim Drygala Werner F. Ebke Ulrich Ehricke Horst Eidenmüller Jens Ekkenga Jürgen Ellenberger Christoph Van der Elst

Susan Emmenegger Christoph Engel Luca Enriques Eilís Ferran Guido Ferrarini Andreas M. Fleckner Holger Fleischer Andreas Früh Wolfgang Gerke Wulf Goette Marius Gros Stefan Grundmann Barbara Grunewald Brigitte Haar Wilhelm Haarmann Ulrich Haas Mathias Habersack Walther Hadding Henry Hansmann Masaru Hayakawa Jan von Hein Alexander Hellgardt Hans-Jürgen Hellwig Joachim Hennrichs Martin Henssler Hartwig Henze Achim Herfs Gerard Hertig Jennifer G. Hill Thomas von Hippel Heribert Hirte Thorsten Höche Heike Hövekamp Christian Hofmann Peter Hommelhoff

Guy Horsmans Uwe Hüffer Günter Hugger Joachim Jahn Jörn Axel Kämmerer Susanne Kalss Hideki Kanda Christian Kersting Kon Sik Kim Peter Kindler Christian Kirchner Detlef Kleindiek Helmut Köhler Johannes Köndgen Ingo Koller Hans-Georg Koppensteiner Michael Kort Reinier Kraakman Hartmut Krause Friedrich Kübler Christoph Kumpan Katja Langenbucher Tobias Lettl Patrick C. Leyens Dimitrios Liappis Marcus Lutter Rafael M. Manóvil Joseph A. McCahery Thorsten Melcher Michel Menjucq Hanno Merkt Christian Merx Thomas M. J. Möllers Florian Möslein Niamh Moloney Peter O. Mülbert Hans-Werner Neye Ulrich Noack Gerd Nobbe Peter Nobel Hiroshi Oda Hartmut Oetker Gül Okutan Nilsson

Nicolas Ott Panagiotis Papanikolaou Bernhard Pellens Evanghelos Perakis Alain Pietrancosta Knut Benjamin Pißler Katharina Pistor Thorsten Pötzsch Hans-Joachim Priester Stefan Prigge Thomas Raiser Peter Rawert Jochem Reichert Dieter Reuter Jonathan Rickford Sebastian Riemenschneider Karl Riesenhuber Nikolaos K. Rokas Rüdiger von Rosen Markus Roth Wulf-Henning Roth Bernd Rudolph Juan Ignacio Ruiz Peris Maki Saito Calixto Salomão Filho Carsten Schäfer Frank A. Schäfer Susanne Schäfer Jan Schans Christensen Maximilian Schiessl Herbert Schimansky Michael Schlitt André Schmidt Karsten Schmidt Matthias Schmidt Ralph Schmitt Uwe H. Schneider Wolfgang Schön Rupert Scholz Rolf A. Schütze Hans-Peter Schwintowski Ulrich Seibert Christoph H. Seibt

Johannes Semler Rolf Sethe StanisŁaw SoŁtysin´ski Gerald Spindler Felix Steffek Christoph Teichmann Ünal Teki˙nalp Gunther Teubner Jürgen Than Michel Tison Georgios Triantafyllakis Dimitris Tzouganatos Rüdiger Veil Erik P. M. Vermeulen Eberhard Vetter

Stefan Vogenauer Marina Wellenhofer Axel von Werder Harm Peter Westermann Herbert Wiedemann Wolfgang Wiegand Christine Windbichler Jaap Winter Hans De Wulf Jan-Henning Wyen Eddy Wymeersch Dirk Zetzsche Daniel Zimmer Reinhard Zimmermann

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV

I. Privatrecht Yes¸im M. Atamer Grenzen des Erfüllungsanspruchs im System des Leistungsstörungsrechts der PICC, PECL und des DCFR im Vergleich zum CISG – Probleme und Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . .

3

Jürgen Basedow Mangold, Audiolux und die allgemeinen Grundsätze des europäischen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Claus-Wilhelm Canaris Der Einfluss der Leistung auf den Verzug des Schuldners . . . . .

47

Stefan Grundmann Welche Einheit des Privatrechts? Von einer formalen zu einer inhaltlichen Konzeption des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Barbara Grunewald und Joachim Hennrichs Haftungsrisiken für Vorstandsmitglieder insolvenzgefährdeter Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Martin Henssler Haftung des Verkäufers wegen Informationspflichtverletzung beim Unternehmenskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

Heribert Hirte Ein Plädoyer für die Vereinfachung des Rechts der Insolvenzanfechtung im Bereich der Globalsicherheiten unter gleichzeitiger Angleichung an die englische floating charge . . . . . . . . . . . .

141

Ingo Koller Proportionalhaftung und Mitverschulden im Transportrecht . . .

159

X

Inhaltsverzeichnis

Peter Rawert Die staatsfreie Stiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

Dieter Reuter Der Verein im Verein

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

Herbert Schimansky Tilgungsbestimmung – quo vadis? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217

Jürgen Than Der funktionale Ansatz in der UNIDROIT Geneva Securities Convention vom 9. Oktober 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

Stefan Vogenauer Verzicht auf eine vertragliche Forderung im Europäischen Vertragsrecht und im Recht der internationalen Handelsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247

Reinhard Zimmermann „Nemo ex suo delicto meliorem suam condicionem facere potest“ Kränkungen der Testierfreiheit des Erblassers – englisches im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Recht . . . . . . . . . .

269

II. Unternehmensrecht Holger Altmeppen Der Rechtsschein bei Firmenfortführung . . . . . . . . . . . . . .

305

Rafael Arenas García Suing directors in international litigation . . . . . . . . . . . . . . .

321

Gregor Bachmann Aufsichtsratsautonomie – Recht und Politik der dualen Unternehmensverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

337

Jörg Baetge, Thorsten Melcher und Matthias Schmidt Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention

357

Walter Bayer Unterschiede im Aktienrecht zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

373

Inhaltsverzeichnis

XI

Tilman Bezzenberger und Gerold Bezzenberger Kapitalaufbringung und verdeckte Sacheinlagen bei der Aktienplatzierung durch Emissionsbanken . . . . . . . . . . . . . . . . .

391

Hans-Joachim Böcking und Marius Gros Internationalisierung der Rechnungslegung und Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

413

Andreas Cahn Vorstandsvergütung als Gegenstand rechtlicher Regelung . . . . .

431

Matthias Casper Sharia Boards and Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . .

457

Paul Davies The European Private Company (SPE): Uniformity, flexibility, competition and the persistence of national law . . . . . . . . . . .

479

Christian E. Decher Die gerichtliche Überprüfung der Entlastung durch die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

499

Meinrad Dreher Nicht delegierbare Geschäftsleiterpflichten . . . . . . . . . . . . .

517

Tim Drygala Die Pflicht des Managements zur Vermeidung existenzgefährdender Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

541

Werner F. Ebke Unternehmensinsolvenz und Abschlussprüfung . . . . . . . . . .

559

Ulrich Ehricke Haftungsprobleme bei der Unternehmensbestattung . . . . . . . .

589

Christoph Van der Elst Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders? . . .

629

Eilís Ferran Three Recent Developments in Auditors’ Liability . . . . . . . . .

645

Andreas M. Fleckner Europäisches Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

659

XII

Inhaltsverzeichnis

Wulf Goette Zur Orientierung der Vorstandsvergütung an der Lage der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

689

Ulrich Haas Krisenhaftungsansprüche und Verjährung . . . . . . . . . . . . . .

703

Mathias Habersack Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach MoMiG . . . .

725

Henry Hansmann und Reinier Kraakman The Contractualization of Organizational Law . . . . . . . . . . .

747

Alexander Hellgardt Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht . . . . . .

765

Jennifer G. Hill Takeovers, Poison Pills and Protectionism in Comparative Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

795

Thomas von Hippel Corporate Governance durch Steuerrecht im Nonprofit-Sektor: wünschenswert oder systemwidrig? . . . . . . . . . . . . . . . . .

817

Christian Hofmann Gesellschaftsrecht und Art. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . .

833

Peter Hommelhoff und Christoph Teichmann Der SPE-Formwechsel nach dem schwedischen Kompromissvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

849

Guy Horsmans Utopies ou anticipations sociétaires . . . . . . . . . . . . . . . . .

877

Uwe Hüffer Die Aktiengesellschaft als Rechtsform gemischtwirtschaftlicher Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

901

Christian Kersting Dienstabreden über die Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen durch einen Inferenten im GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . .

919

Inhaltsverzeichnis

XIII

Detlef Kleindiek Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung nach MoMiG und ARUG: Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der neuen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

941

Hans-Georg Koppensteiner Konzerne und Abhängigkeitslagen jenseits des Gesellschaftsrechts

959

Michael Kort Compliance-Pflichten von Vorstandsmitgliedern und Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

983

Hartmut Krause Die Entdeckung des Marktes durch die Rechtsprechung bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1005

Marcus Lutter Der Kodex und das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1025

Peter O. Mülbert Grundsatz- und Praxisprobleme der Einwirkungen des Art. 14 GG auf das Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1039

Hans-Werner Neye Die Vereinfachung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Irrungen und Wirrungen – ein Bericht . . . . . . . . . . . . . . . .

1079

Hartmut Oetker Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder und Kommunikation im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1091

Alain Pietrancosta Enforcement of corporate governance codes: A legal perspective .

1109

Hans-Joachim Priester Drag along- und Call-Option-Klauseln in der GmbH-Satzung . .

1139

Stefan Prigge Eine empirische Abschätzung der Aussagekraft von Studien über den Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1153

XIV

Inhaltsverzeichnis

Thomas Raiser Mitbestimmungsvereinbarungen im Konzern . . . . . . . . . . . .

1167

Jonathan Rickford Capital and Establishment – Never the Twain shall Meet? . . . . .

1187

Karl Riesenhuber Schatten des Rechts – Contract Governance und Governance der Vertragsverhandlungen bei der SE-Mitbestimmung . . . . . . . . .

1225

Rüdiger von Rosen Die SE – ein europäisches Zukunftsmodell . . . . . . . . . . . . .

1245

Markus Roth Besondere Regeln für geschlossene und börsennotierte Gesellschaften – Überlegungen aus Anlass des 67. Deutschen Juristentages 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1261

Calixto Salomão Filho Structural Analysis of Corporate Law A developing country perspective . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1279

Carsten Schäfer Gesellschaftsrechtliche Implikationen bei der Durchsetzung einer menschenrechtskonformen Geschäftspolitik im Konzern . .

1297

Ralph Schmitt Vollmachtlose Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1313

Uwe H. Schneider Die reformierte Namensaktie – Lücken in der Transparenz des Aktienregisters bei Kapuzenaktionären . . . . . . . . . . . . . . .

1327

Wolfgang Schön Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1343

Christoph H. Seibt Interessenkonflikte im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . .

1363

Johannes Semler Gedanken zur Bedeutung des Unternehmenszwecks . . . . . . . .

1391

Inhaltsverzeichnis

XV

Gerald Spindler Prämien und Leistungen an Vorstandsmitglieder bei Unternehmenstransaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1407

Ünal Teki˙nalp Liability for Breach of Trust in Corporate Groups . . . . . . . . .

1431

Gunther Teubner Selbst-Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen? Zur Verknüpfung „privater“ und „staatlicher“ Corporate Codes of Conduct . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1449

Axel von Werder Zur Signalstärke der Entsprechenserklärung . . . . . . . . . . . . .

1471

Herbert Wiedemann Mehrheitsbeschlüsse und Gesellschafterschutz in Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1491

Christine Windbichler Sunlight for a Healthy Body Corporate . . . . . . . . . . . . . . .

1505

Jaap Winter Corporate Governance Going Astray: Executive Remuneration Built to Fail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1521

Hans De Wulf Direct shareholder suits for damages based on reflective losses . .

1537

Eddy Wymeersch Shareholder(s) matter(s) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1565

III. Bank- und Kapitalmarktrecht Harald Baum SchVG, Anleihbedingungen und AGB-Recht: Nach der Reform ist vor der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1595

Marco Becht The Governance of Financial Institutions in Crisis . . . . . . . . .

1615

Reinhard Bork Das Moratorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1629

XVI

Inhaltsverzeichnis

Petra Buck-Heeb Insiderwissen, Interessenkonflikte und Chinese Walls bei Banken – Zur rechtlichen Wirkung von Vertraulichkeitsbereichen . . . . .

1647

Richard M. Buxbaum The Private Action Against Insider Trading: A Question of Incentives . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1671

Carsten Peter Claussen Bankrechtliche Fragen zur Finanzmarktkrise . . . . . . . . . . . .

1695

Horst Eidenmüller Restrukturierung systemrelevanter Finanzinstitute . . . . . . . . .

1713

Jens Ekkenga Sachdividenden für Aktionäre – sinnvolles Gestaltungsinstrument oder nutzloses Phantasieprodukt einer hypertrophen Finanzwirtschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1733

Jürgen Ellenberger Zinsanpassungsklauseln im Kreditgeschäft . . . . . . . . . . . . . .

1753

Susan Emmenegger Creeping Takeovers in Deutschland und in der Schweiz . . . . . .

1763

Luca Enriques European Takeover Law: Designing a Neutral Approach . . . . .

1789

Guido Ferrarini Equity Derivatives and Transparency: When Should Substance Prevail? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1803

Andreas Früh Übergang von Kreditrisiken – Einzelübertragungen, Umwandlungsmaßnahmen et al. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1823

Wolfgang Gerke und Christian Merx Chancen und Nutzen von Finanzmarktregulierung . . . . . . . . .

1845

Brigitte Haar Anlegerschutz in geschlossenen Fonds – Kapitalmarkteffizienz, Behavioral Finance und Anlegerkoordination als Bausteine eines neuen Regulierungsparadigmas . . . . . . . . . . . . . . . . .

1865

Inhaltsverzeichnis

XVII

Walther Hadding Ordentliche Kündigung der Geschäftsbeziehung durch die Sparkasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1893

Jan von Hein Best Execution Funktionale Konvergenz des europäischen und des US-amerikanischen Modells? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1909

Hartwig Henze Die Haftung der Aktiengesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder im Rahmen des Anlegerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1933

Achim Herfs und Jan-Henning Wyen Aktien statt Cash – Offene Fragen beim Tauschangebot unter dem WpÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1955

Gerard Hertig Mifid and the Return of Concentration Rules . . . . . . . . . . . .

1989

Thorsten Höche Reorganisation systemrelevanter Banken . . . . . . . . . . . . . . .

2001

Heike Hövekamp und Günter Hugger Die Reichweite der Haftung der Depotbanken vor dem Hintergrund des Madoff-Skandals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2015

Joachim Jahn Erste Schritte gegen Schmier-, Schweige- und Schutzgelder – Zum Schutz von Aktiengesellschaften vor Erpressern . . . . . . .

2029

Jörn Axel Kämmerer Bemessung von Geldbußen im Wettbewerbs- und Kapitalmarktrecht: Eine komparative Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . .

2043

Susanne Kalss Berichtigungs- und Aktualisierungspflichten im Kapitalmarktrecht

2061

Peter Kindler EU-ausländische Beteiligungskonsortien im Visier der BaFin – Keine multiple Meldepflicht nach § 21 WpHG für Gesellschafter eines ausländischen Anteilserwerbers! . . . . . . . . . . . . . . . .

2081

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Christian Kirchner Institutional Deficits in the International Financial Markets Crisis Combined Effects of Deficits in Corporate Governance and in Financial Reporting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2095

Johannes Köndgen Structured Products from the Perspective of Investor Protection: Can the Courts Police the Market or Do We Need More Regulation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2113

Friedrich Kübler Taming the Monsters? European Initiatives for the Regulation of Nonbank Financial Institutions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2143

Christoph Kumpan Regulierung von Ratingagenturen – ein anreizorientierter Ansatz .

2157

Katja Langenbucher Zur Auflösung von Systemspannungen zwischen Bankaufsichtsrecht und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2175

Joseph A. McCahery und Erik P. M. Vermeulen Does the Takeover Bids Directive Need Revision? . . . . . . . . .

2189

Hanno Merkt Kapitalmarktrecht – Ursprünge, Genese, aktuelle Ausprägung, Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2207

Thomas M. J. Möllers Anlegerschutz im System des Kapitalmarktrechts Rechtsgrundlagen und Ausblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2247

Niamh Moloney The Financial Crisis and EU Securities Law-Making: A Challenge Met? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2265

Ulrich Noack und Dirk Zetzsche Bankaktienrecht und Aktienbankrecht . . . . . . . . . . . . . . . .

2283

Gerd Nobbe Veräußerung und Vollstreckung Not leidender Grundpfandkredite unter Berücksichtigung des Risikobegrenzungsgesetzes . . . . . .

2301

Inhaltsverzeichnis

XIX

Bernhard Pellens, Sebastian Riemenschneider und André Schmidt Ziele und Konzeption des deutschen „Bad Bank“-Modells – IFRS als Hindernis für eine erfolgreiche Umsetzung? . . . . . . .

2317

Katharina Pistor Host’s Dilemma Rethinking EU Banking Regulation in Light of the Global Crisis .

2339

Thorsten Pötzsch Reform der Europäischen Finanzaufsichtsstrukturen . . . . . . . .

2367

Jochem Reichert und Nicolas Ott Unternehmensplanung und Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . .

2385

Bernd Rudolph Bankregulierung nach der Finanzkrise . . . . . . . . . . . . . . . .

2407

Frank A. Schäfer Die Pflicht zur Protokollierung des Anlageberatungsgesprächs gemäß § 34 Abs. 2a, 2b WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2427

Maximilian Schiessl Pflicht zur Gleichbehandlung konkurrierender Übernahmeinteressenten bei der Due Diligence? . . . . . . . . . . . . . . . . .

2455

Michael Schlitt und Susanne Schäfer Finanzmarktkommunikation anlässlich von Kapitalmarkttransaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2469

Karsten Schmidt Anlegerschutz als Juristentagsthema – Gedanken beim Wiederlesen der Juristentagsverhandlungen von 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2489

Hans-Peter Schwintowski Die Grundsätze der anleger- und objektgerechten Beratung im Lichte des Geeignetheitstests (§ 31 Abs. 4 WpHG) . . . . . . . . .

2507

Ulrich Seibert Deutschland im Herbst – Erinnerungen an die Entstehung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes im Oktober 2008 . . . . . . .

2525

XX

Inhaltsverzeichnis

Rolf Sethe Die Verfassungsmäßigkeit des Haftungsausschlusses für fehlerhafte Bankaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2549

StanisŁaw SoŁtysin´ski Golden Shares: Recent Developments in E.C.J. Jurisprudence and Member States Legislation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2571

Felix Steffek Änderung von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2597

Michel Tison The civil law effects of MiFID in a comparative law perspective . .

2621

Rüdiger Veil Aufsicht über die Kapitalmärkte in Europa – Regelungskonzepte und Grundlinien für die Entwicklung aufsichts- und zivilrechtlicher Instrumente . . . . . . . . . . . . .

2641

Eberhard Vetter Interessenkonflikte im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft bei der Abgabe der Stellungnahme nach § 27 WpÜG . . . . . . . . . . . .

2657

Marina Wellenhofer Vollstreckungsunterwerfungsklauseln in der Kreditpraxis . . . . .

2679

Daniel Zimmer Rating-Agenturen: Reformbedarf nach der Reform . . . . . . . . .

2689

IV. Wirtschaftsrecht, Markwirtschaft und Rechtsdurchsetzung Josef Drexl Zum Verhältnis von lauterkeits- und kartellrechtlicher Anknüpfung nach der Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2713

Christoph Engel Das schwindende Vertrauen in die Marktwirtschaft und die Folgen für das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2733

Holger Fleischer Die Fairness Opinion bei M&A-Transaktionen zwischen Markt und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2753

Inhaltsverzeichnis

XXI

Wilhelm Haarmann Zum Schriftformerfordernis für Schiedsvereinbarungen . . . . . .

2777

Hans-Jürgen Hellwig Gemeinschaftsrechtliche Fragen des Code of Conduct des CCBE .

2791

Helmut Köhler Der „Unternehmer“ im Lauterkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . .

2825

Tobias Lettl Die Anwendbarkeit von Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB auf Absatzmittlerverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2841

Florian Möslein „Governance by Default“ – Innovation und Koordination durch dispositives Recht . . . . .

2861

Wulf-Henning Roth Nichtigkeit von Gesellschaftsverträgen bei Verstoß gegen das europäische Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2881

Juan Ignacio Ruiz Peris Business networks as a legal explanatory framework . . . . . . . .

2901

Rupert Scholz Wettbewerb und Daseinsvorsorge – Am Beispiel: Abfallentsorgung zwischen Gemeinde- und Privatwirtschaft . . . . . . .

2919

Rolf A. Schütze Zur Befangenheit von Schiedsrichtern Zwei Probleme aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2933

Georgios Triantafyllakis Moving towards the creation of an exceptional law of financial crisis? The Greek banking sector experience . . . . . . . . . . . . . . . .

2943

Dimitris Tzouganatos Zusammenschlusskontrolle und „Sanierungsfusionen“ in Zeiten der Wirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2957

Harm Peter Westermann Stolpersteine in nationalen und internationalen Schiedsgerichtsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2975

XXII

Inhaltsverzeichnis

V. Ausländisches Recht Peter Böckli Zum neuen Schweizer Vergütungsrecht – Entlöhnung der Unternehmensspitze zwischen Lohndirigismus, Populismus und Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3003

Pierre-Henri Conac The reform of the French financial supervision structure: “Twin-Peaks” on the menu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3027

Yves De Cordt und Patricia Colard Group of companies governance in Belgium . . . . . . . . . . . . .

3043

Peter Doralt Die Typologie des Aufsichtsrats und die Logik seines Versagens – Ein erster Versuch aus österreichischer Sicht . . . . . . . . . . . . .

3059

Masaru Hayakawa Die Zulässigkeit von Abwehrmaßnahmen im sich entwickelnden japanischen Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3081

Hideki Kanda Intermediated Holding of Investment Securities in Japan . . . . . .

3105

Kon Sik Kim Corporate Legal Personality and Corporate Loss in Korean Law .

3115

Patrick C. Leyens Aufsichtsrat: Terra incognita des englischen Gesellschaftsrechts? .

3135

Rafael M. Manóvil “Squeeze out” in Argentina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3149

Michel Menjucq Towards the supremacy of the criterion of incorporation in French law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3167

Gül Okutan Nilsson The Draft Turkish Commercial Code and Corporate Governance .

3177

Peter Nobel Die Schweizer Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3199

Inhaltsverzeichnis

XXIII

Hiroshi Oda Derivative Action in Japan: A System of Public Censure? . . . . .

3213

Panagiotis Papanikolaou und Dimitrios Liappis Die neue Prospekthaftung in Griechenland Zwischen Anlegerschutz und Haftungsbegrenzung . . . . . . . . .

3233

Evanghelos Perakis The new Greek Bankruptcy Code: How close to the InsO? . . . .

3251

Knut Benjamin Pißler Der Haftungsdurchgriff im chinesischen Gesellschaftsrecht . . . .

3271

Nikolaos K. Rokas Die Reform des griechischen Aktienrechts . . . . . . . . . . . . . .

3291

Maki Saito Squeeze-out and Appraisal Rights in Japanese Company Law . . .

3305

Jan Schans Christensen Danish Company Law Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3321

Wolfgang Wiegand Der Papierlose Schuldbrief – Einführung eines Registergrundpfandrechts in der Schweiz und die Auswirkungen auf die Bankpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3339

Lebenslauf und wissenschaftlicher Werdegang (Curriculum vitae) . .

3355

Schriftenverzeichnis (List of Publications) . . . . . . . . . . . . . . .

3369

Betreute Habilitationen/Dissertationen (Professor and doctor theses)

3425

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3439

Vorwort Mit dieser Festschrift wollen wir Klaus J. Hopt ehren, den großen Rechtswissenschaftler, den einflussreichen Berater von Gesetzgebern, hohen Gerichten und der Praxis, den vielfachen Grenzüberschreiter, den weit ausgreifenden Wissenschaftsgestalter, unseren hoch verehrten Lehrer und, für uns alle auch, den väterlichen Freund. Klaus J. Hopt war die letzten 15 Jahre Direktor des Max-Planck-Instituts für internationales und ausländisches Privatrecht (und Wirtschaftsrecht) in Hamburg. Er bezeichnete diese Entscheidung kürzlich als „die beste Berufsentscheidung in meiner akademischen Laufbahn“. Zuvor war er ordentlicher Professor an der Eberhard Karls Universität in Tübingen, dem Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, der Universität Bern und der Ludwig-Maximilians-Universität München, lehnte sechs weitere Rufe ab, unter anderem an die Universität zu Köln und die Universität Wien, und war vielfach als Gastprofessor tätig, unter anderem an der Harvard Law School, der New York University, und der Columbia University (New York), an der Tokyo University und der Kyoto University, an den Universités Paris I und II (Panthéon-Sorbonne und Panthéon-Assas), der Université libre de Bruxelles und vielen weiteren im romanischen und sonstigen Ausland. Er erhielt insgesamt vier Ehrendoktorwürden, zahlreiche weitere Auszeichnungen, unter anderem die Ehrenmedaille der Bucerius Law School sowie das Bundesverdienstkreuz, und wurde als Rechtswissenschaftler zum Mitglied der Nationalen Akademie der Naturwissenschaften Leopoldina berufen. 1940 geboren, Kind zweier promovierter Mediziner, wächst er im Schwäbischen auf. Das Gründungsjahr der Europäischen Gemeinschaft und Union erlebte er in der Oberprima. Das Studium der Rechtswissenschaft nahm er 1959 noch im nahen Tübingen auf. 1964/65 ging er dann hinaus in die Welt, einige Monate nach Bilbao, schon etwas länger nach Paris, dann ein Jahr an die New York University, wo er auch seine spätere Frau Drs. Nhu Dung Hopt-Nguyen kennenlernte. Vier Jahre später, mit 32, hatte er ein Rechtsgebiet geradezu im Alleingang entwickelt, wie sich kein einflussreicheres im Privat- und Wirtschaftsrecht in den letzten 50 Jahren ausformte, das Kapitalmarktrecht – vordergründig vor allem für Deutschland, durch sein stetig wachsendes internationales Gewicht damit zugleich jedoch für ganz Europa, jedenfalls in der spezifischen Form, die das Unternehmens- und Kapitalmarktrecht hier heute hat. Und alles war damals bereits angelegt: der Dreiklang Bank- und Kapitalmarktrecht, Unternehmensrecht sowie Handels- und Privatrecht, die Trias Rechtswissenschaften, Rechtspraxis und

XXVI

Vorwort

breitere Verantwortung, aber auch die Spannungsverhältnisse Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Nationales und Internationales. Diese frühe Reife gab ihm jene lange Zeitspanne, jene weiteren vier Jahrzehnte, die es ihm bis heute erlaubten, alles so enorm breit, so faszinierend tief und variantenreich auszuformen. Ein Vorwort ist nicht der Ort, diese Dekaden auszuleuchten. Wenige Stichworte müssen genügen. Das Kapitalmarktrecht stand am Anfang, aus dem bankrechtlichen Teilgebiet Emissions- und Effektengeschäft entwickelte er dieses so ungemein wichtige Rechtsgebiet, ungemein wichtig vor allem, weil es für zwei sehr bedeutsame Perspektivenwechsel für das ganze Unternehmensrecht steht, mit über die Jahrzehnte stetig wachsender Dynamik: Das ist zum einen der Übergang von einem Unternehmertum, das primär fremdkapitalfinanziert arbeitete, zu einem Unternehmertum, für das das Eigenkapital absolut zentral geworden ist – finanziell, aber ebenso sehr vom Image her. Juristisch gewendet: Zum Gesellschaftsrecht als Organisationsrecht und Herz des Unternehmensrechts trat – als zweites Bein – das Kapitalmarktrecht, heute das Herzstück des Gesellschaftsaußenrechts bei den großen Gesellschaften, im sog. Börsengesellschaftsrecht zunehmend auch inhaltlich untrennbar verknüpft. Das alles bedeutet nicht weniger als die Verknüpfung der großen Organisationsformen „Firm and Market“, Organisation und Vertrag, innen und außen. Damit zusammen hängt ein – in sich ebenfalls mehrköpfiger – zweiter Perspektivwechsel: Ohne Kapitalmarktrecht keine so ausgeprägte internationale, globale Perspektive, ohne Kapitalmarktrecht keine so starke Governance-Orientierung und damit auch Orientierung an alternativen Regelungstechniken, ohne Kapitalmarktrecht keine so prononcierte Wettbewerbsperspektive zwischen Märkten und Regelsetzern. Hopt entwickelte dieses Perspektive eröffnende Rechtsgebiet zunächst für die Wissenschaft, bald jedoch auch für die gesetzgeberische Praxis: zunächst mit seinem Gutachten für den 51. Deutschen Juristentag 1976; dann für Teilgebiete in Europa – und auf diesem Weg dann auch für Deutschland –, am prominentesten für das Insiderrecht und das Übernahmerecht; des weiteren, nach einem großen rechtsvergleichenden Gutachten im Rahmen des Instituts, im deutschen Börsenrecht; zuletzt, ab 2002, dann als das deutsche Mitglied der High Level Group, der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten und über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa. Denn dieser Bericht und der darauf aufbauende Aktionsplan der EG-Kommission von 2003 sollten recht eigentlich die Agenda für die Fortentwicklung des Unternehmens- und Kapitalmarktrechts in Europa bis heute setzen. Längst war aus dem Kapitalmarktrecht das gesamte Unternehmensrecht geworden. Kurz nach der Habilitation, der Baumbach/Hopt. Er wurde Hopt für die 24. Auflage (1980) angetragen. Seither hat er ihn in insgesamt 11 Auflagen bis

Vorwort

XXVII

heute betreut, alle zwei bis drei Jahre, in den letzten drei Auflagen mit Hanno Merkt. Dieser Kommentar steht für so vieles, das Hopt wichtig ist. Kaum ein deutscher Privat- und Wirtschaftsrechtler, der einen vergleichbaren internationalen Einfluss hat und mit höchster Intensität rechtsvergleichend, international gestaltend arbeitet, ist derart tief in der deutschen Rechtswissenschaft und -praxis verankert. Der Baumbach/Hopt prägt das nationale Handelsrecht. Daneben treten natürlich die Großkommentare zum Kreditrecht (mit Peter Mülbert), zum Vorstand und zum Aufsichtsrat (mit Markus Roth), und Monographien zu vielem mehr. Der Baumbach/Hopt jedoch stand am Anfang und auch weiterhin im Zentrum dieser allseits sichtbaren Verankerung, etwa auch in ZHR und ZGR. Er steht jedoch zudem für manches mehr. Er steht für die enge Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Praxis. Nicht von ungefähr ist aus ihm heraus das Formularhandbuch entstanden, jene „Bibel“ der Kautelarpraxis. Nicht von ungefähr hat Hopt auch praktisch besonders relevante Einzelteile ausgegliedert und unabhängig fortgeschrieben, das Handelsvertreterrecht, zuletzt das Bilanzrecht. Nicht von ungefähr hat er für jede Auflage die gesamte deutsche Jurisprudenz durchgeforstet. Kein zweiter deutscher HGB-Kommentar gleicht diesem, als eine „Summa“ aus einer einzigen Hand. Und der Baumbach/Hopt steht für noch weiteres: Handelte es sich vor Hopt vor allem um einen Kommentar zum HGB und damit zum Kaufmannsrecht, so machte Hopt aus ihm einen Kommentar für das gesamte moderne Berufs- und Unternehmensaußenrecht, er gliederte so wichtige Teile ein wie das Bankrecht und die internationalen Handelsklauseln. Und nicht zuletzt, damit bereits angesprochen: Der Baumbach/Hopt wurde, die Entwicklung in der Lebenswirklichkeit nachvollziehend, von einem nationalen zu einem in weiten Teilen auch internationalen Kommentar. Unvergessen für die ersten Schüler der Zeitpunkt, da das Bilanzrecht europäisiert und in das HGB zurückgeführt wurde: Hopt war einige Monate nicht mehr im Institut, dann war der Baumbach/Hopt der erste, der diesen gigantischen Schritt in der Europäisierung des Gesellschaftsrechts im deutschen Recht aufbereitet hatte. Damit steht dieser Kommentar (auch) für einen weiteren Wesenszug Hopts, die Internationalität. Im Nachhinein erscheint es als völlig „unausweichlich“, dass Hopt 1994/95 ans Max-Planck-Institut berufen wurde – obwohl man ihn zuerst auf die andere Seite, in die Findungskommission gebeten hatte! Die Rechtsvergleichung hat ihn immer begleitet, in den Auslandstudien, in der Habilitation, voll durchgebrochen ist dieses Element spätestens in den Jahren seiner Berufung nach Florenz. Erste internationale Themenbände erschienen: einige bereits zu Themenausschnitten aus der Corporate Governance, zwei sehr wichtige, bereits in der Münchener Zeit, zum Insiderrecht und zum Übernahmerecht. Mit dem ersten feierte er 1989, nach gut 15 Jahren Arbeit, einen ersten großen rechtspolitischen Erfolg, die 1973 noch so gänzlich unmöglich erscheinende Einführung eines Insiderhandelsverbots,

XXVIII

Vorwort

und strukturierte das Rechtsgebiet auch inhaltlich gleich im nun geltenden Normzuschnitt. Mit dem zweiten musste er erst noch den Weg bereiten, bis sich fünfzehn Jahre später auch hier ein vergleichbarer Erfolg einstellte. Und in diese Zeit fällt auch die sehr einflussreiche, mehrfach auch auf Nachfolgesymposien diskutierte Schrift zur „Legal Harmonization and the Business Enterprise“ (mit Richard Buxbaum). Das Internationale war demnach schon so stark, dass die Zeit in Hamburg eher Kontinuität als weitere Steigerung versprach. Und doch sollte ein weiterer qualitativer Schritt bald danach noch folgen. Wichtige Diskussionen hatte Hopt bis dahin auch international schon mehrfach angestoßen. Jetzt jedoch sollte es ihm gelingen, das die ganze Diskussion beherrschende Hauptthema zweifach zu setzen: international-interdisziplinär mit seinen großen Werken zur Corporate Governance, namentlich der „State of the Art and Emerging Research“ von 1998, und Europäisch mit besagtem Bericht der High Level Group. Was einst doch vor allem Kapitalmarktrecht war, war jetzt das gesamte Unternehmensrecht, längst auch das Bankrecht ein – bedeutender – Mosaikstein in dieser breiten Materie. Was Hopt hier leistete, füllt an sich schon eine Wissenschaftskarriere, für ihn jedoch waren Kommentierungen, die Gründung der maßgeblichen Berufsvereinigung, die Herausgeberschaft mehrerer Zeitschriften in diesem Teilbereich alles nur weitere Etappen. Manch anderes wäre anzusprechen, auch das Verhältnis zwischen Unternehmens- und Handelsrecht hier und Zivilrecht dort, das er u. a. mit seinen Ausführungen zur Berufshaftung vor der Zivilrechtslehrervereinigung 1983 in Stuttgart breit zum Thema gemacht hatte, wovon fast 100 Seiten im Archiv für die civilistische Praxis zeugen. Nicht fehlen aber dürfen zwei generellere Fragen: die Methode und die Wissenschaftsgestaltung. Hopt ist ausgebildet in so vielen sozialwissenschaftlichen Disziplinen wie wenige Rechtswissenschaftler: von Anfang an volkswirtschaftlich und politologisch – nicht von ungefähr wurden ihm auch ein rechtssoziologisches sowie ein rechts- und sozialphilosophisches Ordinariat angetragen. Und mit vielen Ökonomen pflegt er einen ungemein engen Kontakt, manche seiner Schriften verfasste er gemeinsam mit Kollegen der Ökonomie. Diese Fundierung in den Politikund Sozialwissenschaften und dieser stete Umgang speziell mit Ökonomen ließen ihn zu dem Rechtswissenschaftler reifen, der Recht – zentral – als die ordnende und vermittelnde Sprache zwischen Politik und Ökonomie versteht. Bei ihm gerät Recht nicht in den Sog von Hegemonieansprüchen einer vor allem modellorientierten ökonomischen Theorie, jedoch ignoriert er diese Modelle auch nicht. Das machte ihn zum wirtschaftspolitischen Pragmatiker mit breiter Basis. Und die Wissenschaftsgestaltung. Wenn er, der Süddeutsche, den Weg ans Hamburger Max-Planck-Institut als eine besonders glückliche berufliche Entscheidung bezeichnet (und es ihn zugleich dennoch auch heute noch so gerne über die Alpen zieht), so liegt das wohl nicht zuletzt an ebendiesem. Er wusste um das Potential der Wissenschaftsgestal-

Vorwort

XXIX

tung wie kaum ein anderer. Er war auch bereit, einen Preis dafür zu zahlen. Den beiden wichtigsten deutschen Wissenschaftsinstitutionen, der MaxPlanck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hat er in höchsten Ämtern gedient, beide an manchem Punkte auch zusammen geführt. Maßgebliche Institute und Vereinigungen hat er mit aus der Taufe gehoben, früh die International Faculty of Corporate and Capital Market Law, dann solche Institutionen wie die Bankrechtliche Vereinigung (BrV) und, das European Corporate Goverance Institute (ECGI). Manches müsste noch gesagt werden. Es wäre jedoch so gar nicht in Hopts Sinne, würde darüber der Dank an andere nicht hinreichend gewichtig ausfallen. Zu danken haben die Herausgeber vielen. Zu allererst den Autoren. Sie haben eine überaus reiche Festschrift ermöglicht, zweibändig, facettenreich in der Themenstellung und international, sehr international. Therefore all our thanks as well in the other languages, in English, merci beaucoup à tous, grazie, gracias, doumo arigatou gozaimasu e ainda em tantos outros idiomas. Danken wollen die Herausgeber ebenso sehr den vielen Mitarbeitern an ihren Lehrstühlen, die sich engagiert und aufopfernd eingesetzt haben, viele Wochen und Monate. Ohne Sie wäre diese Festschrift nicht möglich gewesen. Und danken wollen wir dem Verlag, der diese Festschrift – zweibändig, mehrsprachig – ohne jedes Zögern (und ohne jeden Zuschuss) in so beeindruckender Ausstattung realisiert hat. Der de Gruyter Verlag bleibt eben auch hier der Verlag, der Klaus Hopt über nunmehr fast vier Jahrzehnte begleitet hat. Zuletzt zurück zu Klaus Hopt. Zu seinem 70. Geburtstag wünschen die Herausgeber dem Jubilar alles Gute, Gesundheit und dass ihn seine jugendliche Schaffenskraft, gepaart mit weisem Judiz, weiterhin so zuverlässig begleitet, in Deutschland, in Europa und in der Welt. Und nicht zuletzt: Wir wünschen uns mit ihm und gemeinsam mit seiner lieben Frau, die dieses Werk mit trägt, viele, viele Stunden. Stefan Grundmann Brigitte Haar Hanno Merkt Peter O. Mülbert Marina Wellenhofer sowie Harald Baum Jan von Hein Thomas von Hippel Katharina Pistor Markus Roth Heike Schweitzer

I. Privatrecht

Grenzen des Erfüllungsanspruchs im System des Leistungsstörungsrechts der PICC, PECL und des DCFR im Vergleich zum CISG – Probleme und Änderungsvorschläge * Yes¸ im M. Atamer

A. Eckpfeiler des Leistungsstörungsrechts des vereinheitlichten Vertragsrechts 1. Einheitlicher Vertragsverletzungstatbestand Eine der Grundsatzentscheidungen der Rechtsvereinheitlichungsprojekte im Vertragsrechts ist es, nicht dem ‚cause‘ sondern dem ‚remedy approach‘ im Leistungsstörungsrecht zu folgen.1 Somit steht nicht eine Unterteilung nach den verschiedenen Ursachen der Vertragsverletzung wie z.B. die Unmöglichkeit oder der Verzug im Vordergrund, sondern die Nichterfüllung als solche (breach of contract / non-performance).2 Die Arten der Leistungsstörungen und deren Abgrenzung zueinander sind in diesem System nicht ausschlaggebend, genauso wenig wie die Frage, ob die Ursache der Nichterfüllung bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestand oder erst später aufgetreten ist. Jede Abweichung von dem vertraglichen Pflichtenprogramm, be* Dieser Beitrag wurde während eines Forschungsaufenthalts an der Juristischen Fakultät der Universität Basel abgefasst. Ich danke der Ernst von Caemmerer Stiftung für ihr großzügiges Stipendium, das einen solchen Aufenthalt ermöglicht hat. Dieses Stipendium wie auch manch andere Förderung habe ich ohne Zweifel der stetigen Unterstützung des Jubilars, meinem verehrten Lehrer und Mentor, Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt zu verdanken. Ohne sein Wegweisen und seine Unterstützung wäre vieles anders gekommen. Ihm ist dieser Aufsatz in tiefer Verbundenheit gewidmet. 1 Basedow Towards a Universal Doctrine of Breach of Contract: The Impact of the CISG, 25 Int’l Rev. L. & Econ. (2005), S. 487 (490–492); Schauer Grundprinzipien des Leistungsstörungsrechts im ABGB, UN-Kaufrecht und in den PECL – eine vergleichende Skizze, in FS Kramer (2004), S. 627 (629); Düchs Die Behandlung von Leistungsstörungen im Europäischen Vertragsrecht (2006), S. 53 ff.; Zimmermann Konturen eines europäischen Vertragsrechts, JZ 1995, S. 477 (480–481). 2 Art. 1:301(4) PECL; Art. 7.1.1 PICC; Art. III. – 1:102 (3) DCFR. Vgl. dazu im Detail Storme Schuldnerpflichten, Vertragsstörung und Verantwortung (PECL, PICC, Wiener Kaufrecht, Gandolfi-Code, BGB-Entwurf), in Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts (2002), S. 11 (26 ff.).

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Yes¸im M. Atamer

gründet damit eine Vertragsverletzung.3 Dieser Ansatz wurde zweifelsohne vom englischen Recht beeinflusst 4 und hatte seinen ersten wichtigsten Anhänger im internationalen Kaufrecht gefunden.5 Die heute als „modern“ gepriesene 6 Lösung stand auch teilweise Pate bei der Abfassung der deutschen Schuldrechtsreform7 und des niederländischen Burgerlijk Wetboek 8. Die natürliche Folge dieses Denkansatzes ist, dass es für die Systematisierung des Leistungsstörungsrechts eines neuen Kriteriums bedarf. Allen softlaw Instrumenten ist es nun auch gemeinsam, dass sie nicht mehr von den Rechtstatsachen sondern von den Rechtsfolgen ausgehend diese Systematisierung vornehmen. Nach einem allgemeinen „Einführungskapitel“, das einen Überblick über die Nichterfüllungsfolgen gibt und u.a. Haftungsausschlussklauseln und die Entschuldigungsmöglichkeit aufgrund eines Hinderungsgrunds regelt, werden die verschiedenen Rechtsbehelfe des Gläubigers und deren Voraussetzungen und Folgen in aufeinanderfolgenden Kapiteln dargestellt. Die Rechtsbehelfe erschöpfen sich in dem Erfüllungsanspruch (der auch Beseitigung eines Mangels und Lieferung einer mangelfreien Sache umfasst), dem Zurückbehaltungsrecht, der Aufhebung des Vertrages, der Minderung des Preises (nicht vorhanden in den PICC), Schadensersatz und dem Recht auf Zinsen bei Geldschulden. Eine Möglichkeit der Vertragsanpassung an veränderte Umstände wird nicht zusammen mit den anderen Rechtsbehelfen abgehandelt, sondern im Abschnitt zur Leistung und ihren Modalitäten. Die Vorteile eines solchen Systems sind verschiedene. Vor allem dient es dazu, das ganze Leistungsstörungsrecht übersichtlicher und einfacher zu gestalten.9 Dies ist ein wichtiger Aspekt für den Anwender genauso wie für den 3 Magnus Das Recht der vertraglichen Leistungsstörungen und der Common Frame of Reference, ZEuP 2007, S. 260 (264). Wieweit dieses Konzept auch im Acquis communautaire verwirklicht ist vgl. Magnus, S. 263. 4 Vgl. zu diesem Konzept im englischen Recht Schmidt-Kessel Standards vertraglicher Haftung nach englischem Recht, Limits of Frustration (2001), S. 32 ff. 5 Vgl. Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum einheitlichen UNKaufrecht (5. Aufl., 2008), Art. 45 CISG Rn. 5; P. Huber in Münchener Kommentar zum BGB, (5. Aufl., 2008), Art. 45 CISG Rn. 4. 6 Z.B. Schwenzer Rechtsbehelfe und Rückabwicklungsmodelle im CISG, in den European und UNIDROIT Principles, im Gandolfi-Entwurf sowie im deutschen Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, in Schlechtriem (Hrsg.), Wandlungen des Schuldrechts (2002), S. 37; Düchs (Fn. 1) S. 53. Grundmann bezeichnet es als einen „Rückschritt“, dass in der endgültigen Fassung der Schuldrechtsreform eine mittlere Ebene gewählt und das System der Rechtsfolgendifferenzierung mit dem System der Differenzierung nach Verstoßtatbestände kombiniert wurde, vgl. Grundmann Der Schadensersatzanspruch aus Vertrag – System und Perspektiven, AcP 204 (2004), S. 569 (603–604). 7 Schmidt-Kessel Schadensersatz wegen Vertragsbruchs im System der Rechtsbehelfe, in Remien (Hrsg.), Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht (2008), S. 85 (89); Schwenzer (Fn. 6) S. 37 (38). 8 Storme (Fn. 2) S. 11 (26–27). 9 Schwenzer (Fn. 6) S. 37 (51).

Grenzen des Erfüllungsanspruchs in den Rechtsvereinheitlichungsprojekten

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Theoretiker. Ständige Wiederholungen der gleichen Rechtsbehelfe je nach Typ der Vertragsverletzung werden vermieden. Dadurch wird auch eine Kongruenz in der Anwendung der Rechtsbehelfe gewährleistet, so dass gleiche Tatbestände immer den gleichen Folgen unterliegen. Die schon lange z.B. im deutschen Rechtskreis kritisierten 10, meist durch historische Zufälligkeiten bedingten und nicht sachgerechten Unterscheidungen in den Folgen verschiedener Vertragsverletzungstypen, kann in diesem System besser vermieden werden. Durch eine konsequente Anwendung der Verweistechnik, kann auch das besondere Schuldrecht entlastet und Anspruchskonkurrenzen zwischen Gewährleistungsrecht und allgemeinem Schuldrecht verringert werden. Der DCFR, der als einziges Regelwerk auch besondere Schuldverhältnisse beinhaltet, ist ein Beispiel dafür, da der Kaufvertrag z.B. ohne jegliche spezielle Regelung bezüglich der Rechtsfolgen der Nichterfüllung abgehandelt werden kann.11 Ein anderer wichtiger Vorzug eines einheitlichen Vertragsverletzungstatbestandes ist, dass er die Gefahr ausschließt, verschiedene Leistungsstörungstypen ungeregelt zu lassen, und somit der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit dient.12 Weder positive Vertragsverletzung noch antizipierter Vertragsbruch bleiben ausgeschlossen – Rechtsinstitute, die sonst nur durch Weiterentwicklung des Leistungsstörungsrechts durch Rechtsprechung und Lehre in die Gesetze hineingelesen werden konnten, können ohne weiteres unter diesen Generaltatbestand subsumiert werden. 2. Abstandnahme vom Verschuldensprinzip Ein weitgehendes Abstandnehmen vom Verschuldensprinzip im Vertragsrecht kann als die zweite Grundsatzentscheidung der Regelwerke bewertet werden. Art. 1:301(4) PECL und Art. III. – 1:102 DCFR betonen beide, dass jede Art von Nichterfüllung, ob entschuldigt oder nicht, unter diesen Begriff

10 Kritisch in Bezug auf die inkonsistenten Regelungsweise der Gesetze z.B. im Schweizer Recht: Furrer Ist das schweizerische Leistungsstörungsrecht noch zeitgemäß?, in Girsberger/Luminati (Hrsg.), ZGB, Gestern – Heute – Morgen, Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 2007, S. 303 (312–314); Schönle Zum schweizerischen Kaufrecht und Schenkungsrecht, in Gauch/Schmid (Hrsg.), Die Rechtsentwicklung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert (2001), S. 345 (365); Schwenzer Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (2009), Rn. 60.02 ff.; in Deutschland Basedow Die Reform des deutschen Kaufrechts (1988) S. 12 ff.; Zweigert/Kötz Einführung in die Rechtsvergleichung (3. Aufl., 1996), S. 511 f.; in Österreich Schauer (Fn. 1) S. 627 (629); Lurger Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002), S. 509. 11 Interessant ist es nur, dass der DCFR in seiner outline edition 2009 noch nicht mal einen Verweis auf die Rechtsbehelfe im allgemeinen Teil beinhaltet. Dieser war in der interim edition noch vorhanden (Vgl. Art. IV.A. – 4:201: Overview of remedies). 12 Grundmann (Fn. 6) S. 595.

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fällt.13 Dasselbe wird für das Leistungsstörungsrecht von PICC und CISG anerkannt, auch wenn es in den Texten nicht explizit ausgedrückt ist.14 Der Tatbestand der Nichterfüllung ist in allen Regelwerken sowie dem CISG prinzipiell von keinem Verschulden abhängig gemacht.15 Es ist von einer Garantiehaftung die Rede.16 Dies bedeutet aber nicht, dass der Gläubiger von seinen Rechtsbehelfen im Falle von verschuldeter und unverschuldeter Nichterfüllung gleichermaßen Gebrauch machen kann. Grenzen sind den Rechtsbehelfen auch in diesem System gesetzt – nur sind diese Grenzen nicht schon beim fehlenden Verschulden erreicht.17 Eine Entlastung ist nämlich ausnahmsweise dann möglich, wenn die Nichterfüllung auf einem außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners liegenden Hinderungsgrund beruht und vom Schuldner vernünftigerweise auch nicht erwartet werden konnte, diesen Hinderungsgrund bei Vertragsschluss in Betracht zu ziehen und den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden (Art. 7.1.7 PICC; Art. 8:108 PECL und Art. III. – 3:104 DCFR).18 Prinzipiell werden nur Fälle, die als höhere Gewalt zu qualifizieren sind, eine Befreiung ermöglichen.19 Beide Parteien müssen für ihre Risikosphäre einstehen und können nur bei exogenen Leistungshindernissen entlastet werden.20

13 Vgl. Art. 1:301, Kommentar D in v. Bar/Zimmermann (Hrsg.) Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, Teil I und II, Kommission für Europäisches Vertragsrecht (2002), S. 124 und Art. III. – 1:102 DCFR Kommentar C in v. Bar/Clive (Hrsg.) Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference, Full Edition (2009), V.I, S. 672–673. 14 Vgl. Art. 45, 61 CISG und Magnus in Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2005, Art. 79 CISG Rn. 8; Schwenzer in Schlechtriem/ Schwenzer (Fn. 5) Art. 79 CISG Rn. 1; Brunner Force Majeure and Hardship under General Contract Principles (2009), S. 61. Vgl. für PICC den offiziellen Kommentar auf Deutsch: UNIDROIT, Grundregeln der Internationalen Handelsverträge („Unidroit Prinzipien“), 1994, Art. 7.1.1. S. 164 (Da eine Deutsche Übersetzung des Kommentars zu den Unidroit Prinzipien 2004 nicht vorhanden ist, wird auf den von 1994 verwiesen, soweit der Inhalt der Regeln identisch mit denen von 2004 ist). 15 Magnus (Fn. 3) S. 260 (264). 16 Düchs (Fn. 1) S. 60 ff. 17 Schmidt-Kessel (Fn. 7) S. 85 (95). 18 Vgl. zu den Voraussetzungen dieser Entlastungsmöglichkeit, die fast wörtlich von Art. 79 CISG in die Regelwerke übernommen wurde, Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 5) Art. 79 CISG Rn. 10 ff.; Staudinger/Magnus (Fn. 14) Art. 79 CISG Rn. 11 ff.; Kleinheisterkamp in Vogenauer/Kleinheisterkamp, UNIDROIT Commentary (2009), Art. 7.1.7 PICC Rn. 11 ff.; Fischer Die Unmöglichkeit der Leistung im internationalen Kauf- und Vertragsrecht (2001), S. 53 ff. 19 Magnus (Fn. 3) S. 260 (264). Die Überschrift von Art. 7.1.7 PICC ist auch bezeichnenderweise „Force Majeure/Höhere Gewalt“. Vgl. auch Kommentar C zu Art. 8:108 PECL und Comment C zu Art. III. – 3:104 DCFR. 20 Staudinger/Magnus (Fn. 14) Art. 79 CISG Rn. 16.

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Betrachtet man die systematische Stellung dieser Entlastungsnormen in den soft-law Instrumenten, so fällt es auf, dass sie in den allgemeinen, einleitenden Abschnitten zur Nichterfüllung platziert sind. Ein solches vor die Klammerstellen erweckt den ersten Anschein, dass eine Entlastung für alle Rechtsbehelfe in Frage kommt. Doch eine nähere Untersuchung zeigt, dass bei allen Regelwerken nur zwei Rechtsbehelfe bei force majeure ausgeschlossen werden: der Anspruch auf Erfüllung und auf Schadensersatz entfallen, sobald die Nichterfüllung entschuldigt ist (vgl. Art. 7.1.7(4) PICC 21; Art. 8:101(2) PECL und Art. III. – 3:101(2) DCFR). Demgegenüber können Vertragsaufhebung 22 und Minderung (nicht gegeben in den PICC), das Recht auf Zinsen und das Zurückbehaltungsrecht unabhängig von jeglicher Entlastungsmöglichkeit durchgesetzt werden. Auffallend ist, dass die Regelwerke sich hier vom UN-Kaufrecht distanzieren. Art. 79 CISG lässt nämlich den Erfüllungsanspruch unberührt und besagt nur, dass der Schadensersatzanspruch untergeht. Darauf wird noch zu kommen sein. Wie beim einheitlichen Vertragsverletzungstatbestand wird auch in der Abstandnahme vom Verschuldensprinzip im Vertragsrecht eine Beeinflussung durch das Gedankengut des englischen Rechts gesehen.23 Dies ist sicherlich teilweise richtig, da für bestimmte Arten von Leistungsversprechen eine strict liability angenommen ist, wie etwa für Zahlungspflichten, Beschaffungsrisiken, Vertragswidrigkeit von Gegenständen und für Rechtsmängel.24 Doch kann für das englische Vertragsrecht nicht verallgemeinernd behauptet werden, dass es ohne das Verschuldensprinzip auskommt.25 Genauso wenig wie auch von kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gesagt werden kann, dass sie nur mit dem Verschuldensprinzip arbeiten.26 Durch mannigfache Ausnahmen wird das Verschuldensprinzip durchbrochen,27 so dass für bestimmte Leistungsversprechen, nämlich die auf die Herbeiführung eines zugesagten

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Vgl. auch unten Fn. 57. Nach Art. 7.3.1 PICC, Art. 9:301 PECL, Art. III. – 3:502 DCFR und Art. 49 CISG bestimmt die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung (und nicht das Verschulden), ob ein Recht auf Vertragsaufhebung gegeben ist oder nicht. Vgl. aber unten B 4a in Bezug auf das Problem der automatischen Vertragsauflösung bei Unmöglichkeit. 23 Vgl. z.B. Düchs (Fn. 1) S. 61. 24 Ausführlich zu den Fällen sorgfaltsunabhängiger Haftung im englischen Recht Schmidt-Kessel (Fn. 4) § 7. 25 Treitel Fault in Common Law of Contract, in Bos/Brownlie (Hrsg.) Liber Amicorum for the Rt. Hon. Lord Wilberforce (1987), S. 185 (194 ff.); Schmidt-Kessel (Fn. 4) S. 511; Sutschet Garantiehaftung und Verschuldenshaftung im gegenseitigen Vertrag (2006), S. 189 ff. 26 Vgl. z.B. Treitel Remedies for Breach of Contract, A Comparative Account (1988), S. 6 ff.; Pellegrino Subjektive oder Objektive Vertragshaftung – Ein rechtsvergleichender Blick auf die Rolle des Verschuldens im Vertragsrecht, ZEuP 1997, S. 41 ff.; W.-T. Schneider Abkehr vom Verschuldensprinzip? Eine rechtsvergleichende Untersuchung zur Vertragshaftung, BGB, Code civil, Einheitsrecht (2007) S. 49 ff. 27 Vgl. z.B. die Übersicht bei Brunner (Fn. 14) S. 65 ff. 22

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Erfolges abzielen (obligation de resultat), eine weitgehende Übereinstimmung in den Ergebnissen der Rechtskreise festzustellen ist.28 Demnach lässt sich die Entscheidung der Regelwerke, prinzipiell eine verschuldensunabhängige Haftung für Nichterfüllung einzuführen, durch rechtsvergleichende Studien untermauern und reflektiert ein Einverständnis, das schon im Einheitlichen Kaufrecht von 1964 gegeben war 29 – dem folgte auch das CISG. Es muss aber beachtet werden, dass das englische Recht sowie die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen auch Situationen kennen, wo Verschulden ein Element der Vertragshaftung darstellt, insbesondere wenn kein Erfolg sondern lediglich ein sorgfältiges Tätigwerden geschuldet wird.30 Da die Regelwerke, anders als das CISG, für sich beanspruchen, allgemeines Vertragsrecht zu normieren, sollte für diese Art von Leistungsinhalte eine separate Regelung in Erwägung gezogen werden.31 Hier wäre eine Garantiehaftung nicht passend, was man auch daran sehen kann, dass der DCFR in seinem vierten Buch für verschiedene Typen der Dienstleistungs- und Arbeitsverträge durchwegs eine Verpflichtung zur reasonable skill and care anerkennt, ohne jedoch im allgemeinen Teil darauf Bezug zu nehmen.32 Die in allen Regelwerken vom Inhalt her sehr ähnliche Norm zur Entlastungsmöglichkeit des Schuldners kann in solcher Form in keiner Rechtsordnung wiedergefunden werden.33 Der Gedanke jedoch, dass höhere Gewalt den Schuldner entschuldigt, ist jeder Rechtsordnung eigen.34 Sei es die 28

Zweigert/Kötz (Fn. 10) S. 512–513; Brunner (Fn. 14) S. 68–69. Schneider (Fn. 26) S. 295 ff. 30 Im englischen Recht gilt für Dienstleistungsverträge das Prinzip, dass der Schuldner nur reasonable care and skill schuldet und keine Garantiehaftung gegeben ist. Ausführlich dazu Schmidt-Kessel (Fn. 4) § 8. 31 Kritisch auch Schmidt-Kessel Remedies for Breach of Contract in European Private Law – PECL, Acquis Communautaire and Common Frame of Reference, in Schulze (Hrsg.) New Features in Contract Law (2007) S. 183 (185); Pellegrino (Fn. 26) S. 41 (51 ff.); Magnus (Fn. 3) S. 260 (266–267). Vgl. aber Art. 5.1.4 PICC, der immerhin ‚Pflichten zum Einsatz aller Kräfte‘ im Gegensatz zu ‚Pflichten einen bestimmten Erfolg zu erzielen‘ im Abschnitt zum Vertragsinhalt allgemein definiert. Kritisch jedoch dazu Vogenauer in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 5.1.4 PICC Rn. 4 ff. 32 Art. IV.C. – 2:105; 6:103; 7:104; 8:104 und Art. IV.D. – 3:103 DCFR. 33 Obwohl man dazu tendiert die Grundlagen der Entlastungsnorm im englischen Recht zu suchen, welches ja auch das strict liability Prinzip inspiriert hat, geht dieser Griff ins Leere. Im Falle von frustration ist zwar der Schuldner entlastet. Doch dies ist die Folge davon, dass frustration den Vertrag auflöst und somit ein Freiwerden (discharge) der Parteien bewirkt. Die Entlastung selbst steht nicht im Vordergrund, sondern die Vertragsauflösung und Rückforderung bereits erbrachter Leistungen., vgl. Schmidt-Kessel (Fn. 4) § 2 und insbesondere S. 88–89 und z.B. Beatson Anson’s Law of Contract (28. Aufl., 2002), § 14 (,Discharge by frustration‘); McKendrick in Beale (Hrsg.) Chitty on Contracts (30. Aufl., 2008) § 23 (,Discharge by frustration‘). 34 Rechtsvergleichende Hinweise z.B. bei Brunner (Fn. 14) S. 76 ff. Für Beispiele aus dem deutschen Recht vgl. z.B. U. Huber Leistungsstörungen, Band I (1999), § 22–24 und § 26. 29

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deutsche Unmöglichkeit, französische force majeure, englische frustration oder amerikanische impracticability Doktrin – höhere Gewalt spielt bei allen Konzepten mit hinein.35 Problematisch ist es nur festzustellen, was man genau mit diesem Begriff assoziiert. Hauptsächlich wird er nämlich im Zusammenhang mit der endgültigen Unmöglichkeit der Leistung benutzt. Die Leistung ist wegen höherer Gewalt nicht mehr möglich und deswegen geht die Obligation von selbst unter, der Schuldner ist befreit – es gibt weder einen Anspruch auf Erfüllung noch einen auf Schadensersatz. In der Tat ist auch in den Regelwerken die gleiche Blickweise vorherrschend, was man an den Kommentaren und Anmerkungen zu den relevanten Artikeln sehen kann: es wird immer wieder auf die Unmöglichkeit und deren Beziehung zur höheren Gewalt hingewiesen 36 und dementsprechend auch der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen.37 Einzig die ‚Vorgängernorm‘ Art. 79 CISG geht nicht von einem solchen Selbstverständnis aus. Bei höherer Gewalt ist der Schuldner nur davon befreit, Schadensersatz zu zahlen. Der Erfüllungsanspruch ist jedoch weiterhin gegeben (Art. 79 (5) CISG). Wieweit dies der richtigere Ansatz ist, muss noch geklärt werden (siehe unten B 2). 3. Grundsätzliche Anerkennung eines Erfüllungsanspruchs Wie sehr auch der Ansatz eines einheitlichen Vertragsverletzungstatbestands und der Garantiehaftung vom Common Law beeinflusst wurde, bei der Konkretisierung der einzelnen Rechtsbehelfe sind die Regelwerke doch stärker dem Civil Law verbunden geblieben. Dies ist unverkennbar daran zu erkennen, dass anders als im Common Law der Gläubiger grundsätzlich auf Erfüllung bestehen darf, sei es in Form des Naturalerfüllungsanspruchs bei ausbleibender Erfüllung oder in Form eines Anspruchs auf Abhilfe bei mangelhafter Leistung.38, 39 Der Erfüllungszwang ist im Vergleich zum Schadens35 Vgl. die rechtsvergleichenden Hinweise zu Art. III. – 3:104 DCFR, Note I, (Fn. 13) S. 788 ff. und zu Art. 8:108 PECL, Anmerkung 1, (Fn. 13) S. 464. Vgl. auch Brunner (Fn. 14) Chapter 4 § 7. 36 Schon der erste Satz im Kommentar zu Art. 8:108 PECL sagt aus, dass dieser Artikel Fälle betrifft, wo die Leistungserbringung „unmöglich geworden ist“ (Kommentar A [Fn. 13] S. 459); jede Form der spezifischen Erfüllung ist schon „per definitionem“ unmöglich (Kommentar D [Fn. 13] S. 461). 37 Vgl. Art. 7.1.7(4); Art. 8:101(2) PECL und Art. III. – 3:101(2) DCFR. 38 Vgl. Art. 7.2.1–7.2.5 PICC; Art. 9:101–9:103 PECL; Art. III. – 3:301–3:303 DCFR; Art. 46 CISG. Vgl. auch U. Huber Modellregeln für ein Europäisches Kaufrecht, ZEuP 2008, S. 708 (715). 39 Die Anerkennung der römischrechtlichen Minderung (9:401 PECL; Art. III. – 3:601 DCFR; Art. 50 CISG), ist ein anderer Indiz dafür, dass bei den Rechtsbehelfen der kontinentaleuropäischen Tradition gefolgt wurde (vgl. zur actio quanti minoris Zimmermann The Law of Obligations (1996), S. 318, 322 ff.). Wenn man bedenkt, dass dieser Rechtsbehelf in vielen Civil Law Ländern für Kauf-, Miet- und Werkverträge seit Jahren angewandt wird

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ersatzanspruch kein Ausnahmetatbestand wie im angloamerikanischen Rechtskreis (specific performance).40 Die Wahl zwischen einem Erfüllungsanspruch oder einem Anspruch auf den Ersatz des Nichterfüllungsschadens ist nicht dem Ermessen des Richters überlassen.41 Doch werden die Grenzen eines solchen Anspruchs in allen Regelwerken so gesetzt, dass eine weitgehende Annäherung der beiden Systeme erreicht wird.42 Zwischen den beiden Extremen strikter präziser Erfüllung und ausnahmsloser Befreiung durch Interessenleistung wurde ein Mittelweg vorgezogen. Wieweit der Naturalerfüllungsanspruch schon unmittelbar aus dem Vertrag entsteht und somit dessen Klagbarkeit als materiellrechtliche Eigenschaft zu qualifizieren ist, kommt aus den Regelwerken nicht klar zum Vorschein. Obwohl in jedem dieser Regelwerke der Erfüllungsanspruch im Abschnitt der „Rechtsbehelfe (remedies)“ geregelt ist, muss m.E. daraus nicht wie Weller zwangsläufig der Schluss gezogen werden 43, dass damit das angloamerikanische Aktionensystem übernommen worden ist.44 Wie Weller selbst zu Recht hervorhebt, sind bei allen Regelwerken der Anknüpfungspunkt für die Abtretung das „Recht auf Erbringung einer Leistung (the right to performance)“ und für die Verjährung der „Zeitpunkt in dem der Schuldner seine Leistung zu erbringen hat (time when the debtor has to effect performance)“. Dies zeigt eigentlich schon, dass die soft-law Instrumente, obwohl sie den Erfüllungsanspruch unter den Rechtsbehelfen regeln, diesen schon mit dem Vertrag (bzw. der Fälligkeit) und nicht erst mit der Vertragsverletzung entstehen lassen. Auch die Liste der Ausnahmen eines Erfüllungsanspruchs in Art. 7.2.2 PICC, Art. 9:102(2) PECL und Art. III. – 3:302(3)-(5) DCFR deutet darauf hin, dass diesbezügliche Einwendungen und Einreden als Fragen des (rechtsvergleichende Hinweise in Anmerkung 1 zu Art. 9:401 PECL [Fn. 13] S. 524) und auch in den EU Verbrauchsgüterkauf- und Pauschalreiserichtlinien anerkannt ist, überzeugt die Entscheidung der Regelwerke (außer der PICC), diesen Rechtsbehelf vor die Klammer zu ziehen und allgemein zu regeln. Doch darf man die Funktion dieses Rechtsbehelfs ein einem System der Garantiehaftung nicht überschätzen. 40 Vgl. dazu Zweigert/Kötz (Fn. 10) S. 477 ff.; Beatson (Fn. 33) S. 632 ff.; Treitel in Chitty on Contracts (Fn. 33) Rn. 27-001 ff.; Sale of Goods Act 1979 sec. 52; Restatement (Second) of Contracts § 357 ff.; UCC § 2-716 (1) sowie Neufang Erfüllungszwang als „remedy“ bei Nichterfüllung (1998). Vgl. aber auch die Ausführungen in Mak PerformanceOriented Remedies in European Sale of Goods Law (2009), S. 45 ff. für entgegengesetzte Ansätze im Common Law Bereich. 41 Lando Non-Performance (Breach) of Contracts, in Hartkamp u.a. (Hrsg.) Towards a European Civil Code (3. Aufl. 2004), S. 505 (509). 42 Müller-Chen Folgen der Vertragsverletzung (1999), S. 95; Magnus (Fn. 3) S. 260 (270–271). 43 So aber Weller Die Vertragstreue, Vertragsbindung – Naturalerfüllungsgrundsatz – Leistungstreue (2009) S. 397 f.; derselbe, Die Struktur des Erfüllungsanspruchs im BGB, common law und DCFR – ein kritischer Vergleich, JZ 2008, S. 764 (771); Lobinger Die Grenzen rechtsgeschäftlicher Leistungspflichten (2004), S. 130 ff. 44 Wie hier wohl auch Schmidt-Kessel (Fn. 31) S. 183 (186 f.).

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materiellen Rechts behandelt wurden. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass bei den Vorarbeiten zum CISG dieser Konsens gerade nicht geschaffen werden konnte, so dass eine Kompromisslösung in der Form von Art. 28 CISG sich aufgedrängt hatte.45 Die pragmatisch Entscheidung auch den primären Erfüllungsanspruch zusammen mit den sekundären Rechtsbehelfen zu regeln, lässt sich m.E. eher damit begründen, dass einer Systematisierung des Leistungsstörungsrechts um die Rechtsbehelfe herum vorgezogen wurde.46 Wenn die verschiedenen Vertragsverletzungstatbestände nicht mehr im Vordergrund sind, lässt sich dies nicht vermeiden. Und es sollte auch nicht ausser Acht gelassen werden, dass in manchen europäischen Gesetzen der Erfüllungsanspruch nicht gesondert geregelt ist, und man trotzdem nicht daran zweifelt, dass sie der Windscheidschen Anspruchsdogmatik verpflichtet sind.47 Die Nacherfüllung wird in den Regelwerken als ein Unterfall des Erfüllungsanspruchs gesehen.48 Während jedoch Art. 46(2–3) CISG und Art. 7.2.3 PICC explizit das Recht auf Nachbesserung und Ersatzleistung als Hauptbeispiele der Nacherfüllung erwähnen, fällt dies in Art. 9:102(1) PECL und Art. III. – 3:302(2) DCFR relativ kurz aus 49: Die benachteiligte Partei kann „Abhilfe“ für eine mangelhafte Leistung verlangen. Dass diese Abhilfe insbesondere Reparatur und Lieferung einer Ersatzsache umfasst, wird aber in den Kommentaren beider Regelwerke klar ausgedrückt.50 Im DCFR wird noch hinzugefügt, dass Nacherfüllung unentgeltlich zu sein hat.51 Die Grenzen,

45 Vgl. dazu Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 5) Art. 28 CISG Rn. 1–2; Lando (Fn. 41) S. 505 (511). 46 Vgl. z.B. auch die Systematisierung von Schlechtriem/Schmied-Kessel Schuldrecht, Allgemeiner Teil (6. Aufl. 2005), 4. Teil oder Kötz Vertragsrecht (2009), §§ 10–12. 47 Vgl. nur das schweizerische OR, das z.B. keine parallele Norm zu § 241 BGB kennt und wo der Anspruch auf Erfüllung nur in dem Abschnitt zu den „Folgen der Nichterfüllung“ zusammen mit den anderen Rechtsbehelfen vorkommt. Er wird aber allgemein anerkannt, dass die Klagebefugnis eine materiellrechtliche Eigenschaft ist und der Anspruch auf Erfüllung sich aus Art. 97 Abs. 2, Art. 98, Abs. 1 und Art. 107 Abs. 2 OR ableiten lässt, vgl. Schmid Vertragsrecht und Realerfüllung, in FS Gauch (2004), S. 589 (591); Schwenzer (Fn. 10) Rn. 61.01 f.; Bucher Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1988) S. 328. 48 Magnus (Fn. 3) S. 260 (271). 49 Schauer (Fn. 1) S. 627 (634 ff.). 50 Art.9:102 PECL Kommentar C (Fn. 13) S. 478 und Art. III. – 3:302(2) DCFR Comment C (Fn. 13) S. 830. 51 Warum gerade im DCFR, der sich als Ziel setzt „The DCFR is intended to help in this process of improving the existing acquis and in drafting any future EU legislation in the field of private law“, einige der Hauptelemente der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in Bezug auf die Nacherfüllung (z.B. Vorrang vor den anderen Rechtbehelfen, Grenzen etc.) gänzlich ungeregelt gelassen sind, ist unverständlich. Weder im allgemeinen Teil noch im besonderen Teil zum Kaufvertrag ist eine spezielle Bestimmung hinsichtlich Nachbesserung oder Ersatzleistung gegeben.

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die für den primären Erfüllungsanspruch gegeben sind, gelten auch für den Nacherfüllungsanspruch.52 Die Grenzen eines solchen Erfüllungsanspruchs gilt es nun detaillierter zu untersuchen und eventuelle Ungereimtheiten und fehlende Bestimmungen festzustellen. Ziel dieser Untersuchung ist es nicht, den Erfüllungsanspruch als solches und seine Nutzen in Frage zu stellen.53 Es wird vorausgesetzt, dass die soft-law Instrumente diesen Anspruch anerkennen und auch in Zukunft beibehalten werden. Das Ziel ist nur, Vorschläge zu unterbreiten, wie man den Erfüllungsanspruch und seine Grenzen eventuell besser regeln könnte – und zwar soweit möglich sowohl für Verbraucher- als auch für Handelsgeschäfte.

B. Grenzen des Erfüllungsanspruchs 1. Übersicht Alle drei Regelwerke beinhalten in ihren Unterabschnitten zum Erfüllungsanspruch Bestimmungen, die detailliert die Grenzen dieses Anspruchs umschreiben.54 In allen wird unterschieden zwischen der Erfüllung von Geldschulden auf einer Seite und nicht auf Geld gerichteten Leistungspflichten auf der anderen.55 Die Grenzen des Erfüllungsanspruchs fallen je nach der Art des Leistungsversprechens unterschiedlich aus. Es fällt auf, dass die Verfasser der Regelwerke besonders darauf bedacht waren, eine Synthese von Common Law sowie Civil Law Begrenzungen zu erreichen.56 Wieweit dies geglückt ist, muss hier noch gezeigt werden. Doch zuerst soll das Augenmerk auf die Beziehung zwischen dem Erfüllungsanspruch und der Entlastung des Schuldners gerichtet werden. Wie schon oben unter A.2. dargelegt wurde, schließen nämlich alle drei Regelwerke – anders als das CISG – einen Erfüllungsanspruch aus, falls der Schuldner entschuldigt ist. Doch dies ist keine Selbstverständlichkeit.

52 Kommentar C zu Art. 9:102 PECL (Fn. 13) S. 478 und Comment C zu Art. III. – 3:302 DCFR (Fn. 13) S. 830. 53 Vgl. dazu z.B. Lando/Rose On the enforcement of specific performance in Civil Law Countries, International Review of Law and Economics 24 (2004) S. 473 ff.; Maultzsch Die Grenzen des Erfüllungsanspruchs aus dogmatischer und ökonomischer Sicht, AcP 207 (2007), S. 530 ff.; Weller (Fn. 43) S. 316 ff. 54 Die Beweislast in Bezug auf das Vorhandensein einer solchen Ausnahme liegt bei der nichterfüllenden Partei, vgl. z.B. für die PICC Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.2 PICC Rn. 16. 55 Art. 7.2.1–7.2.2 PICC; Art. 9:101–9:102 PECL; Art. III. – 3:301–3:302 DCFR. 56 U. Huber (Fn. 38) S. 708 (716 und 720 ff.). Vgl. für eine Übersicht zu den Ausnahmen vom Erfüllungsanspruch in den beiden Rechtskreisen Mak (Fn. 40) S. 92 ff.

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2. Erfüllungsanspruch trotz Entschuldigung bzw. kein Erfüllungsanspruch trotz Verschulden? Art. 8:101 PECL sagt folgendes aus: 57 „(1) Wenn eine Partei eine ihr nach dem Vertrag obliegende Verpflichtung nicht erfüllt und die Nichterfüllung nicht gemäß Artikel 8:108 entschuldigt ist, kann die benachteiligte Partei von jedem der in Kapitel 9 vorgesehenen Rechtsbehelfe Gebrauch machen. (2) Ist die Nichterfüllung gemäß Artikel 8:108 entschuldigt, kann die benachteiligte Partei von jedem der in Kapitel 9 vorgesehenen Rechtsbehelfe Gebrauch machen, mit Ausnahme der Ansprüche auf Erfüllung und auf Schadensersatz.“ Dieser Ansatz ist aus verschiedenen Gründen problematisch: i. In Absatz 1 wird der Anschein erweckt, dass in allen Fällen unentschuldigter Nichterfüllung ein Anspruch auf Erfüllung gegeben ist, und ii. In Absatz 2 wird ein Erfüllungsanspruch für alle Fälle ausgeschlossen, in denen die Nichterfüllung entschuldigt ist. Beide Aussagen sind aber mit dem Leistungsstörungsrecht der Regelwerke selbst nicht vereinbar und müssen relativiert werden: Die Grenzen des Erfüllungsanspruchs sind in allen drei Regelwerken klar umschrieben und darin spielt die Entlastung oder ein eventuelles Verschulden keine Rolle. Ein Erfüllungsanspruch entfällt z.B. immer dann, wenn die Leistung unmöglich oder unzumutbar geworden ist oder der Schuldner einer höchstpersönlichen Leistung diese verweigert (vgl. Art. 9:102 PECL, Art. 7.2.2 PICC; Art. 3:302 DCFR). Ob hier die Nichterfüllung entschuldigt ist oder nicht, hat nur für die Frage des Schadensersatzanspruchs eine Bedeutung nicht aber für den Erfüllungsanspruch.58 Auch wenn der Schuldner die Nichterfüllung zu vertreten hat, weil er z.B. die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit selbst verursacht hat, wird es gegen ihn keinen Erfüllungsanspruch geben, sondern nur einen Schadensersatzanspruch. Umgekehrt, falls eine unverschuldete

57 Wortgleich Art. III. – 3:101 DCFR. Eine parallele Bestimmung ist in den PICC zwar nicht gegeben, doch dürfte es auch die Absicht der Verfasser von Art. 7.1.7(4) PICC gewesen sein, dass im Falle einer Entlastung ein Erfüllungsanspruch blockiert ist. Denn Art. 7.1.7 PICC ist Art. 79 CISG entlehnt, mit dem Unterschied, dass gerade der letzte Absatz anders formuliert ist. Obwohl Art. 79 CISG bei Entlastung nur einen Schadensersatzanspruch ausschließt, ziehen es die PICC vor, einzeln die in diesem Falle gegebenen Rechtsbehelfe aufzuzählen. Diese sind die Aufhebung, das Zurückbehaltungsrecht und der Zinsanspruch, nicht aber der Erfüllungsanspruch. Diese Abweichung muss bewusst gewesen sein, d.h. man wollte einen Erfüllungsanspruch für den Fall ausschließen, dass der Schuldner entschuldigt war. Andere Interpretation aber bei Sutschet (Fn. 25) S. 198. 58 Das der Erfüllungsanspruch und der Schadensersatzanspruch nicht Hand in Hand gehen unterstreichen auch Art. 9:103 PECL und Art. III. – 3:303 DCFR. Beide betonen, dass der Umstand, dass ein Anspruch auf Erfüllung nicht besteht, nicht das Recht ausschließt, Schadensersatz zu verlangen.

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Nichterfüllung vorliegt, entfällt der Erfüllungsanspruch auch nicht automatisch. Denn Nichterfüllung in den Regelwerken ist nicht gleichbedeutend mit Unmöglichkeit. Es ist ein viel weiterer Begriff, der auch die mangelhafte oder verspätete Erfüllung einschließt.59 Und in diesen Fällen ist ein Anspruch auf Erfüllung bzw. Nacherfüllung weiterhin gegeben, auch wenn der Schuldner für die Nichterfüllung nicht einstehen muss. Dies wird ihn höchstens vor einem Schadensersatzanspruch für späte oder mangelhafte Leistung beschützen, nicht aber vor einem Erfüllungsanspruch. Die Regelwerke verquicken somit in unverständlicher Weise die Schadensersatzproblematik mit der Frage nach dem Bestand der Leistungspflicht des Schuldners.60 Der Grund für diese Misskonzeption liegt wohl darin, dass die Verfasser der Regelwerke zu sehr noch den alten Denkstrukturen, hier dem Konzept der Unmöglichkeit verpflichtet waren. Es ist eine starke Beeinflussung durch den deutschen Rechtskreis zu erkennen: Dem historischen Gesetzgeber des BGB zufolge hatte der Gläubiger im Falle einer nachträglich vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit weiterhin einen Anspruch auf Erfüllung, der aber vom Inhalt her nun auf Schadensersatz abzielte (§ 280 BGB a.F.).61 War jedoch die nachträgliche Unmöglichkeit unverschuldet, so ging der Anspruch auf Erfüllung ganz unter (§ 275 BGB a.F.).62 Demnach hatte die Unmöglichkeit keinen Einfluss auf die Verpflichtung, solange sie dem Schuldner zugerechnet werden konnte (perpetuatio obligationis). Der Schuldner konnte sich jedoch ihrer durch Zahlung eines Geldäquivalents entledigen.63 Doch wurde schon lange vor der Schuldrechtsreform dieser Ansatz kritisiert und die Auffassung vertreten, dass die Unmöglichkeit ohne Rücksicht auf das Vertretenmüssen zum Ausschluss der primären Leistungspflicht führen muss.64 Diese Blickweise wurde mit der Schuldrechtsreform auch weitgehend übernommen. Das Element des Vertretenmüssens ist aus § 275 BGB gestrichen.65 Dieser Artikel besagt nur in welchen Fällen ein Anspruch 59

Art. 7.1.1 PICC; Art. 1:301(4) PECL; Art. III. – 1:102 (3) DCFR. Vgl. auch Magnus, der die getrennte Handhabung von Behelfen zur Sicherung des Äquivalenzinteresses (Vertragsaufhebung, Minderung oder sonstige Vertragsanpassung) und Behelfe zur Sicherung des Integritätsinteresses (Schadensersatz) empfiehlt. Die erste Gruppe von Behelfen muss unabhängig vom Verschulden gegeben sein, wobei für die zweite Gruppe eine Entlastungsmöglichkeit Sinn macht, (Fn. 3) S. 260 (264–265). 61 Vgl. ausführlich dazu U. Huber Leistungsstörungsrecht, Band II (1999), § 58 I und 59 II. 62 Z.B. U. Huber (Fn. 61) § 58 I; Looschelders Unmöglichkeit – ein Störenfried in der Dogmatik des deutschen Leistungsstörungsrechts?, in Remien (Hrsg.) Schuldrechtsmodernisierung und Europäisches Vertragsrecht (2008), S. 63 (68). 63 Dies ist z.B. noch heute der Ansatz vom schweizerischen OR: Art. 97/119. 64 Vgl. die Hinweise in Canaris Die Reform des Rechts der Leistungsstörungen, JZ 1995, S. 499 (500 und dort Fn. 11); Looschelders (Fn. 62) S. 66. 65 Kötz (Fn. 46) Rn. 789; Unberath Die Vertragsverletzung (2007), S. 271 ff. Obwohl oft Art. 9:102 (2)(a) PECL als ein Beispiel dafür gezeigt wird, dass im europäischen Schuldrecht 60

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auf Leistung entfällt. Schadensersatzansprüche bleiben von dem unberührt, genauso wie der Anspruch auf das stellvertretende commodum (§ 285 BGB).66 Alle drei Regelwerke haben somit ein fragliches und inzwischen z.B. in Deutschland überkommenes Modell dem Erfüllungsanspruch zugrunde gelegt und unnötigerweise ihr eigentlich übersichtliches und einfaches Leistungsstörungsrecht angreifbar gemacht. Insbesondere haben sie auch die Grundsatzentscheidung, alle Vertragsverletzungstatbestände in der Nichterfüllung zu vereinen, in Frage gestellt, da die Entlastungsproblematik nur aus dem Blickwinkel der Unmöglichkeit betrachtet wurde. Es kann aber, wie schon erwähnt wurde, auch eine verspätete oder mangelhafte Leistung entschuldigt sein, wovon ein Anspruch auf Erfüllung nicht beeinflusst wäre. Eine pauschale Aussage, dass ein Erfüllungsanspruch nicht gegeben ist, immer wenn der Schuldner entlastet ist, ist deswegen falsch. Hier werden Bestand und Reichweite der Erfüllungspflicht des Schuldners und die Problematik seiner Haftung auf Schadensersatz vermengt.67 Warum dieses Problem gerade in dem DCFR, der ja viele Jahre nach der Schuldrechtsreform erlassen wurde, perpetuiert wurde, bleibt offen. In dieser Hinsicht ist das UN-Kaufrecht das einzige Regelwerk, das die vorzugswürdigere Einstellung hat. Art. 79(5) CISG unterstreicht nämlich, dass eine Entlastung des Schuldners den Erfüllungsanspruch nicht ausschließt. Das Problem mit der CISG Regelung ist eher, dass dem Erfüllungsanspruch überhaupt keine Grenzen außer Art. 28 gesetzt sind, so dass es fraglich ist, wie z.B. ein Anspruch auf eine unmögliche Leistung blockiert werden kann (falls man dies nicht auch über Art. 28 den nationalen Gerichten überlassen möchte).68 Dies ist sicherlich eine wichtige Frage, die gelöst werden muss, doch ist die Lösung nicht in Art. 79 CISG zu suchen, welcher der Problematik der Entlastung gewidmet ist.69 Abhilfe muss durch Lücken-

ein Wegfall des Erfüllungsanspruchs nicht vom Vertretenmüssen abhängt (z.B. Looschelders (Fn. 62) S. 66), scheint dies nicht richtig zu sein, wenn man bedenkt, dass Art. 8:101(2) genau das Entgegengesetzte ausdrückt. 66 Looschelders (Fn. 62) S. 68–69. Kritisch gegenüber diesen Ansatz z.B. Sutschet (Fn. 25) S. 278 ff. 67 Diese Vermengung ist auch zu sehen bei Lando (Fn. 41) S. 505 (509); Storme (Fn. 2) S. 11 (29) und bei Lobinger (Fn. 43) S. 132 ff., der es bemängelt, dass bei der Abfassung von § 275 BGB nicht die Art. 7.1.7 PICC und Art. 8:108 PECL in Betracht gezogen worden sind. 68 Vgl. dazu ausführlich Atamer in Kröll/Mistelis/Viscasillas (Hrsg.) UN-Convention on the International Sales of Goods (CISG) (2010), Art. 79 CISG II 1.2 (im Erscheinen). 69 Deswegen ist die Kritik in der Literatur an Art. 79(5) CISG m.E. unberechtigt. Vgl. aber z.B. Brunner (Fn. 14) S. 360 ff.; Fischer (Fn. 18) S. 119–122; Pichonnaz Impossibilité et exorbitance, Etude analytique des obstacles à l’exécution des obligations en droit Suisse (art. 119 CO er 79 CVIM) (1997) S. 412 ff.; Treitel Frustration and Force Majeure (2. Aufl., 2004), Rn. 15-043 f. Art. 74 ULIS hatte auch den Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, vgl. dazu Stoll in Dölle, Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht (1976), Art. 74, Rn. 14 ff.

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füllung in Art. 46/62 CISG erfolgen – beides Bestimmungen, die den Erfüllungsanspruch regeln.70 3. Grenzen des Erfüllungsanspruchs für Geldschulden Art. 7.2.1 PICC, Art. 9:101 PECL und Art. III. – 3:301 DCFR sehen vor, dass die Erfüllung von einer fälligen Geldzahlung immer verlangt werden kann. Da die Eintreibung von Geldforderungen prinzipiell keine Probleme verursacht, sind sich in diesem Punkt common law sowie civil law Rechtsordnungen einig. Die Geldforderung kann die primäre Geldschuld, aber auch ein sekundärer Schadensersatz oder Zinsanspruch sein – in beiden Fällen ist der Anspruch auf Erfüllung gegeben. Ausnahmsweise wird es aber ein Problem darstellen, wenn eine Fremdwährung geschuldet ist, deren Vertrieb am Zahlungsort nicht mehr möglich ist. In diesem Fall muss dem Gläubiger das Recht zuerkannt werden, Zahlung in der Währung des Zahlungsortes zu verlangen. Dies wird in Art. 6.1.9(2) PICC offen geregelt 71, wobei PECL und DCFR eine vergleichbare Lösung vermissen lassen. Anders als die PICC schneiden aber PECL und DCFR das Problem an, dass der Schuldner der Geldleistung sich unberechtigterweise weigert, die Gegenleistung entgegenzunehmen, und somit den Anspruch auf die Geldleistung streitig macht.72 Die Frage ist hier, wieweit der Gläubiger der Geldleistung berechtigt ist, seine Leistung der anderen Partei „aufzudrängen“ und somit die Erfüllung der Geldleistung zu erzwingen.73 Da für die Regelwerke das Prinzip pacta sunt servanda gilt, ist dies prinzipiell möglich – soweit natürlich die Erfüllungshandlungen, ohne die Kooperation des Leistungsgläubigers ausgeführt werden können. In diesem Falle werden Art. 7:110 PECL und Art. III. – 2:111 DCFR über die Hinterlegung oder den Selbsthilfeverkauf Anwendung finden.74 Doch haben die Regelwerke auch hier wieder einen Kompromiss mit den common law Ordnungen gesucht und das Recht des Geldgläubigers auf

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Atamer in Kröll/Mistelis/Viscasillas (Fn. 68) Art. 79 CISG II 1.2.2.8 und 1.2.2.9. Vgl. dazu Atamer in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 6.1.9 PICC Rn. 8–10. 72 Vgl. dazu wie der Erfüllungsanspruch bei Geldschulden unter den PICC begrenzt werden kann Schwenzer Specific Performance and Damages According to the 1994 Principles of International Commercial Contracts, 1 European Journal of Law Reform 1999, S. 289 (295); Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.1 PICC Rn. 7–8; Heidemann Methodology of Uniform Contract Law: The UNIDROIT Principles in International Legal Doctrine and Practice (2006), S. 61 ff. 73 Siehe auch Weller (Fn. 43) S. 464 ff., der das „Naturalerfüllungsrecht des Schuldners“ rechtsvergleichend ausführlich untersucht, jedoch diese Bestimmungen der soft-law Instrumente nicht näher ausführt (S. 514–526). 74 Vgl. die rechtsvergleichenden Ausführungen zu der Problematik bei Schwenzer (Fn. 72) S. 289 (294 f.) 71

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Erfüllung zu bestehen, in bestimmten Situationen begrenzt.75 Falls er nämlich ohne nennenswerte Anstrengungen oder Kosten ein angemessenes Deckungsgeschäft abschließen kann, darf er nicht gegen den Willen der anderen Partei auf Erfüllung seiner Leistung beharren, nur um später das Entgelt zu verlangen. In diesem Falle wird er zwar wieder einen Geldanspruch haben, aber diesmal den sekundären Schadensersatzanspruch (Art. 9:103 PECL/Art. III. – 3:303 DCFR). Führt z.B. der Verkäufer einen Deckungsverkauf durch, so kann er als Schadensersatz die Differenz zwischen dem niedrigeren Kauferlös und dem eigentlich vereinbarten Kaufpreis verlangen.76 Eine zweite Ausnahme ist gegeben, wenn „die Leistung nach den Umständen unangemessen“ wäre. Dies ist nach den Kommentaren immer dann der Fall, wenn der Schuldner der Geldleistung im Voraus Bescheid gibt, dass er z.B. an der vertraglichen Dienstleistung kein Interesse mehr hat, aber der Gläubiger der Geldleistung weiterhin seinen Dienst anbietet.77 Oder aber wenn der Verkäufer, der die Ware noch herstellen muss, mit der Produktion weitermacht, obwohl ihm der Käufer mitgeteilt hat, dass er sie nicht abnehmen wird.78 D.h. hier ist meist ein antizipierter Vertragsbruch gegeben und der Gläubiger der Geldleistung könnte eigentlich nach Art. 9:304 PECL und Art. III. – 3:504 DCFR den Vertrag aufheben, da die Vertragsverletzung wesentlich ist, und Schadensersatz verlangen. Das Problem ist aber, ob er stattdessen weiterhin seine Leistung erbringen und dadurch Recht auf Bezahlung erlangen kann. Dies wird von den beiden Regelwerken abgelehnt, sollte ein solches Verhalten unangemessen sein.79 Problematisch an den Ausnahmen des Gelderfüllungsanspruchs in den PECL und im DCFR sind ihre Unkoordiniertheit mit den Bestimmungen zur Erfüllung, d.h. mit Art. 7:110 PECL und Art. III. – 2:111 DCFR über die Hinterlegung und den Selbsthilfeverkauf. Die Bestimmungen decken sich teilweise vom Regelungsinhalt her, doch ist keine Anpassung erfolgt. Nach Art. 7:110 PECL und Art. III. – 2:111 DCFR darf nämlich eine Partei, die ihre Leistungspflicht nicht erbringen kann, weil die andere Partei die Gegen-

75 Vgl. die Anmerkung 3 zu Art. 9:101 PECL (Fn. 13) S. 476 und Note 3 zu Art. III. – 3:301 DCFR (Fn. 13) S. 827. Siehe auch § 2-709 UCC und Sale of Goods Act 1979 sec. 49 und dazu Neufang (Fn. 40) S. 85 ff. Obwohl Art. 61(2) ULIS eine parallele Bestimmung beinhaltete, hat Art. 62 CISG diese Ausnahme nicht übernommen. Demnach kann der Verkäufer prinzipiell auf Erfüllung bestehen und den Kaufpreis einklagen. Auch die Schadensminderungspflicht steht dem nicht entgegen. Vgl. Hager/Maultzsch in Schlechtriem/ Schwenzer (Fn. 5) Art. 62 CISG Rn. 7 ff.; Magnus in Staudinger (Fn. 14) Art. 62 CISG Rn. 19. 76 U. Huber (Fn. 38) S. 708 (723). 77 Kommentar B zu Art. 9:101 PECL (Fn. 13) S. 474 und Comment B zu Art. III. – 3:301 DCFR (Fn. 13) S. 825. 78 U. Huber (Fn. 38) S. 708 (724). 79 Weidt, Antizipierter Vertragsbruch (2008), S. 160–161.

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stände nicht annimmt, dadurch erfüllen, dass sie die Gegenstände zu angemessenen Bedingungen entweder hinterlegt oder aber verkauft und den Erlös auszahlt. Dies ist sicherlich für Rechtsordnungen, die mit dem Begriff des Annahmeverzugs arbeiten, keine unbekannte Regelung.80 Nur wird es problematisch, wenn man civil law und common law Lösungen vermengt, ohne sie anzupassen. Wie soll nun vorgegangen werden, wenn z.B. die Lieferpflicht fällig ist, nicht aber die Kaufpreisforderung, und der Käufer die Sache nicht annimmt? Darf der Schuldner hinterlegen oder muss er ein Deckungsgeschäft abschließen? Oder ist dies kein Deckungsgeschäft sondern ein Selbsthilfeverkauf, wo der Erlös dann doch dem Käufer ausgezahlt und auf Erfüllung der Preisleistung geklagt wird? Sollen verschiedene Artikel angewandt werden, je nach dem ob die Preisleistung fällig ist oder nicht? All diese Fragen hätten sich eigentlich vermeiden lassen, falls in Art.7:110 PECL und Art. III. – 2:111 DCFR auf Art. 9:101(2) PECL und Art. III. – 3:301(2) DCFR verwiesen worden wäre. 4. Grenzen des Erfüllungsanspruchs für nicht auf Geld gerichtete Leistungspflichten a. Erfüllung ist rechtswidrig oder unmöglich Für alle drei Regelwerke ist es selbstverständlich, dass ein Erfüllungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn die Erreichung des Leistungserfolgs denknotwendig nicht mehr möglich ist. Ist der Schuldner faktisch nicht in der Lage zu erfüllen, so macht auch ein Erfüllungsanspruch keinen Sinn. Dies ist die ontologische, vorrechtliche Unmöglichkeit der Leistung. Es fließen keine Wertungen hinein – weder eine schwierige noch ruinöse Erfüllungsmöglichkeit würde unter Art. 7.2.2(a) PICC, Art. 9:102(2)(a) PECL und Art. III. – 3:302(3)(a) DCFR fallen. Ob die Unmöglichkeit zu vertreten ist, ändert das Resultat genauso wenig.81 Unter lit. (a) werden auch rechtliche Hindernisse subsumiert, die einer Erfüllung final im Wege stehen und auch durch ein Ausweichen auf Alternativerfüllungsmöglichkeiten nicht umgangen werden können. Problematisch an diesen Bestimmungen ist die Wirkung der Unmöglichkeit auf die Leistungspflicht und den Vertrag.82 Während PICC und CISG den Vertrag aufrecht erhalten und es dem Gläubiger überlassen, diesen aufzulösen, ziehen Art. 9:303(4) PECL und Art. III. – 3:104 (4) DCFR eine

80 Vgl. die Anmerkung 2–3 zu Art. 7:110 PECL (Fn. 13) S. 428–429 und Note 5–6 zu Art. III. – 3:301 DCFR (Fn. 13) S. 763–764. 81 Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.2 PICC Rn. 23. 82 Dazu rechtsvergleichend Laimer Durchführung und Rechtsfolgen der Vertragsaufhebung bei nachträglichen Erfüllungsstörungen (2009), S. 43 ff.

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automatische Auflösung mit Untergang der Gegenleistung vor. Eine solche ipso facto avoidance erscheint aber aus verschiedenen Gründen unangebracht.83 Ob und wann eine faktische oder rechtliche Unmöglichkeit gegeben ist, ist nicht immer leicht festzustellen. Oft ist die Grenze zu der Ausnahme, dass die Erfüllung zwar noch möglich ist, aber dem Schuldner unangemessene Anstrengung oder Kosten verursachen würde (unten lit. b), so fließend, dass es eine Unklarheit in Bezug auf den Moment der Vertragsauflösung geben wird. Bei der einen Ausnahme ist nämlich der Vertrag von selbst aufgelöst, bei der anderen bedarf es hierfür einer Erklärung. Hinzu kommt noch, dass Art. 9:303(4) PECL und Art. III. – 3:104 (4) DCFR den Vertrag nur von selbst untergehen lassen, falls das vollständige und dauerhafte Leistungshindernis entschuldigt ist. Ob die definitive Unmöglichkeit vom Schuldner zu vertreten ist oder nicht, kann vom Gläubiger meist aber nicht übersehen werden. So dass wieder ein Zweifel in Bezug auf die Rechtslage gegeben wäre. Deswegen empfiehlt es sich aus Rechtssicherheitsgründen, eine Vertragsaufhebung durch Erklärung für alle Leistungsstörungstypen beizubehalten.84 Verbunden damit stellt sich auch die Frage, ob in den Regelwerken ein Recht auf Herausgabe des stellvertretenden commodums eingeführt werden sollte. Da es als ein Annex vom Erfüllungsanspruch zu sehen ist, wurde es bis heute im common law Bereich nicht anerkannt, und hat wohl auch deswegen die Verfasser davon abgehalten eine Regelung vorzuschlagen.85 Doch bei einer eventuellen Revision der Regelwerke empfiehlt es sich diese Entscheidung zu überdenken. Auf alle Fälle wäre die Zuerkennung eines Anspruchs auf das stellvertretende commodum ein weiterer Grund eine ipso facto Auflösung zu verneinen. b. Erfüllung würde unangemessene Anstrengung oder Kosten verursachen Sämtliche Fälle überwindbarer Leistungshindernisse faktischer, wirtschaftlicher oder sittlicher Art, die vor dem Gefahrübergang auftauchen, unterfallen dieser zweiten Ausnahme (Art. 7.2.2(b) PICC, Art. 9:102(2)(b) PECL und Art. III. – 3:302(3)(b) DCFR).86 Durch die veränderten Umstände ist

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Vgl. Laimer (Fn. 82) S. 53 ff.; kritisch auch Schmidt-Kessel (Fn. 7) S. 85 (90). Vgl. aber Düchs (Fn. 1) S. 169 ff. 85 Vgl. Hartmann Der Anspruch auf das stellvertretende commodum (2007), S. 328 ff.; Maultzsch (Fn. 53) S. 530 (539). 86 Hindernisse persönlicher Art werden meist unter dieser Ausnahme keine Bedeutung erlangen, da sie unter die Ausnahmen von (c) und (d) fallen werden. D.h. entweder ist eine nichtvertretbare persönliche Handlung geschuldet, deren Erfüllung nicht beansprucht werden kann oder es ist eine vertretbare persönliche Leistung gegeben, so dass der Schuldner deswegen den Gläubiger auf ein Deckungsgeschäft verweisen kann. 84

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zwischen dem Leistungsaufwand des Schuldners und dem Interesse des Gläubigers in der Leistungserbringung ein grobes Missverhältnis entstanden.87 Verhindert werden will eigentlich, dass das Bestehen auf einer Erfüllung an die Grenze der Schikane kommt.88 D.h. dass dem Gläubiger der Erfüllungsanspruch blockiert wird, wenn sein Interesse an der Leistung nicht den extra Aufwand, den der Schuldner nun auf sich nehmen muss, gerechtfertigt. Wichtig ist, dass die sich realisierende Gefahr nicht schon im Vertrag vom Schuldner übernommen worden ist. In diesem Falle wäre das Insistieren des Schuldners kein Rechtsmissbrauch. Die Erfüllungsanstrengungen, die der Schuldner zu unternehmen mit der Vereinbarung versprochen hat, dürfen von ihm ohnehin erwartet werden. Die Ausnahme greift nur ein, wenn extra Anstrengungen nötig sind, um die Leistungshandlungen zu erfüllen. Die Frage ist daher, wie weit diese Anstrengungen gehen müssen. Sicherlich wird dies von Fall zu Fall zu lösen sein, doch um eine ökonomisch gefährliche Einmischung der Gerichte in das Vertragsgefüge zu vermeiden, sollte die Anwendung dieser Ausnahme nur auf krasse Fälle beschränkt bleiben.89 Anders als z.B. in § 275, Abs. 2 BGB bieten nämlich die Regelwerke auch andere Möglichkeiten an, den Erfüllungsanspruch zu verhindern. Insbesondere das Argument, das die Leistung vernünftigerweise durch ein Deckungsgeschäft erhalten werden kann (unten lit. d), wird in vielen Fällen ausreichen, um den Schuldner zu schützen. Die Abgrenzung dieser Ausnahmeregel zu den hardship Bestimmungen in den Regelwerken (Art. 6.2.2/6.2.3 PICC, Art. 6:111 PECL, Art. III. – 1:110 DCFR) erscheint unproblematisch: in diesen Fällen ist das Leistungsinteresse des Gläubigers mitgestiegen, d.h. es wäre nicht schikanös auf Erfüllung zu bestehen.90 Trotzdem will man wegen der unvorhersehbaren Störung des vertraglichen Gleichgewichts eine Anpassung oder Auflösung des Vertrages ermöglichen. Ziel ist es nicht, einen Erfüllungsanspruch zu blockieren, sondern den Inhalt der Leistung anzupassen oder den Vertrag als solches zu beenden. Vorausgesetzt ist, dass die Änderung der Umstände nicht dem Schuldner angelastet werden können – was für die Ablehnung eines Erfüllungsanspruchs wiederum keine Voraussetzung ist.

87 Die Wertung entspricht der von § 275, Abs. 2 BGB, vgl. Looschelders Schuldrechtsmodernisierung, S. 75. Vgl. aber Lobinger (Fn. 43) S. 101 ff.; 119 ff. für Kritik an der Unterteilung von § 275 BGB und dem „Kriterienpluralismus“. 88 Vgl. Mak (Fn. 40) S. 100–102 (‚good faith‘); Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.2 PICC Rn. 25 (‚good faith‘); in Bezug auf die Anwendung von § 275, Abs. 2 BGB Maultzsch (Fn. 53) S. 530 (557); Schlechtriem/Schmidt-Kessel (Fn. 46) Rn. 480 (‚grobes Missverhältnis‘); Unberath (Fn. 65) S. 279. 89 Maultzsch (Fn. 53) S. 530 (557). 90 Vgl. Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.2 PICC Rn. 30.

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c. Persönlicher Charakter der Erfüllung Die Erfüllung kann auch immer dann abgewandt werden, wenn sie die Erzwingung von Dienst- oder Werkleistungen persönlichen Charakters zum Inhalt hat oder von einer persönlichen Beziehung abhängt. Alle drei Regelwerke beinhalten diese Ausnahme (Art. 7.2.2(d) PICC, Art. 9:102(c) PECL, Art. III. – 3:302(c) DCFR) und übernehmen hiermit einen Denkansatz, der mehreren Rechtsordnungen gemein ist.91 Die zugrundeliegenden Begründungen sind verschieden:92 erstens spielen übergeordnete Erwägungen des Persönlichkeitsschutzes hinein; zweitens würde wegen des Zwangs eine den Gläubiger befriedigende Erfüllung kaum zu erwarten sein; drittens wäre eine Vollstreckung des Entscheides sich nur schwer kontrollieren lassen. Was genau mit ‚persönlichen‘ Leistungen gemeint ist, ist zwar nicht dargelegt, doch dürften damit nichtvertretbare Handlungen gemeint sein. D.h. Handlungen deren Erfolg von der persönlichen Vornahme des Schuldners abhängen – der Maler oder der Autor können nach den Regelwerken nicht zur persönlichen Leistung gezwungen werden, genauso wenig der Schuldner eines Auskunfts- oder Arbeitsvertrags. Doch kann es auch Fälle geben, wo gerade die Person des Schuldners von besonderer Bedeutung ist, aber ein Leistungszwang nicht die oben erwähnten Bedenken mit sich bringt. Die Kommentare zu den Regelwerken geben das Beispiel, dass das Portrait fertig ist, aber noch die Unterschrift des Malers fehlt.93 D.h. nicht alle nichtvertretbaren Handlungen werden vom Erfüllungszwang ausgenommen, sondern hauptsächlich die wo in die persönliche Freiheit des Schuldners eingegriffen werden müsste. Ob die Erbringung der Leistung in Natur für den Schuldner auch noch in hohem Maße belastend und deswegen ihm nicht zumutbar ist,94 ist für diese Ausnahmen von keiner Bedeutung. Auch wenn kein spezieller Notstand gegeben ist, wird man einen Schriftsteller nicht dazu zwingen können, den Roman abzuliefern. Solange es sich aber um eine vertretbare Handlung handelt, somit die Leistung auch durch Dritte mit dem gleichen Erfolg vollbracht werden könnte, würde ein Erfüllungsanspruch nicht an dieser Ausnahme scheitern. Doch könnte der Schuldner diesmal beweisen, dass der Gläubiger vernünftigerweise 91 Vgl. z.B. Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.2 PICC Rn. 42; Farnsworth Contracts, V. III (3. Aufl. 2004), § 12.7, S. 184–186; Treitel in Chitty on Contracts (Fn. 33) Rn. 27-020 ff. Vgl. aber auch § 888 ZPO, wonach die Zwangvollstreckung für nichtvertretbare Handlungen unter Androhung von Zwangsgeld oder -haft prinzipiell möglich ist. D.h. ein Erfüllungsanspruch wird nicht schon deswegen verneint, weil es sich um eine nur persönlich erfüllbare Leistung handelt. Vgl. dazu Unberath (Fn. 65) S. 261 f. 92 Kommentar G zu Art. 9:102 PECL (Fn. 13) S. 480; Kommentar d zu Art. 7.2.2 PICC (Fn. 14) S. 184; Düchs (Fn. 1) S. 161. 93 Commment G zu Art. Art. III. – 3:302 DCFR (Fn. 13) S. 833. 94 Vgl. aber § 275, Abs. 3 BGB und dazu z.B. Lobinger (Fn. 43) S. 65 ff.; Fehre Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Leistung (2005), S. 55 ff.

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ein Deckungsgeschäft abschließen kann, d.h. ein anderer genauso fähig ist, die Leistungshandlung mit dem gleichen rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolg zu vollbringen (vgl. unten lit. d). d. Leistung kann aus anderer Quelle erhalten werden PICC und PECL schließen einen Anspruch auf Erfüllung auch aus, falls der Gläubiger die Leistung vernünftigerweise aus anderen Quellen erhalten kann (Art. 7.2.2(c) PICC, Art. 9:102(2)(d) PECL). Vernünftig ist ein solches Deckungsgeschäft immer dann, wenn es die einfachste und oft auch billigste Variante ist, an die Leistung zu gelangen.95 Viele Waren und Dienstleistungen sind inzwischen standardisiert und deswegen leicht ersetzbar. Besteht man trotzdem darauf, dass die Vertragspartei erfüllt, läuft man Gefahr, mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs konfrontiert zu werden. In diesem Fall wird das Gericht nur auf Zahlung der Differenz zwischen Marktpreis und vertraglich vereinbartem Preis, und eventueller weiterer Schäden verurteilen.96 Dieser Ansatz kommt aus dem Anglo-Amerikanischen Rechtsbereich („adequacy“ of damages) 97 und entspricht empirischen Studien, die zeigen, dass die Gläubiger ersetzbarer Güter auch im Civil Law Bereich nur selten einen Erfüllungsanspruch gegenüber einem Schadensersatzanspruch vorziehen und durchsetzen.98

95 Kommentar H zu Art. 9:102 PECL (Fn.) S. 481; Kommentar c zu Art. 7.2.2 PICC (Fn. 14) S. 184. Vgl. zur Problematik, dass der Schadensersatzanspruch eine Wertermittlung durch den Richter voraussetzt und diese von der Einschätzung des Werts der Leistung für den Gläubiger abhängt Maultzsch (Fn. 53) S. 530 (543 ff.). Der Autor empfiehlt einen Schadensersatzanspruch nur dann dem Erfüllungsanspruch vorzuziehen, wenn die Beurteilung des Schadens keiner solchen Wertermittlung bedarf, was bei am Markt verfügbaren Gütern der Fall sein wird. 96 Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.2 PICC Rn. 40. Es muss darauf hingewiesen werden, dass im System der Regelwerke hier ein Schadensersatzanspruch gegeben ist und keine Ersatzvornahme im Sinne von § 887 ZPO oder Art. 98, Abs. 1 schweiz. OR verbunden mit einem Aufwendungsersatz. Deswegen wäre der Schuldner entlastet, wenn die Nichterfüllung ihm nicht zugerechnet werden kann. 97 Vgl. Treitel in Chitty on Contracts (Fn. 33) Rn. 27-005; Farnsworth (Fn. 91) § 12.6 S. 175 f.; Neufang (Fn. 40) S. 125 ff.; Schwenzer (Fn. 72) S. 289 (297). Die Tatsachen, die der englischen Rechtsprechung zur Sperrung des Suez-Kanals zugrunde lagen (vgl. dazu Treitel Frustration and Force Majeure (2. Aufl. 2004), Rn. 4-071/4-083), fallen auch unter diese Kategorie. Zwar ging es in den Entscheidungen darum, ob die Verkäufer Schadensersatz zu zahlen haben oder nicht, doch wäre ein Käufer auf die Idee gekommen auf specific performance zu klagen, hätte man wohl nur danach geschaut, ob die Ware (Tierfutter und Erdnüsse) auch vernünftigerweise von woanders hätte beschaffen werden können. 98 Vgl. die Studie von Lando/Rose On the enforcement of specific performance in Civil Law Countries, International Review of Law and Economics 24 (2004) S. 473 (475 ff.) für Dänemark, Frankreich, Deutschland und zum CISG. Siehe auch Maultzsch (Fn. 53) S. 530 (555).

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Doch ist diese Ausnahme nicht unangefochten.99 Insbesondere für den Bereich der Verbraucherverträge ist eine solche Begrenzung des Erfüllungsanspruchs gerade in Bezug auf die Nacherfüllung fraglich.100 Denn oft ist für den Verbraucher der Aufwand verbunden mit einer Ersatzlieferung oder Reparatur weniger, als im Falle eines Deckungsgeschäfts, um das er sich selbst kümmern muss. Dies mag auch der Grund gewesen sein, warum diese Begrenzung im DCFR weggelassen und somit wieder eine Annäherung an die Civil Law Rechtslage vorgezogen wurde.101 Das gleiche Ergebnis wäre aber auch durch eine entsprechende Auslegung der besagten Ausnahme erreicht worden. Richtlinie 1999/44 zum Verbrauchsgüterkauf arbeitet in Art. 3(3) mit dem Begriff der „Unverhältnismäßigkeit“ als Grenze einer Nacherfüllung.102 So lange das „vernünftigerweise“ in PICC und PECL im Lichte dieser Richtlinie gedeutet wird, könnten Probleme vermieden werden. Immer dann wenn es nämlich „verhältnismäßig“ ist, Nacherfüllung zu beanspruchen, würde dies auch „vernünftig“ sein. Eine flexible Formulierung der Norm, so dass sie auf B2C und für B2B Geschäfte gleichzeitig anwendbar ist, sollte vorgezogen werden. Für handelrechtliche Geschäfte ist nämlich eine Eingrenzung des Erfüllungsanspruchs im Falle einer Marktverfügbarkeit sinnvoll. e. Ablauf einer angemessenen Zeit ohne dass der Erfüllungsanspruch geltend gemacht wird Die letzte Möglichkeit, die der vertragsbrüchige Schuldner nutzen kann, um einen Erfüllungsanspruch abzuwehren, ist zu beweisen, dass der Gläubiger nicht schnell genug reagiert hat. Gemäß Art. 7.2.2(e) PICC, Art. 9:102(3) PECL und Art. III. – 3:302(4) DCFR kann der Gläubiger seinen Anspruch auf Erfüllung nur durchsetzen, wenn er ihn innerhalb einer angemessenen Zeit geltend macht. Die Frist fängt an zu laufen, sobald er von der Nicht99 Vgl. z.B. Mak (Fn. 40) S. 61 ff. („damages can be under-compensatory“); Kleinheisterkamp in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 1.3 PICC Rn. 2. Vgl. auch die parallele Diskussion dazu, wieweit § 275, Abs. 2 BGB auf Fälle anwendbar ist, wo Lieferung aus der Gattung beansprucht wird, obwohl die Möglichkeit gegeben ist, sich im Markt einzudecken, dazu Schmidt-Kessel (Fn. 7) S. 85 (87); Maultzsch (Fn. 53) S. 530, 533 ff. 100 Mak (Fn. 40) S. 111 f. Vgl. auch Lando/Rose (Fn. 98) S. 473, 480, die einen Nacherfüllungsanspruch aus ihrer Studie ausschließen und nur eine Nichtlieferung in Betracht ziehen. 101 Kritisch demgegenüber Schmidt-Kessel (Fn. 31) S. 183, 188 („infiltration of consumer law ideas into the general law of contract“). Obwohl in Art. III. – 3:302 DCFR die Ausnahme eines Deckungsgeschäfts fallengelassen worden ist, kann man im letzten Absatz noch ein „Überbleibsel“ davon finden: demnach kann ein Gläubiger, der durch sein unvernünftiges Beharren auf Erfüllung seinen Schaden vergrößert hat, keinen Ersatz dafür verlangen. Dies ist aber ein Unterfall der Schadensminderungspflicht (Art. III. – 3:705 DCFR) und hier Fehl am Platz. Es wird nicht dem Erfüllungsanspruch sondern dem Schadensersatzanspruch eine Grenze gesetzt. 102 ABl. L 171 vom 7.7.1999, S. 12–16. Vgl. dazu Mak (Fn. 40) S. 132 ff.

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erfüllung erfahren hat oder hätte erfahren müssen.103 Die Begrenzung beruht auf dem Gedanken, dass der Schuldner in der Annahme berechtigt ist, dass der Gläubiger keine Erfüllung mehr verlangen wird, falls eine angemessene Zeit seit der Nichterfüllung verstrichen ist. Dadurch sollen auch Spekulationen gegen den Schuldner vermieden werden. Ein widersprüchliches Verhalten des Gläubigers wird nicht geschützt. Dies dürfte auch bei der Bewertung der Angemessenheit der Frist der Leitfaden sein, so dass Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden können. Ähnliche Bestimmungen sind im civil law Bereich nur für Handelsgeschäfte zu finden.104 Art. 46 (2)–(3) CISG wiederum sehen eine solche Fristsetzung für die Fälle vor, wo eine Nacherfüllung verlangt wird. Der primäre Erfüllungsanspruch ist jedoch nicht von einer solchen Fristeinhaltung abhängig gemacht. Allenfalls der gute Glaube im internationalen Handel oder die Schadensminderungspflicht könnten hier eine Lösung anbieten.105 Genau wie bei der Einrede bezüglich des Deckungsgeschäfts fällt auch bei dieser Grenze des Erfüllungsanspruchs auf, dass eine Orientierung an Handelsgeschäften stattfand. Ob das für den DCFR eine geeignete Lösung ist, ist fraglich. Gerade bei Verbraucherverträgen könnte eine solche zeitliche Begrenzung problematisch sein. Zwar überlässt es z.B. die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie den Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie eine Rügepflicht einführen wollen oder nicht (Art. 5(2)). Doch würde dies den Verkäufer nicht dazu verpflichten, auch über den ausgewählten Rechtsbehelf, in diesem Falle den Nacherfüllungsanspruch, zu informieren, sondern nur über die Vertragswidrigkeit.106 Eine Alternative wäre, dass man für Verbrauchergeschäfte im besonderen Abschnitt des DCFR spezielle Regelungen einführt, oder aber bei Verbrauchergeschäften eine ‚unangemessen‘ späte Benachrichtigung des Schuldners nur in Grenzfällen annimmt, in denen man von einem Rechtsmissbrauch ausgehen würde.

C. Änderungsvorschläge für PICC, PECL und DCFR Die vorstehenden Erläuterungen lassen folgende Schlüsse in Bezug auf die Regelung der Grenzen des Erfüllungsanspruchs in den Rechtsvereinheitlichungsprojekten ziehen: 103 Eine ähnliche Zeitbegrenzung ist in den Regelwerken auch für die Aufhebung des Vertrags gegeben, vgl. Art. 7.3.2 PICC, 9:303 PECL, Art. III. – 3:508 DCFR und Art. 49 CISG. 104 Z.B. § 376 HGB oder Art. 190 (2) schweizerisches Obligationenrecht. Vgl. auch die rechtsvergleichenden Hinweise bei Schwenzer (Fn. 72) S. 289 (299); Schelhaas in Vogenauer/Kleinheisterkamp (Fn. 18) Art. 7.2.2 Rn. 48 Fn. 76; Müller-Chen (Fn. 42) S. 131 ff. 105 Vgl. Müller-Chen in Schlechtriem/Schwenzer (Fn. 5) Art. 46 CISG Rn. 14–15. 106 So auch Art. 28 (4) des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher, KOM(2008) 614 endg.

Grenzen des Erfüllungsanspruchs in den Rechtsvereinheitlichungsprojekten

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– Art. 7.1.7, Abs. 4 PICC, Art. 8:101, Abs. 1–2 PECL und Art. III. – 3:101, Abs. 1–2 DCFR sollten neu formuliert werden. Die Existenz sowie der Ausschluss eines Erfüllungsanspruchs hängt nicht davon ab, dass die Nichterfüllung entschuldigt ist. In einem System, wo ein einheitlicher Vertragsverletzungstatbestand der Ausgangspunkt ist, müssen die verschiedenen Rechtsbehelfe und deren Grenzen auch allen Leistungsstörungen entsprechend formuliert werden. – Die Bestimmungen zur Entschuldigung aufgrund eines Hinderungsgrundes sind nur relevant für den Ausschluss des Schadensersatzanspruchs und sollten deswegen in den Abschnitten zu diesem Anspruch platziert werden. Der Ansatz, einen gemeinsamen Ausschlusstatbestand für Schadensersatz und Erfüllungsanspruch zu schaffen, muss verworfen werden. – In den Kommentaren zu den relevanten Entlastungsnormen sollte der wiederholte Verweis auf die Unmöglichkeit gestrichen werden. Diese Normen entschuldigen auch vom Schadensersatz, wenn wegen höherer Gewalt eine Spät- oder Schlechtleistung erfolgt. – In Bezug auf die Grenzen des Erfüllungsanspruchs für Geldschulden sollten Art. 7:110/Art. 9:101(2) PECL und Art. III – 2:111/Art. III – 3:301(2) DCFR aufeinander abgestimmt werden. – Die ipso facto avoidance des Vertrages im Falle eines vollständigen und dauerhaften Leistungshindernisses sollte weglassen werden, da es Rechtsunsicherheit verursacht. – Die Einführung eines Anspruchs auf die Herausgabe des stellvertretenden commodums in die Regelwerke sollte in Erwägung gezogen werden.

Mangold, Audiolux und die allgemeinen Grundsätze des europäischen Privatrechts Jürgen Basedow *

Im Oktober 2009 hat es der Gerichtshof in der Sache Audiolux abgelehnt, ein generelles Gebot der Gleichbehandlung von Aktionären als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen.1 Er ist mit dieser Entscheidung den ausführlich begründeten und eingehend dokumentierten Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak gefolgt.2 Schlussanträge und Urteil werden das Interesse von Klaus Hopt nicht nur deshalb wecken, weil die Generalanwältin im Rahmen ihrer Ausführungen ausdrücklich Bezug genommen hat auf den Abschlussbericht der hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts,3 der Klaus Hopt in den Jahren 2001 und 2002 angehörte. Darüber hinaus betrifft das Urteil Audiolux auch eine zentrale Frage des Aktienrechts und damit einen der Interessenschwerpunkte von Klaus Hopt. Schließlich belegt dieses Urteil aber auch in methodischer Hinsicht das Verfahren der Feststellung allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und berührt damit eine fundamentale Frage des entstehenden europäischen Privatrechts, über das Klaus Hopt und der Verfasser in den Jahren der gemeinsamen Leitung des Hamburger MaxPlanck-Instituts immer wieder intensiv debattiert haben. Das Urteil Audiolux steht insofern in einer Reihe mit dem ebenfalls recht grundlegenden Urteil in Sachen Mangold, in dem der Gerichtshof im Jahre 2005 in einem arbeitsrechtlichen Fall ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts postulierte.4 Beide Urteile gelangen freilich zu ganz unterschiedlichen

* Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard Univ.), Direktor am Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationals Privatrecht und Professor an der Universität Hamburg. Mein Dank gilt Herrn Dr. Jan Asmus Bischoff, Assistent am Institut, für die Bearbeitung der Fußnoten. 1 EuGH Urt. v. 15. Oktober 2009 Rs. C-101/08 (Audiolux SA u.a. ./. Groupe Bruxelles Lambert SA, Bertelsmann AG u.a.), Slg. 2009, I-0000. 2 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 30. Juni 2009 in der Rs. C-101/08, Slg. 2009, I-0000. 3 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Moderne Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4.11.2002, siehe http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf. 4 EuGH Urt. v. 22. November 2005 Rs. C-144/04 (Mangold ./. Helm), Slg. 2005, I-9981.

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Ergebnissen, die einen Vergleich der Methodik und die Frage nahe legen, welche Schlussfolgerungen daraus für die allgemeinen Grundsätze des europäischen Privatrechts zu ziehen sind. Dem sollen die folgenden Ausführungen nachgehen, die zunächst die beiden Entscheidungen präsentieren, unten I und II. Ein vergleichender und übergreifender Blick auf beide Urteile kann dazu beitragen, das Konzept der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu klären, und erlaubt auch eine kritische Würdigung im Hinblick auf die vom EuGH gezogenen Induktionsschlüsse, unten III, sowie in Bezug auf die wertenden Grundlagen der Entscheidung, unten IV. Einige abschließende Bemerkungen sollen Schlussfolgerungen für das Konzept der allgemeinen Rechtsgrundsätze speziell im Privatrecht ziehen, unten V.

I. Mangold Im Jahre 2005 hat der Gerichtshof im Falle Mangold erklärt, dass „das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters … als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen“ sei.5 Zugrunde lag der Entscheidung die Regelung des § 14 des deutschen Teilzeitbefristungsgesetzes (TzBfG), wonach die Befristung von Arbeitsverhältnissen abweichend von den sonst gültigen Vorschriften keines sachlichen Grundes bedarf, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Einstellung eine bestimmte Altersgrenze überschritten hat. Diese Altersgrenze lag zunächst seit 1985 bei dem vollendeten 60. Lebensjahr; sie wurde im Jahre 2000 auf 58 Jahre und aufgrund der so genannten Hartz-Reformen ab Anfang 2003 auf 52 Jahre herabgesetzt. Im Jahre 2003 stellte der Münchner Rechtsanwalt Helm den 56-jährigen Herrn Mangold für die Zeit von acht Monaten als Gehilfen ein. Mangold verklagte daraufhin seinen Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht München auf Feststellung, dass die Befristung seines Arbeitsverhältnisses wegen Verstoßes gegen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, nämlich eine Rahmenvereinbarung 6 und die Antidiskriminierungs-Richtlinie 2000/78 7 unwirksam sei. Da diese Begründung das Gemeinschaftsrecht betraf, legte das Arbeitsgericht München dem Gerichtshof einige Auslegungsfragen vor. Generalanwalt Tizzano kam zu dem Ergebnis, dass die deutsche Regelung im Einklang mit der arbeitsrechtlichen Rahmenvereinbarung stehe, hielt sie 5 EuGH (Fn. 4), Tz. 75; bestätigt in EuGH 19.10.2010 Rs. C-555/07 (Kücükdeveci/Swedex), noch unveröffentlicht in Slg., Tz. 21, 50. 6 EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999, ABl. 1999 L 175/45. 7 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. L 303/16.

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jedoch für unvereinbar mit der RL 2000/78.8 Allerdings war die Frist für die Umsetzung der Richtlinie zu dem fraglichen Zeitpunkt im Jahre 2003 noch nicht abgelaufen, und eine unmittelbare Anwendung von Richtlinien im horizontalen Verhältnis schied nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus.9 Tizzano brachte jedoch den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz ins Gespräch, der die Mitgliedstaaten „bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen bindet … Dieser Grundsatz besagt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine unterschiedliche Behandlung objektiv zur Verfolgung eines rechtmäßigen Zieles gerechtfertigt und zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist.“10 Da die spezifischen Rechtsakte der Gemeinschaft durch die Vorschrift des deutschen Teilzeitbefristungsgesetzes (noch) nicht berührt waren, führte Tizzano im Rahmen einer Eventualüberlegung aus: „Es wäre vielleicht besser, auf den … Gleichheitsgrundsatz abzustellen, da dieser als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dessen Inhalt eindeutig und unbedingt ist, Wirkungen für alle Rechtsbürger entfaltet mit der Folge, dass sich Herr Mangold gegen Rechtsanwalt Helm unmittelbar auf ihn berufen könnte – was bei der Richtlinie nicht der Fall ist – und das Arbeitsgericht ihn im Ausgangsverfahren anwenden könnte.“11 Die Große Kammer des Gerichtshofs ist diesen Überlegungen im Ergebnis gefolgt, hat freilich zusätzlich einen Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78 festgestellt. Zwar sei die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen, doch dürften „die Mitgliedstaaten während der Frist für die Umsetzung einer Richtlinie keine Vorschriften erlassen …, die geeignet sind, die Erreichung des in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich in Frage zu stellen“12; dies war in dem anhängigen Fall geschehen und widersprach überliefertem Fallrecht. Damit hätte die Rüge der deutschen Gesetzgebung eigentlich eine ausreichende Begründung gehabt. Doch fügt das Urteil hinzu, „dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nicht in der Richtlinie 2000/78 selbst verankert ist … Wie sich aus der ersten und vierten Begründungserwägung der Richtlinie ergibt, [hat das Verbot der in der Richtlinie geregelten Formen der Diskriminierung] seinen Ursprung in verschiedenen 8 Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano vom 30. Juni 2005 in der Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9985, Tz. 78, 98. 9 Vgl. EuGH Urt. v. 26. Februar 1986 Rs. 152/84 (Marshall ./.Health Authority), Slg. 1986, 723, Tz. 48; EuGH Urt. v. 14. Juli 1994 Rs. C-91/92 (Faccini Dori ./. Recreb Srl.) Slg. 1994, I-3325, Tz. 19–25; EuGH Urt. v. 7.1.2004 Rs. C-201/02 (Wells ./. Secretary of State), Slg. 2004, I-723, Tz. 56; siehe ferner: Mörsdorf Unmittelbare Anwendung von EGRichtlinien zwischen Privaten in der Rechtsprechung des EuGH, EuR 2009, 219 ff. 10 GA Tizzano (Fn. 8), Tz. 83. 11 GA Tizzano (Fn. 8), Tz. 84. 12 EuGH (Fn. 4), Tz. 67.

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völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten. Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ist somit als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen.“ 13 Das nationale Gericht müsse folglich „jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet“ lassen.14 Es geht an dieser Stelle nicht darum, die Entscheidung Mangold in voller Breite zu würdigen.15 Hervorzuheben ist aber die minimalistische Begründung für die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Der Generalanwalt schreibt ihm eine völlig uneingeschränkte, ja geradezu totale Geltung in der gesamten Rechtsordnung zu, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass das gesellschaftliche Leben gerade auf den entgegen gesetzten Prinzipien von Privatautonomie und Vertragsfreiheit beruht, welche die Ungleichbehandlung verschiedener Partner als Möglichkeit und vielleicht sogar als Notwendigkeit implizieren. Auch Hinweise auf speziellere Rechtsnormen, in denen der allgemeine Rechtsgrundsatz verkörpert sein könnte, fehlen. Immerhin sind sie in der zitierten Passage aus dem Urteil des Gerichtshofs insofern enthalten, als dort auf Erwägungsgründe der Richtlinie 2000/78 und die darin genannten völkerrechtlichen Instrumente verwiesen wird. Wer diese Texte aber näher betrachtet, wird nicht ohne eine gewisse Überraschung feststellen, dass in ihnen zwar die Verbote der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts oder der Rasse, der Weltanschauung oder Religion niedergelegt sind, aber gerade nicht das Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters, das den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildete.16 Eine empirische Grundlage hat das Verbot der Altersdiskriminierung als allgemeiner Rechtsgrundsatz in dieser Entscheidung also gerade nicht, es ist fast aus dem Nichts heraus kreiert worden, eine Art Jungfrauengeburt eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes.

II. Audiolux In Ergebnis und Begründung gänzlich anders stellen sich die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak 17 und das Urteil in Sachen Audiolux dar.18 Hier ging es um die Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts RTL Group, deren Aktien an den Börsen von Luxemburg, Brüssel und London gehandelt wurden. Drei Mehrheitsaktionäre der RTL Group, nämlich Groupe Bruxelles Lambert (30 %), Bertelsmann Westdeutsche TV GmbH (37 %) 13

EuGH (Fn. 4), Tz. 71. EuGH (Fn. 4), Tz. 77. 15 Vgl. Basedow Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im europäischen Privatrecht, ZEuP 2008, 230 ff. 16 Siehe unten Fn. 38–43 m.w.N. 17 GA Trstenjak (Fn. 2). 18 EuGH (Fn. 1). 14

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und Pearson Television (22 %) hielten zusammen 89 % des Aktienkapitals, während sich 11 % in den Händen von Minderheitsaktionären, darunter Audiolux befanden. Durch eine Reihe von Transaktionen erwarb Bertelsmann die Anteile der anderen Mehrheitsaktionäre, worauf die RTL Group ihre Absicht bekundete, sich aus dem Londoner Börsenhandel zurückzuziehen. Dadurch sahen die Minderheitsaktionäre ihre Interessen beeinträchtigt und klagten vor den luxemburgischen Gerichten unter anderem auf Feststellung, dass die Übernahme des Aktienpakets von Lambert durch Bertelsmann rechtswidrig und nichtig sei. Sie rügten dabei unter anderem die Verletzung des für börsennotierte Gesellschaften geltenden Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre. Der luxemburgische Kassationshof legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob einige näher benannte spezifische Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz schließen ließen, der die Gleichbehandlung von Aktionären börsennotierter Gesellschaften durch diese Gesellschaft und ihre Mehrheitsaktionäre gebiete. Generalanwältin Trstenjak erörtert in ihren Schlussanträgen zunächst den schillernden Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze,19 ehe sie sich einzelnen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und internationaler Leitlinien zuwendet, in denen Gleichbehandlungsgebote zum Ausdruck kommen.20 Mit einer breiten Argumentation legt sie in der Folge dar, dass diese einzelnen Bestimmungen „sehr spezifische gesellschaftsrechtliche Fallkonstellationen … regeln, indem sie der Gesellschaft bestimmte Verpflichtungen zum Schutz aller Aktionäre auferlegen. Ihnen fehlt somit der allgemeine übergreifende Charakter, der sonst allgemeinen Rechtsgrundsätzen naturgemäß innewohnt.“21 Als tragende Argumente für diese Schlussfolgerung nennt die Generalanwältin die fehlende Verbindlichkeit der internationalen Leitlinien und den fehlenden verfassungsrechtlichen Rang der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften,22 das Fehlen einer entsprechenden Rechtsüberzeugung in der Rechtswissenschaft,23 den Mangel allgemeiner Geltung jenseits des Gesellschaftsrechts,24 die fehlende Bestimmtheit hinsichtlich der Rechtsfolgen,25 die Gefahr einer Umgehung des gesetzgeberischen Willens 26 und die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts 27 sowie schließlich den Grundsatz von Vertrauensschutz und Rechtssicherheit.28 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 66–73. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 74–83. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 84. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 75–88. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 89–93. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 94–96. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 97 f. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 99–102. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 103–110. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 111–113.

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Der Gerichtshof ist den Schlussanträgen hinsichtlich der Struktur der Begründung und auch inhaltlich in weitem Umfang gefolgt. Einleitend hebt er hervor, dass der bloße Bestand sekundärrechtlicher Vorschriften zum Schutz von Minderheitsaktionären „für sich genommen noch nicht für den Nachweis der Existenz eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts genügt“, und vielmehr zu prüfen sei, „ob diese Vorschriften schlüssige Indizien für die Existenz des gesuchten Grundsatzes bieten“; dafür müssten sie aber zumindest „zwingend formuliert“ sein.29 In der Folge untersucht der Gerichtshof einige besondere Gleichbehandlungspflichten des sekundären Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Kapitalrichtlinie 77/91 30, der Börsenzulassungsrichtlinie 79/279 31 und der Übernahmerichtlinie 2004/2532; die betreffenden Vorschriften seien aber immer nur „auf ganz bestimmte Sachlagen anwendbar“ und nicht verallgemeinerungsfähig.33 Nach der Überschrift von Art. 3 der Übernahmerichtlinie 2004/25 – „Allgemeine Grundsätze“ – gehöre das in Art. 3 Abs. 1 lit. a) geregelte Gleichbehandlungsgebot zwar zu den allgemeinen Grundsätzen, die „der Gemeinschaftsgesetzgeber damit [aber nicht] mit allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gleichzusetzen beabsichtigte“.34 Auch aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts könne die von Audiolux beanspruchte Behandlung nicht abgeleitet werden. Sie setze eine spezifische und detaillierte Regelung durch den Gesetzgeber voraus, während „die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts [wie der Gleichbehandlungsgrundsatz] … Verfassungsrang“ haben.35

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EuGH (Fn. 1), Tz. 34. Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1977 L 26/1. 31 Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, ABl. 1979 L 66/21. 32 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. 2004 L 142/12. 33 EuGH (Fn. 1), Tz. 42; ebenso Tz. 15. 34 EuGH (Fn. 1), Tz. 34. 35 EuGH (Fn. 1), Tz. 53–64, vor allem 62 und 63. 30

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III. Die Gewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze aus Induktion und Deduktion 1. Vergleichende Vorbemerkungen Die beiden hier vorgestellten Urteile betreffen verwandte Gegenstände, nämlich spezifische Ausprägungen des Gleichheitsgrundsatzes in privatrechtlichen Beziehungen. Zwar ging es in der Sache Mangold um ein Diskriminierungsverbot und im Falle Audiolux um eine positive Pflicht zur Gleichbehandlung. Doch macht dies in der Sache keinen Unterschied; im Falle Audiolux hätte man auch von der Diskriminierung von Minderheitsgesellschaftern sprechen können, ging es der Klägerin doch darum, dass sie ohne Rücksicht auf ihren geringen Gesellschaftsanteil dieselben Rechte haben müsse wie die Mehrheitsgesellschafter. Ganz generell zielen Gleichbehandlungsgebote immer nur darauf, dass bestimmte Unterscheidungsmerkmale, sei es das Alter oder der Gesellschaftsanteil, rechtlich keine Rolle spielen sollen. Die beiden Verfahren stimmen auch darin überein, dass sie auf Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte zurückgehen, also gemäß Art. 234 EG/267 AEUV durchgeführt wurden. Sie unterscheiden sich aber ganz wesentlich in den Vorlagefragen: Während das Arbeitsgericht München ausschließlich nach der Auslegung spezifischer sekundärrechtlicher Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts fragte und die Existenz eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes jedenfalls in den veröffentlichten Vorlagefragen gar nicht erwähnt hat,36 zielte die Vorlagefrage des luxemburgischen Kassationshofes explizit auf die Existenz eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung von Aktionären. Die Große Kammer hat sich also in Sachen Mangold gleichsam ihr eigenes Thema gesucht, dies dann freilich nur en passant behandelt; die Feststellung eines allgemeinen Diskriminierungsverbots aus Gründen des Alters als allgemeiner Rechtsgrundsatz ist auch, wie schon oben hervorgehoben, lediglich ein obiter dictum. Demgegenüber hat der Gerichtshof in Sachen Audiolux auf eine präzise Frage eine präzise und sorgfältig begründete Antwort gegeben. 2. Die empirische Basis des Induktionsschlusses Als Drittes stimmen die Urteile auch darin überein, dass der Gerichtshof für die Feststellung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes jeweils die Existenz empirisch nachweisbarer sonstiger Rechtssätze verlangt, in denen ähnliche Rechtsgedanken zum Ausdruck kommen. Im Falle Mangold begnügt sich 36

Nach den Schlussanträgen von GA Tizzano, Tz. 84 hat das Arbeitsgericht München den Gleichheitsgrundsatz beiläufig angesprochen, doch ergibt sich dies nicht aus den veröffentlichten Vorlagefragen.

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der Gerichtshof freilich damit, dass er auf drei Zeilen darauf hinweist, dass das Diskriminierungsverbot, „wie sich aus der ersten und der vierten Begründungserwägung der Richtlinie [2000/78] ergibt, seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hat.“ 37 In dem Erwägungsgrund 4 der Richtlinie wird in der Tat auf eine beachtliche Zahl völkerrechtlicher Instrumente verwiesen, nämlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,38 das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen,39 den Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte,40 den Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 41 sowie die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 42 und das Übereinkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation 43. Wie schon erwähnt, betreffen zwar alle diese Rechtsakte unter anderem auch Fragen der Diskriminierung, aber gerade nicht die Diskriminierung aus Gründen des Alters. Während der Gerichtshof durch seine Begründung erkennen lässt, dass er eine empirische Untermauerung des Diskriminierungsverbots als allgemeinen Rechtsgrundsatz für nötig hielt, hat er die erforderliche Prüfung der einzelnen Rechtsakte nicht vollzogen. Die Berufung auf Begründungserwägungen der Richtlinie verkennt die völlig andersartige Funktion der Erwägungsgründe. Mit dem Verweis auf völkerrechtliche Konventionen in den Begründungserwägungen wollen die politischen Organe der Gemeinschaft eine allgemeine Verfestigung gewisser Werte in der modernen Welt andeuten und nicht etwa die Existenz unmittelbar anwendbarer Rechtsregeln; dies folgt schon daraus, dass die Gemeinschaft den fraglichen völkerrechtlichen Instrumenten selbst gar nicht beigetreten ist und dass der Gerichtshof auch in dem betreffenden Erwägungsgrund kein Wort darüber verliert, ob jene Texte für die oder einige Mitgliedstaaten oder überhaupt nur völkerrechtlich in Kraft stehen. Ebenso unsubstantiiert bleibt die Berufung auf die gemein-

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EuGH (Fn. 4), Tz. 74. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, abgedruckt im Sartorius II unter der Nr. 15. 39 VN-Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen vom 18. Dezember 1979, BGBl. II 1985, S. 648. 40 Internationaler Pakt der VN über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. II 1973, S. 1534. 41 Internationaler Pakt der VN über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. II 1973, S. 1570. 42 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. II 1952, S. 685. 43 Übereinkommen Nr. 111 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958, BGBl. II 1961, S. 97. 38

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samen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten; dass sich aus ihnen ein Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters ergibt, wird in Urteil und Schlussanträgen mit keinem Wort begründet. Der Gerichtshof bleibt also die empirische Untermauerung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes schuldig, die er selbst für erforderlich hält. Ganz anders verhält es sich hier mit dem Urteil Audiolux. Nicht nur wird das empirische Fundament für die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ausdrücklich für notwendig erachtet,44 der Gerichtshof wendet sich auch den einzelnen sekundärrechtlichen Vorschriften, aus denen sich der fragliche allgemeine Rechtsgrundsatz ergeben könnte, im Einzelnen zu und prüft sie auf ihre Verallgemeinerungsfähigkeit. Damit exemplifiziert der Gerichtshof die von Metzger so genannte prozedurale Theorie allgemeiner Rechtsgrundsätze. Sie sieht in einem ersten Stadium einen Induktionsschluss aus Rechtsregeln derselben Rechtsordnung, anderer Rechtsordnungen oder aus älterem Recht vor, erfordert also eine präzise Aufarbeitung jener Rechtsregeln.45 Damit aus ihnen auf die Existenz eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes geschlossen werden kann, bedarf es zusätzlicher, induktionsrechtfertigender Elemente. Dies ist im Allgemeinen eine Argumentation mit wertbezogenen Standards rechtlicher und außerrechtlicher Natur;46 der Gerichtshof spricht in Audiolux von schlüssigen Indizien für die Verallgemeinerungsfähigkeit.47 Zu dieser wertenden Argumentation siehe unten IV. 3. Ein Gleichbehandlungsgebot aus Deduktion Es ist bemerkenswert, dass der Gerichtshof in der Audiolux-Entscheidung neben dieser induktiven Methode noch einen zweiten Weg zur Herleitung eines Gebots der Gleichbehandlung der Aktionäre untersucht, nämlich die Ableitung aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz.48 Der Leser erfährt zwar, dass nach diesem Grundsatz „vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist.“ 49 Inwiefern sich dieser Grundsatz aber qualitativ von dem zuvor durch Induktion gesuchten Prinzip unterscheidet, bleibt dunkel. Deutlich wird lediglich, dass sich der allgemeine Gleichheitsgrundsatz auf

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EuGH (Fn. 1), Tz. 34. Metzger Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im europäischen Privatrecht, 2009, S. 25 f. 46 Metzger (Fn. 45), S. 52 f. 47 EuGH (Fn. 1), Tz. 34. 48 EuGH (Fn. 1), Tz. 53–63. 49 EuGH (Fn. 1), Tz. 54. 45

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einer sehr hohen Ebene der Abstraktion bewegt und dass der geistige Weg, der von ihm zu einem an den Hauptaktionär gerichteten Gebot der Gleichbehandlung aller Gesellschafter führt, allenfalls ein Vorgang der Deduktion oder Subsumtion sein kann. Allerdings hält der Gerichtshof den Gleichheitsgrundsatz für zu allgemein und/oder die Problematik der Gleichbehandlung der Gesellschafter für zu speziell, als dass man von dem einen ohne gesetzgeberische Intervention auf das andere schließen könne. Dieser, auf Deduktion abzielende Teil der Begründung steht unvermittelt neben der induktiven Suche nach demselben Grundsatz. Offen bleibt dabei, woher der ungeschriebene allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts stammt, wenn nicht doch wieder aus der Induktion, freilich nicht aus den Vorschriften des Gesellschaftsrechts, sondern aus abstrakteren Normen, wie sie sich in den nationalen Verfassungen, einigen Bestimmungen des primären Gemeinschaftsrechts und darüber hinaus in der Europäischen Menschenrechtskonvention finden. Letztlich sind diese Vorschriften wie auch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts kein aliud zu den spezifischen Regelungen, die eine Gleichbehandlung im europäischen Gesellschaftsrecht vorschreiben. Der wesentliche Unterschied liegt in der Abstraktionshöhe: Erstere Vorschriften sind von solcher Allgemeinheit, dass sie bei der Anwendung auf konkrete Konfliktlagen ihre Operationalität einbüßen; letztere Bestimmungen sind dagegen so konkret, dass sich aus ihnen kein Grundsatz allgemeiner Tragweite ableiten lässt. Was hier und auch sonst im Privatrecht oft fehlt, sind allgemeine Rechtsgrundsätze mittlerer Abstraktionshöhe. Sie lassen sich nicht ohne eine wertende Diskussion ermitteln, die sich auf die Besonderheiten des einzelnen Rechtsgebietes einlässt.

IV. Induktion und Wertung 1. Verallgemeinerung kraft Interessenbewertung Die entgegengesetzten Ergebnisse, zu denen der Gerichtshof in den Entscheidungen Mangold und Audiolux in durchaus vergleichbaren Fragen kommt, deuten darauf hin, dass hinter den Entscheidungen Wertungen stehen, die die Richter dazu veranlasst haben, in dem einen Fall sogar ohne empirisches Fundament einen allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung unabhängig vom Alter der betreffenden Personen anzunehmen, in dem anderen Fall dagegen ein entsprechendes Prinzip der Gleichbehandlung der Gesellschafter ohne Rücksicht auf ihren Anteil am Gesellschaftskapital abzulehnen. Diese Wertungen sind im Falle Mangold gar nicht und im Falle Audiolux, wie oben näher dargelegt, immerhin zum Teil von der Generalanwältin expliziert worden; der Gerichtshof hat sich auch in diesem Fall zurückgehalten.

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Weder die Schlussanträge noch die Urteile weisen in den beiden Fällen auf eine Vergewisserung über die Interessenlage der beteiligten Akteure hin. Nirgends wird der Frage nachgegangen, ob diese Interessenlage in den Fallkonstellationen, die von einem eventualiter festzustellenden allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung erfasst würden, hinreichend homogen ist, um eine solche einheitliche Beurteilung zu rechtfertigen. Gewiss ist primär der Gemeinschaftsgesetzgeber berufen, solche Bewertungen vorzunehmen. Doch nimmt auch ein Gericht, ob es will oder nicht, durch sein Urteil eine Interessenbewertung vor. Denn sowohl in der Feststellung wie auch in der Ablehnung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes durch den Europäischen Gerichtshof liegt eine entsprechende, unausgesprochene Bewertung. Entscheidet er sich für den Ausbau spezifischer Regeln zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, so zeigt er damit an, dass das neue Prinzip allen oder jedenfalls den meisten der davon erfassten Interessenlagen adäquat ist. Lehnt er dagegen eine Verallgemeinerung ab, so bedeutet dies, dass die zahlreichen Interessenlagen, die das Prinzip erfassen würde, nach seiner Auffassung zu heterogen sind, um von einem überwölbenden Grundsatz geregelt zu werden. Die Urteile könnten an inhaltlicher Überzeugungskraft nur gewinnen, wenn der Gerichtshof sich auf entsprechende Erwägungen offen einließe; vielleicht fiele dann auch das eine oder andere Urteil anders aus. 2. Interessen an der Altersdifferenzierung und ihrem Verbot Im Falle Mangold standen in erster Linie die Interessen älterer Arbeitnehmer, genauer: älterer Arbeitsloser denjenigen ihrer potentiellen Arbeitgeber gegenüber. In diesem Interessenkonflikt führte die deutsche Regelung des § 14 TzBfG zu einem dauerhaften Ausschluss älterer Arbeitsloser von der Chance auf unbefristete Einstellung, weil Arbeitgeber Bewerber mit einem Lebensalter von über 52 Jahren nur noch befristet einstellen würden. Darin sahen Generalanwalt und Gerichtshof ein unverhältnismäßiges Mittel des deutschen Gesetzgebers in seinem Streben nach beruflicher Wiedereingliederung älterer Arbeitnehmer.50 Die Kritik des Generalanwalts klingt, als sei die Alternative zur befristeten Beschäftigung, die nach einer Rüge durch den Europäischen Gerichtshof an ihre Stelle treten würde, die Einstellung auf Dauer. In dem Gutachten des Generalanwalts wird freilich eine ganz andere Alternative sichtbar. Bei der Darstellung des rechtlichen Rahmens wird nämlich wörtlich der Bericht der Hartz-Kommission zitiert, wonach – vor Änderung des Teilzeitbefristungsgesetzes – „die Wahrscheinlichkeit der Wiederbeschäftigung eines über 55-jährigen Arbeitslosen bei etwa 25 Prozent [lag]“.51 Die Alternative zur 50 51

GA Tizzano (Fn. 8), Tz. 95, 97; EuGH (Fn. 4), Tz. 73. GA Tizzano (Fn. 8), Tz. 15.

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befristeten Einstellung war also nach statistischer Wahrscheinlichkeit für ältere Arbeitslose eher die andauernde Arbeitslosigkeit. Wenn die Annahme des deutschen Gesetzgebers zutreffend war, wonach die Erweiterung der Befristungsmöglichkeiten von Arbeitsverträgen älterer Arbeitnehmer deren Wiedereingliederung in das Arbeitsleben spürbar erleichtern würde, muss man folglich schließen, dass die Ausweitung der Befristungsmöglichkeiten durch § 14 Abs. 3 TzBfG den Interessen von 75 Prozent der älteren Arbeitslosen an einer Rückkehr ins Arbeitsleben entgegenkam, auch wenn sie dadurch die ohnehin sehr geringe Chance auf eine Daueranstellung verlieren würden. Warum der Generalanwalt in dieser Situation den Verlust der geringen Chance auf einen dauerhaften Arbeitsplatz für einen unverhältnismäßigen Preis hielt, lässt sich aus seinen Schlussanträgen nicht entnehmen; auch der Gerichtshof schweigt dazu. Im Ergebnis werden die Interessen derjenigen 25 % der älteren Arbeitslosen, die rein statistisch nach der früheren Regelung eine dauerhafte Einstellung erwarten konnten, den Interessen der anderen 75 % vorgezogen, die mit der neuen Regelung darauf hoffen können, überhaupt wieder angestellt zu werden. Die Konstruktion eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der die unterschiedliche Behandlung aus Gründen des Alters ohne ersichtliche Einschränkung verbietet, ist aber noch aus einem anderen Grund nicht interessengerecht. Sie schießt, selbst wenn man dem Generalanwalt folgen will, deutlich über das Ziel hinaus, stellt sie doch eine große Fülle von altersbezogenen Untergrenzen und Obergrenzen in Frage, wie sie überall im Arbeitsleben (und auch der Gesellschaft im übrigen) gang und gäbe sind und den – oft in Altersgrenzen typisierten – Bedürfnissen der Beteiligten nach besonderer Erfahrung oder nach jugendlichem Schwung entsprechen. Beispielsweise werden als Kapitäne und Flugkapitäne, denen ihr Arbeitgeber hohe Werte anvertraut, Personen im reifen Alter gesucht; umgekehrt kann ein Medienproduzent, der eine TV-Jugendsendung dreht, mit älteren Schauspielern nichts anfangen. Ein allgemeiner Grundsatz à la Mangold trägt solchen und vielen anderen altersbezogenen Differenzierungen der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nicht Rechnung. Letztlich kann ein solches Verbot nicht die unterschiedliche Behandlung von jung und alt unterbinden, sondern nur die Typisierung nach starren Altersgrenzen, auf die man freilich im Interesse einer Vereinfachung der Umsetzung nicht verzichten wird. 3. Interessenvarianz bei Unternehmensbeteiligungen Was die Gleichbehandlung von Gesellschaftern betrifft, so wäre eine Besinnung auf die Motive von Investoren und auf die Absichten der im konkreten Fall Handelnden ebenfalls hilfreich gewesen und hätte die letztlich getroffene Entscheidung noch untermauert. Generell ist zwischen Finanzinvestoren und strategischen Investoren zu unterscheiden, je nachdem, ob sie

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allein eine hohe Rendite aus ihrer Investition in die Zielgesellschaft erwarten oder aber durch den Erwerb von Einfluss auf die Zielgesellschaft Synergien aus ihrem eigenen Geschäftsbetrieb und dem der Zielgesellschaft generieren wollen. Finanzinvestoren können dabei kurzfristige (hedge fonds), mittelfristige (private equity fonds) oder langfristige Renditeziele verfolgen, wie dies bei vielen Kleinaktionären der Fall ist. Strategische Investoren betrachten ihre Finanzbeteiligung als Mittel zum Zweck des Einflusserwerbs und einer Verbesserung des wirtschaftlichen Ergebnisses, das sich insgesamt aus ihrem eigenen Geschäftsbetrieb und dem der Zielgesellschaft operativ oder auch bilanziell, etwa durch steuerrechtlich zulässige Gewinn- und Verlustverrechnungen ergibt. Wenn der strategische Investor und die Zielgesellschaft auf denselben Märkten tätig sind, kann die Ergebnisoptimierung sich beispielsweise daraus ergeben, dass der Wettbewerb zwischen beiden durch eine gemeinsame Preisoder Sortimentspolitik beschränkt wird und Preiserhöhungen über das Wettbewerbsniveau hinaus möglich werden; es können aber auch Synergieeffekte dadurch entstehen, dass die beiden Unternehmen gemeinsam Vorleistungen einkaufen oder ihre Vertriebsnetze aufeinander abstimmen und rationalisieren. Wenn Investor und Zielgesellschaft auf nachgeordneten Märkten tätig sind, führt die Beteiligung zu einer vertikalen Integration, von der sich der Investor unter Umständen einen besseren Einblick in die Beschaffungs- und Absatzmärkte der Zielgesellschaft und damit für die Planung seiner eigenen Produktion verspricht; er mag aber auch nur Druck auf seine vertikal nicht integrierten Konkurrenten ausüben wollen. Auch wenn Investor und Zielgesellschaft auf ganz verschiedenen Märkten tätig sind, sind strategische Motive für die Beteiligung nicht ausgeschlossen; so mag der Investor etwa an den Aufbau einer Marke für eine übergeordnete Produktkategorie, etwa Luxuskonsumgüter, denken, die dann nicht nur für Parfums, sondern auch für hochwertige Spirituosen, Füllfederhalter oder Modeartikel Verwendung findet. Die Vielfalt der Interessen spiegelt sich in den unterschiedlichen Formen und dem erstrebten Ausmaß einer Beteiligung an der Zielgesellschaft. Schon die reinen Renditeinteressen sind sehr unterschiedlich und – jedenfalls bei kurzfristigen und mittelfristigen Interessen – im Allgemeinen nur über den Erwerb eines gewissen Einflusses auf die Unternehmensleitung der Zielgesellschaft zu erreichen. Völlig heterogen sind die Ziele bei den strategischen Investoren. Manche können ihr Ziel, nämlich bessere Information über die Absatzmärkte und Beschaffungsmärkte der Zielgesellschaft, schon mit einer substantiellen Minderheitsbeteiligung erreichen, die ihnen Zugang zum Aufsichtsrat der Zielgesellschaft und damit zu deren wesentlichen geschäftspolitischen Entscheidungen ermöglicht; man denke nur an die zahlreichen Beteiligungen der großen Energieverbundunternehmen an Stadtwerken und

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Stromhandelsunternehmen. Wer dagegen als Investor die Zielgesellschaft zu Zwecken der vertikalen Integration, der Erweiterung der eigenen Märkte, der Verdrängung von Konkurrenten etc. benutzen möchte, wird häufig einen sehr nachhaltigen Einfluss auf die Leitung des Zielunternehmens erlangen müssen. Dieser Einfluss besteht manchmal auch schon unterhalb des Mehrheitserwerbs, was aber von der übrigen Aktionärsstruktur abhängt. Wo sich alle übrigen Aktien im Streubesitz befinden, genügt häufig schon ein Anteil von 5 oder 10 Prozent zur Beherrschung der Zielgesellschaft. Anders verhält es sich, wenn mehrere Großaktionäre sich um den Einfluss auf das Zielunternehmen streiten; eine Pattsituation wird sich hier oft nur durch einen Mehrheitserwerb überwinden lassen. Im Falle Audiolux gab es ursprünglich drei Großaktionäre der RTL Group. Pearson TV und Bertelsmann, beide im Mediensektor tätig, dürften mit ihrer Beteiligung eher strategische, wenngleich nicht unbedingt identische Ziele verfolgt haben, während die belgische Holdinggesellschaft Lambert sich vermutlich von anderen Interessen hat leiten lassen. Die Gefahr der gegenseitigen Blockade in den Leitungsgremien der RTL Group war durchaus real und konnte nur durch einen Mehrheitserwerb ausgeschaltet werden. Da die Minderheitsaktionäre insgesamt nur 11 Prozent der Anteile hielten, konnte keiner der Großaktionäre allein durch die Übernahme von Anteilen der Minderheitsaktionäre die Mehrheit erreichen. Folglich waren die Mehrheitsaktionäre darauf angewiesen, die Leitungsprobleme der RTL Group durch Gespräche unter sich zu bereinigen. 4. Interessenvielfalt und Gleichbehandlung Aus den Beobachtungen zur Vielfalt der wirtschaftlichen Motive von Investoren folgt, dass sie sich häufig nur äußerlich in der gleichen formalen Position von Gesellschaftern wieder finden, dass eine rechtliche Gleichbehandlung aber abgesehen von einzelnen spezifischen Situationen völlig unangebracht wäre. Ein allgemeiner Grundsatz der Gleichbehandlung der Gesellschafter könnte insofern nur mit einer Fülle von Ausnahmen und Einschränkungen Bestand haben; bei Berücksichtigung der Vielfalt der Interessenkonstellationen überzeugt es eher, a limine auf ihn zu verzichten. Dies mag bei der Gleichbehandlung ohne Rücksicht auf das Alter im Arbeitsleben wegen der massenhaften Gleichförmigkeit der Arbeitsverhältnisse anders sein. Doch zeigen die vorstehenden Erwägungen, dass auch hier ein Grundsatz der Gleichbehandlung nur mit erheblichen Einschränkungen Anerkennung finden könnte. Für den künftigen Umgang des Europäischen Gerichtshofs mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergibt sich daraus zweierlei: Erstens sind die Lehren der Interessenjurisprudenz auch hier zu bedenken und ist auf die Interessen der Beteiligten in dem voraussichtlichen Wirkungsfeld eines allgemeinen

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Rechtsgrundsatzes bei dessen Feststellung Rücksicht zu nehmen; und zweitens tut der Gerichtshof gut daran, allgemeine Rechtsgrundsätze nicht ohne flexible Ausnahmen und Einschränkungen zu formulieren.

V. Erscheinungs- und Funktionsvielfalt allgemeiner Rechtsgrundsätze Die beiden kommentierten Entscheidungen haben zusammen mit den jeweils vorangegangenen Schlussanträgen der Generalanwälte die Methode der Gewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze verdeutlicht. Wie sich besonders klar aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Trstenjak im Falle Audiolux ergibt, bedarf es dazu eines zweiphasigen Begründungsverfahrens: Einer ersten, empirischen Phase der Bestandsaufnahme ähnlicher, wenngleich spezifischer Regelungen im Gemeinschaftsrecht, im Völkerrecht oder in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten folgt eine zweite, argumentative Phase, in der der Induktionsschluss von den besonderen Regeln auf den Bestand eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes gerechtfertigt wird. Die in der zweiten Phase von der Generalanwältin und in der Folge auch vom Gerichtshof verwendeten Argumente bleiben indessen im Formalen verhaftet und lassen eine wertende Auseinandersetzung mit den Ordnungsproblemen des konkreten Rechtsbereichs, hier einerseits des Arbeitsrechts und andererseits des Gesellschaftsrechts, vermissen. 1. Über Rang und Allgemeinheit allgemeiner Rechtsgrundsätze Im Formalen verhaftet ist die Berufung auf den fehlenden Verfassungsrang eines Grundsatzes der Gleichbehandlung der Aktionäre.52 Da die Europäische Union der äußeren Form nach keine geschriebene Verfassung hat, ist mit der Bezugnahme auf die Verfassung und ihren Rang offenbar etwas anderes gemeint, nämlich eine Sammlung „grundlegender Rechtsgedanken und Wertvorstellungen, die einer Rechtsordnung eigen sind“ und die einen „allgemeinen übergreifenden Charakter“ haben.53 Ferner klingt hier die Vorstellung vom Vorrang der allgemeinen Rechtsgrundsätze vor dem sekundären Gemeinschaftsrecht an, von seinem „Rang als Primärrecht innerhalb der Normhierarchie der Gemeinschaftsrechtsordnung“.54 Diese Annahmen zur Regelungsbreite und zum Rang allgemeiner Rechtsgrundsätze sowie die daraus gezogenen Schlussfolgerungen sind durchaus 52

GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 84–88; EuGH (Fn. 1), Tz. 63. GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 87 und 84. 54 GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 70 m.w.N. und insbesondere mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Grundrechten. 53

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fragwürdig. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt von Generalanwältin und Gerichtshof stellt, fällt es schwer, den hier geltend gemachten Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre als zu spezifisch für einen allgemeinen Rechtsgrundsatz anzusehen. Neben den Mitgliedstaaten sind die großen privaten Korporationen die Träger der europäischen Integration. Ihrem europaweiten Gewinnstreben sind maßgebliche Integrationsinitiativen zu verdanken; im Hinblick darauf sah schon der EWG-Vertrag von 1957 eine Ermächtigung der Gemeinschaft zur Angleichung des Gesellschaftsrechts vor, die den Gesellschaften die Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten und die grenzüberschreitende Dienstleistung erleichtern sollte.55 Die Aktiengesellschaften sind im übrigen Träger bedeutender wirtschaftlicher Macht, die auch schon den einen oder anderen Mitgliedstaat in Verlegenheit gebracht hat. Vor diesem Hintergrund kann man ein grundlegendes Strukturmerkmal von Aktiengesellschaften, um das es bei der Gleichbehandlung der Aktionäre im Fall Audiolux ging, nicht als zu detailliert bezeichnen. 2. Allgemeine Rechtsgrundsätze im geschriebenen Gemeinschaftsrecht Davon abgesehen verwendet das Gemeinschaftsrecht den Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze aber keineswegs nur in Bezug auf grundlegende Wertungen der Rechtsordnung. Die positivrechtliche Verwendung dieses Begriffs deutet vielmehr darauf hin, dass das „Allgemeine“ der allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht in ihrem fundamentalen Wertungscharakter und übergreifenden Anwendungsbereich liegt. Dies ergibt sich zunächst aus Art. 288 Abs. 2 EG/340 Abs. 2 AEUV. Danach richtet sich die außervertragliche Haftung der Union „nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“. Auf dieser Grundlage und ohne jede sekundärrechtliche Konkretisierung hat der Gerichtshof ein Haftungssystem entwickeln müssen, das sämtliche Einzelfragen umfasst, sei es nun die Verzinsung von Schadenersatzansprüchen, die Beurteilung eines Mitverschuldens oder Beginn und Dauer der Verjährung.56 Man wird diesen Gegenständen kaum eine grundlegende Bedeutung im Sinne der Audiolux-Rechtsprechung beimessen können, und doch gibt es für ihre richterrechtliche Ausprägung keine andere dogmatische Grundlage als die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Noch deutlicher ist manche sekundärrechtliche Verweisung auf allgemeine Grundsätze. So regelt die Verordnung 40/94 über die Gemeinschaftsmarke unter anderem auch das Verfahren vor dem Harmonisierungsamt für den 55 Art. 54 Abs. 3 lit. f) des Vertrags über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957, BGBl. II 1957, S. 766. 56 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs findet sich systematisch aufgearbeitet in Wurmnest Grundzüge eines europäischen Haftungsrechts, 2003, S. 14 ff. und passim.

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Binnenmarkt.57 Art. 79 lautet: „Soweit diese Verordnung, die Durchführungsverordnung, die Gebührenordnung oder die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern Vorschriften über das Verfahren nicht enthält, berücksichtigt das Amt die in den Mitgliedstaaten im Allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts.“ Letztlich obliegt es auch hier dem Gerichtshof, allgemeine Verfahrensgrundsätze festzustellen, doch haben diese Grundsätze ersichtlich keinen Vorrang vor dem sekundären Gemeinschaftsrecht, sondern nur Nachrang; sie sind subsidiär. Schließlich hat der Gerichtshof gelegentlich auch selbst einen ganz anderen Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze verwendet, so bei der Auslegung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens,58 dem Vorläufer der heutigen Brüssel I-Verordnung.59 Deren Anwendungsbereich ist bekanntlich gemäß Art. 1 auf Zivil- und Handelssachen beschränkt. Die Abgrenzung darf nach der ständigen Rechtsprechung nicht auf der Grundlage eines nationalen Rechts vorgenommen werden; maßgeblich seien vielmehr „die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben.“60 Auch hier klingt wieder ein Induktionsschluss an, doch spielt der Rang der so gewonnenen Grundsätze ersichtlich überhaupt keine Rolle. 3. Erscheinungs- und Funktionsvarianz Im Ergebnis ist der Verfassungsrang also nur eine Eigenschaft einiger allgemeiner Rechtsgrundsätze, aber kein Begriffsmerkmal, dessen Vorliegen Voraussetzung für die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist. Gleiches gilt für die Allgemeinheit von Regelungsgegenstand und Anwendungsbereich; wie die genannten Beispiele zeigen, können auch sehr spezifische Fragen Gegenstand eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes sein, dessen Anwendungsbereich sich auch nicht auf die gesamte Rechtsordnung erstrecken muss, sondern auch nur Teile davon erfassen kann. „Allgemein“ ist ein Rechtsgrundsatz vielmehr nach dem oben beschriebenen prozeduralen Ansatz dadurch, dass er nach seinem Regelungsgegenstand und/oder An57 Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. 1994 L 11/1. 58 Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968, BGBl. II 1972, S. 774. 59 Verordnung des Rates (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001 L 12/1. 60 EuGH Urt. v. 14. Oktober 1976, Rs. 29/76 (LTU ./. Eurocontrol), Slg. 1976, 1541, Tz. 5.

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wendungsbereich allgemeiner ist als die spezifischen Regelungen, aus denen er durch Induktionsschluss gewonnen wurde. Die voran stehenden Überlegungen implizieren, dass es mehrere Arten von allgemeinen Rechtsgrundsätzen gibt. Wie schon von der Generalanwältin Trstenjak ausgeführt, stehen neben den aus der Rechtsvergleichung, nämlich aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewonnenen allgemeinen Rechtsgrundsätzen diejenigen, die der Gemeinschaftsrechtsordnung inhärent sind, die sich aus der Struktur der Union ergeben; man denke an den Subsidiaritätsgrundsatz oder an das Prinzip des effet utile.61 Darüber hinaus wird man als eine weitere Gruppe diejenigen Rechtsgrundsätze anerkennen, die jeder Rechtsordnung innewohnen, die also gleichsam die Bauprinzipien eines Rechtssystems sind, beispielsweise den Grundsatz der Rechtssicherheit 62 oder den Vorrang des besonderen vor dem allgemeinen Gesetz (lex specialis derogat legi generali). Ob ein allgemeiner Rechtsgrundsatz aus der empirischen Grundlage gewonnen werden kann, welche Rolle ihm dann zukommt und welchen Rang er in der Normenhierarchie einnimmt, entscheidet sich dagegen im Einzelfall für den konkreten Regelungsbereich im Hinblick auf die dort bestehenden Interessen und die dafür aus dem Gemeinschaftsrecht ableitbaren Wertungen. In den Schlussanträgen zum Falle Audiolux deutet die Generalanwältin selbst eine entsprechende Vielfalt der allgemeinen Rechtsgrundsätze an. Wenn „der Gedanke der Gleichbehandlung von Aktionären … sich wie ein roter Faden durch das Gesellschaftsrecht der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten [zieht]“ 63, so klingt damit ja das Bestehen eines allgemeinen Grundsatzes an, der keinen Verfassungsrang hat, der aber gleichwohl rechtlich deshalb nicht bedeutungslos sein muss. Ihm mag erstens eine hermeneutische Bedeutung zukommen für das Verständnis der verschiedenen bruchstückhaften Regelungen des Gemeinschaftsrechts; zweitens wird er vielleicht als Topos auch die weitere Entwicklung des Gemeinschaftsrechts in diesem Bereich leiten und möglicherweise drittens sogar von Mal zu Mal bei der Auslegung spezifischer sekundärrechtlicher Rechtsakte des europäischen Gesellschaftsrechts mit herangezogen werden. Doch kommt ihm keine selbständige Rechtsgeltung, geschweige denn Verfassungsrang zu. 61 Zum Subsidiaritätsprinzip siehe Art. 5 UAbs. 2, 3 EG / Art. 5 Abs. 3 und 4 EU 2007; aus der Rechtsprechung des EuGH zum Prinzip des effet utile siehe nur: EuGH Urt. v. 6.10.1970, Rs. 9/70 (Grad/Finanzamt Traunstein), Slg. 1970, 825, Rz. 5; EuGH Urt. v. 21.10.1970, Rs. 23/70 (Haselhorst), Slg. 1970, 881, Rz. 5; EuGH Urt. v. 21. Oktober 1970, Rs. 20/70 (Lesage u. CIE), Slg. 1970, 861, Rz. 5; Streinz Der »effet utile« in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, FS Everling, 1995, S. 1491 ff.; Potacs Effet utile als Auslegungsgrundsatz, EuR 2009, 465 ff. 62 Basedow Rechtssicherheit im europäischen Wirtschaftsrecht – Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im Lichte der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung, ZEuP 1996, 570 ff. 63 GA Trstenjak (Fn. 2), Tz. 88.

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Das vorlegende nationale Gericht hatte freilich im Falle Audiolux gerade nach einem allgemeinen Rechtsgrundsatz mit unmittelbarer Rechtsgeltung gefragt. Hintergrund war die Annahme, dass das entgegenstehende nationale Recht, wenn denn der fragliche allgemeine Rechtsgrundsatz bestünde, wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unanwendbar bliebe. Wegen dieser Vorlagefrage brauchte der Gerichtshof nicht die Nuancen zu beleuchten, die unterhalb der Ebene der Rechtsgeltung hinsichtlich der Bedeutung allgemeiner Grundsätze bestehen können.64 Gerade im Privatrecht kommt diesen schwächeren Wirkungen allgemeiner Rechtsgrundsätze wegen der Komplexität der Rechtsverhältnisse aber besondere Bedeutung zu, dies sowohl bei der Vermittlung des Stoffes wie auch bei der Auslegung bestehenden Gemeinschaftsrechts und der Lückenfüllung. In diesem Bereich ergeben sich die Spannungen zur Gesetzgebung, auf die Generalanwältin und Gerichtshof mit dem Stichwort des institutionellen Gleichgewichts abheben, nur ausnahmsweise. Es ist vielmehr eine klassische Aufgabe eines jeden Gerichts, mit Hilfe allgemeinerer Rechtsgedanken spezifische Regelungen auszulegen und ihre Lücken zu füllen.

VI. Fazit 1. Mit den Urteilen in Sachen Mangold und Audiolux hat sich der Gerichtshof innerhalb weniger Jahre zweimal in verwandten Fragen der Aufgabe zugewandt, allgemeine Rechtsgrundsätze für den Bereich des europäischen Privatrechts zu formulieren. Beide Urteile unterscheiden sich in methodischer Hinsicht und im Ergebnis recht grundlegend. 2. In methodischer Hinsicht hat der Gerichtshof in beiden Fällen verdeutlicht, dass allgemeine Rechtsgrundsätze induktiv aus anderweitig bestehenden Regelungen des Gemeinschaftsrechts, des Völkerrechts oder der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewonnen werden. Eine sorgfältige Analyse jener Quellregelungen wie im Falle Audiolux ist vorbildlich. 3. Die Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze setzt als Zweites eine argumentative Begründung dafür voraus, dass die Verallgemeinerung aus den Quellregelungen angemessen ist. Hierzu finden sich nur im Falle Audiolux Ausführungen, die freilich ein verengtes und für das Privatrecht ungeeignetes Verständnis der allgemeinen Rechtsgrundsätze erkennen lassen. 64 Zu den verschiedenen Verwendungen allgemeiner Rechtsgrundsätze siehe Storme Une question de principe(s)? Réponse à quelques critiques à l’égard du projet provisoire de «Cadre commun de référence», ERA Forum – scripta iuris europaei, European contract law, ERA Forum spezial issue 2008, S. 65, 72 ff.

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4. Allgemeine Rechtsgrundsätze müssen weder von grundlegender Bedeutung sein, noch müssen sie einen sehr allgemeinen Regelungsgegenstand oder Anwendungsbereich haben. „Allgemein“ sind sie dadurch, dass sie sich aus anderen spezifischeren Regelungen ergeben. Insofern hilft es nicht weiter, einen bestimmten Regelungsgegenstand als zu speziell zu bezeichnen; er könnte gleichwohl von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz geregelt werden. 5. Ebenso wenig hilft die Beschränkung der allgemeinen Rechtsgrundsätze auf Prinzipien von Verfassungsrang weiter. Sie entspricht nicht dem im geschriebenen Gemeinschaftsrecht verwendeten Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die je nach konkreter Regelung Vorrang vor dem sekundären Gemeinschaftsrecht, aber auch Nachrang nach ihm haben können. Gerade im Privatrecht sind darüber hinaus auch allgemeine Rechtsgrundsätze ohne selbständige Rechtsgeltung bedeutsam für die Vermittlung des Rechtsstoffes, für die Auslegung geschriebenen Rechts und für die Lückenfüllung. 6. Eine tragfähige Argumentation für die Rechtfertigung des Induktionsschlusses von der besonderen Regelung auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz setzt jedenfalls im Privatrecht voraus, dass sich das Gericht mit den Interessen der im Anwendungsbereich eines solchen Grundsatzes betroffenen Personen auseinandersetzt und sie im Lichte des Gemeinschaftsrechts bewertet. Gerade in dieser Hinsicht weisen beide Urteile des Gerichtshofs methodische Defizite auf.

Der Einfluss der Leistung auf den Verzug des Schuldners Claus-Wilhelm Canaris I. Problemstellung Mit dem Jubilar verbindet den Gratulanten außer unserer jahrzehntelangen herzlichen Beziehung – die in Assistententagen intensiv begann, in der gleichzeitigen Tätigkeit an der Münchener juristischen Fakultät einen weiteren Höhepunkt fand und auch die fruchtbare Zusammenarbeit in einer Reihe von Schiedsgerichten einschließt – nicht zuletzt das gemeinsame Interesse am Bankrecht. Daher sei ihm ein Beitrag gewidmet, dessen praktischer Schwerpunkt in diesem Bereich liegt und dessen Problematik auch in seinem wissenschaftlichen Werk Widerhall gefunden hat.1 Der Ausrichtung seiner Interessen kommt es dabei zusätzlich entgegen, dass eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eine zentrale Rolle spielen wird; der spezifischen wissenschaftlichen Orientierung der Gratulanten entspricht es, dass die Problematik mit dem „klassischen“ Instrumentarium der Dogmatik des deutschen Bürgerlichen Rechts gelöst werden und zugleich die Fruchtbarkeit einer Verbindung zwischen dieser und den Vorgaben des EuGH aufgezeigt werden wird. Gemeint ist die Telecom-Entscheidung des EuGH.2 Danach „ist Art. 3 Abs. 1 Buchst. c Ziff. ii der Richtlinie 2000/35 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr dahin auszulegen, dass bei einer Zahlung durch Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers rechtzeitig gutgeschrieben sein muss, wenn das Entstehen von Verzugszinsen vermieden oder beendet werden soll.“ 3 Die Richtlinie ist durch § 286 Abs. 3 BGB umgesetzt worden, wonach „der Schuldner einer Entgeltforderung spätestens in Verzug kommt, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet“. Die Entscheidung des EuGH, die in der Tat im Rahmen eines Verfahrens über die Auslegung von § 286 Abs. 3 BGB ergangen ist, bedeutet somit, dass als „Leistung“ im Sinne dieser Vorschrift bei einer Zahlung durch Banküberweisung (erst) die Vornahme der Gutschrift anzusehen ist. 1 2 3

Vgl. unten bei und mit Fn. 7, 34 und 36. EuGH Urteil vom 3.4.2008 – C-306/06, Slg. 2008, I 1923 = NJW 2008, 1935, 1936. Leitsatz und Rn. 32.

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Damit steht man unversehens einem besonders kontroversen Begriff der bürgerlichrechtlichen Dogmatik gegenüber – nämlich dem der „Leistung“ – und muss, nicht ohne ein gewisses Stirnrunzeln, konstatieren, dass über dessen Auslegung, jedenfalls im Rahmen von § 286 Abs. 3 BGB, nunmehr der EuGH mitentscheidet. Sehen wir also, ob es hier zu Dissonanzen kommt oder ob sich Harmonie herstellen lässt.

II. Die Bedeutung der Unterscheidung von Leistungshandlung und Leistungserfolg für den Eintritt des Verzugs Im Rahmen des Rechts der Erfüllung, um das es hier geht, ist bekanntlich die Unterscheidung zwischen Vornahme der Leistungshandlung und Eintritt des Leistungserfolgs von zentraler Bedeutung. Sieht man zunächst einmal von der Entscheidung des EuGH ab, so stellt sich somit im Rahmen von § 286 BGB, der nicht nur in Abs. 3, sondern auch in Abs. 1 und damit in seiner Gesamtheit an den Begriff der „Leistung“ anknüpft, die Frage, ob damit die Handlung oder der Erfolg gemeint ist. Sprachlich gesehen ist beides möglich. Bei einer teleologischen und einer systematischen Betrachtung kommt jedoch grundsätzlich nur die Leistungshandlung in Betracht. Die verspätete Leistung des Schuldners stellt nämlich jedenfalls dann, wenn die Voraussetzungen von § 286 Abs. 1–3 BGB erfüllt sind, eine Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.4 Gegenstand eines rechtlichen Unwerturteils über eine solche aber kann sinnvollerweise im Leistungsstörungs- ebenso wie im Deliktsrecht immer nur ein menschliches Verhalten sein, auch wenn für dessen Bewertung der dadurch herbeigeführte Erfolg in bestimmten Fällen von ausschlaggebender Bedeutung ist.5 Die Richtigkeit der letzteren Einschränkung zeigt sich hier daran, dass der Leistungserfolg im Rahmen der Verzugsproblematik keineswegs ohne Belang sein muss. Denn dessen Herbeiführung stellt das eigentliche Ziel der Leistungserbringung dar – anerkanntermaßen tritt ja grundsätzlich erst durch sie Erfüllung ein – und daher liegt es nahe zu fordern, dass die Leistungshandlung grundsätzlich hierauf ausgerichtet zu sein hat. Rechtzeitig ist sie dann folgerichtig grundsätzlich nur, wenn sie so lange vor dem maßgeblichen

4 Nach der Gegenansicht soll dafür sogar schon das bloße Unterbleiben der Leistung im Fälligkeitszeitpunkt genügen, vgl. z.B. Kohler JZ 2004, 963; Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl. 2009, § 286 Rn. 39. Das wird den Voraussetzungen von § 280 Abs. 1–3 BGB nicht gerecht, weil danach Verzug eine qualifizierte Nichtleistung darstellt, doch spielt dieser Meinungsgegensatz im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle. 5 Vgl. näher Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Aufl. 1994, § 75 II 3 b.

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Erfüllungstermin vorgenommen worden ist, dass der Schuldner in diesem bei normalem Verlauf des Erfüllungsvorgangs den Eintritt des Erfolgs erwarten darf.6

III. Der Beginn des Verzugs Indessen haben die Rechtsprechung und die h.L., der auch der Jubilar folgt,7 für Geldschulden seit jeher den Standpunkt vertreten, dass die Leistung schon dann rechtzeitig erfolgt sei und also den Eintritt von Verzug verhindere, wenn der Schuldner seine Leistungshandlung als solche spätestens im Erfüllungszeitpunkt vorgenommen hat,8 also z.B. in den Fällen von § 286 Abs. 2 Ziff. 1 BGB bis zu dem kalendarisch bestimmten Termin. 1. Die Telecom-Entscheidung des EuGH und ihre Umsetzung in das deutsche Recht a) Entgegengesetzt und damit im Sinne der zuvor skizzierten Lösung hat jedoch der EuGH für die Auslegung der Zahlungsverzugsrichtlinie entschieden. Danach muss, wie eingangs zitiert,9 bei einer Zahlung mittels Banküberweisung der geschuldete Betrag dem Konto des Gläubigers termingerecht gutgeschrieben sein, um das Entstehen eines Anspruchs auf Verzugszinsen zu verhindern, es sei denn, „der Zahlungsverzug ist nicht die Folge eines Verhaltens eines Schuldners, der den üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat“.10 Diese Ansicht ist folgerichtig im Wege der richtlinienkonformen Auslegung in das deutsche Recht zu übertragen. Mit diesem ist sie umso besser zu vereinbaren, als dafür schon seit langem eine Konzeption vertreten wird, die anders als die von der Rechtsprechung und der h.L. praktizierte Lösung im Kern mit dem Urteil des EuGH übereinstimmt;11 folgt man dieser, so bedarf

6 Vgl. Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 479 ff.; zustimmend z.B. Herresthal ZGS 2007, 49; Gsell GPR 2008, 168; Köndgen in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 922. 7 Vgl. Baumbach/Hopt, 33. Aufl. 2008, (7) Bankgeschäfte Rn. C/24. 8 Vgl. z.B. RGZ 78, 137, 140; BGHZ 44, 178, 179 f.; BGH WM 1959, 624, 626; BGH NJW 1964, 499, 500; OLG Karlsruhe NJW 2003, 2922, 2923; OLG Köln ZIP 2006, 1986, 1988; U. Huber, Leistungsstörungen, Band I, 1999, § 5 IV 2; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl. 1990, § 284 Rn. 48; Staudinger/Löwisch, BGB, 2004, § 286 Rn. 61; MünchKommBGB-Krüger, 5. Aufl. 2007, § 270 Rn. 21 f.; Palandt/Heinrichs § 270 Rn. 6 f.; Erman/Hager, BGB, 12. Aufl. 2008, § 286 Rn. 71; Reinelt VersR 2002, 1491; w. Nachw. zum älteren Schrifttum bei Canaris aaO Rn. 480, Fn. 213. 9 Vgl. bei Fn. 3. 10 Vgl. EuGH Slg. 2008, I 1923, Rn. 23 ff. = NJW 2008, 1935, 1936. 11 Vgl. soeben bei und mit Fn. 6.

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es folgerichtig nicht einmal einer richtlinienkonformen Auslegung im engeren Sinne, so dass das Gebot der Richtlinienkonformität lediglich als zusätzliches Interpretationselement, allerdings von besonders hohem Gewicht, ins Spiel kommt.12 Jedenfalls sind die bisherige Rechtsprechung und die h.L. aufzugeben, weil sie sich mit der Entscheidung des EuGH nicht vereinbaren lassen. Den passenden Anknüpfungspunkt zur Herstellung der Richtlinienkonformität stellt dabei das Wort „leistet“ in § 286 Abs. 3 BGB dar. Dafür spricht vor allem, dass die Entscheidung des EuGH zur Zahlungsverzugsrichtlinie ergangen und diese durch § 286 Abs. 3 BGB umgesetzt worden ist und dass es dem vorlegenden Gericht (OLG Köln) in der Tat um die Auslegung dieser Vorschrift ging. Demgegenüber vermag es kaum zu überzeugen, stattdessen bei § 270 Abs. 1 BGB anzusetzen,13 wonach „der Schuldner Geld im Zweifel auf seine Gefahr und seine Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln hat“. Zwar kann man auch auf diesem Wege zu Ergebnissen gelangen, die mit der Entscheidung des EuGH vereinbar sind, doch ging es in dieser nicht wie in § 270 Abs. 1 BGB um ein Problem der Geldschuld im Allgemeinen – bezüglich derer es gar keine Richtlinie gibt! –, sondern um ein Problem des Verzuges und speziell des § 286 Abs. 3 BGB, sodass diese Regelung den richtigen dogmatischen Ort für die Transponierung der Entscheidung des EuGH in das deutsche Recht darstellt. Man sollte diese daher nicht als Vehikel benutzen, um die Streitfrage zu beantworten, ob die Geldschuld mit der herkömmlichen Ansicht als eine durch § 270 Abs. 1 BGB „qualifizierte“ Schickschuld oder mit einer neueren Ansicht als eine durch § 270 Abs. 4 BGB „modifizierte“ Bringschuld anzusehen ist,14 sondern diese unabhängig von der Problematik der richtlinienkonformen Auslegung lösen. Ein weiterer Nachteil einer Anknüpfung an § 270 Abs. 1 BGB besteht darin, dass von dort wohl kaum ein Weg zu einer Übertragung der Konzeption des EuGH auf solche Schulden führt, die nicht auf Geld gerichtet sind, wohingegen dies nach der hier vertretenen Ansicht unschwer möglich und zur Vermeidung eines untragbaren Wertungswiderspruchs auch geboten ist (vgl. unten III. 5.). b) Der Rechtsgedanke, der die Entscheidung des EuGH – wenngleich unausgesprochen – materiell prägt und trägt, ist darin zu sehen, dass der Gläubiger im maßgeblichen Zeitpunkt grundsätzlich nicht lediglich ein ent-

12 Vgl. zur Unterscheidung dieser beiden Argumentationsfiguren näher Canaris in FS Bydlinski, 2002, S. 74; ders. in FS Kramer, 2004, S. 146, 150 f. und 154 (zum Parallelproblem bei der verfassungskonformen Auslegung). 13 So aber Herresthal ZGS 2008, 264 f.; MünchKommHGB-Häuser, 2. Aufl. 2009, Zahlungsverkehr, Rn. B 497 und D 373. 14 Vgl. dazu jüngst, vor dem Hintergrund der Telecom-Entscheidung des EuGH, Herresthal ZGS 2008, 259 ff.; Gsell GPR 2008, 169 ff. m.w.N.

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sprechendes Handeln des Schuldners, sondern die Verfügbarkeit des Geldes erwarten darf.15 Dieser lässt sich seinem Gehalt nach nicht auf den Geltungsbereich der Richtlinie beschränken. Demgemäß kommt eine gespaltene Auslegung in dem Sinne, dass nur in diesem der vom EuGH zugrunde gelegte Leistungsbegriff maßgeblich, im übrigen aber uneingeschränkt an der bisher vorherrschenden Lösung festzuhalten sei, von vornherein nicht in Betracht,16 da sie zu untragbaren Wertungswidersprüchen führen würde. Andererseits sind die Tatbestände und die Rechtsfolgen des Verzugs zu vielfältig, um in dessen Rahmen nunmehr pauschal zu diesem Leistungsbegriff überzugehen. Daher bedarf es einer differenzierenden Lösung. c) Was zunächst die sachliche Reichweite des vom EuGH verwendeten Leistungsbegriffs angeht, so ist dieser nicht nur im Anwendungsbereich von § 286 Abs. 3 BGB heranzuziehen, sondern auf die Tatbestände des § 286 Abs. 2 BGB, nach denen Verzug – ebenso wie nach § 286 Abs. 3 BGB – unabhängig von einer Mahnung eintritt, zu erstrecken. Zum einen ist nämlich kein Grund ersichtlich, den Gläubiger in den dort geregelten Fällen schlechter zu stellen als in denen des § 286 Abs. 3 BGB, und zum anderen passt die soeben herausgearbeitete Wertung für die Fälle des § 286 Abs. 2 BGB erst recht. Das gilt folgerichtig nicht nur für Entgeltsforderungen im Sinne von § 286 Abs. 3 BGB, sondern für Geldforderungen aller Art.17 Dagegen dürfte sich die Problematik bei einem Verzugseintritt nach § 286 Abs. 1 BGB durch Mahnung oder einen gleichgestellten Akt des Gläubigers von vornherein nicht stellen. Hier ist nämlich nach richtiger Ansicht ohnehin ein unverzügliches Handeln des Schuldners nach Zugang erforderlich und ausreichend. Denn wenn dieser seine Leistungshandlung nunmehr unverzüglich vornimmt, fehlt es am Vertretenmüssen im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB und damit am subjektiven Tatbestand des Verzuges.18 Das folgt aus dem Warnzweck der Mahnung, da es mit diesem unvereinbar wäre, wenn der Schuldner nach dem Zugang keinen angemessenen zeitlichen Spielraum für die Bewirkung seiner Leistung mehr hätte. Demgemäß ist unter dem „Umstand, infolge dessen die Leistung unterbleibt“ im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB hier nicht allein der Grund für das Unterbleiben der Leistung bei Fälligkeit als solcher – den der Schuldner fast immer zu vertreten hat –, sondern zusätzlich eine etwaige weitere Verzögerung nach dem Zugang der Mahnung anzusehen.

15

In diesem Sinne schon Canaris aaO Rn. 480; ebenso Herresthal ZGS 2008, 260. Zutreffend Herresthal ZGS 2008, 263 f.; ihm folgend Köndgen in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 925. 17 So mit Recht Herresthal ZGS 2008, 265; aA Faust JuS 2009, 83. 18 AA der Sache nach z.B. Diederichsen JuS 1985, 834; U. Huber, Band I, § 16 I 1; MünchKommBGB-Ernst, 5. Aufl. 2007, § 286 Rn. 46. 16

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d) In persönlicher Hinsicht gilt der Leistungsbegriff des EuGH auch für Verbraucher,19 da der deutsche Gesetzgeber deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich der aufgrund der Zahlungsverzugsrichtlinie geschaffenen Neuregelung ausweislich der Vorschrift des § 286 Abs. 3 Satz 1 BGB unzweifelhaft gewollt hat. Befindet sich der Verbraucher in der Position des Gläubigers, ist ohnehin von vornherein kein Grund dafür ersichtlich, ihn hinsichtlich des Zeitpunkts des Verzugseintritts schlechter zu stellen als einen Unternehmer. Ist er dagegen der Schuldner, so ist es ausreichend, die Hinweispflicht nach § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB darauf zu erstrecken, dass das Geld bis zum Ablauf der 30-Tagefrist grundsätzlich beim Gläubiger eingegangen sein muss; das ist freilich auch erforderlich, da diese verhältnismäßig strenge Handhabung von § 286 Abs. 3 BGB für einen Verbraucher alles andere als eine Selbstverständlichkeit darstellt. 2. Die Bedeutung des Leistungsbegriffs für die Rechtsfolgen des Verzuges Hinsichtlich der Rechtsfolgen des Verzuges ist zunächst nur klar, weil selbstverständlich, dass der Leistungsbegriff des EuGH auf den Anspruch auf Verzugszinsen gemäß § 288 BGB anzuwenden ist. Das gleiche gilt für den Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens gemäß § 280 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB, da dieser eine enge Verwandtschaft mit dem Zinsanspruch aufweist, sowie wohl auch für die Verschärfung der Verantwortlichkeit des Schuldners nach § 287 BGB.20 Man kann insoweit von den „allgemeinen“ Verzugsfolgen sprechen und diesen die „besonderen“ gegenüberstellen.21 Repräsentativ für letztere ist etwa das Recht des Vermieters zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs des Mieters nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 BGB. Hier hat die herkömmliche Ansicht, nach der Verzug schon dadurch verhindert wird, dass der Schuldner seine Leistungshandlung bis zu dem maßgeblichen Termin vornimmt, ihren guten Sinn, und daher sollte man ein Tätigwerden des Schuldners bis zu diesem Zeitpunkt genügen lassen, um das Entstehen des Kündigungsrechts zu verhindern.22 Denn dieses Recht stellt eine Sanktion für Saumseligkeit, Unzuverlässigkeit, Zahlungsschwäche oder dergleichen dar und passt daher nicht, wenn der Mieter das Geld noch vor dem Erfüllungstermin auf den Weg bringt und so derartige Bedenken

19 Ebenso i.E. Herresthal ZGS 2008, 265; aA Faust JuS 2009, 83; MünchKommHGBHäuser, Zahlungsverkehr, Rn. B 497 und D 373. 20 Ebenso Herresthal ZGS 2008, 265. 21 Vgl. Canaris aaO Rn. 480a f. 22 Ebenso im Ergebnis z.B. RGZ 99, 257, 258 (zur Vorgängervorschrift); Staudinger/ Emmerich, BGB, 2006, § 543 Rn. 54 (allerdings allein mit dem angeblichen Charakter der Pflicht zur Mietzinszahlung als Schickschuld argumentierend); MünchKommBGB-Schilling, 5. Aufl. 2009, § 543 Rn. 50 (mit der gleichen Begründung).

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gegen sich entkräftet; auch ist die Abschätzung der mutmaßlichen Dauer des Zahlungsvorgangs nicht selten mit Unsicherheitsfaktoren belastet, denen man den Mieter angesichts der Dramatik der Rechtsfolge nicht aussetzen sollte. Dogmatisch und methodologisch geht es dabei allein um eine Auslegung von § 543 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 BGB und nicht etwa von § 286 BGB oder gar von §§ 270 Abs. 1 und 4, 269 BGB. Ebenso ist folgerichtig für die Leistungsbefreiung und das Kündigungsrecht des Versicherers wegen Zahlungsrückstands des Versicherungsnehmers nach § 38 Abs. 2 und 3 VVG zu entscheiden 23 sowie grundsätzlich wohl auch für die Verwirkung einer Vertragsstrafe nach § 339 BGB. Ähnlich sind vertragliche Verfallklauseln grundsätzlich dahingehend auszulegen, dass sie nur eingreifen, wenn die Leistungshandlung erst nach Fristablauf vorgenommen worden ist.24 3. Die Problematik der Verantwortlichkeit des Schuldners für die Verspätung des Leistungserfolgs Hinsichtlich des Verhaltens des Schuldners fordert der EuGH lediglich, dass dieser „den üblicherweise für die Durchführung einer Banküberweisung erforderlichen Fristen sorgfältig Rechnung getragen hat“.25 Das dürfte sich im Wesentlichen mit dem Standard von § 276 Abs. 2 BGB und damit auch von § 286 Abs. 4 BGB decken. Der Begriff der „Verantwortlichkeit“ des Schuldners für den Zahlungsverzug im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. c Ziff. ii und lit. e Satz 1 der Richtlinie 2000/35 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Geschäftsverkehr ist somit (auch) nach der Entscheidung des EuGH nicht an den Kriterien von Art. 79 CISG zu orientieren, womit die gegenteilige Ansicht, die ohnehin unzutreffend ist,26 sich endgültig erledigt haben dürfte. Über die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schuldner sich ein Fehlverhalten seiner Helfer zurechnen lassen muss, sagt weder die Richtlinie noch die EuGH-Entscheidung etwas aus. Darüber ist somit allein nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts zu urteilen, sodass den Schuldner die Einstandspflicht nach § 278 BGB für seine Erfüllungsgehilfen trifft. Dabei ist die wichtigste Vorfrage die nach der Reichweite der Verbindlichkeit des Schuldners. Da diese sich grundsätzlich nur für das betreffende Schuldverhältnis jeweils gesondert beantworten lässt, kann sie hier nicht näher erörtert werden, doch sei die Problematik immerhin für die Zahlung

23

Ebenso im Ergebnis z.B. BGHZ 44, 178, 180; BGH NJW 1964, 499; 500; 1969, 875,

876. 24

Zutreffend KG JW 1927, 526; viel zu allgemein demgegenüber RGZ 78, 137, 140. Vgl. aaO Rn. 30. 26 So mit Recht z.B. Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel, BGB, 2006, § 286 Rn. 23 mit Nachw. zum Diskussionsstand. 25

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durch Überweisung vertieft, da diese zu den Arbeitsgebieten des Jubilars gehört und außerdem den Gegenstand der Telecom-Entscheidung des EuGH bildet. 4. Die Problematik der Giroüberweisung im Einzelnen a) Für die Geldschuld bestimmt § 270 Abs. 1 BGB, dass der Schuldner Geld „im Zweifel auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln hat“. Die hiermit statuierte Übermittlungspflicht des Schuldners wird durch die Regelung von § 270 Abs. 4 i.V.m. § 269 BGB angesichts des insoweit klaren Wortlauts von § 270 Abs. 1 BGB („übermitteln“, nicht „schicken“) grundsätzlich nicht berührt, wie immer man die Vorschrift im Einzelnen auslegt. Im Überweisungsverkehr trifft den Schuldner demgemäß die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Bank des Gläubigers Deckung für die Erteilung der Gutschrift zu dessen Gunsten erhält;27 denn das entspricht, zumal in Anbetracht der Regelung von § 676g BGB, der „Übermittlung“ des Geldes an den Wohnsitz des Gläubigers. Dass die Empfangsbank die Gutschrift unverzüglich erteilt, fällt dagegen nicht mehr in den Pflichtenkreis des Schuldners, da diese als Empfangsstelle des Gläubigers fungiert und von ihm ausgewählt ist, ohne dass der Schuldner darauf einen Einfluss hat. Folglich sind die vom Schuldner beauftragte Bank und etwaige Zwischenbanken dessen Erfüllungsgehilfen im Sinne von § 278 BGB,28 die Empfangsbank dagegen nicht 29 – ein Lösungsmodell, das dem Sphärengedanken entspricht und daraus teleologische Überzeugungskraft gewinnt.30 Der Schuldner gerät somit nicht nur dann in Verzug, wenn er selbst den Überweisungsauftrag aus einem von ihm zu vertretenden Grund zu spät erteilt, sondern nach § 286 Abs. 4 i.V.m. § 278 BGB auch dann, wenn seine Bank oder eine Zwischenbank die Weiterleitung in zurechenbarer Weise verzögert, wohingegen eine Verzögerung der Gutschrift durch die Empfangsbank ihm nicht zuzurechnen ist.

27 Ebenso i.E. z.B. Staudinger/Bittner § 270 Rn. 38; aA Herresthal ZGS 2008, 264 und 266, der als letzte geschuldete Leistungshandlung bei einer Überweisung nicht den Eingang der Valuta bei der Bank des Gläubigers, sondern die Gutschrift auf dessen Konto ansieht, was freilich mit der auch von Herresthal vertretenen Ansicht, dass das Verhalten der Bank des Gläubigers dem Schuldner nicht nach § 278 BGB zuzurechnen ist (vgl. dazu sogleich im Text), nur schwer in Einklang zu bringen sein dürfte. 28 Vgl. Canaris aaO Rn. 475a und 481; ebenso im Ergebnis z.B. Staudinger/Bittner, § 270 Rn. 38; Herresthal ZGS 2008, 264; Gsell GPR 2008, 171; aA z.B. U. Huber, Band I, § 5 IV 2 b; MünchKommBGB-Krüger § 270 Rn. 22 und 25. 29 Insoweit aA, jedoch ohne tragfähige Begründung, Schön AcP 198 (1998) 446; die Ansicht ist auf allgemeine Ablehnung gestoßen, vgl. Langenbucher/Gößmann/Werner (Hrsg.), Zahlungsverkehr, 2004, Rn. 129 m. umfassenden Nachw. in Fn. 316. 30 Vgl. Canaris aaO Rn. 475a und 481.

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Auf Zufall beruhende Verzögerungen hat der Schuldner dagegen auch dann nicht im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB zu vertreten, wenn sie bei seiner Bank oder einer zwischengeschalteten Bank eintreten.31 Aus § 270 Abs. 1 BGB ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil die Vorschrift lediglich die Gefahrtragung und nicht das Vertretenmüssen regelt und daher hier auch dann nicht einschlägig ist, wenn man darunter nicht nur die Verlust-, sondern auch die Verzögerungsgefahr subsumiert 32 – was z.B. für die Frage nach einem Rücktrittsrecht des Gläubigers gemäß oder analog § 323 Abs. 1 BGB bei einem einstweiligen Leistungshindernis relevant sein könnte. Ohne Bedeutung ist auch im vorliegenden Zusammenhang schließlich die schon oben berührte Frage, ob man die Geldschuld als eine durch § 270 Abs. 1 BGB „qualifizierte“ Schickschuld oder als eine durch § 270 Abs. 4 BGB „modifizierte“ Bringschuld ansieht. Denn die Lösung der einschlägigen Sachprobleme kann grundsätzlich nicht von der Beantwortung dieser dogmatischen Einordnungsfrage abhängig gemacht werden, sondern hat ihr vorauszugehen und muss teleologisch fundiert sein. b) Eine ganz andere Frage ist die nach dem Zeitpunkt der Erfüllung im Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger. Darüber entscheidet nicht die Vornahme der Leistungshandlung, sondern gemäß §§ 362, 364 BGB der Eintritt des Leistungserfolges. Dieser liegt nach richtiger Ansicht nicht schon im Eingang der Deckung bei der Empfangsbank,33 sondern erst in der Erteilung der Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers 34. Zum einen ist nämlich dessen Rechtsstellung gemäß § 676g BGB noch nicht in jeder Hinsicht genauso stark wie nach der Gutschrift und zum anderen ermöglicht faktisch erst diese dem Gläubiger einen ebenso komplikationslosen Umgang mit dem Buchgeld wie bei Erhalt von Sachgeld. Nur diese Ansicht ist auch mit der Telecom-Entscheidung des EuGH vereinbar, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Erfüllung unmissverständlich die Gutschriftserteilung ansieht.35 Demgemäß hat der Schuldner das Geld zur Vermeidung des Eintritts von Verzug grundsätzlich so rechtzeitig auf den Weg zu bringen, dass der Gläubiger bei normalem Ablauf des Zahlungsvorgangs im Zeitpunkt der Erfüllung nicht lediglich den Eingang von Deckung, sondern die Gutschrift erhält. 31

Vgl. Canaris aaO Rn. 481; aA Herresthal ZGS 2007, 50. Vgl. dazu nur Staudinger/Bittner, § 270 Rn. 28 ff. 33 So aber z.B. Langenbucher, Die Risikozuordnung im bargeldlosen Zahlungsverkehr, 2001, S. 159 f. und aaO (Fn. 29), Rn. 129; Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechtshandbuch, 3. Aufl. 2007, § 49 Rn. 206 ff., der indessen in dogmatisch verfehlter Weise den Erfüllungseintritt mit der Gefahrtragung vermengt und überdies nicht zwischen Leistungshandlung und -erfolg unterscheidet. 34 So z.B. Canaris aaO Rn. 476 m. umfassenden Nachw.; Nobbe WM 2001, Sonderbeilage Nr. 4, S. 21; Baumbach/Hopt, (7) Bankgeschäfte, Rn. C/23; Staudinger/Bittner, § 270 Rn. 20. 35 Vgl. aaO (Fn. 2) Rn. 23 ff. = NJW 2008, 1935, 1936. 32

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c) Wieder ein anderes – also drittes – Problemfeld bildet die Verteilung der Gefahr eines zufälligen Untergangs des Geldes auf dem Weg zum Gläubiger, deren wichtigste Ausprägung in der Insolvenz einer der eingeschalteten Banken liegt. Diese trägt nach § 270 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Schuldner bis zum Zeitpunkt der „Übermittlung“ des Geldes an den Wohnsitz des Gläubigers. Das führt folgerichtig zum selben Lösungsmodell wie hinsichtlich der Anwendung von § 278 BGB: Den Schuldner trifft das Risiko für seine Bank und die Zwischenbanken, den Gläubiger für die Empfangsbank.36 Ob die Gefahr einer zufälligen Verzögerung ebenso zu behandeln ist, hängt davon ab, wie man insoweit § 270 Abs. 1 und 4 BGB auslegt 37, und ist daher nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags. 5. Die Bedeutung der Leistung für den Beginn des Verzugs bei nicht auf Geld gerichteten Schulden Die bisherigen Ausführungen hatten, angeregt durch die Anknüpfung an die bankrechtlichen Interessen des Jubilars und ausgehend von der TelecomEntscheidung des EuGH, ausschließlich den Verzug mit einer Geldschuld zum Gegenstand. Abschließend ist somit zu fragen, ob sich das dafür entwickelte Lösungsmodell auch auf die Problematik des Verzugsbeginns bei solchen Schulden übertragen lässt, die nicht auf Geld gerichtet sind. Das ist grundsätzlich zu bejahen. Den Anknüpfungspunkt kann dabei allerdings nicht § 286 Abs. 3 BGB bilden, da diese Vorschrift, die in dieser Abhandlung am Anfang der Problemerörterung stand, explizit auf eine „Entgeltforderung“, d.h. eine Geldforderung 38 beschränkt ist. Wie oben III. 1. c) dargelegt, ist die für § 286 Abs. 3 BGB geltende Lösung jedoch folgerichtig auf die Fälle des § 286 Abs. 2 BGB zu übertragen – und diese Vorschrift erfasst keineswegs nur Geldschulden, sondern Schulden aller Art. In der Tat entstünde ein untragbarer Wertungswiderspruch, wenn man z.B. zwar bei einer Geldschuld, für deren Erfüllung im Sinne von § 286 Abs. 2 Ziff. 1 BGB „eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist“, vom Schuldner fordert, das Geld so rechtzeitig abzusenden, dass es bei ordnungsgemäßem Verlauf des Zahlungsvorgangs dem Gläubiger an dem betreffenden Tag gutgeschrieben ist, bei einer auf einen anderen Gegenstand gerichteten Schickschuld es dagegen genügen ließe, dass der Schuldner diesen erst am Tag der (kalendarisch

36 Vgl. Canaris aaO Rn. 478 bei und nach Fn. 209; ebenso z.B. Baumbach/Hopt, (7) Bankgeschäfte, Rn. C/25 mit zutreffendem Hinweis auf den Sphärengedanken; MünchKommBGB-Krüger, § 270 Rn. 13 f.; Herresthal ZGS 2008, 265; insoweit im Ergebnis übereinstimmend, jedoch dogmatisch inkonsistent, Schimansky aaO Rn. 208. 37 Vgl. dazu nur Staudinger/Bittner, § 270 Rn. 28 ff. 38 Dass es nur um eine solche geht, ist wohl unstr., vgl. nur MünchKommBGB-Ernst, § 286 Rn. 75 f.

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bestimmten) Fälligkeit absendet. Zwar können hier naturgemäß keine Verzugszinsen anfallen, doch steht dem Anspruch auf diese, wie oben III. 2. dargelegt, folgerichtig der Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens gemäß § 280 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB gleich, sodass sich die Problematik hier prinzipiell nicht anders stellt als bei einer Geldschuld. In methodologischer Hinsicht handelt es sich dabei übrigens um ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die – letztlich auf dem Gebot der Vermeidung untragbarer Wertungswidersprüche beruhende – dynamische Kraft der richtlinienkonformen Auslegung, die hier vom Verzug mit der Erfüllung einer Geldschuld im Sinne von § 286 Abs. 3 BGB bis zum Verzug mit der Erfüllung einer Sachschuld im Sinne von § 286 Abs. 2 BGB „ausstrahlt“ (sofern man nicht mit der hier vertretenen Ansicht annimmt, dass die richtlinienkonforme Auslegung lediglich vollends ans Licht bringt, was entgegen der h.L. ohnehin schon immer galt, vgl. oben III. 1. a) bei Fn. 12).

IV. Die Beendigung des Verzugs Die Unterscheidung zwischen Leistungshandlung und Leistungserfolg spielt auch für die Frage nach der Beendigung des Verzugs eine zentrale Rolle. Dabei ist auch in diesem Zusammenhang die Telecom-Entscheidung des EuGH zu berücksichtigen, zumal sie sich ausdrücklich auch auf diese Problematik bezieht.39 1. Die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Leistungserfolgs a) Nach einer verbreiteten Ansicht soll der Schuldner den Verzug dadurch beenden können, dass er seine Leistungshandlung vornimmt,40 also z.B. bei einer Schickschuld die geschuldete Sache absendet 41 oder sie bei einer Holschuld bereitstellt und dies dem Gläubiger anzeigt. Dann habe er nämlich alles seinerseits Erforderliche getan und überdies müsse für die Beendigung des Verzugs mutatis mutandis dasselbe gelten wie für deren Beginn, der ja auch durch die bloße Vornahme der Leistungshandlung hintangehalten werden könne. Das letztere Argument ist indessen, wie ausführlich dargelegt, 39

Vgl. die wörtliche Wiedergabe oben bei Fn. 3. Vgl. z.B. Diederichsen JuS 1985, 834 f.; U. Huber, Band I, § 20 I 2; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 2008, § 28 Rn. 39; Erman/Hager § 286 Rn. 73; der Sache nach auch BGH NJW 1969, 875, 876 (für den Fall einer Geldschuld); für die Fälle von § 286 Abs. 1 BGB ferner Staudinger/Löwisch § 286 Rn. 112, jedoch in sich widersprüchlich, weil zugleich ein Angebot des Schuldners in Annahmeverzug begründender Weise für „notwendig“ erklärt wird. 41 So ausdrücklich z.B. Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 23 I d; MünchKommBGB-Ernst, § 286 Rn. 95 am Ende. 40

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unzutreffend und inzwischen durch die Telecom-Entscheidung des EuGH überholt. Außerdem und vor allem wird von den Vertretern dieser Konzeption nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Schuldner das Erforderliche nun einmal zu spät getan hat und diese Pflichtverletzung nicht für die Zukunft einfach durch die Nachholung seiner Leistungshandlung ungeschehen machen kann; denn die Folgen der Verspätung – für die er unabhängig davon, ob sich das Vertretenmüssen auf sie erstreckt, einzustehen hat, ja nach § 287 S. 2 BGB sogar dann, wenn sie auf einem objektiv nicht zurechenbaren Zufall beruhen – dauern ja über den Zeitpunkt der Vornahme der Leistungshandlung hinaus an und entfallen in der Regel erst dann vollständig, wenn der Schuldner den Leistungserfolg herbeiführt. Folglich entfällt grundsätzlich auch erst mit dessen Eintritt der Verzug.42 b) Statt der Herbeiführung des Leistungserfolges genügt es selbstverständlich, wenn der Schuldner die Leistung dem Gläubiger in Annahmeverzug begründender Weise anbietet.43 Dieser verdrängt nämlich den Schuldnerverzug. Das sollte man zwar nicht damit begründen, dass der Schuldner die Verzögerung nach Eintritt von Gläubigerverzug nicht mehr im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB zu vertreten habe,44 doch folgt es daraus, dass er durch die Herbeiführung von Gläubigerverzug alles seinerseits zur Erbringung der Leistung Erforderliche getan hat und es somit schon an einer „Nichtleistung“ im Sinne von § 286 Abs. 1 BGB, d.h. am objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB fehlt.45 c) Folgt man freilich der oben III. 2. vorgeschlagenen Differenzierung zwischen „allgemeinen“ und „besonderen“ Verzugsfolgen, so sind nur für erstere – also für die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen und zum Ersatz des Verzögerungsschadens sowie für die Haftungsverschärfung nach § 287 BGB – der Eintritt des Leistungserfolges oder die Herbeiführung von Annahmeverzug erforderlich, während folgerichtig für letztere aufgrund einer Auslegung der einschlägigen Normen grundsätzlich die Vornahme der Leistungshandlung ausreicht. Demgemäß genügt es z.B. für die Beendigung des Verzugs im Sinne von § 38 Abs. 2 VVG, dass der Versicherungsnehmer einen Scheck zur Bezahlung seiner rückständigen Prämie vor Ablauf der ihm vom Versicherer dafür gesetzten Frist abgesandt und also die Leistungshandlung

42 Ebenso im Ergebnis Weißgerber, Die Beendigung des Schuldnerverzugs, 2006, S. 52 f., 55; Palandt/Heinrichs § 286 Rn. 33; ähnlich Reinelt VersR 2002, 1493, der es jedoch genügen lassen will, wenn der Leistungserfolg „demnächst“ eintritt; für die Fälle von § 286 Abs. 2 und 3 BGB im Ergebnis wie hier auch Staudinger/Löwisch § 286 Rn. 115, doch ist diese Differenzierung gegenüber den Fällen von § 286 Abs. 1 BGB kaum nachvollziehbar und mit der hier vertretenen Ansicht gänzlich unvereinbar. 43 Das dürfte unstr. sein, vgl. nur U. Huber, Band I, § 20 II. 44 So aber z.B. Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl. 2005, § 16 Rn. 75. 45 So zu § 284 a.F. BGB mit Recht U. Huber, Band I, § 7 I.

Schuldnerverzug und Leistungsbegriff

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vorgenommen hat, auch wenn dieser erst nach Eintritt des Versicherungsfalls zugegangen oder gutgeschrieben worden ist, so dass der Leistungserfolg in diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten war.46 2. Präzisierung des Leistungserfolgs Der Eintritt des Leistungserfolgs ist nicht ohne Weiteres mit Erfüllung im Sinne der §§ 362 ff. BGB gleichzusetzen, sondern hängt lediglich davon ab, dass der Gläubiger die Verfügungsgewalt über den Leistungsgegenstand in der geschuldeten Weise erhält. Daher kann die Leistung grundsätzlich auch unter Vorbehalt bzw. zur Abwendung der Zwangsvollstreckung oder im Hinblick auf ein vorläufig vollstreckbares Urteil erfolgen.47 Kommt Annahmeverzug nicht in Betracht, weil es einer „Annahme“ durch den Gläubiger nicht bedarf, hat es folgerichtig bei dem Erfordernis, den Leistungserfolg herbeizuführen, sein Bewenden; daher ist z.B. bei einer Zahlung durch Giroüberweisung grundsätzlich die Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers maßgeblich – womit sich zum Abschluss noch einmal zeigt, dass die Telecom-Entscheidung des EuGH sich völlig bruchlos mit den herkömmlichen dogmatischen Mitteln in das deutsche Bürgerliche Recht integrieren lässt.

V. Ergebnisse Sowohl für den Beginn als auch für die Beendigung des Verzuges nach § 286 BGB ist grundsätzlich nicht die Vornahme der Leistungshandlung, sondern der Eintritt des Leistungserfolges maßgeblich. Zur Verhinderung von Verzug muss also die Leistungshandlung so rechtzeitig vorgenommen werden, dass der Schuldner bei normalem Verlauf des Erfüllungsvorgangs mit dem Eintritt des Leistungserfolgs im Zeitpunkt der Fälligkeit rechnen darf (vgl. oben III. 1.); ist der Schuldner bereits in Verzug geraten, so endet dieser erst mit Eintritt des Leistungserfolgs (vgl. oben IV. 1. a)). Diese Konzeption war entgegen der Rechtsprechung und der h.L. schon früher zutreffend, ergibt sich seit der Telecom-Entscheidung des EuGH zur Zahlungsverzugsrichtlinie aber auch aus dem Gebot richtlinienkonformer Auslegung von § 286 Abs. 3 BGB (vgl. oben III. 1. a)) und ist zur Vermeidung untragbarer Wertungswidersprüche auf § 286 Abs. 2 (und falls erforderlich auch auf § 286 46 Daher ist der Entscheidung BGH NJW 1969, 875, 876 auch vom hier vertretenen Standpunkt aus im Ergebnis zuzustimmen, doch hat der BGH seine Begründung zu Unrecht nicht auf den Fall des § 39 Abs. 2 a.F. VVG (= § 38 Abs. 2 VVG n.F.) beschränkt, sondern allgemein für den Verzug formuliert. 47 Vgl. BGH NJW 1981, 2244; U. Huber, Band I, § 20 V; Schwarze (Fn. 40) § 28 Rn. 38.

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Abs. 1 BGB) sowie auf Forderungen, die nicht auf Geld gerichtet sind, zu erstrecken (vgl. oben III. 1. c) bzw. III. 5.). Sie gilt auch für Verbraucher, da der deutsche Gesetzgeber diese in die Regelung von § 286 Abs. 3 BGB einbezogen hat, doch ist folgerichtig auch die Hinweispflicht nach § 286 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BGB auf diese Rechtsfolge anzuwenden (vgl. oben III. 1. d)). Diese Lösung gilt jedenfalls für die allgemeinen, also alle Schuldverhältnisse betreffenden Verzugsfolgen, d.h. für den Anspruch auf Verzugszinsen nach § 288 BGB und auf Ersatz des Verzögerungsschadens nach § 280 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB sowie für die Haftungsverschärfungen nach § 287 BGB. Demgegenüber sind besondere Verzugsregelungen für einzelne Schuldverhältnisse wie z.B. § 543 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 3 BGB für den Mietvertrag und § 38 Abs. 2 und 3 VVG für den Versicherungsvertrag sowie § 339 BGB über die Verwirkung einer Vertragsstrafe und vertragliche Verfallklauseln in der Regel so auszulegen, dass sie nicht eingreifen, wenn die Leistungshandlung spätestens im Fälligkeitszeitpunkt erfolgt ist; insoweit sind die bisherige Rechtsprechung und die h.L. im Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung und der dogmatischen Konstruktion, zutreffend und mit der Telecom-Entscheidung des EuGH vereinbar, so dass sie beizubehalten sind (vgl. oben III. 2. und IV. 1. c)).

Welche Einheit des Privatrechts? Von einer formalen zu einer inhaltlichen Konzeption des Privatrechts Stefan Grundmann I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Proprium des heutigen Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einheit als Frage der Konzeption des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bürgerliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gestaltung und Bindung als Kern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verbindungslinien zwischen Organisations- und Transaktionsrecht (Firm and Market) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nexus of Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Langzeitvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Innen- und Außensicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Integration von Gestaltung und Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Governance und Recht als Infrastruktur der Gestaltung . . . . . . . . . . V. Ausblick: Einheit als Frage der Regelsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Am Anfang stand das Kapitalmarktrecht, es hat Klaus Hopt seither in allen grundlegenden und auch in (fast) allen Einzelfragen ein Leben lang beschäftigt. Wissenschaftlich hat er es für Deutschland überhaupt als erster umfassend erschlossen,1 politisch hat er so zentrale Komponenten wie das Insider1 Hopt Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken – gesellschafts-, bank- und börsenrechtliche Anforderungen an das Beratungs- und Verwaltungsverhalten der Kreditinstitute, 1975. Zu den späteren Werken vgl. nächste Fn. sowie das Schriftenverzeichnis, vielleicht besonders paradigmatisch und wichtig: Hopt Inwieweit empfiehlt sich eine allgemeine gesetzliche Regelung des Anlegerschutzes? (dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Publikumspersonengesellschaften, namentlich der Abschreibungsgesellschaften und geschlossenen Immobilienfonds) Gutachten G, 51. DJT 1976, G1–G133; ders. Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht?, ZHR 140 (1976) 201 und 141 (1977) 389; sowie auch – wie im Folgenden weit ins klassische Schuldrecht hinüber reichend – Hopt Nichtvertragliche Haftung außerhalb von Schadens- und Bereicherungsausgleich – zur Theorie und Dogmatik des Berufsrechts und der Berufshaftung, AcP 183 (1983) 608.

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handelsverbot 2 und ein leistungsfähiges Übernahmerecht maßgeblich befördert 3 oder geradezu im Alleingang durchgesetzt, er hat dieses Rechtsgebiet und überhaupt das Unternehmensrecht auch nach Europa begleitet.4 Denn kaum eine Materie ist so umfassend Europäisch durchgestaltet wie das Kapitalmarktrecht, nur noch in der Hülle und Details national.5 Ein Unternehmensrecht unter Einschluss des Kapitalmarktrechts zu denken, bedeutet einen Schritt von kaum zu überschätzender Bedeutung. Bei diesem Schritt handelt es sich um die wohl am tiefsten greifende Strukturänderung im

2 Hopt/Will Europäisches Insiderrecht – Einführende Untersuchung, ausgewählte Materialien, 1973; Hopt Europäisches und deutsches Insiderrecht, ZGR 1991, 17; ders. Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapierhandelsgesetz – insbesondere Insidergeschäfte und Ad-hoc-Publizität, ZHR 159 (1995) 135; ders. The European Insider Dealing Directive, CMLR 27 (1990) 51; HoptWymeersch (Hrsg.), European Insider Dealing, 1991. 3 Hopt Übernahmeangebote im europäischen Recht, FS Rittner, 1991, S. 187; ders. Aktionärskreis und Vorstandsneutralität, ZGR 1993, 534; ders. Europäisches und deutsches Übernahmerecht, ZHR 161 (1997) 368; ders. Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen – zur aktien- und übernahmerechtlichen Rechtslage in Deutschland und Europa, FS Lutter, 2000, S. 1361; ders. Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, ZHR 166 (2002) 383. All diese Beiträge zu den – zu unterschiedlichen Zeiten jeweils besonders umstrittenen – Kernfragen Pflichtangebot und Neutralitätspflicht. Dazu unter seinen Schülern einerseits Reul Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen – Eine juristische und ökonomische Analyse, 1991; zur damals fast einhelligen Gegenauffassung in Sachen Pflichtangebot etwa Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (Hrsg.), Übernahmeangebote, 1990; und zur Neutralitätspflicht andererseits unter seinen Schülern Merkt Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, ZHR 165 (2001) 224; Mülbert Übernahmerecht zwischen Kapitalmarktrecht und Aktien(konzern)recht, ZIP 2001, 705; Mülbert/Birke Das übernahmerechtliche Behinderungsverbot – die angemessene Rolle der Verwaltung einer Zielgesellschaft in einer feindlichen Übernahme, WM 2001, 705; Grundmann The Market for Corporate Control, in Hopt/Wymeersch/ Kanda/Baum (Hrsg.), Corporate Governance in Context: Corporations, States, and Markets in Europe, Japan, and the US, 2005, 421. 4 Namentlich als deutsches Mitglied in der sog High Level Group I/II, Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Abwicklung von Übernahmeangeboten vom 10.1.2002 und Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4.11.2002, abrufbar unter www.europa.eu.int/comm/ internal_market/de/company; dazu Stellungnahme der Group of German Experts on Corporate Law zum Konsultationsdokument der High Level Group of Experts on Corporate Law, ZIP 2002, 1310; sowie etwa Hopt Harmonisierung im europäischen Gesellschaftsrecht – Status quo, Probleme, Perspektiven, ZGR 1992, 265; ders. Europäisches Gesellschaftsrecht – Krise und neue Anläufe, ZIP 1998, 96; ders. Europäisches Gesellschaftsrecht und deutsche Unternehmensverfassung – Aktionsplan und Interdependenzen, ZIP 2005, 461; früh schon Buxbaum/Hopt Legal Harmonization and the Business Enterprise – Corporate and Capital Market Law Harmonization Policy in Europe and the U.S.A., 1988. 5 Etwa Grundmann European Company Law – Organization, Finance and Capital Markets, 2007, bes. Rn. 6, 642 ff.; Moloney EC Securities Regulation, 2. Aufl. 2008, S. 4 f.

Welche Einheit des Privatrechts?

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Unternehmensrecht seit dem 2. Weltkrieg: den Übergang von einem Unternehmertum, das primär fremdkapitalfinanziert arbeitete, zu einem Unternehmertum, für das das Eigenkapital absolut zentral geworden ist – finanziell, aber ebenso sehr vom Image her.6 Juristisch gewendet: Zum Gesellschaftsrecht als Organisationsrecht und Herz des Unternehmensrechts trat – als zweites Bein – das Kapitalmarktrecht, heute das Herzstück des Gesellschaftsaußenrechts bei den großen Gesellschaften, im sog. Börsengesellschaftsrecht zunehmend auch inhaltlich untrennbar verknüpft: Seit 1998/ 2000 entwickelt sich auch das (Aktien-)Gesellschaftsrecht selbst vor allem unter dem Leitgesichtspunkt Börsennotierung und börsennotierte Gesellschaft. Und auch diesen Weg hat Hopt seinen Schülern und Schülern im Geiste gewiesen.7 Der vorliegende Beitrag ist einer Frage gewidmet, die als Verallgemeinerung dieses Schrittes verstanden werden kann, jedoch ungleich weniger erörtert wird. Die These ist, dass in dem Schritt hin zu einem Gesellschaftsrecht unter Einschluss des Kapitalmarktrechts zugleich ein großer Einheit stiftender Akt für das Privatrecht insgesamt zu sehen ist. Hierbei geht es allgemeiner um die Frage nach der Einheit des Privatrechts, genauer: welcher Einheit des Privatrechts.

II. Das Proprium des heutigen Privatrechts 1. Theorie Das Proprium des Privatrechts – und speziell des heutigen Privatrechts – zu bestimmen, bieten sich verschiedene Wege an: namentlich von den großen Gesellschaftsentwürfen her, von der Verfassungsordnung her, von den Stimmen im privatrechtlichen Schrifttum her. Schlaglichtartig ergibt sich folgendes Bild: In einer Privatrechtsgesellschaft, also einer Gesellschaft, in der das Privatrecht als Konfliktlösungsansatz dominiert, sah Franz Böhm vor allem den Konsens als Lösungsmechanismus im Vordergrund stehen, nicht mehr den 6 Vgl. ausführlicher Grundmann Klaus Hopt, in Grundmann/Riesenhuber (Hrsg.), Deutschsprachige Zivilrechtslehrer des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler – eine Ideengeschichte in Einzeldarstellungen, Bd. 2, 2010. 7 Mülbert Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt – Die Aktionärsrechte bei Bildung und Umbildung einer Unternehmensgruppe zwischen Verbands- und Anlegerschutzrecht, 1995; Kalss Anlegerinteressen – der Anleger im Handlungsdreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2001; Möslein Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im marktoffenen Verband, 2007; früh aus Hopts eigener Generation Schwark Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht, FS Stimpel, 1985, S. 1087. Mit seiner Habilitation zum „Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht“ von 1979 ist Schwark ohnehin wichtigster „Weggefährte“ der gleichen Generation im Kapitalmarktrecht.

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hierarchischen Befehl. Damit wird die privatautonome Gestaltungsmöglichkeit als das die Gesellschaftsordnung konstituierende Leitkriterium erkannt und solchermaßen auch offensichtlich ins Zentrum des Privatrechts gerückt. In Böhms Modell einer ordoliberalen Marktverfassung ist Privatautonomie freilich immer auch innerhalb eines ordnungspolitischen Rahmens zu sehen, der die Grundvoraussetzungen für eine tatsächliche Ausübung der Privatautonomie gegen diejenigen Gefahren erhält, die von privater Macht ausgehen.8 Das würde bedeuten, dass – etwas präziser – nicht nur die Privatautonomie im Zentrum des heutigen Privatrechts steht, sondern vielmehr das Spannungsverhältnis zwischen dieser Autonomie einerseits und dem (Funktions-)Schutz andererseits, der zum Erhalt materialer Autonomie aller Betroffenen notwendig ist.9 Dieses Bild vom Proprium des Privatrechts wird breiter abgesichert und im Kern bestätigt durch einen Blick auf die Verfassungsordnung. Denn in ihr sind nach im deutschen Recht allseits konsentiertem Verständnis auch die Eckpunkte einer Privatrechtsordnung verankert, verbindlich für jegliche Rechtspraxis – insbesondere der gesetzgeberischen, gerichtlichen, aber auch der privatautonom gestaltenden. Und es handelt sich nicht nur um die ranghöchste solche Bestimmung im deutschen Recht, sondern auch um die gegenüber dem BGB ungleich jüngere. Als die zentralen Grundrechte für die Privatrechtsordnung werden gesehen die Vertragsfreiheit – hergeleitet aus der Handlungs- und auch der Berufsfreiheit – und daneben die Eigentumsgarantie. Dabei umfasst die Eigentumsgarantie beispielsweise auch alle schuldrechtlich oder gesellschaftsrechtlich vermittelten Rechte,10 erlaubt also im Vermögensrecht keine signifikante Differenzierung. Charakteristisch ist wieder 8 Böhm Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO 17 (1966) 75; Canaris Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, FS Lerche, 1993, S. 873; Mestmäcker Franz Böhm, in Grundmann/Riesenhuber (Fn. 6) Bd. 1, 2007, S. 31; Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft – Entwicklung, Stand und Verfassung des Privatrechts, 2007; Zöllner Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Richterstaat, 1996. Zur Ausweitung dieses Konzepts auch auf eine Abwehr gegen nationalstaatliche Macht, die nunmehr über die EG-Grundfreiheiten und das EGWettbewerbs- und -Beihilfenrecht kontrolliert wird: Grundmann The Concept of the Private Law Society after 50 Years of European and European Business Law (2008) 16 ERPL 553. 9 Ähnlich das Spannungsverhältnis, speziell auch im Kapitalmarktrecht, zwischen Individualschutz einerseits und Funktionsschutz andererseits. Vgl. grundlegend im deutschen Schrifttum Hopt (Fn. 1) S. 51 f., 334–337; ders. 51. DJT 1976, G1, G47–G51 und G54 f.; Kübler Anlageberatung durch Kreditinstitute, ZHR 145 (1981) 204, 205 f.; heute etwa Assmann/Schneider/Koller WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 31 Rn. 2–7; Heinze Europäisches Kapitalmarktrecht – Recht des Primärmarktes, 1999, S. 8 f. 10 BVerfGE 45, 142, 179; 50, 290, 351. Eine parallele Ausdehnung des Anwendungsbereichs ist in der ökonomischen Theorie der Verfügungsrechte in den 70er Jahren zu beobachten, vgl. nur Furubotn/Pejovich Property Rights and Economic Theory – a Survey of Recent Literature, (1972) 10 Journal of Economic Literature 1137.

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das benannte Spannungsverhältnis: Im Rahmen der Eigentumsgarantie wird dies als Sozialbindung des Eigentums umschrieben (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG), Vergleichbares gilt jedoch nach allgemeiner Meinung auch für das Grundrecht auf Vertragsfreiheit.11 Auch schon im – älteren – bürgerlichrechtlichen Eigentumsrecht ist beides angelegt, das Freiheitsrecht, das mit diesem verbunden ist (§ 903 BGB), und seine Sozialbindung (§§ 904 ff. BGB). Vermögensschutz und insbesondere privatautonome Gestaltungsfreiheit (mit Grenzen) – so stellt sich demnach auch die Verfassungsordnung für das deutsche Privatrecht dar. Beim Hinweis auf die Verfassungsordnung liegt ein Seitenblick nahe: Was im Folgenden ausgeführt wird, könnte auch für das öffentliche Recht diskutiert werden, betrifft also die Einheit des Rechts insgesamt. Das Konsenselement ist längst auch im öffentlichen Recht, besonders im Verwaltungsrecht, zentral in den Blick gerückt, u.a. unter dem Begriff der New Public Governance,12 und darüber ist die Diskussion um das proprium des ius publicum neu entfacht.13 Längst wird die Gleichung dispositives Recht und Privatautonomie im Privatrecht und zwingendes Recht und hoheitliche Anordnung im öffentlichen Recht nicht einmal mehr im Grundsatz anerkannt.14 In der Tat gehen Privat-, vor allem Vertrags- und Gesellschaftsrecht hier, und Verwaltungsrecht häufig ineinander über. Solche Gebiete wie etwa Verbraucherund Kapitalmarktrecht, genereller Regulierung, belegen dies plastisch. Insbesondere EG-Recht und der Rechtsvergleich zeigen allzu deutlich, dass Pri11 BVerfGE 8, 274, 328; BVerfG NJW 2001, 1709, 1711; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, 53. Aufl. 2009, Art. 2 Abs. 1, Rn. 104. 12 Vgl. nur Becker Kooperative und konsensuale Strukturen in der Normsetzung, 2005; Michael Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat – Normersetzende und normprägende Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft, 2002; Augsberg Rechtsetzung zwischen Staat und Gesellschaft – Möglichkeiten differenzierter Steuerung des Kapitalmarktes, 2003; Leisner „Privatisierung“ des öffentlichen Rechts – Von der „Hoheitsgewalt“ zum gleichordnenden Privatrecht, 2007; und schon Kirchhof Private Rechtsetzung, 1987; zu den natürlich dennoch bestehenden Strukturunterschieden vgl. nur Hoffmann-Riem Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen – Systematisierung und Entwicklungsperspektiven, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 261, 272 ff. 13 Vgl. auch – ebenfalls die gegenseitige Bedingtheit von Privat- und öffentlichem Recht in den Vordergrund stellend – bereits die Diskussion um Wirtschaftsrecht und -verfassung in den 60er/70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts etwa Hart Zur Instrumentierung des Wirtschaftsrechts am Beispiel der Wirtschaftsverfassung, ZHR 140 (1976) 1; Mestmäcker Macht – Recht – Wirtschaftsverfassung, ZHR 137 (1973) 97; Rink Begriff und Prinzipien des Wirtschaftsrechts in Rink (Hrsg.), Begriff und Prinzipien des Wirtschaftsrechts, 1971, S. 167; Schluep Was ist Wirtschaftsrecht?, FS Hug, 1968, S. 25; Wiethölter Die Position des Wirtschaftsrechts im sozialen Rechtsstaat, FS Böhm, 1965, S. 41; Zacher Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, FS Böhm, 1965, S. 63; rückblickend Amstutz Historizismus im Wirtschaftsrecht – Überlegungen zu einer evolutorischen Rechtsmethodik, FS Druey, 2002, S. 9. 14 Von privatrechtlicher Seite etwa Wagner, Prozessverträge 1998, S. 52–57.

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vat- und öffentliches Recht häufig letztlich nur für unterschiedliche Durchsetzungsformen stehen. Dennoch muss es im Folgenden bei der Diskussion der inneren Einheit – im Privatrecht – sein Bewenden haben. Und auch in der privatrechtlichen und privatrechtstheoretischen Literatur erscheint der Verweis auf die Privatautonomie als der prominenteste 15 – freilich ohne dass daraus Schlussfolgerungen für das Verhältnis von Vertrags-, Gesellschafts- und Arbeitsvertragsrecht einerseits und für das innere Band im sog. Bürgerlichen Recht andererseits gezogen würden. Ebendies scheint jedoch angezeigt. Auch das Spannungsverhältnis zum Ordnungsrahmen wird bei der Beschreibung des Proprium des Privatrechts kaum einmal genannt. Will man jedoch die verfassungs-, europa- und wirtschaftsrechtliche Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg und auch die jüngere Entwicklung im Vertragsrecht adäquat erfassen, erscheint auch Letzteres unverzichtbar. Besonders prominent wird in jüngerer Zeit bei der Suche nach dem Proprium der Rechts- und Privatrechtswissenschaften nicht nach dem inhaltlichen Leitprinzip, sondern nach der Stellung derselben im Konzert der Gesellschaftsund Geisteswissenschaften und nach ihrer Methodenwahl gefragt.16 2. Praxis Ähnlich schlaglichtartig kurz muss (und kann) der Blick auf die Praxis ausfallen. In den (doch dominanten) Großkanzleien gelten „Mergers & Acquisitions“ als die Königsdisziplin, daneben auch das „Family Office“, mit dem es ja nicht primär um das Familienrecht der Betroffenen, sondern um die rechtsgestaltende Begleitung des gesamten wirtschaftlichen, aber auch damit zusammenhängenden privaten Lebens der Betroffenen geht.17 Sicherlich ist auch das Deliktsrecht, etwa Straßenverkehrsunfallrecht, von überragender Bedeutung, aber doch eher Massengeschäft. Jedenfalls sucht man eine vergleichbare, eng gestrickte Zusammenbindung wie zwischen Vertrags- und Gesell15 Besonders prominent (teils vor allem für das Schuldrecht) Bydlinski (Hrsg.), Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2005, S. 72; ders. Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 123, 126–131; ders. System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S. 147–171; Canaris Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz – entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts, 1969, S. 52–58; ders. Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997, S. 44 f.; aus gesellschaftsrechtlicher bzw. europaprivatrechtlicher Sicht etwa Wiedemann Gesellschaftsrecht, Bd. 1, 1980, §§ 3–6; bzw. Flessner, Juristische Methode und europäisches Privatrecht, JZ 2002, 14, 18. 16 Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, 2007; dazu auch etwa Eidenmüller Rechtswissenschaft als Realwissenschaft, JZ 1999, 53; und früh Esser Dogmatik zwischen Theorie und Praxis, FS L. Raiser, 1974, S. 517, 537. 17 Für eine Beschreibung der umfassten Tätigkeiten siehe: Menü nach Wahl, in Wirtschaftsblatt, 26.11.2008, S. 12; Leibwächter fürs Vermögen, in Markt und Mittelstand, 01.03.2008, S. 82 Heft 3/2008; Im Dienste der Familie, in Welt am Sonntag 10.12.2006, S. 108.

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schaftsrecht in den oben genannten Gebieten schon zwischen Deliktsrecht und Vertragsrecht vergebens. Die Ausnahme bilden die Bereiche, in denen Deliktsrecht recht eigentlich als Annex zu einer Gestaltungsbeziehung verstanden wird, insbesondere das Produkthaftungsrecht und soweit §§ 328 oder 826 BGB fruchtbar gemacht werden, um Ansprüche aus Vertragsbeziehungen auf Dritte zu erstrecken, die diese Vertragsbeziehung beeinflussen ohne Vertragspartner zu sein. Auch das – weltweit – am intensivsten wirkende Großereignis des Privatrechts der letzten Jahrzehnte (einschließlich seines Ordnungsrahmens), die Weltfinanzkrise,18 warf aus rechtlicher Perspektive eigentlich nur Fragen aus einem Konglomerat von Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Vertragsrecht auf … mitsamt ihres Ordnungsrahmens. Schon diese beiden Aspekte legen es auch aus Praxissicht nahe, eine Einheit und entsprechende Verbindungslinien unter dem Gesichtspunkt Gestaltungsmacht und ihrer Grenzen zumindest einmal in Erwägung zu ziehen und durchzuüberlegen. Dies soll zunächst im Kontrast zu einer „Einheit“ des Bürgerlichen Rechts oder doch zumindest des Obligationenrechts geschehen, weil es sich hierbei um die klassischen Entwürfe einer Einheit des Privatrechts handelt, die auch noch heutige Kodifikationsentwürfe prägen (unten III.). Im Anschluss daran werden dann die Verbindungslinien zwischen Organisations- und Transaktionsrecht in den Blick genommen, weil sie für den hier diskutierten Alternativvorschlag von Einheit des Privatrechts zentral sind (unten IV.). Der herkömmliche Entwurf wird dabei als primär formal ausgerichtet erkannt, der Alternativvorschlag als inhaltlich getragen. Auch die Folgerungen, die sich hieraus für Kodifikationen ergeben könnten, sollen nicht gänzlich ausgeblendet werden (unten V.).

III. Einheit als Frage der Konzeption des Privatrechts 1. Bürgerliches Recht Wenn mit der Kodifikation vom äußeren System, jedoch auch von ihrem Anspruch her die Frage nach der Einheit des Privatrechts besonders thematisiert wird,19 so liegt es nahe, vom Bürgerlichen Recht auszugehen. Denn der 18 Vgl. nur Hopt/Fleckner/Kumpan/Steffek Kontrollerlangung über systemrelevante Banken nach den Finanzmarktstabilisierungsgesetzen (FMStG/FMStErgG) WM 2009, 821–834; Hopt Vernunft in der Krise, in Handelsblatt 08.10.2008, S. 23; ders. Gefahr einer Überregulierung (Interview) in Handelsblatt 02.01.2009, S. 12; ders. Enteignung ist zulässig, in Handelsblatt 1.4.2009, S. 19; sowie etwa Grundmann/Hofman/Möslein (Hrsg.), Finanzkrise und Wirtschaftsordnung, 2009; Spindler Finanzkrise und Gesetzgeber – Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, DStR 2008, 2268–2276; sowie die sich derzeit herausbildende Contract Governance Diskussion, unten Fn. 69. 19 Schließlich geht das Anliegen der klassischen Kodifikation gerade dahin, die möglichen Rechtsfragen zwischen Privatrechtssubjekten im Wesentlichen umfassend abzu-

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Code Civil von 1804 propagiert – zumindest implizit – das Bürgerliche Recht als die Kerneinheit des Privatrechts, auch der darauf folgende Code de Commerce von 1807 wurde eher als eine Ergänzung verstanden, sicherlich nicht von gleichem Prestige. Das ändert sich auch mit der Kodifikation von Bürgerlichem und von Handelsrecht in Deutschland nicht grundsätzlich, obwohl sich die Ordnung im Bürgerlichen Recht wesentlich ändert. Letzteres liegt vielleicht nicht einmal so sehr an der viel gefeierten Gliederungs- und Abstraktionsleistung der Väter des Bürgerlichen Gesetzbuches wie an Folgendem: Seit dem BGB werden Bücher Rechtsgebieten zugeordnet, die sich über lange Zeit und über die Rechtssysteme hinweg als solche etabliert haben: Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht sowie – in einem Buch zusammen gestellt – Vertragsrecht und Deliktsrecht (daneben Bereicherungsrecht).20 Die Trennung zwischen Bürgerlichem und Handelsrecht ist auf dem Kontinent immer noch prägend, etwa auch in Österreich oder selbst in Ländern wie Italien, das von der Kodexstruktur her beide Teile integriert hat (so der Codice Civile von 1942),21 jedoch Civilisti und Commercialisti als zwei eherne Fraktionen kennt. Und das System des BGB, jedenfalls seiner ersten drei Bücher, wird mit dem Gemeinsamen Referenzrahmen im Wesentlichen auch als Entwurf für einen Europäischen Kodex wieder vorgeschlagen.22 In der Quintessenz erscheinen die bürgerlichrechtlichen Gebiete als die Kerneinheit des Privatrechts, jedenfalls das bürgerlichrechtliche Vermögensrecht – dies für die Kodifikationsbemühungen seit 1800 bis in die jüngste Zeit hinein. Und während ein Brückenschlag zum vertragsrechtlichen Teil des Handelsrechts („Handelsgeschäfte“) selbstverständlich ist, fehlt derjenige zum eigentlichen Kern des Handelsrechts, dem Firmen-, Organisations- und Gesellschaftsrecht, weitgehend. Fragt man freilich nach dem Band zwischen den einzelnen Rechtsgebieten im BGB, so wird vor allem auf ein formales Kriterium verwiesen: Im dritten Buch sind die absoluten Rechte, die Rechte erga omnes, im zweiten die relabilden. Hierzu und zur Kodifikationsidee etwa Lurger Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, 2002, S. 36 f.; Schreckenburger Die Gesetzgebung der Aufklärung und die Europäische Kodifikationsidee, in Merten/Schreckenburger (Hrsg.), Kodifikation gestern und heute, 1995, S. 87, 89 f.; K. Schmidt Die Zukunft der Kodifikationsidee, 1995; Münch Strukturprobleme der Kodifikation, in Behrends/Sellert (Hrsg.), Der Kodifikationsgedanke und das Modell des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2000, S. 147; Canaris (Fn. 15, Systemdenken); Zimmermann Codification: history and present significance of an idea (1995) 3 ERPL 95. 20 Näher Grundmann Structural Elements in the Contract Law Parts of the German Civil Code, in Grundmann/Schauer (Hrsg.), The Architecture of European Codes and Contract Law, 2006, S. 57, 59. Dort auch näher zum Folgenden. 21 Grundmann in Grundmann/Zaccaria Einführung in das italienische Recht, 2007, S. 190–192. 22 Folgerichtig integriert der italienische Kodex in seinem 5. Buch auch das Unternehmensrecht, einschließlich des Arbeitsrechts.

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tiven, die Rechte inter partes, geregelt – mit den bekannten Ausnahmen oder Überschneidungen, etwa in §§ 985 ff. BGB und §§ 823 ff. BGB, die beide auf den Eingriff in absolute Rechte reagieren und dies beide durch die Statuierung eines (relativ ausgestalteten) Anspruchs. Vor allem das Familienrecht, aber auch das Erbrecht werden ohnehin bereits in einer gewissen Ferne zu den ersten drei Büchern gesehen. Ein großer Schritt im BGB war auch der, die beiden zuletzt genannten, eher statusorientierten Rechtsgebiete, die auch nicht das tägliche Massengeschäft betreffen, sondern eher große Einmalsituationen, ans Ende zu rücken, auch das Eigentumsrecht weiter nach hinten – anders als vorher das (an Iustitians Institutiones angelehnte) Institutionensystem, dem der Code Civil, das AGBG und alle Folgekodifikationen gefolgt waren – und damit zugleich das Schuld- und vor allem Vertragsrecht ganz an die Spitze zu setzen, gefolgt vom Sachenrecht, die beide mehr das tägliche Leben betreffen. Das Sachenrecht hat freilich außer der genannten formalen Parallelstellung mit oder Frontstellung gegenüber dem Schuldrecht mit dem Vertragsrecht praktisch nur eines gemein: die Rechtsgeschäftslehre, die sich hier auf den Erwerb von dinglichen Rechten durch privatautonome Transaktion bezieht. In den vielen Ländern ohne Abstraktionssystem gründen diese Regelungen des „Sachenrechts“ ohnehin im Vertragsrecht.23 Jedenfalls jedoch besteht „Einheit“ dann doch vor allem dort, wo sie in der privatautonomen Gestaltungsmacht gründet. Im Kernsachenrecht – mit der Definition von absoluten Rechten und ihrer Schutzwirkungen – fehlen demgegenüber Überschneidungen mit dem Vertragsrecht praktisch vollständig. Es fehlt das die Einheit begründende Kernkriterium zwischen Sachen- und Vertragsrecht. Komplexer ist das Verhältnis zwischen Sachenrecht hier und Delikts- und auch Bereicherungsrecht dort. Darauf kommt es jedoch nicht wirklich an, wie ein Blick auf das Schuldrecht belegt: 2. Schuldrecht Stärker scheint die Einheit im Schuldrecht. In der Tat lenkt das zuletzt Gesagte den Blick geradezu zwingend auf das Schuldrecht. Dieses entscheidet über das Maß tatsächlich bestehender Einheit im Bürgerlichen Recht, über eine die Einheit konstituierende Ordnung desselben. Denn wenn das Sachenrecht mit dem Vertragsrecht fast nur in den Teilen Gemeinsamkeiten aufweist, in denen Transaktionen auf Grund privatautonomer Gestaltungsmacht geregelt sind, und wenn umgekehrt auch zwischen Deliktsrecht und Vertragsrecht ein Einheit stiftendes Leitkriterium nicht auszumachen wäre, stünde jedenfalls das Herz der Bürgerlichen Rechts isoliert. Denn als solches 23 Zu Abstraktions- und Konsensualprinzip vgl. etwa die breite Übersicht in Ranieri Europäisches Obligationenrecht – ein Handbuch mit Texten und Materialien, 3. Aufl. 2009, S. 1051–1110.

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hat man das Vertragsrecht – oder etwas traditionsfreundlicher ausgedrückt: das Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse 24 – doch zweifelsohne zu verstehen. Die Frage stellt sich, ob jedenfalls die Schuldverhältnisse ein inneres Band eint, das wesentlich über das formale hinaus reicht. Die Architektur des BGB – und mit ihr auch die Ausbildung eines Schuldrechts – wird ja auch als eine der größten Leistungen des BGB-Gesetzgebers gefeiert.25 Fast noch intensiver erscheint diese Zusammenstellung im Schweizerischen Recht, in dem das Obligationenrecht sogar kodifikatorisch als besondere Einheit erscheint: als eigenes Gesetz neben dem (sonstigen) Zivilgesetzbuch. Doch auch in Ländern, in denen die Anlage des Kodex dies nicht einmal nahe legen würde, bildet doch die bürgerlichrechtliche Doktrin praktisch einhellig oder jedenfalls überwiegend ein Obligationenrecht aus, namentlich in Österreich und Italien, aber auch Frankreich,26 natürlich auch in Portugal und Griechenland, die in der Anlage ihrer Kodifikation dem deutschen Vorbild ungleich enger folgten. Bei einer Durchsicht der Normen des Allgemeinen Teils des Schuldrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch fällt dann auf, dass von den wichtigen Normen praktisch alle zwar für das Vertragsrecht (und teils auch für andere Gebiete mit starkem Bezug zur Rechtsgestaltung) von Bedeutung sind, die wenigsten jedoch auch für das Deliktsrecht. Die Hauptinstitutionen sind wohl zu sehen im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), in den Regeln zur Gattungsschuld (§ 243 BGB), im Gesamtkomplex Inhaltsbestimmung und -präzisierung (§§ 257 ff., bes. §§ 269–271 BGB), vor allem jedoch im Leistungsstörungsrecht mit Unmöglichkeit, Schlechterfüllung und Schuldnerverzug (§§ 275–289 BGB, §§ 323 ff. BGB). Von all diesen Regeln ist diejenige über das Vertretenmüssen (§§ 276 f. BGB) die einzige mit erheblicher Bedeutung auch im Deliktsrecht (auch diese schon mit anderer Beweislast, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Alle anderen beziehen sich auf die privatautonome Gestaltung des Schuldverhältnisses und die Durchführung eines solchermaßen gestalteten Schuldverhältnisses, nur sehr theoretisch und auch allenfalls zum Teil auch einmal auf die regelmäßig in Geld zu erbringende deliktische Schadensersatzpflicht. Noch offensichtlicher ist der Bezug allein auf das Vertragsrecht bei

24 So der Titel des – im Themenzuschnitt für Deutschland durchaus Weg weisenden – Lehrbuchs von Oetker/Mautzsch Vertragliche Schuldverhältnisse, 3. Aufl. 2007. 25 Vgl. zur ursprünglichen Bewertung Schwarz, in Symbolae Friburgenses in honorem Ottonis Lenel, 1935, S. 425, 470 f.; geradezu euphorisch Maitland: “Never, I should think, has so much first-rate brainpower been put into an act of legislation”, zitiert nach Schwarz (ebd.); später Wieacker Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 475–484; und heute Übersicht Staudinger/Olzen (2005) Einl zu §§ 241 ff., Rn. 318–336. 26 Vgl. nur Bianca Diritto Civile, Bd. IV: L’obbligazione, 1993, bes. S. 1–16; FabreMagnan Les obligations, 2. Aufl. 2007, bes. S. 1–3; Malinvaud Droit des obligations, 7. Aufl. 2001, bes. S. 2–4; Welser in Koziol/Welser, Bürgerliches Recht, Bd. II, 13. Aufl. 2007, bes. S. 1–3.

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den anschließenden Komplexen AGB-Kontrolle, besondere Vertriebsformen, einseitige Leistungsbestimmungsrechte und die gesamten Abschnitte, die schon formal nur für „gegenseitige Verträge“ bzw. „Versprechen an Dritte“ gelten (§§ 320–327, 328–335 BGB). § 311 BGB differenziert denn auch dezidiert zwischen rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Begründung eines Schuldverhältnisses als zwei grundverschiedenen Entstehungstatbeständen. Eine echte Ausnahme bildet allein das Schadensrecht (§§ 249–255 BGB), das für Vertrags- und Deliktsrecht gleichermaßen wichtig ist. Jedoch auch hier wird bereits im Ausgangspunkt geteilt: Während der Schuldner im vertraglichen Schadensrecht im Grundsatz erst einmal die Chance hat, den Schaden selbst zu beheben (zweite Chance, auch schon in §§ 249 ff. BGB), gilt das gleiche im deliktischen Schadensrecht gerade nicht. Denn in den typischen Deliktsfällen ist sofort Geldersatz geschuldet (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB) und dies mit gutem Grund: Der große Unterschied zwischen beiden Teilbereichen des Schuldrechts liegt eben darin, dass sich die Partner in dem einen Fall ausgewählt haben, das Näheverhältnis also freiwillig begründet haben, in dem anderen nicht (der Geschädigte ist sog. „forced creditor“). Manche Rechtsordnungen, wie die französische, ziehen daraus sogar den Schluss, dass beide Regime auch nicht konkurrierend zur Anwendung kommen (Grundsatz des non-cumul).27 Und selbst im deutschen Recht gibt bei Konkurrenz doch primär das Vertragsrecht den Ausschlag.28 Vertretenmüssen und Schadensrecht als gemeinsames Band – dies ist recht wenig, zumal dann auch dort noch signifikant unterschiedliche Regime für Vertrag und Delikt vorgesehen werden.29 Und das Bereicherungsrecht ist doch spätestens seit der Unterscheidung zwischen Leistungs- und Nichtleistungskondiktion (vor allem in Form der Eingriffskondiktion) vor allem ein Annex einerseits zum Vertragsrecht (für nichtige Verträge) und andererseits zum Deliktsrecht, zu dem der bereicherungsrechtliche Eingriff strukturell deutliche Parallelen aufweist.30 In der Quintessenz ist also festzustellen, dass der Vertrag gegenüber dem Delikt und dem daraus folgenden Sonderrechtsverhältnis ähnlich abgeson-

27 Vgl. nur Cornu Le problème du cumul de la responsabilité contractuelle et de la responsabilité délictuelle, in Études de droit comparé, 1962, S. 239; Fabre-Magnan (vorige Fn.) S. 641–643 (Rn. 235). 28 Vgl. nur BGHZ 96, 221, 229–230; BGH NJW 1986, 922, 924; BGH NJW-RR 05, 172. 29 Ähnlich könnten die verbleibenden Titel des Allgemeinen Teils des Schuldrechts zu Erlöschen, Wechsel und Mehrheit der Parteien durchgegangen werden, obwohl hier etwas mehr gemeinsamer Regelbestand zu finden ist. 30 Vgl. zuletzt (breit international vergleichend) Sirena The DCFR – Restitution, Unjust Enrichment and Related Issues, (2008) 4 ERCL 450; im deutschen Recht wird die Leistungskondiktion, wenn man sie mit der h.M. von der Nichtleistungskondiktion trennt und darin den wichtigsten Schnitt im Bereicherungsrecht sieht, im Kern überzeugend als die «Fortsetzung des Vertragsrechts mit anderen Mitteln» verstanden; vgl. nur Reuter/Martinek Handbuch des Schuldrechts: Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, S. 75.

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dert und isoliert erscheint wie gegenüber dem gesamten Sachenrecht, soweit es dort nicht um privatautonom angestoßene Transaktionen geht. Also keine Einheit im Bürgerlichen Recht mit dem Vertragsrecht als seinem Kern? 3. Gestaltung und Bindung als Kern Sieht man auf Grund der oben genannten Strukturen die privatautonome Gestaltung und ihren Ordnungsrahmen als den Kern des Privatrechts, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild: Diejenigen Rechtsgebiete, die für eine privatautonome Gestaltungsfreiheit überragend wichtig und von ihr gänzlich durchdrungen und geprägt sind, zugleich diejenigen Rechtsgebiete, für die ein diese erhaltender Ordnungsrahmen vor allem diskutiert wird, sind das Vertragsrecht und das Gesellschaftsrecht – viel mehr schon als das Sachen- oder Familienrecht, jedenfalls jedoch als das Deliktsrecht oder das Bereicherungsrecht, soweit es nicht inhaltlich einen Annex zum Vertragsrecht bildet (etwa Eingriffs- oder Verwendungskondiktion). Geht man also von solch einer Umschreibung des Proprium des Privatrechts aus, erscheint eine Zusammenstellung, wie wir sie heute im BGB finden, primär historisch bedingt und nicht etwa zwingend aus der Sache begründet. Wichtig ist im Ausgangspunkt, dass Gestaltung und Ordnungsrahmen in den Blick zu nehmen sind. Auf beiden Seiten erscheinen das Vertragsrecht, zumal das Vertragsrecht der letzten Dekaden, und das Gesellschaftsrecht, daneben auch das Arbeitsvertragsrecht als der eigentliche Kern, als diejenigen Rechtsgebiete, die trotz aller Unterschiede besonders enge Strukturparallelen aufweisen. Privatautonome Gestaltung – nirgends ist sie so dominant wie im Vertragsrecht und im Gesellschaftsrecht, selbst im Aktienrecht und im Arbeitsvertragsrecht ist sie noch dominant, vor allem, wenn man auch über Deutschland hinausschaut 31 und die Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG auf dem Rückzug sieht.32 Und das für die großen Aktiengesellschaften überragend

31 Zur Satzungsstrenge rechtsvergleichend vor allem Lutter/Wiedemann (Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998; kurzer Überblick in Grundmann (Fn. 5) Rn. 406–409; sowie Fn. 32. 32 Zur Kritik der deutschen Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) grundlegend Mertens Satzungs- und Organisationsautonomie im Aktien- und Konzernrecht, ZGR 1994, 426; etwa die Beiträge von Hirte und Hopt in Lutter/Wiedemann ( Fn. 31); sowie Spindler Deregulierung des Aktienrechts?, AG 1998, 53, bes. 73; ders. Regeln für börsennotierte vs. Regeln für geschlossene Gesellschaften – Vollendung des Begonnenen?, AG 2008, 598, 598–603; Eidenmüller Kapitalgesellschaftsrecht im Lichte der ökonomischen Theorie, JZ 2001, 1041, 1046; jedenfalls für nichtbörsennotierte AG inzwischen schon der Mehrheitstrend, unterstützt vor allem auch durch die Diskussion um das Börsengesellschaftsrecht auf dem Deutschen Juristentag 2008; vgl. Bayer Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?, Gutachten E, 67. DJT 2008, E5, E81–E87

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wichtige Kapitalmarktrecht ist im Kern ja Informationsrecht und soll als solches gerade privatautonome Einflussnahme auf die Aktiengesellschaft und ihren Bestand ermöglichen.33 Auf Grund des Gesagten verwundert es auch nicht, dass gerade für das Gesellschaftsrecht die Figur des „nexus of contracts“ prominent geworden ist (dazu dann später noch). Und zwischen beiden, Vertrags- und Gesellschaftsrecht, haben sich die Zwischenbereiche auch deutlich sichtbar entwickelt, bis hin zu eigenständigen Rechtsgebieten. Kapitalmarktrecht, Outsourcing und Vertragsnetze sind hier wichtige Stichworte. Natürlich sind auch Teile des Familienrechts gestaltbar, jedoch schon im Ausgangspunkt nur Teile. Zudem ist die Gestaltungsmacht dort doch deutlich beschränkter, sie ist jedenfalls praktisch nicht allgegenwärtig und massenhaft gelebt. Und im Erbrecht ist – recht holzschnittartig – doch die Hälfte des Nachlasses grundsätzlich der nahen Familie reserviert, über die andere Hälfte ist die Verfügungsmacht recht frei, allein § 138 BGB bildet die Grenze.34 Das ist auch nicht entfernt vergleichbar mit dem subtil und nuanciert ausdifferenzierten Gleichgewicht von Gestaltungsfreiheit und Ordnungsrahmen (Schutzkautelen) im Vertrags- und Gesellschaftsrecht. In jedem Falle jedoch erscheint das Vertragsrecht als Leitbild, wenn im Familien- und teils auch im Erbrecht die Fragen von Gestaltungsfreiheit und ihren Grenzen diskutiert werden. Der Schnitt im Sachenrecht zwischen privatautonomen Transaktionen und sonstigem Sachenrecht wurde bereits angesprochen. Doch auch auf der Seite des Ordnungsrahmens erscheinen Vertrags- und Gesellschaftsrecht herausgehoben: Offensichtlich ist das in dem Rechtsgebiet, das als das Leitbild eines jeden „Ordnungsrechts“ zu gelten hat, in Deutschland und in Europa (und darüber hinaus): Das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist sehr gezielt gerade auf diese beiden Rechtsgebiete bezogen, das Kartellrecht auf die Gestaltungsfreiheit durch Vertrag, das Fusionskontrollrecht auf die Gestaltungsfreiheit in gesellschaftsrechtlichen Formen. Gleiches gilt für das Informationsmodell, mit dem das zweite und und E96–E98; Windbichler Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?, JZ 2008, 840, 842 f. und 846; parallel in Österreich Schauer/ Kalss Die Reform des Österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, 16. ÖJT Bd. II/1 2006, bes. 51–65. 33 Für diese Ausrichtung von Informationsregeln (trotz ihres überwiegend zwingenden Charakters): Grundmann Parteiautonomie im Binnenmarkt – Informationsregeln als Instrument, JZ 2000, 1133 (= [2002] 39 CMLR 269); Schön Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – zu einer (neuen) Grundlage unserer Zivilrechtsordnung, FS Canaris, 2007, S. 1191. 34 BGHZ 111, 36, 39–40; 140, 118, 128; BGH WM 1983, 19, 20. Nicht verkannt werden darf freilich, dass sich das Erbrecht im Gefolge der französischem Revolution vergleichbar zu einem in Privatautonomie fußenden Rechtsgebiet entwickelte, aber eben in der rechtlichen Diskussion nicht mehr als das in den wichtigen Fragestellungen führende; zur Entwicklung plastisch Canaris (Fn. 15); Parnes/Vedder/Willer Das Konzept der Generation, 2008, S. 101 ff.

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ähnlich prominente Bedürfnis von Ordnungspolitik befriedigt werden soll.35 Auch Informationsregeln haben ihren Hauptanwendungsbereich im Vertragsrecht hier, durchaus auch dem Arbeitsvertragsrecht, und im Gesellschaftsrecht dort.36 Und nicht zuletzt ist das Verfassungsrecht als Grundlage eines Ordnungsrahmens für das Privatrecht doch nirgends so prominent ausgebildet worden wie für das Vertragsrecht, namentlich mit den Handelsvertreter- und den Bürgschaftsentscheidungen.37 Weniger allgemein bekannt, jedoch ebenfalls durchaus dicht ist die verfassungsrechtliche Parallelentwicklung im Gesellschaftsrecht, dort dann zum Minderheitsschutz als dem Pendant zum Schwächerenschutz im Vertragsrecht.38 Bilden privatautonome Gestaltungsmacht und ihr Ordnungsrahmen den Kern des Privatrechts, erscheint ein Nexus in einem ganz neuen Licht: derjenige zwischen Vertragsrecht und den zwei prominentesten privatrechtlichen „Nebengebieten“, dem Gesellschaftsecht, aber auch dem Arbeits-, vor allem dem Arbeitsvertragsrecht. Selbst in Kodifikationen finden sich für solch eine Verbindung durchaus auch Beispiele, namentlich im italienischen Codice Civile (5. Buch), jedoch auch im brasilianischen Código Civil (mit dem Gesellschaftsrecht im 2. Buch des Besonderen Teils). 35 Bekanntlich führten Probleme von Information zu einer zweiten großen „Welle“ von Marktordnung, etwa im Kapitalmarktrecht – nach derjenigen, die Probleme der Wettbewerbsbeschränkung betraf. Bekanntlich war hierfür vor allem auch die Ausbildung der Informationsökonomie seit den 70er Jahre verantwortlich, nachdem vorher die wirtschaftswissenschaftliche Theorie vollständiger Konkurrenz (und damit das Wettbewerbsrecht) im Vordergrund gestanden hatte. Für diese Entwicklung im Bereich Information grundlegend Akerlof The Market for ‘Lemons’: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, 84 Quarterly Journal of Economics 488 (1970); Spence Market Signalling – Information Transfer in Hiring and Related Screening Processes, 1974; Stigler The Economics of Information, 3 Journal of Political Economy 213 (1961); heute etwa Magat in Newmann (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics, Bd. 2, 2002, S. 307–310 (‘Information Regulation’); auch Grundmann/Kerber/Weatherill (Fn. 36). 36 Vgl. im Vertragsrecht Fleischer Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001; Grundmann Information, Party Autonomy and Economic Agents in European Contract Law (2002) 39 CMLR 269; Schulze/Ebers/Grigoleit (Hrsg.), Informationspflichten und Vertragsschluss im Acquis Communautaire, 2003. Im Gesellschaftsrecht Grundmann Information und ihre Grenzen im Europäischen und neuen englischen Gesellschaftsrecht, FS Lutter, 2000, S. 61; Grohmann Das Informationsmodell im Europäischen Gesellschaftsrecht, 2006. Im Arbeitsvertragsrecht etwa Riesenhuber Nachweispflichten – Ansprüche auf Information über Vertragsbedingungen im Europäischen und deutschen Vertragsrecht, FS Bezzenberger, 2000, S. 721. Übergreifend Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, 2001; Schön FS Canaris, 2007, S. 1191. 37 BVerfGE 81, 242–263; 89, 214–236. 38 Vgl. dazu zuletzt ausführlich Hofmann Der Minderheitsschutz im Gesellschaftsrecht, 2010 (im Erscheinen) passim und Beitrag in dieser Festschrift. Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch das Familienrecht zu nennen, wo vor allem die internationalprivatrechtliche Anknüpfung (an das Statut des Mannes) auf Grund verfassungsrechtlicher Vorgaben korrigiert wurde.

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Vertragsrecht als Gestaltungsrecht zu verstehen, in dem auch die regulierenden Teile mit zu denken sind, hat durchaus auch Folgen für den Stil: Nimmt man privatrechtliche Gestaltung und Schutzbedürfnisse als zentral in den Blick, erhält das Vertragsrecht ein Gepräge, das traditionell eher dem Unternehmens- und Wirtschaftsrecht eignet. Dass das Vertragsrecht vor allem in einem Kontext von Rechtsgebieten erforscht wird und wurde, in denen Gestaltung, Planung, jedoch auch wirtschaftsrechtliche Ordnungspolitik keine oder eine ungleich geringere Rolle spielen, hat den Stil in den Vertragsrechtswissenschaften und in den Gesellschaftsrechtswissenschaften erstaunlich weit auseinander treiben lassen. Sind die Vertrags- bzw. Schuldrechtswissenschaften stärker dogmatisch geprägt, weniger gestaltungsorientiert und auch nicht primär praxisorientiert, ist ebendies – zusammen mit einer signifikant interdisziplinären Ausrichtung – prägend für die Gesellschaftsrechtswissenschaften. So schwer fassbar der Begriff der Governance auch ist, seine überragende Bedeutung im Gesellschaftsrecht und nicht im Vertragsrecht wirft durchaus ein Schlaglicht auf die Stilunterschiede. Das wird abschließend nochmals aufzugreifen sein (unten IV.5.). Gesellschaft(srecht) und Vertrag(srecht) oder „Firm and Market“ – das ist kein gelebtes „Paar“ in den Privatrechtswissenschaften in Kontinentaleuropa. Für das Vertragsrecht bedeutet die fehlende Zusammensicht mit dem Gesellschaftsrecht als dem zweiten großen Teil eines primär an der Privatautonomie ausgerichteten Privatrechts, dass offensichtliche Parallelen wenig diskutiert werden – und dies zum Schaden beider Disziplinen, vielleicht mehr noch des Vertragsrechts und seiner Fortentwicklungschancen. Dies kann im Folgenden für vier Fragenkomplexe angesprochen werden:

IV. Verbindungslinien zwischen Organisationsund Transaktionsrecht (Firm and Market) Wenn im Folgenden Verbindungslinien zwischen Gesellschaftsrecht und Vertragsrecht in den Blick genommen werden, so soll zunächst auf Kerninhalte zentraler Regeln und Prinzipien eingegangen werden – namentlich zur Vernetzung (unten 1.) und zur Regelung der Langfristigkeit der Zusammenarbeit (unten 2.). Diese erscheinen als zentrale, vielleicht als die zentralen Charakteristika im jeweiligen Typ von Regelwerk. Im Anschluss daran kann – etwas abstrakter – auf wichtige Fragen der Regelungsperspektive und -technik eingegangen werden, namentlich darauf, welche Außenwirkungen des privatautonom geschaffenen Regelwerks zu bedenken sind (unten 3.), wie im Regelwerk privatautonome und funktionsschützende Gehalte zusammen kommen (unten 4.) und – besonders allgemein – welche Parallelen aus der Perspektive der Governanceforschung auffallen (unten 5.). Bei all dem wird zu fragen sein, ob der Schnitt zwischen Gesellschaftsrecht und Vertragsrecht,

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der Rechtsgebiete scheidet, dieselbe Trennung bezeichnet, wie sie in der ökonomischen Theorie im Anschluss an Ronald Coase breit diskutiert wird: Als zentrale Alternativen für die privatautonome Gestaltung werden dort Organisation (Firm) und Transaktion (Market) verstanden.39 Umgekehrt einer eigenen Publikation vorbehalten bleiben die bemerkenswerten Parallelen im Kollisionsrecht und bei der Entwicklung der Grundfreiheiten, die im Privatrecht primär dem Vertrags- und Gesellschaftsrecht gelten. Ihre Behandlung würde den Rahmen sprengen. 1. Nexus of Contracts Vertragsnetz oder nexus of contracts – das ist ein Konzept im Vertragsebenso wie im Gesellschaftsrecht. Zudem ist die mit dem jeweiligen Begriff im jeweiligen Rechtsgebiet zum Ausdruck gebrachte Kernidee jedenfalls im Ausgangspunkt gar nicht so unterschiedlich: Im Vertragsrecht geht es vor allem um die Frage, welche Wirkung der Umstand entfaltet, dass alle Parteien ein Netz von Verträgen wollen, weil dieses für den eigenen Erfolg unverzichtbar ist. Denkbar ist zum einen, dass auf Grund dieses Umstandes Inhalt und Auslegung des jeweiligen Einzelvertrages (Kettenglied) zu modifizieren sind, etwa eine Verjährungsfrist erst nach Abschluss des letzten Vertrages downstream zu laufen beginnt. Denkbar ist zum anderen auch, dass auf Grund dieses von allen geteilten Ziels (Netzerfolg) Ansprüche außerhalb der Einzelverträge möglich sind, also über die Vertragsgrenzen hinweg, etwa Direktansprüche – z.B. Schadensersatzansprüche – zwischen zwei Mitgliedern des Vertragsnetzes, zwischen denen jedoch kein Vertrag besteht. Es geht also jeweils darum, das Ergebnis, das im Einzelvertrag erzielt wurde, im Lichte des Netzzusammenhangs zu modifizieren.40 Die Arbeiten, die speziell Vertragsnetzen gelten, bejahen eine der beiden Fragen durchweg. Allein solche relativ jungen (und supranational konsentierten!) Normen wie § 478 BGB (und Art. 4 EG-Kaufrechts-Richtlinie) legen nahe, dass ebendies auch die Sicht des Europäischen und natio-

39 Coase The Nature of the Firm, 4 Economica 386 (1937); „Wunder des Marktes“ (v. Hayek) und „Wunder des Unternehmens“ (Barnard The Functions of the Executive, 1938, etwa S. 6); und heute Easterbrook/Fischel The Economic Structure of Corporate Law, 2. Aufl. 1996, S. 8 f.; Eidenmüller JZ 2001, 1041, 1042; Hart Firms, Contracts, and Financial Structure, 1997, S. 6–8, 15–55. 40 Vgl. nur Amstutz Vertragskollisionen: Fragmente für eine Lehre von der Vertragsverbindung, FS Rey, 2003, S. 161, 168–170; Grundmann Die Dogmatik des Vertragsnetzes, AcP 207 (2007) 718, 723 f.; Teubner Netzwerk als Vertragsverbund – Virtuelle Unternehmen, Franchising, Just-in-time aus sozialwissenschaftlicher und juristischer Sicht, 2004, S. 25–28, 141–143, 161 et passim; Wellenhofer Drittwirkung von Schutzpflichten im Netz, KritV 2006, 187, 192, 194 und 196 f. et passim.

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nalen Vertragsrechtsgesetzgebers ist. Streit herrscht vor allem darüber, ob Direktansprüche die Ausnahme oder den Regelfall bilden sollen und ob Modifikationen im jeweiligen Einzelvertrag relativ einfach angenommen werden können (auf Grund eines Sozialmodells „Netz“) oder eher nur unter der Voraussetzung, dass gewichtige Umstände für die Parteien nicht voraussehbar waren (entsprechend den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage).41 Im Gesellschaftsrecht hat die Theorie vom nexus of contracts eine gar nicht so verschiedene Stoßrichtung, freilich aus einem anderen Grunde. Die Kernidee geht dahin, dass die Gesellschaft als die Summe vertraglicher Beziehungen zwischen jedem Gesellschafter und jedem anderen Gesellschafter zu sehen ist, daher auch alle Gesellschafter gegeneinander unmittelbar Rechte und Ansprüche haben können.42 Diese Idee, die vor allem von Autoren mit rechtsökonomischer Ausrichtung propagiert wird, ist zunächst als Konzept zu verstehen, das den methodologischen Individualismus als das Axiom jeder institutionenökonomischen Betrachtung auch im Gesellschaftsrecht unmittelbar und anschaulich zum Ausgangspunkt macht. Diese Idee richtet sich praktisch jedoch auch und maßgeblich gegen die Überzeugung, dass die Gesellschafter in Juristischen Personen nur zu dieser in Sonderrechtsbeziehung träten, nicht zu anderen Gesellschaftern, eine Überzeugung, die nicht zuletzt durch die in Kontinentaleuropa starke Idee von der „realen Verbandsperson“ gefördert wurde.43 Jedenfalls in dieser Stoßrichtung erscheint die Theorie vom nexus of contracts sehr überzeugend und hat sich in Deutschland auch praktisch durchgesetzt, wie insbesondere auch die Entwicklung der Rechtsprechung und Dogmatik zur Treupflicht (auch) im Ak-

41 Von den Autoren der Fn. 40 jeweils für die eher weiter gehende Zulassung solcher netzinduzierter Abweichungen Teubner und auch Amstutz, für eine restriktivere Sicht hingegen Grundmann und Wellenhofer-Klein. Teubner sieht das Vertragsnetz als tertium zwischen Vertrag und Gesellschaft, ich selbst als teils deutlich vertragsrechtlich (etwa Prinzip der getrennten Kassen, vgl. im Folgenden), teils als Teil eines allgemeinen Rechts der Langzeitbeziehungen unter Einschluss von Vertrags- und Gesellschaftsrecht (unten 2.). Daher sind m.E. etwa gesellschaftsrechtliche Prinzipien zur Gewinnaufteilung gerade nicht übertragbar. 42 Zur Theorie vom nexus of contracts vgl. namentlich Alchian/Demsetz Production, Information Costs, and Business Organization, (1972) 72 The American Economic Review 777; Coase The Nature of the Firm, 4 Economica 386 (1937); Cheung The Contractual Nature of the Firm, (1963) 26 The Journal of Law and Economics 1; Jensen/Meckling Theory of the Firm – Managerial Behaviour, Agency Costs and Ownership Structure, (1976) 3 Journal of Financial Economics 305; Klein The Modern Business Organization – Bargaining under Constraints, (1982) 91 The Yale Law Journal 1521; Williamson Corporate Governance, (1984) 93 The Yale Law Journal 1196. 43 Grundlegend Gierke Deutsches Privatrecht, I. Band, Allgemeiner Teil und Personenrecht, 1895, Neudruck 2000, S. 456–475; vgl. heute etwa K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 2002, S. 189 f.

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tienrecht belegt.44 Denn letztlich geht es bei der Institution Juristische Person doch in der Zielrichtung nur darum, den Gesellschafter, der nicht selbst gehandelt und in Rechte anderer Gesellschafter eingegriffen hat, von einer persönlichen Haftung gegenüber Dritten frei zu stellen – nicht darum, ihm ein Handeln zu erlauben, das sich in Widerspruch zum Versprechen stellt, dass alle Gesellschafter den gemeinsamen Zweck verfolgen und der Gewinn nach einer vorbestimmten Quote aufgeteilt wird. Dieses Versprechen gibt konzeptionell tatsächlich jeder Gesellschafter jedem Gesellschafter. Letztlich dreht sich die Frage nach dem Minderheitsschutz daher primär um die Frage, wie die vereinbarte Quote auch faktisch gewährleistet wird,45 ohne der Gesellschaft die Flexibilität für die Fortentwicklung in die Zukunft zu nehmen. Wie im Vertragsrecht betrifft daher die Frage nach dem nexus of contracts die direkte gegenseitige Verpflichtung der Netzmitglieder auf die Einhaltung der Vereinbarung. Die Antwort auf diese Frage ist freilich m.E. eine grundsätzlich verschiedene: Während die direkte Verpflichtung allen Netzmitgliedern gegenüber im Gesellschaftsrecht die Regel bildet, bildet sie im Vertragsnetz nur die Ausnahme. Der eigentliche Grund hierfür liegt in einem bereits angesprochenen Punkt: Mit der Überlegung, dass der Gewinn im Gesellschaftsrecht ein gemeinsamer ist und nach einer vorbestimmten Quote aufgeteilt wird, ist der Hauptunterschied zwischen Vertragsnetz und Gesellschaft angesprochen. Im Gesellschaftsrecht gilt, wie immer die Gewinne dann quotal aufgeteilt werden, jeweils der Mechanismus, dass die Gewinne gemeinsam erwirtschaftet, also die Beiträge gepoolt, die Einnahmen gepoolt erzielt und dann (periodisch) nach einem vereinbarten Schlüssel oder Mechanismus verteilt werden. Dass der Verteilungsmodus extrem zugunsten mancher Mitglieder ausfallen kann (societas leonina), ändert nichts am Grundkonzept. Im Vertrag und auch im Vertragsnetz gilt demgegenüber das Prinzip der getrennten Kassen. Im ersten Fall muss für die Durchsetzung der Vereinbarung jedes Netzmitglied gegen jedes Netzmitglied, das die Vereinbarung bricht, einen Anspruch haben, weil (i) damit eine in der Tat gemeinsame Poolungs- und Aufteilungsvereinbarung verletzt wird und weil (ii) solch ein Direktanspruch auch plausibler erscheint bei einer gemeinsamen, allen Mitgliedern bekannten und von allen Mitgliedern gezeichneten Rechtsgrundlage 44 Die Treuepflicht bindet bekanntlich auch Aktionäre gegenüber Aktionären, auch Kleinaktionäre gegenüber anderen Aktionären vgl. vor allem BGHZ 103, 184, 194 (Linotype); seitdem st. Rspr., vor allem BGHZ 129, 136, 142–144 (Girmes) (auch Kleinaktionär); BGHZ 142, 167, 169 f. (Hilgers); zustimmend hierzu etwa Henze FS Kellermann, 1991, S. 151 f.; Hüffer FS Steindorff, 1996, S. 59, bes. 75 f.; Lutter ZHR 153 (1989) 446, 447–458, bes. 449–452; Wiedemann JZ 1989, 447; grundlegend vorher Lutter JZ 1976, 225, 225–233; Wiedemann FS Barz, 1974, S. 561, 569; heute unstreitig, vgl. nur GroßkomAktG/Henze/ Notz 4. Aufl. 2004, Anh. § 53a Rn. 7–9. 45 Vgl. etwa Grundmann Der Treuhandvertrag – insbesondere die werbende Treuhand, 1997, bes. S. 192–236 und S. 265–284; Hofmann (Fn. 38) passim.

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(Gesellschaftsvertrag). Bei einem Prinzip der getrennten Kassen ist umgekehrt solch ein Verstoß gegenüber Netzmitgliedern, die mit dem Betroffenen nicht zugleich vertraglich verbunden sind, keineswegs systematisch zu konstatieren. Denn die Absprache geht gerade dahin, dass jeder für sich wirtschaftet, d.h. dass in dieser Organisationsform die Vorteile von Markt gegenüber Organisation weiter gehend erhalten bleiben sollen.46 Meist fehlt auch ein gemeinsamer Vertrag (Netzvertrag als reine Fiktion). In Fragen Vernetzung kann also – auf Grund der Unterschiede im Ausgangspunkt, d.h. auf Grund des Prinzips gemeinsamer oder aber getrennter Kasse – durchaus im Ergebnis ein signifikanter Unterschied konstatiert werden. Und dieser läuft jedenfalls weit gehend parallel zu dem Leitgesichtspunkt, der in der ökonomischen Theorie für die Gegenüberstellung von „Firm“ oder „Market“ betont wird: Dort wird darauf abgestellt, dass in der „Firm“ die Suchkosten für stets neue Partner geringer sind (sog. search costs), umgekehrt jedoch die Überwachungskosten der „Netzmitglieder“ höher (direkte, ebenso wie solche des Versagens der Überwachung; sog. agency costs), und dass dies beim Markt gerade umgekehrt ist.47 Die agency costs haben beim Prinzip der gemeinsamen Kasse eine ganz andere Relevanz. Beim Thema Langfristigkeit ist freilich hierauf zurück zu kommen (unten 2.). Dass zwischen beiden Organisationsformen stets Übergänge bestehen und Grenzfälle Zuordnungsprobleme aufwerfen, spricht (wie allgemein) nicht gegen die Abgrenzung an sich, weil das Abgrenzungskriterium gemeinsame oder getrennte Kassen ein sehr grundlegendes ist. Spricht also der gemeinsame Zweck für die grundsätzliche Verbundenheit – und direkte Beziehungen zwischen allen Netzmitgliedern – und der bloße Netzzweck bei getrennten Kassen und häufig auch nicht einmal einheitlicher Vertragsgrundlage gegen eine solche und grundsätzlich für eine eher zurückhaltende Berücksichtigung des Netzzweckes, so bedeutet dies nicht, dass beide Modelle sich nicht auch teils annähern können: Jedenfalls parteiautonom kann fast alles aus dem Gesellschaftsrecht im Vertragsnetz nachgebildet werden – von ge46 Keine maßgebliche Bedeutung hat demgegenüber der Umstand, dass in diesen Fragen das Netz bzw. die Gesellschaft – etwa wegen des Mehrheitsprinzips – häufig eine ungeeignete Durchsetzungsinstanz ist. Das ist beim Vertragsnetz erst Recht der Fall, soweit dieses noch nicht einmal Entscheidungsorgane hat (obwohl solche durchaus denkbar und teils auch zu konstatieren sind). Nicht das Fehlen einer zentralen Durchsetzungsinstanz begründet den Direktanspruch, sondern das Vorhandensein solch einer Durchsetzungsinstanz kann umgekehrt die individuelle Ausübung des Direktanspruchs begrenzen. In diesen Fällen wird dem Prinzip der gemeinsamen Kasse dadurch Rechnung getragen, dass die Juristische Person Vorrang in der Rechtsdurchsetzung hat. Es bleibt jedoch, wenn diese keine Durchsetzung betreibt, die (individuelle) actio pro socio. Vgl. (teils auch für einen rechtsvergleichend breiten Konsens im Grundsatz) Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/ Kanda/Rock The Anatomy of Corporate Law, A Comparative and Functional Approach, 2. Aufl. 2010, S. 176 f. 47 Vgl. Nachw. Fn. 39.

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wissen Elementen gemeinsamer Kasse bis hin zu einem gemeinsamen Entscheidungsorgan für bestimmte Fragen. Und umgekehrt können im Gesellschaftsrecht, selbst im Aktienrecht, gewisse Fragen des Beitrags oder auch der Gewinnbeteiligung ausgeklammert werden, um dann hierfür das Prinzip der gemeinsamen Anstrengung und Kasse gerade nicht anzuwenden. Das macht die Trennung beider Pole nicht weniger notwendig und hilfreich – wie ja auch beispielsweise das Regime persönlicher Haftung aus dem Personengesellschaftsrecht im Kapitalgesellschaftsrecht etwa über Bürgschaften der Gesellschafter weit gehend nachgebildet werden und umgekehrt in der Personengesellschaft jedenfalls individuell dem jeweiligen Gläubiger gegenüber die begrenzte Haftung des Kapitalgesellschaftsrechts eingeführt werden kann. 2. Langzeitvertrag Das bisher Gesagte hat erhebliche Auswirkung auf das zweite Kerncharakteristikum. Die Theorie des Langzeitvertrages fußt vor allem in zwei Ansätzen – derjenigen der relationalen (Vertrags- und Rechts-)Beziehungen 48 und derjenigen der Governanceforschung.49 Gemeinsam ist beiden die Erkenntnis, dass vor allem die Unmöglichkeit, die Zukunft zu kennen, ganz eigene Probleme kreiert, die diese Art Vertragsbeziehungen fundamental von den klassischen Austauschverträgen unterscheidet. In Letzteren reduzieren sich die Ereignisse, die für die Vertragsparteien unvorhersehbar sind, deutlich weiter gehend allein auf die Frage, ob die andere Vertragspartei korrekt erfüllt oder nicht. Ein vollständiger Vertrag, d.h. einer, in dem alle Eventualitäten geregelt sind, ist in der Tendenz jedenfalls denkbar. Insbesondere kann die Leistungspflicht konkret umrissen werden. Eben dies, die konturscharfe Leistungsbestimmung, ist in (vielen) Langzeitverträgen schon im Ausgangspunkt nicht möglich (mit Ausnahmen wie dem Mietvertrag). 48 Macaulay Non-Contractual Relations in Business – a Preliminary Study, (1963) 28 American Sociological Review 55; MacNeil The Many Futures of Contracts, (1974) 47 Southern California Law Review 691; Williamson The Vertical Integration of Production – Market Failure Considerations, (1971) 61 American Economic Review, Papers and Proceedings 112; ders. Markets and Hierarchies – Some Elementary Considerations, (1973) 63 American Economic Review, Papers and Proceedings 316; sowie Fn. 49; Goldberg Regulation and Administered Contracts, (1976) 7 Bell Journal of Economics 426; ders. Relational Exchange – Economic and Complex Contracts, (1980) 23 American Behavioural Scientist 337; Klein/Crawford/Alchian Vertical Integration, Appropriable Rents, and the Competitive Contracting Process, (1978) 28 Journal of Law and Economics 297. 49 Williamson Transaction-Cost Economics: The Governance of Contractual Relations, 22 J. Law & Econ. 233–261 (1979); ders. The Economic Institutions of Capitalism, 1985, S. 43–63, 68–84; für eine Zusammenführung von Vertrags- und Gesellschaftsrecht unter diesem Gesichtspunkt Riesenhuber/Möslein Contract Governance – Skizze einer Forschungsperspektive, in Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts, 2008, S. 1 (= [2009] 5 ERCL 248); auch Behrens Corporate governance, FS Drobnig, 1998, S. 491.

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Daraus ergeben sich spezifische Gefahren: Da Langzeitbeziehungen häufig hohes Investment speziell für die fragliche Beziehung nötig machen, ist die Gefahr eines faktischen Einschlusses dieses Investments durch die andere Seite hoch und damit auch die Möglichkeit von ex-post-Opportunismus.50 Diese Gefahr besteht freilich auch umgekehrt, wenn die rechtliche Gestaltung ein Festhalten am Vertrag im Übermaß gestattet. Die Rechtsprechung zur Vorfälligkeitsentschädigung (und ihrer Begrenzung) belegt dies plastisch. Denn mit ihr sollte ein Festhalten des Kreditnehmers jedenfalls in den Fällen ausgeschlossen werden, in denen dieser die tatsächlichen Ausfälle des Kreditgebers kompensiert – während sich die Kreditinstitute vor Etablierung dieser Rechtsprechung den Freikauf aus dem Kreditvertrag von den Kreditnehmern noch höher vergüten ließen.51 Viel wichtiger ist jedoch, dass Regeln für die Ermittlung der geschuldeten Leistung während der Laufzeit der Vertragsbeziehung etabliert werden müssen, die die Beschreibung der Leistung selbst ersetzen. Die Ansätze für solch eine Regelung, die an die Stelle der Leistungsbeschreibung tritt, sind Hauptgegenstand eines Rechts der Langzeitverträge. Charakteristisch für alle Ansätze ist eine Prozeduralisierung: Es wird jeweils gefragt, wie der Inhalt der Leistungspflicht in Zukunft, sobald sich die Umstände geklärt haben, jeweils zu bestimmen ist. Dies kann wieder konsensual geschehen (Einstimmigkeitsprinzip), evtl. auch unter Einschaltung Dritter, etwa unter Übertragung der Entscheidung an eine „Autorität“. Das wohl wichtigste Modell im Vertragsrecht ist jedoch das der Auftragsbeziehung, in der eine Seite im Interesse (und für Rechnung) der anderen handelt und umgekehrt ihr eigenes Interesse allein über die Vergütung verfolgen darf (no hidden gains). Das Modell im Gesellschaftsrecht ist ebenfalls im Kern ein solches Auftrags- oder treuhänderisches Verhältnis, wobei nunmehr die jeweilige Geschäftsführung verpflichtet ist, für die gemeinsame Kasse/ 50 Zu dieser Form des Opportunismus vgl. etwa Williamson (Fn. 49) passim; ders. Markets and Hierarchies – Analysis and Antitrust Implications, 1975, passim; sowie Arrow The Economics of Agency, in Pratt/Zeckhauser (Hrsg.), Principals and Agents – The Structure of Business, 1985, 37–51; Tirole Incomplete Contracts – Where do we stand? (1999) 67 Econometrica 741; Shell Opportunism and Trust in the Negotiation of Commercial Contracts – Towards a New Cause of Action, (1991) 44 Vanderbuilt Law Review 221; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 3. Aufl 2003, S. 151–165; Kotowitz in Durlauf/Blume (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, Bd. 5, 2008, 773–777 (‘Moral Hazard’); Williamson in Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, Bd. 2, 1998, 703–710 (‘Opportunistic behaviour in contracts’). 51 BGHZ 136, 165–172; BGH NJW 1997, 2878–2879. Eine heute etablierte Fallgruppe des efficient breach, die bei guter Nachweisbarkeit des positiven Schadens (wie hier) rechtspolitisch zu befürworten ist vgl. Grundmann/Hoerning Leistungsstörungsmodelle in Europa im Lichte der ökonomischen Theorie – nationales, europäisches und internationales Recht, in Eger/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse der europäischen Zivilrechtsentwicklung – Beiträge zum X. Travemünder Symposium zur ökonomischen Analyse des Rechts, 2007, S. 420, 429–439.

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Unternehmung zu handeln.52 Die Trennung von zulässiger Verfolgung von Eigeninteressen und von Verpflichtung allein auf die Fremdinteressen ist zwar tendenziell schwieriger, soweit die Geschäftsführer selbst auch Gesellschafter sind. Dennoch ist das Grundmodell der Interessenwahrungspflicht auch für die gemeinsame Unternehmung maßgeblich. Dies bedeutet zugleich eine große Nähe zwischen Langzeitvertragsbeziehung und gesellschaftsrechtlicher Zweckförderungs- und Interessenwahrungspflicht des jeweiligen Leitungsorgans, wobei die Diskussion für das Gesellschaftsrecht Bibliotheken füllt, nicht hingegen diejenige für vertragliche Langzeitvertragsbeziehungen. Der Unterschied ist freilich kein grundsätzlicher: Der Handelnde ist zwar nicht als agent für eine gemeinsame Kasse (gemeinsamen Zweck) zu sehen, weil und soweit das Prinzip der getrennten Kassen gilt. Das ändert jedoch nichts daran, dass er als agent für seinen Vertragspartner handeln kann, freilich in diesem Falle nur für eine, getrennte Kasse. Mit anderen Worten, insbesondere die Prinzipal-Agenten-Theorie, die die Frage nach der Verpflichtung auf ein Fremdinteresse in Langzeitbeziehungen zu ihrem Kerngegenstand erkoren hat,53 ist als gesellschafts- und vertragsrechtliche Theorie zu verstehen.54 Für die oben angesprochene Grundunterscheidung zwischen „Firm“ and „Market“ bedeutet dies, dass in puncto Unwissenheit zur Zukunft und Reaktion auf dieses Dilemma die Schnitte anders verlaufen als in puncto Vernetzung. Konnte unter dem Gesichtspunkt Vernetzung in der Tat noch zwischen Gesellschafts- und Vertragsrecht vergleichbar getrennt werden wie zwischen „Firm and Market“, so ist unter dem Gesichtspunkt Unwissenheit 52 Zur Interessenwahrungspflicht im Gesellschaftsrecht (auch dem Verhältnis zu einer bloßen Pflicht, nach Treu und Glauben zu handeln) Grundmann in GroßkomAktG, 4. Aufl. 2008, § 136 Rn. 50–52; Grundmann (Fn. 45) S. 202–220; Henze/Notz in GroßkomAktG, 4. Aufl. 2004, Anh. § 53a Rn. 53 f.; Windbichler Gesellschaftsrecht, 22. Aufl. 2009, § 26 Rn. 26; Schmidt/Lutter/Fleischer Aktiengesetz, 2008, § 53a Rn. 55. 53 Grundlegend Jensen/Meckling Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, 3 Journal of Financial Economics 305 (1976); Jensen/ Meckling Separation of Ownership and Control, 26 Journal of Law and Economics 301 (1983); heute Roe Strong managers and weak owners – the political roots of American corporate finance, 1994; Shleifer/Vishny A survey of corporate governance, 52 Journal of Finance 737 (1997); schöne Beschreibung auch in Behrens FS Drobnig, 1998, S. 491, bes. 494–497 und Ruffner Die ökonomischen Grundlagen eines Rechts der Publikumsgesellschaft – ein Beitrag zur Theorie der Corporate Governance, 2000, S. 131 f.; Zusammenfassung in Grundmann (Fn. 5) Rn. 82–84; Aus strikt vertragsrechtlicher Perspektive zu diesen Fragen Schweizer Vertragstheorie, 1999, S. 33–85 und 230–238. Zu den seit einiger Zeit ebenfalls verstärkt diskutierten marktlichen Elementen innerhalb von Organisationen/Unternehmen vgl. nur Frost Märkte in Unternehmen, 2005. 54 So in der Anlage Grundmann (Fn. 45) den Kern des Rechts der treuhänderischen Rechtsbeziehungen ganz auf Langzeitvertrags- und Gesellschaftsbeziehungen zuschneidend (vgl. bes. S. 265–284 und 363 ff.); gewisse Anlagen in diese Richtung bereits bei Shepherd The Law of Fiduciaries, 1981.

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zur Zukunft und Reaktion auf dieses Dilemma der Schnitt ein anderer: Unter diesem Gesichtspunkt ist der Schnitt quer durch das Vertragsrecht zu setzen: Das Modell hoher Suchkosten bei geringen Überwachungskosten trifft zu auf die einfachen (Einmal-)Austauschverträge, wobei sich auch hier eine dauernde Geschäftsbeziehung je nach Grad der Verrechtlichung oder sozialen Stabilisierung dem Gegenmodell annähert, auch wenn die einzelnen Verträge jeweils neu und individuell geschlossen werden. Umgekehrt trifft das Gegenmodell auf die Langzeitverträge zu – je nach ihrer rechtlichen Stabilisierung, etwa über Kündigungsregeln, mehr oder weniger. Hier steigen die Überwachungskosten (einschließlich derer aus fehlgeschlagener Überwachung) und sinken die Suchkosten. Entscheidend für den Grad ist die jeweilige rechtliche Ausgestaltung, die jedoch im Langzeitvertrag und im Gesellschaftsvertrag weitgehend gleich erfolgen kann: hinsichtlich der Kündbarkeit (hohe Schranken oder nicht), hinsichtlich der hier ebenfalls zentral wichtigen Frage der Abfindung (Ausschluss oder nicht), hinsichtlich der Fragen des jederzeitigen Einsichtsrechts in die Handlungsabläufe bei Partnern, ja auch hinsichtlich der Entscheidungsbefugnisse. Während freilich all diese Fragen im Gesellschaftsrecht so umfangreich diskutiert sind, dass zu ihnen hohe Rechtssicherheit herrscht, gilt gleiches für den Langzeitvertrag nicht.55 Mithin werden Gestaltungen, die aus ökonomischer Sicht als funktionsäquivalent und nicht alternativ einzustufen sind und die von den grundsätzlichen Anreiz- und Kostenstrukturen parallel gelagert erschienen, dennoch in verschiedenen Rechtsgebieten diskutiert, im Gesellschaftsrecht und im Vertragsrecht der Langzeitverträge und dies weit gehend ohne Beachtung der Parallelen. Der Schnitt läuft – in einer Dienstleistungsgesellschaft mit hoher Zahl von Langzeitverträgen – quer durch das Vertragsrecht, nicht zwischen Gesellschafts- und Vertragsrecht. Da der Schnitt auch in den maßgeblichen Diskussionskreisen, ja sogar bei den Gesetzgebungsorganen in Deutschland und in der EG vor allem zwischen Gesellschafts- und Vertragsrecht verläuft, sind auch die Voraussetzungen für eine gemeinsame Diskussion von funktional Zusammengehörigem keineswegs gut. Dass der Schnitt unter dem Gesichtspunkt Langzeitcharakter und unter dem Gesichtspunkt Vernetzung unterschiedlich verläuft, wäre auch im Rahmen der Alternative von „Firm and Market“ zu bedenken. Denn die Verbindung von Langzeitverträgen in Vertragsnetzen bildet eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Realform jedenfalls in der vertraglichen Gestaltung von Produktion (Zulieferverträge) und Absatz sowie allen Fragen der Finanzierung und Kapitalbeschaffung. 55 Zum Langzeitvertrag vgl. insbesondere Jickeli Der langfristige Vertrag, 1996; Niklisch (Hrsg.), Vertragsnetzwerke komplexer Langzeitverträge, 2001; Kern Ökonomische Theorie der Langzeitverträge, JuS 1992, 13–19; speziell zur Beendigungsfrage Oetker Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994.

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3. Innen- und Außensicht Die fundamentale Bedeutung der Entwicklung eines Kapitalmarktrechts für das Gesellschafts- und Unternehmensrecht wurde einleitend angesprochen. Damit einher geht eine Innen- und Außensicht, so dass etwa für Fragen der Einflussparameter und Entscheidungsabläufe die interne von der externen Governance unterschieden wird – etwa für die Einflussposition von Aktionären die Einflussnahme in der Hauptversammlung (voice) von der Einflussnahme durch Kauf oder Verkauf auf Kapitalmärkten (exit; Wall Street Rule).56 Beide Dimensionen sind häufig stark miteinander verbunden. Paradigmatisch deutlich wird das im Übernahmerecht (Fn. 3), führt doch die Annahme des Angebots (exit) typischer Weise zur Umstrukturierung beim Leitungsorgan als dem zentralen Entscheidungsträger. Ähnlich stark ist die Verknüpfung von Innen- und Außenwirkung in Fragen der Vergütungsgestaltung, die in der Folge der Finanzkrise ungleich mehr auch in ihrem Drittwirkungspotential gesehen wird.57 Dieses Beispiel ist freilich eines, das allzu deutlich zeigt, wie sehr die Außensicht auch im Vertragsrecht angezeigt ist. Denn bekanntlich waren die allzu kurzfristigen Vergütungsanreize vor allem bei den unmittelbar Handelnden, den Brokern, zu konstatieren und zeitigten negative Wirkungen für die Allgemeinheit.58 Gerade die Finanzkrise zeigt, dass das Grundcredo zur Ordnung des Bürgerlichen Gesetzbuches, mit einer Trennung der relativen von den absoluten Rechten in Buch 2 und 3, sehr problematische Vorstellungen befördert. Maßgeblich verantwortlich für die Finanzkrise (Fn. 18) war doch gerade die Nichtberücksichtigung von Drittwirkungen von Verträgen. Namentlich nicht beachtet wurde: dass eine sorglose Kreditvergabe auch Dritte betreffen kann; dass Verbriefung und Weiterverkauf zwischen Special Purpose Vehicle und Anlegern die Risikobereitschaft des ursprünglichen Kreditgebers expo56 Etwa Hirschman Exit, voice and loyalty, 1970 (deutsch: Abwanderung und Widerspruch – Reaktionen auf Leistungsabfall bei Unternehmungen, Organisationen und Staaten, 1974); Easterbrook/Fischel The Economic Structure of Corporate Law, 2. Aufl. 1996, S. 83; Hopt Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa? Überlegungen zum Einfluß der Wertpapiermärkte auf Unternehmen und ihre Regulierung und zum Zusammenwachsen von common law und civil law im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2000, 779, 782; Teichmann Corporate Governance in Europa, ZGR 2001, 645, 646 f.; Trigo Trinidade, Corporate Governance – La responsabilité des conseils d’administration dans les sociétés, ERPL/REDC 2000, 281, 315. 57 Bericht der High-Level Group on Financial Supervision in the EU vom Februar 2009 (Vorsitz: Jacques de Larosière) S. 10 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/ finances/docs/de_larosiere_report_en.pdf); OECD (Hrsg.), Corporate Governance and the Financial Crisis – Key Findings and Main Messages, Juni 2009, S. 16 f. (abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/3/10/43056196.pdf). 58 House of Commons – Treasury Committee (Hrsg.), Banking Crisis: reforming corporate governance and pay in the City, Neunter Bericht der Sitzungsperiode 2008–09, 2009, S. 15; Bericht der High-Level Group on Financial Supervision (Fn. 57) S. 10.

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nentiell wachsen lässt; dass ein unverantwortliches Rating vor allem Dritte, Vierte und Fünfte schädigt; und dass massenweise gleiches Anlageverhalten (Herdenverhalten) überhaupt erst die Risiken zu systemischen macht. Die Finanzkrise ist auch eine Wissenschaftskrise, wie namhafte Ökonomen für die Wirtschaftswissenschaften konstatieren.59 Sie ist jedoch auch eine Krise für den Relativitätsgrundsatz im Vertragsrecht und damit für die Vertragsrechtswissenschaften. Das hat eine lange Tradition. In einem der prominentesten Fälle einer Drittwirkung von vertraglichen Innenverhältnissen wurde – entsprechend dem herkömmlichen Ordnungscredo – die Außenwirkung auch von treuhänderischen Absprachen überwiegend als eine Art Verdinglichung des Rechts verstanden … und damit das generellere Problem, dass auch Verträge Außenwirkung zeitigen, überspielt.60 Bei den Beispielen zur Finanzkrise und im Treuhandrecht ging es vor allem um negative Auswirkungen der Vertragsverhältnisse auf Dritte. Diese sind natürlich durchaus bereits lange diskutiert. Freilich wurde gerade das klassische Beispiel, der Kartellvertrag, weitgehend außerhalb der Vertragsrechtswissenschaften – als Wirtschaftsrecht – diskutiert, weitgehend in anderen Kreisen. Auf die Notwendigkeit einer stärkeren Integration auch der Regulierungsfragen und -gebiete in die Vertragsrechtswissenschaften wird noch zurück zu kommen sein (unten 4.). Das Beispiel der negativen externen Effekte ist aber nur eines, an dem sich die Notwendigkeit einer systematischen Diskussion der Außenwirkungen von Verträgen zeigt. Konzeptionell sind nämlich – im Gesellschaftsrecht ebenso wie im Vertragsrecht, vorrangig wiederum dem Recht der Langzeitverträge – vier Dimensionen zu unterscheiden: die negativen externen Wirkungen des Vertrages auf Dritte; die positiven externen Wirkungen auf Dritte, die vor allem mit der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung gegenüber Dritten durchaus intensiv, aber eben isoliert diskutiert werden; umgekehrt jedoch auch die negativen und die positiven Einflussmöglichkeiten Dritter auf Verträge. Gerade die gesellschaftsrechtliche Governance Diskussion hat diese Rückwirkung von außen auf die Organisation stark in den Mittelpunkt gerückt, womit sie für die Organisation das betont, was für den Vertrag ohnehin allgegenwärtig ist, den Wettbewerbsdruck von außen, der die Gestaltung nach innen positiv beeinflusst. Hier sind Übernahmen und Wall Street Rule und im Wesentlichen die gesamte externe Corporate Governance einzuordnen. Und nicht zuletzt ist insbeson-

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Starbatty Warum die Ökonomen versagt haben, FAZ 4.11.2008, S. 12. Vgl. einerseits („quasidinglich“) etwa Canaris Die Verdinglichung obligatorischer Rechte, FS Flume I, 1978, S. 371, bes. S. 411–419; Kötz Trust und Treuhand – eine rechtsvergleichende Darstellung des anglo-amerikanischen Trust und funktionsverwandter Institute des deutschen Rechts, 1963, etwa S. 140; und andererseits Grundmann (Fn. 45) S. 318– 324 und 328–331 („Drittwirkung von Vertragsbeziehungen“) (mit umfangreichen Nachw. zur ganz herrschenden Theorie der quasidinglichen Ausgestaltung S. 312). 60

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dere das Herdenverhalten ein noch nicht einmal im Ansatz für die Vertragsrechtswissenschaften erschlossenes Forschungsfeld.61 4. Integration von Gestaltung und Regulierung Wird das Proprium des Privatrechts in der privatautonomen Gestaltungsfreiheit in ihrem Spannungsverhältnis zu der regulierenden Markt- und Wirtschaftsordnung, mithin den Grenzen der Privatautonomie, gesehen, so muss dieses Proprium selbst noch etwas näher in den Blick genommen werden. Es geht um die beiden großen Regelkomplexe im Vertrags- ebenso wie im Gesellschaftsrecht: einerseits diejenigen Regeln, die vor allem als Angebot an die Parteien zu verstehen sind, indem sie die ausgehandelte Ordnung ergänzen, bei Fehlen ersetzen und für die Verhandlung zugleich auch eine Leitlinie (oder „Erinnerungsstütze“) bereitstellen, die sog. Reservevertragsordnung;62 und andererseits diejenigen Regeln, die regulierend eingreifen, im Vertragsund Gesellschaftsrecht vor allem zum Schutz von Interessen Dritter, die im Verhandlungsprozess nicht vertreten sind, oder von Interessen schwächerer Parteien. Nimmt man diese Regelgruppen in den Blick, so konstatiert man im Gesellschaftsrecht schon seit Anbeginn, jedenfalls jedoch über viele Jahrzehnte eine enge Verwobenheit. Mit dem Fusionskontrollrecht oder auch dem Aufsichtsrecht über spezifische Branchen (namentlich Finanzdienstleister) existieren zwar auch Regulierungsbereiche, die herkömmlich als deutlich getrennt vom Gesellschaftsrecht gesehen werden. Schon beim Kapitalmarktrecht (mit dem Anlegerschutz) wird dies heute überwiegend als veraltete Sicht gesehen und die innige Verknüpfung betont.63 Jedenfalls jedoch Gläubigerschutz, Minderheitsschutz und in Deutschland auch Repräsentation wichtiger stakeholder, insbesondere Arbeitnehmervertretung, werden schon von Anbeginn an als genuiner Teil des Gesellschaftsrechts gesehen und dies in großen Teilen auch in allen Gesellschaftsformen, verstärkt natürlich im Ak61 Erste Ansätze zu einer Diskussion des Herdenverhaltens im Recht: Eidenmüller Der homo oeconomicus und das Schuldrecht: Herausforderungen durch Behavioral Law and Economics, JZ 2005, 216–224; Posner Economic Analysis of Law, 7. Aufl. 2007, S. 17–21. 62 Für das Gesellschaftsrecht etwa Procaccia The Corporate Code as a Standard Form Contract – General Theoretical Remarks and Implications for German Law, ZGR 1990, 169, 171 ff.; für das Vertragsrecht etwa Grundmann Europäisches Handelsrecht – vom Handelsrecht des laissez faire im Kodex des 19. Jahrhunderts zum Handelsrecht der sozialen Verantwortung, ZHR 163 (1999) 635, 650. 63 Etwa Fleischer Das Aktiengesetz von 1965 und das neue Kapitalmarktrecht, ZIP 2006, 451; Grundmann (Fn. 5) Rn. 5 f., 1314; Mülbert/Birke Das übernahmerechtliche Behinderungsverbot – die angemessene Rolle der Verwaltung einer Zielgesellschaft in einer feindlichen Übernahme, WM 2001, 705, 709; Teichmann ZGR 2001, 645, 663, 671, 675 und 678 f.; die oben in Fn. 7 Zitierten; und zuletzt intensiv die Diskussion um Maß und Gestalt eines Börsengesellschaftsrechts, vgl. alle oben in Fn. 32 Zitierten.

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tien- und nochmals im Börsen(-aktien-)gesellschaftsrecht. Dies ist beispielsweise auch die Sicht des Europäischen Verfassungsgesetzgebers, der diese Schutzziele in einer einzigen Kompetenznorm zusammenfasst (Art. 44 Abs. 2 lit. g EG, inzwischen Art. 50 Abs. 2 lit. g Lissabonvertrag). Umgekehrt sind in weiten Teilen, trotz Satzungsstrenge durchaus auch im Aktienrecht, die Gestaltungsmöglichkeiten, die entsprechenden „Vorschläge“ des Gesetzgebers zahlreich. Und nicht nur die Satzungsstrenge dürfte (jedenfalls international) keineswegs als Universalmodell zu sehen sein (Fn. 31 f.), sondern umgekehrt scheinen sich die Gestaltungsteile des Gesellschaftsrechts, insbesondere des Kapitalgesellschafts- und Aktienrechts auszudehnen: mit dem Ansatz „Comply or Explain“ im gesamten Bereich der weiter reichenden Corporate Governance ebenso sowie mit der immer weitergehenden Durchsetzung einer Rechtswahlfreiheit und eines Wettbewerbs der Regelgeber in diesen Gebieten. Eher in die entgegengesetzte Richtung verläuft die Entwicklung im Vertragsrecht, was dann insgesamt als deutliche Tendenz zur Konvergenz zu sehen ist: Auch dort hatte die Abtrennung des regulierenden Teils nach dem Gesagten zunächst Tradition, wieder vor allem mit dem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie dem Aufsichtsrecht über spezielle Branchen, teils auch dem Geld-, Währungs- und Devisenrecht. Dort jedoch fehlte umgekehrt lange Zeit weit gehend jeder regulierende Teil „innerhalb“ des Vertragsrechts, d.h. eng verwoben mit den eine Gestaltung ermöglichenden Teilen, der Reservevertragsordnung. In den letzten Dekaden ist es jedoch zunehmend zu einer Entstehung solcher Regulierungsteile im Vertragsrecht gekommen, die in der Tat in ein enges Wechselspiel zum klassischen, gestaltungsorientierten Vertragsrecht treten. Das sog. Verbrauchervertragsrecht 64 steht hierfür paradigmatisch. Natürlich handelt es sich hier um ein Paradebeispiel regulierenden Vertragsrechts – zum marktweiten Schutz einer schwächeren Vertragspartei –, und ebenso unzweifelhaft besteht eine vergleichbar enge Beziehung zum sonstigen Vertragsrecht wie beispielsweise die Beziehung zwischen Gläubigerschutz und Gestaltungsfreiheit zur Kapitalstruktur im Gesellschaftsrecht. Nirgends zeigte sich dies deutlicher als im Kaufrecht, in dem das (zweiseitig handelsrechtlich ausgestaltete) UN-Kaufrecht Pate stehen konnte für die EG-Verbraucherkauf-Richtlinie und diese dann wieder als Modell diente für eine Umsetzung im Leistungsstörungsrecht des allgemeinen Schuld-, genauer: Vertragsrechts des BGB. Wichtige Modelle taugen also gleichermaßen für Handelsvertrags-, Verbrauchervertrags- und allgemeines Vertragsrecht. Daneben treten aber auch Gebiete wie 64 Eigentlich ein Vertragsrecht, das Unternehmen wegen bestimmter struktureller Überlegenheiten in die Pflicht nimmt, vgl. Grundmann Europäisches Handelsrecht – vom Handelsrecht des laissez faire im Kodex des 19. Jahrhunderts zum Handelsrecht der sozialen Verantwortung, ZHR 163 (1999) 635.

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das Recht gegen unlauteren Wettbewerb, das in wichtigen Teilen zunehmend in einem breiter verstandenen Recht der Vertragsanbahnung und des Vertragsschlusses aufgeht. Selbst Fragen der Werbung werden Teil des Vertragsrechts (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB). Und auch das Antidiskriminierungsrecht ist in diesem Zusammenhang heute zu nennen. Wie neu diese Sicht jedoch für das Vertragsrechts ist, zeigt sich u.a. daran, dass im Vertragsrechts über die Integration dieser Gebiete in ein Vertragsrecht der Gegenwart doch noch tendenziell „Glaubenskriege“ geführt werden,65 was hinsichtlich der Integration von Gläubigerschutz, Minderheitsschutz und Anlegerschutz ins Gesellschaftsrecht heute nicht einmal mehr ansatzweise der Fall ist. Und noch immer werden solche Bereiche dezidiert nicht als Vertragsrecht gesehen,66 und auch ganz junge Kodifikationsvorschläge stehen einer wahren Integration der regulierenden Teile des Vertragsrechts reserviert bis ablehnend gegenüber.67 So sehr der Diskussionsstil in Fragen Gestaltung und Regulierung in Gesellschafts- und Vertragsrecht noch ein unterschiedlicher ist, in der Sache ist das hier erörterte Spannungsverhältnis heute gleichermaßen prägend für beide Rechtsgebiete und zwar sowohl mit einem eher außerhalb stehenden Ordnungsrahmen (namentlich dem Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen) als auch mit Regulierungsteilen, die mit den gestaltungsorientierten Teilen eng verwoben erscheinen.

65 Für das Antidiskriminierungsrecht vgl. etwa Picker Antidiskriminierungsgesetz – Der Anfang vom Ende der Privatautonomie?, JZ 2002, 880; Braun Übrigens – Deutschland wird wieder totalitär, JuS 2002, 424. Für die Anlegung von Grundrechtsstandards an das Vertragsrecht etwa Diederichsen in Starck (Hrsg.), Rangordnung der Gesetze, 1995, S. 39–97; ders. Das Bundesverfassungsgericht als oberstes Zivilgericht – ein Lehrstück der juristischen Methodenlehre, AcP 198 (1998) 171 passim; Zöllner Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht – Bemerkungen zur Grundrechtsanwendung im Privatrecht und zu den sogenannten Ungleichsgewichtslagen, AcP 196 (1996) 1 passim; auch (wenn auch weniger scharf) Medicus, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, ACP 192 (1992) 35, 54–70. 66 Vgl. nur 9. Erwägungsgrund (S. 2) der Richtlinie 2005/29/EG der Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/ 65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ABl.EG 2005 L 149/22. 67 Das ist namentlich so beim Gemeinsamen Referenzrahmen, der nur diejenigen Bereiche an Regulierung mit berücksichtigt, die schon im acquis communautaire selbst dezidiert in Vertragsrecht „übersetzt“ wurden, etwa Antidiskriminierungsrecht oder die Informationspflichten, hingegen keine Bestände mit vertragsrechtlichem Gehalt aus dem Bereich „unlauterer Wettbewerb“ (etwa Fn. 66) oder Gruppenfreistellungsverordnungen u.a.

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5. Governance und Recht als Infrastruktur der Gestaltung Die bisherigen Ausführungen haben einen engen Bezug zu Forschungen, die unter dem Stichwort Governance betrieben werden. Ursprünglich – bei Williamson (Fn. 48) – wurde Governance-Forschung auf (Langzeit-)Verträge und Gesellschaften gleichermaßen bezogen. Im Gesellschaftsrecht hat sie eine beeindruckende Entwicklungsstrecke zurückgelegt,68 während im Vertragsrecht bisher eher nur Pioniere von einer Contract Governance sprechen.69 Und doch ist Vieles auch hier zu erwarten: die starke Internationalität, die starke Interdisziplinarität, die starke Zusammensicht von Innenverhältnis und Außenwirkungen der Organisation, überhaupt der starke Fokus auf Regelungstechniken und Regulierungsgedanken, die sämtlich die Corporate Governance-Diskussion für das Gesellschaftsrecht brachte. Die Finanzkrise mit ihren mannigfachen Vertragsproblemen kann da als Auslöser wirken. Das immer intimere Zusammenwirken von öffentlichem Regelsetzer und privatem Regelgestalter, auch Regelsetzer ist auch in diesem Kontext zu sehen – wie nicht zuletzt auch der Gedanke, dass im Vertrags- und Gesellschaftsrecht gleichermaßen Recht an sich in ganz anderer Weise untrennbar mit jedem Handeln verbunden ist als in anderen Rechtsgebieten: weil ohne die Infrastruktur Recht zwar deliktisches Handeln durchaus denkbar ist, vertragliches oder gesellschaftsgestaltendes hingegen nicht.70 Insgesamt geht es jeweils besonders zentral um die gestaltende Zukunftsplanung durch Konsens. 68 Etwa Barbiera Il Corporate Governance in Europa – Amministrazione e controlli nelle società per azioni in Italia, Francia, Germania e Regno Unito, 2000; Hommelhoff/ Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2003; Hopt/Kanda/Roe/ Wymeersch/Prigge (Hrsg.), Comparative Corporate Governance – the State of the Art and Emerging Research, 1998; Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Comparative Corporate Governance – Essays and Materials, 1997; Keasy/Thompton/Wright (Hrsg.), Corporate Governance, 4 Bde., 1999; McCahery/Moerland/Raaijmakers/Renneboog (Hrsg.), Corporate Governance Regimes – Convergence and Diversity, 2002; Pinto/Visentini (Hrsg.), The Legal Basis of Corporate Governance in Publicly Held Corporations – a Comparative Approach, 1998; Zingales in Newmann (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics, Bd. 1, 1998, S. 497–502 (‘Corporate Governance’). Dies führte u.a. auch zur Gründung eines interdisziplinären, internationalen großen Forschungsinstituts bzw. -verbundes, des European Corporate Governance Institute (ECGI) das viel der Initiative des Jubilars verdankt. 69 Riesenhuber/Möslein (Fn. 49) mit Übersicht zu punktuellen Nennungen; inzwischen ein Forschungsnukleus, vgl. Möslein Contract Governance und Corporate Governance im Zusammenspiel – Lehren aus der globalen Finanzkrise –, JZ 2010, 72 70 Zum Konzept „Recht als Infrastruktur“ vgl. etwa Windbichler Neue Vertriebsformen und ihr Einfluß auf das Kaufrecht, AcP 198 (1998) 261, 271; im Hinblick auf das Gesellschaftsrecht Fleischer Gesetz und Vertrag als alternative Problemlösungsmodelle im Gesellschaftsrecht – Prolegomina zu einer Theorie gesellschaftsrechtlicher Regelsetzung, ZHR 168 (2004) 673, 707. Ähnlich aus (institutionen-)ökonomischer Perspektive („ermöglichendes Recht“): Richter/Furubotn (Fn. 50), S. 22 ff.; Clark, in Pratt/Zeckhauser (Hrsg.), Principals and Agents – the Structure of Business, 1985, S. 55, 60–72.

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V. Ausblick: Einheit als Frage der Regelsetzung Privatrecht ist von der Privat- und Parteiautonomie her zu konzipieren, außerdem von der Regulierung, die ihre Funktionsbedingungen erhält. Wird in ihr – oder eher noch: in dem genannten Spannungsverhältnis – das Proprium des Privatrechts gesehen, so ist die Einheit des Privatrechts zu überdenken: Nicht Bürgerliches Recht und nicht Schuldrecht können den Kern bilden. Man muss zuvörderst die Hauptgebiete privatautonomer Gestaltung in den Blick nehmen und vor allem auch ihre Zusammenschau. Wie wichtig solch ein Verständnis gerade aus der Perspektive der Finanzkrise ist, wurde angesprochen, desgleichen wie wichtig für ein substantielles Vertragsrecht für die Dienstleistungsgesellschaft mit einer Dominanz der langfristigen Dienstleistungsverträge und für eine vernetzte Wirtschaft. Blickt man in die nicht allzu ferne Zukunft, stellt sich die Frage freilich nicht nur als eine der vertragsrechtlichen Diskussion und Forschung. Sie stellt sich konkreter auch als eine Frage von Kodifikationszuschnitten. Wenn Einheit anders zu definieren ist, kann dies auch und gerade Kodifikationen, die doch in hohem Maße strukturbildend wirken, nicht unberührt lassen, namentlich nicht eine moderne Europäische Kodifikation. Die Frage stellt sich demnach, ob nicht ein Europäischer Kodex gänzlich anders zugeschnitten sein muss als bisher konzipiert. Auf diese Frage gibt es eine kleine und eine große Antwort. Die kleine Antwort geht aus von der Überlegung, dass ein Harmonisierungsbedürfnis – und damit auch ein Kodifikationsbedürfnis – im Bürgerlichen Recht substantiell vor allem für das Vertragsrecht zu Tage trat. Allein das Vertragsrecht ist daher als Materie einer Kodifikation unverzichtbar. Die kleine Antwort geht dahin, dass nicht die Eigenart eines modernen Vertragsrechts mäßig geregelt werden sollte, um genügend Kapazität auch noch für Rechtsgebiete wie das Deliktsrecht, das gesamte Bereicherungsrecht, die Geschäftsführung ohne Auftrag und weite Teile des Sachenrechts zu haben. Das muss in den Einzelheiten hier nicht noch einmal ausgeführt werden.71 Das Vertragsrecht muss so geregelt werden, dass Langzeitvertrag, Vertragsnetz, Regulierungsperspektive und ganz unterschiedliche Typen von Vertragspartnern darin ihren Platz finden. Das gelingt nicht im Rahmen eines Europäischen „Bürgerlichen Rechts“, die neuerliche Ausbildung eines Bürgerlichen Rechts, das vor allem nach formalen Kriterien „komponiert“ war, versperrt Perspektiven. 71 Grundmann The Structure of the DCFR – Which Approach for Today’s Contract Law?, (2008) 4 ERCL 225, bes. 227–235 und 238–246; dort auch Hinweise zur breiten sonstigen Kritik, namentlich Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht – Wertungsfragen und Kodifikationsprobleme, JZ 2008, 529.

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Die große Antwort wäre mutiger. Wäre es nicht möglich, Grundlinien zur Privatautonomie, zum Verhältnis von Gestaltung und Regulierung und zum Verhältnis zwischen Innen- und Außenwirkungen auch kodifikatorisch zu fassen? Solche Grundlinien auch der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsund Regulierungsfragen könnten europäisiert ebenfalls Prägewirkung entfalten – für die wissenschaftliche Diskussion, legislatorisch in den Mitgliedstaaten, teils möglicherweise auch über die EuGH-Rechtsprechung. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches war mit der Einbeziehung des Vereins und der BGB-Gesellschaft ansatzweise ja durchaus auch so mutig, der des Codice Civile ohnehin. Das für die Harmonisierung ungleich wichtigere Kapitalgesellschaftsrecht sollte vielleicht nicht bis in die Details einbezogen werden. Insgesamt ist mit dieser großen Antwort eine Frage angesprochen, die aus meiner Sicht eine breitere Diskussion wert sein könnte. Handeln würde es sich dann um einen Kodex, der die Kernanliegen heutiger (sozialer und ordnungspolitisch verfasster) Marktwirtschaft verkörpert. Ein Europäischer Privatrechtskodex der privatautonomen Gestaltung und der Regulierungsbedürfnisse – eine zu mutige Vision?

Haftungsrisiken für Vorstandsmitglieder insolvenzgefährdeter Vereine Barbara Grunewald / Joachim Hennrichs I. Die Problemlage Gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Vorstand im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung des Vereins die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Das klingt wie eine klare Anweisung. Die Befolgung dieser Vorgaben ist aber in der Praxis alles andere als einfach. Wann liegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor? Insoweit sind auch für Vereine grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der InsO anwendbar. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist Zahlungsunfähigkeit gegeben, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Das setzt einen Überblick über die fälligen Zahlungspflichten und die vorhandenen Zahlungsmittel voraus. Überschuldung liegt gem. dem aktuell geltenden 1 § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung setzt danach zum einen eine Gegenüberstellung von Vermögen und bestehenden Verbindlichkeiten des Schuldners voraus (rechnerische Überschuldungsprüfung), zum anderen eine sog. Fortbestehensprognose. Letztere erfordert jedenfalls bei Handelsgesellschaften „die Vornahme und Dokumentierung einer nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen durchzuführende Ertrags- und Finanzplanung“ 2. Viele Vereine erstellen freilich weder eine Bilanz noch Liquiditätspläne. Vereine sind i.d.R. nicht zur Bilanzierung nach den §§ 238 ff. HGB verpflichtet 3; sie legen vielmehr „nur“ nach § 27 Abs. 3 BGB i.V.m. §§ 666,

1 Zur wechselvollen Entwicklung des insolvenzrechtlichen Überschuldungsbegriffs s. K. Schmidt DB 2008, 2467 ff. m.w.N. Die ursprünglich mit „Verfalldatum“ 31.12.2010 vorgesehene Neuregelung des § 19 Abs. 2 InsO ist nunmehr bis zum 31.12.2013 verlängert worden, vgl. Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen v. 24.9.2009, BGBl. I S. 3151; dazu BT-Drucks. 16/13927. 2 So z.B. OLG Düsseldorf Urt. v. 20.2.2008, I-15 U 10/07 (für die KG). 3 Freilich kann auch für Vereine die Pflicht bestehen, nach den §§ 238 ff. HGB Rechnung zu legen, wenn sie nämlich (auch) einen kaufmännischen wirtschaftlichen Geschäfts-

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259 BGB Rechnung. Wie also feststellen, ob der Verein zahlungsunfähig oder überschuldet ist? Gelten insoweit dieselben Anforderungen wie für Handelsgesellschaften? Die den Vorstand treffende Pflicht zum Insolvenzantrag wäre nicht so problematisch, wenn das Gesetz auf Verstöße gegen § 42 Abs. 2 S. 1 BGB milde reagieren würde. Aber dem ist nicht so. Gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 BGB haften die Vorstandsmitglieder bei verzögerter Antragstellung, sofern ihnen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern für den aus der Verzögerung entstandenen Schaden persönlich. Eine Verzögerung des Insolvenzantrags ist also mit einem persönlichen Schadenersatzrisiko sanktioniert. Entsprechend den allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen ist dabei die Haftung betragsmäßig nicht limitiert. Und damit nicht genug: Gem. § 15a Abs. 4 und 5 InsO wird das Unterlassen oder Verzögern eines Insolvenzantrags sogar unter Strafandrohung gestellt. Die rechtzeitige Stellung eines Insolvenzantrags ist daher für den Vereinsvorstand von elementarer Bedeutung. Nun kann man darauf hinweisen, dass manche Vereine durchaus in der Lage sind, eine Organisation zu schaffen, die eine Krisenerkennung gewährleistet. Der ADAC e.V. beispielsweise oder auch große Sportvereine werden professionell gemanagt und nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt.4 Hier existieren sowohl Abschlüsse als auch Finanzpläne. Das ist allerdings bei zahlreichen, vor allem bei kleineren (Ideal-)Vereinen auch wieder anders. In dem örtlichen Tennisverein, Schachverein, universitären Förderverein o.ä. gibt es üblicherweise zwar einen „Kassenwart“ oder „Schatzmeister“, aber der wird regelmäßig ehrenamtlich tätig und er erstellt meist nur eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung auf der Basis der Kontoauszüge der Bank nebst den Ein- und Auszahlungsbelegen. Von einer Ertrags- und Liquiditätsplanung nach betriebswirtschaftlichen, unternehmerischen Grundsätzen kann hier keine Rede sein. Gerade dieses ganz unterschiedliche Erscheinungsbild der Vereine in der Praxis ist der Grund dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen 5 für ehrenbetrieb unterhalten. Zur (handelsrechtlichen) Rechnungslegungspflicht von Vereinen s. z.B. Hüffer in Großkomm. HGB, § 238 Rn. 10; IDW RS HFA 14. Daneben kann sich eine Bilanzierungspflicht auch aus § 141 Abs. 1 Satz 1 AO – sofern der Verein die dort genannten Umsatz- bzw. Gewinngrößen erreicht – oder § 28 ParteiG – ergeben. – Außerdem ist es den Vereinen selbstverständlich unbenommen, freiwillig zu bilanzieren und sich hierbei an die gesetzlichen Rechnungslegungsvorschriften anzulehnen. Mitunter bestehen auch innerverbandliche Vorgaben, so insb. innerhalb des Deutschen Fußball-Bundes (vgl. dazu Galli WPg 1998, 56). 4 An der Richtigkeit der Rechtsform des „e.V.“ wird gerade beim ADAC, der mittlerweile eine große Organisation mit zahlreichen „Tochterunternehmen“ darstellt und sogar einen Konzernabschluss erstellt (dessen Zahlen vielen mittelständischen Unternehmen zur Ehre gereichen würden!), immer wieder in Zweifel gezogen. 5 BGBl. I 2009, S. 3161.

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amtliche und im Kern unentgeltlich tätige (jährliche Vergütung von maximal 500 EUR) Vorstandsmitglieder in dem neugefassten § 31a Abs. 1 BGB den Sorgfaltsmaßstab gegenüber Verein und Mitgliedern auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit reduziert hat. Korrespondierend begründet § 31a Abs. 2 BGB im Falle der Außenhaftung des Vorstands unter den gleichen Voraussetzungen einen Freistellungsanspruch des Vorstandsmitglieds gegen den Verein. Diese Haftungserleichterungen sollen die Haftungsrisiken für ehrenamtlich tätige Vereinsvorstände auf ein zumutbares Maß begrenzen und die ehrenamtliche Übernahme von Leitungsfunktionen in Vereinen fördern.6 Die im Regierungsentwurf des Gesetzes außerdem noch vorgesehenen Parallelvorschriften zur Haftungserleichterung im Sozial- und Steuerrecht (§ 28e Abs. 1 S. 2 SGB-E, § 34 Abs. 1 S. 3 AO-E), wonach für ehrenamtliche und unentgeltlich tätige Vorstandsmitglieder eines gemeinnützigen Vereins die Pflicht zur Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags und eine Haftung für die Erfüllung steuerlicher Pflichten nicht gelten sollte, wenn sie nach vorweg schriftlich festgelegter Aufgabenverteilung für die Einhaltung dieser Pflichten nicht verantwortlich sind, sind allerdings nicht Gesetz geworden.7 Insoweit sieht der Gesetzgeber die sich aus dem allgemeinen Verbandsrecht ergebenden Haftungserleichterungen 8 einstweilen als ausreichend an.9 Ohne Zweifel entlastet die Neuregelung die Vorstandsmitglieder mancher Vereine. Aber hilft § 31a BGB n.F. auch in der Krise? Im Folgenden soll es um die Frage gehen, welche Haftungsrisiken Vorstandsmitglieder von Vereinen in dem Moment treffen, in dem der Verein in eine wirtschaftliche Schieflage gerät.

II. Die einschlägigen Verantwortlichkeiten 1. Objektiver Pflichtenkreis a) Insolvenzantragspflicht Die Pflichten des Vereinsvorstands sind im BGB nur teilweise explizit normiert (vgl. §§ 27 Abs. 3, 42 Abs. 2, 48 ff., 59, 67, 71 Abs. 1 S. 2, 72, 74 Abs. 2, 76 Abs. 2 BGB). Im Übrigen ergeben sie sich generalklauselartig aus seinem organschaftlichen Rechtsverhältnis zum Verein. Der Vorstand ist das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan des Vereins (vgl. §§ 26, 27 BGB).10 Aus der Organstellung des Vereinsvorstandes ergibt sich, dass er bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Vor6 Vgl. BT-Drucks. 16/13537. Sehr krit. Burgard ZIP 2010, 358 ff. („systemwidrig, gleichheitswidrig und lückenhaft“); befürwortend dagegen Augsten/Walter DStZ 2010, 148, 151. 7 Zur Gesetzesgeschichte Burgard ZIP 2010, 358. 8 Dazu unten II 2b). 9 Vgl. BT-Drucks. 16/13537, S. 6 f. 10 Vgl. Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl. 2000, § 26 Rn. 4, 10.

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stands anzuwenden hat. Zwar kann die Satzung gem. § 40 BGB Vorschriften auch zur Geschäftsführung treffen. Das mag es auch ermöglichen, für einzelne Vorstandsmitglieder abgeschwächte Sorgfaltsanforderungen zu statuieren.11 Dem Normalstatut entspricht aber die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Vorstands. Die Pflicht des Vorstands zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags ist in § 42 Abs. 2 S. 1 BGB ausdrücklich geregelt und steht nicht zur Disposition der Satzung (arg. e. § 40 BGB). Diese Pflichtenstellung entspricht im Ausgangspunkt der allgemeinen Vorschrift des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO. Interessant ist allerdings, dass § 42 Abs. 2 S. 1 BGB für die Stellung des Insolvenzantrags ausdrücklich keine zeitliche Frist nennt. Zwar haftet der Vorstand nach § 42 Abs. 2 S. 2 BGB, wenn die Stellung des Antrags „verzögert“ wird. Wann im Sinne des § 42 Abs. 2 S. 2 BGB eine „Verzögerung“ vorliegt, ist im BGB aber nicht geregelt. Demgegenüber ist der Insolvenzantrag gem. der allgemeinen Regel des § 15a Abs. 1 InsO „ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung“ zu stellen. Wie sich § 42 Abs. 2 S. 1 BGB und § 15a Abs. 1 InsO zueinander verhalten, ist nicht ganz klar. Man könnte in § 42 Abs. 2 S. 1 BGB eine Spezialregelung für den Verein sehen und annehmen wollen, dass die dreiwöchige „letzte Galgenfrist“ des § 15a Abs. 1 InsO für den Verein nicht gelte.12 Warum aber ausgerechnet der Vorstand eines Idealvereins strenger in die Pflicht genommen sein soll als der Vorstand einer Aktiengesellschaft, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil könnte man auch der Meinung sein, dass ein Vereinsvorstand ggf. auch länger mit der Beantragung des Insolvenzverfahrens warten kann, wenn dies im Einzelfall „ohne schuldhaftes Zögern“ ist.13 Vor dem MoMiG 14 galten hinsichtlich der Insolvenzantragspflicht jeweils rechtsformspezifische Regelungen. Diese wurden durch das MoMiG in einem neuen allgemeinen Tatbestand zusammengefasst: Die neue Vorschrift des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO gilt nunmehr rechtsformunabhängig für alle juristische Personen, zu denen der Verein zählt. Daher wird man annehmen müssen, dass § 15a Abs. 1 InsO die Fristenfrage nunmehr auch für den Verein im Sinne der allgemeinen Regel klärt.15

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In diese Richtung Reuter in MünchKommBGB, 5. Aufl. 2006, § 27 Rn. 37 f. So Rugullis NZI 2007, 323, 325 f. (allerdings noch zur Rechtslage vor dem MoMiG, durch das § 15a InsO eingefügt worden ist). 13 Vgl. auch Haas SpuRT 1999, 1, 3 (wenn aus Sicht eines ordentlichen Vereinsvorstands der Verein nicht mehr sanierungsfähig ist). 14 Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, S. 2026. 15 AA H.-F. Müller ZIP 2010, 153, 156; Rugulles NZI 2007, 323, 326. 12

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b) Feststellung der Insolvenzgründe und Pflicht zur Beobachtung der wirtschaftlichen Lage in der Krise Fraglich ist, wie der Vereinsvorstand das Vorliegen etwaiger Insolvenzgründe überhaupt beurteilen kann. Wie dargelegt 16, sind Vereine vielfach nicht zu einer kaufmännischen Buchführung und Bilanzierung verpflichtet. Sie führen häufig vielmehr nur eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung. Aus dieser sind die Bestände an Forderungen und Verbindlichkeiten nicht ohne Weiteres ersichtlich. Freilich lässt sich eine insolvenzrechtliche Überschuldung ohnehin nicht direkt aus der ordentlichen Jahresbilanz ablesen. Die Überschuldungsprüfung für § 19 Abs. 2 S. 1 InsO erfordert vielmehr eine besondere Rechnung nebst einer sog. Fortbestehensprognose. Dabei werden zur Feststellung der sog. rechnerischen Überschuldung die einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden in einem Überschuldungsstatus mit ihren „wirklichen“ Werten gegenübergestellt; die für die reguläre Handelsbilanz geltenden §§ 252 Abs. 1 Nr. 4, 253 Abs. 1 S. 1 HGB, wonach Vermögensgegenstände grundsätzlich nur maximal mit den historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten angesetzt werden dürfen und ein etwaiger höherer Zeitwert vor seiner Realisation durch eine Markttransaktion nicht gezeigt werden darf, gelten im Überschuldungsstatus nicht. Umgekehrt sind bei der Feststellung der rechnerischen Überschuldung sämtliche wirtschaftlichen Lasten des Unternehmens realitätsgerecht zu berücksichtigen, auch soweit sie infolge der Ausübung bilanzieller Wahlrechte (vgl. Art. 28 EGHGB) nicht oder nicht in ausreichender Höhe passiviert sein sollten. Nichtsdestotrotz können sich aus dem regulären Jahresabschluss wichtige Indizien für eine (beginnende) Krise ergeben. Insbesondere dann, wenn die Handelsbilanz einen „Nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ ausweist (§ 268 Abs. 3 HGB), also eine sog. bilanzielle Überschuldung vorliegt, ist dies regelmäßig ein deutliches Krisensignal und besteht Anlass, auch die insolvenzrechtliche Überschuldung näher zu überprüfen. Entsprechend hat denn auch der BGH jüngst festgestellt: „Beruft sich der für den objektiven Tatbestand der Insolvenzverschleppung darlegungs- und beweispflichtige Gläubiger für die behauptete insolvenzrechtliche Überschuldung der Gesellschaft auf eine Handelsbilanz, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist, und trägt er außerdem vor, ob und in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus der Handelsbilanz nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind, ist es Sache des beklagten Geschäftsführers, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstige für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind.“17 Insofern kommt einer 16 17

Oben Fußn. 3. BGH WM 2009, 1145 = ZIP 2009, 1220.

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Handelsbilanz für die Frage, ob die Gesellschaft überschuldet ist, immerhin indizielle Bedeutung zu. Dieses Indiz fehlt bei Vereinen, wenn sie keine Handelsbilanzen erstellen. Gleichwohl: Auch wenn also die Handelsbilanz als „KrisenerkennungsFrühwarnsystem“ bei Vereinen häufig fehlt, so gibt es doch weder im BGB noch in der InsO irgendwelche Sonderregeln hinsichtlich der Beurteilung der Insolvenzgründe. Für die Einschätzung der Überschuldung und der Zahlungsfähigkeit gelten deshalb die allgemeinen Grundsätze. Für die Geschäftsleiter von Handelsgesellschaften ist insoweit anerkannt, dass sie verpflichtet sind, die Solvenz der Gesellschaft zu überwachen.18 Das ist zum einen Ausfluss ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht (§§ 43 Abs. 1 GmbHG, 91 Abs. 2, 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 S. 1 AktG). Die Leitungspflicht des Vorstands und des Geschäftsführers gebietet es, das Unternehmen auf der Grundlage gesicherter betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse zu führen und sich stets ein Bild der betriebswirtschaftlichen Eckdaten des Unternehmens zu machen.19 Das folgt zum anderen aber eben aus den insolvenzrechtlichen Regeln. Denn wenn die Mitglieder des jeweiligen Vertretungsorgans bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung verpflichtet sind, Insolvenzantrag zu stellen (§§ 17, 19 InsO), dann müssen sie die dazu erforderlichen Beurteilungen anstellen. Die Insolvenzeröffnungsgründe haben insoweit Bedeutung für die Geschäftsleiterpflichten: 20 Will der Geschäftsleiter diesen Pflichten entsprechen, muss er die Solvenz der Gesellschaft dauernd im Auge behalten.21 Dasselbe gilt dann im Ausgangspunkt gleichermaßen für Vereinsvorstände. Zwar kann man ihnen zugute halten, dass sie im Regelfall nicht verpflichtet sind, den Verein „auf der Grundlage gesicherter betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse zu führen“. Vereine führen eben normalerweise keine Unternehmen. Aber die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags gilt für sie gleichermaßen (§§ 42 Abs. 2 S. 1 BGB, 15a Abs. 1 S. 1 InsO). Namentlich gibt es insoweit keine „Oase“ für ehrenamtlich tätige Vorstände von Idealvereinen. Die Pflicht zur rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags ist vom Gesetz allen Vereinsvorständen gleichermaßen auferlegt. Davon kann, wie angedeutet, auch die Satzung nicht freistellen (arg. e. § 40 BGB). Daher wird der Vereinsvorstand jedenfalls bei Anzeichen für eine Krise die Vermögenslage und die Solvenz des Vereins zu prüfen haben. Soweit er dazu nicht selbst in der Lage ist (was vor allem bei ehrenamtlich tätigen Vereins18

Hennrichs Der Konzern 2008, 42, 44. Kort in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 91 Rn. 64; K. Schmidt in K. Schmidt/ Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl. 2003, Rn. 686; Veil ZGR 2006, 374, 377 f. 20 K. Schmidt in Lutter (Hrsg.), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 188, 193. 21 Besonders deutlich Hopt in Großkomm. AktG, 4. neubearbeitete Aufl. 1999, § 93 Rn. 97; K. Schmidt in Lutter (Fn. 20) S. 188, 198; Hennrichs Der Konzern 2008, 42, 44. 19

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vorständen der Fall sein kann), muss er sich sachverständiger Hilfe bedienen. Überhaupt ist den Vereinsvorständen anzuraten, aus Gründen der Selbstinformation zumindest den Stand der Schulden des Vereins ständig festzuhalten. Wenn ein Verein beispielsweise Bankkredit in Anspruch nimmt, sind der Tilgungsdienst sicherzustellen und der Stand der Schulden nachzuzeichnen. Soweit wiederkehrende Verpflichtungen etwa aus Dauerschuldverhältnissen (Miet- oder Leasingverträge, Arbeitsverträge, Versicherungsverträge u.ä.) bestehen, ist durch eine entsprechende Einnahmen-Ausgaben-Planung zu gewährleisten, dass die Schulden bei Fälligkeit bezahlt werden können. Ebenso sind die Einnahmen nachzuhalten. Der Vorstand sollte insbesondere stets über den Stand der Mitglieder und über evtl. offene Posten informiert sein. Brechen dem Verein die Mitglieder weg und kann er daher nicht mehr mit regelmäßigen Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen rechnen, muss der Vorstand aktiv werden und entweder neue Finanzierungsquellen auftun oder die Ausgabenseite anpassen. All das mag nicht so weit gehen, für den Verein nach kaufmännischen Regeln Bücher zu führen, Bilanzen und Finanzpläne zu erstellen. Aber eine reine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung auf Geldbasis kann, je nach Lage des Einzelfalles, „zu wenig“ sein. Die jeweils angemessenen Anforderungen im Detail können nur nach Lage des Einzelfalles beurteilt werden. Die nach §§ 17, 19 InsO vorzunehmenden Solvenzprüfungen sind nicht formalisiert und nicht in jedem Fall in vollem Umfang vorzunehmen. Vielmehr sind sie mit gleitender Intensität zu erledigen: bis hin zu einer eingehenden Solvenzkontrolle bei sich verdichtenden Zweifeln an der Solvenz.22 2. Subjektive Verantwortlichkeit, insbes. Ressortverantwortlichkeit a) Grundsätzliche Gesamtverantwortung des Vorstands für die Insolvenzantragspflicht In der Literatur findet sich vielfach die Aussage, dass die Antragspflicht nach § 42 Abs. 2 S. 1 BGB jedes Vorstandsmitglied trifft, ganz unabhängig von einer internen Ressortaufteilung.23 Dem ist zu folgen. Das Gesetz adressiert die Antragspflicht in § 42 Abs. 2 S. 1 BGB an den „Vorstand“; sprachlich davon unterschieden wird in § 42 Abs. 2 S. 2 BGB die Verantwortlichkeit der „Vorstandsmitglieder“. Daran wird deutlich, dass die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags an den Vorstand als Organ gerichtet ist. Der Antrag liegt in 22

Vgl. Hennrichs Der Konzern 2008, 42, 46. Eckardt in AnwaltsKommBGB, § 42 Rn. 44; Haas SpuRT 1999, 1, 2; Soergel/Hadding (Fn. 11) § 42 Rn. 11; H.-F. Müller ZIP 2010, 153, 154; Rugullis NZI 2007, 323, 324; Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 18. Aufl., Rn. 280; Schwarz/Schöpflin in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 42 Rn. 8; PWW-Schöpflin, BGB, 4. Aufl., § 42 Rn. 3; Westermann in Erman, BGB, 12. Aufl., § 42 Rn. 6. 23

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der Gesamtverantwortung des Vorstands. Eine ressortmäßige Aufgabenverteilung unter den Vorstandsmitgliedern hebt die Gesamtverantwortung des Vorstands und damit die Pflichtenbindung der nach der Geschäftsverteilung an sich unzuständigen Mitglieder nicht auf. Davon zu unterscheiden ist die individuelle Schadenersatzhaftung für eine verzögerte Antragstellung. Insoweit kommt es auf das Verschulden der individuellen Vorstandsmitglieder an. Die Problematik liegt mithin hier nicht bei der Frage, ob die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags für alle Vorstandsmitglieder besteht. Das leuchtet für den Fall, dass das Vorstandsmitglied die Insolvenzreife kennt, direkt ein. Aber auch für Vorstandsmitglieder, die die Insolvenzreife nicht kennen, besteht die Antragspflicht. Wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen, haften sie allerdings nur, wenn sie schuldhaft gehandelt haben (§ 42 Abs. 2 S. 2 BGB). Ob das der Fall ist, hängt davon ab, welche weiteren Pflichten die Vorstandsmitglieder treffen. b) Überwachungspflicht der nicht ressortzuständigen Vereinsvorstandsmitglieder Damit stellt sich die Frage, welche Pflichten neben der Insolvenzantragspflicht bestehen. Muss beispielsweise das für die Jugendarbeit zuständige Vorstandsmitglied die Finanzen des Vereins überprüfen? Vielleicht jedenfalls dann, wenn es von einer schwierigen finanziellen Situation des Vereins erfährt? Oder kann es sich auf die Aussage seines „Finanz“-Kollegen verlassen? Und welche Pflichten treffen den Jugendwart, wenn es gar keinen Finanzvorstand gibt, sondern – wie in vielen Vereinen – nur einen Kassenwart, der laut Satzung schlicht für die Abrechnung von Einnahmen und Ausgaben zuständig ist? aa) Die Rechtslage in den Kapitalgesellschaften Für die Kapitalgesellschaften gilt, dass bei einem aus mehreren Personen bestehenden Geschäftsführungsorgan mit organinterner Geschäftsverteilung jedes Organmitglied die volle Verantwortlichkeit für sein Ressort hat, zugleich aber auch verpflichtet ist, die übrigen Ressorts zumindest zu beobachten. Um dies zu ermöglichen, hat jedes Mitglied der Geschäftsführung über wichtige Vorkommnisse aus seinem Ressort zu berichten. Wenn greifbare Anhaltspunkte für unvollständige Berichte vorliegen, muss sich das eigentlich nicht zuständige Organmitglied näher erkundigen.24 Besonders weitgehend sind die Pflichten im Zusammenhang mit der Abführung der Sozial24 Siehe etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 37 Rn. 32; Scholz/ Schneider, GmbHG, 10. Aufl., § 43 Rn. 39; Spindler in Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrecht, 2006, § 15 Rn. 82 ff.; Wiesner in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrecht, Bd. 4, 3. Aufl., § 22 Rn. 15; ferner Hennrichs FS für Kollhosser, 2004, Bd. II, S. 201.

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versicherungsbeiträge. Weder eine interne Ressortaufteilung noch eine Delegation der Pflicht auf Angestellte führen zu einer Befreiung.25 Es soll auch nicht ausreichen, dass sich das nicht zuständige Organmitglied telefonisch bei seinem Mitarbeiter erkundigt, ob die Beiträge abgeführt worden sind.26 Ob diese dem Kapitalgesellschaftsrecht zugrunde liegende Konzeption der Gesamtverantwortung des ganzen Vorstands heute noch zeitgemäß ist, mag mancher bezweifeln. Der US-amerikanische Sarbanes Oxley Act nimmt beispielsweise für die Rechnungslegung vor allem den CEO (Chief Executive Officer) und den CFO (Chief Financial Officer) in die Verantwortung (vgl. Sec. 302, 906). Das entspricht dem Gedanken der Arbeitsteilung und Spezialisierung. In der Tat kann man fragen, warum beispielsweise der Vertriebsvorstand sich etwa um die Rechnungslegung kümmern soll. Andererseits gewährleistet das Prinzip der Gesamtverantwortung eine horizontale Selbstkontrolle des Vorstands. Hierdurch kann die Effizienz der Überwachung gesteigert werden.27 Die Hochrangige Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts spricht sich daher dafür aus, das Kollegialprinzip als Organisationsprinzip beizubehalten28. bb) Übertragbarkeit auf den Verein Diese scharfe Überwachungspflicht scheint jedenfalls auf den ersten Blick nicht ohne weiteres für alle Vereine zu passen. Doch zeigt die Begründung zum Gesetz zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen, dass der Gesetzgeber im Regelfall von einer entsprechenden Verpflichtung auch der nicht das einschlägige Ressort führenden Vorstandsmitglieder im Verein ausgeht. In der Begründung 29 heißt es ausdrücklich, dass die geschilderte Verantwortlichkeit auch für Organmitglieder von Vereinen durchaus gerechtfertigt sei. Zugleich wird betont, dass gerade in der Krise die Überwachungspflichten besonders intensiv zu sein hätten.30 Überträgt man dies auf die hier zur Debatte stehenden Pflichten zur Überwachung des für den Finanzbereich zuständigen Vorstandskollegen in der Krise durch die übrigen Organmitglieder, heißt das, dass auch ein nicht für 25 BGHZ 133, 370, 379; BGH NJW 1997, 130, 131; BGH DStR 2001, 633, 634; BFH GmbHR 1989, 170, 172; dazu Fleischer ZIP 2009, 1397, 1399. 26 BGH DStR 2001, 633, 634. 27 Vgl. Fleischer NZG 2003, 449, 458 f.; Hoffmann-Becking NZG 2003, 745, 750. 28 Vgl. Bericht der Hochrangigen Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa vom 4.11.2002, unter III. 12 und S. 71 ff.; abrufbar unter http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/ company/company/modern/index.htm. 29 BT-Drucks. 16/10120, S. 8. 30 Begründung BT-Drucks. 16/10120, S. 8; siehe auch BGH GmbHR 2001, 236, 237; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 24) § 37 Rn. 42; Fleischer in Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 92 Rn. 41.

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die Finanzen zuständiges Vorstandsmitglied des Vereins die Tätigkeiten des zuständigen Organmitglieds zu beobachten hat. Wenn sich Auffälligkeiten ergeben, muss es sich näher erkundigen und gegebenenfalls eine Klärung der Finanzlage (eventuell auch unter Beauftragung externer Sachverständiger) herbeiführen.31 Fraglich ist, ob von dieser grundsätzlichen Überwachungspflicht der nicht ressortzuständigen Vereinsvorstände eine Ausnahme für den Fall zuzulassen ist, dass das Vorstandsmitglied ehrenamtlich und unentgeltlich tätig ist, der Verein gemeinnützig ist und vorweg schriftlich festgelegt hat, für die Erfüllung der nicht zu seinem Ressort gehörenden Pflichten nicht verantwortlich zu sein. Eine dahingehende Regelung war im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen als § 28e SGB IV-E und § 34 AO-E noch vorgesehen, ist aber nicht Gesetz geworden. Daraus wird man den Schluss ziehen müssen, dass besondere Entlastungen hinsichtlich der Überwachungspflichten 32 zugunsten von nichtressortzuständigen, ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitgliedern von Vereinen vom Gesetzgeber nicht gewollt sind. Der Gesetzgeber meint, dass die sich aus den allgemeinen Regeln ergebende Haftungserleichterung, wonach eine Haftung nur bei schuldhafter Verletzung der Überwachungspflicht in Betracht kommt, ausreichend sei. Das mag man rechtspolitisch für angreifbar halten, weil die Überwachungspflicht für ehrenamtlich tätige Vereinsvorstände immer noch als zu streng betrachtet werden kann. Entsprechend hieß es in der Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen 33 noch, dass die sozial- und steuerrechtlichen Pflichten bei ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitgliedern von gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienenden Vereinen zu weitgehend seien. Denn von denjenigen, die in ihrer Freizeit für einen Verein unentgeltlich Aufgaben wahrnehmen und damit einen Beitrag zur Erfüllung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke leisten, könne nicht erwartet werden, dass sie andere – unter Umständen sogar hauptamtlich und entgeltlich tätige – Vorstandsmitglieder umfassend in Bezug auf die Erfüllung von Angelegenheiten, die diesen nach der internen Ressortverteilung zugewiesen sind, überwachen. Diese Überlegungen haben sich am Ende aber nicht durchsetzen können, die in § 28e SGB IV-E und § 34 AO-E vorgesehenen Sondervorschriften sind letztlich nicht Gesetz geworden. Die Begründung zu der schließlich verabschiedeten Gesetzesfassung betont vielmehr im Gegenteil, dass die allgemeinen Regeln auch für ehrenamtlich tätige Vereinsvorstände ausreichend seien. Es heißt dort wörtlich: 31

Eckardt in AnwaltsKommBGB (Fn. 23) § 42 Rn. 44; Haas SpuRT 1999, 1, 3. Zur Frage des anwendbaren Sorgfaltsmaßstabs für die Haftung nach § 42 Abs. 2 S. 2 BGB s. sogleich unter IV. 1. 33 BT-Drucks. 16/10120, S. 8. 32

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„Die Vorschläge zur Begrenzung der Haftung für die Verletzung der Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 28e SGB IV und der steuerlichen Pflichten nach § 34 AO … sollten nicht aufgegriffen werden. Schon nach geltendem Recht haften die Mitglieder eines Vereinsvorstands für die Verletzung dieser Pflichten nur unter engen Voraussetzungen … (nämlich) nur nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a, 14 StGB. Dies setzt immer zumindest bedingt vorsätzliches Handeln des Vorstandsmitglieds voraus. … Hinzu kommt, dass die Haftung des einzelnen Vorstandsmitglieds … schon nach geltendem Recht durch eine interne Aufgabenverteilung des Vorstands begrenzt wird. Wird aufgrund einer solchen Aufgabenverteilung die Erfüllung der Pflichten des Vereins nach § 28e Abs. 1 S. 1 SGB IV einem Vorstandsmitglied … übertragen, vermindert dies die Verantwortlichkeit der anderen Vorstandsmitglieder. Die anderen Vorstandsmitglieder treffen dann grundsätzlich nur noch Überwachungspflichten. Selbst müssen sie sich um die Erfüllung der Pflichten … nur dann kümmern, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der dem Verein obliegenden Pflichten durch die dafür zuständigen Vorstandsmitglieder nicht mehr gewährleistet ist (BGH NJW 1997, 130, 132). Diese verbleibende Überwachungspflicht ist Ausdruck dafür, dass die Vorstandsmitglieder gemeinsam die Verantwortung für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflicht nach § 28e SGB IV tragen. Der Vorschlag, die Verantwortlichkeit einzelner Vorstandsmitglieder für die Erfüllung der Pflicht durch interne Zuständigkeitsverteilung ganz ausschließen zu können, ginge auch zu Lasten der nun allein verantwortlichen Vorstandsmitglieder, die häufig ihre Aufgaben ebenfalls ehrenamtlich und unentgeltlich wahrnehmen.“ 34 In der Tat zeigt gerade der Fall des Vereins mit ausschließlich ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitgliedern, dass eine vollständige Verlagerung der Verantwortlichkeit durch interne Ressortaufteilung ebenfalls unbillig sein und Fehlanreize setzen kann. Das Amt des „Finanzvorstands“, in dessen Aufgabenbereich die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen, Steuern, aber eben auch die Überwachung der Solvenz des Vereins primär fällt, würde dadurch haftungsrechtlich „aufgeladen“ und unattraktiv, weil im Falle eines Falles ihn allein die Verantwortlichkeit treffen würde. Demgegenüber stärkt der Gedanke der Gesamtverantwortung des Vorstands gerade in Idealvereinen die kollegiale Zusammenarbeit zwischen den Vorstandsmitgliedern. Die zitierte Äußerung der Begründung zum Gesetz zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen ist daher in der Sache überzeugend. Im Übrigen wird man sie selbst dann für die Auslegung zu akzeptieren haben, wenn man der rechtspolitischen Einschätzung nicht folgen wollte. Denn in dieser Begründung kommt der gesetzgeberische Wille klar zum Ausdruck. 34

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cc) Konsequenzen Diese Argumentation passt auch für die Überwachungspflicht im Vorfeld der Insolvenzreife nach § 42 Abs. 2 BGB. Auch insoweit reduziert sich also zwar die Verantwortlichkeit der nicht-ressortzuständigen Vereinsvorstände auf eine Überwachungspflicht, die Verantwortlichkeit ist aber nicht völlig ausgeschlossen. Bei Anhaltspunkten dafür, dass der Verein in eine Krise gerät und möglicherweise ein Insolvenzantrag erforderlich ist, muss einerseits das nach der internen Aufgabenverteilung zuständige Vorstandsmitglied aktiv werden, die Solvenz des Vereins genauer überwachen und seinen übrigen Vorstandskollegen Bericht erstatten (Bringschuld). Andererseits sollten auch die nach der Geschäftsverteilung an sich nicht unmittelbar zuständigen Vereinsvorstände bei Anhaltspunkten für eine Krise den „Finanzvorstand“ kollegial unterstützen, sich Berichte geben lassen (Holschuld) und ggf. eigene Beurteilungen anstellen, wenn die Berichte nicht plausibel erscheinen. Ist die genannte Pflicht zur Überprüfung der Finanzlage im Verein keinem Vorstandsmitglied ausdrücklich zugewiesen (weil es entweder keine Ressortaufteilung gibt oder dem „Kassenwart“ oder „Schatzmeister“ nur begrenzte Aufgaben in der Satzung oder einer Geschäftsverteilung aufgetragen sind), bleibt es grundsätzlich uneingeschränkt bei der Gesamtverantwortung des Vereinsvorstands. Denn es kann die Vorstandsmitglieder nicht entlasten, dass sie schlicht niemanden für den entsprechenden Aufgabenkreis bestimmen. Eine „satzungsmäßig verordnete Blindheit“ in Finanzdingen kann es nicht geben. Die Pflichten aus § 42 BGB stehen nicht zur Disposition der Satzung (arg. e § 40 BGB), sondern bestehen im öffentlichen Interesse und sind, wie klar ersichtlich ist, nicht abdingbar. Hat ein Vorstandsmitglied diese Pflicht bislang tatsächlich erfüllt, ohne dass es eine entsprechende ausdrückliche Geschäftsverteilung gibt, wird man dieses Mitglied als für die Solvenzüberwachung primär zuständig ansehen müssen. Sich auf seine „Unzuständigkeit“ zu berufen, würde § 242 BGB entgegenstehen. Denn unabhängig von einer schriftlichen Festlegung können sich die anderen Organmitglieder darauf verlassen, dass dieses Vorstandsmitglied entsprechend tätig wird.

III. Haftung gegenüber dem Verein 1. Haftung nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB Die geschilderte Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages und zur Überwachung der Organmitglieder besteht auch gegenüber dem Verein.35 Im Verhältnis zum Verein dürfte der Akzent dieser Pflicht freilich eher darauf liegen, nicht zu früh Insolvenzantrag zu stellen. Denn ein voreiliger Insolvenz35 Soergel/Hadding (Fn. 23) § 42 Rn. 11; Reuter in MünchKommBGB (Fn. 10), § 42 Rn. 17; Westermann in Erman (Fn. 23) § 42 Rn. 7; Wischemeyer DZWiR 2005, 230, 232.

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antrag kann den Verein schädigen. Demgegenüber sind aus einer Insolvenzverschleppung typischerweise die Gläubiger (und nicht der Verein selbst) geschädigt. Der Verein hat gegen die Vorstandsmitglieder unter den üblichen Voraussetzungen einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB. Gemäß der Neuregelung in § 31a Abs. 1 BGB sind unentgeltlich oder nur gegen ein geringfügiges Entgelt (maximal 500 EUR jährlich) tätige Vorstandsmitglieder freilich nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ersatzpflichtig. Damit wird diesen typischerweise ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen ein Haftungsprivileg zugestanden. Diese Reduzierung des Sorgfaltsmaßstabs gilt unabhängig davon, ob der Verein gemeinnützig ist. Das ist sachgerecht. Denn auch wer ehrenamtlich für einen Verein tätig ist, der nicht gemeinnützig ist, kann erwarten, dass der Verein auf dieses besondere Engagement Rücksicht nimmt. Daher erscheint die weniger strenge Haftung auch in diesem Fall angebracht. 2. Haftung analog § 64 S. 1 GmbHG, §§ 92 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 3 S. 6 AktG, §§ 99 Abs. 2, 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG? Nach § 64 S. 1 GmbHG sind die Geschäftsführer der GmbH der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit/Feststellung der Überschuldung geleistet werden. Für die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft/Genossenschaft gilt gemäß §§ 92 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 3 S. 6 AktG bzw. §§ 99 Abs. 2, 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG Ähnliches. In der Literatur ist die Ansicht vertreten worden, diese Regelung sei auf den Vorstand des Vereins analog anzuwenden.36 Dem ist nicht zu folgen.37 Denn ganz abgesehen davon, dass die genannten Normen ihrerseits rechtspolitisch zweifelhaft 38 und damit für eine Analogie nicht gerade prädestiniert sind 39, würde eine solche scharfe Haftung die Sonderstellung des Vereins, dem, wie gerade die Neuregelung des § 31a BGB zeigt auch ein weniger professionelles Management zugestanden wird, zunichte machen.40 Auch ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, der im Rahmen des MoMiG die unterschiedlichen Regelungen gerade erst ausdrücklich akzeptiert hat,41 eine solche Vereinheitlichung nicht wollte. Zwar wurde durch 36 Burgard ZIP 2010, 358, 360; G. Roth EWiR 2009, 331 § 42 BGB 1/09; Passarge ZInsO 2005, 176; Reuter in MünchKommBGB (Fn. 11) § 42 Rn. 17; Wischemeyer DZWiR 2005, 230, 233. 37 Wie hier OLG Hamburg ZIP 2009, 767; OLG Karlsruhe NZG 2009, 995; Koza DZWiR 2008, 98; H.-F. Müller ZIP 2010, 153, 158; Westermann in Erman (Fn. 21) § 42 Rn. 6. 38 Karsten Schmidt ZHR 168 (2004) S. 637 ff. 39 Westermann in Erman (Fn. 23) § 42 Rn. 6. 40 Koza DZWiR 2008, 98, 100. 41 Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucks. 16/61404, S. 16.

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das MoMiG, wie gezeigt, die Insolvenzantragspflicht in § 15a InsO rechtsformneutral vereinheitlicht. §§ 64 GmbHG, 92 AktG sind aber nach wie vor rechtsformspezifische Sonderregeln, die in das Vereinsrecht nicht übertragbar sind. Es fehlt sowohl an einer „planwidrigen Unvollständigkeit“ des Gesetzes, also an einer Regelungslücke im Vereinsrecht, als auch an der Vergleichbarkeit der Regelungslage.

IV. Haftung gegenüber den Gläubigern des Vereins nach § 42 Abs. 2 S. 2 BGB 1. Voraussetzungen der Haftung a) Der relevante Sorgfaltsmaßstab Gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 BGB haften, wenn der Insolvenzantrag verzögert wird, die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern des Vereins auf Schadensersatz. Diese Spezialregelung versperrt den Rückgriff auf §§ 823 Abs. 2, 42 Abs. 2 S. 1 BGB.42 Fraglich ist, ob die Sonderregelung des § 31a BGB auch insoweit greift. Nach dem Wortlaut der Neuregelung des § 31a BGB gilt die Reduzierung des Sorgfaltsmaßstabes nur im Verhältnis des Vorstandsmitglieds zum Verein und zu den Vereinsmitgliedern, nicht auch im Verhältnis zu Gläubigern 43. Im Verhältnis zu Dritten bleibt es danach bei dem allgemeinen Maßstab des § 276 BGB. Soweit hiernach eine Haftung des Vereinsvorstands gegenüber Dritten begründet ist, obwohl der Vorstand weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat, greift zur Entlastung des ehrenamtlich tätigen Vereinsvorstands der Freistellungsanspruch gegen den Verein gem. § 31a Abs. 2 BGB. Nach dieser Systematik betrifft die Reduzierung des Sorgfaltsmaßstabs also grundsätzlich allein das Innenverhältnis des Vereinsvorstands gegenüber dem Verein und seinen Mitgliedern, nicht das Außenverhältnis zu Dritten. Überträgt man das auf den Fall der Haftung gem. § 42 Abs. 2 S. 2 BGB, so bedeutet das: Da dem Wortlaut des Gesetzes nach keine Sonderregelung eingreift, scheint es so, als hafte auch ein unentgeltlich tätiges Vorstandsmitglied gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 BGB für Vorsatz und jede Fahrlässigkeit.44 Eine solche strikte Insolvenzverschleppungshaftung unentgeltlich tätiger Vereinsvorstände erscheint unseres Erachtens aber nicht sachgerecht. Sie würde dazu führen, dass das Regelungsanliegen des neuen § 31a BGB in 42 Umstritten: Wie hier Eckardt in AnwaltsKommBGB (Fn. 22) § 42 Rn. 46; Schwarz/ Schöpflin in Bamberger/Roth (Fn. 21) § 42 Rn. 13; Weick in Staudinger, BGB, § 42 Rn. 10; Westermann in Erman (Fn. 22) § 42 Rn. 6; aA Haas SpuRT 1999, 1, 4; Wischemeyer DZWiR 2002, 230, 232. 43 Zu dem Fall, dass Vereinsmitglieder Gläubiger sind unten IV.3. 44 So Burgard ZIP 2010, 358, 359, 363; H.-F. Müller ZIP 2010, 153, 156 f.

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einem für die Vereinsvorstände zentral wichtigen Bereich verfehlt würde. Zwar greift gem. § 31a Abs. 2 BGB der Freistellungsanspruch des unentgeltlich (oder gegen ein geringfügiges Entgelt) tätigen Vorstands gegen den Verein, wenn ein solcher Vorstand einem anderen zum Ersatz eines in Wahrnehmung seiner Vorstandspflichten verursachten Schadens verpflichtet ist und er den Schaden nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Aber dieser Freistellungsanspruch geht in der Insolvenz des Vereins ins Leere! Denn dieser Anspruch gegen den insolventen Verein wird kaum je bedient werden. Der Schaden bliebe somit wirtschaftlich bei dem unentgeltlich tätigen Vereinsvorstandsmitglied „hängen“, was § 31a BGB ersichtlich gerade vermeiden will. Bei einer am Zweck der Neuregelung des § 31a BGB orientierten Auslegung muss man daher die Reduzierung des Sorgfaltsmaßstabs für unentgeltlich (oder gegen ein geringfügiges Entgelt) tätige Vereinsvorstände ausnahmsweise auf das Verhältnis zu Gläubigern ausdehnen, wenn anderenfalls die gewollte Haftungsbegrenzung dieser Vorstände nicht erreicht würde. Der reduzierte Sorgfaltsmaßstab des § 31a BGB gilt deshalb auch für die Haftung nach § 42 Abs. 2 S. 2 BGB. Zwar mag man einwenden, dass § 42 Abs. 2 S. 2 BGB Gläubigerschutz bezweckt und Gläubigerschutz hier wie sonst Vorrang genießen müsse. Das Regelungsanliegen des neuen § 31a BGB ist aber erkennbar, ehrenamtlich tätige Vereinsvorstände haftungsrechtlich zu privilegieren. Die Bevorzugung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen ist in der Gemengelage von legitimen Interessen nach Haftungsbegrenzung bei Ausübung eines Ehrenamts einerseits und den Interessen der Gläubiger auf Haftung andererseits auch angemessen. Wer als Gläubiger mit (Ideal-)Vereinen kontrahiert, weiß im Regelfall, worauf er sich einlässt und sollte sein Sicherungsinteresse anderweitig suchen als durch Haftungsverfolgung gegenüber ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen. Würde man unentgeltlich tätige Vereinsvorstandsmitglieder schon bei leicht fahrlässiger Insolvenzverschleppung uneingeschränkt in die persönliche Haftung nehmen, würde das den Vereinsvorständen die von § 31a BGB gewollte Haftungserleichterung gerade in einem Fall praktisch nehmen, in dem sie ihn besonders nötig haben, nämlich in der Insolvenz des Vereins. Das Gesetz zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen wäre geradezu ein „Etikettenschwindel“, wenn die gewollte Haftungsbegrenzung in der Insolvenz des Vereins im Ergebnis nicht zu Zuge käme. Da unentgeltlich tätige oder geringfügig entgoltene Vereinsvorstände sich mit ihrer Vergütung auch nicht umfassend gegen Haftungsrisiken aus ihrer Vorstandstätigkeit versichern können,45 wäre es unangemessen, ihnen schon bei leichter Fahrlässigkeit die uneingeschränkte Haftung wegen Insolvenzverzögerung aufzubürden. Ein solches Haftungs-

45

Zu diesem Gesichtspunkt s. BT-Drucks. 16/13537, S. 6.

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risiko könnte im Übrigen das gesellschaftspolitisch gewollte Engagement ehrenamtlicher Tätigkeit empfindlich stören, was dem Gesetzeszweck der Neuregelung des § 31a BGB diametral zuwider liefe. Im Ergebnis ist die Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen aus § 42 Abs. 2 S. 2 BGB daher entsprechend § 31a BGB auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit begrenzt. Der allgemeine Verschuldensmaßstab des § 276 BGB (Haftung schon bei leichter Fahrlässigkeit) gilt für Vorstände, die unter § 31a BGB fallen, nicht. b) Sorgfaltswidriges Verhalten, insbes. sachverständiger Rat Um festzustellen, ob das jeweilige Organmitglied die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in grober Weise außer Acht gelassen hat (§ 276 Abs. 2 BGB), kommt es bei Unterlassung der Antragstellung dann wieder darauf an, wer welche Aufgabe innerhalb des Vereinsvorstands hatte. Wie geklärt, sind zur Überwachung der Solvenz des Vereins grundsätzlich alle Vereinsvorstände verantwortlich (Gesamtverantwortung). Ist nach der internen Ressortaufteilung für Finanzfragen in erster Linie ein „Finanzvorstand“ (oder der „Kassenwart“, „Schatzmeister“) zuständig, trifft ihn die primäre Verantwortung für die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags. Kennt das Vorstandsmitglied die Insolvenzreife, so muss es unverzüglich tätig werden. Vielfach werden vor allem ehrenamtlich tätige Vereinsvorstände aber gar keine Erfahrung darin haben, Finanzpläne und einen Überschuldungsstatus zu erstellen. Im Einzelfall können schwierige Bewertungen erforderlich werden (beispielsweise die Bewertung von Immobilien oder sonstigem Anlagevermögen). Hier wird regelmäßig zu empfehlen sein, sachverständigen Rat einzuholen. Hierdurch veranlasste Verzögerungen sind hinzunehmen. Stellen die externen Berater dem Verein aufgrund eines vollständig gewährten Einblicks in die Datenlage trotz der aktuellen Krise eine positive Fortbestehensprognose (§ 19 Abs. 2 S. 1, 2. Halbs. InsO), darf sich der Vereinsvorstand darauf verlassen.46 Auch wenn sich die Prognose im weiteren Verlauf als zu optimistisch erweist und der Verein doch zahlungsunfähig wird, darf dem Vereinsvorstand im Nachhinein kein haftungsbegründender Schuldvorwurf gemacht werden. Voraussetzung dafür, dass der Vorstand sich auf die Einschätzung der externen Experten verlassen darf, ist freilich, dass diesen sämtliche relevanten Informationen für die Beurteilung gegeben werden. Hält der Vereinsvorstand Informationen zurück, die für die Beurteilung der Insolvenzgründe relevant sein können, bleibt er verantwortlich. Die Primärverantwortlichkeit des „Finanzvorstands“ schließt, wie gezeigt, die Mitverantwortung der übrigen Vorstandsmitglieder nicht völlig aus. Vielmehr trifft die anderen nach wie vor eine Überwachungsverantwortung. 46

Vgl. BGH NZG 2007, 545.

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Sofern das Vorstandsmitglied seiner Überwachungspflicht nicht nachkommt, und infolgedessen die Überschuldung/Zahlungsunfähigkeit des Vereins auch nicht erkennt, und dann den Insolvenzantrag auch nicht stellt, ist fahrlässiges Handeln – von Fällen besonderer subjektiver Sachlage einmal abgesehen – gegeben. 2. Der zu ersetzende Schaden Nach ganz herrschender Meinung ist den Gläubigern, deren Forderungen schon im Zeitpunkt des Entstehens der Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages bestanden, der sogenannte Quotenschaden zu ersetzen, also der Schaden, der auf die Verringerung der Haftungsmasse durch die verspätete Antragstellung zurückzuführen ist.47 Dieser Quotenschaden ist kaum je zu berechnen und wird in der Praxis auch nicht geltend gemacht.48 Den Neugläubigern, also den Personen, die nach dem Zeitpunkt, zu dem die Insolvenz hätte beantragt werden müssen, Gläubiger wurden, wird der Schaden ersetzt, der ihnen durch das Geschäft mit dem Verein entstanden ist. Dieser Schaden lässt sich berechnen und wird auch geltend gemacht.49 3. Haftung gegenüber Vereinsmitgliedern Gemäß § 31a Abs. 1 S. 2 BGB haften Vorstandsmitglieder, die unentgeltlich (oder gegen geringfügiges Entgelt) tätig sind, für einen in Wahrnehmung ihrer Vorstandspflichten verursachten Schaden gegenüber Vereinsmitgliedern nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Dies gilt für alle Vorstandsmitglieder gleichermaßen und betrifft, wenn ein Vereinsmitglied zugleich Gläubiger des Vereins ist, bereits dem Wortlaut nach auch die Haftung nach § 42 Abs. 2 S. 2 BGB. Steht also das Schuldverhältnis mit der Mitgliedschaft in Zusammenhang, beispielsweise bei Trainern und Spielern, greift das Haftungsprivileg des § 31a Abs. 1 S. 2 BGB bereits dem Wortlaut der Norm nach. Wie oben gezeigt, ist § 42 Abs. 2 S. 2 BGB im Fall des unentgeltlich (oder gegen geringfügiges Entgelt) tätigen Vereinsvorstands aber ohnehin einschränkend dahin auszulegen, dass der reduzierte Sorgfaltsmaßstab des § 31a BGB auch für die Haftung gem. § 42 Abs. 2 S. 2 BGB gilt. Damit wird die sonst erforderliche Abgrenzung der mitgliedschaftlichen Sphäre von den sog. Drittgeschäften für die Haftung aus §§ 42 Abs. 2 S. 2, 31a BGB entbehrlich.

47 OLG Köln WM 2006, 2006; Eckardt in AnwaltsKommBGB (Fn. 23) § 42 Rn. 47; Haas SpuRT 1999, 1, 5; Schwarz-Schöpflin in Bamberger/Roth (Fn. 23) § 42 Rn. 10; Westermann in Erman (Fn. 21) § 42 Rn. 6. 48 Schilderung bei K. Schmidt ZHR 168 (2004) 637, 639 ff. 49 Siehe OLG Köln WM 2006, 2006, 2007 und OLG Köln NJW-RR 1998, 686.

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4. Haftung gegenüber Personen, die die Insolvenzreife kennen/ Gläubigern gesetzlicher Schuldverhältnisse Die Rechtsprechung hat entschieden, dass Dritte, die die Insolvenzreife des Vereins kennen und gleichwohl mit ihm kontrahieren, nicht in den Schutzbereich von § 42 Abs. 2 S. 2 BGB fallen.50 Diese Einschränkung findet sich für Kapitalgesellschaften im Rahmen der vergleichbaren Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO nicht. Sie beinhaltet insofern also eine Besserstellung des Vereinsvorstands und ist damit zu rechtfertigen, dass ein Gläubiger eines Vereins mit einem weniger professionellen Management rechnen muss und daher, wenn er die Insolvenzreife kennt, von sich aus von dem Geschäftsabschluss absehen muss oder aber – wenn er sich anders entscheidet – keinen Anspruch gegen das Vorstandsmitglied geltend machen kann. Eine vergleichbare Diskussion findet sich bei den Kapitalgesellschaften bei der Frage, ob Neugläubiger gesetzlicher Schuldverhältnisse in den Schutzbereich von § 15a InsO fallen. Versteht man den Anspruch nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO als Folge eines von den Gläubigern in die Gesellschaft investierten Vertrauens, kommt ein Schadensersatzanspruch von Gläubigern solcher Schuldverhältnisse naturgemäß nicht in Frage. Geht es demgegenüber darum, mit scharfen Sanktionen sicher zu stellen, dass insolvenzreife Unternehmen nicht mehr am Markt sind, kann man anders entscheiden.51 Der BGH steht auf dem Standpunkt, dass Gläubiger gesetzlicher Schuldverhältnisse keine Ansprüche nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO haben, da die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrages nicht den Zweck habe, potentielle Gläubiger gesetzlicher Schuldverhältnisse davor zu schützen, nach Insolvenzreife Opfer eines Delikts oder Inhaber eines Anspruchs aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu werden.52 Das liegt auf der hier vertretenen Linie und lässt die Frage aufkommen, ob nicht auch im Rahmen der Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO die Gläubiger auszunehmen sind, die von der Insolvenzreife wissen und gleichwohl kontrahieren. Es wird auch bereits diskutiert, ob diese Personen ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB trifft.53 Das kann hier nicht vertieft werden. Aus der Diskussion zu dem Schutzbereich von § 15a InsO lässt sich für die Interpretation von § 42 Abs. 2 S. 2 BGB der Hinweis auf die Sonderstellung der Gläubiger gesetzlicher Schuldverhältnisse nutzbar machen. Da auch diese Personen nicht darauf vertraut haben, dass der Verein nicht insolvenzreif ist, fehlt ein Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Vorstandsmit50 OLG Köln WM 2006, 2006, 2007; OLGR Hamm 2001, 265; zustimmend Westermann in Erman (Fn. 23) § 42 Rn. 6. 51 Überblick über den Meinungsstand bei Bayer/Lieder WM 2006, 1, 5. 52 BGH ZIP 2005, 1734, 1738 (Deliktsgläubiger); BGH ZIP 2009, 366 (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall). 53 Fleischer in Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 92 Rn. 46.

Haftungsrisiken für Vorstandsmitglieder insolvenzgefährdeter Vereine

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glieder und den Verlusten dieser Personen. Es gelten dieselben Überlegungen wie im Recht der Kapitalgesellschaften – noch verstärkt aufgrund der bereits mehrfach betonten Sonderstellung der Organmitglieder von Vereinen.

V. Zusammenfassung Auch für Vereine gilt, dass der Vorstand im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen hat (§ 42 Abs. 2 S. 1 BGB, § 15a Abs. 1 S. 1 InsO). Hinsichtlich der Beurteilung der insolvenzrechtlich relevanten Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO) gelten für Vereine ebenfalls keine Besonderheiten. Aus diesen Insolvenzantragstatbeständen resultiert für den Vereinsvorstand die Pflicht, die Solvenz des Vereins zu überwachen. Die Erfüllung dieser Pflicht ist nicht formalisiert. Die Solvenzprüfungen sind aber mit „gleitender Intensität“ vorzunehmen und werden umso bedeutsamer, je mehr Anzeichen für eine Krise des Vereins vorliegen. Die Pflicht zur Insolvenzantragstellung obliegt der Gesamtverantwortung des Vereinsvorstands. Eine interne Ressortaufteilung hebt die Gesamtverantwortung der nach der Aufteilung nicht primär zuständigen Vereinsmitglieder nicht auf, sondern reduziert diese auf eine Überwachungsverantwortlichkeit. Für unentgeltlich oder gegen ein geringfügiges Entgelt (maximal 500 EUR jährlich) tätige Vereinsvorstände ist der Sorgfaltsmaßstab gem. § 31a BGB n.F. auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit reduziert. Dieser reduzierte Sorgfaltsmaßstab gilt für diese ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder richtigerweise auch im Rahmen der Haftung für eine verzögerte Insolvenzantragstellung gem. § 42 Abs. 2 S. 2 BGB. Eine Haftung der Vereinsvorstände analog § 64 S. 1 GmbHG ist abzulehnen.

Haftung des Verkäufers wegen Informationspflichtverletzung beim Unternehmenskauf Martin Henssler I. Einleitung – Die Verkäuferhaftung beim Unternehmenskauf Das Recht der Verkäuferhaftung beim Unternehmenskauf zählte in der Zeit nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zu den am intensivsten diskutierten Fragen des neuen Rechts. Aus gutem Grund, war es doch ein Anliegen des Gesetzgebers, diese Haftung auf eine neue Grundlage zu stellen. Seit der nachträglich erfolgten Neufassung des § 444 BGB1 ist das wissenschaftliche Interesse an der Materie freilich etwas erlahmt. Anders als in sonstigen Teilgebieten des neuen Rechts fehlt es schlicht an gerichtlichen Entscheidungen, die den Anstoß zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Materie geben könnten. Das heißt freilich nicht, dass die Probleme geklärt wären, es also keine Streitigkeiten gäbe. Ganz im Gegenteil! Die Medien berichten immer wieder über Fälle, in denen Käufer nach spektakulären Unternehmensübernahmen eine unzureichende Information durch den Verkäufer rügen und Ersatzansprüche geltend machen.2 Fortgesetzt hat sich allerdings das schon aus der Zeit vor der Schuldrechtsreform bekannte Phänomen, dass Streitigkeiten über Unternehmenskäufe nicht vor den staatlichen Gerichten ausgetragen werden, sondern vor Schiedsgerichten, mit der Folge, dass veröffentlichte Entscheidungen nicht vorliegen. Soweit die Schuldrechtsreform daher im Sinne der jüngsten Kampagne 3 als Beitrag zur Stärkung des „Law made in Germany“ und des Gerichtsstandorts Deutschland gedacht war, hat sich die Erwartungshaltung der Initiatoren der Reform nicht erfüllt. In der Tat bedarf es hier dringend weiterer Maßnahmen, wie sie

1 Durch Einfügung des Wortes „soweit“ im Rahmen des FernabsFDLG v. 2.12.2004, BGBl. I 2004, S. 3102. 2 Vgl. etwa Handelsblatt v. 17.10.2008 zum Fall des Finanzinvestors 3i, der eine entsprechende Schiedsklage gegen die Deutz AG wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit dem Kauf der Deutz-Tochter Power Systems erhob. 3 Zu dem Versuch als Gegengewicht zu britischen Werbekampagnen das deutsche Rechtssystem als Standortvorteil anzupreisen Kamphausen DRiZ 2009, 222; Kötz AnwBl. 2010, 1 ff.; Triebel AnwBl. 2008, 305.

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nunmehr in einem Pilotprojekt im OLG-Bezirk Köln angedacht werden, in dem die Möglichkeit in englischer Sprache durchgeführter Gerichtsverfahren getestet wird.4 Klaus J. Hopt, dem dieser Beitrag in hoher persönlicher Wertschätzung und Anerkennung seiner herausragenden Verdienste um das deutsche Handels- und Wirtschaftsrecht gewidmet ist, zählt zu jenen Rechtswissenschaftlern, die sich besonders um den Gedankenaustausch mit dem anglo-amerikanischen Rechtskreis verdient gemacht haben. Immer wieder hat er die deutsche rechtswissenschaftliche Diskussion um Erkenntnisse aus dem Erfahrungsschatz des ausländischen Rechts bereichert.5 Auch das Recht des Unternehmenskaufs, das sich durch zahlreiche legal transplants aus dem USamerikanischen Recht auszeichnet, ist von Hopt im Rahmen seines vielfältigen wissenschaftlichen Werkes häufig behandelt worden.6 Der Verfasser dieses Beitrags hofft daher, dass einige Überlegungen zu der nach wie vor nicht abschließend geklärten Haftung des Unternehmensverkäufers wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten das Interesse des Jubilars finden könnten. Die grundlegenden Änderungen, welche die Schuldrechtsreform für das Recht des Unternehmenskaufs brachte, betrafen nicht nur die Mängelhaftung des Verkäufers, sondern ähnlich einschneidend auch die Haftung des Verkäufers wegen der Verletzung von Informationspflichten im Vorfeld eines Unternehmenskaufvertrages.7 Für die Praxis dürften die letztgenannten Änderungen sogar bedeutsamer sein, wird doch in anwaltlich beratenen Unternehmenskaufverträgen die Mängelhaftung üblicherweise ausgeschlossen. Zwar greift die nunmehr in §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 i.V.m. 311 Abs. 2 BGB geregelte Haftung eines Unternehmensverkäufers aus culpa in contrahendo weiterhin, soweit es um Nebenpflichtverletzungen geht, die nicht zu einem Mangel des Unternehmens führen, wie dies bei der Verletzung von Informations- und Aufklärungspflichten des Verkäufers der Fall ist.8 Anwendungsbereich und Funktion dieses Rechtsinstituts für den Unternehmenskauf haben sich jedoch im Zuge der Schuldrechtsreform grundlegend verändert. Während der BGH nach altem Recht das Institut der vorvertraglichen Haf-

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Dazu den Bericht von Jahn in: FAZ v. 9.1.2010, S. 11. Als paradigmatisch können seine Überlegungen zur Vertrauens- und Berufshaftung gelten, die sich auf Erkenntnisse des angelsächsischen Rechtskreises stützten, vgl. Hopt Kapitalanlegerschutz, 1975; ders. FS Fischer, 1979, S. 237; ders. AcP 183 (1983), 705. 6 Vgl. nur Hopt ZGR 2002, 333, 352 ff. (zu Interessenkonflikten von Vorstand und Aufsichtsrat); ders. in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, vor § 1 Rn. 44 ff.; zu den Pflichten des Vorstands beim Unternehmenskauf Hopt in: GroßkommAktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 81 ff. 7 Dazu Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 6), vor § 1 Rn. 47. 8 Jagersberger Die Haftung des Verkäufers beim Unternehmens- und Anteilskauf, 2006, S. 405 ff., 419; Triebel/Hölzle BB 2002, 521, 533; Emmerich in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2007, § 311 Rn. 138 ff. 5

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tung genutzt hat, um die als unzureichend empfundene gesetzliche Regelung der Gewährleistung des Verkäufers bei Mängeln des Kaufobjektes zu ersetzen, ist dieser Grund für ein extensives Verständnis der culpa in contrahendo nach Einschätzung des Gesetzgebers mit der Neuregelung entfallen.9 Die ältere Rechtsprechung aus dem Zeitraum vor dem Jahre 2002 ist daher überholt, soweit sie von einem weiten Pflichtenkanon des Verkäufers ausging.10

II. Die Haftung wegen Verletzung von Informationspflichten Die Haftung für die Verletzung von Aufklärungs- oder Informationspflichten im Rahmen von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) bildet heute den „Kern des Rechtsinstituts der c.i.c.“.11 § 241 Abs. 2 BGB spricht seit 2002 allgemein von der Pflicht zur Rücksichtnahme „auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils“, die sich aus einem Schuldverhältnis ergeben kann. Mit der ausdrücklichen Erwähnung der „Interessen“ des Vertragspartners war keine Erweiterung der bis dato geltenden Rechtslage bezweckt.12 Vielmehr kann für die Beurteilung von Inhalt und Reichweite der Nebenpflichten auf die schon zuvor von Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Regeln zurückgegriffen werden.13 Der Inhalt der im Rahmen der Vertragsverhandlungen zu beachtenden Verhaltenspflichten wird durch § 241 Abs. 2 BGB weiterhin nicht näher definiert. Er kann naturgemäß nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles, des Inhalts des Schuldverhältnisses, des Vertragstyps, der Geschäftserfahrung des Vertragspartners, der ökonomischen Bedeutung u.ä. ermittelt werden. Das gilt auch für die hier relevanten Informationspflichten des Verkäufers im Rahmen von Kaufvertragsverhandlungen. Die informationsbezogenen Pflichten der Vertragspartner bilden einen der wichtigsten Komplexe unter den Fallgruppen der Verhaltenspflichten, die von der Rechtsprechung entwickelt wurden. Die deutsche Dogmatik nimmt insoweit eine grundsätzliche Unterscheidung vor zwischen der positiven Falschinformation und der Ver-

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RegBegr., BT-Drucks. 14/6040, S. 242 (l. Sp. u.). Diese Tendenz der älteren Rechtsprechung wird auch von Emmerich (Emmerich in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 311 Rn. 128) hervorgehoben; vgl. zu den Änderungen der Rechtslage beim Unternehmenskauf nach der Schuldrechtsreform auch ausführlich: Jagersberger (Rn. 8), S. 80 ff. 11 So Emmerich in: MünchKommBGB (Rn. 8), § 311 Rn. 96; vgl. auch Dedek in: Henssler/Graf von Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, 2. Aufl. 2003, § 241 Rn. 1. 12 Dedek in: Henssler/Graf von Westphalen (Fn. 11), § 241 Rn. 3 m.w.N. 13 Allgemeine Meinung, vgl. nur Heinrichs in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Aufl. 2010, § 241 Rn. 6 ff.; Dedek in: Henssler/Graf von Westphalen (Fn. 11), § 241 Rn. 3; Roth in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 241 Rn. 35. 10

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letzung einer Aufklärungspflicht durch Vorenthalten von Informationen. Die positive Falschinformation ist grundsätzlich eine Pflichtverletzung. Nur ausnahmsweise14 wird ein Recht zur Lüge anerkannt. Wer dem Vertragspartner Informationen offen legt, muss redlich vorgehen, so dass er sich – vorbehaltlich der Verschuldensfrage (§§ 280 Abs. 1, 276 BGB) – ersatzpflichtig macht, wenn die von ihm gegebenen Informationen nicht zutreffen.15 Weitergehende Probleme werden dagegen virulent, wenn einer Partei der Vorwurf gemacht wird, dem anderen Teil wichtige Informationen vorenthalten zu haben. Auch ein derartiges Verhalten kann zwar zu einer Haftung aus c.i.c. führen. Dies gilt aber nur, wenn der betreffenden Partei eine Pflicht zur Information oblag.16 Die Differenzierung besitzt nicht nur theoretisch-konstruktive Relevanz. Während beim bloßen Vorenthalten der Information stets nach einer sog. Beratungs- oder Aufklärungspflichtverletzung zu forschen ist, führt die positive Falschinformation, sofern sie schuldhaft begangen wurde, auch dann zu einer Schadensersatzpflicht, wenn keine Informationspflicht bestand, der Verhandlungspartner aber gleichwohl Angaben – aus eigenem Antrieb oder auf Befragen – gemacht hat. Die aktive Falschinformation ist – jedenfalls soweit sie sich auf entscheidungserhebliche Tatsachen und nicht nur auf subjektive Wertungen bezieht – grundsätzlich eine Pflichtverletzung.17

III. Pflichtverletzung durch aktive Täuschung 1. Aktive Täuschung über die wirtschaftliche Zukunft des verkauften Unternehmens Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung in Gestalt einer aktiven Täuschung kann bei Unternehmenskäufen insbesondere eine zu positive Darstellung der wirtschaftlichen Zukunft des verkauften Unternehmens sein. Gerade im Rahmen von Auktionsverfahren ist es ganz üblich, dass Szenarien über die künftige Entwicklung des verkauften Geschäftsbereichs erstellt und den Kaufinteressenten vorgestellt werden. Jeder betriebswirtschaftlich versierte Verkäufer wird schon im eigenen Interesse detaillierte Überlegungen zu den Ertragsaussichten und Risiken des zum Verkauf stehenden Geschäftsbereichs erarbeitet haben. Erweisen sich solche Präsentationen später als zu 14 Etwa im Arbeitsrecht, dazu BAG NZA 1996, 371; Preis/Bender NZA 2005, 1321; auch insoweit zweifelnd Rieble Gedächtnisschrift für Heinze, 2005, S. 687, 693. 15 Roth in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 241 Rn. 106, 115. 16 Emmerich in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 311 Rn. 97; Henssler Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 136 ff. 17 BGH NJW 1997, 938; 2000, 2503; NJW-RR 2001, 768; Roth in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 241 Rn. 115.

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optimistisch, wird in der M&A-Praxis nicht selten versucht, hieraus eine Pflichtverletzung des Verkäufers zu konstruieren. a) „Täuschung“ als vorvertragliche Pflichtverletzung Täuschung lässt sich als vorsätzliche Erregung, Bestärkung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums umschreiben, sei es durch das Vorspiegeln falscher oder das Verschweigen wahrer Tatsachen, um den Willensentschluss des Getäuschten zu beeinflussen.18 Diese Grunddefinition beansprucht im Kontext der Informationspflichtverletzung gleichermaßen Geltung wie im Rahmen einer Anfechtung von Willenserklärungen nach § 123 BGB. Die Problemlage ist weitgehend deckungsgleich, steht der Rechtsanwender doch jeweils vor der Aufgabe, die Reichweite vertragsschlussbezogener Aufklärungspflichten zu bestimmen und gegenläufige Ausgangsinteressen der Vertragspartner gegeneinander abzuwägen. Dieser wesensgleichen Sachstruktur entspricht ein weit reichender Gleichlauf des vorvertraglichen Pflichtenprogramms, woran die unterschiedlich strengen Verschuldensmaßstäbe nichts zu ändern vermögen.19 Dem getäuschten Vertragspartner steht es frei, ob er die Täuschung zum Anlass für eine Anfechtung des Vertrages oder für die Geltendmachung von Schadensersatzpflichten nehmen möchte. b) Verwirklichung des Täuschungstatbestandes Eine als aktive Täuschung relevante Pflichtverletzung lässt sich aus den Darstellungen im Rahmen einer Präsentation des Unternehmens durch den Verkäufer nur herleiten, wenn es sich bei den Angaben über den möglichen Geschäftsverlauf überhaupt um (unrichtige) Tatsachen handelt. Zudem ist eine Erklärung im Sinne des „Vorspiegelns“ der falschen Tatsachen „zur Erregung oder Aufrechterhaltung“ eines Irrtums zu verlangen. aa) Erklärung Der Anwendungsbereich denkbarer aktiver Täuschungshandlungen ist weit zu ziehen. In Betracht kommen Behauptungen über Zustände oder Ereignisse, Vorspiegeln, Unterdrücken oder Entstellen von Tatsachen, mündliche oder schriftliche Äußerungen, konkludentes Verhalten, Tathand18 BGH NJW 1957, 988; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl. 2004, § 37 Rn. 5; Kramer in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2006, § 123 Rn. 8; Heinrichs in: Palandt (Fn. 13), § 123 Rn. 2; Singer/von Finckenstein in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2004, § 123 Rn. 6. 19 Fleischer Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 459 f.; vgl. auch die frühere Formel des BGH, die Täuschungsanfechtung sei eine „gesetzliche Ausprägung der culpa in contrahendo“, z.B. BGH NJW-RR 1987, 59, 60; BGH NJW 1990, 1661, 1662; zu Erweiterungen der vorvertraglichen Informationspflicht gegenüber den Grundsätzen zur arglistigen Täuschung durch Unterlassen (Informationsbeschaffungspflichten) vgl. Fleischer (Fn. 19), S. 450 ff.

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lungen oder auch das Gesamtverhalten des Handelnden. Erforderlich ist jeweils eine aktive Erklärung.20 bb) Tatsachen Eine Tatsache liegt vor, wenn der Inhalt der Täuschungsaussage dem Urteil „wahr“ oder „falsch“ zugänglich ist.21 Eine in dieser Weise objektiv nachprüfbare Angabe ist einerseits – in sachlicher Hinsicht – von subjektiven Werturteilen, Vermutungen und Angaben abzugrenzen, die ihrem Inhalt nach ungewiss sind. Ihnen kann kein sachlicher Gehalt beigemessen werden. Entscheidend ist dabei stets, ob ein sog. „Tatsachenkern“ enthalten ist.22 Auch wenn Geschäftspläne erhebliche subjektive Elemente enthalten, wird man ihnen einen gewissen Tatsachenkern nicht absprechen können. Ohne einen entsprechenden Kern lassen sich die darauf aufbauenden betriebswirtschaftlichen Prognosen und Entwicklungsszenarien gar nicht plausibel entwickeln. Bei einem auf detailliertem Zahlenmaterial basierenden Szenario handelt es sich jedenfalls nicht ausschließlich um eine bloße „marktschreierische Anpreisung“ und damit nicht um ein reines Werturteil. Eine endgültige Antwort auf die Frage nach einer relevanten Pflichtverletzung lässt sich erst dann geben, wenn gerade auch der relevante Tatsachenkern als „falsch“ eingestuft werden kann. Bezieht sich die Unrichtigkeit ausschließlich auf den Prognose- bzw. Wertungsteil im Sinne der subjektiven Bewertung der Geschäftschancen, so gelten andere Maßstäbe. Bei subjektiven Werturteilen und Prognosen ist das Vertrauen in erster Linie darauf gerichtet, vom Kontrahenten nicht vorsätzlich getäuscht zu werden. Im Übrigen muss er sich bewusst sein, dass sich ein Werturteil wegen seiner Subjektivität notwendig nicht allein auf nachprüfbare Fakten stützt, sondern durch persönliche Fehlerquellen behaftet ist. Als Grundlage für eine Risikoübernahme ist ein fremdes Werturteil daher nur bedingt geeignet.23 Die Beurteilung einer im Vorfeld eines Unternehmenskaufs vorgelegten Präsentation berührt noch ein weiteres Problemfeld des Tatsachenbegriffs, nämlich dessen zeitliche Dimension. Lange Zeit entsprach es ganz herrschender Auffassung, dass sich eine Täuschung nur auf gegenwärtige oder vergan-

20 Zur Abgrenzung zur Täuschung durch Unterlassen vgl. Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 9, 10. 21 Vgl. dazu Bornkamm in: Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb, 28. Aufl. 2010, § 5 UWG Rn. 2.25 ff.; Kramer in: MünchKommBGB (Fn. 18), § 123 Rn. 12; Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 7. 22 Hefermehl in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 13. Aufl. 1999, § 123 Rn. 3; Kramer in: MünchKommBGB (Fn. 18), § 123 Rn. 15; Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 7; Heinrichs in: Palandt (Fn. 13), § 123 Rn. 3 unter Abgrenzung zur bloßen „marktschreierischen Anpreisung“. 23 Eingehend Henssler (Fn. 16), S. 135.

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gene Umstände beziehen könne.24 Lediglich die Wahrheit gegenwärtiger und zurückliegender Tatsachen lasse sich – so wurde argumentiert – objektiv ermitteln, was danach folge, sei „mit der Unsicherheit des Möglichen durchsetzt“25. Verwiesen wurde außerdem auf die zeitpunktbezogene Risikozuordnung der modernen Vertragsrechtsdogmatik, der zufolge zukünftige Entwicklungen, die zum Nachteil einer Vertragspartei ausschlagen, nur ausnahmsweise nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage – jetzt § 313 BGB – zu einer Vertragskorrektur berechtigen sollen.26 Fleischer plädiert für eine „teleologische Auflockerung“ dieser Grundsätze: § 123 Abs. 1 BGB solle die Verfälschung der Motivation zum Vertragsschluss verhindern, diese sei aber in der Regel nicht zeitpunkts-, sondern zukunftsbezogen. Am Beispiel des Unternehmenskaufs veranschaulicht er dies mit der Motivation des Käufers, der das Unternehmen gerade erwirbt, um es im Rahmen seiner unternehmerischen Planungen gewinnbringend einsetzen zu können.27 Analysiert man die einschlägige Rechtsprechung 28, stellt man fest, dass diese „Auflockerung“ in der Praxis tatsächlich vollzogen wird, wenngleich die Entscheidungen eine explizite Stellungnahme zur „zukunftsbezogenen Täuschung“ vermissen lassen. In der Kommentarliteratur kann die Möglichkeit der Täuschung über zukünftige Tatsachen inzwischen als wohl überwiegende Ansicht gelten; sie wird daher häufig schlicht festgestellt.29 Jedenfalls für den hier interessierenden Bereich der Pflichtverletzung durch aktive Täuschung im Rahmen der §§ 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB verdient diese extensive Auffassung Zustimmung. cc) Unrichtigkeit der erklärten Tatsachen Gerade wenn man diesem auch in zeitlicher Hinsicht weiten Verständnis des Tatsachenbegriffs folgt, so ist es aber umso wichtiger, einem unzulässigen Ausufern der fremdnützigen Informationsverantwortlichkeit eines Vertragspartners durch eine sachgerechte Verteilung des Prognoserisikos entgegenzuwirken. Die zukünftige Tatsache muss nämlich außerdem unrichtig sein, wenn ihre „Vorspiegelung“ eine relevante Täuschung sein soll. 24 Vgl. Hefermehl in: Soergel (Fn. 22), § 123 Rn. 3; v. Thur Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, II. Band 1. Hälfte, Unveränderter Nachdruck der 1914 erschienenen ersten Aufl., 1957, § 68 S. 605; aus strafrechtlicher Sicht Cramer in: Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2006, § 263 StGB Rn. 8. 25 So Fleischer (Fn. 19), S. 330. 26 Vgl. Emmerich Recht der Leistungsstörungen, 4. Aufl. 1997, S. 330–332, mit der Aussage, man könne „genau genommen über die Zukunft gar nicht irren“; dazu auch Henssler (Fn. 16), S. 30 f. 27 Ausführlich zu dieser „dynamischen Sichtweise“: Fleischer (Fn. 19) S. 331 f. 28 Vgl. (implizit): BGH NJW-RR 1988, 458, 459; NJW 1990, 1658, 1659. 29 Statt vieler: Kramer in: MünchKommBGB (Fn. 18), § 123 Rn. 15.

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Die in § 241 Abs. 2 BGB verankerten Schutzpflichten haben ihre Grundlage im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), aus dem sie von der deutschen Rechtsdogmatik auch vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform hergeleitet wurden. Es wäre aber eine grobe Verletzung von Redlichkeitskriterien, wollte man zukunftsbezogene Bewertungen – dem gerade typischen Charakter prognostischer Aussagen zum Trotz – schon dann als unrichtig bewerten, wenn der Prognosegegenstand nicht eintritt. Fleischer spricht insofern davon, dass dem berechtigten „Einwand, (…) der Erwerber [dürfe] das Risiko zukünftiger Entwicklungen nicht beliebig auf den Verkäufer abwälzen“, Rechnung getragen werden müsse. So falle eine allgemein optimistisch ausgegebene Einschätzung der zukünftigen Entwicklung noch nicht unter den Täuschungstatbestand, wenn sich die Dinge später anders entwickeln. Darüber hinaus seien solche Umstände dem Vorwurf der Täuschung unzugänglich, von denen jeder weiß oder wissen müsste, dass sie ihrer Natur nach risikobehaftet sind.30 Letztlich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht nicht bereits dann bejaht werden kann, wenn die Prognose durch die zukünftige Entwicklung widerlegt wird. Erforderlich ist vielmehr eine ex-ante Betrachtung. Wegen der subjektiven Komponente ist dem die Prognose äußernden Vertragspartner ein umfangreicher Beurteilungsspielraum einzuräumen.31 Vom Verkäufer eines Unternehmens dargestellte Geschäftsaussichten und -chancen sind ersichtlich und „ihrer Natur nach“ risikobehaftet. Sicher vorhersagen lässt sich eine prognostizierte Unternehmensentwicklung nicht. Anerkanntermaßen kann daher einer Partei keinesfalls die Pflicht auferlegt werden, „unter Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt in die Zukunft zu blicken.“32 Die inhaltliche Prüfung des Bewertungsaktes bezieht sich in diesen Fällen nur auf die Einhaltung bestimmter Mindestvoraussetzungen, für deren Ermittlung auf die Grundsätze zurückgegriffen werden kann, die etwa für die Revisibilität einer strafrechtlichen Beweiswürdigung, der Kontrolle der Einhaltung eines Beurteilungsspielraums im öffentlichen Recht oder der Kontrolle der Unternehmerentscheidung nach der Business Judgement Rule entwickelt wurden.33 Baut das Werturteil auf faktischen Grundlagen auf, müssen diese selbstverständlich zutreffen. Das Werturteil darf auch nicht gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Ein noch darüber hinausgehender Grundsatz, dass die Informationen mit den betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Planung vereinbar sein müssen, lässt sich dagegen 30

Fleischer (Fn. 19), S. 333. So eingehend bereits Henssler (Fn. 16), S. 135. 32 Triebel/Hölzle BB 2002, 521, 533; Schröcker ZGR 2005, 63, 89 unter Verweis auf die Rechtsprechung nach alter Rechtslage, z.B. BGH NJW 1991, 1673; NJW 1992, 2564. 33 Eingehend Henssler (Fn. 16), S. 135 m.w.N. 31

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nicht anerkennen. Ein solcher Grundsatz ginge in seiner Abstraktheit weit über das hinaus, was bislang im Schrifttum als Anforderung an die ex-post Richtigkeit von Werturteilen und Prognosen gestellt wurde.34 Er würde das Beurteilungsrisiko der Geschäftschancen einseitig auf den Verkäufer verschieben. Primär ist es aber Sache des Käufers, die Geschäftschancen des Kaufobjektes zu beurteilen. Der Verkäufer ist insoweit nicht der geschäftliche Berater des Käufers. Das gilt erst recht dann, wenn dieser selbst über hinreichende Geschäftserfahrung verfügt. Im Übrigen weist der BGH zutreffend darauf hin, dass es ganz entscheidend darauf ankommt, in welchem Kontext eine bestimmte Äußerung gefallen ist.35 Die Darstellung des Kaufobjekts, die anlässlich eines Bieterverfahrens für einen Unternehmensverkauf erfolgt, kann bei dem geschäftserfahrenen Interessenten keinesfalls die Erwartung erwecken, dieses notwendig vereinfachte Konzept seiner eigenen Planung zugrunde legen zu dürfen. Erst recht darf der Käufer nicht erwarten, dass der Verkäufer eine Gewähr für die Richtigkeit dieser betriebswirtschaftlichen Planungen übernehmen wolle. Eine gegenteilige Sichtweise würde völlig die Usancen bei einem Unternehmenskauf außer Acht lassen und die Funktion eines solchen Planes verkennen. Es entspricht allgemeinem Verständnis, dass niemand, der mit den üblichen Abläufen anlässlich eines Unternehmenskaufes auch nur ansatzweise vertraut ist, einen Plan, der in der konkreten Situation vorgelegt wird, zur Grundlage seiner Kaufentscheidung macht. Vorgelegte Business Pläne müssen daher in ihrem betriebswirtschaftlichen Prognoseteil als unverbindliches subjektives Werturteil betrachtet werden, auf dessen Richtigkeit der Käufer nicht vertrauen darf. 2. Aktive Täuschung über Funktion und Eigenschaft eines vorgelegten Businessplans Werden im Rahmen einer Präsentation des Unternehmens durch den Verkäufer sogar Businesspläne vorgelegt, so sind verschiedene Anknüpfungspunkte für einen Täuschungsvorwurf denkbar: 1. Zum einen stellt sich die Frage, ob der Käufer ohne weiteres darauf vertrauen darf, dass der vorgelegte Plan der einzige Businessplan des Verkäufers ist, so dass die Existenz von Alternativplänen als Täuschung gewertet werden müsste. 2. Zum zweiten ist zu überlegen, ob einem vorgelegten Plan tatsächlich für den Verkäufer die Funktion eines Businessplanes zukommen, ob er also für den Fall des Scheiterns der Verkaufsverhandlungen einen entsprechenden Umsetzungswillen haben muss. 34 So klammert Fleischer (Fn. 19), S. 333, zu Recht eine Verantwortung für die Richtigkeit aller bekanntermaßen und „ihrer Natur nach risikobehaftete[n] Umstände“ aus; deutlich enger ebenfalls Henssler (Fn. 16), S. 135 f. 35 BGH NJW 1982, 1095, 1097.

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a) Eigenschaft als „echter und einziger“ Businessplan Bei dem Charakter als „echter“ Businessplan handelt es sich um einen dem Beweis zugänglichen Umstand der äußeren Erscheinungswelt, mithin um eine Tatsache in dem bereits definierten Sinne. Wird ein Geschäftsplan in einem frühen Stadium eines als Bieterverfahren durchgeführten Unternehmensverkaufs vorgelegt, stellt sich aus Sicht des Käufers die Frage des Erklärungswertes einer solchen Vorlage. Erklärt ein Verkäufer durch diese Vorlage, dass es sich bei dem vorgelegten Plan um den einzigen Geschäftsplan handelt? Diese Frage muss jedenfalls dann eindeutig verneint werden, wenn es sich um eine sanierungsbedürftige Unternehmenssparte handelt. Keinesfalls ist ein auf Exklusivität zielender Erklärungsinhalt eine Selbstverständlichkeit. Vielmehr bedarf es im Einzelfall einer detaillierten Überprüfung, ob den Darstellungen in einem Businessplan eine derartige konkludente Aussage tatsächlich entnommen werden kann. Der Inhalt einer möglichen Täuschung ist durch Auslegung zu ermitteln.36 Analog zur Rechtslage bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB ein verobjektivierter Empfängerhorizont zugrunde zu legen und darauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste.37 aa) Wortlaut Bei (echten) Businessplänen (auch Geschäftsplan oder Unternehmenskonzept genannt) handelt es sich um schriftliche Zusammenfassungen eines unternehmerischen Vorhabens, um „niedergeschriebene unternehmerische Visionen, fundiert durch Daten“38. Ausgehend von einer Analyse der IstSituation des Unternehmens und des Marktes werden qualitative und quantitative Ziele des Unternehmens definiert und ein zeitlicher Rahmenplan für deren Umsetzung vorgestellt. Dabei existieren zwar keine einheitlichen Standards und es gibt im deutschen Recht auch keine gesetzliche bzw. feststehende Definition des Begriffs „Businessplan“.39 Typischerweise kommen Businesspläne aber in zwei Konstellationen zum Einsatz. Zum einen dienen sie dem Unternehmer selbst dazu, eine Übersicht über das betriebswirtschaftliche Für und Wider eines bestimmten Vorhabens (z.B. bei Umstrukturie-

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Statt aller: Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 9. Ausführlich: Busche in: MünchKommBGB (Fn. 18), § 133 Rn. 12. 38 Von Bernuth DB 1999, 1689 unter Verweis auf Ripsas Die Erstellung eines Business Plans – Eine Einführung, 1997. 39 Hundt/Neitz BC 2002, 181, 182; auch die betriebswirtschaftliche Literatur bleibt vage, vgl. z.B. Bea/Friedl/Schweitzer Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 2, 9. Aufl. 2005, S. 16 ff. 37

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rungsmaßnahmen, Investitionsentscheidungen, Entwicklung von Marktstrategien) zu gewinnen. Als Beispiel mag die interne Erstellung von Businessplänen im Vorfeld von Unternehmensverkäufen dienen.40 Zum anderen richten die Pläne sich an externe Kapitalgeber, um diese mit aussagekräftigen Konzepten zur Gewährung erforderlicher Kredite zu bewegen. Im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen steht dann meist der Aspekt im Vordergrund, potentielle Kapitalgeber vom Erfolg der geplanten Transaktion zu überzeugen und ihnen Gründe aufzuzeigen, warum die Fortführung des Unternehmens unter Leitung des Käufers Erfolg verspricht.41 Ausdrücklich hervorzuheben ist demgegenüber, dass die Information des Käufers durch den Verkäufer im Rahmen von Unternehmenstransaktionen ein zwar möglicher, aber nicht typischer Einsatzbereich für Businesspläne ist. Diese vollzieht sich vielmehr durch Informationsmemoranden, Präsentationen, Gespräche und die Due Diligence. Der Vorlage einer als Businessplan bezeichneten Darstellung kann jedenfalls nicht die konkludente Aussage entnommen werden, dass die darin zugrunde gelegte Planung die einzige Planung des Verkäufers ist, was die Existenz eines anderen, zu deutlich schlechteren Ergebnissen kommenden Businessplans ausschließt. Ein Businessplan im engen Sinn schließt nämlich keineswegs die Existenz anderer Planungsszenarien aus. Er ist kein starres Dokument, sondern entwickelt sich weiter. Zudem gibt es nicht nur eine zutreffende unternehmerische Planung. Businesspläne in ihrer ersten Funktion als „interne Arbeitspapiere“ dienen u.a. gerade dazu, solchen Unwägbarkeiten durch verschiedene Planungsszenarien (z.B. Liquiditätsplanung mit „worst case“ und „best case“) zu begegnen.42 Alternativpläne sind dabei ganz üblich und dies ist in den maßgeblichen Verkehrskreisen auch bekannt. Dies macht Alternativszenarien gerade nicht teilweise zu „Scheinplänen“ oder nimmt ihnen ihren Charakter als „reale Geschäftsplanung“. Selbst wenn ein bestimmtes Szenario nicht als verbindlicher oder offizieller Businessplan übernommen wird, kann die Erstellung solcher Szenarien Teil einer verantwortungsbewussten Geschäftsführung sein. bb) Gesamtumstände/Besonderheiten bei Auktionsverfahren Weit entscheidender als der Wortlaut sind die Gesamt- bzw. Begleitumstände, unter denen eine Erklärung abgegeben wurde. Der Erklärungsgehalt, der den Darstellungen und Prognosen eines Businessplans im Rahmen der Präsentation des Unternehmens nach Treu und Glauben und bei vernünftiger Betrachtung vom Empfängerhorizont entnommen werden konnte, hängt

40 41 42

Vgl. Picot Unternehmenskauf und Restrukturierung, 3. Aufl. 2004, S. 26. Von Bernuth DB 1999, 1689. Vgl. Hundt/Neitz BC 2002, 186.

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entscheidend davon ab, welcher Inhalt bei derartigen Präsentationen in den betreffenden Verkehrskreisen üblich ist. Das so genannte Auktions- oder Bietungs-/Bieterverfahren (Controlled Auction oder Bidding Process) stellt dabei in Abgrenzung zum herkömmlichen Verfahren eine alternative Möglichkeit der Unternehmensveräußerung dar, deren Bedeutung zunimmt. Bezeichnend für das mehr oder weniger standardisierte Verfahren sind eine Mehrzahl an Kaufinteressenten (Bieter) und die regelmäßige Einschaltung von Investmentbankern oder M&A-Beratern. Der Auktionsprozess weist sowohl verfahrenstechnisch als auch rechtlich einige Besonderheiten auf.43 Üblicherweise gliedert er sich in mindestens vier Phasen: Zunächst erfolgen eine interne Planung der Transaktion und die interne Vorbereitung des Verkaufes (1. Phase). Danach versucht sich der Verkäufer einen Überblick über potentielle Kaufinteressenten und deren wirtschaftliche Situation zu verschaffen und bereitet die für die Verkaufsverhandlungen notwendigen Verkaufs-Dokumentationen vor (2. Phase). Er beginnt also mit den Verkaufsaktivitäten i.e.S. Schließlich startet das eigentliche Bietungsverfahren, und zwar in mindestens zwei Runden, jedenfalls einer ersten (First Round Bidding) mit noch vorläufigen/unverbindlichen Angeboten (Indicating oder First Unbinding Offer) der Kaufinteressenten (3. Phase) und einer abschließenden (Final Round Bidding – 4. Phase).44 (1) Informationsmemorandum (Teaser) Einen festen Platz in diesem Verfahrensablauf hat zunächst das sog. Informationsmemorandum (auch „Offering Memorandum“), in dem das zur Veräußerung stehende Zielunternehmen angeboten wird. Diesem geht in der Regel eine entsprechende Ankündigung durch einen Informationsbrief (Teaser) voraus. Ausgearbeitet wird dieses Informationsmemorandum meist von Investmentbanken oder sonstigen M&A-Beratern, deren Aufgabe es ist, die Vorzüge der Transaktion den Tatsachen entsprechend und zugleich als möglichst attraktiv darzustellen. Typische Bestandteile des Memorandums sind dabei Verfahrensregeln zur Transaktion (Process Letter), eine zusammenfassende Beschreibung des Zielunternehmens in operativer, organisatorischer und finanzieller Hinsicht mit grundlegenden Informationen und Daten sowie eine möglichst präzise Beschreibung des Marktumfelds mit Alleinstellungsmerkmalen des Targets. In jedem Fall aber werden – betriebswirtschaft-

43 Vgl. zum Ablauf des Auktionsverfahrens z.B.: Holzapfel/Pöllath Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 13. Aufl. 2008, S. 60 ff.; Knott in: Knott/Mielke, Unternehmenskauf, 3. Aufl. 2008, Rn. 357 ff. 44 Hierzu im Überblick: Gran NJW 2008, 1409, 1410; Hölters Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, 6. Aufl. 2005, S. 58 ff.; Holzapfel/Pöllath (Fn. 43) S. 60 ff.; Picot (Fn. 40), S. 26 ff.

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lich wie volkswirtschaftlich – nur Entwicklungsmöglichkeiten des Unternehmens und des Marktes vorgestellt. Der Sache nach handelt es sich bei dem Informationsmemorandum um eine Art Verkaufsprospekt bzw. um eine Werbebroschüre für den Verkaufsgegenstand.45 Dies ist den maßgeblichen Verkehrskreisen auch hinlänglich bekannt. (2) Management Präsentation In enger Verbindung mit einem Informationsmemorandum stehen in der Praxis des Unternehmenskaufs sog. Management Präsentationen. Picot weist bereits im Zusammenhang mit der frühen 2. Transaktions-Phase darauf hin, dass „für den weiteren Verlauf der Verkaufsgespräche“ eine sog. Management-Präsentation (Management Presentation) „mit detaillierteren Daten und Informationen“ anzufertigen sei, die der Vorstand, die Geschäftsführung oder das Verhandlungsteam des Verkäufers den Kaufinteressenten gesondert präsentieren und zur Verfügung stellen könne. Üblich sei es, den vom Verkäufer ausgewählten Kaufinteressenten vor dem Beginn der eigentlichen Vertragsverhandlungen, also vor der 4. Phase, durch das Projekt- oder Verhandlungsteam im Wege einer schriftlichen oder mündlichen Management Präsentation detaillierte Daten und Interna des zu veräußernden Unternehmens offen zu legen.46 Weber-Rey präzisiert dies dahin, die Bieter könnten vernünftigerweise zur Abgabe ihrer endgültigen Angebote erst aufgefordert werden, wenn ihr Kenntnisstand eine Entscheidung von derartiger Tragweite gestattet. Eine zu diesem Zweck veranstaltete Managementpräsentation informiere die dazu eingeladenen Bieter in der abschließenden Runde über Interna des Unternehmens ebenso wie über die Personen seiner Führungsebene. Mitunter werde auch eine Prognose über die zukünftige Geschäftsentwicklung abgegeben.47 Holzapfel/Pöllath beschreiben die Management Präsentation zutreffend als Ergänzung des Informationsmemorandums (mit Teaser), also – nach der Phasenaufteilung bei Picot – im Kontext der 3. Phase: So erhielten die Interessenten weitere Informationen „häufig in Managementpräsentationen“. Hervorzuheben ist, dass beide ausdrücklich darauf hinweisen, dass in „diesem Stadium“ sensible Informationen gegenüber den Bietern teilweise noch zurückgehalten würden.48 Ein Vertrauen des Verkäufers auf umfassende Information kann sich dementsprechend nicht entwickeln.

45 Hölters (Fn. 45), S. 58; Holzapfel/Pöllath (Fn. 43), S. 60, 486; Sinnecker M&A-Review 1995, 438 ff. 46 Picot (Fn. 40), S. 26, 48. 47 Weber-Rey in: Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für Unternehmensübernahmen, Band 1, 2001, S. 479. 48 Holzapfel/Pöllath (Fn. 43), S. 61.

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(3) Konsequenzen für den Erklärungsgehalt einer Management Präsentation Es zeigt sich damit, dass ein fester Zeitpunkt für Management Präsentationen und deren Inhalt im M&A-Geschäft nicht existiert. Für die Durchführung eines Bieterverfahrens bestehen keine festen Regeln. Zwar hat sich in der Praxis für das Auktionsverfahren ein bestimmter Ablauf etabliert. Der Verkäufer hat aber abweichend davon stets die Möglichkeit, das Verfahren auf die individuellen Besonderheiten der konkreten Transaktion abzustimmen.49 Anerkannt ist zugleich, dass sich der Umfang von Aufklärungspflichten – und damit auch der üblicherweise zu erwartenden Information – nicht zuletzt nach dem Stadium des Bieterverfahrens beurteilt. So wird eine Erfüllung der Aufklärungspflicht bei Ausgabe des Informationsmemorandums nicht möglich sein, vom Bieter aber auch nicht erwartet. Die Anforderungen an die gebotene Aufklärung steigern sich dann mit Fortschritt des Verfahrens.50 Dies bedeutet, dass der Aussagegehalt einer Management Präsentation stets aus dem Kontext der jeweiligen Transaktionsphase heraus zu verstehen ist. Ein allgemeiner Grundsatz, demzufolge eine als Businessplan bezeichnete Präsentation stets als die einzige aus Sicht des Veräußerers entscheidende Geschäftsentwicklungsplanung anzusehen wäre, lässt sich damit nicht anerkennen. b) Fehlender Umsetzungswille Über innere Tatsachen wird getäuscht, wenn bestimmte Kenntnisse oder Fähigkeiten falsch angegeben werden oder wenn die Ernsthaftigkeit des Vertragsabschlusses entgegen der Wahrheit vorgespiegelt wird.51 Maßgeblich bleibt auch für innere Tatsachen die Grundfrage, welche Aussage einem bestimmten Verhalten schlüssig entnommen werden kann. So wird in der Eingehung einer Verpflichtung z.B. allgemein die konkludente Behauptung der Erfüllungsmöglichkeit und -absicht gesehen.52 Die Auslegung der maßgeblichen Gesamtumstände ergibt aber vorliegend, dass es sich bei den im Rahmen der Management Präsentation vorgestellten Daten nicht um die einzige denkbare unternehmerische Planung handelt. Daraus folgt zwingend, dass der Verkäufer durch Vorlage einer Management Präsentation nicht seinen inneren Willen vorspiegelt, den vorgestellten Plan auch in Zukunft zu verfolgen und in jedem Fall umzusetzen. Allein dieses Ergebnis steht zugleich im Einklang mit der erkennbaren Zurückhaltung, die in der Rechtsprechung bei der Annahme aktiver Täu49

Weber-Rey in: Semler/Volhard (Fn. 47), S. 476. Louven/Böckmann ZIP 2004, 445, 449. 51 Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 8. 52 OLG Köln NJW 1967, 740, 741; Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 8. 50

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schungen gerade im Zusammenhang mit dem Verkauf von Unternehmen beobachtet werden kann. Händigt z.B. der Verkäufer dem Erwerber ohne weitere Hinweise einen Jahresabschluss aus, und stellt sich später heraus, dass der Verkäufer von der Fehlerhaftigkeit dieses Jahresabschlusses wusste, geht die Rechtsprechung allenfalls von einem bloßen Unterlassen des Hinweises auf die Fehlerhaftigkeit aus, nicht dagegen von einer aktiven Täuschungshandlung.53 Der Verkäufer haftet also nicht ohne Weiteres, sondern nur dann, wenn er ausnahmsweise aufklärungspflichtig war. 3. Aktive Täuschung durch fehlerhafte Angaben im Rahmen einer Management – Präsentation/Haftungsausschluss Anknüpfungspunkte für eine aktive Täuschung können sich schließlich aus Fehlinformationen im Rahmen einer Management Präsentation ergeben. Insoweit ist anerkannt, dass fahrlässig oder vorsätzlich falsche Angaben in einem Informationsmemorandum grundsätzlich eine vorvertragliche Pflichtverletzung gem. §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB darstellen können und dass sich der Veräußerer dabei das Verschulden einer eingeschalteten Investmentbank als Erfüllungsgehilfe über § 278 BGB zurechnen lassen muss.54 Für eine dem Informationsmemorandum nachfolgende Managementpräsentation muss dies erst Recht gelten. Je weiter nämlich das Bieterverfahren voranschreitet, desto stärker wächst auch das Vertrauen in die Genauigkeit der offen gelegten Tatsachen. Eine Management Präsentation muss daher sorgfältig vorbereitet werden und auf zutreffenden Tatsachen beruhen.55 In der Praxis ist es üblich, die Haftung für Pläne, die im Vorfeld eines Unternehmenskaufs vorgelegt werden, auszuschließen. Entsprechende Legal Disclaimer sind rechtlich unbedenklich. Der Verzicht auf einen entsprechenden Disclaimer ist aus Sicht eines Verkäufers angesichts der bestehenden Risiken sogar grob unvernünftig. Jeder anwaltliche Berater wird daher auf eine entsprechende Haftungsfreizeichnung drängen, der Verzicht auf eine Klausel müsste als anwaltlicher Beratungsfehler gewertet werden. Die gängigen Formularhandbücher enthalten entsprechende Haftungsausschlussklauseln.56 Die Unternehmensleitung geht mit einer entsprechenden Präsentation

53

BGH DB 1980, 679; OLG Hamburg ZIP 1994, 944. Holzapfel/Pöllath (Fn 43), S. 62; Louven/Böckelmann ZIP 2004, 445, 446 f. 55 Vgl. zum ähnlichen Fall der Verletzung von Aufklärungs- und Informationspflichten durch inhaltlich fehlerhafte Unterlagen oder Falschangaben im Data Room einer Due Diligence: Triebel/Hölzle BB 2002, 521, 533. 56 Vgl. nur Meyer-Sparenberg in: Hoffmann-Becking/Rawert, Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2010, II. 6. Haftungsausschluss in Informationsmemorandum, S. 122 ff. 54

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über die in standardisierten Verfahren üblichen Informationen hinaus. Es handelt sich somit um ein überobligationsmäßiges Verhalten. Da den Verkäufer keine Pflicht zur Vorlage trifft, steht es ihm frei, seine Haftung für die Richtigkeit dieser Daten einzuschränken. Vor diesem Hintergrund kann sich ein Haftungsausschluss nicht als treuwidriges Verhalten darstellen.

IV. Aufklärungspflichtverletzung (Täuschung durch Unterlassen) Die zweite Gruppe potentieller Informationspflichtverletzungen eines Unternehmensverkäufers betrifft die Fälle der unzureichenden Erfüllung von Aufklärungspflichten. Hier geht es um das pflichtwidrige Unterlassen der nach den Vertragsumständen gebotenen Information. 1. Allgemeine Grundsätze Ausgangspunkt für das von der deutschen Rechtsdogmatik entwickelte Konzept der vorvertraglichen Informationspflichten ist die Erkenntnis, dass ohne konkrete Nachfrage des Vertragspartners Aufklärungspflichten nur ausnahmsweise und in engen Grenzen, nämlich nur dann anerkannt werden können, wenn der Vertragspartner die Offenbarung nach Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung redlicherweise erwarten darf.57 Grundsätzlich ist es Sache jeder Partei selbst, sich die für den Vertragsschluss erforderlichen Erkenntnisse und Daten zu verschaffen. Selbst wenn also eine Partei über Informationen verfügt, von denen sie weiß oder annehmen muss, dass sie der anderen Partei unbekannt, aber für ihren Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind oder vernünftigerweise sein müssten, kann eine allgemeine Aufklärungspflicht vor Vertragsschluss regelmäßig schon wegen des natürlichen Interessenwiderstreits der Parteien bei einem Austauschvertrag nicht bestehen.58 Eine solche generelle Pflicht der (zukünftigen) Vertragsparteien, die jeweils andere Seite hinsichtlich aller Einzelheiten und Umstände zu informieren, die die Willensentschließung beeinflussen könnten, ist dem deutschen Recht fremd. Vielmehr ist es im Grundsatz jedermanns eigene Angelegenheit und ureigenste Pflicht jeder Partei selbst, sich über die allgemeinen Markt-

57 Einhellige Auffassung und ständige Rechtsprechung des BGH und bereits des RG, vgl. nur RGZ 62, 149 f.; RG JW 1912, 743; BGH NJW 1970, 653, 655; 1971, 1795, 1799; 1973, 752, 753; 1996, 1340; Henssler (Fn. 16), S. 140 f.; Roth in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 241 Rn. 124. 58 BGHZ 158, 119; BGH NJW 1970, 654; BGH WM 1976, 51; BGH NJW 1983, 2493; Roth in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 241 Rn. 123; Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 10 ff.

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verhältnisse und die daraus resultierenden Risiken und Chancen zu informieren, sich also die für die Willensentschließung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko selbst zu beschaffen.59 Dieses anerkannte Grundprinzip ist Ausfluss der Privatautonomie, zu deren Wesen die Selbstverantwortung für rechtsgeschäftliches Handeln gehört.60 Wann und in welchem Umfang Aufklärungspflichten ausnahmsweise – d.h. aus besonderen Gründen „aufgrund der Umstände des Einzelfalls“61 – doch bestehen, hat der Gesetzgeber nicht normiert, weil ihm eine generelle Regelung unmöglich erschien62. Vielmehr wurde die Konkretisierungsaufgabe, inwieweit ein Vertragsteil seinem Partner Informationen weitergeben muss und wann er einen Informationsvorsprung als eigenen Vorteil nutzen, also bewusst schweigen darf, Rechtsprechung und Literatur überlassen.63 Eine abschließende Systematisierung ist in Doktrin und Praxis bislang nicht gelungen. Die Rechtsprechung arbeitet seit langem mit einer recht allgemein gehaltenen Formel, der zufolge eine Aufklärungspflicht während der Vertragsverhandlungen nur in Betracht kommt, wenn es sich um besondere und zusätzliche Umstände handelt, die allein der einen Partei bekannt sind und von denen sie zudem weiß oder doch wissen muss, dass die Entscheidung der anderen von deren Kenntnis beeinflusst werden kann, vor allem, weil durch die fraglichen Umstände der Vertragszweck der anderen Partei vereitelt werden kann, sofern eine Aufklärung außerdem nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) und den im Verkehr üblichen Gewohnheiten geboten ist und der Vertragspartner daher mit einer Aufklärung der Sachlage redlicherweise rechnen darf.64 Im Schrifttum sind verschiedene Ansätze entwickelt worden. So will etwa Rehm65 eine Aufklärungspflicht nur anerkennen, wenn nach der Vertragsstruktur ein Entgelt für die Aufklärung vereinbart wurde oder zumindest hätte vereinbart werden können. Dies sei bei Austauschverträgen nur dann 59 BGH LM Nr. 64 = NJW 1983, 2493, 2494; BGH LM § 276 (Fb) (Bl. 3 Rf.) = NJW 1997, 3230; OLG München WM 1994, 236; Heinrichs in: Palandt (Fn. 13), § 123 Rn. 5; Henssler (Fn. 16), S. 140; Kramer in: MünchKommBGB (Fn. 18), § 123 Rn. 18. 60 Statt vieler BGH NJW 1989, 763, 764; Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 10. 61 So BGH NJW 1983, 2493, 2494. 62 Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Mot I, S. 208. 63 Roth in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 241 Rn. 260 ff.; monografisch v.a. Breidenbach Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluss, 1989; Fleischer (Fn. 19); Henssler (Fn. 16), S. 140 ff. und Rehm Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, 2003. 64 RGZ 77, 309, 314; 111, 233, 235; BGH NJW 1979, 2243; 1989, 763, 764; 1991, 1223; 1992, 1222; 1996, 1340; 2000, 803, 804; 2001, 2163; NJW-RR 1998, 1406; BGH LM § 123 Nr. 45; BGH WM 1982, 960; 2006, 1537 f.; Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 10, 11. 65 Rehm (Fn. 63), S. 235 ff.

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der Fall, wenn bezüglich einzelner Punkte eine isolierte Verpflichtung zur Interessenwahrung bestehe, schließlich dann, wenn ein Marktakteur aufgrund seiner besonderen Informiertheit – hier in der Regel aufgrund Ausbildung – allgemein ein höheres Entgelt verlange. Erwähnt sei dieser Abgrenzungsvorschlag nur, weil er eine im jüngeren Schrifttum vorherrschende Tendenz verdeutlicht, die Informationspflichten sehr restriktiv zu fassen. Ist auch eine Systematisierung der nicht abschließend fassbaren Redlichkeitskriterien bislang gescheitert, so lassen sich bei einer Analyse von Rechtsprechung und Schrifttum doch immerhin zentrale Kriterien identifizieren, die für die Anerkennung einer Aufklärungspflicht auf der Grundlage des in jedem Fall erforderlichen Vertrauenstatbestands der aufzuklärenden Partei im Einzelfall maßgeblich sind. Hierzu zählen: (1) das Informationsgefälle zwischen den Partnern, (2) die Sorgfalt, die die begünstigte Partei selbst anwendet, (3) ein potentieller Informationsverzicht, (4) die Eigeninteressen des Informationspflichtigen, (5) die Intensität und Dauer des geschäftlichen Kontaktes, (6) die persönlichen Eigenschaften der Vertragspartner, (7) die Ursachen möglicher Risiken, (8) die Außergewöhnlichkeit eines Risikofaktors und (9) die ökonomische Ausgeglichenheit des Vertrages.66 2. Übertragbarkeit auf Kaufverträge Die dargelegten restriktiven Grundsätze hat der BGH auch in seiner ganz aktuellen Rechtsprechung ausdrücklich für Kaufverträge bestätigt und zwar auch für solche, bei denen es ähnlich wie beim Unternehmenskauf um relativ hohe Werte geht.67 Anerkanntermaßen ist der Verkäufer eines Grundstücks grundsätzlich nicht zur Offenlegung seiner Kalkulation verpflichtet. Er braucht deshalb ungefragt keine Auskunft über den Wert des Objekts zu geben, selbst wenn dieser wesentlich unter dem Kaufpreis liegen sollte.68 Dasselbe gilt für eine etwaige vom Verkäufer einem Vermittler gezahlte Innenprovision.69 Weitergehende Pflichten treffen den Verkäufer nach der Rechtsprechung nur, wenn es zusätzlich zum Abschluss eines selbstständigen oder unselbstständigen Beratungsvertrages kommt.70 Erst dann muss er den Käufer vollständig über alle wesentlichen positiven und negativen Aspekte

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Vgl. zum Ganzen Henssler (Fn. 16), S. 144 ff. BGH NJW 2007, 1874; NJW 2007, 2396; 2008, 506; 2008, 644. 68 Emmerich in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 311, Rn. 132, 134; Grüneberg in: Palandt (Fn. 13), § 311 Rn. 43. 69 BGH NJW 2007, 1874 Tz. 7 f.; NJW 2007, 2396, 2399 Tz. 41; 2008, 506, 507 Tz. 20; 2008, 644, 648 Tz. 48. 70 BGH NJW 2007, 1874, 1875 Tz. 11 ff.; 2008, 506, 507 Tz. 21; BGH WM 2007, 1182, 1183 Tz. 7 f. 67

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des Kaufs informieren und darf kein unzutreffendes, positives Bild der Ertragserwartungen geben.71 3. Besonderheiten beim Unternehmenskauf Diese allgemeinen Grundsätze gelten prinzipiell auch für solche Verträge, die sich auf den Erwerb von Unternehmen bzw. Unternehmensbeteiligungen richten.72 Ein Verkäufer braucht den Käufer auch beim Unternehmenskauf grundsätzlich nicht über alle für den Kauf erheblichen Umstände aufzuklären. Eine Mitteilung kann vom Verkäufer nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung jedoch für solche Umstände erwartet werden, die nur dem Verkäufer bekannt sind und von denen er weiß oder wissen muss, dass sie für den Käufer von wesentlicher Bedeutung für den Vertragsschluss sind, etwa deshalb, weil sie den Vertragszweck vereiteln können.73 Auch beim Unternehmenskauf ist es grundsätzlich Sache des Käufers selbst, in seinem eigenen Interesse nach denjenigen Beschaffenheiten zu fragen, die für seinen Kaufentschluss und für seine Preiskalkulation von Bedeutung sind. Verbraucherschutzüberlegungen sind beim Unternehmenskauf fehl am Platz.74 Zugleich ist als Korrektiv auch beim Unternehmenskauf erforderlich, dass die Information nach Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung erwartet werden kann.75 Als Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung des Verkäufers verbleibt etwa eine fehlende Information über tatsächliche Grundlagen (Kennzahlen, Daten etc.), die auf „drohende existenzgefährdende Entwicklungen“ hindeuten. Eine Aufklärung über solche Umstände erfüllt die genannten Kriterien. Sie kann die rechtsgeschäftliche Entscheidung des Käufers beeinflussen, den Vertragszweck vereiteln und ist nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu erwarten. Aufklärungspflichten sind im Übrigen nur dort veranlasst, wo die betroffene Partei zur eigenständigen Verwirklichung ihres Informationsbedürfnisses nicht in der Lage ist. Für den Umfang der Aufklärungspflichten spielt eine Rolle, in welchem Umfang sich der Käufer selbst fachlicher Beratung und Unterstützung bedient und welche Erfahrung er mit dem Erwerb von Unternehmen hat.76 71

BGH NJW 2007, 1874, 1876 Tz. 20 bis 24; 2008, 649 Tz. 6 bis 8. Vgl. dazu Stengel/Scholderer NJW 1994, 158 ff. m.w.N. 73 So ausdrücklich für einen Unternehmenskauf BGH NZI 2002, 341; ferner BGH NJW 2001, 2163 [unter II 3b]; 2007, 3057, 3059; BGH NJW-RR 1998, 1406 [unter II 1]; Emmerich in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 311 Rn. 101; Singer/von Finckenstein in: Staudinger (Fn. 18), § 123 Rn. 18. 74 Lieb in: MünchKommHGB, 2. Aufl. 2005, Anhang zu § 25 HGB Unternehmenskauf, Rn. 76; Willemsen AcP 182 (1982), 515, 535 f. 75 St. Rspr., vgl. etwa BGH DB 1978, 979. 76 BGH NJW 1991, 1223; von Bernuth DB 1999, 1689, 1990. 72

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a) „Gesteigerte Aufklärungspflichten“ beim Unternehmenskauf Trotz dieser prinzipiellen Geltung der allgemeinen Grundsätze war in der Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform eine stetige Verschärfung der Aufklärungspflichten speziell des Unternehmensverkäufers zu verzeichnen, die auch unter dem Schlagwort „gesteigerte Aufklärungspflichten“ zusammengefasst wird. Begründet wurde diese Entscheidungspraxis v.a. mit der wirtschaftlichen Bedeutung derartiger Unternehmenskaufverträge für die Parteien sowie den beschränkten Möglichkeiten eigenständiger Information und Bewertung.77 Zum einen sei dem außen stehenden Interessenten eine Bewertung des Kaufobjekts nur aufgrund von Bilanzen, laufenden betriebswirtschaftlichen Auswertungen, sonstigen Buchführungsunterlagen und ergänzenden Auskünften des Verkäufers möglich 78, so dass er von der Vollständigkeit und der Richtigkeit der ihm erteilten Informationen vor allem zur Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens besonders abhängig sei. Diese Erschwerung der Bewertung des Kaufobjekts durch einen außenstehenden Interessenten und seine besondere Abhängigkeit von der Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm erteilten Informationen rechtfertigten es, dem Verkäufer eine gesteigerte Aufklärungspflicht aufzuerlegen. Zum anderen seien es die weit reichenden wirtschaftlichen Folgen der Kaufentscheidung, die es geböten, dem Verkäufer eine solche gesteigerte Pflicht aufzuerlegen und an die hierbei anzuwendende Sorgfalt einen strengen Maßstab anzulegen.79 b) Keine zusätzliche Steigerung des Pflichtenprogramms in Auktionsverfahren Soweit im deutschen Schrifttum diskutiert wird, ob für moderne Auktionsverfahren sogar eine „besonders gesteigerte Aufklärungspflicht“ auf Veräußererseite anzuerkennen sei 80, kann dem nicht gefolgt werden. Umstände wie erhöhter Zeitdruck, ein zeitlich gestuftes Offenlegen von Informationen, hohe Kosten und die Beherrschbarkeit des Informationsflusses durch den Veräußerer treten bei „klassischen“ Unternehmenskäufen nicht anders auf. Sie werden zudem durch erhöhte Sorgfaltsstandards für den Käufer überlagert.81 Nach dem hier entwickelten Konzept der Aufklärungspflichten gibt es keinen Raum für weitergehende Aufklärungspflichten

77 BGH NJW 2002, 1042; BGH NZG 2001, 751; Emmerich in: MünchKommBGB (Fn. 8), § 311 Rn. 128. 78 BGH NJW 2001, 2163, 2164; BGH ZIP 2002, 440, 442. 79 BGH NZG 2001, 751; Louven/Böckmann ZIP 2004, 445, 449; eine Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung bis zum Jahre 2002 findet sich bei Wagner DStR 2002, 958 ff. 80 Louven/Böckmann ZIP 2004, 445, 449. 81 Ebenso: Holzapfel/Pöllath (Fn. 43), S. 63.

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dahingehend, dass die Bieter im Auktionsverfahren umfassend über die Existenz anderer Bieter und deren Gebote zu informieren wären. Selbst einen Irrtum auf Erwerberseite muss der Verkäufer hier nicht aufklären, solange er nicht von ihm selbst hervorgerufen wurde.82 Die rechtliche Relevanz einer Nicht- oder Fehlinformation beginnt erst dort, wo der Veräußerer versucht, den Erwerbsinteressenten durch bewusste Falschangaben in die Irre zu führen, ihn also arglistig zu täuschen. Gleiches kann für bloße Scheinverhandlungen gelten.83 Verfolgt der Verkäufer dagegen eine klare Linie der Vertraulichkeit und Diskretion und legt er diese auch gegenüber den Bietern offen, muss dies als zulässig und rechtlich unproblematisch angesehen werden.84 c) Keine Übertragbarkeit der verschärften Informationspflichten auf große M&A-Transaktionen Generell lässt sich im Sinne einer umgekehrten Argumentation bezweifeln, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze „gesteigerter Aufklärungspflichten“ bei großen M&A-Transaktionen überhaupt anwendbar sind. Es wurde bereits eingangs darauf hingewiesen, dass diese strenge Rechtsprechung jedenfalls zum Teil nur durch die Schwächen der gesetzlichen Gewährleistungsregeln bis zum Jahre 2002 zu erklären ist. Auf die neue Rechtslage ist sie nur mit Zurückhaltung zu übertragen. Dementsprechend mehren sich die Stimmen, die diese weite Fassung der Aufklärungspflichten, die typischerweise erst aus einer ex post-Perspektive ermittelt werden, kritisieren.85 Daher sei ausdrücklich hervorgehoben, dass es jüngere Rechtsprechung, die diese extensive Entscheidungspraxis auch für die aktuelle Rechtslage bestätigt, bislang nicht gibt. aa) Analyse des Fallmaterials aus der Rechtsprechung Noch weit wichtiger aber erscheint ein zweiter Aspekt, der einer vorbehaltlosen Übertragung der Rechtsprechungsgrundsätze auf unter Zuhilfenahme von Beraterteams geschlossene Unternehmenskaufverträge entgegensteht. Die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung leidet anerkanntermaßen unter dem Dilemma, dass die wirtschaftlich bedeutsamen Unternehmenskäufe in Deutschland gar nicht vor die ordentliche Gerichtsbarkeit kommen. Sie werden vielmehr vor Schiedsgerichten abgewickelt, deren Ur-

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Holzapfel/Pöllath (Fn. 43), S. 65; Pöllath FS Welf Müller, 2001, S. 833, 863. Vgl. hierzu Pöllath FS Welf Müller, 2001, S. 833, 852 und 862 f. 84 Holzapfel/Pöllath (Fn. 43) S. 65; Pöllath FS Welf Müller, 2001, S. 833, 852 und 863; ders. FS Bezzenberger, 2000, S. 549, 554 f. 85 Vgl. nur Lieb in: MünchKommHGB (Fn. 74), Anhang zu § 25 HGB, Unternehmenskauf, Rn. 73 ff., 76. 83

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teile typischerweise nicht bekannt werden.86 Die Rechtsprechung des BGH bezieht sich damit auf völlig atypisch gelagerte Kleinstfälle, in denen wirtschaftlich völlig unerfahrene und rechtlich unzureichend beratene Käufer die Tragweite und die Risiken der Transaktion überhaupt nicht erfasst haben. Dementsprechend liegen den maßgeblichen Entscheidungen des BGH Fälle zugrunde, in denen es um den Verkauf eines 40 %-Geschäftsanteils an einer kleinen GmbH (Baustoffhandel) für einen Kaufpreis von ca. 10.000,– Euro ging 87, um den Verkauf eines Reinigungsunternehmens mit Schlüsseldienst für ca. 60.000,– Euro88, um den Verkauf einer Pension, die sich als Stundenhotel herausstellte 89, um den Verkauf einer Steuerberaterpraxis, bei der sich nachträglich ein Mitarbeiter als unzuverlässig herausstellte90, um Verkäufe von Freiberuflerpraxen91, um den Verkauf eines Sportgeschäftes, bei dem die Ehefrau des Verkäufers ein Konkurrenzgeschäft eröffnen wollte92, oder zuletzt um den Verkauf eines Fitnessstudios93 und eines Getränkegroßhandels94. Bemerkenswert erscheint, dass der BGH in der letztgenannten Entscheidung vom 28. November 200195, die zugleich die jüngste unmittelbar einschlägige ist96, ausdrücklich betont, dass sich die von ihm in früheren Entscheidungen bejahte Aufklärungspflicht wiederum reduzieren kann, etwa wenn der Käufer keine Schulden übernimmt und das Unternehmen in seinen eigenen branchengleichen Betrieb eingliedern will. Im Ergebnis hatte der Verkäufer nach Auffassung des BGH seiner Aufklärungspflicht genügt. Der Fall ist schon deshalb bemerkenswert, weil der BGH hier die Auffassung vertreten hat, dass allein der Hinweis des Verkäufers, er wolle verkaufen, weil es sich bei dem verkauften Unternehmen in der geführten Form um ein Verlustgeschäft handele, zur Aufklärung ausgereicht habe. Der BGH stellt entscheidend darauf ab, dass dem Käufer im Rahmen einer sehr vereinfachten Due Diligence die Geschäftsunterlagen zur Verfügung gestellt wurden. Vor diesem Hintergrund sei der Verkäufer nicht verpflichtet gewesen, „ungefragt die Verluste der vergangenen Jahre im Einzelnen darzustellen“. Die Fälle, in denen der BGH demgegenüber eine Haftung bejaht hat, sind

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Dazu auch U. Huber AcP 202 (2002), 179, 190. BGH NZG 2001, 751. Der BGH betont selbst, dass es der Sache nach überhaupt nicht um einen Unternehmenskauf ging. 88 BGH DStR 1995, 945. 89 BGH NJW 1992, 2564. 90 BGH NJW 1991, 1223. 91 Vgl. nur BGH NJW 1989, 763. 92 BGH NJW 1987, 909. 93 BGH NZI 2002, 341. 94 BGH NJW 2002, 1042. 95 BGH NJW 2002, 1042. 96 Die Entscheidung BGH NZI 2002, 341 betrifft nicht den Fall gesteigerter Aufklärungspflichten. 87

Informationspflichtverletzung beim Unternehmenskauf

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eher der Kategorie der arglistigen Täuschung zuzuordnen, da sie sich auf evident entscheidungserhebliche Umstände beziehen, die dem Käufer völlig unbekannt waren. bb) Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus der Dogmatik der Aufklärungspflichten Greift man auf die dargelegten Kriterien zurück, die nach dem aktuellen Stand der Dogmatik der Aufklärungspflichten bei der Begründung dieser Pflichten zu bejahen sind, dann stechen bei großen Transaktionen insbesondere die folgenden Merkmale hervor: (1) das Informationsgefälle zwischen den Partnern, (2) die Sorgfalt, die die begünstigte Partei selbst anwendet, (3) ein potentieller Informationsverzicht, (4) die Eigeninteressen des Informationspflichtigen und (5) die persönlichen Eigenschaften der Vertragspartner. Sie werden insbesondere im Zusammenhang mit der besonderen Form der Informationsvermittlung im Rahmen von Unternehmenskäufen und der Sachkunde des mit eigenen Beraterteams auftretenden Käufers relevant. d) Pflichtenreduzierung durch eine Due Diligence Ein wesentlicher Punkt, in dem sich die höchstrichterlich entschiedenen Fälle von dem heute bei M&A-Transaktionen üblichen Verfahren unterscheiden, ist das Fehlen einer sog. Due Diligence. In der Due Diligence räumt der Verkäufer dem Erwerber die Möglichkeit ein, schriftliche (Detail-)Informationen über das Unternehmen (in sog. data rooms) einzusehen und sich so einen Eindruck vom Kaufobjekt zu verschaffen. Meist wird dies von eigens zu diesem Zweck eingeschalteten Beratern erledigt. Der genaue Umfang der offen gelegten Daten kann je nach Transaktionsphase variieren. Typisch für die Due Diligence ist es aber in jedem Fall, dass der Verkäufer dem Kaufinteressenten die Unterlagen unkommentiert überlässt. Dieser sichtet die Daten und stellt bei Bedarf Rückfragen.97 Die rechtliche Relevanz eines solchen, gerade zur Information des Kaufinteressenten konzipierten Instruments drängt sich auf. Der Käufer, der ein Zielunternehmen unter bestimmten Aspekten prüfen lässt, verdeutlicht nicht nur, dass er ein Interesse an den dort offenbarten Umständen hat. Er gibt grundsätzlich auch zu erkennen, dass er die für ihn wichtigen Umstände selbst beurteilen kann und will. Der Verkäufer kann sich daher – zumindest tendenziell – eher darauf verlassen, dass der Käufer die für ihn relevanten Umstände erkennen kann und gegebenenfalls konkret nach ihnen fragt. Zudem ist ein solcher Käufer im Sinne der

97 Vgl. ausführlich zu Voraussetzungen und Grenzen der Due Diligence auch: Liekefett Due Diligence bei M&A-Transaktionen, 2005, S. 26 ff.

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Rechtsprechung in besonderem Maße geschäftsgewandt.98 Zwar können sich Situationen ergeben, in denen der Verkäufer davon ausgehen muss, dass der Käufer über Punkte, nach denen zu fragen er offensichtlich vergessen hat, erst recht aufzuklären ist.99 Das bedeutet aber nur, dass sich die Frage nach einer Reduzierung der Aufklärungspflichten durch eine Due Diligence dann nicht pauschal beantworten lässt, wenn sie bestimmte Bereiche ausspart.100 Prinzipiell darf der Verkäufer durchaus davon ausgehen, dass der Käufer die zur Verfügung gestellten Daten auch mit der üblichen und der Verkehrssitte entsprechenden Sorgfalt überprüft. Nur wenn für ihn erkennbar ist, dass der Käufer bestimmte für ihn wichtige Informationen nicht erhalten wird, weil sie etwa in der Fülle des Datenmaterials untergehen oder im data room gar überhaupt nicht enthalten sind, muss er von sich aus aktiv werden. Tendenziell führt die Due Diligence damit zu einer Reduzierung der Aufklärungspflicht. Der BGH101 hat dies in seiner jüngsten Entscheidung, die zu dieser Thematik überhaupt ergangen ist, ausdrücklich bestätigt. e) Erfüllung der Aufklärungspflicht durch eine Due Diligence Von der Problematik einer Aufklärungspflichtreduzierung bzgl. der im Rahmen der Due Diligence nicht geprüften und auch nicht weiter hinterfragten Umstände ist die Frage zu unterscheiden, ob und inwieweit eine bestehende Aufklärungspflicht durch die Due Diligence erfüllt werden kann.102 Es geht also nicht allein um eine Relativierung der erhöhten Informationspflichten, sondern auch darum, wie der Verkäufer diesen nachkommen soll. Dafür, dass die Aufklärungspflicht durch eine – faire und dem Informationsbedürfnis des Erwerbers Rechnung tragende – Due Diligence möglich sein muss, sprechen geradezu zwingende praktische Gründe. Je weiter nämlich der Kreis von Sachverhalten gezogen wird, über die der Verkäufer aufzuklären hat, um so eher müssen ihm Erleichterungen eingeräumt werden, damit er diese Informationen in effektiver Art und Weise liefern kann. Gerade diesem Zweck soll das Due Diligence-Verfahren ja dienen. Sofern die in der Due Diligence enthaltenen Informationen objektiv betrachtet ausreichend sind, um dem durch qualifizierte Berater unterstützten Erwerber ein umfassendes Bild zu den jeweiligen Sachverhalten zu vermitteln, erfüllt der Verkäufer damit sein Pflichtenprogramm. Eine „Relativierung“ oder „Einschränkung“ von Aufklärungspflichten liegt hierin zunächst nicht, weil der Due Diligence die Erfüllungswirkung 98 Loges DB 1997, 965, 969; Werner ZIP 2000, 989, 990; in dieselbe Richtung U. Huber AcP 202 (2002), 179, 190. 99 Vgl. Fleischer/Körber BB 2001, 841, 848. 100 Loges DB 1997, 965, 969. 101 BGH NJW 2002, 1042. 102 Zutreffend Wagner DStR 2002, 958, 965.

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nur zukommt, wenn sie den Erwerber befähigt, die in Anbetracht der weit reichenden wirtschaftlichen Folgen seiner Kaufentscheidung erforderlichen Informationen auch tatsächlich zu erhalten. In der Due Diligence muss also dasjenige, was vom Verkäufer mitzuteilen ist, von sich aus offenbart werden. Die geschilderte Rechtsprechung verdeutlicht, dass auch dem BGH zufolge die Due Diligence ein grundsätzlich geeignetes Mittel ist, die vom Verkäufer geschuldete Aufklärung zu geben. In der bereits erörterten Grundsatzentscheidung zur „erhöhten Aufklärungspflicht“ im Unternehmenskauf hatte die Verkäuferin dem Erwerber Gelegenheit zur Dokumenteneinsicht und zur Befragung qualifizierten Personals gegeben, wie es in Art und Umfang dem bei einer vereinfachten Due Diligence Üblichen entsprach. Als Konsequenz war es – so der VIII. Senat – Sache des Erwerbers, die ihn interessierenden Einzelheiten herauszuarbeiten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Erwerber bereits in etwa weiß, wie es um das Unternehmen steht.103

V. Vertragliche Verteilung der Informationsverantwortlichkeit In der M&A-Praxis absolut üblich sind Klauseln, in denen festgehalten wird, dass die Verantwortung, sich detailliert über das Kaufobjekt zu informieren, vorrangig beim Käufer liegt. Holzapfel/Pöllath104 weisen zu Recht darauf hin, dass solche Haftungsklauseln sogar zu den „wesentlichen Vertragsbestimmungen eines Unternehmenskaufvertrages“ zählen. Im Schrifttum werden nahezu durchgängig Haftungsbeschränkungsklauseln vorgeschlagen, über die die Haftung aus Verschulden beim Vertragsschluss aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB sogar – mit Ausnahme der Haftung für Vorsatz – vollständig ausgeschlossen wird.105 Die Sachgerechtigkeit solcher Haftungsbeschränkungsklauseln folgt aus dem Umstand, dass sich auch nach dem reformierten Schuldrecht das gesetzliche Leistungsstörungsrecht für den Unternehmenskauf nur wenig eignet. Dementsprechend ist es absolut üblich, vertraglich ein eigenständiges Haftungsregime auf der Grundlage von Garantien zu vereinbaren und die gesetzlichen Ansprüche zugleich vollständig auszuschließen.106 Im Übrigen ist es zulässig, in Verträgen von großer Tragweite die Entscheidungsgrundlage für den Vertragsschluss festzulegen, um ein Ausufern künftiger Streitigkeiten zu vermeiden. Bei sehr komplexen Verhandlungen, wie sie beim Unternehmenskauf die Regel sind, drängt es sich sogar geradezu auf, die für den Vertragsschluss ausschlaggebenden Para103

BGH NJW 2002, 1042; Wagner DStR 2002, 958, 962. Holzapfel/Pöllath (Fn. 43), Rn. 890. 105 Vgl. nur Knott in: Knott/Mielke (Fn. 43), Rn. 854. 106 Vgl. statt aller nur Hölters (Fn. 44), Teil VII Rn. 181; Holzapfel/Pöllath (Fn. 43), Rn. 887 ff.; Knott in: Knott/Mielke (Fn. 43), Rn. 854. 104

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meter, auf die Verkäufer und Käufer ihre Willensbildung gestützt haben, zu fixieren. Erst das aus § 242 BGB folgende Verbot widersprüchlichen Verhaltens setzt entsprechenden Vereinbarungen Grenzen. Insgesamt erscheint es durchaus sachgerecht, dem Käufer die Primärverantwortung für die Informationsverschaffung im Rahmen der ermöglichten Due Diligence zu übertragen. Diese Primärverantwortung bedeutet zugleich, dass der Käufer bei nicht eindeutigen Sachverhalten und nicht eindeutigen Erklärungen verpflichtet ist, sich selbst die sichere Entscheidungsgrundlage zu verschaffen.

VI. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Informationspflichten des Unternehmensverkäufers lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Eine Verletzung des Informationspflichtenprogramms eines Unternehmensverkäufers kommt sowohl in Form der aktiven Täuschung durch Präsentation unrichtiger Daten als auch durch unterlassene Aufklärung über Risiken des übertragenen Geschäftsbereichs in Betracht. 2. Auf den Umstand, dass sich die im Vorfeld eines Unternehmenskaufs in einer Management Präsentation des Verkäufers dargestellten Geschäftschancen nicht realisieren lassen, kann grundsätzlich keine Schadensersatzpflicht eines Unternehmensverkäufers gestützt werden. Vielmehr ist bei der zukunftsbezogenen Bewertung von Geschäftschancen dem die Prognose äußernden Vertragspartner ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen. 3. Wird in einer Management Präsentation ein als „Businessplan“ bezeichnetes Entwicklungsmodell vorgelegt, so kann dieser Bezeichnung nicht die konkludente Erklärung entnommen werden, es handele sich um einen auf die Interessen eines Kaufinteressenten zugeschnittenen Businessplan, der dessen eigene Überlegungen ersetzen könnte, oder gar um die einzige unternehmerische Planung des Verkäufers für den übertragenen Geschäftsbereich. 4. Wie bei jedem Kaufvertrag ist der Verkäufer auch beim Unternehmenskauf nicht verpflichtet, den Käufer von sich aus über alle für den Kauf erheblichen Umstände aufzuklären. Eine Mitteilung kann vom Verkäufer nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nur für solche Umstände erwartet werden, die nur ihm bekannt sind und von denen er weiß oder wissen muss, dass sie für den Käufer von wesentlicher Bedeutung für den Vertragsschluss sind, etwa deshalb, weil sie den Vertragszweck vereiteln können. 5. Ob es beim Unternehmenskauf zu gesteigerten Sorgfaltspflichten kommt, ist eine Frage des Einzelfalles. Zwar sprechen die Informationshoheit des

Informationspflichtverletzung beim Unternehmenskauf

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Verkäufers und die wirtschaftliche Tragweite des Geschäfts grundsätzlich für weit reichende Pflichten, diese können aber durch die Besonderheiten des Geschäftes, insbesondere die besondere Sachkunde des Käufers, die Eigeninteressen des Verkäufers oder die Erkennbarkeit der Geschäftsrisiken, wieder reduziert werden. 6. Die Aufklärungspflicht des Verkäufers kann beim Unternehmenskauf grundsätzlich durch eine Due Diligence erfüllt werden. Bei einer ordnungsgemäßen Due Diligence ist es Sache des Käufers, weitere für ihn wichtige Informationen von sich aus zu erfragen. 7. Eine Verpflichtung des Unternehmensverkäufers interne Geschäftsunterlagen, Kalkulationen oder Businesspläne von sich aus offenzulegen, ist nicht anzuerkennen.

Ein Plädoyer für die Vereinfachung des Rechts der Insolvenzanfechtung im Bereich der Globalsicherheiten unter gleichzeitiger Angleichung an die englische floating charge Heribert Hirte

A. Bedarf der Kreditwirtschaft an globalen Kreditsicherheiten

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B. Behandlung von Globalsicherheiten im deutschen Recht im Vergleich zur englischen floating charge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestellung einer Globalsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gefährdung des Sicherungszwecks durch Insolvenzanfechtung . . . . . . 1. Einschränkung der Anfechtbarkeit durch die Annahme von Kongruenz durch den BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entsprechende Anwendbarkeit auf sonstige Globalsicherungsverträge 3. Weiterhin bestehende Anfechtungsmöglichkeit durch die insolvenzrechtliche Einzelbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Reformüberlegungen zum deutschen Recht . . . . . . . . . . . I. Globalsicherheiten als einheitliche Rechtshandlung . . . . . II. Vorzüge einer einheitlichen Betrachtung . . . . . . . . . . . III. Gewährleistung der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . 1. Austausch im normalen Geschäftsverkehr . . . . . . . . 2. Risiko der verzögerten Antragstellung . . . . . . . . . . 3. Einführung einer Registrierungspflicht oder -möglichkeit 4. Prozentuale Befriedigung der ungesicherten Gläubiger . 5. Fortbestehende Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . IV. Weitere anfechtungsrechtliche Folgefragen . . . . . . . . . D. Zusammenfassung

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A. Bedarf der Kreditwirtschaft an globalen Kreditsicherheiten Das Bedürfnis der Gläubiger, vor allem der institutionellen Gläubiger in Form der Kreditwirtschaft, nach Sicherheiten an beweglichen Sachen und Forderungen hat schon seit langer Zeit zu einer Entwicklung weg von den besitzgebundenen Pfandrechten des BGB (§ 1204 BGB) oder der Anzeigepflicht bei der Forderungsverpfändung (§ 1280 BGB) hin zu stillen Sicherungsrechten in Form von Sicherungsübereignung und Sicherungszession geführt. Beides sind heute Rechtsinstitute, die aus dem wirtschaftlichen Verkehr

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nicht mehr weggedacht werden können.1 Dabei hat die Entwicklung nicht bei einzelnen Übereignungen oder Zessionen Halt gemacht; vielmehr erfolgt ein Großteil der Kreditsicherung heute über „revolvierende Sicherheiten“ in Form von Globalzessionen und/oder globalen Sicherungsübereignungen.2 Das Konzept hinter diesen Sicherungsformen ist ebenso bekannt wie simpel: Ein Unternehmen möchte und muss die Gegenstände seines Umlaufvermögens einsetzen, um damit Kredite abzusichern. Zugleich muss es aber zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes weiter über diese Werte verfügen dürfen. Diesem Bedürfnis werden die revolvierenden Sicherheiten gerecht, weil bei ihnen das Umlaufvermögen einschließlich des Forderungsbestands als Sicherheit dient, und zwar fluktuierend in seinem jeweiligen Bestand. Dieses Konzept ist kein Phänomen des deutschen Rechts, sondern findet sich in entsprechender Form auch in anderen Rechtsordnungen. So kann hier insbesondere auf die englische floating charge verwiesen werden. Bei dieser handelt es sich um die Standardsicherheit englischer companies.3 Sie stellt eine echte Unternehmenshypothek dar, d.h. sie erlaubt die pauschale Belastung des Unternehmens der Gesellschaft bzw. ihres gesamten Vermögens mit einem dinglichen Verwertungsrecht zugunsten des Sicherungsnehmers.4 Damit erfüllt die englische floating charge denselben Zweck wie die deutschen Globalsicherheiten: das Umlaufvermögen des Schuldners wird zugunsten eines Sicherungsnehmers belastet, ohne dass die Verfügungsmöglichkeit des Schuldners eingeschränkt wird; zugleich kann aber im Insolvenzfall vorrangig auf diese Sicherheiten zugegriffen werden. Mit den revolvierenden Globalsicherheiten sind aber auch Probleme verbunden, die zum einen aus der Fluktuation der Vermögenswerte resultieren und zum anderen aus der Tatsache, dass durch diese Form der Sicherheit häufig das gesamte freie Vermögen des Schuldners belegt wird und daher kaum noch verwertbare Masse für die ungesicherten Gläubiger verbleibt. 1 Siehe bspw. Eidenmüller AcP 204 (2004) 457, 458 f. zur Bedeutung der Zession als international verkehrsfähigem Wirtschaftsgut. Zur Behandlung von Sicherheitszessionen im Ausland siehe auch Walsh in Eidenmüller/Kieninger, The Future of Secured Credit in Europe, ECFR Special Volume 2 (2008) 321 ff. sowie zu einer möglichen europäischen Rechtsvereinheitlichung Flessner in Eidenmüller/Kieninger, The Future of Secured Credit in Europe, ECFR Special Volume 2 (2008) 336 ff. 2 Für eine Darstellung der Institute und deren wirtschaftliche Bedeutung siehe bspw. zur Sicherungsübereignung Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. II, 3. Aufl. 2007, § 95 insb. Rn. 7–17 sowie § 96 insb. Rn. 13–19. 3 Dazu eingehend Schall KTS 2009, 69 ff.; ders. IPRax 2009, 209 ff.; Wenckstern RabelsZ 56 (1992) 621, 628 ff., 634 ff. (allerdings teilweise überholt); knapper von Bernstorff Einführung in das englische Recht, 3. Aufl. 2006, S. 134 f.; monographisch Jungmann Grundpfandrechte und Unternehmensinsolvenz – Deutschland, England, Schottland, 2004; auf Englisch R. Goode Commercial Law, 2. Aufl. 1995, Chapter 25, The Floating Charge, S. 730 ff.; Davies Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. 2003, Rn. 2–11 und 32-01 ff.; Gough Company Charges, 3. Aufl. 2007, Ch. 2. 4 Sec. 860 (7) (g) CA 2006: the company’s property or undertaking.

Vereinfachung des Rechts der Insolvenzanfechtung

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Vor diesem Hintergrund soll hier unter Vergleich mit dem englischen Modell der floating charge ein Konzept angedacht werden, durch das die Insolvenzfestigkeit von Globalsicherheiten erhöht wird, ohne dass dadurch zugleich die Position der ungesicherten Gläubiger verschlechtert würde. Zudem soll eine Parallele zum Konzept der floating charge gezogen und aufgezeigt werden, wie durch Übernahme einiger Merkmale der floating charge die beiden Rechtsinstitute einander angenähert werden können und wie dadurch auch zu einer Abstimmung der Rechtsordnungen beigetragen werden kann. Das geschieht in der Hoffnung, dass der Bankrechtler und Rechtsvergleicher Klaus Hopt an diesen Überlegungen Gefallen finden möge.

B. Behandlung von Globalsicherheiten im deutschen Recht im Vergleich zur englischen floating charge Voraussetzung einer jeden effektiven Sicherung ist die Anerkennung der Sicherheit durch die Rechtsordnung. Anerkennung und Rechtsbeständigkeit setzen insbesondere voraus, dass die Sicherung wirksam entstanden ist, sie also insbesondere mit den sachenrechtlichen Grundsätzen in Einklang steht und dass sie insolvenzbeständig ist.

I. Bestellung einer Globalsicherheit Sachenrechtlich bestehen bei der Bestellung einer Globalsicherheit insbesondere bezüglich der für die Übertragung notwendigen Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit künftiger Forderungen oder Rechte Schwierigkeiten; jedoch haben sich im Laufe der Zeit klare Kriterien entwickelt, anhand derer eine Vorausverfügung über Forderungen oder Rechte möglich ist.5 So können künftige Forderungen wirksam übertragen werden, indem sich die Parteien einigen, dass alle Forderungen gegen Drittschuldner, deren Namen mit bestimmten Buchstaben beginnen, abgetreten werden. Ähnlich können künftige Warenvorräte oder Lagerbestände über die Verbringung in einen gesonderten Raum oder durch Markierung wirksam übereignet werden. Die floating charge wird zwar ebenfalls durch einen Sicherungsvertrag begründet, erhält ihre rangwahrende Wirkung aber erst durch die Registrierung im Companies Register. Die company kann unter einer floating charge solange frei über ihr Eigentum verfügen (ohne dass es wie im deutschen Recht einer Einwilligung des Sicherungsnehmers bedarf), bis der Sicherungsfall ein5

Siehe allgemein Palandt/Bassenge, 69. Aufl. 2010, § 930 BGB Rn. 2 ff. sowie ausführlicher Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. II (Fn. 2) § 95 Rn. 40 ff., 85 ff. zur Sicherungsübereignung sowie § 96 Rn. 44 ff. zur Sicherungszession.

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tritt und es zur crystallisation (Pfandreife) kommt. Die floating charge ist also zunächst eine „schwebende“ Sicherheit, die sich bei Pfandreife auf die Eigentumsgegenstände „herabstürzt“ und diese verhaftet. Im Ergebnis ähnelt sie in ihrer Wirkungsweise dem offenen Haftungsverband der Hypothek mit Blick auf die dem Grundstück zugehörigen Forderungen und Vermögensrechte – freilich mit dem Unterschied, dass sie auf ein Unternehmen und nicht (nur) auf ein Grundstück bezogen ist. Auch erinnert sie an eine aufschiebend bedingte Verfügung. Jedoch haben diese grundsätzlichen Vorrang vor sämtlichen Zwischenverfügungen (§ 161 BGB), während die floating charge nur spätere floating charges an denselben Vermögensgegenständen sperrt. Für die Frage, ob bezüglich der Begründung von Globalsicherheiten Änderungen nach dem Vorbild der floating charge erfolgen sollten, gilt, dass sich die rechtliche Konstruktion der floating charge deutlich von den an das sachenrechtliche Bestimmtheitsgebot gebundenen und unmittelbar an die Einzelsache oder -forderung anknüpfenden deutschen Globalsicherheiten 6 unterscheidet und daher letztendlich nicht in das System der deutschen Sicherungsrechte eingepasst werden kann. Daraus resultiert die streitige Frage, ob die floating charge internationalprivatrechtlich als sachenrechtliches Instrument nach der lex rei sitae zu behandeln ist oder – wie vom Unterzeichner befürwortet – als Teil der Finanzverfassung der Gesellschaft deren Gründungsstatut folgt.7 Die Einführung einer der floating charge entsprechenden Sicherheit in Deutschland würde daher bedeuten, dass ein grundlegend neues System der Globalsicherheiten im deutschen Recht entwickelt werden müsste. Zwar kann man argumentieren, dass die pauschale Bestellung einer Sicherheit wie bei der floating charge einfacher und damit weniger aufwendig und vor allem weniger fehleranfällig ist; jedoch würde eine solche Vereinfachung eine Ablösung vom sachenrechtlichen Bestimmtheitsgebot bedeuten und möglicherweise neue Probleme bezüglich der Qualifizierung der Sicherheit als dingliches, schuldrechtliches oder gar gesellschaftsrechtliches Institut schaffen. Sie lässt sich daher sicher nicht „übers Knie brechen“ und stünde daher möglicherweise in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen, nachdem die deutsche Rechtsprechung durch die oben dargestellten Kriterien einen für die Kreditwirtschaft annehmbaren Weg gefunden hat, das sachenrechtliche Bestimmtheitsgebot sowie das Prinzip der Einzelübertragung zu wahren, ohne die Wirtschaftlichkeit von Globalsicherheiten zu stark zu beschränken. Entscheidender als die Frage der wirksamen Begründung ist für die deutschen Globalsicherheiten die Frage nach der Rechtsbeständigkeit im Insol-

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Vgl. dazu Langenbucher ZEuP 2006, 861, 864. Hirte in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl. 2006, § 1 Rn. 70. 7

Vereinfachung des Rechts der Insolvenzanfechtung

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venzverfahren, und dieser Bereich ist mit Blick auf das Konzept der floating charge sowie dem Bestreben nach internationaler Rechtsvereinheitlichung verbesserungsfähig.

II. Gefährdung des Sicherungszwecks durch Insolvenzanfechtung Wie bereits angedeutet ist die Insolvenzbeständigkeit revolvierender Globalsicherheiten problematisch. So ergeben sich vor allem aus der Möglichkeit der Insolvenzanfechtung weitere Anforderungen an die Qualität einer Globalsicherung, die neben die sachenrechtlich zu erfüllenden Kriterien treten müssen. So ist für die Insolvenzbeständigkeit regelmäßig die anfechtungsrechtliche Einordnung als kongruente oder inkongruente Leistung und der nach § 140 InsO maßgebliche Vornahmezeitpunkt entscheidend.8 Darüber hinaus haben sich die anfechtungsrechtliche Einzelbetrachtung und die dadurch bewirkte Aufspaltung einer Globalsicherheit in Sicherungsvertrag, Einzelabtretungen oder -verfügungen sowie im Bereich der Forderungszession die Anfechtbarkeit des „Werthaltigmachens“ als besonders anfechtungsbegünstigend erwiesen. 1. Einschränkung der Anfechtbarkeit durch die Annahme von Kongruenz durch den BGH Der Erwerb von Sicherungseigentum an einer Sache oder Forderung im Rahmen der zugrunde liegenden Globalsicherheit ist inkongruent (und daher regelmäßig anfechtbar), wenn er nicht auf einem hinreichend bestimmten vertraglichen Anspruch beruht, der selbst unanfechtbar entstanden ist. Die revolvierenden Globalsicherheiten zeichnen sich nun aber dadurch aus, dass sie – mehr oder weniger – pauschal eine bestimmte Gruppe von Gegenständen oder Forderungen erfassen sollen, die bei Abschluss des Sicherungsvertrags noch „künftig“ und daher tendenziell „unbestimmt“ sind. Diese aus dem Sachenrecht bekannte Problematik ist dort über die genaue Bezeichnung der Forderungen bzw. die Verbringung in einen bestimmten Raum oder die Anbringung einer Markierung gelöst worden; für die anfechtungsrechtliche Bestimmtheit war aber zum Teil ein höherer Standard gefordert worden.9 Im Anschluss an eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 8 Die Anfechtbarkeit als unentgeltliche Leistung, die eine große Rolle spielt bei nachträglichen Sicherheitenbestellungen sowie bei Leistungen im Dreipersonenverhältnis, soll an dieser Stelle genauso ausgeklammert werden wie die Vorsatzanfechtung. 9 So bspw. Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2008, § 131 Rn. 39c m.w.N.

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2002 10 war daher auch von einigen Obergerichten im Falle einer Globalzession von der Inkongruenz des Erwerbs bezüglich der neu entstehenden Forderungen ausgegangen worden.11 Nach dieser Rechtsprechung wären Forderungen, die in den drei Monaten vor Stellung eines Insolvenzantrags abgetreten wurden, unter den erleichterten Voraussetzungen des § 131 InsO anfechtbar gewesen mit der Folge, dass die Globalsicherheiten bei einer Bestätigung dieser Rechtsprechung durch den BGH weitgehend entwertet worden wären. Allerdings hat der BGH nun in seiner begrüßenswerten Entscheidung vom 29. November 2007 12 für Globalzessionen entschieden, dass auch hinsichtlich künftiger Forderungen die Voraussetzungen einer kongruenten Deckung erfüllt sein können, und zwar auch dann, wenn diese nicht von Anfang an identifizierbar waren.13 Zugleich hat er die Kongruenz auf Leistungen erstreckt, die diese Forderung werthaltig gemacht haben: So stellt zwar im Rahmen der Insolvenzanfechtung das nachträgliche „Werthaltigmachen“ einer Forderung eine selbstständig anfechtbare Rechtshandlung dar; jedoch soll im Rahmen einer Globalzession das Entstehen der Forderung nicht als kongruent, die Wertauffüllung hingegen als inkongruent gewertet werden dürfen.14 Dies ist letztendlich nur eine konsequente Folge der Annahme eines kongruenten Erwerbs bezüglich der jeweiligen Forderung, da eine Bewertung des Werthaltigmachens als inkongruent die durch die Annahme der Kongruenz bezüglich des Forderungserwerbs erreichte Rechtsbeständigkeit wieder aufgehoben hätte. Insgesamt hat der BGH daher die einzelnen Forderungserwerbe im Rahmen der Globalzession weitgehend der Anfechtung entzogen und entsprechende Befürchtungen der Kreditwirtschaft ausgeräumt.

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BGH Urt. v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01 Z 150, 122, NJW 2002, 1722. OLG Karlsruhe Urt. v. 8.4.2005 – 14 U 200/03, NZI 2006, 103; dem zustimmend OLG München Urt. v. 8.6.2005 – 19 U 5587/05, NZI 2006, 530; Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 9) § 131 Rn. 39c; Kreft in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2005, § 131 Rn. 13. 12 BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07 Z 174, 297, NJW 2008, 430; bestätigt durch BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372; BGH Urt. v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, ZIP 2008, 1437; zust. Eßbauer ZInsO 2008, 598 ff.; Psaroudakis ZInsO 2009, 1039 ff.; kritisch Jacoby ZIP 2008, 385; anders zuvor Mitlehner ZIP 2007, 1925 ff.; Runkel/ Kuhlemann ZInsO 2007, 1094 ff. 13 Im Detail siehe Hirte in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung, 13. Aufl. 2010, § 131 Rn. 16 m.w.N. 14 BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07 Z 174, 297, NJW 2008, 430; bestätigt durch BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372; BGH Urt. v. 28.2.2008 – IX ZR 177/05, ZIP 2008, 650; BGH Urt. v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435. 11

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2. Entsprechende Anwendbarkeit auf sonstige Globalsicherungsverträge Bislang vom BGH noch nicht behandelt wurde aber die Frage, wie die sonstigen revolvierenden Globalsicherheiten wie der Raumsicherungs- oder der Markierungsvertrag anfechtungsrechtlich zu behandeln sind. Man wird allerdings die Rechtsprechung zur Globalzession auch auf sonstige revolvierende Sicherungsverträge übertragen können; 15 denn auch bei diesen kommt es für die Frage der Kongruenz oder Inkongruenz darauf an, dass der Anspruch hinreichend genug bestimmt ist. Es sind aber keine Gründe ersichtlich, warum im Rahmen von Globalzessionsverträgen die notwendige anfechtungsrechtliche Bestimmtheit gegeben sein soll, nicht aber bei globalen Sicherungsübereignungen. Mithin kann auch für diese aus der sachenrechtlichen Bestimmtheit auf die anfechtungsrechtliche Bestimmtheit geschlossen werden, so dass auch die im Rahmen dieser Verträge erlangten Absonderungsrechte kongruente Leistungen darstellen und daher weitgehend der Anfechtung wegen Inkongruenz entzogen sind. 3. Weiterhin bestehende Anfechtungsmöglichkeit durch die insolvenzrechtliche Einzelbetrachtung Der BGH hat, wie soeben dargestellt, die im Rahmen einer revolvierenden Globalsicherheit erlangten Gegenstände oder Forderungen zu einem guten Stück der insolvenzrechtlichen Anfechtung entzogen. Jedoch hat er in seinen Entscheidungen auch deutlich gemacht, dass der anfechtungsrechtlich relevante Vornahmezeitpunkt weiterhin für jede erlangte Forderung oder jeden erlangten Gegenstand einzeln nach § 140 InsO bestimmt werden muss.16 Nach § 140 InsO ist Vornahmezeitpunkt einer Rechtshandlung der Moment, in dem die rechtlichen Wirkungen der Handlung eintreten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Übertragung bestehender Rechte ist daher der Abschluss des dinglichen Übertragungsvorganges. Die Sicherungsübertragung von gegenwärtigen Gegenstände oder Forderungen ist daher in aller Regel anfechtungsrechtlich unbedenklich, da in diesen Fällen die Erfüllung mit der Verpflichtung zusammen fällt und sich aus § 140 InsO deswegen ein einheitlicher Vornahmezeitpunkt ergibt, der regelmäßig außerhalb der Fristen der §§ 130, 131 InsO liegt. Für die Übertragung künftiger Rechte muss hingegen nach ständiger Rechtsprechung auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung abgestellt werden.17 15

So auch Jacoby ZIP 2008, 385, 391; Kuder ZIP 2008, 289, 293 f.; früher schon dies. ZInsO 2006, 1065, 1070 sowie Gerhardt Der Raumsicherungsvertrag, in FS Fischer, 2008, S. 149 ff.; Psaroudakis ZInsO 2009, 1039, 1041. 16 BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07 Z 174, 297, NJW 2008, 430. 17 Vgl. nur BGH Urt. v. 20.3.2003 – IX ZR 166/02, ZIP 2003, 808; siehe Hirte in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 140 Rn. 6A ff. m.w.N.

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Dies wurde vom BGH in seiner Entscheidung vom 29. November 2007 18 für die Globalzession ausdrücklich bestätigt. Entsprechend ist im Rahmen eines Raumsicherungs- oder Markierungsvertrages auf den Zeitpunkt der Einbringung der Gegenstände in den Raum bzw. die Anbringung der Markierung abzustellen. Folge dieses Abstellens auf den Entstehens- oder Einbringungszeitpunkt ist, dass die in den letzten drei Monaten vor Antragstellung hinzugekommenen Forderungen oder Gegenstände weiterhin der Anfechtung wegen kongruenter Deckung nach § 130 InsO unterfallen. Das entstandene Absonderungsrecht ist daher anfechtbar, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Entstehung des Rechts zahlungsunfähig ist und dem Gläubiger dies bekannt war. Dies ist zwar eine im Vergleich zu § 131 InsO eingeschränkte Anfechtungsmöglichkeit. So erfordert Kenntnis im Sinne von § 130 InsO zwar grundsätzlich positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit, jedoch ist dieser nach § 130 Abs. 2 InsO die Kenntnis von Umständen gleichgestellt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.19 Damit besteht zwar eine recht hohe Hürde für die Anfechtung nach § 130 InsO, doch werden gerade Großgläubigern – insbesondere Banken – des späteren Schuldners häufig die Anzeichen der Zahlungsunfähigkeit bekannt sein mit der Folge, dass sie dem Risiko einer Anfechtung nach § 130 InsO ausgesetzt sind. Dies ist ein durchaus wünschenswerter Effekt, da dadurch (zumindest theoretisch) ein Anreiz für den Sicherungsnehmer geschaffen wird, frühzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen, um einer Entwertung der Sicherheit durch eine eventuell später mögliche Anfechtung zu entgehen; andererseits wird dadurch dem Sicherungsnehmer eine jedenfalls im Bereich der Globalsicherheiten unnötige Rechtsunsicherheit aufgebürdet (siehe dazu auch unten III.2.). Dies ist insbesondere für Konstellationen kritisch, in denen ein schneller „Durchlauf“ – also ein Durchlauf von wenigen Monaten – der global zur Sicherheit übertragenen Forderungen oder Gegenstände erfolgt.20 In diesen Fällen läuft der Sicherungsnehmer Gefahr, durch eine erfolgreiche Anfechtung den Großteil seiner Sicherung zu verlieren. Mithin ist es für einen Kreditgeber hier notwendig, sich zusätzlich über sonstige Sicherheiten wie z.B. Immobiliarsicherheiten abzusichern. Dadurch können einerseits Probleme einer Übersicherung entstehen, vor allem aber wird die Rechtsbeständigkeit von Globalsicherheiten am Umlaufvermögen unnötig eingeschränkt und die

18

BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07 Z 174, 297, NJW 2008, 430. Zur Annahme von Kenntnis bezüglich der Zahlungsunfähigkeit oder der entsprechenden Umstände im Einzelfall Kirchhof in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 9), § 130 Rn. 33 ff. m.w.N. sowie bspw. Kuder ZIP 2008, 289, 291. 20 So bereits Kuder ZInsO 2006, 1065, 1071; dazu auch Psaroudakis ZInsO 2009, 1039, 1040. 19

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Ausnutzung der dem Schuldner zur Verfügung stehenden Vermögenswerte zur Kreditbesicherung wird unnötig behindert. Daher beeinträchtigt auch die auf § 130 InsO beschränkte Anfechtungsmöglichkeit die Werthaltigkeit von Globalsicherheiten. Darüber hinaus verzögern Anfechtungsstreitigkeiten und -prozesse die Verfahrensabwicklung und führen zu einer Erhöhung der Verfahrenskosten, was letztendlich zu einer vermeidbaren Belastung der Gläubiger führt. Aus diesen Gründen soll der ausdifferenzierten Rechtsprechung des BGH an dieser Stelle ein Entwurf gegenüber gestellt werden, durch den sich die Rechtslage bezüglich der Globalsicherheiten erheblich vereinfachen und damit überschaubar machen ließe, ohne zugleich die Position der ungesicherten Gläubiger zu verschlechtern.

C. Reformüberlegungen zum deutschen Recht 21 I. Globalsicherheiten als einheitliche Rechtshandlung Kernpunkt für eine Vereinfachung ist die Überlegung, Globalsicherheiten insolvenzrechtlich als einheitliches in sich abgeschlossenes kongruentes Geschäft zu behandeln und zu respektieren.22 Rechtshandlung – und damit auch einziger anfechtungsrelevanter Zeitpunkt – ist der Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung, ohne dass es auf die Zeitpunkte der Entstehung der einzelnen von der Sicherheit erfassten Rechte ankommt.23 Damit würde die gegenwärtig noch bestehende Anfechtung nach § 130 InsO regelmäßig ausgeschlossen. Diese Vereinfachung rechtfertigt sich durch die Überlegung, dass die globale Sicherheit nur durch den ungestörten Austausch von Vermögenswerten ihren Sicherungszweck erfüllen kann. So sollten selbstständige in sich ausbalancierte Vermögensvorgänge grundsätzlich nicht durch das Instrument der Insolvenzanfechtung künstlich aufgespalten werden, weil die Globalsicherheiten ihre Sicherungsfunktion gerade nicht durch die einzelnen Übertragungsvorgänge, sondern nur durch deren Gesamtschau erreichen. Eine solche einheitliche Betrachtung verletzt auch nicht den sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und den Grundsatz der Einzelübertragung; denn recht-

21 Zu internationalen Entwicklungen siehe auch Walsh in Eidenmüller/Kieninger, The Future of Secured Credit in Europe, ECFR Special Volume 2 (2008), 321 ff. (und die weiteren Beiträge in dem Sonderband). 22 Ähnlich bereits Kuder ZInsO 2006, 1065, 1071. 23 So wohl auch bereits Blum ZInsO 2007, 528, 531; Jacoby ZIP 2008, 381, 391 hat ebenfalls bereits darauf hingewiesen, dass Kernproblem der deutschen Globalsicherheiten deren mangelnde Anerkennung als einheitliche Rechtshandlung durch das Gesetz ist.

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lich werden auch weiterhin einzelne Gegenstände oder Forderungen übertragen, und es bleiben die zur Übertragung entwickelten Anforderungen an die Bestimmbarkeit erhalten.

II. Vorzüge einer einheitlichen Betrachtung Vorteil der vorgeschlagenen einheitlichen Betrachtung ist, dass der Sicherungsnehmer auf den Wert seiner Globalsicherheit genauso vertrauen kann wie etwa auf den einer Grundschuld. Insofern kann es unter der hier vorgeschlagenen Vereinfachung – anders als vom BGH im Rahmen der Kontokorrentverrechnung angenommen – auch nicht auf die Frage ankommen, ob sich der Wert der abgetretenen Forderungsgesamtheit oder der übertragenen Sachgesamtheit während der kritischen Zeit erhöht hat.24 So ist der Sicherungsnehmer nach oben hin durch die maximale Sicherungshöhe begrenzt: es ergibt sich bereits aus der Rechtsprechung zur Übersicherung, dass ab einem bestimmten Wert eine Freigabeverpflichtung besteht. Fluktuationen im Wert des Sicherungsgutes nach unten stellen hingegen das normale Risiko des Sicherungsnehmers dar und müssen von diesem getragen werden. Wertsteigernde Schwankungen im Forderungs- oder Warenbestand in der kritischen Zeit, die nicht bereits von der Freigabeverpflichtung erfasst werden, sollten hingegen nicht gesondert angefochten werden können, jedenfalls solange diese nur im normalen Geschäftsverkehr erfolgt sind.

III. Gewährleistung der Gläubigergleichbehandlung 1. Austausch im normalen Geschäftsverkehr Zugleich muss sich natürlich auch ein solcher Ansatz am Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung messen lassen. Daher kann die hier vorgeschlagene einheitliche Betrachtung zunächst einmal ganz grundsätzlich nur für die Fälle gelten, in denen sich der Zu- und Abfluss von Vermögenswerten aus der Sicherheit auf Übertragungen im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs beschränkt hat.25 Durch dieses Kriterium kann die gezielte Auffüllung von Sicherheiten unmittelbar vor der Insolvenz ausgeschlossen und dadurch eine Benachteiligung der ungesicherten Gläubiger verhindert werden. Kommt es zu einer Auffüllung der Sicherheit außerhalb des normalen Geschäftsverkehrs, 24

Anders Kuder ZInsO 2006, 1065, 1070. Ein ähnlicher Gedanke liegt bspw. der über § 130 Abs. 1 Satz 2 InsO privilegierten „Margensicherheit“ im Bereich der Finanzmarkttransaktionen zugrunde; dazu Hirte in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 130 InsO Rn. 31A ff. 25 Vgl. dazu Kuder ZInsO 2006, 1065, 1068.

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scheidet die Annahme einer anfechtungsrechtlich einheitlichen Rechtshandlung aus und es erfolgt wieder eine insolvenzrechtliche Einzelbetrachtung mit der Folge, dass eine Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO und ggf. auch nach § 133 InsO möglich ist. Darüber hinaus ist die Gläubigergleichbehandlung durch die bestehenden Schutzmechanismen (dazu sogleich unten 5) weiterhin gewährleistet, und zusätzlich werden im Folgenden einige Maßnahmen vorgeschlagen, durch die sich die Stellung der ungesicherten Gläubiger noch verbessern ließe. 2. Risiko der verzögerten Antragstellung Ein mögliches Risiko der hier vorgeschlagenen einheitlichen Betrachtung könnte in der Verringerung des Anreizes für den Sicherungsnehmer bestehen, selbst bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen zu stellen.26 Dieser Gefahr kann jedoch recht einfach dadurch begegnet werden, dass großen Sicherungsnehmern ein stärkerer Einfluss auf die Auswahl des Insolvenzverwalters zuerkannt wird, wenn und weil sie sich an einer frühzeitig eingeleiteten Sanierung beteiligen bzw. auf die rechtzeitige Stellung eines Insolenzantrags hinwirken. Eine solche größere Einbeziehung würde zugleich deren Bereitschaft stärken, mögliche Sanierungsmaßnahmen mit zu tragen. Mit solchen Vorschlägen häufig verbundene Befürchtungen, dass dies zu einer einseitigen Abwicklung zu Lasten der ungesicherten Gläubiger führen würde, kann durch einen entsprechenden Pflichtenkatalog des Insolvenzverwalters ebenso wie – im Planverfahren – durch eine Erweiterung des Katalogs der zwingend zu bildenden Gruppen nach § 222 Abs. 1 InsO begegnet werden. Das zeigt nicht zuletzt der Vergleich mit England, wo die floating charge mit Bestellungsrecht des Sicherungsnehmers 27 durch die sections 72A ff. Insolvency Act 1986 gerade zu dem Zweck eingeführt wurde, die vormalige Privatvollsteckung des Sicherungsnehmers über den administrative receiver zu beschneiden, indem stattdessen der an das Interesse der Gläubigergesamtheit gebundene 28 administrator berufen wurde.29 Zudem ist fraglich, ob das Argument, dass eine beschränktere Anfechtbarkeit des unter einer Globalsicherheit Erlangten zu einer Verzögerung der Insolvenzantragstellung führen würde, überhaupt tragfähig ist. Denn es ist unsicher, ob allein die Möglichkeit, dass in der kritischen Zeit entstandene

26 Darauf weist der BGH in seiner Entscheidung vom 29.11.2007 – IX ZR 30/07 Tz. 43 Z 174, 297, NJW 2008, 430 zu Recht hin; zustimmend Psaroudakis ZInsO 2009, 1039, 1042 f. 27 Schedule B 1 zum Insolvency Act 1986, para 14 (1). 28 Schedule B 1 zum Insolvency Act 1986, para 3 (1) (a)–(c), (2)–(4). 29 Armour/Hsu/Walters ECFR 2008, 148 ff.; Schall KTS 2009, 69, 74 ff. m.w.N.

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Sicherheiten (erfolgreich!) angefochten werden könnten, einen Sicherungsnehmer tatsächlich zum (früheren) Stellen eines Insolvenzantrages veranlassen wird. Vielmehr dürfte ein Sicherungsnehmer – sofern er denn Kenntnis von der Krise des Schuldners hatte – seine Entscheidung, ob er das Insolvenzverfahren einleitet, von seiner Einschätzung abhängig machen, ob die Krise noch einmal überwunden werden kann, es also sinnvoller ist, den Schuldner bei der Geschäftsfortführung zu unterstützen oder nicht.30 Dem trägt das Gesetz an anderer Stelle – unter anderem – mit der Privilegierung der Sanierungsbeteiligung in § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO durchaus Rechnung.31 Die Möglichkeit der späteren Anfechtung der Sicherungsleistungen wird vor diesem Hintergrund häufig nur eine abstrakte und daher für die Insolvenzantragstellung nur begrenzt maßgebliche Entscheidungsgrundlage sein. Aus diesem Grund rechtfertigt das Argument, dass eine noch weitergehend der Anfechtung entzogene Stellung der Globalsicherheiten zu einer verspäteten Antragstellung führen kann, die Ablehnung der hier befürworteten einheitlichen Betrachtung nicht. 3. Einführung einer Registrierungspflicht oder -möglichkeit Stattdessen sollte – sogar unabhängig von der hier vorgeschlagenen einheitlichen Betrachtung – nach dem Vorbild von Art. 9 Uniform Commercial Code und der englischen floating charge 32 im Handelsregister eine Registrierungsmöglichkeit (oder sogar -pflicht) für Zessionen und Sicherungsübereignungen eingeführt werden.33 Durch die technischen Entwicklungen der

30 Zur vor diesem Hintergrund (rechtzeitige Insolvenzantragstellung vs. Chance auf Sanierung) außerordentlich ambivalenten Einordnung der zwingenden Insolvenzantragspflicht für die Organe des Schuldners (§ 15a InsO) Hirte ZInsO 2008, 146, 147; ders. in FS Hans-Bernd Schäfer, 2008, S. 605, 608 ff.; Hirte/Schall Economic Considerations Regarding the Mandatory Insolvency Petition under German Law, demnächst in Eiji Takahashi (Hrsg.), Journal of Interdisciplinary Economics (JIE), Special Issue: Company Law and Economics, im Erscheinen. 31 Dazu jetzt ausführlich Hirte/Knof WM 2009, 1961 ff. 32 Vgl. sections 860 ff., 869 CA 2006. 33 Eidenmüller AcP 204 (2004) 457, 475–479; eine entsprechende Diskussion anregend auch Jacoby ZIP 2008, 385, 390 f.; Psaroudakis ZInsO 2009, 1039, 1048 unter Bezugnahme auf das Konzept der floating charge sowie Sigman, Stürner, Lwowski, Walsh, Flessner, und Beale in Eidenmüller/Kieninger, The Future of Secured Credit in Europe, ECFR Special Volume 2 (2008), S. 143, 156 ff., 166, 169 f., 174 ff., 321 ff., S. 336 ff. sowie 375, 385 ff. zur Registrierung als Mittel der europäischen Rechtsvereinheitlichung. Zur Diskussion auch bereits die Verhandlungen des 32. Deutschen Juristentages, 1922, S. 185–226 und das Gutachten von Drobing für den 51. Deutschen Juristentag 1976, Bd. I, F1–F99, der allerdings die Einführung eines Registers i.E. abgelehnt hatte. Für die Schaffung eines entsprechenden Registers spricht sich auch der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) Legislative Guide on Secured Transactions (New York 2007) aus.

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letzten Jahre ist der Kosten- und Zeitaufwand, der mit einer solchen Registrierung verbunden ist, wesentlich verringert worden.34 Die genaue Ausgestaltung und Wirkung einer solchen Registrierung soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden, doch würde sich in Anlehnung an Vorschläge von Eidenmüller eine fakultative Registrierung mit negativer Publizität anbieten, durch die sich die Gläubiger die Priorität ihres Sicherungsmittels sichern könnten.35 Die bewirkte Publizität würde die Transparenz für den Kreditgeber sowie alle sonstigen gegenwärtigen und künftigen Gläubiger erhöhen und deren Risiko vermindern und dadurch letztendlich die Transaktionskosten der Beteiligten senken.36 Eine Registrierungsmöglichkeit würde daher die hier vorgeschlagene Vereinfachung des Rechts der Globalsicherheiten nicht nur flankieren, sondern weiter fördern. Zudem würden die bislang bestehenden Schwierigkeiten, die bei der Anerkennung der deutschen Sicherungsübereignung oder -zession im internationalen Rechtsverkehr durch deren fehlende Offenkundigkeit bestehen, beseitigt werden 37 (zum spiegelbildlichen Problem einer Anerkennung der floating charge im Inland bereits oben I.). 4. Prozentuale Befriedigung der ungesicherten Gläubiger Weiter kann (erneut) über die Einführung einer pauschal prozentualen Beteiligung der ungesicherten Gläubiger an den Erlösen aus sämtlichen Ausund Absonderungsrechten im Insolvenzfall nachgedacht werden. Eine solche war bereits von der Reformkommission zur InsO vorgeschlagen worden, wurde aber letztendlich im Regierungsentwurf nicht mehr umgesetzt.38 Nichtsdestotrotz zeigen die fortbestehende Diskussion um die Kosten- und Verwertungsbeiträge zugunsten der Masse sowie der regelmäßige Forderungs-

34 Vgl. Sigman in Eidenmüller/Kieninger, The Future of Secured Credit in Europe, ECFR Special Volume 2 (2008) S. 143, 156 f. So war noch im Bundesministerium der Justiz, Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 306 f. die Einführung eines Registers aus Kosten- und Aufwandsgründen abgelehnt worden. 35 Eidenmüller AcP 204 (2004) 457, 475–479. 36 Eidenmüller AcP 204 (2004) 457, 475–479. 37 Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. II (Fn. 2) § 95 Rn. 15 sowie § 96 Rn. 18 f. Dies andeutend auch Jacoby ZIP 2008, 385, 390 f. 38 Bundesministerium der Justiz, Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 312 ff.; danach sollten Eigentumsvorbehalt, Sicherungseigentum und -abtretung keine Aus- oder Absonderungsrechte begründen, sondern lediglich eine bevorzugte Befriedigung aus dem Sicherungsgut erlauben, nachdem ein Verfahrenskostenbeitrag von 25 % (respektive 20 oder 15 %) abgezogen worden war; siehe zuvor BGH Urt. v. 12.5.1980 – VIII ZR 169/79 Z 77, 139, 150: In dieser Entscheidung hatte der BGH im Zusammenhang mit der Benachteiligung der ungesicherten Gläubiger durch eine Umsatzsteuerbelastung der Masse durch die Verwertung von Sicherungsgut bereits eine Überprüfung und ggfls. Änderung durch den Gesetzgeber angeregt; zusammenfassend dazu Brinkmann in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 171 Rn. 1.

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ausfall der ungesicherten Gläubiger, dass auch an dieser Stelle weiterhin Reformbedarf besteht.39 Vor allem aber wäre eine übermäßige Belastung der Sicherungsnehmer durch eine solche pauschale Mindestbeteiligung der ungesicherten Gläubiger nicht zu befürchten, da diese einerseits die Beteiligung der ungesicherten Gläubiger bereits bei Bestellung der Sicherheit einkalkulieren könnten und insoweit auch keine Übersicherung angenommen werden könnte.40 Andererseits müssten der Mehrbelastung die geringeren Transaktionskosten bei der Sicherheitenbestellung und bei der Abwehr von Insolvenzanfechtungsansprüchen entgegengestellt werden, die sich – je nach Einschätzung – idealerweise im Ergebnis aufheben. Schließlich würde durch den pauschalen Abzug eines bestimmten einheitlichen Prozentsatzes von allen Sicherheiten die Rechtslage auch nicht durch die Differenzierung nach Einzelfällen verkompliziert, wie dies jetzt bei der Diskussion um die Reichweite des Verwertungsrechts und insbesondere der dem Verwalter dafür zustehenden Kosten- und Feststellungsbeträge im Rahmen von §§ 170, 171 InsO der Fall ist.41 Eine Regelung könnte sich konkret an der Vorschrift des section 176A Insolvency Act 1986 orientieren, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Beteiligung der ungesicherten Gläubiger an den Erlösen aus einer floating charge zulässt. Verfahrensmäßig wäre die Pflicht zu einer prozentualen Beteiligung ungesicherter Gläubiger insoweit abzusichern, als für diese im Rahmen eines Insolvenzplans nach § 222 Abs. 1 InsO zwingend eine (weitere) gesonderte Gruppe zu bilden wäre. Eine solche zwingende Gruppenbildung für die ungesicherten Gläubiger kann andererseits auch eingeführt werden, ohne dass der Gesetzgeber für sie zugleich eine pauschalierende Beteiligung an den Verwertungserträgen festlegen würde. 5. Fortbestehende Schutzmechanismen Zugleich ändert auch die hier vorgeschlagene einheitliche Betrachtung nichts an dem Vorrang von Eigentumsvorbehalten und Abtretungen im Rahmen erweiterter Eigentumsvorbehalte, weil die Globalsicherheiten unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Ware sowie die im Rahmen des verlängerten Eigentumsvorbehalt erfassten Forderungen regelmäßig nicht erfassen. Ein einheitlicher anfechtungsrechtlicher Vornahmezeitpunkt würde daran nichts ändern. Mithin sind die Forderungen von Warenlieferanten weiterhin ausreichend geschützt.

39 Siehe Brinkmann in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 170 InsO Rn. 1 ff. m.w.N.; siehe dazu auch Hirte/Knof WM 2008, 49 ff. 40 Siehe dazu auch Brinkmann in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 171 Rn. 1. 41 Siehe ausführlich Brinkmann in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 170 Rn. 1 ff. sowie § 171 Rn. 1 ff.

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Weiterhin werden durch die hier vorgeschlagene einheitliche Betrachtung die Anfechtungsmöglichkeiten nach § 133 oder § 134 InsO nicht beschränkt. So bleibt bspw. auch bei einer einheitlichen Betrachtung eine nachträglich erfolgte Sicherung eine unentgeltliche und damit anfechtbare Leistung im Sinne des § 134 InsO; denn auch unter der gegenwärtigen Einzelbetrachtung kommt es für diese Konstellation regelmäßig nur auf den Abschluss des Sicherungsvertrages und nicht auf die einzelnen Sicherungsleistungen an. Entsprechendes gilt für die Anfechtung nach § 133 InsO; insbesondere ist die vorgeschlagene einheitliche Betrachtung von Anfang an auf reguläre, d.h. im normalen Geschäftsverkehr erfolgte Übertragungen beschränkt (dazu bereits oben III.1.). Zuletzt wird ein Auseinanderreißen der Masse durch das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 InsO verhindert. Nach § 166 InsO darf der Verwalter eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten, wenn er sie in seinem Besitz hat (Abs. 1) sowie vom Schuldner abgetretene Forderungen einziehen oder in anderer Weise verwerten (Abs. 2). Demnach kann der Verwalter die Ware im Rahmen einer Fortführung des Schuldnerunternehmens verkaufen, das Absonderungsrecht durch Zahlung ablösen sowie Forderungen einziehen oder verkaufen. Mithin gibt dies sowie das Verwendungsrecht an beweglichen Sachen nach § 172 InsO dem Verwalter genügend Spielraum, um im Rahmen einer Unternehmensfortführung den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten.

IV. Weitere anfechtungsrechtliche Folgefragen Die vorgeschlagene einheitliche Betrachtung steht in Einklang mit § 140 InsO bzw. § 129 InsO und der bei diesen Normen bislang grundsätzlich gebotenen Einzelbetrachtung, weil die einzelnen Übertragungen nur unvollständige Nebenhandlungen der jeweiligen Globalsicherheit darstellen. Die Lage ist insofern vergleichbar mit der bei gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungsvorgängen, bei denen der BGH die einzelnen innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses erbrachten Leistungen als unselbstständige Rechnungsposten gewertet hat und diese dadurch der Anfechtung entzieht.42 Im Übrigen käme alternativ eine Einordnung des revolvierenden Sicherheitentauschs im Rahmen der jeweiligen Globalsicherheit als wertneutrales und daher nicht gläubigerbenachteiligendes Bargeschäft in Betracht. Der BGH hat sich nämlich bei der Ablehnung des Bargeschäfts mit ziemlicher Sicherheit von dem Bestreben leiten lassen, dadurch die Interessen der ungesicherten Gläubiger zu schützen; denn durch die Annahme eines Bargeschäfts wür42 BGH Urt. v. 14.12.2006 – IX ZR 194/05 Z 170, 206, NJW 2007, 1067; dazu auch Hirte in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 129 Rn. 122A.

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den die im Rahmen einer Globalsicherheit erfolgten Übertragungen von Vermögenswerten regelmäßig unanfechtbar.43 Mithin bestand die Befürchtung, dass für die gesicherten Gläubiger kein Anreiz mehr bestünde, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen (dazu bereits oben III.2.). Jedoch kann dieser Interessenausgleich auch durch die hier vorgeschlagenen Maßnahmen erreicht werden, so dass rechtspolitisch kein zwingendes Bedürfnis besteht, Globalsicherheiten die Anerkennung als Bargeschäft zu versagen. Dogmatisch hat der BGH die Annahme eines Bargeschäfts für die revolvierenden Sicherheiten zwar durchaus zu Recht abgelehnt, weil im Rahmen der Globalsicherungsverträge kein unmittelbarer Austausch einer Forderung gegen eine andere oder eines Gegenstandes gegen einen anderen erfolgt, sondern der Austausch unabhängig von den konkreten Einzelpositionen geschieht, so dass nur insgesamt ein – mehr oder weniger – gleichwertiger Austausch von Sicherheiten erfolgt, aber nicht bezüglich der einzelnen Positionen.44 Doch beruht der Austausch der Sicherungsleistungen auf einem einheitlichen Vertrag, durch welchen eine wertmäßig insgesamt gleichbleibende Sicherung des Gläubigers angestrebt wird. Mithin verbindet der Sicherungsvertrag die einzelnen Übertragungen zu einem einheitlichen Geschehen, das einheitlich bewertet werden kann und sollte. Der Sicherungsnehmer hält sich ähnlich wie eine Bank bei der Verrechnung im Kontokorrent im Rahmen seiner durch den Sicherungsvertrag bestimmten Rechte und Pflichten, so dass eine mit der Verrechnung im Kontokorrent zwar nicht identische, aber vergleichbare Situation vorliegt, die eine einheitliche Betrachtung rechtfertigen würde.45 So gilt denn auch grundsätzlich, dass die Befriedigung eines anfechtungsfest gesicherten Gläubigers nicht anfechtbar ist, sowie, dass der Austausch einer unanfechtbar entstandenen Sicherheit gegen eine andere gleichwertige Sicherheit ebenfalls unanfechtbar ist. In beiden Fällen wird das Schuldnervermögen nicht zu Lasten der Gläubiger vermindert, sondern es werden lediglich Vermögenspositionen wertneutral ausgetauscht.46 Der einzige Grund warum für die Globalsicherheiten ein solcher anfechtungsneutraler Austausch bislang abgelehnt wurde, ist wiederum die Tatsache, dass kein Austausch einer einzelnen gegen eine andere einzelne wertmäßig entsprechende Sicherheit erfolgt, sondern aus Gründen der Verkehrsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit ein nur insgesamt wertneutraler Austausch angestrebt wird.47 43

So auch Psaroudakis ZInsO 2009, 1039, 1043. BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07 Z 174, 297, NJW 2008, 430; BGH Urt. v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, ZIP 2008, 1437; siehe dazu auch Jacoby ZIP 2008, 385, 386. 45 Ablehnend BGH Urt. v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07 Z 174, 297, NJW 2008, 430; so aber bereits auch Furche WM 2007, 1305, 1312 sowie Kuder ZInsO 2006, 1065, 1068 und Blum ZInsO 2007, 528, 530 für die Annahme eines Bargeschäftes. 46 Siehe dazu Hirte in Uhlenbruck Kommentar zur Insolvenzordnung (Fn. 13) § 129 Rn. 110 f. sowie 110C. 47 So auch bereits Kuder ZInsO 2006, 1065, 1069. 44

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Ein Einzelaustausch wäre aber mit einem solchem Aufwand und solchen tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden, dass dadurch die Globalsicherheiten ihren wirtschaftlichen Nutzen verlieren würden. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass durch den pauschal automatisierten Austausch keine Benachteiligung der anderen Gläubiger erfolgt. Dieser Gedanke lag bereits der Entscheidung des BGH zugrunde,48 Leistungen im Rahmen einer Globalzession als kongruent und nicht inkongruent zu werten, und er rechtfertigt darüber hinaus auch die hier vorgeschlagene noch weitergehende Freistellung von der Anfechtung. Insbesondere ist die bislang vorgenommene Einzelbetrachtung für die Frage, ob eine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, nicht zwingend geboten, weil das erlangbare Sicherungsgut durch die im Sicherungsvertrag festgesetzte Sicherungshöhe sowie durch die zur Übersicherung entwickelten Maßstäbe nach oben hin begrenzt ist. Eine solche Gesamtbetrachtung wird auch im Rahmen des englischen Anfechtungsrechts vorgenommen: section 245 Insolvency Act 1986 enthält eine solche Gesamtschau für das Institut der floating charge, u.a. mit sehr differenzierten Regelungen zum maßgeblichen Zeitpunkt (subsection 3), die allerdings alle an die Bestellung der floating charge als solche anknüpfen und nicht an den Erwerb oder die Entstehung der einzelnen Rechte unter der charge.49 Mithin würde über die vorgeschlagene Gesamtbetrachtung eine Annäherung der Rechtsordnungen auch auf anfechtungsrechtlicher Ebene erreicht und dadurch die Verzahnung der Insolvenzrechte vorangetrieben.

D. Zusammenfassung Zusammenfassend sollte daher eine Globalsicherheit anfechtungsrechtlich als eine Rechtshandlung bewertet werden, solange der Austausch der Posten im normalen Geschäftsverkehr erfolgt ist; ob dieses Ergebnis nur durch eine Gesetzesänderung erreicht werden kann oder evtl. durch eine neue Auslegung von § 142 InsO oder des wertneutralen Austauschens gleichwertiger Sicherheiten möglich ist, mag zunächst einmal und an dieser Stelle dahinstehen.50 Voraussetzung einer solchen einheitlichen Betrachtung ist die Einführung einer Registrierungspflicht für Globalsicherheiten im Handelsregister sowie einer gesetzlichen oder durch die Rechtsprechung vorzunehmenden Beschränkung auf Vorgänge im normalen Geschäftsverkehr. Im Zusammenhang damit sollte Großgläubigern und Unternehmern mehr Einfluss auf die Wahl des 48

BGH Urt. v. 29.11.2007 IX ZR 30/07 Tz. 26 ff. Z 174, 297, NJW 2008, 430. Zur Anfechtung nach section 245 Insolvency Act 1986 allgemein Steffek KTS 2007, 451, 473 f. 50 Vgl. dazu auch Jakoby ZIP 2008, 385, 389 f. 49

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Insolvenzverwalters eingeräumt sowie eine Stärkung des sanierungsfreundlichen Planverfahrens erreicht werden. Schließlich sollte eine pauschale Beteiligung der ungesicherten Gläubiger an Aus- oder Absonderungsrechten begründet werden, um dadurch einen entsprechenden Interessenausgleich zu schaffen; dass solche Rechte im Übrigen – wie in England – unverändert Vorrang vor einer Globalsicherheit genießen sollten, versteht sich von selbst. Durch die vorgeschlagene einheitliche Betrachtung wird die Rechtsbeständigkeit globaler Kreditsicherheiten erhöht und mithin die Rechtslage vereinfacht; dadurch kann letztendlich die Kreditvergabe effizienter und kostengünstiger gestaltet werden. Zugleich werden die ungesicherten Gläubiger über die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht nur ausreichend, sondern auch weitergehend als bisher geschützt und es wird mithin deren Position verbessert. Zuletzt stehen die vorgeschlagenen Maßnahmen im Einklang mit den Entwicklungen auf internationaler Ebene und stellen damit einen ersten Schritt dar, den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr zu vereinfachen.

Proportionalhaftung und Mitverschulden im Transportrecht Ingo Koller I. Einleitung 1. Die Gefahren des Umschlags Viele Güter werden nicht direkt vom Absender 1 zum Empfänger befördert. Vielmehr werden sie umgeschlagen, sei es, weil sie von einem Transportmittel auf ein anderes umgeladen werden müssen 2, sei es, weil der Transport so organisiert ist, dass die Güter an Knoten eines Transportnetzes umgeschlagen werden. Zu dieser Art von Umschlagstätigkeit kommt es etwa, wenn eine Vielzahl von Paketen 3 an verschiedene Empfänger bei einem Absender 4 abgeholt wird, der Abholfahrer sie beim nächsten Umschlagszentrum abliefert, wo sie sortiert werden, um je nach ihrem Ablieferungsort zu neuen Sendungen 5 zusammengefasst zu werden,6 die zu bestimmten anderen Umschlagspunkten befördert werden sollen. Die für diese Umschlagspunkte bestimmten Pakete werden am zweiten Umschlagspunkt entladen, um dort neu sortiert und entsprechend dem Ablieferungsort zum nächsten Umschlagsknoten transportiert zu werden. Dieser Vorgang kann sich mehrfach wiederholen, bis das Paket zum letzten Umschlagspunkt gelangt. Von dort aus wird es nach einer erneuten Sortierung vom Auslieferungsfahrer zum Empfänger gebracht.

1

Hier ist nur vom Absender die Rede. Gleiches gilt natürlich auch für den Versender als Auftraggeber eines Spediteurs. 2 Es geht hier um den multimodalen Transport (§ 452 HGB) und darüber hinaus um den Umschlag zwischen verschiedenartigen Transportmitteln, für die das gleiche Rechtsregime gilt, z.B. Umschlag vom Lkw auf die Bahn bei innerstaatlichen Transporten. 3 Es geht hier um das Geschäft der sog. KEP-Unternehmen (Kurier-Express-Paketdienstunternehmen). 4 Z.B. dem Hersteller, Groß- bzw. Einzelhändler. 5 Eine Sendung besteht aus einem oder mehreren Packstücken, die an einen bestimmten Empfänger adressiert sind. Dieser Empfänger muss nicht der Endempfänger der Packstücke sein. 6 Dies erfolgt zum Beispiel durch Verladung in Containern, auf Wechselbrücken oder in Lkw, die nach Ende der Beladung häufig plombiert werden.

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Dieser Umschlag ist in besonderer Weise fehlerträchtig.7 Beim Umschlag besteht immer die Gefahr, dass das Gut falsch abgestellt wird und dadurch für längere Zeit 8 unauffindbar ist,9 dass es dem falschen Empfänger zugeordnet wird, der es unterschlägt,10 vor allem aber, dass die Gelegenheit des Umschlags von den Leuten des Transportunternehmers, dessen Subunternehmern oder Dritten für Diebstähle genutzt wird. Dieses Risiko bekommt man nur in den Griff, wenn die Verantwortlichkeit für das einzelne Packstück nicht im Dunkeln der Transportkette verschwimmt, sondern wenn der Ort und die Zeit des Verlustes lokalisiert und die in Betracht kommenden Personen eingegrenzt werden können. Wenn man weiß, dass in einem bestimmten Umschlagslager besonders viele, insbesondere diebstahlsgefährdete Pakete außer Kontrolle geraten, so kann man hier die Schutzmaßnahmen intensivieren und vielleicht sogar die für den Verlust verantwortliche Person bestimmen. Ziffer 7 ADSp schreibt daher im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BGH 11 vor, dass der Spediteur verpflichtet ist, an Schnittstellen die Packstücke auf Vollzähligkeit und Identität, auf äußerlich erkennbare Schäden und auf die Unversehrtheit von Plomben und Verschlüssen zu kontrollieren 12 sowie Unregelmäßigkeiten zu dokumentieren. Überall dort, wo der unmittelbare Besitz an den Packstücken wechselt oder wo die Packstücke ohne einen Besitzwechsel am Ende jeder Beförderungsstrecke abgeliefert werden, muss von Schnittstellen gesprochen werden. Der BGH 13 bejaht auch dort Schnittstellen, wo das Gut nach der Sortierung im Umschlagslager zum Weitertransport „übergeben“ wird. Dies wird z.B. angenommen, wenn das Gut an einem bestimmten Platz im Umschlagslager für ein bestimmtes Transportfahrzeug bereitgestellt wird und der Fahrer das Gut von diesem Platz aus auf sein Fahrzeug zu verladen hat. Unerheblich ist hier, dass es aufgrund des § 855 BGB zu keinem Besitzwechsel kommt, weil der Fahrer ein Arbeitnehmer des Transportunternehmers ist.14 Eine Kontrolle aller Packstücke an jeder Schnittstelle mittels eines in der Regel körperlichen Abgleichs des Istbestandes mit dem Sollbestand ist sehr

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BGH TranspR 2006, 171, 174. Gegebenenfalls werden die Fristen überschritten, die die §§ 424 HGB, Art. 20 CMR für die Verlustvermutung statuieren. 9 Man denke nur daran, dass ein Container in einem Container-Terminal falsch abgestellt wird. 10 BGH NJW 2004, 2445, 2447. 11 BGH TranspR 2008, 113, 116 m.w.N.: Der Umschlag muss so organisiert sein, dass der Eintritt des Schadens und der Schadensbereich in zeitlicher, räumlicher und personeller Hinsicht eingegrenzt werden kann. 12 BGH TranspR 2008, 113, 116: in der Regel körperlich. 13 BGH TranspR 1998, 78, 79; NJW 2004, 2445, 2447. 14 Vgl. aber BGH TranspR 2002, 306, 309. 8

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kostenträchtig. Deshalb wird in der Praxis vielfach versucht, sowohl an bestimmten Schnittstellen auf Kontrolle zu verzichten als auch das Risiko einer Haftung zu reduzieren. So werden bei Standardsendungen an den Umschlagspunkten zwar volle Eingangs-, jedoch keine Ausgangskontrollen durchgeführt, sondern das Gut nur in dem Fahrzeug verplombt, in dem es von einem Umschlagspunkt zum anderen befördert wird.15 Damit ist nicht gesichert, dass alle Güter auf diesen Fahrzeugen verladen worden sind, die sich nach der Bearbeitung im Umschlagslager auf ihnen befinden sollten. Bei Gütern, deren erhöhter Wert vom Absender deklariert worden ist, werden zwar verstärkte, aber nicht immer umfassende Schutzmaßnahmen getroffen. Verbreitet werden, um das Haftungsrisiko zu begrenzen, auch nur Güter bis zu einer bestimmten Wertgrenze zum Transport übernommen. 2. Die Rechtsprechung des BGH zur Haftung wegen fehlender Schnittstellenkontrollen a) Vorwurf der Leichtfertigkeit Der BGH wirft den Transportunternehmen in Fällen, in denen sich der Verlust des Gutes nicht orten lässt, weil durchgängige Schnittstellenkontrollen fehlen, leichtfertiges Verhalten vor 16 und öffnet damit das Tor zu einer nicht 17 durch Höchstsummen 18 limitierten Haftung. Er erklärt durchgängige Schnittstellenkontrollen für in der Regel elementare Schutzmaßnahmen.19 Hierbei differenziert er weder nach dem Grad der konkreten Gefährdung 20, dem Wert 21 des Gutes, noch nach dem Ausmaß, in dem Schnittstellenkontrollen fehlen.22 Das hat z.B. zur Folge, dass ein Paket mit geringwertigen Ersatzteilen, die praktisch nur für den Empfänger von Nutzen sind, genauso behandelt wird wie ein Paket mit hochwertigem Schmuck oder hochwertiger diebstahlsgefährdeter Elektronik. Es wird ferner auf dieser Ebene nicht danach unterschieden, ob dem Transportunternehmer die Art und der Wert des Gutes bekannt oder für ihn auch nur erkennbar waren. Auch die Verlustquote beim Transportunternehmer wird für irrelevant erklärt,23 mag sie noch 15

BGH NJW 2004, 2445, 2447. Zur Kritik an diesem Vorwurf Koller VersR 2004, 1346 ff. 17 Zum Beispiel § 435 HGB, Art. 29 CMR, Art. 25 WA. 18 Zum Beispiel § 431 HGB, Art. 23, 25 CMR, Art. 22 WA. 19 BGH TranspR 2004, 309, 311. 20 Ausnahme bei Briefen und briefähnlichen Sendungen; BGH TranspR 2006, 348, 349. 21 Einerseits BGH TranspR 2006, 178 (Wert: 228 Euro), andererseits BGH 1997, 377 (Laptops: 60.000 Euro); eilige Dokumentensendungen (BGH TranspR 1989,327). 22 Der BGH (TranspR 2006, 347) räumt ein, dass es möglich sei, die Betriebsorganisation auf den Transport weniger wertvoller Güter hin auszurichten, hält aber Schnittstellenkontrollen bei einem Wert von 1.000 DM für gänzlich unverzichtbar. 23 BGH TranspR 1998, 78, 80; TranspR 1998, 262, 264 f.; OLG Hamburg v. 16.11.2006, TranspR 2007, 240, 244. 16

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so gering sein. Eine Ausnahme wird nur bei Briefen und briefähnlichen Sendungen gemacht.24 b) Kausalität der Leichtfertigkeit Für den Vorwurf lückenhafter Schnittstellenkontrollen ist es typisch, dass ex post nicht geklärt werden kann, ob das Gut auch dann verloren gegangen, zum Beispiel gestohlen worden wäre, wenn durchgängige Schnittstellenkontrollen organisiert worden wären. Sicher ist nur, dass bei Schnittstellenkontrollen die Verlustgefahr niedriger ist. Umgekehrt heißt dies, dass die Verlustgefahr umso mehr steigt, je lückenhafter die Schnittstellenkontrollen sind, je leichter verwertbar das Gut ist. Die Schwierigkeit, die Kausalität lückenhafter Schnittstellenkontrollen für den Verlust nachzuweisen, nimmt der BGH 25 dem Absender ab, indem er unter Hinweis auf die Leichtfertigkeit des Transportunternehmers die Beweislast umdreht. Der Transportunternehmer vermag praktisch ebenso wenig nachzuweisen, dass das Gut auch bei ordnungsgemäßen Schnittstellenkontrollen verloren gegangen wäre, so dass immer eine Haftung begründet wird, wenn in dem Schnittstellenkontroll-System Lücken existieren. c) Mitverschulden des Absenders aa) Problem der Quersubvention Die Folge dieser Rechtsprechung war, dass die Absender, die wertvolles, diebstahlsgefährdetes Gut auf den Weg brachten, zulasten der anderen Absender begünstigt wurden. Da es nicht darauf ankam, ob der Wert oder die Diebstahlsgefährdung des Gutes für den Transportunternehmer erkennbar war, sahen gerade die Absender wertvollen, besonders gefährdeten Gutes keinen Anlass, den Transportunternehmen Anhaltspunkte für den Grad der Gefahr eines Verlustes zu liefern. Vielmehr profitierten sie davon, dass die Transportunternehmen die Vergütungen ausschließlich am Gewicht der Sendungen orientierten und das Verlustrisiko gleichmäßig auf alle Absender verteilten. Die Absender weniger gefährdeter Güter subventionierten 26 mithin die Absender höchst wertvoller und gefährdeter Waren. Die Transportunternehmen stellten zwar neben ihrem Standardtransportangebot Transportsysteme zur Verfügung, die den Waren einen höheren Schutz boten. Dieses Angebot wurde jedoch vielfach nicht angenommen, da die Absender bei Unternehmen, die ihre Standardsendungen aus Kostengründen nicht vollständig

24 25

BGH TranspR 2006, 348, 349. BGH NJW-RR 1989, 1270, 1271; TranspR 1999, 19, 22 f.; 2002, 448, 451; 2005, 311,

314. 26

Koller TranspR 2006, 413 ff.

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mit Schnittstellenkontrollen sicherten, davon ausgehen konnten, im Falle eines Verlustes voll entschädigt zu werden. bb) Mitverschulden wegen unterlassener Aufklärung des Transportunternehmers bzw. der Wahl einer unsicheren Transportweise Diesem Anreiz sucht der BGH 27 mithilfe der §§ 254 BGB, 425 II HGB einen Riegel vorzuschieben. Zum einen müsse sich der Absender ein Mitverschulden vorwerfen lassen, wenn er nicht auf den außergewöhnlich hohen Wert der Sendung beziehungsweise eines Packstücks hingewiesen hat, den der Transportunternehmer nicht kennen musste. Ferner treffe den Absender ein Mitverschulden, wenn er den Frachtführer nicht über den Wert des Gutes informiert hatte, obwohl er hierzu vertraglich verpflichtet war.28 Eine solche Verpflichtung begründet zum Beispiel Ziff. 3.6 ADSp, der zufolge der Auftraggeber den Spediteur schriftlich zu informieren hat, dass besonders wertvolle oder diebstahlsgefährdete Güter oder Güter mit einem Wert von 50 Euro je Kilogramm befördert werden sollen. Gleiches gilt, wenn der Absender wusste, dass das Gut bei Aufklärung über dessen Wert sorgfältiger behandelt worden wäre. Der BGH geht aber noch einen Schritt weiter. Er fordert nicht den vollen Nachweis des Mitverschuldens durch den Transportunternehmer, sondern lässt es für den Einwand des Mitverschuldens genügen, das lediglich erkennbar war, dass die Angabe des Wertes für den Umgang mit dem Gut wesentlich ist.29 Die Erkennbarkeit wird überall dort bejaht, wo Transportunternehmen einen Transport unter Wertangabe anbieten.30 Auf eine Wertangabe könne nur verzichtet werden, wenn der Frachtführer besser als der Absender über den Wert des Gutes informiert sei. cc) Kausalität des Mitverschuldens Nach dem Wortlaut des § 254 I BGB greift die Vorschrift nur ein, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten „mitgewirkt“ hat. Daraus folgert die bislang ganz herrschende Meinung 31, dass das Mitverschulden für den Schaden kausal geworden sein muss. Der Schaden muss mithin entweder zumindest teilweise hinweggedacht werden können, wenn man unterstellt, dass den Geschädigten kein Mitverschuldensvorwurf 27 BGH TranspR 2006, 121, 122; 2006, 210, 211; weitere Nachweise bei Koller Transportrecht, 6. Aufl., § 435 Rz. 19b, 19c. 28 OLG Stuttgart, VersR 2007, 859, 860; OLG Koblenz, TranspR 2007, 1009, 1010; Koller Transportrecht, 6. Aufl., § 425 Rz. 74. 29 BGH TranspR 2008, 30, 32; 2008, 113, 116; 2008, 117, 121; 2007, 161, 164. 30 BGH TranspR 2007, 421, 422. 31 MünchKommBGB/Oetker 5. Aufl., § 254 Rz. 32, 109; Palandt/Heinrichs, BGB (69. Aufl.), § 254 Rz. 12 jeweils m.w.N.

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trifft, oder das Mitverschulden müsste den Schaden auch dann verursacht haben, wenn man das dem Schädiger zuzurechnende Verhalten hinwegdenkt. Der Beweis hierfür muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geführt werden können (§ 286 ZPO). Das Kausalitätserfordernis kommt in gleicher Weise im Wortlaut des § 425 II HGB zum Ausdruck. Auf dieses Kausalitätserfordernis hat der BGH in den Schnittstellenkontroll-Fällen weitgehend verzichtet.32 So formuliert der BGH 33 unter Hinweis auf sein Urteil vom 8.5.2003 34: „Ein bei Entstehung des Schadens mitwirkendes Verschulden kommt auch dann in Betracht, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Sendungen gerade in einem Bereich verloren gegangen sind, der nicht zusätzlich gesichert worden ist. Denn das Haftungsrisiko wird eingeschränkt, wenn der Weg der Ware bei zusätzlichen Schutzvorkehrungen weitergehend kontrolliert wird und sich damit die Möglichkeiten der Beklagten erhöhen, die Vermutung qualifizierten Verschuldens durch den Nachweis zu widerlegen, die Ware sei im gesicherten Raum verloren gegangen.“ In anderen Entscheidungen bejaht der BGH 35 ein Mitverschulden schon dann, wenn bei ausreichender Aufklärung der Frachtführer generell sicherer befördert hätte. Ein Nachweis, dass die generell sicherere Beförderung den Verlust verhütet hätte, braucht von dem Transportunternehmen nicht erbracht zu werden. Wird dem Absender vorgehalten, er habe nicht auf die Gefahr außergewöhnlich hoher Schäden aufmerksam gemacht, so wird hinsichtlich der Kausalität des Mitverschuldens nur gefordert, dass der Transportunternehmer bei einem Hinweis den Transport abgelehnt oder besondere Sicherungsmaßnahmen ergriffen hätte.36 Während die Verweigerung der Beförderung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Schadenseintritt verhindert hätte, muss dies von den besonderen Sicherungsmaßnahmen nicht gefordert werden. Vielmehr genügt es, dass sie das Schadensrisiko gesenkt haben. 3. Kritische Betrachtung der Rechtsprechung Betrachtet man die Aussagen des BGH zur Kausalität des Mitverschuldens, so ergibt sich eindeutig, dass ein Vollbeweis der Kausalität im Einzelfall nicht erforderlich ist. Vielmehr genügt der Nachweis, dass das Mitverschulden das Verlustrisiko erhöht hat.

32

Schmidt TranspR 2008, 299, 300 f. BGH TranspR 2006, 250, 253. 34 BGH TranspR 2003, 317, 318. Das Problem wird von Looschelders LMK 2009 Nr. 272915 nicht behandelt. 35 BGH TranspR 2008, 394, 395 f.; 397, 398 f.; 406, 408. 36 BGH TranspR 2008, 30, 32; 2008, 113, 117; 2008, 249, 250. Nicht erforderlich ist, dass das Gut generell sicherer befördert worden wäre (BGH TranspR 2007, 414, 416). 33

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§ 254 I BGB ist das Spiegelbild zur Zurechnung verschuldeter Schäden an den Schädiger. Nach herkömmlicher Auffassung 37 muss der Schädiger den Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (§ 286 ZPO) verursacht haben. Es genügt nicht, dass er durch sein Verhalten das Schadensrisiko, das heißt die Wahrscheinlichkeit eines Schadens, wesentlich erhöht hat. Vielmehr ist mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit 38 nachzuweisen, dass die Schadenswahrscheinlichkeit bei Eintritt des Schadens bei 100 % gelegen hat. Dies entlastet alle ein erhöhtes Schadensrisiko provozierenden Personen, die von sich sagen können, es sei „noch einmal gut gegangen“, es sei „nichts passiert“, sowie diejenigen Personen, denen zwar eine Erhöhung des Schadensrisikos, nicht aber eine hundertprozentige Wahrscheinlichkeit der Schadensverursachung nachgewiesen werden kann. Spiegelbildlich rechnet seinem Wortlaut zufolge § 254 I BGB dem Geschädigten sein Mitverschulden nur dann zu, wenn es nicht „noch einmal gut gegangen“ ist, sondern wenn sich sein Mitverschulden mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit auf die Schadensentstehung oder den Schadensumfang ausgewirkt hat. Von diesem Grundsatz rückt der BGH 39 in den Schnittstellenkontroll-Fällen mit dem Argument ab, der Geschädigte habe durch sein Verhalten die Chancen des Schädigers, sein schadenskausales Verhalten zu widerlegen, verschlechtert.40 Mit anderen Worten: Das Mitverschulden wird nicht, wie es der Wortlaut der §§ 254 I BGB, 425 II HGB vorschreibt, auf die Schadensverursachung, sondern auf die Möglichkeiten des Kausalitätsnachweises bezogen. Damit möchte der BGH die Tragweite der Umkehr der Beweislast einschränken, mit der er die Transportunternehmen beschwert, wenn er die Vermutung statuiert, die lückenhafte Schnittstellenkontrolle habe den Verlust des Gutes verursacht, weil der Transportunternehmer leichtfertig gehandelt hat. Die Vermutung der Schadensverursachung bei grober Fahrlässigkeit, die in der Arzthaftung eine große Rolle spielt, wird in der Literatur mit guten Gründen kritisch 41 betrachtet. So beanstandet Mäsch 42, dass auch nach einer längeren Reihe von Urteilen zur Arzthaftung unklar sei, warum grobes Verschulden eine Umkehr der Beweislast für die Kausalität des Fehlverhaltens rechtfertige. Die grobe Fahrlässigkeit provoziere nicht notwendig mehr Beweisnot als einfaches Verschulden. Auch die Berufung auf die Waffengleich-

37

MünchKommBGB/Oetker 5. Aufl., § 254 Rz. 32. BGH NJW 1993, 935. 39 BGH TranspR 2006, 250, 253. 40 Beachte OLG Braunschweig VersR 1998, 459; KG, VersR 1991, 928; krit. Mäsch Chance und Schaden, 2004, S. 59. 41 Schiemann FS Canaris, Bd. I (2007) S. 1161, 1166; einschr. Röckrath Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004, S. 213. 42 Mäsch Chance und Schaden, 2004, S. 36 f. 38

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heit der Prozessparteien stütze keine Beweislastumkehr.43 Keine Rolle spiele ferner, dass der grobe Fehler in der Sphäre des Arztes entstanden sei; denn dies gelte für alle Formen von Arztfehlern. Letztlich kann Mäsch 44 die Umkehr der Beweislast nur mit dem Billigkeitsgedanken erklären, hinter dem er den Wunsch der Rechtsprechung vermutet, besonders „schlampigen“ Ärzten mit einer wirksamen Haftungssanktion zu drohen. Bei einer derartigen Sanktion entsteht allerdings die Gefahr, dass die Adressaten der Haftung übermäßig vorsichtig werden.45 In der transportrechtlichen Leitentscheidung zur Umkehr der Beweislast für die Kausalität groben Fehlverhaltens hat sich der BGH 46 lediglich auf das so genannte Hühnerpest-Urteil 47 und ein insolvenzrechtliches Urteil 48 berufen. Diese Urteile stützen die Ansicht des BGH allerdings nur wenig. Denn in dem insolvenzrechtlichen Urteil arbeitet der BGH mit einem Anscheinsbeweis; im Hühnerpest-Urteil geht es um den Nachweis jeglicher Art von Verschulden, der dem Geschädigten unter Hinweis auf den Sphärengedanken abgenommen wird. Eine Beweislastumkehr bezüglich der Kausalität in Fällen groben Verschuldens wird in diesen Urteilen nicht behandelt. Man kommt mithin auch hier nicht umhin zu vermuten, dass die Beweislastumkehr grob sorgloses Fehlverhalten von Transportunternehmern bekämpfen soll. Es wäre deshalb im Interesse der Gleichbehandlung durchaus daran zu denken, auch den Transportunternehmen hinsichtlich des Beweises für die Kausalität des Mitverschuldens eine ähnliche Vergünstigung zukommen zu lassen, um grob sorglosem Verhalten der Absender einen Riegel vorzuschieben. Dann hätte man jedoch die Vermutung für die Kausalität des Mitverschuldens nur dort begründen dürfen, wo einem Absender vorsätzliches oder zumindest grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen ist.49 Diesen Weg ist der BGH jedoch nicht gegangen. Dies legt es nahe, zu überlegen, ob der BGH auf der Ebene des Mitverschuldens den Gedanken der Proportionalhaftung ins Spiel bringt.

43

Mäsch Chance und Schaden, 2004, S. 38 f. Mäsch Chance und Schaden, 2004, S. 43 ff. 45 Spindler AcP 208 (2008) S. 283, 327 f., 300; einschr. S. 302, 329. 46 BGH NJW-RR 1989, 1270, 1271. 47 BGHZ 51, 91, 105. 48 BGHZ 49, 121, 123 f. 49 Abw. Schmidt TranspR 2008, 299, 302, der wohl einfaches Verschulden genügen lassen will. Die Berufung auf BGH VersR 1979, 424 (425) ist verfehlt, denn in dieser Entscheidung geht es nur um die Sanktion eines Verstoßes gegen die prozessuale Aufklärungspflicht des Geschädigten. Außerdem nimmt das Urteil nicht zur Frage der Kausalität, sondern nur zur Frage des Verschuldens Stellung. Die Beweislastumkehr kann auch nicht auf den Sphärengedanken gestützt werden, da die für die Kausalität eines bewiesenen Fehlverhaltens wesentlichen Elemente in der Sphäre des Geschädigten angesiedelt sein müssten. 44

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4. Die Nähe der Mitverschuldens-Rechtsprechung des BGH zur Proportionalhaftung a) Die Proportionalhaftung in der Diskussion Die Diskussion um die Proportionalhaftung lässt sich am besten am Beispiel der Arzthaftung darstellen. Ebenso wie infolge unzulänglicher Schnittstellenkontrollen kommt es bei einem laufenden Fehlverhalten eines Arztes häufig vor, dass die Kausalität des Fehlverhaltens ex post nicht aufgeklärt werden kann. Man stelle sich vor, dass aus einer Gruppe von 10 Patienten, die fehlerhaft behandelt werden, sieben Patienten krank bleiben und drei gesunden, dass aber bei fehlerfreiem Verhalten weitere drei Patienten gesundet wären, ohne dass festgestellt werden kann, welche Patienten dies gewesen sind. Die Chance, ohne Fehlverhalten des Arztes zu gesunden, beträgt mithin 60 %, die Risikoerhöhung infolge des Fehlverhaltens 30 % (bezogen auf die gesamte Gruppe). Wenn man unterstellt, dass bei jedem Patienten, der krank bleibt, ein Schaden von 1 000 Euro entsteht, so beträgt der durch das Fehlverhalten verursachte Schaden 3 000 Euro 50. Falls der Arzt damit rechnen müsste, dass er an alle krank gebliebenen Patienten 3000/7 Euro, das heißt circa 430 Euro Ersatz zahlen müsste, so hätte er ungeachtet der Ungewissheit bezüglich der Kausalabläufe ausreichende Anreize, sich richtig zu verhalten. Dabei wird unterstellt, dass die durch das Fehlverhalten eingesparten Kosten niedriger sind als die Summe der zu erwartenden Schäden in Höhe von 3 000 Euro. Eine Proportionalhaftung, die nicht dem Alles-oder-Nichts-Prinzip verpflichtet ist, sondern Schäden teilweise nach Maßgabe von Wahrscheinlichkeiten ersetzt, wird im Wesentlichen in drei Formen 51 vertreten.52 Das erste Modell 53 stellt darauf ab, in welchem Umfang das Fehlverhalten die Chance des angestrebten 54 Erfolges, das heißt die Gesundung, verringert hat. Der Schuldner haftet danach auf eine Quote des Schadens, die sich aus der Reduktion der Erfolgchancen ergibt. In meinem Beispiel ist dies die Differenz zwischen der Heilungschance ohne Fehlverhalten (60 %) und der Heilungschance bei Fehlverhalten (30 %), mithin 30 %. Der Präventionseffekt der Haftung wird bei diesem Ansatz nicht gemindert, weil der Schädiger alle Schäden internalisieren muss.55 Der Pferdefuß 56 dieses Modells liegt darin, Potentieller Schaden aller Patienten × 30 % = Schaden von 3 Patienten je 1000. Wagner FS Hirsch (2008) S. 453, 458 ff. 52 Kritisch Taupitz FS Canaris, Bd. I (2007) S. 1231 ff.; Schiemann FS Canaris, Bd. I (2007) S. 1161 ff. 53 Wagner FS Hirsch (2008) S. 453, 457; Wagner Schadensersatz – Zwecke, Inhalte, Grenzen, Karlsruher Forum 2006, S. 87 f. 54 Das heißt nicht notwendig, dass der Erfolg versprochen worden ist. 55 Stremitzer AcP 208 (2008) 693 f. 56 Einschränkend Stremitzer AcP 208 (2008) 694 f. 50 51

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dass die Heilungschance auch bei denjenigen Patienten reduziert worden ist, die gesund geworden sind. Die Folge ist, dass allen, auch den gesund gewordenen Patienten 30 % des Gesamtschadens zu ersetzen ist. Dem zweiten Modell 57 zufolge ist die Schadensquote zugunsten der krank gebliebenen Patienten nach der Wahrscheinlichkeit zu bemessen, mit der die Patienten ohne das Fehlverhalten des Arztes gesund geworden wären. In meinem Beispiel beträgt sie 60 %. Für dieses Modell spricht, dass es sich durch die schadensersatzrechtliche Differenzhypothese legitimieren lässt und nur zur Entschädigung derjenigen Patienten führt, die einen Schaden erlitten haben. Sie belastet jedoch einen Arzt mit einer Haftungssumme, die über den von ihm zu verantwortenden Schäden liegt. In meinem Beispiel hat der Arzt die Summe von 3 000 Euro zu erwartender 58 Schäden zu verantworten, müsste aber den Schaden von 7 Patienten zu je 1000 Euro mit einer Quote von 60 % ersetzen. Er müsste somit insgesamt 4200 Euro zahlen. Außerdem provoziere eine Übermaßhaftung ineffizient hohe Sorgfaltsaufwendungen, wenn die Gerichte dahin tendierten, ein höheres als das effiziente Sorgfaltsniveau einzufordern.59 Ferner sei zu bedenken, dass Patienten nicht in gleichem Umfang gefährdet seien.60 Wagner 61 erklärt dagegen diese Übermaßhaftung für tragbar, weil die quotale Haftung die Anreize, die Ersatzansprüche auch tatsächlich zu realisieren, schwäche, so dass der Haftende praktisch nie für die volle Summe der von ihm zu verantwortenden Schäden aufkommen müsse. Das dritte Modell 62 sieht einen Ersatz nur der Schäden derjenigen Patienten vor, die nicht gesundet sind. Die Ersatzleistung wird mithin auf die Patienten konzentriert, die krank geblieben sind, und zwar mit einer Quote, die der Wahrscheinlichkeit der Schädigung durch das Fehlverhalten (hier: 30 %) entspricht. Das hat in meinem Beispiel zur Folge, dass die Quote 3/7 = ca. 43 % des Schadens der nicht gesundeten Patienten beträgt.63 An dieser Form der Haftung wird kritisiert, dass sie unpraktikabel sei.64 Die Gerichte 57 Wagner Schadensersatz – Zwecke, Inhalte, Grenzen, Karlsruher Forum 2006, S. 83 f.; Wagner, FS Hirsch (2008) S. 453, 456. 58 Siehe oben bei Fn. 50. 59 Stremitzer AcP 208 (2008) 692 ff. 60 Stremitzer AcP 208 (2008) 690. 61 Wagner Schadensersatz – Zwecke, Inhalte, Grenzen, Karlsruher Forum 2006, S. 89 ff. 62 Wagner Schadensersatz – Zwecke, Inhalte, Grenzen, Karlsruher Forum 2006, S. 86 f.; Wagner FS Hirsch (2008) S. 453, 457; Maier-Reimer 66. Deutscher Juristentag, Bd. II/1, S. L 50 ff. 63 Wenn alle nicht gesundeten Patienten 43 % ihres Schadens ersetzt erhalten, muss der Schädiger mit einer Haftung rechnen, die dem von ihm verursachten Risiko entspricht. Er wird deshalb in effizienter Weise zur Schadensverhütung motiviert. Vgl. Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl., S. 276 f. 64 Ganz allgemein ist zu sagen, dass die volle Kausalität leichter nachzuweisen ist, als ein bestimmter Grad einer Risikoerhöhung; denn bei der vollen Kausalität geht es um das End-

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müssten nämlich, um die Haftungsquote zu bestimmen, nicht nur feststellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Patienten bei ordnungsgemäßer Behandlung gesund geworden wären, sondern zusätzlich auch, um wie viel das Schadensrisiko gerade infolge der fehlerhaften Behandlung gestiegen ist bzw. die Heilungschancen zurückgegangen sind. Insoweit existierten jedoch kaum Erfahrungssätze, da es die verschiedensten Formen von Fehlverhalten gebe und nur jeweils für bestimmtes Fehlverhalten Aussagen gemacht werden könnten. Die Rechtfertigung einer Proportionalhaftung de lege lata ist umstritten.65 Verschiedentlich wird sie auf eine Analogie zu § 830 II BGB, zum Teil auf eine erweiternde Interpretation des § 287 ZPO 66 gestützt. Mäsch 67 beruft sich darauf, dass Ärzte und verbreitet auch andere Dienstleistungsberufe eine Erfolgschance versprechen, für deren Minderung durch Fehlverhalten sie einstehen müssten. Schließlich wird eine Analogie zum Einwand rechtmäßigen Verhaltens ins Feld geführt, die es ohne weiteres legitimiere, § 287 ZPO anzuwenden, da der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens auf der Ebene der Haftungsausfüllung angesiedelt sei.68 Allgemein wird gegen eine Proportionalhaftung eingewandt,69 dass mit ihr Tür und Tor zu einer reinen Billigkeitsrechtsprechung geöffnet werde. Es bestehe nämlich die Gefahr eines undifferenzierten Argumentierens mit Wahrscheinlichkeiten. Das Konzept der Wahrscheinlichkeit sei im Einzelfall nur eine auf die jeweilige Fallgruppe bezogene Aussage. Ein eindeutiges Ergebnis sei nur zu erzielen, wenn man die Aussage über die Wahrscheinlichkeit auf den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis beziehen könne. Aussagen über die Wahrscheinlichkeit anhand der zufällig vor Gericht präsenten Beweismittel würde keinen ausreichenden Schluss auf die Ursächlichkeit zulassen. Die ehemalige Vorsitzende des VI. Zivilsenats des BGH Müller 70 befürchtet, dass eine Ersetzung der Kausalitätsvermutung bei grobem Verschulden eines Arztes durch eine Proportionalhaftung die beruflichen Standards sinken lasse. Immerhin spreche bei qualifiziertem Verschulden das Präventionsprinzip für eine volle Haftung in Höhe des entstandenen Schadens. Der wegen groben Verschuldens mit der Kausalitätsvermutung belastestadium eines Geschehensablaufs, während das Urteil über eine Risikoerhöhung zu einer Prognose nötigt, so dass letztlich nur statistisch mehr oder minder abgesicherte Aussagen getroffen oder persönliche Einschätzungen oder beides in Kombination vorgenommen werden können. 65 Zum Streitstand Wagner FS Hirsch (2008) S. 453, 459 ff. 66 Spickhoff Folgenzurechnung im Schadensersatzrecht: Gründe und Grenzen, Karlsruher Forum 2007, S. 87. 67 Mäsch Chance und Schaden, 2004, S. 237 ff. 68 Stremitzer AcP 208 (2008) 686. 69 Röckrath Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004, S. 213 f. 70 Müller VersR 2006, 1289, 1296; Müller Karlsruher Forum 2007, S. 115.

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ten Partei sei es aber zu erlauben, nachzuweisen, dass die Unsicherheit hinsichtlich der Schadensverursachung auf medizinischen Wissenslücken beruhe, und zu gestatten, die zerstörte Heilungschance unter Verweis auf empirisch gewonnene Erkenntnisse konkret zu beziffern.71 In einem solchen Fall sei die Haftung nach Maßgabe der zerstörten Chance des Patienten zu bemessen. b) Elemente der Proportionalhaftung in der Rechtsprechung zu den Schnittstellenkontroll-Fällen Ebenso wie bei der Proportionalhaftung muss die Kausalität des Fehlverhaltens eines Absenders nicht nachgewiesen, nicht einmal vermutet werden. Vielmehr sind für den Umfang der Haftung Risikofaktoren, wie der Wert des Gutes oder der Umfang der Sicherungsmaßnahmen von Bedeutung.72 Dieser Ansatz bei den Risikofaktoren ist zwar dem § 254 BGB immanent, doch gewinnt er in der Rechtsprechung zu den Schnittstellenkontroll-Fällen besonderes Gewicht, weil diese Risikofaktoren selbst dann zu beachten sind, wenn sie nicht nachweislich kausal geworden sind, sondern nur möglicherweise den Schaden mitverursacht oder vergrößert haben. 5. Die Behandlung der Schnittstellenkontroll-Problematik nach den Regeln der Proportionalhaftung Wenn die Haftung davon abhängt, in welchem Ausmaß Fehlverhalten des Absenders die Verlustgefahr des Gutes erhöht hat, ist daran zu denken, anstatt bei leichtfertigem Verhalten die Beweislast zum Nachteil des Frachtführers umzukehren und dieses Ergebnis mithilfe einer Rechtsfortbildung des § 254 BGB zu korrigieren, von vornherein die Absender nach den Regeln der Proportionalhaftung nur in Höhe einer bestimmten Quote ihres Schadens zu entschädigen.73 a) Der Nachweis der maßgeblichen Risikofaktoren Wer eine Proportionalhaftung befürwortet, muss jedenfalls die Wahrscheinlichkeit kennen, mit der der angestrebte Erfolg bei vertragsgerechtem Verhalten erreicht worden wäre. In Hinblick auf das Erfordernis der Schnitt71

Röckrath Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004, S. 212. BGH TranspR 2008, 113, 117; 2008, 364 f.; VersR 2007, 564. Außerdem spielt es eine Rolle, ob der Absender dem Transportunternehmer vorsätzlich oder versehentlich sog. Verbotsgut übergeben hat und ob der Wert des Gutes erheblich über dem Betrag i.S.d. § 254 II 1 BGB lag. Vgl. ferner BGH TranspR 2007, 405, 408. 73 Maßgeblich ist hier der Gedanke der Gleichbehandlung. Wenn man auf der Ebene des Mitverschuldens auf das Erfordernis voller Kausalität verzichtet, so kann man dies auch auf der Ebene des Verschuldens des Schädigers tun. 72

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stellenkontrollen ist dies die Wahrscheinlichkeit, mit der das dem Transportunternehmer übergebene Gut vollzählig den Endempfänger erreicht hätte oder mit der jedenfalls der Ort des Verlustes räumlich, zeitlich und personell eingrenzbar gewesen wäre. Dies ist die Erfolgschance bei vertragsgerechtem Verhalten. Es liegt auf der Hand, dass diese Erfolgchance nicht bei allen Gütern gleich groß ist. So ist die Gefahr der Verstapelung bei Wagenladungen, die umgeladen werden müssen, eher gering, bei Containern, die auf Container-Terminals umgeschlagen werden, dagegen erheblich größer. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Gut in die falsche Richtung dirigiert wird, außer Kontrolle gerät und verloren geht, hängt unter anderem davon ab, wie gut die Suche nach derartigen Gütern organisiert ist, sowie davon, wie weit Personen, denen die Güter versehentlich ausgehändigt worden sind, bereit sind, diese unaufgefordert zurückzugeben. Hier kann man behaupten, dass die außer Kontrolle geratenen Güter umso eher endgültig verloren gehen, je leichter verwertbar oder für viele Personen nutzbar und je wertvoller sie sind. Diese Faktoren spiegeln auch das Diebstahlsrisiko wieder, auf das in dem Transport-Informations-Service, Fachinformationen der deutschen Transportversicherer 74 in groben Abstufungen hingewiesen wird. Exakte Zahlen für die Erfolgschancen sind nicht greifbar.75 Die Unternehmen, die mangelhaft organisiert sind, können sie nicht aus ihren Informationen über die bei ihnen entstehende Verlustquote ableiten. Man müsste auch die warenbezogenen Verlustquoten heranziehen, die bei ordentlich organisierten Unternehmen zu beklagen sind. Diese sind jedoch, soweit ersichtlich, nicht publiziert und werden wohl auch als Betriebsgeheimnis behandelt. Es ist eher anzunehmen, dass etwaige interne Statistiken nicht warenbezogen erstellt werden. Ferner kann die Verlustquote bei Unternehmen, die die von der Rechtsprechung geforderten Schnittstellenkontrollen vornehmen, dadurch beeinflusst sein, dass auf anderen Ebenen, zum Beispiel bei der Kontrolle des Personals, Schutzlücken existieren. Am ehesten dürften Transportversicherer über die erforderlichen Informationen verfügen. Zumal am deutschen Markt nicht nur deutsche, im GdV 76 zusammengeschlossene Transportversicherer tätig sind, ist zu erwarten, dass die Transportversicherer die Schadensstatistiken, soweit sie hierüber ausreichend detailliert verfügen, aus Wettbewerbsgründen als Betriebsgeheimnisse behandeln. Jedenfalls publiziert der GdV nur Statistiken für alle in der Warenversicherung anfallenden Schäden, eine Statistik, die für die Ermittlung der Erfolgschance bei installierten Schnittstellenkontrollen evident unbrauchbar ist. Wenn schon die exakte Erfolgschance bei ordnungsgemäßen Schnittstellenkontrollen nicht warenbezogen zu ermitteln ist, so gilt dies erst recht für 74 75 76

www.tis-gdv.de. Röckrath Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004, S. 213. Gesamtverband der Deutschen Versicherer.

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die Risikoerhöhung infolge unzureichender Schnittstellenkontrollen. Insoweit kann man unterstellen, dass das Risiko eines Verlustes umso mehr steigt, je diebstahlsgefährdeter, je wertvoller das Gut ist und je größer die Lücken im System der Schnittstellenkontrollen sind. Genaue Quoten lassen sich damit aber nicht festlegen.77 Die aktuelle Verlustquote in einem Transportsystem, das keine durchgängigen Schnittstellenkontrollen kennt, sagt nur darüber etwas aus, wie viele Verluste im konkreten System zu beklagen sind. Sie erlaubt aber weder ein Urteil darüber, ob die Verlustquote bei vollständigen Schnittstellenkontrollen niedriger und erst recht nicht, um wie viel niedriger sie gewesen wäre, wenn alle erforderlichen Schnittstellenkontrollen durchgeführt worden wären.78 Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die von einem beklagten Transportunternehmen vorgetragene Verlustquote vertrauenswürdig und beweisbar ist. Als Zwischenergebnis kann mithin festgehalten werden, dass das Modell der Proportionalhaftung zur Lösung der Schnittstellenkontrollen-Problematik nicht fruchtbar gemacht werden kann, wenn man voraussetzt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadens bei sorgfältigem Verhalten, nach manchen auch beim konkreten vertragswidrigen Verhalten, bekannt ist. b) Proportionalhaftung anhand von Annäherungswerten Man könnte daran denken, unter Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips aufgrund grober Annäherungswerte 79 eine Proportionalhaftung zu etablieren. Mit solchen groben Annäherungswerten arbeitet der BGH im Rahmen des § 254 BGB 80, wenn er die die Transportunternehmen treffende Schadensquote 77 Röckrath Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004, S. 213, 228 ff. betont auch zu Recht das Problem, das daraus resultiert, dass das Wahrscheinlichkeitsurteil auf eine bestimmte Gruppe von Ereignissen bezogen ist und diese Gruppen plausibel definiert werden müssten. Hinzu kommt das Problem der Beweisbarkeit. 78 Insoweit überzeugend daher BGH TranspR 1998, 78, 80; 1998, 262, 264 f. 79 Vgl. Mäsch Chance und Schaden, 2004, S. 415 f., der sich auf § 287 ZPO stützt. 80 BGH TranspR 2008, 364 f. Das Gebot des § 254 BGB, insbesondere darauf abzustellen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, kann nur begrenzt im Sinn einer exakten Abwägung der Wahrscheinlichkeiten erfüllt werden. Zwar wird in der Literatur und Rechtsprechung hervorgehoben, maßgeblich sei, wie wahrscheinlich das Verhalten des Schädigers und des Geschädigten den Schaden verursacht habe (MünchKommBGB/Oetker 5. Aufl., § 254 Rz. 109 m.w.N.; vgl. ferner BGH TranspR 2007, 114). Looschelders Die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten im Privatrecht (1999) S. 571, betont einerseits zu Recht, dass der wahrscheinlichkeitstheoretische Verursachungsbegriff unbrauchbar sei, weil im Moment der Schadensverursachung die Wahrscheinlichkeit 100 % betrage und die generelle Eignung eines Verhaltens zur Verursachung eines bestimmten Erfolges kaum jemals mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden könne. Andererseits kann Looschelders (aaO, S. 575 ff.) nicht gefolgt werden, soweit er für einen normativen Ursachenbegriff plädiert, d.h. darauf abheben will, welche

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unter anderem anhand des Wertes des Gutes und der Reichweite des durch die Schnittstellenkontrollen gesicherten Bereichs festsetzt. Diese Anhaltspunkte könnten noch verfeinert werden, indem man z.B. auch die Diebstahlsgefährdung 81 des Gutes als Risikofaktor ins Spiel bringt.82 Im Rahmen einer Proportionalhaftung wäre man dann auch nicht an das Erfordernis der Kausalität des Mitverschuldens gebunden, sondern könnte die Haftung mindern, je stärker nach groben Annäherungswerten die Schadenswahrscheinlichkeit sinken würde, wenn der Geschädigte pflichtgemäß zur Verhinderung des Schadens beigetragen hätte. Im Einzelfall hätte man etwa auf der Seite des Transportunternehmens zu berücksichtigen, wie viele Lücken im Netz der Schnittstellenkontrollen klaffen, welches Gewicht ihnen beizulegen ist, wie hoch der Wert und die Diebstahlsgefährdung des Gutes ist. Die von Transportunternehmen zu ersetzende Schadensquote ist umso höher, je wertvoller das Gut ist, je weniger der Umschlag kontrolliert wurde und je diebstahlsgeneigter das Gut ist. Die mangelnde Erkennbarkeit des Wertes des Gutes sowie die fehlende Bereitschaft des Absenders, eine sicherere, obgleich teurere Transportvariante zu wählen, mindern die Schadensquote.83 Man wird hier einwenden, dass diese Abwägung der Willkür Tür und Tor öffne. Dagegen lässt sich sagen, dass dieselbe Willkür herrscht, wenn die Abwägung unter der Flagge des § 254 BGB vorgenommen wird, allerdings mit dem Unterschied, dass § 254 BGB nur in den Fällen zum Tragen kommt, in denen dem Absender ein Mitverschulden vorgeworfen werden kann. Bedenkt man aber, dass Absender kein Mitverschulden trifft, wenn das Gut keinen außerordentlich hohen Wert besitzt, der Transportunternehmer nur Faktoren für die objektive Zurechnung des Schadens maßgeblich seien. In der Sache meint Looschelders damit wohl das Gewicht des normwidrigen Verhaltens. Allerdings vermag er keine Maßstäbe für dessen Gewichtung zu liefern, sondern arbeitet letztlich mit einer Leerformel. Sicherlich geht es nicht an, alle Umstände des Einzelfalles, die bei einer Billigkeitsentscheidung von Bedeutung sind, zu berücksichtigen (Looschelders, aaO, S. 566); denn gemäß § 254 BGB ist keine Billigkeitsentscheidung zu treffen (Looschelders, aaO, S. 2), sondern das Maß der Verantwortung zu beurteilen. Zwischen einer Billigkeitsentscheidung und einer Orientierung an der exakten Wahrscheinlichkeit fehlerhaften Verhaltens lässt sich jedoch ein Kompromiss finden, wenn man für die Wahrscheinlichkeit lediglich plausible Annäherungswerte fordert. 81 Diesen Risikofaktor betont die Rechtsprechung in Fällen, in denen es um LKW-Diebstähle geht (BGH TranspR 2007, 423, 424). 82 Zutreffend hat der BGH (TranspR 2008, 362, 365) dem OLG Düsseldorf (TranspR 2006, 349, 350 f.; 2007, 23, 24; näher Koller Transportrecht, 6. Aufl., § 435 Rz. 19g) eine Absage erteilt, das eine Art Tabelle entwickelt hatte, die nur einen sehr begrenzten Bezug zur Gefährdung aufwies, weil sie mechanisch die Mitverschuldensquote am Faktor „Wert des Gutes“ orientierte. Zustimmend Looschelders LMK, 2009, Nr. 272915. 83 Die Alternative wäre, das Verschulden des Transportunternehmers unter anderem davon abhängig zu machen, dass der Absender ihn über den Wert des Gutes informiert oder eine sicherere Transportvariante gewählt hat (vgl. Koller VersR 2004, 1346, 1353 ff.).

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für höherwertiges Gut einen sichereren Transport unter Wertangabe anbietet und auch keine vertragliche Aufklärungspflicht eingreift (ADSp), so haftet der Transportunternehmer nach der Rechtsprechung des BGH aufgrund der Umkehr der Beweislast für die Schadensverursachung bei weniger wertvollen, weniger diebstahlsgefährdeten Gütern besonders intensiv, nämlich immer in vollem Umfang. Gerade in diesen Fällen erscheint eine abgeschwächte Haftung aber als besonders sachgerecht. Dem Mitverschulden der Absender lässt sich auch im Rahmen der Proportionalhaftung unschwer Rechnung tragen. Jeder fehlende Hinweis auf einen außerordentlich hohen Schaden, jeder Verzicht auf eine Wertangabe, die zu einem erhöhten Schutz des Gutes geführt hätte, jeder Hinweis auf sonstige Risikofaktoren, die den Transportunternehmer zu größerer Vorsicht veranlasst hätte, mindert das dem Transportunternehmer in groben Annäherungswerten zuzurechnende Schadensrisiko. Auch für die Abschläge gemäß § 254 BGB sind grobe Annäherungswerte ausreichend. Was ist der Vorteil dieses Ansatzes: Er legt offen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung infolge fehlender Schnittstellenkontrollen je nach Art des Gutes und der Lücken der Schnittstellenkontrollen nicht über einen Kamm geschoren werden sollte. Wichtiger ist, dass Transportunternehmen und Absender nicht mit unterschiedlichem Maß gemessen werden. Es geht nicht an, den Transportunternehmen nur die Beweislast für die mangelnde Kausalität leichtfertigen Verhaltens aufzuerlegen, die Absender dagegen bereits bei einfachem Mitverschulden so zu behandeln, als sei die Kausalität ihres Sorgfaltsverstoßes nachgewiesen worden. Im Bereich der Arzthaftung befürchtet Müller,84 dass eine Proportionalhaftung die Gefahr grober Behandlungsfehler vermehre. Ebenso könnte man auch in den hier diskutierten Fällen behaupten, dass der Absender nur den besonders hohen Wert des Gutes angeben und eine höhere Fracht bezahlen müsse, um in den Genuss der vollen Haftung des Transportunternehmers zu kommen, der seine Schnittstellenkontrollen nicht lückenlos organisiere. Gerade bei wertvollen, diebstahlsgefährdeten Gütern bestehe daher ein starker Anreiz zu vollem Schutz. Anreize zu ausreichenden Schnittstellenkontrollen lassen sich aber bei besonders gefährdeten Gütern auch im Rahmen einer Proportionalhaftung schaffen. Man muss nur die Quoten entsprechend hoch ansetzen. Es ist jedoch nicht nötig, wenig gefährdetes Gut ohne nachweisbare Kausalität des Fehlverhaltens mit einer Alles-oder-Nichts-Haftung zu schützen. Dieses Gut wird ein sein betriebswirtschaftliches Einmaleins beherrschender Transportunternehmer auch dann nicht schützen, wenn das

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Siehe oben Text bei Fn. 70; auch nach Ansicht von Röckrath Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004, S. 212, rechtfertigt das Präventionsprinzip die Beweislastumkehr bei grobem Verschulden.

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Risiko voller Ersatzleistungen geringer ist als die Kosten durchgängiger Schnittstellenkontrollen für diese ungefährdeten Güter.85 Zu bedenken ist allerdings, dass die rigide Rechtsprechung des BGH zu Schnittstellenkontrollen wohl auch Drittinteressen im Auge hat,86 nämlich das gesamtgesellschaftliche Interesse, in Umschlagsbereichen keine kriminellen Milieus entstehen zu lassen. Um den Präventionseffekt der Haftung zu sichern, erscheint es daher sachgerecht, an der Umkehr der Beweislast für die Verursachung der Verluste infolge von Lücken in dem System der Schnittstellenkontrollen festzuhalten. Man sollte jedoch den Transportunternehmen gestatten, ihrerseits in Parallele zur Proportionalhaftung darzulegen, dass das ihnen zuzurechnende Verlustrisiko unter Berücksichtigung des Verhaltens der Absender erheblich geringer gewesen ist.87 In diesem Rahmen sollte es den Transportunternehmen erlaubt sein, sich auf grobe Annäherungswerte zu stützen und diese durch plausible, von Sachverständigen gestützte Berechnungen zu untermauern. Ein voller Gegenbeweis 88 muss nicht erbracht werden. Vielmehr sollte man sich mit dem Beweismaß des § 287 ZPO begnügen.89

85 Beachte BGH VersR 2005, 279, 280; NJW 2007, 762, 763, der eine Abstufung der Schutzmaßnahmen nach der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß des drohenden Schadens befürwortet. 86 Kritisch zur Berücksichtigung von Drittinteressen, Maier-Reimer 66. Deutscher Juristentag, Bd. II/1, S. L 34. 87 So im Ansatz auch Röckrath Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Haftung, 2004, S. 212. 88 Beweis i.S.d. § 286 ZPO dafür, dass das gut auch bei lückenlosen Schnittstellenkontrollen verloren gegangen wäre. Dies gilt auch für den Beweis der Annäherungswerte. 89 Vgl. Spickhoff Folgenzurechnung im Schadensersatzrecht: Gründe und Grenzen, Karlsruher Forum 2007, S. 82 ff.; Wagner FS Hirsch (2008) S. 453, 463 ff.; Mäsch Chance und Schaden, 2004, S. 428; Maier-Reimer 66. Deutscher Juristentag, Bd. II/1, S. L 53.

Die staatsfreie Stiftung * Peter Rawert I. Von einem, der auszog, um das Stiften zu lernen Die Geschichte war unlängst der Presse zu entnehmen:1 Ein Enthusiast sammelt Zinnsoldaten. Vierzigtausend Stück hat er zusammengetragen. Ausgerüstet mit einer geschichtswissenschaftlichen Fachbibliothek großbürgerlichen Zuschnitts entwirft er in endlosen Stunden detail- und lehrreich angelegte Dioramen mit Szenen aus den Kreuzzügen, dem Dreißigjährigen Krieg oder den Schlachten um die spanische Erbfolge. Er setzt sie als Mittel zur Begleitung des Geschichtsunterrichts ein. Deshalb bekommt er viele Anfragen von Lehrern. Und eines Tages beschließt er, in einer eigens dafür erworbenen Immobilie – einer früheren Gerichtsvollzieher-Pfandkammer – ein kleines Museum zu errichten, das den schönen Namen „Zeitreise“ tragen soll. Damit das Projekt eine dauerhafte Grundlage hat, entschließen sich der Sammler und seine Frau, eine gemeinnützige Stiftung zu errichten. In die Stiftung sollen die Sammlung und das zu ihrer Pflege erforderliche Barvermögen eingebracht werden. Zu seinen Lebzeiten will das Ehepaar die Ausstellungsräume kostenlos zur Verfügung stellen. Langfristig sollen sie in das Eigentum der Stiftung übergehen. Auf die Dauer scheint sichergestellt, dass das Projekt sich trägt. Was wie eine glänzende Idee klingt, kommt bei der für die Anerkennung rechtsfähiger Stiftungen zuständigen Stelle weniger gut an. Unter Stiftungsfachleuten als eine gegenüber bürgerschaftlichem Engagement ohnehin eher * Klaus J. Hopt einen Beitrag zum Stiftungsrecht zu widmen hat gute akademische Gründe: Nicht zuletzt durch ein von ihm gemeinsam mit Dieter Reuter im Mai 2000 auf Schloss Salzau in Schleswig-Holstein veranstaltetes und noch heute von allen Teilnehmern gern erinnertes internationales Stiftungsrechtssymposion (vgl. Hopt/Reuter (Hrsg.) Stiftungsrecht in Europa, 2001) hat er die Diskussion um die Reform des deutschen Stiftungsrechts in einer politisch entscheidenden Phase maßgeblich beeinflusst. Ähnliches gilt für seine Arbeiten zur European Foundation (Hopt/Walz/v. Hippel/Then (eds.) The European Foundation: A New Legal Approach, 2006). Aber damit nicht genug: Klaus J. Hopt hat gemeinsam mit seiner Frau schon vor vielen Jahren die Hopt-Nguyen-Stiftung zur Förderung der Rechtswissenschaft sowie mildtätiger Zwecke errichtet. Sie ist eine Stiftung in der Trägerschaft des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft e.V. (siehe www. stifterverband.org). Also: Eine „staatsfreie“ Stiftung im Sinne dieses Beitrags. 1 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 11. Oktober 2009, S. 59.

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unfreundlich gesinnte Instanz bekannt, lässt man dort keine Zweifel daran, welche Skepsis man gegenüber der Initiative verspürt. Für die notwendige staatliche Anerkennung – so berichtet der Stifter – sei zunächst verlangt worden, dass die Kommune erkläre, keine Bedenken gegen die Nutzung der Räume zu Ausstellungszwecken zu haben. Dann habe man gefordert, wegen des womöglich zu erwartenden Besucheransturms auf die Zinnsoldaten doch bitte Sorge für die Einrichtung von Busparkplätzen zu tragen. Und schließlich habe die Behörde deutlich gemacht, dass noch zu klären sei, ob der Zweck der geplanten Stiftung nicht eventuell unzulässig, weil kriegsverherrlichend sei.

II. Staatliche Stiftungsaufsicht – Fluch oder Segen? Der Fall des Sammlers mag beispiellos sein. In gewisser Weise freilich ist er auch beispielhaft: Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung ist hierzulande neben einem privatrechtlichen Stiftungsgeschäft traditionell ein staatlicher Hoheitsakt erforderlich. Gut einhundert Jahre hieß er „Genehmigung“. Neuerdings spricht das BGB aus Gründen des Wohlklangs 2 von „Anerkennung“ durch die zuständige Behörde (vgl. § 80 Abs. 1 BGB). Anfangs galt die staatliche Genehmigung als Akt freien behördlichen Ermessens. Der historische Gesetzgeber war der Ansicht, durch ein rein privates Stiftungsgeschäft, welches ein Vermögen auf unabsehbare Zeit bestimmten Zwecken unterwerfe, würden die Befugnisse eines Eigentümers von Sachen oder Rechten weit über ihren normalen Gehalt hinaus erweitert. Ein solchermaßen bindender Stifterwillen könne nicht ohne Prüfung seines Wertes oder Unwertes anerkannt werden. Der immerhin keineswegs seltene Neigung, „Stiftungen zu thörichten, unnützen oder bizarren Zwecken“ zu errichten, sei zu begegnen. Und da eine Abgrenzung billigenswerter von nicht billigenswerten Zwecken durch eine allgemeine gesetzliche Regelung nicht erfolgen könne, sei es unvermeidlich, die Entscheidung darüber im Einzelfall staatlichen Genehmigungsbehörden anheim zu stellen.3 Unter der Herrschaft des Grundgesetzes geriet das klassische Konzessionsdenken allerdings unter Beschuss. War zunächst nur davon die Rede, dass sich das ehedem „freie Ermessen“ in ein „pflichtgemäßes Ermessen“ ge-

2 Vgl. BT-Drs. 14/8765 vom 11.4.2002, Begründung A. II. sowie B. – Zu Nummer 2 (§§ 80 und 81); Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht, Bericht vom 19.10.2004, S. 26 f.; dazu z.B. auch Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl 2009, § 6 Rn. 238; MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 25 zu § 80. 3 Vgl. Mugdan Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, I. Band (1899) S. 961 f.

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wandelt habe,4 reklamierte vor allem die Literatur ab Ende der 1970er Jahre zunehmend ein „Grundrecht auf Stiftung“ 5. Danach sollten die Behörden entgegen dem hergebrachten Verständnis der Stiftungsgenehmigung als einem Ermessensakt außerhalb gesetzlich normierter Versagungsgründe keine Möglichkeit mehr haben, das Entstehen einer Stiftung zu verweigern. Materiell, so hieß es, gelte auch im Stiftungsrecht ein Normativsystem, so wie man es aus dem (Handels-)Vereinsrecht kennt.6 Auch der Bundesgesetzgeber hat sich dieser Ansicht nach immerhin drei Jahrzehnten rechtspolitischer Debatte angeschlossen.7 Seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Stiftungsrechts vom 15. Juli 2002 8 normieren die §§ 80, 81 BGB folglich einen – zumindest einfachgesetzlichen – Anspruch auf Anerkennung einer Stiftung aufgrund bundeseinheitlicher Regelungen. Die bis dato anerkannte Befugnis der Landesgesetzgeber, eigene zivilrechtliche Anforderungen an ein wirksames Stiftungsgeschäft stellen zu können,9 gehört der Vergangenheit an. Was nach dem Wortlaut des reformierten BGB-Stiftungsrechts vordergründig wie ein modernes Normativsystem aussieht, bleibt in der Praxis freilich noch immer hinter den Maßstäben zurück, die im Recht anderer juristischer Personen wie etwa Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung gang und gäbe sind. Begriffe wie die „dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks“, die „gesichert erscheinen“ muss, oder das Erfordernis, dass ein Stiftungszweck „das Gemeinwohl nicht gefährdet“, lassen nach wie vor Interpretationsspielräume, die der Rechtssicherheit abträglich sind.10 Überdies bestehen bei allem Einvernehmen darüber, dass das deutsche Stiftungsrecht vom Grundsatz der „gemeinwohlkonformen Allzweckstiftung“ beherrscht wird, noch immer erhebliche Kon4 Vgl. z.B. Ebersbach Handbuch des deutschen Stiftungsrechts, 1972, S. 61 ff.; Strickrodt Stiftungsrecht, 1977, S. 59 ff. 5 Siehe Frowein Grundrecht auf Stiftung, 1976; zur Diskussion im Übrigen Seifart/ v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 4 Rn. 8 ff.; Staudinger/ Rawert 13. Bearb. 1995, Vorbem. 40 ff. zu §§ 80 ff. 6 Mestmäcker Verhandlungen des 44. Deutschen Juristentages Hannover 1962, G 3, S. 16 ff.; vgl. auch MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 7 zu § 80; Reuter Konzessions- oder Normativsystem für Stiftungen, in Hönn u.a. (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, 1998, S. 493 ff.; Muscheler Normativ- oder Konzessionssystem im Stiftungsrecht?, in Mecking/Schulte (Hrsg.), Grenzen der Instrumentalisierung von Stiftungen, 2003, S. 139 ff.; Staudinger/Rawert 13. Bearb. 1995, Vorbem. 48 zu §§ 80 ff. 7 Dazu z.B. Rawert Entwicklungstendenzen im Stiftungsrecht, in Hager (Hrsg.), Entwicklungstendenzen im Stiftungsrecht, 2008, S. 18 ff. 8 BGBl. I S. 2634. 9 Vgl. § 85 BGB; dazu Staudinger/Rawert 13. Bearb. 1995, § 80 Rn. 12 sowie § 85 Rn. 5. 10 Rawert Was aber bleibet, stiften die Stifter – Mit Savigny gegen Rockefeller: Das neue Stiftungsgesetz, das an diesem Freitag beschlossen wird, führt zurück ins 19. Jahrhundert, Frankfurter Allgemeine Zeitung (Bücher und Themen) v. 23. April 2002, S. 51; Muscheler NJW 2003, 3161 ff.; Hüttemann ZHR 167 (2003) 35 ff.; MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 47 zu § 80.

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troversen darüber, inwieweit z.B. rein privatnützige Stiftungen, Selbstzweckstiftungen oder sogenannte Funktionsstiftungen staatlicher Anerkennung zugänglich sind.11 In nicht wenigen strittigen Fragen besteht eine landesspezifisch unterschiedliche Praxis, die zur Differenzierung zwischen mehr oder minder „stiftungsfreundlichen“ Bundesländern führt. Und mehr noch: Beinahe flächendeckend neigen die staatlichen Anerkennungsbehörden nach wie vor dazu, potentiellen Stiftern ihre „bewährten“ Mustersatzungen oder zumindest bestimmte darin enthaltene Kautelen „zu empfehlen“. Begründet wird dies mit der vorgeblichen Beratungsfunktion der staatlichen Stellen. Sie soll Grundlage für Recht und Pflicht zu Vorschlägen und Hinweisen bei rechtlichen und tatsächlichen Zweifelsfragen sein und Verstößen gegen das Stiftungsrecht bereits im Vorfeld vorbeugen.12 In der Praxis freilich führen die wohlgemeinten Ratschläge nicht selten zu einer Konformität, die weniger dem Individualinteresse des Stifters an der optimalen Gestaltung seines Stiftungsprojektes als dem staatlichen Interesse einer möglichst einfach handhabbaren Stiftungsaufsicht entsprechen. Nicht ganz zu Unrecht ist daher darauf hingewiesen worden, dass behördliche Beratungstätigkeit bei der Gründung rechtsfähiger Stiftungen die Unbefangenheit der späteren Aufsichtsbehörde beeinträchtigt sowie die Eigenverantwortlichkeit der späteren Stiftungsorgane tendenziell eher schwächt als stärkt.13 Und mag man auch nicht flächendeckend und durchgehend Missstände diagnostizieren: Dass die Praxis der „verständnisvollen Beratung“ in der Hand einzelner Behörden gelegentlich auch unterhalb der Schwelle rechtlich zwingender Monita den Vorwand zu „hoheitlichen Erziehungsversuchen“ liefert, ist nicht ernsthaft zu bestreiten. Stichworte: Pfandkammernutzung, Busparkplätze, Kriegsverherrlichung.14

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Dazu z.B. MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 44, 52 zu § 80. Backert Die Stiftungsaufsicht, in Werner/Saenger (Hrsg.), Die Stiftung, 2008, S. 807 (816); Schulte Staat und Stiftung, 1989, S. 83 f., 105; Schwintek Vorstandskontrolle in rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts, 2001, S. 217. 13 Burgard Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 204 f.; Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 10 Rn. 64 f. mit Verweis auf OVG Berlin DVBl. 2003, 342 ff. = NVwZ-RR 2003, 323 ff. 14 So mancher „kampferprobte“ Stiftungspraktiker kann weitere schlechte Beispiele nennen. Und wer es gleichsam „amtlich“ haben will, wie es um die Realität der Stiftungsaufsicht steht, der lese den Beitrag von Peiker ZSt 2003, 47 (48). Dort schreibt der „Magistratsdirektor im Rechts- und Versicherungsamt der Stadt Frankfurt am Main (zuständig für Stiftungsaufsicht nach § 12 i.V.m. § 28 HStG)“ noch nach der Reform des BGB-Stiftungsrechts im Jahre 2002 wörtlich Folgendes: „Mit der Einführung des „Rechtsanspruchs“ auf Anerkennung durch § 80 Abs. 2 BGB bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 BGB wurde keinesfalls das Normativsystem anstelle des Konzessionssystems eingeführt. Die Anerkennung einer Stiftung geschieht nach wie vor durch ermessensgebundenen Verwaltungsakt der zuständigen Behörde des Landes.“ Auch hier gilt: Beispiellos und beispielhaft zugleich! 12

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III. Die fiduziarische Stiftung als Alternative 1. Funktionaler Stiftungsbegriff Schon lange gilt vor diesem Hintergrund die fiduziarische Stiftung als ernst zu nehmende Alternative zur rechtsfähigen Stiftung i.S.d. §§ 80 ff. BGB. Unter einer fiduziarischen oder auch unselbstständigen Stiftung versteht man die Zuwendung von Vermögen durch den Stifter an eine natürliche Person oder einen anderen mit Rechtsfähigkeit ausgestatteten Stiftungsträger. Sie erfolgt mit der Maßgabe, die übertragenen Werte dauerhaft zur Verfolgung vom Stifter festgelegter Zwecke zu nutzen.15 Auch die fiduziarische Stiftung ist Stiftung im Sinne des vor allem von der Rechtsvergleichung entwickelten funktionalen (weiten) Stiftungsbegriffs.16 Danach ist „Stiftung“ jedes Vermögen, das aufgrund eines freiwilligen und endgültigen Übertragungsaktes auf einen vom Stifter verschiedenen Rechtsträger beliebiger Art übergeht und von diesem nach Maßgabe bestimmter Zwecke dauerhaft zu verwalten ist. Der Begriff setzt also weder das Entstehen einer juristischen Person voraus, noch verbietet er etwa korporative Strukturen des die Stiftung als Vermögensmasse verwaltenden Rechtsträgers. Vielmehr differenziert er nach dem Vorbild des Unternehmensrechts 17 auch im Stiftungsrecht streng zwischen der jeweiligen Trägerorganisation (z.B. BGB-Stiftung/GmbH) und der von dieser verwalteten wirtschaftlichen Einheit (Zweckvermögen/Unternehmen). „Stiftung“ ist primär die aus einem Stiftungsakt hervorgehende Vermögensmasse, die von einem Stifter ausgesondert und einer eigenen, dauerhaften Zweckbestimmung unterworfen wird. Erst sekundär, nämlich im Sonderfall der §§ 80 ff. BGB, ist sie zugleich die aus dem Errichtungsakt hervorgehende juristische Person namens Stiftung, die das Zuordnungssubjekt der Rechte und Pflichten der gestifteten Vermögensmasse ist. Als Unterfall des Funktionstypus Stiftung ist damit auch die Stiftung der §§ 80 ff. BGB kein bloß in Rechtsfähigkeit erwachsenes selbstständiges Zweckvermögen.18 Sie ist vielmehr juristische Person und hat ein Zweckvermögen.19 Ihre 15 Statt Vieler z.B. MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 87 zu § 80; MünchHdbGesR Bd. V/Schwake 3. Aufl. 2009, § 79 Rn. 62; Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 1; OLG Hamburg, NJW-RR 1986, 1305; Bad-Württ VGH VRspr. 8, 550 = StiftRspr. I, S. 11, 12; aA Hauger Die unselbständige Stiftung, 1929, S. 23 ff., der auf das Merkmal der dauerhaften Zweckverfolgung bei der unselbstständigen Stiftung verzichtet. 16 Eingehend dazu Schlüter Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 56 ff., 200 ff., 220 ff.; vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 1964, 1231 = StiftRspr I, 118; OVG Münster, DÖV 1985, 983 m. Anm. Neuhoff = StiftRspr. IV, S. 1. 17 Vgl. dazu vor allem K. Schmidt Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, S. 138 ff. 18 So aber MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 48 zu § 80. 19 Zum doppelten Stiftungsbegriff Schlüter Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 210 ff.

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Position als Trägerin dieses Vermögens kann im Grundsatz auch von jeder anderen natürlichen Person oder rechtsfähigen Entität wahrgenommen werden. Fiduziarische Stiftungen entstehen im Gegensatz zu rechtsfähigen Stiftungen der §§ 80 ff. BGB allerdings nicht durch einen einseitigen Organisationsakt.20 Nach herrschender Meinung liegt ihnen vielmehr ein Vertragsverhältnis zwischen Stifter und Stiftungsträger zugrunde. Der Stiftungsträger ist nicht Organ der unselbstständigen Stiftung.21 Er handelt im Rechtsverkehr vielmehr im eigenen Namen. Allerdings tut er dies vor dem Hintergrund einer Pflichtenbindung, die der des Vorstands einer selbstständigen Stiftung des bürgerlichen Rechts angenähert ist. Karsten Schmidt 22 bezeichnet die unselbstständige Stiftung folglich plastisch als eine „virtuelle“ Stiftung. Bei ihr wird mit den Mitteln und in den Grenzen der Vertragsgestaltung Stiftung im Sinne der §§ 80 ff. BGB „simuliert“, und zwar dadurch, dass die Vertragsbeziehung zwischen Stiftung und Stiftungsträger um das Modell einer gedachten juristischen Person als Treugeberin des Stiftungsvermögens ergänzt wird. Auf diese Weise erhalten die Vereinbarungen zwischen Stifter und Stiftungsträger den Charakter einer fiktiven Satzung. Der Stiftungsträger übernimmt zudem die Stellung eines virtuellen Organs der unselbstständigen Stiftung.23 2. Vertragstypologische Einordnung Obwohl es sich bei der fiduziarischen Stiftung historisch um die Grundform der Stiftung handelt,24 hat sie im BGB keine eigenständige Regelung erfahren. Der Gesetzgeber hat die Schaffung von Sondertatbeständen bewusst 20 AA neuerdings Koos Fiduziarische Person und Widmung, 2004, S. 287 ff.; detaillierte Kritik am Standpunkt von Koos bei Rawert Karsten Schmidt und das Stiftungsrecht, in Bitter u.a. (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 1323 (1335 f.); ders Entwicklungstendenzen im Stiftungsrecht, in Hager (Hrsg.), Entwicklungstendenzen im Stiftungsrecht, 2008, S. 18 (S. 26 Fn. 28). 21 Seifart/v. Campenhausen/v. Campenhausen Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 2 Rn. 5; Pues/Scheerbarth Gemeinnützige Stiftungen im Zivil- und Steuerrecht, 3. Aufl. 2008, S. 91; Westebbe Die Stiftungstreuhand, 1993, S. 85; aA Reich Selbständige und unselbständige Stiftungen des privaten Rechts nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, 1923, S. 117 ff., sowie neuerdings Koos Fiduziarische Person und Widmung, 2004, S. 280. 22 K. Schmidt „Ersatzformen“ der Stiftung – Unselbständige Stiftung, Treuhand und Stiftungskörperschaft – , in Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 175 (180 ff.). 23 Insoweit zustimmend MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 98 zu § 80; kritisch hingegen Beckmann Die unselbständige, nichtrechtsfähige Stiftung, in Strachwitz/ Mercker (Hrsg.), Stiftungen in Theorie, Recht und Praxis, 2005, S. 220 (223). 24 Z.B. Westebbe Die Stiftungstreuhand, 1993, S. 23 f., 39; Schlüter Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 221 ff.; Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 1; OLG Stuttgart, NJW 1964, 1231 = StiftRspr. I, 118 f.

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vermieden.25 Die analoge Anwendung der §§ 80 ff. BGB auf die unselbstständige Stiftung ist nach herrschender Meinung nicht zulässig.26 Umstritten ist daher vor allem die vertragstypologische Einordnung des Stiftungsgeschäfts. Beim in der Praxis üblichen Stiftungsgeschäft unter Lebenden wird für sie überwiegend auf den Treuhandvertrag (Auftrag, Geschäftsbesorgung) oder die Schenkung unter Auflage zurückgegriffen.27 Mit einem funktional verstandenen Stiftungsbegriff, dessen zentrales Merkmal ein freiwilliger und endgültiger Vermögenstransfer ist, sind nach richtiger Ansicht freilich lediglich Schenkungstatbestände, nicht aber auf Auftragsrecht beruhende Treuhandkonstruktionen vereinbar; charakteristisch für Treuhandverhältnisse ist nämlich dreierlei: Das wirtschaftliche Eigentum des Treugebers am Treuhandvermögen. Das jedenfalls aus wichtigem Grund (§ 671 Abs. 3 BGB) bestehende und nicht ausschließbare Kündigungsrecht des Treugebers. Und die Möglichkeit des Rückfalls des Vermögens an den Treugeber – zumindest im Falle von dessen Insolvenz (§§ 115, 80 InsO i.V.m. § 667 BGB).28 Keines dieser Merkmale entspricht dem Bild der Stiftung.29 Für den Fall der Zweckzuwendungen in Form einer Spende hat der BGH ausdrücklich festgestellt,

25 Vgl. Mugdan Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, II. Band (1899), S. 754 ff., sowie Bund-Länder Arbeitsgruppe Stiftungsrecht, Bericht vom 19.10.2001, S. 52 f. 26 Grundlegend z.B. RGZ 105, 305, 306 f.; MünchHdbGesR Bd V/Beuthien 3. Aufl. 2009, § 77 Rn. 9; Pues/Scheerbarth Gemeinnützige Stiftungen im Zivil- und Steuerrecht, 3. Aufl 2008, S. 81, 90; differenzierend dagegen z.B. MünchKommBGB/Reuter, 5. Aufl. 2006, Vorbem. 99 zu § 80 (Fn. 380); Seifart/v. Campenhausen/Hof, Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 11, 66, 153; kritisch dazu z.B. Schlüter Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 57 f. 27 Beide Vertragstypen: z.B. BGH, ZEV 2009, 410 ff. m. Anm. Möller – siehe dazu auch unten Fn. 31; OLG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2003, Auszug in ZSt 2007, 40; MünchHdbGesR Bd. V/Schwake 3. Aufl. 2009, § 79 Rn. 63, § 83 Rn. 3; Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 30 ff.; Pues/Scheerbarth Gemeinnützige Stiftungen im Zivil- und Steuerrecht, 3. Aufl. 2008, S. 82 ff.; Plodeck ZSt 2007, 41; A. Werner Die unselbständige Stiftung, in Werner/Saenger (Hrsg.), Die Stiftung, 2008, Rn. 953 ff.; Wochner ZEV 1999, 125 (126 ff.); ausschließlich Treuhandvertrag: z.B. Westebbe Die Stiftungstreuhand, 1993, S. 188 ff.; ausschließlich Auflagenschenkung: z.B. MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 87 ff. zu § 80; Schlüter Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 59 f.; Eichler Die Verfassung von Körperschaft und Stiftung, 1986, S. 89 f.; zumindest tendenziell auch K. Schmidt „Ersatzformen“ der Stiftung – Unselbständige Stiftung, Treuhand und Stiftungskörperschaft –, in Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 175 (180 ff.). Seine eigene frühere Ansicht aus Staudinger/Rawert 13. Bearb. 1995, Vorbem. 158 ff. zu §§ 80 ff. (beide Vertragstypen) gibt der Verfasser zugunsten der Auflagenschenkung auf. 28 Vgl. K. Schmidt „Ersatzformen“ der Stiftung – Unselbständige Stiftung, Treuhand und Stiftungskörperschaft –, in Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 182 f.; Rawert NJW 2002, 3152. 29 Eingehend MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 87 ff. zu § 80; vgl. auch Koos Fiduziarische Person und Widmung, 2004, S. 72 ff. mit umfassenden Nachweisen.

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dass der endgültige Ausschluss von Rückgabepflichten mit einer bloß treuhänderischen Zuwendung im Rahmen eines Auftragsverhältnisses nicht zu vereinbaren ist.30 Vom Standpunkt eines funktionalen und auf einem endgültigen Vermögenstransfer aufbauenden Stiftungsbegriff betrachtet gibt es keinen Grund, dies bei der unselbstständigen Stiftung anders zu beurteilen.31 Bestärkt wird dieses Ergebnis durch das Steuerrecht. Tatsächlich verfolgt die überwiegende Anzahl der fiduziarischen Stiftungen steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 51 ff. AO.32 Sowohl für die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Sonderausgabenabzugs auf Seiten der Stifter (vgl. § 10b EStG) als auch für die Befreiung der unselbstständigen Stiftung von der Körperschaft- sowie der Erbschaft- und Schenkungssteuer (vgl. §§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG; 13 Abs. 1 Nr. 16b ErbStG) ist es erforderlich, dass die Vermögenswidmung für den gemeinnützigen Zweck endgültig und nicht mehr rückgängig zu machen ist. Aus §§ 55 Abs. 1 Nr. 4, 61 AO lässt sich eindeutig ableiten, dass ein bloßes Auftrags- bzw. Treuhandverhältnis den Anforderungen an die in aller Regel angestrebte steuerliche Gemeinnützigkeit nicht genügt.33 Auf das Stiftungsgeschäft in Form der Auflagenschenkung finden die §§ 516 ff. BGB Anwendung. Es bedarf notarieller Beurkundung (§ 518 Abs. 1 BGB), sofern das Stiftungsvermögen nicht unmittelbar übertragen und der Formmangel dadurch geheilt wird. Die Vermögensübertragung ist dauerhafter Natur. Ein Widerruf der Schenkung kommt nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 528 ff. BGB oder mangels Vollzugs der Auflage (§ 527 BGB) in Betracht. Der Stiftungsträger ist zum Vollzug verpflichtet, sobald der Stifter das Stiftungsvermögen auf ihn übertragen hat (§ 525 Abs. 1 BGB). Den Vollzug können der Stifter und seine Rechtsnachfolger ver-

30 BGHZ 157, 178 = NJW 2004, 1382 (Dresdner Frauenkirche) unter Berufung auf Rawert NJW 2002, 3151 (3152); zur Frauenkirchen-Entscheidung siehe auch Kollhosser ZEV 2004, 117 f.; Schiffer NJW 2004, 1565 ff.; Otte JZ 2004, 973 f. sowie Rawert Zivilrechtsfragen des Spendens, in Non Profit Law Yearbook 2005 (2006), S. 165 (170 f.). 31 AA BGH, ZEV 2009, 410 (411). Die Entscheidung des Dritten Zivilsenats betrifft allerdings lediglich ein Zweckvermögen in Form einer Grabpflege-Vereinbarung. Die Ausführungen zur unselbstständigen Stiftung sind wenig überzeugend. Mit der grundlegenden Entscheidung des Vierten Senats zum Fall „Dresdner Frauenkirche“ (s. Fn. 30) setzt sich der Dritte Senat nicht mit einem Wort auseinander. Überdies gilt: Das Zweckvermögen, um das es in der Entscheidung des Dritten Senats ging, war offenbar nicht „gemeinnützig“ i.S.d. AO. Jedenfalls für die gemeinnützige, unselbstständige Stiftung sind die Ausführungen des Gerichts in dieser Allgemeinheit unhaltbar. 32 Dazu Anheier Das Stiftungswesen in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme in Zahlen, in Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, 2. Aufl. 2003, S. 43, 65 ff. 33 AA Westebbe Die Stiftungstreuhand, 1993, S. 142, der aus den zwingenden Vorgaben des Gemeinnützigkeitsrechts gerade umgekehrt – aber methodisch unzulässig – auf einen weder vom Stifter noch in der Insolvenz (so der Regelfall nach § 115 InsO) beendbaren Auftrag schließen will; dazu zu Recht kritisch MünchKommBGB/Reuter, 5. Aufl. 2006, Vorbem. 88 zu § 80.

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langen.34 Der Vollzugsanspruch kann im Wege der Vertragsgestaltung allerdings auch auf einen Dritten oder z.B. einen mit (virtuellen) Organkompetenzen ausgestatteten „Stiftungsrat“ bzw. ein „Kuratorium“ übertragen werden.35 Liegt der Vollzug der Auflage im öffentlichen Interesse, so kann nach dem Tod des Stifters auch die nach Landesrecht zuständige Behörde 36 die Verpflichtung des Stiftungsträgers durchsetzen (§§ 525 Abs. 2 BGB). Vor allem bei gemeinnützigen Zwecken dienenden Stiftungen wird ein öffentliches Interesse in aller Regel zu bejahen sein. Die Qualifikation des Stiftungsgeschäfts als Auflagenschenkung schließt es allerdings nicht aus, die so entstandene Stiftung – eingeführtem Sprachgebrauch entsprechend – weiter Treuhandstiftung oder fiduziarische Stiftung zu nennen. Der Begriff „Treuhand“ ist nicht auf das Auftragsrecht festgelegt. Funktional verstanden erfasst er vielmehr alle Sachverhalte, bei denen einer Person Rechte anvertraut sind, über die sie selbst verfügen kann, allerdings nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse anderer Personen oder bestimmter Zwecke.37 Elemente einer solchen Treuhand hat auch die Schenkung unter Auflage. Tatsächlich ist Gegenstand der Auflage die Verpflichtung des Stiftungsträgers zur treuhänderischen Verwaltung des Stiftungsvermögen und der zweckentsprechenden Verwendung der gegebenenfalls mit seiner Hilfe erwirtschafteten Erträge.38 Wer – wie Karsten Schmidt – die fiduziarische Stiftung überdies als virtuelle Rechtsperson betrachtet, der erkennt, dass den Stiftungsträger als „Organ“ der gedachten Stiftung Pflichten treffen, die nichts anderes als die Simulation eines „Auftrags“ zwischen einer selbstständigen Stiftung und ihrem Vorstand (vgl. §§ 86, 27 Abs. 3, 664–670 BGB) darstellen. Der Stiftungsträger ist damit zwar nicht Treuhänder kraft eines Treuhandvertrages, aber jedenfalls Treuhänder kraft einer Auflage des schenkenden Stifters.39 3. Funktionale Äquivalenz Die funktionale Äquivalenz von fiduziarischer und rechtsfähiger Stiftung ist freilich nicht unbestritten. Immer wieder wird auf die Gefahren hingewiesen, die der fiduziarischen Stiftung bei Missbrauch des Stiftungsvermögens 34 Palandt/Weidenkaff 69. Aufl. 2010, § 525 Rn. 13; Staudinger/Wimmer-Leonhardt 2005, § 525 Rn. 9, 38. 35 Vgl. Wochner ZEV 1999, 125 (128); Herzog Die unselbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts, 2006, S. 87; ähnlich Koos Fiduziarische Person und Widmung, 2004, S. 85. 36 Nachweise bei Palandt/Weidenkaff 69. Aufl. 2010, § 525 Rn. 14 und Staudinger/Wimmer-Leonhardt 2005, § 525 Rn. 43. 37 Kötz Trust und Treuhand, 1963, S. 1. 38 Z.B. Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 35. 39 K. Schmidt „Ersatzformen“ der Stiftung – Unselbständige Stiftung, Treuhand und Stiftungskörperschaft –, in Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 175 (182 f.).

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durch ihren Träger, beim Zugriff von Gläubigern auf das Stiftungsvermögen, im Falle der Aufhebung oder Änderung ihrer vertraglichen Grundlagen oder bei Wegfall eines Stiftungsbeteiligten – sei es des Stifters oder des Stiftungsträgers – drohen.40 Hintergrund bildet dabei zumeist die Überlegung, dass lediglich eine laufende, staatliche Stiftungsaufsicht in der Lage sei, das Fehlen einer funktionsfähigen Kontrolle durch das Eigeninteresse natürlicher Personen zu ersetzen. In praktischer Hinsicht bleiben allerdings Zweifel, ob das bestehende System der Stiftungsaufsicht die ihm idealtypisch zugewiesenen Funktionen tatsächlich wahrzunehmen vermag. Vor allem Muscheler 41 hat darauf hingewiesen, dass die laufende Stiftungsaufsicht von einer unübersehbaren Anzahl von Landesbehörden ausgeübt werde, deren Arbeit in punkto Qualität deutlich zu wünschen übrig lasse. Nicht gering sei die Zahl derjenigen Aufsichtsinstanzen, bei denen der zuständige Sachbearbeiter fast jährlich wechsle, so dass kaum Zeit bleibe, sich in die komplexe Materie des Stiftungsrechts einzuarbeiten. Stiftungsbehörden seien anders als in den Vereinigten Staaten und England überdies hierzulande nicht verpflichtet, die Öffentlichkeit in regelmäßigen Berichten über ihre Tätigkeit zu informieren. Es fehle daher ein geeignetes Druckmittel und ein Anreiz für effektive Behördenarbeit. Und schließlich befinde sich die Stiftungsaufsicht latent in der Gefahr, eigene (Verwaltungs-)Ziele zu verfolgen und sich politisch instrumentalisieren zu lassen. Kraft Gesetzes zwar lediglich mit der Aufgabe befasst, die Realisierung des Stifterwillens zu garantieren, neigten die Behörden gleichwohl fast zwangsläufig dazu, diesen in eine Richtung zu interpretieren, die staatlicher Aufgabenerfüllung nütze. Und jeder Stiftungspraktiker kann bestätigen: Nur zu gerne wird der Stifterwille in einer der Verwaltung nützlichen Weise ausgelegt – nicht selten im Zusammenwirken mit den jeweils betroffenen Stiftungsorganen.42

IV. Stabilität durch Vertragsgestaltung Selbstverständlich: Idealtypisch ist es primär die unter sorgsamer Staatsaufsicht stehende rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts, die einem gleichsam für die Ewigkeit gedachten Stifterwillen maximale Gewähr für dauerhafte Verwirklichung bietet. Längst aber hat die Kautelarjurisprudenz Mittel und Wege gefunden, durch kluge Vertragsgestaltung auch bei der fiduziarischen Stiftung eine langfristige Zweckverwirklichung sicherzustellen 40 Zu diesen Gefahrenlagen Seyfarth Der Schutz der unselbstständigen Stiftung, 2009, S. 74 ff. 41 Muscheler Stiftungsrecht – Gesammelte Beiträge, 2005, S. 30 f. 42 Burgard Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 211.

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und jenseits akademisch-theoretischer Risiken auch ohne Stiftungsaufsicht für eine funktionale Äquivalenz zwischen rechtsfähiger und fiduziarischer Stiftung zu sorgen. 1. Die Wahl des richtigen Vertragstyps Dabei steht am Beginn der Gestaltungsaufgabe die Festlegung auf den „richtigen“ Vertragstyp. Nach hier vertretener Ansicht kann dies sowohl aus zivil- als auch aus gemeinnützigkeitsrechtlichen Gründen lediglich die Schenkung unter Auflage sein.43 Die wichtigste Konsequenz dieser Festlegung ist dabei haftungsrechtlicher Natur. Gewiss: Bei Annahme eines auftragsgestützten Treuhandverhältnisses können sich der Stifter bzw. seine Rechtsnachfolger zwar gegen eine Vollstreckung in das Vermögen des Stiftungsträgers wegen zweckfremder Verbindlichkeiten wehren (vgl. §§ 771 ZPO, 47 InsO).44 Gläubiger des Stifters jedoch können in der Einzelzwangsvollstreckung Rückübertragungsansprüche aus §§ 667 bzw. 675, 667 BGB pfänden. Und in der Insolvenz des Stifters erlischt der dem Treuhandvertrag zugrunde liegende Auftrag bzw. Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 115, 116 InsO), mit der Konsequenz, dass der Stiftungsträger das Stiftungsvermögen an den Insolvenzverwalter herauszugeben hat (§ 667 BGB i.V.m. § 80 InsO) 45 – ein wenig befriedigendes Ergebnis. Bei der Schenkung unter Auflage hingegen ist die Rechtslage umgekehrt: Zum Zeitpunkt seines Übergangs auf den Stiftungsträger scheidet das Stiftungsvermögen rechtlich und wirtschaftlich aus dem Vermögen des Stifters endgültig aus. Damit wird es gegenüber Ansprüchen von Stifter-Gläubigern immun.46 Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass das Stiftungsvermögen für sämtliche Verbindlichkeiten des Stiftungsträgers haftet, und zwar auch für solche, die keinen Bezug zur Tätigkeit der Stiftung haben.47 Trotz vieler 43

Siehe oben III. 2. So die h.M.; z.B. Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 163; Fritsche ZSt 2003, 243 (251); A. Werner Die unselbständige Stiftung, in Werner/Saenger (Hrsg.), Die Stiftung, 2008, Rn. 958; aA Westebbe Die Stiftungstreuhand, 1993, S. 145, für die unselbständige gemeinnützige Stiftung, bei der der Stifter wegen §§ 55 Abs. 1 Nr. 4, 61 AO auch bei Beendigung des Treuhandverhältnisses kein Rückgaberecht haben soll; vgl. dazu auch MünchVertragshandbuch Bd. 1/Hof 6. Aufl. 2005, Form. VIII. 6 Anm. 11. 45 Dazu z.B. Seyfarth Der Schutz der unselbstständigen Stiftung, 2009, S. 35 ff., 86 f. 46 Seyfarth Der Schutz der unselbstständigen Stiftung, 2009, S. 87. 47 MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 100 zu § 80; Pues/Scheerbarth Gemeinnützige Stiftungen im Zivil- und Steuerrecht, 3. Aufl. 2008, S. 86; Schlüter Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 62; Westebbe Die Stiftungstreuhand, 1993, S. 144; aA Koos Fiduziarische Person und Widmung, 2004, S. 135 ff., 285 ff., 353 ff.; vgl. auch Bley Die Universitätskörperschaft als Vermögensträger, 1963, S. 133 unter Berufung auf RGZ 105, 305, 307. 44

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gedankenreicher Versuche, das Stiftungsvermögen seinem Träger auch bei der Auflagenschenkung haftungsrechtlich wieder zu entziehen,48 billigt die bisher herrschende Meinung weder dem Stifter noch seinen Rechtsnachfolgern oder Dritten ein Recht auf Aussonderung (§ 47 InsO) oder Drittwiderspruch (§ 771 ZPO) zu.49 Und nach wie vor hatte die Rechtsprechung keine Gelegenheit, sich mit neueren wissenschaftlichen Thesen zu einer vollstreckungsfesten Verselbstständigung des Stiftungsvermögens auf anderem Wege als durch staatliche Anerkennung eines neuen Rechtsträgers in Form der Stiftung nach den §§ 80 ff. BGB zu äußern. Hier lauern also Risiken. 2. Der zuverlässige Stiftungsträger Für die Kautelarpraxis bedeutet die Haftung des Stiftungsvermögens für gegebenenfalls stiftungsfremde Verbindlichkeiten des Stiftungsträgers, dass bei der Auswahl der Person dieses Trägers besondere Sorgfalt geboten ist. Grundsätzlich kommt als Träger einer fiduziarischen Stiftung zwar jede natürliche bzw. juristische Person oder Personengesamtheit in Betracht. Zu Recht wird jedoch überwiegend hervorgehoben, dass die „Verewigungsfunktion“ der Stiftung in der Regel die Wahl einer potentiell unsterblichen juristischen Person als Träger nahe legt.50 Dabei gelten hierzulande neben öffentlich-rechtlichen Einrichtungen insbesondere Institutionen wie der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. bzw. zahlreiche Bürger- oder andere Gemeinschaftsstiftungen sowie Hochschulen als grundsätzlich loyale und unter Haftungsgesichtspunkten zuverlässige Stiftungsträger. Noch immer viel zu selten machen Stifter hingegen von der Möglichkeit Gebrauch, sich ihren Stiftungsträger selbst zu schaffen und sich dessen Loyalität durch eine auf Vertrags- und Gesellschaftsrecht beruhende Verklammerung von „Organmitgliedschaft“ in der fiduziarischen Stiftung und persönlicher Mitgliedschaft in ihrem korporativ strukturierten Träger zu sichern. Dabei ist das Modell im Grundsatz einfach: Der Stifter errichtet – gegebenenfalls gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern des (virtuellen) Organs seiner Stiftung – eine gemeinnützige GmbH oder UG (haftungsbeschränkt). Den Zweck des Stiftungsträgers definiert er entsprechend dem Zweck der fiduziarischen Stiftung, allerdings begrenzt auf die Tätigkeit seiner GmbH/UG 48 K. Schmidt „Ersatzformen“ der Stiftung – Unselbständige Stiftung, Treuhand und Stiftungskörperschaft –, in Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 175 (184 f.); ihm folgend Schlüter Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung, 2004, S. 236. 49 Z.B. MünchKommBGB/Reuter 5. Aufl. 2006, Vorbem. 98 zu § 80; vgl. auch die Nachweise in Fn. 47. 50 Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 59; MünchVertragshandbuch Bd. 1/Hof 6. Aufl. 2005, Form. VIII. 6 Anm. 13; A. Werner Die unselbständige Stiftung, in Werner/Saenger (Hrsg.), Die Stiftung, 2008, Rn. 950.

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als Mittelbeschaffungskörperschaft für die fiduziarische Stiftung.51 Neben der für gemeinnützige Gesellschaften schon aus steuerlichen Gründen erforderlichen „Entkernung“ der Mitgliedschaftsrechte um vermögensrechtliche Positionen 52 wird überdies durch Einziehungs- und Zwangsabtretungsklauseln sichergestellt, dass Gesellschafter der GmbH/UG stets nur diejenigen Personen sein können, die zugleich Mitglieder in dem oder den Organen der fiduziarischen Stiftung sind. Rein rechtlich betrachtet bleibt es zwar bei der Möglichkeit der Geschäftsführung des Stiftungsträgers, vertraglich oder gar deliktisch Verbindlichkeiten zu begründen, die in Bezug auf das Vermögen der fiduziarischen Stiftung „Fremdverbindlichkeiten“ darstellen. De facto und im Hinblick auf das Weisungsrecht der Gesellschafter gegenüber der Geschäftsführung der gemeinnützigen GmbH/UG als dem „virtuellen“ Vorstand der fiduziarischen Stiftung ist die Gefahr hingegen allenfalls theoretischer Natur. In der Sache entspricht die Verselbstständigung des Vermögens eines so konstruierten Zweckvermögens derjenigen bei der rechtsfähigen Stiftung i.S.d. §§ 80 ff. BGB. Aber eben ohne die sonst zwingende Staatsaufsicht! 3. Die Organstruktur Allerdings ist die Stabilität einer fiduziarischen Stiftung durch die bloße Wahl der Auflagenschenkung und die Schaffung eines zweckloyalen – weil vom Stifter selbst errichteten – Stiftungsträgers alleine noch nicht gesichert. Tatsächlich bleibt bei allen schuld- und gesellschaftsrechtlichen Konstrukten anders als bei der rechtsfähigen Stiftung des BGB die Gefahr, dass pflichtvergessene Beteiligte – insbesondere nach dem Tod des Stifters – im Einvernehmen untereinander die „Verfassung“ der fiduziarischen Stiftung ändern oder im schlimmsten Falle gar ihre Aufhebung betreiben. Im Regelfall der gemeinnützigen und damit zumindest in ihrer Mittelverwendung von den Finanzämtern kontrollierten fiduziarischen Stiftung kann man bezweifeln, dass die Aufmerksamkeit, die dieser Gefahr im Schrifttum gewidmet

51 Praxiserprobtes Beispiel: „Die Gesellschaft verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts „Steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung. Zweck der Stiftung ist die Förderung von Kunst und Kultur. Der Satzungszweck wird verwirklicht insbesondere durch die Beschaffung von Mitteln für die gemeinnützige, nicht-rechtsfähige Stiftung mit dem Namen XY mit dem Sitz in Z… Die Gesellschaft ist berechtigt, die Stellung eines Stiftungsträgers und damit die Verwaltung des Vermögens der gemeinnützigen nicht-rechtsfähigen Stiftung mit dem Namen XY mit dem Sitz in Z zu übernehmen.“ Indes: Selbstverständlich kann als Stiftungsträger auch eine nicht gemeinnützige GmbH/UG gewählt werden. 52 Zur Gestaltungspraxis bei der gemeinnützigen GmbH/UG siehe Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht/Rawert 10. Aufl. 2010, Form. I. 35 m.w.N.

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wird,53 ein Spiegelbild der Stiftungswirklichkeit ist. Aber jedenfalls gilt: Die moderne Vertragsgestaltung ermöglicht durch geschickte „Simulation“ des Modells der rechtsfähigen Stiftung einen Grad an Sicherheit, welche ohnehin theoretische Risiken in der Realität noch unwahrscheinlicher macht. Dazu hat es sich zunächst durchgesetzt, auch fiduziarische Stiftungen mit einer eigenen „Organstruktur“ auszustatten. Während es grundsätzlich denkbar ist, die Ausführung der Schenkungsauflage ausschließlich dem Geschäftsführungsorgan des Stiftungsträgers und damit einer womöglich aus Stiftersicht unzureichend kontrollierten Person zu überlassen, sind in der Praxis heute auch bei fiduziarischen Stiftungen Überwachungsinstanzen wie z.B. ein „Stiftungsrat“ oder „Kuratorium“ gang und gäbe.54 Die Mitglieder dieser Gremien werden von der Kautelarpraxis dadurch, dass sie die Befugnis erhalten, die Vollziehung der Schenkungsauflage zu verlangen (vgl. § 525 BGB), zu Beteiligten des Rechtsverhältnisses zwischen dem Stifter und dem Stiftungsträger gemacht.55 Dabei ist es das Verdienst von Herzog 56, darauf hingewiesen zu haben, dass durch diese Einbeziehung der Stiftungsgremien in das Vertragsverhältnis zwischen Stifter und Stiftungsträger sowohl zu Lebzeiten des Stifters als auch nach dessen Tod eine Änderung der „Stiftungsverfassung“ nicht gegen den Willen der Organmitglieder vorgenommen werden kann. Voraussetzung ist lediglich, dass die Stiftungssatzung den Mitgliedern des jeweils bestehenden Gremiums ein ausdrückliches Recht auf Beteiligung an der Änderung der „Verfassung“ der fiduziarischen Stiftung einräumt. Der Stifter bzw. seine Rechtsnachfolger können „ihre“ Stiftung damit gegen den Willen von mit entsprechenden Befugnissen ausgestatteten Organmitgliedern weder willkürlich ändern noch deren Auflösung betreiben. Und nach dem Tode des Stifters gilt: Gegen kollusives Zusammenwirken pflichtvergessener Erben, Organmitglieder und Stiftungsträger hilft neben der steuerlichen Zweckbindung des Stiftungsvermögens notfalls § 525 Abs. 2 BGB: Liegt die Vollziehung der Auflage – wie bei einer gemeinnützigen Einrichtung per definitionem – im öffentlichen Interesse, so kann auch die jeweils nach Landesrecht zuständige Behörde die Vollziehung verlangen. Da deren Vollziehungs53 Z.B. Seyfarth Der Schutz der unselbstständigen Stiftung, 2009, S. 88 ff., 94 ff.; vgl. auch Herzog Die unselbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts, 2006, S. 91 ff., der eine gewisse Flexibilität jedoch auch als Vorteil der unselbstständigen Stiftung ansieht. 54 Siehe z.B. Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht/ Rawert 10. Aufl. 2010, Form. I. 32; MünchVertragshandbuch Bd. 1/Hof 6. Aufl. 2005, Form. VIII. 6 Anm. 13; Herzog Die unselbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts, 2006, S. 85 ff.; Seifart/v. Campenhausen/Hof Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2009, § 36 Rn. 90 ff., 145 f. Zu den steuerlichen Gründen für eine solche Organstruktur siehe Hüttemann/Herzog DB 2004, 1001 ff. 55 Herzog Die unselbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts, 2006, S. 87. 56 Herzog aaO S. 85 ff., 124.

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anspruch durch privatrechtliche Abrede wiederum nicht abbedungen werden kann, müsste sie einem Verzicht auf Auflagenvollzug ausdrücklich zustimmen. Bei pflichtgemäßem Handeln wird das in der Regel nicht in Frage kommen.57 4. Der Anfallberechtigte Aber auch die Person des Anfallberechtigten kann Stabilität gewährleisten. Für den Regelfall der gemeinnützigen fiduziarischen Stiftung fordert das Steuerrecht, dass die satzungsmäßige Vermögensbindung auch für den Fall ihrer Auflösung oder Aufhebung bzw. den Wegfall steuerbegünstigter Zwecke sichergestellt ist.58 Dies kann u.a. durch die konkrete Bezeichnung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft geschehen, die als Anfallsberechtigte das Vermögen unmittelbar und ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke zu verwenden hat.59 Einen zivilrechtlichen Anspruch auf Übertragung des Stiftungsvermögens erhält die benannte Körperschaft allein dadurch grundsätzlich nicht. Im Einvernehmen aller Stiftungsbeteiligten könnte daher – insbesondere nach dem Tode des Stifters – durch Bestimmung eines neuen Anfallberechtigten und spätere Auflösung der Stiftung ihr Vermögen vollends anderen bzw. neuen Zwecken zugeführt werden. Sind auch diese Zwecke öffentlich, weil gemeinnützig, bietet der Vollziehungsanspruch der nach Landesrecht zuständigen Behörde (§ 525 Abs. 2 BGB) 60 keine Stabilitätsgewähr. Für ihn kommt es nämlich nicht auf den konkreten Zweck, sondern das generell öffentliche Interesse an der Stiftungsfähigkeit an. Verhindert werden kann eine Umwidmung jedoch dadurch, dass der Anfallberechtigte selbst zur Partei der Auflagenschenkung gemacht und mit einem klagbaren Anspruch auf Übertragung des Stiftungsvermögens unter den in der Anfallklausel der Satzung bestimmten Voraussetzungen ausgestattet wird. Das Eigeninteresse des Anfallberechtigten am Anfall des Stiftungsvermögens wird es regelmäßig verhindern, dass er einer „kollusiven“ Aufhebung der Stiftung und Zweckentfremdung ihres Vermögens unter Übergehung seiner selbst zustimmt. Den übrigen Stiftungsbeteiligten hingegen wird durch die Position des Anfallsberechtigten die Möglichkeit genommen, das Stiftungsvermögen abredewidrig umzuwidmen. Vergleichbare Schutzmechanismen sind in der Literatur bislang im Zusammenhang mit Leistungs57 Seyfarth Der Schutz der unselbstständigen Stiftung, 2009, S. 88 (insbes. Fn. 313); vgl. auch Westebbe Die Stiftungstreuhand, 1993, S. 160. Es ist allerdings Sache des Stifters, ob er die zuständige Behörde von der Existenz seiner Stiftung in Kenntnis setzt. 58 § 61 AO. 59 Siehe Anlage 1 zu § 60 AO. 60 Siehe oben Fn. 57.

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ansprüchen von Stiftungsdestinatären erörtert worden.61 Diese freilich scheitern in der Praxis zumeist daran, dass den Begünstigten gemeinnütziger Stiftungen aus steuerlichen Gründen keine klagbaren Ansprüche eingeräumt werden können (vgl. § 52 Abs. 1 AO – „Förderung der Allgemeinheit“). Gegen die Schaffung eines Anfallberechtigten mit klagbaren Ansprüchen bestehen hingegen steuerlich keine Bedenken.

V. Fazit Abseits theoretischer Risiken stellt die mit Bedacht gestaltete fiduziarische Stiftung einen praktisch vollwertigen Ersatz für die unter laufender Staatsaufsicht stehende rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts dar. Durch ihre Klassifikation als Auflagenschenkung und nicht zuletzt bei Einsatz eines vom Stifter selbst geschaffenen und damit zweckloyalen Stiftungsträgers lässt sich ihr Vermögen nahezu vollständig gegen eine zweckfremde Inanspruchnahme für Verbindlichkeiten des Stifters und seiner Rechtsnachfolger bzw. eine zweckfremde Eigenhaftung des Stiftungsträgers immunisieren. Durch Einbeziehung der „virtuellen“ Organe der fiduziarischen Stiftung in das Vertragsverhältnis zwischen Stifter und Stiftungsträger lassen sich willkürliche, d.h. von der Verfassung der fiduziarischen Stiftung nicht ausdrücklich vorgesehene Maßnahmen der Satzungsänderung oder gar Aufhebung der Stiftung praktisch vollständig vermeiden. Wird überdies der vom Stifter nach den Regeln des Gemeinnützigkeitsrechts festzulegende Anfallberechtigte ebenfalls mit eigenen Ansprüchen in das Vertragsverhältnis einbezogen, ist selbst das Risiko einer vom Stifterwillen nicht gedeckten Änderung des Stiftungszwecks nahezu ausgeschlossen. Dass der Schutz einer solchermaßen konstruierten fiduziarischen Stiftung nennenswert hinter dem einer laufend staatlich beaufsichtigten rechtsfähigen Stiftung zurückbliebe, kann nicht ernsthaft behauptet werden. Tatsächlich handelt es sich bei der fiduziarischen Stiftung um nichts anderes als um eine der staatlichen Stiftungsaufsicht entkleidete Stiftung i.S.d. §§ 80 ff. BGB.62 Inwieweit diese – neben ihrer vom Steuerrecht bereits anerkannten Teilrechtsfähigkeit 63 – künftig auch zivilrechtlich als (teil-)rechtsfähiges Subjekt 61 Herzog Die unselbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts, 2006, S. 124; Seyfarth Der Schutz der unselbstständigen Stiftung, 2009, S. 88. 62 So durchaus plastisch Bruns JZ 2009, 840 (846). Bruns liegt dogmatisch allerdings falsch, wenn er seine Gedanken mit dem Satz beendet: „Da wie jede Stiftung auch die rechtsfähige fiduziarische Stiftung kein personales Substrat hat, handelt es sich bei dieser Stiftung nicht nur um ein rechtsfähiges Gebilde, sondern auch um eine juristische Person“. Der Schluss vom „rechtsfähigen Gebilde“ auf die „juristische Person“ ist – freundlich ausgedrückt – nicht zwingend. 63 Vgl. BFH FR 2003, 678.

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anerkannt werden kann, bleibt eine offene Frage. Wer Rechtsgeschäfte mit Treuhandcharakter als Gesamthand betrachtet,64 mag die Beziehung zwischen dem durch eine Schenkungsauflage gebundenen Stiftungsträger und den vollziehungsberechtigten Organen der fiduziarischen Stiftung als einen Ansatzpunkt für die Weiterentwicklung des Rechts der fiduziarischen Stiftung deuten. Die Kautelarpraxis jedenfalls ist gut beraten, Wohltätern, die gegenüber staatlicher Stiftungsbürokratie skeptisch oder gar bereits allergisch geworden sind, die staatsfreie, fiduziarische Stiftung als Alternative anzubieten. Die eingangs erwähnten Zinnsoldaten übrigens sind heute Eigentum einer solchen. Und der Stifter wusste, was er tat: Er hat einen Lehrstuhl für Zivil-, Zivilprozess- und Insolvenzrecht.

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So neuerdings vor allem Geibel Treuhandrecht als Gesellschaftsrecht, 2008.

Der Verein im Verein Dieter Reuter I. Gesetzeslage und Realität Der BGB-Gesetzgeber hat die Großvereine bekanntlich stiefmütterlich behandelt. Viel zitiert ist die Bemerkung des Reichstagsabgeordneten Stadthagen, das BGB-Vereinsrecht sei ein Recht für „Skat-, Kegel-, Rauch- und Saufvereine“.1 Dahinter verbergen sich damalige staatspolitische Vorbehalte gegen die seinerzeit besonders im Blickfeld stehenden religiösen, politischen und sozialpolitischen Großvereine (Sekten, Parteien, Gewerkschaften).2 Immerhin hat der Gesetzgeber die Bedürfnisse des Großvereins nicht vollständig ignoriert. Die Einführung des § 30 BGB hat die 2. Kommission zum Entwurf eines BGB ausdrücklich damit begründet, dass die „Bestellung besonderer Personen als Organe des Vereins für einen begrenzten Geschäftskreis neben dem Vorstande … bei Vereinen von größerem Umfang thatsächlich häufig und unentbehrlich (sei), so die Bestellung besonderer Kassierer, örtlicher Delegierter für Vereine, deren Thätigkeit sich auf ein größeres Gebiet erstrecke“.3 Der historische Gesetzgeber hat also durchaus das Bedürfnis für eine dezentrale Vereinsverwaltung anerkannt. Nicht berücksichtigt hat er das Bedürfnis für ein dezentrales Vereinsleben, d.h. für eine Dezentralisierung in dem Sinne, dass Untergliederungen gebildet werden, die nicht nur selbständige Verwaltungseinheiten sind, sondern selbst die Merkmale eines Vereins erfüllen, also ein auf Dauer angelegter, körperschaftlich organisierter Zusammenschluss von Personen zu einem gemeinsamen Zweck sind.4 Gleichwohl spielen solche sog. Gesamtvereine in der Praxis eine beachtliche Rolle. Nahezu sämtliche Einzelgewerkschaften weisen solche vereinsmäßig strukturierten (örtlichen) Untergliederungen auf. Für die politischen Parteien bestimmt § 7 I 1 ParteiG, dass die Untergliederungen der Parteien zu eigenen rechtlich selbständigen Verbänden („Zweigvereine“) auszubilden sind, d.h. „zu Personenvereinigungen körperschaftlicher Form, die berufen sind, den Parteizweck in ihrem Wirkungsraum mit

1 2 3 4

Mugdan I S. 995. Kübler Rechtsfähigkeit und Verbandsverfassung, 1971, S. 11. Mugdan I S. 617 f. MünchKomm-Reuter BGB, 5. Aufl. 2006, §§ 21, 22 Rn. 1.

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selbst gewählten Organen durch eigene Vereinstätigkeit zu fördern, entsprechende Beschlüsse zu fassen, diese nach außen zu vertreten und so innerhalb der Partei ein gewisses Eigenleben zu führen“.5 § 2 I 2 ParteiG schließt aus, dass die Untergliederungen die (Bundes-)Partei bilden. Mitglieder einer Partei können danach nur natürliche Personen sein. Zusammen ergibt das nicht nur die Zulässigkeit, sondern die zwingende Notwendigkeit, die politische Partei als Gesamtverein zu verfassen. Denn wenn die Untergliederungen einerseits Vereine sein müssen, andererseits mit der nächst höheren Einheit bis hinauf zur Bundespartei nicht durch eigene Mitgliedschaft, sondern nur über die Mitgliedschaft ihrer natürlichen Mitglieder verbunden sein dürfen, bleibt als Rechtsform allein der Gesamtverein übrig. Heute sind auch sehr große Vereine jenseits von Gewerkschaften und Parteien als Gesamtvereine organisiert. Dabei sind die Untergliederungen – wie im Fall der Gewerkschaften und Parteien – in der Regel nicht eingetragene Vereine. Es gibt aber auch Fälle – z.B. den ADAC –, in denen die Untergliederungen eingetragene Vereine sind.6 Nicht örtliche, wohl aber fachliche Untergliederungen finden sich in den großen Sportvereinen. So wird bei Bayern München nicht nur Fußball, sondern auch Schach gespielt. Derartige Abteilungen sind nicht selten ebenfalls „Vereine im Verein“ (sog. Spartenvereine).7

II. Die Zulässigkeitsfrage 1. Der Standpunkt des Schrifttums Die Frage nach der Zulässigkeit des „Vereins im Verein“ wird heute nicht mehr gestellt. Nur als historische Reminiszenz gilt die diesbezügliche Kontroverse zwischen Wagner und Tichauer. Wagner hatte die Möglichkeit eines „Vereins im Verein“ bestritten. Die Untergliederungen eines Vereins stünden immer im Verein und könnten deshalb niemals selbständige Zuordnungssubjekte von Rechten und Pflichten sein.8 Tichauer hatte dem entgegengehalten, es könne den Vereinsmitgliedern als Einzelpersonen nicht verwehrt werden, untereinander Vereine zu bilden.9 Wagner erwiderte darauf, solche Vereine stünden nicht im, sondern neben dem (Haupt-)Verein.10 Im heutigen Spezialschrifttum zum Gesamtverein neigt man dazu, diese Kontroverse als bloßen Streit um Worte abzutun. In der Sache soll sie gar nicht die Zulässig5

Seifert Die politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 198. Vgl. Schaible Der Gesamtverein und seine vereinsmäßig organisierten Untergliederungen, 1992, S. 20 mit Fn. 33. 7 Schaible aaO (Fn. 6) S. 22. 8 JW 1924, 1120. 9 JW 1925, 43. 10 JW 1925, 44. 6

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keit des Vereins im Verein betreffen, sondern die Treffsicherheit des Begriffs.11 Aber damit macht man es sich zu leicht. Wenn Mitglieder eines Vereins sich zur Wahrung ihrer Interessen im Verein zu einer Fraktion in Vereinsform zusammenschließen, dann entsteht ein zusätzlicher Verein, der den Hauptverein und seine anderen Mitglieder grundsätzlich nichts angeht. Es ist Sache der Fraktionsmitglieder, ihr Zusammenwirken so zu regeln, dass sie dadurch nicht gegen ihre Pflichten als Mitglieder des Hauptvereins verstoßen. Im Fall des Gesamtvereins gehört die Bildung von vereinsförmigen Untergliederungen dagegen zur Verfassung des Hauptvereins. Wer Mitglied des Hauptvereins ist, ist auch Mitglied des für ihn zuständigen Regionaloder Ortsverbandes bzw. Spartenvereins. Ohne dass er Mitglied der Untergliederung ist, erfüllt er nicht die satzungsmäßigen Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Hauptverein. Mehr noch: Er kann den Vereinszweck ohnedem gar nicht voll erfüllen, weil die Zuständigkeit dafür zwischen dem Hauptverein und seinen örtlichen bzw. fachlichen vereinsförmigen Untergliederungen aufgeteilt ist. Aus dem gleichen Grund macht die isolierte Mitgliedschaft in einer Untergliederung keinen Sinn. Der „Verein im Verein“ ist also – das hat Wagner seinerzeit ganz richtig gesehen 12 – durchaus etwas anderes als der „Verein neben dem Verein“. Für das Schrifttum zum Gesamtverein erschöpft sich die Bedeutung dieses Unterschieds darin, dass er dazu zwingt, allgemeinen Grenzen der privatautonomen Eingliederung der Orts- bzw. Spartenvereine in den Hauptverein nachzugehen. So wird nacheinander diskutiert, wie die Art und Weise der Eingliederung mit dem Erfordernis der Freiwilligkeit der Vereinsgründung, mit der Satzungsautonomie des gegründeten (Orts- bzw. Sparten-)Vereins, seiner Personalhoheit, seiner Verwaltungsautonomie und seines Rechts zur Selbstauflösung in Einklang gebracht werden kann. Maßstab sind die Grundsätze, die unabhängig von den Besonderheiten des Vereins im Verein Reichweite und Grenzen dieser Erscheinungsformen der Vereinsautonomie bestimmen.13 Lediglich König zieht in Betracht, dass die Besonderheiten des Vereins im Verein andere Maßstäbe notwendig machen oder doch wenigstens ermöglichen. Anknüpfungspunkt ist für ihn die Einsicht, dass die Satzung des Hauptvereins die Orts- bzw. Spartenvereine zwar nicht unmittelbar gründen und rechtlich ausgestalten, wohl aber die Mitglieder des Hauptvereins auf die Gründung und bestimmte rechtliche Ausgestaltung von Ortsbzw. Spartenvereinen verpflichten kann. Im Verhältnis zum Hauptverein verfügen die Orts- bzw. Spartenvereine danach über Autonomie nur, soweit

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Schaible aaO (Fn. 6) S. 23. Wagner JW 1925, 44. 13 MünchHdb-Steinbeck 2009, § 5a Rn. 21 ff.; Schaible aaO (Fn. 6) S. 30 ff., 33 ff., 43 ff., 47 f., 48 ff. 12

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ihre Mitglieder nicht durch die Hauptvereinssatzung gebunden sind.14 Die Grenzen dieser Bindung ergeben sich nicht aus der Verbandssouveränität der Orts- bzw. Spartenvereine, sondern – außer aus dem absoluten Erfordernis, dass sie nicht bloße Verwaltungsstellen des Hauptvereins sein dürfen 15 – aus dem Minderheitenschutz. Die in die Orts- bzw. Spartenvereine ausgelagerten Sonderinteressen dürfen nicht unsachlich diskriminiert und nicht übermäßig (= nicht erforderlich und/oder nicht verhältnismäßig) beeinträchtigt werden.16 2. Der Standpunkt der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zum Verein im Verein bezieht sich nahezu ausnahmslos auf die Abgrenzung der vereinsförmigen von unselbständigen Untergliederungen. Über Jahrzehnte hinweg ergingen die Entscheidungen fast ausschließlich zur Frage der passiven Parteifähigkeit der Untergliederungen von Gewerkschaften gem. § 50 II ZPO.17 Erst 1970 wurden die Untergliederungen politischer Parteien zum Thema, doch blieb der Auslöser das Problem der passiven Parteifähigkeit.18 Das gilt sogar noch für BGHZ 73, 275, wo die höchstrichterliche Rechtsprechung sich erstmals zum Verhältnis der Mitglieder zur Gesamtpartei einerseits und zu der für sie zuständigen Untergliederung andererseits äußert. Dabei haben RG und BGH sich niemals an den Anforderungen einer autonomen Vereinsgründung und -existenz orientiert. Vielmehr war maßgebend die Abgrenzung zur unselbständigen Untergliederung. Der BGH hält für erforderlich, aber auch für ausreichend, dass die selbständige Untergliederung auf Dauer nach außen Aufgaben im eigenen Namen durch eine eigene, dafür handlungsfähige Organisation erfüllt. Ausdrücklich hebt er hervor, es sei nicht erforderlich, „dass Zweck und Organisation der Untergliederung in einer von dieser beschlossenen Satzung festgelegt sind“; sie könnten „sich auch aus der Satzung des Hauptvereins ergeben“. Die Frage nach der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit der Untergliederung beantworte sich – so der BGH weiter – nach dem Inhalt der Satzung, nicht danach, wer sie beschlossen hat.19 In der Sache sieht der BGH damit den Zweigverein als Teil der Organisation des Hauptvereins an, und zwar nicht nur in funktionaler, sondern auch in rechtsdogmatischer Hinsicht. Denn wenn auch eine Regelung von Zweck und Organisation des Zweigvereins in der Satzung des Hauptvereins die

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König Der Verein im Verein, 1992, S. 232 ff. BVerfG NJW 1991, 2623, 2626; KG OLGZ 1974, 385, 390. 16 König aaO (Fn. 14) S. 283 ff. 17 RGZ 73, 92; 118, 196; RG JW 1927, 2364; BGH DB 1952, 332; BAG AP Nr. 2 zu § 19 BetrVG 1972. 18 BGH MDR 1970, 913; BGHZ 73, 275. 19 BGHZ 90, 331, 333 f. 15

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erforderliche privatautonome Legitimation gegenüber den Mitgliedern des Zweigvereins vermittelt, dann lässt sich das nur so erklären, dass die Mitgliedschaft im Gesamtverein nicht getrennte Mitgliedschaften im Hauptverein und im jeweils zuständigen Zweigverein umfasst, sondern eine Mitgliedschaft ist, die nach Maßgabe der Verfassung des Hauptvereins teilweise im Hauptverein und teilweise im Zweigverein auszuüben ist.20 Damit stimmt überein, dass der BGH nicht von einer Doppelmitgliedschaft, sondern von einer „gestuften Mehrfachmitgliedschaft“ spricht.21 Dass dies nicht nur – wie das Schrifttum überwiegend annimmt 22 – ein anderer Ausdruck für Doppelmitgliedschaft ist, belegt die Quelle, auf die der BGH sich bezieht. Der BGH zitiert dazu nämlich Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 199, 200, 211.23 Seifert setzt aber die gestufte Mehrfachmitgliedschaft auf S. 199 f. mit „gespaltener Mitgliedschaft“ gleich, nicht mit Doppelmitgliedschaft. Auf S. 211 legt er dar, dass die Aufnahme in den Zweigverein (Ortsgruppe) automatisch zur Mitgliedschaft im Hauptverein (Bundespartei) führt. Auch das ist dogmatisch nur begründbar, wenn man nicht von zwei Mitgliedschaften, sondern von einer (Mehrfach-)Mitgliedschaft ausgeht.24 Insgesamt lässt sich der Standpunkt der Rechtsprechung dahin beschreiben, dass sie den Gesamtverein nicht in das Prokrustesbett der überkommenen Vereinsrechtsdogmatik zu zwingen, sondern z.T. in Anlehnung an das ParteiG eine ihm angemessene Sonderdogmatik zu entwickeln versucht.

III. Grundzüge einer Sonderdogmatik des Vereins im Verein 1. Die Schwächen des Verzichts auf eine Sonderdogmatik a) Widerspruch zur Rechtsprechung Das Schrifttum zum Verein im Verein begegnet der Rechtsprechung in ihrem derzeitigen Zustand überwiegend mit Unverständnis. So wundert sich R. Wolff in seiner Stellungnahme zur jüngsten einschlägigen Entscheidung 25 darüber, „dass für die Einordnung einer Untergliederung als nicht rechtsfähiger Verein nicht dieselben Kriterien Verwendung finden, die für nicht rechts20 MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 132 f.; Soergel-Hadding BGB, 13. Aufl. 2000, Vor § 21 Rn. 53; für Parteien ebenso Seifert aaO (Fn. 5) S. 211 mit Fn. 159. Ohne Begründung ablehnend MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 47 mit Fn. 62. 21 BGHZ 73, 275, 278. 22 MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 8; Schaible aaO (Fn. 6) S. 62 f. 23 BGHZ 73, 275, 278. 24 AA folgerichtig MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 48 mit § 5 Rn. 75 ff., 50; Schaible aaO (Fn. 6) S. 62 ff.; König aaO (Fn. 14) S. 189 ff. 25 BGH NJW 2008, 69.

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fähige Vereine außerhalb gegliederter Verbände herangezogen werden“.26 Auch die Rede des BGH von einer „teilweise verselbständigten Untergliederung“ empfindet er – wie vor ihm schon Terner 27 – angesichts eines nicht rechtsfähigen Vereins als rätselhaft.28 Dabei ist diese Rede geradezu der Schlüssel zur Besonderheit der Zweigvereine. Sie sind nämlich jedenfalls im Verhältnis zum Hauptverein gerade nicht umfassend selbständige Rechtssubjekte, die nur nach dem Willen ihrer Mitglieder leben, sondern solche, deren Existenz und relative Selbständigkeit vom Willen der Mitglieder des Hauptvereins abhängt. Deshalb kann – so BGHZ 90, 331, 334 – „der Hauptverein seinen Untergliederungen eine Verfassung geben (vgl. RG JW 1927, 2363) oder in seiner eigenen Satzung bestimmen, dass sie auch für die Untergliederungen verbindlich sei (vgl. RGZ 118, 196, 198)“. Diese Aussage ist eindeutig. Sie lässt sich nicht – wie es im Schrifttum versucht wird 29 – dahin interpretieren, dass die vom Hauptverein gegebene Verfassung nicht schon kraft verbindlicher Anordnung durch den Hauptverein (Beschluss seiner Mitgliederversammlung), sondern erst aufgrund der ausdrücklichen oder stillschweigenden Übernahme durch den Zweigverein für diesen verbindlich werde. Legitimiert wird die Verbindlichkeit der (teilweise) vom Hauptverein gegebenen Verfassung für die Mitglieder des Zweigvereins dadurch, dass ihre Mitgliedschaft eine „gestufte Mehrfachmitgliedschaft“ ist. Auch die Eigenart dieser Rechtsfigur (gespaltene Mitgliedschaft) ist dem Schrifttum zum Verein im Verein überwiegend unzugänglich. Das zeigt sich repräsentativ an der Darstellung Steinbecks über den Gesamtverein im Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, für die gestufte Mehrfachmitgliedschaft jedenfalls im Ansatz nicht mehr bedeutet, als dass die Gesamtvereinsmitglieder in mehreren Vereinen Mitglieder sind, so wie jemand gleichzeitig Mitglied des FC Bayern München, der CSU und des Trachtenvereins Rottach-Egern sein kann.30 b) Problematische Einzelfolgen Möglichkeit und Grenzen der Zusammenfassung von Hauptverein und Zweigvereinen zu einer Einheit werden von Steinbeck u.a. folgerichtig durch den Rückgriff auf die Grundsätze erörtert, die für die Möglichkeit und die Grenzen der Koordination selbständiger Vereine maßgebend sind.

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Non Profit Law Yearbook 2008, 2009, S. 21, 27. NJW 2008, 16, 17. 28 R. Wolff aaO (Fn. 26) S. 24. 29 Schaible aaO (Fn. 6) S. 37 f.; R. Wolff aaO (Fn. 26) S. 21, 28; König aaO (Fn. 14) 147; ähnlich freilich BGH NJW 2008, 69, 74. 30 MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 47 ff. 27

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aa) Beispiel Mitgliedschaftserwerb So soll der Eintritt in den Hauptverein nicht per se zur Folge haben, dass der Eintretende Mitglied des für ihn zuständigen Zweigvereins wird. Vielmehr soll es dazu – wie im Fall der zusätzlichen Mitgliedschaft von Mitgliedern eines Vereins in dessen Dachverband – korrespondierender Satzungsregelungen in den Satzungen von Haupt- und Zweigverein bedürfen, aus denen geschlossen wird, dass der Eintritt in einen Verein konkludent die Beitrittserklärung zum anderen enthält.31 Besteht ursprünglich ein ungegliederter Verein, der nachträglich vereinsförmige Untergliederungen bildet (durch entsprechende Änderung seiner Satzung und die Erfüllung der Voraussetzungen für die Errichtung von – rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen – Ortsbzw. Spartenvereinen), so soll zwischen den zustimmenden und den nicht zustimmenden Mitgliedern zu unterscheiden sein: Erstere sollen mit ihrer Zustimmung zur Satzungsänderung konkludent den Beitritt zu dem für sie zuständigen Zweigverein erklären, letztere je nach Sachlage zum Beitritt verpflichtet sein oder Mitglied des Hauptvereins ohne Mitgliedschaft im zuständigen Zweigverein bleiben können.32 Analog soll es zu beurteilen sein, wenn bisher selbständige Vereine – durch „Eingliederung“ in einen bestehenden Verein oder „Zusammenschluss“ zu einem neuen Hauptverein – zu vereinsförmigen Untergliederungen eines Hauptvereins werden.33 Ein sicherer Ausschluss funktionswidriger Torsomitgliedschaften im Haupt- oder Zweigverein 34 ist so offenbar nicht gewährleistet.35 bb) Beispiel Verhältnis Hauptverein – Zweigverein Die „Eingliederung“ bzw. der „Zusammenschluss“ sollen körperschaftliche Organisationsakte sein, für die, obwohl die Zweigvereine nicht Mitglieder des Hauptvereins werden, die gleichen Regelungen gelten wie für den Beitritt eines Vereins zu einem Dachverband bzw. den Zusammenschluss von Vereinen zu einem Dachverband.36 Der „Eingliederung“ soll als actus contrarius die Möglichkeit der (einseitigen!) Möglichkeit der „Ausgliederung“ entsprechen, und zwar dadurch, dass „die Mitglieder des Zweigvereins durch Satzungsänderung alle Bestimmungen beseitigen, die eine Abhängigkeit des Zweigvereins vom Gesamtverein begründen.“ 37 Auch der Hauptverein soll sich durch Beschluss seiner Mitgliederversammlung, der in der 31 MünchKommHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 48 mit § 5 Rn. 75 ff.; Schaible aaO (Fn. 6) S. 62 ff. 32 MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 50; Schaible aaO (Fn. 6) S. 75 f. 33 Schaible aaO (Fn. 6) S. 67 ff. 34 Siehe oben II 1. 35 Ähnlich König aaO (Fn. 14) S. 193. 36 MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 9 ff. (11). 37 MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 57.

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Regel nicht einmal satzungsändernden Charakter zu haben braucht, von Zweigvereinen trennen können.38 Dagegen soll die Auflösung der Zweigvereine ausschließlich Angelegenheit ihrer Mitgliederversammlungen sein.39 Weder die Auflösung des Hauptvereins noch die Abschaffung rechtlich selbständiger Untergliederungen durch seinen Satzungsgeber soll die (werbende) Weiterexistenz der Zweigvereine in Frage stellen.40 An dieser Sichtweise ist alles zweifelhaft: Die Parallele zum Beitritt eines Vereins zu einem Dachverband passt für die „Eingliederung“ eines Vereins in einen Gesamtverein nicht, weil diese eben nicht durch die Mitgliedschaft des Vereins, sondern durch die Mitgliedschaft seiner Mitglieder im Hauptverein bewirkt wird. Die Begründung der Rechtsbeziehung der Mitglieder des (künftigen) Zweigvereins zum Hauptverein ist also einerseits erforderlich, andererseits aber auch ausreichend. Noch problematischer ist die Vorstellung, der Zweigverein könne sich einseitig aus dem Hauptverein „ausgliedern“. Da die „eingliedernde“ Rechtsbeziehung gar nicht zwischen Zweig- und Hauptverein besteht, sondern durch die Identität der Mitglieder vermittelt wird, gibt es gar kein Rechtsband zwischen Zweig- und Hauptverein, das durch „Ausgliederung“ gelöst werden könnte. Die These, die Mitglieder der Zweigvereine könnten die die Eingliederung begründenden Bestimmungen in ihrer Satzung beseitigen, steht im Widerspruch dazu, dass die Mitglieder in ihrer weiteren Eigenschaft als Mitglieder des Hauptvereins an dessen die vereinsförmigen Untergliederungen fordernde Satzung gebunden sind. Dem entspricht schon nach normalen vereinsrechtlichen Grundsätzen nicht nur die Pflicht der Mitglieder des Zweigvereins gegenüber dem Hauptverein, solche Satzungsänderungen zu unterlassen, sondern auch die Abhängigkeit ihrer Wirksamkeit von der Zustimmung des Hauptvereins. Die Zulässigkeit derartiger (u.U. durch Auslegung ableitbarer) Zustimmungsvorbehalte ist jedenfalls für die Fälle, in denen die Eigenart des Vereins sie erfordert, in der Rechtsprechung von BVerfG und BGH anerkannt. Das BVerfG bezieht sich ausdrücklich auf die Parallele zum Gesamtverein, wenn es zur Begründung für religiöse Vereine feststellt, insoweit sei „als Zweck des Vereins gewollt, eine Teilgliederung einer Religionsgemeinschaft zu sein und sich in deren religionsrechtlich bestimmte Struktur einzufügen“.41 Solche selbstgesetzten Einordnungszwecke müssten „nicht schlechthin als Preisgabe der Selbstbestimmung des Vereins beurteilt werden“. Die Grenze sei „erst dort erreicht,

38 39 40 41

MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 61. MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 67 ff. MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 63, 66. BVerfG NJW 1991, 2623, 2625 f.

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wo Selbstbestimmung und Selbstverwaltung des Vereins nicht nur in bestimmten Hinsichten …, sondern darüber hinaus in weitem Umfang ausgeschlossen werden; der Verein würde dann nicht mehr vornehmlich vom Willen der Mitglieder getragen, sondern zur bloßen Verwaltungsstelle oder einem bloßen Sondervermögen eines anderen“.42 Umgekehrt kann der Hauptverein sich wegen der „Mehrfachmitgliedschaft“ der Mitglieder nicht nach Belieben von seinen Zweigvereinen trennen. Als Eingriffe in die Rechtsstellung der Mitglieder sind entsprechende Entscheidungen des Hauptvereins vielmehr durch das Gleichbehandlungsgebot und das Übermaßverbot gebunden.43 In jedem Fall sind sie Satzungsänderungen, denn sie verändern die Organisation und damit die Verfassung des Hauptvereins (§ 25 BGB). Die Annahme, die Auflösung der Zweigvereine sei ausschließlich Angelegenheit ihrer Mitgliederversammlungen, widerspricht einmal mehr der Rechtsprechung des BVerfG, das im Gegensatz dazu ein Auflösungsrecht der Spitze einer Religionsgemeinschaft gegenüber ihren vereinsförmig verselbständigten „Teilgliederungen“ gebilligt hat.44 Das Selbstauflösungsrecht der Zweigvereine scheint zwar nach normalem Vereinsrecht (§ 41 BGB) zumindest für die Gesamtheit der Mitglieder zwingend zu sein. Doch erkennt die h.M. für religiöse Vereine eine Ausnahme in Gestalt des Vorbehalts der Zustimmung der Religionsgemeinschaft an, und zwar aus dem auch für die Zweigvereine zutreffenden Grund, dass der Zweck des Vereins ist, eine Teilgliederung (der Religionsgemeinschaft) zu sein und sich in deren (religionsrechtlich bestimmte) Struktur einzufügen.45 cc) Beispiel Mitgliedsrechte im Hauptverein und im Zweigverein Die Fixierung auf das Normalvereinsrecht ohne Rücksichtnahme auf den besonderen Zweck der Zweigvereine, Teilgliederung des Gesamtvereins zu sein und sich in dessen Struktur einzufügen, prägt schließlich die Stellungnahme zum Verhältnis der Mitgliedschaftsrechte und -pflichten im Hauptverein einerseits und im Zweigverein andererseits. Es sei zwar – so heißt es repräsentativ – richtig, dass die Mitglieder der Zweigvereine wegen ihrer weiteren Eigenschaft als Mitglieder des Hauptvereins bei ihrem Handeln als Mitglieder der Zweigvereine die Vorgaben des Hauptvereins zu beachten haben. Doch falle es in den Risikobereich des Hauptvereins, ob die Mitglieder diesen Vorgaben tatsächlich nachkommen. Insbesondere sollen Beschlüsse der Mitglieder des Zweigvereins im Widerspruch zu den Vorgaben zwar eine

42 43 44 45

BVerfG NJW 1991, 2623, 2626. K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 463 ff. BVerfG 1991, 2623, 2626. KG OLGZ 1974, 385, 390; BayObLG NJW 1980, 1756, 1757.

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Pflichtverletzung gegenüber dem Hauptverein, jedoch nichtsdestotrotz wirksam sein.46 Für die politischen Parteien, die sich von Gesetzes wegen als Gesamtvereine organisieren müssen (§ 2 I 2 ParteiG), ordnet § 6 I 2 ParteiG im Gegensatz dazu den Vorrang der Regelungsbefugnis des Hauptvereins an. Darüber hinaus sieht § 16 ParteiG die Möglichkeit des Hauptvereins vor, auf kollektive Pflichtverletzungen der Mitglieder des Zweigvereins mit Auflösung bzw. Ausschluss des Zweigvereins oder Amtsenthebung seiner Organe zu reagieren. Ausdruck spezifisch parteienrechtlicher Wertungen sind diese Bestimmungen nur in ihrem Ausgangspunkt, nämlich insofern, als sie dem Gebot der Organisation von (großen) Parteien als Gesamtvereine Rechnung tragen. Dagegen zollen sie ihrem Inhalt nach der Eigenart des Gesamtvereins Tribut. Wenn es der Sinn des Gesamtvereins ist, durch Dezentralisierung eine echte Teilnahme der Mitglieder auch in den Fällen zu ermöglichen, in denen Mitgliederzahl, räumliche Ausdehnung des Wirkungsbereichs und/oder Heterogenität der Interessen sie ohnedem nicht zulassen, dann ist eine rechtliche Qualifikation, die Hauptverein und Zweigvereine als rechtlich voneinander unabhängige Vereine behandelt, nicht sachgerecht. Vor allem müssen die Satzungen und Beschlüsse des Hauptvereins für den Gesamtverein gelten, ohne dass es auf die Unwägbarkeit einer (wirksamen) Transformation durch die Gremien der Zweigvereine ankommt.47 M.a.W.: Haupt- und Zweigverein dürfen nicht bloß schuldrechtlich, sondern müssen organisationsrechtlich verbunden sein. Da der Gesamtverein nicht durch unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Vereinen, sondern durch die Identität ihrer Mitglieder als Einheit konstituiert wird, kommt als Mittel der organisationsrechtlichen Verbindung nur die Einheit der Mitgliedschaft in Betracht. 2. Die gestufte Mehrfachmitgliedschaft als Kern der Sonderdogmatik des Vereins im Verein a) Zulässige Rechtsfortbildung Die Einheit der Mitgliedschaft trotz Vielheit der Vereine ist demnach der Kern der Sonderdogmatik des Vereins im Verein. Gewiss erhält der Verein dadurch ein Strukturmerkmal, das das Vereinsrecht an sich nicht kennt. Es entsteht also ein Konflikt mit dem numerus clausus der Rechtsformen des Verbandsrechts; die Berufung auf die verbandsrechtliche Gestaltungsfreiheit reicht nicht aus.48 Aber „in engen Grenzen“ kann der numerus clausus der Rechtsformen des Verbandsrechts auch durch Rechtsfortbildung korrigiert

46 47 48

MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 26; König aaO (Fn. 14) S. 252. Ebenso für die Parteien Seifert aaO (Fn. 5) S. 200. AA RGZ 73, 92, 97.

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werden.49 Diese engen Grenzen sind hier eingehalten: Es gibt mit dem ParteiG ein gesetzliches Vorbild, das allenfalls insofern auf die Besonderheit des Zwecks der Partei reagiert, als es das, was bei Vereinen mit großer Mitgliederzahl, großer räumlicher Ausdehnung und/oder inhaltlicher Interessenverschiedenheit wünschenswert ist, nämlich die Dezentralisierung des Vereinslebens, um die aktive Beteiligung der Mitglieder daran zu fördern, zwingend vorschreibt, anstatt es nur zuzulassen. Dass die Väter des BGBVereinsrechts im Jahre 1900 schon Vereine mit entsprechenden Dezentralisierungsbedürfnissen gekannt haben, also nicht etwa eine Anschauungslücke besteht,50 gehört in den Kontext der damaligen Vorbehalte gegen politische, sozialpolitische und religiöse Vereine (arg. e §§ 61–63 BGB a.F.). Denn die damals bekannten Vereine von überregionaler Bedeutung waren durchgängig Parteien oder Gewerkschaften. Der alsbald einsetzende Abbau der Vorbehalte bis hin zur Privilegierung durch die WRV und das GG 51 haben die nachträgliche Anerkennung praktischer Bedürfnisse von Gesamtvereinen genauso legitimiert wie die entgegen § 54 BGB erfolgte Gleichstellung der traditionellen Rechtsform von Parteien und Gewerkschaften, des nicht eingetragenen Vereins, mit dem eingetragenen.52 b) Konsequenzen der Mehrfachmitgliedschaft aa) für den Erwerb der Mitgliedschaft Da die gestufte Mehrfachmitgliedschaft im Gesamtverein eine Mitgliedschaft ist,53 bedarf es auch nur eines Mitgliedschaftserwerbs. Ob dafür der Hauptverein oder der Zweigverein zuständig ist, richtet sich nach der Satzung des Hauptvereins. Ist danach der Hauptverein zuständig, so hat die Aufnahme in den Hauptverein automatisch zugleich den Erwerb der Mitgliedschaft im (örtlich oder fachlich) maßgebenden Zweigverein zur Folge. Denn die Hauptvereinssatzung, die das anordnet, gilt auch für die Zweigvereine. Ihre Geltung muss entgegen R. Wolff 54 nicht durch eine „Rumpfsatzung“ über die Übernahme der Hauptvereinssatzung in den Zweigvereinen“ selbst legitimiert werden. Die erforderliche Legitimation durch die Mitglieder der Zweigvereine wird bereits dadurch vermittelt, dass diese auch dem Hauptverein angehören. Umgekehrt führt die in der Hauptvereinssatzung vorgeschriebene Zuständigkeit der Zweigvereine für die Aufnahme der Mitglieder dazu, dass die Mitglieder zugleich Mitglieder des Hauptver-

49 50 51 52 53 54

K. Schmidt aaO (Fn. 42) S. 97. Vgl. Kübler aaO (Fn. 2) S. 11. Auch dazu Kübler aaO (Fn. 2) S. 12 f. Vgl. MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) § 54 Rn. 1 ff. Vgl. oben II.2. R. Wolff aaO (Fn. 26) S. 21, 28.

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eins werden. Bedenken aus dem Gesichtspunkt der zwingenden Freiwilligkeit der Mitgliedschaft (arg. e § 39 BGB) bestehen in beiden Varianten nicht. Der Gesamtverein bietet eben vorbehaltlich abweichender Regelung in der Hauptvereinssatzung nur die Mehrfachmitgliedschaft an, die das Mitglied lediglich ganz oder gar nicht annehmen kann. Die Auffassung des BGH, die Hauptvereinssatzung könne die Verfassung der Zweigvereine regeln,55 mag problematisch sein. Aber sie ist jedenfalls nicht deshalb inakzeptabel, weil dem Hauptverein die Legitimation für eine Regelung der Verhältnisse des Zweigvereins fehlte oder weil der Grundsatz der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft getrennte Entscheidungen für den Erwerb der Mitgliedschaft im Hauptund im Zweigverein geböte. bb) für das Verhältnis Hauptverein – Zweigverein (1) Vorrang der Hauptvereinssatzung Da die gestufte Mehrfachmitgliedschaft im Gesamtverein eine Mitgliedschaft ist, können die Mitgliedschaftsrechte und – pflichten im Haupt- und Zweigverein nicht voneinander unabhängig gestaltet werden. Vielmehr sind sie auf Haupt- und Zweigverein „aufgespalten“, und zwar nach Maßgabe der Zuständigkeitsbereiche, die die Hauptvereinssatzung dem Hauptverein einerseits und den Zweigvereinen andererseits zuweist.56 Dabei sind die Zuständigkeiten des Hauptvereins diejenigen des großen Ganzen, in das sich die Zweigvereine einzufügen haben. Das ParteiG bestätigt das für die politischen Parteien als die einzig gesetzlich geregelten Fälle des Gesamtvereins in § 6 I 2. Denn danach regeln die Gebietsverbände der politischen Parteien „ihre Angelegenheiten durch eigene Satzungen, soweit die Satzung des jeweils nächst höheren Gebietsverbandes hierüber keine Vorschriften enthält“. In den Zweigvereinen können die Mitglieder also nur regeln, was der Hauptverein nicht in seiner Satzung sich selbst vorbehalten hat. Die Zweigvereine haben nur eine eingeschränkte Satzungsautonomie; sie sind – wie der BGH richtig sagt 57 – teilweise verselbständigte Untergliederungen. (2) Umwandlung eines bisher selbständigen Vereins in einen Zweigverein Soll ein bisher selbständiger Verein zum Zweigverein eines anderen Vereins werden, so bedarf es der Umwandlung der Einfachmitgliedschaft im bisherigen Verein in die Mehrfachmitgliedschaft im Haupt- und (neuen) 55

BGHZ 90, 331, 333. Übereinstimmend Soergel-Hadding aaO (Fn. 20) Vor § 21 Rn. 53 („Das Verhältnis der sich aus dieser Mehrfachmitgliedschaft ergebenden Rechte und Pflichten bestimmt die Satzung des Hauptvereins.“). 57 BGH NJW 2008, 69, 72. 56

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Zweigverein. Dazu reicht es nicht aus, dass die Mitglieder des zukünftigen Zweigvereins dem zukünftigen Hauptverein beitreten, denn so wird keine Mehrfachmitgliedschaft begründet, sondern lediglich eine zusätzliche Einfachmitgliedschaft. Vielmehr müssen die Satzungen des künftigen Zweigund des künftigen Hauptvereins so aneinander angepasst werden, dass die der Mehrfachmitgliedschaft entsprechende Aufspaltung der Zuständigkeiten für das große Ganze einerseits und das – örtlich oder fachlich – Besondere andererseits entsteht. Auf welchem Wege das zu geschehen hat, ist mangels Vorbilds im Parteienrecht schwer zu entscheiden. Im Schrifttum setzt man teils auf getrennte Satzungsanpassung auf der Grundlage informeller Vorabverständigung,58 teils auf einen körperschaftlichen Organisationsakt in Gestalt eines von den Vereinsvorständen abgeschlossenen Vertrags, der in jedem Fall der Zustimmung der Mitgliederversammlung des Zweigvereins mit Satzungsänderungsmehrheit, der Zustimmung der Mitgliederversammlung des Hauptvereins dagegen nur dann bedarf, wenn die „Eingliederung“ konkret die Änderung der Satzung des Hauptvereins erfordert.59 Tatsächlich liegt es nahe, sich am Umwandlungsrecht zu orientieren. Denn im Kern handelt es sich bei der Eingliederung eines Vereins als Zweigverein in einen Gesamtverein um eine Art „Teilverschmelzung“. Von der echten Verschmelzung zur Aufnahme (§§ 3 I Nr. 4, 99 UmwG) unterscheidet sie nur, dass der übertragende Verein (z.B. Tennisverein) nicht zur unselbständigen, sondern zur selbständigen Untergliederung des aufnehmenden Vereins (z.B. Mehrspartensportverein) wird. Zwar ist eine Verschmelzung nach dem UmwG lediglich möglich, wenn die beteiligten Vereine beide eingetragene Vereine sind. Auch führt die gelegentlich als Teilverschmelzung bezeichnete Abspaltung zur Aufnahme nicht – wie es mit der Eingliederung beabsichtigt ist – zur Teilung der Zuständigkeiten innerhalb eines integrierten Vereinsverbundes, sondern zur Teilung des Vermögens des übertragenden zugunsten des aufnehmenden Vereins, die danach im Prinzip umfassend als selbständige Vereine weiterbestehen. Die analoge Anwendung eines Instituts aus dem UmwG scheidet deshalb schon unabhängig davon aus, dass § 1 II UmwG die Analogie ausdrücklich verbietet.60 Doch lässt sich dem Umwandlungsrecht immerhin die Einsicht entnehmen, dass eine wie immer geartete Fusion von Vereinen zumindest eine vertragliche Einigung über Art und Umfang der Integration voraussetzt, der die Mitgliederversammlungen anschließend mittels entsprechender Anpassung der Satzungen zustimmen müssen – die Mitgliederversammlung des künfti58

Schaible aaO (Fn. 6) S. 67 ff. MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 11 mit § 5 Rn. 14. 60 Wohl kann der Rückgriff auf die Abspaltung zur Aufnahme eine etwa beabsichtigte Vermögensübertragung erleichtern, wenn die beteiligten Vereine eingetragene Vereine sind. Vgl. MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 133 f. 59

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gen Zweigvereins deshalb, weil die Zuständigkeiten und die Rechte und Pflichten sich für die Mitglieder ändern, und die Mitgliederversammlung des künftigen Hauptvereins deshalb, weil sowohl die Umwandlung eines bisher ungegliederten in einen (teilweise) gegliederten Verein als auch die Vermehrung der bisherigen Untergliederungen Strukturveränderungen und damit gem. § 25 BGB Verfassungsänderungen sind.61 Wie im Umwandlungsrecht (§ 103 UmwG) sollte zur Wirksamkeit dieser Satzungsänderungen die Dreiviertelmehrheit erforderlich, aber auch ausreichend sein. Wenn dies für die weitergehende Verschmelzung genügt, kann die weniger weitgehende Eingliederung nicht strengeren Anforderungen unterliegen. Eines zusätzlichen Beitritts der einzelnen Mitglieder des dadurch entstehenden Zweigvereins zum Hauptverein bedarf es nicht. Die Umwandlung der Einfachmitgliedschaft in die Mehrfachmitgliedschaft bewirkt automatisch, dass das Mitglied in Zukunft sowohl dem Zweig- als auch dem Hauptverein angehört. Wer das nicht will, kann – wie sonst bei Mehrheitsentscheidungen, durch die die Geschäftsgrundlage seines Beitritts entfällt – aus wichtigem Grund aus dem Gesamtverein austreten.62 Ohnehin ist es eine Illusion, wenn angenommen wird, die Angehörigen der nicht zustimmenden Minderheit könnten u.U. Einfachmitglieder des Zweigvereins bleiben.63 Wenn die Satzungsänderungen wirksam sind, steht die Einfachmitgliedschaft im Widerspruch zur Satzung. Die Dissenters erfüllen daher auf jeden Fall nicht mehr die satzungsmäßigen Voraussetzungen der Mitgliedsfähigkeit, was nach normalem Vereinsrecht das automatische Ausscheiden zur Folge hat.64 (3) Sonstige Umwandlungsfälle Will ein bisher ungegliederter Verein Zweigvereine bilden, so muss er zunächst seine Satzung ändern, indem er die zu gründenden Zweigvereine benennt, für die Zukunft die Mehrfachmitgliedschaft vorsieht und die bei ihm selbst verbleibenden Zuständigkeiten regelt. Sodann müssen die zukünftigen Mitglieder der jeweiligen Zweigvereine die nach dem Gesetz für eingetragene oder nicht eingetragene Vereine vorgeschriebenen Gründungsschritte vornehmen. Mit der Entstehung der Zweigvereine tritt die Rechtsbedingung für das Wirksamwerden der Satzungsänderung im Hauptverein, vor allem die Umwandlung der Mitgliedschaft in eine Mehrfachmitgliedschaft ein.65 Wollen umgekehrt bisher selbständige Vereine zum Gesamtverein werden, so müssen sie zunächst einen Vertrag über die Gründung eines Hauptvereins mit bestimmten, ihre Autonomie beschränkenden Zu61 62 63 64 65

MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) § 25 Rn. 4. MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) § 33 Rn. 25. MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 50. BGH LM Nr. 17 zu § 25 BGB; König aaO (Fn. 14) S. 200. MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 133.

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ständigkeiten und die Umwandlung der bisherigen Einfachmitgliedschaften in Mehrfachmitgliedschaften im Zweig- und (zukünftigen) Hauptverein, schließen, dem – dem Umwandlungsrecht entsprechend – jeweils mindestens eine Dreiviertelmehrheit der Mitglieder zustimmen muss. Danach ist der Vertrag durch Gründung des – je nach dem eingetragenen oder nicht eingetragenen – Hauptvereins und die Anpassung der Satzungen der Zweigvereine zu vollziehen.66 3. Die Anforderungen an Zweigvereine a) Der Maßstab Es bleibt die Frage, welche Anforderungen an die Selbständigkeit der Zweigvereine zu stellen sind. Die Legitimation gegenüber den Mitgliedern kann dafür entgegen verbreiteter Ansicht kein Maßstab sein.67 Denn infolge der Mehrfachmitgliedschaft ist das Handeln des Gesamtvereins gegenüber den Mitgliedern unabhängig davon legitimiert, ob der Hauptverein oder der Zweigverein handelt. Insofern ist dem BGH zuzustimmen, wenn er eine eigene Satzung des Zweigvereins als Legitimationsgrundlage für das Handeln des Vereins für entbehrlich erklärt und meint, Zweck und Organisation des Zweigvereins könnten sich auch aus der Satzung des Hauptvereins ergeben. Allerdings gibt es einen anderen Maßstab, der Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des BGH begründet, nämlich den, dass der (nicht eingetragene) Zweigverein von der sog. unselbständigen Untergliederung (Abteilung) abgegrenzt werden muss, für die der Gesetzgeber in § 30 BGB die Möglichkeit einer verfassungsunmittelbaren, d.h. nicht vom Vorstand abgeleiteten Leitung vorgesehen hat. Auch die Untergliederungen im Sinne des § 30 BGB können bereits solche sein, die „nach außen Aufgaben im eigenen Namen durch eine dafür handlungsfähige Organisation (erfüllen)“.68 Das wird schon durch das in den Protokollen zu § 30 BGB erwähnte Beispiel des „örtlichen Delegierten für Vereine“ belegt, „deren Thätigkeit sich auf ein größeres Gebiet erstreckt“.69 Der Zweigverein muss mehr sein als eine (unselbständige) Anstalt in der Trägerschaft des (Haupt-)Vereins. Es ist nicht ersichtlich, dass dieses Mehr aus etwas Anderem bestehen könnte als aus dem Recht, die durch die Satzung des Hauptvereins zugewiesene Zuständigkeit nicht nur als Selbstverwaltungseinheit, sondern auch als Selbstgesetzgebungseinheit wahrzunehmen.

66

MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 134. AA R. Wolff aaO (Fn. 26) S. 21, 28. 68 BGHZ 90, 331, 333. Der „eigene Name“ der unselbständigen Untergliederung kann darin bestehen, dass sie dem Namen des Vereins den Ort der Ortsgruppe anfügt. 69 Mugdan I S. 618. 67

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b) Die Konsequenz Eine eigene Satzung des Zweigvereins ist damit entgegen der Ansicht des BGH 70 unerlässlich. Mehr noch: Erst wegen der eigenen Satzung der Untergliederung macht es überhaupt Sinn anzunehmen, die ihr angehörigen Personen seien ihre Mitglieder. Denn die Mitgliederversammlung als Grundlagenorgan ist gegenstandslos, wenn die Grundlagen für die Tätigkeit der Untergliederung abschließend vom Hauptverein vorgegeben sind. Die Satzung des Zweigvereins selbst muss substantielle Regelungen enthalten. Eine bloße Rumpfsatzung, die sich in einer globalen Verweisung auf die Hauptvereinssatzung erschöpft, reicht nicht aus. Denn dann ist doch nur die Vereinsverwaltung dezentralisiert, nicht – wie erforderlich – das Vereinsleben. Soweit der Zweigverein eingetragener Verein werden soll, ist die eigene Satzung mit dem (Mindest-)Inhalt der §§ 57, 58 BGB schon deshalb erforderlich, weil das Registergericht ohnedem die Eintragung in das Vereinsregister ablehnt. Die Forderung, er müsse im Rahmen seiner durch die Hauptvereinssatzung bestimmten Zuständigkeit und unter Bindung an deren Vorgaben das Recht zur Selbstgesetzgebung haben, bringt insoweit materielles und formelles Recht in Einklang.

IV. Hauptsächliche Schlussfolgerungen 1. Einflussnahme des Hauptvereins a) auf die Ausübung der Satzungsautonomie des Zweigvereins Der Darstellung unter III.3. entspricht es anzunehmen, dass die Hauptvereinssatzung die Verfassung der Zweigvereine nicht abschließend regeln kann. Zwar ist eine solche Bestimmung nicht unwirksam. Aber sie macht die „Zweigvereine“ zu unselbständigen Untergliederungen. Sind die „Zweigvereine“ nicht eingetragen, so sind sie in diesem Fall Filialen und ihre Leitungen besondere Vertreter im Sinne des § 30 BGB.71 Sind sie im Vereinsregister eingetragen, so ist die Eintragung (ursprünglich) gesetzwidrig gewesen oder (nachträglich) gesetzwidrig geworden mit der Folge, dass sie nach §§ 159, 142 FGG zu löschen ist.72 Mit der Löschung tritt auch insoweit die Umwandlung in eine unselbständige Untergliederung ein. Anzuerkennen ist die Regelung der Hauptvereinssatzung, nach der die (Mitgliederversammlungen der) Zweigvereine innerhalb ihrer durch die Hauptvereinssatzung festgelegten Zuständigkeit zwar über Satzungsautonomie ver70 BGHZ 90, 331, 33 f.; ebenso schon RG JW 1927, 2363. Zustimmend Soergel-Hadding aaO (Fn. 20) Vor § 21 Rn. 53. 71 BGH NJW-RR 1986, 281. 72 MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) §§ 21, 22 Rn. 66 f.

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fügen, die Wirksamkeit der Satzungsbeschlüsse jedoch von der Zustimmung des Hauptvereins abhängt.73 Ein solcher Zustimmungsvorbehalt dient der Sicherung der Homogenität des Gesamtvereins, die ihrerseits kraft Natur der Sache in die Zuständigkeit des Hauptvereins fällt. Gegen die ungerechtfertigte, weil durch das Homogenitätsanliegen nicht gedeckte Verweigerung der Zustimmung sind die Mitglieder der Zweigvereine dadurch geschützt, dass wegen ihrer Mehrfachmitgliedschaft und damit auch über Mitgliedschaft im Hauptverein die Grenzen der Mehrheitsmacht (Treuepflicht, Gleichbehandlungspflicht) eingreifen. Kraft ihrer Treuepflicht ist die Mehrheit im Hauptverein insbesondere zur angemessenen Rücksichtnahme auf die speziellen Interessen der (Mitglieder der) Zweigvereine verpflichtet.74 Nicht einmal berührt ist die in diesem Zusammenhang zu Unrecht diskutierte 75 Frage, ob sich ein Verein in „seiner“ Satzung für Satzungsänderungen wirksam der Zustimmung eines Dritten unterwerfen kann.76 Weder ist der Hauptverein im Verhältnis zu den Zweigvereinen Dritter 77 noch geht es um Grenzen der Selbstentmündigung der Mitglieder der Zweigvereine.78 Die erste Annahme scheitert daran, dass der Hauptverein wie die Zweigvereine Bestandteil des Gesamtvereins ist, die zweite daran, dass die Mitglieder der Zweigvereine als Mitglieder des Hauptvereins weiterhin an der Regelung ihrer Angelegenheiten beteiligt sind. b) auf die Bestellung, Abberufung und Amtstätigkeit der Vorstände der Zweigvereine Bleibt man sich dessen bewusst, dass es nicht um die Selbstbestimmung der Mitglieder der Zweigvereine, sondern um die Anpassung des Einflusses an die Zuständigkeitsverteilung und damit an die Verteilung der Verantwortlichkeit im Gesamtverein geht, dann erweist sich die Anknüpfung an die Diskussion über den Einfluss Dritter auf Bestellung, Abberufung und Amtsführung des Vereinsvorstands als von vornherein verfehlt. Begründungen einer Bestellungs- und Abberufungskompetenz des Hauptvereins wie die, die Selbstbestimmung des Zweigvereins sei wegen des zwingenden Abberufungsrechts seiner Mitglieder nach § 27 II 2 BGB gewahrt,79 liegen deshalb neben der Sache. Im Parteienrecht gilt denn auch im diametralen Gegensatz dazu die Personalhoheit der Gebietsverbände (= Zweigvereine) als „wichtigstes Reservat der innerparteilichen Selbstverwaltung“.80 Dafür, dies nicht 73

AA MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 24 f. MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 141. 75 MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 23; R. Wolff aaO (Fn. 26) S. 21, 28. 76 Ausführlich dazu Steinbeck Vereinsautonomie und Dritteinfluss, 1999, S. 89, 92 ff. (ablehnend); R. Wolff Der drittbestimmte Verein, 2005, S. 112 ff. (zustimmend). 77 So die Prämisse von R. Wolff aaO (Fn. 26) S. 21, 28. 78 So MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 23. 79 So MünchHdb-Steinbeck aaO (Fn. 13) § 5a Rn. 28. 80 Seifert aaO (Fn. 5) S. 274. 74

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als eine spezifisch parteienrechtliche, sondern für Gesamtvereine schlechthin gültige Aussage zu verstehen, spricht der Unterschied von Zweigverein und unselbständiger Untergliederung. Ein kraft Hauptvereinssatzung vom Hauptverein bestellter „Vorstand“ der Zweigvereine wäre nichts anderes als ein besonderer Vertreter des Hauptvereins im Sinne des § 30 BGB, so dass der Untergliederung mangels eines Vorstands die für die Qualifikation als Verein erforderliche körperschaftliche Organisation fehlte. Das Bestellungs- und (freie) Abberufungsrecht des Hauptvereins kraft Satzung der Zweigvereine, das seinen Befürwortern vorschwebt, scheitert an der „Konstruktionsidee“ des Gesamtvereins. Denn danach ist es nicht der Zweigverein, der über die Zuständigkeit des Hauptvereins, sondern umgekehrt der Hauptverein, der – in den Grenzen der Mindestanforderungen, die die Abgrenzung des Zweigvereins von der unselbständigen Untergliederung stellt – über die Zuständigkeit der Zweigvereine entscheidet.81 Ein Recht des Zweigvereins zur „Rückverweisung“ seiner Zuständigkeit in den Hauptverein macht vor diesem Hintergrund keinerlei Sinn. Wohl ist es zulässig, dass der Hauptverein sich in seiner Satzung die (aus wichtigem Grund widerrufliche) Bestätigung der Vorstandswahl in den Zweigvereinen vorbehält. Denn dadurch trägt die Hauptvereinssatzung dem Homogenitätsbedarf des Gesamtvereins Rechnung, ohne dass dadurch die primäre Abhängigkeit der handelnden Person von der Einheit, die für das Handeln verantwortlich gemacht werden kann, aufgehoben wird.82 § 16 I ParteiG lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber diese Wertung teilt. Die dort angeordnete Beschränkung der Abberufung des Vorstands eines Gebietsverbandes (= Zweigvereins) durch die Bundespartei (= Hauptverein) setzt voraus, dass der Hauptverein sich in seiner Satzung überhaupt die Abberufung der Vorstände der Zweigvereine vorbehalten kann. Aus der Legitimation des Bestätigungsrechts des Hauptvereins durch den Homogenitätsbedarf des Gesamtvereins folgt zugleich seine Grenze: Es darf nur im Rahmen der Zuständigkeit des Hauptvereins eingesetzt werden, d.h. zur Wahrung der Einheit des Gesamtvereins nach innen und außen. Das Gleiche gilt für die Zulässigkeit von Weisungsrechten und Zustimmungsvorbehalten des Hauptvereins für bestimmte Entscheidungen und Handlungen der Zweigvereine. So kann z.B. die (Bundes-)Gewerkschaft IG Metall wegen der präjudiziellen Ausstrahlung auf die Gesamtgewerkschaft die Entscheidung des Bezirksverbandes Nordwürttemberg-Hohenzollern über ihre tarifpolitischen Forderungen von ihrer Zustimmung abhängig machen. Aber die Zustimmung verweigern kann sie nur, wenn sie dies zur Abwehr negativer Rückwirkungen auf die Gesamtgewerkschaft für erforderlich halten darf.83 81 82 83

Vgl. oben III. 2b bb (1). Ebenso Soergel-Hadding aaO (Fn. 20) Vor § 21 Rn. 53. MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 143. MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 144.

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2. Die Rechtsstellung der Mitglieder Die Mitglieder haben die allgemeinen Mitgliedsrechte und -pflichten, und zwar gegenüber Haupt- und Zweigverein. Das unter III. 2.b bb) erörterte Verhältnis von Haupt- und Zweigverein sorgt dafür, dass daraus grundsätzlich keine Friktionen entstehen. Allerdings ergeben sich aus der Eigenart der Mehrfachmitgliedschaft Besonderheiten, soweit die Rechtsausübung ihrer Natur nach nicht auf den Haupt- oder Zweigverein begrenzt werden kann. Das Mitglied kann seinen Austritt nicht auf den Haupt- oder Zweigverein begrenzen. Wenn der Gesamtverein nur die Mehrfachmitgliedschaft zulässt, muss die Austrittserklärung, um wirksam zu sein, den Austritt aus dem Gesamtverein, d.h. aus Haupt- und Zweigverein zum Inhalt haben.84 Umgekehrt können Haupt- oder Zweigverein, soweit sie nach der Hauptvereinssatzung dafür zuständig sind, ein Mitglied nur ganz aus dem Gesamtverein ausschließen.85 Auch die Selbstauflösung eines Zweigvereins kommt jedenfalls ohne Mitwirkung des Hauptvereins nicht in Betracht. Denn sie widerspricht der Hauptvereinssatzung, an die die Mitglieder des Zweigvereins wegen ihrer Mehrfachmitgliedschaft gebunden sind und über die lediglich die Mitgliederversammlung des Hauptvereins verfügen kann. Das zwingende Selbstauflösungsrecht nach § 41 BGB steht im Fall des Gesamtvereins nicht seinen vereinsförmigen Bestandteilen, sondern dem Gesamtverein, d.h. nach dessen Konstruktionsidee: dem für das Ganze zuständigen Hauptverein zu. Lediglich wenn die Hauptvereinssatzung die Selbstauflösung der Zweigvereine zulässt, bleibt dafür Raum.86 Dies wiederum ist nur sinnvoll, wenn sie nicht nur neben der Mehrfachmitgliedschaft die Einfachmitgliedschaft vorsieht, sondern auch die Möglichkeit der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte im Hauptverein schafft, die im Fall der Mehrfachmitgliedschaft in den Zweigvereinen stattfindet. 3. Das Außenverhältnis des Gesamtvereins Die Verklammerung von Haupt- und Zweigverein durch die Einheit der Mehrfachmitgliedschaft beschränkt sich auf das wechselseitige Verhältnis von Haupt- und Zweigverein und auf die Rechtsstellung der Mitglieder. Im Verhältnis zu Dritten sind Haupt- und Zweigverein selbständige Rechtssubjekte, die je für sich handeln und haften. Aus Verträgen, die im Namen und mit Vertretungsmacht für den Zweigverein abgeschlossen werden, wird also allein dieser berechtigt und (beim nicht eingetragenen Verein zusammen mit

84 MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 149. Ebenso Soergel-Hadding aaO (Fn. 20) Vor § 21 Rn. 53. 85 MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 150. 86 AA Soergel-Hadding aaO (Fn. 20) Vor § 21 Rn. 53.

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dem Handelnden, § 54 S. 2 BGB 87) verpflichtet. Auch wegen deliktischen Handelns seines Vorstands haftet außer dem Vorstandsmitglied selbst nur der Zweigverein. Obwohl der Zweigverein in der Hauptvereinssatzung verankert ist, ist sein Vorstand nicht besonderer Vertreter des Hauptvereins im Sinne des § 30 BGB, so dass – vorausgesetzt, die übrigen Voraussetzungen des § 30 BGB sind erfüllt – auch der Hauptverein haftet. Es macht gerade die Selbständigkeit einer vereinsförmigen Untergliederung aus, dass sie im Gegensatz zur unselbständigen Untergliederung nicht vom (Haupt-)Verein getragen und von einem seiner besonderen Vertreter im Sinne des § 30 BGB geleitet wird, sondern als selbstverantwortliches Rechtssubjekt existiert. Das verkennt auch der BGH, wenn er in NJW 1984, 789 formuliert, der Hauptverein erledige seine Aufgaben, soweit er sie nicht auf Bundesebene selbst erfüllen kann, „mit Hilfe der Untergliederungen, und zwar gleichgültig, ob es sich dabei um rechtlich selbständige Vereine oder unselbständige Organisationseinheiten handelt“. In der Sache korrigiert er sich denn auch alsbald, entnimmt er doch die Grundlage für den Anspruch des klagenden Vereinsmitglieds auf Freistellung von einer aus Vereinstätigkeit entstandenen Schadensersatzpflicht dem Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Hauptverein und Mitglied, nicht einem wie immer gearteten Auftragsverhältnis (mit Schutzwirkung zugunsten des Mitglieds) zwischen Haupt- und Zweigverein. Freilich bleibt der BGH die Antwort auf die Frage schuldig, wieso eine Aufgabe, die der Hauptverein auf den Zweigverein ausgegliedert hat, weil „er sie selbst auf Bundesebene nicht erfüllen kann“, trotzdem nach wie vor Aufgabe des Hauptvereins ist. Soweit der Zweigverein für seine Aufgaben nicht hinreichend mit Vermögen ausgestattet ist, mag ein Durchgriff (§ 826 BGB) auf den Hauptverein geboten sein. Eine primäre Haftung des Hauptvereins lässt sich in einem Fall wie BGH NJW 1984, 789 kaum begründen.

V. Schluss Der Jubilar Klaus Hopt gehört zu den wenigen deutschen Rechtswissenschaftlern, die man auch im Ausland kennt und schätzt. In Deutschland ist sein Name ohnehin jedem mit Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht befassten Juristen geläufig, und zwar nicht nur wegen seiner Rolle als Mitnamensgeber und hauptsächlicher Bearbeiter des fast in jeder (öffentlichen und privaten) juristischen Bibliothek vorhandenen HGB-Kommentars Baumbach/Hopt. Begründet hat Klaus Hopt sein hohes Ansehen vor allem durch grundlegende rechtsvergleichende Arbeiten zum Kapitalmarktrecht, das er in

87 AA Schaible aaO (Fn. 6) S. 120 ff.; dagegen MünchKomm-Reuter aaO (Fn. 4) Vor § 21 Rn. 151.

Der Verein im Verein

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Deutschland überhaupt erst als eigenständiges Rechtsgebiet etabliert hat. Doch auch das Non-Profit-Recht verdankt ihm wesentliche Impulse. Mich selbst verbindet in diesem Zusammenhang mit Klaus Hopt vor allem die gemeinsame Veranstaltung eines großen rechtsvergleichenden Symposions über Stiftungsrecht im Jahre 2000, aus der der gemeinsam herausgegebene Band über „Stiftungsrecht in Europa“ hervorgegangen ist. Der vorliegende Beitrag aus der anderen Säule des Non-Profit-Rechts, dem Vereinsrecht, setzt das damals begonnene Gespräch fort. Zugleich ist er dem Jubilar gewidmet in Erinnerung an die schöne Zeit 1978–1985, in der wir zusammen als noch junge Professoren der Tübinger Juristenfakultät angehörten.

Tilgungsbestimmung – quo vadis? Herbert Schimansky

„Der Begriff Tilgungsbestimmung ist eine den Parteien geläufige Rechtstatsache, die nicht erläutert werden muss.“ Diese – auf Zöller/Greger 1 gestützte – These diente dem II. Zivilsenat 2 des Bundesgerichtshofs dazu, ein Berufungsurteil aufzuheben, das die Vernehmung eines Zeugen zu der Behauptung abgelehnt hatte, Zahlungen auf Darlehensraten seien von einem bestimmten Zeitpunkt an „nur noch mit Tilgungsbestimmungen geleistet“ worden. Das Berufungsgericht hatte insoweit eine nähere Darlegung vermisst. Der unbefangene Leser wird dem Senat im Ergebnis gern zustimmen. Die verständliche Neigung der Instanzgerichte, ihre durch die staatliche Haushaltspolitik verursachte Arbeitsüberlastung mit Hilfe der Überspannung von Anforderungen an die Substanziierungspflicht der Prozessparteien auszugleichen, kann natürlich vom Bundesgerichtshof nicht unterstützt werden. Der im Urteil des II. Senats unter Tz. 16 wiedergegebene Vortrag der Klägerin hätte allerdings für sich allein ausgereicht, die Aufhebung und Zurückverweisung zu rechtfertigen. Die darüber hinausgehende allgemeine Feststellung, dass der Begriff der Tilgungsbestimmung eine den „Parteien“ 3 geläufige Rechtstatsache darstelle, erscheint allerdings kühn. Zweifel an ihrer Richtigkeit ergeben sich jedenfalls aus dem sorglosen Umgang mit diesem Begriff durch die Kommentarliteratur und sogar durch einige Senate des Bundesgerichtshofs.4

I. Ausgangspunkt Bevor wir auf den uneinheitlichen Sprachgebrauch in Literatur und Rechtsprechung eingehen, soll zunächst die zugrunde liegende gesetzliche Regelung mit den aus ihr herzuleitenden dogmatischen Grundlagen dargestellt werden: 1

ZPO 26. Aufl. § 138 Rn. 2. NJW 2008, 3438 Tz. 14 bis 16 = WM 2008, 1828 = ZIP 2008, 1870. 3 Gemeint sind die Parteien eines Vertrages oder Rechtsstreits. 4 Diesen Vorwurf muss sich übrigens auch der II. Zivilsenat gefallen lassen, der etwa in WM 2008, 1219, 1220 = ZIP 2008, 1281 = NJW-RR 2008, 1067, die von ihm geforderte Kennzeichnung einer Einzahlung als „nachträgliche Erfüllung einer Einlagenverbindlichkeit“ als ausdrückliche Tilgungsbestimmung bezeichnet. 2

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Herbert Schimansky

1. Der Begriff „Tilgungsbestimmung“ betrifft allein das dem Schuldner durch § 366 Abs. 1 BGB eingeräumte Recht zur verbindlichen Bestimmung derjenigen von mehreren Schulden, die durch eine konkrete Leistung getilgt werden soll. Nur so hat ihn auch der II. Zivilsenat in dem eingangs genannten Urteil verstanden.5 2. Im Zusammenhang mit § 366 Abs. 2 BGB ergeben sich folgende – hier nur kursorisch unter Verzicht auf Detailfragen wiederzugebende – Grundsätze: a) Eine echte Tilgungsbestimmung setzt nach § 366 Abs. 1 BGB einerseits eine Mehrheit von (gleichartigen) Schulden, zum anderen eine zur Gesamttilgung unzureichende Leistung voraus. Nur dann entsteht das den Gegenstand der Regelung bildende Problem der Zuordnung dieser (Teil-)Leistung zu einer bestimmten Einzelschuld, zur Teilerfüllung ausgewählter oder – als ultima ratio – zur verhältnismäßigen Tilgung aller offenen Forderungen. Die Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit der Tilgung einer einzelnen Verbindlichkeit verkennt die Rechtsnatur dieses dem Schuldner eingeräumten Bestimmungsrechts selbst dann, wenn die Leistung zur restlosen Erfüllung nicht ausreicht. Daran ändert die Tatsache nichts, dass es sich als notwendig erwiesen hat, den Anwendungsbereich des § 366 Abs. 1 BGB über seinen Wortlaut hinaus auf Fallgestaltungen zu erstrecken, die der gesetzgeberischen Wertentscheidung entsprechen.6 Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine an sich einheitliche Schuld in mehreren Raten zu erfüllen ist 7 oder wenn sie nachträglich – etwa durch Teilabtretung 8 – aufgespalten wird und die einzelnen Teile nunmehr mehreren Gläubigern zustehen. Auf nähere Einzelheiten braucht hier nicht eingegangen zu werden.9 b) Das Recht zur Tilgungsbestimmung steht allein dem Schuldner zu. Er ist zu einer entsprechenden Erklärung nicht verpflichtet. Unterlässt er sie, tritt die Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB ein. aa) Der Gläubiger ist zu einer einseitigen Abänderung dieser gesetzlich festgelegten – seine Belange bereits großzügig berücksichtigenden – Reihenfolge nicht berechtigt.10 Zwar ist die individualvertragliche Vereinbarung einer anderen Abfolge zulässig, die Inanspruchnahme eines alleinigen Be5

NJW 2008, 3438 Tz. 14 bis 16 = WM 2008, 1828 = ZIP 2008, 1870. BGHZ 134, 224, 229 = NJW 1997, 1580 = WM 1997, 767 = ZIP 1997, 682. 7 BGH WM 1982, 329 = ZIP 1982, 424; BGHZ 91, 375, 379 = NJW 1984, 2404 = WM 1984, 1100 = ZIP 1984, 1236 m.w.N.; BGH NJW 2008, 3438 Tz. 14 bis 16 = WM 2008, 1828 = ZIP 2008, 1870. 8 BGHZ 167, 337, 341 f. Tz. 16 f. = NJW 2006, 2845 = WM 2006, 1289 = ZIP 2006, 1636 m.w.N. 9 Vgl insoweit auch BGH NJW-RR 2009, 1053 m.w.N. 10 BGHZ 91, 375, 379 = NJW 1984, 2404 = WM 1984, 1100 = ZIP 1984, 1236; allg. Meinung. 6

Tilgungsbestimmung – quo vadis?

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stimmungsrechts des Verwenders von AGB hält jedoch einer Inhaltskontrolle nicht stand.11 bb) Ein für den Schuldner Handelnder ist an dessen Stelle zur Bestimmung der Tilgungsreihenfolge berechtigt. Der nach § 267 BGB leistende Dritte hat dieses Recht allenfalls dann, wenn die Voraussetzungen des § 366 Abs. 1 BGB gegeben sind, der Gläubiger also mehrere Forderungen gegen den Schuldner hat und die Leistung des Dritten nicht ausreicht, alle zu tilgen.12 c) Die Tilgungsbestimmung ist nach herrschender Meinung eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung.13 Sie muss freilich nicht ausdrücklich erfolgen. Vielfach ergibt sich der Wille, eine bestimmte Einzelforderung zu tilgen, bereits aus den Umständen der Leistung. Wird etwa beim Bestehen mehrerer unterschiedlich hoher Forderungen genau der Betrag einer der Forderungen gezahlt, so lässt dies den Willen erkennen, eben diese Forderung zu tilgen.14 Entsprechendes gilt, wenn der Betrag gezahlt wird, in dessen Höhe eine der Forderungen unstreitig ist.15 d) Das Recht zur Tilgungsbestimmung steht zwar dem Schuldner nur bei freiwilliger Leistung zu,16 ist aber entgegen dem Eindruck, den man aus der fälschlichen Verwendung dieses Begriffs in der Kommentierung zu § 812 BGB entnehmen könnte,17 kein Bestandteil des Leistungsbegriffs. Die Regelung des § 366 Abs. 2 zeigt vielmehr, dass selbst beim Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des ersten Absatzes Erfüllung durch Leistung auch dann eintritt, wenn eine rechtzeitige18 Tilgungsbestimmung fehlt. e) Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der vom II. Zivilsenat in der eingangs erwähnten Entscheidung 19 als allgemeinkundig behandelte 11 BGHZ 91, 375, 381 = NJW 1984, 2404 = WM 1984, 1100 = ZIP 1984, 1236; BGH NJW 1999, 2043 = WM 1999, 948 = ZIP 1999, 744. 12 MünchKomm-BGB/Krüger 5. Aufl., § 267 Rn. 15. 13 Vgl. die Nachweise in BGHZ 106, 163, 166 = NJW 1989, 1792 = WM 1989, 409 = ZIP 1989, 105; dort wird allerdings die rechtliche Einordnung offen gelassen, die Anfechtbarkeit wegen Irrtums gleichwohl bejaht. 14 BGH NJW 2008, 3438 Tz. 16 = WM 2008, 1828 = ZIP 2008, 1870 m.w.N.; zu den Besonderheiten bei der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber vgl. BGH WM 2001, 1823 = ZIP 2001, 1474 = NJW-RR 2001, 1536 und BGH NJW 2009, 2599 = WM 2009, 1514 = ZIP 2009, 1468. 15 BGH WM 1991, 195 = NJW-RR 1991, 169. 16 Nicht dagegen in der Zwangsvollstreckung: BGHZ 140, 391, 394 f. = NJW 1999, 1704 = WM 1999, 684 = ZIP 1999, 550 und nicht bei Verwertung einer sicherungshalber abgetretenen Forderung: BGH NJW 2008, 2842 = WM 2008, 1298 = ZIP 2008, 1624 (vgl. auch BGH, Urt. v. 28.06.00 – XII ZR 55/98 – nicht veröffentlicht, abrufbar unter www.bundesgerichtshof.de). 17 Vgl. etwa Soergel/Hadding BGB 12. Aufl. § 812 Rn. 82 a.E. 18 Die Frage der Rechtzeitigkeit soll unerörtert bleiben, weil sie für die hier interessierende dogmatische Einordnung ohne Bedeutung ist. 19 NJW 2008, 3438 Tz. 14 bis 16 = WM 2008, 1828 = ZIP 2008, 1870.

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Herbert Schimansky

Begriff der Tilgungsbestimmung ausschließlich das Recht des Schuldners bezeichnet, die Tilgungsreihenfolge zu bestimmen, wenn seine Leistung zur Tilgung mehrerer offener Forderungen eines 20 Gläubigers nicht ausreicht. Sie ist ausnahmslos entbehrlich. Insbesondere ist sie keine Voraussetzung für die Annahme einer „Leistung“. Auch bei ihrem Fehlen tritt Tilgung ein, dann allerdings in der durch § 366 Abs. 2 BGB festgelegten Reihenfolge.

II. Anspruch und Wirklichkeit 1. Sorgloser Umgang mit Begriffen Die zunehmende Nachlässigkeit im Umgang mit unserer Muttersprache macht leider auch vor der juristischen Terminologie nicht halt. Dabei geht die Kommentar- und sonstige Fachliteratur mit schlechtem Beispiel voran, was bei der kaum noch zu überblickenden Fülle von Beiträgen höchst unterschiedlichen Niveaus nicht überraschend ist. Die Besorgnis erregende Neigung des Bundesgerichtshofs, seine Kenntnis des neuesten Standes der wissenschaftlichen Diskussion durch akribische Auflistung sämtlicher Fundstellen zu dem jeweiligen Thema in langen Zitatenketten unter Beweis zu stellen, begünstigt dabei die gedankenlose Übernahme falscher Terminologien. Davon abgesehen werden die umfangreichen Entscheidungsgründe für den, der sie in der Praxis als Richter, Anwalt, Notar oder Kautelarjurist umsetzen muss, immer schwerer lesbar. Vor allem verleitet die Zitierlust dazu, eine eigene überzeugende Begründung des Senats durch den schlichten – selten durch zusätzliche Argumente untermauerten – „Anschluss“ an eine der aufgelisteten divergierenden Auffassungen zu ersetzen. Jedenfalls „kontaminiert“ der sorglose Umgang mit der juristischen Fachsprache in der Literatur auf die Dauer auch die Entscheidungsbegründungen des Bundesgerichtshofs. Für den Insider gibt es insoweit zwar deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Senaten, insgesamt aber leidet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erkennbar unter der Verwendung von in der Fachliteratur – gedankenlos oder absichtlich – zweckentfremdeten Begriffen. 2. Verwässerung des Begriffs „Tilgungsbestimmung“ Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die sog. „Tilgungsbestimmung“. Der für die Festlegung der Tilgungsreihenfolge geprägte Fachausdruck erobert zunehmend Problemkreise, mit denen er nichts zu tun hat.

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Im Falle der nachträglichen Aufspaltung auch mehrerer Gläubiger s.o. unter I. 2a.

Tilgungsbestimmung – quo vadis?

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a) Sowohl in der Literatur 21 als auch in der Rechtsprechung 22 findet sich bei der Erörterung von Problemen der Drittleistung im Sinne des § 267 Abs. 1 BGB immer wieder die Bemerkung, dass es einer „Tilgungsbestimmung“ des Dritten bedürfe, wenn seine Leistung Erfüllungswirkung (§ 362 Abs. 1 BGB) haben solle. Gemeint ist damit die Kundgabe seines Fremdtilgungswillens,23 die sich deutlich vom Regelungsgegenstand des § 366 BGB unterscheidet, im Übrigen aber auch nichts „bestimmt“, denn einmal kommt es nicht auf den inneren Willen des Leistenden sondern darauf an, als wessen Leistung sich seine Zuwendung bei objektiver Betrachtung aus der Sicht des Empfängers darstellt, zum anderen tritt eine Erfüllungswirkung auch nur dann ein, wenn die materiellen Voraussetzungen des § 267 Abs. 1 BGB tatsächlich vorliegen,24 der Leistende also tatsächlich „Dritter“ ist und nicht etwa zur Erfüllung einer eigenen (vermeintlichen) Verbindlichkeit zahlt. Das Gesetz spricht insoweit nur von einem „Bewirken“ der Leistung durch einen Dritten. Die Auffassung, die geschilderte Rechtsprechung zum Fremdtilgungswillen und zu seiner Erkennbarkeit für den Gläubiger sei durch die Abkehr des Bundesgerichtshofs vom Abstellen auf den „Empfängerhorizont“ im Bereicherungsrecht überholt,25 verkennt nicht nur die Bedeutung der als Beleg zitierten neueren Judikatur, sondern vermengt auch Fragen aus dem Bereich der Willenserklärungen, aus dem der Begriff des „Empfängerhorizonts“ stammt und weiterhin benutzt wird, mit einer unpräzisen Kurzbezeichnung für bestimmte Lösungen im Bereicherungsrecht.26 Insbesondere aber besteht kein nachvollziehbarer Grund für den Rückgriff auf einen Fachausdruck, der nach der gesetzlichen Regelung und nach gefestigter Rechtsprechung zur Festlegung der Anforderungen an das Vorliegen einer zur Tilgung führenden „Leistung“ nichts beizutragen hat, vielmehr das Bestehen einer wirksamen Leistung voraussetzt. b) In Entscheidungen des Bundesgerichtshofs 27 wie auch in der Kommentarliteratur 28 zum Bereicherungsausgleich taucht zudem in jüngerer Zeit leider immer wieder die Erwägung auf, es fehle an einer „Leistung“ des Schuld21 So etwa MünchKomm-BGB/Krüger 5. Aufl., § 267 Rn. 11; Bamberger/Roth-Grüneberg BGB 2. Aufl. § 267 Rn. 9 f. 18; Palandt/Heinrichs BGB, 68. Aufl. § 267 Rn. 3. 22 BGHZ 137, 89, 95 = NJW 1998, 377; BGH WM 2008, 1703 = ZIP 2008, 1911 Tz. 28. 23 BGHZ 137, 89, 95 = NJW 1998, 377; vgl. auch BGH WM 2008, 1703 = ZIP 2008, 1911 Leitsatz. 1. 24 BGHZ 75, 299, 303 m.w.N. = NJW 1980, 452 = WM 1980, 133; BGHZ 137, 89, 95 = NJW 1998, 377. 25 MünchKomm-BGB/Krüger 5. Aufl. § 267 Rn. 11. 26 Dazu unten unter II 2b). 27 BGHZ 147, 145, 151 = NJW 2001, 1855 = WM 2001, 954 = ZIP 2001, 781; BGH WM 2008, 1703 = ZIP 2008, 1911 Tz. 31; BGH WM 2009, 1271. 28 Bamberger/Roth-Wendehorst BGB 2. Aufl. § 812 Rn. 154, 157; Soergel/Hadding BGB 12. Aufl. § 812 Rn. 70, 78, 81 f.

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ners, weil dieser keine Tilgungsbestimmung getroffen habe. Diese fehlerhafte Terminologie führt jedenfalls in Gerichtsurteilen nur deshalb in der Regel zu keinem Fehler im Ergebnis, weil der Ausdruck „Tilgungsbestimmung“ anstelle 29 des allein zutreffenden Begriffs „Zweckbestimmung“ oder sogar neben ihm 30 benutzt wird. aa) Unter „Zweckbestimmung“ wird im Bereicherungsrecht eine tatsächliche Willensübereinstimmung zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger über den mit der Zuwendung verfolgten Zweck verstanden, die stillschweigend auch dadurch zustande kommen kann, dass der Zuwendende einen bestimmten Erfolg bezweckt und der andere Teil dies erkennt und die Zuwendung annimmt, ohne zu widersprechen; einseitige Erwartungen genügen dagegen nicht.31 Decken sich die Zweckvorstellungen des Zuwendenden und des Empfängers nicht, so wird vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung auf eine „objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers“ abgestellt.32 bb) Von dieser Rechtsprechung hat sich der Bundesgerichtshof entgegen einer beliebten verkürzten Darstellung in der Literatur 33 auch in neuerer Zeit nicht losgesagt. Die Behauptung, er habe bei der Frage, ob eine Zweckbestimmung vorliegt, früher auf den „Empfängerhorizont“ abgestellt, beruht auf einem Missverständnis, das wiederum auf eine unpräzise Begriffsverwendung zurückgeht. Eine Zweckbestimmung liegt nach der oben 34 dargelegten Definition nur vor, wenn beide Teile – Zuwendender und Empfänger – Vorstellungen über den Zweck der Vermögensverschiebung haben. Wenn sich diese nicht decken, wird nach wie vor auf objektive Kriterien aus der Sicht des Zahlungsempfängers abgestellt.35 Das ist es, was gemeinhin mit der Kurzformel „Empfängerhorizont“ bezeichnet wird und entscheiden soll, was im Einzelfall als maßgebender Inhalt einer wirksamen Zweckbestimmung anzusehen ist. Fehlt es dagegen beim „Zuwendenden“ an einer solchen Zweckvorstellung, so scheidet eine „Leistung“ von vornherein aus, die Sicht des 29

BGH WM 2009, 1271. BGHZ 147, 145, 151 = NJW 2001, 1855 = WM 2001, 954 = ZIP 2001, 781; in der dort als Beleg zitierten Entscheidung BGHZ 111, 382, 386 = NJW 1990, 3194 = WM 1990, 1531 = ZIP 1990, 1124 wird bezeichnenderweise allein der zutreffende Ausdruck „Zweckbestimmung“ verwendet. Vgl. ferner BGH WM 2008, 1219, 1220 Tz. 6 = ZIP 2008, 1281. 31 BGHZ 44, 321, 323 = NJW 1966, 540 = WM 1966, 65; BGHZ 115, 261, 262 f. = NJW 1992, 427 m.w.N.; BGH NJW-RR 2009, 1142 Tz. 15 = MDR 2009, 693. 32 BGHZ 40, 272, 278 = NJW 1964, 399 = WM 1964, 85; BGHZ 48, 70 = NJW 1967, 1905 = WM 1967, 686; BGHZ 58, 184, 187 f. = NJW 1972, 864 = WM 1972, 499; BGHZ 105, 365, 369 = NJW 1989, 900 = WM 1989, 315 = ZIP 1989, 313; BGHZ 122, 46, 50 = NJW 1993, 1578 = WM 1993, 1150 = ZIP 1993, 1008; BGHZ 162, 157, 160 = NJW 2005, 1356 = WM 2005, 592. 33 MünchKomm-BGB/Krüger 5. Aufl., § 267 Rn. 11. 34 S.o. aa). 35 BGHZ 162, 157, 160 = NJW 2005, 1356 = WM 2005, 592. 30

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Zuwendungsempfängers ist in diesem Fall rechtlich irrelevant. Daran hat sich nichts geändert. cc) Diese Grundsätze gelten naturgemäß nicht nur im unmittelbaren Verhältnis zwischen „Zuwendendem“ und Zuwendungsempfänger, sondern auch dann, wenn in die Vermögensverschiebung ein Dritter – in aller Regel also mindestens ein Kreditinstitut – eingeschaltet ist. Da Banken in diesen Fällen lediglich Leistungsmittler sind, kommt es allein auf die Willensübereinstimmung von „Zuwendendem“ und Zahlungsempfänger an – also auf die eben erwähnte Zweckbestimmung. An einer rechtlich relevanten Zweckvorstellung beim „Zuwendenden“ fehlt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wenn er seiner Bank keine wirksame Weisung erteilt hat. Ohne wirksame Weisung ist ihm die von ihr vorgenommene Vermögensverschiebung nicht zurechenbar. Die bloße Vorstellung des Zuwendungsempfängers, seiner Vermögensmehrung liege eine Zweckvorstellung des Kontoinhabers zugrunde, reicht für sich allein auch hier – ebenso wie bei einer direkten Zuwendung 36 – nicht aus, das Fehlen der Zweckbestimmung auszugleichen. dd) Die Zweckbestimmung hat danach ersichtlich mit einer Tilgungsbestimmung als einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärung nichts zu tun. Es geht nicht um rechtsgeschäftliche Erklärungen, sondern um die Feststellung der Zweckrichtung der Vermögensverschiebung. Nach ihr richtet sich die Wertung, „wer an wen“ geleistet hat, d.h. wer bereicherungsrechtlich als Leistender und wer als Leistungsempfänger zu gelten hat.37 Fehlt es an einer wirksamen Weisung – etwa bei Geisteskrankheit des Kontoinhabers 38, bei einem ge- oder verfälschten Überweisungsformular 39 oder fehlender (Allein-)Vertretungsmacht des „Anweisenden“ 40 – findet der Bereicherungsausgleich ohne Rücksicht auf einen etwaigen guten Glauben des Empfängers an das Vorliegen einer solchen Weisung nach den Grundsätzen der Nichtleistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB) zwischen der Bank und dem Zahlungsempfänger statt.41 ee) Dass der gute Glaube des Zahlungsempfängers an eine wirksame Weisung gegenüber der Schuldnerbank nicht geschützt wird, war allerdings in dieser Eindeutigkeit der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht

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Oben unter bb). BGHZ 72, 316, 319 = NJW 1979, 371 = WM 1979, 13. Wegen der Einzelheiten vgl. meine Ausführungen in Schimansky/Bunte/Lwowski Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. § 50 Rn. 7. 38 BGHZ 111, 382, 386 f. = NJW 1990, 3194 = WM 1990, 1531 = ZIP 1990, 1124. 39 BGH WM 1990, 1280 = ZIP 1990, 1126 = NJW-RR 1990, 1200; BGH NJW 1994, 2357 = WM 1994, 1420 = ZIP 1994, 1098. 40 BGHZ 147, 145, 150 = NJW 2001, 1455 = WM 2001, 954 = ZIP 2001, 781. 41 BGHZ 111, 382, 386 = NJW 1990, 3194 = WM 1990, 1531 = ZIP 1990, 1124; BGHZ 147, 145, 149 ff. = NJW 2001, 1855 = WM 2001, 954 = ZIP 2001, 781; BGHZ 171, 1, 5 f. Tz. 15 = NJW 2007, 1584 = WM 2007, 639; BGH WM 2008, 1211 Tz. 9 m.w.N. 37

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zu entnehmen. Dort wurde im Gegenteil u.a. auch darauf abgestellt, dass der Zahlungsempfänger im konkreten Fall positive Kenntnis vom Fehlen einer wirksamen Weisung hatte.42 Dabei handelte es sich indes lediglich um obiter dicta, aus denen nicht der Umkehrschluss gezogen werden durfte, es komme auf den „Empfängerhorizont“ des Zahlungsempfängers an.43 Von einer – zu irgendwelchen Folgerungen berechtigenden – Änderung der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann also nicht die Rede sein. Die Gegenauffassung 44 unterscheidet zudem nicht zwischen der unveränderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung einer wirksamen Zweckbestimmung 45 und derjenigen zum guten Glauben des Zahlungsempfängers an eine in Wahrheit nicht existierende Weisung des Kontoinhabers an seine Bank. Die Ursache liegt in der unreflektierten Benutzung des Schlagwortes „Empfängerhorizont“. Solche Verkürzungen erwecken den Schein juristischer Logik, laden andererseits aber zu der berühmt-berüchtigten „quaternio terminorum“ geradezu ein.46 ff) Wer der Meinung ist, die Rechtslage lasse sich einfacher begründen, wenn man statt der Zweckbestimmung auf eine „Tilgungsbestimmung“ genannte „echte Willenserklärung“ abstellt und die Rechtsprechung zur Tilgungsbestimmung nach § 366 BGB heranzieht,47 erliegt der eben genannten Versuchung und sollte das Albert Einstein zugeschriebene Motto beherzigen: „Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher!“ Am einfachsten wäre es sicher, auf Dogmatik völlig zu verzichten und zu dem Grundsatz zurückzukehren, dass sich bei der bereicherungsrechtlichen Behandlung von Vorgängen, an denen mehr als zwei Personen beteiligt sind, jede schematische Lösung verbiete.48 Das ist allerdings nicht mehr der Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

III. Folgen 1. Man könnte die Vorbehalte gegen den geschilderten Umgang mit dem Begriff der Tilgungsbestimmung als reine Sprachästhetik abtun und sich damit beruhigen, dass es allein auf das richtige Ergebnis ankomme. Wie man 42 Vgl. etwa BGHZ 66, 362, 365 = NJW 1976, 1448 = WM 1976, 707; BGH WM 1994, 2357, 2358 = WM 1994, 1420 = ZIP 1994, 1098. 43 BGHZ 147, 145, 149 ff. = NJW 2001, 1855 = WM 2001, 954 = ZIP 2001, 781; BGHZ 171, 1, 5 f. Tz. 15 = NJW 2007, 1584 = WM 2007, 639; BGH WM 2008, 1211 Tz. 9 m.w.N. 44 MünchKomm-BGB/Krüger 5. Aufl., § 267 Rn. 15. 45 S.o. aa). 46 Das berühmteste Beispiel ist die Schlussfolgerung, dass Odysseus vier Beine gehabt habe, weil er ein schlauer Fuchs war und bekanntlich alle Füchse vier Beine haben. 47 MünchKomm-BGB/Schwab 5. Aufl., § 812 Rn. 49 ff. 48 So die These von v. Caemerer JZ 1962, 385, 386.

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ohne saubere juristische Begrifflichkeit auf Dauer zu zutreffenden Resultaten gelangen will, erscheint allerdings zweifelhaft. Ein rechtlicher Diskurs ohne gemeinsame Sprache ist schlecht denkbar. Der Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ sollte jedenfalls nicht zum Leitbild für Rechtsprechung und Lehre erhoben werden. Die damit verbundene Gefahr von Missverständnissen wird durch die zunehmende Neigung verstärkt, einerseits höchstrichterliche Entscheidungen nur noch über die sog. „amtlichen“ Leitsätze wahrzunehmen, während andererseits die Formulierung dieser Leitsätze und ihre Übereinstimmung mit den Entscheidungsgründen zu wünschen übrig lässt. Dabei wird nicht immer bedacht, dass Instanzgerichte ebenso wie Rechtsanwälte und Rechtsanwender die obergerichtliche Rechtsprechung aufmerksam verfolgen und bereit sind, sie auch zu beachten. Der Bundesgerichtshof sollte ihnen entgegenkommen, indem er die Verständlichkeit seiner Erkenntnisse den Möglichkeiten derjenigen anpasst, die ihrer Muttersprache mächtig und mit der gängigen juristischen Terminologie vertraut sind – auch wenn das offenbar keine leichte Aufgabe ist. 2. Als eindrucksvolles Beispiel für das Ausmaß der inzwischen erreichten Sprachverwirrung sei ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2008 49 angeführt, das folgenden Leitsatz enthält: a) Die finanzierende Bank kann die Kaufpreisschuld des Käufers nur erfüllen, wenn sie unter Abgabe einer eigenen Tilgungsbestimmung als Dritter gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB oder als Hilfsperson des Käufers unter Übermittlung von dessen – wirksamer – Tilgungsbestimmung gemäß § 362 Abs. 1 BGB an den Verkäufer zahlt. b) Eine wirksame Tilgungsbestimmung des Käufers fehlt in der Regel, wenn der Darlehensvertrag nichtig ist. a) Betrachten wir zunächst einmal den Text der beiden Leitsätze, ohne auf die Entscheidungsgründe zurückzugreifen: aa) Der Leitsatz zu a) ist irreführend und zudem mit geltendem Recht auch sachlich unvereinbar. (1) Er stellt zunächst einmal auf „die Kaufpreisschuld“ des Käufers, also auf eine einzelne Forderung ab, die zudem in voller Höhe „getilgt“ werden sollte. Für eine Tilgungsbestimmung im Sinne des § 366 Abs. 1 BGB ist deshalb kein Raum.50 (2) Es mag in extrem seltenen Fällen vorkommen, dass ein Kreditinstitut die dem Schuldner obliegende Leistung als „Dritter“ im Sinne des § 267 Abs. 1 BGB bewirken will. Dem im Leitsatz ausdrücklich als „finanzierende Bank“ angesprochenen Institut fehlt aber mit Sicherheit ein Fremdtilgungswille; es will mit seiner Zuwendung an den Verkäufer – auch aus dessen Sicht – 49 50

WM 2008, 1703 = ZIP 2008, 1911. S.o. unter I., insbes. 2e.

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die Darlehensvaluta auszahlen, also offensichtlich für Rechnung des Kreditnehmers handeln. Abgesehen davon, dass im Rahmen des § 267 Abs. 1 BGB der Ausdruck „Tilgungsbestimmung“ verfehlt ist,51 wäre die damit vermutlich gemeinte Kundgebung eines Fremdtilgungswillens hier nicht nur de facto, sondern auch de iure ausgeschlossen, weil die materiellen Voraussetzungen des § 267 BGB unzweifelhaft nicht erfüllt sind. (3) Es widerspricht allen Grundsätzen des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, dass die Schuldnerbank irgendwelche – eigene oder vom Schuldner stammende – rechtgeschäftliche Erklärungen an den Zuwendungsempfänger zu „übermitteln“ hätte, um eine Tilgung herbeizuführen. Ob das dem Gläubiger verschlossene Deckungsverhältnis zwischen ihr und dem Schuldner wirksam ist, beurteilt sich nach der materiellen Rechtslage, nicht nach irgendwelchen Mitteilungen an den Gläubiger oder seine Bank. Der Schuldner „bewirkt“ (§ 362 Abs. 1 BGB) die von ihm geschuldete Geldleistung, indem er dem Gläubiger den entsprechenden Betrag – in bar oder auf dessen Bankkonto – zur Verfügung stellt.52 Dass der eingetretene Erfolg im bargeldlosen Zahlungsverkehr für sich allein nicht ausreicht, eine Tilgung nach § 362 Abs. 1 BGB herbeizuführen, die Vermögensverschiebung dem Schuldner, für dessen Rechnung sie erfolgt, vielmehr auch zuzurechnen sein muss, ist eine von der Übermittlung irgendwelcher Erklärungen zu trennende Frage. Diese – zugegebenermaßen komplizierten – Zusammenhänge werden durch den Leitsatz zu a) verkannt. bb) Auch der Leitsatz zu b) leidet zunächst einmal an der fälschlichen Verwendung des Begriffs der Tilgungsbestimmung und der Verkennung der Folgen des etwaigen Fehlens einer solchen Erklärung.53 Gravierender ist die Verknüpfung zwischen der Wirksamkeit einer dem Schuldner zuzurechnenden rechtsgeschäftlichen Erklärung mit der Wirksamkeit des Darlehensvertrages. Daran ändert auch die einschränkende Formulierung „in der Regel“ nichts, denn die Frage, ob eine erteilte Weisung des Schuldners an die finanzierende Bank ihm zuzurechnen ist, ist von der Wirksamkeit des Darlehensvertrages streng zu trennen. Nur wenn die Weisung aus denselben oder aus anderen Gründen unwirksam ist, fehlt es an einer die Tilgung herbeiführenden „Leistung“ des Schuldners. b) Vergleicht man den Leitsatz mit den Entscheidungsgründen, stellt man überraschende Divergenzen fest. aa) Zum besseren Verständnis sei – stark vereinfacht – der zugrunde liegende Sachverhalt wiedergegeben, wie er sich aus dem lückenhaften Tatbestand in Verbindung mit den Entscheidungsgründen ergibt: 51

S.o. unter II. 1. Vgl. meine Ausführungen in Schimansky/Bunte/Lwowski Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. § 49 Rn. 205 ff. sowie § 50 Rn. 5 ff. 53 S.o. unter I 2e. 52

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Die Beklagten hatten über einen „Geschäftsbesorger“, der über keine Erlaubnis nach dem RBerG verfügte, einen Kaufvertrag über eine Eigentumswohnung abgeschlossen. Der Kaufvertrag war trotz unwirksamer Vollmacht nach §§ 171, 172 BGB als wirksam anzusehen, weil der Geschäftsbesorger beim Abschluss eine Ausfertigung der notariellen Vollmacht vorgelegt hatte. Der zur Finanzierung des Erwerbs dienende Darlehensvertrag war dagegen vom Geschäftsbesorger namens der Beklagten ohne Vorlage einer solchen Ausfertigung abgeschlossen worden, also nichtig. Der wirksame Kaufvertrag enthielt u.a. eine Abtretung des Anspruchs der Beklagten auf Auszahlung des Darlehens an den Verkäufer und die „unwiderrufliche“ Anweisung, die Darlehensvaluta in Höhe des Kaufpreises an den Verkäufer zu zahlen. Die klagende Bank befolgte diese Anweisung. Sie verlangte im Rechtsstreit – gestützt auf ungerechtfertigte Bereicherung sowie auf die ihr vom Verkäufer abgetretene Kaufpreisforderung – Erstattung des von ihr gezahlten Kaufpreises. Der Senat hat den Bereicherungsanspruch als unbegründet angesehen, weil nach seiner Auffassung die Kaufpreisforderung durch die Zahlung der Klägerin nicht getilgt wurde. Sämtliche Einwendungen der Beklagten gegen die Wirksamkeit des Kaufvertrages hat er als nicht berechtigt angesehen, die Sache aber als nicht entscheidungsreif an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil die Klägerin wegen einer nicht geklärten Verletzung von Aufklärungspflichten die Beklagten möglicherweise von ihren Pflichten aus dem Kaufvertrag freizustellen hätte. bb) Die Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Kaufvertrages begründeten die Primärzuständigkeit des Senats. Der Leitsatz bezieht sich indes allein auf den Teil der Entscheidungsgründe, mit denen eine Tilgung der Kaufpreisforderung als nicht erfolgt angesehen worden ist. Damit ergab sich die Notwendigkeit, die Rechtsprechung aller anderen Senate zu dieser Frage zu untersuchen, um Divergenzen zu vermeiden. Das ist leider nur unzureichend geschehen. (1) Zunächst wird dem fernliegenden Gedanken nachgegangen, ob die Klägerin als „Dritte“ nach § 267 Abs. 1 BGB gezahlt hat. Die Frage wird erwartungsgemäß verneint, allerdings mit der zusätzlichen Erwägung verknüpft, damit fehle es an der „für die Erfüllung durch eine Drittleistung nach § 267 Abs. 1 BGB erforderlichen eigenen Tilgungsbestimmung der Klägerin“. Gemeint ist ersichtlich die Kundgabe eines etwaigen Fremdtilgungswillens,54 der dann korrekt aus der maßgeblichen Sicht des Verkäufers als „offensichtlich“ fehlend angesehen wird. Der Teil des Leitsatzes zu a), mit dem – alternativ – auf das Erfordernis einer eigenen Tilgungsbestimmung der Bank abgestellt wird, hat also mit dem entschiedenen Fall ersichtlich nichts zu tun, da die Klägerin als „finanzierende Bank“ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht „Dritte“ sein konnte. 54

S.o. unter II 1.

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(2) Was die Frage angeht, ob denn die von der Klägerin unzweifelhaft für Rechnung der Beklagten vorgenommene Zuwendung Tilgungswirkung hatte, wird wiederum gefragt, ob die Beklagten diese Zahlung „wirksam als Tilgung der Kaufpreisforderung bestimmt haben“. Hier wird in Abweichung von allen in diesem Zusammenhang in den Gründen zitierten Entscheidungen das Wort „Tilgungsbestimmung“ anstelle des ersichtlich gemeinten Begriffs „Zweckbestimmung“ verwendet.55 Erst dann wird die für das Urteil allein entscheidende Frage geprüft, ob die durch die Bank vorgenommene Zahlung den Beklagten zuzurechnen ist. Entgegen dem Wortlaut des Leitsatzes zu b) wird die „unwiderrufliche Anweisung“ in dem gültigen Kaufvertrag trotz der Nichtigkeit des Kreditvertrages zutreffend als potentiell wirksame „Tilgungsbestimmung“ angesehen. Entscheidend war für den Senat vielmehr der Sinngehalt dieser durch die Nichtigkeit des Darlehensvertrages nicht tangierten „Anweisung“. Zu der Ansicht, dass in ihr im konkreten Fall keine die Zurechnung rechtfertigende Weisung der Beklagten zu sehen ist, gelangt der Senat, indem er sich einer Entscheidung des XI. Zivilsenats 56 anschließt, der nach dem Grundsatz der interessengerechten Auslegung den Inhalt einer entsprechenden Klausel in einem Kaufvertrag in untrennbarem Zusammenhang mit der Abtretung des Auszahlungsanspruchs gesehen und deshalb inhaltlich auf den Fall beschränkt hat, dass ein solcher Anspruch tatsächlich begründet, der der Finanzierung dienende Darlehensvertrag also wirksam ist. Das ist ersichtlich keine Erstreckung der Nichtigkeit des Darlehensvertrages auf anderweitig erteilte Weisungen an die finanzierende Bank. (3) Zu denken gibt bei der Würdigung des Leitsatzes vor allem die Tatsache, dass in dem vom V. Zivilsenat zitierten Urteil des für das Bankrecht zuständigen XI. Zivilsenats das Wort „Tilgungsbestimmung“ nicht auftaucht. Die sich danach aufdrängende Überlegung, ob die eigenständig entwickelten, für „leitsatzwürdig“ gehaltenen Grundsätze zu Fragen des nicht zur Primärzuständigkeit des Senats gehörenden bargeldlosen Zahlungsverkehrs denn mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vereinbar sind, hat der Senat offenbar nicht angestellt.

IV. Fazit 1. Das berechtigte Verlangen des Bundesgerichtshofs an die Instanzgerichte, die Anforderungen an die Substanziierungspflicht bei allgemein geläufigen Rechtsbegriffen nicht zu überspannen, setzt einen sorgfältigen eige-

55 56

S.o. unter II 2. WM 2004, 1230 = ZIP 2004, 1492.

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nen Umgang mit solchen Begriffen voraus. Ein Revisionsgericht, das den Ausdruck „Tilgungsbestimmung“ gedankenlos für drei völlig verschiedene Rechtsinstitute benutzt, stützt seine Erwartung, dass die Tatsacheninstanzen die Verwendung dieses Begriffs in anwaltlichen Schriftsätzen unbesehen als ausreichende Darlegung des jeweils zutreffenden Sachverhalts gelten lassen, ausschließlich auf seine Stellung im Gerichtsaufbau, nicht auf Sachautorität. Die Tatsache, dass die Mehrzahl seiner Senate die erforderliche Sorgfalt bei der Benutzung juristischer Fachbegriffe anwendet, ändert daran nichts. 2. Ziel dieses Beitrags ist es, den Blick darauf zu lenken, dass die Senate des Bundesgerichtshofs auf Dauer nicht ohne ein gehöriges Maß an Selbstdisziplin auskommen werden, wenn sie glaubwürdig hohe Anforderungen an das Verantwortungsbewusstsein der Kollegen in den „unteren“ Rechtszügen stellen wollen. Dazu gehört nach meiner Ansicht in erster Linie das gemeinsame Bemühen um die Erhaltung einer einheitlichen, von allen Senaten als verbindlich angesehenen Fachsprache. a) Das schließt „Alleingänge“ von Senaten aus, die meinen, das ihnen nach der Geschäftsverteilung zugewiesene Rechtsgebiet erfordere eine autonome Begrifflichkeit. Wenn das ausnahmsweise zutreffen sollte, wäre die Abweichung vom üblichen juristischen Sprachgebrauch eindeutig als „Insellösung“ zu kennzeichnen. Dabei sollte man die zu meiner aktiven Zeit übliche „Tugend“ nicht aus den Augen verlieren, den in seiner Primärzuständigkeit tangierten Senat zu kontaktieren, bevor man „Grundsätze“ oder gar echte Leitsätze formuliert, die geeignet sind, dessen Rechtsprechungslinien zu stören. Die Auffassung, man könne es besser als der Fachsenat, ist schlicht inakzeptabel.57 Nach außen wirkt der Bundesgerichtshof zunächst einmal als einheitliches Organ. Diesem Erwartungshorizont aller Betroffenen hat sich die Rechtsprechung der einzelnen Senate unterzuordnen. Dabei sollte sie sich von der Vorstellung lösen, wissenschaftliche Streitfragen entscheiden zu müssen. Im Mittelpunkt jeder Entscheidung hat zunächst die nachvollziehbare eigene interessengerechte Lösung des konkreten Konflikts auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu stehen. Wenn dabei nicht einmal die Senate des Bundesgerichtshofs die gleiche Sprache sprechen, kann kaum erwartet werden, dass ihre Entscheidungen in der Öffentlichkeit verstanden werden. b) Das verbreitete Bemühen um eine lückenlose Darstellung des Standes der jeweiligen wissenschaftlichen Diskussion ist eher geeignet, von diesen wesentlichen Aufgaben eines Revisionsgerichts abzulenken und den Blick von vornherein auf die bisher in der Literatur erörterten Lösungsansätze einzuengen. Wirklich zukunftsweisende Entscheidungen gedeihen auf der

57 In den meisten Fällen beruht sie auf mangelnder Vertrautheit mit den entscheidungserheblichen Zusammenhängen.

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Grundlage einer eigenständigen schöpferischen Diskussion im Senat, für die die eingebrachten Lesefrüchte allenfalls die Basis bilden können. Das ist nach meiner langjährigen Erfahrung weit häufiger der Fall, als man nach der Lektüre von höchstrichterlichen Entscheidungen annehmen möchte. Umfangreiche Zitatenketten haben allenfalls Alibifunktion und sind ein Zeichen mangelnden Selbstbewusstseins: Sie tragen zur Entscheidung wenig bei, sondern belegen allenfalls, dass der Senat keinen Autor übersehen hat. Die damit zum Leitbild erhobene Vollständigkeit kostet unnötig Arbeitskraft, denn außer dem im Einzelfall „Übersehenen“ wird wohl niemand den Bundesgerichtshof an einem solchen „Fehler“ messen, wenn die Entscheidungsgründe in der Sache überzeugen. Allein darauf kommt es an und darauf sollten sie zugeschnitten sein, wenn man in ihnen nicht einen Selbstzweck sehen will.

Der funktionale Ansatz in der UNIDROIT Geneva Securities Convention vom 9. Oktober 2009 Jürgen Than I. Vorbemerkung Am 9. Oktober 2009 haben 37 Staaten und die Europäische Union die UNIDROIT 1 Convention on Substantive Rules for Intermediated Securities – die „Geneva Securities Convention“ – mit Unterzeichnung des Final Act in einer diplomatischen Konferenz in Genf verabschiedet. Zu den Unterzeichnerstaaten gehören neben Deutschland die wichtigsten Länder des internationalen Kapitalmarktes und die Europäische Union.2 Damit hat ein bedeutendes Vorhaben zur Harmonisierung des für den Erwerb, die Übertragung, Verwahrung und Verpfändung von Wertpapieren geltenden materiellen Rechts seinen vorläufigen Abschluss gefunden. Begonnen wurde dieses Projekt 2002 mit der Einsetzung einer Study Group,3 die am 23.12.2004 nach fünf Sitzungen und Präsentationen in verschiedenen Ländern 4 einen vorläufigen Entwurf für ein Übereinkommen über harmonisierte materiellrechtliche Rechtsnormen für intermediärverwahrte Wertpapiere dem Governing Council von UNIDROIT vorlegte.5 Der Ent1 UNIDROIT – Internationales Institut zur Vereinheitlichung des Privatrechts mit Sitz in Rom; Veröffentlichungen sind unter www.unidroit.org zugänglich. 2 UNIDROIT hatte zum Zeitpunkt der Unterzeichnung 63 Mitgliedstaaten. Zu den Unterzeichnerstaaten gehören u.a. Australien, Belgien, Brasilien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Indien, Italien, Japan, Luxemburg, Niederlande, Polen, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien, Südafrika, UK, USA. 3 Zu ihren 13 Mitgliedern gehörten angesehene Juristen aus Wissenschaft und Praxis aus USA, UK, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Schweiz, Kanada, Japan, Australien, Argentinien, China und Indien, vgl. UNIDROIT 2004 – Study LXXVIII – Doc. 19 S. 1. 4 So am 4. Mai 2004 in Frankfurt am Main. 5 UNIDROIT 2004 – Study LXXVIII – Doc. 18, abgedruckt in Uniform Law Review (Unif.L.Rev.) 2005 – 1/2, 10 ff.: Preliminary Draft Convention on Harmonised Substantive Rules regarding Securities held with an Intermediary. Die Arbeitssprachen von UNIDROIT sind Englisch und Französisch. Entsprechend wurde die Konvention sowohl im Entwurf als auch in der Endfassung jeweils in Englisch und in Französisch abgefasst. Da es bisher eine offizielle deutsche Übersetzung nicht gibt, werden in diesem Beitrag häufig auch die englischen Begriffe verwendet. Eine inoffizielle Übersetzung des vorläufigen Entwurfs ist

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wurf war begleitet von Erläuterungen,6 die einen interessanten Einblick in die Entstehungsgeschichte der Konvention geben. Er wurde vom Governing Council gebilligt und den Regierungen der Mitgliedstaaten zugeleitet. Beginnend im Mai 2005 wurde der vorläufige Konventionsentwurf in vier Regierungskonferenzen (Committees of Governmental Experts) in Rom diskutiert und weiterentwickelt, mit zum Teil beträchtlichen Änderungen. Nach jeder Sitzung publizierte das UNIDROIT Sekretariat die neue Fassung.7 Am Ende der vierten Konferenz am 25. Mai 2007 hatte der Entwurf nach Auffassung der Teilnehmer und des UNIDROIT Sekretariats einen Stand erreicht, der Grundlage für eine diplomatische Konferenz sein konnte. Der Governing Council stimmte dem zu. Der erste Teil der diplomatischen Konferenz fand auf Einladung der Schweizer Regierung vom 1. bis 12. September 2008 in Genf statt. In dieser Konferenz wurden nochmals wichtige Weichenstellungen für insolvenzrechtliche Sachverhalte, die Regeln von Zentralverwahrern und den gutgläubigen Erwerb vorgenommen. Ferner wurde beschlossen, zu der Konvention einen offiziellen Kommentar zu erstellen.8 Der zweite und abschließende Teil der diplomatischen Konferenz fand vom 5. bis 9. Oktober 2009 wiederum in Genf statt. Am 9. Oktober 2009 verabschiedete die Konferenz die endgültige Fassung der Konvention und empfahl für sie die Kurzbezeichnung Geneva Securities Convention.9 Beschlossen wurde auch, den als Entwurf vorgelegten Official Commentary in eine Endfassung zu bringen, in der die Grundsatzentscheidungen (policy choices) und sonstigen Punkte, die von der Konferenz zur Behandlung im Official Commentary bestimmt worden waren, enthalten sein sollen.10

veröffentlicht in WM 2005, 1109. Zur Entstehungsgeschichte siehe Thévenoz Intermediated Securities, Legal Risk, and the International Harmonisation of Commercial Law, Duke Law School Legal Studies, Research Paper No. 170, September 2007, S. 28 ff., http://ssrn.com/ abstract=1008859. 6 Explanatory Notes, UNIDROIT 2004 – Study LXXVIII – Doc. 19, abgedruckt in Uniform Law Review (Unif.L.Rev.) 2005 – 1/2, 36 ff. – im folgenden zitiert nach Unif.L.Rev. 7 Vgl. UNIDROIT 2005 – Study LXXVIII – Doc. 24, UNIDROIT 2006 – Study LXXVIII – Doc. 42, UNIDROIT 2006 – Study LXXVIII – Doc. 57, UNIDROIT 2007 – Study LXXVIII – Doc. 94. 8 Vgl. Resolution No. 2 des Final Act, UNIDROIT 2008 Conf. 11 – Doc. 47. Zum Konventionstext nach Abschluss des ersten Teils der diplomatischen Konferenz vgl. UNIDROIT 2008 Conf. 11 – Doc. 48. 9 Vgl. Resolution No. 1 des Final Act, UNIDROIT 2009 CONF. 11/2 – Doc. 41. 10 Vgl. Draft Official Commentary on the draft Convention on Substantive Rules regarding Intermediated Securities, UNIDROIT 2009 CONF. 11/2 – Doc. 5 (nachfolgend „Draft Official Commentary“). Zu den Autoren des Entwurfs des Draft Official Commentary siehe Resolution No. 2 des Final Act (Fn. 9).

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Das Übereinkommen tritt gemäß Art. 42 11 sechs Monate nach Hinterlegung der dritten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde zwischen den Staaten in Kraft, die eine solche Urkunde bei UNIDROIT als depositary hinterlegt haben.

II. Schwerpunkte der Geneva Securities Convention Zweck des UNIDROIT-Übereinkommens ist es, im grenzüberschreitenden Wertpapierverkehr für Erwerb, Verwahrung, Übertragung und Verpfändung von Wertpapieren größere Rechtssicherheit und höhere wirtschaftliche Effizienz zu schaffen, ohne dass jedoch der Anwendungsbereich auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt sein soll.12 Angesichts der seit vielen Jahren ständig gewachsenen Internationalisierung und Globalisierung des Wertpapierhandels der großen Kapitalmarktteilnehmer, deren Kunden – private wie institutionelle – es als selbstverständlich ansehen, auf allen bedeutenden Wertpapiermärkten investieren zu können, war dieses Übereinkommen überfällig. Denn zu einem erfolgreichen Wertpapierhandel gehören auch eine effiziente und sichere Abwicklung der Geschäfte und Verwahrung der gekauften Wertpapiere, an denen der Käufer eine insolvenzfeste Rechtsstellung haben will.13 Hinzukommt, dass in vielen Ländern die Wertpapierurkunde ihre ursprüngliche Bedeutung durch Immobilisierung weitgehend oder durch Entmaterialisierung ganz verloren hat,14 so dass die Bewertung der Rechtsqualität einer Depotgutschrift als Ergebnis des Kaufs von Wertpapieren noch schwieriger geworden ist. Ziel der Konvention ist es nicht, die nationalen Rechte zu vereinheitlichen. Vielmehr sollen im Wege eines funktionalen Ansatzes (functional approach) einige grundlegende Prinzipien so harmonisiert werden, dass die nationalen Rechtsordnungen in diesen Punkten kompatibel werden.15 11 Artikel ohne Gesetzesangabe beziehen sich auf den am 9.10.2009 verabschiedeten Text der Geneva Securities Convention, nachfolgend auch nur als „Konvention“ bezeichnet. 12 Explanatory Notes, Unif.L.Rev. 2005 – 1/2, 36, 74. 13 Vgl. Than Neue Rechtsentwicklungen für den grenzüberschreitenden Effektengiroverkehr, FS Kümpel (2003) S. 543. 14 Vgl. die Beiträge zu diversen Ländern in de Vauplane 20 ans de dématérialisation des titres en France – Bilan et perspectives nationales et internationales, 2005 Revue Banque Edition, Paris. 15 Explanatory Notes, Unif.L.Rev. 2005 – 1/2, 68 ff.; vgl. auch Paech Grenzüberschreitende Wertpapierverfügungen – Rechtssicherheit und Effizienz durch Kompatibilität des Depotrechts – Erläuterungen zum UNIDROIT-Konventionsentwurf, WM 2005, 1101, 1103 ff.; Pöch UNIDROIT – Entwurf einer Wertpapier-Konvention, Gedenkschr. Gruson (2009) S. 303, 306; Saager Harmonisierung des Depotrechts durch UNIDROIT – Depotrecht im Umbruch, die bank 4.2005, 22, 23; Thévenoz (Fn. 5) S. 28 ff.

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Die Konvention bezieht sich nur auf intermediated securities. Dies sind nach der Definition in Art. 1(b) Wertpapiere, die von einem Intermediär (Definition in Art. 1(d): wer geschäftsmäßig Depotkonten führt), also vor allem von einer Bank, einem Depotkonto gutgeschrieben sind, sowie Rechte an Wertpapieren aus dieser Gutschrift. Die deutsche Übersetzung bereitet insofern Schwierigkeiten, als der englische Begriff dem US-amerikanischen Uniform Commercial Code (UCC) entlehnt ist, der in Art. 8-102 (14) eine Definition des securities intermediary enthält. Für Zwecke dieses Beitrages wird die Übersetzung „intermediärverwahrte Wertpapiere“ verwendet.16 Die Konvention gliedert sich in sieben Abschnitte: – Begriffsbestimmungen, Anwendungsbereich, Auslegung (I); – Rechte des Depotkontoinhabers (II), mit der zentralen Bestimmung des Art. 9 über die Mindestrechte, die der Depotkontoinhaber durch eine Depotgutschrift erhält; – Übertragung intermediärverwahrter Wertpapiere (III), mit der weiteren zentralen Bestimmung des Art. 11 über den Erwerb von intermediärverwahrten Wertpapieren durch Depotgutschrift;17 – Integrität des intermediären Verwahrsystems (IV); – Besondere Bestimmungen über Besicherungsgeschäfte (V); – Übergangsbestimmungen (VI); – Schlussbestimmungen (VII). Gegenstand dieses Beitrages ist eine Analyse des funktionalen Ansatzes der Konvention in zwei für Anleger, Banken und sonstige Intermediäre wie auch Emittenten wichtigen Bereichen: dem Erwerb von börsengehandelten Wertpapieren durch Depotgutschrift und, damit verbunden, der Ausübung der daraus resultierenden Rechte sowie der Übertragung von Wertpapieren im Rahmen eines Verkaufs. Abschließend ist die Frage zu beantworten, ob die Konvention in diesen Bereichen ihr Ziel erreicht hat, durch einen funktionalen Ansatz die zum Teil sehr divergierenden Rechte der UNIDROIT Mitgliedstaaten zu harmonisieren.

16 „Intermediärverwahrte Wertpapiere“ wurde in der deutschsprachigen Literatur verwendet z.B. von Einsele Das UNIDROIT-Projekt zu intermediärverwahrten Wertpapieren als Konzept für eine Modernisierung des deutschen Depotrechts, WM 2005, 1109 und Paech (Fn. 15) WM 2005, 1101 sowie von Paech/Fink in der Übersetzung des vorläufigen Konventionsentwurfs in WM 2005, 1109. Mülbert Vom Ende allen sachenrechtlichen Denkens im Depotrecht durch UNIDROIT und die EU, Arbeitspapier 2009/1 rev., S. 8 (www.institut-kreditrecht.de) spricht sich mit guten Argumenten für „kontenverbuchte Wertpapiere“ aus. Diese Übersetzung ist dem Vorschlag „kontenverwahrte Wertpapiere“ von Pöch (Fn. 15) vorzuziehen. 17 Zu diesen Kernelementen und ihren Konsequenzen für das deutsche Recht vgl. Mülbert (Fn. 16) S. 8 ff.

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III. Erwerb von Wertpapieren durch Depotgutschrift Ein Anleger, der ein Wertpapier kauft, will primär die in diesem Wertpapier verkörperten Rechte erwerben. Dies gilt unabhängig davon, in welchem Land der Emittent ansässig ist, das Wertpapier als Urkunde verwahrt wird oder als Buchrecht registriert ist und wie viele Intermediäre eingeschaltet sind. Auch ist es ihm in der Regel gleichgültig, ob das Wertpapier in einer Einzel- oder einer Globalurkunde verbrieft ist oder nur als Eintragung in einem Register oder Schuldbuch existiert. Mit dem Kaufpreis bezahlt der Anleger nicht primär das Eigentum oder Miteigentum an einer Urkunde, sondern den wirtschaftlichen Wert der Mitgliedschaftsrechte einer Aktie oder der Forderungsrechte einer Schuldverschreibung. Er will in der Lage sein, an einer Hauptversammlung teilzunehmen, sein Stimmrecht oder Bezugsrechte auf neue Aktien auszuüben, Dividenden und, im Falle von Schuldverschreibungen, Zins- und Kapitalzahlungen zu erhalten. Natürlich will er auch über das einmal gekaufte Wertpapier verfügen können: durch Verkauf, Übertragung als Schenkung oder Belastung mit Sicherungsrechten zugunsten eines Dritten. Schließlich will er in seiner Rechtsposition geschützt sein gegen Zugriffe von Gläubigern seiner Depotbank oder eines weiteren zwischengeschalteten Intermediärs. Auch soll seine Depotbank nicht ohne seine Ermächtigung über seine Wertpapiere verfügen dürfen. In dieser Aufzählung fehlt der Begriff Eigentum oder Miteigentum. Er fehlt bewusst; denn hierin liegt der Schlüssel des Verständnisses des in der Konvention verfolgten funktionalen Ansatzes. Ein Vergleich der deutschen mit der US-amerikanischen Rechtsordnung soll dies – in vieler Hinsicht stellvertretend für andere Rechtsordnungen – verdeutlichen, und zwar für den Kauf börsengehandelter Wertpapiere und die Ausübung der Rechte daraus.

1. Erwerb börsengehandelter Wertpapiere in Deutschland Das an einer Börse in Deutschland ausgeführte Kaufgeschäft wird durch Lieferung der Wertpapiere im Effektengiroverkehr am zweiten Börsenhandelstag nach dem Handelstag, an dem auch der Käufer den Kaufpreis zu zahlen hat und der Verkäufer den Verkaufserlös erhält, erfüllt. Grundlage des Effektengiroverkehrs ist die Girosammelverwahrung von Wertpapieren durch die Clearstream Banking AG in Frankfurt am Main (CBF) als Wertpapiersammelbank im Sinne von § 1 Abs. 3 DepotG. Sie ist im internationalen Sprachgebrauch der Central Securities Depository (CSD), der in Deutschland das Wertpapierabwicklungssystem (securities settlement system im Sinne der Definition in Art. 1(n)) betreibt; sie fällt auch unter die Definition des Intermediärs in Art. 1(d). Kern des Effektengiroverkehrs ist die Übertragung von Miteigentumsanteilen an einem Sammelbestand von Wertpapieren

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(Einzel- oder Globalurkunden oder Sammelschuldbuchforderungen 18), ohne dass Wertpapierurkunden bewegt werden. Der Erwerb vollzieht sich durch rechtsgeschäftliche Übertragung des Miteigentums vom Verkäufer auf den Käufer durch dingliche Einigung und Umbuchung nach § 929 BGB auf der Grundlage der Depotbuchungen der CBF und der Depotbank des Erwerbers.19 Die Depotbank des Verkäufers gibt dazu als durch den Verkaufsauftrag ihres Kunden Ermächtigte im eigenen Namen (§ 185 Abs. 1 BGB) die Einigungsofferte „an den, den es angeht“ ab, indem sie die CBF anweist, ihr dort geführtes Depotkonto zu belasten. Die CBF nimmt die Einigungsofferte als Stellvertreter des Käufers „für den, den es angeht“ an 20 und stellt das Besitzmittlungsverhältnis von der Depotbank des Verkäufers auf die Depotbank des Käufers um, indem sie am Erfüllungstag die Wertpapiere dem Depotkonto der Bank des Käufers gutschreibt. Diese nimmt ihrerseits auf dem Depotkonto ihres Kunden eine entsprechende Girosammeldepotgutschrift vor beziehungsweise hat sie schon unmittelbar nach Abschluss des Börsenhandelsgeschäftes vorgenommen.21 Mit Wirksamwerden der CBFGutschrift wird auch die Depotgutschrift auf dem Depotkonto des Erwerbers wirksam. Der Verkäufer verliert hierdurch sein bisheriges Miteigentum an den verkauften Wertpapieren, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob und wann seine Depotbank sein Depotkonto entsprechend belastet. Das Miteigentum geht vom Verkäufer unmittelbar ohne Zwischenerwerb einer der in die Übereignungskette eingeschalteten Institute auf den Käufer über.22 Ist die Eurex Clearing AG als zentrale Gegenpartei in die Abwicklung von Börsenhandelsgeschäften eingeschaltet, die Vertragspartei sowohl der Verkäuferbank als auch der Käuferbank wird, so tritt sie hinsichtlich der Einigung an die Stelle der CBF.23 Die erforderliche Besitzumstellung findet in den 18 Vgl. § 6 Abs. 2 Bundesschuldenwesengesetz vom 12. Juli 2006 (BGBl. I, 1466), das die inhaltsgleiche Norm des § 8 Abs. 2 Bundeswertpapierverwaltungsgesetz vom 11. Dezember 2001 abgelöst hat: „Die Sammelschuldbuchforderung gilt als Wertpapiersammelbestand. Die Gläubiger der Sammelschuldbuchforderung gelten als Miteigentümer nach Bruchteilen.“ 19 Vgl. Heinsius/Horn/Than Depotgesetz, 1975, § 6 Rz. 67 ff., 84; MünchKommHGB/ Einsele 2. Aufl. 2009, Depotgeschäft, Rz. 98 ff., 108 f.; Decker/Kümpel Das Depotgeschäft, 2. Aufl. 2007, Rz. 8/336 ff.; Schimansky/Bunte/Lwowski-Gößmann/Klanten BankrechtsHandbuch, 3. Aufl. 2007, § 72 Rz. 102 ff. 20 So Heinsius/Horn/Than (Fn. 19) § 6 Rz. 84; MünchKommHGB/Einsele (Fn. 19) Rz. 104; aA Decker/Kümpel (Fn. 19) Rz. 8–336, 338: Weiterleitung als Empfangsbote. Auf die Unterscheidung kommt es im Rahmen dieses Beitrages nicht an. 21 Sogenannte vorgezogene (bedingte) Depotgutschrift, die erst mit der Gutschrift der Wertpapiere auf dem Depotkonto der Käuferbank bei der CBF am Erfüllungstag, dem zweiten Börsenhandelstag nach Abschluss des Geschäfts, wirksam wird, vgl. Heinsius/ Horn/Than (Fn. 19) § 6 Rz. 87; Decker/Kümpel (Fn. 19) Rz. 8/337a; Schimansky/Bunte/ Lwowski-Gößmann/Klanten (Fn. 19) Rz. 105; Than The Preliminary Draft UNIDROIT Convention and Capital Market Practice in Germany, Unif. L. Rev. 2005-1/2, 263, 269. 22 H.M., vgl. MünchKommHGB/Einsele (Fn. 19) Rz. 101. 23 Vgl. Decker/Kümpel (Fn. 19) Rz. 339a; MünchKommHGB/Einsele (Fn. 19) Rz. 102, 105, 110; siehe auch Horn Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung

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Fällen des Netting nicht durch die CBF, sondern auf der Ebene der Clearingmitglieder und Depotbanken im Verhältnis zum verkaufenden und kaufenden Kunden statt.24 Soweit eine Verkäuferbank nicht durch Netting ausgeglichene Spitzenbeträge liefern muss, bleibt jedoch die CBF in die Besitzumstellung eingeschaltet. Als Fazit ist festzuhalten, dass in Deutschland der Käufer börsengehandelter Wertpapiere im Rahmen des Effektengiroverkehrs rechtsgeschäftlich Miteigentumsanteile an dem von der CBF verwahrten beziehungsweise bei ihr verbuchten Sammelbestand derivativ vom Verkäufer erwirbt, wobei die Gutschrift dieser Miteigentumsanteile auf dem bei seiner Depotbank geführten Depotkonto allein keine konstitutive Wirkung hat.25 Sowohl auf der Käuferseite als auch auf der Verkäuferseite dokumentieren die Gutschrifts- und die Belastungsbuchung nur den rechtsgeschäftlich vollzogenen Übergang des Miteigentums. Als Miteigentümer ist der Depotkontoinhaber grundsätzlich zur Geltendmachung der in dem Wertpapier verkörperten Rechte gegenüber dem Emittenten berechtigt. 2. Erwerb börsengehandelter Wertpapiere in den USA Dem deutschen Effektengiroverkehr entspricht wirtschaftlich in den USA die Übertragung von Wertpapieren nach Art. 8 des Uniform Commercial Code (UCC), wenngleich rechtlich zum Teil erhebliche Unterschiede bestehen. Grundsätzlich sind Übertragungen im unmittelbaren Verwahrsystem (direct holding system) und im mittelbaren Verwahrsystem (indirect holding system) zu unterscheiden.26 a) Unmittelbares Verwahrsystem – direct holding system Auch nach der grundlegenden Reform des UCC von 1994 kann ein Anleger unmittelbar eine Aktie erwerben und als Aktionär im Aktionärsregister eines zentralen Kontrahenten an der Börse – Sachenrechtliche Aspekte, WM 2002, Sonderbeilage 2, S. 1, 19. 24 Horn (Fn. 23) WM 2002, Sonderbeilage 2, S. 17 f.; vgl. aber die kritische Analyse des Eigentumsübergangs nach den Bedingungen der Eurex Clearing AG in MünchKommHGB/Einsele (Fn. 19) Rz. 110. 25 Soweit § 24 Abs. 2 DepotG den Übergang des Miteigentums auf den Käufer an die Depotgutschrift knüpft, geht diese Bestimmung ins Leere, weil im Effektengiroverkehr das Miteigentum nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts jeweils schon früher auf den Käufer übergegangen ist; vgl. Heinsius/Horn/Than (Fn. 19) § 24 Rz. 37; siehe auch Einsele Wertpapiere im elektronischen Bankgeschäft, WM 2001, 7, 12. 26 Zu den deutschsprachigen Darstellungen siehe Einsele Das neue US-amerikanische Wertpapierrecht als Modell für einen funktionsfähigen Effektengiroverkehr, RIW 1997, 269 ff.; Gruson Die Doppelnotierung von Aktien deutscher Gesellschaften an der New Yorker und Frankfurter Börse: die so genannte Globale Aktie, AG 2004, 358, 369 ff.; Donald Die Übertragung von Kapitalmarktpapieren nach dem US-amerikanischen Uniform Commercial Code (UCC) WM 2008, 526 ff.

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eingetragen werden. Er erwirbt die Aktie und alle mit ihr verbundenen Rechte durch Erlangung des Besitzes an der indossierten Aktienurkunde (Art. 8-301 (a)(1) UCC) oder, bei nicht verbrieften Aktien, durch Eintragung ins Aktionärsregister (Art. 8-301 (b)(1) UCC). In beiden Fällen kann auch ein Dritter für Rechnung des Anlegers den unmittelbaren Besitz innehaben oder ins Aktionärsregister eingetragen werden (Art. 8-301 (a)(2) und (b)(2) UCC). Dieser Dritte darf jedoch kein „securities intermediary“ sein. Darunter fallen nach der Definition in Art. 8-102 (14) UCC eine clearing corporation (Art. 8-102 (5) UCC) sowie Personen, die im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit Depotkonten (securities accounts, Art. 8-501 (a) UCC) für andere führen und in dieser Eigenschaft tätig werden, insbesondere also Banken und Broker. Dies bedeutet, dass die weitaus häufigsten Fälle des Erwerbs börsengehandelter Wertpapiere nicht im unmittelbaren, sondern im mittelbaren Verwahrsystem nach Art. 8-501 UCC stattfinden. b) Mittelbares Verwahrsystem – indirect holding system Die Übertragung von Wertpapieren, die in einem Wertpapierdepot bei einem securities intermediary verbucht sind, richtet sich nach den Vorschriften über das mittelbare Verwahrsystem des Art. 8-501 bis 511 UCC. Die Funktion des central securities depository – vergleichbar mit derjenigen der Clearstream Banking AG – nimmt in den USA die Depository Trust and Clearing Company (DTCC) in New York wahr. Ihr angeschlossen sind Banken und Broker als Teilnehmer des von ihr betriebenen Abwicklungsund Verwahrsystems für Wertpapiergeschäfte. Als Verwahrstelle fungiert die Depository Trust Company (DTC), als zentraler Kontrahent die National Securities Clearing Corporation (NSCC), beides Tochtergesellschaften der DTCC.27 Kauft beispielsweise ein Anleger 100 General Motors Aktien, führt sein Broker diesen Auftrag aus und erhält auf seinem bei der DTC geführten Depotkonto am Erfüllungstag eine entsprechende Depotgutschrift. Er selbst schreibt die gekauften Aktien dem bei ihm geführten Depotkonto seines Kunden gut. Zwischen Broker und DTC können auch ein oder mehrere weitere Banken als securities intermediaries stehen, je nach dem wie der Broker die Abwicklung seines Wertpapiergeschäfts organisiert hat. In den Aktionärsregistern ist für alle über die DTC verbuchten Aktien die Cede & Co. eingetragen, die als nominee für die DTC tätig wird. Weder der einzelne Anleger noch dessen Depotbank treten gegenüber dem Emittenten in Erscheinung. Die Rechtsposition, die der kaufende Anleger mit der Gutschrift auf seinem Depotkonto erhält, bezeichnet Art. 8-501 (b)(1) UCC als security entitlement. Dies ist weder Eigentum oder Miteigentum noch eine rein 27

Vgl. Donald (Fn. 26) WM 2008, 526, 529.

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schuldrechtliche Position, sondern eine durch Art. 8 UCC 1994 eigens für den Wertpapierhandel geschaffene Wertpapierberechtigung sui generis (Definition in Art. 8-102 (17) UCC mit Verweis auf Part 5 von Art. 8), die sowohl vertragliche als auch dingliche Elemente umfasst.28 Die im Rahmen dieses Beitrages wesentlichste Rechtswirkung eines security entitlement besteht darin, dass der Inhaber des Depotkontos durch die Depotgutschrift nur Rechte gegen seinen securities intermediary erhält, nicht aber gegen den Emittenten der Wertpapiere. Das securitiy entitlement verkörpert also nicht Miteigentum im Sinne des deutschen Effektengiroverkehrs, sondern lässt sich als ein Bündel von Rechten bezeichnen, die teils aus der Depotkontovereinbarung, teils aus den gutgeschriebenen Wertpapieren fließen, sich aber – von Ausnahmefällen abgesehen 29 – stets nur gegen den das Depotkonto führenden securities intermediary richten.30 Diese gegen den jeweiligen securities intermediary gerichtete Rechtsposition setzt sich auf jeder Stufe einer Verwahrpyramide bis zur DTC fort. Erst die DTC ist über ihren nominee Cede & Co. aus eigenem Recht in der Lage, Rechte aus den Wertpapieren unmittelbar gegenüber dem Emittenten auszuüben. Art. 8-503 (c) UCC legt fest, dass der Inhaber eines security entitlement seine Rechte gegen den securities intermediary nur gemäß den Regelungen in Art. 8-505 bis 508 UCC ausüben kann. So hat der securities intermediary nach Art. 8-505 (a) UCC dafür Sorge zu tragen, dass er Zahlungen und sonstige Ausschüttungen des Emittenten erhält. Anschließend ist er zur Weiterleitung an den Inhaber des securitiy entitlement, also an seinen Depotkunden, verpflichtet (Art. 8-505 (b) UCC). Art. 8-506 UCC verpflichtet den securities intermediary zur Ausübung von sonstigen Rechten aus den oder in Bezug auf die Wertpapiere, wenn er durch den Depotkunden (entitlement holder, Definition in Art. 8-102 (7) UCC) entsprechend angewiesen wird. Hierunter fällt beispielsweise die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien, die der securities intermediary entweder selbst durchzuführen oder zu veranlassen hat oder die er dem entitlement holder ermöglichen muss, beispielsweise durch Ausstellung einer Vollmacht.31 Art. 8-507 (a) UCC verpflichtet den securities intermediary, Verfügungen (entitlement orders, Definition in Art. 8-102 (8) UCC) seines Depotkunden auszuführen, beispielsweise einen Verkauf oder eine sonstige Übertragung der Wertpapiere.

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Gruson (Fn. 26) AG 2004, 358, 370. Art. 8-503 (b) UCC spricht vom „entitlement holder’s property interest“, das jedoch nicht unserem Miteigentum gleichgesetzt werden kann. 29 Vgl. Donald (Fn. 26) WM 2008, 530 Fn. 78: Gegenüber einem dritten Erwerber im Falle der Insolvenz des securities intermediary und einer Unterdeckung in der betreffenden Gattung sowie weiteren in Art. 8-503(d) UCC festgelegten Voraussetzungen. 30 Vgl. Gruson (Fn. 26) AG 2004, 358, 370. 31 Einsele (Fn. 26) RIW 1997, 269, 271.

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Ein security entitlement wird durch Depotgutschrift originär und nicht durch Übertragung vom Veräußerer auf den Erwerber derivativ erworben. Wenn auch im Gesetzestext so nicht ausdrücklich geregelt, erlischt das security entitlement mit der Belastung (Abbuchung) des Depotkontos des Veräußerers. Es entsteht neu für den Erwerber durch die Gutschrift auf dessen Depotkonto (Art. 8-501 (b)(1) UCC).32 Als Fazit ist für die Rechtslage in den USA nach Art. 8-501 UCC festzuhalten, dass im mittelbaren Verwahrsystem Wertpapiere nicht durch Übertragung erworben werden (abgeleiteter Erwerb), sondern der Anleger durch die Depotgutschrift originär ein security entitlement erlangt, das ihm Rechte in Bezug auf die gekauften Wertpapiere nur gegen seinen unmittelbaren securities intermediary gewährt. Der Verkäufer verliert sein security entitlement mit der Belastung seines Depotkontos. Gutschrift und Belastung sind in ihren Rechtswirkungen nicht mit einander verbunden. Anders als im deutschen Effektengiroverkehr kommt zwischen Verkäufer und Käufer kein dingliches Rechtsgeschäft zustande.33

IV. Der funktionale Ansatz in der Geneva Securities Convention In der Präambel der Konvention geben die Unterzeichnerstaaten der Überzeugung Ausdruck, „that a functional approach in the formulation of rules to accommodate the various legal traditions would best serve the purposes of this Convention“. Schon die Explanatory Notes zum vorläufigen Entwurf der Konvention im Jahr 2004 zeigen, welche Bedeutung ihre Verfasser dem funktionalen Ansatz beigemessen haben.34 Man war sich bewusst, dass eine Harmonisierung der nationalen Rechte des Erwerbs, der Verwahrung und Verwaltung sowie der Übertragung und Verpfändung von Wertpapieren unter Umständen tief in Kernbereiche der nationalen Rechtsordnungen eingreifen würde. Handels-, Gesellschafts-, Sachen- und Insolvenzrecht könnten einem unerwünschten Anpassungsdruck ausgesetzt sein, der entweder einen nationalen Gesetzgeber zur Aufgabe traditioneller Rechtsprinzipien oder den Staat zur Ablehnung der Konvention zwingen würde. UNIDROIT wollte deshalb einen Mittelweg gehen. Die Konvention sollte nicht nach den Regeln nationaler Rechte gestaltet werden, sondern mit ihren Bestimmungen weitestgehend nur fakten-basierte Ziele und zu erreichende Ergebnisse vorgeben. Wie diese Ziele und Ergebnisse rechtstechnisch erreicht werden, sollte den 32 Gruson (Fn. 26) AG 2004, 358, 370 unter Hinweis in Fn. 117 auf den Official Comment 5 zu Art. 8-501 UCC; vgl. auch Donald (Fn. 26) WM 2008, 526, 531 und Einsele (Fn. 26) RIW 1997, 269, 271. 33 Gruson (Fn. 26) AG 2004, 358, 370. 34 Explanatory Notes (Fn. 6) Unif.L.Rev. 2005-1/2, 70 ff.

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nationalen Gesetzgebern überlassen bleiben.35 Es war daher ausgeschlossen, in der Konvention zwingend vorzuschreiben, dass ein Depotkontoinhaber mit der Gutschrift auf seinem Depotkonto Eigentum oder Miteigentum im Sinne des deutschen Rechts an den Wertpapieren erhält. Dies würde den USamerikanischen Gesetzgeber zur Aufgabe des security entitlement-Systems des Art. 8-501 UCC zwingen. Umgekehrt sollten Rechtsordnungen wie die deutsche oder die französische nicht zur Ersetzung ihres auf das Miteigentum gegründeten Rechtskonzeptes und zur Einführung eines security entitlement-Systems gezwungen werden.36 Äußerlicher Ausdruck des funktionalen Ansatzes ist neben der nur beschreibenden Darstellung des zu erreichenden Ergebnisses die weitgehende Neutralität der Sprache. So werden Begriffe wie property, ownership oder good faith bewusst vermieden, weil sie in den einzelnen Rechtsordnungen Unterschiedliches bedeuten können und vielfach eine ganz bestimmte Rechtstradition verkörpern. Allerdings muss der funktionale Ansatz auch Grenzen haben. Wo der Zweck der Konvention eine einheitliche Rechtspraxis erfordert, regelt die betreffende Konventionsbestimmung auch Details und erlaubt keine Abweichungen, so beispielsweise in Art. 9 für den Erwerb von intermediärverwahrten Wertpapieren durch Gutschrift auf einem Depotkonto. Das nationale Recht, das Nichtübereinkommensrecht (non-Convention law, Definition in Art. 1 (m)) in der Terminologie der Konvention, muss mit allen zwingenden Bestimmungen der Konvention vereinbar sein. 1. Erwerb von intermediärverwahrten Wertpapieren und Ausübung der darin verkörperten Rechte Die Konvention bezieht sich nur auf intermediated securities, die hier mit intermediärverwahrte Wertpapiere übersetzt werden.37 Dies sind nach der Definition in Art. 1 (b) die auf einem Depotkonto (securities account) von einem Intermediär gutgeschriebenen Wertpapiere. Sie werden nach der zentralen Bestimmung des Art. 11 (1) durch Gutschrift auf einem Depotkonto erworben. Für die Wirksamkeit des Erwerbs gegenüber Dritten sind nach Art. 11 (2) keine weiteren Schritte erforderlich (no further step-rule); sie dürfen auch nicht nach dem Nichtübereinkommensrecht oder einer sonstigen im 35

Explanatory Notes (Fn. 6) Unif.L.Rev. 2005-1/2, 70. Kritisch zum funktionalen Ansatz Mülbert (Fn. 16), S. 12 ff., 19 f., der in Art. 11 die Grundlage für das Separationsprinzip des US-amerikanischen UCC sieht, dh für einen originären und nicht für einen vom Veräußerer abgeleiteten Erwerb des Rechtebündels. Zum pro und contra einer Übernahme des US-amerikanischen Systems der „intermediated securities“ in das französische Recht vgl. Drummond Intermediated securities: reflections on a new concept in French financial markets law, Law and Financial Markets Review 2007, 435, 438 ff. 37 Zur Übersetzung so Fn. 16. 36

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Insolvenzverfahren anwendbaren Rechtsregel vorgeschrieben werden. Allerdings können gemäß Art. 16 Depotgutschriften mit einer Bedingung versehen werden, sofern dies nach dem Nichtübereinkommensrecht zulässig ist. Diese Bestimmung ermöglicht es beispielsweise deutschen und französischen Kreditinstituten, ihre Praxis der vorgezogenen Depotgutschrift beizubehalten.38 Mit der Depotgutschrift erwirbt der Depotkontoinhaber nach Art. 9 (1) ein Bündel von Rechten.39 Dies sind (a) das Recht, alle sich aus den Wertpapieren ergebenden Rechte (rights attached to the securities) zu erhalten und auszuüben, einschließlich Dividenden, andere Ausschüttungen und Stimmrechte, vorausgesetzt der Depotkontoinhaber ist nicht selbst wieder ein Intermediär, der nicht für eigene Rechnung handelt; (b) das Recht, eine Verfügung (disposition) nach Art. 11 vorzunehmen oder ein Recht nach Art. 12 einzuräumen; (c) das Recht, durch Anweisungen (instructions) den maßgeblichen Intermediär zu veranlassen, dass die Wertpapiere auf andere Weise als durch Verbuchung auf einem Depotkonto gehalten werden, zum Beispiel nach Auslieferung effektiver Urkunden durch den Depotkontoinhaber selbst, soweit dies rechtlich möglich ist; 38

Vgl. Fn. 21. Art. 9 „Intermediated Securities“ lautet: 1. The credit of securities to a securities account confers on the account holder: (a) the right to receive and exercise any rights attached to the securities, including dividends, other distributions and voting rights: (i) if the account holder is not an intermediary or is an intermediary acting for its own account; and (ii) in any other case, if so provided by the non-Convention law; (b) the right to effect a disposition under Article 11 or grant an interest under Article 12; (c) the right, by instructions to the relevant intermediary, to cause the securities to be held otherwise than through a securities account, to the extent permitted by the applicable law, the terms of the securities and, to the extent permitted by the non-Convention law, the account agreement or the uniform rules of a securities settlement system; (d) unless otherwise provided in this Convention, such other rights, including rights and interests in securities, as may be conferred by the non-Convention law. 2. Unless otherwise provided in this Convention: (a) the rights referred to in paragraph 1 are effective against third parties; (b) the rights referred to in paragraph 1(a) may be exercised against the relevant intermediary or the issuer of the securities, or both, in accordance with this Convention, the terms of the securities and the applicable law; (c) the rights referred to in paragraph 1(b) and 1(c) may be exercised only against the relevant intermediary. 3. If an account holder has acquired a security interest, or a limited interest other than a securitiy interest, by credit of securities to its securities account under Art. 11 (4), the non-Convention law determines any limits on the rights described in paragraph 1 of this Article. 39

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(d) alle anderen Rechte einschließlich Rechte an den Wertpapieren (rights and interests in securities), die nach dem Nichtübereinkommensrecht durch eine Depotgutschrift eingeräumt werden können, soweit das Übereinkommen nichts anderes bestimmt, zum Beispiel Miteigentum an den Wertpapieren. Soweit nicht anders in der Konvention geregelt, sind nach Art. 9 (2) (a) die in Art. 9 (1) bezeichneten Rechte Dritten gegenüber wirksam; können (b) die in Art. 9 (1)(a) bezeichneten Rechte gegenüber dem maßgeblichen Intermediär oder gegenüber dem Emittenten oder gegenüber beiden nach Maßgabe des Übereinkommens, den Bedingungen der Wertpapiere und der anzuwendenden Rechtsordnung ausgeübt werden; und können (c) die in Art. 9 (1)(b) und (c) bezeichneten Rechte nur gegenüber dem maßgeblichen Intermediär ausgeübt werden. Diese Regelungen sind der funktionale Ansatz, um sowohl einer Rechtsordnung wie der deutschen als auch einer Rechtsordnung wie der US-amerikanischen die Beibehaltung ihrer wesentlichen Grundprinzipien für den Erwerb von intermediärverwahrten Wertpapieren und die Ausübung der Rechte daraus zu ermöglichen. Der US-amerikanische Gesetzgeber braucht an Art. 8 UCC wohl nichts zu ändern, der deutsche Gesetzgeber müsste allerdings der Depotgutschrift eine stets konstitutive Wirkung verleihen und bedingte Depotgutschriften ausdrücklich zulassen. Beides sind jedoch nur überfällige Anpassungen an die seit langem geübte Praxis, ohne dass grundlegende Rechtsprinzipien aufgegeben werden müssen. Im Einzelnen: Weder Art. 9 noch Art. 11 sprechen von Eigentum oder Miteigentum an den Wertpapieren oder von einem security entitlement.40 Nach Art. 11(1) „erwirbt“ der Depotkontoinhaber durch die Depotgutschrift intermediärverwahrte Wertpapiere.41 Art. 9 (1) und (2) präzisieren, 40 Der Ende 2004 von der Study Group vorgelegte vorläufige Konventionsentwurf sah in dem seinerzeitigen Art. 2 (1)(a) als Vorläufer des jetzigen Art. 9 (1)(a) noch die Formulierung vor: „… the right to receive and enjoy the fruits of ownership of the securities …“ Dies wurde in der ersten Regierungskonferenz als nicht neutral genug für einen funktionalen Ansatz angesehen und geändert in „… rights to receive and exercise the rights attached to the securities …“; vgl. UNIDROIT 2005 Study LXXVIII – Doc. 24, Art. 4. 41 Art. 11 „Acquisition and disposition by debit and credit“ lautet: 1. Subject to Article 16, intermediated securities are acquired by an account holder by the credit of securities to that account holder’s securities account. 2. No further step is necessary, or may be required by the non-Convention law or any other rule of law applicable in an insolvency proceeding, to render the acquisition of intermediated securities effective against third parties. 3. Subject to Articles 15 and 16, intermediated securities are disposed of by an account holder by the debit of securities to that account holder’s securities account. 4. A security interest, or a limited interest other than a security interest, in intermediated securities may be acquired and disposed of by debit and credit of securities to securities accounts under this Article. 5. Nothing in this Convention limits the effectiveness of debits and credits to securities accounts which are effected on a net basis in relation to securities of the same description.

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was dies nach der Konvention bedeutet. Der Depotkontoinhaber soll die sich aus den Wertpapieren ergebenden Rechte (rights attached to the securities) „erhalten“ (receive) und „ausüben“ (exercise) können. Das Recht auf Dividende, andere Ausschüttungen und das Stimmrecht werden als Mindestbeispiele genannt. Ein bestimmtes dogmatisches Konzept wird, abgesehen von der zwingend konstitutiven Wirkung einer Depotgutschrift, nicht vorgegeben. Zwingend ist nur, dass der Depotkontoinhaber in den Genuss der in dem Wertpapier verkörperten Rechte kommen soll. Ob er dazu Eigentum oder Miteigentum oder nur eine schuldrechtliche Position mit oder ohne quasi-dinglichen Schutz wie bei einer Treuhandlösung deutscher Prägung 42 oder eine Rechtsposition sui generis wie das US-amerikanische security entitlement oder Bucheffekten Schweizer Prägung 43 erhält, wird dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Eine weise Entscheidung. Jeder rechtsdogmatische Ansatz in die eine oder andere Richtung hätte nach den Erfahrungen der vier Regierungskonferenzen und der diplomatischen Konferenz zum Scheitern der Konvention geführt. Um dem nationalen Gesetzgeber weitestgehend die Beibehaltung seiner traditionellen Regeln für den Erwerb von Wertpapieren und die Ausübung der in ihnen verkörperten Rechte zu ermöglichen, zugleich aber auch eine Harmonisierung im Sinne von Kompatibilität und grenzüberschreitender Rechtssicherheit und Effizienz zu erreichen, gibt die Konvention in verschiedener Hinsicht weitere Hilfestellung und Flexibilität. So erlaubt es Art. 9 (1)(d) dem nationalen Gesetzgeber, mit einer Depotgutschrift den Erwerb des (Mit-)Eigentums an den Wertpapieren zu verbinden.44 Der US-amerikanische Gesetzgeber kann die Wirkungen einer Depotgutschrift auf ein security entitlement beschränkt lassen. Wichtig ist ferner Art. 9 (2)(b), der zulässt, dass der Depotkontoinhaber die sich aus den Wertpapieren ergebenden Rechte entweder nur gegenüber der Depotbank, die das Depotkonto führt (USA), oder nur gegenüber dem Emittenten (Deutschland) oder gegenüber beiden ausüben kann. Art. 10 (1) verpflichtet den Intermediär, geeignete Maßnahmen zu treffen, um seinen Depotkontoinhabern die Erlangung und die Ausübung der in Art. 9 (1) bezeichneten Rechte zu ermöglichen, soweit die Maßnahmen in seiner Macht stehen (Art. 10 (3)). Auch insoweit können das deutsche und das US-amerikanische Rechtssystem ohne nennenswerte Änderungen bestehen bleiben. Der Depotkontoinhaber kann entweder direkt als Rechtsinhaber oder indirekt aus abgeleitetem Recht seines Intermediärs die Rechte aus den Wertpapieren ausüben. 42 Vgl. Einsele Das Treuhandmodell als Alternative zum geltenden Recht, in Die Zukunft des Clearing und Settlement, Institute for Law and Finance Series, 2006, S. 3, 15 ff. 43 Vgl. Art. 3 des Bundesgesetzes über Bucheffekten vom 3. Oktober 2008. Vgl. dazu Kuhn Das neue Bucheffektenmodell des schweizerischen Rechts, in: Die Zukunft des Clearing und Settlement, Institute for Law and Finance Series, 2006, S. 29, 43 ff. 44 So ausdrücklich Thévenoz (Fn. 5) S. 44, 47.

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2. Verfügung über intermediärverwahrte Wertpapiere Aus der Gutschrift von Wertpapieren auf einem Depotkonto resultiert gemäß Art. 9 (1)(b) das Recht, nach Art. 11 über die Wertpapiere zu verfügen oder nach Art. 12 ein Recht, insbesondere ein Sicherungsrecht wie beispielsweise ein Pfandrecht oder ein sonstiges beschränktes Recht wie einen Nießbrauch, an den Wertpapieren einzuräumen. Nach Art. 11 (3) verfügt der Depotkontoinhaber über intermediärverwahrte Wertpapiere durch eine Abbuchung der Wertpapiere von seinem Depotkonto. Welche Rechtsfolgen eine Abbuchung hat, bestimmt die Konvention nicht. Es gilt auch nicht die no further step-rule wie bei der Gutschrift von Wertpapieren. Diese Unterscheidung von Gutschrift (credit) und Belastung (debit) in der Konvention ist nicht zufällig oder ein Versehen, sondern dient ganz entscheidend dem funktionalen Ansatz.45 Hätte eine Belastungsbuchung zwingend nach der Konvention die Folge, dass nur und immer durch sie die Rechtsposition des Depotkontoinhabers aufgehoben wird, sie also immer eine konstitutive Wirkung hat,46 wäre dies zwar mit dem US-amerikanischen security entitlementSystem voll kompatibel, nicht aber mit dem deutschen Prinzip, dass jeder Rechtserwerb uno actu mit einem Rechtsverlust einhergeht. Der US-amerikanische Ansatz, dass ein security entitlement durch eine Belastung des Depotkontos aufgehoben und durch eine Gutschrift neu (originär) entsteht, ist dem deutschen Konzept der Übertragung von Rechten an und aus Wertpapieren (derivativer Erwerb) bisher fremd. Die Konvention zwingt nicht zu einer solchen Struktur, die bedeuten würde, dass die verkauften Wertpapiere durch die Belastungsbuchung jedenfalls für eine juristische Sekunde (oder auch länger) herrenlos werden, ehe sie vom Käufer aufgrund der Depotgutschrift wieder zu Eigentum erworben werden.47 Die Konvention erlaubt vielmehr eine Verknüpfung von Rechtserwerb durch Depotgutschrift beim Erwerber – dies ist allerdings zwingend nach der Konvention – mit einem Rechtsverlust beim Veräußerer ohne Rücksicht darauf, ob und wann das Depotkonto des Veräußerers belastet wird.48 Der Schlüssel hierzu liegt in der nicht zwingenden Natur der Bestimmung des Art. 11 (3) und in der durch Art. 16 zulässigen Verknüpfung einer Gutschriftsbuchung mit einer Belastungsbuchung über eine Bedingung. Zwar stand in den Regierungskonferenzen bei der Diskussion bedingter Gutschriften die Möglichkeit im Vordergrund, die Depotgutschrift auf dem Kundendepotkonto erst mit der Gutschrift des entsprechenden Deckungsbestandes 45

Vgl. Draft Official Commentary (Fn. 10) Article 11 Rz. 4, 14, 16. So aber das Verständnis von Mülbert (Fn. 16) S. 12 f., der von einer zwingenden Trennung von Erwerb und Verlust durch Art. 11 ausgeht. 47 Vgl. Mülbert (Fn. 16) S. 18: Beide Vorgänge, Rechtsverlust und -erwerb, stehen durch eine logische beziehungsweise juristische Sekunde getrennt unverbunden nebeneinander. 48 Vgl. Thévenoz (Fn. 5) S. 51 f. 46

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auf dem Depotkonto der Depotbank beim Central Securities Depository – Clearstream Banking AG – wirksam werden zu lassen. Die Konvention erlaubt es aber auch, den Rechtsverlust des Veräußerers an die Gutschrift auf dem Depotkonto des Erwerbers zu binden, wie dies in Art. 24 Abs. 2 des Schweizer Bucheffektengesetzes der Fall ist.49 Auch bei einer Verfügung über intermediärverwahrte Wertpapiere durch Verkauf als dem häufigsten Fall von Verfügungen ermöglicht der funktionale Ansatz beiden Rechtsordnungen, der US-amerikanischen wie der deutschen, die Beibehaltung ihrer Grundprinzipien: Erlöschen und Neuentstehen in den USA, Übertragung in Deutschland.

V. Schlussbetrachtung Die im Rahmen dieses Beitrages nur für die ausgewählten Sachverhalte mögliche Analyse des funktionalen Ansatzes hat gezeigt, dass dieser Ansatz Staaten mit so unterschiedlichen dogmatischen Strukturen wie den USA und Deutschland einen Beitritt zur Geneva Securities Convention möglich macht, ohne dass der eine oder der andere eine fundamentale Rechtstradition aufgeben müsste. Es bleibt die Frage, ob damit wirklich für die Praxis eine Harmonisierung sowie mehr Rechtssicherheit und Effizienz im grenzüberschreitenden Wertpapierhandel erreicht worden ist. Auch hier sollte man sich von einer streng juristisch-dogmatischen Betrachtung lösen. In allen Staaten, die der Konvention beitreten, vermittelt eine Depotgutschrift mindestens die in der Konvention niedergelegten Rechte, die mit ebenfalls in der Konvention vorgesehenen – hier nicht behandelbaren – weiteren Schutzmechanismen versehen sind. Sie stellen den Gegenwert dar, für den der Erwerber den Kaufpreis zahlt. Dazu kann, muss aber nicht notwendigerweise das (Mit-)Eigentum an den gekauften Wertpapieren gehören. Es kann auch ein security entitlement oder eine Bucheffekte sein. Kann eine deutsche Depotbank ihrem Kunden, der in den USA Wertpapiere gekauft hat, die gleiche Depotgutschrift erteilen wie im Falle des Kaufs von Wertpapieren in Deutschland? Da es auf Eigentum oder security entitlement für den Kunden nicht entscheidend ankommt, sollte die Antwort positiv ausfallen, wenn man den funktionalen Ansatz der Konvention ernst nimmt. Allerdings ist hierzu der deutsche Gesetzgeber doch gefordert. Eine klare und den tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung tragende gesetzliche Regelung ist im Bereich des Depotrechts aber ohnehin überfällig. 49 Vgl. Kuhn (Fn. 43) S. 29, 55 f. unter Hinweis auf den Expertenbericht zum Entwurf des Bucheffektengesetzes: „Diese Regelung wurde in der Absicht getroffen, die Entstehung subjektloser Rechte zu verhindern, die bei zeitlich gestreckten Übertragungsvorgängen sonst nicht zu vermeiden gewesen wäre.“

Verzicht auf eine vertragliche Forderung im Europäischen Vertragsrecht und im Recht der internationalen Handelsverträge Stefan Vogenauer *

In den vergangen zwei Jahrzehnten haben verschiedene wissenschaftliche Arbeitsgruppen Vorschläge für die Regelung des Rechts der internationalen Handelsverträge und des Europäischen Vertragsrechts vorgelegt. Fast alle dieser Gruppen nehmen für sich in Anspruch, der rechtsvergleichenden Methode eine zentrale Rolle eingeräumt zu haben. In einem ersten Arbeitsschritt seien jeweils die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der nationalen Vertragsrechte hinsichtlich eines bestimmten Regelungsproblems herausgearbeitet worden. Wo sich eine allgemein anerkannte Lösung feststellen ließ, sei diese – zumindest im Regelfall – auf internationaler Ebene abgebildet worden (restatement approach). Wo hinreichende Gemeinsamkeiten nicht zu konstatieren waren, habe man unter den verschiedenen Regelungsmodellen die „beste Lösung“ ermittelt und kodifiziert (best solutions approach). In diesem Beitrag möchte ich anhand eines einzigen Rechtsinstituts überprüfen, ob die Arbeitsgruppen ihren eigenen methodischen Vorgaben gerecht geworden sind. Ausgewählt habe ich den Forderungsverzicht, der in der Zivilrechtsdogmatik traditionell eher ein Schattendasein fristet, obwohl er in der Rechtspraxis eine bedeutende Rolle spielt. Eine solche Untersuchung ist nur möglich, weil der Verzicht in den letzten Jahren am von Klaus Hopt mitgeleiteten Hamburger Max-Planck-Institut von Jens Kleinschmidt aus historischer 1, vergleichender 2 und rechtspolitischer 3 Perspektive umfassend untersucht wurde. Auf diese Forschungen stützt sich insbesondere der vergleichende Überblick im ersten Teil des folgenden Aufsatzes. Aus ihm ergibt

* Ich danke Dr. Jens Kleinschmidt, Hamburg, für zahlreiche Gespräche und weiterführende Hinweise zum Recht des Verzichts. 1 Jens Kleinschmidt § 397, in Mathias Schmoeckel, Joachim Rückert, Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II, Schuldrecht: Allgemeiner Teil, Tübingen 2007. 2 Jens Kleinschmidt Erlass einer Forderung, in Jürgen Basedow, Klaus Hopt, Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, Tübingen 2009, S. 441. 3 Jens Kleinschmidt Der Verzicht im Schuldrecht, Tübingen 2004.

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sich, vor welchen Problemen rechtsvereinheitlichende Maßnahmen zum Recht des Forderungsverzichts stehen. Im zweiten Teil untersuche ich, inwiefern die verschiedenen Harmonisierungsprojekte diese Herausforderungen bewältigt haben.

I. Rechtsvergleichender Überblick 1. Terminologie Ein zentrales Problem jeder Rechtsvereinheitlichung ergibt sich aus der Verschiedenheit nationaler Rechtsterminologien. Im Hinblick auf den Forderungsverzicht ist die Lage besonders unübersichtlich.4 Die Kodifikationen der verschiedenen deutschsprachigen Länder etwa sprechen wahlweise vom „Erlass“ (Deutschland) oder der „Aufhebung“ (Schweiz) einer Forderung, bzw. der „Entsagung“ seitens des Gläubigers (Österreich).5 Doch bereits innerhalb einzelner Rechtsordnungen lassen sich erhebliche begriffliche Unschärfen feststellen. Deutsche Juristen etwa gebrauchen „Erlass“ und „Verzicht“ regelmäßig synonym. In anderen Rechtssprachen gibt es vergleichbare begriffliche Doppelungen, die ebensowenig Präzision aufweisen. Im französischen Recht findet man sowohl die remise de dette als auch die renonciation. In Italien gibt es neben der remissione del debito die renuncia. Spanische Juristen unterscheiden die condonación de la deuda von der renuncia. Wie sich die Bestandteile der jeweiligen Begriffspaare zueinander verhalten, ist keinesfalls unumstritten. So tadelt etwa das das führende französische Lehrbuch zum Schuldrecht, die remise de dette werde souvent considerée comme une sorte de renonciation, ce qui n’est juste que si l’on retient une acception large de cette dernière notion, qui la prive de toute réelle spécificité.6 Völlig ungeklärt ist die Lage im anglo-amerikanischen Rechtsraum. Schon in der Mutterrechtsordnung ist es diesbezüglich nicht gut um terminologische Präzision bestellt. Cheshire und Fifoot etwa untersuchten vor mehr als sechs Jahrzehnten Fälle, die im deutschen Recht als teilweiser Erlass auf der Grundlage eines leistungsreduzierenden Abänderungsvertrags angesehen würden. Diese seien erfasst von that somewhat elusive doctrine, variously called ‘waiver’, ‘forbearance’ or ‘substituted performance’. Die Rechtsprechung nehme hier uneinheitliche und unnötig komplexe begriffliche Unterscheidungen vor. Eine von ihnen sei an affront to one’s intelligence; eine andere passes all understanding. It means precisely nothing. It is merely a play on

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Dazu Kleinschmidt Erlass, S. 441. § 397 BGB, Art. 115 OR, § 1444 ABGB. 6 François Terré, Philippe Simler, Yves Lequette Droit civil: Les obligations, Paris, 10. Aufl. 2009, Rn. 1459. 5

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words.7 Großer Fortschritt hat sich seitdem offenkundig nicht erzielen lassen, beginnt doch der entsprechende Abschnitt in der neuesten Auflage des Lehrbuchs von Treitel mit den Worten: Where a party promises to relinquish some or all of his rights under a contract, he is sometimes said to have “waived“ those rights. Unfortunately, however, “the word ‘waiver’ … covers a variety of situations different in their legal nature, …” Of the many senses in which it is used, three are relevant to the present discussion.8 Genannt werden drei mögliche Bedeutungen (rescission, variation und forbearance), nicht ohne in einer Fußnote auf andere Teile des Buches hinzuweisen, in denen noch weitere Begriffskonnotationen, wie etwa der mittlerweile wohl obsolete equitable release, erörtert werden.9 Der Blick nach Übersee ergibt ebenfalls kein klares Bild. Von der viel beschworenen rechtsordungsübergreifenden „Einheit des common law“ ist hier angesichts der schillernden Begriffsvielfalt wenig zu spüren. In den USA schrieb Corbin bereits 1919, das Wort waiver sei one of those words of indefinite connotation in which our legal literature abounds; like a cloak, it covers a multitude of sins.10 Nach Farnsworth ist es noch heute stark diskussionswürdig.11 Der Uniform Commercial Code verwendet es synonym mit renunciation und discharge; 12 das Restatement 2d Contracts benutzt nur die beiden letztgenannten Begriffe.13 Zu finden ist ferner der Begriff relinquishment of a right.14 Und schließlich gibt es den release, worunter herkömmlich eine schriftliche Erklärung des Gläubigers verstanden wird, derzufolge die Schuld erlassen ist,15 manchmal aber auch ein vertraglicher Erlass.16 2. Wirksamkeitsvoraussetzungen Terminologische Unschärfen verbergen häufig Unsicherheit über die materielle Rechtslage. Im Falle des Verzichts geht es dabei um nichts weniger als die Rechtsnatur des Instituts und, damit eng verbunden, die Voraus-

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G. C. Cheshire, C. H. S. Fifoot Central London Property Trust, Ltd. v. High Trees House, Ltd., (1947) 63 Law Quarterly Review 283, 289, 290, 292. 8 Edwin Peel Treitel on the Law of Contract, London, 12. Aufl. 2007, Rn. 3-066, mit Verweis auf The Laconia [1977] AC 850, 871 (HL). 9 Ebd, Rn. 3-067 bis 3-069 mit Fn. 331, Rn. 3-112. Für den klarsten Überblick zum Problemkreis s H. G. Beale, W. D. Bishop, M. P. Furmston Contract: Cases and Materials, Oxford, 5. Aufl. 2008, S. 845–880. 10 Arthur L. Corbin Conditions in the Law of Contracts, (1919) 28 Yale Law Journal 739, 754. 11 E. Allan Farnsworth Contracts, New York, 4. Aufl. 2004, § 8.5 (S. 524). 12 § 1-306 UCC. 13 § 277 Restatement 2d Contracts. 14 Clark v. West, 86 N.E. 1 (N.Y. 1908). 15 § 284 Restatement 2d Contracts, mit Comment a. 16 Dazu kritisch Farnsworth Contracts, § 4.24 (S. 281).

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setzungen des Forderungserlasses. Immerhin besteht über Landesgrenzen hinweg Einigkeit, dass der Gläubiger entweder in vollem Umfang oder auch nur teilweise auf seine Forderung verzichten kann. Unterschiedliche Auffassungen gibt es aber insbesondere dazu, ob für einen wirksamen Erlass (a) ein wirksames Grundgeschäft, (b) eine gesonderte Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner der Forderung sowie (c) besondere Anzeichen dafür, dass die Parteien es mit dem Erlass auch ernst meinen, vorliegen müssen. a) Wirksamer Rechtsgrund? Jede Rechtsordnung steht zunächst vor der Grundentscheidung, ob ein Verzicht zu seiner Wirksamkeit eines wirksamen (entgeltlichen oder unentgeltlichen) Grundgeschäfts bedarf. Ist der Verzicht derart „kausal“ ausgestaltet, schlägt ein fehlender Rechtsgrund in der Regel auf seinen Bestand durch. Dieser Lösung hängt traditionell das schweizerische Recht an.17 Auch die anglo-amerikanischen Rechte trennen den Erlass nicht vom Kausalgeschäft. Wird der Verzicht dagegen, wie etwa in Deutschland, Österreich und Spanien, als „abstraktes“ Geschäft verstanden, bleibt er grundsätzlich trotz Unwirksamkeit der causa bestehen.18 Anerkannt ist aber auch hier, dass der Wille der Parteien dahin gehen kann, Grundgeschäft und Erlass zu einer Geschäftseinheit zu verbinden. Die Nichtigkeit der causa zieht dann die Unwirksamkeit des Verzichts nach sich.19 b) Vertragsschluss? aa) Lösungsansätze Eine weitere Grundentscheidung bei der Regelung des Verzichts betrifft die Frage, ob ein wirksamer Verzicht einen Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner der zu erlassenden Forderung voraussetzt (Vertragsmodell) oder ob eine einseitige Erklärung des Gläubigers genügt (Erklärungsmodell). Problematisch ist dies, weil der Erlass, wie der italienische Rechtsvergleicher Sacco schreibt, „eine mehrdeutige Rechtsnatur hat, die zwischen Vertrag und einseitiger Erklärung hin- und herschwankt“.20 In der Mehrzahl der Fälle wirkt 17 Allerdings scheint die Gegenansicht im Vordringen begriffen, vgl. die Nachweise bei Viktor Aepli Art. 115, in [Zürcher] Kommentar zum Schweizerischen Zivilrecht. Obligationenrecht, Teilband V 1h, Zürich 1991, Rn. 44. Vgl. auch Ingeborg Schwenzer Schweizerisches Obligationenrecht. Allgemeiner Teil, Bern, 5. Aufl. 2009, Rn. 79.04. 18 Staudinger/Rieble (Neubearbeitung 2005), § 397 Rn. 27–54 (Deutschland); Silvia Dullinger § 1444, in Peter Rummel (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II/1, Wien, 3. Aufl. 2002, Rn. 1 (Österreich); James Gordley The Enforceability of Promises in European Contract Law, Cambridge 2001, S. 270 (Spanien). 19 Staudinger/Rieble § 397 Rn. 41, 48. 20 Rodolfo Sacco Introduzione al diritto comparato, Turin, 5. Aufl. 1992 (ND 2001), S. 90 (la remissione ha un’ambigua natura oscillante tra il contratto e la dichiarazione unilaterale).

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sich die Entscheidung nicht weiter aus, denn der Gläubiger wird in der Regel verlangen, dass sich der Schuldner – etwa im Rahmen eines Vergleichsvertrags – zu irgendeiner Gegenleistung verpflichtet. Praktische Bedeutung erlangt die Frage dagegen, wenn der Schuldner einen ihm vom Gläubiger angetragenen unentgeltlichen Verzicht auf die Forderung nicht annimmt und der Gläubiger die Forderung später geltend macht. Diese Fälle betreffen vor allem Angebote, den Teil einer Forderung gegen Leistung des restlichen Forderungsbestandteils zu erlassen. Der Teilerlass ist in allen Rechtsordnungen gerade im Handelsverkehr ein probates Mittel, um trotz drohender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zumindest teilweise Erfüllung zu erlangen: Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach oder, wie unsere angelsächsischen Kollegen in diesem Zusammenhang sagen, a bird in the hand is worth two in the bush. Zugunsten des Vertragsmodells entschied sich etwa der BGB-Gesetzgeber. § 397 verlangt ausdrücklich einen Vertrag,21 und diese Lösung ist bis heute in Deutschland fast unumstritten.22 Eindeutig einen Vertragsschluss verlangen auch § 863 I des portugiesischen Código civil von 1966 sowie Artikel 6:160 I des niederländischen Burgerlijk Wetboek von 1992, der bestimmt: Eine Verpflichtung erlischt durch einen Vertrag zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner, durch den der Gläubiger auf sein Forderungsrecht verzichtet.23

Die Kodifikationen Frankreichs, Österreichs und der Schweiz schließen die Möglichkeit eines einseitigen Forderungsverzichts nicht derart klar aus. Rechtsprechung und Lehre fordern jedoch auch hier den Abschluss eines Vertrags durch Angebot und Annahme als Wirksamkeitsvoraussetzung.24 Die Rechtsordnungen des common law gehen ebenfalls vom Vertragsmodell aus. Sie erörtern die Frage allerdings nicht im Zusammenhang mit dem Erfordernis einer Willenseinigung der Parteien. Die Problematik wird vielmehr auf die Ebene der Seriositätsindizien verlagert und dort durchaus kontrovers erörtert.25 Selbst die umstrittenen Fälle aber betreffen Sachverhalte, in denen sich Gläubiger und Schuldner auf einen Erlass geeinigt haben und insbesondere an der Annahme seitens des Schuldners kein Zweifel besteht.26 21

Zur Gesetzgebungsgeschichte HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 15–19. Für die h.M. vgl. RGZ 72, 168, 171; Staudinger/Rieble § 397 Rn. 5; Münchener Kommentar/Schlüter § 397 Rn. 1. AA wohl nur Kleinschmidt Verzicht, S. 312 ff.; HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 46; Reinhard Zimmermann Vertrag und Versprechen: deutsches Recht und Principles of European Contract Law im Vergleich, in FS für Andreas Heldrich, München 2005, S. 467. 23 Een verbintenis gaat teniet door een overeenkomst van de schuldeiser met de schuldenaar, waarbij hij van zijn vorderingsrecht afstand doet. 24 Terré/Simler/Lequette Obligations, Rn. 1459, 1462; Rummel/Dullinger § 1444 Rn. 3 (mit Vorschlag zu einer differenzierten Lösung); Zürcher Kommentar/Aepli Art. 115 Rn. 5. 25 Dazu unten, I. 2. c). 26 Für England vgl. die unten in Fn. 58 f. und 62 zitierten Entscheidungen. Für die USA vgl. Kleinschmidt Verzicht, S. 110. 22

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Andere Rechtsordnungen dagegen halten eine Annahme des Schuldners nicht für erforderlich. Bereits die Erklärung des Gläubigers genügt. Gesetzlich geregelt ist dies nur in Artikel 1236 des italienischen Codice civile von 1942: La dichiarazione del creditore di rimettere il debito estingue l’obbligazione quando è comunicata al debitore … .27 Dieselbe Lösung lesen Rechtsprechung und herrschende Lehre in Artikel 1187 des spanischen Código civil von 1889 hinein, obwohl sich die Bestimmung keinesfalls eindeutig zum Erklärungsmodell bekennt.28 Nach allgemeiner Auffassung zulässig ist der einseitige Verzicht ferner im schottischen Recht 29 und auch in den skandinavischen Rechten, wo das Erlassversprechen den Gläubiger bindet, sofern es nicht aufgrund besonderer Umstände so interpretiert werden muss, dass der Gläubiger eine Antwort erwartet.30 bb) Rechtspolitische Argumente Die jeweiligen Grundentscheidungen werden heute kaum noch hinterfragt. Immerhin fällt auf, dass einige Rechtsordnungen, die den einseitigen Verzicht des Gläubigers zulassen, auch die Bindungswirkung solcher einseitiger Versprechen (unilateral promises) anerkennen, die die Entstehung einer Verbindlichkeit zum Inhalt haben.31 Umgekehrt wird dort, wo das bloße Versprechen grundsätzlich keine Forderung begründen kann, auch der einseitige Erlass nicht anerkannt. Dieser Gleichlauf von Forderungsbegründung und Forderungsvernichtung beruht nicht auf Zufall: Das Argument, der actus contrarius müsse sich spiegelbildlich zum Akt der Rechtsbegründung verhalten, lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen, es war zentraler Beweggrund der Väter des § 397 BGB, und es findet sich bis heute im schweizerischen und im französischem Schrifttum.32 Zugunsten des Vertragsmodells wird heute jedoch in erster Linie angeführt, ein Forderungsverzicht dürfe dem Schuldner nicht aufgedrängt werden, obwohl er sich nur vorteilhaft für ihn auswirke.33 Auch dieser Topos kann sich auf eine altehrwürdige Rechtsmaxime berufen: beneficia non obtruduntur. 27 Dennoch besteht in der italienischen Lehre keinesfalls Einigkeit über die Rechtsnatur des Verzichts, vgl. Alessio Zaccaria Art. 1236, in Giorgio Cian, Alberto Trabucchi (Hrsg.), Commentario breve al codice civile, Mailand, 8. Aufl. 2007, Rn. I/1. 28 José Antonio Valbuena Gutiérrez Art. 1187, in Rodrigo Bercovitz Rodríguez-Cano (Hrsg.), Comentarios al Código Civil, Elcano 2001, Rn. 2. Weitere Nachweise bei HKK/ Kleinschmidt § 397 Rn. 4 Fn. 13. 29 Martin Hogg Obligations, Edinburgh, 2. Aufl. 2006, Rn. 2.84 (S. 78). 30 Vgl. die Nachweise bei HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 4 Fn. 13. 31 Vgl. für Schottland William W. McBryde Promises in Scots Law (1993) 48 International and Comparative Law Quarterly 48; Hogg Obligations, Rn. 1.04, 1.09. 32 Nachweise bei HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 18, 31. 33 Nachweise zu Deutschland HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 39 Fn. 188. Für die Niederlande vgl. A. S. Hartkamp Asser’s Handleiding: Verbintenissenrecht, Deel 1, Deventer, 11. Aufl. 2000, Rn. 616 f.

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Befürworter des Erklärungsmodells argumentieren dagegen, der Schutz des Schuldners gegen Aufdrängung einer Wohltat lasse sich ohne weiteres dadurch erreichen, dass ihm für eine angemessene Frist ein Zurückweisungsrecht eingeräumt wird. So ist etwa gemäß dem bereits zitierten Artikel 1236 Codice civile der dem Schuldner erklärte einseitige Forderungsverzicht nur wirksam, … salvo che questi dichiari in congruo termine di non volerne profittare. Das schottische Recht kennt eine derartige Regel nicht, doch entstehen in der Praxis scheinbar keine Schwierigkeiten durch „aufgedrängte“ Forderungsverzichte.34 Für das Erklärungsmodell sprechen ferner Argumente der Fairness, der Effizienz und der rechtssystematischen Stimmigkeit. Zur Fairness: Der juristische Laie wird in der Regel nicht davon ausgehen, er müsse noch eine gesonderte Willenserklärung abgeben, um einen ihm vom Gläubiger angetragenen Forderungsverzicht rechtswirksam zu machen.35 Erklärt der Gläubiger mit Rechtsbindungswillen seinen Verzicht, ohne dass der Schuldner die Annahme erklärt, und besinnt sich der Gläubiger später anders, so scheint es unbillig, den Gläubiger nicht an sein Versprechen zu binden. Das Bedürfnis des Rechtsverkehrs, insbesondere des Handelsverkehrs, richtet sich ferner darauf, überflüssige Rechtshandlungen zu vermeiden. Erscheint aber das Annahmeerfordernis, wie selbst Befürworter des Vertragsmodells einräumen, als bloße „Prinzipienreiterei“,36 lässt es sich unter Effizienzgesichtspunkten schwer rechtfertigen. Schließlich lässt sich zugunsten des Erklärungsmodells anführen, dass die praktische Durchführung der Vertragslösung regelmäßig Systembrüche in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre nach sich zieht. Diese sollen im folgenden Abschnitt kurz dargestellt werden. cc) Abschwächungen des Vertragsmodells Die Grundentscheidung zugunsten des Vertragsmodells führt häufig zu unbefriedigenden Ergebnissen, wenn die allgemeinen Regeln für das Zustandekommen von Verträgen strikt angewandt werden. Um dies zu vermeiden, modifizieren Rechtsprechung und Lehre in den Rechtsordnungen, die diesem Modell folgen, die regulären Voraussetzungen für Angebot und Annahme im Bereich der Erlassverträge erheblich. Zum einen werden die Anforderungen an die Erklärung des Gläubigers deutlich verschärft. Zwar wird der Verzichtswille des Gläubigers bei Rückgabe eines Schuldscheins in den romanischen Rechtsordnungen, anders als in Deutschland, gesetzlich vermutet.37 Ansonsten aber wird durchweg betont, 34

Kleinschmidt Verzicht, S. 306. Kleinschmidt Verzicht, S. 259–261. 36 Staudinger/Rieble § 397 Rn. 5. 37 Art. 1282 Code civil, Art. 1237 Codice civile. In Deutschland hat die Herausgabe nur Indizwirkung: Staudinger/Rieble § 397 Rn. 106. 35

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der Wille des Gläubigers, auf seine Forderung zu verzichten, müsse „unzweideutig feststehen“.38 Ein Verzichtswille sei „nicht zu vermuten“ oder, wie es schon im gemeinen Recht hieß, renuntiatio non praesumitur.39 Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Gläubigererklärung – bzw. das Gläubigerverhalten im weiteren Sinne – als Angebot oder als Annahme darstellen. Praktische Bedeutung erlangt die enge Auslegung des Gläubigerverhaltens aber vor allem, wenn der Schuldner dem Gläubiger einen Verzicht anträgt. Selbst beredtem Schweigen wird hier fast nie positiver Erklärungswert zugemessen. Charakteristisch ist etwa die Formulierung in einem kürzlich ergangenen Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts: „Aus der bloßen Tatsache, dass der Beschwerdegegner [Vermieter] die reduzierte Mietzinszahlung während Jahren anstandslos entgegennahm, kann die Beschwerdeführerin [Mieterin] nichts zu ihren Gunsten ableiten. Der freiwillige Verzicht auf einen Teil der geschuldeten Leistung kann nicht leichthin angenommen werden … . Ein bloß passives Verhalten des Beschwerdegegners genügt nicht, um bei der Beschwerdeführerin berechtigtes Vertrauen zu erwecken, er sei mit der Herabsetzung des Mietzinses einverstanden.“40 Auch die englischen Gerichte bestehen darauf, dass für einen Erlass ein true accord festgestellt wird. Insbesondere ein Gläubigerverzicht ist nicht ohne weiteres vorauszusetzen: agreements which are said to forgo a creditor’s rights on a permanent basis should not be too benevolently construed.41 Selbst der Anwendungsbereich scheinbar eindeutiger Vertragsklauseln, deren Wortlaut ausdrücklich einen Verzicht auf alle zukünftigen Ansprüche umfasst, wird zugunsten des Gläubigers reduziert: a long and … salutary line of authority shows that, in the absence of clear language, the court will be very slow to infer that a party intended to surrender rights and claims of which he was unaware and could not have been aware. … On a fair construction of this document I cannot conclude that the parties intended to provide for the release of rights and the surrender of claims which they could never have had in contemplation at all. If the parties had sought to achieve so extravagant a result they should in my opinion have used language which left no room for doubt … .42 38 Für Deutschland: Staudinger/Rieble § 397 Rn. 101–122. Für Österreich: Peter Rummel Besondere Auslegungsregeln für besondere Rechtsgeschäfte?, in Helmut Koziol, Peter Rummel (Hrsg.), Im Dienste der Gerechtigkeit. FS für Franz Bydlinski, Wien 2002, S. 337, 348; Rummel/Dullinger § 1444 Rn. 5. Für die Schweiz BGE 109 II 327, 329 f.; Schwenzer Obligationenrecht, § 79.02; Zürcher Kommentar/Aepli Art. 115 Rn. 30. Für Frankreich Terré/Simler/Lequette Obligations, Rn. 1463; Gordley Enforceability, S. 268. 39 HKK/Vogenauer §§ 133, 157 Rn. 118; HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 21. 40 BG 4A_418/2009 (27.10.2009) Entscheidungsgrund 1.4. 41 Collier v. P. & M. J. Wright Holdings Ltd. [2007] EWCA Civ 1329 [48], [2008] 1 WLR 643, 660 (Longmore LJ). 42 Bank of Credit and Commerce International SA v. Ali [2001] UKHL 8 [10] und [19], [2002] 1 AC 251, 260, 264 (Lord Bingham).

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Zum anderen werden die Anforderungen für die Annahmeerklärung des Schuldners erheblich erleichtert. In Abweichung von den allgemeinen Lehren zum Vertragsschluss soll hier schon das bloße Schweigen des Schuldners auf ein Erlassangebot des Gläubigers als Annahme gelten. Kodifiziert ist diese Annahmefiktion nur in Artikel 6:160 II des niederländischen Burgerlijk Wetboek: Ein vom Gläubiger an den Schuldner gerichtetes Angebot auf einen unentgeltlichen Verzicht gilt als angenommen, wenn der Schuldner es zur Kenntnis genommen und nicht ohne Verzögerung abgelehnt hat.43

Andere Rechtsordnungen erreichen dasselbe Ergebnis im Wege richterlicher Rechtsfortbildung. In Deutschland etwa verlangt eine wirksame Annahme zumindest eine schlüssige, nach außen hervortretende Manifestation des Annahmewillens. Dies gilt auch in den Fällen, in denen gemäß § 151 BGB der Zugang der Annahmeerklärung entbehrlich ist, weil eine Annahmeerklärung „nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten“ ist. Doch „zur Annahme eines Erlassvertrags genügt in der Regel bloßes Schweigen“, da der Verzicht für den Schuldner „nur rechtlich vorteilhaft ist“.44 Entgegen § 151 verzichtet die Praxis also auf jegliche objektive Betätigung des Annahmewillens. Ähnlich verfährt die schweizerische Rechtsprechung auf der Grundlage von Artikel 6 OR („Stillschweigende Annahme“). Nach dieser Vorschrift gilt ein Vertrag als abgeschlossen, wenn „wegen der besonderen Natur des Geschäftes oder nach den Umständen eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten“ ist und der Antrag nicht binnen angemessener Frist abgelehnt wird. Im Falle des Verzichts aber geht das Bundesgericht unter Berufung auf Artikel 6 OR davon aus, dass die Annahme des Schuldners nicht einmal stillschweigend erfolgen muss. Sie ist schlichtweg zu vermuten.45 Ein Erlassvertrag kommt also schon „durch bloßes Schweigen des Schuldners nach Ablauf jener Zeitdauer zustande während der ein allfälliger Widerspruch zu erwarten gewesen wäre“.46 Auch die österreichische Rechtsprechung, die sich auf den ähnlich 43 Een door de schuldeiser tot de schuldenaar gericht aanbod tot afstand om niet geldt als aanvaard, wanneer de schuldenaar van het aanbod heeft kennisgenomen en het niet onverwijld heeft afgewezen. „Unentgeltlich“ im Sinne dieser Bestimmung ist auch der praktisch so bedeutsame Teilerlass, den der Gläubiger in der Hoffnung ausspricht, der Schuldner werde sich erholen und später den noch ausstehenden Teil der Forderung erfüllen; vgl. Hartkamp Verbintenissenrecht, Rn. 618; Gordley Enforceability, S. 269. 44 So etwa OLG Brandenburg, NJW-RR 2007, 270, 271. Ähnlich bereits RG JW 1911, 87. Zustimmend Palandt/Ellenberger § 151 Rn. 4; ablehnend Staudinger/Rieble § 397 Rn. 127. Umfangreiche Nachweise bei HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 25. 45 BGE 110 II 344, 346: l’acceptation d’une telle offre par le travailleur [débiteur] se présume (art. 6 CO). Vgl. bereits BGE 52 II 215, 222: „Der Erlass lag aber so sehr im Interesse der Beklagten [Schuldner], dass ihr Stillschweigen unbedingt als Zustimmung gedeutet werden muss.“ 46 Zürcher Kommentar/Aepli Art. 115 Rn. 42. Vgl. Bruno Schmidlin Art. 6, in Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht. Obligationenrecht, Bern 1985, Rn. 30–32 mit Nachweisen aus der Entstehungsgeschichte.

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formulierten § 864 ABGB stützen kann, „setzt sich oft mit dem Erfordernis einer Annahme nicht auseinander“ oder behilft sich mit „einer sehr großzügigen Bejahung konkludenter Zustimmung“, wobei es hier häufig genügt, „wenn der andere Teil den Verzicht widerspruchslos entgegennehme“.47 Dies gilt selbst in Frankreich, wo entsprechende Gesetzesbestimmungen zur stillschweigenden Annahme fehlen. In einem Fall, in dem der Vermieter die Reduzierung des Mietzinses vorgeschlagen und der Mieter nicht geantwortet hatte, entschied die Cour de cassation, der Tatrichter könne bloßes Schweigen rechtsfehlerfrei als Annahme gelten lassen, wenn das Angebot ausschließlich im Interesse des Empfängers gemacht worden sei.48 Der spätere Sinneswandel des Gläubigers war daher unbeachtlich. Diese Anpassungsstrategien machen das Vertragsmodell praktisch durchführbar, untergraben es aber zugleich. Die strikte Auslegung der Gläubigererklärung deutet darauf hin, dass das Erklärungsmodell das sachgerechtere ist – schließlich wäre eine solche enge Interpretation auch und gerade erforderlich, wenn dem einseitigen Verzicht Wirksamkeit zukäme. Die Annahmefiktion zugunsten des Schuldners dagegen höhlt die Grundentscheidung des Gesetzgebers völlig aus und lässt der Sache nach den einseitigen Verzicht zu.49 c) Seriositätsindizien? Schließlich steht jede Rechtsordnung vor der Entscheidung, ob die Wirksamkeit des Verzichts davon abhängen soll, dass Anzeichen für die Ernsthaftigkeit des Parteihandelns (sog. Seriositätsindizien) vorliegen. Die Zivilgesetzbücher Portugals und Spaniens etwa verlangen die für die Schenkung geltende Schriftform für den mit Schenkungsabsicht eingegangenen Erlassvertrag, bzw. für den ausdrücklich erklärten einseitigen Verzicht.50 Anderswo ist der Erlass formfrei.51 Dies gilt in der Regel selbst dann, wenn die zu erlassende Forderung nur formgebunden begründet werden konnte 52 oder – in Rechtsordnungen, die den Verzicht abstrakt ausgestalten – das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft formgebunden ist.53 Allerdings untersagen die romanischen Rechte den Zeugenbeweis eines Verzichts, der nicht schriftlich fixiert wurde, wenn der Geschäftswert einen 47

So die Zusammenfassung der Rspr. bei Rummel/Dullinger § 1444 Rn. 3. Req. 29 mars 1938, DP 1939.1.5 mit ablehnender Anm von Pierre Voirin. Vgl. auch Henri und Léon Mazeaud RTDciv 1938, 454 f.; Terré/Simler/Lequette Obligations, Rn. 124, 1463. 49 Kritisch HKK/Kleinschmidt § 397 Rn. 25, 29, 46. 50 § 863 II des portugiesischen Código civil; § 1187 II 2 des spanischen Código civil. 51 Terré/Simler/Lequette Obligations, Rn. 1463 (Frankreich). 52 So ausdrücklich Art. 115 OR. Anders das englische Recht, vgl. Peel Treitel on Contract, Rn. 5-028. 53 Staudinger/Rieble § 397 Rn. 134–137; Rummel/Dullinger § 1444 Rn. 8. 48

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bestimmten (manchmal sehr geringen) Betrag überschreitet.54 Nichteinhaltung der Schriftform führt also nicht zur Unwirksamkeit, sondern zu einem Beweisverbot. Praktisch wird damit ein starker Anreiz gesetzt, Verzichte schriftlich abzufassen. Andererseits sind die betreffenden Beweisverbote von derart vielen Ausnahmen durchlöchert, dass ihre praktische Bedeutung äußerst gering ist.55 Für Handelsgeschäfte gelten sie ohnehin nicht 56 oder nur eingeschränkt.57 Die Rechtsordnungen des common law knüpfen die Wirksamkeit eines Verzichts ebenfalls nicht an die Einhaltung einer Schriftform. Sie machen aber die Klagbarkeit jedes Versprechens traditionell davon abhängig, dass der Empfänger des Versprechens eine Gegenleistung erbringt oder das Versprechen einer Gegenleistung abgibt. Verlangt wird ein derartiges „Gegenopfers“ (consideration) nicht nur für die Begründung einer klagbaren Forderung, sondern auch für das Versprechen des Gläubigers, auf seine Forderung zu verzichten. Dieses Seriositätsindiz fehlt jedoch, wenn der Erlass unentgeltlich erfolgt: Der Erlass ist unwirksam, der Schuldner kann sich nicht auf ihn berufen und der Gläubiger kann die Forderung in voller Höhe einklagen. Besonders strikt ist in dieser Hinsicht das englische Recht.58 Eine Ausnahme gilt dort nur, wenn der Schuldner im Vertrauen auf eine eindeutige Verzichtserklärung des Gläubigers seine Rechtsposition derart verändert hat, dass sich die Geltendmachung der erlassenen Forderung als unbillig darstellen würde (promissory estoppel).59 Die Rechtslage in Irland ist identisch.60 In den USA dagegen haben in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Bundesstaaten das Erfordernis der consideration für den Forderungsverzicht ganz oder zumindest bezogen auf bestimmte Anspruchsarten abgeschafft.61 Doch selbst in England wird für den unentgeltlichen Teilerlass zunehmend gefordert, das Erfordernis des Gegenleistungsversprechens nicht in seinem strikten, technischen Sinne zu verstehen. Als consideration soll es demnach genügen, wenn der Gläubiger im Gegenzug für seinen Forderungsverzicht – insbesondere bei drohendem Ausfall des Schuldners – den practical benefit

54 Art. 1341 Code civil (€ 1500); Art. 1341 belgischer Code civil (€ 375); Art. 2721, 2726 Codice civile (€ 2,58); Art. 1280 II spanischer Código civil (€ 9,02). Zur Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf den vertraglich eingegangenen Verzicht in Frankreich Terré/ Simler/Lequette Obligations, Rn. 1465; für Spanien Gordley Enforceability, S. 270. 55 Für Frankreich Hein Kötz Europäisches Vertragsrecht, Bd. I: Abschluß, Gültigkeit und Inhalt des Vertrages. Die Beteiligung Dritter am Vertrag, Tübingen 1996, S. 127–130. 56 Art. 1341 II Code civil und Art. L 110-3 Code de commerce. Ähnlich auch die Rechtsprechung zu Art. 2721 II Codice civile, vgl. Cian-Trabucchi/Baccaglini Art. 2721 Rn. VI 2. 57 Art. 51 I 2 Código de comercio (Spanien). 58 Foakes v. Beer (1884) 9 App. Cas 605 (HL); In re Selectmove [1995] 1 WLR 474 (CA). 59 Central London Property Trust v. High Trees House [1947] KB 130 (KB). 60 Gordley Enforceability, S. 275 f. 61 Farnsworth Contracts, §§ 4.21–4.26. Ausführlich Kleinschmidt Verzicht, S. 109–118.

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einer Teilleistung erlangt.62 Damit wäre das Erfordernis des Gegenleistungsversprechens für den Teilerlass praktisch aufgehoben. Schließlich werden Stimmen laut, die das Erfordernis der consideration auf die Vertragsbegründung begrenzen wollen und seine Erstreckung auf die Abänderung bestehender vertraglicher Forderung ablehnen – ein Schritt, den der neuseeländische Court of Appeal vor einigen Jahren vollzog.63 3. Rechtsfolgen Rechtsordnungsübergreifend besteht Einigkeit, dass ein wirksamer Verzicht die in Frage stehende Forderung ex nunc zum Erlöschen bringt. Grundsätzlich bleibt das Schuldverhältnis im weiteren Sinne unberührt, doch gibt es Detailunterschiede hinsichtlich der Frage, welche „Nebenrechte“ 64 mit der Forderung untergehen. Differenzen bestehen auch hinsichtlich der Wirkungen des Erlasses gegenüber einem Gesamtschuldner oder des von einem Gesamtgläubiger ausgesprochenen Verzichts.65

II. Internationale Regelwerke Aus dem vorstehenden rechtsvergleichenden Überblick ergibt sich erstens, dass die Zahl der Regelungsprobleme beim Forderungsverzicht verhältnismäßig überschaubar ist. Zweitens sind die rechtspolitischen Argumente, die im Hinblick auf die sachgerechteste Lösung dieser Probleme diskutiert werden, international mehr oder weniger identisch. Drittens werden diese Argumente in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich gewichtet. Infolgedessen weichen die grundlegenden rechtsdogmatischen Lösungsmodelle in den nationalen Vertragsrechten auf den ersten Blick radikal voneinander ab. Viertens aber werden diese Modelle in der Praxis äußerst flexibel gehandhabt (Zulässigkeit einer „Geschäftseinheit“ von Grundgeschäft und Erlass auch 62 Abgelehnt in In re Selectmove [1995] 1 WLR 474 (CA). Die Diskussion entzündet sich vor allem an dem Wertungswiderspruch, der sich daraus ergibt, dass der practical benefit, den der Gläubiger erlangt, der dem Schuldner eine Zusatzleistung dafür verspricht, dass er vertragsgemäß (hier: termingerecht) erfüllt, als hinreichende consideration gilt: Williams v. Roffey Bros & Nicholls (Contractors) Ltd. [1991] 1 QB 1 (CA). Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten aber macht es keinen Unterschied, ob der Gläubiger 120 zahlt, um einen Gegenwert von 100 zu erhalten, oder ob er einen Gegenwert von 80 erhält, obwohl er ursprünglich eine Leistung im Wert von 100 zu erbringen hat. 63 Antons Trawling Co. Ltd. v. Smith [2003] NZLR 23, 45–46 (NZCA). Dazu Brian Coote Consideration and Variations: a Different Solution (2004) 120 Law Quarterly Review 19. 64 So die Formulierung in Art. 114 OR. Vgl. auch Art. 1239 Codice civile. 65 Vgl. § 423 BGB, Art. 1285 Code civil, § 864 portugiesischer Código civil, Collier v. P. & M. J. Wright Holdings Ltd. [2007] EWCA Civ 1329, [2008] 1 WLR 643 (CA).

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beim „abstrakten“ Erlass; Fiktion der Annahme seitens des Schuldners bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Vertragsschlusserfordernisses; Wirksamkeit des unentgeltlichen Verzichts bei Vertrauen auf die Erklärung des Gläubigers trotz grundsätzlichen Beharrens auf dem Erfordernis der consideration). Im Ergebnis erfahren daher identische Sachverhalte in verschiedenen Ländern häufiger gleiche Lösungen, als sich dies im Hinblick auf die grundlegenden Strukturunterschiede vermuten ließe. Fünftens schließlich wird diese Ähnlichkeit der Resultate nicht nur durch Divergenzen der nationalen Rechtsdogmatiken, sondern auch durch stark voneinander abweichende Rechtsterminologien verdeckt. Für den klassisch-funktionalen Rechtsvergleicher ist dieser Befund kaum überraschend. Internationale Vereinheitlichungsprojekte, die auf der Grundlage der rechtsvergleichenden Methode arbeiten, müssen ihn als Ausgangspunkt nehmen. Sie müssen dann die unterschiedlichen Lösungsmodelle sorgfältig analysieren, die widerstreitenden rechtspolitischen Argumente gründlich abwägen und eine sachgerechte Lösung finden, die nicht zuletzt die auf nationaler Ebene regelmäßig zu beobachtenden Anwendungsprobleme der einschlägigen Regeln vermeidet, und schließlich diese Lösung in möglichst neutraler (oder „autonomer“) Begrifflichkeit kodifizieren, um divergierende Auslegungen aufgrund nationaler juristischer „Vorverständnisse“ potentieller Interpreten aus verschiedenen Rechtsordnungen soweit wie möglich zu vermeiden. Im Folgenden möchte ich kurz untersuchen, inwiefern die verschiedenen Regelwerke diesen Ansprüchen genügen. 1. Principles of European Contract Law Die Principles of European Contract Law (PECL), deren Erster und Zweiter Teil in den Jahren 1995 und 2000 publiziert wurden, enthalten keine spezielle Vorschrift zum Verzicht. Sie gehen davon aus, dass eine „Änderung oder Beendigung“ bestehender Verträge „durch Vereinbarung“ möglich ist (Artikel 2:106: modification or ending by agrement).66 Erlassverträge werden zwar weder im offiziellen Kommentar noch in den rechtsvergleichenden Anmerkungen zu der Bestimmung genannt,67 fallen aber ohne weiteres unter den Wortlaut der Norm. Prima facie ebenso einschlägig erscheint jedoch Artikel 2:107. Er lautet: „Ein Versprechen, das ohne Annahme verbindlich sein soll, ist verbindlich.“ Von Anhängern der Zulässigkeit einseitiger Ver-

66 Die Bestimmung betrifft lediglich den Fall, dass die Vertragsparteien vereinbart haben, die Vereinbarung der Änderung oder Beendigung müsse schriftlich erfolgen. 67 Kommission für Europäisches Vertragsrecht Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts: Teile I und II, hg. von Christian von Bar, Reinhard Zimmermann, München 2002, S. 167–170.

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zichte wird dementsprechend gefordert, die Bestimmung auch auf Verzichtserklärungen des Gläubigers anzuwenden.68 Die veröffentlichten Materialien zu Artikel 2:107 stützen diese These nicht unbedingt.69 Der Kommentar erwähnt den Verzicht nicht. Die abgedruckten Fallbeispiele beziehen sich auf Auslobung und Patronatserklärung. Die rechtsvergleichenden Anmerkungen gehen nicht auf die Regelung des Verzichts in den nationalen Rechtsordnungen ein. Immerhin verweisen sie jedoch pauschal auf die Verbindlichkeit einseitiger Versprechen in Schottland. Aus dem Kommentar lässt sich ferner entnehmen, dass dem Empfänger eines einseitigen Versprechens nach Ansicht der Verfasser der PECL ein (aus dem Wortlaut von Artikel 2:107 nicht erkennbares) Zurückweisungsrecht zustehen soll. Damit wäre eines der zentralen Argumente zugunsten des Vertragsmodells, die angebliche Schutzbedürftigkeit des Schuldners vor der Aufdrängung eines unerwünschten Verzichts, entkräftet. Sollten die PECL mit Artikel 2:107 tatsächlich die Normierung des einseitigen Verzichts bezwecken, wäre dies eine vertretbare Entscheidung. Im Hinblick auf den Anspruch, ein Regelwerk auf rechtsvergleichender Basis zu schaffen, vermag sie jedoch nicht zu überzeugen. Die Materialien vermitteln nicht den Eindruck, dass die Verfasser sich auch nur in Grundzügen einen Überblick über die nationalen Verzichtsregelungen verschafft und die gängigen rechtspolitischen Argumente durchdacht haben. Wahrscheinlicher ist aber wohl, dass sie bewusst von einer Regelung des Forderungserlasses absahen. Immerhin beschränken sich die PECL ausdrücklich „auf das allgemeine Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse. Sie befassen sich [nicht] mit irgendwelchen besonderen Vertragstypen“.70 Kurioserweise enthält jedoch der 2003 veröffentlichte Dritte Teil der PECL Regeln zu der Frage, wie sich ein „Erlass“ (release, remise de dette) auswirkt, den der Gläubiger einem Gesamtschuldner bzw. ein Gesamtgläubiger dem Schuldner gewährt (Artikel 10:108, 10:205 I). Ob ein derartiger Erlass eines Grundgeschäfts bedarf und ob er sich zu diesem kausal oder abstrakt verhält, bleibt unklar. In Artikel 10:108 I und II stehen die Begriffe „Erlass“ und „Vergleich“ (settlement, transaction) scheinbar gleichwertig nebeneinander. Die Unterscheidung könnte aber auch bezwecken, dem vertraglich begründeten Vergleich einen „Erlass“ gegenüberzustellen, der auch durch einseitige Erklärung des Gläubigers bewirkt werden kann. Dafür

68 Kleinschmidt Verzicht, S. 13 f., 306; ders. Erlass, S. 443; Reinhard Zimmermann Europa und das römische Recht, AcP 202 (2002) 243, 270; ders. Ius Commune and the Principles of European Contract Law: Contemporary Renewal of an Old Idea, in Hector MacQueen, Reinhard Zimmermann (Hrsg.), European Contract Law: Scots and South African Perspectives, Edinburgh 2006, S. 1, 31 (Erlass als ‘obvious illustration of Article 2:107 PECL’). 69 Kommission für Europäisches Vertragsrecht Grundregeln, S. 170–172. 70 Ebd. S. XXVII.

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könnte die Formulierung des Artikel 10:205 I sprechen, der zufolge ein Gesamtgläubiger einen Erlass „gewährt“ (a release granted to the debtor). Der Kommentar bleibt zu diesen Fragen erneut stumm, und die rechtsvergleichenden Anmerkungen erschöpfen sich in einer bloßen Aufzählung der einschlägigen nationalen Bestimmungen, die nicht unbedingt mit der Lösung der PECL übereinstimmen.71 2. Code européen des contrats: avant-projet Ein Jahr nach den PECL erschien das Erste Buch des avant-projet zu einem Code européen des contrats. Diesen „Vorentwurf zu einem Europäischen Vertragsgesetzbuch“ erarbeitete die sog. Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler (Académie des privatistes européens) unter Federführung des italienischen Professors Giuseppe Gandolfi.72 Er enthält in Artikel 131 eine Regelung zum „Schulderlass“: 1. Eine Verbindlichkeit, die aus einem Vertrag entstanden ist oder entstehen kann, erlischt, wenn der Gläubiger auf eine der folgenden Weisen darauf verzichtet. 2. Der Gläubiger kann in eindeutiger Formulierung durch Mitteilung an den Schuldner erklären, dass er auf sein Recht verzichtet; der Schuldner hat die Befugnis, in einer angemessenen Frist zu erklären, dass er dies nicht in Anspruch nehmen wird. Die freiwillige Rückgabe des Schuldscheins seitens des Gläubigers an den Schuldner hat, auch nach einer teilweisen Zahlung der angegebenen Summe, die gleiche rechtliche Wirkung wie die Erklärung des Schulderlasses. Der dem Schuldner gewährte Erlass befreit auch den Bürgen. Der Verzicht seitens des Gläubigers auf Sicherheiten für die Schuld begründet jedoch keine Vermutung für den Erlass der Schuld. 3. Der Gläubiger kann auf seine Forderung mittels eines mit dem Schuldner geschlossenen Vertrages verzichten. 4. Der Gläubiger kann sich auch durch den Abschluss eines Verpflichtungsvertrages gegenüber dem Schuldner zum Erlass der Schuld verpflichten und als ein selbständiges Rechtsgeschäft den Erlass dieser Schuld folgen lassen. In diesem Fall überträgt sich die Nichtigkeit des ersten Vertrages nicht auf das folgende Rechtsgeschäft. 5. Die Parteien können einen einseitigen oder zweiseitigen Vertrag durch einen folgenden Vertrag aufheben, durch den sie wechselseitig auf alle Rechte, die aus dem ersten Vertrag entstanden sind oder entstehen können, verzichten. 6. Auf die in den vorstehenden Absätzen vorgesehenen Rechtsgeschäfte ist Art. 36 Abs. 2 dieses Gesetzbuchs entsprechend dem Betrag der erlassenen Schuld anzuwenden, auch wenn es sich bei dem Erlass der Schuld nicht um eine Vergleichsvereinbarung handelt. Erfolgt der Erlass unentgeltlich, ist die für die Schenkung erforderliche Form nicht notwendig.

71 Kommission für Europäisches Vertragsrecht Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts: Teil III, hg. von Christian von Bar, Reinhard Zimmermann, München 2005, S. 644 f., 655–657. 72 Dazu Kurt Siehr Code Européen des Contrats (Avant-projet), in Jürgen Basedow, Klaus Hopt, Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I, Tübingen 2009, S. 260.

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Artikel 36 II des Vorentwurfs, auf den Artikel 131 V 1 verweist, lautet wie folgt: 2. Für den Beweis von Verträgen mit einem Wert von über 5.000 Euro ist Schriftform erforderlich. Dritten gegenüber gilt ein solches Dokument nur, wenn es beglaubigt datiert ist, außer man beweist, dass der Dritte das Datum kannte.

Artikel 131 greift fast alle Regelungsprobleme auf, die der Verzicht in den europäischen Rechtsordnungen aufwirft. Die Bestimmung äußert sich dazu, ob sich der Erlass zum Grundgeschäft kausal oder abstrakt verhält. Sie greift den Gegensatz von Vertrags- und Erklärungsmodell auf und spricht die Frage nach einem Formerfordernis an. Abs. VI Satz 2 soll unter anderem klarstellen, dass der Schuldner keine consideration erbringen muss 73 – ein Ergebnis, das auch schon aus der allgemeineren Bestimmung in Artikel 1 I des Vorentwurfs folgt. Selbst der aus der Praxis europaweit bekannte Satz renuntiatio non praesumitur klingt an (Artikel 131 II 1 Hs. 1). Auch das Schicksal der Nebenrechte ist erwähnt (Abs. II Satz 3). In der Tat verdeutlichen die Begründungserwägungen zu Artikel 131, dass die Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler die rechtsvergleichende Bestandsaufnahme außerordentlich ernst nahm. Im Anschluss an einen kurzen Überblick über die einschlägigen Bestimmungen in den europäischen Kodifikationen finden sich Zusammenfassungen der Rechtsansichten nationaler Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, England, Frankreich, Spanien, Portugal und Italien, die kurz erklären, wie ihr jeweiliges Recht mit den Problemen des Forderungsverzichts umgeht. In einem abschließenden Schritt begründet der Berichterstatter die in Artikel 131 niedergelegten Lösungen und setzt sie zu den nationalen Modellen in Beziehung.74 Dennoch darf bezweifelt werden, ob die Bestimmung eine gelungene und dem modernen Rechtsverkehr uneingeschränkt angemessene Synthese darstellt. Die Suche nach der „besten Lösung“ fiel vielleicht auch deshalb schwer, weil die nationalen Expertenberichte fast durchweg rein deskriptiv waren. Eine Auseinandersetzung mit den rechtspolitischen Argumenten, die den verschiedenen Lösungsmodellen zugrunde lagen, ist nur ansatzweise erkennbar. Schließlich bleibt die Regelung offensichtlich dem italienischen Recht verhaftet. Artikel 131 II und Artikel 36 II lehnen sich eng an den Codice civile an;75 die übrigen Bestimmungen stehen, abgesehen von der Konzession an das deutsche Recht in Abs. IV, völlig mit ihm im Einklang. Dieses Ergebnis 73 Giuseppe Gandolfi Rapport du coordinateur sur les art. 118–136, in Académie des privatistes européens, Code européen des contrats: avant-projet – Livre premier, durchgesehene und korrigierte Ausgabe Mailand 2004, S. 221, 293. 74 Ebd. S. 260–291, 292 f. 75 Vgl. Art. 1236–1239, 2172 Codice civile. So auch ausdrücklich Gandolfi Rapport, S. 293.

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entspricht durchaus dem methodischen Ansatz der Académie des privatistes européens. Sie nimmt stets den Codice civile als Ausgangspunkt, da dieser im europäischen Vergleich eine der modernsten Kodifikationen darstellt und gemeinhin als Bindeglied zwischen der romanischen und der germanischen Rechtstradition gilt. Seine Regeln werden nur dann modifiziert, wo dies im Lichte der Lösungen anderer Rechtsordnungen angezeigt ist.76 Artikel 131 genügt insofern den Vorgaben der Académie. Skepsis ist jedoch angezeigt, wenn die vermeintlich „beste Lösung“ nicht mit rechtspolitischen Argumenten abgestützt wird und gleichzeitig fast identisch mit der Regelung eines einzelnen nationalen Rechts ist, das wiederum das Heimatrecht des Berichterstatters ist. 3. UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts Die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC) enthielten zunächst keine Regelung des Verzichts. Erst in der Neufassung von 2004 wurde eine Regel über den „Erlassvertrag“ eingefügt. Artikel 5.1.9 bestimmt: (1) Der Gläubiger kann durch Vereinbarung mit dem Schuldner sein Recht aufgeben. (2) Das Angebot, ein Recht unentgeltlich aufzugeben, gilt als angenommen, wenn der Schuldner das Angebot nicht unverzüglich ablehnt, nachdem er Kenntnis davon bekommen hat.

Die Bestimmung gibt, im Zusammenwirken mit anderen Artikeln der PICC, Antworten auf die wichtigsten Regelungsprobleme des Forderungsverzichts. Abs. 2 erteilt der Idee eines „abstrakten“ Verzichts eine Absage, indem er implizit davon ausgeht, dass Grundgeschäft und Vollzugsgeschäft zusammenfallen.77 Artikel 5.1.9 bekennt sich grundsätzlich zum Vertragsmodell, lässt aber für den vom Gläubiger erklärten unentgeltlichen Verzicht ausdrücklich die aus den nationalen Rechtsordnungen bekannte Annahmefiktion zu, die im Ergebnis einer Anerkennung des Erklärungsmodells gleichkommt. Hinweise darauf, dass bei der Auslegung der Gläubigererklärung Besonderheiten gelten (renuntiatio non praesumitur), finden sich dagegen nicht. Weder eine bestimmte Form noch die consideration des Versprechensempfängers sind erforderlich (Artikel 1.2, 3.2). Die Entstehungsmaterialien zu Artikel 5.1.9 zeugen insbesondere im Hinblick auf die Terminologie von ausgeprägtem rechtsvergleichenden Problembewusstsein der Arbeitsgruppe. Die Mitglieder diskutierten ausführlich die Assoziationen, die Begriffe wie release, discharge, waiver und renunciation in verschiedenen Rechtsordnungen hervorrufen. Vor allem den letztgenannten

76 77

Siehr Code Européen des Contrats, S. 441. Kritisch Kleinschmidt Erlass, S. 443 f.

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Ausdruck verwarfen sie, um jeden Gedanken an die Wirksamkeit eines (entgeltlichen) einseitigen Verzichts zu unterdrücken. Diese Absicht konterkarierten sie allerdings teilweise, indem sie im offiziellen Kommentar von der renunciation des Rechts sprachen und in den anderen offiziellen Sprachversionen Begriffe verwandten, die dort eher mit dem einseitigen Verzicht assoziiert werden (renonciation, renuncia, remissione). Allerdings fügten sie in jeder Sprachversion den Ausdruck „durch Vereinbarung“ (by agreement etc) bei, um jeden Zweifel zu beseitigen.78 Weniger überzeugend war jedoch die Erörterung der rechtspolitischen Argumente für und wider das Vertragsmodell. Berichterstatter für Artikel 5.1.9 war der Holländer Arthur Hartkamp. Sein erstes Diskussionspapier wies lediglich darauf hin, dass most legal systems einen vertraglichen Erlass verlangen, because a debtor should not be compelled to accept a benefit against his will.79 Angeführt wurde also die Rechtsmaxime beneficia non obtruduntur, die, wie gezeigt, im Bereich des Verzichts nur eingeschränkte Überzeugungskraft hat. Von diesem Zeitpunkt an wurde das Erklärungsmodell während der Beratungen nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen, obwohl mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass Abs. II die Entscheidung für das Vertragsmodell untergrabe, dass eine Lösung nach italienischem Vorbild (einseitiger Verzicht des Gläubigers mit Zurückweisungsrecht des Schuldners) der Lösung in Abs. II funktional vollständig vergleichbar sei und dass unentgeltliche Verzichte im internationalen Handelsverkehr wohl ohnehin nur selten vorkommen.80 Zu erwarten gewesen wäre etwa eine Diskussion darüber, ob das Erfordernis der Annahme durch den Schuldner ausgerechnet für grenzüberschreitende Handelsgeschäfte die effizienteste und der Parteiautonomie zuträglichste Lösung darstellt 81 – oder ob es hier vielleicht aus Gründen der Rechtssicherheit gerade geboten ist. Wie auch beim Vorentwurf der Académie des privatistes européens drängt sich die Vermutung auf, dass die Beteiligten nicht völlig ergebnisoffen nach einer „besten Lösung“ suchten, sondern sich vielmehr an den ihnen vertrauten Regelungsmustern orientierten. Der erste Entwurf für Artikel 5.1.9, den der Berichterstatter der Arbeitsgruppe vorlegte, war eine wörtliche Übersetzung von Artikel 6:160 I und II des niederländischen Burgerlijk Wetboek.82 Auch in den folgenden Beratungen machte Hartkamp deutlich, dass er die Lösung 78 Stefan Vogenauer Art. 5.1.9, in Stefan Vogenauer, Jan Kleinheisterkamp (Hrsg.), Commentary on the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts (PICC), Oxford 2009, Rn. 2. 79 UNIDROIT 2003, Study L – Doc. 87, Rn. 3, 5. 80 UNIDROIT 2003, Study L – Misc. 25, Rn. 533, 535, 536. 81 Vgl. die Kritik bei Reinhard Zimmermann The UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2004 in Comparative Perspective (2006) 21 Tulane European and Civil Law Forum 1, 28. 82 UNIDROIT 2003, Study L – Doc. 87, S. 1. Zu Art. 6:160 BW s.o. Fn. 23, 43.

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seines Heimatsrechts für vorzugswürdig hielt, obwohl sie aus rechtsvergleichender Perspektive eher ungewöhnlich ist. An der Entwurfsbestimmung wurden noch einige sprachliche Korrekturen vorgenommen. Die schließlich angenommene Fassung von Artikel 5.1.9 aber folgt der Sache nach völlig dem niederländischen Modell. 4. Draft Common Frame of Reference Den vorerst letzten Regelungsvorschlag zum Verzicht unterbreiteten im vergangenen Jahr die Study Group on a European Civil Code und die sog. Acquis-Group in ihrem Draft Common Frame of Reference (DCFR). Ich habe bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass sich die Regelung des Forderungsverzichts dem Wortlaut des DCFR nicht eindeutig entnehmen lässt.83 Verwirrend ist vor allem, dass der DCFR die Bestimmungen der PECL zur Bindungswirkung des einseitigen Versprechens und zum „Erlass“ im Zusammenhang von Gesamtschuld und Gesamtgläubigerschaft mehr oder weniger wörtlich übernimmt.84 Auch die Kommentare und die rechtsvergleichenden Anmerkungen zu den entsprechenden Artikeln des DCFR folgen in den hier relevanten Passagen weitgehend dem Vorbild der PECL. Ohne direkten Vorläufer ist dagegen Artikel II.-1:103(3) DCFR. Ihm zufolge sind Gläubiger und Schuldner jedes Rechts, das vertraglich oder durch ein bindendes einseitiges Versprechen begründet worden ist, zu dessen modification or termination … by agreement berechtigt. Doch auch diese Aussage fand sich schon in den PECL.85 Insoweit spiegelt der DCFR die unklare Rechtslage der PECL wider. Eine echte Neuerung findet sich allerdings in Artikel III.-1:108(1). Er bestimmt: A right, obligation or contractual relationship may be varied or terminated by agreement at any time. Hier ist weder klar, warum die Vorschrift neben Artikel II.-1:103(3) überhaupt erforderlich ist und ob, und gegebenenfalls wie, sich die variation von einer modification unterscheidet. Darüber hinaus stellt der ebenfalls neu eingeführte Artikel III.-1:109(1) klar, dass eine einseitige variation or termination by notice nur zulässig ist, wenn dies in dem abzuändernden oder aufzuhebenden Geschäft vorgesehen war oder ein unbefristetes Dauerschuldverhältnis vorliegt. Diese beiden Artikel deuten darauf hin, dass der Forderungsverzicht nach dem DCFR dem Vertragsschlusserfordernis zu unterwerfen ist. Dass dies tatsächlich der Fall sein soll,

83 Stefan Vogenauer Common Frame of Reference and UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts: Coexistence, Competition, or Overkill of Soft Law?, (2009) 6 European Review of Contract Law, Heft 2. 84 Art. II.-1:103(2), III.-4:109(1), III.-4:207(1) DCFR; vgl. Art. 2:107, 10:108, 10:205 I PECL (s.o. II. 1.). 85 Art. 2:106 (s.o. II. 1.).

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lässt sich explizit nur den rechtsvergleichenden Anmerkungen entnehmen. In diesen heißt es, dass ein agreement to vary or terminate an obligation auch einen change [which] is wholly to the benefit of one party – as when one party agrees to let the other off paying an outstanding debt, zum Gegenstand haben kann.86 Aus der Grundentscheidung zugunsten des Vertragsmodells ergibt sich nach den allgemeinen Bestimmungen des DCFR zugleich, dass der Verzicht weder einem Formerfordernis noch der Notwendigkeit der consideration unterliegt.87 Gespannt wendet sich der am Verzicht interessierte Rechtsvergleicher dem offiziellen Kommentar und den rechtsvergleichenden Anmerkungen zu. Schließlich ist ihm angekündigt worden, dass [t]he comments will elucidate each rule … and will outline the critical policy considerations at stake. The notes will reflect the legal position in the national legal systems.88 Hier wird sich sicherlich eine Erklärung dafür finden lassen, warum sich der DCFR zum Vertragsmodell bekennt, obwohl doch die beiden zentralen Argumente, die seit Jahrhunderten zur Rechtfertigung dieser Lösung angeführt worden sind,89 für den DCFR ins Leere laufen. Zum einen lässt sich nicht argumentieren, die Zulassung eines einseitigen Forderungsverzichts würde den Gleichlauf von Forderungsbegründung und Forderungsvernichtung stören: Der DCFR lässt ja gerade die Begründung einer Forderung durch ein mit Rechtsbindungswillen abgegebenes einseitiges Versprechen zu.90 Zum anderen muss der Schuldner nicht vor aufgedrängten Wohltaten des Gläubigers geschützt werden: Der DCFR räumt schließlich jedem, der durch einen einseitigen Rechtsakt begünstigt ist, ausdrücklich ein Zurückweisungsrecht ein.91 Im Kommentar erwartet der Leser auch Erklärungen dazu, ob der DCFR den Verzicht abstrakt oder kausal ausgestaltet, ob er wie die meisten nationalen Rechtordnungen davon ausgeht, dass die Gläubigererklärung erschwerten Voraussetzungen unterliegt und warum er nicht im Anschluss an Artikel 5.1.9 PICC die weitverbreitete Annahmefiktion bei der Erklärung eines unentgeltlichen Verzichts durch den Gläubiger übernommen hat.

86 Study Group on a European Civil Code, Research Group on EC Private Law (Acquis Group) Principles, Definitions and Model Rules of European Contract Law: Draft Common Frame of Reference – Full Edition, hg. von Christian von Bar, Eric Clive, München 2009, Note 7 zu Art. III.-1:108 (Bd. I, S. 702). 87 Art. II.-1:106(1), II.-4:101(1). 88 Study Group on a European Civil Code, Research Group on EC Private Law (Acquis Group) Principles, Definitions and Model Rules of European Contract Law: Draft Common Frame of Reference – Outline Edition, hg. von Christian von Bar, Eric Clive, Hans Schulte-Nölke u.a., München 2009, Introduction, Rn. 25. 89 Dazu oben I. 2. b) bb). 90 Art. II.-1:103(2). 91 Art. II.-4:303.

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Die Antwort ist – Stille. Bis auf das eben zitierte Fragment,92 das in den rechtsvergleichenden Anmerkungen versteckt ist und sich strenggenommen nur auf das Erfordernis der consideration im englischen Recht bezieht, ignorieren sowohl die comments als auch die notes den Verzicht jenseits der besonderen Konstellation der Gesamtschuldner- und Gesamtgläubigerschaft.93 Weder die überall vorhandenen Regelungsprobleme noch die Lösungswege der nationalen Rechtsordnungen werden diskutiert. Für ein Werk, das den Anspruch erhebt, based on extensive comparative research and careful analysis eine [e]ssential background information zu bieten, die dem Gemeinschaftsgesetzgeber accurate information about the different laws in the various Member States verschafft,94 ist das, mit Verlaub, ein wenig dürftig. Neben dem engen Zeitrahmen, in dem der DCFR entstand, kommt als mögliche Erklärung auch hier in Betracht, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe ihre juristischen Vorverständnisse nicht hinreichend hinterfragten. Das zwölf Personen starke Compilation and Redaction Team, das die PECL für die Zwecke der Integration in den DCFR überarbeitete, enthielt nur drei Juristen aus Rechtsordnungen, die den einseitigen Verzicht anerkennen (Italien, Schweden, Schottland). Ihnen gegenüber standen mindestens sieben Vertreter, die mit dem Vertragsmodell vertraut waren (ein Belgier, drei Deutsche, zwei Engländer und ein Franzose).95

III. Schluss Das Ergebnis ist ernüchternd. Keines der vier Vereinheitlichungsprojekte löst im hier untersuchten Bereich vollständig den Anspruch ein, auf rechtsvergleichender Grundlage die regelmäßig auftretenden Regelungsprobleme zu ermitteln, die in den nationalen Rechtsordnungen verfolgten Lösungswege zu analysieren und sich aufgrund sorgfältiger Abwägung der widerstreitenden Argumente für eines der zu Verfügung stehenden Regelungskonzepte (oder gar eine ganz andere „beste Lösung“) zu entscheiden. Nun mag der Verzicht nicht das allerwichtigste Privatrechtsinstitut sein. Vielleicht haben die verschiedenen Arbeitsgruppen in anderen Bereichen auch stärker lege artis gearbeitet. Der Privatrechtsvergleichung, und damit auch dem Hamburger Institut, an dem Klaus Hopt mittlerweile sein Emeritus-Büro bezogen hat, werden jedenfalls so schnell die Forschungsthemen nicht ausgehen.

92 93 94 95

S.o. Fn. 86. Dazu o. Fn. 84. Study Group DCFR – Outline Edition, Introduction, Rn. 63, 71. Study Group DCFR – Outline Edition, Academic Contributors and Funders, S. 47, 54.

„Nemo ex suo delicto meliorem suam condicionem facere potest“ Kränkungen der Testierfreiheit des Erblassers – englisches im Vergleich zum kontinentaleuropäischen Recht * Reinhard Zimmermann Inhaltsübersicht I. Die „forfeiture rule“ des englischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Mordfall Dr. Crippen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehung der Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wirkungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Forfeiture rule“ und Erbunwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Arglistige Täuschung oder Drohung bei Errichtung oder Aufhebung eines Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fraud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Undue influence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erbunwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Widerrechtliche Verhinderung der Errichtung oder Aufhebung eines Testaments V. Exkurs: „Erbschleicherei“ in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Urkundendelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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* Das lateinische Zitat im Titel stammt von Ulpian (D. 50, 17, 134, 1), die Wendung von der Kränkung der Testierfreiheit des Erblassers aus Motive, in: B. Mugdan Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band V, 1899, 276. Der vorliegende Beitrag baut auf zwei früheren Studien zum Problem der Erbunwürdigkeit auf: Reinhard Zimmermann „De bloedige hand en neemt geen erffenis“: Erbunwürdigkeit aufgrund Tötung des Erblassers: Römisches und römisch-holländisches Recht, in: Festschrift für Rolf Knütel, 2009, 1469 ff.; ders. Erbunwürdigkeit: Die Entwicklung eines Rechtsinstituts im Spiegel europäischer Kodifikationen, in: Festschrift für Helmut Koziol, 2010, 463 ff.

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I. Die „forfeiture rule“ des englischen Rechts 1. Der Mordfall Dr. Crippen Am 22. Oktober 1910 wurde im Zentralen Strafgerichtshof in London („Old Bailey“) Hawley Harvey Crippen wegen vorsätzlicher Tötung seiner Ehefrau zum Tode durch den Strang verurteilt. Einen Monat später, am 23. November, wurde das Urteil vollstreckt, nachdem es am 5. November vom Court of Criminal Appeal bestätigt worden war.1 Crippen, damals 48 Jahre alt, stammte aus den USA, wo er als Augen- und Ohrenarzt ausgebildet worden war. Im Jahre 1900 war er als Vertreter einer amerikanischen Pharmafirma nach London gekommen. Er war zu dieser Zeit mit Cora Turner verheiratet, die in Wahrheit Kunigunde Mackamotzki hieß und unter dem Pseudonym Belle Elmore (erfolglos) eine Karriere als Varietésängerin anstrebte. Die Ehe der Crippens war nicht glücklich, und so verliebte Dr. Crippen sich in Ethel Le Neve, eine in demselben Pharmaunternehmen beschäftigte Sekretärin. Am 31. Januar 1910 wurde Cora Crippen anlässlich einer Abendeinladung im Hause der Crippens zum letzten Mal lebend gesehen. Dr. Crippen behauptete zunächst, sie sei während einer Reise in die USA verstorben. Als er im Juli von Scotland Yard vernommen wurde, gab er demgegenüber an, seine Frau sei gar nicht tot, sondern habe ihn verlassen. Um einen gesellschaftlichen Skandal zu vermeiden, habe er die Geschichte der Reise in die USA erfunden. Zwei Beamte von Scotland Yard durchsuchten Crippens Haus und fanden nichts Außergewöhnliches. Damit wäre die Affäre im Sande verlaufen, wären nicht nunmehr Dr. Crippen und Ethel Le Neve überstürzt nach Antwerpen abgereist, wo sie sich auf der SS Montrose als Vater und Sohn Robinson zur Überfahrt nach Kanada einschifften. Das Schiff stach am 20. Juli in See. Die Abreise von Crippen und seiner Geliebten aus London hatte Scotland Yard zu erneuten Untersuchungen veranlasst, während derer unter dem Kellerfußboden im Hause der Crippens Teile eines menschlichen Leichnams gefunden wurden, von denen sich herausstellte, dass sie von Cora Crippen stammten und Spuren eines pflanzlichen Giftes enthielten. Am 16. Juli veröffentlichte Scotland Yard einen Steckbrief, und die Daily Mail setzte eine Belohnung von 100 £ für die Ergreifung der Flüchtigen aus. Der Kapitän der SS Montrose, der diesen Steckbrief gesehen hatte, erkannte zwei Tage nach der Abfahrt aus Antwerpen die gesuchten Personen unter seinen Passagieren und telegraphierte seine Entdeckung nach London. Dort bestieg sofort ein Inspektor das schnellere Schiff Laurentic nach New

1 Alle Details des Strafverfahrens gegen Dr. Crippen nach Filson Young (Hrsg.) The Trial of Hawley Harvey Crippen, 2. Aufl. 1950, und nach dem Sachverhalt des in Fn. 6 genannten Zivilurteils. Der Court of Criminal Appeal befasste sich vor allem mit zwei verfahrensrechtlichen Problemen: The King v. Crippen, [1911] 1 K.B. 149.

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York, fuhr mit der Bahn nach Kanada, ließ sich als Lotse an Bord der SS Montrose bringen, verhaftete Dr. Crippen und überführte ihn zurück nach London. Das Verfahren gegen Dr. Crippen erregte großes Aufsehen in der britischen Öffentlichkeit und wurde zu einer cause célèbre der Kriminalgeschichte.2 Es handelte sich um einen reinen Indizienprozess, da Crippen selbst stets bestritt, seine Frau vergiftet zu haben. Und es war das erste Mal, dass „[w]ireless telegraphy, then in its early commercial stages, was used … in the science of criminal detection“.3 Doch gab der Mord von Dr. Crippen an seiner Frau nicht nur den Anlass zu einem spektakulären Strafverfahren; er hatte auch Bedeutung für die Entwicklung des englischen Erbrechts. Um diesen Aspekt geht es in dem vorliegenden Essay. 2. Entstehung der Regel Zwei Wochen vor seiner Hinrichtung hatte Dr. Crippen ein Testament aufgesetzt und darin seiner Geliebten Ethel Le Neve sein gesamtes Vermögen vermacht; außerdem hatte er sie zu seiner Testamentsvollstreckerin bestimmt („sole executrix and universal legatee“).4 Sie war damit personal representative von Dr. Crippen, d.h. die Person, die dessen Persönlichkeit fortsetzte. In einem Verfahren vor der Probate, Divorce and Admiralty Division des High Court of Justice ging es darum, ob auf Ethel Le Neve damit auch der Nachlass der intestat verstorbenen Cora Crippen übergegangen war; das wurde von deren Schwester bestritten. Die Entscheidung hing davon ab, ob besondere Umstände („special circumstances“) vorlagen, die das Gericht nach s. 73 des Court of Probate Act ermächtigten, eine andere Person als die normalerweise gesetzlich dazu berechtigte (das wäre Dr. Crippen als Ehemann bzw. nach ihm Ethel Le Neve gewesen) mit der Nachlassabwicklung 2 So findet es sich sowohl in Harry Hodge, James E. Hodge (Hrsg.) Famous Trials, Penguin Books, 1984 (S. 52–77) als auch in Curt Riess Prozesse, die unsere Welt bewegten, 1992 (S. 222–238). Die Geschichte von Dr. Crippen ist mehrfach verfilmt worden, u.a. Dr. Crippen an Bord (1942, mit Rudolf Fernau und René Deltgen); Dr. Crippen lebt (1958); und Dr. Crippen (ein englischer Film von 1962). 3 Filson Young Introduction, in: idem (Fn. 1) XXXI. 4 Das englische Erbrecht zeichnet sich dadurch aus, dass mit dem Tod einer Person deren Nachlass nicht, wie etwa in Deutschland, unmittelbar auf den Erben übergeht, sondern zunächst auf den personal representative. Personal representative ist entweder der vom Erblasser testamentarisch bestimmte executor oder der vom Nachlassgericht ernannte administrator. Hinzu kommt, dass ein englisches Testament keine Erbeinsetzungen im Sinne des deutschen Rechts enthält, sondern dass es sich um ein reines Vermächtnistestament handelt. Überblick auf deutsch bei Dieter Henrich, Peter Huber Einführung in das englische Privatrecht, 3. Aufl. 2003, 115 ff.; rechtvergleichend Inge Kroppenberg Universalsukzession, und Anatol Dutta Testamentsvollstreckung, beide in Jürgen Basedow, Klaus J. Hopt, Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, 1560 ff., 1477 ff.

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zu betrauen. Das Gericht bejahte diese Frage.5 Zur Begründung heißt es: “It is clear that the law is, that no person can obtain, or enforce, any rights resulting to him from his own crime; neither can his representative, claiming under him, obtain or enforce any such rights. The human mind revolts at the very idea that any other doctrine would be possible in our system of jurisprudence.” 6 Zum Verwalter der Erbschaft von Cora Crippen wurde damit gemäß dem Antrag ihrer Schwester deren Anwalt bestimmt. Im Übrigen ging es in der Entscheidung In the Estate of Cunigunda (Otherwise Cora) Crippen vor allem darum, ob das Strafurteil gegen Dr. Crippen in das Zivilverfahren um den Nachlass von Cora Crippen zum Beweis der Tatsache eingeführt werden durfte, dass Crippen seine Frau umgebracht hatte.7 Während sich das Gericht zu letzterem Punkt mit einer ganzen Reihe von Vorentscheidungen (und mit einem Lehrbuch zum Beweisrecht) auseinandersetzte, die eine ablehnende Haltung nahezulegen schienen, zitierte es zu der Frage, ob jemand sich auf eine Rechtsposition stützen kann, die ihm aufgrund eines Verbrechens zugefallen ist, nur eine Entscheidung aus dem Jahre 1892.8 Dort war es darum gegangen, ob eine Frau, die ihren Ehemann ermordet hatte, Ansprüche aus einer von ihm zu ihren Gunsten abgeschlossenen Lebensversicherung geltend machen konnte. Der Court of Appeal hatte das unter Hinweis auf ein „principle of public policy“ verneint: „It appears to me“, heißt es im Urteil von Fry, L.J.,9 „that no system of jurisprudence can with reason include amongst the rights which it enforces rights directly resulting to the person asserting them from the crime of that person“. Für diesen Grundsatz scheint es keine unmittelbar einschlägige Vorentscheidung gegeben zu haben.10 Das wirkt auf den ersten Blick erstaunlich, erklärt sich 5

In the Estate of Cunigunda (Otherwise Cora) Crippen, [1911] P. 108 („These are, surely, ,special circumstances‘“: 111). Richter war der Präsident des Gerichts, Sir Samuel Evans. Zu diesem A. W. B. Simpson (Hrsg.) Biographical Dictionary of the Common Law, 1984, 169. 6 In the Estate of Cunigunda (Otherwise Cora) Crippen, [1911] P. 108 (112). 7 [1911] P. 108 (112 ff.). 8 Cleaver and Others v. Mutual Reserve Fund Life Association, [1892] 1 Q.B. 147. 9 [1892] 1 Q.B. 147 (156). Zu Sir Edward Fry (der unter anderem auch einen Treatise on Specific Performance of Contracts verfasst hatte), vgl. Simpson (Fn. 5) 195 f. 10 „It may be that there is no authority directly asserting the existence of the principle“: Fry, L.J., in Cleaver and Others v. Mutual Reserve Fund Life Association, [1892] 1 Q.B. 147 (156). Immerhin nahm Fry, L.J., auf die Entscheidung The Amicable Society for a Perpetual Life Assurance Office v. James Bolland, Joseph Hare, and Matthias Koops Knight („Fauntleroy’s Case“), 4 Bligh N.S. 194 Bezug, die auf demselben Grundsatz zu beruhen scheine. Dort war es jedoch um ein anderes Problem gegangen. Henry Fauntleroy hatte 1815 eine Lebensversicherung abgeschlossen und darauf, vertragsgemäß, regelmäßige Zahlungen geleistet. 1824 wurde er wegen eines gegenüber der Bank of England begangenen Vermögensdelikts zum Tode verurteilt und hingerichtet. Konnten seine Rechtsnachfolger Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag geltend machen? Nein, entschied das Gericht, denn es verstieße gegen „the plainest principles of public policy“, einen Lebensversiche-

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aber daraus, dass das Vermögen eines rechtskräftig verurteilten Verbrechers („felon“) 11 traditionell dem Feudalherrn oder der Krone verfallen war. Die Tötung eines Menschen war ein Verbrechen („felony“), und damit konnte sich das Problem, dass der Totschläger aus seiner Tat einen vermögenswerten Vorteil erlangte, kaum ergeben.12 Erst der Forfeiture Act 1870 änderte insoweit die Rechtslage, indem er den Verfall an die Krone abschaffte,13 und auf diese Rechtsänderung reagierte das Gericht in Cleaver and Others v. Mutual Reserve Fund Life Association: Der Verbrecher sollte von seiner Tat nicht profitieren dürfen. Im Fall Crippen wurde diese anhand eines versicherungsrechtlichen Sachverhalts entwickelte Regel in das Erbrecht übertragen. 3. Anwendungsbereich Die Verfallregel 14 ist im Laufe der Zeit mehrfach bestätigt worden und bildet (auch wenn sie nicht so alt ist, wie gelegentlich insinuiert wird) 15 einen allgemein anerkannten Bestandteil des englischen common law 16. Eine gesetzliche Grundlage hat sie nicht, und einer solchen bedarf sie auch nicht. Vielmehr handelt es sich um die richterrechtliche Manifestation eines elementaren

rungsvertrag dahin zu interpretieren, dass das Risiko, wegen eines mit Todesstrafe bedrohten Verbrechens hingerichtet zu werden, vom Versicherungsschutz gedeckt sei. – Vgl. auch W. O. Willis (for the applicant) In the Estate of Cunigunda (Otherwise Cora) Crippen, [1911] P. 108 (109): „The present case is unlike any case previously decided“. 11 Zum Begriff „felony“ vgl. im Überblick J. H. Baker An Introduction to English Legal History, 4. Aufl. 2002, 502; zu seinen lehnsrechtlichen Ursprüngen vgl. Karl-Heinz Spiess, Gerhard Theuerkauf Felonie in Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I, 2. Aufl. 2008, Sp. 1534 f. Zum Verfall des Vermögens des felon neuerdings ausführlich (und mit Hinweis auf die Schwierigkeit der Definition des Begriffs felony; sein maßgebliches Charakteristikum war gerade die Rechtsfolge des Vermögensverfalls), K. J. Kesselring Felony Fortfeiture in England, c. 1170–1870, Journal of Legal History 30 (2009), 210 ff. 12 Vgl. etwa T. K. Earnshaw, P. J. Pace „Let the hand receiving it be ever so chaste“, Modern Law Review 37 (1974), 481; Roger Kerridge Parry & Kerridge: The Law of Succession, 12. Aufl. 2009, 14–64; Paul Matthews Property, Punishment and Double Punishment: The Forfeiture Act 1982, Journal of Social Welfare Law 1983, 141 f. 13 An Act to abolish Forfeitures for Treason and Felony, 33 & 34 Vict. Chap. 23 (Forfeiture Act 1870). 14 So im Folgenden im Anschluss an den englischen Sprachgebrauch, der freilich insoweit verwirrend ist, als für die Zeit sowohl vor 1870 als auch danach von einer forfeiture rule (Verfallregel) die Rede ist (vgl. auch Kerridge (Fn. 12) 14–64, Fn. 211; Nicola Peart Reforming the Forfeiture Rule: Comparing New Zealand, England and Australia, Common Law World Review 2002, 4 f.: „something of a misnomer“). Nach 1870 ist nicht mehr gemeint, dass das Vermögen der Krone verfallen ist, sondern lediglich, dass es derjenige, der den Erblasser umgebracht hat, nicht erhält. Zur Frage, an wen es statt dessen fällt, infra I. 4. 15 „There is a long history of judicial decisions upon this point“: Pennycuick, V.-C., In Re Giles; Giles v. Giles, [1972] Ch. 544 (550). Schon 1934 sprach Clauson, J. von einem „well settled principle“: In Re Sigsworth; Bedford v. Bedford, [1935] Ch. 89 (92). 16 Cozens-Hardy, M. R., In the Estate of Hall; Hall v. Knight and Baxter, [1914] P. 1 (5).

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Gerechtigkeitsgrundsatzes („public policy“).17 Die Regel gilt für die testamentarische 18 ebenso wie für die gesetzliche Erbfolge;19 andere der einschlägigen Entscheidungen beziehen sich auf Vorteile aufgrund eines Versicherungsvertrages 20 oder auf das staatliche Witwengeld.21 Jedoch ist nicht sicher, inwieweit die Entscheidungen für die letztgenannten Fallgruppen tatsächlich Präzedenzcharakter für die erbrechtliche Regel haben und umgekehrt.22 Die Verfallregel erfasst alle Fälle einer vorsätzlichen Tötung. Unklar ist freilich, ob und inwieweit sie darüber hinausreicht. Es gibt eine Reihe von dicta der englischen Gerichte, wonach sowohl murder als auch manslaughter erfasst sind. So heißt es etwa In the Estate of Hall: “The principle can only be expressed in that wide form. It is that a man shall not slay his benefactor and thereby take his bounty, and I cannot understand why a distinction should be drawn between the rule of public policy where the criminality consists in murder and the rule where the criminality consists in manslaughter.” 23 Doch auch In the Estate of Hall hatte die Frau, um deren erbrechtliche Stellung es ging, ihren Mann vorsätzlich getötet. In einem anderen Fall hatte eine Frau ihren Mann mit einem Nachttopf erschlagen und war wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit lediglich aufgrund manslaugther verurteilt worden.24 Manslaughter reicht jedoch auch in den Bereich nicht vorsätzlicher Tötungshandlungen hinein: killing by unlawful and dangerous act, killing by gross negligence, killing with recklessness as to serious injury.25 „Manslaughter is a crime which varies infinitely in its seriousness“, wie es in Gray v. Barr

17 Vgl. Harvey, J., in Re Jane Tucker, (1921) 21 State Reports, New South Wales 175 (181) („… it is an extraordinary instance of Judge-made law invoking the doctrine of public policy in order to prevent what is felt in a particular case to be an outrage“). 18 Vgl. etwa In the Estate of Hall; Hall v. Knight and Baxter, [1914] P. 1. 19 Vgl. etwa In Re Sigsworth; Bedford v. Bedford, [1935] Ch. 89 (92); T. G. Youdan Acquisition of Property by Killing, (1973) 89 Law Quarterly Review 246 f.; C. H. Sherrin, R. C. Bonehill The Law and Practice of Intestate Succession, 3. Aufl. 2004, 17-004. 20 Vgl. etwa Beresford v. Royal Insurance Company, Limited, [1938] A.C. 586. 21 Regina v. Chief National Insurance Commissioner, [1981] Q.B. 758. 22 „… a complicating factor is that there may be different rules to cover (i) benefits derived under the deceased’s will or on his intestacy; (ii) benefits derived under insurance policies and (iii) state benefits“: so Kerridge (Fn. 12) 14–16 (im Hinblick auf die Frage, auf welche Tötungsverbrechen sich die Regel bezieht). Vgl. ferner etwa In Re Giles; Giles v. Giles, [1972] Ch. 544 (553). 23 In the Estate of Hall; Hall v. Knight and Baxter, [1914] P. 1 (7) per Hamilton, L.J.; vgl. auch Cozens-Hardy, M.R., in derselben Entscheidung (6): „It is said that that was a case of murder and not manslaughter. I entirely fail to appreciate that distinction“. 24 In Re Giles; Giles v. Giles, [1972] Ch. 544. – Demgegenüber ist freilich anerkannt, dass Vorteile von Todes wegen erhalten kann, wer wegen Unzurechnungsfähigkeit für nicht schuldig befunden wird: vgl. etwa Re Houghton; Houghton v. Houghton, [1915] 2 Ch. 173; kritisch zu dieser Unterscheidung Kerridge (Fn. 12) 14–64 („In practice, the line between insanity and diminished responsibility has been rather a fine one …“). 25 Vgl. Halsbury’s Laws of England, 4. Aufl., Neubearbeitung 2006, Band 11 (1), nn. 99 ff.

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heißt,26 und es wird deshalb die Ansicht vertreten, dass die Verfallregel jedenfalls nicht automatisch auf alle Fälle von manslaughter angewandt werden sollte.27 Einer der Fälle, die in der Auseinandersetzung eine Rolle spielen, ist die Tötung des Erblassers durch rechtswidriges und grob fahrlässiges Verhalten im Straßenverkehr.28 Die englischen Gerichte haben dazu noch nicht abschließend Stellung genommen. Immerhin ist in einer neueren Entscheidung angedeutet, dass die Anwendbarkeit der Regel bei manslaughter auf Fälle einer Tötung beschränkt sein könnte, die ein Element rechtswidriger Gewalt involvieren.29 Doch ist diese Bemerkung obiter, da die Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt war: ging es doch um die Tötung des Erblassers durch seine Ehefrau mittels einer Schrotflinte, mit der sie ihn eigentlich nur erschrecken wollte, aus der sich dann aber der tödliche Schuss gelöst hatte.30 Während seit der Entscheidung in Sachen Crippen feststeht, dass die Anwendung der Verfallregel in den probate proceedings auf die zuvor erfolgte strafrechtliche Verurteilung wegen murder (oder manslaughter) gestützt werden darf,31 ist umgekehrt ein solches Strafurteil nicht Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit.32 So konnte In Re Sigsworth der Mörder aus dem Vermögen seiner von ihm ermordeten Mutter nichts erwerben, obwohl er seinerseits Selbstmord begangen hatte, bevor er strafrechtlich belangt werden konnte.33 Und in Gray v. Barr wurde die Verfallregel sogar angewandt, obwohl der Beklagte im Strafverfahren wegen murder und manslaughter freigesprochen worden war.34 In der Literatur wird bisweilen die Verfallregel nicht

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[1971] 2 Q.B. 554 (581) (ein versicherungsrechtlicher Fall). A. J. Oakley Constructive Trusts, 3. Aufl. 1997, 49; ausführlich zur Frage insbesondere Youdan Law Quarterly Review 89 (1973), 237 ff., der den Anwendungsbereich auf Fälle vorsätzlicher Tötung beschränken möchte. Vgl. ferner die Darstellung bei Earnshaw/Pace Modern Law Review 37 (1974), 493 ff.; Sherrin/Bonehill (Fn. 19) 17-008; Peart Common Law World Review 2002, 5 ff. 28 „Motor manslaughter cases“; vgl. etwa Gray v. Barr, [1971] 2 Q.B. 554 (568, 581). 29 Re K., [1985] Ch. 85 (98); und vgl. bereits Gray v. Barr, [1971] 2 Q.B. 554 (581). 30 „The widow … was guilty of a threat of violence which was deliberate in that she intended to frighten and so deter the deceased. The death, though I accept wholly unintended, was the unfortunate consequence of her conduct in threatening the deceased with a loaded gun and disengaging the safety catch“: In Re K., [1985] Ch. 85 (98). 31 Supra, Text zu Fn. 7; heute vgl. etwa John Ross Martyn, Nicholas Caddick (Hrsg.) Williams, Mortimer and Sunnucks on Executors, Administrators and Probate (= 19. Auflage von Williams on Executors), 2008, 70-03; Peart Common Law World Review 2002, 11 ff. 32 Oakley (Fn. 27) 49; Sherrin/Bonehill (Fn. 19) 17-005. 33 [1935] Ch. 89. 34 [1971] 2 Q.B. 554. Dazu Lord Denning, M.R., (567 f.): „There is no doubt, to my mind, that Mr. Barr was guilty of manslaughter. I know that at the criminal trial he was acquitted altogether. But that was a merciful verdict: and in this civil action we must, when called upon, give the true decision according to the law.“ Schilderung des Sachverhaltes auf S. 564 f. in dem für Lord Denning charakteristischen Stil; dazu allgemein Reinhard Zimmermann „Fiat Justitia!“: Alfred Thompson Denning, Baron Denning of Whitchurch 27

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nur bei vollendeter, sondern auch bei versuchter Tötung für anwendbar erklärt.35 Dabei wird auf eine neuere Entscheidung verwiesen, in der eine Frau wegen Anstiftung zum Mord an ihrem ehemaligen Ehemann verurteilt worden war, der den Anschlag jedoch überlebt hatte.36 Doch ging es hier nicht um einen Erwerb von Vermögensvorteilen von Todes wegen, sondern um Ansprüche der Frau aus einer Scheidungsvereinbarung. 4. Wirkungsweise Was die Wirkungsweise der Verfallregel betrifft, so ist klar, dass derjenige, der den Erblasser getötet hat, keinen Anspruch auf irgendwelche Vorteile aus dessen Vermögen hat.37 Da im englischen Recht die Erbschaft entweder auf den vom Nachlassgericht eingesetzten administrator übergeht oder auf den vom Erblasser eingesetzten executor, der aber ebenfalls erst vom Nachlassgericht das sogenannte probate, d.h. die gerichtliche Bestätigung des Testaments, erlangt haben muss, ist es relativ unwahrscheinlich, dass der Mörder tatsächlich etwas aus der Erbschaft erhält.38 Ist dies gleichwohl der Fall (etwa, weil das Verbrechen erst später aufgeklärt wurde), greifen die englischen Gerichte auf die Figur eines constructive trust zurück.39 Unklar war lange Zeit, wer an die Stelle des vom Erbschaftserwerb Ausgeschlossenen rückt. In Betracht kommen hier entweder diejenigen, die bei Wegfall des Mörders erben würden, oder aber die Krone (mit der Begründung, dass es sich insoweit um bona vacantia handelt).40 Noch in einer Entscheidung aus dem Jahre (1899–1999) und sein Beitrag zur Entwicklung des englischen Privatrechts, in: Colloquia für Dieter Schwab, 2000, 153 ff. 35 Oakley (Fn. 27) 49. 36 Evans v. Evans, [1989] 1 F.L.R. 351. 37 Clive V. Margrave-Jones Mellows: The Law of Succession, 5. Aufl. 1993, 30.65 weist darauf hin, dass zunächst (Cleavers Fall) nur darüber entschieden wurde, dass das Recht dem Mörder oder Totschläger nicht bei der Durchsetzung seines Anspruchs hilft. Seine Erwerbsunfähigkeit wurde erst später klargestellt: In Re Callaway; Callaway v. Treasury Solicitor, [1956] Ch. 559. 38 Vgl. auch Oakley (Fn. 27) 50. 39 Oakley (Fn. 27) 50; Youdan Law Quarterly Review 89 (1973), 251 ff. – Zum constructive trust aus der Sicht einer stärker im römischen Recht verwurzelten und an systematischem Rechtsdenken orientierten Rechtsordnung George L Gretton Constructive Trusts, Edinburgh Law Review 1 (1997), 281 ff., 408 ff.; für England vgl. etwa der Überblick bei Peter Birks Unjust Enrichment, 2. Aufl. 2005, 302 ff.; Details in dem oben zitierten Werk von Oakley. 40 Ausführlich dazu Sherrin/Bonehill (Fn. 19) 17-015 ff.; Oakley (Fn. 27) 50 ff.; Peart Common Law World Review 2002, 14 ff.; vgl. ferner Margrave-Jones (Fn. 37) 30.66; Ross Martyn/Caddick (Fn. 31) 70-05. Vielfach ist davon die Rede, die Verfügung zugunsten des Mörders oder Totschlägers sei als „struck out“ oder „lapsed“ anzusehen; vgl. etwa Margrave-Jones, loc. cit. mit Nachweisen aus der Judikatur. Dazu In Re Callaway; Callaway v. Treasury Solicitor, [1956] Ch. 559 (564): „I do not consider the metaphorical expression ‘struck out’ as being particularly happy or helpful“ (per Vaisey, J.).

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1934 wurde die Antwort auf diese Frage ausdrücklich offengelassen,41 ehe sie dann im Jahre 1956 im Sinne der ersten Alternative entschieden wurde.42 Emily Callaway hatte ihrer Tochter, Jeanette Stone, ihr gesamtes Vermögen vermacht und sie zur Testamentsvollstreckerin eingesetzt. Einige Jahre danach hatte Jeanette zunächst ihre Mutter getötet und sich dann selbst ums Leben gebracht. Vaisey, J., sprach das gesamte Vermögen Frau Callaways Sohn zu, der, bei Wegfall ihrer Tochter, ihr einziger gesetzlicher Erbe war. Interessant an der Entscheidung ist zum einen, dass Vaisey, J., persönlich unverhohlene Sympathien zugunsten der entgegengesetzten Lösung zu erkennen gibt, die darin bestanden hätte, den Sohn und die Krone jeweils auf die Hälfte des Nachlasses für berechtigt zu halten: “Why should Mrs. Stone’s crime endow the plaintiff [sc.: den Sohn] even to the extent of half of Mrs. Callaway’s estate? Seeing that her crime was against the Queen’s peace, why should not the Crown, rather than the plaintiff, get the benefit from it? … That the plaintiff should take the whole seems to me both illogical and unmeritorious.” 43 Wenn die Entscheidung gleichwohl zugunsten des Sohnes ausfiel, so spielten dabei bestimmte Wendungen, die in Cleaver and Others v. Mutual Reserve Fund Life Association 44 gebraucht worden waren, eine Rolle; von Bedeutung war aber auch – und das ist der andere bemerkenswerte Punkt – eine australische Entscheidung aus dem Jahre 1921,45 die sich ihrerseits ausdrücklich auf die Folgen der Erbunwürdigkeit in der kontinentaleuropäischen Rechtsentwicklung bezog: während im römischen Recht das dem Erbunwürdigen zugefallene Vermögen konfisziert wurde, sei es nach römisch-gemeinem Recht in Frankreich an denjenigen gefallen, der anstelle des Erbunwürdigen zum Zuge gekommen wäre.46 „It must be remembered“, sagt Vaisey, J., in diesem Zusammenhang,47 „that the civil law was applied in the ecclesiestical courts, and there is some reason to regard it as still governing such a point in the present.“ Offen war im englischen Recht lange Zeit, ob durch das Eingreifen der Verfallregel nur derjenige, der den Erblasser getötet hat oder auch seine Abkömmlinge von dem Erwerb von Vorteilen aus der Erbschaft ausgeschlos-

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In Re Sigsworth; Bedford v. Bedford, [1935] Ch. 89 (92 f.). In Re Callaway; Callaway v. Treasury Solicitor, [1956] Ch. 559 (562 ff.). 43 In Re Callaway; Callaway v. Treasury Solicitor, [1956] Ch. 559 (563 f.). 44 [1892] 1 Q.B. 147. 45 Re Jane Tucker, (1921) 21 State Reports, New South Wales 175. 46 Dazu R. Zimmermann Festschrift Knütel, 1471, 1477 (bezogen auf das römische und römisch-gemeine Recht in den Niederlanden). In Re Jane Tucker, (1921) 21 State Reports, New South Wales 175 (177 f.) bezieht sich Harvey, J., in erster Linie auf Jean Domat Les lois civiles dans leur ordre naturel, ein Werk, von dem es seit 1722 eine englische Übersetzung gab (dazu R. Zimmermann ZEuP 1 (1993) 47). 47 In Re Callaway; Callaway v. Treasury Solicitor, [1956] Ch. 559 (563). 42

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sen sind.48 Die Frage wurde entscheidungsrelevant in Re DWS.49 Hier hatte R seine Eltern ermordet, die kein Testament hinterlassen hatten. Damit ergab sich die Frage, ob ihr Vermögen (i) an R’s Sohn, den einzigen Enkel von dessen ermordeten Eltern, (ii) die Geschwister der Eltern, oder (iii) als bona vacantia an die Krone fiel. Der Court of Appeal entschied die Frage mehrheitlich im Sinne von (ii), während Sedley, L.J., die Lösung (iii) befürwortete, die er für „potentially less unjust“50 hielt als (i) und (ii). Gleichwohl machte Sedley, L.J., aber kein Geheimnis daraus, dass er im Grunde gern im Sinne von (i) entschieden hätte, wenn er einleitend darlegt: „Most people in the situation of the two deceased parents in the present case, if told that in such an unimaginable event their son would be disqualified from inheriting and asked what they would then like to happen, would say that they would like their estate to go to their grandchild.“51 In dieser Einschätzung folgt ihm die Literatur,52 die die Entscheidung Re DWS kritisiert.53 5. Reform Insgesamt ist der Zustand des englischen Rechts in diesem Bereich nicht befriedigend.54 Daran hat auch ein Eingreifen des Gesetzgebers im Jahre 1982 nichts geändert. Denn der Forfeiture Act 1982 55 stellt nicht etwa die Verfallregel und ihre Folgen auf eine neue und klare gesetzliche Grundlage, sondern er setzt diese voraus und ist ihr gewissermaßen aufgepfropft.56 Er ermächtigt die Gerichte, in Fällen einer Tötung, die nicht als murder zu qualifizieren 48 Vgl. z.B. Oakley (Fn. 27) 51; Robert Goff, Gareth Jones The Law of Restitution, 5. Aufl. 1998, 804 ff. 49 [2001] 1 All ER 97. 50 Re DWS, [2001] 1 All ER 97 (108). 51 Re DWS, [2001] 1 All ER 97 (106). 52 Vgl. Roger Kerridge Visiting the Sins of the Fathers on Their Children, Law Quarterly Review 117 (2001), 372: „The intuitive reaction of most people is that this result is wrong: the estates should have passed to [the grandson] … It is submitted that the intuitive reaction is right and that the result is wrong.“. 53 Kerridge Law Quarterly Review 117 (2001), 371 ff.; Richard Wallington Unlawful killing, disclaimer and the intestacy rules, New Law Journal 2001, 919 f.; vgl. ferner Kerridge (Fn. 12) 14–82; Sherrin/Bonehill (Fn. 19) 17-018; Peart Common Law World Review 2002, 16 ff. 54 Kerridge (Fn. 12) 14–67; Peart Common Law World Review 2002, 20. 55 An Act to provide for relief for persons guilty of unlawful killing from forfeiture of inheritance and other rights; to enable such persons to apply for financial provision out of the deceased’s estate; to provide for the question whether pension and social security benefits have been forfeited to be determined by the Social Security Commissioners; and for connected purposes. 56 „It is engrafted onto the earlier law and, as the earlier law is uncertain, the present position is uncertain too“: Kerridge (Fn. 12) 14–66; Peart Common Law World Review 2002, 23 f.

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sind,57 die Auswirkungen der Verfallregel zu modifizieren, sofern sie zu der Auffassung gelangen, „that, having regard to the conduct of the offender and of the deceased and to such other circumstances as appear to the court to be material, the justice of the case requires the effect of the rule to be so modified in that case“.58 Das Gesetz 59 reagiert damit offenbar auf als hart empfundene Entscheidungen wie diejenige in der Sache Giles,60 wo die Verfallregel auf eine Frau angewandt worden war, die aufgrund verminderter Zurechnungsfähigkeit wegen manslaughter (statt wegen murder) verurteilt worden war.61 Angewandt wurde es etwa in der bereits oben (Fn. 29) erwähnten Rechtssache K., wo eine Frau, die von ihrem Ehemann jahrelang misshandelt worden war, diesen anlässlich eines erneuten Angriffs auf sie mit einer Schrotflinte erschrecken wollte, aus der sich dann aber der tödliche Schuss löste.62 Die Frau war in einem Strafverfahren lediglich wegen manslaughter verurteilt worden und ihr wurde nunmehr, unter Abweichung von der Verfallregel, das gesamte (beträchtliche) Vermögen ihres Mannes zugesprochen, auf das sie von diesem eingesetzt worden war.63

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Section 5 Forfeiture Act 1982. Section 2 (2) Forfeiture Act 1982. 59 Dazu kritisch Sherrin/Bonehill (Fn. 19) 17-022 (Fn. 93) (“defective”); Kerridge (Fn. 12) 14–66 („not well drafted“); Peart Common Law World Review 2002, 25 („a number of deficiencies“); Matthews Journal of Social Welfare 1983, 141 („… little short of a legislative desaster“). Ausführlich zur Entstehung des Gesetzes („which its sponsors never expected to get enacted, and which was undeniably technically defective in many ways“) S. M. Cretney The Forfeiture Act 1982: The Private Member’s Bill as an Instrument of Law Reform, Oxford Journal of Legal Studies 10 (1990) 289 ff. 60 In Re Giles; Giles v. Giles, [1972] Ch. 544; vgl. Sherrin/Bonehill (Fn. 19) 17-023. Vgl. ferner z.B. Re Dellow’s Will Trusts, [1964] 1 All ER 771, wo Ungoed-Thomas, J., die Anwendung der Verfallregel als „clumsy, crude, and, indeed, nowadays … somewhat uncivilised“ bezeichnete (S. 775). Es ging um einen Fall, in dem die Frau ihren schwerkranken Mann getötet hatte „[because she was] deeply concerned for him particularly in the event of his surviving her“. 61 Supra, I. 3., Text zu Fn. 24. 62 Re K., [1985] 85 (98 ff.) (bestätigt durch den Court of Appeal, [1986] Ch. 180); dazu Sherrin/Bonehill (Fn. 19) 17-022; Oakley (Fn. 27) 52 f.; Kerridge (Fn. 12) 14–66. 63 Dem Beispiel der englischen Gesetzgebung (discretionary approach bei grundsätzlicher Beibehaltung der Verfallregel) sind das Australian Capital Territory und New South Wales gefolgt. Anders der Ansatz der Law Commission in Neuseeland. Dort wird eine Kodifizierung der Verfallregel und der damit verbundenen Probleme befürwortet. Dazu ausführlich Peart Common Law World Review 2002, 22 ff. Im Jahre 2007 ist dieser Vorschlag mit nur geringfügigen Änderungen tatsächlich Gesetz geworden: Succession (Homicide) Act 2007. 58

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II. „Forfeiture rule“ und Erbunwürdigkeit Überblickt man die Verfallregel und ihre Anwendung im englischen Recht, so kommt dem kontinentaleuropäischen Juristen vieles bekannt vor. Zwar kennt das englische Recht nicht den Begriff der Erbunwürdigkeit, unter dem die kontinentaleuropäischen Kodifikationen das hier behandelte Problem konzeptualisieren; gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass, wer einen Menschen tötet, diesen nicht beerben können soll (manche englischen Autoren verwenden insoweit den Begriff der Erbunfähigkeit).64 Dabei beschränkt das moderne kontinentaleuropäische civil law (im Gegensatz zum common law) diese Regel auf Vorsatztaten.65 Anders war dies im ius commune,66 und anders ist dies deshalb auch heute noch im römisch-holländischen Recht Südafrikas.67 Dessen Erfahrungen 68 bestätigen jedoch, was sich auch im englischen Recht zeigt: Dass eine Erstreckung auf alle Fahrlässigkeitstaten ebenso unangemessen ist (Straßenverkehr!) wie eine Abgrenzung innerhalb der nicht-vorsätzlichen Tötungshandlungen schwierig. Das durch den Forfeiture Act 1982 den Gerichten eingeräumte Ermessen, die Verfallregel aus Billigkeitsgründen nicht anzuwenden, ist dem civil law traditionell fremd.69 Das

64 Vgl. die Überschrift in Ross Martyn/Caddick (Fn. 31) Chapter 70 (“Incapacity to take”); Oakley (Fn. 27) 50 („The killer is treated as being incapable of inheriting and the property devolves on this assumption“). Auch im kontinentaleuropäischen Recht wird die Erbunwürdigkeit teilweise als ein Fall der Erbunfähigkeit angesehen (Österreich, Spanien, Schweiz, Portugal, Katalonien; anders Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien). Die Entscheidung dieser Frage steht vielfach damit im Zusammenhang, ob die Erbunwürdigkeit ipso iure wirkt oder ob sie auf Antrag gerichtlich festgestellt werden muss. 65 Vgl. § 540 ABGB; Art. 756 no. 2 Código civil (Spanien); 2339 I Ziffer 1 BGB; Art. 540 I Ziffer 1 ZGB (Schweiz); Art. 463 no. 1 Codice civile; Art. 1860 Ziffer 1 Astikos Kodikas; Art. 2034 a) Código civil (Portugal); Art. 4:3 (1)a) BW; Art. 726 Nr. 1 Code civil; Art. 412-3a) Código civil (Katalonien). 66 Vgl. etwa Johannes Voet Commentarius ad Pandectas, Parisiis, 1829, Lib. XXXIV, Tit. IX, VI; Antonius Matthaeus (II.) De criminibus, 1644 (hier verwendet: M. L. Hewett, B. C. Stoop (Hrsg. und Übers.) On Crimes: A Commentary on Books XLVII and XLVIII of the Digest by Antonius Matthaeus J. C., Band III, 1994, 383). Im Hintergrund stand der freilich nicht eindeutige Text Marci. D. 34, 9, 3. Dazu R. Zimmermann Festschrift Knütel, 1478 f. 67 Casey NO v. The Master and Others, 1992 (4) SA 505 (N) 507 ff. 68 Vgl. etwa J.C. van der Walt, J. C. Sonnekus Die nalatige bloedige hand – neem dit „erffenis“?, Tydskrif vir die Suid-Afrikaanse Reg 1981, 32 ff.; J. C. van der Walt, J. C. Sonnekus Die nalatige bloedige hand – voor die hof en die wetgever, Tydskrif vir die Suid-Afrikanse Reg 1992, 147 ff. 69 Vgl. nunmehr aber den Katalog in Art. 727 Code civil unter dem Chapeau „Peuvent etre déclaré indignes de succéder …“ (Hervorhebung R. Z.), im Gegensatz zu den nur noch zwei Tatbeständen des Art. 726 Code civil („Sont indignes de succéder et, comme tels, exclus de la succession …“). Richtlinien zur Ausübung des gerichtlichen Ermessens werden freilich nicht gegeben. Die südafrikanische Rechtsreformkommission hat 1991 vorgeschlagen, den Gerichten bei der Entscheidung über die Erbunwürdigkeit einer Person, die den

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Eingreifen der Verfallregel hängt in England nicht von einer gerichtlichen Verurteilung ab; das entspricht der Rechtslage zur Erbunwürdigkeit in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Griechenland und Italien.70 Ebenso wie die Erbunwürdigkeit in Österreich, der Schweiz und den Niederlanden 71 setzt die Anwendung der Verfallregel in England keine Anfechtung voraus; anders etwa das deutsche Recht.72 Im Übrigen sind die Wirkungen der Erbunwürdigkeit denjenigen der Verfallregel ähnlich.73 Die in Re DWS entschiedene Frage,74 ob bei gesetzlicher Erbfolge auch die (unschuldigen) Abkömmlinge des Mörders vom Erwerb von Todes wegen ausgeschlossen sind, ist auch im kontinentalen Recht der Erbunwürdigkeit unterschiedlich beurteilt worden, freilich mit eindeutiger Tendenz, Kinder nicht für die Sünden ihrer Väter haften zu lassen.75 So heißt es bereits bei Pothier: „Lebrun prétend que l’indignité de l’homicide descend à ses enfans, & il en rapporte quelques Arrêts, ce qui me paroît souffrir quelque difficulté, les enfans ne devant pas être punis pour la faute du pere.“ 76 Mit demselben Argument wird heute die Entscheidung des

Erblasser getötet hat, ein Ermessen einzuräumen. Bei der Ausübung dieses Ermessen sollten die besonderen Umstände des Einzelfalles und die moralische Vorwerfbarkeit eine Rolle spielen (South African Law Commission, Project 22: Review of the Law of Succession, 1991). Jedoch ist dieser Vorschlag im Rahmen der Reform des südafrikanischen Erbrechts (Law of Succession Amendment Act 43/1992) nicht umgesetzt worden; zum heutigen Rechtszustand deshalb M. J. de Waal, M. C. Schoeman-Malan Introduction to the Law of Succession, 3. Aufl. 2003, 111. 70 Art. 540 ABGB; § 2339 I Ziffer 1 BGB; Art. 540 I Ziffer 1 ZGB (Schweiz); Art. 1860 Ziffer 1 Astikos Kodikas; Art. 463 Codice civile. Anders in Frankreich (Art. 726 Code civil), Spanien (Art. 756 Nr. 2 Código civil), Portugal (Art. 2034 Código civil), den Niederlanden (Art. 4:3 (1)a) BW) und Katalonien (Art. 412-3a) Código civil ). 71 Art. 540 ABGB; Art. 540 ZGB (Schweiz); Art. 4:3 BW. 72 § 2340 BGB. Vgl. ferner Art. 758 Código civil (Spanien), Art. 1862 Astikos Kodikas; Art. 2036 Código civil (Portugal). 73 Ausdrückliche Regelungen finden sich in § 2344 BGB und Art. 1863 Astikos Kodikas. Für das Gemeine Recht vgl. etwa Simon van Groenewegen van der Made, Tractatus de legibus abrogatis et inusitatis in Hollandia vicinisque regionibus, Lugduni Batavorum, 1649, 622 (ad C. 6, 35); Voet (Fn. 66) Lib. XXXIV, Tit. IX, XII. 74 Supra, I. 4., Text zu Fn. 50. 75 Vgl. etwa Art. 541 ABGB in der Fassung der III. Teilnovelle von 1916 gegenüber Art. 541 ABGB von 1811; Art. 541 ZGB (Schweiz); Art. 729-1 Code civil in der Fassung seit der Erbrechtsreform von 2002/2007 gegenüber Art. 730 Code civil von 1804 (dazu Marcel Planiol, Georges Ripert Traité élémentaire de Droit Civil, 10. Aufl., Band III, 1927, no. 1753). In Deutschland ist § 1924 BGB einschlägig; dazu etwa Wolfgang Edenhofer in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl. 2009, § 1924, Rz. 4; § 2344, Rz. 1. Für Italien vgl. Art. 467 Codice civile, für Portugal Art. 2037 (2) Código civil; für die Niederlande Art. 4:12 (1) BW. 76 Robert Joseph Pothier Traité des Successions in: Œuvres Posthumes de M. Pothier, Band II, Paris, 1778, 31.

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Court of Appeal in Re DWS angegriffen.77 Von zentraler Bedeutung ist dabei, in welchem Sinn eine Rechtsordnung das Repräsentationsprinzip versteht und mit welcher Konsequenz sie es durchführt.78 Das Gericht in Re DWS kam zu einem unbefriedigenden Ergebnis aufgrund einer sehr wörtlichen Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Administration of Estates Act 1925.79 Gleichermaßen unbefriedigend wäre es freilich, mit einem constructive trust zugunsten desjenigen zu operieren, dem der Erblasser sein Vermögen mutmaßlich hätte zuwenden wollen, hätte er „die unvorstellbare Situation“ 80 vorhergesehen.81 Denn damit würde dem Gericht eine Lizenz zur Spekulation über die Erbfolge gegeben. Sehr viel überzeugender (und im Einklang mit dem modernen kontinentaleuropäischen Ansatz) ist demgegenüber der Vorschlag der englischen Law Commission,82 das Vermögen an denjenigen fallen zu lassen, der berechtigt gewesen wäre, wenn der Mörder zur Zeit des Erbfalles nicht gelebt hätte, und das wäre (in Re DWS) der Sohn des Mörders (und Enkel der Ermordeten) gewesen.83

77 Vgl. den Titel des Beitrages von Kerridge Law Quarterly Review 117 (2001), 371 ff. („Visiting the Sins of the Fathers on Their Children“). 78 Zu den Diskussionen in Frankreich und Österreich vgl. R. Zimmermann Festschrift Koziol, 475, 490 f., 497; für England vgl. Law Commission, The Forfeiture Rule and the Law of Succession: A Consultation Paper (No. 172), 2003, 5.5 („In the end, the strength of this argument depends on the extent to which a law of intestacy ought to admit the principle of representation“). 79 Die Entscheidung habe „a somewhat old-fashioned air of applying words literally, without concern for the overall rationality of the result“ (Wellington New Law Journal 2001, 920). 80 Vgl. oben Text zu Fn. 51. 81 So der Vorschlag von Kerridge Law Quarterly Review 117 (2001), 371 ff.; idem (Fn. 12) 14–82. 82 Consultation Paper No. 172 (Fn. 78) 5.23. In einem Abschnitt „What do other countries do?“ befasst sich die Law Commission in der Tat (neben dem Recht der USA und Schottlands) mit den Regelungen in Frankreich und Italien. Vgl. ferner Law Commission, The Fortfeiture Rule and the Law of Succession, Law Com No. 295, 2005, 16 ff. sowie nunmehr Ministry of Justice, Civil Law Reform Bill, Consultation Paper CP 53/09, 2009, 18 ff. 83 Die Law Commission (Fn. 78) 5.48 spricht sich zudem dafür aus, dieselbe Regel in Zukunft auch bei testamentarischer Erbfolge anzuwenden (kritisch zum gegenwärtigen Rechtszustand auch Kerridge (Fn. 12) 14–81 f.; Peart Common Law World Review 2002, 17); vgl. ferner Law Commission, No. 295 (Fn. 82), 28; Ministry of Justice (Fn. 82), 18 ff. In diesem Sinne für Deutschland Palandt/Edenhofer (Fn. 75) § 2069, Rz. 4, § 2344, Rz. 1; für Österreich Rudolf Welser in: Peter Rummel (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., Band I, 2000, § 779, Rz. 4; für Italien Art. 467 (2) Codice civile; anders etwa das Schweizerische Recht: Ivo Schwander in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch II, 2. Aufl. 2003, Art. 541, Rz. 3.

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Das Problem der Verzeihung und ihrer Wirkung auf das Eingreifen von Erbunwürdigkeit 84 bzw. Verfallregel 85 stellt sich im Falle der Tötung in der Regel nicht. Die Einbeziehung auch der versuchten Tötung 86 ist für die Erbunwürdigkeit 87 ebenso fragwürdig wie für die Verfallregel, da von deren ratio nicht gedeckt: denn weder greift, wer einen anderen lediglich zu töten versucht, in dessen Testierfreiheit ein,88 noch erwirbt der Verbrecher aufgrund eines bloßen Mordversuchs irgendeinen Anspruch auf den Nachlass seines Opfers, und damit einen Vermögensvorteil. Dass ein Mörder nicht aus seiner Untat einen Vorteil soll ziehen können, ist im Übrigen ein auf einem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden beruhendes Prinzip, das sich in England unmittelbar zu einer Rechtsregel verfestigt hat,89 das aber gelegentlich durchaus auch in den Ländern des civil law aufgegriffen wird, und zwar im vorliegenden Zusammenhang.90 Dort wird es allerdings meist allgemeiner formuliert, nämlich in dem Sinne, dass niemand durch eine unerlaubte Hand-

84 Der Verzeihung seitens des Erblassers wird in den westeuropäischen Kodifikationen heute überall Wirkung beigemessen, freilich in Griechenland und Frankreich nur einer förmlich oder ausdrücklich und förmlich geäußerten (Art. 1861 Astikos Kodikas; Art. 729-1 Code civil); in Spanien, Italien, Portugal und Katalonien ist neben der ausdrücklichen und förmlichen auch eine konkludente Verzeihung anerkannt, die darin liegt, dass der Erblasser den Erbunwürdigen in Kenntnis des Unwürdigkeitsgrundes testamentarisch bedacht hat: Art. 757 Código civil (Spanien); Art. 466 Codice civile; Art. 2038 Código civil (Portugal); Art. 412-4 (1)a) Código civil (Katalonien); in den Niederlanden muss der Erblasser dem Unwürdigen „auf unzweideutige Weise“ sein Verhalten vergeben haben (Art. 4:3 (3) BW); und nur Österreich, Deutschland und die Schweiz stellen keine weiteren Voraussetzungen an die Erklärung der Verzeihung (§ 540 ABGB; § 2343 BGB; Art. 540 II ZGB (Schweiz). 85 Für England vgl. die Diskussion bei Earnshaw/Pace (1974) 37 Modern Law Review 493 (unter Hinweis auf ein Urteil des Supreme Court of Ontario); Youdan Law Quarterly Review 89 (1973), 236. 86 Supra, I. 3., Text zu Fn. 35. 87 Tötungsversuch ist erfasst in Österreich (Art. 540 ABGB), Spanien (Art. 756 no. 2 Código civil), Deutschland (§ 2339 I Ziffer 1 BGB), der Schweiz (Art. 540 I Ziffer 1 ZGB), Griechenland (Art. 1860 Ziffer 1 Astikos Kodikas), Italien (Art. 463 no. 1 Codice civile), Portugal (Art. 2034 a) Código civil), den Niederlanden (Art. 4:3 (1)a) BW), Katalonien (Art. 412-3 a) Código civil) und Frankreich (Art. 726, no. 1 Code civil). 88 Dies wohl die überzeugendste ratio legis der Erbunwürdigkeitsregeln civilistischer Provenienz; vgl. R. Zimmermann Festschrift Koziol, 484 f., 507 ff. Der BGB-Gesetzgeber, der seine Regelung auf dieser gedanklichen Grundlage konzipiert hat, schwankte denn auch, ob der Tötungsversuch zur Erbunwürdigkeit führen soll; dazu Festschrift Koziol, 481 f. Er entschied diese Frage schließlich im bejahenden Sinne. Die dafür geltend gemachten Gründe vermögen kaum zu überzeugen; so auch Tobias Helms in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl., Band 9, 2004, § 2339, Rz. 16. 89 So auch Peart Common Law World Review 2002, 5, 21. 90 Vgl. etwa Modestinus 49, 14, 9; Matthaeus (Fn. 66) 386 (sub 8); Robert Joseph Pothier Traité des Successions, in: Œuvres Posthumes de M. Pothier, Band II, Paris, 1778, 31; Taylor v. Pim, (1903) 24 NLR 484 (491); Caldwell v. Erasmus NO and Another, 1952 (4) SA 43 (T) 49.

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lung seine Rechtsposition soll verbessern können.91 Und in der Tat beschränkt keine der kontinentaleuropäischen Kodifikationen die Erbunwürdigkeit auf Fälle der Tötung des Erblassers. Vielmehr sind dort eine Reihe weiterer Erbunwürdigkeitsgründe anerkannt, darunter insbesondere diejenigen (in der Terminologie des ius commune:) ratione testamenti.92 Auch im englischen Recht wird nun freilich die Verfallregel recht unterschiedlich ausgedrückt. So konstatierte etwa Lord Atkin in dem (versicherungsrechtlichen) Fall Beresford v. Royal Insurance Company, Limited: „[T]he absolute rule is that the Courts will not recognize a benefit accruing to a criminal from his crime.“ 93 Man könnte deshalb erwarten, dass dieser Grundsatz auch weitere in den Rechtsordnungen des civil law anerkannte Erbunwürdigkeitsgründe erfasst – dass also die Verfallregel auch auf andere

91 In diesem Sinne die römische Maxime „nemo ex suo delicto meliorem suam condicionem facere potest“ (Ulp. D. 50, 17, 134, 1). Es wäre nicht überraschend, wenn, wie viele andere equitable maxims des englischen Rechts, nicht auch die Verfallregel auf das römische Recht zurückgeführt werden könnte. Dafür spricht, dass der Court of Equity schon lange vor deren durch den Forfeiture Act 1870 bewirkter Herausbildung den Erwerb von Vermögensvorteilen aus unerlaubten Handlungen missbilligt hat (Oakley (Fn. 27) 46), unter beispielsweisem Hinweis auf Bridgman v. Green, (1755) 2 Ves. Sen. 627 (628)). Herbert Broom A Selection of Legal Maxims Classified and Illustrated, 10. Aufl. (hrsg. von R. H. Kersley), 1939, 191 ff. zitiert die Maxime „nullus commodum capere potest de injuria sua propria“, verweist dafür auf Coke on Littleton (148b) und gibt eine Fülle von Anwendungsbeispielen (ohne freilich die Verfallregel bei Tötung des Erblassers zu erwähnen). Zur Maxime „nullus commodum capere potest de injuria sua propria“ im Völkerrecht vgl. Bin Cheng General Principles of Law as applied by the International Courts and Tribunals, 1987, 149 ff. – Zur modernen Diskussion um die Gewinnhaftung vgl. im Überblick Tobias Helms Gewinnhaftung, in: Jürgen Basedow, Klaus J. Hopt, Reinhard Zimmermann (Hrsg.) Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, 2009, 753 ff. Mindestens drei der einschlägigen Abhandlungen beginnen mit dem Zitat eines englischen Richters: „This Court never allows a man to make profit by a wrong“: Fritz Schulz System der Rechte auf dem Eingriffserwerb, AcP 105 (1909) 1 ff.; Detlef König Gewinnhaftung, in: Festschrift für Ernst von Caemmerer, 1978, 179 ff.; Konrad Rusch Gewinnhaftung bei Verletzung von Treuepflichten, 2003. 92 Ulrich Huber Praelectiones iuris civilis, Lipsiae, 1707, Lib. XXXIV, Tit. IX, 2–4; ähnlich noch z.B. Bernhard Windscheid, Theodor Kipp Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Aufl. 1906, 732 ff. 93 [1938] A.C. 586 (599). Ähnlich weit (nämlich auf „crime“ bezogen) ja bereits die Formulierungen in den Fällen Crippen und Cleaver (supra, Fn. 6 und 9). Vgl. demgegenüber etwa In Re Sigsworth; Bedford v. Bedford, [1935] Ch. 89 (92) („… well settled principle that public policy precludes a sane muderer from taking a benefit under his victim’s will“); In Re Callaway; Callaway v. Treasury Solicitor, [1956] Ch. 559 (562) („… no person is allowed to take any benefit arising out of a death brought about by the agency of that person acting feloniously“); In Re K., [1985] Ch. 85 (87 f.) („… rule of public policy … which prevents a person guilty of another’s death from taking a benefit which would otherwise accrue“). Dazu Youdan Law Quarterly Review 89 (1973), 237 ff. Zu der „absolute rule“ von Lord Atkin vgl. auch Law Commission Illegal Transactions: The Effect of Illegality on Contracts and Trusts (no. 154), 1999, S. 88.

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Fälle eines unlauteren Eingriffs in die Testierfreiheit zu beziehen ist.94 Diese Erwartung scheint freilich bei einer Durchsicht von Judikatur und Literatur enttäuscht zu werden.

III. Arglistige Täuschung oder Drohung bei Errichtung oder Aufhebung eines Testaments 1. Fraud Mustert man die in den Kodifikationen Westeuropas anerkannten Erbunwürdigkeitsgründe durch, so besteht jedenfalls sehr weitgehend Einigkeit darüber, dass unwürdig ist, wer den Erblasser durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben: so die Formulierung des deutschen Rechts in § 2339 I Ziffer 3 BGB.95 Freilich nimmt hier der französische Code civil eine Sonderstellung ein, der auch nach der großen Erbrechtsreform von 2002 und 2007 einen derartigen Tatbestand nicht kennt.96 Diskutiert werden, etwa in Deutschland, Fälle einer arglistigen Täuschung durch Unterlassen, d.h. durch das Verschweigen von Umständen, deren Mitteilung der Erblasser unter den gegebenen Umständen erwarten durfte. Dabei geht es in erster Linie darum, inwieweit eine Aufklärungspflicht bei ehelicher Untreue besteht.97 In England wird ein Testament, das unter dem Einfluss von fraud oder undue

94 So ausdrücklich auch Ross Martyn/Caddick (Fn. 31) 70-03 (mit kurioser, wohl aus einer Korrekturkladde stehengebliebener Fn. 17). 95 Vgl. ferner Art. 540 I Ziffer 3 ZGB (Schweiz): „… wer den Erblasser durch Arglist, Zwang oder Drohung dazu gebracht … hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder zu widerrufen“; Art. 1860 Ziffer 4 Astikos Kodikas: „… wer den Erblasser durch arglistige Täuschung bestimmt oder widerrechtlich oder gegen die guten Sitten durch Drohung gezwungen hat, ein Testament zu errichten oder zu ändern“; Art. 463 no. 4 Codice civile: „… wer durch arglistige Täuschung oder Drohung den Erblasser zur Errichtung, zum Widerruf oder zur Änderung seines Testaments veranlasst … hat“; Art. 2034 c) Código civil (Portugal): „… derjenige, welcher durch Arglist oder Drohung den Erblasser bestimmte, ein Testament zu errichten, zu widerrufen oder zu ändern“; Art. 4:3 (1)d): „wer den Verstorbenen durch eine Tätlichkeit oder durch Bedrohung mit einer Tätlichkeit dazu gezwungen … hat, eine letztwillige Verfügung zu errichten“; Art. 412-3g) Código civil (Katalonien). Vgl. ferner (vor dem BGB) § 542 ABGB: „Wer den Erblasser zur Erklärung des letzten Willens gezwungen, oder betrüglicher Weise verleitet … hat“; Art. 756 Código civil (Spanien): „… wer durch Drohung, arglistige Täuschung oder Gewalt den Testator zur Errichtung oder zur Abänderung eines Testaments veranlasst hat“. 96 Dazu R. Zimmermann Festschrift Koziol, 496, 499. 97 RG v. 6.6.1912, JW 1912, 871, Nr. 32; OLG Nürnberg v. 25.3.1958, MDR 692, Nr. 80; BGH v. 21.9.1967, BGHZ 49, 155 ff.; Münchener Kommentar/Helms (Fn. 88) § 2339, Rz. 25; Wolfgang Olshausen in: Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2004, § 2339 Rz. 38 f.

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influence zustande gekommen ist, im probate-Verfahren nicht bestätigt.98 „Fraud“ erfordert vorsätzliche Irreführung („[f]raud intentionally misleads a testator“),99 und das englische Recht ist in diesem Zusammenhang vermutlich ebenso zurückhaltend mit der Annahme von Aufklärungspflichten, die eine arglistige Täuschung durch Unterlassen begründen könnten, wie im Vertragsrecht.100 Ein einfacher Irrtum des Testators darüber, dass die von ihm eingesetzte Frau in Wirklichkeit nicht seine Ehefrau ist (weil zum Zeitpunkt der vermeintlichen Eheschließung noch mit einem anderen Mann verheiratet), macht das Testament demnach nicht unwirksam.101 Anders die Entscheidung in Kennell v. Abbott,102 wo der von der Erblasserin eingesetzte Mann sich ihr gegenüber offenbar als unverheiratet ausgegeben und sie damit zu der vermeintlichen Eheschließung und zu der letztwilligen Verfügung zu seinen Gunsten veranlasst hatte.103 Interessant an der Entscheidung ist nicht zuletzt, dass sie auf eine Digestenstelle gestützt wird (Pap. D. 35, 1, 72, 6).104 Ebenfalls einen Fall von fraud betrifft die Entscheidung Allen v. M’Pherson, wobei

98 Unwirksamkeit nehmen an John G. Ross Martyn, Stuart Bridge, Mika Oldham Theobald on Wills, 16. Aufl. 2001, 3–30; Roger Kerridge Parry & Clark, The Law of Succession, 10. Aufl. 1996, 75. Vgl. aber noch unten III.4., Text zu Fn. 132. 99 Kerridge (Fn. 98) 74; vgl. auch idem, in: Andrew Burrows (Hrsg.), English Private Law, 2. Aufl. 2007, 7.92. 100 Vgl. etwa Guenter Treitel Contract, In General, in: Andrew Burrows (Hrsg.), English Private Law, 2. Aufl. 2007, 8.190; Simon Whittaker in: Reinhard Zimmermann, Simon Whittaker (Hrsg.), Good Faith in European Contract Law, 2000, 226 ff. 101 In the Estate of Posner; Posner v. Miller, [1953] P. 277. 102 (1797) 4 Ves. Jun. 802. 103 „… it was a gross fraud as to her“; „… a legacy is given to a person under a particular character, which he had falsely assumed“: Kennell v. Abbot, (1797) 4 Ves. Jun. 802 (808, 809). 104 „Falsam causam legato non obesse verius est, quia ratio legandi legato non cohaeret: sed plerumque doli exceptio locum habebit, si probetur alias legaturus non fuisse“ (The truer view is that an incorrect motivation is no impediment to a legacy because the reason for a bequest is no part of the bequest; still the defense of bad faith will generally be applicable if it be established that the testator would not otherwise have made the legacy; so die von Alan Watson herausgegebene englische Übersetzung). In Kennell v. Abbott konstatiert Lord Alvanley (zu ihm Simpson (Fn. 5) 13 f.) zunächst: „I thought it a case rather novel in its circumstances, and that scarcely has afforded any decision in the law of England.“ Er zitiert und paraphrasiert dann die Digestenstelle und kommt zu dem Ergebnis: „That from a book of great authority seems to be the principle of the Civil Law. The question is, whether according to the Law of England that can apply to a case like the present“; diese Frage wird dann schließlich bejaht („… upon general principles I am of opinion, it would be a violation of every rule, that ought to prevail as to the intention of a deceased person, if I should permit a man availing himself of that character of husband of the testatrix … to take any part of the estate of a person, whom he so grossly abused. … Therefore upon the principle, I have mentioned from the Digest, and that ought to govern Courts of Justice, I am of opinion, this legacy could not be claimed“): (1797) 4 Ves. Jun. 802 (808 ff.). Vgl. ferner Giles v. Giles, (1836) 1 Keen 685.

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es hier um die Variante „Aufhebung einer Verfügung von Todes wegen“ 105 geht.106 2. Undue influence Sehr viel eingehender als mit dem Tatbestand des fraud befasst sich die einschlägige Literatur mit demjenigen der undue influence.107 Dabei ist bemerkenswert, dass undue influence im Erbrecht (probate undue interference) einen deutlich engeren Anwendungsbereich hat als im Vertragsrecht (equitable undue influence).108 Probate undue influence „raises the question of coercion, and that only“:109 Der Erblasser muss sich einer Zwangslage ausgesetzt sehen, die seine Willenskraft überwältigt.110 Nicht ausreichend ist also etwa die Beeinflussung eines im vollen Besitz seiner geistigen und seelischen Kräfte befindlichen Erblassers durch fortgesetztes aufdringliches Bitten, durch Schmeicheleien oder Zudringlichkeiten.111 105

Vgl. § 2339 I Ziffer 3 („… oder aufzuheben“). (1847) 1 H.L.C. 191. Hier hatte der Testator zunächst Verfügungen zugunsten einer bestimmten Person getroffen, diese dann aber in einem Kodizill widerrufen, nachdem ihm gegenüber von den ansonsten aus dem Testament Begünstigten falsche Angaben über den Charakter dieser Person gemacht worden waren. Im Zentrum der Entscheidung steht freilich ein Problem der Jurisdiktion (Ecclesiastical Court/Court of Chancery). 107 Dazu vor allem Nelson Enonchong Duress, Undue Influence and Unconscionable Dealing, 2006, 13-001 ff.; Ross Martyn/Caddick (Fn. 31) 13–47; Kerridge (Fn. 12) 5–14; Pauline Ridge Equitable Undue Influence and Wills, Law Quarterly Review 120 (2004) 617 ff.; Ronald J. Scalise Jr. Undue Influence and the Law of Wills: A Comparative Analysis, Duke Journal of Comparative and International Law 19 (2008) 41 ff. 108 Der Grund für die Entwicklung zweier unterschiedlicher Doktrinen unter demselben Namen und für dasselbe Problem liegt darin, dass bis 1873 unterschiedliche Gerichte für probate matters (Ecclesiastical Court und Probate Court) und für Geschäfte unter Lebenden (Court of Chancery) zuständig waren; vgl. etwa Ridge Law Quarterly Review 120 (2004), 631 ff.; Enonchong (Fn. 107) 13-001; zur Entwicklung in England auch Scalise Duke Journal of Comparative and International Law 19 (2008) 48 ff. Eine andere Frage ist, ob der Unterschied von probate undue influence und equitable undue influence der Sache nach gerechtfertigt ist; dazu etwa Ridge Law Quarterly Review 120 (2004), 627 ff., Enonchong (Fn. 107) 13-019; Margrave-Jones (Fn. 37) 5. 47. 109 Parfitt v. Lawless, (1872) L.R. 2 P.&D. 462 (471). Vgl. ferner Wingrove v. Wingrove and Others, (1885) L.R. 11 P.&D. 81 (82): „To be undue influence in the eye of the law there must be – to sum it up in a word – coercion. … It is only when the will of the person who becomes a testator is coerced into doing that which he or she does not desire to do, that it is undue influence“. 110 Vgl. Hall v. Hall, (1868) L.R. 1 P.&D. 481 („… pressure of whatever character if so exerted as to overpower the volition without convincing the judgment of a testator, will constitute undue influence“). Zudem heißt es in derselben Entscheidung: „[A] testator may be led but not driven“. Dies kann freilich vom Zustand des Testators abhängen: „… a person in the last days or hours of life may have become so weak and feeble, that a very little pressure will be sufficient to bring about the desired result“: Wingrove v. Wingrove and Others (1885) L.R. 11 P.&D. 81 (82 f.). 111 Hall v. Hall, (1868) L.R. 1 P.&D. 481. Für Deutschland vgl. Dieter Leipold in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. Band 9, 2004, § 2078 Rz. 43. 106

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Insgesamt entspricht probate undue influence damit im Grunde dem duress-Begriff des englischen Vertragsrechts.112 Von großer praktischer Bedeutung ist, dass probate undue influence in jedem Fall bewiesen werden muss. Demjenigen, der die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung in Abrede stellt, kommen also nicht die Beweiserleichterungen zugute, die im Bereich des equitable undue influence für Situationen anerkannt sind, in denen zwischen den Parteien eine Beziehung von trust and confidence besteht.113 So bestätigte der Court of Probate in Parfitt v. Lawless die Erbeinsetzung eines römisch-katholischen Priesters, der über viele Jahre hinweg und bis zu ihrem Tod der Hauskaplan und Beichtvater der Erblasserin gewesen war.114 Ob das englische Recht insoweit ein Schutzdefizit aufweist, ist in der Literatur umstritten.115 Immerhin ist für Fälle, in denen jemand von einem Testament profitiert, in dessen Errichtung er selbst involviert war, eine „suspicious circumstances rule“ etabliert.116 Die aus der Vorlage eines wirksamen Testaments folgende Vermutung, dass der Testator dessen Inhalt gekannt und gebilligt hat („knowledge and approval“), ist unter diesen Umständen erschüttert, und es obliegt dem Begünstigten, den Verdacht auszuräumen, dass das Testament dem wahren Willen des Testators nicht entspricht.117 Das Verhältnis der „suspicious circumstances rule“ zu der Geltendmachung von undue influence ist unklar.118 112 So auch Enonchong (Fn. 107) 13-003; Ridge Law Quarterly Review 120 (2004) 621. Zum duress-Begriff des englischen Vertragsrechts rechtsvergleichend Thomas Schindler Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und Drohung, 2005. 113 Dazu historisch und vergleichend Jacques du Plessis, Reinhard Zimmermann Undue Influence Civilian Style, Maastricht Journal of European and Comparative Law 10 (2003) 363 ff.; Schindler (Fn. 112) 131 ff. Allgemein zu den Unterschieden zwischen probate undue influence und equitable undue influence Enonchong (Fn. 107) 13-005 ff. 114 Parfitt v. Lawless, (1872) L.R. 2 P.&D. 462. 115 Vgl. Roger Kerridge Wills Made in Suspicious Circumstances: The Problem of the Vulnerable Testator, Cambridge Law Journal 59 (2000), 310 ff.; Ridge Law Quarterly Review 120 (2004) 617 ff. einerseits; Enonchong (Fn. 107) 13-016 andererseits. 116 Barry v. Butlin, (1838) Moo.P.C. 480 (482); sowie insbesondere Wintle v. Nye, [1959] 1 W.L.R. 284. Diesen Fall erörtert mit all seinen interessanten Hintergründen Kerridge Cambridge Law Journal 59 (2000) 315 ff.; abgekürzt auch in Parry and Kerridge (Fn. 12) 5–28 ff.; ferner Margrave-Jones (Fn. 37) 5. 38. 117 Vgl. (ausser Kerridge, loc. cit.) Ridge Law Quarterly 120 (2004) 622 ff.; Enonchong (Fn. 107) 13-011 f.; Ross Martyn/Bridge/Oldham (Fn. 98) 3-17; Ross Martyn/Caddick (Fn. 31) 13–27 ff. 118 Dazu z.B. Scarman, J.: „Lord Penzance once said of the issues of testamentary capacity, knowledge and approval, undue influence and fraud, that they very often merged into one another. That position has been made abundantly clear by the decision of the House of Lords in Wintle v. Nye. … [I]t may well be that positive charges of fraud and undue influence will not feature as largely in the pleadings of probate cases, now that Wintle v. Nye has been decided …; clearly it would be preferable if they did not“. Vgl. ferner Kerridge (Fn. 12) 5–31; Ridge Law Quarterly Review 120 (2004) 622 ff.; Enonchong (Fn. 107) 13-013 ff.

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3. Anfechtung Die Regeln des englischen Rechts zu fraud und (probate) undue influence entsprechen funktional der Anfechtung eines Testaments wegen Willensmängeln, die wir in den westeuropäischen Kodifikationen finden.119 Fraud und probate undue influence (d.h. im Wesentlichen duress) sind den Begriffen der Drohung und der arglistigen Täuschung vergleichbar.120 Großzügiger als das englische Recht sind die meisten Kodifikationen bei der Zulassung der Anfechtung wegen Irrtums.121 Dafür besitzt dieses mit der suspicious circumstances rule eine Generalklausel, die, per se oder auch in Verbindung mit einem weniger restriktiven Verständnis von undue influence, durchaus das Potential hätte, zum Instrument eines weitreichenden Schutzes der Testierfreiheit alter und willensschwacher, d.h. leicht beeinflussbarer, Erblasser zu werden.122 Im US-amerikanischen Recht scheint die undue influence-Doktrin dieses Potential bereits realisiert zu haben.123 Es handelt sich dort um den 119 § 2078 BGB (Irrtum und Drohung); Art. 469 ZBG (Schweiz) (Irrtum, arglistige Täuschung, Drohung, Zwang); Art. 1782 ff. Astikos Kodikas (Drohung, arglistige Täuschung, Irrtum); Art. 624 Codice civile (Irrtum, Zwang, arglistige Täuschung); Art. 2201 Código civil (Portugal) (Irrtum, Täuschung, Drohung); Art. 4:43 BW (Drohung, Täuschung, unrichtige Beweggründe); Art. 422-2 Código civil (Katalonien); vgl. ferner §§ 565, 570 ff. ABGB („… im Zustande der vollen Besonnenheit, mit Überlegung und Ernst, frei von Zwang, Betrug, und wesentlichem Irrtume“), Art. 673 Código civil (Spanien) (Gewalt, Arglist, Täuschung), sowie nunmehr auch Art. 901 Code civil (Irrtum, Täuschung, Drohung, Zwang; vor der großen Erbrechtsreform gab es keine Sonderregeln für Willensmängel bei Testamentsanfechtung, so dass auf die entsprechenden Vorschriften des Vertragsrechts zurückzugreifen war). 120 Die Fälle der arglistigen Täuschung sind in Deutschland von Art. 2078 II BGB (Irrtum) mit umfasst; vgl. etwa Münchener Kommentar/Leipold (Fn. 111) § 2078, Rz. 30; Palandt/ Edenhofer (Fn. 75) § 2078 Rz. 4. Zum Begriff der Drohung im Vergleich zu (probate) undue influence siehe Scalise Duke Journal of Comparative and International Law 19 (2008) 69 ff. 121 Zur Zurückhaltung mahnt mit guten Gründen Münchener Kommentar/Leipold (Fn. 111) § 2078 Rz. 5 f. Nach englischem Recht schließen nur bestimmte, eng umgrenzte Irrtümer „knowledge and approval“ des Testators vom Inhalt seines Testaments aus: Kerridge (Fn. 12) 5–21 ff.; Ross Martyn/Caddick (Fn. 31) 13–35 ff.; Ross Martyn/Bridge/ Oldham (Fn. 98) 3–19 ff. 122 Darauf zielt Kerridge Cambridge Law Journal 59 (2000) 328 ff., der aber auch alternative Möglichkeiten aufzeigt, diesen Schutz zu verbessern. – Funktionale Äquivalente zur undue influence-Doktrin des amerikanischen Rechts im deutschen Recht erörtert Scalise Duke Journal of Comparative and International Law 19 (2008), 65 ff. Er nennt vor allem § 138 BGB (der aber im vorliegenden Zusammenhang eher zurückhaltend angewandt wird; vgl. Jürgen Ellenberger in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl. 2009, § 138 Rz. 50; aber auch Rainer Frank Erbrecht, 3. Aufl. 2005, 49), und er weist hin auf § 14 I, V Heimgesetz, wonach es dem Träger, dem Leiter, dem Personal oder sonstigen Mitarbeitern eines Heims verboten ist, sich über das vereinbarte Entgelt hinaus Geld oder geldwerte Leistungen von Bewohnern oder Heimplatzbewerbern versprechen oder gewähren zu lassen; dazu im Überblick Palandt/Edenhofer (Fn. 75) § 1937, Rz. 13. 123 Dazu eingehend Scalise Duke Journal of Comparative and International Law 19 (2008) 41 ff.

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am häufigsten geltend gemachten Grund, ein Testament zu invalidieren,124 damit aber gleichzeitig auch um „one of the most bothersome concepts“ des amerikanischen Rechts.125 Auch für England berichtet Kerridge von einer Reihe von Fällen aus jüngerer Zeit, in denen die Bestätigung von suspicious wills verweigert worden sei.126 4. Erbunwürdigkeit Was bedeutet all dies für die Frage der Erbunwürdigkeit? Im deutschen Recht überschneiden sich die Tatbestände der Anfechtung einer letztwilligen Verfügung nach § 2078 BGB und der Anfechtungsklage nach § 2342 BGB wegen Erbunwürdigkeit, soweit es um Drohung und arglistige Täuschung geht,127 in ihrem Anwendungsbereich.128 Beide Rechtsbehelfe stehen selbständig nebeneinander.129 Doch ist damit die Erbunwürdigkeitsklage nicht redundant. Denn sie erfasst auch den Fall, dass dem Bedachten ein Erbrecht kraft Gesetzes zusteht.130 Anders bei einer Anfechtung nach § 2078 BGB: hier ist das aufgenötigte oder erschlichene Testament unwirksam mit der Folge, dass, soweit keine andere letztwillige Verfügung vorliegt, gesetzliche Erbfolge eingreift; und damit könnte dann doch der testamentarisch unwirksam Bedachte den Nachlass oder einen Teil desselben erhalten. Für das englische Recht scheint sich dieses Problem bislang noch nicht gestellt zu haben.131 Nach Auffassung von Kerridge könnte das Gericht in Fällen von fraud und undue influence, statt die Verfügung für unwirksam zu erklären, das in den Händen des testamentarisch Begünstigten befindliche Vermögen mit einem constructive trust zugunsten desjenigen oder derjenigen belasten, die der Erblasser ohne die unzulässige Beeinflussung eigentlich begünstigen 124

Scalise Duke Journal of Comparative and International Law 19 (2008) 99. Scalise Duke Journal of Comparative and International Law 19 (2008) 42 (unter Hinweis auf Jesse Dukeminier, Stanley M. Johanson, James Lindgren, Robert H. Sitkoff Wills, Trusts, and Estates, 7. Aufl. 2005, 158). 126 Kerridge (Fn. 12) 5–34 f. Vgl. demgegenüber noch Kerridge Cambridge Law Journal 59 (2000) 310 („… seems to have generated few reported cases in recent years“). 127 Erfasst von § 2078 BGB ist auch die Tatbestandsalternative „… oder [eine letztwillige Verfügung] aufzuheben“ (§ 2339 I Ziffer 3 BGB), jedoch möglicherweise nur für den Fall des Widerrufs durch Testament; vgl. einerseits Hans Brox Erbrecht, 20. Aufl. 2003, Rz. 279; andererseits Walter Hagena in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. Band 9, 2004, § 2255 Rz. 5; Wolfgang Baumann in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 2003, § 2255 Rz. 33; Palandt/Edenhofer (Fn. 75) § 2255 Rz. 12. Zur Irrtumsanfechtung wegen arglistiger Täuschung supra, Fn. 120. 128 Für die meisten anderen Kodifikationen gilt, mutatis mutandis, dasselbe. 129 Vgl. etwa RG v. 29.9.1904, RGZ 59, 33 (40); Münchener Kommentar/Leipold (Fn. 111) § 2078 Rz. 47. 130 Vgl. auch Münchener Kommentar/Helms (Fn. 88) § 2339 Rz. 3. 131 Kerridge (Fn. 12) 5–37, Fn. 147: „There is no clear authority on what happens when fraud is proved“. 125

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wollte.132 Dem entsprechen im deutschen Recht Vorschläge, der Testamentsanfechtung eine Art positive, verfügungschaffende Wirkung zuzuschreiben und denjenigen Willen zur Geltung zu bringen, den der Erblasser in Wirklichkeit gehabt, aber nicht erklärt hat.133 Damit würde jedoch ein spekulatives Element in die Abwicklung des Nachlasses getragen, das durch die testamentarischen Formvorschriften gerade ausgeschaltet werden soll: Dem Erblasserwillen kann nicht Rechnung getragen werden, wenn eine beabsichtigte Verfügung nicht oder nicht formgültig zustande gekommen ist.134 Ein „ideales“,135 d.h. dem (mutmaßlich) wirklichen Willen des Erblassers entsprechendes Ergebnis lässt sich also, nimmt man den Grundsatz ernst, dass die Gerichte nicht anstelle des Erblassers dessen Testament machen dürfen,136 weder im englischen noch im deutschen Recht erzielen. Das gilt auch für die Erbunwürdigkeit à la § 2339 I Ziffer 3 BGB: Denn zwar kommt, wer den Erblasser durch arglistige Täuschung oder durch Drohung bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, auch als gesetzlicher Erbe nicht mehr in Betracht. Damit ist aber nicht gesagt, dass derjenige, der berufen sein würde, wenn der Erbunwürdige zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte (und der also bei erfolgreicher Erbunwürdigkeitsklage die Erbschaft erhält) 137 auch tatsächlich mit demjenigen identisch ist, den der Erblasser ohne die Täuschung oder Drohung zum Erben seines Vermögens haben wollte. Gleichwohl scheint die kontinentale Idee der Erbunwürdigkeit auf den ersten Blick gewisse Vorteile gegenüber einer Testamentsanfechtung – und, damit funktional vergleichbar, der Lösung des englischen Rechts – zu haben: Zum einen betrifft das Anfechtungsrecht möglicherweise nicht alle Fälle des Widerrufs eines Testaments,138 und zum anderen berührt es eben auch die 132 Kerridge (Fn. 12) 5-37 („… it may be that the court will hold …“). Anders noch in der 10. Aufl. (Fn. 98) 75: „A will made by a testator as a result of the undue influence or fraud of another person is invalid“; aber: „On the other hand, where a beneficiary under the will of a testator prevents him by undue influence or fraud from altering the will, or making a new will, in favour of other persons, probably the court will impose a trust on the beneficiary for those other persons“. So auch Ross Martyn/Bridge/Oldham (Fn. 98) 3–30. In diesem Zuammenhang weist Kerridge hin auf Betts and Another v. Doughty and Others (1879) L.R. 5 P.&D. 26; vgl. ferner Allen v. M’Pherson, (1847) 1 H.L.C. 191. Etwas anderes gilt im Falle von lack of knowledge and approval, etwa aufgrund der suspicious circumstances rule. 133 Vgl. die Nachweise bei Münchener Kommentar/Leipold (Fn. 111) § 2078 Rz. 4. 134 Münchener Kommentar/Leipold (Fn. 111) § 2078 Rz. 4; Reinhard Zimmermann Lachende Doppelerben? – Erbfolge und Schadensersatz bei Anwaltsverschulden, FamRZ 1980, 101. 135 Vgl. Kerridge (Fn. 12) 5-37 („optimum outcome“). 136 Für England vgl. etwa Re Bailey, [1951] Ch. 407 (421); für Deutschland Münchener Kommentar/Leipold (Fn. 111) § 2084 Rz. 77. 137 § 2344 II BGB. 138 Supra, Fn. 127. Zu den Formen des Widerrufs im englischen Recht (insbesondere: Testament, Vernichtung der Testamentsurkunde, Eheschließung) siehe Kerridge (Fn. 12) 7-01 ff.

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Stellung des Erbunwürdigen als gesetzlichen Erben. Freilich ist, was das letzte Argument betrifft, nicht unzweifelhaft, ob es dem mutmaßlichen Erblasserwillen nicht eher entspricht, die gesetzliche Erbfolge eingreifen zu lassen,139 sofern nur das aufgrund von Täuschung oder Drohung errichtete Testament aus dem Wege geräumt ist, auch wenn es einer der gesetzlichen Erben gewesen war, der den Willensmangel zu verantworten hat. Insgesamt sind die erwähnten Vorteile eher marginal, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die hier behandelten Fallkonstellationen bislang kaum praktische Relevanz zu haben scheinen. Das im Laufe von mehr als 100 Jahren zu § 2339 I Ziffer 3 BGB angefallene Entscheidungsmaterial ist ausgesprochen dünn.140 Und in England wird probate undue influence ebenso wie fraud als „dead letter“ beschrieben.141 Das Sachproblem liegt in beiden Rechtsordnungen darin, ob das Recht genügend Schutz gegen unzulässige Einflussnahme beim Testieren gewährt. Verneint man dies, wird wegen der notorischen Beweisprobleme Abhilfe letztlich nur dadurch zu schaffen sein, dass auf bestimmten Vermutungen beruhende Beweiserleichterungen anerkannt (Deutschland) bzw. ausgebaut werden (England).142

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Das gilt natürlich nur, sofern nicht ein früheres Testament vorlag, das durch das unter dem Einfluss von Arglist oder Drohung errichtete widerrufen worden war. War der Erbunwürdige in diesem früheren Testament als Erbe oder Miterbe eingesetzt worden, so ist mit der Erbunwürdigkeitserklärung auch diese Erbeinsetzung hinfällig. Auch hier ist fraglich, ob ein derartiges Ergebnis dem mutmaßlichen Erblasserwillen tatsächlich eher entspricht, als wenn nunmehr das mangelfrei errichtete erste Testament die Erbfolge bestimmte (das wäre die Folge einer Anfechtung des zweiten Testaments aufgrund des bei seiner Errichtung bestehenden Willensmangels). 140 Neben den oben in Fn. 97 genannten Entscheidungen sind im Wesentlichen zu § 2339 I Ziffer 3 BGB nur zu nennen RG v. 29.9.1904, RGZ 59, 33 (Welche Bedeutung hat neben Anfechtbarkeit einer letztwilligen Verfügung wegen Irrtums die Erbunwürdigkeit nach § 2339 I Nr. 3 BGB?) und OLG Köln v. 15.3.1950, NJW 1951, 158 ff. (Behauptung, ein Adoptionsvertrag sei durch Drohung erzwungen worden, reicht zur Feststellung der Erbunwürdigkeit nicht aus). 141 Ridge Law Quarterly Review 120 (2004) 622 („… probate doctrine of undue influence has been accurately described as a ,dead letter‘“; etwas positiver Enonchong (Fn. 107) 13-017); Kerridge (Fn. 12) 5-27 („… no attack on a will on the ground of fraud has ever been successful. Challenges on the ground of undue influence were occasionally successful, but the vast majority of such challenges failed too“); Margrave-Jones (Fn. 37) 5. 45. 142 Vgl. oben Text bei Fn. 116 (suspicious circumstances rule: Der aus einem Testament Begünstigte war an der Errichtung dieser Verfügung beteiligt). Gegen eine Erweiterung auf andere möglicherweise verdächtige Situationen aber mit guten Gründen Enonchong (Fn. 107) 13-019: „Therefore if the presumption of undue influence is applied to wills so that the party propounding the will, who did not participate in it and was not aware of the bequest, is required to rebut the presumption of undue influence, it will be a very difficult, if not impossible, burden to discharge. The result will be that bequests which are otherwise valid will fail for lack of evidence to rebut the presumption“.

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IV. Widerrechtliche Verhinderung der Errichtung oder Aufhebung eines Testaments Ein weiterer, mit dem vorstehenden eng verwandter und in den westeuropäischen Kodifikationen weithin anerkannter Erbunwürdigkeitsgrund betrifft denjenigen, der, in den Worten des BGB, „den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich verhindert hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben“.143 Der Tatbestand kann nicht nur durch Tun, sondern bei einer Rechtspflicht zum Handeln auch durch Unterlassen verwirklicht werden. Als Mittel der Verhinderung kommen in erster Linie Gewalt, Drohung und arglistige Täuschung in Betracht.144 Die zu § 2339 I Ziffer 2 BGB vorliegende veröffentlichte Rechtsprechung ist noch spärlicher als zu § 2339 I Ziffer 3 BGB; sie beschränkt sich im Wesentlichen auf drei Entscheidungen aus den Jahren 1909, 1956 und 1990.145 Das liegt vermutlich nicht zuletzt daran, dass im Zentrum des Tatbestands in der Regel eine negative Tatsache steht: Der Erblasser hat eine von ihm beabsichtigte Verfügung eben gerade nicht getroffen.146 Und schließlich wird die Verhinderung vielfach nicht dauernd sein, so dass der Erblasser zu einem späteren Zeitpunkt die Gelegenheit hat, von seiner Testierfreiheit nach Belieben, und ohne unzulässigen Einflüssen ausgesetzt zu sein, Gebrauch zu machen.147 Ein schö143 § 2339 I Ziffer 2 BGB. Vgl. ferner Art. 540 I Ziffer 3 ZGB (Schweiz) („… wer den Erblasser durch Arglist, Zwang oder Drohung … daran verhindert hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder zu widerrufen“); Art. 1860 Ziffer 3 Astikos Kodikas („… wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich verhindert hat, ein Testament zu errichten oder zu widerrufen“); Art. 463 no. 4 Codice civile („… oder ihn daran [d.h. an der Errichtung, dem Widerruf oder der Änderung seines Testamentes] gehindert hat“); Art. 2034d) Código civil (Portugal) („… oder ihn an solchem [d.h. ein Testament zu errichten, zu widerrufen oder zu ändern] hinderte“); Art. 4:3 (1)d) BW („… wer den Verstorbenen durch eine Tätlichkeit oder durch Bedrohung mit einer Tätlichkeit … daran gehindert hat, eine letztwillige Verfügung zu errichten“); Art. 412-3g) Código civil (Katalonien). Für Österreich siehe § 542 ABGB („… an der Erklärung, oder Abänderung des letzten Willens gehindert … hat“), für Spanien Art. 756 no. 6 Código civil („… wer durch gleiche Mittel [d.h. durch Drohung, arglistige Täuschung oder Gewalt] einen anderen davon abgehalten hat, ein Testament zu errichten oder ein bereits errichtetes zu widerrufen“). 144 Palandt/Edenhofer (Fn. 75) § 2339 Rz. 5; Münchener Kommentar/Helms (Fn. 88) § 2339 Rz. 21 (dort wird hinzugefügt „aber auch Ausnutzung der Willensschwäche oder der Zwangslage des Erblassers“); Ingeborg Hempel Erbunwürdigkeit: Historische Entwicklung und geltendes Recht, Diss. Köln, 1969, 51, 52. 145 OLG Stuttgart v. 9.12.1904, Das Recht 1905, 136, Nr. 603 (ohne Sachverhalt und damit in der inhaltlichen Aussage unsicher); BGH v. 21.5.1965, FamRZ 1965, 495 ff.; BGH v. 14.2.1990, NJW-RR 1990, 515 f. 146 Dem § 2339 I Ziffer 2 BGB unterliegt aber etwa auch der Fall, dass eine beabsichtigte Verfügung nicht wirksam getroffen worden ist; vgl. Münchener Kommentar/Helms (Fn. 88) § 2239 Rz. 18; Hempel (Fn. 144) 51. 147 Vgl. Münchener Kommentar/Helms (Fn. 88) § 2239 Rz. 21; Staudinger/Olshausen (Fn. 97) § 2339 Rz. 35.

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nes Beispiel für ein mögliches Eingreifen des § 2339 I Ziffer 2 BGB stellt, die Wahrheit des klägerischen Vorbringens einmal unterstellt (!), der Sachverhalt der erwähnten Entscheidung des BGH von 1990 dar:148 Die Beklagte war von der Erblasserin zunächst als Alleinerbin eingesetzt worden und hatte deren Testament in Besitz. Im Anschluss an ein Zerwürfnis erklärte sie gegenüber der Erblasserin wahrheitswidrig, sie habe die Testamentsurkunde vernichtet und hielt sie dadurch davon ab, das zu ihren Gunsten errichtete Testament aufzuheben. Im englischen Recht haben derartige Fälle eine noch marginalere Bedeutung als im deutschen. Aus der Judikatur ist hier allenfalls Betts and Another v. Doughty and Others zu nennen,149 wo nach dem Vorbringen der Beklagten die Erblasserin „by the force and threats of the plaintiffs“ daran gehindert wurde, ein Testament zugunsten der Beklagten zu errichten, wodurch gleichzeitig ein 21 Jahre zuvor zugunsten der Kläger errichtetes Testament widerrufen worden wäre. Zu einer Entscheidung kam es nicht, da sich die Parteien verglichen. Nach Ansicht von Kerridge hätte das Gericht, sofern die Beklagten Recht erhalten hätten, einen constructive trust zu ihren Gunsten angenommen.150 Dagegen lässt sich wiederum geltend machen,151 dass es damit jemandem erlaubt würde, eine Erbenstellung geltend zu machen, der weder aufgrund eines Testaments noch aufgrund Gesetzes zum Erben berufen ist.

V. Exkurs: „Erbschleicherei“ in der Schweiz Für Aufsehen hat in jüngerer Zeit eine Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts gesorgt,152 die das Bundesgericht selbst in den Kontext der

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BGH NJW-RR 1990, 515. (1879) L.R. 5 P.&D. 26. 150 Kerridge (Fn. 98) 75; idem (Fn. 12) 5–37 (Fn. 147). In diesem Sinne auch das US-amerikanische Recht, wo die Rechtslage in s. 184 Restatement (First) of Restitution so beschrieben wird: „Where a disposition of property by will or an intestacy is procured by fraud, duress or undue influence, the person acquiring the property holds it upon a constructive trust, unless adequate relief can otherwise be given in a probate court“. Dazu heisst es im Kommentar, diese Doktrin sei anwendbar, wenn „the decedent is by fraud, duress or undue influence (1) induced to make a will … (2) induced to revoke a will … (3) prevented from revoking a will … (4) prevented from making a will …“. Ich danke Ron Scalise für diesen Hinweis. Er ergänzt ihn durch den Kommentar, der constructive trust werde von den amerikanischen Gerichten „in a rather ad hoc fashion“ eingesetzt. 151 Supra, Text zu Fn. 134. 152 BGE 132 III 305 ff. (6.2.2006). Dazu kritisch Stephan Wolf, Barbara Ballmer Erbunwürdigkeit durch Unterlassen, recht 2007, 40 ff.; Daniel Abt AJP 2006, 1139 ff.; Suzette Sondoz jusletter vom 10. April 2006; Regina Aebi-Müller Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2006, ZBJV 143 (2007) 333 ff.; Daniel Abt in: idem, 149

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Bekämpfung von „Erbschleicherei“ stellt.153 Der Beklagte war vier Jahre lang als Rechtsanwalt für die verwitwet und kinderlos in einem Alters- und Pflegeheim lebende, sehr vermögende Erblasserin tätig gewesen und hatte ihr auch sonst in verschiedener Hinsicht beigestanden; im Laufe der Zeit war er zur beinahe einzigen Bezugsperson der Erblasserin geworden. Sie hatte ihn daraufhin als Erben eingesetzt und damit gleichzeitig die Erbeinsetzung des Klägers aus einem früheren Testament widerrufen.154 Das Bundesgericht hielt den Beklagten nach Art. 540 I Ziffer 3 ZGB für erbunwürdig, da er die Erblasserin in der Fehlvorstellung belassen hatte, seine Bemühungen ihr gegenüber beruhten auf echter Freundschaft und Zuneigung statt auf geschäftlichem Kalkül und Gewinnstreben. Aufgrund seines Vertrauensverhältnisses zu der Erblasserin sei der Beklagte insoweit zur Aufklärung verpflichtet gewesen.155 Darin liege eine arglistige Täuschung (durch Unterlassen).156 Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei anzunehmen, dass die unterlassene Aufklärung kausal dafür war, dass die Erblasserin ihr Testament zugunsten des Beklagten nicht widerrufen und neu und anders verfügt habe. Der Beklagte habe die Erblasserin insofern also „durch Arglist … daran verhindert …, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder zu widerrufen“.157

Thomas Weibel (Hrsg.), Praxiskommentar Erbrecht, 2007, Art. 540 Rz. 6 f. Für den Hinweis auf diese Entscheidung danke ich Michelle Cottier, Basel. 153 BGE 132 III 305 (307). Dazu wird aus einem schweizerischen juristischen Wörterbuch eine (sehr weite) Definition der Erbschleicherei zitiert und (offenbar mit einem gewissen Bedauern) vermerkt, das Gesetz erfasse die Erbschleicherei weder als einen eigenen Ungültigkeitsgrund (Art. 519 ZGB) „noch ausdrücklich als Erbunwürdigkeitsgrund“. 154 Der Streit ging um das Erbe der 1995 in Basel verstorbenen Hildegard Kirchbach, das neben Barvermögen eine Kunstsammlung mit wertvollen Gemälden von Franz Mark, Emil Nolde, Ferdinand Hodler und anderen bekannten Künstlern sowie Skulpturen enthielt. Der in dem früheren Testament eingesetzte Erbe und Kläger war Eckbert von Bohlen und Halbach, ein Abkömmling der Krupp-Dynastie; vgl. NZZ vom 14. März 2006. Der Rechtsstreit beschäftigte das Bundesgericht insgesamt nicht weniger als sechs Mal. 155 Derartige, gegen die eigenen Interessen gerichtete Aufklärungspflichten sind der Rechtsprechung auch in Deutschland nicht unbekannt; diese hat dort damit operiert, um als unbillig empfundene Verjährungsfristen umgehen zu können; vgl. Reinhard Zimmermann „Sekundäre“ und „tertiäre“ Schadensersatzansprüche gegen den Rechtsanwalt, NJW 1985, 720 f. 156 Das Bundesgericht spricht etwas unspezifisch davon, der Anwalt hätte sich eine „schwere Verfehlung“ zuschulden lassen kommen: BGE 132 III 305 (314), wo der Ausdruck gleich zweimal fällt; zuvor auch bereits auf S. 310. 157 So der Wortlaut von Art. 540 I Ziffer 3 ZGB (Schweiz).

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Diese in jeder Hinsicht bemerkenswerte Entscheidung 158 entspringt offenbar dem auch in England in Urteilen wie Wintle v. Nye 159 zum Ausdruck kommenden Unbehagen an einer Rechtslage, die „vulnerable testators“ 160 ungenügend schützt.161 Gleichwohl wäre eine Entscheidung wie die des Schweizerischen Bundesgerichts in England undenkbar, und zwar zum einen, weil der Beklagte an der Errichtung der letztwilligen Verfügung zu seinen Gunsten offenbar nicht mitgewirkt hatte, und zum anderen, weil die englischen Gerichte nicht so großzügig eine arglistige Täuschung durch Unterlassen bejahen würden.

VI. Urkundendelikte Einen dritten Erbunwürdigkeitsgrund ratione testamenti spezifiziert das BGB durch Verweisung auf die Urkundendelikte der §§ 267 sowie 271–274 des Strafgesetzbuches.162 Im Gegensatz zu den anderen vom BGB anerkannten Tatbeständen können die für die Erbunwürdigkeit relevanten Handlungen hier auch nach dem Erbfall begangen werden. Erfasst sind insbesondere die Herstellung einer unechten Verfügung von Todes wegen zur Täuschung im Rechtsverkehr, die Verfälschung einer echten Verfügung von Todes wegen, der Gebrauch einer unechten oder verfälschten Verfügung von Todes wegen, die mittelbare Falschbeurkundung und die Urkundenunterdrückung. Auch die Erbunwürdigkeit nach § 2339 I Ziffer 4 BGB findet ihre Entsprechung in den anderen westeuropäischen Kodifikationen,163 wenngleich die 158 Sie wird ergänzt durch eine weitere Entscheidung des Bundesgerichts vom 1.3.2006 (BGE 132 III 315 ff.), in der es um die Auswirkungen der Erbunwürdigkeit geht. Auch sie ist bemerkenswert insofern, als hier die Wirkungen der Erbunwürdigkeit in einer jedenfalls auf den ersten Blick überraschenden Weise präzisiert werden. Es geht um die Frage, ob das zugunsten des Klägers errichtete erste Testament wirksam ist oder nicht. Hierzu erklärt das Bundesgericht zunächst die Unterscheidung zwischen den Wirkungen der Erbunwürdigkeit (sie betreffe nicht die Gültigkeit der Verfügung von Todes wegen, sondern die Fähigkeit, Erbe zu sein und aus Verfügungen von Todes wegen zu erwerben) und den Folgen der Ungültigkeit einer Verfügung von Todes wegen; diese Unterscheidung erscheine „rechtstechnisch in sich geschlossen und unanfechtbar, vermag aber nicht zu überzeugen“. Das Bundesgericht ebnet dann die Unterscheidung in den Rechtsfolgen ein, indem es Verfügungen von Todes wegen zugunsten des Erbunwürdigen für nichtig hält. Daraus folgt, dass das erste Testament nicht als widerrufen anzusehen ist. 159 Supra, Fn. 116. 160 Vgl. den Titel des Aufsatzes von Kerridge Cambridge Law Journal 59 (2000) 310. 161 In der Entscheidung des Bundesgerichts kommt immer wieder scharfe Kritik am Verhalten des Beklagten (des „Erbschleichers“; vgl. oben Fn. 153) zum Ausdruck; seine schwere Verfehlung erscheine „als unerträglich“ und sei „zu missbilligen“ (BGE 132 III 305 (314)). 162 § 2339 I Ziffer 4 BGB. 163 Art. 540 I Ziffer 4 ZGB (Schweiz) („… wer eine Verfügung von Todes wegen vorsätzlich und rechtswidrig unter Umständen, die dem Erblasser deren Erneuerung nicht mehr ermöglichten, beseitigt oder ungültig gemacht hat“); Art. 1860 Ziffer 5 Astikos Kodikas („… wer das schon errichtete Testament des Erblassers verändert oder beiseite geschafft

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Unterschiede hier erheblicher sind als im Hinblick auf § 2339 I Ziffern 1–3 BGB. Insbesondere erfassen manche Kodifikationen nicht den Kernfall der Anfertigung eines falschen Testaments. Im englischen Recht findet sich nur hier und dort ein Hinweis auf Fälle von forgery (Urkundenfälschung).164 Dabei steht im Mittelpunkt die Frage, ob der Beweisstandard des Strafrechts („beyond all reasonable doubt“) oder des Zivilrechts („on a balance of probabilities“) eingreift. Und in der Tat dürften sich, was das materielle Recht betrifft, keine besonderen Probleme ergeben. Ein gefälschtes Testament ist kein formwirksames Testament, und insofern gilt die gesetzliche Erbfolge (oder ein zuvor formwirksam errichtetes Testament). Die Erbunwürdigkeit kann demgegenüber nur sicherstellen, dass der Fälscher auch als gesetzlicher (oder zuvor testamentarisch eingesetzter) Erbe nicht zum Zuge kommt. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass im deutschen Recht die Frage kontrovers diskutiert wird, ob die Erbunwürdigkeit nach § 2339 I Ziffer 4 BGB auch dann eingreift, wenn die Fälschung zur Verwirklichung des wahren Willens des Erblassers vorgenommen wurde. Das Reichsgericht hatte dies verneint, da in einem solchen Fall keine „Verfehlung gegen den Erblasser“ gegeben sei.165 Problematischer könnten demgegenüber im englischen Recht Fälle der Urkundenunterdrückung, z.B. durch Vernichtung, sein. Vermutlich würde hier dasselbe gelten wie nach deutschem Recht, unterstellt, es gäbe keinen § 2339 I Ziffer 4 BGB: Gelingt der Nachweis des Inhalts des vernichteten Testaments (das ja nicht widerrufen worden ist!), so bestimmt dies die Erbfolge.166 Ansonsten bleibt nur der Rückgriff auf die gesetzliche Erbfolge; ein früheres Testament kann in diesem Fall die Erbfolge nicht bestimmen, da es durch das spätere widerrufen worden ist. hat“); Art. 463 nos. 5 und 6 Codice civile („… wer das Testament des Erblassers unterdrückt, verheimlicht oder verändert hat“ sowie „… wer ein falsches Testament angefertigt oder wissentlich davon Gebrauch gemacht hat“); Art. 2034 d) Código civil (Portugal) („… derjenige, welcher vorsätzlich das Testament vor oder nach dem Tode des Erblassers entwendete, verheimlichte, unbrauchbar machte, fälschte oder unterdrückte oder sich eine dieser Tatsachen zunutze machte“); Art. 4:3 (1)e) BW („… wer den letzten Willen des Verstorbenen unterschlagen, vernichtet oder verfälscht hat“); Art. 412-3 h) Código civil (Katalonien); vgl. auch Art. 542 ABGB („… oder einen von [dem Erblasser] bereits errichteten letzten Willen unterdrückt hat“); Art. 756 no. 6 Código civil (Spanien) („… oder wer ein späteres [Testament] fälscht, beiseite schafft oder verändert“). 164 Kerridge (Fn. 12) 5–16; Ross Martyn/Caddick (Fn. 31) 13–62 (mit dem Hinweis: „There seems to be no reported case on the principles which govern such actions“). 165 RG v. 18.11.1909, RGZ 72, 207 ff.; anders nunmehr BGH v. 20.10.1969, NJW 1970, 197 f.; OLG Stuttgart v. 26.3.1998, ZEV 1999, 187 f.; vgl. ferner Hempel (Fn. 144) 62 ff.; Ina Ebert Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, 2004, 400; Münchener Kommentar/ Helms (Fn. 88) § 2339, Rz. 13; Staudinger/Olshausen (Fn. 97) § 2339 Rz. 51; Palandt/Edenhofer (Fn. 75) § 2339 Rz. 9. 166 Vgl. etwa Staudinger/Baumann (Fn. 127) § 2255 Rz. 31; Palandt/Edenhofer (Fn. 75) § 2255 Rz. 9.

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Das Rechtsinstitut der Erbunwürdigkeit bewirkt also auch hier, dass derjenige, der das Testament vernichtet hat, auch ein ihm möglicherweise zustehendes gesetzliches Erbrecht verliert. Einschlägiges Fallmaterial scheint für das englische Recht nicht vorzuliegen; auch in Deutschland findet sich unter den zu § 2339 I Ziffer 4 BGB veröffentlichten Entscheidungen nur eine, in der es jedenfalls ansatzweise um das Problem der Urkundenunterdrückung ging.167

VII. Evaluation Betrachten wir noch einmal die hier behandelten Fälle 168 im Überblick und fragen wir uns, zu welchem Ergebnis das deutsche Recht führen würde, wenn es, wie das englische, eine Erbunwürdigkeit nicht anerkennte.169 (i) Der Erblasser wird durch arglistige Täuschung oder Drohung dazu bestimmt, ein Testament zu errichten: Das Testament ist anfechtbar nach § 2078 II BGB, und die Erbfolge wird durch das Gesetz (oder durch ein zuvor errichtetes Testament) bestimmt. (ii) Der Erblasser wird durch arglistige Täuschung oder Drohung dazu bestimmt, ein zuvor errichtetes Testament aufzuheben. (a) Sofern diese Aufhebung in Form eines Widerrufs durch Testament erfolgt (§ 2254 BGB), ist das Widerrufstestament anfechtbar, und das unwirksam aufgehobene frühere Testament tritt wieder in Kraft. (b) Sofern das Testament durch Vernichtung widerrufen wird (§ 2255 BGB), gilt dasselbe wie unter (ii)(a), vorausgesetzt, ein Widerruf durch Vernichtung kann angefochten werden und der Inhalt des früheren Testaments lässt sich etablieren. (c) Hält man demgegenüber die Anfechtung eines Widerrufs durch Vernich167 OLG Dresden v. 23.7.1998, OLGR 1999, 384 ff. (Pflichtteilsunwürdigkeit eines Abkömmlings des Erblassers: Urkundenunterdrückung durch Aufforderung zur Nichteinreichung eines Testaments beim Nachlassgericht bzw. zur Vernichtung des Testaments). 168 Weitere Fälle der Erbunwürdigkeit nach kontinentaleuropäischem Muster werden deshalb nicht berücksichtigt, weil insoweit unter den kontinentaleuropäischen Kodifikationen selbst keine Einigkeit besteht: verleumderische Anschuldigung des Erblassers wegen einer schweren Straftat (Frankreich, Spanien, Griechenland, Italien, Portugal, Katalonien, Niederlande, aber nicht Österreich, Deutschland und die Schweiz); neben der Tötung auch andere gegen den Erblasser begangene Straftaten von einigem Gewicht (Österreich, Niederlande, Katalonien); falsche Zeugenaussage in einem gegen den Erblasser durchgeführten Strafverfahren (Italien, Frankreich, Katalonien); Versetzung des Erblassers in einen dauernden Zustand der Verfügungsunfähigkeit (Deutschland, Schweiz); gröbliche Pflichtverletzungen im Verhältnis der Eltern gegenüber ihren Kindern (Österreich, Italien, Katalonien); mangelnde Fürsorge des Erbberechtigten für einen behinderten Erblasser (Spanien), etc. Mit einer Ausnahme passen diese Fälle nicht zu der überzeugendsten ratio der kontinentalen Erbunwürdigkeitsvorschriften: die Handlung des Unwürdigen muss sich als eine „Kränkung der Testierfreiheit des Erblassers“ darstellen (Motive (Fn. *) 276): supra, Fn. 88. 169 Dabei können hier selbstverständlich nicht alle denkbaren, sondern es kann nur eine Reihe typischer Fallkonstellationen durchgespielt werden.

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tung für unzulässig, oder lässt sich der Inhalt des früheren Testaments nicht etablieren, haben wir ein Problem, denn ohne die Erbunwürdigkeitsregeln hätte der Täuschende oder Drohende genau das erreicht, was er erreichen wollte. (iii) Der Erblasser wird durch Täuschung oder Drohung daran gehindert, ein Testament zu errichten oder aufzuheben. Auch hier hätten wir ohne Erbunwürdigkeitsregeln das Problem, dass der Täuschende oder Drohende das erreichen würde, was er erreichen wollte: Eine Anfechtung ist schließlich nicht möglich. (iv) Jemand stellt zur Täuschung im Rechtsverkehr ein unechtes Testament her. Die Erbfolge wird nicht nach dem unechten Testament bestimmt (sofern die Tat nicht verborgen bleibt), sondern es gilt entweder gesetzliche Erbfolge oder ein früheres, echtes, Testament. (v) Das an sich die Erbfolge regelnde Testament des Erblassers wird von jemandem, der dessen Wirksamwerden verhindern möchte, vernichtet: Sofern der Inhalt dieses Testaments nicht etabliert werden kann, gilt dasselbe wie unter (ii)(c) und (iii). Damit zeigt sich, dass die Erbunwürdigkeitsregeln in den Fällen (ii)(c), (iii) und (v) (im Folgenden: Kategorie 1) ein offenkundig untragbares Ergebnis verhindern; dasselbe gilt für den eingangs erörterten Fall (wir können ihn als Fall (vi) klassifizieren) der vorsätzlichen Tötung des Erblassers. In den Situationen (i), (ii)(a), (ii)(b) und (iv) (im Folgenden: Kategorie 2) bewirken die Erbunwürdigkeitsregeln hingegen lediglich, dass der Täter nicht aufgrund gesetzlicher Erbfolge oder aufgrund eines zuvor errichteten Testaments an das Vermögen des Erblassers kommt. Freilich wird es sich in aller Regel nur um einen Teil des Vermögens handeln, denn wenn er sowieso bereits alleiniger gesetzlicher Erbe oder Testamentserbe wäre, hätte er keine Grund zum Eingriff in die Testierfreiheit des Testators gehabt. Es sind nun gerade die Fälle der Kategorie 1, in denen das englische Recht sich mit Problemen konfrontiert sieht. Diese Probleme löst es in der Fallkonstellation (vi) mit der Verfallregel: Der Mörder soll aus seiner Untat keinen Gewinn ziehen dürfen. Mithilfe eben derselben Regel (sofern man sie nicht auf Fälle der vorsätzlichen Tötung beschränkt, sondern im Einklang mit der römischen Maxime „nemo ex suo delicto meliorem suam condicionem facere potest“ 170 auf rechtswidrige Handlungen allgemein erstreckt) lassen sich freilich auch die anderen Konstellationen der Kategorie 1 problemlos in den Griff bekommen. Denn in allen von ihnen hat der Täter seine Erbenstellung durch rechtswidriges Handeln erlangt. Hätte er, um Falltyp (iii) zu erwähnen, den Erblasser nicht daran gehindert, ein Testament zu errichten, hätte er die Erbenstellung aufgrund des früheren Testaments oder aufgrund Gesetzes nicht erhalten. Anders demgegenüber in den Fällen der Kategorie 2. Zwar erhält der Täter aufgrund seines Eingriffs in die Testierfreiheit auch hier eine Erbenstellung,

170

Supra, Fn. 91.

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und es ist evident, dass er den aus dieser Stellung folgenden Vermögensvorteil nicht sollte behalten dürfen. Dafür sorgen aber sowohl das englische wie das deutsche Recht bereits auf anderen Wegen. Dass der Täter nicht auch aufgrund Gesetzes (oder eines zuvor errichteten Testaments) – Fallkonstellationen (i) und (iv) – bzw. aufgrund des unwirksam aufgehobenen früheren Testaments – Fallkonstellationen (ii)(a) und (b) – soll erben können, ist eine darüber hinausgehende Folge, die mit seinem rechtswidrigen Eingriff in die Testierfreiheit nichts zu tun hat: Denn gesetzlicher (oder durch das vorangegangene Testament) eingesetzter Erbe war er sowieso. Die oben geäußerte Erwartung 171 hat sich also, was das englische Recht betrifft, letztlich doch bestätigt, freilich nur für einen Teil der von einer Norm wie § 2339 I BGB erfassten Fälle. Aber auch für die Erbunwürdigkeit nach kontinentaleuropäischem Modell lässt sich aus den vorstehenden Überlegungen etwas Wesentliches lernen. Dass niemand einen Gewinn soll behalten können, den er aus einer rechtswidrigen Handlung erzielt hat, ist unmittelbar einleuchtend und entspricht Gerechtigkeitsvorstellungen, die das Privatrecht tragen.172 Dass den rechtswidrig Handelnden darüber hinaus aber weitere nachteilige Folgen treffen, lässt sich so nicht mehr erklären. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine Sanktion und damit um einen Fremdkörper im Bereich des Zivilrechts. Rechtfertigen ließe sich eine solche Sanktion möglicherweise damit, dass das Gesetz hier nur implementiert, was der typische Erblasser, hätte er dazu die Möglichkeit gehabt, seinerseits getan hätte: nämlich den in seine Testierfreiheit Eingreifenden ganz und gar von der Erbfolge auszuschließen. Freilich ist nicht ausgemacht, dass ein Erblasser typischerweise nach dem Modell des Alles-oder-Nichts reagieren und einen nächsten Angehörigen gänzlich enterben würde.173 Der Intuition eines englischen Juristen würde ein solches Ergebnis offenbar eher widersprechen,174

171

Supra, Text zu Fn. 94. Zur Gewinnhaftung vgl. die Hinweise supra, Fn. 91. 173 Dies zumal, da es sich bei den von § 2339 I Ziffern 2–4 BGB erfassten Taten insgesamt um eher weniger schwerwiegende Verfehlungen gegenüber dem Erblasser handelt. Jedenfalls springt das Gesetz demjenigen, der bis zu seinem Tode nicht erfahren hat, dass sein gesetzlicher Erbe seinen besten Freund umgebracht oder ihn selbst hinter seinem Rücken in schwerwiegender Weise verleumdet hat, nicht in der Weise bei, dass es dem gesetzlichen Erben aufgrund vermuteten Erblasserwillens sein Erbrecht entzieht. Gleiches gilt für die Pflichtteilsentziehung, die durch letztwillige Verfügung erfolgen muss, ohne dass berücksichtigt würde, ob der Erblasser um den Pflichtteilsentziehungsgrund weiß. 174 Auch in den Niederlanden führt jedenfalls die Einflussnahme auf den letzten Willen in Form von arglistiger Täuschung nicht zur Erbunwürdigkeit (wohl aber zur Anfechtung). So auch bereits nach dem BW von 1838. Begründung damals: Arglistige Täuschung sei nicht nur schwierig zu beweisen, sondern gebe auch keine hinreichend deutliche „Vorstellung“ („… maar geeft geen genoegzaam vast denkbeeld“): J. C. Voorduin Geschiedenis en Beginselen der Nederlandsche Wetboeken, Teil IV, 1838, 17. 172

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und auch in Deutschland zeigt sich bisweilen, dass die Fälle viel zu unterschiedlich liegen für eine auf den hypothetischen Erblasserwillen gestützte Pauschallösung.175 Und berücksichtigt werden sollte in diesem Zusammenhang auch, dass der Code civil die Erbunwürdigkeitsgründe ratione testamenti nie anerkannt hat und auch nach der Erbrechtsreform nicht anerkennt. Das hängt im französischen Recht mit dem traditionellen Respekt vor der gesetzlichen Erbfolgeordnung zusammen, die sich bis heute in dem Grundsatz institution d’Héritier n’a lieu spiegelt. Für England, das die Testierfreiheit bekanntlich höher achtet als das deutsche 176 und französische 177 Recht, könnte man demgegenüber die Anerkennung eines Instituts erwarten, das dezidiert auf den Schutz der Testierfreiheit abzielt. Doch geht das englische Recht eben nicht so weit, eine „Kränkung der Testierfreiheit“ mit einer Sanktion zu belegen, die über den Verlust der unrechtmäßig erworbenen Rechtsposition hinausgeht. Letztlich zeigt sich darin die Einstellung, dass es nicht Aufgabe des Gesetzgebers (oder des Richters) ist, die Erbfolge an einem unsicheren Kriterium wie dem des mutmaßlichen Willens des Erblassers auszurichten, sondern statt dessen im Zweifel auf die gesetzliche Erbfolgeordnung und die darin typisiert zum Ausdruck kommenden Gerechtigkeitsvorstellungen zurückzugreifen.178 Die Erbunwürdigkeit ist mithin kein notwendiger Bestandteil eines modernen Erbrechts; sie bildet dort eher einen Fremdkörper. Jedenfalls lässt sich ein gedanklich konsistentes Gegenmodell auf der Basis des Grundsatzes „nemo ex suo delicto meliorem suam condicionem facere potest“ entwickeln. Dies ist der – freilich nicht konsequent durchgeführte – Ansatz des englischen Rechts. Für die praktisch wichtigste Fallkonstellation der Tötung des Erblassers bestehen sehr weitreichende Gemeinsamkeiten zwischen kontinentaleuropäischem und englischem Recht. Im Übrigen gibt es Unterschiede, sowohl im dogmatischen Instrumentarium als auch im Ergebnis. Freilich ist die Erbunwürdigkeit auch in den Ländern des civil law nur eine in ihrem Kernbereich einigermaßen deutlich konturierte Rechtsfigur. Dass das englische Recht eine solche übergreifende Rechtsfigur nicht anerkennt, sondern einerseits mit der Verfallregel und andererseits im Wesentlichen mit dem Recht der Willensmängel auskommt, wird nicht zuletzt dadurch zu erklären sein, dass das Testamentsrecht (law of wills) traditionell

175 Supra, Text zu Fn. 165. Aber auch im Übrigen wird es jedenfalls bei einer nach dem Erbfall begangenen Fälschung am ehesten im Sinne des Testators liegen, wenn die Erbfolge sich nach seinem echten Testament richtet. 176 Vgl. etwa Henrich/Huber (Fn. 4) 116. 177 Vgl. etwa Jens Beckert Unverdientes Vermögen, 2004, 35 ff. 178 Dies freilich nur, soweit nicht die in der Literatur vorgebrachten Vorschläge aufgegriffen werden, im Wege des constructive trust den (mutmaßlichen) „wahren“ Erblasserwillen zur Geltung zu bringen.

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als ein eigenständiger Rechtsbereich betrachtet worden ist. Das mag die englischen Juristen dazu geführt haben, die einschlägigen Probleme so weit wie möglich unter rechtsgeschäftlichem Aspekt zu betrachten. Auch für eine Lösung des rechtspolitisch brisanten Problems unlauterer Einflussnahme auf schutzbedürftige Testatoren ist das Rechtsinstitut der Erbunwürdigkeit vermutlich nicht der geeignete Ausgangspunkt.179

179

Dieser Beitrag ist Klaus J. Hopt mit herzlichen Glückwünschen gewidmet und mit ebenso herzlichem Dank für sieben Jahre harmonischen Zusammenwirkens im Hamburger Max-Planck-Institut. Er knüpft an das gemeinsame Interesse am common law (sei es in seiner englischen oder US-amerikanischen Ausprägung) an. Ron Scalise, Johnnie MacLeod, Philipp Eichenhofer und den Teilnehmern der „Aktuellen Stunden“ am 15. Juni und 16. Juli 2009 danke ich für Diskussion und Anregung.

II. Unternehmensrecht

Der Rechtsschein bei Firmenfortführung Holger Altmeppen I. Einleitung Der Gesetzeszweck der Haftung des Firmenübernehmers, die § 25 HGB anordnet, ist in Rechtsprechung und Lehre seit jeher leidenschaftlich umstritten. Renommierteste Handelsrechtler werfen sich bis auf den heutigen Tag gegenseitig vor, dazu „ärgerliche“, „indiskutable“, jedenfalls de lege lata „vollends unhaltbare“ Rechtsansichten zu vertreten.1 Der Tatbestand des § 25 HGB sei abzuschaffen, es handele sich um eine „systemfremde Norm ohne auch nur annähernd einleuchtenden Gerechtigkeitsgehalt“.2 Ulrich Huber hat die Schärfe des Streites der Theorien um den Zweck des § 25 HGB mit der Frage zu erledigen versucht, „… ob eine Norm unter allen Umständen einen ‚Zweck‘ haben muss“.3 Das hat ihm die noch schärfere Rüge eingetragen, die „fundamentalen Fortschritte des juristischen Denkens im 20. Jahrhundert“ aus den Augen verloren zu haben.4 Der Jubilar hat in einem führenden Standardkommentar zum HGB, der seinen Namen trägt, den Meinungsstreit knapp, klar und souverän abgehandelt. Sein Urteil, dass die Haftung des Erwerbers nach § 25 HGB betreffs ihres Zwecks „ohne Verbiegungen auf eine der genannten Theorien hin zu akzeptieren“ sei5, trifft de lege lata mit Selbstverständlichkeit zu. Eine nach ihrem Wortlaut eindeutige Haftungsbestimmung stellt andererseits ein Ärgernis dar, wenn sie keinen „… auch nur annähernd einleuchtenden Gerechtigkeitsgehalt“, geschweige denn einen „vernünftigen Zweck“ hätte.6 Im Folgenden wird der Versuch unternommen, den Haftungstatbestand des § 25 HGB bei einer sachlich vollauf gerechtfertigten Rechtsscheinhaftung 1

Vgl. etwa Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 7 Rn. 14 ff., 16 gegen Ulrich Huber und Karsten Schmidt; Ulrich Huber, FS Raisch, 1995, S. 102 und 105 gegen Karsten Schmidt; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl., 1999, § 8 I 1 und 3 gegen Rechtsprechung und Lehre, die in der Firmenfortführung das zwingend erforderliche Haftungskriterium erkennen. 2 Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 16 unter Berufung auf Robert Fischer, der „ein Jurist von Ausnahmerang“ gewesen sei, aaO Fn. 30 und 33. 3 Huber, FS Raisch, o. Fn. 1, S. 85. 4 Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 17 mit Fn. 33. 5 Hopt, in Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl., 2008, § 25 Rn. 1. 6 S. dazu die Nachw. o. Fn. 2 ff.

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einzuordnen. Es wird sich zeigen, dass allein diese Einordnung „fundiert“ ist.7 Der Jubilar hat das Wichtigste dazu schon auf den Punkt gebracht, indem er „die Kontinuität des Unternehmens nach außen, die sich in der Fortführung des Handelsgeschäfts und der Firma erweist“8, für entscheidend gehalten hat. Die „Unstimmigkeiten“, die der Jubilar dennoch sieht,9 lassen sich dann (und nur dann) beheben, wenn man bereit ist, in einem auf veranlasstem Rechtsschein beruhenden Gläubigerschutz die wertungsmäßig überzeugende Antwort auf die „zentrale Frage“ zu finden, warum Altgläubiger bei einer solchen Kontinuität des Unternehmens nach außen im Neuunternehmer einen (weiteren) Schuldner gewinnen.10 Entsprechendes gilt hinsichtlich des Schuldnerschutzes für die auf veranlasstem Rechtsschein beruhende Liberationsbestimmung in § 25 Abs. 1 S. 2 HGB. Das führt freilich zu notwendigen Korrekturen auch in den teilweise unsinnigen Ergebnissen.

II. Die missverständliche Begründung des historischen Gesetzgebers Die gesetzliche Regelung einer Haftung des Firmenübernehmers hat erst der Gesetzgeber des HGB von 1897 geschaffen. Zuvor wurde die Haftung des Erwerbers allerdings schon damit begründet, das Handelsgeschäft sei „als Komplex aller mit dem Betrieb begrifflich zusammenhängenden Rechtsverhältnisse“ zu verstehen. Außenstände wie Verbindlichkeiten seien „selbstverständlicher Bestandteil“ des unter einer Firma betriebenen Geschäfts, woraus sich ohne weiteres die Haftung des Erwerbers ergebe.11 Dieser im 19. Jahrhundert entwickelte Gedanke knüpft bereits an eine „selbstverständliche“ Erwartung dahin an, dass der Firmenübernehmer auch die Verbindlichkeiten mit übernehme. In den Gesetzesmaterialien zum HGB 1897 schimmert diese Deutung des Gesetzeszwecks ebenfalls durch. Der Ausschluss der Haftung sollte im ersten Entwurf lediglich von einer „handelsüblichen Bekanntmachung“ abhängig gemacht werden. Doch schien dies dem Gesetzgeber im zweiten Entwurf als nicht mehr ausreichend. Im Verkehrsinteresse sei die Bekanntgabe des Haftungsausschlusses „dringend erforderlich“. Das Interesse an aus7 A.A. Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 11 „… noch weit weniger fundiert und heute überwunden ist die Einordnung von § 25 Abs. 1 S. 1 HGB in die Lehre von der Rechtsscheinhaftung …“. 8 Hopt, in Baumbach/Hopt, o. Fn. 5, § 25 Rn. 1; ähnlich zuletzt BGH DB 2009, 2429, 2430: „… die Kontinuität des Unternehmens nach außen (ist) … der tragende Grund für die Erstreckung der Haftung …“. 9 Hopt, in Baumbach/Hopt, o. Fn. 5, § 25 Rn. 1. 10 Nach Canaris sind bisher alle eine taugliche Antwort auf diese „zentrale Frage … schuldig geblieben“, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 16. 11 Mommsen, Busch’s Arch. 32 (1875), 201, 210 ff. 214 ff.; Heinsen, Gutachten zum XIV. Deutschen Juristentag, Bd. 1, Heft 2, 1880, S. 215, 243.

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reichender Publizität dieser Vereinbarung gebiete es, nicht nur auf eine „handelsübliche Bekanntmachung“ zu verweisen, da die Eintragung im Handelsregister dem Publizitätsinteresse „in erhöhtem Maße gerecht“ werde.12 Einen Begründungsfehler, den der Gesetzgeber des HGB von 1897 am Ende noch gemacht hat, spießt einer seiner heutigen Hauptkritiker in Gestalt einer in der Tat missglückten Textpassage in der Denkschrift auf.13 Dort heißt es: „Im Verkehr wird vielfach die Firma ohne Rücksicht auf die Person ihres Inhabers … als Trägerin der durch den Handelsbetrieb begründeten Rechte und Pflichten angesehen. Diese Auffassung ist rechtlich allerdings nicht zutreffend, nichts desto weniger scheint es gerechtfertigt, der Verkehrsauffassung, nach welcher der jeweilige Inhaber der Firma als Berechtigter und Verpflichteter angesehen wird, … entgegenzukommen.“14 Für Canaris ist diese Aussage, die der historische Gesetzgeber zum Zweck der Haftung des Firmenübernehmers angeboten hat, der Beweis dafür, dass dieser „… den guten Glauben an eine falsche Rechtsansicht“ habe schützen wollen, was in der Tat die „rechtspolitische Fragwürdigkeit“ des gesamten gesetzgeberischen Konzeptes eindrucksvoll belegen würde.15 Ausgehend von den Erwägungen zum ersten und zweiten Entwurf des HGB von 1897 wird aber klar, dass der Gesetzgeber etwas völlig anderes als „… den guten Glauben an eine falsche Rechtsansicht“ des Publikums schützen wollte. Es ging dem Gesetzgeber, wie zu wiederholen ist, um die „Publizität“ einer unüblichen Vereinbarung hinsichtlich des fehlenden Übergangs von Aktiva und Passiva, die nicht nur durch „handelsübliche Bekanntmachung“, sondern sogar durch Eintragung in das Handelsregister herbeigeführt werden müsse, weil diese die Publizität im Gläubiger- und Schuldnerinteresse „in erhöhtem Maße“ gewährleiste.16 Nimmt man dies zur Kenntnis, erledigt sich zugleich der scheinbare Widerspruch des Gesetzestextes, der

12 S. dazu die Nachw. bei Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. 2, 2. Halbband, 1988, S. 745 ff., 756; dies., Bd. 2, 1. Halbband, 1986, S. 575 ff., 584, S. 639 ff., 643, S. 677 ff., 680 jew. m.w.N. S. zur Entstehungsgeschichte des § 25 HGB bereits Ihde, Die Haftung des Erwerbers des Handelsgeschäfts für Schulden des Veräußerers nach früherem und nach jetzigem Recht, Jur. Diss. Rostock 1903, S. 18 ff.; Waskönig, Rechtsgrund und Tragweite der §§ 25, 28 HGB, Jur. Diss. Bonn 1979; aus neuerer Zeit Huber, FS Raisch, o. Fn. 1, S. 85, 90 ff.; Muschalle, Die Haftung bei Fortführung eines Handelsgeschäfts, 1996, S. 19 ff. jeweils m.w.N. 13 Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 17. 14 S. Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches und Einführungsgesetzes (Reichstagsvorlage) und einem Anhang, 1897, in Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, o. Fn. 12, Bd. 2, 2. Halbband, S. 36. 15 Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 18. 16 S. die Nachw. o. Fn. 12.

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Haftung und Liberation nämlich auch dann anordnet, wenn der Firmenübernehmer durch Nachfolgezusatz kenntlich macht, dass es sich bei ihm um einen neuen Unternehmensträger handelt.17 Der Gesetzgeber des HGB von 1897 wollte nicht einen (grob irrigen) „guten Glauben“ des Publikums an die fortdauernde Identität zwischen Firma und Unternehmensträger schützen. Die Regelung des § 25 HGB richtet sich auch und gerade an diejenigen, welche den Wechsel des Unternehmensträgers und die Bedeutung der Firma bestens erkannt haben. Die missverständliche Formulierung in der Denkschrift18 ist ausschließlich dahin zu verstehen, dass das Publikum – welches mit „Firma“ den Unternehmensträger meint – den Firmenübernehmer als „Verpflichteten“ ansieht. Das aber ist empirisch genau richtig, weil seine Haftungsübernahme allgemein üblich ist. Entsprechendes gilt für seine Stellung als neuer Gläubiger (§ 25 Abs. 1 S. 2 HGB). Eine abweichende Vereinbarung von dieser „Kontinuität des Unternehmens nach außen“ bei „Fortführung des Handelsgeschäfts und der Firma“19 muss den Gläubigern und Schuldnern des Unternehmens deshalb nach dem Willen des Gesetzgebers mit der gebotenen „Publizität“ zur Kenntnis gebracht werden.20

III. Zur dogmatischen Einordnung des § 25 HGB als Rechtsscheintatbestand 1. Die berechtigten Erwartungen der „intelligenten“ Gläubiger und Schuldner Der Käufer eines Unternehmens, der nicht nur einzelne Assets erwerben möchte, sondern „Alles“, erwirbt das Unternehmen mit Aktiva und Passiva. Ist die Unternehmensträgerin als juristische Person selbst Kaufsache, liegt dies auf der Hand. Der Erwerb vom Einzelkaufmann, der das gesetzliche Leitbild des § 25 HGB ist, kann aber nur ein Asset-Deal sein. Der Handelsbrauch, dass der Erwerber, der „die Firma“ kauft, das Unternehmen des Einzelkaufmannes mit allen Aktiva und Passiva erwirbt, war schon im 19. Jahrhundert als der entscheidende Gesetzeszweck der Haftung des Firmenübernehmers erkannt worden.21 Die dem Zivilrechtler geläufige Rechtslage, dass 17 S. dazu zuletzt wieder Ammon/Ries, in Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, Vor §§ 25–28 Rn. 5: „Gegen die Rechtsscheintheorie spricht, dass … die Haftung … auch bei Verwendung eines Nachfolgezusatzes in der Firma entsteht.“; Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 11. 18 O. Fn. 14. 19 Hopt, o. Fn. 8. 20 Nachw. o. Fn. 12. 21 S. die Nachw. o. Fn. 11 f.

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eine befreiende Haftungsübernahme ohne Mitwirkung der Gläubiger gar nicht möglich ist 22, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle (sie verstellt nur den Blick auf den Zweck des Gesetzes). Der Gesetzgeber knüpft an die im Alltag so gut wie immer zutreffende Erwartung an, dass ein Unternehmenskäufer, der durch Erwerb und Fortführung der Firma zu erkennen gibt, das „ganze“ Unternehmen erworben zu haben, zugleich Aktiva und Passiva des Unternehmens übernommen hat. Dies muss zwar aus Rechtsgründen nicht immer so sein und deswegen ist die sog. „Haftungsfondstheorie“ zu Recht abgelehnt worden.23 Doch der Gesetzgeber hat zu Recht unterstellt, dass der „Firmenkauf“ ohne Übergang aller Aktiva und Passiva des Unternehmens in der Praxis die nicht zu erwartende Ausnahme ist. Wenn der Unternehmenskäufer das Unternehmen aber mit Aktiva und Passiva übernommen hat, dann haftet „die Firma“ – genauer: Der neue Unternehmensträger, der sich zur Kennzeichnung seines Unternehmens der alten Firma bedient – ab jetzt aus Sicht intelligenter Gläubiger auch für die betriebsbezogenen Verbindlichkeiten des Altunternehmers. Der neue Unternehmensträger ist zugleich – so denken intelligente Schuldner – als Übernehmer der Aktiva des Unternehmens der neue Gläubiger, an den man also befreiend leisten kann (§ 25 Abs. 1 S. 2 HGB). Die entscheidende Frage lautet dennoch, warum und in welchem Umfang der Gesetzgeber den Altgläubigern und Altschuldnern in ihrer Erwartung, der Firmenübernehmer werde ihnen haften bzw. ihr neuer Gläubiger sein, in § 25 HGB Schutz gewährt. 2. Zur relevanten „Disposition“ Ein stereotyp wiederholtes Argument lautet in unserem Zusammenhang, um eine „Rechtsscheinhaftung“ handele es sich bei § 25 HGB schon deswegen nicht, weil die Haftung keine „Disposition des Altgläubigers im Vertrauen auf den Rechtsschein“ verlange.24 Dies ist insofern richtig, als die Gläubiger in dieser Eigenschaft – anders als die Schuldner im Parallelfall des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB – im Vertrauen auf den Übergang der Aktiva und Passiva keine Leistungen an den Firmenübernehmer erbringen. Ist die „Disposition“ aber hinsichtlich der geschützten Schuldner (§ 25 Abs. 1 S. 2 HGB) keine Frage, bleibt nur noch die Suche nach einem „sinnvollen“ Vertrauensschutz für die Gläubiger, denen der Gesetzgeber des HGB von 1897 gewiss kein „reines Zufallsgeschenk“ machen wollte.25 22

Darauf weist Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 10 hin. S. nur die Nachw. bei Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 12. 24 So zuletzt wieder Ammon/Ries, o. Fn. 17, Vor §§ 25–28 Rn. 5; Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 11. 25 So die Polemik von Canaris, Handelsrecht, o. Fn. 1, § 7 Rn. 5. 23

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Die Lösung ergibt sich aus dem Handelsbrauch, dass der Unternehmenskäufer, der das gesamte Unternehmen mit Firma gekauft hat, auch die „Schulden“ kauft, was die entscheidende Kalkulationsgrundlage bei der Kaufpreisbildung ist. Dies erkennt insbesondere der intelligente Altgläubiger, an den sich § 25 HGB in erster Linie richtet, während die Annahme, der Gesetzgeber wolle nur im Geiste arme Altgläubiger schützen, die zwischen Firma, Unternehmen und Unternehmensträger (auch in der Laiensphäre) nicht zu unterscheiden vermögen, zum Gesetzeszweck des § 25 HGB im Ansatz nicht vordringen kann. Die Disposition der Altgläubiger besteht in einem irrtumsbedingten „Unterlassen“ der Inanspruchnahme des Altunternehmers dahin, das Schuldverhältnis zwischen ihm und dem einzelnen Altgläubiger den durch den Unternehmenskauf ohne Haftungsübernahme des Nachfolgers geänderten Verhältnissen anzupassen. Es liegt auf der Hand, was intelligente Gläubiger täten, deren Ansprüche schon fällig sind: Sie würden den Altunternehmer unverzüglich in Anspruch nehmen, ihm jedenfalls ohne Sicherheit keinen Kredit mehr gewähren, nachdem er sein Unternehmen ohne Überleitung der Haftung an den Nachfolger versilbert und damit die Grundlage einer etwaigen Kreditbeziehung zwischen ihm bzw. seinem Unternehmen und dem Altgläubiger vernichtet hat. Im Zentrum des Normzwecks der Regelung des § 25 HGB stehen aber diejenigen Altgläubiger, deren Ansprüche – vor allem natürlich auf der Basis von Dauerschuldverhältnissen zwischen ihnen und dem Unternehmer – noch gar nicht fällig sind (Banken, Lieferanten, Verpächter, Dauerkunden etc.). Solche Gläubiger wären, wenn sie bereits vorgeleistet hätten, in der misslichen Lage, dass der Neuunternehmer ihre Vorleistung erhalten hat, ohne die Haftung auf die Gegenleistung dafür zu übernehmen. Für sie war gewiss „Geschäftsgrundlage“, dass der Altunternehmer die Vorleistung nicht als Aktivum des Unternehmens aus der Hand gibt, ohne zugleich die (noch nicht fällige) Gegenleistungsverbindlichkeit an den Übernehmer weiterzuleiten. Solche Altgläubiger hätten Anspruch auf Sicherung durch den Altunternehmer, ferner könnten sie ein Dauerschuldverhältnis bisweilen fristlos kündigen und alle noch ausstehenden Zahlungen des Altunternehmers sofort fällig stellen (heute §§ 313, 314 BGB). Entsprechendes gilt endlich für solche Altgläubiger, die noch nicht vorgeleistet haben, es jedoch hinnehmen mussten, dass die Ansprüche auf ihre Leistung an den Firmenübernehmer abgetreten wurden, ohne dass dieser dafür die Haftung übernommen hätte. Kurzum: Wer eine „Disposition“ der Altgläubiger im hier interessierenden Fall vermisst, übersieht deren Vertragsanpassungsansprüche gegen den Altunternehmer, die sich ergeben, wenn und weil dieser Kontrahent in das Schuldverhältnis massiv eingegriffen hat. Er hat dem Neuunternehmer mit dem Unternehmen in der Regel die Vermögenswerte überlassen, welche die

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Altgläubiger dem Unternehmen geleistet haben oder noch leisten sollen, ohne dafür Sorge zu tragen, dass der neue Unternehmensträger für diese Leistungen die Gegenleistung erbringen muss, die im Fall des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB noch aussteht. Das Sicherungsinteresse des Altgläubigers hat sich durch diesen Eingriff in das Schuldverhältnis mit seinem Vertragspartner relevant verändert. § 25 Abs. 1 S. 1 HGB geht dabei ersichtlich von dem Fall aus, dass der Altgläubiger die ihm zustehende Leistung von seinem Vertragspartner nicht mehr erhält, was naheliegt, weil dieser das Unternehmen auch gar nicht mehr hat. Die Erwartung des Altgläubigers, an Stelle seines bisherigen Vertragspartners werde die unternehmensbezogene Schuld vom neuen Unternehmensträger erfüllt werden, weil dies beim „Firmenkauf“ eine Selbstverständlichkeit ist, wird ebenfalls enttäuscht, und daran knüpft die Rechtsscheinhaftung des Firmenübernehmers nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB an. Wer an dieser Stelle argumentiert, die Altgläubiger könnten aufgrund einer internen Schuldübernahme nicht die Erwartung haben, den Firmenübernehmer direkt in Anspruch nehmen zu dürfen26, versperrt sich endgültig den Blick auf den Zweck des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB: Der Gesetzgeber des HGB von 1897 wollte den Handelsverkehr in seinem Vertrauen darauf schützen, dass der Unternehmenskäufer die Aktiva und Passiva nicht nur „übernommen“ hat, sondern dass er die Altgläubiger des Unternehmens deshalb auch befriedigt. Und da dies in aller Regel genauso geschieht, spielt § 25 Abs. 1 S. 1 HGB ohnehin nur dann eine Rolle, wenn die Haftung intern entgegen den berechtigten Erwartungen der Altgläubiger nicht übernommen wurde. Der Firmenübernehmer will seiner Haftung anderenfalls auch gar nicht entgegenhalten, seine mit dem Altunternehmer vereinbarte Übernahme der Passiva könne nur „intern“ wirken. Der Unternehmenskäufer ist insbesondere nicht überrascht darüber, dass der Gesetzgeber des HGB von 1897 ihm diesen Einwand abgeschnitten hat, indem das Gesetz in § 25 Abs. 1 S. 1 HGB die Außenhaftung des Firmenübernehmers als Regelfall anordnet, ungeachtet der Tatsache, dass es ohne diese Regelung nach herkömmlichen juristischen Deduktionen nur um eine interne Haftungsübernahme ginge. Die These, § 25 Abs. 1 S. 1 HGB beschere den Altgläubigern ohne erkennbare Gerechtigkeitserwägung in der Haftung des Firmenübernehmers ein „Zufallsgeschenk“27, übergeht also die berechtigte Erwartung der Altgläubiger, der Firmenübernehmer werde an Stelle ihres bisherigen Schuldners, der das Unternehmen auf den Firmenübernehmer übertragen hat, leisten. Mit dieser Erwartung ist die Vorstellung von einer Personalsicherheit verbunden, jedenfalls den Neuunternehmer als Schuldner zu haben, der noch wichtiger ist als der alte Schuldner, weil dieser das Unternehmen gar nicht mehr hat.

26 27

Canaris, o. Fn. 1, § 7 Rn. 10. Canaris, o. Fn. 25.

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Hätte der Altgläubiger gewusst, dass diese Vorstellung falsch ist, so hätte er – davon geht der Gesetzgeber des § 25 HGB zu Recht aus – wegen Kenntnis der für ihn erheblich schlechter gewordenen Sicherheitslage hinsichtlich seiner Ansprüche Maßnahmen gegen den Altunternehmer getroffen, wie hinreichend dargetan wurde. Die Situation ist ebenso wie in anderen Fällen, in welchen den Gläubigern eines Unternehmensträgers kraft Rechtsscheins eine Person haftbar wird, auf deren Haftung die Unternehmensgläubiger potentiell vertrauen durften. Der Scheingesellschafter, der im Handelsregister eingetragen (§§ 15 Abs. 3, 106 Abs. 2 Nr. 1 HGB) oder trotz seines Ausscheidens nicht gelöscht wurde (§§ 15 Abs. 1, 143 Abs. 2 HGB), haftet den Gläubigern der OHG, weil diese in der akzessorischen Haftung der Gesellschafter eine Personalsicherheit für die Verbindlichkeiten ihrer Primärschuldnerin (§ 124 HGB) haben sollen. Die „Disposition“, die im Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 S. 1 HGB vermisst wird,28 besteht in diesem gesetzlich angeordneten und bisher von niemandem als „ungerecht“ empfundenen Parallelfall (§§ 15 Abs. 1, 3, 106 Abs. 2 Nr. 1, 143 Abs. 2 HGB) ebenfalls darin, dass der Gesellschaftsgläubiger möglicherweise davon absieht, Maßnahmen gegen seine Primärschuldnerin zu ergreifen, nämlich in dem zumindest potentiell vorhandenen Vertrauen des Gläubigers, in der Haftung des Scheingesellschafters eine Personalsicherheit zu haben. Das Vertrauen in die Haftung des Firmenübernehmers dürfte in der Praxis sogar noch wesentlich relevanter sein als dasjenige in die akzessorische Haftung eines Scheingesellschafters, von dessen Existenz die Gesellschaftsgläubiger oftmals aktuell nie etwas erfahren haben. Alle Argumente, welche in die Richtung gehen, die kumulative Mithaftung des Firmenübernehmers nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB beschere den Gläubigern ein ganz unangemessenes „Zufallsgeschenk“, müssten daher für die kumulative Mithaftung von Scheingesellschaftern für unternehmensbezogene Verbindlichkeiten der Personenhandelsgesellschaft gleichermaßen ins Feld geführt werden. Auf eine solche Idee ist freilich bisher niemand gekommen. Der Fehler wurzelt in Verkennung 29 dessen, was der Gesetzgeber des HGB von 1897 im Falle der Firmenübernahme im Auge hatte: Die Bestimmung richtet sich an intelligente, geschäftlich erfahrene und (zumindest in der Laiensphäre) mit juristischem Gespür ausgestattete Gläubiger, deren berechtigte Sicherungsinteressen betroffen sind.

28 29

S. die Nachw. o. Fn. 24. Näher o. Fn. 15.

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3. Keine Haftung bei Kenntnis des Altgläubigers vom Haftungsausschluss Gegen die richtige Einordnung des § 25 HGB als eines Rechtsscheintatbestandes wird endlich immer wieder eingewendet, dass Rechtsprechung und Lehre die Haftung (§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB) und die Liberation (§ 25 Abs. 1 S. 2 HGB) auch dann eintreten ließen, wenn der Gläubiger oder Schuldner im Falle der Unterlassung der gesetzlich angeordneten Publikationsmaßnahmen (§ 25 Abs. 2 HGB) „Kenntnis“ gehabt haben. Denn § 15 Abs. 1 HGB sei „nicht anwendbar“. Dies möge „merkwürdig erscheinen“, sei aber „angesichts des klaren Gesetzeswortlauts de lege lata“ hinzunehmen.30 Dazu ist festzustellen, dass beide Aussagen so gar nicht zutreffen, und dort, wo sie zu weitgehend sind, entsprechend korrigiert werden müssen. Erstens stimmt es nicht, dass die mangelnde Relevanz der Kenntnis die Rechtsnatur der Norm als eines Rechtsscheintatbestandes immer ausschließe. Paradigma für die Unrichtigkeit dieser Behauptung ist § 409 BGB, der den Schuldner auch dann schützt, wenn er um die Nichtberechtigung des durch die Urkunde legitimierten Gläubigers weiß.31 Die Behauptung, dass die Liberationswirkung auch im Falle des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB trotz Kenntnis des Gläubigers von der mangelnden Berechtigung des Firmenübernehmers eintrete,32 ist zweitens das thema probandum. Sie könnte – wie im Fall des § 409 BGB – nur mit dem Sachargument gerechtfertigt werden, es sei dem Schuldner nicht zuzumuten, sich gegen die Anspruchsberühmung des „legitimierten“ Firmenübernehmers zu wehren, weil dieser das Aktivum in Gestalt des Anspruchs gegen den Schuldner des Unternehmens entgegen dem Rechtsschein gar nicht miterworben habe. Demgegenüber ist die Vorstellung, der Forderungsübergang werde kraft § 25 Abs. 1 S. 2 HGB zwingend herbeigeführt, womöglich gegen den Willen des Altunternehmers, des Neuunternehmers und des Schuldners,33 eine groteske Verkehrung des Gesetzeszwecks. § 25 Abs. 1 S. 2 HGB will nicht einen Forderungsübergang „fingieren“, den weder der Gläubiger, noch der Firmenübernehmer, geschweige denn der Schuldner gewollt hat. Der Sinn des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB besteht ausschließlich in der berechtigten Erwartung des Schuldners, er habe in Gestalt des Firmenübernehmers einen neuen Gläubiger bekommen, an den er gefahrlos, weil in jedem Fall befreiend, leis-

30 Statt aller Lieb, in MünchKomm-HGB, 2. Aufl., 2005, § 25 Rn. 117; mit Hinweis auf RGZ 75, 139; BGHZ 29, 1, 4; im Ergebnis ebenso die hM, vgl. Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl., Stand 1983, § 25 Rn. 101; Schlegelberger/Hildebrandt/Steckhahn, HGB, 5. Aufl., 1973, § 25 Rn. 18; Zimmer, in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2. Aufl. 2008, § 25 Rn. 86; Heymann/Emmerich, HGB, 2. Aufl. 1995, § 25 Rn. 53; weitere Nachw. bei Lieb, aaO. 31 Unstrittig, s. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl. 2010, § 409 Rn. 5. 32 So die h.M., o. Fn. 30. 33 So in der Tat die „Fiktionstheorie“, s. dazu die Nachw. bei Altmeppen, Disponibilität des Rechtsscheins, 1993, S. 123; zuletzt Karsten Schmidt, AcP 198 (1998) 516 ff.

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ten kann. Die Frage, ob man dies auch dann aus Gründen seines Schutzes vor Doppelinanspruchnahme befürworten will, wenn der Schuldner Kenntnis davon erlangt hat, dass die Anspruchsberühmung des Firmenübernehmers sachlich unbegründet ist, ändert also an der Einordnung des § 25 Abs. 1 S. 2 HGB als eines Rechtsscheintatbestandes, genauer: eines Liberationstatbestandes (Grundfall: § 407 BGB) gar nichts. Ganz fehl geht auch die Behauptung, § 25 Abs. 2 HGB gebiete, das „merkwürdige Ergebnis“ zu akzeptieren, kraft dessen der Firmenübernehmer auch bösgläubigen Altgläubigern hafte, die – auf welchem ungewöhnlichen Wege auch immer – ohne Publikationsakte davon erfahren haben, welchen Inhalt der Unternehmenskaufvertrag hinsichtlich der Übernahme der Passiva des Unternehmens hat. Es bedarf kaum des Hinweises, dass der Gesetzgeber an einen solchen krassen Ausnahmefall offensichtlich gar nicht gedacht hat. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich eindeutig, dass es dem Gesetzgeber nur darum ging, die vom Regelfall abweichende Ausnahme, dass der Firmenkäufer die unternehmensbezogene Haftung nicht auf sich genommen hat, im Gläubigerinteresse durch entsprechend sichere Publikationsakte bekannt machen zu lassen.34 Einem Gläubiger, der schon Kenntnis hat, kann man eine Tatsache aber nicht mehr bekannt machen, wie nicht näher erläutert werden muss! Kann man ernsthaft behaupten, der Gesetzgeber des HGB habe die Publikationsmaßnahme der Eintragung oder gesonderten Mitteilung auch im Interesse solcher Gläubiger angeordnet, denen die bekannt zu machende Tatsache bereits anderweitig bekannt geworden ist (was in der Praxis allerdings der extreme Ausnahmefall bleiben wird)? Und was hat das mit der Frage zu tun, ob im Rahmen des § 25 HGB „§ 15 Abs. 1 HGB gilt“?35 Selbstverständlich gilt im Falle des § 25 HGB § 15 HGB nicht, weil es sich dabei um zwei verschiedene Rechtsscheintatbestände handelt. Für alle Rechtsscheintatbestände gilt aber, dass Kenntnis den Rechtsschein zerstört, wenn es sich nicht um den Ausnahmefall handelt, dass sogar der Wissende geschützt werden soll, etwa ein Schuldner, der sich einem scheinbar „legitimierten“ Gläubiger ausgesetzt sieht, der sich eines Anspruchs berühmt, den er entgegen dem Rechtsschein gar nicht hat (Paradigma: § 409 BGB). In der Entscheidung RGZ 75, 139 hat das Reichsgericht denn auch keineswegs behauptet, § 25 HGB schütze auch den Altgläubiger, der Kenntnis vom Haftungsausschluss hat. Da Kenntnis die höchste erreichbare Publizitätsstufe 34

S. die Nachw. o. Fn. 12. S. zu der Fehlinterpretation des Gesetzeswortlauts in § 160 HGB insoweit bereits Altmeppen, NJW 2000, 2529, im Jahre 2007 übernommen von BGHZ 174, 7 Tz. 15 ff., nachdem Rechtsprechung und hM zuvor mehr als 100 Jahre lang ein unsinniges Ergebnis vertreten hatten. 35

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ist, wäre eine dahingehende Aussage schon gar nicht mit dem Publizitätsinteresse 36 zu rechtfertigen. Das obiter dictum in der Entscheidung des BGH vom 1. Dezember 1958 hat die bezeichnete Irrlehre offenbar begründet. Es heißt dort: „Im Unterschied zu § 15 Abs. 1 HGB vermag daher hier nicht einmal die nachweisbare Kenntnis des Gläubigers von dem Abschluss einer Ausschlussvereinbarung zwischen dem bisherigen Geschäftsinhaber und dem neuen Inhaber diesen von der Haftung frei zu stellen, wenn der Gläubiger seine Kenntnis anderweit erlangt hat (RGZ 75, 139; Recht 1931, Nr. 832).“37 Zugrunde lag die Frage, ob eine Altgläubigerin den Firmenübernehmer in Anspruch nehmen kann, wenn der Ausschluss seiner Haftung acht Tage nach Geschäftsübergabe zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet und erst weitere vier Tage später publiziert worden ist. Der BGH hat sehr zu Recht argumentiert, dass es ausreichend ist, wenn der Haftungsausschluss „unverzüglich nach der Geschäftsübernahme angemeldet wird und Eintragung und Bekanntmachung sodann in angemessenem Zeitabstand folgen“.38 Der Fall hatte überhaupt nichts mit der Frage zu tun, ob der Altgläubiger auch bei „Kenntnis“ schutzwürdig ist (der Schutz wurde in concreto umgekehrt ungeachtet der Tatsache versagt, dass die Altgläubigerin nichts von der Vereinbarung wusste). Der BGH wollte mit diesem obiter dictum nur die richtige Aussage rechtfertigen, es komme nicht darauf an, ob „der im Einzelfall in Betracht kommende Gläubiger der Meinung war, der Erwerber werde auch für die bisherigen Geschäftsverbindlichkeiten aufkommen.“39 Diese richtige Aussage bezieht sich allein darauf, dass die an den Registerschein anknüpfenden Rechtsscheintatbestände stets und nur potentielles Vertrauen verlangen, während diese Aussage (selbstverständlich) nicht den absurden Gegenschluss rechtfertigt, geschützt sei auch der, welcher – sei es aktuell oder potentiell – gar nicht mehr „vertraut“, weil er bereits „Kenntnis“ von den relevanten Tatsachen hat. Die in BGHZ 29, 1, 4 aufgestellte Behauptung, dass § 25 HGB die Altgläubiger auch bei Kenntnis schütze, weil der Haftungsausschluss „nur nach Maßgabe des § 25 Abs. 2 HGB in Betracht“ komme, „nur der dort vorgezeichnete Weg“ den Firmenübernehmer vor seiner Haftung bewahre 40, stellt sich als Schulfall eines vollständig misslungenen obiter dictums dar, welches in guter Absicht, aber unbeholfen ein richtiges Ergebnis begründen 36 37 38 39 40

Dazu Fn. 12 f. BGHZ 29, 1, 4. BGHZ 29, 1. BGHZ 29, 1, 4. BGHZ 29, 1, 4.

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sollte. Es hat anschließend eine „allgemeine Ansicht“ produziert, die mit dem richtig entschiedenen Fall bzw. mit dem richtigen Ergebnis gar nichts mehr zu tun hat, sich bei genauer Überlegung vielmehr als der bare Unsinn darstellt.41 4. Haftung auch bei Insolvenz des Altunternehmers? Ein weiterer Hauptangriff gegen § 25 Abs. 1 S. 1 HGB gilt dem Umstand, dass die Haftung des Firmenübernehmers sogar dann eintreten soll, wenn der Altunternehmer vor der Firmenübernahme bereits „finanziell zusammengebrochen, die Eröffnung des Konkursverfahrens … mangels Masse abgelehnt“ (und in concreto die GmbH bereits gelöscht) war.42 Doch auch diese Fallkonstellation rechtfertigt es nicht, die Regelung des § 25 HGB zu tadeln. Zu überdenken ist vielmehr, ob der Kritiker dieses von ihm behaupteten Ergebnisses (Haftungsübergang trotz Insolvenz des Altunternehmers) irrt, wenn er es aus § 25 Abs. 1 S. 1 HGB ableitet. Eine Grundvoraussetzung dafür, dass der von einem Rechtsscheintatbestand Begünstigte den Schutz in concreto auch erfahren kann, ist diejenige, dass sich seine am Rechtsschein orientierten Erwartungen als schlüssig darstellen. Dies folgt in methodischer Hinsicht aus teleologischer Reduktion des Rechtsscheintatbestandes, der unschlüssigen Erwartungen niemals zur Durchsetzung verhelfen will.43 Der Gläubiger eines vor der Firmenübernahme bereits insolventen Altunternehmers, der – wegen seiner Insolvenz – das Unternehmen nicht mehr fortführt, kann aber nicht schlüssig behaupten, sein Befriedigungsinteresse habe Schaden genommen, weil er im Vertrauen auf die Haftung des Firmenübernehmers keine geeigneten Maßnahmen gegen seinen Altschuldner getroffen habe. Da darin allein der Schutzzweck des Rechtsscheintatbestandes liegt,44 kann sich ein Altgläubiger niemals auf § 25 Abs. 1 S. 1 HGB berufen, wenn der Firmenübernehmer beweist, dass der Altschuldner bereits vor Firmenübernahme insolvent war. Von diesem Altschuldner hätte er nämlich auch dann nichts mehr zu erwarten gehabt, wenn ihm rechtzeitig mitgeteilt worden wäre, dass der Firmenübernehmer die Haftung des Altschuldners nicht mit übernimmt, was im Falle der Insolvenz des Altunternehmers zudem für jeden intelligenten Altgläubiger auf der Hand liegt. 41 S. zum Parallelfall, der zur Auslegung des § 160 HGB passiert ist, die Nachw. o. Fn. 35. 42 Canaris, o. Fn. 1, § 7 Rn. 4 mit Hinweis auf BGH NJW 1992, 911. 43 Schulbeispiel: Der Minderjährige veräußert eine fremde Sache (Rechtsgedanke des § 165 BGB) an den gutgläubigen Erwerber. S. zur „Rosinentheorie“, die keineswegs nur ein Problem des § 15 HGB darstellt, in diesem Zusammenhang etwa Altmeppen, Disponibilität, o. Fn. 33, S. 141, 155 ff., 162, 164 ff., 173, 186, 206, 210, 314 f. 44 Dazu eingehend III. 2.

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5. Firmenfortführung erforderlich? Die Missverständnisse zur Lehre von Karsten Schmidt, der argumentiert, die Firmenübernahme sei zwar der typische Fall, für die Haftung des Unternehmensnachfolgers aber nicht zwingend,45 bestätigt nochmals, worum es bei § 25 HGB allein geht. Die Idee von Karsten Schmidt liegt nicht fern, wenn der Neuunternehmer am Markt so auftritt, dass das Publikum ihn für den Nachfolger des Altunternehmers hinsichtlich der Aktiva und Passiva des Unternehmens halten muss. Denn dann kommt zumindest eine analoge Anwendung des § 25 HGB in Betracht. Der Gesetzgeber ist freilich zu Recht davon ausgegangen, dass die Verkehrserwartung hinsichtlich einer Haftungsübernahme des Neuunternehmers typischerweise nur begründet ist, wenn dieser die Firma übernimmt. Denn das ist das Signal für die Erwartung, der neue Inhaber habe sich auch und gerade mit den Schulden des Unternehmens identifiziert.46 Das, was man der Lehre Karsten Schmidts also entgegenzuhalten hat, ist die Fragwürdigkeit seiner Behauptung, dass die Unternehmensnachfolge auch ohne Firmenfortführung diejenige Verkehrserwartung auslöse, die der Gesetzgeber zu Recht und pauschaliert nur dann unterstellt, wenn das Unternehmen mit Firma fortgeführt wird (anderenfalls stellt § 25 Abs. 3 HGB auf einen „besonderen Verpflichtungsgrund“ ab, der „insbesondere“ in „handelsüblicher“ Bekanntmachung der Schuldübernahme liege). Die Richtigkeit dieser Behauptung wäre nämlich Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 25 HGB und die Richtigkeit der Prämisse, dass die Firmenfortführung nur der Standardfall – und keine zwingende Voraussetzung – des § 25 HGB sei. Da die Firma aber für das Publikum eine zentrale Bedeutung betreffs der Identifikation des Unternehmens hat, werden die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 25 HGB in aller Regel nicht vorliegen, wenn der Unternehmensnachfolger die Firma nicht fortführt. Das Publikum muss bei Erlöschen der Firma nämlich umgekehrt annehmen, dass der neue mit der Haftung des alten Unternehmensträgers nichts zu tun hat. 6. Die Parallelfälle in §§ 27 und 28 HGB Das gesetzgeberische Konzept geht in vollem Umfang auch in den Parallelfällen auf. Die Frage, warum Haftung und Liberation im Falle der Übertragung des Unternehmens vom Einzelkaufmann auf eine Personengesellschaft nicht an die Firmenfortführung anknüpfen (§ 28 HGB), liegt auf der Hand: Das intelligente Publikum unterstellt, dass der Einzelkaufmann, der einen 45 S. dazu Karsten Schmidt, Handelsrecht, o. Fn. 1, S. 220 ff. m.w.N.; massive Kritik dagegen bei Ulrich Huber, Canaris, o. Fn. 1. 46 S. dazu die Nachw. Fn. 8.

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Partner aufnimmt, alle Aktiva und Passiva seines Unternehmens auf die zu diesem Zweck gegründete Personengesellschaft überträgt. Nimmt diese Gesellschaft eine neue Firma an, so übernimmt sie in der Praxis gleichwohl alle Aktiva und Passiva des alten Unternehmensträgers. Im Unterschied zum Grundfall des § 25 HGB bleibt dieser nämlich gleichsam als ihr „Gründer“ im neuen Unternehmen. Die Enttäuschung dieser berechtigten Erwartung gefährdet die Sicherungsinteressen der Gläubiger erheblich, da sie nur die Mitgliedschaft ihres Altschuldners in der Personengesellschaft, nicht aber das Unternehmen als Haftungsmasse hätten, wenn die Gesellschaft die Schulden des Altunternehmers nicht übernimmt. Auch im Fall der nicht mehr auf den Nachlass beschränkbaren Haftung des Erben, der die Firma des Altunternehmers fortführt (§ 27 HGB), ist das gesetzgeberische Konzept sachlich vollauf gerechtfertigt. Das zentrale Signal für eine vollständige Identifikation des Erben mit den Unternehmensschulden des Erblassers ist auch hier die Fortführung der Firma des Unternehmens jenseits der „Schonfrist“ von drei Monaten.47 Anders als im Falle des § 28 HGB ist für das Publikum hier wieder entscheidend, dass nur mit Fortführung des geerbten Unternehmens unter alter Firma die „Kontinuität“ und „Identifikation“ signalisiert wird. Auf beides kann das Publikum namentlich nicht vertrauen, wenn der Erbe die Firma nicht übernimmt. Wenn die Firma des verstorbenen Unternehmers erloschen ist, muss das Publikum eher annehmen, dass der Erbe sich gerade nicht mit allen Schulden des Unternehmens identifizieren, sich insbesondere noch den Weg der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass erhalten will, auch wenn er das Unternehmen mit neuer Firma weiter betreibt. Die Frage, ob es sachgerecht ist, dass er sich trotz Firmenübernahme durch entsprechende Publikation (§§ 27 Abs. 1, 25 Abs. 2 HGB) diese Möglichkeit erhalten kann, wird bekanntlich unterschiedlich beurteilt.48 Sie sollte im bejahenden Sinne beantwortet werden. Insbesondere trifft es nicht zu, dass der Erbe dafür niemals einen „Preis“ zahlen müsse: Wer dem Publikum als Firmenübernehmer mitteilt, er werde die Haftung nicht übernehmen, die im Unternehmen begründet wurde, hat mit einer Fülle von Nachteilen zu rechnen, die sich aus den Reaktionen der Geschäftspartner und Gläubiger hinsichtlich der Gefährdung ihrer Sicherungsinteressen ergeben.49 Im Übrigen hat diese Detailfrage zu § 27 HGB nichts mit der zutreffenden Einordnung zu tun, dass die Firmenfortführung einen Rechtsscheintatbestand begründet, der zugunsten von Gläubigern die Haftung des Firmenübernehmers und 47 Diese Frist ist nicht nur der Pietät geschuldet, sondern insbesondere auch der Verkehrserwartung, der Erbe werde sich innerhalb von drei Monaten die Vor- und Nachteile der Firmenfortführung überlegt haben, eingehende Nachw. bei Karsten Schmidt, Handelsrecht, o. Fn. 1, S. 272 ff. 48 Reiche Nachw. bei Karsten Schmidt, Handelsrecht, o. Fn. 1, S. 271 ff. 49 S. dazu bereits Ziffer III. 2.

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zugunsten von Schuldnern deren Liberation bei Leistung an den Firmenübernehmer bewirkt. 7. Firmenübernahme und vorübergehende Nutzungsüberlassung Die h.M. wendet § 25 HGB bekanntlich auch dann an, wenn der Firmenübernehmer das Unternehmen nur gepachtet oder anderweitig zur vorübergehenden Nutzung erhalten hat.50 Das ist deswegen problematisch, weil das Publikum nicht annehmen kann, der Pächter habe das Unternehmen mit allen Aktiva und Passiva übernommen, wenn er die Firma, mit der das Unternehmen vom Verpächter gekennzeichnet wurde, fortführt. Der Pächter zahlt sein Entgelt nämlich nicht für das Unternehmen mit allen Aktiva und Passiva, sondern nur für das vorübergehende Nutzungsrecht an dem bestehenden Unternehmen. Aus den Materialien ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber an den Fall der Firmenfortführung durch den Unternehmenspächter konkret gedacht hat.51 Doch muss der Pächter daran denken, dass das Publikum ihn nicht für einen Pächter, sondern für einen Unternehmenskäufer hält, der alle Aktiva und Passiva übernommen hat, wenn und weil er sich durch Firmenfortführung als der neue Unternehmensträger präsentiert. Deshalb gelten zum Fall der Unternehmenspacht dieselben Überlegungen wie zum Fall des Unternehmenskaufs. Die aus der Firmenfortführung resultierende – scheinbare – Identifikation des Pächters mit Aktiva und Passiva des Unternehmens lässt es als geboten erscheinen, dass der Pächter dem Publikum zur Kenntnis bringt, dass gar kein Fall der Übernahme eines Handelsgeschäfts vom Vorgänger vorliegt und deshalb eine Übernahme von dessen Schulden nicht in Betracht kommt. Wenn der Pächter dies gerade nicht aufdecken will, ist er für den Rechtsschein verantwortlich, der sich aus einer Firmenfortführung nun einmal ergibt, und Entsprechendes gilt für den Verpächter, der ohne Publikation den Verlust seiner Forderungen riskiert, wenn seine Schuldner an den die Firma fortführenden Pächter zahlen (§ 25 Abs. 1 S. 2 HGB). Nicht zuletzt der Fall der Unternehmenspacht mit Firmenübernahme bestätigt, dass Haftung und Liberation bei Firmenübernahme allein auf Rechtsscheintatbeständen beruhen können, wenn intern anders vereinbart.

50 S. nur BGH NJW 1984, 1186; Hopt, in Baumbach/Hopt, o. Fn 5, § 25 Rn. 4 jew. m.w.N. 51 S. dazu die Nachw. o. Fn. 12.

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Holger Altmeppen

IV. Ergebnisse 1. Der Gesetzgeber des HGB von 1897 erkennt bei Unternehmensnachfolge in der Firmenübernahme einen Rechtsscheintatbestand, der es rechtfertigt, die Erwartungen des Publikums hinsichtlich einer Übernahme von allen Aktiva und Passiva des Unternehmens zu schützen. Der Schutz bezieht sich keineswegs auf eine „falsche Rechtsansicht“ des Publikums betreffs einer Identität von Firma, Unternehmen und Unternehmensträger, die dahin verstandene Aussage in den Gesetzesmaterialien war zumindest irreführend. Die Norm richtet sich insbesondere an „intelligente“ Gläubiger und Schuldner, welche die rechtlichen Zusammenhänge (zumindest in der Laiensphäre) genau durchschauen. 2. Die Unternehmensschuldner sollen in ihrem Vertrauen geschützt werden, dass der Firmenübernehmer ihr neuer Gläubiger sei, an den mit befreiender Wirkung geleistet werden kann. Schutzzweck hinsichtlich der Gläubiger ist eine Gefährdung ihres Sicherungsinteresses, welches sich aus ihrem Vertrauen ergibt, in der Person des Firmenübernehmers eine Personalsicherheit zu haben, nachdem ihr Vertragspartner und Schuldner das Unternehmen, in welchem die Verbindlichkeit begründet wurde, gar nicht mehr hat. Das zumindest potentielle Vertrauen in die Haftung des Firmenübernehmers hält der Gesetzgeber für schutzwürdig, weil die ungesicherten Gläubiger bei Kenntnis unverzüglich Maßnahmen gegen ihren Altschuldner einleiten würden, um Befriedigung oder zumindest Sicherung betreffs einer Forderung zu erhalten, deren Erfüllung der Firmenübernehmer entgegen berechtigter Erwartung nicht übernommen hat. 3. Entgegen weit verbreiteter Ansicht kann keine Rede davon sein, dass dieser Schutz Altgläubigern auch dann zukomme, wenn ihnen ausnahmsweise die Verhältnisse ungeachtet unterbliebener Publikationsakte im Sinne des § 25 Abs. 2 HGB bei der Firmenübernahme bereits bekannt waren. Der Firmenübernehmer haftet auch dann nicht, wenn der Altunternehmer zu diesem Zeitpunkt bereits insolvent war, weil der Rechtsschein dann hinsichtlich einer Gefährdung ihrer Befriedigungsaussichten irrelevant ist (teleologische Reduktion). 4. Nur die Deutung der Firmenübernahme als eines Rechtsscheintatbestandes, der sachlich vollauf begründete, aber in concreto unzutreffende Erwartungen hinsichtlich der Übernahme aller Aktiva und Passiva des Firmenübernehmers schützen soll, ist dogmatisch schlüssig und geeignet, überzeugende Ergebnisse daraus abzuleiten.

Suing directors in international litigation* Rafael Arenas García I. Introduction 1. Probably K. J. Hopt’s “Ideelle und wirtschaftliche Grundlagen der Aktien-, Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert” 1 was one of the works that helped me more in understanding company law. I will always be thankful to Professor Hopt for writing that article, which was so important for me when I was trying to find the links between company law and the regulation of commercial registers in the context of international commerce law.2 Therefore it is for me an honour and a pleasure to participate in this liber amicorum, and right from the beginning I had no doubt that my article for Professor Hopt should deal with company law. I have chosen to write a contribution about private international law (PIL) problems regarding the liability of directors. Corporate governance is one of the most prominent issues in company law since the end of the XXth century,3 and directors’ liability is a key element in the configuration of corporate governance.4 Professor Hopt has also worked on these issues,5 and he is * This contribution has been elaborated in the framework of the Research Project “Adecuación de los tipos y de las estructuras de las sociedades y demás personas jurídicas a las exigencias derivadas de la integración económica mundial”. This project has been financed by the Dirección General de Investigación del Ministerio de Educación y Ciencia. Reference: SEJ2005-06811/JURI. Head researcher: Dr. Rafael Arenas García. 1 In H. Coing and W. Wilhelm (ed.) Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main, Vittorio Klostermann, t-V, 1980, pp. 128–168. 2 Vid. R Arenas Gracía Registro Mercantil y Derecho del comercio internacional, Madrid, Centro de Estudios Registrales, 2000. In this book there are 13 references to works of Professor Hopt, six of which are from “Ideelle und wirtschaftliche…”. 3 Cf. P. L. Davies Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, London, Thomson/Sweet & Maxwell, 7 ed. 2003, p. 291. 4 Ibidem, pp. 425–426. 5 K. J. Hopt was member of the High Level Group of Company Law Experts. The Report produced by this Group on “A modern regulatory framework for company law in Europe” deals with corporate governance, and it can be considered a milestone in European company law and, also in corporate governance. However, previously Professor Hopt had already published leading works on corporate governance. See, for example, K. J. Hopt/ G. Teubner (eds.) Corporate Governance and Directors’ Liabilities – Legal, Economic and Sociological Analyses on Corporate Social Responsibility, Berlin/New York, de Gruyter, 1985; T. Baums/R.M. Buxbaum/K. J. Hopt (eds.) Institutional Investors and Corporate

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an expert on the changes experienced by corporate governance and directors’ liability in the last decade. These changes have been broadly analysed in company law by scholars from both sides of the Atlantic, and the study of this type of liability has become a significant field of commercial law in many European countries and in the United States. In PIL, however, the interest for this subject has not been so intense. There are not many articles devoted to liability of directors from a PIL perspective, and some fundamental problems of this area have not yet been studied in depth. This article deals with some of these problems, and more precisely, with jurisdictional problems regarding the liability of directors; i.e., determining where a director may be sued in order to establish his/her personal liability linked with his/her role as director of a company. The analysis will be made from a European perspective, which means that we will focus the study on the application of EC Regulations 44/2001 and 1346/2000, paying less attention to domestic law. A key element in this study is the distinction between the different types of directors’ liability. We will deal with this distinction in the next epigraph and afterwards we will discuss the grounds of jurisdiction that can be used to sue directors, taking into account the categories established in epigraph II. The particularities of directors’ liability in insolvency cases deserve special attention; we will therefore devote the penultimate part of the article to this problem.

II. Types of directors’ liability Company law imposes certain duties on directors of companies. These are basically fiduciary duties whose goal is to ensure that the companies’ interests are protected. The way of achieving this goal depends mainly on the company model. If we consider the source of the directors’ duties and liabiliGovernance, Berlin/New York, de Gruyter, 1994; K. J. Hopt/E. Wymeersch (eds.) Comparative Corporate Governance – Essays and Materials, Berlin/New York, de Gruyter, 1997; K. J. Hopt/H. Kanda/M. J. Roe/E. Wymeersch/S. Prigge (eds.) Comparative Corporate Governance – The State of the Art and Emerging Research, Oxford, Clarendon, 1998; K. J. Hopt “Kommentierung von § 93 AktG Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder”, in K. J. Hopt/H. Wiedemann (eds.) Aktiengesetz, Großkommentar, 4 ed., vol. 11, Berlin/New York, de Gruyter, 1999; K. J. Hopt “Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat – Zugleich ein Beitrag zur corporate governance-Debatte”, in Festschrift für Mestmäcker, Baden-Baden, Nomos, 1996, pp. 909–931; K. J. Hopt “Shareholder rights and remedies: A view from Germany and the Continent”, Company Financial and Insolvency Law Review, 1997, pp. 261–283; K. J. Hopt “Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europe? – Überlegungen zum Einfluß der Wertpapiermärkte auf Unternehmen und ihre Regulierung und zum Zusammenwachsen von common law und civil law im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht”, ZGR, 2000, pp. 779–818.

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ties, the existing company models can be classified in two main groups. Some systems of corporate law allow the statutes to freely govern this issue, considering that the market will reward the best approaches;6 but it is also possible to set the directors’ duties and liabilities in mandatory rules.7 If we consider the content of the regulation, there are also different possibilities. In some cases the law only establishes general duties,8 whereas in other cases the duties are more specific.9 Another issue that must be considered is the level of diligence that can be demanded to the directors. The determination of such level has a great influence not only in company law, but also in the economic activity.10 The breach of the fiduciary duties imposed on directors can cause damages to the company, to the shareholders and/or to the creditors of the company. If that is the case, the company itself can sue the liable directors. This kind of action against directors is well known and its purpose is to recover the assets of the company lost as a consequence of the directors’ wrongful actions.11 In some countries, when the company does not act against its directors, the shareholders and the creditors of the company are allowed to sue the directors in behalf and in the interest of the company.12

6 See J. N. Gordon “The mandatory structure of corporate law”, Columbia Law Review, 1989, vol. 89, pp. 1549–1598, p. 1553. Nevertheless, even the more flexible corporate laws included some mandatory rules (ibidem, footnote 16). Nowadays, the soft regulation through codes made by the market participants is increasingly relevant, see the Report on a modern regulatory framework for company law in Europe made by the High Level Group of Company Law Experts (see supra footnote 5) (http://ec.europa.eu/internal_market/ company/docs/modern/report_en.pdf), p. 72. 7 Statutory rules or case law, depending on the system. If the duties and liabilities of directors are not codified, it could be difficult for the directors to find out the specific obligations linked to the position. Therefore, a certain level of restatement of case law or common law principles would be advisable, see P. L. Davies op. cit., p. 371. 8 See, for example, F. Vincke “The Corporate Governance Debate in Belgium”, in K. J. Hopt/E. Wymeersch op. cit., pp. 119–149, p. 129; H. H. de Savornin Lohman Duties and Liability of Directors and Shareholders under Netherlands Law. Piercing the Corporate Veil, London/The Hague/Boston, Kluwer, 1996, pp. 37–38; J. J. du Plessis/I. Saenger “The General Meeting and the Management Board as Company Organs”, in J. J. du Plessis/ B. Großfeld/C. Lutterman/I. Saenger/O. Sandrock German Corporate Governance in International and European Context, Berlin/Heidelberg/New York, Springer, 2007, pp. 376– 64, pp. 58–59. 9 See, for example, Arts. 127 to 127quarter of the Spanish LSA (Ley de Sociedades Anónimas). 10 See C. Paz-Ares Responsabilidad de los administradores y gobierno corporativo, Madrid, Colegio de Registradores de la Propiedad y Mercantiles de España, 2007, passim. 11 See in Spain Art. 133 LSA. 12 See Art. 133 LSA (Spain). In other countries it is more difficult for individual and minority shareholders to bring an action on behalf of the company against the directors, see P. L. Davies op. cit., p. 447.

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The purpose of the action against directors for breach of their fiduciary duties is to recover the assets lost by the company; but this obligation of compensation is not the sole consequence of the directors’ wrongful behaviour. It is also possible to impose on them an obligation to assume the company debts. In these cases, the creditors of the company can sue not only the company, but also its directors. This liability of directors for the company debts is established both by company law13 and by insolvency law 14. The particularities of insolvency law deserve a specific treatment of this type of liability; consequently, in this article we will deal with these problems in epigraph VI. The behaviour of the directors can cause damages not only to the company, but also to third parties. Such parties can suffer an indirect damage as a consequence of a direct damage to the company assets, but it is usually not possible to sue the directors to obtain a compensation for this indirect damage;15 when the damage to the third party is purely indirect, the only way to get compensation is through the actions that are aimed to recover the assets of the company,16 which can also be used by the creditors of the company, as we have just pointed out. In some cases, directors directly cause damages to third parties. It is then necessary to draw a distinction between, on the one hand, the cases in which the director acts as a company director, and on the other hand, the cases in which the behaviour of the director is not linked to his/her condition of director. In the latter case, company law does not affect the action against the director. The fact that the person who causes the damage is the director of a company is irrelevant; we are therefore not going to consider these cases here. In the former case, i.e. when the damage is caused by a person acting as a company director, it must be pointed out that the company takes on the responsibility for the behaviour of the director; thus, in principle the person who suffers the damage must sue the company rather than the director. In

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See Art. 262.5 LSA (Spain). See infra epigraph VI. 15 See, in Spanish Law, Art. 134 LSA. Vid F. Sánchez Calero Los administradores de las sociedades de capital, Cizur Menor (Navarra), Thomson/Civitas, 2 ed. 2007, pp. 409–410; J. Alfaro Áquila-Real “La llamada acción individual de responsabilidad contra los administradores sociales”, Revista de Derecho de Sociedades, 2002-1, nº 18, pp. 45–76, pp. 47–48; J. L. Díaz Echegaray “Deberes y responsabilidad de los administradores de sociedades de capital, Cizur Menor (Navarra), Thomson/Aranzadi, 2006, p. 319. 16 In Spain this action is called “acción de responsabilidad social”. In Italy it is also called “Azione sociale di responsabilità”, (Art. 2393 Codice Civile, see A. Rossi in A. M. Alberti Il nuovo Diritto delle socità, Padua, CEDAM, 2005, vol. I, pp. 809–817). In France see D. Vidal Droit des sociétés, Paris, L.G.D.J., 5 ed. 2006, p. 218. In Germany see § 93(2) AktG. 14

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some cases, however, it is also possible to sue the director. The applicable law will determine whether (i) the director’s liability is subsidiary with regard to the company’s liability, (ii) both the company and the director are jointly liable, or (iii) the company’s liability is subsidiary with regard to the director’s liability. In any of these cases the person suffering the damage is allowed to sue the director, and it must therefore be established which courts have jurisdiction to decide on the matter.

III. Actions of the company against the directors 1. The role of Art. 22(2) Regulation 44/2001 Actions of the company against the directors are not included in Art. 22(2) Regulation 44/2001. The courts of the country where the company has its domicile assume exclusive jurisdiction only as regards the questions of the validity or dissolution of the company and the validity of the decisions of its organs. These actions do not fall into these categories so the exclusive ground of jurisdiction does not apply. However, this does not mean that Art. 22(2) Regulation 44/2001 is totally irrelevant in such cases. In order to file an action against one of its directors, the company must usually previously adopt a formal decision. The validity of this decision can only be ascertained before the courts designated by Art. 22(2) Regulation 44/2001. A problem can arise when the validity of the decision is contested by the director as a preliminary issue in the proceeding. As we will see immediately, the court competent to establish the liability of directors for the breach of their fiduciary duties is not necessarily the court of the company’s domicile. When the action is brought in a State other than the one where the company has its domicile, the court will have no competence to examine the validity of the decisions adopted by the organs of the company. Traditionally, it was assumed that Art. 22 did not apply to ancillary matters;17 hence, if the claim is not principally concerned with the validity of the company decision, deciding about this validity should not have posed a problem. However, this traditional interpretation of the Regulation must be re-examined in the light of the Luxembourg Court’s case law on industrial 17 The Regulation only determines the jurisdiction for the principal issue of the claim, while the competence to decide over ancillary matters is ruled by the lex fori. See P. Kaye Civil Jurisdiction and enforcement of foreign judgments, Abingdon, Professional Books, 1987, pp. 151 and 874; P. Gothot/D. Holleaux La Convención de Bruselas de 27 septiembre 1968 (trad. de I. Pan Montojo de La Convention de Bruxelles du 27 Septembre 1968, París, 1985), Madrid, La Ley, 1986, pp. 16 and 91; R. Arenas Gracía El control de oficio de la competencia judicial internacional, Madrid, Eurolex, 1996, pp. 113–115.

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property. The ECJ has established that the rules of Art. 22 of the Regulation (Art. 16 of the 1968 Brussels Convention) apply even when the validity of a patent is questioned as an exception before a court which is seized of a claim principally concerned with a patent infringement. It seems reasonable to adopt the same approach in company cases, which means that when the director, acting as a defendant in an action of company liability, contests the validity of the company decision to bring the action, the proceeding cannot go on unless the company has its seat in the forum State or in a third State. 2. Forum domicilii and forum contractus When the validity of the company decision is not questioned, the claim can be brought before the courts of the State of the director’s domicile. It is also possible to bring the action in the courts competent under Art. 5. The relevant rule in Art. 5 is the contractual forum. The action of company liability must be characterised as contractual, since there is a free assumption of duties by the company towards the director and by the director towards the company.18 The autonomous interpretation of “matters relating to a contract” includes the relationship between companies and their directors, even if some national orders consider that this kind of relationship cannot be defined as contractual.19 As a consequence of the contractual characterization of the relationship between the company and the director, the action against the director can be brought in the courts of the Member State where the director is domiciled (Art. 2 of Regulation 44/2001) and also in the court of the place of performance of the obligation in question [Art. 5(1)], i.e., the place where the director carries out his/her professional duties. The action is based on the lack of performance or the defective performance of the director’s duties, and the place where the defendant acts as a director is the place where he/she can be sued under Art. 5(1). The solution is the same if instead of the general rule of Art. 5(1), we consider the specific rule for the provision of services. The contract between the company and the director should be characterised as a provision of services, since the director carries out an activity in return for remuneration.20 This implies that, unless otherwise agreed, the place of performance of any obligation arising from the contract is the place where the services should be provided according to the contract. In most of the cases,

18 See the Judgment of the European Court of Justice of 17 June 1992, C-26/91, Jakob Handte & Co. GmbH v. Traitements Mécano-chimiques des Surfaces Sa. nº 15. 19 See J. L. Díaz Echegaray op. cit., pp. 63–73. 20 See nº 29 of the ECJ Judgment of 23 April 2009, C-533/07, Falco Privatstiftung Thomas Rabitsch v. Gisela Weller-Lindhorst.

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Art. 5(1) of the Regulation will allow suing the director in the courts of the place where the company has its central administration. 3. Choice of forum agreements Art. 23 of the Regulation also applies in these cases. As we have just seen, the action of company liability does not fall into the exclusive competences of Art. 22. Arts. 18–21 (individual contracts of employment) do not apply, since the special nature of the relationship between the company and the directors cannot be considered as an employment contract.21 Therefore, it is possible to conclude an agreement on the competent courts to settle any dispute arising from the relationship between the company and the director. If this agreement exists the chosen courts are exclusively (unless otherwise established by the parties) competent to entertain the action of company liability. When the agreement is in writing, in a document signed by the director and a representative of the company, there should be no problem about its effectiveness; but it is also necessary to consider the cases in which the designation of the court has been made in the statutes of the company. It is doubtful that the assumption of the position of director can be interpreted as an agreement on the court choice made in the statutes. However, since the ECJ has established that clauses conferring jurisdiction in the statutes of a company limited by shares can be a valid agreement within the meaning of Art. 17 of the Brussels Convention (Art. 23 of Regulation 44/2001),22 it is possible to argue that this kind of clauses can also be alleged by and against the company’s directors. It is true that the relationship between the directors and the company is different than the relationship between the shareholders and the company; but that should not affect the binding character of the statutes for the directors. When they assume their function they agree, explicitly or implicitly, to the observance of the statutes,23 so they cannot argue that the choice of jurisdiction agreements contained therein is not binding for them. We must also consider the case in which it is a third party (the company creditor) who acts against the director in behalf and in the interest of the

21 However, there is an increasing extension of the application of Labour Law to directors, at least to the managing directors. See M.A. Limón Luque Administradores y Directivos de las Sociedades Mercantiles Capitalistas. Su configuración como Relación Laboral y su Encuadramiento en la Seguridad Social, Cizur Menor (Navarra), Thomson/Aranzadi, 2004, pp. 43–52. 22 See ECJ Judgment of 10 March 1992, C-214/89, Powell Duffryn plc v. Wolfgang Petereit, nº 17, 21 and 29 of the Decision. 23 Directors are company organs [F. Sánchez Calero Los administradores en las sociedades de capital, Cruz Menor (Navarra), Thomson/Civitas, 2ª ed. 2007, pp. 100–103].

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company. The plaintiff has not concluded the choice of court clause; but such clause is binding for this plaintiff. The ECJ has established that the choice of forum agreement applies to third parties who, by virtue of the relevant national law, succeeded to the rights and obligations of one of the original parties to the agreement.24 This is the case when a third party sues the director in behalf of the company. Of course, if the law governing the action does not prescribe that the creditor succeeds to the company’s rights, the choice of law agreement should not be applicable to the action brought by the creditors of the company against its directors.25

IV. Liability vis-à-vis third parties As it has been pointed out in epigraph I, the actions of directors can cause damages to third parties, or even to the shareholders. According to the nemo non-laedere rule, the third party may sue the director when the damage is not completely assumed by the company. The shareholders may use the same legal ground when the damage suffered is not indirectly derived from the damage caused to the company by the director.26 In these cases, the action can be brought before the courts of the defendant’s domicile (Art. 2 of the Regulation 44/2001) and also before the courts of “the place where the harmful event occurred” [Art. 5(3) of the Regulation]. This forum must be interpreted in the sense that the defendant may be sued, at the option of the claimant, where the event which gives rise to liability in tort, delict or quasi-delict occurs or in the place where that event results in damage.27 Therefore, directors may be sued where the act giving rise to the damage is carried out, but also where the damage occurs; however, that place, the place where the damage occurs, must be closely connected to the place where the event that causes the damage occurred; as has been stated by the ECJ case-

24 See Jugdment of the ECJ of 19 June 1984, C-71/83, Partenreederei ms. Tilly Russ and Ernest Russ v. NV Haven-& Vervoerbedrijf Nova and NV Goeminne Hout. 25 In this contribution we are not going to deal with the problems related to the applicable law in actions against directors, see D. Cohen “La responsabilité civile des dirigeants sociaux en droit international privé”, Rev. crit. dr. int. pr., 2003, vol. 92, nº 4, pp. 585–624, pp. 590–608; R. Arenas Gracía “La responsabilidad de los administradores sociales desde la perspectiva del Derecho internacional privado”, en R. Arenas Gracía/C. Górriz López/ J. Miquel Rodríguez (ed.) La internacionalización del Derecho de sociedades, Atelier, 2010 (in press). 26 In these cases the shareholder can obtain a reparation through the “action of company responsibility”, see supra epigraph II. 27 See Judgment of the ECJ (First Chamber) of 16 July 2009, C-189/08, Zuid-Chemie BV v. Philippo’s Mineralenfabriek NV/SA, nº 23 of the Judgment and the references that can be found there.

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law 28 and it implies that it is not possible to sue the director in the claimant’s domicile or residence on the basis that this is the place where the claimant has suffered financial damage.29 Choice of court (Art. 23 of the Regulation 44/2001) and jurisdiction based on the voluntary appearance of the defendant (Art. 24) shall also apply in this matter. It must be pointed out, however, that when the damage is linked with a relationship affected by a choice of court agreement concluded between the victim and the company, this agreement will not be relevant to the action brought against the director, even in the case that the agreement has been signed by the director acting in behalf of the company. Since the agreement binds the person who has suffered the damage with the company and not with the director, for the latter the choice of agreement is res inter alios acta and may not be alleged by or against him/her.

V. Liability for company debts In epigraph II it was pointed out that in some cases directors are considered liable for the debts of a company. This happens when the registration has not been completed;30 when the proceeding of dissolution of the company has not been initiated by the director, if the director was required to begin that proceeding;31 and finally, in some cases linked to insolvency proceedings. Since the liability of directors in insolvency proceedings deserves a special treatment, in this epigraph we are not going to deal with those cases, and we will pay attention only to the first two possibilities. The cases in which directors are liable for company debts are probably the most complex of all situations involving the liability of directors, at least from a PIL perspective. The main problem is to determine whether the action brought against the director must be examined in the framework of company law or if, on the contrary, the director’s liability must be judged as a guarantee linked to the relationship between the company and the creditor. The solution to this characterization problem is important not only for the determination of the applicable law, but also in relation with jurisdictional problems. We will here consider only the latter.

28 See nº 28 of Judgment of the ECJ of 16 July 2009 (supra footnote nº 28). See also the Judments of the ECJ of 18 May 2006 (C-343/04, CEZ), 10 June 2004 (C-168/02, Kronhofer) and 19 September 1995, C-365/92, Marinari). 29 See Judgment of the ECJ of 19 September 1995, Marinari (supra footnote nº 28), nº 15 and 20. 30 See Art. 120 of the Spanish Commercial Code (Código de Comercio). 31 See Art. 262.5 of the Spanish Law for Anonimous Companies [Ley de Sociedades Anónimas (LSA)].

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Spanish courts have already dealt with these problems. The judgment of the Audiencia Provincial de León (Sección 3ª) of 7 May 200832 ruled on an action directed against a Portuguese company and its directors based on arts. 104 and 105 of the Spanish Law on Limited Liability Companies.33 The Spanish court established that, according to Regulation 44/2001, the directors might only be sued before the courts of the Member State of their domicile (Art. 2 of the Regulation). The solution adopted by the Spanish courts does not take into account that the liability of directors in this case is an extension of the liability of the company. When the creditor brings a contractual action against the company, the action against the director has the same contractual nature as the action against the company. The only role of company law is to determine when the liability of a company can be extended to its directors, but the action that the creditor of the company brings against the director shares the nature of the action exercised against the company. Considering what we have just said, it should be possible to consider that the courts where the company may be sued on the basis of Art. 5(1) of Regulation 44/2001 are also competent for the action against the directors of the company. However, the ECJ case law does not support this interpretation, since the principle of relativity of contracts has been interpreted very narrowly. It would be difficult to admit, according to the case law of the Luxembourg Court, that the contractual forum can be used against a defendant, the director, who has not freely assumed obligations towards the plaintiff.34 Similarly, Art. 5(3) could not be used to sue the director when the liability of the company must be characterized as non-contractual (tort, delict or quasi-delict).35 It is possible, however, to sue the director, domiciled in one Member State, in the Member State of the domicile of the company (or to sue the company in the courts of the director’s domicile) on the basis of Art. 6(1) of the Regulation. Under Art. 6(1) it is possible to sue a plurality of defendants in the courts of the place where any one of them is domiciled. This possibility requires that the claims “are so closely connected that it is expedient to hear and determine them together to avoid the risk of irreconcilable judgments resulting from separate proceedings”. This is the case when the company and its director or directors are sued on the basis of the same cause of action. 32 Aranzadi Westlaw, JUR 2008/303535; AEDIPr, 2008, vol. VIII, pp. 896–897; Comment of R. Caro Gándara ibid., pp. 897–901; REDI, 2008, vol. LX, nº 2, pp. 581–582; Comment of R. Arenas Gracía ibid., pp. 582–584. 33 Ley de Sociedades de Responsabilidad Limitada (LSRL). These articles 104 and 105 are equivalent to Art. 262.5 LSA. See supra footnote nº 31. 34 See Judgment of the ECJ of 17 June 1992, C-26/91, Jakob Handte & Co. GmbH v. Traitaments Mécano-chimiqes des Surfaces SA, nº 15. See also R. Caro Gándara loc. cit., p. 898, commenting the judgment of the Audiencia Provincial de León of 7 May 2008. 35 Ibidem, pp. 898–899.

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VI. Directors’ liability and insolvency 1. Types of directors’ liability The cases in which the action against the director is related with insolvency proceedings deserve special attention. It is common for directors to assume certain obligations in case that the company becomes insolvent. In British Law, Art. 214 Insolvency Act 1986 establishes that directors can be required by the court to contribute to the assets of the company as compensation to the creditors of the company. The obligation of compensation arises from “wrongful trading”. Directors are not allowed to continue trading after the moment they knew or ought to have known that the company was insolvent. The regulation is different in Spain, though its goal is also to force the beginning of the insolvency proceeding when the financial situation of the company requires it. The Spanish “Ley Concursal” 36 (Insolvency Law) establishes (Art. 172.337) that directors can be forced to pay to the creditors of a company when the court considers that the directors are responsible for the insolvency. Art. 165 of the Spanish Insolvency Law establishes that if directors have not requested the opening of the insolvency proceeding when they should have, there is a presumption that they are responsible for the insolvency 38. German Law deals with the same problem in a different way. Paragraph 42(2) BGB establishes that directors who have not opened the insolvency proceeding when it was required will be held liable for the damages suffered by the creditors of the company.39 British, German and Spanish laws deal with the directors’ liability and all of them link this liability with the failure in the duty to apply for the beginning of the insolvency proceeding when the situation of the company demands this measure, but the consequences of this liability are different in the United Kingdom, in Germany and in Spain. In accordance with the British Insolvency Act, directors must contribute to the company assets, whereas Spanish law

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Law 22/2003 of 9 July, BOE, 10 July 2003. “Si la sección de calificación hubiera sido formada o reabierta como consecuencia de la apertura de la fase de liquidación, la sentencia podrá, además, condenar a los administradores o liquidadores, de derecho o de hecho, de la persona jurídica cuyo concurso se califique como culpable, y a quienes hubieren tenido esta condición dentro de los dos años anteriores a la fecha de la declaración de concurso, a pagar a los acreedores concursales, total o parcialmente, el importe que de sus créditos no perciban en la liquidación de la masa activa.” 38 “Se presume la existencia de dolo o culpa grave, salvo prueba en contrario, cuando el deudor o, en su caso, sus representantes legales, administradores o liquidadores: 1º Hubieran incumplido el deber de solicitar la declaración del concurso…” 39 “Der Vorstand hat im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahren zu beantragen. Wird die Stellung des Antrags verzögert, so sind die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich, sie haften als Gesamtschuldner.” 37

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establishes that directors are responsible of the company’s debts; and German law provides that directors can be sued on the basis of non contractual liability. The practical result of these different approaches could be the same, but the legal nature of the consequences for directors is different. In one case, directors are required to contribute to the assets of the company (UK); in the other one, they are responsible for the damage to the creditors (Germany) and, finally, in Spain, directors become debtors in the obligations of the company. The different nature of each case prevents a global consideration of all these cases. We will therefore deal with them separately. 2. The action of “wrongful trade” The easier case is the first one, the provision of Art. 214 Insolvency Act 1986. The action of “wrongful trade” and its equivalent in other countries are excluded from Regulation 44/2001 ex art 1.2.b),40 an exclusion which has been confirmed by the ECJ.41 Additionally, other circumstances contribute to consider that these type of proceedings are excluded from the material scope of the Regulation: the close relationship between the director’s liability and the insolvency proceeding; the fact that the purpose of the director’s contribution is to increase the assets of the company in order to satisfy the creditors in the insolvency proceeding; or, finally, the fact that the contribution of the director can only be requested by the court competent for the insolvency proceeding or – in other cases – by the syndic.42 This exclusion implies the parallel inclusion in the scope of Regulation 1346/2000. It is true that this complementary character of both instruments (Regulation 44/2001 and Regulation 1346/2000) has not been established expresses verbis either in Regulation 44/2001 or in Regulation 1346/2000, and there are some doubts about this complementariness; 43 but the ECJ nevertheless assumed it in its judgment of 12 February 2009.44 In consequence, the court seized of the insolvency proceeding is also competent for the request addressed to the directors of completing the company’s assets. 40 “The Regulation shall not apply to: b) bankruptcy, proceedings relating to the winding-up of insolvent companies or other legal persons, judicial arrangements, compositions and analogous proceedings.” 41 See the Judgment of the ECJ of 22 Februay 1979, C-133/78, Henri Gourdain v. Franz Nadler. 42 See M. Virgós Soriano/F. J. Garcimartín Alférez Comentario al Reglamento Europeo de Insolvencia, Madrid, Thomson/Civitas, 2003, p. 67. 43 See J. Israël European Cross-Border Insolvency Regulation, Amberes/Oxford, Intersentia, 2005, pp. 269–270. 44 C-339/07, Christopher Seagon v. Deko Marty Belgium NV, nº 19. The Conclusions of the General Advocate, Dámaso Ruíz-Jarabo Colomer were even more explicit about this complementariness (numbers 51–58 of the Conclusions). See also M. Virgós Soriano/F. J. Garcimartín Alférez op. cit., pp. 61–62.

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3. Compensation for damages We must now consider the cases in which the directors have not opened the insolvency proceeding in time and that delay has caused damage. The person who suffered that damage may sue the directors in order to obtain compensation.45 The main problem is to determine which of the Regulations applies. In this case, the possibility of applying the Insolvency Regulation is not so clear. From a substantial point of view, the claim must be characterized as non-contractual 46 and it is not necessary to sue the director in the insolvency proceeding. Moreover, the basis of the claim is not insolvency law, which implies that the Insolvency Regulation does not apply, at least when the claim is not raised in the insolvency proceeding.47 Consequently, Regulation 44/2001 applies. Therefore, when the director is sued in the insolvency proceeding in order to obtain a compensation for damages, the court seized of the insolvency proceeding is also competent for the claim for damages; on the other hand, when the director is sued in an independent proceeding, the competence will be determined by Regulation 44/2001, which means that the claim may be brought before the courts of the State where the defendant has its domicile and also in the courts designated by Arts. 5 and 6; Arts. 23 and 24 will also apply. 4. Directors’ liability for the debts of the company Finally, we must consider the cases in which the director is liable for the debts of the company along with the company itself. These cases must be decided taking into account the relationship between the claim and insolvency law. In case of a close relationship, the application of Regulation 1346/ 2000 would seem more justified. Nevertheless, even in a case of a close relationship between the claim and insolvency it would be inappropriate to automatically exclude the application of Regulation 44/2001. For example, Span-

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See § 42.2 BGB, supra footnote nº 39. See on § 42.2 BGB, K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, Köln/Berlin/Bonn/München, Carl Heymanns, 4 ed. 2002, p. 427. 47 When the director is sued in the insolvency proceeding the Regulation 1346/2000 applies, cf. P. Rogerson “Article 1”, in U. Magnus/P. Mankowski (ed.), Brussels I Regulation, Sellier, 2007, pp. 45–67, p. 62. When the director is sued in an independent (from the insolvency proceeding) proceeding the Regulation 4/2001 shall apply, especially when the compensation must be paid to the creditor, not to the syndic or administrator to increase company’s assets. Ibidem, pp. 61–62. J. Kropholler (Europäisches Zivilprozeßrecht. Kommentar zu EuGVO und Lugano Übereinkommen, Heidelberg, Recht und Wirtschaft, 7 ed. 2002, p. 96) maintaining that proceedings that have not a close connection with insolvency will fall in the scope of Regulation 44/2001. 46

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ish Insolvency Law establishes, as we have already seen,48 that the court which is seized of the insolvency proceeding may order the directors to pay the debts of the company in full or only partially. The link between the action against the directors and the insolvency proceeding is very close: the creditors can only sue the directors once the court has established that the latter are responsible for the debts. However, it would not be coherent to exclude the application of Regulation 44/2001 to the claims brought against the directors. The action exercised by the creditor against the director is the same action that the creditor has exercised against the company. And since Regulation 44/2001 applies (or could apply) to determine the court where the action against the company can be brought, it would not be reasonable to exclude the application of this Regulation when it comes to determining where the director may be sued.

VII. Conclusion Directors incur in different types of civil liability. The nature of each case requires a specific consideration also from a PIL point of view. The goal of this contribution is to point out that the determination of the competent court in actions against directors must take into consideration this different nature of directors’ liability. In cases in which the action aims at recovering the assets of the company and there is no relevant link with insolvency proceedings, Regulation 44/2001 applies. The plaintiff may sue the director in the courts of the State where the defendant is domiciled and also in the courts of the place where the director carries out his/her professional duties. Choice-of-court agreements are also possible. When the director is sued on the basis of the nemo non laedere principle, Regulation 44/2001 usually applies without any particular difference from any other claim based on non contractual liability. There are cases in which directors are responsible for the debts of the company. Although it would be reasonable for the creditor to sue the director in the court competent for the claim against the company, this solution is currently forbidden by the ECJ case law when Regulation 44/2001 applies. The claim may be brought only in the courts of the State of the director’s domicile or in the competent courts under Art. 6 of the Regulation. Choice-of-forum agreements are possible, but in all likelihood they are not going to be common. When directors’ liability is linked with insolvency proceedings, it is necessary to examine the delimitation between Regulation 44/2001 and Re-

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Supra, epigraph 1.

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gulation 1346/2000. Regulation 1346/2000 will apply when the claim against the director has to be brought in the framework of the insolvency proceeding, as well as in all cases where the assets paid by the director are added to the funds to which the general body of creditors is entitled. When the claim benefits only certain creditors, either on the basis of the non contractual liability of the director or due to the extension towards the director of the company’s debts, Regulation 44/2001 will apply.

Aufsichtsratsautonomie Recht und Politik der dualen Unternehmensverfassung Gregor Bachmann I. Der „Bedeutungswandel“ des Aufsichtsrats Der Aufsichtsrat ist eine zentrale Institution des deutschen Aktienrechts. Ausdruck des Misstrauens gegenüber einer ganz auf Marktkräfte oder Aktionärsaktivismus setzenden Managementkontrolle, hat er sich als zwingendes Organ über alle Reformen des 20. Jahrhunderts erhalten, ist Sitz der ebenso obligatorischen Mitbestimmung geworden und prägt damit das für unsere Unternehmensverfassung charakteristische zweigliedrige Verwaltungsmodell („two-tier-system“). Wer sich mit dem Aufsichtsrat beschäftigt, stößt daher rasch ins Herz der sog. Corporate-Governance-Diskussion, also der Frage um die Bewältigung des Kontrollproblems in großen Aktiengesellschaften.1 Dass der Aufsichtsrat dazu einen wesentlichen Beitrag leisten kann, liegt vom Reißbrett aus gesehen nahe, stößt in der Unternehmenswirklichkeit aber auf bekannte Hürden. Sie haben den Aufsichtsrat nicht nur wiederholt zum Gegenstand von Reformbemühungen werden lassen, sondern seine Existenzberechtigung insgesamt in Frage gestellt. Auch wenn der deutsche Gesetzgeber am zweigliedrigen Modell stets festgehalten hat und dies aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft tun wird, diagnostiziert man doch heute allerorten einen „Bedeutungswandel“, der auf einer Änderung der rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen beruht.2 Gemeint ist damit eine zunehmende Professionalisierung, die sich in einem gewandelten Aufgabenverständnis (vom reaktiven Überwacher zum proaktiven Berater), einer 1 Der Corporate-Governance-Begriff ist schillernd. In den siebziger Jahren noch im Sinne der sozialen Zähmung kapitalistischer Unternehmungen verwandt, wird darunter heute die Lösung des sog. Kontrollproblems, also des Auseinanderfallens von wirtschaftlichem Risiko und Leitungsmacht diskutiert. 2 Vgl. nur Hopt/Roth, in Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2005, § 95 Rn. 14; Kremer, in Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 3. Aufl. 2003, Rn. 900; U. H. Schneider/Nietsch, FS Westermann, 2008, S. 1447; E. Vetter ebd., S. 1589, 1594; G. Bezzenberger/Keul, FS Schwark, 2009, S. 121 f., 130 f.; Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 131. Nach einem Wort von Lutter ist der Aufsichtsrat vom Überwacher zum „Mitunternehmer“ gereift. Umfassend jetzt Lieder, GLJ 11 (2010), 118 ff.

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damit verbundenen stärkeren (Haftungs-)Verantwortung,3 aber auch einer deutlich höheren Vergütung niederschlägt.4 Damit einher geht eine peniblere Regulierung. Sie gibt Anlass zu der Frage, welche Regelungsspielräume den in der Aktiengesellschaft aktiven Kräften, namentlich dem Aufsichtsrat selbst, bei der Ausgestaltung der Kontrollfunktion verbleiben. Wenn die Ausführungen hoffen, damit das Ohr des Jubilars zu finden, dann nicht allein deshalb, weil dieser mit seiner Bearbeitung der §§ 95 ff. AktG in dem von ihm mit herausgegebenen Großkommentar Maßstäbe gesetzt hat,5 sondern auch, weil Klaus Hopt als spiritus rector der europäischen Corporate-Governance-Debatte die dogmatische Sichtweise stets mit der rechtspolitischen verbunden hat. Das Offenhalten von Regelungsspielräumen war und ist ihm dabei ebenso ein Anliegen wie die Erforschung des Für und Wider selbstregulativer Techniken.6

II. Einrichtungsautonomie – Braucht die AG einen Aufsichtsrat? Nach dem „Ob“ des Aufsichtsrats zu fragen, erscheint müßig, weil er ein zwingendes Organ ist. Wie Rechtsvergleich und Historie lehren, muss dies aber nicht so sein. 1. Der Aufsichtsrat als zwingendes Organ Die Existenz eines Aufsichtsrats wird vom geltenden Aktienrecht (§ 95 AktG) vorausgesetzt, eine abweichende Satzungsbestimmung („Die Gesellschaft hat keinen Aufsichtsrat“) wäre gem. § 23 Abs. 5 AktG unzulässig und würde selbst im unwahrscheinlichen Fall ihrer Eintragung keine Wirkung entfalten (vgl. § 241 Nr. 3 AktG).7 Auch eine „kalte“ Abschaffung dergestalt, dass die Aufsichtsratssitze einfach unbesetzt bleiben, ist nach der lex lata ausgeschlossen, da die Gesellschaft sich damit auf Dauer ihrer Handlungsfähigkeit beraubte. Die gesetzliche Regelung versteht sich nicht von selbst, denn im Unterschied zum Vorstand als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan handelt es sich beim Aufsichtsrat nicht um ein naturnotwendiges Organ.8 In allen Reformdebatten seit 1884 ist die Unabdingbarkeit des Aufsichtsrats 3

Vgl. nur Fleischer NJW 2009, 2337, 2340. Einfache Aufsichtsratsmitglieder von DAX-Unternehmen haben 2008 im Durchschnitt 85.000 EURO verdient. Einzelne Aufsichtsratsvorsitzende erzielten Saläre von über 600.000 EURO – weit mehr als die Durchschnittsvergütung manches Vorstandsvorsitzenden, s. FAZ v. 9.12.2009. 5 Vgl. Hopt/Roth (Fn. 2). 6 Vgl. nur Hopt, Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 55 f., 147 ff.; Hopt, Self-Regulation in Banking and Finance, in The Ethical Standards in Banking and Finance, 1998, S. 55 ff. 7 Im Ergebnis unstr., vgl. nur Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 23 Rn. 43. 8 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14 II 1. 4

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denn stets aufs Neue hinterfragt worden.9 Wenn der Gesetzgeber an ihr bis heute nicht rütteln mochte, beruht dies auf der Überlegung, dass eine institutionalisierte interne Kontrollinstanz angesichts der strukturellen Kontrolldefizite der Anteilseigner schlichtweg unverzichtbar ist.10 Ist diese Entscheidung heute noch zeitgemäß? Dass das Walten des Vorstands in der großen Aktiengesellschaft mit verstreutem Anteilsbesitz einer Kontrolle bedarf, ist im deutschen und angelsächsischen, im juristischen wie ökonomischen Schrifttum unbestritten.11 Angesichts notorischer Schwächen des Aufsichtsrats fragt sich jedoch, ob nicht effektivere Kontrollinstrumente an seine Stelle treten könnten. Die im liberalen Law-and-Economics-Schrifttum lange verbreitete Ansicht, externe Marktmechanismen seien ausreichender oder doch jedenfalls entscheidender Wächter des Managements,12 die zu der – auch im deutschen Schrifttum rezipierten – Forderung nach weitgehender Satzungsfreiheit führte, muss mit Blick auf die Erfahrungen des vergangenen Jahrzehnts wenn nicht als widerlegt, so doch als erschüttert gelten. Ähnliches gilt für die Hoffnung auf institutionelle Investoren,13 die nach wie vor zu passiv bleiben 14 oder intransparente Zwecke verfolgen, die mit dem Unternehmensinteresse nicht notwendig konform gehen (Stichwort: Hedge Fonds).15 Endlose Versuche, den Kleinaktionär zur Nutzung seines Stimmrechts zu motivieren, sind angesichts seiner rationalen Apathie von vornherein fruchtlos;16 das scharfe Schwert der actio pro socio will man ihm erst gar nicht in die Hand geben.17 Am Ende scheint es bei dem Befund zu blei9 Vgl. nur Schmidt/Meyer-Landrut, in GroßkommAktG, 2. Aufl. 1959, § 86 Anm. 5. Eingehend Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 2006, S. 137 ff., 213 ff., 284 ff., 347 ff. Zur Historie auch Ch. Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 545–559; Hopt/Roth (Fn. 2), § 95 Rn. 1 ff.; Bezzenberger/Keul (Fn. 2), S. 125 f. 10 Vgl. RGZ 48, 40, 44 f.; Lieder (Fn. 9), S. 102 f. 11 Grundlegend Berle/Means, The Modern Corporation, 1936. 12 Pionierhaft Manne 73 Journal of Political Economy (1965), 110 ff.: „Compared to this mechanism, the development of a fiduciary duty concept and the shareholder’s derivative suit seem small indeed“ (zitiert nach Romano (Hrsg.), The Foundations of Corporate Law, 1993, 233, 234). 13 Pointiert B. Black in Romano (Fn. 12), 217: „Corporate managers need to be watched by someone, and the institutions are the only watchers available“. 14 In jüngerer Zeit werden allerdings Gegenbeispiele dokumentiert, vgl. den Fall Infineon (FAZ v. 20.1.2010, S. 12): „Um den britischen Pensionsfonds Hermes hat sich Widerstand gegen die Nominierung des früheren Siemens-Vorstandes Klaus Wucherer als Aufsichtsratsmitglied formiert. … Hermes verfügt zwar nur über 0,03 Prozent der Infineon Aktien. Doch sollen andere, mächtigere Investoren ihre Bereitschaft signalisiert haben, den Vorstoß zu unterstützen.“ 15 Hopt, FS Westermann, 2008, S. 1039, 1041, 1059, weist mit Recht darauf hin, dass die Diskussion hinsichtlich der Corporate Governance der institutionellen Inverstoren selbst noch in den Kinderschuhen steckt. 16 Vgl. nur Hopt ebd., S. 1039, 1052; Bachmann, ERA-Forum 2005, S. 352, 361 f. 17 Ausnahme: Konzernrecht (vgl. § 309 Abs. 4 AktG). Zur Reformdebatte Baums, Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag, 2000, S. 239 ff.

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ben, dass der Aufsichtsrat ein zwar reformbedürftiges, insgesamt jedoch unverzichtbares Element deutscher Corporate Governance ausmacht. 2. Vom zwingenden zum fakultativen Aufsichtsrat Dennoch sind die kritischen Stimmen nie verstummt. Während die ältere Forderung nach Abschaffung des zweigliedrigen zugunsten des eingliedrigen Verwaltungsmodells heute nicht mehr gestellt wird,18 findet der vom Jubilar erhobene Ruf nach einer Wahlmöglichkeit zwischen dualistischer und monistischer, d.h. aufsichtsratsloser Unternehmensverfassung, zunehmend Resonanz.19 Auftrieb gibt ihm die Einführung der SE, die es seit 2004 auch deutschen Unternehmen ermöglicht, statt der zweigliedrigen die eingliedrige Struktur zu wählen. Nüchtern betrachtet handelt es sich nicht um eine drängende Reformfrage, weil kleineren Unternehmen die ohnehin flexiblere GmbH (bzw. GmbH & Co. KG) zur Verfügung steht, während größere Unternehmen schon aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen die eingliedrige Struktur meiden, jedenfalls ohne Mühe auf die SE ausweichen können.20 Gleichwohl sollte sich der Gesetzgeber der Forderung auf Dauer nicht verschließen. Zum einen deutet sich rechtsvergleichend ein Trend zur Einräumung der Wahlmöglichkeit an (was freilich nicht bedeutet, dass der deutsche Gesetzgeber ihm blind folgen müsste), zum anderen und vor allem weist die Board-Struktur, bei der die Arbeitsteilung innerhalb eines einzigen Organs stattfindet, gegenüber der institutionellen Aufspaltung Effizienzvorteile auf, die sich vor allem aus einer besseren Informationsversorgung ergeben.21 Umgekehrt ist nicht zu übersehen, dass die Board-Struktur Nachteile mit sich bringt, denen die Praxis mit einer funktionalen Annäherung an das zweigliedrige Muster zu begegnen sucht.22 Weisen aber beide Modelle Vor-

18 Dafür etwa noch Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961, 299–309; dagegen Bärmann, Autonomie und Kontrolle in deutschen Aktienrechten, FS Maridakis, 1963, S. 113, 145; G. H. Roth, Das Treuhandmodell des Investmentrechts, 1972, S. 315 f. 19 Vgl. Hopt ZGR 2000, 779, 815; ders., in FS Westermann, 2008, S. 1039, 1051 f.; nachfolgend von Hein ZHR 166 (2002), 464, 500; Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht ZIP 2003, 863, 869; DAV-Handelsrechtsausschuss NZG 200, 1008, 1011; Henssler, in FS Ulmer, 2003, S. 193, 201 f.; Schiessl ZHR 167 (2003), 235, 256; Fleischer AcP 204 (2004), 502, 522 f.; Seibt AG 2005, 413, 429; Bayer, Gutachten E zum 67. DJT (2008), S. 112 f., 429. Eingehend jetzt Baums, ILF Working Paper No. 88 (2008). 20 Vgl. Bachmann ZGR 2008, 779, 782 f., 797, 807. 21 Vgl. Cheffins, Company Law, 1997, S. 619; eindringlich Leyens (Fn. 2) S. 3 („zentraler Schwachpunkt des Aufsichtsratsmodells“); skeptisch aber Seibert DB 2009, 1167, 1170, der das Informationsdefizit durch jüngere Reformen (KonTraG, TransPuG) abgebaut sieht: „Der Aufsichtsrat kann heute alles wissen“. 22 Vgl. Cheffins (Fn. 21) S. 609 ff., 621 ff.

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und Nachteile auf, ohne dass eines dem anderen erkennbar überlegen ist, drängt sich die Einführung einer Optionslösung geradezu auf.23 Die dagegen ins Feld geführten Bedenken sollen nicht übersehen werden. Weniger gewichtig erscheint die Sorge, dass das dualistische Modell damit zum Aussterben verurteilt sei.24 Selbst wenn dies so wäre, kann es nur dann als nachteilig begriffen werden, wenn das zweigliedrige dem eingliedrigen Modell eindeutig überlegen wäre, was hier aber gerade in Frage gestellt wird. Gewichtiger ist der Einwand der Systemkomplexität, die sich aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Regelungsmodelle ergibt.25 Es beschert Gesetzgebung, Justiz und Kautelarpraxis doppelte Arbeitslast, weil beide Modelle in ein sich permanent wandelndes Rechtsumfeld eingepasst bleiben müssen.26 Angesichts dessen sollte die Einführung der monistischen Option nicht übers Knie gebrochen, sondern zunächst die rechtstatsächliche und rechtsdogmatische Entwicklung bei der monistischen SE weiter beobachtet werden.27 Ein anderes Bedenken rührt aus der unternehmerischen Mitbestimmung, die nach deutschem Recht zwingend im Aufsichtsrat angesiedelt ist. Wird dieser optional gestellt, läge es nahe, auch die Mitbestimmung optional zu stellen, was freilich auf politischen Widerstand stößt.28 Die gesetzliche Mitbestimmung müsste daher im Verwaltungsrat angesiedelt werden,29 was für die Anteilseignerseite wenig attraktiv ist, oder sie muss in ein externes Gremium (Konsultationsrat) verlagert werden,30 was wiederum von den Gewerkschaften nicht akzeptiert wird. Für mitbestimmungspflichtige Unternehmen, so der nüchterne Befund, würde ein Optionsmodell daher kaum Beweglichkeit bringen.

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Vgl. allgemein Bachmann JZ 2008, 11, 13 ff. So Teichmann (Fn. 9) S. 604 unter Hinweis auf die historischen Fakten; unbesorgter Lieder (Fn. 9) S. 644 f. 25 Vgl. Ch. Teichmann (Fn. 9) S. 604 f.; Bachmann JZ 2008, 11, 17 f. 26 Dies mag ein Grund dafür sein, warum sich der Ruf nach Optionsmodellen eher in der Akademie als in den Amtsstuben wohlwollender Resonanz erfreut. 27 Empirische Untersuchungen deuten eine große Nachfrage an (vgl. Bayer/Schmidt AG-Report 2008, 31; Eidenmüller/Engert/Hornuf AG 2009, 849, 849 f.), doch scheint es sich überwiegend um inaktive Mäntel zu handeln, vgl. Bachmann ZGR 2008, 779, 782. Von einer „Flucht“ aus der dualistischen AG kann jedenfalls keine Rede sein. 28 Der vom Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ unterbreitete Vorschlag für eine verhandelbare Mitbestimmung (ZIP 2009, 885), der sich um die Umsetzung einer weit verbreiteten Forderung bemüht, stieß auf Kritik vor allem von Gewerkschaftsseite, s. dazu im Einzelnen Hexel/Seyboth DGBdiskurs 23 (2009), 7 ff. 29 So die Auffanglösung bei der monistischen SE, s. dazu Bachmann ZGR 2008, 779, 797 ff. 30 So der Vorschlag des „Berliner Netzwerk Corporate Governance“ AG 2004, 200 f.; zustimmend Lieder (Fn. 9) S. 668 („rechtspolitisch überzeugend“). 24

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3. Vom großen zum kleinen Aufsichtsrat Die Mitbestimmung ist es auch, die einer fakultativen Verkleinerung des Aufsichtsrats im Weg steht. Während die allgemeine Mindestzahl von drei Mitgliedern (§ 95 Abs. 1 AktG) plausibel ist („tres facit collegium“),31 führen die Mindestzahlen für paritätisch mitbestimmte Unternehmen (beschäftigungsabhängig zwölf, sechzehn oder zwanzig Mitglieder) zu vergleichsweise großen Gremien.32 Um einer verbreiteten Klage abzuhelfen, hat der Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ vorgeschlagen, die maximale Mindestzahl auf vierzehn herabzusetzen.33 Während dies manchen nicht weit genug geht,34 ist dem von Gewerkschaftsseite mit dem Hinweis widersprochen worden, dass ein größerer Aufsichtsrat die Beteiligung unterschiedlicher Stakeholder ermögliche und damit die Beschlussqualität erhöhe; Effizienzsteigerung sei im Übrigen durch sachgerechte Organisation, insbesondere Ausschussbildung möglich.35 Die Delegation auf (beschließende) Ausschüsse lässt das Gesetz aber nur in Grenzen zu (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG), und die Einbringung zusätzlicher Perspektiven ist ein zweischneidiges Schwert: Sie mag zu einer besser reflektierten und breiter legitimierten Entscheidung beitragen, hemmt aber den Entscheidungsprozess, verursacht (nicht nur monetäre) Kosten und kann – wie Angehörige der partizipativen Gruppenuniversität wissen – zu endlosen Diskussionen und Filibustertaktiken führen. Wenn die Wahl zwischen mehr Effizienz und mehr Repräsentativität aber ein trade-off ist, liegt es nahe, sie den Beteiligten (Anteilseignern und Arbeitnehmern) selbst in die Hand zu legen. Wer von den bestehenden Mindestzahlen nicht herunter will, muss daher wenigstens damit einverstanden sein, die Größe des Aufsichtsrats verhandelbar zu gestalten.36

31 Für den Verwaltungsrat der kleinen monistischen SE räumt der deutsche Gesetzgeber dagegen Gestaltungsfreiheit auch nach unten ein, s. § 23 Abs. 1 SEAG. 32 Kritisch dazu nur Hopt/Roth (Fn. 2) § 95 Rn. 32, 67, § 100 Rn. 8 („seitens der Ökonomie und der Praxis einhellig als ineffizient betrachtet“). 33 Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ ZIP 2009, 885, 886 f., 891. 34 Vgl. Peltzer NZG 2009, 1041, 1046 f., der sich eine Mindestzahl von neun bis zwölf wünscht und dem Arbeitskreis vorhält, sich im Rahmen des „politisch Machbaren“ zu halten. Aber warum sollte man fordern, was politisch ohnehin nicht machbar ist? 35 Hexel/Seyboth (Fn. 28) S. 7 f., unter Hinweis auf Jürgens/Lippert/Gaeth, Information, Kommunikation und Wissen im Mitbestimmungssystem, 2008. Dagegen aber Leyens (Fn. 2) S. 262 Fn. 846 („wenig überzeugend“). Soweit ferner darauf verwiesen wird, dass einige Unternehmen freiwillig höhere Mitgliederzahlen festlegen, steht dem der Vorschlag des Arbeitskreises nicht im Wege, sondern lässt genau das zu. 36 So Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ ZIP 2009, 885, 887 (§ 33a Abs. 2 Nr. 3).

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III. Besetzungsautonomie – Wer gelangt in den Aufsichtsrat? 1. Recht und Realität der Aufsichtsratswahl Lässt man Mitbestimmung und Entsendungsrechte einmal beiseite, liegt die Freiheit, über die personelle Besetzung des Aufsichtsrats zu entscheiden, theoretisch bei der Hauptversammlung (§ 101 AktG).37 Wie oft bemerkt wurde, erfolgt die Kandidatenkür aber faktisch durch den Aufsichtsrat selbst (Kooptation).38 Dieser schlägt die Kandidatenliste vor, die in der Hauptversammlung oft nur noch abgenickt wird. Das steht durchaus in Einklang mit dem Gesetz, weil dieses es dem Aufsichtsrat ausdrücklich zur Pflicht macht, der Hauptversammlung entsprechende Vorschläge zu unterbreiten (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG). Sekundierend legt der DCGK ihm dazu die Einrichtung eines speziell mit der Kandidatenauswahl betrauten Ausschusses (Nominierungsausschuss) ans Herz (Ziff. 5.3.3 DCGK). Für die negative Wahl (Abberufung) räumt das Gesetz dem Aufsichtsrat ein eigenes Initiativrecht ein (§ 103 Abs. 3 AktG). Das Aktienrecht steht dem Kooptationsgedanken also durchaus wohlwollend gegenüber. Anders sieht es aus, wenn der Vorstand sich in die Kandidatenauswahl einschaltet, was ihm § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG zu untersagen scheint. Jedoch wäre es weltfremd und mit Blick auf die gewünschte „enge Zusammenarbeit“ (Ziff. 3.1 DCGK) sowie die gemeinsame Verantwortung beider Organe auch nicht im Geiste des geltenden Aktienrechts, den Vorstand schlechthin von der Mitwirkung bei der Auswahl des Aufsichtsratspersonals fernzuhalten.39 Wenn die Rechtsprechung einen strengeren Maßstab walten lässt, indem sie die Wahl des von Aufsichtsrat und Vorstand vorgeschlagenen Kandidaten für fehlerhaft erklärt,40 sorgt sie dadurch für Klarheit, trifft aber im Ergebnis den „Dummen“, der das publik macht, was andere im Stillen tun. Eine mildere Lesart des Gesetzes wäre mit dem Wortlaut des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG durchaus vereinbar, wonach der Vorstand keine Wahlvorschläge zu machen „hat“, was die freiwillige Unterstützung eines Aufsichtsratsvorschlags nicht ausschließt.41 Jedenfalls ändert die Judikatur nichts daran, dass 37

Umfassend Bollweg, Die Wahl des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung, 1997. Vgl. nur Lieder (Fn. 9) S. 729 ff.; zuletzt Peltzer NZG 2009, 1041, 1042 f. 39 Dies lässt sich auch nicht aus § 105 AktG ableiten, der mit der Inkompatibilität der Ämter im Grunde nur eine Selbstverständlichkeit ausspricht. Ginge man soweit, dürfte der Vorstand auch nicht an der Einführung von Entsendungsrechten mitwirken. Nach h.M. soll er aber sogar zur Ausübung des Entsendungsrechts befugt sein, krit. dazu mit Recht Hopt/Roth (Fn. 2) § 101 Rn. 125: „Mit der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats unvereinbar“. 40 BGHZ 153, 32 = NJW 2003, 970, 971 (betr. Wahl eines Sonderprüfers); zust. Hüffer (Fn. 7) § 124 Rn. 13. 41 In diesem Sinne wird § 124 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 AktG gelesen, wonach die Vorschlagspflicht entfällt, wenn der Beschlussgegenstand auf Verlangen einer Minderheit auf die Tagesordnung gesetzt wurde, vgl. nur Hüffer (Fn. 7) § 124 Rn. 15 m.w.N. 38

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der Vorstand hinter den Kulissen auf die Aufsichtsratsbesetzung Einfluss nimmt. Rechtspolitisch ist die faktische Selbstbesetzung des Aufsichtsrats durch Vorstand und Aufsichtsrat problematisch. Zwar ist es durchaus sinnvoll, Vorstand und (amtierenden) Aufsichtsrat in die Kandidatenkür einzubeziehen.42 Jedoch fragt sich, ob nicht den Aktionären eine effektivere Einflussnahme zugestanden werden sollte.43 Das Gesetz sieht die Möglichkeit eines Entsendungsrechts vor (§ 101 Abs. 2 AktG), das sich jedoch nur besonders einflussreiche Aktionäre sichern können, und das seinerseits unter CorporateGovernance-Gesichtspunkten problematisch ist. Denkbar sind Stimmbindungsvereinbarungen, die jedoch das Risiko eines „acting in concert“ in sich bergen.44 Kleinaktionäre sind im Übrigen auf das Vorschlagsrecht (§ 127 AktG) verwiesen und können allenfalls eine prioritäre Abstimmung verlangen (§ 137 AktG). Ihre Chance, im Aktionärsforum (§ 127a AktG) Unterstützung zu finden, ist aus Gründen der erwähnten rationalen Apathie gering. Die Möglichkeit einer Verhältniswahl soll nach noch herrschender, wenn auch unzutreffender Ansicht unzulässig sein.45 Koalitionen für oder gegen einzelne Kandidaten versprechen nur dann Erfolg, wenn die Aufsichtsratswahl als Einzelwahl durchgeführt wird, was der Kodex zwar empfiehlt (Ziff. 5.4.3 DCGK),46 in der realen Welt jedoch in das Belieben des Versammlungsleiters gestellt ist – der im Regelfall vom Aufsichtsratsvorsitzenden gestellt wird. Ohne Kontrollaktionär bleibt es also der Aufsichtsrat, der die Fäden zu seiner Neubesetzung zieht. 2. Die Freiheit der Kandidatenauslese Fesseln werden der Aufsichtsratsautonomie angelegt, soweit das Recht bestimmte Eignungsvoraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder vorgibt. 42 Zu den Vorzügen eines Kooptationsmodells allgemein G. Winter, in FS Reimer Schmidt, 1976, S. 121, 131 ff., 141, 142 f.; zur Selbstkür des Aufsichtsrats Kraakmann u.a., The Anatomy of Corporate Law, 2nd. ed. 2009, S. 64. 43 Eindeutig bejahend aus Sicht des institutionellen Investors Kaldemorgen FAZ v. 8.9.2009 (S. 19): „Das ist die letzte Grauzone in der deutschen Corporate Governance. Da gibt es einen Nominierungsausschuss. Aber wie der funktioniert, konnte bisher niemand schlüssig erklären. Wenn wir den Aufsichtsrat mit nominieren und wählen könnten, wäre der Aufsichtsrat stärker den Aktionären verpflichtet“. Immerhin empfiehlt Zif. 5.4.3 Satz 2 DCGK, Kandidatenvorschläge für den Aufsichtsratsvorsitz den Aktionären bekannt zu geben. Begrüßend Hopt/Roth (Fn. 2) § 107 Rn. 469: Beseitigt Informationsasymmetrien unter den Aktionären und entspricht guter Corporate Governance. 44 Vgl. nur Walz, in Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 Rn. 71 u. 80. 45 Zum Meinungsstand Hüffer (Fn. 7) § 134 Rn. 33. 46 Ob es der Satzung darüber hinaus offen steht, eine Verhältniswahl einzuführen (und damit Minderheitsrepräsentanz zu gewährleisten), ist ungeklärt, richtigerweise aber zu bejahen, vgl. Hüffer (Fn. 7) § 133 Rn. 33; eingehend Hopt/Roth (Fn. 7) § 101 Rn. 64 ff.

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a) Das weiche Unabhängigkeitspostulat Das deutsche Aktienrecht hält sich hier traditionell zurück. Es wehrt augenscheinlichen Interessenkonflikten (vgl. §§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 u. 3, 105 AktG) und legt eine Höchstzahl für Mandate fest (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG). Modernes soft law geht darüber hinaus. So verlangt der DCGK, dass dem Aufsichtsrat eine „nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören“ 47 (Ziff. 5.4.2) und liefert zugleich eine Definition der Unabhängigkeit. Ähnlich verfährt die einschlägige EU-Empfehlung, die eine noch detailliertere (und peniblere) Definition der Unabhängigkeit bringt.48 Diese Postulate sind z.T. zurückhaltend formuliert („nach seiner Einschätzung“), richten sich nur an börsennotierte Gesellschaften und sind rechtlich unverbindlich. Das ist der richtige regulatorische Ansatz, weil Unabhängigkeit eine ambivalente Eigenschaft ist. Sie gewährleistet eine unbefangene Einstellung, bringt gleichzeitig jedoch die Gefahr von Apathie und mangelnder Informiertheit mit sich.49 Wollte man insbesondere die recht rigiden EUEmpfehlungen verbindlich und für alle AGs festschreiben, fixierte man damit indirekt ein bestimmtes Unternehmensbild und drängte anders strukturierte, aber durchaus erfolgreiche Beteiligungsmodelle (Familiengesellschaften, bankgeführte Gesellschaften u.a.) in andere Rechtsformen ab. Das muss nicht falsch sein, will aber mit Blick auf seine Konsequenzen wohl überlegt sein. b) Schleichende Verrechtlichung Kupiert wurde die Freiheit der Kandidatenauswahl im Grunde bereits durch die Mitbestimmungsgesetze, die nicht nur die Auswahlentscheidung z.T. auf die Arbeitnehmer verlagerten (was für sich genommen ja schon „Mitbestimmung“ bedeutet hätte), sondern obendrein die Wählbarkeit auf „Arbeitnehmer des Unternehmens“ und „Vertreter von Gewerkschaften“ beschränkten (vgl. § 7 Abs. 2 MitbestG, etwas liberaler § 4 Abs. 2 DrittelbG). Auch für diese Vorgabe gibt es gute Gründe, doch fragt sich erneut, ob sie zwingend sein muss.50 Weitere Schritte in Richtung einer Verrechtlichung hat der Gesetzgeber 2009 mit dem VorstAG und dem BilMoG unternommen, die eine Karenzzeit für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat (§ 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG) vorgeben und mindestens einen unabhängigen Finanzexperten (§ 100 Abs. 5 47

Richtig müsste es „angehört“ heißen. Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats (2005/162/EG). 49 Zum Für und Wider der Unabhängigkeit eingehend Beyer, Die Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds, 2009, S. 91 ff. 50 Faktisch werden ohnehin nur gewerkschaftlich engagierte Kandidaten gekürt, doch erlaubt gerade dies ein Abrücken von der zwingenden Vorgabe. 48

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AktG) fordern.51 Letzteres ist kaum kritisiert worden, hat aber Rechtsunsicherheiten geschürt (wer ist „unabhängig“?) und bringt Folgeprobleme mit sich, denn das Vorhandensein eines „Experten“ kann die anderen Mitglieder dazu verführen, sich auf dessen Einschätzung unkritisch zu verlassen. Das und seine erhöhte (Haftungs-)Verantwortung werden die Suche nach einem geeigneten Kandidaten nicht unbedingt erleichtern. Scharf angegriffen wurde die zuvor nur im Kodex empfohlene Karenzzeit für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat, obwohl gerade hier der Einsatz des Rechts nicht unplausibel ist, kann es doch als Argumentationshilfe dienen, um sich von einem ungewünschten Alt-Vorstand ohne Gesichtsverlust zu trennen.52 Wiederum liegt das Problem in der Ambivalenz der Sache: Weisheit, Erfahrung und Kontinuität auf der Habenseite mögen Altersstarrsinn, Nicht-LoslassenKönnen und fehlende Kraft zum Neubeginn im Soll gegenüberstehen.53 Mag die vermittelnde opt-out-Lösung ein tragbarer Kompromiss sein, so schränkt sie die Aufsichtsratsautonomie doch ein. Dass damit das Ende der Reformen erreicht ist, erscheint unwahrscheinlich. Die legislatorische „Salami-Taktik“ (Hopt), neue regulatorische Anforderungen scheibchenweise über das Medium des soft law ins Recht zu schleusen, könnte uns bald weitergehende Anforderungen bescheren. So empfiehlt der Kodex schon heute, für eine „ausgewogene Zusammensetzung“ des Aufsichtsrats zu sorgen (Ziff. 5.4.1), und über Frauenquoten wird laut nachgedacht.54 Für diese gilt das zur zwingenden Mindestgröße Gesagte: Erwünschte Diversität wird um unerwünschte Fesseln bei der Besetzungsfreiheit erkauft. Regulatorische Zurückhaltung ist auch hier das Gebot der Stunde.

IV. Organisationsautonomie – Mehr Bürokratie wagen? Wenn in der Literatur von der Autonomie des Aufsichtsrats die Rede ist, so ist damit regelmäßig dessen sog. Organisationsautonomie gemeint, also die Freiheit, den eigenen Geschäftsgang (die „innere Ordnung“) unbeeinflusst von äußeren Vorgaben zu gestalten. Im Auge hat man dabei in erster Linie die Ausschussbildung.55 51

Zu letzterem nur Diekmann/Bidmon NZG 2009, 1097 ff. m.w.N. Wenn Peltzer NZG 2009, 1041, 1043 vom „Neuen“ verlangt, sich gegen den „Alten“ durchzusetzen, mutet er ihm einen u.U. kräftezehrenden Kampf zu, den ihm das Gesetz erspart. 53 Letztere Erwägungen dürften auch der (vernünftigen) Empfehlung einer Altersgrenze für Vorstände zugrunde liegen, s. Zif. 5.1.2 Abs. 2 Satz 3 DCGK. Auf das Problem der Selbstkontrolle verweisend Möllers/Christ ZIP 2009, 2278, 2280 f. (für noch schärfere Karenzzeit). 54 Vgl. nur Seibert DB 2009, 1167, 1170, 1171; Frost/Linnainman AC 2007, 601 ff. 55 Vgl. nur BGHZ 83, 106 (Leitsatz e); Hüffer (Fn. 7) § 107 Rn. 16, 19, 23; Spindler, in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 107 Rn. 81, 105; Hopt/Roth (Fn. 2) § 107 Rn. 209, 242. 52

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1. Grund und Grenzen der Organisationsfreiheit Während die Geschäftsordnung des Vorstands von der Satzung oder vom Aufsichtsrat vollständig vorgegeben werden kann (§ 77 Abs. 2 AktG),56 genießt der Aufsichtsrat hier große Freiheit. Zwar mag die Satzung einzelne Fragen der Geschäftsordnung regeln, doch kann sie nicht als solche eine umfassende Geschäftsordnung erlassen.57 Besonders deutlich wird dies bei der Ausschussbildung, die ausdrücklich dem Aufsichtsrat – und nur ihm – anheimgegeben ist (§ 107 Abs. 3 AktG). Soweit sich nicht aus dieser Norm selbst Schranken ableiten lassen, ist der Aufsichtsrat daher in der Bildung und Besetzung von Ausschüssen frei. Den Grund der Organisationsfreiheit sieht man darin, „dass allein der Aufsichtsrat (…) beurteilen kann und soll, wie er seine Arbeit zweckmäßigerweise einrichtet, um seinen gesetzlichen Funktionen und seiner Allgemeinverantwortung am besten gerecht zu werden“.58 Schranken zieht wiederum das Mitbestimmungsrecht, das nicht nur einen bestimmten Ausschuss, den sog. Vermittlungsausschuss (§ 27 Abs. 3 MitbestG), vorschreibt, sondern der freien Ausschussbildung darüber hinaus ungeschriebene Grenzen setzt. Diese ergeben sich vor allem aus dem sog. Grundsatz der gleichen Berechtigung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder, der ein allgemeines aktienrechtliches Prinzip verkörpert, das im Kontext der Mitbestimmung seine besondere Ausprägung erfahren hat.59 Es gebietet keine paritätische Ausschussbesetzung, steht jedoch dem willkürlichen Ausschluss der Arbeitnehmervertreter von wichtigen Ausschüssen (z.B. Personalausschuss) entgegen.60 Auch im Übrigen darf die innere Ordnung des Aufsichtsrats nicht so gestaltet werden, dass dadurch die Mitbestimmung faktisch unterlaufen wird.61 Angesichts des eingangs beschriebenen Bedeutungswandels des Aufsichtsrats fragt sich, ob seine Organisationsautonomie nicht einerseits zugunsten der Satzungsautonomie weiter eingeschränkt, andererseits zulasten der Satzungsstrenge ausgedehnt werden sollte. Was zunächst die Einschränkung betrifft, 56 Nach h.M. soll dem Vorstand allerdings ein „Kernbereich organisatorischer Flexibilität“ verbleiben. Dies folge aus dem „Selbstorganisationsrecht der Verwaltung“, s. nur Hüffer (Fn. 7) § 77 Rn. 20; Fleischer in Spindler/Stilz (Fn. 55) § 77 Rn. 66. 57 Unstr., vgl. nur Hüffer (Fn. 7) § 107 Rn. 23. 58 BGHZ 83, 106, 115 („Siemens“); s. auch Hopt/Roth (Fn. 2) § 107 Rn. 246: „Die Satzung darf den Aufsichtsrat in der eigenverantwortlichen Organisation seiner Arbeit nicht dadurch behindern, dass sie ihm vorschreibt (…), Ausschüsse zu bilden“. 59 Vgl. BGHZ 64, 325, 330 f.; BGHZ 83, 106, 112 f.; BGHZ 83, 144, 147; BGHZ 83, 151, 154; BGHZ 106, 55, 65; Hopt/Roth (Fn. 2) § 107 Rn. 7 ff. Kritisch Leyens (Fn. 2) S. 239 f. („mit der Forderung nach Überwachungseffizienz nicht in Einklang zu bringen“); er plädiert daher für eine enge Auslegung. 60 BGHZ 122, 342. 61 Vgl. BGHZ 83, 106 ff.; BGHZ 83, 151.

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ist nicht recht einzusehen, warum die Satzung dem Aufsichtsrat nicht die Einrichtung bestimmter Ausschüsse soll vorschreiben können. Der oben zitierte Grund der Autonomie, wonach nur der Aufsichtsrat über seine sachgerechte Organisation befinden „kann und soll“, beruht auf der Annahme, dass der Aufsichtsrat besser als andere weiß, wie er seine Aufgaben am effektivsten wahrnehmen kann. Dieser Urgedanke jeglicher Geschäftsordnungsautonomie hat zweifellos einen richtigen Kern. Er kann aber die Einsicht nicht hindern, dass sich bestimmte Einrichtungen – etwa der fakultative Prüfungsausschuss (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG) – heute allgemein als sinnvoll herauskristallisieren.62 Weil der Aufsichtsrat jedenfalls auch die Interessen der Investoren zu wahren hat, sollte er sich deren Organisationsvorgaben daher insoweit beugen müssen, als diese eine solide „best practice“ moderner Unternehmensführung widerspiegeln. Bestärkt wird diese Erkenntnis durch einen vergleichenden Blick auf die (monistische) SE, bei der es der Satzungsgeber in größerem Maße als bei der AG in der Hand hat, Vorgaben für die Einrichtung von Ausschüssen zu machen.63 Mitbestimmungsrechtlich muss es natürlich dabei bleiben, dass die Satzungsvorgaben nicht zur Aushöhlung der zwingenden Arbeitnehmerpartizipation führen dürfen. Die bloße Auflage, einen bestimmten Ausschuss einzurichten, ist insofern unbedenklich, weil die Ausschussbesetzung weiterhin der Autonomie des Aufsichtsrats anheimgegeben ist, welcher dabei den Gleichberechtigungsgrundsatz zu wahren hat, Arbeitnehmervertreter also nicht ohne konkreten sachlichen Grund von einem bestimmten Ausschuss fernhalten darf.64 Gestaltungsoptionen könnte hier eine Verhandlungslösung liefern, wie sie der Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ vorgeschlagen hat. Danach soll die Mitbestimmungsvereinbarung den Anteil der auf die Arbeitnehmer entfallenden Mitglieder eines vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschusses festlegen können.65 Damit wird der Grundsatz der Gleichberechtigung der Aufsichtsratsmitglieder jedenfalls partiell der Disposition durch die Beteiligten anheim gegeben.66 Das ist vernünftig, weil sinnlose Streitereien über die „richtige“ Ausschussbesetzung so im allseitigen Einvernehmen vermieden werden können.

62 Nach Hopt/Roth (Fn. 2) § 107, Rn. 480, ist das Ausschusswesen im deutschen Aktienrecht „unterentwickelt“. 63 Bachmann ZGR 2008, 779, 791 f.; Casper/Eberspächer, in Spindler/Stilz (Fn. 55) Art. 44 SE-VO Rn. 5; zurückhaltender Teichmann in Lutter/Hommelhoff, Kommentar zur SE-VO, 2008, Anh. Art. 43 SE-VO (§ 34 SEAG), Rn. 20, Art. 50 SE-VO Rn. 23. 64 Vgl. nur Leyens (Fn. 2) S. 365 (Prüfungsausschuss), S. 369 f. (Strategieausschuss), der aber in der mangelnden Unabhängigkeit der Arbeitnehmervertreter einen sachlichen Grund für ihre Fernhaltung von Prüfungs- und Vergütungsausschuss sieht (ebd., S. 288). Das ist mit der lex lata nicht zu vereinbaren, s. Bachmann RabelsZ 72 (2008), 796, 800 f. 65 Vgl. Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ ZIP 2009, 885, 887. 66 Für die monistische SE explizit Bachmann ZGR 2008, 779, 806.

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Damit ist der zweite Aspekt, die Erweiterung der Organisationsautonomie des Aufsichtsrats, bereits angesprochen. Hier steht bislang nicht nur der mitbestimmungsrechtlich geprägte Gleichberechtigungsgrundsatz im Weg, sondern auch ein Korsett sonstiger, z.T. ungeschriebener Organisationsgrenzen. So sollen Ausschüsse aus mindestens zwei, beschließende aus mindestens drei Mitgliedern bestehen,67 sind Aufsichtsratsfremde von der Mitwirkung an der Aufsichtsratsarbeit weitgehend ausgeschlossen und wird über Ausweitungen des Plenarvorbehalts (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG) diskutiert.68 Die Anpassung der Selbstorganisation an die Erfordernisse moderner Unternehmensführung darf durch all das nicht blockiert werden. Die Einrichtung eines Aufsichtsratssekretärs oder die Position eines Aufsichtsratsältesten etwa ist dem deutschen Recht unbekannt, wird von ihm aber auch nicht verboten.69 Auch eine Berichtsordnung, wie sie der Kodex (Ziff. 3.4 Abs. 3 Satz 1) empfiehlt, ist sinnvoll und wird zu Recht als zulässig erachtet.70 Insgesamt sollten die ungeschriebenen Schranken der Aufsichtsratsorganisation also zurückhaltend interpretiert werden. Ansonsten wird ein Strukturtyp zementiert, der einer historischen Momentaufnahme, nicht jedoch dem dynamischen Charakter der Institution „Aufsichtsrat“ entspricht. 2. Bürokratisierungstendenzen Darf das Aktienrecht mithin die Einsichten der modernen CorporateGovernance-Diskussion nicht blockieren, so sollte es auch nicht dem umgekehrten Fehler verfallen, alle Corporate-Governance-Moden zum rechtlichen Gebot zu erheben. Betrachtet man die Entwicklung der vergangenen Jahre, sind hier gegenläufige Tendenzen erkennbar, welche die Aufsichtsratsarbeit zu bürokratisieren und damit zu lähmen drohen. Diese spiegeln sich vorerst in soft-law-Vorgaben wieder, machen sich aber anheischig, im Wege der bereits erwähnten „Salami-Taktik“ ins Aktienrecht überzuschwappen. Allein die Anforderungen, die der Deutsche Corporate Governance Kodex an die Aufsichtsratsarbeit und -organisation stellt, sind seit seiner ersten Fassung deutlich gewachsen. Während sich die darin enthaltenen Empfehlungen – etwa zur Bildung von Ausschüssen oder zur Effizienzprüfung – noch schultern lassen, birgt die einschlägige, an die Mitgliedstaaten gerichtete EU-Empfehlung erhebliche Lasten. Denn sie postuliert nicht nur die Ausschussbildung und die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder, sondern gibt dem Auf67

Hüffer (Fn. 7) § 107 Rn. 17 m.w.N. Vgl. nur Hopt/Roth (Fn. 2) § 107 Rn. 370 ff., 399. 69 Für ihre Installation nach britischem Vorbild Leyens (Fn. 2) S. 254 ff., 261 f. Gesetzlich vorgeschrieben werden sollte dies freilich nicht, so zutr. Hopt/Roth (Fn. 2) § 111 Rn. 531 ff.; Lieder (Fn. 9) S. 765. 70 Vgl. nur Lutter (Fn. 2) Rn. 100; Leyens (Fn. 7) S. 145. Für eine gesetzliche Pflicht zur Aufstellung einer Informationsordnung Lieder (Fn. 9) S. 515. 68

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sichtsrat auch umfassende Berichts-, Begründungs- und Selbstbeurteilungspflichten auf.71 Wer – wie der Verfasser – einer Organisation angehört, in der Ähnliches um sich greift (Hochschule), weiß wie sehr solch gut gemeinte Qualitätssicherungsvorgaben von der Erledigung der eigentlichen Sachaufgaben abhalten können. Das ist beim Aufsichtsrat nicht anders. Gesetz geworden sind Erklärungspflichten nun in der – ebenfalls auf europäischem Recht basierenden und durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) eingeführten – Pflicht zur Abgabe einer „Erklärung zur Unternehmensführung“ (§ 289a HGB). In dieser sind neben der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG (inkl. einer Begründung etwaiger KodexAbweichungen) relevante Angaben zu Unternehmensführungspraktiken, die über die gesetzlichen Anforderungen hinaus angewandt werden, nebst einer Beschreibung der Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat sowie der Zusammensetzung und Arbeitsweise von deren Ausschüssen aufzunehmen.72 Mag es sich dabei vordergründig nur um – wenn auch lästige – Papierpflichten handeln, entfalten die Erklärungen doch eine gewisse Selbstbindung. Denn wenn die Aufsichtsratsorganisation erst einmal öffentlich dokumentiert worden ist, wird man von ihr ohne gegenteilige Erklärung nicht völlig sanktionslos wieder abrücken können. Für unterjähriges Abweichen vom DCGK hat der Bundesgerichtshof dies bereits bestätigt, indem er entsprechenden Anfechtungsklagen gegen Entlastungsbeschlüsse stattgab.73 Für die anderen in § 289a HGB erwähnten Selbstbeschreibungen wird man das ohne Wertungswidersprüche nicht wesentlich anders sehen können.

V. Entscheidungsautonomie – Vom freien zum gebundenen Ermessen Inhaltlich macht das Aktienrecht dem Aufsichtsrat vergleichsweise wenige Vorgaben. Auch diese sind in den vergangenen Jahren aber verschärft worden und haben damit den Entscheidungsspielraum des Aufsichtsrats verengt. Dies beginnt mit der ARAG-Garmenbeck-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1997, die dem Aufsichtsrat ein Ermessen in der Frage abspricht, ob Ersatzansprüche gegen den Vorstand geltend zu machen sind.74 Die Entschei71 Vgl. EU-Empfehlung (Fn. 48, Zif. 6.2 u. Zif. 7.1 (Beschreibung und Erläuterung der Ausschussbildung), Zif. 8 (Selbstevaluation), Zif. 9 (Veröffentlichung der Informationen). 72 Vgl. auch die durch das KonTraG erweiterte Berichtspflicht gegenüber der Hauptversammlung, § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG (betr. Ausschussbildung und Sitzungsfrequenz); kritisch dazu Hüffer (Fn. 7) § 171 Rn. 13a: „überflüssig“; begrüßend dagegen Lieder (Fn. 9) S. 508 f., der sogar für eine Ausweitung auf nicht-börsennotierte Gesellschaften plädiert. 73 Vgl. BGHZ 180, 9 (Kirch/Deutsche Bank); BGH NZG 2009, 1270 (Umschreibestopp). 74 BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926.

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dung ist durchweg begrüßt, in ihrer Tragweite aber überschätzt worden. Denn einerseits gesteht sie dem Aufsichtsrat weiterhin, wenn auch nur als „Ausnahme“, das Recht zu, von einer aussichtsreichen Rechtsverfolgung abzusehen.75 Der Aufsichtsrat haftet daher auch nicht notwendigerweise, wenn er eine aussichtsreiche Rechtsverfolgung unterlässt.76 Andererseits ist diese Ausnahme die Regel geblieben, da sie an den strukturellen Problemen der Anspruchsverfolgung nichts zu ändern vermag.77 Haftungsklagen gegen Vorstandsmitglieder sind daher nach wie vor eine eher seltene Erscheinung. Verschärft wurde ferner die Berichtspflicht des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 AktG). Durfte sich dieser früher mit formelhaften Wendungen begnügen, so verpflichtete ihn das KonTraG (1998) bei börsennotierten Gesellschaften dazu, zusätzlich über die von ihm gebildeten Ausschüsse sowie über seine Sitzungsfrequenz Rechenschaft abzulegen.78 Ließ sich auch dies noch formelhaft bewältigen, so zog die Rechtsprechung unlängst die Zügel an, wenn sie den Aufsichtsrat zumindest in Krisensituationen als verpflichtet ansieht, detailliert über die getroffenen Überwachungsmaßnahmen zu berichten.79 Indirekt wird damit die Pflicht ausgesprochen, in entsprechenden Situationen die Überwachungstätigkeit zu intensivieren, womit der im Rahmen des § 111 Abs. 1 AktG bestehende Entscheidungsspielraum eingeengt wird. Diese Verengung spiegelt sich in jüngeren Entscheidungen wider, die den Aufsichtsrat wegen ungenügender Überwachungstätigkeit in die Haftung genommen haben.80 Durch das TransPuG von 2002 wurde dem Aufsichtsrat sodann die Freiheit genommen, über die Festlegung von Zustimmungsvorbehalten zu entscheiden. Technisch wird dies dadurch bewältigt, dass aus dem „kann“ in § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ein Müssen („hat zu …“) wurde. Mit der Änderung will der Gesetzgeber erreichen, dass sich die Willensbildung der Gesellschaft bei wesentlichen Geschäften nicht ohne Mitwirkung des Aufsichtsrats vollzieht.81 Lakonisch bemerkt das Schrifttum dazu, dass die Regelung „nichts schaden, indessen auch nichts nützen wird“.82 Tatsächlich ist der Aufsichtsrat weiterhin frei in der Frage, für welche Fälle er sich die Zustimmung vorbe-

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BGHZ 135, 244, 255 f. = NJW 1997, 1926, 1928. Eingehend Mertens, in FS K. Schmidt, 2009, S. 1183 ff. 77 Statt aller Lieder (Fn. 9) S. 853 m.w.N. 78 Dazu bereits oben Fn. 72. 79 Vgl. insbes. OLG Stuttgart AG 2006, 379, 381; weitere Nachweise bei Hüffer (Fn. 7) § 171 Rn. 13. Ferner die durch das BilMoG eingeführten Berichtspflichten zu Risikomanagement und Interner Revision (§ 289 Abs. 5 AGB), die jedenfalls mittelbar auch den Aufsichtsrat berühren. 80 Vgl. BGH NJW 2009, 2454 (betr. Nicht-Hinwirken auf Insolvenzantrag); BGH ZIP 2007, 224 (Zustimmung zu riskantem Geschäft ohne sachgemäße Risikoprüfung). 81 Vgl. RegBegr. BT-Drucks. 14/76, S. 17. 82 Hüffer (Fn. 7) § 111 Rn. 17; skeptisch auch Hopt/Roth (Fn. 2) § 111 Rn. 622. 76

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halten will. Tritt ein solcher Fall ein, muss er sich allerdings mit ihm auseinandersetzen. Die Vorschrift verhindert also, dass sich der Aufsichtsrat auf eine vollkommen passive Rolle zurückzieht. Das durfte er auch nach vorigem Recht nicht, doch war es dem Aufsichtsrat eben nicht ins Stammbuch geschrieben. Insofern ist die Neuregelung nicht zu beanstanden.83 Zuletzt hat die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats in Vergütungsfragen eine Einbuße erfahren. Zunächst untersagte ihm der BGH in einer strafrechtlichen Entscheidung („Mannesmann“) die Gewährung nachträglicher kompensationsloser Anerkennungsprämien.84 Das ist insbesondere von gesellschaftsrechtlicher Seite z.T. heftig kritisiert worden.85 Doch ungeachtet der Frage, ob der Untreuetatbestand hier überstrapaziert wurde, entfaltet die Entscheidung eine wichtige Signalwirkung – kompensationslose „Vergütungen“ („pay without performance“) sind unzulässig.86 Der Aufsichtsrat agiert bei der Verteilung von Gesellschaftsvermögen eben nicht als Prinzipal, sondern als Agent, d.h. als Gebundener.87 Er muss sich daher stets fragen, ob die dem Vorstand aus fremder Tasche gewährte Vergütung ihren Preis wert ist. Eben dies ist der Grund für die Existenz des § 87 AktG, der angesichts des Umstands, dass der Aufsichtsrat sich diese Frage in der Vergangenheit oftmals nicht gestellt hat, durch das VorStAG 2009 verschärft wurde. Ob die Verschärfung geboten war bzw. gelungen ist, soll hier nicht diskutiert werden.88 An der Notwendigkeit einer die Vergütungsfreiheit des Aufsichtsrats zügelnden Norm kann angesichts seiner Agentenstellung jedenfalls nicht gezweifelt werden.

83 Ebenso Lieder (Fn. 9) S. 584 („uneingeschränkt zu begrüßen“). Kritisch mit Blick auf mitbestimmungsrechtliche Implikationen Hopt/Roth (Fn. 2) § 111 Rn. 17, die die Etablierung bestimmter Zustimmungsvorbehalte aber mit Recht als Bestandteil guter Corporate Governance ansehen (ebd. Rn. 634). 84 BGHSt. 50, 331 = NJW 2006, 522. 85 Vgl. nur Hoffmann-Becking NZG 2006, 127; kritisch auch Hopt, in FS Westermann, 2008, S. 1039, 1048, der die Beurteilung solcher Fälle den Zivilgerichten vorbehalten möchte, „die mit den zivilrechtlichen Instituten der Treuepflicht, der Sorgfaltspflicht oder des corporate waste, also der Verschleuderung von Vermögensgütern der Gesellschaft, ein angemessenes und ausreichendes Instrumentarium zu deren Bewältigung zur Verfügung haben“. Allerdings können die Zivilgerichte dieses Instrumentarium mangels Klägers i.d.R. nicht zur Anwendung bringen – das Strafrecht muss so gesehen die fehlende Aktionärsklage kompensieren. 86 Die Signalwirkung begrüßt im Ergebnis auch Hopt, wenn er auf die Gefahr verweist, dass durch Zahlungen „wie die im Fall Mannesmann“ das Vertrauen der Investoren untergraben und damit die Investitionsbereitschaft gedrosselt würde (FS Westermann, S. 1049). 87 Der Aufsichtsrat ist also nicht die Lösung des Prinzipal-Agenten-Problems, sondern Teil desselben, s. Lieder (Fn. 9) S. 632; Kraakmann u.a. (Fn. 42) S. 64 f. 88 Zur – teils berechtigten, teils unberechtigten – Kritik nur Hohenstatt ZIP 2009, 1349; Nikolay NJW 2009, 1640; von Rosen BB 2009, M 1 („Die erste Seite“).

Aufsichtsratsautonomie

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VI. Schlussbetrachtung: Mehr oder weniger Autonomie? 1. Der Befund Die Betrachtung hat ein differenziertes Bild ergeben. Während in der Frage der Einrichtung, Größe und z.T. auch Besetzung (Mitbestimmung) des Aufsichtsrats gar keine oder nur ganz geringe Autonomiespielräume bestehen, ist sie in anderen Bereichen (noch) vergleichsweise groß. Auch hier – etwa bei den Berichtspflichten, der Zusammensetzung und Selbstorganisation oder der inhaltlichen Entscheidungsfreiheit – ist jedoch eine klare Tendenz zur stärkeren Regulierung sichtbar.89 Diese ist in vielen Bereichen auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt und/oder nur Teil „weicher“ KodexVorgaben. Zumindest letztere haben jedoch, wie die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, die Eigenart, sich auf Dauer zu festen Sätzen des Aktienrechts herauszubilden.90 Demgegenüber genießt der Aufsichtsrat Autonomiespielräume in Fragen, in denen ihre Einschränkung durchaus diskutabel ist. Dies betrifft etwa die Frage der Aufsichtsratsbesetzung, die faktisch vom Aufsichtsrat selbst (im „grauen“ Zusammenwirken mit dem Vorstand) beantwortet wird, die Ausschussbildung und -besetzung, auf die weder Investoren noch Arbeitnehmer unmittelbar Einfluss nehmen dürfen, aber auch die Inanspruchnahme des haftpflichtigen Vorstands, die dem Aufsichtsrat theoretisch zur Pflicht gemacht, aber kaum praktiziert wird. Bemerkenswert bei all dem ist der – in diesem Zusammenhang oft beobachtete – Umstand, dass Aktienwirklichkeit und Aktienrecht auseinanderklaffen.91 Die Autonomie wird hochgehalten, wo sie in Wahrheit kaum noch besteht, und sie wird eingeschränkt, wo sie weiterlebt. 2. Die Forderungen Das führt zu der abschließenden Frage, ob die bestehenden Autonomiespielräume des Aufsichtsrats weiter eingeengt werden sollten. Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, dass sie weder mit „ja“ noch mit „nein“ zu beantworten ist. Ebenso wie die im allgemeinen Zivilrecht oft erhobene For-

89 Schmidt/Meyer-Landrut (Fn. 9) tadeln 1959 den „Gesetzesperfektionismus“ eines Gesetzgebers, der sich anschickt, die damals noch aus zwei Sätzen bestehende Berichtspflicht des Vorstands auszubauen – was würden sie angesichts des heutigen Pflichtenkanons von Vorstand und Aufsichtsrat sagen? 90 Dies geschieht nicht nur durch Aufnahme in das Aktiengesetz, sondern auch dadurch, dass Kodex-Vorgaben das Rechtsbewusstsein prägen und damit indirekt auf das aktienrechtliche Normverständnis einwirken. 91 Nach Lieder (Fn. 9) S. 609 ff. handelt es sich um „eines der bedeutendsten Grundprobleme für die gesetzliche Ausgestaltung der Vorschriften über den Aufsichtsrat“.

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derung nach „mehr Privatautonomie“ zu kurz greift, ist sie als pauschales Postulat im Aktienrecht verfehlt, weil „Autonomie“ ein zwiespältiges Konzept ist.92 Dies gilt nicht nur dort, wo die freie Präferenzartikulation des Handelnden aufgrund natürlicher Gegebenheiten begrenzt ist,93 sondern auch und vor allem da, wo der vermeintlich Autonome in Wahrheit Agent und damit Gebundener ist. Seine Autonomie muss sich daher immer mit Blick darauf rechtfertigen lassen, ob sie dem eigentlich Autonomen – dem Prinzipal – nützt.94 Anstelle der Forderung nach mehr oder weniger Autonomie müssen daher differenziertere Postulate treten. Die erste, indes weniger dringliche Forderung geht dahin, größere Satzungsfreiheit zu gewähren. Dem Satzungsgeber sollte Wahlfreiheit zugestanden werden, ob er überhaupt einen Aufsichtsrat einrichten möchte, und wenn ja, welche Aufsichtsratsgröße er für angemessen hält. Auch hinsichtlich der Ausschusseinrichtung und -besetzung erscheint ein größerer Einfluss von außen – etwa in Gestalt einer von der Hauptversammlung zu billigenden Mitbestimmungsvereinbarung – vertretbar. Die Repräsentanz der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat muss ebenfalls für eine Vereinbarungslösung geöffnet werden. In all diesen Dingen steht die SE Pate und kann – daher die mangelnde Dringlichkeit – vorläufig als Ausweichalternative gewählt werden. In dem Maße, in dem deutsche Unternehmen zu ihr Zuflucht nehmen, wird sich erweisen, ob der Reformdruck auf den deutschen Gesetzgeber die kritische Masse erreicht. Zweitens ist vom Gesetzgeber (und, soweit sie rechtsfortbildend tätig wird, der Rechtsprechung) legislative Folgerichtigkeit einzufordern. Wenn der Aufsichtsrat wirklich als vorstandsunabhängiges Kontrollgremium agieren soll, darf dem Vorstand nicht nur auf dem Papier die Einflussnahme auf die Aufsichtsratsbesetzung untersagt werden. Auch die Pflicht zur Klageerhebung gegen den Vorstand muss dann mit Zähnen versehen werden. Will man umgekehrt eine stärkere Kooperation von Vorstand und Aufsichtsrat, sind Regelungen wie die Karenzzeit für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat zu überdenken. Wünscht der Gesetzgeber tatsächlich (mehr) unabhängige oder „diversifizierte“ Aufsichtsräte (Frauenquote), müssen die Höchstzahlen gelockert, gegebenenfalls auch die Professionalitätsanforderungen gesenkt oder senkbar gemacht werden. Ist eine stärkere Mitsprache der Investoren das Ziel, muss sich das in Regeln niederschlagen, die auch Minderheiten oder Kleinaktionären den Einfluss auf die Aufsichtsratsbesetzung gestatten. Weil sich viele, wenn nicht alle dieser Vorstellungen als ambi92

Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 181 ff. Bachmann ebd. S. 175 f. 94 Die Autonomie des Aufsichtsrats gegenüber dem Satzungsgeber rechtfertigt sich so im Ansatz paternalistisch: Der Aufsichtsrat weiß die Interessen von Aktionären oder stakeholdern besser wahrzunehmen oder auszugleichen als diese selbst. 93

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valent darstellen, ist im Zweifel einer Optionslösung (etwa in Gestalt einer Kodex-Empfehlung) der Vorzug zu geben. Drittens und am dringendsten ist von einer Überregulierung des Aufsichtsrats Abstand zu nehmen.95 So richtig es ist, den Aufsichtsrat seiner historischen Nachtwächterrolle zu entkleiden, so wenig sollte er mit bürokratischen Anforderungen überhäuft werden, die ihn der Zeit zur Wahrnehmung seiner eigentlichen Aufgaben berauben. Wer nur noch mit dem Abarbeiten von Prüflisten, dem Erstellen von Berichten oder der Selbstevaluation beschäftigt ist, verliert den Blick für das lebende Unternehmen, für das im Übrigen nicht der Aufsichtsrat, sondern der Vorstand die entscheidende Verantwortung trägt. Gegenläufigen Tendenzen zum Trotz darf der Aufsichtsrat daher auch nicht zum „Super-Compliance-Organ“ erhoben werden.96 Geschieht dies doch, muss folgerichtig (wieder) über den Berufsaufsichtsrat nachgedacht werden, der zumindest optional möglich sein sollte.97 Über kurz oder lang wird dies in das (optionale) Board-Modell münden.

95 Vgl. Hopt/Roth (Fn. 2) § 100 Rn. 24; gegen Überregulierung auch Lieder (Fn. 9) S. 618 ff. 96 Bachmann, in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65, 92 f., 101. Für umfassende Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrates aber Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung (AKEU) und Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung (AKEIÜ) DB 2009, 1279, 1280 ff. 97 Vgl. Hopt/Roth (Fn. 2) § 100 Rn. 15 u. Rn. 48; eingehend zur Debatte Lieder (Fn. 9) S. 766 ff. mit umfassenden Nachweisen.

Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention Jörg Baetge / Thorsten Melcher / Matthias Schmidt 1. Einführung Die Nachbarskinder Wer andern gar zu wenig traut, Hat Angst an allen Ecken; Wer gar zu viel auf andre baut, Erwacht mit Schrecken. Es trennt sie nur ein leichter Zaun, Die beiden Sorgengründer; Zu wenig und zu viel Vertraun Sind Nachbarskinder. Wilhelm Busch Der hochverehrte Jubilar, Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Hopt, hat im Laufe seines wissenschaftlichen Wirkens die Corporate Governance-Überlegungen in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Durch sein Engagement hat er dazu beigetragen, dass die im Deutschen Corporate Governance Kodex festgelegten Regelungen für die Unternehmensleitung und -überwachung in Theorie und Praxis breite Zustimmung gefunden haben.1 Im vorliegenden Beitrag möchten wir uns mit einem Aspekt der Unternehmensüberwachung auseinandersetzen, nämlich der Verhinderung von durch Mitarbeiter des Unternehmens begangene wirtschaftskriminelle Handlungen, also der Fraud-Prävention. Aus dem weiten Spektrum von wirtschaftskriminellen Handlungen möchten wir die sogenannte „Betriebskriminalität“, d.h. Straftaten von Arbeitnehmern zum Nachteil ihres Arbeitgebers, betrachten.2

1

Vgl. beispielsweise Hopt (1996), Hopt (1997), Hopt (2001). In der Folge werden wir den Begriff „wirtschaftskriminelle Handlung“ im Sinne von „Betriebskriminalität“ verwenden. Des Weiteren werden wir den allgemein geläufigen englischen Begriff „Fraud“ synoym für „wirtschaftskriminelle Handlung(en)“ verwenden. 2

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Oftmals kommt es – trotz strenger formaler Corporate Governance- bzw. Compliance-Vorgaben – in Unternehmen zu schadensintensiven Fällen von wirtschaftskriminellen Handlungen, die trotz intensiver Bemühungen nicht verhindert werden können. Eine Schwäche der aktuell vornehmlich praktizierten Unternehmensüberwachung liegt darin, dass in den Unternehmen in der Regel sehr viel Wert darauf gelegt wird, die Mitarbeiter zu kontrollieren, um wirtschaftskriminelle Handlungen zu verhindern bzw. aufzudecken. Die Pflege der im Unternehmen gelebten Unternehmenskultur wird dabei regelmäßig vernachlässigt. Die Unternehmensüberwachung ist unseres Erachtens um eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive zu verändern, hierzu möchten wir einen Impuls geben. Im Folgenden stellen wir zunächst einen anerkannten Erklärungsansatz für wirtschaftskriminelle Handlungen, die sogenannte „Fraud-Triangle“, vor. Ausgehend von diesem Ansatz prüfen wir, wie die Unternehmensleitung durch Stärkung der Unternehmenskultur die Wahrscheinlichkeit von wirtschaftskriminellen Handlungen im Unternehmen wirksam reduzieren kann.

2. Erklärungsansatz für wirtschaftskriminelle Handlungen Cressey 3 befasste sich im Rahmen seines Dissertationsprojekts im Fach Kriminologie 4 mit Unterschlagungstätern und den Entstehungsgründen für kriminelles Handeln.5 Auf Cresseys Forschungsergebnissen beruht das Modell der Fraud-Triangle. Danach liegen wirtschaftskriminelle Handlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor, wenn ein potenzieller Täter dafür gleichzeitig einen Anreiz bzw. Druck verspürt, eine Gelegenheit hat/entdeckt und eine innere Rechtfertigung findet.6 Nach Cressey gewinnt der Täter die Motivation zur Tat durch einen (persönlichen) Anreiz (z.B. ein privates finanzielles Problem) bzw. durch den Druck, den Vorgesetzte auf ihn ausüben. Diese Motivation kann der Täter nicht mit anderen besprechen und er glaubt, dass er dieses Problem nur durch einen Vertrauensbruch lösen kann.7 Um diesen Vertrauensbruch zu begehen, benötigt der Täter eine Gelegenheit zur wirtschaftskriminellen Handlung, nämlich ein geringes Entdeckungsrisiko für eine Tat. Ferner muss der Täter

3

Vgl. Cressey (1953). Das Fach Kriminologie umfasst die Lehre vom Verbrechen, während die Kriminalistik die Lehre von Mitteln und Methoden zur Bekämpfung von Straftaten darstellt. 5 Vgl. Wells (1997), S. 10. 6 Vgl. Cressey (1953), S. 28–30; Bologna/Lindquist (1995) S. 11; Ramos, M. (2003), S. 31; Knabe et. al. (2004), S. 1058; KPMG (2006), S. 7. 7 Vgl. Cressey (1953), S. 28–30. 4

Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention

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seine Tat vor sich selbst rechtfertigen können, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.8 Abbildung 1 veranschaulicht die Fraud-Triangle:9 Anreiz/Druck

Fraud-Triangle Gelegenheit

Rechtfertigung

Abb. 1: Fraud-Triangle

Die Fraud-Triangle ist der meistverbreitete Erklärungsansatz für wirtschaftskriminelle Handlungen. Sie wird sowohl von den internationalen Vertretern des Berufsstands der Abschlussprüfer, dem IAASB, als auch vom deutschen Berufsstand der Abschlussprüfer, dem IDW, in deren berufsständischen Verlautbarungen zugrunde gelegt. Die Fraud-Triangle wird darüber hinaus auch von Forensikern und Mitarbeitern der Internen Revision als Erklärungsansatz für wirtschaftskriminelle Handlungen verwendet.10 Die Bestandteile der Fraud-Triangle identifizieren keine konkreten Delikte, sondern nennen lediglich Risikofaktoren für mögliche wirtschaftskriminelle Handlungen.11 Nach diesem Erklärungsansatz sollte jeder interne und externe Prüfer einschätzen, ob für Mitarbeiter des Unternehmens, d.h. sowohl für Mitarbeiter der Unternehmensleitung als auch für sonstige Mitarbeiter, die Motivation und die Gelegenheit zur Tat bestehen und ob von potenziellen Defraudanten persönliche Rechtfertigungsgründe für wirtschaftskriminelle Handlungen gefunden werden können. Eine Motivation zu wirtschaftskriminellen Handlungen kann durch Anreiz oder Druck, z.B. aufgrund von Erwartungen der Öffentlichkeit, durch die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, mangelnde Integrität oder die persönliche finanzielle Situation des Täters ausgelöst werden.12 Eine Gelegenheit kann sich dem Täter durch eine wirkungslose Überwachung und Schwächen im Internen Kontrollsystem des Unternehmens ebenso bieten wie aufgrund einer komplexen Organisationsstruktur oder der

8

Vgl. Melcher (2009), S. 101–103. Vgl. Wells (1997), S. 10; Ramos (2003), S. 28. 10 Vgl. IDW (2006a), PS 210.24; IAASB (2006), ISA 240 A1 (Redrafted); IDW (2006b), Rn. R 139; Bantleon/Thomann (2006), S. 1715 f.; Jacob (2007), S. 845. 11 Vgl. Ramos (2003), S. 31. 12 Vgl. Schwarz (2009), S. 20. 9

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besonders für Fraud anfälligen Geschäftstätigkeit/Branchenzugehörigkeit des Unternehmens. Eine innere Rechtfertigung für wirtschaftskriminelle Handlungen kann der Täter in unrealistischen Zielvorgaben, in einem angespannten Verhältnis zwischen den Mitarbeitern und dem Top-Management oder in vergangenen Verstößen der Unternehmensleitung gegen Gesetzesvorgaben oder gegen interne Verhaltenskodizes sehen.13 Um wirtschaftskriminelle Handlungen zu verhindern, wird regelmäßig durch Überwachungsorgane sowie durch interne und externe Prüfer versucht, potenzielle Gelegenheiten, wirtschaftskriminelle Handlungen zu begehen, zu identifizieren und diese (künftig) durch wirksame Kontrollen zu vermeiden. Dagegen wird von den Unternehmensleitungen nicht selten vernachlässigt, dass sie nach ISA 240.4 zur „Schaffung einer Kultur von Ehrlichkeit und ethischem Verhalten“ verpflichtet sind.14 Das bedeutet, die „weichen“ Faktoren der Unternehmensführung, die geeignet wären, dem potenziellen Täter den Anreiz bzw. die innere Rechtfertigung zur wirtschaftskriminellen Handlung zu nehmen, werden (fast) regelmäßig vernachlässigt. Einen ersten Ansatz zur Berücksichtigung dieser „weichen“ Faktoren lieferte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG: Im Jahr 2004 identifizierte sie durch empirische Untersuchungen einer größeren Zahl von Fraud-Fällen u.a. die folgenden „weichen“ Indikatoren, anhand derer auf ein erhöhtes Risiko für das Vorliegen wirtschaftskrimineller Handlungen geschlossen werden kann: • Persönliche Ziele der Gesellschafter/Manager, die von den Unternehmenszielen abweichen, • Wissensabfluss durch hohe Mitarbeiterfluktuation, • autoritärer Führungsstil, • hohe Machtkonzentration auf einen oder wenige Mitarbeiter sowie • intransparentes Informationsverhalten.15 Den vorgenannten Faktoren ist zwar gemein, dass sie jeweils schwerlich objektiv und zweifelsfrei beurteilt werden können, und zwar weder durch Unternehmensinterne noch durch Unternehmensexterne. Aufgrund der nur schwerlich möglichen Messbarkeit werden diese Faktoren häufig als „weiche“ Faktoren bezeichnet. Allerdings haben diese weichen Faktoren, die jeweils Teilaspekte der Unternehmenskultur sind, einen empirisch nachgewiesenen erheblichen Einfluss auf den monetären Unternehmenserfolg.16 Im Folgenden werden wir zunächst den Begriff der Unternehmenskultur definieren und die positiven Einflüsse, die sogenannten „Funktionen“ einer 13 Vgl. Knabe et. al. (2004), S. 1058 f. Weitere Beispiele für Anreiz, Druck, Gelegenheit und Rechtfertigung nennt das AICPA im Appendix zu SAS No. 99. Vgl. dazu AICPA (2002), Appendix to SAS No. 99, A1–A3. 14 Vgl. IAASB (2006), ISA 240.4. 15 Vgl. Knabe et. al. (2004), S. 1057–1068. 16 Vgl. hierzu ausführlich Baetge et. al. (2007), S. 183–219.

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positiv ausgeprägten und starken Unternehmenskultur verdeutlichen. Daraufhin möchten wir zeigen, welche Aspekte der Unternehmenskultur geeignet sind, das Fraud Risk für Unternehmen zu vermindern.

3. Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor Der Kulturbegriff wurde der Ethnologie entnommen. Der ethnologische Kulturbegriff dient dazu, Volksgruppen zu beschreiben und voneinander abzugrenzen. Mit der Anlehnung des Begriffs der Unternehmenskultur an die Ethnologie wird die Einschätzung verbunden, dass jedes Unternehmen im Zeitablauf eine eigene individuelle und einzigartige Kultur entwickelt (hat) und das Unternehmen somit in diesem Sinne eine Kulturgemeinschaft darstellt. Die Unternehmenskultur wird dabei einerseits durch externe, ihr übergeordnete Kulturen, wie Landeskulturen und Branchenkulturen und andererseits durch interne Veränderungen, entweder durch die gezielte Beeinflussung der Unternehmenskultur durch die Unternehmensleitung oder durch eine Veränderung der von allen Mitarbeitern – möglicherweise entgegen den Wünschen der Unternehmensführung – gelebten Werte, Normen und Überzeugungen, beeinflusst. Die Bedeutung „weicher“ Faktoren für den Unternehmenserfolg wurde von Nicklisch bereits im Jahr 1932 hervorgehoben.17 Nicklisch erkannte schon damals, dass die Werte und die Einstellungen der Mitarbeiter die Arbeitsabläufe im Unternehmen beeinflussen. Die Erforschung des empirischen Zusammenhangs von Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg hat ihren Ursprung in den 1980er Jahren: Durch die vielbeachtete Veröffentlichung von Peters/Waterman wurde der Erfolgsfaktor Unternehmenskultur zu einem Modethema der Managementliteratur.18 Seitdem konnte in zahlreichen Studien der positive Einfluss einer positiv ausgeprägten und starken Unternehmenskultur auf den Unternehmenserfolg nachgewiesen werden.19 Wir definieren den Begriff der „Unternehmenskultur“ als „ein dynamisches Gefüge aus von den Mitarbeitern geteilten Werten, Normen und Überzeugungen, das über einen längeren Zeitraum gewachsen ist und das Verhalten des Kollektivs aller Mitarbeiter des Unternehmens in eine bestimmte Richtung lenkt.“ Der Begriff des „dynamischen Gefüges, […] das über einen längeren Zeitraum gewachsen ist“, enthält die Einsicht, dass es sich bei der Unternehmenskultur um eine historisch gewachsene „Einstellung“ aller Mitarbeiter des 17

Vgl. Nicklisch (1932). Vgl. Peters/Waterman (1982). 19 Für einen ausführlichen Überblick und eine inhaltliche Bewertung dieser Studien vgl. Baetge et. al. (2007), S. 183–219. 18

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Unternehmens handelt, die sich im Zeitablauf entwickelt hat, die aber veränderbar ist und auch verändert werden sollte, wenn veränderte externe Bedingungen, z.B. geänderte Kundenwünsche, dies erfordern. Die vom Kulturbegriff erfassten „Werte“ sind immaterielle Werte, wie Pflichtbewusstsein, die von den materiellen Werten, wie Geld oder Gütern, abzugrenzen sind. Immaterielle Werte sind die konstitutiven Elemente einer Unternehmenskultur. Sie definieren Sinn und Bedeutung von Aufgaben und Tätigkeiten, z.B. innerhalb eines Unternehmens, indem sie allen Mitarbeitern eine Orientierung bieten, welches Verhalten von jedem einzelnen Mitarbeiter bzw. vom Kollektiv der Mitarbeiter zu präferieren ist.20 Der in dieser Definition verwendete Begriff der „Mitarbeiter“ umfasst ausdrücklich alle Mitarbeiter des Unternehmens, also auch das Top-Management. Diese Werte beeinflussen sowohl die Normen als auch die Ziele des Unternehmens. „Normen“ sind explizite und implizite Handlungsvorschriften, z.B. ein Code of Conduct. Sie formen und charakterisieren die Denk- und Verhaltensweisen, die eine soziale Gruppe, z.B. das Management eines Unternehmens, von seinen Mitgliedern erwartet. Mitarbeiter, die sich innerhalb dieser Normen bewegen, ordnen sich in das soziale System ein und arbeiten auf die Unternehmensziele hin. „Überzeugungen“ umfassen den auf persönlicher Erfahrung basierenden und im Zeitablauf gewachsenen Glauben, dass bestimmte Werte bzw. Wertorientierungen richtig sind.21 Die Übereinstimmung der von der Unternehmensleitung erwünschten sowie die im Unternehmen tatsächlich gelebten Werte, Normen und Überzeugungen sind von besonderer Bedeutung für das unternehmerische Anti-Fraud-Management. An dieser Stelle ist zwischen Soll- und Ist-Unternehmenskultur zu unterscheiden. Geht man davon aus, dass die Soll-Kultur von der Unternehmensleitung so formuliert wurde, dass diese Soll-Kultur geeignet ist, die Unternehmensziele zu erreichen, so sollte die Ist-Kultur, d.h. die von den Mitarbeitern des Unternehmens tatsächlich gelebten Werte, mit der Soll-Kultur idealerweise übereinstimmen. Die von der Unternehmensführung kommunizierten Werte, wie die Ablehnung von Korruption, müssen durch konkrete Handlungsvorschriften, z.B. durch einen Code of Conduct, in Normen übersetzt werden. Diese Normen wiederum sollten von allen Mitarbeitern verinnerlicht und beachtet werden. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Unternehmensleitung selbst die von ihr erwünschten Werte und Normen beachtet und strikt einhält und die Soll-Unternehmenskultur im Ist vorlebt. Eine positiv ausgeprägte und starke Unternehmenskultur lenkt „das Verhalten des Kollektivs aller Mitarbeiter des Unternehmens in eine bestimmte Richtung“. In diesem Sinne bilden sich im Zeitablauf infolge von auftreten20 21

Vgl. Reber/Böhnisch/Hechenberger (2007), S. 145. Vgl. Lay (1999), S. 15; von Rosenstiel (2007), S. 115.

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den Problemen und hierfür entwickelte erfolgreiche Problemlösungen innerhalb eines Unternehmens Vorstellungs- und Orientierungsmuster, die als informale Struktur auf unternehmensinterne Lernprozesse und auf künftige Problemlösungen einwirken. Die Stärke der Unternehmenskultur bezeichnet den Grad der Homogenität der von den Mitarbeitern geteilten und gelebten Werte, Normen und Überzeugungen. Eine Unternehmenskultur ist beispielsweise stark, wenn die Mitarbeiter aller Hierarchieebenen bei Mitarbeiterbefragungen übereinstimmende Antworten geben. Die Messung der Stärke der Unternehmenskultur zeigt daher, wieweit die Ist-Kultur des jeweils betrachteten Unternehmens die funktionalen Erfordernisse einer Unternehmenskultur erfüllt. Die erforderliche „positive Ausprägung“ der Unternehmenskultur umfasst schließlich die inhaltliche Qualität der Unternehmenskultur: Die Beurteilung der Qualität der Unternehmenskultur dient der Abgrenzung zur Kultur von kriminellen „unternehmerisch“ tätigen Organisationen, wie der Mafia. In solchen kriminellen Organisationskulturen sind die positiven Einflüsse, die so genannten Funktionen der Unternehmenskultur, wie die Identifikation mit den Organisationszielen, zwar in der Regel auf einem hohen Niveau gegeben. Ursache hierfür ist allerdings nicht, dass jedes Organisationsmitglied von der Richtigkeit der innerhalb der Organisation gelebten Werte überzeugt ist, sondern die beispielsweise bei fehlender Identifikation zu befürchtende Sanktionierung durch die Organisationsleitung: Es ist davon auszugehen, dass ein Organisationsmitglied, welches den Organisationszielen zuwider handelt, mit scharfen Sanktionen rechnen muss. Kriminelle Organisationen verfügen in der Regel über negativ ausgeprägte, aber starke Organisationskulturen. Zwar besitzt jedes Unternehmen eine individuelle Unternehmenskultur. Dennoch konnten in einer größeren Zahl von empirischen Untersuchungen fünf Funktionen einer positiv ausgeprägten und starken Unternehmenskultur identifiziert werden, die den Erfolg eines Unternehmens unabhängig von dessen Branchenzugehörigkeit, Marktposition oder Größe positiv beeinflussen:22 1. Identifikation: Die Mitarbeiter identifizieren sich mit der Organisation und mit den Organisationszielen. 2. Integration: Neue Mitarbeiter werden in bestehende Teams integriert; die Mitarbeiter entwickeln ein „Wir-Gefühl“. 3. Koordination/Kommunikation: Bei wiederkehrenden Problemen und Herausforderungen koordinieren sich die Mitarbeiter „automatisch“, da jeder Mitarbeiter die Anforderungen und Grenzen seines Handlungsspielraums genau kennt. Die Orientierung an den (verinnerlichten) Organisationszielen vereinfacht die Abstimmungsprozesse innerhalb der Organisation. 22

Vgl. Baetge et. al. (2007), S. 205–207 sowie Baetge et. al. (2008), S. 8.

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4. Motivation/Zufriedenheit: Die Organisationskultur fördert die Bereitschaft der (zufriedenen) Mitarbeiter, eigeninitiativ zu arbeiten und sich für die Organisation zu engagieren: Sie fühlen sich gegenüber der Organisation „verpflichtet“, auf deren Ziele hinzuarbeiten. 5. Innovation: Um Produkte und Prozesse zu verbessern, müssen die Mitarbeiter umfassend aus- und weitergebildet werden. Ebenfalls sollten sie ermutigt werden, Produkt- und Prozessverbesserungen vorzuschlagen und umzusetzen. Diese fünf Funktionen sind nicht überschneidungsfrei, vielmehr verstärken sie einander. Beispielsweise wird sich ein Mitarbeiter, der in das Unternehmen integriert ist, stärker mit dem Unternehmen identifizieren. Des Weiteren wird ein zufriedener und motivierter Mitarbeiter eher Produkt- und Prozessverbesserungen vorschlagen als ein unzufriedener und unmotivierter Mitarbeiter. Bei einer positiv ausgeprägten und starken Unternehmenskultur sind diese fünf Funktionen positiv ausgeprägt. Das gleichzeitig hohe Niveau jeder der fünf Funktionen führt dazu, dass die Arbeitsprozesse im Unternehmen reibungsloser ablaufen, dass zielgerichtet gearbeitet wird, dass Kunden einwandfrei bedient werden und so eine hohe Kundenbindung aufgebaut wird. Hierdurch wird der Unternehmenserfolg positiv beeinflusst.23 In der Folge möchten wir zeigen, wieweit eine positiv ausgeprägte und starke Unternehmenskultur zur Fraud-Prävention im Unternehmen beitragen kann, indem den potenziell wirtschaftskriminellen Mitarbeitern die Fraud-Triangle-Komponenten „Anreiz“ bzw. „Rechtfertigung“ genommen werden. Wie unter 2. dargestellt, würde dies das Fraud Risk für das Unternehmen erheblich vermindern.

4. Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention Die Stärke und die Qualität, d.h. die positive oder negative Ausprägung, der Unternehmenskultur beeinflussen die Wahrscheinlichkeit von wirtschaftskriminellen Handlungen, das so genannte Fraud Risk, im Unternehmen. Die unter 2. erläuterte Fraud-Triangle ist ein anerkanntes Instrument zur Beurteilung des Fraud Risk im Unternehmen. Des Weiteren zeigt sie der Unternehmensleitung Handlungsbedarf und -möglichkeiten, um das Fraud Risk zu verringern. Denn wenn es gelingt, eine der Ecken der FraudTriangle „abzuschneiden“, d.h. wenn es gelingt, dem potenziell wirtschaftskriminellen Mitarbeiter entweder die Gelegenheit oder die Rechtfertigung

23

Vgl. Baetge et. al. (2007), S. 207.

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oder den Anreiz, das Unternehmen durch wirtschaftskriminelle Handlungen zu schädigen, zu nehmen, wird dieser Mitarbeiter das Unternehmen nicht schädigen, da die Erfahrung gelehrt hat, dass für eine wirtschaftskriminelle Handlung alle drei Bestandteile der Fraud-Triangle erfüllt sein müssen. Hinsichtlich der Gelegenheit zur Tat ist ein dreistufiges Verlaufsschema zu erkennen, an dessen Ende der potenzielle Täter die wirtschaftskriminelle Handlung begeht oder unterlässt. Die erste Stufe ist das Erkennen einer Gelegenheit zur Tat durch einen Mitarbeiter. Abhängig von seinem Verhältnis zum Unternehmen, d.h. abhängig von seiner Identifikation mit dem bzw. seiner Integration in das Unternehmen sowie seiner Zufriedenheit, und abhängig von seinen persönlichen Werthaltungen wird der Mitarbeiter auf der zweiten Stufe die von ihm auf der ersten Stufe erkannte Gelegenheit bewerten, nämlich entweder als Sicherheitslücke, die er seinem Vorgesetzten meldet oder aber als günstige Gelegenheit zur Tat. Die dritte Stufe betrifft die Handlung des Mitarbeiters als Folge des Erkennens der Gelegenheit auf den ersten beiden Stufen. Sofern der Mitarbeiter gleichzeitig ein negatives Verhältnis zum Unternehmen hat (Druck/Anreiz), die Tat mit seinen persönlichen Werthaltungen vereinbar ist (Rechtfertigung) und er die Gelegenheit als „günstig“ bewertet, begeht er die wirtschaftskriminelle Handlung. Hinsichtlich des Tätertyps ist zwischen dem „Gelegenheitsergreifer“ und dem „Gelegenheitssucher“ zu unterscheiden. Der Gelegenheitsergreifer ist ein Mitarbeiter, der ein Kontrolldefizit, d.h. eine Gelegenheit, erkennt und infolge seiner persönlichen Einschätzung der geringen Aufdeckungswahrscheinlichkeit wirtschaftskriminell handelt. Der Gelegenheitssucher hingegen zeichnet sich durch eine hohe kriminelle Energie aus: Den von ihm begangenen Taten geht eine längerfristige Suche nach Kontrolldefiziten und nach der Erkennung einer solchen Möglichkeit die Planung der wirtschaftskriminellen Handlung voraus.24 Compliance-Ansätze konzentrieren sich in der Regel darauf, dem potenziell wirtschaftskriminellen Mitarbeiter die Gelegenheit zur Tat zu nehmen. Dies wird vor allem durch umfangreiche Kontrollmaßnahmen, z.B. die Einrichtung eines Internen Kontrollsystems, bewerkstelligt. Umfangreiche Kontrollmaßnahmen rufen aber zugleich negative Folgen einer erhöhten Unternehmenskomplexität hervor und zwar durch Formalisierung und Bürokratisierung der Arbeitsabläufe. Hierdurch wird einerseits der Verwaltungs- und Kontrollaufwand erhöht, andererseits besteht die Gefahr, dass die Unternehmenskultur negativ beeinflusst wird, indem ein Klima eines allgemeinen Misstrauens geschaffen wird.25 24

Vgl. Schneider (2009), S. 5–11. Hierdurch sollen interne Kontrollen keinesfalls in Frage gestellt werden. Kontrollen, z.B. durch Aufgabentrennung oder durch Vier-Augen-Prinzip, sind bis zu einem gewissen Punkt unbedingt erforderlich. Allerdings kann eine zu hohe Kontrollintensität ein Unternehmen lähmen. Für anschauliche Beispiele vgl. FAZ vom 26.1.2010. 25

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Daher sollten die präventiven Maßnahmen zur Vermeidung wirtschaftskrimineller Handlungen nicht ausschließlich darauf abzielen, dem potenziellen Täter die Gelegenheit zur Tat zu nehmen.26 Vielmehr muss die Unternehmenskultur als ein wichtiger Faktor der Fraud-Prävention verstanden werden, um dem potenziellen Täter den Anreiz bzw. die innere Rechtfertigung zu nehmen, seinen Arbeitgeber durch wirtschaftskriminelle Handlungen zu schädigen.27 Die Mitarbeiter sollten motiviert werden, für das Unternehmen positive Erfolgsbeiträge zu erwirtschaften. Diese Auffassung teilen auch die Vertreter des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer, die in ISA 240.4 von der Unternehmensleitung die Schaffung einer „Kultur von Ehrlichkeit und ethischem Verhalten“ im Unternehmen fordern.28 Für die Fraud-Prävention sind die Unternehmenskulturfunktionen (1) „Identifikation“, (2) „Integration“ und (3) „Motivation/Zufriedenheit“ besonders bedeutsam. (1) Identifikation: Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen und dessen Zielen identifizieren, werden regelmäßig, selbst wenn sie z.B. aus Geldmangel einen Anreiz und gleichzeitig die Gelegenheit bzw. ein geringes Entdeckungsrisiko haben, sich auf Kosten des Unternehmens zu bereichern, diese Tat nicht vor sich selbst rechtfertigen können. Ein hohes Maß an Identifikation, welches den Mitarbeitern die innere Rechtfertigung zu wirtschaftskriminellen Handlungen nimmt, lässt sich durch transparente, gerechte Personalführung sowie durch ein hohes Maß an Integration herstellen: Zunächst müssen die Arbeitsinhalte so gestaltet werden, dass jeder Mitarbeiter versteht, welchen Beitrag seine Arbeit für die Erreichung der Unternehmensziele leistet. Hierfür ist erforderlich, dass zwischen dem jeweiligen Mitarbeiter und seinem Vorgesetzten Zielvorgaben klar definiert werden. Darauf aufbauend muss die Personalführung transparent und gerecht sein. Aufstiegsmöglichkeiten müssen, abhängig von den Arbeitsergebnissen und der persönlichen Eignung des jeweiligen Mitarbeiters, jedem Mitarbeiter offenstehen. Des Weiteren muss der Entscheidungsprozess, warum ein bestimmter Mitarbeiter befördert wird, transparent sein. Einerseits sollte ein Mitarbeiter, der qualitativ überdurchschnittliche Arbeit abliefert, bessere Aufstiegsmöglichkeiten haben als seine Kollegen, andererseits sollte – wenn einer von mehreren infrage kommenden Mitarbeitern befördert wird – allen Mitarbeitern transparent sein, dass die Beförderung das Ergebnis überdurchschnittlicher Eignung bzw. Leistung des beförderten Mitarbeiters ist und nicht persönliche Vorlieben desjenigen Vorgesetzten, der über die Beförderung zu entscheiden hat.

26 27 28

Vgl. Müller (2008), S. 253. Vgl. Bungartz (2006), S. 173. Vgl. IAASB (2006), ISA 240.4.

Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention

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(2) Integration: Ein Mitarbeiter wird sich umso mehr mit dem Unternehmen identifizieren, je besser er innerhalb des Unternehmens integriert ist. Dadurch entsteht ein „Wir-Gefühl“, das die Identifikation der Mitarbeiter mit „ihrem“ Unternehmen verstärkt. Des Weiteren dient ein hohes Maß an Integration als ein informelles soziales Kontrollsystem: Mehr noch als arbeits- und strafrechtliche Sanktionen fürchten potenzielle Täter die Missbilligung bzw. Ächtung durch die Kollegen als Folge von wirtschaftskriminellen Handlungen.29 Mitarbeiter, die hervorragend in das Unternehmen integriert sind, fürchten diese Missbilligung mehr als diejenigen Mitarbeiter, die wenig oder überhaupt nicht in das Unternehmen integriert sind. Ein hohes Maß an Integration führt somit dazu, dass die Gefahr der Entdeckung der Tat sowie die damit verbundene Ächtung durch die Kollegen den Anreiz, den ein potenzieller Täter verspürt, überwiegen. Des Weiteren weiß der potenzielle Täter, dass er die Tat bei einer positiv ausgeprägten und starken Unternehmenskultur nicht vor seinen Mitarbeitern rechtfertigen könnte. Daher kann er die Tat auch nicht vor sich selbst rechtfertigen, denn das Merkmal einer positiv ausgeprägten und starken Unternehmenskultur ist, dass alle Mitarbeiter von den gemeinsamen Werten, wie der Ablehnung wirtschaftskrimineller Handlungen, überzeugt sind. (3) Motivation/Zufriedenheit: Ein hohes Niveau der Mitarbeitermotivation und damit verbunden ein gleichzeitig hohes Niveau der Mitarbeiterzufriedenheit 30 führen dazu, dass die Mitarbeiter sich gegenüber dem Unternehmen verpflichtet fühlen, sich für das Unternehmen und in dessen Sinne zu engagieren. Ein hohes Maß an Mitarbeitermotivation und Mitarbeiterzufriedenheit kann daher den vom potenziellen Täter verspürten Anreiz zur Tat überwiegen, vor allem nimmt dieses hohe Maß ihm die innere Rechtfertigung zur Tat, da die Schädigung gegen das motivierende und Zufriedenheit erzeugende Unternehmen gerichtet ist. Die Mitarbeitermotivation und die Mitarbeiterzufriedenheit stehen in engem Zusammenhang mit der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen sowie mit der Integration der Mitarbeiter in das Unternehmen. Daher können die Mitarbeitermotivation und die Mitarbeiterzufriedenheit mit den unter (1) und (2) genannten Maßnahmen gestärkt werden. Eine positiv ausgeprägte und zugleich starke Unternehmenskultur führt aufgrund der Funktionen, die eine solche Unternehmenskultur erfüllt, dazu, dass das Fraud Risk innerhalb des Unternehmens verringert wird. Eine solche Unternehmenskultur wirkt wie ein „psychologischer Arbeitsvertrag“,

29

Vgl. Bussmann (2009), S. 518. Ausführlich zur Mitarbeitermotivation und zur Mitarbeiterzufriedenheit vgl. Baetge (1979), S. 11–30. 30

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der den privatrechtlichen Arbeitsvertrag ergänzt.31 Eine auf diese Weise erzielte Verringerung der Wahrscheinlichkeit für wirtschaftskriminelle Handlungen ist allerdings ausdrücklich nicht das Ergebnis von (zusätzlichen) Kontrollen, womit für das Unternehmen hohe Kosten verbunden sind sowie die Förderung einer Unternehmensunkultur des Misstrauens, die sich letztlich negativ auf den Unternehmenserfolg auswirken würde. Vielmehr wird das Fraud Risk verringert, indem eine auf Transparenz und Gerechtigkeit basierende Unternehmenskultur gefördert wird. Eine solche positiv ausgeprägte Unternehmenskultur führt dazu, dass es für die Mitarbeiter, selbst wenn diese die Gelegenheit haben sollten, sich auf Kosten des Unternehmens zu bereichern, überhaupt nicht in Frage käme, das Unternehmen durch wirtschaftskriminelle Handlungen zu schädigen. Allerdings werden durch die genannten unternehmenskulturellen Maßnahmen vornehmlich nur die FraudGelegenheitsergreifer von der Tat abgehalten, indem ihnen der Anreiz und/ oder die innere Rechtfertigung, eine wirtschaftskriminelle Handlung zu begehen, genommen wird. Dagegen ist fraglich, ob Fraud-Gelegenheitssucher wegen deren hoher krimineller Energie durch diese Maßnahmen von der Tat abgehalten werden: Um Fraud-Gelegenheitssucher von einer wirtschaftskriminellen Handlung abzuhalten, müssen Unternehmen diesen die Gelegenheit zur Tat nehmen, denn Fraud-Gelegenheitssucher versuchen vorsätzlich, festgestellte Kontrolldefizite auszunutzen. Allerdings zeigen empirische Studien, dass etwa die Hälfte der aufgedeckten wirtschaftskriminellen Handlungen von Gelegenheitsergreifern begangen wurde, die andere Hälfte von Gelegenheitssuchern.32 Durch die vorgenannten unternehmenskulturellen Maßnahmen könnte das Fraud Risk für ein Unternehmen zwar nicht auf 0 % reduziert werden, da sie vornehmlich geeignet sind, Gelegenheitsergreifer von der Tat abzuhalten. Dennoch kann das Fraud Risk erheblich (in Richtung auf 50 %) vermindert werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Unternehmensleitung selbst jede Art wirtschaftskrimineller Handlungen ablehnt, selbst wenn diese – wie die aktive Korruption – von anderen Unternehmen in der betreffenden Branche regelmäßig begangen werden. Die unternehmenskulturellen Werte müssen durch konkrete Handlungsanweisungen, z.B. durch einen Code of Conduct, in Normen übersetzt werden, die den Mitarbeitern die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten ihrer Handlungsspielräume unzweifelhaft verdeutlichen. Hierdurch entwirft die Unternehmensleitung die Soll-Kultur des Unternehmens. Um sicherzustellen, dass die tatsächlich gelebte Ist-Kultur nicht von der erwünschten Soll-Kultur abweicht, muss die Unternehmensleitung die von ihr kommunizierten Werte vorleben und so mit gutem Beispiel voran-

31 32

Vgl. Kobi (2006), S. 116. Vgl. Schneider (2009), S. 13.

Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention

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gehen.33 Wenn die Unternehmensleitung ein schlechtes Vorbild ist, liefert sie potenziellen Tätern damit eine innere Rechtfertigung, ihrerseits wirtschaftskriminell zu handeln. Für die Mitarbeiter nachteilige und/oder als nicht gerecht empfundene Entscheidungen der Unternehmensleitung erhöhen das Fraud Risk. Des Weiteren können aber auch Entscheidungen der Unternehmensleitung, die sie eigentlich im Sinne der Mitarbeiter getroffen hat, um die Mitarbeiter zu motivieren, unmittelbar zur Entstehung von Fraud führen: Beispielsweise kann potenziellen Tätern durch die Ausgestaltung des Bonifikationssystems der Anreiz gegeben werden, wirtschaftskriminell zu handeln, z.B. in Form von aktiver Korruption, um Aufträge zu erlangen. Weiterhin können unrealistische Zielvorgaben der Unternehmensleitung dazu führen, dass potenzielle Täter den Druck verspüren, wirtschaftskriminell zu handeln, obwohl sie dies gar nicht wollen. Eine effektive Fraud-Prävention mit Hilfe der Unternehmenskultur ist also in entscheidendem Maße abhängig von einem die Funktionen der Unternehmenskultur ganzheitlich berücksichtigenden Verhalten und entsprechenden Entscheidungen der Unternehmensleitung.

5. Fazit „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.“ weiß der Volksmund zu berichten. Würde die Unternehmensüberwachung dieses Zitat, das für gewöhnlich Lenin in den Mund gelegt wird, wörtlich auslegen, würde dies dazu führen, dass den Mitarbeitern des Unternehmens fortan nicht mehr vertraut, sondern nur noch misstraut würde: Wenn Kontrolle besser ist als Vertrauen, wieso sollte man dann überhaupt vertrauen? Der tatsächliche, ins Deutsche übersetzte Wortlaut des Zitats ist vielmehr ein russisches Sprichwort, wie die Russische Akademie für Sprache und Dichtung aus den Schriftfassungen der Reden von Lenin ermittelt hat: „Vertraue, kontrolliere aber auch.“ 34 Dieses Paradigma haben wir in dem vorliegenden Beitrag auf die Unternehmensführung übertragen: Während bisherige Ansätze der Unternehmensüberwachung bei der Kontrolle der Mitarbeiter ansetzen, indem sie Gelegenheiten, wirtschaftskriminelle Handlungen zu begehen, identifizieren und Maßnahmen entwickeln, wie diese Gelegenheiten eingeschränkt werden können, wurde die Rolle der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention bislang nicht ausreichend beachtet. Mit dem vorliegenden Beitrag haben wir versucht, dazu beizutragen, diese Lücke zu schließen. Die Unterscheidung in Gelegenheitsergreifer und Gelegenheitssucher hat dabei gezeigt, dass unter-

33 34

Vgl. Brand-Noé (2007), S. 69. Siehe Lenin (1971), S. 358.

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schiedliche Tätertypen durch unterschiedliche Maßnahmen davon abgehalten werden, das Unternehmen durch wirtschaftskriminelle Handlungen zu schädigen. Im Sinne des klugen russischen Sprichworts ist es daher notwendig, den potenziellen Tätern durch Kontrollen die Gelegenheit zur Tat zu nehmen. Aufgrund der negativen Effekte, die mit übermäßigen Kontrollen verbunden sind, ist es außerdem notwendig, zusätzliche, vertrauensbildende unternehmenskulturelle Maßnahmen zu treffen. Hierdurch kann das Fraud Risk für das Unternehmen deutlich vermindert werden.

6. Quellenverzeichnis AICPA (Hrsg.) (2002), Appendix to SAS No. 99, Fraud Risk Factors, 2002, im Internet veröffentlicht unter: http://fvs.aicpa.org/Resources/Antifraud+Forensic+Accounting/Fraud+ Detection+Investigation+Prevention/Indicia+of+Fraud/Appendix+to+SAS+No.+99+Fraud+ Risk+Factors.htm#incentivesb (Stand: 4.12.2008). Baetge, Jörg (1979), Motivation von Mitarbeitern im Unternehmen, in Mellwig, Winfried, Unternehmenstheorie und Unternehmensplanung, Wiesbaden 1979, S. 11–30. Baetge, Jörg/Meffert, Heribert/Lepp, Hanna Lena/Schmidt, Matthias (2008), Unternehmenskultur und Unternehmensmarke als Erfolgsbeitrag – ein Ansatz zur integrierten Personal- und Markenführung, Arbeitspapier Nr. 201 der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung e.V., 2008. Baetge, Jörg/Schewe, Gerhard/Schulz, Roland/Solmecke, Henrik (2007), Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg: Stand der empirischen Forschung und Konsequenzen für die Entwicklung eines Messkonzeptes, in JfB 2007, S. 183–219. Bantleon, Ulrich/Thomann, Detlef (2006), Grundlegendes zum Thema „Fraud“ und dessen Vorbeugung, in DStR 2006, S. 1714–1721. Bologna, G. Jack/Lindquist, Robert J. (1995), Fraud Auditing and Forensic Accounting. New Tools and Techniques, 2. Aufl., New York 1995. Brand-Noé, Christine (2007), Aufgaben des Personalwesens im Hinblick auf die Prävention von unternehmensschädigendem Verhalten, in ZRFG 2007, S. 63–70. Bungartz, Oliver (2006), Risikokultur – „Soft Skills“ für den Umgang mit Risiken im Unternehmen, in ZRFG 2006, S. 170–178. Bussmann, Kai (2009), Compliance in der Zeit nach Siemens – Corporate Integrity, das unterschätzte Konzept, in BFuP 2009, S. 506–522. Cressey, Donald R. (1953), Other People’s Money, Glencoe 1953. FAZ vom 26. Januar 2010, An der Leine der Saubermänner, online unter http://www.faz.net/s/RubD16E1F55D21144C4AE3F9DDF52B6E1D9/Doc~ E092205BC49D8454196270078C1B15AD8~ATpl~Ecommon~Scontent.html (letzter Abruf am 29. Januar 2010).

Die Bedeutung der Unternehmenskultur für die Fraud-Prävention

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Unterschiede im Aktienrecht zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Gesellschaften Walter Bayer

Klaus Hopt hat auf dem 67. Deutschen Juristentag in Erfurt (2008) die wirtschaftsrechtliche Abteilung geleitet,1 der Verfasser dieses Beitrags hat hierfür das Gutachten: „Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und geschlossene Gesellschaften?“ erstellt.2 In Erinnerung an die sehr freundschaftlich-konstruktive Zusammenarbeit, die auch den stellvertretenden Vorsitzenden Ulrich Koch und die Referenten Reto Francioni, Gerd Krieger, Peter Mülbert und Eddy Wymeersch sowie auch den Schriftführer Markus Roth einschloss,3 sollen die Ergebnisse der Beratungen unter Berücksichtigung neuester Entwicklungen nochmals analysiert 4 und fortgeführt werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die nachfolgenden Ausführungen auf das Interesse unseres Jubilars stoßen werden.

I. Der Diskussionsstand vor dem 67. Deutschen Juristentag 1. Gesetzliche Differenzierungen zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften im Zeitraum 1994 bis 2007 Die gesetzliche Differenzierung zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften begann im Jahre 1994 mit dem „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“.5 Auch wenn der Begriff der „kleinen AG“ nicht legaldefiniert wurde, so zielte der Gesetzgeber doch auf „kleine Gesellschaften … mit überschaubarem

1

Hopt in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, Bd. II/1, N 5. Bayer in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, Bd. I, Gutachten E. 3 Zu den Referaten: Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, Bd. II/1, N 13 ff. 4 Siehe bereits eine erste Nachlese bei Bayer BB 44/2008, Die erste Seite. 5 Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994, BGBl. I 1994, S. 1961. 2

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Walter Bayer

Gesellschafterkreis und fehlender Börsenzulassung“.6 Ausgangspunkt war die Überlegung,7 dass das deutsche Aktienrecht in der Vergangenheit zu sehr vom Leitbild der börsennotierten Publikumsgesellschaft geprägt gewesen sei, während kleinere und mittlere Unternehmen als kapitalgesellschaftliche Rechtsform die GmbH in Anspruch nehmen sollten und auch in Anspruch genommen haben.8 Dieser „besondere Erfolg der GmbH in Deutschland“ wird – im Anschluss an Marcus Lutter 9 – mit der „besonderen Strenge unseres Aktienrechts“ erklärt. Da der GmbH aber der Zugang zum Kapitalmarkt verwehrt ist, würden die mittelständischen Unternehmen an einer Eigenkapitalschwäche leiden. Um hier Abhilfe zu schaffen, müsse die Rechtsform der AG „auch für mittelständische Unternehmen zugänglich und attraktiv gemacht werden“. Denn „die Aktiengesellschaft (könne) auch für kleinere Unternehmen mit überschaubarem Gesellschafterkreis … eine geeignete Rechtsform darstellen“.10 Aufgrund der Ausrichtung des Aktienrechts am Leitbild der großen Publikumsgesellschaft, werden indes „auch von der kleinen Aktiengesellschaft mit überschaubarem Aktionärskreis Formalitäten abverlangt, die erkennbar nicht auf solche Gesellschaften zugeschnitten sind“. Hier sollte Abhilfe geschaffen und mittelständische Unternehmen motiviert werden, „in die Rechtsform der Aktiengesellschaft zu wechseln und sich in dieser neuen Rechtsform zunächst zu stabilisieren, bevor eine Entscheidung über den Gang an die Börse getroffen wird“. Vorteilhaft sei dies „auch für Familiengesellschaften, bei denen ein Generationswechsel ansteht“, ferner könne „der Börsengang von Konzerntöchtern gefördert werden“.11 Auch wenn die Modifikationen des Aktienrechts nur wenige Vorschriften betrafen,12 so wurde doch dieser Einstieg in eine rechtliche Differenzierung zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Gesellschaften im Schrifttum überwiegend positiv beurteilt. Stellvertretend für viele Autoren urteilte etwa Marcus Lutter: Der Gesetzgeber „hat einen ersten … und wichtigen Schritt getan, um die Rechtsform der AG … für mittelständische Unternehmen attraktiv zu machen“.13 6

So die am Gesetzentwurf im BMJ beteiligte Mitarbeiterin Planck GmbHR 1994, 501. Nachfolgende Ausführungen beziehen sich auf die Begr. FraktionsE, BT-Drucks. 12/6721, S. 5. 8 Hierzu ausf. und mit Zahlenangaben: Bayer (Fn. 2), E 19 ff. 9 Die Begr. FraktionsE (Fn. 7) zitiert Lutter GmbHR 1990, 377. 10 Begr. FraktionsE (Fn. 7), S. 11. 11 Begr. FraktionsE (Fn. 7), S. 5. 12 Einzelheiten bei Bayer (Fn. 2), E 44, 45. 13 Lutter FS Vieregge, 1995, S. 603, 614; vgl. weiter Hommelhoff ZGR-Sonderheft 12 (1994) S. 65, 73: „ist das Gesetzgebungsprojekt … ein durchaus bedeutsamer Schritt … dem weitere recht bald folgen müssen“; vgl. weiter Kindler NJW 1994, 3043, 3048; Priester BB 1996, 333, 335; Hahn DB 1994, 1659, 1665; Hoffmann-Becking ZIP 1995, 1, 10; Heckschen DNotZ 1995, 275, 290. 7

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Mit dem KontraG 14 wurde im Jahre 1998 die „kapitalmarktrechtliche Trennlinie in unserem Aktienrecht … fortgeführt“ 15 und mit § 3 Abs. 2 AktG die börsennotierte AG als eine Gesellschaft definiert, deren „Aktien an einem Markt gehandelt werden, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird“. Klaus Hopt stimmt dieser Regelung ausdrücklich zu und bezeichnet diese „Differenzierung von oben nach unten“ als „Gebot der Stunde“.16 Weitere Differenzierungen folgten mit dem 3. FinanzmarktförderungsG im Jahre 1998,17 dem NaStraG im Jahre 2001,18 dem TransPuG im Jahre 2002,19 dem BilKoG im Jahre 2004,20 dem UMAG im Jahre 2005,21 dem Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz im Jahre 200622 und mit dem EHUG im Jahre 2007.23 Sonderregelungen für börsennotierte Gesellschaften wurden jedoch insbesondere auch außerhalb des Aktiengesetzes eingeführt, namentlich im Recht der Rechnungslegung 24 sowie in verschiedenen kapitalmarktrechtlichen Gesetzen, vorrangig im WpHG, im WpÜG sowie im BörsG 25. Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex 26 richtet sich vorrangig an börsennotierte Gesellschaften; nur diese mussten bislang 27 die Erklärung nach § 161 AktG abgeben.

14 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998, BGBl. I 1998, S. 786. 15 So BegrRegE BT-Drucks. 872/97, S. 25. 28. Aufzählung der betroffenen Vorschriften bei Bayer (Fn. 2), E 46, 47. 16 Hopt ZGR-Sonderheft 13 (1998), 123, 143. 17 Gesetz zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz) v. 24.3.1998, BGBl. I 1998, S. 1749; dazu Bayer (Fn. 2), E 47. 18 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtausübung v. 18.1.2001, BGBl. I 2001, S. 123; dazu Bayer (Fn. 2), E 47, 48. 19 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v. 19.7.2002, BGBl. I 2002, S. 2681; dazu Bayer (Fn. 2), E 48. 20 Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz (BilKoG)) v. 15.12.2004, BGBl. I 2004, S. 3408; dazu Bayer (Fn. 2), E 48 f. 21 Gesetz zur Unternehmensintegrität und zur Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. I 2004, S. 2802; dazu Bayer (Fn. 2), E 49. 22 Gesetz zur Umsetzung der RL 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote (Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 8.7.2006, BGBl. I 2006, S. 1426; dazu Bayer (Fn. 2), E 49. 23 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I 2006, S. 2553; dazu Bayer (Fn. 2), E 50. 24 Einzelheiten bei Bayer (Fn. 2), E 50 ff. 25 Einzelheiten bei Bayer (Fn. 2), E 54, 55. 26 Aktuelle Fassung vom 18.6.2009. 27 Zur neuesten Rechtslage: unten V.

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2. Schrifttum und Rechtsprechung Die im Sinne einer vorsichtigen Differenzierung dargestellte Entwicklung der Gesetzgebung fand im Schrifttum weithin Zustimmung. Bereits im Jahre 2002 stellte etwa die Group of German Experts on Corporate Law dezidiert fest: „Die Frage, ob künftig stärker zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Gesellschaften unterschieden werden soll, ist mit Nachdruck zu bejahen“.28 Und unwidersprochen konstatierte im Jahre 2006 Holger Fleischer: Die ursprüngliche „Einheit des Aktienrechts“ sei zur „Stammregelung mit Differenzierungen“ geworden.29 Bereits zuvor hatte er angemerkt, dass ein „Recht im Werden“ sei, das man – im Anschluss an Peter Nobel 30 -„bündig als Börsengesellschaftsrecht bezeichnen kann“.31 Auch auf die Rechtsprechung blieb diese Entwicklung nicht ohne Einfluss: So revidierte etwa der BGH in der Siemens/Nold-Entscheidung vor dem Hintergrund zahlreicher Anfechtungsklagen in börsennotierten Publikumsgesellschaften kurzerhand seine Rechtsprechung zum Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital,32 und das BVerfG verlangte einerseits im DAT/ Altana-Beschluss die Beachtung des Börsenkurses bei der Abfindung von Minderheitsaktionären,33 gestattete aber in der Motometer-Entscheidung auch den Entzug der Mitgliedschaft, wenn nur sichergestellt sei, dass der Aktionär für seine Vermögensverluste angemessen entschädigt werde 34. Diese Rechtsprechung wurde für den Squeeze out fortgeführt.35 Das teilweise Nebeneinander zwischen Aktien- und Kapitalmarktrecht hat vielfältige Abstimmungsprobleme geschaffen, die allmähliche Herausbildung eines Börsengesellschaftsrechts aber auch zahlreiche Fragen der sachgerechten rechtspolitischen Zuordnung. Die vielfältigen Regelungsredundanzen, Zieldivergenzen, Funktionsäquivalenzen, Norminterdependezen, Mitwirkungsingerenzen und Wertungsinterferenzen 36 sind teilweise deshalb schwierig zu beantworten, weil sich das Kapitalmarktrecht nicht systematisch strin-

28 Group of German Experts on Corporate Law (Walter Bayer, Holger Fleischer, Michael Hoffmann-Becking, Marcus Lutter, Ulrich Noack, Volker Röhricht, Karsten Schmidt, Peter Ulmer, Herbert Wiedemann, Martin Winter, Wolfgang Zöllner) ZIP 2002, 1310, 1311. 29 Fleischer ZIP 2006, 451, 454; vgl. auch Merkt ZGR 2007, 532, 540. 30 Begriff zuerst bei Nobel FS Bär, 1998, S. 301. 31 Fleischer ZHR 165 (2001), 514, 515. 32 BGHZ 136, 133; krit. Lutter JZ 1998, 50 ff. („Unglück“); ausf. Bayer in MünchKommAktG, 2. Aufl. 2005, § 203 Rn. 105 ff. 33 BVerfG AG 1999, 566 m. Anm. E. Vetter; vgl. auch Riegger DB 1999, 1889 ff. 34 BVerfG ZIP 2000, 1670, 1672; dazu Neye EWiR 2000, 913. 35 BVerfG NJW 2007, 3268, 3270 („Edscha AG“). 36 Typisierung nach Fleischer ZIP 2006, 451, 456 ff.; zum Ganzen auch näher Bayer (Fn. 2), E 59 f.

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gent und häufig auch ohne jede Rücksicht auf das Aktienrecht entwickelt hat.37 Dies gilt insbesondere für das Börsengesellschaftsrecht.38 Angemahnt wurde daher ein konsistentes Börsengesellschaftsrecht zu entwickeln, das jedoch insgesamt auch mit der Neustrukturierung des Kapitalmarktrechts abgestimmt sein muss.39 3. Aufgabe der Satzungsstrenge? Überwiegend abgelehnt wurde indes die rechtspolitische Forderung – der auch unser Jubilar große Sympathien entgegenbrachte 40 –, die auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zurückgehende 41 und seit dem Jahr 1965 in § 23 Abs. 5 AktG kodifizierte Satzungsstrenge generell aufzugeben.42 Zwar wurde die Gefahr einer „Überregulierung“ 43 sowie auch eine gewisse „Innovationsfeindlichkeit“ 44 von den Befürwortern der gesetzlichen Regelung durchaus gesehen. Entschieden zurückgewiesen wurden allerdings sowohl das Argument, für die Aktionäre nachteilige Corporate Governance-Regelungen in der Satzung würden ebenso wie „Vertragsauslegungsschwierigkeiten“ bei der Bewertung ökonomisch im Preis der Aktie berücksichtigt als auch die Annahme, die Regeln des Kapitalmarkts seien für den Anlegerschutz ausreichend.45 Vielmehr wurde von der h.M. auf den großen Vorteil der satzungsrechtlichen Standardisierung hingewiesen, der für jetzige und künftige Aktionäre Vertrauen und Rechtssicherheit schaffe und zugleich auch die Transaktionskosten des Aktienerwerbs senke, was sich sowohl für die Aktionäre als auch für die Unternehmen positiv auswirke. Der kapitalmarktrechtliche Schutz sei im Übrigen auch keineswegs gleichwertig.46 Auch die Regierungskommission Corporate Governance kam daher im Jahre 2001 zu

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Vgl. Bayer (Fn. 2), E 60. Näher Bayer (Fn. 2), E 60 f.; s. ferner auch Fleischer ZIP 2006, 451, 458; Habersack/ Schürnbrand in Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. I, Kap. 17 Rn. 71. 39 Bayer (Fn. 2), E 61; s. ferner auch Fleischer ZGR 2007, 500, 505, der „die Ausarbeitung einer kohärenten kapitalmarktrechtlichen Kodifikation“ zum „Beruf unserer Zeit für die Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ erklärt. 40 Vgl. Hopt ZGR-Sonderheft 13 (1998), 123, 144 ff. 41 Dazu ausf. Spindler in Bayer/Habersack (Fn. 38), Bd. II, Kap. 22 Rn. 14 ff. m.w.N. 42 So nachdrücklich Mertens ZGR 1994, 426 ff.; vgl. weiter Hirte ZGR-Sonderheft 13 (1998), 61 ff.; Spindler AG 1998, 53 ff.; Eidenmüller JZ 2001, 1041 ff.; Merkt AG 2003, 126 ff. 43 Dazu Fleischer FS Röhricht, 2005, S. 75, 87. 44 Dazu Hopt ZHR-Sonderheft 71 (2002), 27, 39. 45 So insbesondere Hirte ZGR-Sonderheft 13 (1998), 61 ff. und Spindler AG 1998, 53 ff. 46 Nachdrücklich Röhricht in GroßkommAktG, 4. Aufl. 1996, § 23 Rn. 167; vgl. weiter Henssler/Wiedemann in Bayer/Habersack (Fn. 38), Bd. II, Kap. 1 Rn. 10; Kalss/Schauer Die Reform des Österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, Gutachten für den 16. Österreichischen Juristentag 2006, S. 54 ff.; vgl. weiter zum Meinungsstand: Bayer (Fn. 2), E 36 ff. 38

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dem Ergebnis, dass das deutsche Modell der standardisierten börsennotierten Publikums-AG auch de lege ferenda nicht aufgegeben werden sollte.47 Die verbreitete Kritik im neueren Schrifttum an der Satzungsstrenge hat allerdings den Blick dafür geschärft, dass zwingendes Aktienrecht vor allem mit dem Schutz der Aktionäre von börsennotierten Publikumsgesellschaften begründet wird. Denn das traditionelle Leitbild des Aktiengesetzes und seiner zahlreichen zwingenden Vorschriften ist seit der grundlegenden Aktienrechtsreform von 1884 die börsennotierte Publikumsgesellschaft.48 Vor dem rechtstatsächlichen Hintergrund, dass die Aktien der meisten (kleinen wie großen) Gesellschaften entweder an der Börse oder doch zumindest außerbörslich gehandelt wurden, ging es der Aktienrechtsnovelle 1884 ausweislich der Gesetzesbegründung vorrangig darum, die Funktionsfähigkeit der Aktiengesellschaft als Kapitalsammelstelle sicherzustellen.49 Mit zwingenden Regeln zur Gründung, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sollte die Bevölkerung vor dem verbreiteten Gründungsschwindel 50 geschützt werden; die Platzierung von Aktien aus unseriösen Gründungen, die im Zusammenwirken mit „unverantwortlichen Emissionshäusern an den Markt gebracht wurden“,51 sollte unterbunden und zugleich sollten die Rechte der AnlegerAktionäre gegenüber den Gründern und Verwaltungsorganen gestärkt werden.52 Zentrales Anliegen der Aktienrechtsnovelle von 1884 war der Anlegerschutz; dieses Ziel sollte mit zwingenden Vorschriften zur Finanzverfassung erreicht werden.53

47 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, 2001, Rn. 1, 4. 48 Bayer (Fn. 2), E 22 ff. m.w.N. 49 Allgemeine Begründung zum Entwurf eines Gesetzes betreffend die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 7. März 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 387, 412 („Aktien als Börsenware“), 414; vgl. weiter Escher-Weingart Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht, 2001, S. 95 ff.; Hommelhoff FS Ulmer, 2003, S. 267, 269. 50 Dazu aus dem zeitgenössischen Schrifttum Jhering Der Zweck im Recht, 1877, Bd. I, S. 218: „Unter den Augen unserer Gesetzgeber haben sich die Aktiengesellschaften in organisierte Raub- und Betrugsanstalten verwandelt, deren geheime Geschichte mehr Schurkerei in sich birgt, als manches Zuchthaus, nur daß die Räuber und Betrüger statt in Eisen in Gold sitzen“. Und weiter (S. 222): „Die Verheerungen, die sie [die Aktiengesellschaften] im Privatbesitz angerichtet haben, sind ärger, als wenn Feuers- und Wassernot, Mißwachs, Erdbeben, Krieg und feindliche Okkupation sich verschworen hätten, den Nationalwohlstand zu ruinieren“. S. ferner auch die weiteren Nachweise bei Bayer (Fn. 2), E 23 Fn. 110. 51 Allgemeine Begründung (Fn. 49), S. 414. 52 Siehe zur Entwicklung des Aktienrechts die ausführliche Darstellung bei Bayer/ Habersack (Fn. 38); speziell zur Aktienrechtsnovelle 1884: Hofer ebd., Bd. I, Kap. 11; speziell zum Schutz vor unseriösen Gründungen: Schäfer/Jahntz ebd., Bd. II, Kap. 5 Rn. 35 ff.; Bayer ebd., Bd. II, Kap. 17 Rn. 36 ff. 53 Ausf. Bayer in Bayer/Habersack (Fn. 38), Bd. II, Kap. 17, Rn. 36 ff.; Hofer ebd., Bd. I, Kap. 11 Rn. 15, 25 ff.

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Vor diesem Hintergrund wird daher vermehrt für nichtbörsennotierte Aktiengesellschaften ein deutliches Mehr an Satzungsfreiheit eingefordert, da der Gesetzgeber für diesen Typus der AG – der heute zahlenmäßig bei weitem überwiegt 54 – mit der Vorschrift des § 23 Abs. 5 AktG weit über das Ziel hinausgeschossen habe. Insbesondere unser Jubilar hat diesen Standpunkt vehement vertreten.55 Aufgrund der typologischen Nähe zur GmbH und der Vergleichbarkeit ihrer Gesellschafterstruktur bestehe bei der nichtbörsennotierten AG für eine Satzungsstrenge im bisherigen Ausmaß keine Notwendigkeit.56 Das Argument der Standardisierung gehe hier mangels Anlegerschutzinteressen ins Leere. Vielmehr seien in einer personalistisch geprägten AG die Aktionäre nicht nur kapitalistisch beteiligt, sondern willens und auch in der Lage, die Geschicke ihrer Gesellschaft mitzubestimmen; daher gingen in dieser Konstellation die gesetzlichen Anforderungen an den Aktionärsschutz an der Wirklichkeit vorbei. Dieser rechtspolitischen Forderung nach einer stärkeren Differenzierung de lege ferenda hat sich im Jahre 2001 auch die Regierungskommission Corporate Governance angeschlossen.57 4. Das Gutachten zum 67. DJT Diese am Normzweck der Satzungsstrenge orientierte Unterscheidung hat auch das für die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 67. DJT erstellte Gutachten aufgegriffen 58 und einerseits bei nichtbörsennotierten Gesellschaften für eine vorsichtige Auflockerung der Satzungsstrenge plädiert 59 sowie andererseits die Forderung erhoben, bei börsennotierten Gesellschaften den Kleinaktionär den Realitäten entsprechend stärker als Kapitalanleger zu betrachten und den bisherigen Schutz der Mitgliedschaft vorrangig durch einen verbesserten Vermögensschutz zu ersetzen; der mitgliedschaftliche Schutz sollte im Wesentlichen nur noch unternehmerisch beteiligten Aktionären zugute kommen.60 Dieser vorgeschlagene Kurswechsel zielte auf einen besse54

Ausf. rechtstatsächliche Angaben bei Bayer (Fn. 2), E 19 ff. Hopt ZGR-Sonderheft 13 (1998), 123, 144; vgl. weiter Hommelhoff FS Ulmer, 2003, S. 267, 271; Lutter AG 1994, 420 ff.; G. H. Roth in G. H. Roth (Hrsg.), Das System der Kapitalgesellschaften im Umbruch – ein internationaler Vergleich, 1990, S. 1, 14 f.; vgl. weiter Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 23 Rn. 53; ausf. Pleßke Die Satzungsstrenge im Aktienrecht, 2007. 56 Vgl. Hopt ZGR-Sonderheft 13 (1998), 123, 144 f.; zustimmend die Diskussion, vgl. den Bericht bei Ziemons ebd., S. 148, 150. 57 Vgl. Baums (Fn. 47), Rn. 4. 58 Siehe Bayer (Fn. 2); vgl. auch Bayer in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, II/2, 2008, N 117 ff.; vgl. auch die Zusammenfassung mit Thesen in NJW 2008, Beilage zu Heft 21, 21 ff. sowie auch die Zusammenfassung in englischer Sprache bei J. Schmidt EBOR 9 (2008) 637, 642. 59 Bayer (Fn. 2), E 99, E 101 ff., E 128 f. 60 Bayer (Fn. 2), E 98, E 101 ff., E 128 f. 55

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ren Kapitalanlegerschutz und hätte das leidige Thema querulatorischer und räuberischer Aktionärsklagen gleichsam „miterledigt“,61 und zwar auf eine überzeugendere und systemkonformere Weise, als dies der Gesetzgeber – wieder einmal 62 – gerade mit dem ARUG 63 in Angriff genommen hat.64 Für nichtbörsennotierte Gesellschaften sollte der Gestaltungsspielraum künftig insbesondere die Ebene der Aktionäre zueinander erfassen 65 (Stichworte: Aktienerwerb, Ankaufsrechte und Ankaufspflichten, Stimmrecht, Entsendungsrechte, Abfindungen) und in eingeschränktem Maße auch die Organisationsverfassung 66 (Stichworte: monistisches bzw. dualistisches Leitungssystem, Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat, Zustimmungsvorbehalte der Hauptversammlung, Beschlussverfahren). Abgelehnt wurde hingegen eine generelle Aufhebung der Satzungsstrenge; 67 vielmehr sollte auch in der nichtbörsennotierten Aktiengesellschaft die grundlegende Struktur dieser Rechtsform durch zwingende Mindestregelungen beibehalten und auf diese Weise insbesondere der Abstand zur kleinen Kapitalgesellschafts-Schwester, der GmbH, gewahrt werden.68 Diese Abstandswahrung würde noch unterstützt, hätte sich der Gesetzgeber zu einer weitergehenden Deregulierung des GmbH-Kapitalschutzsystems entschlossen.69 Denn die vom Gesetzgeber mit dem MoMiG verwirklichte Kompromisslösung ist weder Fisch noch Fleisch: Aus der Sicht eines präventiven Kapitalaufbringungsrechts traditioneller Prägung sind die neuen Vorschriften zur verdeckten Sacheinlage und zum Hin-und-Herzahlen zu schwach, aus der Sicht eines modernen, im Wettbewerb der Rechtsordnung stehenden GmbH-Rechts jedoch zu streng und insbesondere auch in sich widersprüchlich.70 Weil im Ergebnis ohne besonderen Wert und damit weitgehend überflüssig, könnte im Rahmen der zukünftigen weitergehenden Deregulierung des GmbH-Rechts das gesamte Recht der Kapitalaufbringung einschließlich der Unterscheidung zwischen Bar- und Sacheinlage abgeschafft und durch ein an das Modell der KG angelehntes System ersetzt werden.71 61

Dazu Bayer (Fn. 2), E 107 f. Gescheitert war nach eigener Aussage des Gesetzgebers die Bekämpfung solcher Klagen durch das UMAG: s. Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 1, 28, 62. 63 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2479. 64 Bayer in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, II/2, 2008, N 119. 65 Bayer (Fn. 2), E 103 ff. 66 Bayer (Fn. 2), E 112 ff. 67 Ausf. Begründung bei Bayer (Fn. 2), E 81 ff. 68 Zum Abstandsargument: Bayer (Fn. 2), E 97. 69 Dazu Bayer (Fn. 2), E 118 ff.; grundlegend ders. ZGR 2007, 220 ff. 70 Ausf. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 19 Rn. 51, 89; Bayer/J. Schmidt ZGR 2009, 805, 833, 841 f., 845 f. m.w.N. 71 Bayer (Fn. 2), E 118 ff. im Anschluss an ZGR 2007, 220, 233 ff.; weitgehend übereinstimmend auch J. Vetter in Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, 2006, II/1, P 75 ff., P 84 ff. 62

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II. Stellungnahmen im Schrifttum, Referate und Beschlussfassung auf dem 67. Deutschen Juristentag Die Stellungnahmen aus der Wissenschaft im Vorfeld des 67. DJT waren höchst unterschiedlich: Zwar fand die im Gutachten vertretene mittlere Linie, dass bei nichtbörsennotierten Gesellschaften weniger strikte Regeln gelten sollten als bei börsennotierten Gesellschaften, ohne jedoch auf zwingendes Recht (Satzungsstrenge) vollständig zu verzichten, im Grundsatz weitgehende Zustimmung.72 Teilweise wurde jedoch eine deutlich weiterreichende Satzungsfreiheit (und zwar auch für börsennotierte Gesellschaften) gefordert,73 teilweise wurden aber bereits die lediglich punktuell empfohlenen Lockerungen der Satzungsstrenge für die nichtbörsennotierte Gesellschaft als Angriff auf die Organisationsstruktur der AG kritisiert.74 Bei den Beratungen des 67. DJT 75 waren eindeutig die beharrenden Kräfte – vielfach aus den Reihen der Anwälte und der Notare – in der Überzahl: Selbst die gemäßigte Forderung, in nichtbörsennotierten Gesellschaften im Rahmen der Rechtsbeziehungen der Aktionäre zueinander größere Gestaltungsfreiheit zu gewähren, wurde – wenn auch knapp – abgelehnt.76

III. Analyse und Kritik Auch nach den Beratungen des 67. DJT bleibt als Ergebnis festzuhalten: Die aktienrechtliche Satzungsstrenge ist rechtspolitisch vorrangig mit dem Schutz von aktuellen und künftigen Anleger-Aktionären zu begründen. Weil sie jedoch auch die Struktur der Aktiengesellschaft als solche sichert und damit den Abstand zur kleinen Schwester GmbH aufrecht erhält, ist es gerechtfertigt, auch bei der nichtbörsennotierten Gesellschaft die Satzungsstrenge nur punktuell zu lockern. Generell hiervon nicht berührt sind alle im Gläubigerinteresse existierenden zwingenden Vorschriften, insbesondere die Regelungen zur Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung. 72 Mülbert in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, II/1, 2008, N 55 ff.; Wymeersch, ebd., N 84; M. Roth AnwBl. 2008, 580 ff.; Schäfer NJW 2008, 2536, 2538; Spindler AG 2008, 598, 600, 602. 73 Richter ZHR 172 (2008), 419, 449; Spindler AG 2008, 598, 600 ff.; Wymeersch (Fn. 72), N 84 ff.; dezidiert auch Hopt in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, II/2, N 132 ff.; dagegen nachdrücklich Schäfer NJW 2008, 2536, 2537 ff., 2543; Mülbert (Fn. 72), N 55 ff. (Referat) und in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, II/2, N 135 ff. (Diskussionsbeitrag); skeptisch gegenüber einem umfassend gedachten „Börsengesellschaftsrecht“ Windbichler JZ 2008, 840, 841. 74 Schäfer NJW 2008, 2536, 2541 ff.; vgl. auch Krieger in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, II/1, N 29. 75 Überblick bei J. Schmidt EBOR 9 (2008) 637, 643 ff. 76 Antrag Nr. 9 abgelehnt mit 36:38:4.

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Als Eingriff in die Vertragsfreiheit ist die Satzungsstrenge begründungsbedürftig. Das Argument mancher Diskussionsredner, Auflockerungen der Satzungsstrenge seien schon deshalb nicht geboten, weil anstelle der Rechtsform der AG auch die Rechtsform der GmbH und damit ein größeres Maß an Flexibilität gewählt werden könne,77 trägt daher nicht.78 Ohne sachlichen Grund sollte der Gesetzgeber Einschränkungen der Vertragsfreiheit nicht allein deshalb vornehmen, weil die Beteiligten auf eine andere Rechtsform oder – nach Wahl der Rechtsform der AG – auf schuldrechtliche Nebenabreden ausweichen können.79 Man kann somit zwar darüber streiten, ob die stärkere Differenzierung zwischen börsen- und nichtbörsennotierten Gesellschaften eine im Interesse mittelständischer Unternehmer liegende rechtspolitische Forderung von hoher oder niedriger Dringlichkeit ist („nice to have“ 80); das legitime und auf den elementaren Freiheitsbegriff zurückzuführende Anliegen, die Satzungsstrenge für nichtbörsennotierte Gesellschaften an geeigneter Stelle zurückzuschrauben, verliert durch diese Diskussion jedoch keineswegs an Überzeugungskraft. Das gegenteilige Argument nach dem Motto „Brauchen wir nicht, haben wir noch nie so gemacht“ ist ohne jede inhaltliche Substanz.81 Dagegen ist für börsennotierte Gesellschaften mit guten Gründen an der Satzungsstrenge festzuhalten.82 Denn es ist zum Beispiel offensichtlich, dass allein kapitalmarktrechtliche Schutzvorschriften gute Corporate Governance nicht gewährleisten können. Zu Recht hat vielmehr der Gesetzgeber auf eklatantes Versagen der Aufsichtsräte bei der Vorstandsüberwachung und Vorstandsvergütung 83 mit schärferen aktienrechtlichen Regelungen reagiert;84 diese stehen auch nicht zur Disposition durch die Satzung. Diese Regulierung ist kein Eingriff in elementare Eigentümerrechte der Aktionäre, sondern im Gegenteil die einzig sachgerechte Reaktion des Gesetzgebers auf die Ohnmacht von Aktionären in einer Publikumsgesellschaft, die sich gegen unheilvolle Manager-Allianzen aus Vorstand und Aufsichtsrat – die nicht die 77 So beispielsweise Ziemons in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, II/2, N 130, N 131. 78 So bereits Bayer (Fn. 58), N 236. 79 Wie hier Lutter in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, II/2, N 123 f., N 183; Krieger ebd., N 230. 80 So Reichert in Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, 2008, II/2, N 178 („über eine solche Differenzierung würde man sich freuen, sie drängt sich aber nicht … auf“); zust. Lutter ebd., N 185; Krieger ebd, N 230. 81 Siehe bereits Bayer (Fn. 58), N 236. 82 Zustimmend Lutter (Fn. 79), N 124; Habersack AG 2009, 1, 7; J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637, 644. 83 Dazu auch Lutter (Fn. 79), N 183 sowie allgemein zur Notwendigkeit einer Professionalisierung des Aufsichtsrates ders. DB 2009, 775 ff. 84 Zu dieser rechtspolitischen Forderung: Bayer Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2008, 313, 329 ff.

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Regel, aber auch nicht die seltene Ausnahme sind – nicht in angemessener Weise wehren können.85 Anlegerschutz lässt sich entgegen machen Phantasie-Vorstellungen auch nicht allein durch die Kräfte und Mechanismen des (Kapital-)Markts realisieren: Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat vielmehr eindrucksvoll belegt, wohin Marktgläubigkeit und eine übertriebene Deregulierung führen.86 Daher geben auch die Erfahrungen aus dem Ausland, dem eine Satzungsstrenge nach deutschem Muster fremd ist, keinen Anlass, für börsennotierte Gesellschaften von diesem standardisierten aktienrechtlichen Schutz abzuweichen.87

IV. Gesetzliche Differenzierungen zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften im Zeitraum 2008/2009 Wie bereits vom zuständigen Referatsleiter im BMJ, Ulrich Seibert, auf dem 67. DJT angekündigt,88 hat auch der Gesetzgeber den Weg einer Differenzierung weiter beschritten und im Zeitraum 2008/2009 im Aktiengesetz zahlreiche weitere Sondervorschriften für börsennotierte Gesellschaften bzw. Ausnahmen für nichtbörsennotierte Gesellschaften eingeführt. Bemerkenswert ist, dass hierbei durch das VorstAG 89 erstmals eine einschneidende Differenzierung auch im Recht des Vorstands und des Aufsichtsrats erfolgte: So ist die Struktur der Vorstandsvergütung nur bei börsennotierten Gesellschaften zwingend auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten (§ 87 Abs. 1 S. 2 AktG).90 Und nur die Hauptversammlung börsennotierter Gesellschaften hat das Recht, zum System der Vorstandsvergütung einen billigenden oder missbilligenden Beschluss zu fassen (§ 120 Abs. 4 S. 1 AktG).91 Und ebenso gilt nur für Aufsichtsräte börsennotierter Gesellschaft

85 Hierzu auch Bayer in Pauly (Hrsg.), Wendepunkte – Beiträge zur Rechtsentwicklung der letzten 100 Jahre (Jenaer Woche der Rechtswissenschaft 2009), 2009, S. 101, 114 ff. 86 So schon Bayer (Fn. 58), N 118. 87 Wie hier auch Mülbert (Fn. 73), N 135 ff. 88 Seibert Diskussionsbeitrag N 127: „Das wird fortgesetzt. Also insofern laufen Sie hier, jedenfalls in Berlin, ganz offene Türen ein mit Ihrem Grundsatz“. 89 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2509. 90 Dazu Bericht Rechtsausschuss z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; vgl. weiter etwa Bauer/Arnold AG 2009, 717, 721; Fleischer NZG 2009, 801, 802 f.; Seibert WM 2009, 1489, 1490; Thüsing AG 2009, 517, 519 f. 91 Dazu Bericht Rechtsausschuss z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 12; vgl. weiter etwa Begemann/Laue BB 2009, 2442 ff.; Fleischer/Bedkowski AG 2009, 677 ff.; Lutter EuZW 2009, 799, 801; Seibert WM 2009, 1489, 1491 f.; Thüsing AG 2009, 517, 524 f.; E. Vetter ZIP 2009, 2136 ff.

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das Verbot, vor Ablauf einer cooling-off-Periode von zwei Jahren vom Vorstand in den Aufsichtsrat zu wechseln (§ 100 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AktG).92 Weitere Differenzierungen finden sich im Aktiengesetz in § 100 Abs. 5,93 § 107 Abs. 4,94 § 121 Abs. 3 S. 3,95 § 121 Abs. 4a,96 § 121 Abs. 7 S. 4,97 § 124 Abs. 1 S. 2 HS 2,98 § 124 Abs. 3 S. 2,99 § 124a,100 § 125 Abs. 1 S. 3,101 § 126 Abs. 1 S. 3,102 § 130 Abs. 2 S. 3,103 § 130 Abs. 6,104 § 134 Abs. 3 S. 3105 und 4,106 § 135 Abs. 5 S. 4 107, § 161 Abs. 1 S. 2 108 AktG. Wir sehen also: Auch der Gesetzgeber erkennt verstärkt an, dass über kapitalmarktrechtliche Regelungen hinaus auch im Aktienrecht – und insbesondere auch im Organisationsrecht – zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Gesellschaften zu differenzieren ist.

V. Börsennotierung (neu) als Trennlinie Als Trennlinie für eine Differenzierung kommt nach ganz herrschender Auffassung allein die Börsennotierung in Betracht.109 Börsennotiert sind nach der jetzigen Legaldefinition in § 3 Abs. 2 AktG jedoch nur solche Gesellschaften, „deren Aktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staat92 Dazu Bericht Rechtsausschuss z. VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 11; vgl. weiter etwa Fleischer NZG 2009, 801, 806; Hohenstatt/Kuhnke ZIP 2009, 1981 ff.; Seibert WM 2009, 1489, 1492 f.; Thüsing AG 2009, 517, 528. 93 Siehe dazu u. Fn. 120. 94 Siehe dazu u. Fn. 120. 95 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 27, 40 f. 96 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 27, 41. 97 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 42. 98 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 27, 44. 99 Dazu Begr. RegE z. BilMoG, BR-Drucks. 344/08, S. 226; Differenzierungsmerkmal ist hier allerdings die „Kapitalmarktorientierung“ i.S.v. § 264d HGB (dazu näher unten Fn. 116). 100 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 44 f. 101 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 45. 102 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 46. 103 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 47 f.; Bericht Rechtsausschuss z. ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 39. 104 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 48. 105 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 48 f.; Bericht Rechtsausschuss z. ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 39. 106 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 49. 107 Dazu Begr. RegE z. ARUG, BR-Drucks. 847/08, S. 52. 108 Dazu Begr. RegE z. BilMoG, BR-Drucks. 344/08, S. 227 ff. Auch hier ist die Differenzierung allerdings etwas anders, dazu noch unten bei Fn. 123. 109 Ausf. Bayer (Fn. 2), E 92 ff.; ebenso bereits Kalss/Schauer (Fn. 46), S. 65 ff.; vgl. auch bereits Regierungskommission Corporate Governance, bei Baums (Fn. 47), Rn. 4; zust. auch Habersack AG 2009, 1, 11; Spindler AG 2008, 598, 603.

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lich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglich ist“. Erfasst sind somit nur Gesellschaften, deren Aktien im regulierten Markt (§§ 32 ff. BörsG) bzw. an einer vergleichbaren Börse im Ausland gehandelt werden.110 Sowohl der den Börsen privatrechtlich angegliederte Freiverkehr als auch der außerbörsliche Handel (Telefonhandel, Xetra, OTC-Handel) sind somit von der Definition „börsennotiert“ nicht erfasst.111 Wenn auch mit unterschiedlichen Abstufungen 112 unterliegt der Handel mit nichtbörsennotierten Aktien teilweise deutlich geringen Anforderungen als der Handel mit börsennotierten Aktien. Erwerber nicht börsennotierter Aktien werden daher durch kapitalmarktrechtliche Vorschriften weniger geschützt als Erwerber börsennotierter Aktien. Es wurde daher bereits in der Vergangenheit ausführlich diskutiert, ob nicht die Trennlinie für eine Differenzierung am Merkmal der „Kapitalmarktorientierung“ statt am Merkmal der „Börsennotierung“ gezogen werden sollte.113 Doch wurde diese Überlegung aus verschiedenen Gründen verworfen. Dagegen spricht insbesondere, dass eine Differenzierung im Hinblick auf die aktienrechtliche Organisationsverfassung nur dann in Betracht kommt, wenn die Aktiengesellschaft selbst durch ihre freie Entscheidung von der weniger regulierten Gruppe (der nichtbörsennotierten Gesellschaften) zur schärfer regulierten Gruppe (der börsennotierten Gesellschaften) hinübergewechselt ist. Allein der Umstand, dass ihre Aktien ohne Einfluss der Gesellschaft am Kapitalmarkt außerhalb einer Börsennotierung gehandelt werden, kann für einen Wechsel im Rechtssystem nicht ausreichen.114 In die richtige Richtung weist indes die von Carsten Schäfer und Markus Roth in die Diskussion eingeführte Betrachtung, die Abgrenzung anhand von § 264d HGB vorzunehmen.115 Nach dieser neuen Vorschrift wird bilanzrechtlich als „kapitalmarktorientierte Gesellschaft“ jede Gesellschaft betrachtet, die entweder Aktien oder auch sonstige Wertpapiere (etwa Anleihen) mit ihrer Zustimmung in den Handel am regulierten Markt einbringt.116 Als 110 111

Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 3 Rn. 6. Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 3 Rn. 6; Lutter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 3

Rn. 6. 112 Erhöhte Anforderungen gelten etwa im Teilsegment des Freiverkehrs „Entry Standard“; vgl. Bacher/Keppler Der Entry Standard der Deutschen Börse, 2006, S. 25 ff. 113 Ausf. Bayer (Fn. 2), E 92 ff. 114 Wie hier auch Kalss/Schauer (Fn. 46), S. 115 ff.; Windbichler JZ 2008, 840, 846; Krieger (Fn. 74), N 27. 115 Schäfer NJW 2008, 2536, 2541; M. Roth AnwBl. 2008, 580, 581. 116 Nach der Legaldefinition des § 264d HGB ist eine Gesellschaft kapitalmarktorientiert, wenn sie einen organisierten Markt im Sinn des § 2 Abs. 5 WpHG durch von ihr ausgegebene Wertpapiere im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 1 WpHG in Anspruch nimmt oder die Zulassung solcher Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt beantragt hat. Näher zum Begriff etwa Melcher/Mattheus DB 2009, Beil. 5 zu Heft 23, 77; Wiese/Lukas GmbHR 2009, 561, 565; Zwirner NZG 2009, 530, 535.

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Abgrenzungsmerkmal vorzugswürdig wäre allerdings die Zustimmung zum Aktienhandel.117 Aufgrund europäischer Vorgaben 118 hat der Gesetzgeber den weiteren Ansatz des § 264d HGB jedoch jüngst durch das BilMoG 119 bereits in § 100 Abs. 5 AktG und § 107 Abs. 4 AktG 120 sowie in § 124 Abs. 3 S. 2 AktG 121 übernommen; darüber hinaus wurde mit § 161 Abs. 1 S. 2 AktG 122 die Verpflichtung zur Abgabe einer Corporate Governance Erklärung über die börsennotierte AG hinaus auch auf i.w.S. „kapitalmarktorientierte“ 123 Gesellschaften erstreckt. Daher wird hierüber noch vertiefter zu diskutieren sein. Ungeachtet dieser Frage wäre es allerdings höchst unpraktikabel und auch systematisch nicht überzeugend, im Aktienrecht neben einer gesetzlichen Differenzierung zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Gesellschaften eine dritte Gruppe solcher Gesellschaften einzuführen, deren Aktien (oder auch sonstige Wertpapiere) mit ihrem Willen am Kapitalmarkt gehandelt werden.124 Überzeugender ist vielmehr der Vorschlag von Peter Mülbert, die Definition der börsennotierten Gesellschaften einfach um diese Fallgruppe zu erweitern.125 Diesem Vorschlag hat sich – neben dem Gutachter 126 – auch 117

So auch Habersack AG 2009, 1, 11 und zuvor bereits Windbichler JZ 2008, 840, 846. Vgl. Art. 41 der neuen Abschlussprüfer-RL (RL 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates, ABlEU v. 9.6.2006, L 157/87) sowie Art. 46a der Bilanz-RL (Vierte Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsform, ABlEG v. 14.08.1978, L 222/11, zuletzt geändert durch RL 2009/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.6.2009 zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf bestimmte Angabepflichten mittlerer Gesellschaften sowie die Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses, ABlEU v. 26.6.2009, L 164/42). 119 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, S. 1102. 120 Näher zu den neuen §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG: Begr. RegE z. BilMoG, BR-Drucks. 344/08, S. 222 ff.; Diekmann/Bidmon NZG 2009, 1087 ff.; Ernst/Seidler ZGR 2008, 631, 663 ff.; v. Falkenhausen/Kocher ZIP 2009, 1601 ff.; Gruber NZG 2008, 12 ff.; Habersack AG 2008, 98, 103 ff.; Jaspers AG 2009, 607 ff.; Kropff FS K. Schmidt, 2009, S. 1023 ff. 121 Dazu Begr. RegE z. BilMoG, BR-Drucks. 344/08, S. 226. 122 Dazu Begr. RegE z. BilMoG, BR-Drucks. 344/08, S. 227 ff.; Weber-Rey AG 2008, 345, 347. 123 Erfasst sind alle Gesellschaften, die ausschließlich andere Wertpapiere als Aktien zum Handel an einem organisierten Markt im Sinn des § 2 Abs. 5 WpHG ausgegeben haben und deren ausgegebene Aktien auf eigene Veranlassung über ein multilaterales Handelssystem im Sinn des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 des WpHG gehandelt werden; vgl. dazu auch Begr. RegE z. BilMoG, BR-Drucks. 344/08, S. 228. 124 Dagegen bereits Bayer (Fn. 2), E 92 ff.; ebenso Spindler AG 2008, 598, 603. 125 Mülbert (Fn. 72), N 54 f., ähnlich Wymeersch (Fn. 72), N 90. 126 Bayer (Fn. 58), N 119 (Diskussionsbeitrag) und N 237 (Schlusswort). 118

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die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 67. DJT mit großer Mehrheit angeschlossen.127 Mit dieser Erweiterung wäre der Einwand, dass Erwerber von Aktien, die am Kapitalmarkt außerhalb einer Börsennotierung gehandelt werden, auf ein geringeres Schutzniveau sowohl auf der Ebene des Kapitalmarktrechts als auch des Aktienrechts verwiesen werden,128 teilweise vom Tisch. Eine Differenzierung im Hinblick auf den kapitalmarktrechtlichen Schutz ist hierdurch nicht ausgeschlossen. Denn dass unterschiedliche Börsensegmente nur einen abgestuften Kapitalanlegerschutz bereithalten, ist in Anlegerkreisen weithin bekannt. Im Übrigen nimmt jeder Anleger größere Risiken bewusst in Kauf, wenn er sich gegen den Erwerb von Aktien börsennotierter Gesellschaften entscheidet.129

VI. Ausblick und Anwendungsfelder möglicher weiterer Differenzierungen Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die im Jahre 1994 eingeleitete Differenzierung zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften auch in Zukunft weiter voranschreiten. Der Idealtypus der Börsengesellschaft, die große Publikumsgesellschaft, verlangt geradezu im Interesse der Kapitalanleger eine strikte Regulierung; denn seit jeher trägt der Staat die Verantwortung für das Funktionieren dieser „Kapitalsammelstellen“, die im Übrigen auch infolge ihrer Größe und wirtschaftlichen Bedeutung im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stehen und daher von gesellschaftspolitischer Bedeutung sind. In diesem Sinne ist die Publikums-Aktiengesellschaft von Anbeginn eine „öffentliche Veranstaltung“, die treuhänderisch das Geld ihrer Aktionäre verwaltet.130 Eine solche strikte Regulierung ist für nichtbörsennotierte Aktiengesellschaften jedoch völlig fehl am Platze.131 Im Recht der börsennotierten Gesellschaft ist die traditionelle Sichtweise der lex lata, wonach auch der Kleinaktionär nicht nur formal Mitglied seiner AG ist, sondern in Erfüllung einer „Polizeifunktion“ auch die Aufgabe hat, die Einhaltung von Gesetz und Satzung einzufordern,132 überholt – und zwar bereits deshalb, weil jeder vernünftige Kleinaktionär nach der Maxime der

127

Antrag Nr. 3: angenommen (46:17:14). So etwa Döge/Jobst ILF Working Paper No. 99, S. 13 f.; zur Problematik bereits Bayer (Fn. 2), E 94 f. 129 Vgl. Bayer (Fn. 2), E 94 f. 130 Ausf. Bayer (Fn. 2), E 22 f. und ders. (Fn. 58), N 118; völlig missverstanden von Sünner, ebd., N 128, 129. 131 Ausf. Begründung unter III. 132 Zusammenfassend etwa Bayer VGR Bd. 2 (2000) 35, 36 ff.; vgl. auch Zöllner in Bayer/Habersack (Fn. 38), Bd. II, Kap. 10 Rn. 78 ff., 96. 128

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„rationalen Apathie“ davon abgehalten wird, auf eigenes (Kosten-)Risiko Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen zu erheben.133 Die Praxis kennt daher unterhalb der Schwelle sog. „Unternehmer-Aktionäre“ nahezu ausschließlich querulatorische und räuberische Kläger.134 Mit dem Einstieg in das vom Gutachten und auch der Mehrheit des 67. DJT geforderte Quorum 135 hat der ARUG-Gesetzgeber – in Anlehnung an vorhandene Minderheitenschutzregelungen 136 – die Unterscheidung zwischen Unternehmer-Aktionär und Kapitalanleger dem Grunde nach anerkannt. Nunmehr muss auf diesem Weg konsequent fortgeschritten werden. Auszubauen ist für Kapitalanleger der Vermögensschutz, einzuschränken hingegen ihr Recht, Hauptversammlungsbeschlüsse anzufechten.137 Gute Corporate Governance hat hingegen der Gesetzgeber durch präventive und repressive Pflichten- und Haftungsregeln sicherzustellen. Hinzu treten muss eine effizientere Kapitalmarktaufsicht. Im Übrigen sind Aktien- und Kapitalmarktrecht besser aufeinander abzustimmen.138 Dagegen sind für die nichtbörsennotierte Aktiengesellschaft Deregulierungen das Gebot der Stunde. Es hat sich gezeigt, dass es keinerlei sachliche Gründe gibt, die gegen eine punktuelle Lockerung der Satzungsstrenge spre133

Dazu ausf. Siems Die Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005, S. 111 ff. Vgl. ferner etwa auch Bachmann AG 2001, 635, 638 f.; Baums/v. Randow AG 1995, 145, 147; G. H. Roth ZIP 2003, 369, 376; Seibert AG 2004, 529; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 135 Rn. 68. 134 Empirisch Baums/Keinath/Gajek ZIP 2007, 1629 ff. 135 Vgl. Bayer E 107; vgl. weiter Antrag Nr. 15: angenommen (47:28:4). 136 Zu nennen sind: §§ 50 S. 1, 53 S. 1 (Verzicht auf Ersatzansprüche gegen Gründer etc.), §§ 93 Abs. 4 S. 3, 116 S. 1 (Widerspruch einer Minderheit gegen Verzicht auf Ersatzansprüche gegen Vorstands- bzw. Aufsichtsratsmitglieder), § 103 Abs. 3 S. 3 (Minderheitsverlangen auf Abberufung eines Aufsichtsratsmitglied aus wichtigem Grund), § 120 Abs. 1 S. 2 (gesonderte Abstimmung über Entlastung auf Verlangen einer Minderheit), § 122 (Einberufung der Hauptversammlung auf Verlangen einer Minderheit), § 137 AktG (Abstimmung über Wahlvorschlag eines Aktionärs vor dem Wahlvorschlag des Aufsichtsrats auf Verlangen einer Minderheit), § 138 (Minderheitsverlangen auf Einberufung einer gesonderten Versammlung oder Ankündigung von Gegenständen zur gesonderten Abstimmung), § 142 Abs. 2 und 4 (Minderheitsverlangen auf Bestellung eines bzw. eines anderen Sonderprüfers), § 147 Abs. 2 S. 2 (Minderheitsverlangen auf Bestellung eines besonderen Vertreters), § 148 Abs. 1 (Verfolgungsrecht einer Aktionärsminderheit), §§ 183a Abs. 3, 194 Abs. 5, 205 Abs. 5 S. 2 (Minderheitenrecht auf Bestellung eines sachverständigen Prüfers bei der vereinfachten Kapitalerhöhung), § 258 Abs. 2 S. 3 (Minderheitsverlangen auf Bestellung eines Sonderprüfers bei unzulässiger Unterbewertung), § 260 Abs. 1 und Abs. 3 S. 4 (Minderheitsverlangen auf gerichtliche Entscheidung gegen abschließende Feststellung der Sonderprüfer sowie entsprechendes Beschwerderecht), § 265 Abs. 3 (Minderheitsverlangen auf Bestellung bzw. Abberufung von Liquidatoren), § 302 Abs. 3 S. 3 (Widerspruch einer Minderheit gegen Verzicht auf Verlustübernahme), § 309 Abs. 3 S. 1 (Widerspruch einer Minderheit gegen Verzicht auf Ersatzansprüche gegen gesetzliche Vertreter des herrschenden Unternehmens), § 315 S. 2 (Minderheitsverlangen auf Sonderprüfung). 137 Bayer (Fn. 2), E 101 ff. 138 Dazu Bayer (Fn. 2), E 58 ff., E 99; vgl. auch Antrag Nr. 22: angenommen (77:0:4).

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chen.139 Allerdings besteht noch viel Klärungsbedarf in Einzelfragen.140 Pragmatisch sollten Reformen also dort ansetzen, wo weitgehende Einigkeit besteht. Dies ist auf der Ebene der Aktionäre zueinander der Fall: Sowohl die wissenschaftlichen Stellungnahmen im Vorfeld des 67. DJT als auch die Stellungnahmen aus der Praxis haben die Auffassung des Gutachtens bestätigt, dass ebenso wie in der GmbH auch in der nichtbörsennotierten AG Satzungsregelungen über Vorkaufs- und Andienungsrechte, Ausschlusstatbestände und Abfindungsfragen ermöglicht werden sollen,141 weil hierfür „ein hohes praktisches Bedürfnis besteht“ 142. Dass die Praxis teilweise schuldrechtliche Nebenabreden bevorzugt, um Einblicke Dritter zu vermeiden, spricht nicht dagegen. Vielmehr beweist gerade die Praxis bei der GmbH, dass sowohl schuldrechtliche als auch statutarische Vereinbarungen gleichberechtigt nebeneinander stehen.143 Auch Regelungen zu Stimmrechtsbeschränkungen und Stimmrechtserweiterungen könnten in der Satzung nichtbörsennotierter Aktiengesellschaften durchaus zugelassen werden,144 ebenso Schiedsgerichtsklauseln 145. Weitgehend unstreitig sind auch die Vorschläge, Beschlussfassungen der Hauptversammlung im Umlaufverfahren zu gestatten 146 oder der Hauptversammlung die Kompetenz zur Feststellung des Jahresabschlusses zu überantworten.147 Eingriffe in die Leitungskompetenz des Vorstands wurden indes ganz überwiegend auch für die nichtbörsennotierte AG abgelehnt.148 Diese Einwände wurden auch im Gutachten stets ernst genommen, so dass insbesondere auch ein Weisungsrecht der Hauptversammlung entgegen einzelnen Literaturstimmen 149 nicht befürwortet wurde.150 Satzungsmäßige Zustimmungsvorbehalte sollten indes ermöglicht werden;151 ein grundlegender Eingriff in die Verfassungsstruktur der Aktiengesellschaft ist hierin nicht zu

139

Ausf. unter III. Überblick über die entsprechende Diskussion auf dem 67. DJT bei J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637, 644 ff. 141 Ausf. Bayer (Fn. 2), E 104 m.w.N. 142 So Krieger (Fn. 74), N 37 (Referat) und ders. (Fn. 79), N 230 (Diskussionsbeitrag); Reichert ebd., N 178 f.; vgl. weiter Lutter ebd., N 183. 143 Zutreffend Krieger (Fn. 74), N 37. 144 Bayer (Fn. 2), E 109; ders. (Fn. 58), N 121; zust. Wymeersch (Fn. 72), N 96; Habersack AG 2009, 1, 10; Spindler AG 2008, 598, 604. 145 Bayer (Fn. 2), E 108; zur Rechtslage bei der GmbH: BGH ZIP 2009, 1003; Bayer (Fn. 70), § 3 Rn. 67; vgl. bereits Bayer ZIP 2003, 881 ff. (zu BGHZ 132, 278). 146 Bayer (Fn. 2), E 117; zust. Schäfer NJW 2008, 2542. 147 Bayer (Fn. 2), E 114, 115; zust. Schäfer NJW 2008, 2542. 148 Krieger (Fn. 74), N 37; Schäfer NJW 2008, 2536, 2542; Habersack AG 2009, 1, 11; vgl. zur Diskussion ferner auch J. Schmidt (2008) 9 EBOR 637, 646. 149 Dafür Hüffer in Bayer/Habersack (Fn. 38), Bd. II, Kap. 7 Rn. 12. 150 Bayer (Fn. 2), E 115, 116; vgl. auch schon Hommelhoff AG 1995, 529, 536. 151 So bereits Bayer (Fn. 2), E 116; ders. (Fn. 58), N 121. 140

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sehen.152 Das gleiche gilt für die Überlegung, neben Entsendungsrechten in den Aufsichtsrat auch Entsendungsrechte in den Vorstand in der Satzung zu verankern.153 Im Gegensatz zu verschärfenden Sonderregeln für börsennotierte Gesellschaften154 hat sich der Gesetzgeber bei der Deregulierung für nichtbörsennotierte Gesellschaften bislang weitgehend zurückgehalten. Er sollte diese Zurückhaltung aufgeben und im Sinne seiner Vorstellungen aus dem Jahre 1994 155 hier schrittweise Satzungsfreiheit gewähren.

VII. Schluss Unser Jubilar wird die weitere Entwicklung dieser Rechtsfragen sicherlich aufmerksam begleiten und sich auch künftig in die Diskussion einmischen. Zu seinem 70. Geburtstag erreichen ihn jedenfalls die allerbesten Glückwünsche aus Jena und interessante Erinnerungen an einen herrlichen 67. Deutschen Juristentag im Sommer 2008 in Thüringen!

152 Anders in diesem Punkt jedoch Krieger (Fn. 74), N 38; Ziemons (Fn. 77), N 131; eher wie hier Reichert ebd., N 178; vgl. auch Windbichler JZ 2008, 844, 845; Spindler AG 2008, 598, 602. 153 Bayer (Fn. 2), E 114; ähnlich Hommelhoff AG 1995, 529, 536; abl. aber Krieger (Fn. 74), N 38; Schäfer NJW 2008, 2536, 2542. 154 Dazu aus jüngster Zeit unter IV. 155 Dazu oben II.

Kapitalaufbringung und verdeckte Sacheinlagen bei der Aktienplatzierung durch Emissionsbanken Tilman Bezzenberger / Gerold Bezzenberger I. Einleitung Wenn Aktiengesellschaften ihr Kapital erhöhen, werden die neuen Aktien oft nicht unmittelbar von den Anlegern, sondern im Block von einer Emissionsbank übernommen, die sie dann in kleineren Tranchen an die Anleger weiterverkauft. Diese Art der Aktienplatzierung kommt sowohl bei der Abwicklung eines mittelbaren Bezugsrechts der Aktionäre zum Einsatz (§ 186 Abs. 5 AktG) als auch dann, wenn das Bezugsrecht ausgeschlossen ist, wie etwa im Rahmen eines erstmaligen öffentlichen Angebots von Aktien der Gesellschaft zum Zwecke der Börseneinführung (initial public offering – IPO). So wird die Gesellschaft von Transaktionen entlastet, welche die Emissionsbank besser vornehmen kann.1 Das rechtstechnische und das wirtschaftliche Bild fallen bei der mittelbaren Aktienemission teilweise auseinander. Gesetzes- und vertragstechnisch zeichnet die Emissionsbank die neuen Aktien bei der Gesellschaft, leistet Einlagen und wird Aktionärin. Erst dann werden die Aktien auf die Endanleger übertragen. Wirtschaftlich hingegen findet die Emission im Verhältnis der Gesellschaft zu den Anlegern statt; für sie sind die neuen Aktien von Anfang an bestimmt, und sie kommen letztlich auch für das neue Kapital der Gesellschaft auf. Die Emissionsbank will die Aktien nur als Finanzdienstleisterin vermitteln und sie nicht selbst halten. Die mittelbare Aktienemission wirft besondere Fragen der Kapitalaufbringung auf. Nicht selten zeichnet nämlich die Emissionsbank die Aktien bei der Gesellschaft nur zum geringsten zulässigen Ausgabebetrag, das heißt zum anteiligen Grundkapitalsbetrag, gibt sie dann aber zu einem höheren Emissionspreis an die Aktienerwerber weiter und führt den Mehrerlös vertraglich an die Gesellschaft ab. Wirtschaftlich gleicht dieser Mehrerlös einem Einlageaufgeld oder Agio. Aber er wird im registergerichtlichen Eintragungsverfahren nicht wie ein solches behandelt, und hierin sehen manche ein Problem (unten zu III.). Die Höhe des Emissionspreises berührt darüber hinaus die Vermögensteilhabe der alten Aktionäre. Diese haben Anfechtungsrechte

1

Hopt Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991, S. 31 f., Rn. 61 f.

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(§ 255 Abs. 2 AktG) und andere Abwehrrechte, wenn die neuen Aktien unangemessen billig ausgegeben werden. Auch hier spielt der Mehrerlös aus dem Weiterverkauf der neuen Aktien eine Rolle (hernach zu IV.). Und schließlich stehen die Regeln über verdeckte Sacheinlagen im Raum. Bei der mittelbaren Aktienplatzierung fragt es sich, wer hiernach in der Verantwortung steht, die Emissionsbank oder die Enderwerber der Aktien oder beide, und wann hier eine verdeckte Sacheinlage vorliegen kann (abschließend zu V.). Um all dem nachzugehen, soll vorab das Dreiecksverhältnis bei der mittelbaren Aktienemission beleuchtet werden (sogleich zu II.).

II. Die verschiedenen Rechtsbeziehungen 1. Originärer Aktienerwerb durch die Emissionsbank Die Emissionsbank schließt mit der Aktiengesellschaft einen Vertrag über die Zeichnung der neuen Aktien, den Zeichnungsvertrag als körperschaftsrechtlichen Beitrittsvertrag, der von Seiten der Emissionsbank durch den Zeichnungsschein dokumentiert wird (§ 185 AktG). Aus dem Zeichnungsvertrag entspringt die Pflicht des Zeichners zur Einlageleistung an die Gesellschaft, und zwar in Höhe des Ausgabebetrags der neuen Aktien (§ 54 Abs. 1 AktG). Die Einlagen müssen vor der Registeranmeldung mindestens in Höhe von einem Viertel des anteiligen Grundkapitalbetrags der neuen Aktien an die Gesellschaft geleistet werden, und wenn die Aktien zu einem höheren Betrag ausgegeben werden, muss auch der gesamte Mehrbetrag eingezahlt sein, das Agio (§ 188 Abs. 2 i.V.m. §§ 36 Abs. 2 und 36a Abs. 1 AktG). Wenn daraufhin die Durchführung der Kapitalerhöhung im Handelsregister eingetragen und damit das Grundkapital erhöht ist (§ 189 AktG), entstehen die neuen Aktien in den Händen des Zeichners (§ 191 AktG). Bei der mittelbaren Aktienplatzierung wird so die Emissionsbank Aktionärin.2 2. Weiterverkauf der Aktien an die Endanleger Die neuen Aktien, die in den Händen der Emissionsbank entstanden sind, veräußert diese sodann an die Endanleger oder an Zwischenhändler. Schuldrechtliche Grundlage hierfür ist in der Regel ein Kaufvertrag (§ 433 BGB). Zu

2 BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 189 f., 198 („co op“); Hopt (Fn. 1), S. 19 f., Rn. 37 [S. 11–29 dieser Monografie auch in FS Kellermann, 1991, S. 181–199, hier S. 190]; Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 Rn. 201, 206; ders. WuB II A. § 186 AktG 3.93, 1049, 1052 [Anm. zu BGHZ 122, 180]; Lutter in Kölner KommAktG, 2. Aufl. 1989, § 186 Rn. 116; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, 2008, § 186 Rn. 73; Priester FS Brandner, 1996, S. 97, 100 f.

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seiner Erfüllung werden die neuen Aktien verfügend übertragen, wenn sie auf Grund der Registereintragung entstanden sind. Die Aktienerwerber beziehen also keine neuen Aktien originär von der Gesellschaft, sondern schon vorhandene Aktien derivativ von der Emissionsbank, und sie leisten technisch gesehen keine Einlage an die Gesellschaft, sondern ein Entgelt an die Emissionsbank, einen Kaufpreis.3 3. Der Übernahme- und Platzierungsvertrag zwischen der Gesellschaft und der Emissionsbank Der Übernahme- und Platzierungsvertrag („underwriting agreement“) zwischen der Aktiengesellschaft und der Emissionsbank4 ist ein schuldrechtlicher Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB), der selbständig neben dem körperschaftlichen Zeichnungsvertrag steht. Er verpflichtet die Emissionsbank, die Aktien gegen Einlagen zu zeichnen, und sie im Interesse der Gesellschaft weiterzuveräußern. Hierbei muss die Emissionsbank auf einen möglichst hohen Erlös hinwirken, denn ein Beauftragter muss das „Geschäft für [den Auftraggeber] … besorgen“ (§ 662 BGB). Im Gegenzug erhält die Emissionsbank als Vergütung eine Provision. Soweit sie bei der Weiterveräußerung der Aktien einen höheren Erlös erzielt als die in die Gesellschaft eingezahlte Einlage, muss sie den Mehrbetrag an die Gesellschaft abführen. Das wird üblicher Weise im Vertrag detailliert geregelt, folgt aber auch schon aus dem gesetzlichen Auftrags- und Geschäftsbesorgungsrecht, denn „der Beauf-

3 Hierzu und speziell zum Kaufcharakter des Vorgangs BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 185, 190 ff., 198 („co op“); Hopt (Fn. 1 und 2) S. 21 f., Rn. 42 f./ S. 192, auch S. 26, Rn. 50/S. 196; Canaris Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981 [= Großkomm. HGB, 3. Aufl., Bd. III, 3. Teil], Rn. 2245, 2267 ff.; Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 215 ff.; Peifer in MünchKommAktG, 2. Aufl. 2005, § 186 Rn. 113; Singhof/Weber in Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 3 Rn. 104; Rebmann in Heidel (Hrsg.), Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 186 AktG Rn. 91, 96; Marsch-Barner in Bürgers/Körber (Hrsg.), AktG, 2008, § 186 Rn. 59; Priester FS Brandner, 1996, S. 97, 101. 4 Hierzu und zum Folgenden Canaris (Fn. 3) Rn. 2243, 2249 ff.; Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 207 ff.; Schanz Börseneinführung – Recht und Praxis des Börsengangs, 3. Aufl. 2007, § 9 Rn. 33 ff.; Ekkenga/Maas Das Recht der Wertpapieremissionen, 2006, Rn. 291 ff., S. 207 ff.; Singhof/Weber (Fn. 3) § 3 Rn. 92 ff.; kurz auch BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 185, 198 („co op“). Beim Börsengang wird zwischen der emittierenden Gesellschaft und der Emissionsbank oft zunächst nur eine Mandatsvereinbarung getroffen (letter of engagement), wonach die Bank die Emission gegen Entgelt in die Wege leitet, und der Übernahmevertrag im engeren Sinn mit seinen Zeichnungs- und Platzierungspflichten kommt erst später zu Stande, wenn sich das Vorhaben hinreichend konkretisiert hat (näher Singhof/Weber [Fn. 3]; Schanz [Fn. 4] § 9 Rn. 37, 40, 45 ff.). Doch diese Unterscheidung kann hier außer Betracht bleiben, und im Folgenden wird der Begriff „Übernahmevertrag“ in einem weiten Sinne verwendet, der den gesamten Emissionsvorgang abdeckt.

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tragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er … aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben“ (§§ 667, 675 Abs. 1 BGB). Die Emissionsbank platziert die Aktien treuhänderisch für die Gesellschaft. Besonderheiten ergeben sich beim mittelbaren Bezugsrecht nach § 186 Abs. 5 AktG. Hiernach ist es nicht als Ausschluss des Bezugsrechts anzusehen, wenn es sich bei dem Emissionshaus um ein Kreditinstitut oder ein ähnliches Unternehmen handelt, und dieses die neuen Aktien von Anfang an mit der Verpflichtung zeichnet, sie den Aktionären zum Bezug anzubieten. Der Übernahme- und Platzierungsvertrag zwischen der Aktiengesellschaft und der Emissionsbank muss dann als berechtigender Vertrag zu Gunsten Dritter ausgestaltet sein, nämlich zu Gunsten der bezugsberechtigten Aktionäre, und diesen eigene Ansprüche gegen die Emissionsbank auf den Erwerb der Aktien einräumen (§ 328 Abs. 1 BGB).5 So ist der Vertrag im Zweifel auch gemeint (§ 328 Abs. 2 BGB).6 Die Emissionsbank übernimmt hier die Aktien nur als fremdnützige Treuhänderin für die Aktionäre.7

III. Aktienausgabebetrag, Eintragungsverfahren und Emissionspreis 1. Zweistufige Aufbringung des Emissionserlöses bei der mittelbaren Aktienemission Bei der mittelbaren Aktienplatzierung zeichnet die Emissionsbank die neuen Aktien bei der Gesellschaft oft nur zum anteiligen Grundkapitalsbetrag als gesetzlichem Mindestausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG), selbst wenn die Aktien mehr wert sind und der Gesellschaft auch mehr einbringen sollen. Einen Mehrbetrag aus dem Weiterverkauf der Aktien führt die Emissionsbank auf der Grundlage des Übernahme- und Platzierungsvertrags dann nachträglich an die Gesellschaft ab.8 Der insgesamt von der Gesellschaft ver-

5 BGH Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 208; BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 („BuM“); BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 186, 198 („co op“); OLG Düsseldorf Urt. v. 24.3.2000 – 16 U 70/99, AG 2001, 51, 52 f.; Canaris (Fn. 3) Rn. 2244, 2256, 2270; Peifer in MünchKommAktG (Fn. 3) § 186 Rn. 111 f.; Veil in K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, 2008, § 186 Rn. 47, 49; Rebmann in Heidel (Fn. 3) § 186 AktG Rn. 84; grundsätzlich ebenso Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 194, auch Rn. 208 f. 6 Canaris (Fn. 3) Rn. 2256. 7 BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 f. („BuM“); BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 186, 198 („co op“); Canaris (Fn. 3) Rn. 2270 aE; Thiel AG 1966, 388, 392. Einschränkend Priester FS Brandner, 1996, S. 97, 102 f. Siehe auch die unten in Fn. 66 Genannten. 8 Ausführlich hierzu und zum Folgenden Wittschen Die Zulässigkeit der zweistufigen Aktienemission – Eine Untersuchung unter Berücksichtigung des US-amerikanischen und des britischen Rechts, 2005.

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einnahmte Emissionserlös ist sonach aufgespalten in eine Einlage auf das Grundkapital, die aufgrund des aktienrechtlichen Zeichnungsvertrags von der Emissionsbank geleistet wird, und den schuldrechtlich weitergeleiteten Mehrerlös. Nicht selten wird sogar der anteilige Grundkapitalsbetrag der Aktien zunächst nur zu einem Viertel eingezahlt, denn schon so kann die Durchführung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister angemeldet und eingetragen werden.9 Die restlichen drei Viertel muss die Emissionsbank dann einzahlen, bevor die Aktien an die Erwerber weiterveräußert werden,10 denn diese haben ja in der Regel voll eingezahlte Aktien gekauft. 2. Kritik An der zweistufigen Aufbringung des Emissionserlöses zeigt sich wieder der Zwiespalt von Inhalt und Form bei der mittelbaren Aktienemission. Gesetzes- und vertragstechnisch handelt es sich um eine Aktienausgabe zum Nominalwert an die Emissionsbank. Wirtschaftlich dagegen ist der Mehrbetrag, den die Aktienerwerber über die Emissionsbank an die Gesellschaft fließen lassen, mit einem Einlageaufgeld vergleichbar. Er geht ja auch bilanziell ebenso wie dieses in die Kapitalrücklage ein (§ 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB).11 Die meisten haben damit kein Problem und halten die Aktienausgabe zum Nominalwert mit anschließender schuldrechtlicher Herausgabe des übersteigenden Emissionserlöses für zulässig.12 Aber es gibt auch Kritik, und zwar im Hinblick auf die Gesetzesregel, wonach ein Einlageaufgeld schon vor der Handelsregisteranmeldung in voller Höhe eingezahlt sein muss (§§ 36a Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG). Der wirkliche Ausgabebetrag der Aktien, so meinen die Kritiker, sei der Bezugspreis, den die Aktionäre letzten Endes für die Aktien bezahlen sollen. Und deshalb müsse dieser Betrag von Anfang an als Einlage festgesetzt und, soweit er ein Aufgeld umfasst, von der Emissions9

Siehe oben II. 1. Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 48, Rn. 64 Fn. 147. 11 Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 272 HGB Rn. 97 ff. und allg. M. 12 Wittschen (Fn. 8) S. 247 ff.; Schlitt/Seiler WM 2003, 2175, 2182 f.; beide mit ausführlichen Nachweisen; des Weiteren Priester FS Brandner, 1996, S. 97, 110–112; HoffmannBecking FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 30–33; Bayer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 204 Rn. 20; Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 186 Rn. 107 und 110, auch § 182 Rn. 29; Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 202 f.; ders. WM 1979, 990, 992 f.; Peifer in MünchKommAktG (Fn. 3) § 186 Rn. 109; Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 66 f.; Kraft/ Krieger in Münch. HandB des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rn. 106; Marsch-Barner in Bürgers/Körber (Fn. 3) § 186 Rn. 56 f.; Rebmann in Heidel (Fn. 3) § 186 AktG Rn. 86 f., 89 (nicht eindeutig aber Rn. 88); Eimer Zeichnungsverträge und Zeichnungsvorverträge, 2009, S. 69 f.; Schnorbus AG 2004, 113, 123 f.; Technau AG 1998, 445, 448–450; Meilicke/Meilicke DB 1985, 457; trotz Bedenken auch Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004, S. 257–278. 10

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bank schon vor der Registeranmeldung eingezahlt sein; sonst dürfe das Registergericht die Durchführung der Kapitalerhöhung nicht eintragen.13 Das hat manches für sich. Nach § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AktG muss der „Ausgabebetrag der Aktien“ im Zeichnungsschein festgeschrieben sein. Damit ist der Betrag gemeint, den der Zeichner (die Bank) der Gesellschaft als Einlage verspricht. Und nach § 186 Abs. 2 AktG muss der Vorstand bei einer Bezugsrechts-Emission den „Ausgabebetrag“ der Aktien in den Gesellschaftsblättern bekannt machen, und zwar auch beim mittelbaren Bezugsrecht (§ 186 Abs. 5 Satz 2 AktG). Das ist hier der Betrag, zu dem die Aktionäre die neuen Aktien erwerben können. Wenn man beides nach Art einer Wortlaut-Gleichung zusammenzieht, müsste hiernach der Einlagebetrag gleich dem Bezugspreis sein. 3. Zulässigkeit der zweistufigen Aufbringung des Emissionserlöses Alles in allem sprechen indessen die besseren Gründe für die Zulässigkeit der zweistufigen Aufbringung des Emissionserlöses. Schon die wirtschaftliche Logik der mittelbaren Aktienemission weist in diese Richtung.14 Der Emissionserfolg und auch der Emissionspreis, zu dem die Endanleger die Aktien erwerben, stehen nämlich oft noch nicht endgültig und rechtsverbindlich fest, wenn die Emissionsbank die Aktien bei der Gesellschaft zeichnet. Der Emissionserlös kann dann schwerlich punktgenau als Aktienausgabe- und Einlagebetrag im Zeichnungsschein festgesetzt werden. Wollte man dies verlangen, so würde das Platzierungs-Erlösrisiko von der Gesellschaft auf die Emissionsbank abgewälzt. Das ist wirtschaftlich und rechtlich nicht sinnvoll, denn das Einwerben neuer Aktionäre (Gesellschafter) ist von Hause aus eine Angelegenheit der Gesellschaft. Auch die Regelungssystematik und der Zweck der Kapitalaufbringungskontrolle durch das Registergericht sprechen für die Zulässigkeit der zweistufigen Aufbringung des Emissionserlöses. Die Gesetzesbestimmungen, wonach ein Einlageaufgeld vorab eingezahlt sein muss (§§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG), gelten nur für den Fall, dass ein solches Aufgeld im Zeichnungsvertrag als Bestandteil des Aktienausgabebetrags im technischen und formellen Sinne festgesetzt ist.15 Das Gesetz will gewährleisten, dass der 13 Schippel FS Steindorff, 1990, S. 249, 256–259; Immenga FS Beusch, 1993, S. 413, 415 ff.; Hefermehl/Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1988, § 186 Rn. 166. Mit ähnlicher Grundrichtung BayObLG Beschl. v. 27.2.2002 – 3Z BR 35/02, ZIP 2002, 1484, 1486, wonach schuldrechtliche Zusatz-Leistungspflichten eines Aktienzeichners im Rahmen der registergerichtlichen Kapitalaufbringungskontrolle wie ein aktienrechtliches Agio zu behandeln sein können. 14 Vgl. hierzu und zum Folgenden Wittschen (Fn. 8) S. 201 ff.; Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 64 f. 15 Schnorbus AG 2004, 113, 124 li. Sp.

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Übernehmer oder Zeichner der Aktie ein solches förmliches Einlageversprechen auch wirklich erfüllt. Dagegen erstreckt sich die registergerichtliche Kapitalaufbringungskontrolle nicht darauf, ob die festgesetzte Höhe der Einlage wirtschaftlich angemessen ist, ob also der Ausgabebetrag der neuen Aktien dem entspricht, was die Aktien der Gesellschaft an Einlagen einbringen können. Das kann und soll das Registergericht gar nicht überprüfen.16 Wenn sich hiernach die Gesellschaft bei der Ausgabe neuer Aktien eines möglichen Mehrerlöses gänzlich begeben kann, ohne dass dies eintragungsschädlich ist, darf sie einen solchen Mehrerlös erst recht als schuldvertragliches Geschäftsbesorgungsgut einkleiden. Das bedeutet nicht, dass der Gesamterlös der Emission gleichgültig wäre. Die Kontrolle erfolgt jedoch insoweit nicht extern durch das Registergericht im Eintragungsverfahren, sondern innergesellschaftlich durch Kontrollrechte der alten Aktionäre.

IV. Kontrollrechte der Aktionäre hinsichtlich des Emissionspreises (§ 255 Abs. 2 AktG) 1. Die Angemessenheit des Emissionspreises als Kontrollmaßstab Bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss kann der hierauf gerichtete Hauptversammlungsbeschluss nach § 255 Abs. 2 AktG von Aktionären angefochten werden, wenn „der … Ausgabebetrag … [der] neuen Aktien … unangemessen niedrig ist“. Unangemessen niedrig ist der Ausgabebetrag neuer Aktien, wenn er ohne tragfähigen Grund geringer ist als der anteilige Wert des gesellschaftlichen Unternehmens, so wie er sich im Wert der alten Aktien widerspiegelt.17 Denn wenn die neuen Aktien unter diesem Wert begeben werden, verwässert sich der Wert der alten Aktien, das heißt ein Teil desselben verlagert sich auf die neuen, und deren Erwerber kaufen sich zu Lasten der alten Aktionäre verbilligt in die Gesellschaft ein.18 Bei der mittelbaren Aktienemission ohne Bezugsrecht der Aktionäre, also etwa bei einer Aktienemission zum Zwecke der Börseneinführung, bezieht sich der in § 255 Abs. 2 AktG enthaltene Begriff des „Ausgabebetrag[s] … [der] neuen Aktien“ nicht auf den Ausgabebetrag im technischen Sinne, zu dem die Emissionsbank die Aktien bei der Gesellschaft zeichnet, sondern in einem weiten Sinne auf den Gesamterlös der Emission, einschließlich des von 16 Ebenso für die Werthaltigkeitsprüfung von Sacheinlagen Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 83; Hirte in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2001, § 205 Rn. 16, auch § 203 Rn. 98. 17 Hüffer in MünchKommAktG, 2. Aufl. 2001, § 255 Rn. 14 ff.; Schwab in K. Schmidt/ Lutter (Fn. 5) § 255 Rn. 3 f. m.w.N.; ausführlich Paefgen Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 429 ff. Vgl. auch unten zu V. 2. a. Anf. 18 T. Bezzenberger ZIP 2002, 1917, 1918 mit Zahlenbeispielen.

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der Emissionsbank an die Gesellschaft herauszugebenden Mehrerlöses aus einer Weiterplatzierung der Aktien.19 Das folgt aus dem Sinn und Zweck des § 255 Abs. 2 AktG, eine Verwässerung des Werts der alten Aktien zu verhindern, und zu gewährleisten, dass der Gesellschaft für die neuen Aktien ein Betrag zufließt, der dem Wert der alten Aktien entspricht. Hierfür kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Emissionserlös formell als Einlage in die Gesellschaft eingezahlt oder lediglich schuldrechtlich an diese durchgereicht wird. Auch im letzteren Fall ist eine gleichwertige innergesellschaftliche Verwässerungskontrolle geboten wie bei einer regulären Einlage. 2. Kriterien für die Angemessenheit des Emissionspreises Ob die Gesellschaft aus der Emission einen angemessenen Erlös erwarten kann, hängt auch mit dem Anspruch der Gesellschaft gegen die Emissionsbank auf Auskehr des Mehrerlöses aus dem Weiterverkauf der Aktien zusammen. Ein solcher Anspruch ist von Gesetzes wegen stark. Die Emissionsbank vereinnahmt nämlich den Mehrerlös als geschäftsbesorgende und fremdnützige Treuhänderin der Gesellschaft. Und ein Treuhänder oder Geschäftsbesorger kann nach bürgerlichem Recht gegen den Anspruch des Treugebers oder Geschäftsherrn auf Herausgabe des Treuguts nicht mit Gegenforderungen aufrechnen, die außerhalb des Geschäftsbesorgungs- und Treuhandvertrags stehen, denn dies widerspräche dem Sinn und Zweck des Vertrags und den übernommenen Pflichten.20 Das Aufrechnungsverbot gilt auch in der Insolvenz der Gesellschaft, denn die Emissionsbank soll nach dem Vertrag Eigenkapital für die Gesellschaft vermitteln und bereitstellen, das heißt Risikokapital, und hiermit wäre eine in der Aufrechnung liegende abgesonderte Befriedigung unvereinbar.21 Soweit die Aufrechnungssperre greift, besteht auch kein Zurückbehaltungsrecht.22 Der schuldrechtliche Anspruch der Gesellschaft gegen die Bank auf den Emissions-Mehrerlös unterliegt also von Gesetzes wegen ähnlichen Sicherungen wie eine körperschaftliche Einlageforderung. Das spricht für die Wertangemessenheit der Emission.

19 So auch Bayer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 204 Rn. 20; Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 16) § 203 Rn. 102; Wittschen (Fn. 8) S. 305 ff.; Herchen (Fn. 12) S. 273 ff. Ebenso zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG Hoffmann-Becking FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 30. 20 BGH Urt. v. 29.9.1954 – II ZR 292/53, BGHZ 14, 342, 346 f.; BGH Urt. v. 13.7.1970 – VII ZR 176/68, BGHZ 54, 244, 247; st. Rspr.; Gernhuber Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen des Schuldverhältnisses aus anderen Gründen, 2. Aufl. 1994 [= Handbuch des Schuldrechts in Einzeldarstellungen, Bd. 3], § 12 VI 9 c, S. 281 f.; Gursky in Staudinger, BGB, § 387 Rn. 221 (2006). 21 Vertragliche Aufrechnungsverbote bei der treuhänderischen Geschäftsbesorgung gelten nach überwiegender Ansicht auch für den Fall der Insolvenz; hierzu m.w.N. Gursky in Staudinger (Fn. 20) § 387 Rn. 253, der dies allerdings kritisiert. 22 Gursky in Staudinger (Fn. 20) § 387 Rn. 247 m.w.N.

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Unangemessen niedrig im Sinne des § 255 Abs. 2 AktG ist demgegenüber der Ausgabebetrag der neuen Aktien bei der mittelbaren Aktienplatzierung, wenn der Übernahme- und Platzierungsvertrag der Gesellschaft rechtlich oder tatsächlich keine hinreichende Chance auf einen vernünftiger Weise erzielbaren Emissionserlös eröffnet. So etwa, wenn der Vertrag den Anspruch der Gesellschaft gegen das Emissionshaus auf Herausgabe des Platzierungs-Mehrerlöses entgegen den oben angeführten Regeln zu Lasten der Gesellschaft wesentlich abschwächt oder dem Emissionshaus gar freie Hand lässt, die Aktien unter Wert zu verschleudern.23 Die Gesellschaftsorgane haben überdies ein unternehmerisches Ermessen in allen hier berührten Fragen, gerade auch hinsichtlich der Auswahl des Emissionshauses, der Ausgestaltung des Übernahme- und Platzierungsvertrags und bei der Festsetzung des Emissionspreises.24 3. Hauptversammlungsbeschlüsse und Handeln der Verwaltungsorgane Rechtsfolge eines unangemessen niedrigen Aktienausgabebetrags ist nach § 255 Abs. 2 AktG die Anfechtbarkeit des zu Grunde liegenden Hauptversammlungsbeschlusses. Das gilt sowohl bei der klassischen Kapitalerhöhung durch die Hauptversammlung (§§ 182 ff. AktG) als auch entsprechend für einen Beschluss der Hauptversammlung über die Begründung eines genehmigten Kapitals, aus dem die Verwaltungsorgane neue Aktien auszugeben ermächtigt sind (§§ 202 ff. AktG).25 Hier wie dort muss sich allerdings nach § 255 Abs. 2 AktG der Ausgabebetrag der neuen Aktien aus dem Hauptversammlungsbeschluss „ergeben“, beim genehmigten Kapital also aus dem Ermächtigungsbeschluss. Dies ist bei der mittelbaren Aktienemission nur

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Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 89. Speziell zum Aktienausgabebetrag Paefgen (Fn. 17) S. 423 ff., 429 ff.; Fleischer ZHR 165 (2001) 513, 533 ff. Allgemein für einen „unternehmerischen Beurteilungsspielraum“ der Gesellschaftsorgane und speziell des Vorstands bei der Aktienausgabe unter Ausschluss des Bezugsrechts BGH Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/92, BGHZ 136, 133, 138 ff. („Siemens/ Nold“). Zurückhaltend allerdings BGH Urt. v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, WM 2009, 1566, 1570 (Tz. 19), wo es im Hinblick auf eine Aktienausgabe aus bedingter Kapitalerhöhung in Verbindung mit einer Ausgabe von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen heißt, die Festsetzung des Aktienausgabebetrags „liegt nicht in seinem [d. h. des Vorstands] freien, sondern in seinem gebundenen, ggf. auch gerichtlich überprüfbaren Ermessen“, im selben Sinn dort auch S. 1569 li. Sp. (Tz. 14) „gewisser Ermessenspielraum“. 25 Zur entsprechenden Geltung des § 255 Abs. 2 AktG im letzteren Fall KG Urt. v. 22.8.2001 – 23 U 6712/99, ZIP 2001, 2178, 2179 („Senator Entertainment AG“); Hüffer in MünchKommAktG (Fn. 17) § 255 Rn. 8, 13; K. Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1995, § 255 Rn. 3 f., 10; Schwab in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 255 Rn. 7; Tettinger Materielle Anforderungen an den Bezugsrechtsausschluss, 2003, S. 75 f. 24

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dann der Fall, wenn der Übernahme- und Platzierungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Emissionshaus auf einen unangemessen niedrigen Emissionserlös hinausläuft, und wenn dieser Vertrag im Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits inhaltlich feststeht und zumindest in dem Sinne Gegenstand des Hauptversammlungsbeschlusses ist, dass der Beschluss ausdrücklich oder dem Sinnzusammenhang nach die Aktienausgabe nach Maßgabe dieses Vertrags vorsieht. Das wird nicht oft vorkommen, denn in aller Regel wird der Übernahme- und Platzierungsvertrag erst nach dem Hauptversammlungsbeschluss vom Vorstand mit dem Emissionshaus abgeschlossen. Und wenn der Beschluss hierzu nichts sagt, ist er nicht nach § 255 Abs. 2 AktG anfechtbar. Die Hauptversammlung kann allerdings umgekehrt einer Anfechtung vorbauen, indem sie festschreibt, dass die neuen Aktien zum Nominalwert, aber nur mit der Maßgabe an das Emissionshaus ausgegeben werden sollen, dass dieses sie zu einem noch gemeinsam mit der Gesellschaft zu ermittelnden angemessenen Preis bei den Aktienerwerbern platzieren soll und den Mehrerlös abzüglich einer angemessenen Provision an die Gesellschaft abführen muss.26 Auch die Verwaltungsorgane sind indessen bei bezugsrechtsfreien Aktienemissionen an die Wertung des § 255 Abs. 2 AktG gebunden, und zwar sowohl bei der Durchführung einer klassischen Kapitalerhöhung27 als auch bei der Ausschöpfung genehmigten Kapitals.28 Ist im letzteren Fall das Bezugsrecht der Aktionäre unrechtmäßig ausgeschlossen, kann jeder einzelne Aktionär Unterlassungsklage gegen die Gesellschaft erheben29 oder nachträglich auf Feststellung klagen (§ 256 ZPO), dass der Beschluss des Vorstands (und gegebenenfalls auch ein Aufsichtsratsbeschluss) über die bezugsrechtsfreie Ausgabe der Aktien aus dem genehmigten Kapital rechtsfehlerhaft und daher

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In Anlehnung an die Formulierung von Wittschen (Fn. 8) S. 309, vgl. auch S. 306. Veil in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 182 AktG Rn. 22 f. m.w.N.; Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 182 Rn. 26; Peifer in MünchKommAktG (Fn. 3) § 182 Rn. 50, auch Rn. 49, 54. 28 BGH Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/92, BGHZ 136, 133, 141 f. („Siemens/Nold“); OLG Karlsruhe Urt. v. 28.8.2002 – 7 U 137/01, AG 2003, 444, 447 f. („MLP“); Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 204 Rn. 11–15; Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 16) § 203 Rn. 97; Bayer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 204 Rn. 14 ff.; ausführlich Paefgen (Fn. 17) S. 429–436; des Weiteren Cahn ZHR 164 (2000) 113, 137–139, 141; Bayer FS Ulmer, 2003, S. 21, 25 f.; Klette BB 1968, 977, 979 f.; Martens FS G. Bezzenberger, 2000, S. 267, 269 f.; Schwab in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 255 Rn. 7 m.w.N; Tettinger (Fn. 25) S. 76. Hiervon ausgehend auch BGH Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 295 („adidas“). 29 BGH Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249, 253 ff. („Commerzbank/ Mangusta II“); BGH Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 141 („Siemens/ Nold“); beide unter Hinweis auf BGH Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 133 ff. („Holzmüller“); andeutungsweise auch BGH Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, BGHZ 164, 241, 244 („Commerzbank/Mangusta I“); ausführlich Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 16) § 203 Rn. 130 ff. 27

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nichtig waren.30 Das gilt auch dann, wenn die neuen Aktien zu einem unangemessen niedrigen Betrag ausgegeben werden.31 Des Weiteren kommen beim unrechtmäßigen Bezugsrechtsausschluss durch die Verwaltungsorgane Schadensersatzansprüche in Betracht, doch hier ist noch vieles ungeklärt. Der BGH spricht kursorisch von einer Ersatzhaftung des Vorstands nach § 93 Abs. 2 AktG,32 also einer Haftung gegenüber der Gesellschaft, und siedelt damit den Schaden bei dieser an.33 Nach anderer Auffassung begründet ein unrechtmäßiger Bezugsrechtsausschluss einen Eigenschaden der Aktionäre,34 für den ihnen die Gesellschaft auf Ersatz haften kann,35 die dann ihrerseits Ersatzansprüche gegen die Organmitglieder hat.36 Und manche erwägen sogar unmittelbare Ersatzansprüche der Aktionäre gegen die Organmitglieder 37 oder gegen den Übernehmer der neuen Aktien.38 All das sind interessante Fragen, die hier aber nicht vertieft werden können, denn sie hängen nicht spezifisch mit der mittelbaren Aktienplatzierung zusammen.

30 BGH Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249, 253 ff. („Commerzbank/ Mangusta II“); auch BGH Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 141 („Siemens/Nold“). 31 Vgl. Bayer FS Ulmer, 2003, S. 21, 26 sowie Cahn ZHR 164 (2000) 113, 137–139, 141, beide allerdings im Hinblick auf Schadensersatzansprüche. 32 BGH Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 140 f. („Siemens/Nold“); im gleichen Sinne BGH Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249, 256 („Commerzbank/Mangusta II“). 33 So für den Fall der Aktienausgabe unter Wert auch Cahn ZHR 164 (2000) 113, 151–153. 34 Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 16) § 203 Rn. 141–144; Cahn ZHR 164 (2000) 113, 122 ff., 141 ff. (betr. Verringerung der Beteiligungsquote); Bayer ZHR 168 (2004) 132, 158 f.; ders. ZHR 163 (1999) 505, 522. 35 Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 16) § 203 Rn. 138 ff. m.w.N.; Cahn ZHR 164 (2000) 113, 124 ff., 127, 132, 133 ff.; Martens FS Steindorff, 1990, S. 151, 163 ff. (auch zum Haftungsumfang). 36 Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 16) § 203 Rn. 145 a.E. 37 KG Urt. v. 16.11.2006 – 23 U 55/03, ZIP 2007, 1660, 1663 li. Sp. („Senator Entertainment II“) obiter dictum; Cahn ZHR 164 (2000) 113, 120, 122 f., 127, 129 ff., 132 ff., 149; Baums Empfiehlt sich eine Neuregelung des aktienrechtlichen Anfechtungs- und Organhaftungsrechts, insbesondere der Klagemöglichkeiten von Aktionären? Gutachten F zum 63. DJT, 2000, S. 229 f.; Bayer FS Ulmer, 2003, S. 21, 24 f.; Würdinger Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. 1981, S. 184. Sehr skeptisch Martens FS Steindorff, 1990, S. 151, 167 ff. 38 Hirte in Großkomm. AktG (Fn. 16) § 203 Rn. 149, auch Rn. 146 sowie Rn. 151 ff. (Bereicherungsausgleich); Cahn ZHR 164 (2000) 113, 120, 127 ff., 129, 133 ff.

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V. Verdeckte Sacheinlagen 1. Grundriss der Regeln über die verdeckte Sacheinlage Einlagen, die nicht in Geld bestehen (Sacheinlagen), müssen im Gründungsvertrag oder im Kapitalerhöhungsbeschluss festgesetzt sein und von unabhängigen Sachverständigen auf ihre Werthaltigkeit überprüft werden (§§ 27, 183, 205, 33 ff. AktG). Das verleitet immer wieder zu Umgehungsgeschäften durch „verdeckte Sacheinlagen“. Eine solche liegt nach überlieferter Begriffsbildung in Rechtsprechung und Literatur vor, wenn eine Geldeinlage geschuldet ist, aber aufgrund einer zwischen der Gesellschaft und dem Einleger getroffenen Abrede die Zahlung des geschuldeten Einlagegelds an die Gesellschaft dergestalt mit einem gegenläufigen Umsatzgeschäft zwischen der Gesellschaft und dem Einleger verknüpft ist, dass die Gesellschaft im wirtschaftlichen Ergebnis und bei rechtlich wertender Betrachtung nicht das Geld, sondern ein anderes Gut, nämlich den Gegenstand des Umsatzgeschäfts, als Einlage erhält.39 Eine hierhin gehende Umgehungsabrede wird vermutet, wenn zwischen der Geldeinzahlung und dem Umsatzgeschäft ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht.40 Seit 2009 ist die verdeckte Sacheinlage im Gesetz definiert, und zwar dahin gehend, dass „eine Geldeinlage eines Aktionärs bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede … als Sacheinlage zu bewerten“ ist (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AktG und hierauf für die Kapitalerhöhung verweisend § 183 Abs. 2 AktG).41 Dieser Gesetzestatbestand knüpft an die bisherige Rechtsprechung und Lehre an,42 so dass man beide weiterhin heran39 BGH Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 („IBH/Lemmerz“) und st. Rspr.; aus späterer Zeit BGH Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47, 51 ff. (Tz. 11 ff.); BGH Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145, 152, Tz. 14 („Lurgi I“); Röhricht in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1996, § 27 Rn. 188 ff.; Bayer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 27 Rn. 49 ff.; Ulmer ZHR 154 (1990) 128, insbes. 134 ff.; Lutter/Gehling WM 1989, 1445. Anschauungsbeispiel: Der Gründungsvertrag oder Kapitalerhöhungsbeschluss lässt es mit einer Geldeinlage bewenden, und das Geld wird auch in die Gesellschaft eingezahlt, aber parallel hierzu erwirbt die Gesellschaft mit dem Geld ein anderes Gut vom Einleger. 40 BGH Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8, 12–14 (Tz. 13–15) betr. GmbH; ebenso für AG statt vieler Pentz in MünchKommAktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rn. 96. 41 Die aktuelle Gesetzesfassung beruht auf dem Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.7.2009, BGBl. I, 2479, hier Art. 1 Nr. 1 und 25. Fast wortgleich war kurz zuvor § 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG neu gefasst worden, und zwar durch Art. 1 Nr. 17 des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl. I, 2026. 42 So ganz deutlich für die GmbH RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/4160, Anlage 1, Begründung zu Art. 1 Nr. 17 (betr. § 19 GmbHG) S. 40 re. Sp. Mit gleicher Grundtendenz für AG der Bericht des BT-Rechtsausschusses zum RegE ARUG, BT-Drucks. 16/13098, Begründung zu Art. 1 Nr. 1 (betr. § 27 AktG) S. 37 li. Sp. Skeptisch Pentz FS K. Schmidt, 2009, S. 1265, 1273.

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ziehen kann.43 Auch dass die Umgehungsabrede bei engem Zeit- und Sachzusammenhang vermutet wird, verträgt sich nach wie vor mit dem Gesetz.44 Die Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen sind dagegen seit 2009 neu geregelt. Nach altem Recht waren die Sachleistungsvereinbarungen schuldrechtlich und dinglich unwirksam. Die Geldeinlageschuld blieb daher in voller Höhe bestehen, und im Gegenzug konnte sich der Inferent sein Sachgut von der Gesellschaft wieder abholen oder, wenn es dort nicht mehr gegenständlich vorhanden war, Bereicherungsausgleich in Geld fordern (§§ 812, 818 Abs. 2 BGB). Ein solcher Anspruch war jedoch in der Insolvenz der Gesellschaft wertlos, und dann musste der Inferent die Einlage noch einmal einzahlen, ohne für sein Sachgut etwas zurückzubekommen.45 Hiervon ist der Gesetzgeber 2009 abgerückt und hat in Anlehnung an Vorschläge aus Praxis und Wissenschaft die Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlage neu festgeschrieben: Eine verdeckte Sacheinlage befreit zwar nach wie vor „den Aktionär nicht von seiner Einlageverpflichtung“ (§§ 27 Abs. 3 Satz 1, 183 Abs. 2 AktG), denn die Einlageschuld geht ja mangels anderweitiger Festsetzung in den Gründungs- oder Kapitalerhöhungsdokumenten auf Geld (§ 54 Abs. 2 AktG). Letzten Endes aber hat die verdeckte Sacheinlage doch eine Art Tilgungswirkung,46 denn „auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht des Aktionärs wird der Wert des Vermögensgegenstands … angerechnet“ (§§ 27 Abs. 3 Satz 3, 183 Abs. 2 AktG). Die Beweislast für die Werthaltigkeit des Vermögensgegenstands trägt allerdings der Aktionär (§§ 27 Abs. 3 Satz 5, 183 Abs. 2 AktG); er muss später im Streitfall darlegen und beweisen, was seine verdeckte Sacheinlage damals wert war, und eine Differenz zur vereinbarten Höhe der Geldeinlage in Geld an die Gesellschaft zahlen.47 Das ist schlechter als bei 43 So auch BGH Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38, 41, Tz. 8 („Qivive“) wo der BGH auf seine st. Rspr. verweist und fortfährt: „Die Neufassung des § 19 Abs. 4 GmbHG durch das MoMiG ändert daran insoweit nichts“. Im selben Sinne BGH Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, WM 2009, 1574 f., Tz. 12 („Cash-Pool II“), wo es heißt, dass „lediglich die Rechtsfolgen neu geregelt“ sind. Ebenso Bayer/Schmidt ZGR 2009, 805, 824; im Ergebnis auch Pentz FS K. Schmidt, 2009, S. 1265, 1273. 44 RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/4160, Anlage 1, Begründung zu Art. 1 Nr. 17 (betr. § 19 GmbHG) S. 41 li. Sp.; auch Bericht des BT-Rechtsausschusses zum RegE ARUG, BT-Drucks. 16/13098, Begründung zu Art. 1 Nr. 1 (betr. § 27 AktG) S. 37 li. Sp. 45 Zu den Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen nach altem Recht siehe statt vieler Röhricht in Großkomm. AktG (Fn. 39) § 27 Rn. 137 ff., 193, 137 ff.; Bayer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 27 Rn. 54 ff. Vgl. auch BGH Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145, 153 ff., Tz. 16 ff. („Lurgi I“); BGH Urt. v. 11.5.2009 – II ZR 137/08, ZIP 2009, 1155, 1156 re. Sp., Tz. 10 („Lurgi II“). 46 Zu den Einzelheiten Ulmer ZIP 2009, 293, 296 ff.; Dauner-Lieb AG 2009, 217 ff.; Pentz FS K. Schmidt, 2009, S. 1265, 1275 („verrechnungsähnliches Erfüllungssurrogat eigener Art“); Bayer/Schmidt ZGR 2009, 805, 826 f.; Meier-Reimer/Wenzel ZIP 2009, 1185 ff. 47 Die Bestimmungen entstammen dem ARUG (für AG) sowie dem MoMiG (für GmbH) vgl. Fn. 41. Ebenso zuvor schon de lege ferenda Deutscher Anwaltverein (Handelsrechtsausschuss) Vorschlag zum Problem der „verdeckten Sacheinlage“, Juni 1996, WiB

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einer regulär festgesetzten und geprüften Sacheinlage. Auch dort muss der Aktionär zwar der Gesellschaft für einen Minderwert des Sachguts in Geld aufkommen,48 aber wer einen solchen Differenzhaftungs-Anspruch geltend macht, muss grundsätzlich den Minderwert als Anspruchsvoraussetzung darlegen und beweisen.49 2. Geltungsgrund der Sacheinlage-Regeln Für die Frage, wer nach diesen Regeln bei der mittelbaren Aktienemission in der Kapitalaufbringungsverantwortung steht, kommt es auf den Geltungsgrund der Sacheinlageregeln an. „Die Sicherstellung der Kapitalaufbringung ist“ nach den Worten des BGH „Voraussetzung für die Zulassung von Körperschaften des Wirtschaftslebens [mit] einem ziffernmäßig begrenzten Haftungsfonds“.50 Sacheinlagen tragen anders als Geld ihren Wert nicht auf der Stirne geschrieben und bergen deshalb die Gefahr der Überbewertung in sich. Ist das Sachgut überbewertet, so kauft sich der Sacheinleger zu Lasten der alten Aktionäre zu günstig in die Gesellschaft ein, denn die Mitaktionäre müssen fortan mit dem Einleger des minderwertigen Guts so teilen, als wäre das Gut vollwertig.51 Darüber hinaus kann die Gesellschaft durch eine Überbewertung der Sacheinlage ihr Eigenkapital und ihren Ausschüttungsspielraum übertrieben darstellen und den Gesellschaftsgläubigern eine Haftungsreserve vorspiegeln, die es gar nicht gibt. Diesen Gefahren treten die Bestimmungen über die Offenlegung und Werthaltigkeitsprüfung von Sacheinlagen entgegen (§§ 27, 183, 205, 33 ff. AktG), und hierhin geht auch der Schutzzweck der Regeln über die verdeckte Sacheinlage. Die Gefahren, denen diese Regeln entgegenwirken, liegen zum einen in der Doppelrolle des Aktionärs als (werdendes) Mitglied und Geschäftspartner

1996, 707, 709 ff.; Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (Handelsrechtsausschuss) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) Stellungnahme Nr. 06/07, Februar 2007, NZG 2007, 211, Tz. 110 ff.; in gleichem Sinne K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 37 II 4 b, S. 1124 f.; Krieger ZGR 1996, 674, 691; Eidenmüller ZGR 2007, 168, 189 f. m.w.N. Kritisch Bayer ZIP 1998, 1985, 1993; ders. ZGR 2007, 220, 230, 234. 48 BGH Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 62; BGH Urt. v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 195; BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 101 („BuM“); Trölitzsch Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998, S. 73 ff.; Loges/Zimmermann WM 2005, 349 ff. und h.M. Ebenso für die GmbH seit 1980 § 9 GmbHG. 49 Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 353 f.; Trölitzsch (Fn. 48) S. 284 ff.; Pentz in MünchKommAktG (Fn. 40 § 27 Rn. 44; Bayer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 5) § 27 Rn. 24. 50 BGH Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 351; im selben Sinne Bayer ZGR 2007, 220, 229 f., 238. Kritisch gegen diese überlieferte Sichtweise Schall ZGR 2009, 126. 51 Vgl. oben zu IV. 1.

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der Gesellschaft. Geschäfte zwischen der Gesellschaft und Aktionären bergen die Gefahr in sich, zu Lasten der Gesellschaft unausgewogen zu sein, weil der Aktionär auf Grund seiner innergesellschaftlichen Mitwirkungsrechte die Willensbildung der Gesellschaft für eigene Zwecke beeinflussen kann oder künftig beeinflussen können wird, und letzteres hat oft schon Vorwirkungen. Ein solcher Interessenkonflikt besteht allerdings nicht nur bei der Kapitalaufbringung, sondern in allen Lebenslagen der Gesellschaft und wird normaler Weise durch die Regeln über die Kapitalerhaltung und Vermögensbindung eingedämmt (§§ 57, 62 AktG),52 wonach Geschäfte zwischen der Gesellschaft und Aktionären ausgewogen sein müssen. Die Sacheinlageregeln mit ihren Offenlegungs- und Prüfungsgeboten sind im Vergleich dazu viel strenger. Bei der Kapitalaufbringung kommt nämlich noch ein Weiteres hinzu. Im normalen Leben der Gesellschaft, das heißt außerhalb der Kapitalaufbringung, haben die Unternehmensleiter normaler Weise wenig Anreiz zu unausgewogenen Geschäften, auch soweit es um Geschäfte mit Aktionären geht, denn die Gesellschaft müsste hierfür mit Vermögen aufkommen, das sie bereits fest und sicher in Händen hält. Das widerstrebt der Treuehaltung der (meisten) Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft. Wenn dagegen die Unternehmensleiter bei der Ausgabe neuer Aktien minderwertige Einlagegüter hereinnehmen, so verausgaben sie kein Vermögen, das die Gesellschaft schon fest in Händen hält, sondern begeben sich lediglich einer ungefestigten Möglichkeit, mehr zu erlangen. Auch so wächst das Gesellschaftsvermögen und die Manövriermasse der Unternehmensleiter. Und für den Minderwert der Einlagen zahlt nicht die Gesellschaft, sondern die alten Aktionäre müssen hierfür aufkommen; der Wert ihrer Aktien vermindert sich zu Gunsten des Erwerbers der neuen Aktien. Stellt daher ein potenzieller Kapitalgeber die Gesellschaft vor die Wahl zwischen einer minderwertigen Einlage und gar keiner Einlage, so besteht auf Seiten der Unternehmensleiter ein Anreiz, die minderwertige Einlage zu akzeptieren.53 Und genau dem wollen die Sacheinlageregeln und die Rechtsfigur der verdeckten Sacheinlage entgegenwirken. Diese Regeln beruhen auf zwei Schutzgedanken, nämlich dem Mitgliedschaftszusammenhang, also dass der Vertragspartner der Gesellschaft zugleich Aktionär ist oder wird, und dem Kapitalaufbringungszusammenhang, nämlich dass es um Einlagemittel geht.

52 Frey Einlagen in Kapitalgesellschaften – Gläubigerschutz und Gestaltungsfreiheit, 1990, S. 122. 53 Ebenso im Grundgedanken OLG Düsseldorf Urt. v. 18.11.1994 – 17 U 87/94, DB 1995, 135, 136 li. Sp.; Frey (Fn. 52) S. 123.

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3. Verantwortlichkeit der Aktienerwerber Nach diesem Schutzgedanken der Kapitalaufbringungsregeln stehen bei der mittelbaren Aktienplatzierung unter Zwischenschaltung einer Emissionsbank die Enderwerber der Aktien gegenüber der Gesellschaft in der Kapitalaufbringungsverantwortung. Das ist für die Abwicklung eines mittelbaren Bezugsrechts allgemein anerkannt 54 und zeigt sich besonders deutlich an dem 1993 vom BGH entschiedenen „co op“-Fall. Dort hatte die Emissionsbank die Aktien im Rahmen eines mittelbaren Bezugsrechts zum vollen Bezugspreis (mit Agio) bei der Gesellschaft gezeichnet und sie dann zum selben Preis an die bezugsberechtigten Aktionäre verkauft. Aber die Gesellschaft hatte den Aktionären zeitgleich denselben Betrag wieder ausgezahlt. Das ist offenkundig keine ordnungsgemäße Kapitalaufbringung, nicht einmal eine verdeckte Sacheinlage, sondern eine verdeckte Nicht-Einlage. Die Aktionäre haben ja im Ergebnis nichts geleistet, und die Gesellschaft hat nichts bekommen. Die Aktionäre mussten daher das Geld wieder in die Gesellschaft einzahlen, und zwar nach Maßgabe der Einlageregeln.55 Ebenso ist es denkbar, dass die Gesellschaft im Zusammenhang mit der Aktienemission eine Absprache mit dem Erwerber der Aktien trifft, wonach sie von ihm im Rahmen eines gegenläufigen Umsatzgeschäfts für den vereinnahmten Emissionserlös ein Sachgut erwirbt. Das wäre eine verdeckte Sacheinlage,56 und der Aktienerwerber muss dann entsprechend §§ 27 Abs. 3 und 183 Abs. 2 AktG der Gesellschaft eine Wertdifferenz bis zur Höhe des Emissionspreises wie eine noch offene Geldeinlage ausgleichen. All dies gilt nicht nur bei der Abwicklung eines mittelbaren Bezugsrechts, sondern auch bei der mittelbaren Aktienemission ohne Bezugsrecht.57 Hier wie dort sind beide Schutzgedanken der Sacheinlageregeln berührt, nämlich der Mitgliedschaftszusammenhang und der Kapitalaufbringungszusammenhang. Der Aktienerwerber zahlt zwar sein Geld nicht unmittelbar als Einlage in die Gesellschaft ein, sondern er zahlt es als Kaufpreis an die Emissionsbank, und diese leistet eine Einlage an die Gesellschaft und führt einen übersteigenden Kaufpreis schuldrechtlich an die Gesellschaft ab. Aber für den

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BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 185–200 („co op“); Assmann/ Sethe ZHR 158 (1994) 646, 658 ff.; Kraft/Krieger in Münch. HandB AG (Fn. 12) § 56, 111 f.; Herchen (Fn. 12) S. 265 ff.; auch Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 214; Immenga FS Beusch, 1993, S. 413, 418. Kritisch Priester FS Brandner, 1996, S. 97, 99 ff. 55 BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 184 ff. („co op“); zustimmend Assmann/Sethe ZHR 158 (1994) 646, 658 ff.; Peifer in MünchKommAktG (Fn. 3) § 186 Rn. 110; im gleichen Sinne Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 214. 56 Kraft/Krieger in Münch. HandB AG (Fn. 12) § 56, 111 f.; Herchen (Fn. 12) S. 265 ff.; mit gleichem Ansatz Assmann/Sethe ZHR 158 (1994) 646, 660, 666. 57 Hierhin tendieren auch Kraft/Krieger in Münch. HandB AG (Fn. 12) § 56, 111 a.E.

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Emissionserlös soll letzten Endes der Aktienerwerber aufkommen.58 Der Sacherwerb betrifft daher den Aktienerwerber nicht als beliebigen Dritten, sondern in seiner Rolle als Mitglied oder jedenfalls als werdendes oder in Aussicht genommenes Mitglied der Gesellschaft, wenn und weil der Sacherwerb absprachegemäß mit der Aufbringung des Emissionserlöses verknüpft ist. Wenn also die Gesellschaft mit dem Emissionserlös abredegemäß ein Sachgut vom Aktienerwerber erwirbt, erhält sie bei wertender Betrachtung das Sachgut als mitgliedschaftlichen Beitrag. Und hierbei mag die Gesellschaft versucht sein, dem Aktienerwerber zum Nachteil der Mitaktionäre und Gläubiger durch verdeckte Preisabschläge entgegenzukommen, weil für die Unternehmensleiter ein minderwertiger Emissionserlös besser erscheint als gar kein Emissionserlös.59 Deshalb drohen hier genau die Gefahren, denen die Kapitalaufbringungsregeln entgegenwirken wollen. Im Einzelnen kommt es für das Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage bei der mittelbaren Aktienplatzierung auf die zeitliche Verknüpfungsfolge zwischen der Aufbringung des Emissionserlöses und der Abrede über das gegenläufige Umsatzgeschäft zwischen der Gesellschaft und dem Aktienerwerber an. Wenn der Aktienerwerber den Emissionspreis für seine Aktien vorbehaltlos, das heißt ohne Rückflussabrede mit der Gesellschaft, an die Emissionsbank gezahlt hat, ist der Kapitalaufbringungsvorgang von Seiten des Erwerbers ordnungsgemäß abgeschlossen.60 Was jetzt noch zwischen der Gesellschaft und dem Erwerber verabredet wird, ein Erwerb von Sachgütern etwa oder selbst eine einseitige Auszahlung von Seiten der Gesellschaft, kann die Kapitalaufbringung nicht mehr fehlerhaft machen, sondern fällt nur noch unter die Regeln über die Kapitalerhaltung und Vermögensbindung (§§ 57, 62 AktG). Wird dagegen die Abrede zwischen der Gesellschaft und dem Aktienerwerber über den Rückfluss des Emissionserlöses getroffen, bevor der Aktienerwerber den Emissionspreis für die Aktien vorbehaltlos an die Emissionsbank gezahlt hat, so ist dies kapitalaufbringungsschädlich, denn hier drohen die verdeckten Preisabschläge, welche die Regeln über die Kapitalaufbringung verhindern wollen. Anders hinwiederum, wenn die Emissionsbank bereits den vollen Emissionspreis an die Gesellschaft gezahlt hat und daraufhin die Durchführung der Kapitalerhöhung zur Eintragung im Handelsregister angemeldet wurde. Dann ist die Kapitalaufbringung auf Seiten der Gesellschaft vorbehaltlos abgeschlossen, und nachträglich vereinbarte Gegengeschäfte mit dem Aktionär können nur noch gegen die Kapitalerhaltung und Vermögensbindung verstoßen. Ebenso wie bei der unmittel58 BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 186 („co op“); auch Immenga FS Beusch, 1993, S. 413, 418 ff. Ebenso in anderem Zusammenhang, nämlich zur Begründung einer Freistellung der Emissionsbank von den Sacheinlage-Regeln, die unten in Fn. 64 Genannten. 59 Vgl. oben V. 2. 60 Ebenso im Ansatz Assmann/Sethe ZHR 158 (1994) 646, 658.

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baren Aktienzeichnung begründet ein enger Zeit- und Sachzusammenhang zwischen der Zahlung des Geldes für die Aktien und dem gegenläufigen Umsatzgeschäft die Vermutung, dass eine Abrede über die Verknüpfung der beiden Vorgänge getroffen wurde, bevor das Kapital vorbehaltlos aufgebracht worden war.61 4. Freistellung der Emissionsbank von den Sacheinlageregeln Die Verantwortung der Aktienerwerber für die Kapitalaufbringung bedeutet noch nicht, dass die Emissionsbank von dieser Verantwortung frei wäre. Nach überlieferter Auffassung gelten allerdings die Regeln über verdeckte Sacheinlagen bei der mittelbaren Aktienplatzierung im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und der Emissionsbank grundsätzlich nicht. Bei der Abwicklung eines mittelbaren Bezugsrechts ist dies trotz nicht verstummender Gegenstimmen62 seit langem herrschende Meinung.63 Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung, so heißt es, wird die Aktienemission im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den mittelbar bezugsberechtigten Aktienerwerbern durchgeführt.64 Die Emissionsbank sei nur eine Abwicklungsstelle,65 handle als fremdnützige Treuhänderin für die Aktionäre 66 und verfolge kein 61

Vgl. oben bei Fn. 40. OLG Düsseldorf Urt. v. 15.11.1990 – 6 U 175/89, ZIP 1991, 161, 167 re. Sp. als Vorinstanz zu BGHZ 118, 83, vom BGH aufgehoben; Ekkenga/Maas (Fn. 4) Rn. 332, S. 236 f.; Wiedemann in Großkomm. AktG (Fn. 2) § 186 Rn. 206; ders. ZIP 1991, 1257, 1265 re. Sp.; Welf Müller FS Beusch, 1993, S. 631, 643 f.; Loos BB 1989, 2147, 2149; Priester ZIP 1991, 345, 354; grundsätzlich ebenso ders. FS Brandner, 1996, S. 97, 105–107, 110. Zweifel an der h.M. lässt auch Pentz in MünchKommAktG (Fn. 40) § 27 Rn. 93 anklingen. 63 BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96–99, insbes. 97 („BuM“); BGH Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, NJW 1995, 2486 re. Sp. („BuM“); Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1447; Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 183 Rn. 72; Ulmer ZHR 154 (1990) 128, 142; Assmann/Sethe ZHR 158 (1994) 646, 656 ff.; Peifer in MünchKommAktG (Fn. 3) § 183 Rn. 24; Kraft/Krieger in Münch. HandB AG (Fn. 12) § 56, 111; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.), Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 112 Rn. 75; Singhof/Weber (Fn. 3) § 3 Rn. 60; Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 4 Rn. 72 f.; Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 75; Groß AG 1991, 217, 225 f.; ders, AG 1993, 108, 115 f. 64 BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 97 („BuM“); Ulmer ZHR 154 (1990) 128, 142; im gleichen Sinne Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1447; Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 183 Rn. 72. Ebenso in anderem Zusammenhang, nämlich im Hinblick auf die Kapitalaufbringungsverantwortung der Aktienerwerber, die oben in Fn. 58 Genannten. 65 BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 97 („BuM“); Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1447 re. Sp.; Assmann/Sethe ZHR 158 (1994) 646, 657; Singhof/Weber (Fn. 3) § 3 Rn. 60. Ebenso in anderem Zusammenhang BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 185, 186, 198, 200 („co op“), nämlich im Hinblick auf die Kapitalaufbringungsverantwortung der Aktienerwerber. 66 BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 97 („BuM“); BGH Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, NJW 1995, 2486 re. Sp. („BuM“); Ulmer ZHR 154 (1990) 128, 142; 62

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wirtschaftliches Eigeninteresse an der Gesellschaftsbeteiligung.67 Die Freistellung der Emissionsbank von den Regeln über verdeckte Sacheinlagen soll allerdings nur gelten, wenn und solange sich die Stellung der Bank als fremdnützige Treuhänderin realisiert. So vor allem, wenn sämtliche Aktionäre ihre Bezugsrechte ausüben. Es genüge aber auch, wenn im Zeitpunkt der Zeichnung durch die Emissionsbank die rasche Platzierung der Aktien unproblematisch erscheint, und wenn sich die Bank bei späteren Platzierungsschwierigkeiten weiterhin um die Platzierung bemüht, am besten nach Weisung der Gesellschaft, und Mehrerlöse an diese abzuführen verpflichtet ist. Die Emissionsbank dürfe die Aktien noch nicht endgültig in ihren Eigenbestand übernommen und noch keine Rechte aus den Aktien ausgeübt haben.68 Darüber hinaus wollen in neuerer Zeit immer mehr Stimmen die Emissionsbank auch bei mittelbaren Aktienemissionen ohne Bezugsrecht von den Regeln über verdeckte Sacheinlagen freistellen, weil und solange die Bank auch hier lediglich transitorisch erwirbt und keine Eigeninteressen als Aktionärin verfolgt.69 Hiernach könnte etwa die Gesellschaft mit dem Emissionserlös auf Grund einer im Voraus getroffenen Absprache Sachgüter von der Emissionsbank erwerben,70 wie zum Beispiel eine Beteiligung an einem anderen Unternehmen,71 oder die Gesellschaft könnte mit dem Erlös Verbindlichkeiten gegenüber der Emissionsbank tilgen.72 Assmann/Sethe ZHR 158 (1994) 646, 657. Ebenso BGH Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 186, 195, 198 („co op“) im Hinblick auf die Kapitalaufbringungsverantwortung der Aktienerwerber. Siehe auch oben bei Fn. 7. 67 BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 97 f. („BuM“); Ulmer ZHR 154 (1990) 128, 142. 68 BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 98 f., 105 („BuM“); wiederholend und präzisierend BGH Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, NJW 1995, 2486 („BuM“); im gleichen Sinne Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1447 re. Sp.; Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 183 Rn. 72; Grundmann (Fn. 63) aaO; Singhof/Weber (Fn. 3) § 3 Rn. 60; Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 75; ähnlich Assmann/Sethe ZHR 158 (1994) 646, 657. Für eine noch weitergehende Freistellung der Emissionsbank Groß AG 1993, 108, 115 f. 69 Singhof/Weber (Fn. 3) § 3 Rn. 61; Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 77; Frese AG 2001, 15, 20 ff.; Schnorbus AG 2004, 115 ff.; Siebert NZG 2006, 366, 367 f. Hierhin tendieren auch Hoffmann-Becking FS Lieberknecht, 1997, S. 25, 35 f.; Kraft/Krieger in Münch. HandB AG (Fn. 12) § 56 Rn. 111 a.E.; Hein WM 1996, 1, 5 f. Vgl. aber auch Fleischer ZIP 2007, 1969, 1973 li. Sp., der in anderem Zusammenhang einer Kapitalerhaltungsverantwortung der Emissionsbank nach §§ 57, 62 AktG zuneigt. 70 Für zulässig erachtet von Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1447 li. Sp.; Ulmer ZHR 154 (1990) 128, 142; Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 183 Rn. 72. 71 Insbesondere auch dies wird für zulässig gehalten von Lutter/Gehling WM 1989, 1445, 1447 li. Sp.; Ulmer ZHR 154 (1990) 128, 142; Lutter in Kölner KommAktG (Fn. 2) § 183 Rn. 72; Groß AG 1991, 217, 226. 72 Für zulässig erachtet von BGH Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 97 („BuM“); BGH Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, NJW 1995, 2486 („BuM“); Ulmer ZHR 154 (1990) 128, 142; Peifer in Münch KommAktG (Fn. 3) § 183 Rn. 24; Kraft/ Krieger in Münch. HandB AG (Fn. 12) § 56 Rn. 111; Schanz (Fn. 4) § 9 Rn. 68 ff.; Singhof/Weber (Fn. 3) § 3 Rn. 60 f.; Herfs (Fn. 63) § 4 Rn. 72 f.; Frese AG 2001, 15, 20 ff.; Groß

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Die herrschende Auffassung, wonach die Emissionsbank bei der mittelbaren Aktienplatzierung von den Regeln über verdeckte Sacheinlagen ausgenommen wird, ist nicht über alle Zweifel erhaben. Diese Regeln beruhen, wie gesagt, auf zwei Grundgedanken, nämlich zum einen auf der Doppelrolle des Einlegers als Austauschpartner und (werdendem) Mitglied der Gesellschaft (Mitgliedschaftszusammenhang) und zum anderen darauf, dass die Gesellschaft für den Gegenstand der Sacheinlage kein eigenes, fest vorhandenes Vermögen verausgabt, sondern sich lediglich mit einem geringeren Kapitalaufkommen begnügt (Kapitalaufbringungszusammenhang).73 Der Kapitalaufbringungszusammenhang ist im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und der Emissionsbank gegeben. Der Emissionserlös stammt zwar nicht von der Bank, sondern von den Aktienerwerbern. Aber er geht durch die Hände der Bank. Wenn diese nur deshalb Aktien von der Gesellschaft übernimmt und weiterplatziert, und der Gesellschaft den Emissionserlös zuspielt, weil die Gesellschaft mit dem Erlös ein Sachgut von der Emissionsbank erwirbt, so verwandelt die Bank den Emissionserlös gleichsam in ein Sachgut. Es ist im Ergebnis das Gleiche, wie wenn die Bank den Emissionserlös einbehält und der Gesellschaft stattdessen das Sachgut gibt. Das berührt durchaus den Schutzgedanken der Regeln über verdeckte Sacheinlagen. Wenn das Sachgeschäft mit dem Emissionsvorgang verknüpft ist, verausgabt die Gesellschaft für den Erwerb des Sachguts kein schon vorhandenes Vermögen, sondern sie begnügt sich zu Lasten der alten Aktionäre mit einem geringeren Kapitalaufkommen, und die Organmitglieder der Gesellschaft können hierbei der Versuchung unterliegen, lieber ein minderwertiges Gut hereinzunehmen als gar keine Aktienemission durchzuführen und überhaupt nichts zu erlösen.74 Die Besonderheit bei der Aktienplatzierung durch Emissionsbanken liegt insoweit nur darin, dass sich die Bank nach dem Abschluss der Emission zurückzieht, so dass ein Minderwert des Sachguts nicht nur die alten Aktionäre und die Gläubiger der Gesellschaft übervorteilt, sondern auch die neuen Aktienerwerber. Auch der andere Schutzgedanke der Sacheinlageregeln, der Mitgliedschaftszusammenhang, lässt sich nicht ganz von der Hand weisen. Die Emissionsbank ist immerhin Zeichnerin, Einlageschuldnerin und während des Emissionsvorgangs Aktionärin der Gesellschaft. Ihre Mitgliedschaft ist allerdings keine normale Beteiligungsmitgliedschaft, sondern eine Durchgangsmitgliedschaft, eine Kapitalvermittlungsmitgliedschaft. Aber auch diese vermittelt die Möglichkeit, den Kapitalaufbringungsvorgang zu manipulieren und Emissionserlöse verdeckt zu eigenen Gunsten abzuziehen. Die EmissionsAG 1991, 217, 226; Siebert NZG 2006, 366, 367 f. Anders Priester FS Brandner, 1996, S. 97, 106. 73 Vgl. oben V. 2. 74 Vgl. oben V. 2.

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bank hat sogar die Gesellschaften während der Emissions- und Kapitalaufbringungsphase oft viel fester im Griff als ein Beteiligungs-Aktionär. Wenn die Gesellschaft sich einmal auf ein Emissionsvorhaben mit einem bestimmten Emissionshaus einlässt, kommt sie von diesem nur noch schwer wieder los, je mehr sich das Vorhaben verdichtet. Gleichwohl sollte man der herrschenden Meinung letzten Endes folgen und die Emissionsbank von den Regeln über verdeckte Sacheinlagen freistellen. Denn der Mitgliedschaftszusammenhang als Schutzgedanke dieser Regeln ist in seinem Kern nicht berührt. Das Gesetz will verhindern, dass die Unternehmensleiter einem Transaktionspartner Zugeständnisse zu Lasten des Gesellschaftsvermögens machen, weil der Partner in seiner weiteren Rolle als Aktionär an der Willensbildung innerhalb der Gesellschaft mitwirkt. Gerade aus der innergesellschaftlichen Willensbildung aber hält sich die Emissionsbank heraus, wenn die von der herrschenden Ansicht angelegten Kriterien eingehalten sind (unverzügliche Weiterplatzierung etc.75). Die Bank wird bei der mittelbaren Aktienplatzierung schwerpunktmäßig als externe Finanzdienstleisterin für die Gesellschaft tätig. Der Erwerb der Mitgliedschaft durch die Bank ist nur ein Mittel hierfür. Die entgeltliche Dienstleistung steht von Anfang an im Vordergrund und prägt die Beziehung zwischen der Gesellschaft und der Bank. Die Kapitalaufbringungsverantwortung der Bank ist schwerpunktmäßig eine vertragliche und keine mitgliedschaftliche und fällt daher nicht unter die Regeln über verdeckte Sacheinlagen. Dass der Mitgliedschaftszusammenhang eine notwendige Voraussetzung für die Geltung der Sacheinlageregeln ist, und der Kapitalaufbringungszusammenhang alleine nicht genügt, zeigt sich auch an der Systematik des Gesetzes. Dieses spricht nämlich neben der Sacheinlage im Gründungsrecht auch die Sachübernahme an, das heißt den Fall, dass die Gesellschaft im Zusammenhang mit ihrer Gründung Vermögensgegenstände gegen Vergütung erwirbt, und unterwirft diesen Vorgang denselben Offenlegungs- und Prüfungsgeboten wie eine Sacheinlage (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 AktG). Partner einer solchen Sachübernahme können nicht nur Aktionäre, sondern auch dritte Personen sein.76 Das Gesetz erkennt hier die Gefahr, dass Einlagemittel, welche die Gesellschaft einzuwerben im Begriffe steht, bildhaft gespro-

75

Vgl. oben bei Fn. 68. BGH Urt. v. 19.12.1974 – II ZR 177/72, AG 1975, 76, 77; aus neuerer Zeit BGH Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145, 153, Tz. 15 („Lurgi I“) allerdings recht beiläufig; Priester ZHR 165 (2001) 383, 385 f.; Röhricht in Großkomm. AktG (Fn. 39) § 27 Rn. 113; Pentz in MünchKommAktG (Fn. 40) § 27 Rn. 61; Habersack ZGR 2008, 48, 52, 57; Martens AG 2007, 732, 733 re. Sp. und h. M. Anders Etta Meyer Die Sachübernahme im Aktienrecht und ihre Bedeutung für die Lehre von der verdeckten Sacheinlage, 2009, S. 62 ff., 159; K. Schmidt (Fn. 47) § 27 II. 4.b) dd) a.E., S. 792. 76

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chen besonders locker sitzen, und reagiert hierauf. Aber es spricht im Recht der Kapitalerhöhung die Sachübernahme bewusst nicht an, sondern nur die Sacheinlage (§ 183 AktG), und gibt damit zu erkennen, dass hier der Mitgliedschaftszusammenhang wesentlich ist, die Stellung des Einlegers in der Gesellschaft, und diese fehlt bei der Emissionsbank mit ihrer bloßen Durchgangsmitgliedschaft.

VI. Ergebniszusammenfassung Die Kapitalerhöhung erfolgt bei der mittelbaren Aktienemission im Dreiecksverhältnis. Die Emissionsbank ist Zeichnerin, Einlegerin und vorübergehend auch Aktionärin. Dann überträgt sie die Aktien auf der Grundlage von Kaufverträgen an die endgültigen Aktienerwerber. Verklammert wird das Ganze durch den Übernahme- und Platzierungsvertrag zwischen der Gesellschaft und der Emissionsbank als schuldrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag. Die weit verbreitete Praxis, wonach die Aktien lediglich zum Nominalwert an die Emissionsbank ausgegeben werden, und diese einen Mehrerlös aus dem Weiterverkauf der Aktien später an die Gesellschaft abführt, ist im Rahmen der registergerichtlichen Kapitalaufbringungskontrolle unbedenklich. Der Mehrerlös ist kein aktienrechtliches Einlageaufgeld und muss daher nicht vor der Registeranmeldung in die Gesellschaft eingezahlt werden. Läuft allerdings der Emissions- und Platzierungsvertrag zwischen Gesellschaft und Emissionsbank darauf hinaus, dass der Gesellschaft kein angemessener Emissionserlös zufließt, so haben die Aktionäre Abwehrrechte gegen die Ausgabe der Aktien an die Emissionsbank. Sie können einen hierauf gerichteten Kapitalerhöhungsbeschluss der Hauptversammlung anfechten (§ 255 Abs. 2 AktG) und auch gegen die Ausschöpfung eines genehmigten Kapitals durch Vorstand und Aufsichtsrat vorgehen. Die aktienrechtliche Kapitalaufbringungsverantwortung und insbesondere die Regeln über verdeckte Sacheinlagen erstrecken sich bei der mittelbaren Aktienemission auf die Erwerber der Aktien, nicht hingegen auf die Emissionsbank, wenn und weil diese nicht in die mitgliedschaftliche Willensbildung der Gesellschaft eingebunden ist, sondern die Aktien nur als externe Finanzdienstleisterin vermittelt. Das gilt sowohl bei der Abwicklung eines mittelbaren Bezugsrechts als auch bei Aktienemissionen ohne Bezugsrecht.

Internationalisierung der Rechnungslegung und Corporate Governance Hans-Joachim Böcking / Marius Gros * Inhaltsübersicht A. B. I. II. III. C. D. I. II.

E. F.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolle der Rechnungslegung innerhalb der Corporate Governance-Systeme . Rechnungslegungszweck und Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . Rechnungslegungszweck im outsider-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechnungslegungszweck im insider-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsches Corporate Governance-System im Wandel . . . . . . . . . . . . . Einfluss der Veränderung des deutschen Corporate Governance-Systems auf die Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verzicht auf eine vollumfängliche Anwendung der IFRS . . . . . . . . . . 2. Annäherung an die IFRS durch das BilMoG . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Offene Fragen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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413 414 414 414 416 418

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A. Einleitung In den Jahren 1976 und 1977 hat der Jubilar, Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt, mit seinem zweiteiligen Aufsatz „Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht?“ vorausschauend Entwicklungen gewürdigt, die heute national und international geführte Diskussionen im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht sowie im Recht der Rechnungslegung entscheidend prägen.1 Auch im Jahr 2000 befasste sich Klaus J. Hopt in seinem Aufsatz „Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa? – Überlegungen zum Einfluss der Wertpapiermärkte auf Unternehmen

* Professor Dr. Hans-Joachim Böcking ist Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsprüfung und Corporate Governance an der GoetheUniversität Frankfurt am Main. Dr. Marius Gros ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an dieser Professur. 1 Vgl. Hopt (1976) S. 201–235; Hopt (1977) S. 389–441.

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und ihre Regulierung und zum Zusammenwachsen von common law und civil law im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“ unter anderem mit der Schnittstelle zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht sowie dem Recht der Rechnungslegung, indem er sich mit der Entwicklung und dem Wandel von Corporate Governance-Systemen auseinandersetzte und deren Einfluss auf Unternehmen und ihre Regulierung umfassend analysierte.2 Dieser Beitrag widmet sich dieser Schnittstelle zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht sowie dem Recht der Rechnungslegung und untersucht den Zusammenhang zwischen dem System der Corporate Governance und der Zwecksetzung der Rechnungslegung in Deutschland. Es zeigt sich, dass die Fortentwicklung des Corporate Governance-Systems maßgeblich das Recht der Rechnungslegung beeinflusst, eine zunehmende Internationalisierung der Rechnungslegung bewirkt und mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) einen Paradigmenwechsel im Handelsbilanzrecht herbeiführen könnte.

B. Rolle der Rechnungslegung innerhalb der Corporate Governance-Systeme I. Rechnungslegungszweck und Corporate Governance Die Ausgestaltung eines Rechnungslegungssystems ist Ergebnis der umweltbedingten Bedürfnisse und Notwendigkeiten, die im Rahmen des historischen Entwicklungsprozesses Einfluss genommen haben.3 Dabei ist der zu Grunde gelegte Rechnungslegungszweck maßgebend für die Ausgestaltung des Rechnungslegungssystems und die Auslegung der konkreten Rechnungslegungsvorschriften. Rückschlüsse darauf, welcher Rechnungslegungszweck in einer Jurisdiktion maßgebend für die Ausgestaltung der Rechnungslegungskonzeption ist, lassen sich u.a. aus einer Betrachtung des vorherrschenden Systems der Corporate Governance ziehen.

II. Rechnungslegungszweck im outsider-System Ein marktbasiertes als outsider-System bezeichnetes System der Corporate Governance wird durch einen hohen Grad der Eigenkapitalfinanzierung in Verbindung mit einer hohen Streubesitzquote und einem liquiden Kapitalmarkt charakterisiert. Sofern im Rahmen der Unternehmensfinanzierung auf

2 3

Vgl. Hopt (2000) S. 779–818. Vgl. Achleitner/Behr (2000) S. 9; Nobes (1998) S. 164–177; Brandl (1987) S. 18–23.

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Fremdkapital zurückgegriffen wird, findet eine Platzierung von Anleihen am Kapitalmarkt statt. Bankkredite spielen keine wesentliche Rolle für die Unternehmensfinanzierung.4 Die Unternehmenskontrolle erfolgt über den liquiden Kapitalmarkt. Für Anteilseigner besteht die Möglichkeit ihre Kapitalbeteiligung aufzugeben (exit option) bzw. umgekehrt durch Erhöhung des Anteils ihren Einfluss zu erhöhen, um ggf. das Management im Sinne einer feindlichen Unternehmensübernahme zu ersetzen.5 Dementsprechend geht die Literatur von der Existenz eines Markts für Unternehmenskontrolle aus (market for corporate control).6 Als outsider-Systeme gelten z.B. die Corporate Governance-Systeme der USA und des Vereinigten Königreichs.7 Aufgabe der Rechnungslegung in einem outsider-System ist, die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts zu unterstützen, indem Kapitalmarktteilnehmern entscheidungsnützliche Rechnungslegungsinformationen bereitgestellt und Informationsasymmetrien abgebaut werden.8 Entscheidungsnützliche Rechnungslegungsinformationen können die Transaktionskosten senken, die Vergleichbarkeit von Investitionsmöglichkeiten verbessern und somit die Kapitalmarkteffizienz steigern. Sie ermöglichen den Kapitalmarktteilnehmern eine selbständige und eigenverantwortliche Bewertung von Chancen und Risiken, um eine Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung zu treffen.9 So wird in den USA der vorrangige Zweck der Rechnungslegung der kapitalmarktorientierten Unternehmen im Schutz des Publikums gesehen, das fungible Wertpapiere am Kapitalmarkt erwirbt.10 Aufgabe der Rechnungslegung ist ausschließlich die tatsachengerechte Offenlegung entscheidungsnützlicher Informationen gegenüber den Kapitalmarktteilnehmern, nicht aber die Bonität der emittierten bzw. zu emittierenden Papiere zu garantieren.11 Diese Ausrichtung der US-amerikanischen Rechnungslegungskonzeption auf kapitalmarktorientierte Unternehmen sowie auf die Kapital-

4 Vgl. hierzu Werner (2008) S. 29–30; La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny (2000) S. 17; Franks/Mayer (2001) S. 943; Dutzi (2005) S. 15; Watrin (2001) S. 20; Heinze (2001) S. 645; Böcking (1998) S. 20. 5 Vgl. Schmidt (2000) S. 19. 6 Vgl. Kengelbach/Roos (2006) S. 12. Nach dieser Auffassung konkurrieren am Markt Managementteams um die Steuerung einzelner Gesellschaften. Ein niedriger Aktienkurs gilt dabei als Indiz für eine schlechte bzw. ineffiziente Unternehmensführung und erhöht damit für das Management die Gefahr, durch ein anderes Managementteam ersetzt zu werden. Vgl. Dutzi (2005) S. 16–17; Damodaran (2005) S. 3, 16, 28–33, 37–39; Watts/Zimmermann (1979) S. 284. 7 Vgl. Gerum (2004) Sp. 173. 8 Vgl. hierzu Hopt (1977) S. 415; Nobes (1998) S. 169. 9 Vgl. Schildbach (2000) S. 8–9; Luttermann (2009) S. 7. 10 Vgl. z.B. Kronstein/Claussen (1960) S. 45; Conrad (1976) S. 271; Hopt (1976) S. 205– 207; Watrin (2001) S. 24; Werder (2004) Sp. 167. 11 Vgl. Hopt (1980) S. 235; Watts/Zimmermann (1979) S. 296–297; Nobes (1998) S. 167; Achleitner/Behr (2000) S. 12.

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marktinformation ist eine Reaktion auf den Börsenkrach von 1929.12 Die mit dem Securities Act von 1933 und mit dem Securities Exchange Act von 1934 verstärkte Regulierung und Normierung der Rechnungslegung entstand aus dem benannten Anlegerschutzgedanken heraus.13 Es sollte vermieden werden, dass Aktionäre aufgrund von Informationsasymmetrien geschädigt werden können.14 Der frühere SEC-Commissioner Sommer erklärte, das Gesetz von 1933 verbiete nicht, „faule Eier“ zu verkaufen, wenn es nur offengelegt wird.15

III. Rechnungslegungszweck im insider-System Ein netzwerkorientiertes als insider-System bezeichnetes Corporate Governance-System wird durch umfangreiche Beteiligungsverhältnisse zwischen Industrieunternehmen und Kreditinstituten sowie Überkreuzbeteiligungen und Personalverflechtungen charakterisiert.16 Die Anteilseignerstruktur der Unternehmen ist durch Mehrheitsbesitz oder zumindest eine eher geringe Streubesitzquote geprägt sowie auf Langfristigkeit ausgelegt.17 Hinsichtlich der Unternehmensfinanzierung kommt dem Fremdkapital eine bedeutende Rolle zu. Bereitgestellt wird dieses regelmäßig von Kreditinstituten. Die Möglichkeit Kreditrisiken zu reduzieren wird als Beweggrund dafür gesehen, dass in einem insider-System Kreditinstitute sowohl als Fremd- als auch als Eigenkapitalgeber auftreten.18 Als Beispiele für ein insider-System werden in der Literatur regelmäßig Deutschland, Frankreich oder Japan genannt.19 Im Gegensatz zum outsider-System verlangt ein insider-System nicht zwingend nach einem vorrangig auf die Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen ausgerichteten Rechnungslegungssystem. Aufgrund der konzentrierten Anteilseignerstruktur stehen Anteilseignern mit umfangreicher Kapitalbeteiligung (blockholdern) andere Einblicksmöglichkeiten zur Verfü-

12

Vgl. Heinrich (2006) S. 230–231; Böckem (2000) S. 103; Schildbach (2000) S. 6. Vgl. Beaver (1998) S. 11; Kübler (1995) S. 561–562. 14 Vgl. Ballwieser (1993) S. 119; Kronstein/Claussen (1960) S. 45. 15 Zitiert nach Hopt (1980) S. 235; Pellens/Fülbier (2000) S. 581. 16 Vgl. Gilson/Kraakman (1993) S. 987–988; Böckem (2000) S. 10; Franks/Mayer (2001) S. 943–944; Kengelbach/Ross (2006) S. 12; Höpner/Krempel (2004) S. 340–341; Schmidt/ Spindler (2002) S. 322–323; Heinze (2001) S. 644; Hopt (2000) S. 804; Böcking (1998) S. 20; Ball (1995) S. 23; Windolf/Beyer (1995) S. 6–25; Roe (1993) S. 1936–1997. 17 Vgl. zur Eigentumskonzentration in Deutschland auch Windolf/Beyer (1995) S. 7–11; Charny (1998) S. 147; Böcking (1998) S. 20; Becht/Böhmer (2001) S. 142–144. 18 Vgl. Beyer (2003) S. 124; Kengelbach/Ross (2006) S. 13; Krivogorsky/Grudnitski/Dick (2009) S. 3–8, 17–18; Charny (1998) S. 154–155; Gilson/Kraakman (1993) S. 988. 19 Vgl. Dutzi (2005) S. 19; Ruhwedel (2003) S. 44–45; Gerum (2004) Sp. 173. 13

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gung, um ihre Investition zu überwachen. Kontroll- und Koordinationsmechanismen werden innerhalb der Beteiligungsbeziehungen vereinbart bzw. sind gesetzlich vorgesehen. Asymmetrische Informationsverteilungen werden eingedämmt, indem blockholdern mittelbar über Kontrollgremien Einblicksmöglichkeiten eröffnet oder unmittelbar gesetzliche Einblicksrechte eingeräumt werden.20 Als Vorteil dieser Art der Informationsversorgung wird erachtet, dass innerhalb einer Beteiligungsbeziehung der Rechnungslegungspublizität keine grundlegende Bedeutung für die Koordination der Vertragsparteien zukommen würde.21 Durch die unternehmensinterne Informationsversorgung der blockholder könne die Informationsabgabe an Dritte und somit auch an (potenzielle) Wettbewerber eingeschränkt werden.22 Ein Schutzbedürfnis ergibt sich indes für Minderheitsgesellschafter bzw. -aktionäre,23 sofern diese keine Möglichkeit haben, direkten Einfluss auf die wirtschaftlichen Entscheidungen der Gesellschaft zu nehmen und ausschließlich durch die externe Rechnungslegung an Informationen gelangen können, die eine Überwachung ihrer Investitionsentscheidung ermöglichen.24 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in einem insiderSystem nicht sichergestellt werden kann, dass die Kontrolltätigkeit der blockholder den Interessen von Investoren mit geringer Kapitalbeteiligung entspricht.25 Da in einem insider-System grundsätzlich nicht von einem ausreichend liquiden Sekundärmarkt auszugehen ist, der einen funktionsfähigen Markt für Unternehmenskontrolle gewährleistet, rücken andere Instrumente des Minderheitenschutzes in den Vordergrund als deren Versorgung mit entscheidungsnützlichen Informationen. Beispielsweise können gesellschaftsrechtliche Maßnahmen darauf abzielen, eine Übervorteilung von Minderheiten zu verhindern und deren Partizipation am Unternehmenserfolg sicherzustellen. Schutzbedürftig sind ferner Gläubiger, die nicht gleichzeitig über eine Kapitalbeteiligung verfügen und auf diesem Wege entscheidungsnützliche Informationen erhalten können. Insbesondere um nachvertragliche Vermögens- und Risikoverlagerungen zu Ungunsten der Gläubiger zu verhindern, werden in einem insider-System gesellschaftsrechtliche Ausschüttungsregelungen wie z.B. der Grundsatz der Kapitalerhaltung vorgesehen.

20

Vgl. Werner (2008) S. 29; Pellens/Fülbier/Gassen/Sellhorn (2008) S. 919–920; Gerum (2004) Sp. 175; Charny (1998) S. 149–150; Böcking (1998) S. 22; Roe (1993) S. 1942; Nobes (1992) S. 6; Schmidt/Spindler (2002) S. 322–323. Vgl. hierzu auch Hopt (1977) S. 403. 21 Vgl. Böckem (2000) S. 10. Vgl. hierzu auch Breidenbach (1997) S. 51–52. 22 Vgl. Böckem (2000) S. 10. Vgl. zur Problematik Schildbach (1975) S. 33; Hommel (1992) S. 14–15. 23 Vgl. hierzu La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny (2000) S. 4. Vgl. hierzu auch Moxter (1962) S. 86. 24 Vgl. hierzu auch d’Arcy (1999) S. 50–51; Eierle (2004) S. 20–21. 25 Für blockholder besteht der Anreiz private Kontrollrenten abzuschöpfen. Vgl. hierzu grundlegend Dyck/Zingales (2001) S. 1–10, 27–30.

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Hans-Joachim Böcking / Marius Gros

Hinsichtlich der Rechnungslegung sprechen somit überzeugende Argumente für eine Ausrichtung auf den Gläubiger- und Minderheitenschutz.26 Rechnungslegungsvorschriften können im Gesellschaftsrecht bestehende Minderheiten- und Gläubigerschutzvorschriften flankieren. Ansatz- und Bewertungsvorschriften können vermeiden helfen, dass gesellschaftsrechtliche Normen durch willkürliche Bilanzierung umgangen werden.27 Hieraus ergibt sich für die generierten Rechnungslegungsinformationen ein hohes Objektivierungserfordernis, während die Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen in den Hintergrund tritt. Tabelle 1: Gegenüberstellung ousider-System vs. insider-System28 Systemkriterien

outsider-System

insider-System

Steuerung und Überwachung

Marktmechanismen

Netzwerke

Unternehmensfinanzierung

Kapitalmarktorientiert

Bankenorientiert

Finanzierungsbeziehungen

Eher kurzfristige Bedingungen

Eher langfristige Bindungen

Eigentümerstruktur

Hoher Streubesitz

Konzentriert

Ausrichtung des Rechts- und Rechnungslegungssystems

Anlegerschutz

Gläubiger- und Minderheitenschutz

Publizitätsvorschriften

Hohe Transparenz

Geringe Transparenz

C. Deutsches Corporate Governance-System im Wandel Das gemeinhin als netzwerkorientiert charakterisierte deutsche Corporate Governance-System unterlag in den vergangenen beiden Dekaden umfangreichen Veränderungen, die insbesondere kapitalmarktorientierte Unternehmen betrafen.29 Mit dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG 1998), dem Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG 1998) und dem Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG 2002) wurden Mehrfachstimmrechte abgeschafft, Aktienrückkäufe und Mitarbeiterbeteiligungsprogramme vereinfacht, ein Corporate

26 Vgl. z.B. Nobes (1998) S. 167; Watrin (2001) S. 24; Eierle (2004) S. 15; Werder (2004) Sp. 167. 27 Vgl. Leffson (1987) S. 53–54; Schulze-Osterloh (2004) S. 1128; Wüstemann/Bischof/ Kierzek (2007) S. 13, 15. 28 In Anlehnung an Dutzi (2005) S. 25; Watrin (2001) S. 22. Vgl. auch Achleitner/Behr (2000) S. 15. 29 Vgl. hierzu Heinze (2002) S. 369; Höpner/Jackson (2002) S. 362–363; Heinze (2001) S. 658–665, 669; Achleitner/Behr (2000) S. 12, 19.

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Governance-Kodex eingeführt und die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats gestärkt (siehe Abbildung 1).30 Unternehmensübernahmen wurden vereinfacht, wodurch ein Markt für Unternehmenskontrolle aufgebaut wurde.31 Ferner war eine Zunahme von Eigen- und Fremdfinanzierungen über den Kapitalmarkt zu beobachten. Bei kapitalmarktorientierten Unternehmen zeigte sich dementsprechend eine zurückgehende Bedeutung von Hausbankbeziehungen.32 Auch hinsichtlich der Anteilseignerstruktur der kapitalmarktorientierten Unternehmen waren Veränderungen zu beobachten. Zum einen sind Kapital- und Personalverflechtungen von deutschen kapitalmarktorientierten Unternehmen und Kreditinstituten sowie von kapitalmarktorientierten Unternehmen untereinander gelöst worden.33 Zum anderen sank der Anteil der deutschen börsennotierten Unternehmen, bei denen ein Anteilseigner über die Anteilsmehrheit oder eine Sperrminorität verfügte. Insofern liegen Hinweise vor, die als eine Annäherung des deutschen Corporate Governance-Systems an ein outsider-System gewertet werden können. Hieraus auf einen grundlegenden Wandel des deutschen Corporate GovernanceSystems zu schließen, wäre jedoch voreilig, da die Veränderungen vornehmlich kapitalmarktorientierte Unternehmen betreffen.34 Die Veränderung des Systems der Corporate Governance führt zumindest dazu, dass die Rechnungslegungskonzeption für kapitalmarktorientierte Unternehmen einer Überprüfung bedarf.35 Im Rahmen der Unternehmensberichtserstattung kapitalmarktorientierter Unternehmen sowie im Wettbewerb um die Unternehmensfinanzierung ist ein zunehmender Bedarf an entscheidungsnützlichen Rechnungslegungsinformationen und einer bestmöglichen Darstellung der

30 Vgl. BGBl. I 1998, S. 786 ff. (KonTraG); BGBl. I 1998, S. 707 ff. (KapAEG); BGBl. I 2002, S. 2681 ff. (TransPuG). Vgl. hierzu Böcking (2008) S. 81; Kengelbach/Ross (2006) S. 16; Fleischer (2006) S. 454–455; Höpner/Krempel (2004) S. 352; Kübler/Assmann (2006) S. 467–468. Vgl. zu den Empfehlungen der Regierungskommission Corporate Governance Baums (2001) S. S8. Vgl. zu den Entwicklungen auf europäischer Ebene Hopt (2005) S. 235– 249. 31 Vgl. Höpner/Jackson (2003) S. 165; Höpner/Jackson (2002) S. 365; Hopt (2000) S. 790– 792, 803. 32 Vgl. Heinze (2001) S. 667; Roe (1993) S. 1939. Zur zurückgehenden Bedeutung von Hausbankbeziehungen dürfte auch die Zunahme von Verbriefungen beigetragen haben. Vgl. Roe (1993) S. 1959–1961. 33 Vgl. hinsichtlich der Kapitalverflechtungen Kengelbach/Ross (2006) S. 17. Begünstigt wurde der Abbau von Kapitalverflechtungen durch die Änderung des Körperschaftsteuergesetzes, wonach Veräußerungsgewinne aus der Veräußerung von Kapitalanteilen grundsätzlich von der Besteuerung freigestellt wurden. Vgl. Höpner/Krempel (2004) S. 353. Hinsichtlich der personenbezogenen Verfechtungen durch identische Organmitglieder vgl. Kengelbach/Ross (2006) S. 20–21; Windolf/Beyer (1995) S. 20–21. 34 In diesem Sinne Höpner/Jackson (2002) S. 363. 35 Vgl. hierzu Brandl (1987) S. 20–22; Berndt/Hommel (2005) S. 419–420.

Abbildung 1: Gesetzesinitiativen zur Reform der Corporate Governance

Verbesserung Unternehmensleitung sowie der internen und externen Unternehmensüberwachung

■ Stärkung interner Überwachungsmechanismen ■ Deutsche Corporate Governance Kodex ■ Organhaftung ■ Vorstandsvergütung

■ Enforcement-Instanz ■ Verbesserung des Anlegerschutzes ■ (Konzern-)Lagebericht ■ Zwischenberichterstattung, Bilanzeid

■ Ausweitung der Prüfung ■ Zusammenarbeit von Prüfer und Aufsichtsrat ■ Unabhängigkeit ■ Qualitätskontrolle ■ (Konzern-)Lagebericht

■ VorstOG 2005 ■ BilMoG 2009 ■ VorstAG 2009

■ Öffnungsklausel ■ Neue Rechenschaftsinstrumente ■ Standard Setting Body ■ IAS/IFRS-Übernahme ■ (Konzern-)Lagebericht

BilKoG 2004 KapMuG 2005 UMAG 2005 ÜbernahmeRLUmsetzungsG 2006

Unternehmensverfassung

■ ■ ■ ■

Kapitalmarkt/ Enforcement

■ BilReG 2004 ■ APAG 2004 ■ BARefG 2006

Abschlussprüfung

KapAEG 1998 BilReG 2004 VorstOG 2005 TUG 2006 BilMoG 2009

Rechnungslegung/ Publizität

■ ■ ■ ■ ■

(KonTraG 1998; TransPuG 2002; Maßnahmenkatalog 2003)

Ausgewählte Reformmaßnahmen in Deutschland

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wirtschaftlichen Verhältnisse entstanden, um eine Unternehmenskontrolle durch Marktmechanismen zu gewährleisten.36

D. Einfluss der Veränderung des deutschen Corporate Governance-Systems auf die Rechnungslegung I. Konzernabschluss Den zunehmenden Bedarf an entscheidungsnützlichen Rechnungslegungsinformationen auf europäischer Ebene verdeutlicht die von der EU im Jahr 1995 implementierte neue Harmonisierungsstrategie. Die „gemäß ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf der Grundlage der Rechnungslegungs-Richtlinien erstellten Abschlüsse […] [wurden] für internationale Kapitalmarktzwecke [als] nicht länger verwendbar“ 37 betrachtet. Mit der IAS-Verordnung 38 wurde deshalb seit dem 1.1.2005 die obligatorische Anwendung der International Financial Reporting Standards (IFRS) in den Konzernabschlüssen kapitalmarktorientierter Unternehmen vorgesehen. Damit wird EU-weit auf ein einheitliches Rechnungslegungssystem zurückgegriffen, das ausschließlich die Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen an den Kapitalmarkt fokussiert. Für Konzernabschlüsse nicht kapitalmarktorientierter Mutterunternehmen wurde seitens der EU das Mitgliedsstaatenwahlrecht eingeräumt, die IFRS zuzulassen oder vorzuschreiben. In Deutschland wird dieses Wahlrecht an die Unternehmen weitergebenen, die sich damit freiwillig zu einer Anwendung der IFRS entschließen können (§ 315a Abs. 3 HGB).

36 Vgl. hierzu bereits Hopt (1977) S. 403–404. Hierfür spricht auch das tatsächliche Publizitätsverhalten der Unternehmen. Während nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen einer Offenlegung von Rechnungslegungsinformationen kritisch gegenüber zu stehen scheinen, hat sich das Publizitätsverhalten der kapitalmarktorientierten Unternehmen, teilweise aufgrund gesetzlicher Vorgaben, aber zum Teil auch freiwillig bzw. als Folge der Veränderungen im Corporate Governance-System gewandelt. Beispielsweise haben kapitalmarktorientierte Unternehmen bereits in den 1960er Jahren begonnen, Konzernabschlüsse zu publizieren und sich in den 1990er Jahren durch die Notierung an US-amerikanischen Börsen zur Anwendung der US-GAAP und damit zur Offenlegung informationsorientierter Abschlüsse verpflichtet. Vgl. Böcking (1998) S. 53; Böckem (2000) S. 12–13; Hopt (2000) S. 793–794. Allerdings sind auch gegenläufige Entwicklungen zu beobachten, indem Unternehmen ihre Kapitalmarktorientierung aufgeben und einen Rückzug von der Börse (Delisting) beschließen. Insofern entscheiden sich einige Unternehmen gegen ein marktbasiertes Governance-System und eine hohe Transparenz, was eine zunehmende Zweiteilung des Corporate Governance-Systems bewirkt. Zum Delisting vgl. Eisele/Walter (2006) S. 813– 831. 37 KOM (1995) 508 endgültig, S. 5. 38 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002, ABl. EG (2002) Nr. L 243, S. 1 ff.

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II. Einzelabschluss 1. Verzicht auf eine vollumfängliche Anwendung der IFRS Für den Einzelabschluss wurde nach Art. 5 IAS-Verordnung den Mitgliedstaaten das Wahlrecht eingeräumt, anstelle des nationalen Rechnungslegungssystems die Anwendung der IFRS zuzulassen oder vorzuschreiben. Bislang haben 17 von 27 EU-Mitgliedstaaten dieses Mitgliedsstaatenwahlrecht an die Unternehmen weitergegeben oder schreiben eine Anwendung der IFRS im Einzelabschluss vor.39 In Deutschland wurden die IFRS ausschließlich für den Bereich der Publizitätsanforderungen freigegeben (§ 325 Abs. 2a HGB). Große Kapitalgesellschaften können seit In-Kraft-Treten des Bilanzrechtsreformgesetzes (BilReG 2004) 40 alternativ zum handelsrechtlichen Jahresabschluss einen IFRS-Einzelabschluss im Bundesanzeiger offenlegen. Die Offenlegung eines IFRS-Einzelabschlusses entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung zur Erstellung eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses.41 Begründet wurde der Verzicht der Weitergabe eines Wahlrechts zur vollumfänglichen Anwendung der IFRS in der Regierungsbegründung zum BilReG damit, dass die IFRS als Ausschüttungsgrundlage „kaum geeignet“42 und als Grundlage für die Besteuerung „wenig geeignet“43 wären. Der Primärzweck des handelsrechtlichen Jahresabschlusses wurde in der objektivierten Ermittlung eines ausschüttungsfähigen Gewinns gesehen, der die gesellschaftsrechtlichen Ausschüttungsregelungen flankiert. Dabei wurde dem Gläubigerschutz Vorrang vor dem Minderheitsschutz eingeräumt, was sich in der Literatur durch ein Hervorheben des Vorsichtsprinzips ausdrückte.44 2. Annäherung an die IFRS durch das BilMoG Am 29.5.2009 ist mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG), die seit dem Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) 45 von 1985 tiefgreifendste Änderung des Handelsbilanzrechts in Kraft getreten. Die bereits in der 39

Vgl. KPMG (2008) S. 1, 7. BGBl. I 2004, S. 3166 ff. 41 Bisher wurde das Wahlrecht des § 325 Abs. 2a HGB in der Praxis nicht ausgeübt. So hat in 2007 kein DAX 30-Unternehmen einen IFRS-Einzelabschluss im Bundesanzeiger veröffentlicht. 42 BT-Drucksache 15/3419, S. 23. 43 BT-Drucksache 15/3419, S. 23. 44 Vgl. hierzu z.B. Beisse (1993) S. 77, 83–85, 96–97; Wüstemann/Bischof/Kierzek (2007) S. 13, 15; Hommel (1992) S. 6–8; Euler (1991) S. 192–193, 209; Moxter (1987) S. 373–374; Knobbe-Keuk (1993) S. 18–19. Vgl. zum deutschen Gläubigerschutzkonzept auch Kübler (1995) S. 551–556; Gros/Wallek (2009) S. 541–542. Vgl. zum Vorsichtsprinzip Baetge/ Kirsch/Thiele (2009) S. 137–143. 45 BGBl. I 1985, S. 2355 ff. 40

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Regierungsbegründung zum BilReG angekündigte Modernisierung des Bilanzrechts könnte einen Paradigmenwechsel in der handelsrechtlichen Rechnungslegung einläuten.46 Die Regierungsbegründung des BilMoG geht von der Prämisse aus, „dass sich die Rechnungslegung gegenwärtig in einem durch die Globalisierung ausgelösten fortschreitenden Internationalisierungsprozess befindet“ 47 und dabei den informationsorientierten Rechnungslegungssystemen IFRS und US-GAAP eine prägende Rolle zukomme.48 Zwar deute einiges darauf hin, dass sich die IFRS langfristig durchsetzen würden, doch ließe sich dies nicht mit einer Sicherheit beurteilen, die die vollständige Aufgabe der handelsrechtlichen Rechnungslegung zugunsten der IFRS rechtfertige.49 Beschleunigt würde „der Internationalisierungsprozess hin zu einer mehr informationsorientierten Rechnungslegung durch die Anforderungen des internationalen Kapitalmarkts im Wettbewerb der Unternehmen um kostengünstige Finanzierungen.“50 „Ziel des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes ist es […], das bewährte Bilanzrecht des Handelsgesetzbuchs (HGB) zu einer dauerhaften und im Verhältnis zu den internationalen Rechnungslegungsstandards vollwertigen, aber kostengünstigeren und einfacheren Alternative weiterzuentwickeln, ohne die Eckpunkte des HGB-Bilanzrechts – die HGB-Bilanz bleibt Grundlage der Ausschüttungsbemessung und der steuerlichen Gewinnermittlung – und das bisherige System der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung aufzugeben.“51 Um dieses Ziel zu erreichen, sieht das BilMoG eine Anhebung des Informationsniveaus handelsrechtlicher Jahres- und Konzernabschlüsse in Form einer maßvollen Annäherung an die IFRS und die Beseitigung handelsrechtlicher Ansatz-, Ausweis- und Bewertungswahlrechte vor.52 Insbesondere im Hinblick auf mittelständische Unternehmen wird eine maßvolle Annäherung an die IFRS als angemessenes Vorgehen erachtet, da „den Interessen des Mittelstands weit besser Rechnung getragen [würde], wenn wichtige Komponenten der IFRS […] nur teilweise, soweit notwendig, in die handelsrechtliche Rechnungslegung integriert werden und so deren Informationswert erhöht wird, als wenn die IFRS unterschiedslos und vollumfänglich zur Anwendung kommen.“53 Insofern verkörpert das BilMoG eine Kompromisslösung, um den veränderten Anforderungen an die Rechnungslegung der kapitalmarktorientierten Unternehmen auch im Jahresabschluss 46

Vgl. Gros/Wallek (2009), S. 543. Zum BilReG vgl. BT-Drucksache 15/3419, S. 21. BT-Drucksache 16/10067, S. 32. 48 Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 32. 49 Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 33. 50 BT-Drucksache 16/10067, S. 33. 51 BT-Drucksache 16/12407, S. 1. 52 Vgl. BT-Drucksache 16/10067, S. 34. 53 BT-Drucksache 16/10067, S. 33–34. Zu den Regelungen des BilMoG im Überblick vgl. Böcking/Gros (2009) S. 355–361. 47

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zu entsprechen. Gleichzeitig sollen aber nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen nicht zu einer vollumfänglichen Anwendung der IFRS verpflichtet werden. Ob diese Kompromisslösung gelingen kann, bleibt abzuwarten, da den alleine auf die Informationsvermittlung ausgerichteten IFRS eine Ausstrahlungswirkung auf die Auslegung der prinzipienorientierten Vorschriften des Handelsbilanzrechts zukommen könnte.54 Die bis zum In-Kraft-Treten des BilMoG herrschende Ansicht, der vorrangige Schutzzweck des Handelsbilanzrechts sei der Gläubigerschutz, der durch die vorsichtige Ermittlung eines entziehbaren Betrags verwirklicht werden soll, wurde mit dem BilMoG bereits dahingehend modifiziert, dass „nun die Gläubigerschutz- und die Informationsfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses auf gleicher Ebene stehen.“55 3. Offene Fragen und Ausblick Zwar steht für kapitelmarktorientierte Unternehmen die Anhebung des Informationsniveaus des handelsrechtlichen Jahresabschlusses in Einklang mit der Annäherung des deutschen Corporate-Governance-Systems an ein outsider-System, doch bleibt gerade aufgrund der möglichen Ausstrahlungswirkung der IFRS fraglich, ob hierzu eine Annäherung der handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften aller buchführungs- und bilanzierungspflichtigen Kaufleute an die IFRS notwendig ist.56 Das in der Regierungsbegründung zum BilMoG angeführte Argument, dass „international tätige Unternehmen, gleichgültig ob kapitalmarktorientiert oder nicht, faktisch zur Rechnungslegung nach international akzeptierten Standards gezwungen sein werden, um ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrecht erhalten und gleichberechtigt am internationalen Geschäftsverkehr teilnehmen zu können“57 konnte bislang empirisch nicht zuverlässig belegt werden und birgt vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs Risiken. Beispielsweise werden in den USA nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen weitgehend von der Verpflichtung zur externen Rechnungslegung und der Offenlegung von Rechnungslegungsinformationen ausgenommen. Auch sprechen auf Deutschland und Europa bezogene empirische Befunde dafür,

54 Zur Bedeutung der IFRS für die Auslegung der handelsrechtlichen Vorschriften vgl. Hennrichs/Pöschke (2009) S. 532–540. 55 BT-Drucksache 16/10067, S. 59. Die Regierungsbegründung enthält jedoch auch Hinweise auf eine künftige Vorrangstellung der Informationsfunktion. Vgl. z.B. BT-Drucksache 16/10067, S. 34. 56 So warnen Berndt/Hommel im Ergebnis davor, dass eine allgemeine Anwendung der originär für die Kapitalmarktinformation entwickelten IFRS zu Disharmonien innerhalb des nationalen Corporate Governance-Systems führen und seine Funktionsfähigkeit einschränken könnte. Vgl. Berndt/Hommel (2005) S. 419–420. 57 BT-Drucksache 16/10067, S. 33. Vgl. hierzu auch Böcking (1998) S. 18.

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dass sich die Anforderungen nicht kapitalmarktorientierter Unternehmen an das Rechnungslegungssystem maßgeblich von denen kapitalmarktorientierter Unternehmen unterscheiden. Die Information (potenzieller) Investoren spielt für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen keine bedeutende Rolle.58 Empirische Befunde zeigen stattdessen, dass nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen Steuerbehörden als ihren bedeutsamsten Rechnungslegungsadressaten ansehen.59 Insofern wird nicht zuletzt mit dem BilMoG die bereits in anderen Rechtsgebieten diskutierte Frage aufgeworfen, ob eine verstärkte Differenzierung der Rechnungslegung nach dem Kriterium der Kapitalmarktorientierung erfolgen sollte.60 Im Falle einer Differenzierung nach der Kapitalmarktorientierung könnte kapitalmarktorientierten Unternehmen auch im Einzelabschluss eine vollumfängliche Anwendung der IFRS ermöglicht werden. Das Lösungen für Ausschüttungsbemessung und Besteuerung bestehen, zeigt das Vorgehen anderer EU-Staaten, die mit Hilfe von Ausschüttungssperren und Überleitungsrechnungen IFRS-Einzelabschlüsse in Einklang mit dem länderspezifischen Gläubigerschutzkonzept und den Anforderungen der steuerlichen Gewinnermittlung bringen.61

E. Zusammenfassung Die Ausgestaltung des Corporate Governance-Systems ist hinreichend für die Zwecksetzung der Rechnungslegung. Im outsider-System ist die Primärfunktion der Rechnungslegung die Versorgung der Kapitalmarktteilnehmer mit entscheidungsnützlichen Informationen. Im insider-System sprechen überzeugende Argumente für eine Ausrichtung auf den Gläubiger- und Minderheitenschutz. In Deutschland wurde in den vergangenen Dekaden vom Vorliegen eines insider-Systems ausgegangen. Der Primärzweck der handelsrechtlichen Rechnungslegung wurde demgemäß in der objektivierten Ermittlung eines ausschüttungsfähigen Betrags gesehen. Dabei wurde das Vorsichtsprinzip besonders betont, womit dem Gläubigerschutz Vorrang vor dem Minderheitenschutz eingeräumt wurde. 58 Zu den Anforderungen nicht kapitalmarktorientierter Unternehmen und deren Rechnungslegungsadressaten an die Rechnungslegung vgl. auch Kirsch/Meth (2007) S. 9–12. 59 Vgl. z.B. BDI u.a. (2007) S. 9–13; MAZARS/EFRAG (2008) S. 26; BDI/Ernst &Young (2005) S. 40. 60 Die Forderung nach einer verstärkten Differenzierung findet sich nicht ausschließlich im Bereich der Rechnungslegung. Zum Beispiel wurde auf dem 67. Deutschen Juristentag eine gesellschaftsrechtliche Differenzierung zwischen börsennotierten und geschlossenen Gesellschaften diskutiert. Vgl. Bayer (2008). 61 Vgl. hierzu KPMG (2008) S. 1, 7; Endres u.a. (2007) S. 26. Denkbar wäre aber auch die Einführung eines eigenständigen steuerlichen Gewinnermittlungsrechts. Vgl. hierzu auch Böcking/Gros (2007) S. 2341–2343.

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Im Hinblick auf kapitalmarktorientierte Unternehmen war in den vergangenen beiden Dekaden eine Annäherung des deutschen Corporate Governance-Systems an ein outsider-System zu beobachten, der sich der Jubilar tiefgreifend gewidmet hat.62 Entsprechend der Veränderung des Corporate Governance-Systems ist auch die Rechnungslegungskonzeption der kapitalmarktorientierten Unternehmen an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen und verstärkt auf die Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen auszurichten. Da für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen andere Rahmenbedingungen vorliegen, in anderen Ländern weniger strenge Anforderungen an deren Rechnungslegungspublizität bestehen sowie empirische Befunde dafür sprechen, dass der wesentliche Rechnungslegungsadressat nicht kapitalmarktorientierter Unternehmen durch den Fiskus verkörpert wird, sollte auch in Deutschland eine verstärkte Differenzierung der Rechnungslegung nach dem Kriterium der Kapitalmarktorientierung erwogen werden.

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Vgl. hierzu z.B. Hopt (2000) S. 782–818.

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Vorstandsvergütung als Gegenstand rechtlicher Regelung Andreas Cahn I. Einleitung Die nunmehr schon über zwei Jahre andauernde Wirtschaftskrise, die ihren Ausgang von den Finanzmärkten genommen hat, hat die Frage nach der Angemessenheit der Vergütung von Vorstandsmitgliedern in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt und zu einem zentralen Thema der andauernden Diskussion über die Corporate Governance gemacht. Die erfolgsbezogene Ausgestaltung und der Anstieg der Vorstandsbezüge ist mit der zunehmenden Kapitalmarktorientierung des deutschen Aktienrechts seit Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts einhergegangen, die nicht zuletzt auf den wissenschaftlichen Arbeiten des Jubilars beruht.

II. Gegenstand der Diskussion In der jüngeren rechtspolitischen Debatte werden im Wesentlichen zwei Gründe für die Notwendigkeit einer Regulierung der Vorstandsvergütung vorgebracht. Zum einen soll verhindert werden, dass von der Vergütung falsche Anreize ausgehen. Als falscher Anreiz gilt dabei die Belohnung einer Steigerung kurzfristiger Erfolge ohne Rücksicht auf oder gar zu Lasten der langfristigen Unternehmensentwicklung. Insbesondere soll vermieden werden, dass der Vorstand unangemessene Risiken eingeht, weil er sich davon die Chance auf eine besonders hohe Vergütung verspricht.1 Zum anderen stört man sich schlicht an der als exzessiv empfundenen Höhe der Vergütung. Auch wenn in den jüngeren Reformvorschlägen und Reformen meist beide Aspekte zugleich aufgegriffen werden, haben sie doch ganz unter1 Vgl. nur Report der de Larosière-Gruppe v. 25.2.2009, Ziff. 24, 117 ff. und Empfehlung 11; Empfehlung der Kommission zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor K (2009) 3159 v. 30.4.2009, Begründungserwägungen 1 bis 3 und 13; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/48/ EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik KOM (2009)362 v. 13.7.2009, Begründung S. 2 f., 8 f.

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schiedliches Gewicht und stellen den Gesetzgeber vor durchaus unterschiedliche Herausforderungen. Sie sollen daher im Folgenden zunächst je für sich betrachtet werden (III.). Anschließend werden die Verfahrensvorkehrungen gewürdigt, mit denen der Gesetzgeber die inhaltlichen Vorgaben zur Vorstandsvergütung flankiert hat, namentlich die Zuweisung der Vergütung an den Gesamtaufsichtsrat und die Möglichkeit, einen Beschluss der Hauptversammlung über das System der Vergütung zu fassen (IV). Danach wird die Frage behandelt, welche Bedeutung die Schadensersatzsanktion hat, die der Gesetzgeber im Zuge der jüngsten Reformen für Vergütungsentscheidungen ausdrücklich hervorgehoben hat (V.). Ein Fazit beschließt die Überlegungen (VI.).

III. Inhaltliche Vorgaben für die Vorstandsvergütung 1. Begrenzung der Vergütungshöhe a) Anlass und Rechtfertigung für gesetzliche Eingriffe hinsichtlich der Höhe der Vergütung Die Höhe der Vorstandsvergütung als solche ist keine Ursache für die gegenwärtige Krise. Gesetzliche Eingriffe in dieser Hinsicht sind also nicht etwa notwendig, um die Stabilität der Volkswirtschaft zu gewährleisten. Es kann vielmehr allenfalls um den Schutz von Aktionärsinteressen gehen. Auch insoweit wird man das Problem näher eingrenzen müssen. Die bloße Höhe der Vergütung dürfte bei funktionierendem Markt für Führungskräfte und sorgfältiger Wahrnehmung der Interessen der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat einen gesetzlichen Eingriff ebenso wenig rechtfertigen wie bei anderen Großverdienern, etwa in der Unterhaltungsbranche, Sport oder Kunst. Anlass für die öffentliche Empörung, die den Gesetzgeber zum Eingreifen bewogen haben dürfte, sind vor allem Fälle, in denen hohe Vergütungen auch bei schlechter Leistung oder gar bei evidentem Versagen des Managements gezahlt worden sind. Soweit es dabei um feste Vergütungen einschließlich der Auszahlung von Verträgen nach vorzeitiger Beendigung des Amtes geht, stellt sich die Situation im Grundsatz nicht anders dar als bei jedem anderen Dienstvertrag: Sofern der Dienstverpflichtete sich keine Pflichtverletzung hat zuschulden kommen lassen, die einen Grund für die Kündigung des Vertrages darstellt oder Schadensersatzansprüche des Dienstberechtigten begründet, berechtigt der Umstand, dass die Erwartungen des Dienstherrn nicht erfüllt worden sind, nicht zur Kürzung der Vergütung. Problematisch ist es dagegen, wenn trotz Misserfolgs über eine solche Festvergütung hinaus variable Vergütungsbestandteile oder garantierte Abfindungen gezahlt werden. Das ist aber weniger eine Frage der Höhe als vielmehr der Struktur der Vergütung, die so ausgestaltet sein sollte, dass erfolgsabhängige Vergütungs-

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bestandteile auch nur bei erfolgreicher Tätigkeit geschuldet sind. Versuche, die Höhe der Vergütung gesetzlich weiter gehend als durch ganz allgemein gehaltene Leitlinien für die Ausübung des Ermessens des Aufsichtsrats zu begrenzen, sind dagegen grundsätzlich problematisch. b) Inhaltliche Vorgaben des § 87 Abs. 1 AktG zur Vergütungshöhe Diese Skepsis wird durch die Neuregelung in § 87 Abs. 1 AktG bestätigt. Der Gesetzgeber hat versucht, das Gebot der Angemessenheit der Vergütung zu präzisieren und damit den Ermessensspielraum des Aufsichtsrats stärker als bisher einzugrenzen. Wie sich aus der sprachlichen Fassung der Vorschrift ergibt, in der die Üblichkeit den einzelnen Elementen der Angemessenheit gegenübergestellt wird, handelt es sich bei der Üblichkeit nicht um ein weiteres Merkmal zur Konkretisierung der Angemessenheit, sondern um ein zur Angemessenheit hinzutretendes zusätzliches Kriterium zur Begrenzung der Vorstandsvergütung. In der Sache spricht für dieses Verständnis, dass anderenfalls unangemessen hohe Vergütungen durch eine gesetzeswidrige Praxis angemessen würden, was dem gesetzgeberischen Anliegen einer Begrenzung der Bezüge offensichtlich widerspräche. Nach der neuen Regelung kann eine Vergütung daher auch dann unzulässig sein, wenn sie sich zwar innerhalb der Grenzen des noch Angemessenen hält, aber jenseits der Bandbreite üblicher Vergütungen liegt.2 Die Bestimmung ist daher durch ihre Umformulierung im Rechtsausschuss 3 grundsätzlich anders konzipiert worden als nach dem Regierungsentwurf, nach dem die Üblichkeit noch ein weiteres Kriterium der Angemessenheitsbeurteilung darstellte. Der Regierungsentwurf sah noch eine Regelung vor, nach der die Vergütung in angemessenem Verhältnis u.a. zu der üblichen Vergütung stehen sollte.4 Dieser Vorschlag wurde vor allem deswegen kritisiert, weil die Formulierung geeignet war, statt einer Dämpfung der Bezüge deren Erhöhung unter Hinweis auf das anderswo Übliche zu befördern.5 Die Gesetz gewordene Fassung vermeidet zwar ein solches Verständnis. Die ebenfalls kritisierte Unschärfe des Merkmals der Üblichkeit 6 ist damit indessen nicht beseitigt, sondern im Gegenteil durch die Zulassung einer Abweichung aus „besonderen Gründen“ noch vergrößert worden. Die Gesetzesmaterialien erläutern den Begriff der Üblichkeit dahin, dass zum einen die Branchen-, Größen- und Landesüblichkeit gemeint, also auf Unterneh-

2 3

Vgl. Mertens/Cahn in: KölnKommAktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rn. 16. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433,

S. 6. 4 5 6

RegE VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 1. DAV Handelsrechtsausschuss NZG 2009, 612, 613, Tz. 4. Ebenda.

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men derselben Branche, ähnlicher Größe und Komplexität im Geltungsbereich des Gesetzes abzustellen, zum anderen aber auch das Lohn- und Gehaltsgefüge im Unternehmen zu berücksichtigen sei.7 Ein Unternehmensvergleich ist indessen schon deswegen problematisch, weil Unternehmen vergleichbarer Größe, die in derselben Branche aktiv sind, durchaus unterschiedlich erfolgreich wirtschaften können. In solchen Fällen besteht aber kein Grund dafür, dass das Vergütungsniveau einer weniger erfolgreichen Gesellschaft für den Vorstand des erfolgreicheren Unternehmens maßgeblich sein sollte. Eine Begrenzung der Vorstandsbezüge durch die „Üblichkeit“ widerspricht vielmehr der Maßgeblichkeit unternehmens- und personenspezifischer Merkmale im Rahmen der Angemessenheit. Dem Anliegen, mit variablen Vergütungen das Management zu besonderer Leistung anzuspornen, widerspricht eine Begrenzung der variablen Bezüge durch am Üblichen orientierte caps geradezu, wird dadurch doch ein Anreiz dafür gesetzt, mit Erreichen dieser Grenze besondere Bemühungen um zusätzliche Unternehmenserfolge in die Zukunft zu verschieben.8 Schließlich kann auch die Zusammensetzung des Aktionärskreises erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung haben; insbesondere bei Gesellschaften, die von privaten Großaktionären kontrolliert werden, kann sie geringer 9, im Einzelfall aber auch erheblich höher10 ausfallen als bei Publikumsgesellschaften, ohne dass dies in der einen oder anderen Richtung für Publikumsgesellschaften maßgeblich sein dürfte.11 Von vornherein unverständlich bleibt, welche Bedeutung die „Komplexität des Unternehmens“ für die Vergütung haben sollte.12 Hier ist schon im Ansatz unklar, ob damit auf die Organisationsstruktur oder auf die Art der Produkte und Leistungen des Unternehmens Bezug genommen wird. Unklar ist aber auch, warum das eine oder andere Merkmal überhaupt Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung haben sollte.13 Untauglich als Leitlinie für die Beurteilung der Vergütung ist schließlich der Hinweis auf das Lohn- und Gehaltsgefüge im Unternehmen.14 Zum 7 BegrRegE, BT-Drucks. 16/12278, S. 6; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433, S. 15. 8 Vgl. Rost/Osterloh Schmalenbach Business Review 61 (2009), 119, 125 f. m. Nachw. 9 Vgl. dazu den Vergleich der Vergütungen der Vorstände der damaligen Daimler/ Chrysler AG mit denen des Vorstands der BMW AG bei Adams ZIP 2002, 1325, 1331. 10 Vgl. etwa die Vergütung des Vorstands der Porsche AG/SE – dazu Weber Börsen-Zeitung, Ausgabe Nr. 139 v. 24.07.2009, Seite 10; swa Börsen-Zeitung, Ausgabe Nr. 139 v. 24.7. 2009, S. 11. 11 Mertens/Cahn KölnKommAktG (Fn. 2) § 87 Rn. 16. 12 Ebenda. 13 Soll ein Vorstand einer Holdinggesellschaft mehr verdienen dürfen als ein Vorstand eines nach Branche und Größe vergleichbaren Einheitsunternehmens, der Vorstand eines Sportwagenherstellers mehr als derjenige eines Herstellers technisch weniger anspruchsvoller Kleinwagen? 14 So auch Hohenstatt ZIP 2009, 139, 1351.

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einen muss durchaus nicht stets ein Gefüge im Sinne aufeinander bezogener und für alle Ebenen geltenden Grundsätze der Vergütung vorhanden sein. Selbst wenn dies aber der Fall ist, muss ein solches Gefüge keineswegs so konzipiert sein, dass man im Wege der Extrapolation bestimmte Multiplikationsfaktoren auf die Vorstandsebene übertragen könnte; vielmehr wird das Lohn- und Gehaltsgefüge auch durch die Höhe der Vorstandsvergütung und deren Abstand zu den nächsten Ebenen mit definiert. Ebenso nebulös wie der Begriff der Üblichkeit ist das weitere Merkmal der „besonderen Gründe“, die eine Überschreitung der üblichen Vergütung rechtfertigen sollen. Als Beispiel für solche Gründe ließe sich beispielsweise an eine besondere Tüchtigkeit eines Vorstandsmitglieds denken, die ihren Ausdruck in entsprechend hohen Angeboten anderer Unternehmen findet. Unklar ist aber bereits, ob jenseits der Üblichkeit liegende Vergütungsforderungen auch ohne einen solchen Marktvergleich ausreichen, wenn der Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied wegen seiner (vermeintlichen) Bedeutung für das Unternehmen gewinnen oder halten will.15 Insgesamt ist zu konstatieren, dass der Versuch, den Begriff der Angemessenheit weiter zu konkretisieren, gescheitert ist. Bestenfalls bleibt die neue Regelung weitgehend unschädlich, weil sich wegen der zahlreichen Unklarheiten konkrete Folgen aus ihr nicht ableiten lassen. 2. Regelungen zur Vergütungsstruktur a) Begriff und Bedeutung der Vergütungsstruktur Wichtiger und im Zusammenhang mit der Finanzkrise von viel größerer Bedeutung als die Höhe der Vergütung ist deren Struktur. Damit ist im vorliegenden Zusammenhang nicht nur das Verhältnis verschiedener Vergütungsbestandteile zueinander gemeint, also etwa die Aufteilung in fixe sowie kurz- und langfristige variable Komponenten, sondern auch die inhaltliche Ausgestaltung der variablen Vergütung.16 In der Theorie besteht der Vorteil einer variablen Vergütung darin, dass die Interessen der Geschäftsleitung mit denen der Aktionäre in Übereinstimmung gebracht werden. Während bei einem reinen Festgehalt, so das Kalkül, Manager ihre eigenen – mit denen der Aktionäre nicht notwendig übereinstimmenden – Interessen verfolgen, weil sie von einer Steigerung des Unternehmenswertes keinen Vorteil zu erwarten haben, führt bei sachgerechter Gestaltung variabler Vergütungsbestandteile die Steigerung des Unternehmenswertes zu einer höheren Entlohnung für das Management. Die Geschäftsleiter sollen also nicht allein durch die Peitsche der Entlassungs- oder Haftungsandrohung, sondern auch durch das 15 16

Mertens/Cahn KölnKommAktG (Fn. 2) § 87 Rn. 16. Ähnlich etwa Hohenstatt/Kuhnke ZIP 2009, 1981, 1982.

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Zuckerbrot der monetären Belohnung dazu gebracht werden, ihre Aufgabe als Treuhänder der Aktionäre so gut wie möglich zu erfüllen. Diese theoretischen Erwägungen haben Eingang in die Vergütungspraxis gefunden; insbesondere bei den größten Unternehmen haben variable Vergütungsbestandteile ein größeres Gewicht erlangt als die Festvergütung.17 Wie sich gezeigt hat, seitdem aktienbasierte Vergütungen, namentlich Aktienoptionen für Führungskräfte en vogue sind, ist ein solches Fernsteuern von Managern allerdings schwieriger als zunächst angenommen. Das liegt zum einen daran, dass die Parameter für variable Vergütungen einer Reihe von Bedingungen genügen müssen, die nicht leicht zu erfüllen sind: Sie sollen messbar18, aber nicht für Manipulationen durch die Begünstigten anfällig sein, wie das insbesondere bei Kennzahlen der Fall ist, die sich auf das betriebliche Rechnungswesen beziehen19, aber auch bei einer Anknüpfung an den Aktienkurs der Fall sein kann; zudem sollen nur besondere Leistungen der Begünstigten und nicht etwa Zufallsgewinne belohnt werden. Andererseits dürfen die Ziele nicht so ehrgeizig gesteckt sein, dass kaum Aussicht besteht, sie zu erreichen, so dass sie eher zu Frustration als zu besonderer Anstrengung führen. Eine Vergütungsstruktur zu entwerfen, die alle diese Bedingungen erfüllt, ist nicht einfach. Hinzu kommt das zusätzliche Problem, dass die Zukunft nicht selten Überraschungen bereit hält, die bei der Vergütungsregelung nicht bedacht worden sind und nicht bedacht werden konnten.20 Schließlich ist zu bedenken, dass ein anreizorientiertes Vergütungssystem nur dann Aussicht hat, die Geschäftsleiter zur Erreichung bestimmter Ziele anzuspornen, wenn diese Ziele einigermaßen klar definiert sind. Bei komplexen Vergütungssystemen, die sich an abgeleiteten Kennzahlen orientieren und eine ganze Reihe von Nebenbedingungen einführen, kann es bisweilen schwierig sein, den Bezug zur unternehmerischen Tätigkeit der Gesellschaft zu erkennen, die zu betreiben Hauptaufgabe des Vorstands ist. Wer sich näher mit variablen Vergütungen befasst hat, wird bestätigen, dass es hier um außerordentlich komplexe Gestaltungsprobleme geht.

17 Vgl. für das Jahr 2007 Kuhner/Hitz/Sabiwalsky Studie Managergehälter 2008, S. 21: Danach betrug die Quote der erfolgsabhängigen Komponenten für einfache Vorstandsmitglieder im DAX 30 68 %, für Vorstandsvorsitzende 71 %, im MDAX immerhin für einfache Vorstandsmitglieder und Vorstandsvorsitzende noch 59 %. 18 Erwägungsgrund 6 der Empfehlung der Kommission v. 30.4.2009, 2009/385/EG, ABl. EU L 120/28 v. 15.5.2009. 19 Vgl. dazu etwa Kuhner/Hitz/Sabiwalsky Studie Managergehälter 2008, S. 14. 20 Als Beispiel sei die Steigerung des Aktienkurses durch Derivategeschäfte genannt, wie im Jahr 2008 bei VW zu beobachten war und dort zu einer Vervielfachung des Wertes der aktienkursbasierten Vergütungsbestandeile geführt hat, vgl. Schwalbach Vergütungsstudie 2009, S. 4.

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b) Bisherige Erfahrungen mit Anreizvergütungen Ob die bisherigen Erfahrungen mit variablen Vergütungen die in diese Vergütungsform gesetzten Erwartungen bestätigen, ist bekanntlich umstritten.21 Der Versuch, den Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und bestimmten Vergütungsstrukturen empirisch zu belegen, ist von vornherein problematisch, denn angesichts der Vielzahl unternehmensinterner und -externer Ursachen für die Entwicklung von Unternehmenswerten lässt sich allenfalls eine Koinzidenz der Entwicklung von Unternehmenswert und Vorstandsbezügen belegen, nicht aber die Kausalität einer bestimmten Vergütungsstruktur für den Unternehmenserfolg. Eine ganze Reihe von Untersuchungen kommt sogar zu dem Ergebnis, dass zwischen erfolgsorientierter Vorstandsvergütung und Unternehmenserfolg keine Beziehung besteht.22 In der Tat sind empirische Befunde durchaus geeignet, Zweifel an der These vom Nutzen anreizorientierter Vergütungen für die Gesellschaften und ihre Aktionäre zu wecken. So hat etwa eine Auswertung der Vorstandsbezüge für 17 DAX-Unternehmen für den Zeitraum von 1987 bis 2005 ergeben, dass die Vorstandsvergütungen zwar bei steigenden Aktienkursen ebenfalls steigen, auf fallende Kurse aber nicht entsprechend reagieren.23 Der bei weitem überwiegende Teil des Anstiegs der Vorstandsvergütung fällt dabei auf die Jahre seit 199824; offensichtlich besteht also ein Zusammenhang zwischen der Ermöglichung von Optionsvergütungen für Vorstandsmitglieder durch das KonTraG von 1998 und dem Anstieg der Vergütung. Für die Jahre 1998 bis 2004 konstatiert eine andere Studie einen Anstieg der Bezüge der Vorstände der DAX-Unternehmen von 108 %, während sich die Jahresüberschüsse dieser Unternehmen im gleichen Zeitraum um lediglich 27 % erhöhten.25 Selbst in Zeiten stark rückläufiger Aktienkurse, etwa in den Jahren 2001 bis 2003, ist kein nennenswerter Rückgang der Vergütung zu verzeichnen.26 Die mangelnde Elastizität der Vorstandsvergütung nach unten27 ist – 21 Skeptisch etwa Adams ZIP 2002, 1325 ff.; Binz/Sorg BB 2002, 1273, 1276 ff.; Thüsing ZGR 2003, 457, 477 ff.; Schmidt/Schwalbach ZfB Special Issue, Januar 2007, 111 ff.; Rost/ Osterloh Schmalenbach Business Review 61 (2009) 119 ff.; positiver Spindler DStR 2004, 36, 42; Friedrichsen Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte, 2000, S. 24 ff.; Jensen/Murphy Harvard Business Review 68 (1990) 138 ff. 22 Vgl. die Nachweise bei Rost/Osterloh Schmalenbach Business Review 61 (2009) 119, 124. 23 Schmidt/Schwalbach ZfB Special Issue Januar 2007, 111, 119 f. 24 Im Zeitraum von 1987 bis 2008 ist das Verhältnis der Vorstandsvergütung der DAX 30 Unternehmen von 1:14 auf 1: 49 angestiegen. Während bis 1998 ein Verhältnis von 1: 20 nicht überschritten wurde, hat es sich seitdem mehr als verdoppelt, vgl. Schwalbach Vergütungsstudie 2009, S. 127. 25 Chahed/Müller Unternehmenserfolg und Managervergütung, 2006, S. 49 unter Berufung auf eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum aus dem Jahr 2005. 26 Schwalbach Vergütungsstudie 2009, S. 127. 27 Vgl. zu diesem Phänomen auch v. Werder ZIP 2009, 500, 503 f.

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wenn auch teilweise in abgeschwächter Form – auch für die Jahre 2007 und 2008 zu beobachten: Im Jahr 2008 sind die Vergütungen der DAX-Vorstände im Vergleich zum Vorjahr immerhin um durchschnittlich 20,58 % gesunken.28 Im gleichen Zeitraum ist der DAX indessen nahezu um das Doppelte, nämlich um 40,37 %, gefallen.29 Bei den Unternehmen des MDAX sind die aktienkursbasierten Vergütungen von 2007 auf 2008 trotz eines Rückgangs des MDAX um 43,21%30 nicht nur nicht gesunken, sondern sogar durchschnittlich um 5,32 % gestiegen.31 Auch einzelne prominente Beispiele wecken Zweifel an der Richtigkeit der These, eine bestimmte Vergütungshöhe oder die Gewährung anreizorientierter Vergütungsbestandteile in erheblichem Umfang seien Voraussetzung für ein erfolgreiches Bemühen des Managements um die Steigerung des Unternehmenswerts. So sind etwa die Bezüge des Vorstands der Daimler AG seit jeher erheblich höher als die des Vorstands der BMW AG 32, deren Vorstandsvergütungssystem keine Aktienoptionen oder andere aktienbasierte Vergütungskomponenten oder andere Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung enthält.33 Im Jahr 2007 waren die Bezüge des sechsköpfigen DaimlerVorstands doppelt so hoch wie die des aus acht Personen bestehenden Vorstands der BMW AG34. Im Jahr 2007 sank der Kurs der BMW-Aktien zwar entgegen dem Trend in der Automobilbranche von € 43,51 auf € 42,35. Das Ergebnis je Aktie steigerte sich dagegen im Vergleich zum Vorjahr von € 4,38 auf € 4,78.35 Während der Kurs der Daimler-Aktie im Jahr 2007 um 42 % stieg 36, betrug das Ergebnis je Aktie mit € 3,83 deutlich weniger als bei BMW.37 Zwar sind beide Unternehmen nur bedingt vergleichbar, denn die 28 Dabei ist die Festvergütung um durchschnittlich 7,01% gestiegen, die variable Barvergütung aber um 32,82% und die aktienkursbasierte Vergütung um durchschnittlich 20,93 % gesunken, vgl. DSW, Struktur/Entwicklung der durchschnittlichen Vorstandsvergütung im DAX nach Vergütungskomponenten, abrufbar unter http://www.dsw-info.de/DSW-Studie-zur-Vorstandsvergue.1576.0.html. 29 Von 8067,32 Punkte auf 4810 Punkte. 30 Von 9.864,62 Punkte auf 5.601,91 Punkte. 31 In diesem Zeitraum ist die feste Barvergütung der Vorstände der MDAX-Unternehmen um durchschnittlich 1,45 % gestiegen, die variable Barvergütung dagegen um 26,76 % gesunken. Daraus ergab sich ein Rückgang der Gesamtvergütung um durchschnittlich 13,16 %, vgl. DSW, Struktur/Entwicklung der durchschnittlichen Vorstandsvergütung im MDAX nach Vergütungskomponenten, abrufbar unter http://www.dsw-info.de/DSWStudie-zur-Vorstandsvergue.1576.0.html. 32 Vgl. dazu Adams ZIP 2002, 1325, 1331. 33 Schwalbach Vergütungsstudie 2009, S. 27. 34 Schwalbach Vergütungsstudie 2009, S. 27, 35. 35 BMW Geschäftsbericht 2007, S. 94. 36 Von € 46,80 auf € 66,50. 37 Vgl. Daimler, Interaktiver Geschäftsbericht, abrufbar unter http://gb2007.daimler. com/cgi-bin/show.ssp?companyName=daimler&language=German&report_id=gb-2007& id=2005.

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unterschiedliche Zusammensetzung des Aktionärskreises – überwiegend Streubesitz bei Daimler, Einfluss einer kontrollierenden Aktionärsfamilie bei BMW – führt zu unterschiedlichen Kontroll- und Anreizmechanismen für das Management. Das für die Notwendigkeit hoher variabler Vergütungen vorgetragene Argument, ohne derartige finanzielle Anreize könne eine Gesellschaft nicht im Wettbewerb um die besten Führungskräfte konkurrieren, beansprucht hingegen unabhängig von der Aktionärsstruktur Geltung. Träfe es zu, dürften eigentümerdominierte Gesellschaften mit geringerem Vergütungsniveau nicht in der Lage sein, erstklassige Vorstände zu finden und dauerhaft zu halten. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Bezüge der Vorstandsmitglieder von Gesellschaften, die Stabilisierungsmaßnahmen des Finanzmarktstabilisierungsfonds in Anspruch nehmen, auf € 500.000 zu begrenzen38 müsste als geradezu katastrophale Fehlentscheidung bezeichnet werden, denn Gesellschaften in einer derart schwierigen Lage sind in besonderem Maße auf die Tüchtigkeit hervorragender Geschäftsleiter angewiesen. Wenn solche Geschäftsleiter nur aufgrund einer besonders attraktiven Vergütung zu gewinnen oder zu halten wären, läge es daher gerade hier nahe, dem Management überdurchschnittlich hohe Bezüge anzubieten, um dadurch die Bewältigung der besonderen Herausforderungen zu befördern. Schließlich deuten die Ergebnisse psychologischer Untersuchungen darauf hin, dass eine Überbetonung äußerer, namentlich monetärer Anreize, nicht nur keine Ergebnissteigerung bewirken, sondern sich sogar negativ auf den Unternehmenserfolg auswirken kann, indem nämlich intrinsische Motivationsfaktoren wie etwa Pflichtbewusstsein oder Freude an der Aufgabe verdrängt werden, ohne dass dieser Motivationsverlust durch entsprechend starke äußere Anreize ersetzt würde. Monetäre Anreize sind danach vor allem dort sinnvoll, wo von der Tätigkeit selbst keine hohe Motivationswirkung ausgeht, nicht dagegen bei Aufgaben mit hoher innerer Motivationswirkung.39 c) Folgerungen Unabhängig von der Einschätzung des Nutzens variabler Vergütungsbestandteile muss sich, wer das Instrument der variablen Vergütung einsetzen will, vor allem darüber im Klaren sein, dass Fehler bei der Ausgestaltung nicht nur zu überhöhter Vergütung für geringe Leistung, sondern im schlimmsten Fall geradezu zum Gegenteil des beabsichtigten Erfolges, näm38 Vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 4 a) S. 5 Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung v. 20.10. 2008, erlassen auf Grundlage von § 10 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds (Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz – FMStFG) v. 17.10.2008, BGBl. I, S. 1982. 39 Vgl. Rost/Osterloh Schmalenbach Business Review 61 (2009) 119, 126 ff. mit zahlr. Nachweisen.

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lich zu einer Senkung des Unternehmenswertes führen können. Dies kann namentlich dann der Fall sein, wenn von der Vergütung Anreize ausgehen, kurzfristige Ziele ohne Rücksicht auf deren langfristige Konsequenzen für das Unternehmen zu verfolgen, insbesondere unverhältnismäßige Risiken in Kauf zu nehmen, die zwar kurzfristig zu einer Steigerung der Parameter führen, von denen die Höhe der variablen Vergütung abhängt, langfristig indessen die Existenz des Unternehmens gefährden können. Problematisch sind etwa Tantiemen oder Boni, die an das Jahresergebnis anknüpfen. Zum einen hat der Vorstand Spielräume bei der Gestaltung des Zahlenwerks, zum anderen würden auch außerordentliche Erträge, etwa die Realisierung stiller Reserven, die Vergütung erhöhen, obwohl es hier keine besondere Tüchtigkeit zu belohnen gilt. Aber auch wenn die Parameter so gewählt werden, dass derartige Manipulationen ausgeschlossen sind, kann von solchen am kurzfristigen Erfolg orientierten Vergütungsbestandteilen ein Anreiz ausgehen, das Ergebnis zum Stichtag zu steigern, selbst wenn dies langfristig für die Gesellschaft von Nachteil ist. Wie die Finanzmarktkrise zeigt, liegt das Problem dabei allerdings nicht allein oder auch nur in erster Linie in der Vergütung des Vorstands; für die Stabilität von Unternehmen des Finanzsektors und für die Stabilität der Märkte von mindestens ebenso großer Bedeutung ist die Ausgestaltung der Vergütung nachgeordneter Führungsebenen und derjenigen Mitarbeiter, die riskante Finanzprodukte gestalten und vertreiben.40 Aus diesen Gründen hat die Kommission ihre Empfehlung vom Dezember 2004 zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften41, in der es im Wesentlichen um Transparenz und die Mitwirkung der Aktionäre ging, im April 2009 ergänzt 42 und um besondere Empfehlungen zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor 43 erweitert. Diese Empfehlungen begnügen sich nicht mehr mit Vorschlägen über die Beteiligung der Aktionäre an der Vergütungsfestsetzung 44 und die Offenlegung der Vergütung 45; ihr Hauptaugenmerk liegt viel40 K (2009) 3159 v. 30.4.2009, Begründungserwägungen 1 bis 3 und 13; dementsprechend beziehen sich die Vorgaben von AT 7.1, Personal und Anreizsysteme, der MaRisk v. 14.8. 2009 nicht nur auf die Geschäftsleiterebene. 41 2004/913/EG, ABl. EU L 385/55 v. 29.12.2004. 42 2009/385/EG, ABl. EU L 120/28 v. 15.5.2009. 43 K (2009) 3159 v. 30.4.2009. 44 Vgl. Erwägungsgrund 10 und Ziff. 6 der Empfehlung der Kommission vom 30.4.2009 zur Ergänzung der Empfehlung 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Geschäftsleitung nicht börsennotierter Gesellschaften, 2009/385/ EG, ABl. EU L 120/28 v. 15.5.2009. 45 Vgl. Erwägungsgrund 9 und Ziff. 5 der Empfehlung der Kommission vom 30.4.2009 zur Ergänzung der Empfehlung 2004/913/EG und 2005/162/EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Geschäftsleitung nicht börsennotierter Gesellschaften, 2009/385/ EG, ABl. EU L 120/28 v. 15.5.2009.

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mehr auf der inhaltlichen Ausrichtung der Vergütung an der langfristigen Unternehmensentwicklung.46 d) Erfordernis einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage für variable Vergütungsbestandteile Der deutsche Gesetzgeber hat dieses Anliegen durch das VorstAG aufgegriffen. Nach § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG ist die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten; nach Satz 3 der Vorschrift sollen variable Vergütungsbestandteile daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Was der Gesetzgeber unter „mehrjährig“ versteht, verdeutlicht die Verlängerung der Mindestwartezeit für die Ausübung von Aktienoptionen, die aus einer bedingten Kapitalerhöhung zu bedienen sind, von zwei auf vier Jahre, § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG. Ausweislich der Regierungsbegründung soll sich auch die Laufzeit anderweitiger langfristiger Verhaltensanreize an dieser Frist ausrichten.47 Das wird allerdings von Teilen des Schrifttums unter Hinweis auf den Wortlaut des § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG anders gesehen. Bereits ein Bemessungszeitraum von zwei Jahren erfülle die Voraussetzung der „Mehrjährigkeit“. Zudem sei die Vereinbarung einer Laufzeit von vier Jahren und mehr jedenfalls bei einer kürzeren Bestellungsdauer sachwidrig, denn hier bestehe zwischen den Leistungen des Vorstandsmitglieds und der in Aussicht gestellten Vergütung u.U. kein erkennbarer Zusammenhang mehr. Die Einhaltung eines Mindestzeitraums von vier Jahren sei daher nur bei solchen variablen Vergütungsbestandteilen geboten, die einem Aktienoptionsprogramm ähneln.48 Das Wortlautargument ist in Anbetracht des ausdrücklichen Hinweises in der Regierungsbegründung wenig überzeugend. Dass die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses diesen Hinweis nicht wiederholt hat, muss nicht als Abkehr vom Regierungsentwurf verstanden werden49; näher liegt vielmehr die Annahme, dass der Rechtsausschuss sich insoweit der Entwurfsbegründung anschließen wollte. Gewichtiger ist dagegen die Erwägung, mit zunehmender Laufzeit erhöhe sich die Gefahr, dass die beabsichtigte Anreizwirkung verfehlt werde. Während die durchschnittliche Amtsdauer von Vor-

46 Vgl. insbesondere Erwägungsgründe 3, 5, 6, 8 sowie Ziff. 3 und 4 der Empfehlung der Kommission vom 30.4.2009 zur Ergänzung der Empfehlung 2004/913/EG und 2005/162/ EG zur Regelung der Vergütung von Mitgliedern der Geschäftsleitung nicht börsennotierter Gesellschaften, 2009/385/EG, ABl. EU L 120/28 v. 15.5.2009; Erwägungsgründe 3, 14, 15, sowie Ziff. 3., 4.2., 4.3., 5.2. und 5.3. der Empfehlung der Kommission zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor vom 30.4.2009, K (2009) 3159. 47 BegrRegE BT-Drucks. 16/12278, S. 6; Fleischer NZG 2009, 801, 803; Bosse BB 2009, 1650, 1651. 48 Hohenstatt/Kuhnke ZIP 2009, 1981, 1985. 49 So aber Hohenstatt/Kuhnke ZIP 2009, 1981, 1985.

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standsvorsitzenden deutscher Aktiengesellschaften in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zwischen elf und zwölf Jahren betrug, war sie bereits in den 90er Jahren auf achteinhalb Jahre gesunken und beträgt mittlerweile nur noch fünfeinhalb Jahre 50; für einfache Vorstandsmitglieder dürfte Ähnliches gelten.51 Wenngleich dafür eine Reihe von Ursachen verantwortlich sein mag, lässt diese Entwicklung doch darauf schließen, dass Aufsichtsräte in zunehmendem Maße von der Möglichkeit Gebrauch machen, Vorstandsmitglieder bei Erfolglosigkeit zu entlassen oder nicht wiederzubestellen.52 Diese Entwicklung steht in einem gewissen Widerspruch zum Einsatz langfristiger Vergütungsbestandteile als Anreizinstrument: Je weniger ein Vorstandsmitglied damit rechnen kann, bei Fälligkeit solcher Vergütungsbestandteile noch im Amt zu sein und damit entscheidenden Einfluss auf deren Wertentwicklung nehmen zu können, um so geringer wird die Motivationswirkung sein, die von einer solchen Vergütung ausgeht. Das denkbare Gegenargument, die besondere Langfristigkeit der Vergütung solle den Vorstandsmitgliedern gerade einen Anreiz zu dafür geben, sich durch Förderung des langfristigen Unternehmenswohls um die erneute Bestellung zu bemühen, verliert in dem Maße an Gewicht, in dem die statistische Wahrscheinlichkeit der – durchaus auch von anderen Faktoren als dem eigenen Beitrag zum Unternehmenserfolg abhängigen – Erreichung dieses Ziels sinkt. Die Anreizwirkung wird dabei zusätzlich dadurch in Frage gestellt, dass nicht selten langfristige Vergütungsbestandteile, insbesondere Aktienoptionen, verfallen, soweit sie beim Ausscheiden aus dem Unternehmen noch nicht fällig sind. Eine zu langfristige Ausrichtung der Vergütung kann daher den beabsichtigten Anreiz erheblich beeinträchtigen. Dieses Problem verschärft sich noch weiter, wenn man § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG beim Wort nimmt, dass variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben sollen. Das wird im Schrifttum teilweise dahin verstanden, die Höhe der Vergütung könne sich nach dem Ergebnis eines einzelnen Geschäftsjahres richten, wenn nur die Auszahlung um weitere Jahre hinausgeschoben sei und negative Entwicklungen bis zum Auszahlungszeitpunkts – etwa aufgrund eines Bonus-Malus-Systems –53 zu einer Verringerung solcher Vergütungsbestandteile führen. § 87 Abs. 1 Satz 3

50 Für Deutschland und die Schweiz vgl. Manager Magazin 2/2009, S. 80, für Europa Karlsson/Neilson/Webster CEO Succession 2007: The Perfomance Paradox, 2008, S. 9. 51 Vgl. v. Werder ZIP 2009, 500, 504. 52 Vgl. etwa Karlsson/Neilson/Webster CEO Succession 2007: The Perfomance Paradox, 2008, S. 6, wonach in Europa im Jahr 2007 37 % der Amtswechsel auf der Ebene der Vorstandsvorsitzenden unfreiwillig erfolgten. 53 Sie werden in der Regierungsbegründung ausdrücklich als Beispiel für die Umsetzung des Gebots einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage genannt, vgl. BT-Drucks. 16/13433, S. 16.

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AktG spricht indessen nicht von einer mehrjährigen Laufzeit der Vergütungsbestandteile oder einer mehrjährigen Wartezeit bis zu ihrer Fälligkeit, sondern von einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage. Bemessungsgrundlage für Aktienoptionsprogramme ist meist die Entwicklung des Aktienkurses während eines bestimmten Zeitraums. Von ihr hängt es ab, ob und wie viele Optionen einem Vorstandsmitglied zugeteilt werden. Wenn das Gesetz eine mehrjährige Bemessungsgrundlage verlangt, so bedeutet dies auf den Fall eines Optionsprogramms angewandt, dass der für die Aktienkursentwicklung maßgebliche Zeitraum nicht ein einzelnes Jahr sein darf, sondern mehrere Jahre umfassen muss. Selbst wenn man dafür die Auslegungshilfe des § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG nicht für maßgeblich hielte und einen Zeitraum von zwei Jahren ausreichen ließe, müsste ein Vorstandsmitglied von seiner Teilnahme am Optionsprogramm an mindestens sechs Jahre bis zur Optionsausübung warten, denn zu den zwei Jahren Bemessungszeitraum bis zur Gewährung der Optionen käme nach § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG eine Wartezeit von weiteren vier Jahren hinzu. Selbst wenn das Vorstandsmitglied für fünf Jahre bestellt wird und die Teilnahme am Optionsprogramm bereits zu Beginn der Amtszeit erfolgt, kann es die Optionen während der Amtsperiode nicht ausüben. Das Vorstandsmitglied hat also nur dann Aussicht darauf, Einfluss auf den Aktienkurs zum frühestmöglichen Zeitpunkt für die Optionsausübung nehmen zu können, wenn es erneut bestellt wird. e) Zulässigkeit kurzfristiger variabler Vergütungsbestandteile? Das Gebot einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage für variable Vergütungsbestandteile ist auf Empfehlung des Rechtsausschusses ins Gesetz eingefügt worden.54 Die Entwurfsbegründung55 führt dazu aus: „Wie die geforderte mehrjährige Bemessungsgrundlage konkret umgesetzt werden kann, sagt der Entwurf nicht. Dazu gibt es zahlreiche denkbare Vertragsgestaltungen wie Bonus-Malus-Systeme, Performancebetrachtung über die Gesamtlaufzeit. Aus der Vorgabe der mehrjährigen Bemessungsgrundlage folgt zugleich, dass nicht nur die Auszahlung hinausgeschoben sein darf, vielmehr müssen die variablen Bestandteile auch an negativen Entwicklungen im gesamten Bemessungszeitraum teilnehmen.“ Diese Ausführungen lassen darauf schließen, dass Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 sich auch auf jährliche Tantiemen bezieht. Das ergibt sich zum einen daraus, dass die Ausschussbegründung trotz entsprechender Kritik am Regierungsentwurf 56, nach dessen Begründung sich die Verpflichtung, langfristige Verhaltensanreize zu setzen, ausdrücklich auf kurzfristige variable Vergütungsbestandteile beziehen soll 57, 54 55 56 57

Vgl. Art. 1 Nr. 1a) VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 6. BT-Drucks. 16/13433, S. 16. Vgl. etwa DAV Handelsrechtsausschuss NZG 2009, 612, 613, Tz. 5. BegrRegE, BT-Drucks. 16/12278, S. 6.

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nicht zwischen kurz- und langfristigen variablen Vergütungsbestandteilen differenziert, zum anderen daraus, dass langfristige Vergütungsbestandteile wie echte oder virtuelle Aktienoptionspläne ohnehin so ausgestaltet sind, dass sich die Entwicklung des Unternehmens auf die Höhe der Vergütung auswirkt. Das vom Gesetzgeber verfolgte Anliegen kommt in der Begründung zum Regierungsentwurf des VorstAG zum Ausdruck. Dort heißt es: „Zusätzlich wird dem Aufsichtsrat vorgegeben, mit den eingesetzten Vergütungsinstrumenten „langfristige Verhaltensanreize“ zu setzen. Dies bedeutet, dass beispielsweise Gratifikationen und Boni nicht so angelegt sein sollten, dass die Erfüllung ihrer Parameter zum Stichtag (z.B. Jahresende) von den Begünstigten etwa durch Aufblähung des Auftragsvolumens, angestrebt wird, und nachfolgende Verschlechterungen der Parameter für die Vergütung ohne Folgen bleiben. …“.58 Der Prozess der Aufweichung dieser Vorgabe hat allerdings schon unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes begonnen. Im Schrifttum zum VorstAG wird nahezu einhellig die Auffassung vertreten, nach wie vor seien Tantiemen und Boni zulässig, die ausschließlich auf den Erfolg des abgelaufenen Geschäftsjahres abstellen.59 Man stützt sich dafür auf die Bemerkung in der Ausschussbegründung, auch eine „Mischung aus kurzfristigeren und längerfristigen Anreizen“ sei möglich, wenn im Ergebnis ein langfristiger Verhaltensanreiz erzeugt werde.60 Mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift dürfte das kaum vereinbar sein. Zudem ist unklar, wie die Beimischung kurzfristig orientierter variabler Vergütungsbestandteile dazu beitragen soll, langfristige Verhaltensanreize zu setzen, sind doch solche Vergütungskomponenten im Gegenteil gerade dazu geeignet, langfristige Anreize zu neutralisieren. Schließlich ließe sich auch eine Grenze für die Zulässigkeit kurzfristig orientierter Boni nicht hinreichend rechtssicher ziehen, wie etwa der Vorschlag zeigt, „dass das langfristige Vergütungselement bei realistischer Einschätzung pro anno nicht weniger als die Hälfte aller variablen Vergütungselemente ausmachen sollte“.61 Wie hoch eine langfristig orientierte variable Vergütung mit einem Zeithorizont von mehreren Jahren ausfällt, lässt sich nicht vorhersagen, zumal gar nicht feststeht, ob das betreffende Vorstandsmitglied nicht vor Fälligkeit dieser Vergütungsbestandteile aus dem Amt ausscheiden und aus diesem Grund überhaupt nicht mehr in den Genuss langfristiger Vergütungsbestandteile kommen wird.62 Die Soll-Projektionen von der Gesell-

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Ebenda. So etwa Bosse BB 2009, 1650, 1651; Fleischer NZG 2009, 801, 803; Hohaus/Weber DB 2009, 1515, 1518; Seibert WM 2009, 1489, 1490; Hoffmann-Becking/Krieger NZG 2009, Beilage zu Heft 26 Tz. 11 m.w.N. 60 BT-Drucks. 16/13433, S. 16. 61 Hoffmann-Becking/Krieger NZG 2009, Beilage zu Heft 26 Tz. 13. 62 Mertens/Cahn in: KölnKommAktG (Fn. 2) § 87 Rn. 24. 59

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schaft beauftragter Vergütungsberater dürften aus nahe liegenden Gründen von tendenziell zu optimistischen Annahmen ausgehen. Erst recht scheiden die gängigen Formeln zur Berechnung des Optionswertes als Grundlage für die Beurteilung aus, ob langfristige Vergütungselemente die kurzfristigen Komponenten überwiegen. Der Wert einer Option und damit der variablen Vergütungsbestandteile steigt nämlich mit zunehmender Volatilität des Basiswerts. Die Folge wäre, dass kurzfristige erfolgsbezogene Vergütungsbestandteile in umso größerem Umfang zulässig wären, je instabiler das Unternehmen ist.

IV. Verfahrensrechtliche Flankierung der inhaltlichen Vorgaben für die Vorstandsvergütung 1. Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats für die Festsetzung der Vergütung Der Gesetzgeber flankiert die inhaltlichen Vorgaben für die Festsetzung einer angemessenen Vergütung durch eine Änderung der Zuständigkeit. Anders als bisher kann die Entscheidung über die Vergütung nicht mehr einem Aufsichtsratsausschuss übertragen werden, sondern ist vom Aufsichtsratsplenum zu treffen, § 107 Abs. 3 AktG. Damit soll die Transparenz der Vergütungsfestsetzung erhöht werden.63 Da der überwiegende Teil der Bestimmungen des Anstellungsvertrags einen Bezug zur Vergütung hat, neben der Regelung der Aktivbezüge etwa Klauseln über Versorgungszusagen und Karenzentschädigungen, wird, jedenfalls bei der Erstbestellung, das Aufsichtsratsplenum über den gesamten Anstellungsvertrag zu beschließen haben.64 Die zwingende Zuweisung der Vergütungsentscheidung an das Plenum mag damit zur Transparenz beitragen – wenngleich die Aufsichtsratsmitglieder selbstverständlich auch bisher die Möglichkeit der Einsicht in die Vertragsbedingungen hatten und das Plenum die Entscheidung ohne weiteres an sich ziehen konnte. Das Entscheidungsmonopol eines bis zu 20-köpfigen Aufsichtsrats hat allerdings auch gewisse Nachteile: Vorstandsvergütungen unter Einschluss der verschiedenen fixen und variablen Vergütungsbestandteile sind oft sehr komplex ausgestaltet. Sogar bei Vergütungsausschüssen, die aus wenigen Personen mit einer gewissen Erfahrung in Vergütungsfragen bestehen, wird mangelnde Expertise für die Beurteilung solcher Vergütungsstrukturen beklagt.65 Vom Gesamtaufsichtsrat wird eher weniger Kenntnis und Verhandlungsgeschick zu erwarten sein. Soll er mehr tun, als die Vorschläge eines Personal- oder Vergütungsausschusses abzunicken – und dazu

63 64 65

BegrRegE BT-Drucks. 16/12278, S. 7. Vgl. Hoffmann-Becking/Krieger NZG 2009 Beilage zu Heft 26, S. 9. Rost/Osterloh Schmalenbach Business Review 61 (2009) 119, 126 m. Nachw.

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soll die in § 116 AktG nunmehr ausdrücklich hervorgehobene Haftungsandrohung (zu ihr unten IV.) ihn anhalten – müssen seine Mitglieder sich sehr eingehend mit Vergütungsvorschlägen und möglichen Alternativen befassen. Der Vorteil einer effizienten Arbeitsteilung, den die Zuweisung an einen Ausschuss hat, geht damit verloren. Zudem kann die Höhe der Vergütung von Umständen abhängen, die ein Kandidat vertraulich behandelt wissen möchte, wie etwa der Höhe seiner bisherigen Vergütung, etwaiger Konkurrenzangebote etc. Diese Vertraulichkeit lässt sich naturgemäß im Aufsichtsratsplenum weniger zuverlässig gewährleisten als in einem Ausschuss. 2. Vermeidung von Interessenkonflikten Aufsichtsratsmitgliedern fehlt es nicht selten an der notwendigen Expertise, um komplexe Vorstandsvergütungssysteme zu gestalten. Regelmäßig werden daher professionelle und spezialisierte Vergütungsberater damit beauftragt, ein Vergütungssystem zu entwickeln. Auftraggeber ist dabei nicht selten der Vorstand selbst.66 Aber auch dann, wenn der Aufsichtsrat oder sein Personalausschuss sich der Hilfe derartiger Beratungsunternehmen bedient, können erhebliche Interessenkonflikte bestehen. Werden dieselben Berater bzw. Beratungsunternehmen vom Vorstand mit der Erarbeitung eines Vergütungssystems für die nachgeordneten Führungsebenen und die Arbeitnehmerschaft beauftragt, liegt es nahe, dass die Berater des Aufsichtsrats nicht durch dem Vorstand unliebsame Empfehlungen ihr umfangreicheres Mandat für das Gesamtunternehmen gefährden wollen. Aus diesem Grund empfiehlt die Europäische Kommission, dass Berater des Aufsichtsrats bzw. seines Vergütungsausschusses nicht gleichzeitig die Personalabteilung oder die Vorstandsmitglieder der betreffenden Gesellschaft beraten sollen.67 Die Empfehlung bezieht sich zwar ihrem Wortlaut nach nur auf „die betreffenden Berater“; soll der geschilderte Interessenkonflikt ausgeschlossen werden, wird man aber annehmen müssen, dass sie sich auf alle Berater des vom Aufsichtsrat beauftragten Unternehmens erstreckt. Problematisch ist allerdings, dass die Notwendigkeit der Einschaltung verschiedener Beratungsunternehmen die Erarbeitung einheitlicher Vergütungsrichtlinien für alle Hierarchiestufen eines Unternehmens erschwert.

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Rost/Osterloh Schmalenbach Business Review 61 (2009) 119, 128 f. Erwägungsgrund 12 und Ziff. 9.2 der Empfehlung der Kommission v. 30.4.2009, 2009/385/EG, ABl. EU L 120/28 v. 15.5.2009. 67

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3. Beschluss der Hauptversammlung über die Billigung des Systems der Vorstandsvergütung In ihren Empfehlungen zur Vorstandsvergütung regt die Kommission eine weiter gehende Beteiligung der Aktionäre an Entscheidungen über die Vergütung der Geschäftsleitung an.68 Der deutsche Gesetzgeber hat diese Anregung aufgegriffen und in § 120 Abs. 4 AktG für börsennotierte Gesellschaften die Möglichkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder eingefügt.69 Der Beschluss soll nicht die Höhe der Vergütung betreffen, erst recht nicht die Vergütung einzelner Vorstandsmitglieder, sondern nur die Grundsätze, nach denen die Vergütung vom Aufsichtsrat festgelegt wird.70 Gerade bei kleineren Gesellschaften muss aber gar kein System i.S. einer konsistenten Reihe von Grundsätzen bestehen – die Vergütung kann vielmehr das Ergebnis der Verhandlungen zwischen dem Aufsichtsrat und dem Kandidaten im Einzelfall widerspiegeln. Gemeint sind möglicherweise die Zusammensetzung der Gesamtvergütung aus fixen und verschiedenen variablen Bestandteilen und die damit verbundene Anreizwirkung. In Anbetracht der Komplexität von Vergütungen, die sich aus fixen und variablen Bestandteilen zusammensetzen, ist dies allerdings ein Gegenstand, über den zu entscheiden die Hauptversammlung kaum qualifiziert sein dürfte. In Anbetracht der Erfahrungen der bisherigen Vergütungspraxis dürfte das selbst für Gesellschaften gelten, auf deren Hauptversammlungen zu einem erheblichen Teil institutionelle Investoren vertreten sind. Zu Recht wird daher darauf hingewiesen, dass hinter einer Ablehnung des Vergütungssystems häufig Unmut über die Vergütungshöhe stehen dürfte.71 Nach der gegenwärtigen Ausgestaltung hat der Beschluss keinerlei Rechtswirkung und ist auch nicht anfechtbar. Es geht also nur um eine unverbindliche Meinungsäußerung der Aktionäre. Immerhin sind Fragen zulässig, weil es sich um einen Punkt der Tagesordnung handelt, während es ansonsten um eine Entscheidung des Aufsichtsrat ginge, die der Hauptversammlung nicht notwendigerweise erläutert werden muss. Vor allem aber könnte die Bestimmung eine erhebliche Eigendynamik entfalten, wenn von der Möglichkeit, ein Meinungsbild der Hauptversammlung einzuholen – unter dem Druck der öffentlichen Meinung – häufig oder sogar 68 Ziff. 4 der Empfehlung der Kommission vom 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften (2004/913/EG) ABl. EU L 385/55 v. 29.12.2004; Erwägungsgrund 10 und Ziff. 6 der Empfehlung der Kommission v. 30.4.2009, 2009/385/EG, ABl. EU L 120/28 v. 15.5.2009. 69 Ausführlich dazu etwa Fleischer/Bedkowski AG 2009, 677 ff. 70 Fleischer/Bedkowski AG 2009, 677, 682. 71 Ebenda.

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regelmäßig Gebrauch gemacht werden sollte. Es liegt nicht fern, dass es nach Etablierung einer Praxis der Hauptversammlungsbefragung auf Dauer nicht mit einer unverbindlichen Meinungsäußerung sein Bewenden haben soll, sondern der Hauptversammlung – zwingend oder fakultativ – die verbindliche Entscheidung über die Vergütung überantwortet wird.72 Damit würde allerdings empfindlich in die Machtbalance der Aktiengesellschaft eingegriffen, denn die Festsetzung der Vergütung ist ein wesentliches Element der Personalhoheit des Aufsichtsrats. Die Entscheidung über die Bestellung von Vorstandsmitgliedern lässt sich nur dann sinnvoll treffen, wenn das betreffende Organ auch die Zuständigkeit hat, über die Vergütung zu befinden; denn die Bestellung wird hinfällig, wenn mit der ausgewählten Person nicht zugleich eine für beide Seiten zufriedenstellende Vergütungsregelung getroffen wird. Die Hauptversammlung könnte also durch eine Weigerung, den Vergütungsvorschlag des Aufsichtsrats abzusegnen, der Personalauswahl die Grundlage entziehen. Die Folge wäre überdies eine völlig einseitige Ausrichtung des Vorstands an den Interessen der jeweiligen Aktionärsmehrheit statt am Unternehmensinteresse.

V. Sanktionen bei Verstößen gegen die gesetzlichen Vorgaben für die Vorstandsvergütung 1. Schadensersatzpflicht als Sanktion und als Steuerungsinstrument Der Gesetzgeber wollte sich nicht darauf verlassen, dass die Präzisierung der inhaltlichen Maßstäbe und die Zuweisung der Kompetenz an das Aufsichtsratsplenum ausreichen würden, um sachgerechte Vorstandsvergütungen zu gewährleisten. Er hat vielmehr in dem neuen § 116 Satz 2 AktG ausdrücklich hervorgehoben, dass Aufsichtsratsmitglieder zum Ersatz verpflichtet sind, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen. Ein Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung nach § 120 Abs. 4 AktG könnte daran schon deswegen nichts ändern, weil er sich nur auf die Vergütungsstruktur, nicht aber unmittelbar auf die Vergütungshöhe bezieht; selbst wenn der Aufsichtsrat aber eine weiter gehende Zustimmung der Hauptversammlung einholen würde, würde dies den Aufsichtsrat nicht entsprechend § 93 Abs 4 Satz 1 AktG entlasten, weil ein solcher Beschluss keine § 83 Abs. 2 AktG entsprechende Befolgungspflicht für den Aufsichtsrat begründen würde. 72 Vgl. Ziff. 4.2 Abs. 1 Satz 2 der Empfehlung der Kommission vom 14.12.2004 zur Einführung einer angemessenen Regelung für die Vergütung von Mitgliedern der Unternehmensleitung börsennotierter Gesellschaften (2004/913/EG) ABl. EU L 385/55 v. 29.12. 2004, wo als eine Regelungsmöglichkeit die bindende Entscheidung der Hauptversammlung angeregt wird.

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Die Schadensersatzpflicht hat hier eine Doppelfunktion: Zum einen soll der Schadensersatz Einbußen ausgleichen, die der Gesellschaft aus gesetzeswidrigen Vergütungsvereinbarungen entstehen; vor allem aber soll die Sanktionsdrohung den Aufsichtsrat zur Beachtung der gesetzlichen Vorgaben anhalten und dafür sorgen, dass es erst gar nicht zu vergütungsbedingten Schäden kommt. In beiden Hinsichten sind erhebliche Zweifel an der Effektivität der gesetzlichen Regelung anzumelden.73 Problematisch sind zum einen die Schadensbemessung (dazu 2.), zum anderen die Mechanismen für die Durchsetzung etwaiger Ersatzansprüche (3.). 2. Probleme der Schadensbemessung a) Überhöhte Vergütung Ein Schaden kann zum einen in der übermäßigen Höhe der Vergütung liegen. Zwar ist die noch im RegE des VorstAG74 vorgesehene Ergänzung des § 116 AktG um eine Schadenspauschalierung75 bei Verstößen gegen das Angemessenheitsgebot nicht in das Gesetz übernommen worden, hätte doch ihre Anwendung vorausgesetzt, dass der Richter im Schadensersatzprozess gegen die verantwortlichen Aufsichtsratsmitglieder die für die Angemessenheit maßgeblichen Umstände, u.a. also die Aufgaben und die Leistung des Vorstandsmitglieds und die Lage der Gesellschaft, aus der Perspektive ex ante beurteilt und auf dieser Grundlage einen ziffernmäßig bestimmten Höchstbetrag der noch angemessenen Vergütung bestimmt hätte.76 Das Problem der Schadensbemessung besteht allerdings auch in der jetzt Gesetz gewordenen Fassung der Vorschrift, denn bei überhöhter Vergütung stellt nur der über das angemessene Maß hinausgehende Teil der Bezüge, nicht aber der angemessene Sockelbetrag, der auch bei ordnungsmäßiger Festsetzung zu entrichten gewesen wäre, einen Schaden dar. Eine erfolgreiche Schadensersatzklage gegen den Aufsichtsrat würde also voraussetzen, dass sich die angemessene Vergütung ziffernmäßig bestimmen ließe. Dabei geht es nur teilweise um eine dem Beweis zugängliche Tatsachenfrage, etwa im Hinblick auf die Üblichkeit der Vergütung oder die unternehmensinterne Gehaltsstruktur. Soweit dagegen die Angemessenheit der Vergütung in Frage steht, können auch Sachverständige nur ihre für den Richter nicht verbindliche Meinung äußern. Letztlich handelt es sich dabei nämlich um eine normative Frage, für 73

Ebenso im vorliegenden Zusammenhang v. Werder ZIP 2009, 500, 505 f. BT-Drucks. 16/12278, S. 1. 75 Die Regelung sollte lauten: „Sie sind namentlich zum Ersatz verpflichtet, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen. In diesem Fall ist der Mehrbetrag zu einer angemessenen Vergütung als Mindestschadensersatz zu erstatten.“ 76 Weitere Einwände gegen den Vorschlag DAV Handelsrechtsausschuss NZG 2009, 612, 615, Tz. 27 ff. 74

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deren Beantwortung einem Gericht kein hinreichend präziser Maßstab zur Verfügung steht und mit der ein Gericht daher regelmäßig überfordert sein dürfte. Hinzu kommt, dass die Festsetzung der Vergütung eine unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrats ist, die nur nach den Grundsätzen der business judgement rule überprüft werden darf.77 Ob die Möglichkeit der Schadensschätzung nach § 287 ZPO hier weiterhelfen wird, ist fraglich, denn auch bei Anwendung dieser Vorschrift muss der Richter letztlich entscheiden, wo die Grenze zur Unangemessenheit verläuft. b) Falsche Anreize Ein Schaden kann zum anderen auch darin zu sehen sein, dass von variablen Vergütungsbestandteilen Anreize ausgehen, die mit dem Interesse an nachhaltiger Unternehmensentwicklung, die das Gesetz zur Richtschnur für die Vergütung erklärt hat, unvereinbar sind. Ein Schadensersatzanspruch würde indessen voraussetzen, dass erstens ein Schaden der Gesellschaft und zweitens die Ursächlichkeit der Vergütung für diesen Schaden festgestellt werden kann. Dabei wird man nicht ohne weiteres jede nachteilige Entwicklung der Gesellschaft als einen Schaden ansehen können, für den der Aufsichtsrat allein wegen seiner Vergütungsentscheidung haftbar gemacht werden könnte. Die Insolvenz von Geschäftspartnern, die Erhöhung von Rohstoffpreisen, ausländische Importverbote, die zu Verlusten führen etc. haben mit Vergütungsfragen offensichtlich nichts zu tun. Man muss daher schon in einem ersten Schritt solche Einbußen herausfiltern, die zumindest möglicherweise auf falschen Vergütungsanreizen beruhen. Selbst wenn man solche Einbußen identifiziert hat, bleibt die Anspruchsdurchsetzung aber schwierig, denn man wird selten ausschließen können, dass die fragliche Maßnahme nur wegen ihrer erwarteten Auswirkungen auf die Vorstandsvergütung und nicht auch aus anderen Gründen durchgeführt wurde. Wäre sie aber möglicherweise auch unabhängig von den Konsequenzen für die Vergütung durchgeführt worden, steht die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung des Aufsichtsrats für den Schaden nicht fest. Die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG gilt nicht für den Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden.78 Typische Geschehensabläufe, die Beweiserleichterungen für die Gesellschaft rechtfertigen könnten, dürften in Anbetracht der Vielgestaltigkeit der Sachverhaltskonstellationen nicht feststellbar sein.

77 BGH NJW 2006, 522, 523, Rn. 15; Fleischer in Spindler/Stilz, Rn. 15; ders. DB 2006, 542, 543; Baums in FS Huber, 2006, S. 655, 663 f.; Hoffmann-Becking ZHR 169 (2005) 155, 158; ders. NZG 2006, 127, 128; Vollmer in FS Großfeld, 1999, S. 1269, 1273; Wollburg ZIP 2004, 646, 649 f.; aA Schäfer ZIP 2005, 1253, 1258; Schwark FS Raiser, 2005, S. 377, 390 f. 78 Vgl. Mertens/Cahn in KölnKommAktG (Fn. 2) § 93 Rn. 142.

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3. Zuständigkeit für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Aufsichtsrat a) Vorstand Die Zuständigkeit für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder liegt in erster Linie beim Vorstand. Von ihm wird man aber aus nahe liegenden Gründen kaum erwarten können, dass er den Aufsichtsrat in Anspruch nimmt, weil dieser – unter Mitwirkung der Vorstandsmitglieder – eine Vergütung vereinbart hat, die überhöht ist oder von der dem Unternehmensinteresse widersprechende Anreize ausgehen. Denkbar ist allenfalls eine Inanspruchnahme durch einen neuen Vorstand nach Ablösung auch des Aufsichtsrats. Selbst unter solchen Voraussetzungen erscheint indessen ein Schadensersatzprozess gegen Aufsichtsratsmitglieder wegen Gewährung einer überhöhten oder sachwidrig strukturierten Vorstandsvergütung wenig wahrscheinlich. b) Hauptversammlung oder Aktionärsminderheit Das Aktiengesetz bietet aber auch den Aktionären die Möglichkeit, Ersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder durchzusetzen. Nach § 147 Abs. 1 AktG ist dafür grundsätzlich ein Mehrheitsbeschluss der Hauptversammlung erforderlich. Ein solcher Beschluss dürfte indessen nach den bisherigen Erfahrungen in der Publikumsgesellschaft nur höchst selten zu erwarten sein. Auch die ARAG-Rechtsprechung des BGH, nach der das zuständige Organ grundsätzlich verpflichtet ist, Ersatzansprüche gegen Organmitglieder geltend zu machen79, hat daran allenfalls für Fälle offensichtlicher Pflichtverletzungen etwas geändert, zu denen Vergütungsentscheidungen nahezu niemals gehören dürften. Der Gesetzgeber hat das Problem des mangelnden Anreizes für die zuständigen Organe, Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen Organmitglieder zu verfolgen, erkannt, und deswegen in § 148 AktG einer Minderheit von Aktionären, deren Anteile 1 % des Grundkapitals oder einen Nominalwert von € 100.000 erreichen, unter bestimmten Voraussetzungen das Recht eingeräumt, die Ansprüche der Gesellschaft in eigenem Namen geltend zu machen. Dafür müssen die Aktionäre allerdings Tatsachen darlegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass die Gesellschaft durch eine Unredlichkeit oder eine grobe Pflichtverletzung geschädigt ist. Die dafür notwendigen Informationen müssen sich die Aktionäre erforderlichenfalls mit Hilfe einer Sonderprüfung nach § 142 Abs. 2 AktG beschaffen, die ihrerseits wiederum voraussetzt, dass Tatsachen vorliegen, die den Verdacht einer Unredlichkeit oder groben Pflichtverletzung rechtfertigen. Soweit es um die Vorstandsvergütung 79

BGHZ 135, 244, 255 f.

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in einer börsennotierten Aktiengesellschaft 80 geht, sind indessen die wesentlichen Informationen aus dem Anhang 81 und dem Lagebericht 82 ersichtlich; für Informationsbeschaffung im Wege der Sonderprüfung dürfte hier von vornherein keine Notwendigkeit bestehen. Aber auch im Übrigen dürfte es bei der Vorstandsvergütung weniger um Fragen im Tatsachenbereich als vielmehr darum gehen, aus den Tatsachen zutreffende Folgerungen im Hinblick auf die mögliche Höhe der Vergütung und die aus ihr folgenden Anreize zu ziehen und auf dieser Grundlage die Rechtsfrage zu beantworten, ob die Vergütung i.S.d. Gesetzes „angemessen“ ist. Wenn die Klagezulassung erfolgreich ist, kann die Minderheit schließlich nach § 148 Abs. 4 AktG den Anspruch der Gesellschaft gegen die Organmitglieder einklagen. Ein Kostenrisiko besteht dabei für redliche Aktionäre nicht: Obsiegen sie, trägt die Gesellschaft die Kosten des Zulassungsverfahrens und der anschließenden Klage. Unterliegen sie im Ergebnis, tragen sie zwar zunächst die Kosten des Zulassungsverfahrens und der Klage; sofern sie aber die Klagezulassung nicht durch vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben erwirkt haben, ist die Gesellschaft ihnen zur Erstattung dieser Aufwendungen verpflichtet, § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG. Dennoch wird von der Möglichkeit, Ansprüche der Gesellschaft auf diesem Wege durchzusetzen, so weit ersichtlich, kaum Gebrauch gemacht. Der Hauptgrund dürfte in dem mangelnden Anreiz liegen, denn den Klägern fällt zwar der Aufwand des Verfahrens zur Last, die Ersatzleistung ist aber an die Gesellschaft zu erbringen und kommt ihnen daher nur zu einem geringen Bruchteil zugute. Diesem Problem ist mit einer Absenkung des für die Anspruchsgeltendmachung erforderlichen Quorums nicht beizukommen. Der Eifer der Aktionäre bei der Verfolgung von Ansprüchen der Gesellschaft ließe sich zwar sicherlich steigern, wenn man erfolgreichen Klägern einen Teil der Ersatzleistung als „Erfolgshonorar“ zubilligen würde. Dies wäre indessen zum einen schwerlich vereinbar mit der dem Gläubigerschutz dienenden Vermögensbindung; zum anderen würde die Gefahr heraufbeschworen, dass der Aufsichtsrat aus eigennützigen Motiven mit unberechtigten Klagen überzogen und seine Zeit auf die Abwehr solcher Ansprüche statt auf die Erfüllung seiner Überwachungsaufgabe verwenden würde. c) Regelungsalternativen Die Finanzkrise, die im Jahr 2007 auf den Finanzmärkten begonnen und sich von dort auf andere Wirtschaftssektoren ausgebreitet hat, wird nicht zuletzt auf Vergütungsstrukturen im Finanzsektor zurückgeführt, von denen

80 81 82

§ 3 Abs. 2 AktG. Vgl. § 285 Satz 1 Nr. 9 HGB. Vgl. § 289 Abs. 2 Nr. 5 HGB.

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Anreize zum Eingehen übermäßiger Risiken ausgingen, weil damit die Chance verbunden schien, die variablen Vergütungen zu erhöhen83; tatsächlich waren noch im Jahr 2007 die Vergütungen der Vorstandsmitglieder von Unternehmen des Finanzsektors bei weitem höher als die Bezüge der Vorstandsmitglieder von Unternehmen anderer Branchen.84 Die (möglicherweise) durch diese Vergütungspraxis verursachten Verluste und Risiken haben zwar zunächst die Gesellschafter der betroffenen Kreditinstitute getroffen, sich dann aber auf die gesamte Volkswirtschaft ausgewirkt und zu umfangreichen steuerfinanzierten Stützungsmaßnahmen geführt. Offensichtlich haben weder die Instrumente, die den Gesellschaftern für eine präventive Überwachung der Vergütungsstruktur zur Verfügung stehen, noch die Abschreckungswirkung einer Inanspruchnahme durch geschädigte Aktionäre ausgereicht, um die zuständigen Gremien von der Einführung gesellschaftsschädlicher Vergütungssysteme abzuhalten. In beiden Hinsichten, also sowohl im Hinblick auf die präventive Überwachung als auch auf die Sanktionierung von Pflichtverstößen, sollen bei Kreditinstituten in Zukunft die Aufsichtsbehörden die Wächterrolle übernehmen. Ihnen soll die Zuständigkeit eingeräumt werden, die Vergütungsstruktur für die Mitglieder der Geschäftsleitung und diejenigen Mitarbeiter, deren Tätigkeit das Risikoprofil der Unternehmen maßgeblich bestimmt, auf ihre Vereinbarkeit mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement zu überwachen und erforderlichenfalls Sanktionen oder andere Maßnahmen zu verhängen, um eine diesen Anforderungen entsprechende Vergütung durchzusetzen.85 Der europäische Gesetzgeber vertraut also nicht darauf, dass die Abschreckungswirkung der Organhaftung ausreicht, um für die Gesellschaft schädliche Vergütungsstrukturen zu vermeiden. Zwar führt die Insolvenz jedes Unternehmens zu Verlusten seiner Gläubiger; bei Kreditinstituten sind diese Auswirkungen aber wegen des besonders hohen Geschäftsvolumens, der intensiven Geschäftsverbindungen mit anderen Instituten und nicht zuletzt wegen der Gefahren für das Vertrauen der Einleger in das Finanzsystem besonders dramatisch. Aus diesem Grund besteht hier ein besonderes öffentliches Interesse daran, vergütungsbedingte Fehlanreize zum Eingehen unvertretbarer Risiken zu vermeiden. Bei in ande83

Vgl. etwa die Nachw. in Fn. 1. Vgl. Kuhner/Hitz/Sabiwalsky Studie Managergehälter 2008, S. 25 f.: Danach verdienten die Vorstandsvorsitzenden der großen Banken 6,8 mal so viel wie die Vorstandsvorsitzenden von Technologieunternehmen, die einfachen Vorstandsmitglieder immerhin noch 5,8 mal so viel. 85 Vgl. Erwägungsgründe 1–13, Art. 1 Abs. 1 und 3, Anhang I Nrn. 1 und 4 iii des Vorschlags vom 13. Juli 2009 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik, KOM (2009) 362 endgültig. 84

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ren Wirtschaftszweigen tätigen Unternehmen besteht ein solches öffentliches Interesse jedenfalls nicht in vergleichbarem Maße. Eine präventive behördliche Überwachung der Vergütungspolitik, wie sie für den Finanzsektor geplant ist, wäre daher hier ein übermäßiger Eingriff in die innere Organisation der Gesellschaften. Eine behördliche Kontrolle von Vergütungsbestimmungen müsste indessen in anderen Wirtschaftszweigen nicht so weit gehen wie die Beaufsichtigung im Finanzsektor. Eine Alternative könnte darin bestehen, die Steuerungswirkung der Aufsichtsratshaftung im Bereich der Vorstandsvergütung – möglicherweise auch in anderen Bereichen – stärker als bislang zu nutzen. Dafür müsste man nach Möglichkeiten suchen, die einerseits die realistische Aussicht bieten, die Aktionäre zur Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder zu bewegen, ohne dabei andererseits Missbräuchen Vorschub zu leisten, wie sie aus dem Bereich der Beschlussanfechtung bekannt sind. Denkbar wäre etwa die Einrichtung einer Behörde 86, die auf Anregung eines Quorums von Aktionären Vorwürfen einer Pflichtverletzung nachgehen, erforderliche Sachverhaltsaufklärung veranlassen und gegebenenfalls besondere Vertreter mit der Durchsetzung von Ansprüchen betrauen kann. Ein solches Verfahren könnte als Alternative neben die durch §§ 147 f. AktG eröffnete Möglichkeit einer Anspruchsverfolgung durch die Aktionäre treten. Es würde den Aktionären geringeren Aufwand abverlangen als das Verfahren nach §§ 147 f. AktG; da die Prüfung und Anspruchsdurchsetzung aber nicht in den Händen der Aktionäre läge, wäre eine missbräuchliche Ausnutzung des Lästigkeitswerts von Prüfung und Haftungsklage von vornherein ausgeschlossen. Querulatorischen Prüfungsersuchen könnte durch ein verhältnismäßig hohes Quorum – etwa 5 % des Kapitals – vorgebeugt werden. Die oben angesprochenen Probleme der Schadensbemessung würden damit allerdings nicht gelöst.

VI. Fazit 1. Die Höhe der Vorstandsbezüge ist keine Ursache für die Finanzkrise. Der Versuch, die Vergütungshöhe gesetzlich zu begrenzen, trägt nicht zur Vermeidung krisenhafter Entwicklungen bei und ist unabhängig davon inhaltlich nicht geglückt. 2. Anreizorientierte variable Vorstandsvergütungen wurden eingeführt, um eine stärkere Bindung des Managements an die Interessen der Aktionäre 86 Zu Erwägungen, die Unternehmensleitung in der Publikums-Aktiengesellschaft mit Hilfe eines „Aktienamts“ nach dem Vorbild der Banken- oder Versicherungsaufsicht zu überwachen, vgl. etwa Hopt Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 526 ff.; Wiedemann Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 329, 354.

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zu ermöglichen. Sie haben zweifellos zu einer erheblichen Erhöhung der Vorstandsbezüge geführt und Vergütungsberatern und Anwälten eine lukrative Einnahmequelle eröffnet. In der bisher praktizierten Ausgestaltung und dem bislang üblichen Umfang betonen variable Vergütungen zu einseitig die Bedeutung der Bezüge als Motivationsfaktor 87 und leisten einer Selbstbereicherungsmentalität Vorschub. Der Nutzen für die Gesellschaften und ihre Aktionäre ist dagegen zweifelhaft. 3. a) Durch die jüngsten Änderungen des § 87 AktG sind Vergütungsentscheidungen in weit größerem Maße als bisher zu Rechtsfragen gemacht worden. Nicht zuletzt mangels hinreichender Mechanismen für die Durchsetzbarkeit bestimmter Vergütungsstrukturen werden indessen die Vorschläge und Regelungen zur Struktur der Vorstandsbezüge bei Unternehmen außerhalb des Finanzsektors die grundsätzlichen Probleme variabler Anreizvergütungen nicht beheben. b) Die Hauptversammlung ist kein hinreichend qualifiziertes Gremium für eine Abstimmung über komplexe Vergütungsstrukturen. Aus diesem Grund, vor allem aber im Hinblick auf eine mögliche Fortentwicklung zu einer verbindlichen Entscheidung der Aktionäre über die Vorstandsvergütung, ist die neue Regelung über das „say on pay“ nicht unproblematisch. 4. a) Es ist nicht auszuschließen, dass Vergütungsstrukturen, die das Verfolgen kurzfristiger Ziele und das Eingehen übermäßiger Risiken belohnt haben, für die gegenwärtige Krise mitursächlich sind. Das betrifft allerdings nur den Finanzsektor und dort nicht allein oder auch nur in erster Linie die Vorstandsvergütung. b) Die Vorgaben des Entwurfs der Eigenkapitalrichtlinie für die Vergütungsstruktur im Finanzsektor sind grundsätzlich sinnvoll. Der Versuch einer Regulierung erscheint hier nicht von vornherein aussichtslos, weil eine Überwachung durch die Aufsicht erfolgen soll, der auch Sanktionen zur Verfügung stehen.

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Vgl. Rost/Osterloh Schmalenbach Business Review 61 (2009) 119, 126 m. Nachw.

Sharia Boards and Corporate Governance* Matthias Casper** I. Sharia Boards als wesentlicher Baustein des Islamic Banking 1. Kennzeichen und Bedeutung des Islamic Banking „O Ihr, die ihr glaubt, fürchtet Gott, und lasst, was künftig an Zinsnehmen (riba) anfällt, bleiben, so ihr gläubig seid.“ (Sure 2, 278) 1. Auf diese und andere Stellen im Koran sowie in der Sunna stützen viele Muslime seit Jahrhunderten ein Zinsverbot, auch wenn unter islamischen Rechtsgelehrten nie vollständig abgesichert war, ob das sog. riba-Verbot wirklich als generelles Zinsverbot (gestützt auf Riba al-Nasiah) oder nur als Verbot von Wucherzinsen zu verstehen ist.2 Gleichwohl lässt sich festhalten, dass das Zinsverbot in islamisch geprägten Ländern durch die Jahrhunderte eine wichtige Rolle gespielt hat. Allerdings haben sich erst seit Beginn der 1970er Jahre spezielle Kreditinstitute herausgebildet, die zinsfreie Anlageprodukte oder islamkonforme Finanzierungsformen anbieten. Hierfür haben sich in den letzten Jahrzehnten die Schlagwörter Islamic Banking bzw. Islamic Finance durchgesetzt. Waren es zunächst meist gewöhnliche Geschäftsbanken, die auch islam- bzw. sog. shariakonforme Produkte 3 anboten, gibt es seit gut 15– * Verf. dankt dem Exzellenzcluster (212) „Religion und Politik in den Kulturen der Vormorderne und Moderne“ für die Förderung des Projekts „Religiös motivierte Geldanlage: Vom Zinsverbot bis zum Islamic Finance“ in dessen Rahmen dieser Beitrag entstand. Er versteht sich als erste Skizze für die weitere Diskussion um die Etablierung von islamischen Banken in Deutschland. Verf. dankt weiterhin Herrn Osman Sacarcelik für die Hilfe bei der Aufbereitung des Materials und für die Übersetzung arabischer Originalquellen. ** Prof. Dr. Matthias Casper, Universitätsprofessor an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster, Direktor des Instituts für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht. 1 Der Koran in der deutschen Übersetzung von Khoury Der Koran, 4. Aufl. 2007. Klammerzusatz durch den Verf. 2 Vgl. aus dem deutschsprachigen Schrifttum nur Amereller Hintergründe des „Islamic Banking“, 1995, S. 86; Ghaussy Das Wirtschaftsdenken im Islam, 1986, S. 6; ein sehr lesenswerter Überblick über die unterschiedlichen Meinungen und Interpretationen zum ribaVerbot findet sich etwa bei Saeed Islamic Banking and Interest: A Study of the Prohibition of Riba and its Contemporary Interpretation, 1999, S. 41 ff. 3 Überblick zu den verschiedenen islamischen Finanzierungsformen etwa bei Iqbal/ Mirakhor An Introduction to Islamic Finance: Theory and Practice, 2007, S. 77–98, 171– 201; Vogel/Hayes Islamic Law and Finance: Religion, Risk, and Return, 2006, S. 181–196;

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20 Jahren zunehmend auch sog. islamische Vollbanken, die ausschließlich shariakonforme Bankgeschäfte anbieten. Das Marktvolumen für islamkonforme Bankgeschäfte wird weltweit auf ca. 700–900 Mrd. Dollar geschätzt.4 Indes gibt es selbst in den meisten konservativ geprägten Ländern des islamischen Rechtskreises keinen staatlichen Zwang, nur shariakonforme Bankgeschäfte anzubieten. Die Sharia, das sog. göttliche Recht, gilt meistens nur in Teilbereichen qua staatlicher Verweisung bzw. Kodifizierung, wie etwa im Familien- oder Erbrecht (z.B. in Ägypten, Marokko, Tunesien). Sieht man einmal von dem Iran, Pakistan und dem Sudan ab, basiert das islamische Bankwesen auf Freiwilligkeit, nämlich auf der Nachfragemacht gläubiger Muslime, die nur zinsfreie Anlage- oder Finanzierungsformen akzeptieren. Damit wird die Qualifikation eines Anlageprodukts oder einer gesamten Bank als shariakonform zum Gütesiegel und stellt einen Wettbewerbsvorteil dar. Ob einzelne Geschäfte, wie etwa Bay Ina bzw. Mukhatara,5 ein dem deutschen Wiederverkaufsrecht vergleichbares Rechtsinstitut,6 wirklich shariakonform sind oder es sich dabei nicht vielmehr um ein unzulässiges Umgehungsgeschäft handelt, ist hingegen alles andere als eindeutig. Dies hängt nicht zuletzt mit den vier verschiedenen Rechtsschulen im sunnitischen Islam zusammen,7 die teilweise durchaus zu divergierenden Ergebnissen kommen. Viele der islamischen Banken sind deshalb dazu übergegangen, sog. Sharia Boards zu bilden, die mit wirtschaftlich vorgebildeten, islamischen Rechtsgelehrten besetzt werden. Diese Sharia Boards sollen beurteilen, ob das konkrete Geschäftsprodukt bzw. die gesamte Geschäftstätigkeit einer islamischen Vollbank shariakonform ist. In einigen arabischen Ländern findet sich in den jeweiligen Aufsichtsgesetzen auch eine Vorgabe, dass zumindest islamische Vollbanken über einen Sharia Board verfügen müssen (vgl. dazu sogleich am Beispiel von Bahrain und Jordanien unter II 1, 2). Denn

Gassner/Wackerbeck Islamic Finance: Islam-gerechte Finanzanlagen und Finanzierungen, 2. Aufl. 2010, S. 66 ff.; Bolsinger/Breschendorf ZBB 2009, 460 ff. 4 Vgl. etwa FAZ v. 30.10.2009, S. 22; Börsen-Zeitung v. 28.10.2009; ähnliche Zahlen in Financial Times Special Report, The Future of Islamic Finance v. 08.12.2009, http://media. ft.com/cms/ac6257de-e2de-11de-b028-00144feab49a.pdf, S. 1 (zuletzt besucht am 18.1. 2010). 5 Eine ähnliche Figur bildete im römischen Recht der contractus mohatrae. Zu diesem Umgehungsgeschäft vgl. etwa Zimmermann The Law of Obligations: Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1996, S. 171. Auf die etymologische Ähnlichkeit von Mukhatara und contractus mohatrae verweist auch Schacht Introduction to Islamic law, 1982, S. 78, der von „double sale“ spricht. 6 Mit abweichender Bezeichnung, aber in der Sache gleich vgl. Rohe Das islamische Recht, 2009, S. 117; ähnlich Schacht (Fn. 5) S. 78. 7 Die vier sunnitischen Rechtsschulen, die nach ihren Begründern benannt sind und deren Lehrmeinungen auch heute in weiten Teilen der islamisch geprägten Welt Anwendung finden, sind als Hanafi, Maliki, Shafi’i und Hanbali bekannt, vgl. dazu etwa Hallaq An Introduction to Islamic Law, 2009, S. 31 ff.; Rohe (Fn. 6) S. 27 ff.

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islamische Vollbanken müssen auch weitere Vorgaben der Sharia wie das Spekulationsverbot (Gharar) einhalten und dürfen als Ausfluss des Verbots verwerflicher Handlungen (Haram) keine Geschäfte mit anderen Unternehmen machen, die in nicht shariakonforme Produkte wie Schweinefleisch oder Alkohol investieren oder ihrerseits Zinsen nehmen. Ferner soll sich ihr gesamtes Geschäftsgebaren an den Vorgaben des islamischen Rechts ausrichten. 2. Funktionen eines Sharia Boards Den Sharia Boards kommt also innerhalb des Gefüges einer islamischen Bank eine zentrale Stellung zu.8 Ihre Tätigkeit kann aber im Einzelnen höchst unterschiedlich sein. Zum einen kann der Sharia Board für die Zertifizierung einzelner Produkte zuständig sein. Seine Aufgabe besteht dann also darin, ein von der Bank entwickeltes Anlageprodukt für shariakonform zu erklären. Oftmals sollen die Sharia Boards aber schon in die Produktgestaltung oder die Organisation von Geschäftsabläufen einer islamischen Vollbank einbezogen werden. Ihnen kommt dann auch eine Beratungsfunktion zu. Schließlich kann dem Sharia Board insbesondere bei islamischen Vollbanken die Aufgabe zukommen, die gesamte Geschäftspraxis der Bank auf eine Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht zu überprüfen. Wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, ist dies nicht mit der Tätigkeit eines Aufsichtsrats im deutschen Verständnis vergleichbar, da der Sharia Board z.B. nicht die Rentabilität des Unternehmens zu überprüfen hat und auch nicht den Vorstand bestellen oder abberufen kann. Entsprechendes gilt für einen Vergleich mit nichtgeschäftsführenden, externen Mitgliedern eines Verwaltungsrats bei einer monistisch verfassten Aktiengesellschaft. Am ehesten lässt sich die Aufgabe des Sharia Boards in diesen Fällen mit der Tätigkeit eines ComplianceBeauftragten vergleichen. Während dieser auf die Einhaltung von staatlichen Gesetzen und der Satzung achtet, obliegt dem Sharia Board die Feststellung, ob sich die Geschäftstätigkeit mit den Vorgaben des islamischen Rechts oder zumindest mit gewissen Teilaspekten hiervon deckt. Ob der Sharia Board dabei im Interesse des Unternehmens oder aber nicht eher der Bankkunden oder der Allgemeinheit arbeitet, soll einstweilen noch zurückgestellt werden (vgl. dazu unter III 3).

8 Als synonyme Bezeichnung wird der Ausdruck Sharia Supervisiory Board (kurz SSB), Islamic Jurisprudence Supervision Board oder Sharia Supervision Committee verwendet (vgl. auch Abd Jabbar Company Lawyer 2008, 29), im Deutschen sollte man wohl am ehesten von Sharia Rat sprechen.

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3. Fragestellung und Gang der Untersuchung Der nachfolgende Beitrag, der sich als erste Skizze der Problematik von Sharia Boards im deutschen Schrifttum versteht, will zum einen dazu beitragen, die Rolle von Sharia Boards und ihre Probleme im Zusammenhang mit einer guten Unternehmensführung (Corporate Governance) aufzuzeigen. Zum anderen soll am Beispiel des deutschen Rechts dargelegt werden, wie Sharia Boards organisationsrechtlich verankert werden könnten. Dazu ist zunächst eine kurze rechtsvergleichende Bestandsaufnahme notwendig, um die verschiedenen Funktionen von und Anforderungen an Sharia Boards zu klären. Dabei werden drei Rechtsordnungen kurz erläutert. Als traditionell konservativer muslimischer Staat mit einem großen Marktvolumen im Bereich des Islamic Finance und ausgeprägten aufsichtsrechtlichen Vorgaben soll das Königreich Bahrain gewählt werden. Diese Rechtsordnung ist auch von daher von Interesse, da hinsichtlich der Ausgestaltung von Sharia Boards auf die Vorgaben der Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Institutions (AAOIFI), einer in Bahrain ansässigen privaten Nichtregierungsorganisation,9 verwiesen wird. Als zweite arabische Rechtsordnung wird das jordanische System gestreift, das eine Bindungswirkung der Entscheidungen des Sharia Boards gegenüber der Geschäftsleitung kennt. Aus dem angelsächsischen Rechtskreis soll ein kurzer Blick auf das englische Recht geworfen werden, da Großbritannien innerhalb Europas Marktführer beim Islamic Banking ist und dort bereits die ersten islamischen Vollbanken wie die Islamic Bank of Britain registriert sind. Die so gefundenen Ergebnisse sollen sodann in einer übergreifenden Beschreibung von Anforderungen an Sharia Boards münden, bevor für das deutsche Recht überlegt werden soll, wie die Sharia Boards einer islamischen Teil- oder Vollbank organisiert werden können. Derzeit gibt es zwar noch keine deutsche Bank, die islamische Bankprodukte anbietet oder sogar ihr gesamtes Portfolio auf shariakonforme Produkte umgestellt hat. Eine von der BaFin im Oktober 2009 veranstaltete Konferenz hat jedoch gezeigt, dass sowohl von Seiten der Aufsicht wie von den entsprechenden Marktteilnehmern hieran grundsätzliches Interesse besteht.10 Ein erster Antrag soll dem Vernehmen nach zwischenzeitlich gestellt sein.11 Dies ist angesichts von ca. 3,8 bis 4,3 Mio.12 in Deutschland 9 Vgl. näher http://www.aaoifi.com/overview.html (zuletzt besucht am 18.01.2010), die zwischen 1999 und 2008 die Governance Standards for Islamic Financial Institutions (No. 1–6) herausgegeben hat. 10 Vgl. dazu auch Financial Times Deutschland v. 30.10.2009, S. 21. 11 Vgl. dazu den Bericht v. 12.09.2009, aufrufbar unter http://islam.de/13888.php (zuletzt aufgerufen am 18.01.2010); vgl. dazu auch die Pressemitteilung des Zentralrats der Muslime in Deutschland e.V. v. 08.11.2009, verfügbar unter http://zentralrat.de/14714.php (zuletzt aufgerufen am 18.01.2010). 12 Vgl. Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

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lebender Mitbürger islamischen Glaubens gut nachvollziehbar. Es geht dem Beitrag darum, erste Diskussionspunkte für einen bisher wenig ausgeleuchteten Bereich aufzuzeigen. Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an eine islamische Vollbank nach dem KWG werden aus Raumgründen nur am Rande angesprochen.

II. Rechtsvergleichender Überblick 1. Bahrain Das Königreich Bahrain, das mit seinen nur 1,5 Millionen Einwohnern zu einem der wichtigsten Zentren des Islamic Banking zählt, weist in seiner Verfassung vom 14.2.2002 zwar die Sharia als Hauptquelle der Gesetzgebung aus,13 gleichwohl gilt sie im Bereich des Zivilrechts nicht als unmittelbares Recht. Unter Rückgriff auf Regelungsvorbilder in Kuweit und Ägypten, die wiederum dem System des französischen Code civil folgen, wird das Zivilrecht in einem eigenen Zivilgesetzbuch aus dem Jahre 2001 geregelt.14 Der hier interessierende Bereich des Bankaufsichtsrechts ergibt sich aus dem Central Bank of Bahrain and Financial Institutions Law (CBB) von 200615 und dem CBB Rulebook Volume 2 (Islamic Banks).16 Kennzeichnend sind ein duales Bankrecht und damit auch eine zweigliedrige Bankaufsicht. Es gibt zum einen reguläre Geschäftsbanken, die keinen religiösen Restriktionen unterliegen und somit aus westlicher Sicht klassische Bankgeschäfte wie verzinsliche Darlehen und Einlagen sowie spekulative Finanzprodukte anbieten. Nimmt eine Bank hingegen für sich in Anspruch, die Vorgaben der Sharia zu beachten, unterliegt sie besonderen aufsichtsrechtlichen Vorschriften (vgl. Art. 39 CBB) nach dem Rulebook der bahrainischen Zentralbank.17 Der Begriff „Islamische Bank“ wird im CBB zwar nicht gesondert definiert. Aller-

13 Art. 2 S. 2 lautet in der englischen Übersetzung: “The Islamic Shari’a is a principal source for legislation”, vgl. http://www.servat.unibe.ch/icl/ba00000_.html (zuletzt aufgerufen am 18.1.2010). 14 Vgl. zum bahrainischem Zivilrecht etwa Krüger IPrax, 3/2002, Neueste Informationen. 15 Etwa verfügbar unter http://www.lexadin.nl/wlg/legis/nofr/oeur/lxwebah.htm (zuletzt aufgerufen am 18.01.2010). 16 Verfügbar unter http://cbb.complinet.com/cbb/microsite/cbb_rulebook.html (zuletzt aufgerufen am 18.1.2010). 17 Die Vorschrift lautet in der englischen Übersetzung “Article (39) Regulated Services: (a) For the purposes of this law, Regulated Services shall mean the financial services provided by the financial institutions, including those governed by Islamic Sharia principles. (b) The Central Bank shall issue regulations specifying the Regulated Services and organizing the provision of these services. The Central Bank shall supervise and control any licencees providing such services.”, vgl. den Nachw. in Fn. 15.

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dings wird von der Legaldefinition der „Bank“ in Art. 1 CBB auch „any person licensed under this law to accept, manage and invest deposits and savings according to the Islamic Shari’a Principles with or without providing other related services“ erfasst. Im Rulebook wird „Islamic bank licensee“ als „A bank … generally operating according to Islamic finance principles“ bezeichnet,18 wobei allerdings jeweils offen bleibt, was genau man unter Sharia bzw. Islamic finance principles zu verstehen hat. Es steht zu vermuten, dass damit die verschiedenen Rechtsquellen des islamischen Rechts (Koran, Sunna, Konsens (Ijma) und Analogieschluss (Qiyas)) gemeint sind, wie sie – zumindest was die beiden letztgenannten Rechtsquellen betrifft – von den verschiedenen Rechtsschulen im Laufe der Jahrhunderte herausgearbeitet wurden.19 Islamische Vollbanken („fully Sharia compliant“) genießen nicht nur einen Bezeichnungsschutz, sondern bedürfen auch einer gesonderten Erlaubnis durch die Zentralbank (CBB Rulebook Vol. 2 LR-A.1.3). Abschnitt HC 1.3.15 des Rulebooks schreibt vor, dass jede islamische Bank, die in einer monistisch strukturierten Aktiengesellschaft bahrainischen Rechts betrieben wird, über ein Sharia Supervision Committee verfügen muss, das zu dem Board of Directors hinzutritt. Das Rulebook definiert dieses Sharia Komitee wie folgt: “An independent body of specialized jurists who, collectively, are entrusted with the duty of directing, reviewing and supervising the activities of an Islamic financial institution in order to ensure that they are in compliance with Islamic Shari’a rules and principles”. Hinsichtlich der näheren Ausgestaltung verweist Abschnitt HC-1.3.16 auf die Governance Standards der AAOIFI.20 Bemerkenswert ist auch, dass dieser Abschnitt eine separate interne Prüfung (internal Sharia review) voraussetzt, die in die Innenrevision integriert werden kann.21 Nach den Governance Standards der AAOIFI (No. 1 sec. 3 + 7) muss der Sharia Board aus mindestens drei Mitgliedern bestehen, die von der Hauptversammlung der Bank gewählt werden und auch von dieser – auf Vorschlag des Verwaltungsrats – abberufen werden können. Unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance stellt sich das Verhältnis des Sharia Rats zum Verwaltungsrat als neuralgischer Dreh- und Angelpunkt dar. Im Gegensatz zum Rulebook der bahrainischen Zentral-

18 Rulebook Part B, Glossary and defined terms, verfügbar unter „http://cbb.complinet. com/cbb/display/display.html?rbid=1821&element_id=2509,“ (zuletzt aufgerufen am 18.1. 2010). 19 Zu den islamischen Rechtsquellen vgl. statt aller Rohe (Fn. 6) S. 27 ff. 20 Vgl. Fn. 9. 21 HC-1.3.16 lautet: “All banks must comply with all AAOIFI issued accounting standards as well as the Shari’a pronouncement issued by the Shari’a Board of AAOIFI. The bank must have a separate function of Shari’a review to verify compliance with the above. This internal Shari’a review must be carried out in accordance with AAOIFI’s governance standards No. 3. The Shari’a review function may be located in the Internal Audit function of the bank.”

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bank weisen die Grundsätze der AAOIFI insoweit präzisere Vorgaben auf. Danach muss der Sharia Board gegenüber dem Board of Directors nicht nur unabhängig sein (AAOIFI Standards No. 1 sec. 2 und No. 5), sondern die Entscheidungen des Sharia Boards sollen für die islamische Bank auch bindend sein (AAOIFI Standards No. 1 sec. 2 S. 4). In einem gewissen Widerspruch dazu steht freilich das Rulebook, das wohl einen zu weitgehenden Einfluss des Sharia Komitees auf die Leitungsebene der Bank, also den Board of Directors, vermeiden will.22 2. Jordanien Ein ähnlicher Befund wie für Bahrain zeichnet sich für Jordanien ab, das hinsichtlich des Zivilrechts ebenfalls vorwiegend dem ägyptischen Vorbild folgt.23 Auch hier gibt es ein duales Bankwesen,24 wobei islamische Banken verglichen mit den Golfstaaten eine deutlich geringere Bedeutung haben.25 Allerdings gibt es einige bemerkenswerte Abweichungen gegenüber der Rechtslage in Bahrain. Die Definition einer islamischen Bank erfolgt in Art. 2 des Bankgesetzes (Law No. 28/2000 in der Fassung von 2003) ähnlich wie in Bahrain. “A company licensed to engage in banking activities, in accordance with the regulations and principles of Islamic Jurisprudence, and any other activities and operations pursuant to the provisions of this law.” Zwar erfolgt auch in Jordanien keine Definition des Begriffs „Islamic Jurisprudence“, allerdings gibt Art. 53(a) des Bankgesetzes vor, dass die islamischen Regeln, anhand derer die Bankgeschäfte ausgerichtet werden sollen, nicht einer, sondern einer Vielzahl von Rechtsschulen folgen sollen. Auch der ebenfalls zwingend vorgesehene Sharia Board, die englische Übersetzung spricht von „Islamic Jurisprudence Supervision Board“, darf sich nicht auf eine bestimmte Rechtsschule fixieren. Für die vorliegende Untersuchung von noch größerem 22 Rulebook HC-1.3.11 a.E. unterstreicht, dass “the establishment of committees should not mean that the role of the Board is diminished, or that the Board becomes fragmented. Each committee must have a clear written mandate outlining its purpose, objectives and responsibilities, including composition, frequency of meetings and reporting relationships”. 23 Überblick über das jordanische Privatrechtssystem bei Krüger Das internationale Privatrecht Jordaniens, IPRax 1987, S. 126 ff.; zum internationalen Zivilprozessrecht Jordaniens ders. Das internationale Zivilprozeßrecht Jordaniens, IPRax 2000, 435 ff. mit Gesetzestexten auf S. 447 f. 24 Allg. zum islamischen Bankwesen in Jordanien Wilson Islamic Banking in Jordan, Arab Law Quarterly 2 (1987) 207 ff.; Malley Jordan A Case Study of the Relationship between Islamic Finance and Islamist Politics in Henry/Wilson (Hrsg.), The Politics of Islamic Finance, 2004, S. 191 ff. 25 Vgl. etwa Ländertabelle nach Marktvolumen wonach 2006 Jordanien im Bereich Islamic Banking nur einen Gesamtmarktanteil von 1,73 % hatte, abgebildet in Askari/Iqbal/ Mirakhor New Issues in Islamic Finance and Economics: Progress and Challenges, 2009, S. 16, Abb. 1.4.

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Interesse ist jedoch Art. 58(a) des jordanischen Bankgesetzes. Diese Vorschrift legt konkrete Aufgaben des Sharia Boards fest. Genannt werden etwa die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben aus der Sharia durch die Bank, die Überprüfung von einzelnen Produkten bzw. Verträgen auf ihre Shariakonformität sowie schließlich die Kontrolle von Aufgaben, die dem Sharia Rat von der jordanischen Zentralbank vorgegeben werden. Geradezu spektakulär ist jedoch in diesem Zusammenhang die Aussage, dass die Meinung des Sharia Boards für die Bank bindend ist.26 Auch wenn der Sharia Board wie in Bahrain von der Hauptversammlung bestimmt wird und der Verwaltungsrat die Möglichkeit hat, zu den Sitzungen des Sharia Boards einzuladen,27 gibt ihm diese Bindungswirkung jedoch eine starke Stellung, aus der sich auch eine Unabhängigkeit herleiten lässt. Die Unabhängigkeit kommt auch in den Regeln über die Abberufung von einzelnen Mitgliedern des Sharia Boards zum Ausdruck. Diese setzt zunächst das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus, sodann eine Entscheidung des Verwaltungsrats mit einer 2/3-Mehrheit und schließlich eine Bestätigung durch die Hauptversammlung.28 3. Großbritannien Ein auffällig anderes Bild ergibt sich für Großbritannien, das ebenfalls seit einigen Jahren bereits islamische Vollbanken zugelassen hat. Gingen die Bestrebungen in den beiden arabischen Staaten vor allem dahin, dass eine wirksame Kontrolle durch den Sharia Board im öffentlichen Interesse sichergestellt wird, gewährt das englische Aufsichtsrecht Gestaltungsfreiheit und schreibt die Errichtung eines Sharia Boards überhaupt nicht vor.29 Im Gegenteil, die Financial Services Authority (FSA) verlangt von islamischen Instituten allein den Nachweis, dass ein eventueller Sharia Board nur eine beratende Funktion wahrnimmt und nicht in die Geschäftsleitung des Instituts eingreift.30 Bei der aufsichtsbehördlichen Prüfung der dem Sharia Board einge-

26 Art. 58(a) Satz 2 des jordanischen Bankgesetzes lautet in der englischen Übersetzung: “The board shall comprise not less than three members and its opinion shall be binding on the Islamic bank.” Ebenso AAOIFI Standards (Fn. 9) No. 1 sec. 2. 27 Vgl. Art. 58(b) S. 2 jordanisches Bankgesetz, daneben steht das Einberufungsrecht auch dem Vorsitzenden des Sharia Boards sowie zwei seiner Mitglieder zu. Ob ein Mitglied des Verwaltungsrats auch ein Teilnahmerecht an den Sitzungen des Sharia Boards hat, ist hingegen nicht geregelt und dürfte zweifelhaft sein. 28 Vgl. Art. 58(c) des jordanischen Bankgesetzes. 29 Im Zusammenhang mit Islamic Mortages kritisch zu dieser liberalen Haltung der FSA Aldohni The prudential Banking Regulation and Islamic Banks, Journal of International Banking Law and Regulation 2008, 382 ff. 30 FSA (Hrsg.), Islamic Finance in the UK: Regulation and Challenges, November 2007, www.fsa.gov.uk/pubs/other/islamic_finance.pdf, S. 13 (zuletzt aufgerufen am 18.1.2010).

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räumten Kompetenzen werden daher insbesondere die Organisationsstruktur des Instituts, die „reporting lines“, die Gebührenstruktur und die „terms of reference“ untersucht.31 Sie sollen Aufschluss über die genaue Stellung des Sharia Boards geben. Im Übrigen herrscht Gestaltungsfreiheit. Typischerweise wird der Sharia Board nicht von den Anteilseignern, sondern von dem Verwaltungsrat bestellt, was voraussetzt, dass die Mitglieder des Sharia Boards nicht ihrerseits Mitglieder des Verwaltungsrats werden, da in diesem Fall eine Mitwirkung der Hauptversammlung notwendig wäre. Es ist weiterhin die These vertreten worden, dass die Shariagelehrten statt in einem gesonderten Organ auch Non-Executive-Directors im Board werden können.32 Dies wirkt zumindest auf den ersten Blick befremdlich, da die Aufgaben eines Verwaltungsratsmitglieds erheblich über die Funktion hinausgehen, allein die Einhaltung der Geschäftspolitik mit den Vorgaben der Sharia zu vergleichen. Sicherlich spricht nichts dagegen, einen Shariagelehrten mit entsprechender Sachkunde in den Board of Directors einer Bank zu wählen, sofern er auch die weiteren Aufgaben eines Verwaltungsratsmitglieds übernimmt und die Qualifikation eines Geschäftsleiters einer Bank erfüllt.33 Eine Weisungsunabhängigkeit gegenüber dem Unternehmen kann dann freilich nicht erreicht werden, weshalb sich dieses Modell auch zu AAOIFI Standard No. 5 sec. 4 in Widerspruch setzen würde. Auch ist der Shariagelehrte in dieser Konstellation dem Unternehmensinteresse und nicht nur dem öffentlichen Interesse bzw. dem Kundeninteresse verpflichtet. Diese Fragen sollen sogleich für das deutsche Recht, wo sie sich mutatis mutandis stellen, vertieft werden.34 4. Deutschland Deutschland bildet in der bisherigen Diskussion um Sharia Boards einen weißen Fleck auf der Landkarte. Mangels islamischer Voll- oder Teilbanken existieren bisher keinerlei spezifischen aufsichtsrechtliche Vorgaben. Dies könnte sich nach einer Konferenz der BaFin jedoch ändern. Mit Blick auf das Organisationsrecht einer islamischen Bank scheint nur klar, dass die Mitglie-

31

FSA (Fn. 30) ebd. Aldohni Islamic Banking challenges modern corporate governance: The dilemma of the Shari’a Supervisory Board, Company Lawyer 2008, 156, 158; dass dies grundsätzlich denkbar ist, scheint auch die FSA zu unterstellen, vgl. FSA (Fn. 30) ebd. 33 Aldohni Company Lawyer 2008, 156, 157 weist zu Recht darauf hin, dass der Companies Act 2006 hinreichend flexibel ist, statt eines Verwaltungsratssystems ein dualistisches Modell kontinentaleuropäischer Prägung zu vereinbaren, aber auch insoweit stellt sich die Frage, ob der Supervisory Board dann auf die Feststellung der Shariakonformität begrenzt werden könnte. 34 Vgl. einstweilen nur Bernet Denaris – Zeitschrift des Verbands Schweizer Vermögensverwalter 2007, 15 und unten IV 3a. 32

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der des Sharia Rats keine so weitreichende Entscheidungsmöglichkeiten haben dürfen, dass sie zu faktischen Geschäftsleitern werden.35 Alle weiteren Einzelheiten sind deshalb im rechtspolitischen Teil (sub IV) zu erörtern. Die allgemeinen aufsichtsrechtlichen Vorgaben für islamische Finanzprodukte können dabei nicht vertieft werden.36

III. Anforderungen an einen Sharia Board Der bisherige kurze rechtsvergleichende Streifzug hat gezeigt, dass die Organisation und Einbettung von Sharia Boards ebenso unterschiedlich sind wie die Frage nach den Kompetenzen und Anforderungen an die Mitglieder, sich im Kern aber doch eine gewisse einheitliche Schnittmenge herauskristallisiert. Anhand der Grundsätze der beiden großen NGOs im Bereich des Islamic Banking, der AAOIFI (Bahrain) 37 und dem Islamic Financial Services Board (IFSB38 mit Sitz in Malaysia) 39 sowie anhand eines kurzen rechtstatsächlichen Überblicks sollen die Anforderungen an den Sharia Board und die damit verbundenen Schwierigkeiten mit Blick auf die Corporate Governance beschrieben werden. 1. Sachkunde Ein auf den ersten Blick banales Erfordernis ist die notwendige Sachkunde der einzelnen Mitglieder des Sharia Boards.40 Indes steckt auch hier der Teufel wie so oft im Detail. Zunächst sollte ein Mitglied des Sharia Boards nicht nur über fundierte Kenntnisse des islamischen Rechts41 verfügen, sondern er 35 Die Bankenaufsicht geht in Deutschland von einem Grundsatz der Alleinverantwortlichkeit der Geschäftsleitung aus, so dass Mitwirkungsrechte (insb. Zustimmungsvorbehalte oder bindende Weisungen) Dritter grds. unzulässig sind vgl. Fischer in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG, 3. Aufl. 2008, § 33 Rn. 27; von Goldbeck in Luz/Neus/Scharpf/ Schneider/Weber, KWG, 2009, § 33 Rn. 17. 36 Erster Überblick zu der ebenfalls noch völlig im Fluss befindlichen Diskussion bei Thießen/Thurner Islamic Finance als regulatorische Herausforderung in Grieser/Heemann, Bankaufsichtsrecht – Entwicklungen und Perspektiven, 2010, S. 635, 640 ff. sowie Gramlich/Manger-Nestler WM 2009, 1629, 1632 ff. und 1677 ff. 37 Vgl. bereits oben I 3 mit Fn. 9. 38 Guiding Principles on Shariah Governance Systems for Institutions offering Islamic Financial Services, Stand Dezember 2009, verfügbar unter http://www.ifsb.org/published. php (zuletzt aufgerufen am 18.1.2009). 39 Malaysia mit seiner Hauptstadt Kuala Lumpur ist ein weiteres führendes Zentrum des Islamic Banking, vgl. etwa Venardos Islamic Banking and Finance in South-east Asia: Its development and future, 2. Aufl. 2006, S. 144 ff. 40 Vgl. exemplarisch Principle 2.1. des IFSB (Fn. 38) Rn. 29. 41 AAOIFI Standards No. 1 sec. 2 (Fn. 9) sprechen nur von “Islamic commercial jurisprudence (fiqh almua’malat)”.

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muss zusätzlich einen adäquaten ökonomischen Sachverstand im Bereich des Finanzwesens aufweisen. Letzteres lässt sich anhand von ökonomischen Abschlüssen und entsprechender Berufserfahrung noch relativ leicht überprüfen. Für die Eigenschaft eines islamischen Rechtsgelehrten (Shari’ah scholars, pl. ulama) gibt es hingegen keine standardisierte Ausbildung.42 Die verschiedenen Länder haben insoweit unterschiedliche Traditionen entwickelt. Übergreifend lässt sich jedoch festhalten, dass ein Studienabschluss im islamischen Recht nicht genügt, um den Titel eines Rechtsgelehrten zu erlangen, sondern ein langwieriger Prozess von Nöten ist, der oft ca. 20 Jahre dauert. Gemeinsames Kennzeichen eines Rechtsgelehrten besteht darin, dass dieser Rechtsgutachten (sing. fatwa) aussprechen kann.43 Dieser Umstand bringt es mit sich, dass es weltweit nur eine sehr begrenzte Zahl von entsprechend qualifizierten Rechtsgelehrten mit einem ausreichenden ökonomischen Sachverstand gibt.44 2. Vermeidung von Interessenkonflikten Dieser Befund führt praktisch zwangsläufig dazu, dass wirklich qualifizierte Kandidaten Mangelware sind, sodass viele Rechtsgelehrte in einer Vielzahl von Sharia Boards gleichzeitig tätig sind. Eine Untersuchung von Najam Khan berichtet, dass bekannte Rechtsgelehrte wie Sheikh Nizam Yaqubi in bis zu 45 Boards gleichzeitig sitzen.45 Die wichtigsten 10 Rechtsgelehrten sind im Durchschnitt in ca. 20 Boards tätig. Damit ist die Gefahr von Interessenkonflikten geradezu mit Händen zu greifen, da dieselben Personen oft in den Boards verschiedener, miteinander konkurrierender Unternehmen sitzen.46 Es sprechen also gute Gründe dafür, künftige aufsichtsrechtliche Vorgaben so auszugestalten, dass eine zu umfangreiche Kumulation von Mandaten ver42 Vgl. dazu etwa Thomas/Cox/Kraty Structuring Islamic Finance Transactions, 2005, S. 33 sowie Abd Jabbar Company Lawyer 2009, 243, der darauf hinweist, dass in einigen Sharia Boards auch Mitglieder akzeptiert werden, die nur über fundierte Kenntnisse im islamischen Wirtschaftsrecht und einschlägige Berufserfahrung verfügen, ohne zugleich Rechtsgelehrte zu sein, vgl. ebenso AAOIFI Standards (Fn. 9) No. 1 sec. 2. 43 Diese sind zwar nicht verbindlich, sondern werden nur aufgrund der Autorität des Rechtsgelehrten beachtet, vgl. den Überblick bei Rohe (Fn. 6) S. 74 f. 44 Vgl. sogleich in Fn. 45, weiterhin können Sprachbarrieren (fundierte Englischkenntnisse) hinzutreten. 45 Vgl. die Studie von Najam Khan, Commerzbank London, n.V.; Daten wurden auf der BaFin-Konferenz am 29.10.2009 in Frankfurt vorgetragen und befinden sich auf einem Stand von 2007. Nach Auskunft von Khan gibt es weltweit ca. 350–400 ökonomisch vorgebildete Rechtsgelehrte, von denen aber nur 20 globale Bedeutung erlangt haben. Ähnliche Zahlen bei Abd Jabbar Company Lawyer 2008, 29, 30. 46 Allg. dazu auch Abd Jabbar Company Lawyer 2009, 243, 244 sowie AAOIFI Standards (Fn. 9) No. 5 sec. 2.

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mieden wird. Insoweit könnte man an § 100 Abs. 2 AktG Maß nehmen, der freilich keine originäre Maßnahme zur Vermeidung von Interessenkonflikten darstellt, sondern vor allem eine effektive Amtswaltung befördern soll.47 Interessenkonflikte durch eine Mehrfachbeteiligung in verschiedenen Sharia Boards werden außerdem dann abgemildert, wenn man – wie hier (vgl. sogleich unter 3) – eine unabhängige Stellung des Sharia Boards fordert, der nicht allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist.48 3. Unabhängigkeit, Weisungsfreiheit und Vergütung Stellt man die Kontrollpflicht und nicht die Beratungsfunktion des Sharia Boards in den Vordergrund, liegt es nahe, dass ein wesentliches Kennzeichen von Sharia Boards seine unabhängige Stellung gegenüber dem Leitungsorgan der islamischen Bank ausmachen sollte.49 Anders als ein normaler Aufsichtsrat ist der Sharia Board nicht nur dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Sondern seine Aufgabe besteht zuvörderst auch darin, im Interesse der Kunden zu handeln. Denn die Bestätigung des Sharia Boards, dass einzelne Produkte bzw. das gesamte Geschäftsgebaren der Bank mit den Vorgaben der Sharia vereinbar sind, bewegt viele Kunden überhaupt erst zur Geldanlage bei dieser Bank. Es kann auch nicht darauf ankommen, dass die unzutreffende Einordnung eines Anlageprodukts als shariakonform sich im Einzelfall oft gar nicht in einem finanziellen Schaden des Anlegers auswirken wird. Vielmehr ist auch sein immaterielles Affektionsinteresse, aus religiöser Überzeugung nur in shariakonforme Anlageformen zu investieren, anzuerkennen. Ein Handeln des Sharia Boards auch im öffentlichen Interesse liegt zumindest in solchen Staaten vor, in denen das Bankaufsichtsrecht islamischen Finanzinstituten die Einrichtung eines Sharia Boards vorschreibt. Aber auch in Ländern wie Großbritannien, in denen dies nicht der Fall ist, besteht ggf. ein öffentliches Interesse daran, dass sich unter dem Aspekt des Bezeichnungsschutzes sowie der Gewinnung weiterer islamischer Finanzinstitute nur solche Institute als islamische Bank bezeichnen, die sich auch wirklich shariakonform verhalten. All diese Aspekte sprechen dafür, dass der Sharia Board als unabhängiges Gremium auszugestalten ist, welches nicht nur dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist.

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Vgl. statt vieler Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 100 Rn. 10, 30. In diesem Sinne sind auch die Principles 3.1. des IFSB (Fn. 38) Rn. 41 ff. zur Vermeidung von verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Mitgliedern des Sharia Borads und der Geschäftsleitung; vgl. ferner Abd Jabbar Company Lawyer 2009, 243. 49 Vgl. statt aller Principle 3.1. des IFSB (Fn. 38) Rn. 40 ff.; wobei jedoch in Rn. 29 die Verpflichtung gegenüber dem Interesse der Aktionäre betont wird; noch deutlicher für eine Unabhängigkeit aber AAOIFI Standards (Fn. 9) No. 1 sec. 2, No. 5 sec. 2–7; Abd Jabbor Company Lawyer 2009, 243, 244. 48

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Keine gesicherten Erkenntnisse gibt es über die Vergütung der Mitglieder eines Sharia Boards. Indes wird kolportiert, dass sich die Stundensätze international bekannter Rechtsgelehrter an Spitzensätzen aus der Anwaltschaft orientieren oder diese sogar übersteigen.50 Es wird kritisiert, dass diese Geschäftspraxis nicht mit dem klassischen Bild des Religionsgelehrten vereinbar sei, bei dem lange Zeit umstritten war, ob er überhaupt eine Vergütung verlangen darf.51 Für unseren Zusammenhang kann festgehalten werden, dass exorbitant hohe Vergütungen die Unabhängigkeit des Sharia Boards beeinträchtigen können. Gleichwohl dürften aufsichtsrechtliche Vorgaben zur Vergütung der Mitglieder nicht weiter führen. Umgekehrt ist es unvermeidbar, einen unmittelbaren Einfluss des Sharia Boards auf die Geschäftsleitung der Bank zu vermeiden. Das oben berichtete Modell des jordanischen Rechts (II 2), wonach den Entscheidungen des Sharia Boards bindende Wirkung zukommt, sollte – zumindest in Europa – nicht Pate für eine mögliche aufsichtsrechtliche Regelung stehen. Die Letztverantwortung für die Umsetzung und die Folgen aus den Entscheidungen des Sharia Boards muss bei dem Leitungsorgan der Bank liegen. Es ist zwar unverkennbar, dass die Weigerung des Sharia Boards, bestimmte Anlageprodukte für shariakonform zu erklären, insbesondere bei islamischen Vollbanken einen enormen faktischen Entscheidungsdruck aufbaut. Gerade mit Blick auf die sonstigen Vorgaben des Bankaufsichtsrechts, wie etwa dem Risikomanagement, muss es jedoch die Entscheidung des Leitungsorgans der Bank bleiben, ob sie ihre Anlageprodukte so ausgestaltet bzw. ihre Geschäftsabläufe so ändert, dass sie den Vorgaben des Sharia Boards genügen. 4. Informationsrechte und Berichtspflichten Nach den AAOIFI Principle No. 2 sec. 3 bzw. Principle 3.2. des IFSB soll der Sharia Board einen vollständigen und ungehinderten Zugang zu sämtlichen Daten der Bank erhalten und jederzeit berechtigt sein, die Mitarbeiter der Bank zu befragen, und zwar wohl ohne zunächst den Vorstand informieren zu müssen. Dies zeigt, dass der Sharia Board das gesamte Geschäftsgebaren einer islamischen Vollbank untersuchen soll. Aber selbst wenn es nur um die Zertifizierung einzelner Produkte geht, ist eine vollständige Information unabdingbar. Deshalb muss sichergestellt werden, dass die Mitglieder des Sharia Boards nur der Geschäftsleitung bzw. dem Kontrollgremium der Bank

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Vgl. Abd Jabbar Company Lawyer 2008, 29, 30. Vgl. hierzu etwa Hegazy Fatwas and the Fate of Islamic Finance: A critique of the practice of fatwa in contemporary financial markets in Ali (Hrsg.), Islamic Finance: Current Legal and Regulatory Issues, Islamic Finance Project, Harvard Law School, 2005, S. 133 ff. 51

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berichten und im Übrigen nach außen zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.52 Davon abzugrenzen ist die Frage, ob die Geschäftsführung verpflichtet wird, die Beurteilungen bzw. die Entscheidungen des Sharia Boards den Anlegern mitzuteilen. Dies mag im Einzelfall bei börsennotierten Anlageprodukten wie einer Sukuk53 aus der Ad-hoc-Publizitätspflicht (in Deutschland § 15 WpHG) zwingend erforderlich sein. Regelmäßig aber wird allenfalls im Anhang des Jahresabschlusses über die Ergebnisse des Sharia Boards zu berichten sein.54 Eine aufsichtsrechtlich begründete Informationspflicht der islamischen Bank gegenüber den Anlegern scheint jedoch zumindest dann sinnvoll zu sein, wenn diese mit der Islamkonformität ihrer Anlageprodukte bzw. Geschäftspolitik werben.

IV. Modelle für die Organisation von Sharia Boards in Deutschland 1. Regelungsbedarf? Im Folgenden soll kurz aufgezeigt werden, wie Sharia Boards in Deutschland implementiert werden könnten. Dabei ist die aufsichtsrechtliche von der gesellschaftsrechtlichen Ebene zu sondern, wobei die Untersuchung auf das Recht der Aktiengesellschaft beschränkt bleibt. Die aufsichtsrechtliche Ebene wird im Folgenden ausgeblendet, da die Konturen möglicher aufsichtsrechtlicher Regelungen derzeit noch nicht abzusehen sind. Auf den Umstand, dass die Leitungs- und Letztverantwortung beim Vorstand, also den Geschäftsleitern im Sinne des KWG liegen muss, wurde bereits hingewiesen.55 Dieses Ergebnis folgt weiterhin auch aus § 76 AktG, der dem Vorstand nicht nur ein Recht zur Leitung, sondern zugleich auch eine unverzichtbare Kernkompetenz zuerkennt.56 Angerissen werden soll nur die Frage, ob weitere aufsichtsrechtliche Vorgaben für Sharia Boards überhaupt sinnvoll sind. Mit Blick auf die Erfahrungen in Großbritannien (oben II 3) scheint eine weitgehende Gestaltungsfreiheit angebracht. Gründe für die 52 Vgl. etwa Principle 4.1. des IFSB (Fn. 38) Rn. 51 ff., die Berichtspflicht der Bank gegenüber den Kunden bzw. der Öffentlichkeit und nicht des Sharia Boards wird in Rn. 53 zumindest mittelbar zum Ausdruck gebracht. 53 Sukuk wird oft – etwas unpräzise – als Islamic Bonds oder islamische Anleihe übersetzt. Zur Ausgestaltung vgl. etwa Ayub Understanding Islamic Finance, 2007, S. 389 ff.; Adam/Thomas Islamic Bonds: Your Guide to Issuing, Structuring and Investing in Sukuk, 2004, S. 42 ff. 54 So auch das Konzept der AAOIFI Standards No. 1 sec. 21, 25, wonach dort insbesondere auch über die Verstöße gegen das islamische Recht zu berichten ist. 55 Vgl. oben II. 4 sowie Gramlich/Manger-Nestler WM 2009, 1677, 1678. 56 Vgl. nur Spindler in MünchKommAktG, § 76 Rn. 19; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2009, § 14 Rn. 12.

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zwingende Einrichtung eines Sharia Boards scheinen aus Sicht des deutschen Rechts nicht geboten. Allenfalls wäre eine Hinweispflicht zu erwägen, dass die Bank trotz ihrer Bezeichnung als islamische Bank – entgegen internationalen Gepflogenheiten – keinen Sharia Rat eingerichtet hat, der die Konformität der Geschäftspolitik mit den Vorgaben des religiösen Rechts prüft. Man wird darauf vertrauen können, dass die entsprechenden Anteilseigner der Banken aufgrund der Erwartungen des Marktes von selbst hierfür Sorge tragen werden. Erst recht sollte das deutsche Aufsichtsrecht keine detaillierten Vorgaben für die Ausgestaltung des Sharia Boards machen, weshalb sich die nachfolgenden Überlegungen in erster Linie als Zweckmäßigkeitserwägungen unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance verstehen und sich die Aufgabe setzen, eventuelle aktienrechtliche Grenzen aufzuzeigen. Selbst wenn man für eine aufsichtsrechtliche Verpflichtung zur Errichtung eines Sharia Boards eintritt, wäre es dringend zu vermeiden, dass die BaFin überprüfen muss, ob das jeweilige Institut wirklich einen funktionsfähigen Sharia Board eingerichtet hat, ob dessen Mitglieder hinreichend qualifiziert sind oder gar, ob der Sharia Board auch korrekte Entscheidungen trifft, sich die islamische Bank also im Ergebnis wirklich shariakonform verhält. Hiergegen spricht nicht nur die fehlende personelle Kompetenz bei der BaFin, sondern auch die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber religiösem Binnenrecht. 2. Externe Lösung Die oben im rechtsvergleichenden Kontext aufgezeigten Lösungen kennzeichnen, dass der Sharia Board jeweils innerhalb des Finanzdienstleistungsunternehmens angesiedelt ist. Soweit eine Bank nur shariakonforme Anlageprodukte anbieten will, nicht aber wie eine islamische Vollbank ihre gesamte Geschäftspolitik den religiösen Vorgaben unterstellen will, ist auch die Einrichtung eines (oder mehrerer) Gremien außerhalb des Finanzinstituts denkbar. Dieser übergreifende Sharia Rat hätte dann die Aufgabe, die jeweiligen Finanzprodukte zu zertifizieren bzw. zu akkreditieren.57 Damit würden die oben unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance aufgezeigten Schwierigkeiten zwar weitgehend vermieden und einheitliche Entscheidungen befördert.58 Dass es sich hierbei gleichwohl nicht um einen Königsweg handelt, zeigen die folgenden Überlegungen. Zum einen wäre eine Beratung durch den Sharia Rat im Vorfeld der Ausgestaltung von Anlageprodukten und Verträgen nicht denkbar. Der Rat wäre auf eine Akkreditierung beschränkt, sofern man diesen nicht als eine Art Unternehmensberatung ausgestaltet, der zugleich akkreditiert und berät. Hiervon sollte jedoch aufgrund 57 58

Zu diesem Aspekt vgl. auch Gramlich/Manger-Nestler WM 2009, 1677, 1680 f. Dies betonend auch Abd Jabbar Company Lawyer 2008, 29, 30.

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der negativen Erfahrungen im Bereich von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit einem starken Standbein in der Unternehmensberatung abgesehen werden.59 Schließlich ist zu fragen, welche Organisation in der Lage wäre, einen derartigen externen Sharia Rat auf die Beine zu stellen. Spontan ist man geneigt, den Zentralrat der Muslime ins Spiel zu bringen. Dieser ist bisher in wirtschaftlichen Fragestellungen jedoch eher selten in Erscheinung getreten. Auch vertritt er bei weitem nicht alle in Deutschland existenten muslimischen Gemeinschaften bzw. Gemeinden.60 Andererseits wäre der Zentralrat bisher wohl die sachnächste Organisation. Als Alternative könnte man erwägen, dass die interessierten Kreditinstitute mittels eines Verbandes einen solchen Rat ins Leben rufen oder aber mit der Akkreditierung eine der internationalen Organisationen wie die AAOIFI oder den IFSB beauftragen. Ersteres würde freilich voraussetzen, dass eine hinreichende Vielzahl von muslimischen Finanzinstituten in Deutschland bereits existiert. Gegen Letzteres sind Bedenken unter dem Gesichtspunkt des § 33 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 KWG angemeldet worden,61 die aber nicht durchgreifen, da die Akkreditierung bei einer internationalen NGO keine Beeinträchtigung durch die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Drittstaates darstellt, solange die Leitungsentscheidung weiterhin allein beim Vorstand liegen. 3. Interne Lösungen a) Integrative Lösungen auf der Leitungs- oder Überwachungsebene Theoretisch denkbar wäre es zunächst, Shariagelehrte, die die ShariaCompliance überprüfen, in den Vorstand oder Aufsichtsrat zu integrieren. Dass dieses Modell versagt, liegt unmittelbar auf der Hand. Sollten die Rechtsgelehrten Mitglieder des Vorstandes einer Bank werden, müssten sie zunächst die Anforderungen an Geschäftsleiter i.S.d. § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 2 KWG erfüllen.62 Soweit dies ausnahmsweise der Fall wäre, käme hinzu, dass die notwendige Unabhängigkeit und Abkoppelung vom Unternehmensinteresse (dazu oben III 3) nicht zu erreichen wäre.63 Hinzu kommt, dass sich die Rechtsgelehrten im Vorstand bei einem Konflikt zwischen reli-

59 Denkbar wäre allerdings, dass Scholars, die nicht das betroffene Institut akkreditieren, Beratungsdienste anbieten können. 60 Vgl. zu den muslimischen Verbänden und Dachverbänden in Deutschland die Angaben der vom Bundesinnenministerium initiierten „Deutschen Islamkonferenz“, verfügbar unter http://www.deutsche-islam-konferenz.de/cln_117/nn_1318760/SubSites/DIK/DE/ InDeutschland/Organisationen/organisationen-inhalt.html (zuletzt aufgerufen am 18.1. 2010). 61 Gramlich/Manger-Nestler WM 2009, 1677, 1678. 62 Vgl. auch Gramlich/Manger-Nestler WM 2009, 1677, 1678. 63 Weitere Bedenken bei Gramlich/Manger-Nestler WM 2009, 1677, 1678.

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giösem und staatlichem Recht nach dem KWG für die Einhaltung des staatlichen Rechts entscheiden müssten. Nichts anders gilt letztlich bei einer Integration in den Aufsichtsrat. Dessen Überwachungsaufgabe erstreckt sich auf die gesamte Geschäftstätigkeit. Selbst bei einer islamischen Vollbank, die für sich in Anspruch nimmt, ihre gesamte Geschäftspolitik an den Vorgaben des islamischen Rechts auszurichten, bleibt anzuerkennen, dass die Überwachungsaufgabe des aktienrechtlichen Aufsichtsrats weiter ist, da sie sich auch auf rein kaufmännische, also religiös indifferente Vorgänge erstreckt. Hinzu kommt abermals, dass auch der Aufsichtsrat allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet ist, weshalb sich die janusköpfige Funktion, die die Shariagelehrten im Aufsichtsrat einnehmen würden, nur schwer in die Vorgaben der §§ 95 ff. AktG einpassen ließe, da sie in ihrer Funktion als „religiöse Complianceofficer“ vor allem dem Kundeninteresse verpflichtet sind. Schließlich ist die Auswahl der Shariagelehrten durch die Hauptversammlung (§ 101 AktG), die mit einer Integration in den Aufsichtsrat verbunden wäre, trotz der in vielen arabischen Ländern üblichen Praxis (oben II 1, 2) zu bedenken. Gegen eine Kompetenz der Hauptversammlung spricht die mangelnde Flexibilität. Die Gefahr, im Interesse einer Gewinnmaximierung besonders willfährige Gelehrte zu suchen, dürfte sich allerdings sowohl bei einer Auswahl durch den Vorstand wie durch die Hauptversammlung stellen. Insoweit ist darauf zu setzen, dass die Eigentümer einer islamischen Bank bzw. ihre Agenten im wohlverstandenen Interesse des Unternehmens handeln. b) Das Beiratsmodell Prima facie liegt es deshalb nahe, den Sharia Board als Beirat zu organisieren und die Kompetenz auf die Überprüfung der Einhaltung der religiösen Grundsätze zu beschränken. Beiräte sind im Aktienrecht jedoch nicht ohne Weiteres zulässig. Nach überwiegender Auffassung ist zwischen rein schuldrechtlichen und organisationsrechtlich in der Satzung verfestigten Beiräten zu trennen.64 Mit Blick auf die in § 23 Abs. 5 AktG verankerte Satzungsstrenge sollen jedoch dem Aufsichtsrat zugeordnete Beiräte selbst dann unzulässig sein, wenn sie auf schuldrechtlicher Ebene verankert sind. Zur Begründung wird in erster Linie darauf verwiesen, dass der Aufsichtsrat seine Kompetenzen nicht übertragen darf und die Schaffung eines weiteren, gleichwertigen Kontrollorgans nicht zulässig sei.65 Ebenso soll die Einrich-

64 Vgl. nur die weiterhin grundlegende Schrift von Voormann Der Beirat im Gesellschaftsrecht, 1990, S. 51 ff. m.w.N. 65 Mertens in KölnerKommAktG, Vor § 76 Rn. 28, § 95 Rn. 9; Habersack in MünchKommAktG, § 95 Rn. 6; Voormann (Fn. 64) S. 61; aA LG Köln AG 1976, 329, 330 m. krit. Anm. Hommelhoff/Timm.

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tung des Beirats als dauerhaftes Beratergremium unter Verweis auf einen Umkehrschluss zu §§ 109 Abs. 1 S. 2, 111 Abs. 2 S. 2 AktG unzulässig sein.66 Ob diese Argumente wirklich tragen, ist im vorliegenden Zusammenhang mit Blick auf die Funktion des Sharia Boards zweifelhaft. Zwar wird mit dem Sharia Board ein weiteres Überwachungsorgan geschaffen, dieses ist in seiner Funktion aber von vornherein auf eine ganz bestimmte Fragestellung begrenzt, die vom Aufsichtsrat wiederum mangels eigener Sachkunde nicht erbracht werden kann. Es ist wenig einsichtig, dass der Aufsichtsrat gestützt auf § 109 Abs. 1 S. 2 AktG einzelne Anlageprodukte im Wege der Erstellung eines Rechtsgutachtens durch einen externen Rechtsgelehrten auf ihre Shariakonformität überprüfen lassen und diesen Vorgang auch mehrmals wiederholen kann, diese Aufgabe aber nicht für alle Anlageprodukte auf einen Beirat übertragen darf. Zumindest die Ausgestaltung des Sharia Rats als schuldrechtlich vereinbarten Beirat sollte man in diesem Zusammenhang zulassen. Soweit es um die Beratung im Vorfeld von geschäftspolitischen Entscheidungen geht, die letztlich vom Vorstand getroffen werden, stellt sich die Frage, ob der Sharia Rat als ein dem Vorstand zugeordneter Beitrat begriffen werden kann. Insoweit ist das aktienrechtliche Schrifttum in Deutschland großzügiger und akzeptiert einen derartigen Beirat, sofern die Leitungsfunktion weiterhin allein beim Vorstand liegt.67 Da bei einem Sharia Board allerdings die Beratungs- gegenüber der Kontrollfunktion untergeordnet sein dürfte, scheint auch dieser Ansatz kein wirklich rechtssicherer Hafen zu sein. Kurzum, die Ausgestaltung als Beirat ist zwar nach der hier vertretenen Auffassung zulässig, aber angesichts der bisherigen Diskussion im Aktienrecht, die höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. c) Das Compliance-Modell Als weiteres Modell kommt schließlich die Schaffung einer unternehmensinternen Sharia-Complianceabteilung in Betracht, an deren Spitze dann ein oder mehrere Shariabeauftragte stehen könnten. Die Principles des IFSB sehen ohnehin vor, dass ein islamisches Finanzinstitut nicht nur einen Sharia Board, sondern auch eine interne Sharia-Compliance-Abteilung schaffen soll, die dem Sharia Board berichtspflichtig ist.68 Finanzdienstleistungsunternehmen sind in Deutschland ohnehin nach § 33 WpHG verpflichtet, eine Com66 Mertens in KölnerKommAktG (Fn. 65) Vor § 76 Rn. 28; Habersack in MünchKommAktG (Fn. 65) § 95 Rn. 6; Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 29 Rn. 19a. 67 Mertens in KölnerKommAktG (Fn. 65) Vor § 76 Rn. 28. 68 Vgl. IFSB Principles (Fn. 38) Introduction Rn. 5; ebenso AAOIFI Standards (Fn. 9) No. 3, die allerdings davon ausgehen, dass der Leiter der internen Sharia ComplianceAbteilung nicht zugleich dem Sharia Board angehört.

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pliance-Abteilung einzurichten. Insoweit glaubt sich der Kapitalmarktrechtler auf vertrautem Terrain. Zudem kennt das deutsche Recht seit Umsetzung der MiFiD auch die Figur eines Compliance-Beauftragten.69 Indes soll hier nicht einer Vermischung von staatlich gebotener und religiös gewollter Compliance das Wort geredet werden. Vielmehr sind beide Bereiche klar voneinander abzugrenzen; es würde also zu einer Doppelstruktur kommen. Die wertpapierrechtlich erforderliche Complianceabteilung würde folglich die Einhaltung des staatlichen Rechts und die Sharia-Compliance die Einhaltung der religiösen Vorschriften überwachen. Eine Koordination in Einzelfragen ist denkbar. Soll der Sharia Board also als Spitze einer Sharia-Complianceabteilung ausgestaltet werden, stellt sich die Frage nach der Weisungsunabhängigkeit gegenüber dem Leitungsorgan, da eine Weisungsunabhängigkeit als ein zentrales Merkmal des Sharia Boards herausgearbeitet wurde. Für den nach § 33 Abs. 1 WpHG, § 12 Abs. 4 S. 1 WpDVerVO 70 erforderlichen Compliancebeauftragten ist jedoch umstritten, ob dieser auch dem öffentlichen Interesse verpflichtet und als Unternehmensbeauftragter 71 mit einer Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit gegenüber dem Vorstand einer Aktiengesellschaft ausgestattet ist.72 Aber selbst wenn man dies mit der Auffassung des Verfassers dieser Zeilen für den nach § 12 Abs. 4 S. 1 WpDVerVO erforderlichen Compliancebeauftragten verneint,73 ist damit nicht zugleich die Rechtsstellung der freiwillig geschaffenen Compliancefunktion und deren Leitung präjudiziert. Etabliert man einen Sharia Board als einfachen Angestellten in einem Finanzdienstleistungsunternehmen, so ist der Vorstand frei, auf sein Weisungsrecht zu verzichten, sofern die Leitung der Aktiengesellschaft letztlich beim Vorstand verbleibt. Auch wenn man sich damit im Ergebnis stark einem schuldrechtlich vereinbarten Beirat annähert, sollten sich aus den oben unter 2b genannten Gründen keine Bedenken ergeben. Ein Beispiel mag 69

Vgl. hierzu etwa Casper FS K. Schmidt, 2009, S. 199 ff. § 12 Abs. 4 S. 1 Wertpapierdienstleistungs-,Verhaltens- und Organisationsverordnung (WpDVerOV) lautet: „Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss einen ComplianceBeauftragten benennen, der für die Compliance-Funktion sowie die Berichte an die Geschäftsleitung und das Aufsichtsorgan nach § 33 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Wertpapierhandelsgesetzes verantwortlich ist.“ 71 Vgl. näher zur Figur des Unternehmensbeauftragten Rehbinder ZGR 1989, 305, 314 ff.; ders. ZHR 165 (2001) 1, 8 ff.; Dreher FS Claussen, 1997, S. 69 ff.; sowie monographisch Haouache Unternehmensbeauftragte und Gesellschaftsrecht der AG und GmbH, 2003, S. 24 ff. 72 Dafür vor allem Veil WM 2008, 1093, 1097; zur Rechtslage vor der MiFiD auch Hausmaninger/Ketzer ÖBA 2002, 215, 217; grds. für Unternehmensbeauftragte im Umweltrecht wohl auch Rehbinder ZHR 165 (2001) 1, 13; dagegen vor allem Casper FS K. Schmidt, 2009, S. 199, 202 ff., 208 ff.; Spindler WM 2008, 905, 910 f.; Röh BB 2008, 398, 403 mit Fn. 44; Lösler NZG 2005, 104, 107 (zur alten Rechtslage). 73 Vgl. abermals Casper FS K. Schmidt, 2009, S. 199, 208 ff. m.w.N. 70

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diese Aussage verdeutlichen. Stellt der Sharia-Beauftragte fest, dass ein Anlageprodukt den Grundsätzen des islamischen Rechts widerspricht, so kann und muss er dies dem Vorstand berichten, dieser entscheidet aber letztverantwortlich über die Einstellung oder Änderung des Anlageprodukts. Stellt der Sharia Rat hingegen fest, dass ein in Aussicht genommenes Derivat auf vier Wegen konstruiert werden kann, von denen allerdings einer mit den Grundsätzen des Islamic Banking im Widerspruch steht, obliegt es dem Vorstand, dieses Ergebnis zu bewerten und sich dann gegebenenfalls für einen der drei shariakonformen Wege zu entscheiden. Für das Compliance-Modell spricht ferner, dass der Zugang zu unternehmensinternen Unterlagen leicht sichergestellt werden kann und die Verschwiegenheitspflicht arbeitsrechtlich abgesichert werden kann. Die gleichzeitige Tätigkeit eines Rechtsgelehrten in mehreren Unternehmen wird durch dieses Modell zwar nicht ausgeschlossen, aber doch signifikant erschwert. Grundsätzlich wird der Shariabeauftragte als Mitarbeiter in einer Führungsposition einem Wettbewerbsverbot unterliegen. 4. Ergebnis Der Königsweg ist damit noch nicht gefunden. Ausscheiden kann man allerdings die integrativen Lösungen, bei denen der Sharia Board in den Aufsichtsrat oder gar in den Vorstand integriert wird. Aus internationaler Perspektive scheint zunächst die Etablierung des Sharia Boards als Beirat verlockend, auch wenn aktienrechtliche Bedenken verbleiben. Einen nicht unerheblichen Charme entfaltet deshalb die Ausgestaltung als Shariabeauftragten, der allein oder im Kollektiv mit weiteren Rechtsgelehrten eine Sharia-Complianceabteilung leitet. Letztlich darf man bei einer theoretische Untersuchung nicht aus den Augen verlieren, dass es in diesem Zusammenhang kein „one size fits them all“ gibt.74 Die externe Lösung ist dann optimal, sofern der Sharia Rat nur zertifizieren, nicht aber auch beraten und überwachen soll. Soll auch die Beratung bzw. Produktbegleitung im Vordergrund stehen, wird sich eher das Beirat- oder Compliance-Modell anbieten.

V. Zusammenfassung und Ausblick Auch im internationalen Vergleich bilden Sharia Boards bei islamischen Finanzinstituten derzeit ein noch eher diffuses Konstrukt. Als wesentliche Merkmale lassen sich jedoch die Kontrolle der gesamten Geschäftspolitik auf ihre Vereinbarkeit mit den religiösen Vorgaben bei islamischen Vollbanken

74

Dies betonend auch IFSB Principles (Fn. 38) Principle 1.1. vor Rn. 10.

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bzw. die Akkreditierung oder Zertifizierung einzelner Produkte bei Geschäftsbanken mit einer eigenen Abteilung für islamkonforme Produkte ausmachen. Die neuralgischen Punkte sind die Unabhängigkeit des Sharia Boards gegenüber der Geschäftsleitung einerseits und die Letztentscheidungskompetenz des Leitungsorgans der Bank andererseits. Eine unmittelbare Einflussnahme des Sharia Boards auf die Geschäftsleitung ist aus europäischer Sicht nicht angängig. Die Integration von Sharia Boards in das Organisationsgefüge einer Bank stößt aus deutscher Perspektive auf aufsichtsrechtliche wie gesellschaftsrechtliche Schwierigkeiten, die aber nicht unüberwindbar erscheinen. Die hier vorgestellten Lösungsansätze verstehen sich als erste Näherung an ein spannendes wie auch noch nicht ansatzweise ausgeleuchtetes Teilgebiet des Bank- und Kapitalmarktrechts.75 Es bedarf weiterer vertiefter Diskussion, gerade auch aus rechtsvergleichender Perspektive. Insoweit bleibt zu hoffen, dass Klaus Hopt, einer der Nestoren des deutschen Kapitalmarktrechts mit rechtsvergleichendem Blick, noch lange seine Stimme erheben und die Diskussion mit gewohnter Präzision und in Meilenschritten voranbringen wird.

75 Mit Blick auf die islamischen Finanzprodukte (insbes. die Sukuk) und islamkonforme Investmentsfonds stellen sich auch im Kapitalmarktrecht noch zahlreiche offene Fragen, die hier nicht einmal angedeutet werden konnten.

The European Private Company (SPE): Uniformity, flexibility, competition and the persistence of national law Paul Davies * I. Introduction When analyzing proposals for a European Private Company (hereafter ‘SPE’) it is crucial to first answer the question, what are the good reasons for introducing this legal form? Only when we have an answer to that question can we assess whether the proposals are likely to achieve the identified goal. We know that answering the question is not easy. It is not the case that an integrated market in a federal or quasi-federal political system requires a federal level form of incorporation. We know that because the United States has a highly integrated economy without any federal form of incorporation. On the other hand, Canada makes available both provincial and federal forms of incorporation,1 whilst Australia, which had state-based incorporation, has moved in recent years to a uniform company law.2 So, there may be advantages in a federal or Community level form of incorporation or in uniform company law (the two things are not necessarily the same, of course), but they are not a sine qua non for the operation of a single market across political units. We cannot simply jump from the goal of a single market to the conclusion that a federal form of incorporation is needed to achieve that goal. A federal form of incorporation may be helpful to the promotion of the single market, but we need to know more precisely how this facilitation is expected to occur. Fortunately, when we look at the SPE we have a very clear statement from its proponents about their vision of the function of the SPE. As the Explana-

* Allen & Overy Professor of Corporate Law, University of Oxford and Fellow of Jesus College, Oxford. 1 See D. Cumming and J. MacIntosh ‘The rationales underlying reincorporation and implications for Canadian corporations’ (2002) 22 International Review of Law and Economics 277. 2 For a brief survey of the complex federal/state inter-relations in Australia, see R. Austin and I. Ramsay Ford’s Principles of Corporations Law (12th ed, Butterworths, Australia, 2005) 2.170.

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tory Memorandum of the Commission’s 2008 proposals puts it, the aim is to facilitate the cross-border operation of SMEs by providing them with “the same, simple, flexible company law provisions across the Member States.”3 An entrepreneur should be able to incorporate in one member state and then engage in cross-border trade making use of a subsidiary incorporated in another member state, the company law rules applicable to the incorporation in the second (and any subsequent member state) being the same as in the first member state. This is the argument for uniformity. However, it is not just a uniformity argument: in order to facilitate cross-border activities the new legal form should also be attractive to business people, so it should be ‘simple and flexible’. For example, a new Community form which lacked limited liability might achieve uniformity, but it would lack attractiveness. It is crucial to the Commission’s plan that the new Community form of incorporation should display both features. To some extent, of course, the goals of uniformity and flexibility are in tension with one another. In the above example, flexibility permits the entrepreneur to craft the corporate rules so that they most appropriately fit the relevant business environment and to replicate that choice across borders. However, flexibility also means that the entrepreneur cannot assume that other companies which deal with the companies established by the entrepreneur are subject to the same rules. So, some costs will be incurred in investigating this question as part of intercompany dealings, which costs could be reduced or even avoided altogether if the applicable legal regime were uniform but not flexible. In fact, there are grounds for being skeptical about the claim that a simple, flexible and uniform Community form of incorporation will be of significant value in promoting cross-border activities by small businesses. The data contained in the European Business Test Panel survey, which the Commission itself uses to justify its proposals, is hardly convincing.4 Only 8 % of respondents currently carrying on cross-border business said that they faced barriers as a result of their ‘legal status’ when conducting business in other member states, i.e. barriers resulting from having to form a company in that other member state or register a branch there under the law of that other state. By contrast, just over one third said that they faced barriers not related to their legal status, such as employment, tax or consumer protection law, and just over half that they faced no barriers at all.5 This suggests that the Commission would do well to identify what these non-company law legal 3 Commission of the European Communities, Proposal for a Council Regulation on the Statute for a European private company, June 2008 (COM(2008) 396/3) 2 (available at: http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/epc/proposal_en.pdf.) – hereafter ‘Commission’s proposals’. 4 EBTP, European Survey on European Private Company, 2007, available on: http:// ec.europa.eu/yourvoice/ebtp/docs/epc_report_en.pdf. 5 Ibid 1.

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barriers are and establish whether they are more important than legal status barriers. As things stand, the Commission’s proposal is open to the criticism that it constitutes the use of a sledge hammer to crack a nut, i.e. it is a disproportionate response to the identified problem. It is true that 56% of all respondents (whether currently carrying on crossborder business or not) said that uniform company law rules would be useful to them.6 This is hardly surprising. If you are offered something for free, even if you do not think you will make much, if any, use of it, naturally you will say yes (at least if you are not offered something else which you can have only if you turn down the first offer).7 However, whilst the SPE is a free good for business people, it is not a free good for the Commission or the Community at large. The Commission incurs an opportunity cost when deciding to secure the SPE legislation as opposed to some other legal reform and so it would have been comforting to see the SPE proposal justified in comparative terms. It is by no means implausible to think that the Community as a whole would be better off if the Commission devoted itself to securing the passing of a Directive on the transfer of the corporate seat for all companies or in pursuing the abandoned project of promoting proportionality between cashflow and voting rights of shareholders in public companies or some initiative outside the area of company law altogether. We simply do not have any analysis of this type from the Commission.8 One may also wonder how much agreement is to be found underlying the 56 % figure. There may be majority agreement among business people across the Community on the platonic ideal of a SPE, but that may conceal considerable disagreement over on any particular manifestation of that ideal. Will business people in any particular member state be happy with a Community-wide corporate vehicle which is significantly different from their tried and tested domestic business form, even if it is uniform across member states? If not, one may expect that the level of business approval for concrete proposals to create an SPE will be considerably less than the 56 % figure. 6

Ibid 2. In other words, we get no sense from the Panel’s questions how respondents ranked the SPE proposal as against, for example, greater uniformity or simplicity in labour, consumer or tax laws. 8 The High Level Group (of which Professor Hopt was a member) in its report of 2002 was lukewarm about the SPE proposal and recommended a feasibility study before a formal proposal was made. See Report of the High Level Group of Company Law Experts on a Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, Brussels, November 2002, ch VII. The feasibility study which was later commissioned (AETS, Etude de faisabilité d’un statut européen de la PME, July 2005) whilst containing much interesting material, did not explicitly address the issue of comparative benefits from alternative legal reforms. On the formulation of the SPE statute itself, its analysis is mainly directed at identifying the likely take up by SMEs in different jurisdictions of differently formulated versions of an SPE statute. 7

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However, although one may think that the benefits to businesses of a uniform private company law are likely to be small and have been exaggerated by the proponents of the SPE, this paper focuses on a different question. This is the likely willingness of the member states to accept an SPE which is uniform across the Community, simple and flexible. It is germane to remember at this point that the SPE project will be adopted only if it achieves a very high degree of consensus – or at least indifference – among the member states in the Community’s legislative process, since the proposal has been put forward under Article 308EC,9 which requires the unanimous consent of the member states.

II. Why member states will find agreement difficult to reach Why might it be difficult to build a consensus among the member states on the SPE? I suggest this is because the Commission’s aim of giving SMEs a uniform but flexible form of Community incorporation is likely to bring it into conflict with those member states whose national systems are less flexible and which attach importance to the mandatory rules which express that lesser degree of flexibility. The SPE statute is likely to be perceived as a competitor with national systems of company law, and in particular as capable of undermining the mandatory rules contained in the domestic system. If a firm can escape the national mandatory rules through the expedient of incorporating as an SPE, then the national rules lose much of their mandatory character, especially if the SPE is overall simple and flexible, so that a switching company is not just exchanging one set of mandatory rules for another. In other words, the SPE expands the ‘menu’ of legal forms on offer to incorporators by placing on that menu a particularly attractive ‘dish’. The fact that the SPE is an optional form of incorporation will not allay member states’ concerns on this point, because it is an option for entrepreneurs, not states. In fact, the optional nature of the SPE is exactly the source of the difficulty, because it allows the firm to opt out of the national mandatory rules. It is precisely the possibility of escaping from national mandatory rules which has been put forward by commentators as constituting a major incentive to make use of the SPE statute.10 9

Now article 352 FEU. D. Lattuca and P. Santella ‘The Case in Favour of the European Private Company (SPE) – A Competitive Alternative for SMEs?’ in M. Neville and K. Sørenson (eds), Company Law and SMEs (London, Thomson/Sweet & Maxwell, 2009). See also M. Siems, L. Herzog, and E. Rosenhäger ‘The European Private Company (SPE): An Attractive New Legal Form of Doing Business?’ (2009) Butterworths Journal of International Banking and Financial Law, 247–250. (Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1350465). Both articles legitimately take as the starting point for analysis the hypothesis that the SPE will be adopted much as proposed by the Commission in 2008. It is that hypothesis which this piece questions. 10

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In effect, although not formally a harmonizing instrument, the SPE statute, as proposed by the Commission, functionally operates in this way and in a deregulatory direction. Countries which suffered a high level of transfer of their companies to the SPE form would come under strong pressure to adapt their national rules so as to bring them closer to the SPE model – just as, postCentros, there has been pressure on member states to reduce or eliminate their minimum capital rules to stem the flow of incorporations to jurisdictions with no such requirements.11 It is far from clear that member states which resisted the dismantling of their mandatory rules in the Commission’s harmonization programme, which ran into the sands in the early 1990s,12 should welcome this indirect, but strong, form of harmonization. There is one group of member states which might be happy with the Commission’s proposals – or, at least, apathetic towards them. Those member states whose laws already reflect the rules proposed by the Commission would have no reason to oppose them and might even promote them – for example, if they thought there was an advantage to their business people in having a European ‘branding’ on those rules rather than just their national one.13 However, it should be noted that the Commission’s 2008 proposals adopt a strong form of flexibility: those proposals out-gunned even some of the most liberal national regimes. For example, they would have imposed a less rigorous set of mandatory rules on British private companies than British company currently contemplates.14 Thus, a member state would have to favour an advanced version of the theory of company law as simply ‘enabling’ law for it to be happy with the Commission’s proposals.

III. Types of response by the member states to competition from the Community How might one expect most member states to respond to the flexible proposals of the Commission? It is suggested that they would try to scale back both the flexibility and the uniformity offered by those proposals. There are three obvious routes towards such an objective. The first is to restrict the 11 See M. Becht, C. Mayer and H. Wagner ‘Where Do Firms Incorporate? Deregulation and the Costs of Entry’, ECGI Law Working Paper 70/2006; U. Noack and M. Beurskens ‘Modernising the German GmbH – Mere Window Dressing or Fundament Redesign?’ (2008) 9 European Business Organization Law Review 97. 12 J. Wouters ‘European Company Law: Quo Vadis?’ (2000) 37 Common Market Law Review 257 at 272 ff.; L. Enriques ‘Company Law Harmonization Reconsidered: What Role for the EC?’ ECGI Law Working Paper 53/2005. 13 Some recently admitted member states are said to be in that position. See the AETS study, above note 8. 14 See the discussion of directors’ duties, below.

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range of national businesses which have access to the new European form. The second is to increase the number of mandatory rules in the Directive, thus directly cutting back on the flexibility offered by the new corporate form. The third is to refer a larger number of matters to regulation by national law (i.e. the law of the state in which the SPE is registered), thus permitting member states, which wish to do so, to maintain their mandatory rules in the referred area. By contrast, those favouring flexibility might seek to increase the range of matters left to be settled by the SPE in its articles of association, either without any statutory guidance at all or on a default basis. It is the contention of this piece that all three forms of restriction can be found in the versions of the SPE statute, subsequent to the Commission’s proposals, which have been produced by successive Presidencies and put forward for consideration in the Council of the European Union.15 This paper will focus in particular on the Presidency version of 27 November, 2009,16 the latest available and the time of writing, but some reference will also be made to the Presidency version of 8 December, 2008.17 The three restrictive approaches to the Commission’s proposals have somewhat different impacts on it, as can be seen by making the unrealistic assumption that only one of them will be used to amend the Commission’s draft. Specifying conditions for access to the SPE form essentially divides up jurisdiction to determine the rules as between the member state and the Community. Some companies will have their legal regime determined only at member state level 18 because they do not have access to the Community form, whilst others will have it determined at Community level.19 The other two restrictive approaches leave the SPE form formally available to all businesses but increase the mandatory content of the rules applicable to the SPE, either directly by incorporating them in the SPE statute or by way

15 One difficulty for analysis is that the Presidency drafts are not always publicly available. However, some can be found on the web-sites of interested parties. 16 Available at: http://www.europolitics.info/pdf/gratuit_en/262452-en.pdf. 17 Available at: http://www.fecif.org/downloads/FECIF237.pdf. 18 Of course, post-Centros the relevant member state might not be the state where the company carries on its main business activities. Again, it is surprising that none of the Commission’s pre-proposal documents deals with the question of whether, over time, regulatory competition would provide the appropriate degree of flexibility for SMEs, without Community intervention. Recital 19 of the Commission’s proposal simply asserts that the subsidiarity test is satisfied because only the Community can create a Community-level corporate form. See J. Armour “Who Should Make Corporate Law? EC Legislation versus Regulatory Competition”, ECGI – Law Working Paper No. 54/2005. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=860444 19 In theory, companies in the latter group could choose to continue to be regulated by national law, but we are proceeding at the moment on the hypothesis that the Community form of incorporation will be highly attractive to businesses which are permitted access to it.

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of reference to national law. Those in favour of uniformity will be opposed to national rules as a major source of rules for the SPE. Their objection will be that otherwise the SPE will fail to avoid the curse of the European Public Company (SE), namely, that it has turned out to be not a single Community form but a Community form which varies significantly from member state to member state because of the extent of the reliance in it on national law.20 However, it is predictable that the area in which it will be most difficult to secure member state consent is in relation to the substantive rules to be included in the statute. Any particular proposal for a mandatory rule runs the risk of being opposed by those member states which want a differently constructed mandatory rule incorporated, as well as by those who see no need for a mandatory rule in the area at all. Consequently, reliance on the national law may turn out to be the path of least resistance in the inter-state negotiating process.

IV. Restricting access to the SPE Under the Commission’s 2008 proposals no cross-border element was required for the incorporation of an SPE and it could be formed by natural as well as legal persons.21 In both respects the Commission’s proposals contrasted with the SE statute which, as adopted, is open only to existing corporate bodies (in some cases only to public companies) and, even then, only in circumstances where a cross-border element existed before the creation of the SE. In most cases, the fabrication of a cross-border element for the purposes of obtaining access is restricted by the requirement of a two-year prior period in which the cross-border condition must be satisfied.22 By contrast, in the Commission’s version the SPE was a full competitor with the national form of incorporation for SMEs. Even the European Parliament, generally a strong supporter of the SPE proposal,23 found this approach too strong. In its Report of February 2009 it recommended a mild amendment to the Commission’s approach. The Report, stemming from the evergreen Klaus-Heiner Lehne, is probably correct that the present proposal would not survive a good faith application of the subsidiarity principle. However, it

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J. Rickford ‘Inaugural Lecture – The European Company’ in J. Rickford (ed). The European Company (Antwerp – Oxford – New York, Intersentia, 2003) ch 2.2. 21 Above note 3, art. 3.1(e). 22 Council Regulation 2157/2001/EC on the Statute for a European Company (SE) [2001]OJ L294/1, art. 2. The two-year prior period does not apply to the formation of an SE by merger, but only public companies have access to the formation of an SE in this way. 23 European Parliament, Report with recommendations to the Commission on the European private company statute, 2006 (A6-0434/2006).

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recommended only a ‘light touch’ cross-border requirement, lest that requirement ‘be used as a pretext for hindering the creation of companies.’ 24 It is thus not surprising that the Presidency 2009 proposal contains some restrictions on access to the new corporate form, but they are indeed distinctly light touch. The required cross-border component can be satisfied in a number of ways, including having the intention to do business in a member state other than the one in which the SPE is registered or having a cross-border business objective stated in the articles of association.25 Thus, cross-border activities are not required at the time of formation. Prospective activities of this type are enough, and there is no obvious check on whether the intentions are later realized, for example, a requirement that the SPE convert to a national form of incorporation if no cross-border activities are embarked upon within a certain period of time. It is probably correct to conclude that these changes will not greatly deter those who have a strong incentive to escape from national regulation into the new form. The SPE may thus remain a significant competitor for national forms of incorporation, especially for the most dynamic and successful businesses, even if a cross-border qualification of the above type is introduced. With the gateway to the new corporate form only slightly narrowed by the above changes, it is not surprising that the attention of the member states turned to the two other strategies for dealing with the competitive threat posed by the SPE statute, i.e. strengthening the mandatory rules in the proposed statute and leaving more issues to be regulated by national law. Three areas have proved to be controversial and as of the end of 2009 were blocking the achievement of a political agreement on the measure. Two areas of controversy are predictable from the SE negotiations: whether to require the company’s place of registration to be in the same jurisdiction as its main centre of activities (the ‘seat’ question) and to which rules on employee participation should the SPE be subject. A third controversial topic for the SPE has been the minimum capital requirements, which was not a significant issue for the SE, since the Second Directive 26 already laid down a mandatory requirement of that class of company. However, as we shall see, although it is these issues which seem to have caused deadlock at present on the statute,27 there are other potentially difficult issues to be resolved. 24 European Parliament, Report on the proposal for a Council regulation on the Statute for a European private company, February 2009 (A6-0044/2009) 44. 25 Presidency 2009 proposals, above note 16, art. 3.3. Nor is it clear how the incorporators’ intentions are to be manifested. 26 Second Council Directive 77/91/EEC, [1977] OJ L26/1, art 6. 27 See ‘European Private Company still blocked in Council’, Europolitics, 7 December 2009 (available on: http://www.europolitics.info/business-competitiveness/european-privatecompany-still-blocked-in-council-art256918-4.html.

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V. Minimum capital In view of the scholarly debate, which has undermined the case for the type of low-level, uniform and non-adapting minimum capital requirement typically found in corporation law statutes,28 it is perhaps surprising that member states have been so reluctant to let go of the requirement in relation to private companies. Although some states have either abolished or softened minimum capital requirements for private companies in recent years – perhaps more as a result of regulatory competition than conviction 29 – others have either retained them and yet others, whilst engaging in reform, have hedged around access to company formation on the basis of only a nominal capital with other restrictions.30 The appearance of the SPE as a potential serious competitor to national company laws causes these battles to be fought out again, but this time at Community level, where at most only one national solution can triumph. In line with its commitment to flexibility, the Commission proposed that the SPE should require a minimum capital of only € 1 – in effect, no minimum capital.31 Despite its commitment to the promotion of SMEs, the Parliament has been more cautious, proposing a minimum capital requirement of € 10,000 in its original report of 2006 32 and one of € 8000 in its 2009 report on the Commission’s proposals, unless a solvency statement was made mandatory for distributions, in which case € 1 was to be sufficient.33 The latter 28 J. Armour ‘Legal Capital: An Outdated Concept?’ (2006) 7 EBOR 1 argues that adjusting creditors do not need the protection of minimum capital rules (at 19), and concludes ‘that it is hard to find a category of non-adjusting creditors for whom minimum capital rules offer useful protection’ (at 21). Of course, minimum capital rules could be reformulated so as to play a significant protective role, as is currently the case of banks and other financial institutions, where the rules are in the process of being strengthened. However, effective minimum capital provisions would require a much more sophisticated set of rules, as well as a significantly higher level of regulatory input than is currently the case for the general run of companies. It is doubtful whether the benefits would exceed the costs of such a revised system. Nor does the critique of minimum capital rules destroy the case for controls on distributions: the issue there relates to the type of control that should be imposed: capital-based or some alternative. See J. Rickford ‘Legal Approaches to Restricting Distributions to Shareholders: Balance Sheet Tests and Solvency Tests’ (2006) 7 EBOR 135 and W. Schön ‘Comment: Balance Sheet Tests or Solvency Tests – or Both?’, ibid 181. 29 See Becht et al, above note 11. 30 Noack and Beurskens above note 11 at 111-2, noting that the new German form of private company which may be established with a minimum capital of € (the Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – no acronym permitted for the haftungsbeschränkt part of the name) is nevertheless subject to a restriction on making distributions (25 % of profits must go to a non-distributable reserve) until its capital reaches that required for the full GmbH, ie € 10,000. 31 Above note 3, art. 19.4. 32 Above note 23, 5. 33 Above note 24, 42.

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proposal represented, of course, a significant softening of Parliament’s original proposal.34 Nevertheless, we know from research35 that any minimum capital requirement has a significant impact on entrepreneurs’ choice of jurisdiction for incorporation (though virtually no impact on re-incorporation decisions). We can speculate with some confidence that even the Parliament’s revised proposal (essentially substituting enhanced management liability for a minimum capital) would not prove attractive to entrepreneurs if they could obtain incorporation without either minimum capital or enhanced liability. If this is so, then the Parliament’s ‘compromise’ did not solve the problem. An SPE statute with a minimum capital requirement or enhanced management liability will render the new legal form of little or no interest in jurisdictions whose national laws impose no such requirement, whilst those jurisdictions with more onerous restrictions will fear their rules will be rendered practically useless as new incorporations are made in the SPE form. In the light of the above it is no great surprise to see that in the Presidency 2009 proposals took a different approach to the matter. The rule proposed was that there should be a mandatory cap of € 8000 on the minimum capital required of an SPE, but, within that figure, member states should choose. Member states should also be free to choose whether to require a solvency certificate for distributions (irrespective of their decision on minimum capital).36 Thus, as of the end of 2009 the strategy proposed to deal with minimum capital amounted to a shift away from both the flexibility proposed by the Commission and that of increasing the mandatory content of the statute (as proposed by the Parliament) to that of leaving the choice to national law

34 The Committee’s rapporteur is delightfully indecisive on the issue of a mandatory minimum capital, saying (ibid): “The rapporteur has a certain sympathy for this simple condition for establishing an SPE. In practice, capital stock does not help to protect creditors. However, it cannot be denied that a certain amount of ‘start-up capital’ may represent a threshold for solidity that will enhance the SPE’s reputation. The rapporteur would clearly state, however, that he does not see this proposed amendment as crucial for the general acceptability of the SPE. The key point is that minimum capital should not represent a serious obstacle to establishment. In this context, a lower amount of capital stock is also conceivable”. 35 Becht et al, above note 11. 36 Above note 16, arts 19.3 and 21.4. However, the 2009 Presidency’s proposals on raising capital are not entirely based on the ‘member state choice’ model. Some mandatory rules for public companies from the Second Directive are proposed to be extended to private companies, for example, the rules on the minimum amount to be paid up on issue (25 % of the nominal value and the whole of the premium), the maximum time limit for the payment of sums due (3 years), and the ban on services as consideration. Ibid art. 20. In the UK, for example, none of these rules applies to private companies. In some cases these restrictions might prove unwelcome to small companies, for example, high-tech start ups wishing to allot a significant amount of capital to employees in exchange for their services, but there are probably ways around the restrictions.

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(Presidency 2009 proposals).37 This revised approach was doubtless welcome to member states without minimum capital requirements: their entrepreneurs would not have to take on a requirement perceived as burdensome to obtain the advantages of the SPE form of incorporation (for example, the European ‘brand’). For those states with minimum capital requirements in national law, which they wished to preserve, the effect of this rule was to shift the debate to the seat rule, as discussed below. Would entrepreneurs from their jurisdiction be able to escape the national minimum capital requirement by incorporating an SPE in another member state which did not impose this requirement?

VI. The corporate seat Here we consider the question whether the registered office and the central administration of the SPE have to be in the same jurisdiction. The Commission’s 2008 proposal permitted the SPE to have its registered office and its seat in different member states: this freedom was permitted as a matter of Community law.38 This would have enabled the SPE freely to choose the national law to which it was to be subject, to the extent that the rules applicable to the SPE depend on national law. It would have been able to incorporate as an SPE in the member state which, it believed, offered the most appropriate form of SPE incorporation (for example, in relation to minimum capital) and still conduct its business in whatever state it wished, whether the state of incorporation or not. Hence, the forces of regulatory competition would have been released.39 Some reaction to this proposal was to be expected, though in this case the Parliament was largely content with the Commission’s proposals.40 In the Presidency’s 2008 proposals the matter was left to national law.41 The exact meaning of this is provision is not clear. At first sight it permits member states to require SPEs whose centre of administration is in their jurisdiction to be incorporated there as well, thus confining regulatory competition to those member states which choose not to impose the restriction. However, post-Centros it is far from clear that national law can impose 37

An additional argument in favour of this approach is that member states without ex ante minimum capital rules tend to deal with the risks of inadequate capitalisation through ex post standards. However, such standards are often found in insolvency rather than corporate law, but insolvency was not proposed to be regulated by the statute but was left to national law: Commission proposals, above note 3, art. 40. This is an example of the law’s conceptual structures getting in the way of functional comparative research. 38 Ibid note 3, art. 7. 39 See Armour above note 18. 40 See note 24 above. Its proposed amendments to art 7 were essentially procedural. 41 Above note 17, art 7.

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such a requirement and still be in compliance with the Treaty. In effect, the new rule leaves the decision on this matter to the European Court of Justice. However, those dissatisfied with this level of uncertainty seem to have pressed for further provision in the SPE statute. The Presidency 2009 proposal thus added a qualification to the national choice rule of 2008: for two years from the date of adoption of the statute coincidence of registered office and central administration would be a requirement of the statute; after that, it would be a matter of member state choice.42 However, the problem of compliance with the Treaty still arises, since the statute cannot derogate (any more than national law) from the fundamental freedoms therein enshrined.43 On either formulation, the ECJ seems likely to have the final word, unless the Commission’s original provision is reinstated, giving companies full freedom of establishment.

VII. Employee participation This proved to be the most difficult area to resolve in the negotiations over the SE statute. Agreement was reached eventually only on the basis of a highly complex set of rules.44 These are default, rather than mandatory, rules but opting out of them requires agreement of both management and employee representatives and in some respects the freedom of the employee representatives to contract out is constrained. So, the default is more constraining than might be imagined. The essence of these rules is that, subject to certain threshold requirements, the most advanced form of board level participation applying under national law to any of the companies 45 participating in the formation of the SE should apply mutatis mutandis to the SE. This would be the case no matter in which jurisdiction the SE chose to register. Of course, if none of the companies participating in the formation of the SE was subject to mandatory participation requirements under national law, the SE would not be either. In terms of the legal strategies we have been discussing in this piece, the approach adopted in the SE statute is closest to that of referring the matter

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Above note 16, art 7. See Wolf-Georg Ringe ‘The European Company Statute in the Context of Freedom of Establishment’ (2007) Journal of Corporate Law Studies 185, discussing the issue in relation to the SE statute, which, at the moment, always requires coincidence of registered office and place of central administration: above note 22, art. 7. Review in due course of this requirement is provided for in art. 69. 44 Set out in a separate legal instrument: Council Directive 2001/86/EC supplementing the Statute for a European Company with regard to the involvement of employees [2001] OJ L294/22. See P. Davies ‘Workers on the Board of the European Company?’ (2003) 32 Industrial Law Journal 75. 45 It should be recalled that only companies can form an SE. See note 22 above. 43

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to national law, but with the highly significant amendment that the national law to which the matter is referred may not be the law of the state in which the SE is registered. Thus, an SE formed by the merger of a large British and large German company and registered in the UK will be subject to the codetermination rules applying to the German company before the merger, unless management and employee representatives agree otherwise. In considering its approach to this neuralgic issue, the Commission in 2008 appears, rightly, to have entertained no hope of providing a flexible solution (each company decides on its board participation arrangements) or a uniform one (same rule applied to all SPEs). Instead, it proposed reference to national law, but in a much simpler way than under the SE statute. The Commission proposed a general rule that the participation rules of the state of registration should apply, with the exception that, where there was a transfer of registered office of the SPE to another member state, an SE-type solution to the problem of worker participation should apply. This exception would preserve the pre-transfer rules on participation, where a significant number of the pretransfer employees were subject to employee participation, unless the company and the employee representatives negotiated something different. Thus, on the Commission’s proposal a firm would be free to choose a state without any mandatory participation rules on initial incorporation but not to abandon the applicable participation rules upon later transfer.46 The Commission may have hoped that employee participation rights would be a less controversial topic in relation to the SPE than the SE, because few member states have participation requirements for companies with small numbers of employees. However, some do, for example, Sweden.47 More important, the private company form is available to and is used by companies with rather large numbers of employees. There is no limitation in the SPE statute on the numbers of persons it may employ and so it is entirely conceivable that some SPEs would break through, for example, the 500-worker threshold for minority board representation in Germany.48 Perhaps the central problem in the Commission’s proposal was with its distinction between initial incorporation and later re-incorporation. This distinction may work well in a national legal system, but does not have much purchase in the 46 Above note 3, arts 34 and 38. A somewhat similar set of rules to the transfer rules would apply if the SPE merged with another company (which might or might not be an SPE) and thus became subject to a different set of national rules. However, the participation rules in this case would be those applying to merging companies generally under Directive 2005/56/EC on cross-border mergers of limited liability companies [2005] OJ L310/1. These rules are similar but not identical to the rules applying on formation of an SE. 47 Board Representation (Private Employees) Act (1987: 1245) – threshold of 25 employees. See G. Brulin ‘Sweden: Joint Councils under Strong Unionism’ in J. Rogers and W. Streeck (eds) Works Councils (Chicago and London, University of Chicago Press, 1995). 48 Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (2004).

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case of an SPE, which may be formed either by natural persons (and thus be a true initial incorporation) or by existing companies (through transformation or merger), in which case, although there is an initial incorporation of an SPE, there is in effect a re-incorporation of the national companies. As with the SE, the most controversial question was formation of an SPE by transformation of an existing national company. Could, for example, a German company transform itself into an SPE registered in a member state with no or less demanding codetermination rules than the national ones? The Commission’s draft seemed to permit this but by the time of the Presidency’s 2009 draft an SPE formed by transformation was required to maintain its seat in the same jurisdiction as its pre-transformation entity.49 However, the Presidency’s 2009 proposals went much further than this particular requirement applied to SPEs created by transformation and suggest, in fact, that the employee participation issue had become more difficult to solve in relation to the SPE than in relation to the SE, despite the generally lesser likelihood that an SPE would fall within the national board participation rules if it were a national company. This conclusion is suggested by the inclusion within the Presidency 2009 proposals of a dynamic set of rules dealing with employee participation, in contrast to the static rules applying to the SE. The participation rules apply only at the time of formation of the SE – indeed, the application of those rules is a pre-condition for the creation of the SE.50 Whatever system is then agreed or imposed will remain in place unless either management and worker representatives agree something different or the SE transfers its seat or it ceases to be an SE and reconverts to a national company. This will be the case even if changes occur within the company (most obviously an increase in the number of its employees) which, if it were a national company in the jurisdiction where it is registered as an SE, would bring it within a national system of board level participation for the first time or move it to a more demanding level of participation. There is some evidence that this ‘freezing’ impact on the participation rules has provided an incentive for German companies to become SEs.51

49 Above note 16 at art 5b.2. If it subsequently sought to transfer its seat, it would be subject to the rules applying in that case (ibid art 35.1a(b)). The case of an SPE formed by merger escaping from its national participation rules was dealt with by applying to that case the provisions of Directive 2005/56/EC (above note 46), which adopted a form of the SE solution (ibid art 5(c)). 50 Above note 22, art 12.2. 51 H. Eidenmüller, A. Engert and L. Hornuf ‘Incorporating under European Law: The Societas Europaea as a Vehicle for Legal Arbitrage’ (2009) 10 EBOR 1, 18. A German company might become at SE before it employed 500 workers and thus avoid becoming subject to the one-third board requirement or before it employed 2000 workers and thus avoid the quasi-parity board requirement.

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The dynamic response to this problem in the case of the SPE is to be found partly in the Commission’s general principle that the SPE is subject to the participation rules of its state of registration. So, an SPE registered in Germany and having 400 employees would become subject to the German one-third board level requirement 52 once it reached 500 employees. However, the effectiveness of this rule depends upon the SPE’s choice of country of registration being constrained, which the Commission does not wish to do and which may in any event be incompatible with the Treaty.53 Hence one finds the second element in the dynamic approach put forward in the Presidency 2009 proposals. This consists in subjecting an SPE, once formed, to a continuous review (the check to be carried out at least once every three years) to see whether it should be made subject to more demanding participation rules. If the review reveals that the SPE has at least 500 employees and that at least half of them habitually work in a member state whose national law requires a higher level of participation than does the law of the state of registration, then an SE-type process of negotiation and, in default, the imposition of standard rules based on the higher requirements is triggered.54 Thus, the employee participation issue has proved no more tractable in relation to the SPE than the SE. Indeed, since at least some SPEs will be rapidly growing companies and employee participation thresholds are tied in national law so rigorously to employee numbers, it is easy to see why this should be. Nevertheless, the deep divisions among the member states over the desirability of board level participation requirements meant from the beginning that this issue in relation to the SPE was referred to national law and subsequent drafts of the statute have produced complicated formulae for determining which national law should be referred to. Even the European Parliament, in general a staunch proponent of the exclusion of national law from the SPE statute, here supports reliance on national formulae.55

VIII. The tendency to exclude national particularities It might be thought from the above that a member state which has no minimum capital rules in its domestic law, no mandatory rules on board-level participation and does not insist on coincidence of registered office and cen-

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Above note 48. See note 43 above. 54 Above note 16, arts. 35–35d. These proposals take up one feature from the Cross-Border Merger Directive, i.e. a permission to the member states to cap the default participation requirement at one third of board seats (art 35d.3), so that an SPE with 2000 employees, at least half of whom habitually work in Germany, will not be subject to default parity codetermination, if the member state so decides. 55 Above note 24 at 43. 53

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tral place of administration can observe the above debates with detachment. This is, however, a mistaken view. If the member state regards the SPE as a useful or potentially useful instrument for firms located in its jurisdiction, it will not want access to this new legal form to be conditional upon acceptance of mandatory rules which are not found in its domestic laws. Why, it will ask, should access to this new Community form be conditional upon acceptance of a rule (say, on minimum capital) which is wrongheaded and unnecessary? Equally, a Member State will not want the SPE to lack the mandatory rules present in its own national laws (for the competition reasons noted above). So either competition or access considerations are likely to cause all member states to participate actively in the SPE debates. Only a member state which concludes that the SPE form (however formulated) will have no value to its entrepreneurs and that, as formulated, it will not be attractive to them can afford to be completely indifferent.56 Further, all member states, if they see the SPE as a valuable project, have an interest in shaping the SPE statute in the mould of their domestic law. This follows from the above arguments. In addition, however, there is an undoubted benefit to a member state’s business people if the SPE follows the familiar format of their domestic law. Learning costs for their business people are reduced and that state gets the kudos of exporting its law across the Community.57 It is easily predicable that no state will win at the game of exporting its rules wholesale to the Community, though the balance of influence is still to play for. More worrying for some states will be their difficulty in transposing to the statute parts of their domestic law which are crucial to its operation but which are relatively unfamiliar to other member states. This will be a particular difficulty for them if the statute is drafted, not so as to impose some functional substitute for the national rules on the SPE, but so as to leave the matter to regulation by the SPE itself in its articles (i.e. where flexibility is emphasized in the SPE draft). Two examples may be given, directors’ duties and the expulsion and withdrawal of shareholders. As is well known, the UK (and Ireland) have developed an extensive body of standards which are used by courts to review the conduct of directors ex

56 The UK government’s position comes close to this view, but even it eventually realized that escape from some important parts of domestic UK law was offered by the SPE. See Department of Business, Enterprise and Regulatory Reform, Proposal for a European Council Regulation on the Statute for a European Private Company (SPE): Consultation Document, October 2008 (URN 08/1318); BERR, Government Response to the Consultation Document on the Proposals for a European Council Regulation on the Statute for a European Private Company (SPE). Both are available on: http://www.berr.gov.uk/ consultations/page48513.html. 57 Thus Noack and Beurskens, above note 11, conclude: “The true aim of modernising the GmbH seems to be to provide a foundation for a future European private company and to export the GmbH as such to other Member States.”

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post. Continental jurisdictions have not gone as far down this route, for reasons which are understandable and may be good.58 The British duties are now set out at a high level in the Companies Act 2006 and include an (objective) duty of care, a core duty of loyalty and a clutch of duties aimed at dealing with conflicts of interest: related party transactions, corporate opportunities, accepting benefits from third parties and failing to exercise independent judgment.59 The Commission’s proposals were clearly influenced by this approach. Article 31 of its draft 60 contained a core duty of loyalty (duty to act in the best interests of the company), a duty of care, a duty to avoid situations likely to give rise to a conflict of duty and interest (subject to the articles), a liability provision (confined to damages for loss; no disgorgement of profits), and a provision leaving everything not so covered to national law. The Presidency 2008 version of Article 31 retained the core duty of loyalty and duty of care but deleted the rest. Rather more worrying from the perspective of the British government, it appeared to leave it to the articles of association of the SPE to regulate related party transactions and ‘any specific duties’ of the directors.61 Since regulation in the articles would have priority over national law, at this point the proposals appeared to give British entrepreneurs a method of escaping from the national conflict of interest provisions.62 So, the draft had moved from making something along the lines of the British rules mandatory to providing flexibility to SPEs as to how far they should be subject to directors’ duties, British-style. The Presidency 2009 63 version of Article 31 removed any mention of directors’ duties entirely, but confined the matters which could be dealt with in the articles to the question of whether and, if so, how related party transactions needed to be authorized. All other aspects of directors’ duties thus appeared to be left to regulation by national law. At this third stage, then, reference to national law appeared to be the dominant strategy, as against either uniform mandatory rules or flexibility for the SPE.

58 More concentrated shareholding in continental Europe may render directors’ duties otiose as a tool for monitoring managers (controlling shareholders can do that job without legal help), whilst the political influence of controlling shareholders may have stymied the developed of directors’ duties as a tool for protecting minorities. 59 Companies Act 2006, Part 10, Ch 2 – discussed by P. Davies and J. Rickford ‘An Introduction to the New UK Companies Act’ (2008) 5 European Company and Financial Law Review 48. 60 Above note 3. 61 Above note 17, art. 4.1 and Annex I. 62 Although to some extent these conflict provisions can be modified by the articles under national law, the basic principle applying to them is that they are not contractible: Companies Act 2006, s 232. 63 Above note 16.

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This short history, it is suggested, supports the argument that it will be difficult for a member state to export a central body of corporate rules, with which the other member states are unfamiliar, through the mechanism of a Community instrument. This is understandable. A rule drawn from one member state comes with an interpretive background in that state which clarifies the meaning of that rule. However, that interpretive (and institutional) background will not carry over into the SPE Regulation for the other member states, and so the other member states may be rightly unclear about what they are taking on. There would be great uncertainty as to how the transplanted legal rules would work out in the new host systems. For example, directors’ duties, being formulated as standards, depend enormously for their impact on the ability of shareholders to enforce them and on courts’ expertise in interpreting them. From the point of view of the receiving countries, the new rules might appear as equivalent to buying ‘a pig in a poke’.64 Their resistance is thus to be expected. However, this story might also suggest that the other member states will also refrain from providing an escape through a Community form of incorporation from a set of corporate rules which is important for a particular member state (unless perhaps that state finds itself in a very weak political position). Perhaps directors’ duties can be seen as the British equivalent to codetermination for Germany. In both cases, finding a solution involved the abandonment of the goal of a uniform set of rules for the SPE. A somewhat similar story can be told about the statute’s expulsion and withdrawal provisions. These are crucial provisions in a private company. Investors are usually locked into the company, because there is no or no reliable market for its shares, whilst small companies are often established on the basis that all the shareholders will be involved in its management. However, close working relations among the shareholders are always at risk of breaking down, creating a functional need for exit on fair terms. Consequently, provisions which enable majorities to expel dissentients and minorities to withdraw focus on an area which is crucial to the sustainability of the small company. However, crafting these provisions is not easy and different member states have gone in different directions.65 The Commission’s draft adopted a particular set of provisions, said to be based on Dutch law.66 These provisions gave the court, on the application of the majority, a

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A poke here meaning a bag, not a jab. For a theoretical analysis of the problems in this area see E. Rock and M. Wachter ‘Waiting for the Omelet to Set: Match-Specific Assets and Minority Oppression in Close Corporations’ in J. McCahery, T. Raaijmakers and E. Vermeulen (eds) The Governance of Close Corporations and Partnerships (Oxford, OUP, 2004) ch 4. 66 R. Drury ‘Private Companies in Europe and the European Private Company’ in ibid at 389. 65

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broad power to expel a minority where ‘the continuance of the shareholder as a member of the SPE is detrimental to its proper operation’.67 By contrast, the right to withdraw was limited to four specific (but important) cases and, within those cases, gave the court power to order the purchase of the minority’s shares at a fair price only where ‘the interests of the shareholder have suffered serious harm.’68 Clearly, there was much scope for argument about these powers: was the expulsion power too wide or the withdrawal right to narrow? The Presidency 2008 proposals maintained these provisions, with some minor amendments to the withdrawal right.69 The Presidency 2009 proposals 70 deleted both sets of provision and seem to have left the matter to the law of place of registration. Once again, therefore, a difficult issue has been dealt with by leaving it to national law.

IX. Conclusions In its influential report of 2006, which in many ways launched the Community’s legislative initiative on the SPE, the European Parliament stated: “The European Parliament takes the view that an EPC Statute should be based as far as possible on Community legislation and thus dispense with references to national law: it should therefore be conceived as a uniform and definitive statute. The company law provisions of the regulation on the statute for a European Company should therefore apply exclusively, and the areas of law regulated in this regulation should be withdrawn from the jurisdiction of Member States.” 71 There then followed an extensive list of matters which were thought to be appropriate for inclusion in the proposed statute, which the Commission’s 2008 proposals by-and-large followed. The desire to avoid the extensive reference to national law which the SE statute had adopted was a strong influence on the Parliament.72 This paper has sought to argue that the drift away from this model of the SPE in the member state negotiations is

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Above note 3, art. 16. Ibid, art. 17. 69 Above note 17, arts. 17 and 18. Non payment of dividends for three years ceased to be a ground for withdrawal, but the SPE was authorized to add other grounds for withdrawal in the articles. 70 Above note 16. 71 Above note 23, Recommendation 1. 72 “The SE Statute took a long time to develop and the outcome is unsatisfactory, for the market has not yet adopted the SE as a company form for limited companies. One reason for this is that the SE is not a uniform European form of company, but has remained a patchwork owing to the many references to national law. This increases legal uncertainty and is expensive.” Ibid, Explanatory Statement I. 68

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entirely understandable. If a member state regards the SPE project as worth while, it has a strong incentive to avoid the inclusion in it of mandatory rules not found in its domestic law, in order to maintain the attractiveness of the project for ‘its’ business people. Whether it regards the SPE project as worth while or not, it has an even stronger incentive, for competition reasons, to ensure that the SPE contains all the mandatory rules which it regards as important in its own system. Since the highly conflicting goals of the member states cannot all be reconciled by any conceivable single set of mandatory rules to be contained in the Community instrument and since the legal base in the Treaty for the instrument requires unanimity, a substantial move away from uniformity (i.e. mandatory rules in the statute) will occur. Of the three possible moves – restricting access to the SPE form, SPE choice via the articles or member state choice – the first has proved unattractive presumably because tight access rules would transparently demonstrate the limited utility of the proposals and the second does not solve the competition risk to the member states. Consequently, the dominant strategy in the redrafts of the Commission’s proposals has been the third: member state choice, i.e. the legal strategy adopted for the SE. One can argue that this is the result of neither mistaken legal strategy nor a failure of will but, in the circumstances, the only way to make progress. What will the future bring? Here we turn from analysis to speculation. As far as this writer is concerned, it is impossible to predict whether, given the political resources already devoted to it, an SPE statute will emerge, but extensively qualified by member state choice, or whether, given the limited gains arguably available to enterprises even under the model proposed by the Parliament and Commission, the project will collapse under the weight of its irreconcilable demands. Both outcomes would suggest the projects should not have been undertaken in the first place.

Die gerichtliche Überprüfung der Entlastung durch die Hauptversammlung Christian E. Decher I. Themenstellung Die Beschlussfassungen der Hauptversammlung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sind die in der Praxis am häufigsten mit Anfechtungsklagen angegriffenen Tagesordnungspunkte.1 Dazu tragen die sich ständig erhöhenden Anforderungen an die Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat durch den Gesetzgeber und den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) betreffend Transparenz, Berichterstattung und Information der Aktionäre bei. Die Rechtsprechung reagiert auf die Verletzung von Transparenz- und Informationspflichten mit der Nichtigerklärung der Entlastung des betreffenden Organs.2 Zunehmend wird die Entlastung auch unter Berufung auf materielle Rechtsverstöße der Verwaltung im Wege der Anfechtungsklage angegriffen. So beschäftigen Entscheidungen des Aufsichtsrats zur Vergütung des Vorstands über die Anfechtung der Entlastung die Gerichte. Zudem werden strittige unternehmerische Entscheidungen des Vorstands – wie bedeutende Käufe oder Verkäufe oder die Beteiligung von Großinvestoren – im Wege der Anfechtung der Entlastung zur Überprüfung der Gerichte gestellt. Die Anfechtungsklage gegen die Entlastung entwickelt sich insoweit zu einer Art Ersatzrechtsbehelf, seitdem der BGH eine Befassung der Hauptversammlung mit den betreffenden Strukturmaßnahmen durch die Klarstellung des Ausnahmecharakters von sog. „Holzmüller“-Fällen 3 und durch die Betonung der Möglichkeit des Vorstands zur flexiblen Ausnutzung eines genehmigten Kapitals 4 weitgehend zurückgedrängt hat. 1 Vgl. Baums/Keinath/Gajek ZIP 2007, 1629, 1639; ebenso schon Baums/Vogel/ Tacheva ZIP 2000, 1649, 1652. 2 Vgl. etwa BGHZ 153, 47 (Macrotron); BGHZ 160, 385 (ThyssenKrupp); OLG München AG 2009, 121; OLG München WM 2008, 645; OLG Nürnberg AG 2007, 295 (DIC Asse)t; OLG Stuttgart AG 2006, 379; OLG Stuttgart AG 2003, 527; LG München I AG 2007, 417. 3 BGHZ 159, 30 (Gelatine II); BGH NZG 2004, 571 (Gelatine I). 4 BGHZ 136, 133, 140 (Siemens/Nold); BGHZ 164, 241, 244 (Mangusta/Commerzbank I); BGHZ 164, 249 (Mangusta/Commerzbank II); BVerfG Der Konzern 2006, 684.

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Grundlagenentscheidung zu der Anfechtbarkeit der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat war bislang die Macrotron-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2002.5 Der BGH hat nunmehr seine Rechtsprechung in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2009 für den Fall eines Verstoßes des Aufsichtsrats gegen Empfehlungen des DCGK fortentwickelt.6 Diese Entscheidungen und die hohe Bedeutung von Anfechtungsklagen gegen Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung geben Anlass zu der nachfolgenden Untersuchung. Dazu ist es erforderlich, zunächst die Bedeutung der Entlastung (nachfolgend II.1.) und die Voraussetzungen für deren gerichtliche Überprüfung im Lichte der neueren BGH-Rechtsprechung nachzuzeichnen (nachfolgend II.2.). Alsdann wird der Versuch einer Systembildung für die von der Rechtsprechung behandelten Fallgruppen unternommen (nachfolgend III.). Anschließend wird diese Systembildung für die beiden herausgearbeiteten Fallgruppen, nämlich die Anfechtung der Entlastungsentscheidung wegen materieller Gesetzes- oder Satzungsverstöße (nachfolgend IV.) und wegen Informationsmängeln (nachfolgend V.) verprobt. Dabei wird sich zeigen, dass für die gerichtliche Überprüfung der Entlastung in beiden Fallgruppen im Ergebnis große Unterschiede bestehen, denen auch durch differenzierte Anforderungen Rechnung getragen werden sollte.

II. Die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung 1. Die Bedeutung der Entlastung Die Entlastung durch die Hauptversammlung bedeutet eine Billigung der Arbeit der Verwaltung für das abgelaufene Geschäftsjahr und eine Vertrauensbekundung für die künftige Tätigkeit.7 Anders als noch § 104 AktG 1937 enthält die Entlastung gemäß § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht gleichzeitig einen Verzicht der AG auf Ersatzansprüche gegen die Verwaltung. Die Erteilung der Entlastung hat also – anders als bei der GmbH 8 – keine Präklusionswirkung.9 Trotz der eingeschränkten rechtlichen Bedeutung hat die Entlastung in der Praxis erhebliche Bedeutung.10 Die Entlastungsentscheidung der Hauptver5

BGHZ 153, 47; vgl. ferner BGHZ 160, 385 (ThyssenKrupp). BGHZ 180, 9 (Kirch/Deutsche Bank); BGH, ZIP 2009, 2051 (Springer). 7 Vgl. etwa BGHZ 94, 324, 326; BGHZ 160, 385, 389 (ThyssenKrupp); Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 120 Rn. 2; Mülbert in Großkomm. AktG (Fn. 7) § 120 Rn. 25; Spindler in Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 120 Rn. 10. 8 Vgl. statt aller BGH WM 1976, 736; Bayer in Bayer/Hommelhoff/Kleindiek/Lutter, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 46 Rn. 26; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 7. Aufl. 2007, § 46 Rn. 89; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 46 Rn. 41. 9 Vgl. Begr. RegE zu § 120, bei Kropff Aktiengesetz, 1965, S. 167; Spindler in Schmidt/ Lutter (Fn. 7), § 120 Rn 29; Weitemeyer ZGR 2005, 280, 286. 10 Vgl. Spindler in Schmidt/Lutter (Fn. 7) § 120 Rn. 3; vgl. auch Semler in MünchHdbAG, 3. Aufl. 2007, § 34 Rn. 30. 6

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sammlung hat zunächst eine nicht zu unterschätzende Öffentlichkeitswirkung. So wird eine nur mit erheblichen Gegenstimmen erteilte Entlastung als „Denkzettel“ für die Verwaltung angesehen. Die Versagung der Entlastung durch die Hauptversammlung ist in der Praxis selten, weil ein Vorstand oder Aufsichtsrat, der nicht das Vertrauen der Aktionäre genießt, typischerweise schon vor einer Negativentscheidung der Hauptversammlung sein Amt verliert. Kommt es aber – etwa in Folge eines Machtkampfes mit einflussreichen Aktionären über die künftige Unternehmenspolitik – zu einer negativen Entscheidung der Hauptversammlung, wird die im Amt befindliche Verwaltung nicht mehr zu halten sein. Auch die gerichtliche Nichtigerklärung einer der Verwaltung erteilten Entlastung kann erhebliche Folgen haben. Wird etwa eine Entlastung des Vorstands wegen materieller Gesetzes- und/oder Satzungsverstöße rechtskräftig für nichtig erklärt, so besteht regelmäßig Anlass für ein Vorgehen gegen die verantwortlichen Organmitglieder.11 Aber auch dann, wenn eine Entlastung „lediglich“ wegen eines Verstoßes gegen Transparenz-, Berichts- oder sonstige Informationspflichten erfolgreich angegriffen wird, bedarf es jedenfalls einer Beseitigung dieser formellen Mängel für die Zukunft. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung geht es um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses und nicht um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Zwar ist Gegenstand der Entlastungsentscheidung die Bestätigung des Verhaltens der Verwaltung als im Großen und Ganzen rechts- und satzungsgemäß. Dennoch führt die Einschätzung eines Verwaltungshandelns als rechtswidrig nicht zwangsläufig zur Rechtswidrigkeit des die Entlastung aussprechenden Hauptversammlungsbeschlusses.12 Dementsprechend kommt es auf den Kenntnisstand der Hauptversammlung bei der Erteilung der Entlastung an (vgl. unten IV.2.a). 2. Entwicklung der Rechtsprechung zur gerichtlichen Überprüfung der Entlastungsentscheidung a) Gesetzes- oder Satzungsverstöße der Verwaltung In Rechtsprechung und Literatur war es lange umstritten, ob und in welchem Umfang die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung wegen inhaltlicher Mängel einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. 11 Vgl. K. Schmidt NZG 2003, 601, 605 unter Hinweis auf BGHZ 135, 224 (ARAG); einschränkend Weitemeyer ZGR 2005, 280, 297. 12 Deutlich: BGH ZIP 2009, 2436, 2437 (RWE Energie (Nichtannahmebeschluss)) und OLG München NZG 2008, 631, 633 (Vorinstanz); OLG Köln BeckRS 2009, 22140, S. 3; Mülbert in Großkomm. AktG (Fn. 7), § 120 Rn. 76; Spindler in Schmidt/Lutter (Fn. 7) § 120 Rn. 31.

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Nach einer früher verbreiteten Auffassung, die sich auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1967 stützte,13 stand der Hauptversammlung ein weitreichendes Ermessen hinsichtlich der Entlastungsentscheidung zu. Dementsprechend konnte auch einer pflichtvergessenen Verwaltung Entlastung erteilt werden.14 In der Macrotron-Entscheidung aus dem Jahr 2002 hat der BGH demgegenüber klargestellt, dass ein Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung anfechtbar ist, wenn Gegenstand der Entlastung ein Verhalten ist, das eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt. Es widerspreche § 243 Abs. 1 AktG und der Treuepflicht, wenn eine zur Billigung rechtsbrechenden Verhaltens entschlossene Mehrheit gegen den Widerstand der Minderheit eine Entlastung der Verwaltung durchsetze.15 Im konkreten Fall sah der BGH in der Macrotron-Entscheidung einen Verstoß gegen die Berichtspflicht des Aufsichtsrats über die Prüfung des Abhängigkeitsberichts gemäß § 314 Abs. 2 AktG als schwerwiegenden Gesetzesverstoß an, der die Anfechtbarkeit der Entlastung des Aufsichtsrats rechtfertige.16 Als schwerwiegende Gesetzesverstöße wurden von der Rechtsprechung ferner angesehen ein unzureichender Aufsichtsratsbericht (Verstoß gegen § 171 Abs. 2 AktG) 17 oder die unterbliebene Dokumentation eines Risikofrüherkennungssystems gemäß § 91 Abs. 2 AktG.18 b) Auskunftspflichtverletzung Im Unterschied zur Überprüfung von Entlastungsbeschlüssen wegen inhaltlichen Mängeln wurde von der Rechtsprechung stets eine Anfechtbarkeit wegen formellen, verfahrensrechtlichen Mängeln des Entlastungsbeschlusses zugelassen. Neben Verfahrensverstößen, etwa bei der Einberufung der Hauptversammlung, die hier nicht weiter zu vertiefen sind, stand im 13

BGH WM 1967, 503, 507. Vgl. OLG München WM 1991, 1843, 1851; OLG Düsseldorf, WM 1996, 777, 781; Kubis in MünchKommAktG, 2. Aufl. 2004, § 120 Rn. 15; Mülbert in Großkomm. AktG (Fn. 7) § 120 Rn. 76; einschränkend für besonders schwere Verfehlungen der Verwaltung vgl. OLG Hamburg AG 2002, 460, 462; OLG Hamburg NZG 2002, 244, 245; zur Anfechtbarkeit bei erheblichen Pflichtverstößen etwa OLG München AG 2001, 197, 198. 15 BGHZ 153, 47, 51; ebenso BGHZ 160, 385, 388 (ThyssenKrupp); BGH AG 2008, 83, 84; Henze BB 2005, 165, 168; Hoffmann in Spindler/Stiltz, AktG, 2007, § 120 Rn. 44; Hüffer AktG (Fn. 7) § 120 Rn. 12; Lutter in Kölner KommAktG, 3. Aufl. 2006, § 161 Rn. 66; Weitemeyer ZGR 2005, 280, 293; abweichend Kubis NZG 2005, 791, 796; Spindler in Schmidt/Lutter (Fn. 7) § 120 Rn. 31. 16 BGHZ 153, 47, 51; ebenso BGHZ 62, 193, 195; OLG Stuttgart AG 2003, 527, 529, 530. 17 OLG Stuttgart NZG 2006, 472, 473 (dazu kritisch Sünner AG 2006, 450, 451); ebenso LG München I AG 2007, 417, 418; im Einzelfall ablehnend dagegen OLG München AG 2009, 121, 123. 18 LG München I AG 2007, 417, 418. 14

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Mittelpunkt der Rechtsprechung insbesondere die Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen wegen Verletzung des Auskunftsrechts der Aktionäre gemäß § 131 AktG. Auch insoweit waren die Anforderungen einer Anfechtbarkeit lange umstritten. Wegen der eingeschränkten rechtlichen Bedeutung der Entlastung bejahten die Gerichte vielfach die Erforderlichkeit von Auskünften im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Beurteilung der Entlastung nur bei Besorgnis eines pflichtwidrigen Verhaltens der Verwaltungsmitglieder bzw. bei objektiv begründeten Zweifeln an der Möglichkeit einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung durch die Verwaltung.19 Weitergehend wurde von manchen Instanzgerichten die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses wegen Verletzung des Auskunftsrechts eingeschränkt.20 Demgegenüber ist seit der ThyssenKrupp Entscheidung des BGH anerkannt, dass eine Einschränkung der Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses wegen Verletzung des Auskunftsrechtes ebenso wenig in Betracht kommt wie eine Verschärfung der Anforderungen an das Auskunftsrecht des § 131 AktG. Die Erforderlichkeit einer Auskunft ist bei Fragen zur Entlastung zu bejahen, wenn es um Vorgänge von einigem Gewicht geht, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung sind.21 Einem Aktionär ist nicht zuzumuten, die Tätigkeit der Verwaltung ohne die dazu erforderlichen Informationen „abzusegnen“ und ihr das Vertrauen auszusprechen. Werden einem Aktionär Auskünfte vorenthalten, die zur sachgerechten Beurteilung der Entlastung erforderlich sind, so liegt darin nach Auffassung des BGH zugleich ein im Sinne von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG relevanter Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des Aktionärs, der eine Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses rechtfertigt.22 c) Verstöße gegen Vorlagepflicht gemäß §§ 175 Abs. 2, 176 Abs. 1 Satz 1 AktG Weiterhin hat der BGH eine dritte Gruppe von Gesetzesverstößen anerkannt, welche schon für sich allein geeignet seien, die Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses zu begründen. Hierzu hat der BGH Verstöße gegen

19 OLG Düsseldorf ZIP 1986, 1557; LG Frankfurt/M. WM 1994, 1929, 1931; LG München I ZIP 1993, 1630. 20 KG DB 2000, 1755, 1756; LG Köln AG 1999, 137, 138; LG Heidelberg ZIP 1994, 780. 21 BGHZ 160, 385, 389; ebenso etwa OLG Frankfurt/M. BeckRS 2009, 17982, S. 9; OLG Frankfurt/M. BeckRS 2008, 02652, S. 5; OLG Karlsruhe Urt. v. 9.4.2008 – 7 U 271/06, 9: SAP; Decher in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2001, Rn. 188; weitergehend Kubis NZG 2005, 791, 796; Weitemeyer ZGR 2005, 280, 298. 22 BGHZ 160, 385, 392; OLG Stuttgart AG 2005, 94, 95; ebenso etwa Hüffer AktG (Fn. 7) § 243 Rn. 46b; Kersting ZGR 2007, 319, 326; abweichend insoweit Decher in Großkomm. AktG (Fn. 21) § 131 Rn. 389; DAV-Handelsrechtsausschuss NZG 2005, 388, 392.

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§§ 175 Abs. 2, 176 Abs. 1 Satz 1 AktG wie die fehlende Vorlage eines Lageberichts an die Hauptversammlung gezählt.23 d) Unrichtige Entsprechenserklärung, § 161 AktG In zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2009 hat der BGH entgegen einigen Entscheidungen der Instanzgerichte 24 klargestellt, dass auch unrichtige Entsprechungserklärungen wegen einer nicht erklärten Abweichung von den rechtlich unverbindlichen Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) zur Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung führen können. In der Entscheidung Kirch/Deutsche Bank bejahte der BGH die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung für Aufsichtsrat und Vorstand wegen einer unrichtigen Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG wegen Abweichung von Ziffer 5.5.3 Satz 1 DCGK (Offenlegung einer Interessenkollision eines Aufsichtsratsmitglieds). Die Abweichung von der Empfehlung des DCGK könne über die gesetzliche Verpflichtung des § 161 AktG, sich über ein Verhalten in Entsprechung oder in Abweichung der Empfehlungen des DCGK zu erklären, gleichzeitig einen Gesetzesverstoß darstellen. Widerspreche die Erklärung gemäß § 161 AktG in einem nicht unwesentlichen Punkt der tatsächlichen Praxis der Gesellschaft, liege darin ein Gesetzesverstoß, der die Entlastungsbeschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat anfechtbar mache.25 In der Springer-Entscheidung bejahte der BGH für einen gleichgelagerten Fall ebenfalls die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung. Er knüpfte dabei an die Macrotron-Formulierung an, es müsse ein eindeutiger und schwerwiegender Gesetzesverstoß vorliegen. Dieser wurde bei einer unrichtigen Entsprechenserklärung unter der Voraussetzung bejaht, dass der Verstoß über einen Formalverstoß hinausgehe und im konkreten Einzelfall Gewicht habe. Als weitere Voraussetzung verlangte der BGH, dass der Pflichtenverstoß auch nach Maßgabe von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG relevant sei, da es sich um eine Informationspflichtverletzung handele.26

23 BGH AG 2008, 83, 84 unter Hinweis auf BGHZ 62, 193, 194; ebenso OLG Stuttgart AG 2003, 527, 530; OLG Nürnberg AG 2007, 295, 298: DIC Asset; Weitemeyer ZGR 2005, 280, 298. 24 KG AG 2009, 118, 119; OLG Stuttgart BeckRS 2009, 18606, S. 24; LG Frankfurt/M. NZG 2009, 149, 157; LG München I NZG 2008, 150. 25 BGHZ 180, 9, 19, 24, Rn. 19, 28; zustimmend E. Vetter NZG 2009, 561, 566; im Ergebnis auch Goslar/von der Linden DB 2009, 1691, 1693. Ebenso bereits OLG München AG 2008, 386; vgl. auch OLG München ZIP 2009, 133, 134; eingeschränkt auch LG Krefeld BeckRS 2007, 06566, S. 7. 26 BGH ZIP 2009, 2051, 2054, Rn. 18 (Springer).

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III. Systembildung Die vorstehend dargestellten Rechtsprechungsgrundsätze zu den benannten vier Fallgruppen lassen sich nicht schon auf den ersten Blick zu einem einheitlichen System zusammenfassen. Es ist nicht selbstverständlich, dass inhaltliche Mängel des Entlastungsbeschlusses nur bei Vorliegen eines eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoßes die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung begründen (Fallgruppe II.2.a), während formelle Mängel wie Auskunftspflichtverletzungen schon dann die Anfechtbarkeit rechtfertigen sollen, wenn es um Vorgänge von einigem Gewicht geht, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung und damit für die Beschlussfassung relevant sind (oben II.2.b), und wieder andere Gesetzesverstöße schon per se die Anfechtbarkeit begründen sollen (oben II.2.c). Auch die Fallgruppe der Inhaltsmängel erscheint heterogen: Bei Verstößen gegen die Berichtspflicht des Aufsichtsrats oder die Prüfung des Abhängigkeitsberichtes durch den Aufsichtsrat geht es zwar regelmäßig um eindeutige Gesetzesverstöße, die aber nicht zwanglos unter die Macroton-Terminologie eines schwerwiegenden Gesetzesverstoßes passen.27 Auch die Einordnung einer fehlerhaften Entsprechenserklärung wegen Nichtbefolgung der rechtlich nur unverbindlichen Empfehlungen des DCGK ist nicht eindeutig. Der BGH hat sie im Kirch/Deutsche Bank-Fall in der Sache als eine eigenständige Fallgruppe (oben II.2.d) behandelt. Eine Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses wird vom BGH bereits bei einer in einem nicht unwesentlichen Punkt falschen Entsprechenserklärung bejaht. Auf die von der Terminologie her strengeren MacrotonGrundsätze, wonach ein eindeutiger und schwerwiegender Gesetzes- oder Satzungsverstoß vorliegen muss, wird an keiner Stelle verwiesen. In der Springer-Entscheidung verweist der BGH demgegenüber für einen identischen Verstoß gegen die Empfehlung der Ziffer 5.5.3 DCGK auf die Macroton-Grundsätze und knüpft an das Erfordernis eines eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoßes an.28 Gleichzeitig schränkt er die unmittelbar vorausgehende Kirch/Deutsche Bank-Entscheidung insofern ein 29, als er die fehlerhafte Entsprechenserklärung als Informationspflichtverletzung einordnet, die nur bei einem gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG für die sachgerechte Wahrnehmung des Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechts der Aktionäre relevanten Verstoß die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung rechtfertige.30 In der Sache knüpft der BGH für die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung wegen einer fehlerhaften Entsprechenserklärung damit kumulativ an die Voraussetzungen der Fallgruppen II.2.a und b an. 27 28 29 30

Lorenz NZG 2009, 1138, 1139; vgl. auch Mutter ZGR 2009, 788, 796, 797. BGH ZIP 2009, 2051, 2054, Rn. 18 (Springer). Vgl. Goette DStR 2009, 2602, 2606. BGH ZIP 2009, 2051, 2054 Rn. 18 (Springer); Goette FS Hüffer, 2010, 225, 233.

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Zu einem überzeugenden Ganzen fügt sich die Rechtsprechung des BGH zusammen, wenn man nur zwischen den Fällen materieller Rechtsverstöße und Verstöße gegen Informationspflichten (Publizitäts-, Berichts-, Informations- und Auskunftspflichten) der Verwaltung unterscheidet. Die Macroton-Grundsätze des BGH sollten auf die Fallgruppe von Entlastungsentscheidungen bei (behaupteten) materiellen Rechtsverstößen der Verwaltung beschränkt werden. In diesen Fällen ist eine Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung nur bei eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstößen gerechtfertigt (nachfolgend IV.). Für alle Fälle einer Verletzung von Informationspflichten lässt sich die Rechtsprechung des BGH zur gerichtlichen Überprüfung der Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung im Ergebnis am überzeugendsten mit den Grundsätzen der ThyssenKrupp-Entscheidung und im Ansatz der Springer-Entscheidung des BGH begründen. Handelt es sich insoweit um eindeutige Verstöße, die von ausreichendem Gewicht sind, weil sie für die voll informierte Entscheidung der Hauptversammlung über die Entlastung wesentlich sind, erscheint die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung gerechtfertigt 31 (nachfolgend V.). Die Unterscheidung zwischen materiellen Rechtsverstößen und Verstößen gegen Informationspflichten ist nicht identisch mit der verbreiteten Unterscheidung zwischen Inhaltsmängeln und formellen Mängeln des Entlastungsbeschlusses (vgl. die Fallgruppen II.2.a einerseits und b, c andererseits). Denn die Rechtsprechung hat zu Inhaltsmängeln des Entlastungsbeschlusses stets auch Verstöße der Verwaltung im Zusammenhang mit der Aufstellung und Prüfung eines Abhängigkeitsberichts oder dem Bericht des Aufsichtsrats gezählt.32

IV. Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung bei materiellen Rechtsverstößen der Verwaltung 1. Fälle aus der jüngeren Praxis In die Fallgruppe der Anfechtung des Beschlusses der Hauptversammlung über die Entlastung der Verwaltung wegen (behaupteter) materieller Rechtsverstöße der Verwaltung gehören alle (behaupteten) Verstöße von Vorstand und Aufsichtsrat gegen ihre Sorgfalts- und Treuepflichten. In diesen Fällen geht es regelmäßig um die Überprüfung des pflichtgemäßen Verhaltens der Verwaltung bei unternehmerischen Entscheidungen. Einen Schwerpunkt von Anfechtungsklagen bilden insoweit in jüngster Zeit insbesondere Fälle, in denen es um unternehmerische Entscheidungen 31

Insoweit zustimmend auch Mülbert in Großkomm. AktG (Fn. 7) § 120 Rn. 76. Vgl. BGHZ 153, 47, 51; OLG Stuttgart NZG 2006, 472, 473; OLG Stuttgart AG 2003, 527, 529, 530. 32

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des Vorstands über den Kauf oder Verkauf wesentlicher Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen geht. Da derartige gewichtige Entscheidungen auch der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen, wird die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung für beide Organe mit dem Ziel angegriffen, die Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltung gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Klarstellung in den Gelatine-Entscheidungen des BGH, dass selbst wesentliche Strukturmaßnahmen regelmäßig nicht der Zustimmung der Hauptversammlung nach den Grundsätzen der Holzmüller-Entscheidung des BGH bedürfen,33 hat dazu geführt, dass auch bedeutsame Kaufoder Verkaufsfälle in der Praxis nicht mehr zur Zustimmung der Hauptversammlung gestellt werden. Die Anfechtung der Entlastung wird daher von überstimmten Minderheitsaktionären als eine Art Ersatzrechtsbehelf in Anspruch genommen. Als Beispiele können etwa genannt werden Anfechtungsklagen gegen die Entlastung der Verwaltung im Zusammenhang mit der Beteiligung von Fraport an dem Flughafen Manila 34, der Erwerb der Dresdner Bank durch die Commerzbank 35, der Verkauf der Apcoa durch EnBW 36 oder der Verkauf einer Unternehmensbeteiligung der Strabag 37 an den Großaktionär. Andere Fälle der Anfechtung der Entlastung bilden die Beteiligung neuer Großaktionäre durch Ausnutzung eines genehmigten Kapitals durch den Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats. Auch insoweit hat die Rechtsprechung des BGH dazu geführt, dass der Hauptversammlungsbeschluss über die Schaffung des genehmigten Kapitals in der Praxis kaum noch erfolgversprechend angegriffen werden kann, weil das Berichtserfordernis wesentlich abgesenkt wurde 38. Die Anfechtung der Entlastung wirkt auch hier als eine Art Ersatzrechtsbehelf. Als Beispiele aus jüngerer Zeit können etwa die Anfechtung der Entlastung der Verwaltung von Freenet und der Commerzbank wegen angeblich unzulässiger Beteiligung von Großaktionären durch Ausnutzung bestehender genehmigter Kapitalia genannt werden. Weitere aktuelle Fälle von Anfechtungsklagen gegen die Entlastung der Verwaltung betreffen das Sponsoring von Sportvereinen 39 oder Spenden an gemeinnützige Organisationen 40. Ebenfalls zur Fallgruppe (behaupteter) materieller Rechtsverstöße der Verwaltung gehören Anfechtungsklagen, die auf 33

BGHZ 159, 30, 44 (Gelatine II); BGH NZG 2004, 571, 574 (Gelatine I). OLG Frankfurt/M. AG 2007, 329, 330 (Fraport – HV 2003); OLG Frankfurt AG 2007, 401, 402 (Fraport – HV 2004). 35 LG Frankfurt/M. BeckRS 2010, 02351. 36 LG Mannheim Urt. v. 6.4.2009 – 24 O 78/08, S. 39 (n.v.); LG Mannheim Urt. v. 11.6.2008 – 24 O 73/07, S. 26 (n.v.). 37 OLG Köln BeckRS 2009, 22140, S. 3; vgl. auch schon OLG Hamburg NZG 2001, 513. 38 BGHZ 136, 133, 140 (Siemens/Nold). 39 OLG Karlsruhe Urt. v. 9.4.2008 – 7 U 271/06, S. 7 (SAP) (n.v.). 40 LG Mannheim Urt. v. 11.6.2008 – 24 O 73/07, S. 25 (EnBW – Lehmann-Zettel). 34

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(angebliche) Fehler der Verwaltung bei der Aufstellung und Prüfung des Jahresabschlusses gestützt werden. So wird in der Praxis nicht selten die Entlastung mit der Begründung angegriffen, notwendige Rückstellungen seien nicht gebildet worden 41 oder dem Aufsichtsrat habe für die Prüfung des Jahresabschlusses zu wenig Zeit zur Verfügung gestanden, etwa weil ihm die Unterlagen verspätet übermittelt worden seien.42 Entscheidungen des Aufsichtsrats, die im Fokus von Anfechtungsklagen standen, betrafen in jüngster Zeit ferner die Vergütung von Vorständen. So wurden Anfechtungsklagen erhoben gegen die Entlastung des Aufsichtsrats bei Porsche wegen hoher Zahlungen an den Vorstandsvorsitzenden Wiedeking, bei EnBW wegen der Zahlung eines Übergangsgelds an den Vorstandsvorsitzenden Claassen, bei SAP betreffend die Aufsetzung eines Incentive Plans 43 oder bei RWE Energie wegen einer variablen, vom Kurs der Muttergesellschaft abhängigen Vorstandsvergütung.44 2. Anfechtbarkeit bei eindeutigem und schwerwiegendem Gesetzesoder Satzungsverstoß Bei allen vorgenannten Fällen kommt eine Anfechtung der Entlastung nur nach Maßgabe der Macrotron-Kriterien in Betracht. Nur wenn die Hauptversammlung trotz eindeutiger und schwerwiegender Gesetzes- oder Satzungsverstöße der Verwaltung der betreffenden Organe dennoch Entlastung erteilt hat, ist die Entlastung rechtswidrig, weil eine zur Billigung rechtsbrechenden Verhaltens entschlossene Mehrheit gegen den Widerstand der Minderheit die Entlastung durchsetzt. a) Eindeutiger Rechtsverstoß Erforderlich für eine Anfechtbarkeit des Beschlusses ist, dass die Hauptversammlung trotz Vorliegens eines eindeutigen Rechtsverstoßes des betreffenden Organs diesem dennoch die Entlastung erteilt. Der Rechtsverstoß muss zunächst in tatsächlicher Hinsicht eindeutig vorliegen. Das ist der Fall, wenn ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung unstreitig ist oder ohne weitere Beweiserhebung eindeutig festgestellt werden kann. Kein eindeutiger Rechtsverstoß liegt vor bei einem Sachverhalt, der weiterer Aufklärung bedarf, oder bei einem strittigen Sachverhalt. Insoweit ist es von Bedeutung, dass es um die gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der Hauptversammlung geht und nicht um die gerichtliche

41 42 43 44

OLG Frankfurt/M. Beck RS 2009, 17982, S. 7 (Kirch/Deutsche Bank). LG Mannheim Urt. v. 11.6.2008 – 24 O 73/07, S. 31 (EnBW). OLG Karlsruhe Urt. v. 9.4.2008 – 7 U 271/06, S. 7 (SAP). BGH ZIP 2009, 2436 (RWE Energie).

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Überprüfung des Verhaltens der Organe. Der gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind dementsprechend nur solche Tatsachen, die in der Hauptversammlung bekannt oder aufgrund der zugänglichen Informationen zumindest erkennbar waren.45 Dementsprechend hat das OLG Köln eine Anfechtbarkeit der Entlastung wegen angeblich zu günstiger Veräußerung einer Unternehmensbeteiligung in Indien an den Großaktionär der Strabag mit der Begründung abgelehnt, die Hauptversammlung habe keine Kenntnis über eine Veräußerung unter Marktwert gehabt, weil diese nur durch ein Sachverständigengutachten hätte aufgeklärt werden können.46 Das OLG Frankfurt/M. lehnte es ab, strittigen und damit der Hauptversammlung nicht bekannten Vorwürfen über die fehlende Kontrolle von mit einer Beteiligung an dem Flughafen Manila verbundenen rechtlichen Risiken nachzugehen.47 Die Hauptversammlung kann gegebenenfalls durch Ausübung des Auskunftsrechts gemäß § 131 AktG versuchen, eine weitere Aufklärung zur Vorbereitung einer voll informierten Entscheidung zu erlangen. Ist die begehrte Auskunft zur Beurteilung der Entlastung erforderlich und wird sie dennoch nicht erteilt, so ist die Entlastung wegen Auskunftspflichtverletzung angreifbar (vgl. unten V.2.). Kann der betreffende Vorgang trotz Erteilung der erforderlichen Auskünfte am Tag der Hauptversammlung keiner Klärung zugeführt werden, so muss die Hauptversammlung in Kenntnis eines streitigen Sachverhalts über die Entlastung entscheiden. Erteilt die Hauptversammlung in einem solchen Fall Entlastung, so ist diese nicht rechtswidrig. Insbesondere besteht keine Verpflichtung der Hauptversammlung zur Vertagung der Entlastung bis zur Aufklärung des strittigen Sachverhalts. Stellt sich in einem solchen Fall nachträglich heraus, dass die Vorwürfe berechtigt waren, so bleibt es der Hauptversammlung unbenommen, im folgenden Jahr der Verwaltung die Entlastung zu verweigern.48 Ein eindeutiger Rechtsverstoß, der die Anfechtung der Entlastung rechtfertigt, liegt zweitens nur dann vor, wenn dieser rechtlich zweifelsfrei gegeben ist. Daran wird es regelmäßig in Fällen fehlen, in denen es um behauptete fehlerhafte unternehmerische Entscheidungen der Verwaltung geht. Denn bei solchen unternehmerischen Entscheidungen ist eine Bandbreite anzuerkennen, innerhalb derer die Entscheidung der Verwaltung einem vertretbaren business judgement entspricht, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Nur wenn sich die betreffende Entscheidung eindeutig außerhalb einer Bandbreite vertret45 OLG Köln BeckRS 2009, 22140, S. 3; OLG Frankfurt/M. AG 2007, 401, 402 (Fraport – HV 2004); OLG Frankfurt/M. AG 2007, 329, 330 (Fraport - HV 2003); LG Mannheim v. 6.4.2009, 24 O 78/08, S. 39 (EnBW). 46 OLG Köln BeckRS 2009, 22140, S. 3; zustimmend Lorenz NZG 2009, 1138, 1139. 47 OLG Frankfurt/M. AG 2007, 401, 402 (HV 2004); OLG Frankfurt/M. AG 2007, 329, 330 (HV 2003). 48 Weitergehend für Pflicht zum Widerruf der erteilten Entlastung vgl. Henze BB 2005, 165, 169.

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barer Entscheidungen bewegt, liegt ein eindeutiger Rechtsverstoß vor. Davon kann bei der Frage, ob ein bedeutender Kauf oder Verkauf zu einem angemessenen Preis erfolgte, ob ein neuer Großinvestor zu angemessenen Konditionen ein Bezugsrecht an der Gesellschaft erhielt, ob der Erwerb eines Unternehmens überhaupt sinnvoll ist oder ob eine Spende an eine gemeinnützige Organisation zur Verbesserung der Außendarstellung eines Unternehmens geeignet ist oder nicht, regelmäßig nicht ausgegangen werden.49 Die Entscheidung der Hauptversammlung ist in solchen Fällen nicht rechtswidrig. Die Gerichte sind nicht dazu aufgerufen, ihre eigene Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der Hauptversammlung zu stellen. Gleiches gilt für Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrats. Auch für die Frage, ob die Gesamtvergütung des Vorstands i.S.v. § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG angemessen ist oder nicht, besteht ein unternehmerischer Beurteilungsspielraum des Aufsichtsrats.50 Wenn die Hauptversammlung diesen Beurteilungsspielraum anerkennt und zu der Einschätzung gelangt, dass die Vergütung nicht eindeutig unvertretbar war, ist die Entlastung des Aufsichtsrats nicht rechtswidrig. Die Gerichte dürften sich insoweit nicht mit ihrer Einschätzung an die Stelle der Hauptversammlung setzen. An der rechtlichen Eindeutigkeit eines Gesetzesverstoßes kann es auch dann fehlen, wenn es rechtlich streitig ist, ob ein Rechtsverstoß der Verwaltung zu bejahen ist oder nicht. Dementsprechend hat der BGH die Anfechtung der Entlastung des Aufsichtsrates wegen der Orientierung der variablen Vergütung des Vorstands an der Kursentwicklung der Muttergesellschaft mit der Begründung abgelehnt, dass diese Frage rechtlich umstritten sei.51 Ebenso lehnte das OLG Frankfurt in Sachen Commerzbank die Anfechtbarkeit der Entlastung der Verwaltung wegen des Verjährenlassens von Ansprüchen, deren Bestand rechtlich fraglich war, wegen fehlender Eindeutigkeit ab.52 An der rechtlichen Eindeutigkeit eines Gesetzesverstoßes fehlt es auch, wenn beim Erwerb einer wesentlichen Beteiligung eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit in Anlehnung an die Holzmüller/Gelatine-Grundsätze des BGH reklamiert wird. Die herrschende Meinung und die Praxis halten eine Befassung der Hauptversammlung mit einem Unternehmenserwerb für nicht erforderlich, sofern dieser durch die Satzung gedeckt ist.53 49

Vgl. OLG Karlsruhe Urt. v. 9.4.2001 – 7 U 271/06, S. 7 (SAP) (n.v.); LG Mannheim Urt. v. 11.6.2008 – 24 O 73/07, S. 26 (EnBW – HV 2007) (n.v.); LG Mannheim Urt. v. 6.4.2009 – 24 O 78/08, S. 39 (n.v.) (EnBW – HV 2008). 50 BGHSt 50 331, 336 (Mannesmann); LG München I NZG 2007, 477; Baums FS Huber, 2006, S. 655, 663; Fleischer in Spindler/Stiltz, AktG, 2007, § 87 Rn. 9; Mertens/Cahn Kölner KommAktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rn. 4. 51 BGH ZIP 2009, 2436, 2437: RWE Energie; ebenso OLG München NZG 2008, 631, 633 (Vorinstanz); abweichend Wackerbarth ZIP 2009, 2437, 2438. 52 OLG Frankfurt/M. BeckRS 2008, 02652, S. 4. 53 Vgl. OLG Frankfurt/M. AG 2008, 862, 864; tendenziell auch OLG Frankfurt/M. NZG 2005, 558, 560; Krieger in MünchHdb AG, 3. Aufl. 2007, § 69 Rn. 10; Mertens/Cahn

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Selbst wenn ein Gericht dieser Auffassung im Einzelfall nicht folgen will, wie das Landgericht Frankfurt/M. im Fall des Erwerbs der Dresdner Bank durch die Commerzbank, steht dies der Rechtmäßigkeit der Entlastungsentscheidung bei unterbliebener Befassung der Hauptversammlung nicht entgegen.54 Maßgeblich für die Beurteilung der rechtlichen Eindeutigkeit eines Gesetzesverstoßes ist die Kenntnis der Hauptversammlung. Stellt sich eine Rechtsfrage für diese als rechtlich umstritten dar und sprechen gute Gründe für die Einschätzung der Verwaltung, so fehlt es an der rechtlichen Eindeutigkeit eines Gesetzesverstoßes. b) Ergebnis Im Ergebnis führen die Anforderungen der Macrotron-Entscheidung des BGH in Fällen behaupteter materieller Rechtsverstöße der Verwaltung regelmäßig dazu, dass eine gerichtliche Überprüfung der Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung ausscheidet. Es wird zumeist schon an einem eindeutigen Rechtsverstoß der Verwaltung in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht fehlen. Der Umstand, dass damit ein wesentlicher Bereich des Verhaltens der Verwaltung einer gerichtlichen Überprüfung im Wege der Anfechtung der Entlastungsentscheidung entzogen ist, stellt keine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes der überstimmten Minderheit dar. Der vom Gesetzgeber für die Fälle des Verdachts grober Gesetzesverstöße der Verwaltung vorgesehene Rechtsbehelf der Aktionärsminderheit ist die gerichtliche Beantragung einer Sonderprüfung gemäß § 142 Abs. 2 AktG und/oder die Einleitung des Klagezulassungsverfahrens gemäß § 148 AktG. Die Herabsetzung des Quorums auf 1 % des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100.000 Euro hat dazu geführt, dass derartige Anträge in der Praxis erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Das gesetzliche Quorum und die Darlegungslast würden leer laufen, wenn ein einziger Aktionär mit nur einer Aktie behauptete schwerwiegende Gesetzesverstöße der Verwaltung im Wege der Anfechtungsklage gegen die Entlastung zur gerichtlichen Überprüfung stellen könnte.55 Auch eine gerichtliche Überprüfung der Entlastungsentscheidung im Zusammenhang mit behaupteten Fehlern bei der Aufstellung und Prüfung des Jahresabschlusses scheidet regelmäßig aus. An einem eindeutigen Gesetzesverstoß wird es in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht zumeist fehin KölnKomm AG, 3. Aufl. 2010, § 76 Rn. 61, 63, 64; Reichert AG 2005, 150, 155; abweichend LG Stuttgart AG 1992, 236, 237 (obiter dictum); Goette AG 2006, 522, 527; Habersack in Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Vor § 311 Rn. 42; Henze FS Ulmer, 2003, 211, 229. 54 Vgl. auch allgemein BGH ZIP 2009, 2436, 2437; abweichend im konkreten Fall aber LG Frankfurt/M. BeckRS 2010, 02351, S. 9. 55 Insoweit zutreffend Kubis NZG 2005, 791, 795; K. Schmidt NZG 2003, 601, 605; vgl. auch OLG Köln BeckRS 2009, 22140, S. 4; einschränkend Weitemeyer ZGR 2005, 228, 297.

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len. Auch insoweit wird der Rechtsschutz der überstimmten Minderheit nicht unzulässigerweise verkürzt. Den Aktionären bleibt es unbenommen, die Nichtigkeit des Jahresabschlusses unter den Voraussetzungen des § 256 AktG geltend zu machen.56

V. Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung wegen Verletzung von Publizitäts-, Berichts- und Auskunftspflichten 1. Publizitäts-, Berichts- und Informationspflichten der Verwaltung Die Hauptversammlung kann nur dann sachgerecht über die Entlastung der Verwaltung Beschluss fassen, wenn sie insoweit ausreichend informiert ist. Der Sicherstellung einer voll informierten Entscheidung der Hauptversammlung dient ein System von Publizitäts-, Berichts- und Informationspflichten der Verwaltung. Diese Pflichten sind alljährlich oder periodisch zu erfüllen, wie insbesondere die rechnungslegungsbezogenen Publizitätspflichten. Daneben bestehen anlassbezogene, insbesondere kapitalmarktrechtliche Informationspflichten. Die besondere Bedeutung der rechnungslegungsbezogenen Publizitätspflichten für die Entlastung wird dadurch verdeutlicht, dass die Verhandlung über die Entlastung mit der Verhandlung über die Verwendung des Bilanzgewinns verbunden werden soll und in diesem Zusammenhang Jahresabschluss, Lagebericht und Bericht des Aufsichtsrats der Hauptversammlung zugänglich zu machen sind, § 176 Abs. 1 Satz 1 AktG. Besondere Bedeutung für die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung haben in den letzten Jahren insoweit insbesondere die Pflichtangaben im Anhang des Jahresabschlusses bzw. im Konzernanhang zur Vergütung des Vorstandes (§ 285 Nr. 9, § 314 Abs. 1 Nr. 6 HGB) erlangt. Daneben ist für die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung der Bericht des Aufsichtsrats von erheblicher Bedeutung. Insbesondere hat der Aufsichtsrat über das Ergebnis der Prüfung des Jahresabschlusses an die Hauptversammlung zu berichten, § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG. Am Schluss des Berichts hat der Aufsichtsrat zu erklären, ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen zu erheben sind und ob er den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss billigt, § 171 Abs. 2 Satz 4 AktG. Über diese Vorabberichterstattung gegenüber der Hauptversammlung hinausgehend hat der Aufsichtsratsvorsitzende in der Hauptversammlung selbst über die Tätigkeit des Aufsichtsrats im abgelaufenen Geschäftsjahr zu berichten und die wesentlichen Grundzüge der Vergütung des Vorstandes darzulegen. Ist die AG konzernabhängig, hat der Aufsichtsrat in seinem schriftlichen Bericht an die Hauptversammlung über das Ergebnis der Prüfung des 56

Vgl. etwa den Fall OLG Stuttgart BeckRS 2009, 18606, S. 14.

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Abhängigkeitsberichts des Vorstandes zu berichten und den Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers über dessen Prüfung des Abhängigkeitsberichts in den Bericht aufzunehmen, § 314 Abs. 2 AktG. Am Schluss des Berichts hat der Aufsichtsrat zu erklären, ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen gegen die Erklärung des Vorstands am Schluss des Berichts über die Beziehung zu verbundenen Unternehmen zu erheben sind, § 314 Abs. 3 AktG. Neben diesen jährlichen bzw. periodischen Informations- und Berichtspflichten bestehen anlassbezogene Publizitäts- und Berichtspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat. Von besonderer Bedeutung ist die Ad hoc Publizität gemäß § 15 WpHG über kursrelevante Insiderinformationen. Daneben stehen in der Hauptversammlung Berichtspflichten betreffend Kapitalmaßnahmen, wie insbesondere die Pflicht des Vorstands zur Berichterstattung über die Ausnutzung eines genehmigten Kapitals bzw. über die Verwendung eigener Aktien. Zunehmende Bedeutung für die Entlastungsentscheidung durch die Hauptversammlung hat die jährliche Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten AG zum Deutschen Corporate Governance Kodex gemäß § 161 AktG. Der DCGK enthält eine Reihe von Informations- und Berichtspflichten. Über die Regelung des § 289a HGB ist die Erklärung zur Unternehmensführung (einschließlich der Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG) ab dem Geschäftsjahr 2009 Bestandteil des Lageberichts und damit ebenfalls gemäß §§ 175 Abs. 2, 176 Abs. 1 Satz 1 AktG zugänglich zu machen. Große Bedeutung hat schließlich für die Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung die Erfüllung der Auskunftspflicht des Vorstandes gemäß § 131 AktG in der Hauptversammlung. Auskünfte sind insoweit nicht unaufgefordert zu erteilen, sondern nur auf Verlangen der Aktionäre. Begehrte Informationen müssen Angelegenheiten der Gesellschaft betreffen und zur sachgemäßen Beurteilung der Entlastung von Vorstand und/oder Aufsichtsrat erforderlich sein. 2. Anfechtbarkeit der Entlastung bei Verletzung von Informationspflichten gegenüber der Hauptversammlung In den vorgenannten Fällen soll die Erfüllung von Publizitäts-, Berichts-, Informations- und Auskunftspflichten durch die Verwaltung die Hauptversammlung in die Lage versetzen, voll informiert über die Entlastung zu entscheiden. Eine gerichtliche Überprüfung der Entlastungsentscheidung nach den Anforderungen der Macrotron-Entscheidung wird diesem Anliegen nicht ausreichend gerecht.57 Ein schwerwiegender Gesetzes- oder Satzungs-

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Abweichend Sünner AG 2006, 450, 452.

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verstoß ist mit der Verletzung solcher Pflichten häufig nicht verbunden. Dem Anliegen, eine voll informierte Entscheidung der Hauptversammlung zu ermöglichen, sollte nicht dadurch Rechnung getragen werden, dass für die Beschlussfassung der Hauptversammlung relevante eindeutige Informationspflichtverletzungen gleichzeitig als schwerwiegende Rechtsverstöße deklariert werden. Vielmehr ist insoweit der Feststellung der Springer-Entscheidung des BGH zuzustimmen, dass es letztlich um Informationspflichtverletzungen geht. Diese Einordnung ist im Ausgangspunkt für falsche Entsprechenserklärungen gemäß § 161 AktG ebenso richtig wie für die Verletzungen von Berichtspflichten des Aufsichtsrats gemäß § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG oder § 314 Abs. 2 AktG oder die Verletzung der Auskunftspflicht gemäß § 131 AktG. In allen diesen Fällen erscheint es sachgerecht, eine gerichtliche Überprüfung der Entlastungsentscheidung nach Maßgabe des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG zuzulassen. Dementsprechend ist der Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung rechtswidrig, wenn er aufgrund eindeutig unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Berichte und/oder Informationen zustande kam, die ein objektiv urteilender Aktionär als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Entscheidung über die Entlastung angesehen hätte. Diese Anforderungen, die der BGH in der ThyssenKrupp-Entscheidung für die Auskunftspflichtverletzung angewendet hat und die er in der Springer-Entscheidung für fehlerhafte Entsprechenserklärungen kumulativ herangezogen hat, erscheinen für alle Fälle einer Verletzung von Publizitäts-, Berichts-, Informations- und Auskunftspflichten sachgerecht. Die für den Fall eines Aufsichtsratsberichtes entwickelten, verbal strengeren Anforderungen der Macrotron-Entscheidung sind möglicherweise vor dem Hintergrund einer seinerzeit erstmals höchstrichterlich eingeleiteten vorsichtigen Abkehr von der Vorstellung einer weitgehenden Injustiziabilität von Entlastungsentscheidungen (vgl. oben II.2.a) zu sehen. Im Ergebnis werden eindeutige Rechtsverstöße der Verwaltung gegen Publizitäts-, Berichts-, Informations- und Auskunftspflichten häufig zur Rechtswidrigkeit des Entlastungsbeschlusses der Hauptversammlung führen. Im Ergebnis zutreffend ist es auch, Verstöße gegen §§ 175 Abs. 2, 176 Abs. 1 Satz 1 AktG als regelmäßig anfechtungsrelevant anzusehen. Der Gesetzgeber hat gerade zum Ausdruck gebracht, dass die dort genannten Unterlagen für eine voll informierte Entscheidung der Hauptversammlung über die Entlastungsentscheidung wesentlich sind. Dies gilt allerdings nur für das Unterlassen einer Zugänglichmachung. Inhaltliche Fehler dieser Dokumente führen nicht notwendig zur Anfechtbarkeit der Entlastung. Ebenso stellt es keine relevante Informationspflichtverletzung dar, wenn über die Beschreibung des internen Kontroll- und Risikomanagementsystems gemäß § 289 Abs. 5 HGB hinausgehend eine – im Gesetz ohnehin nicht klar geregelte – Pflicht zur Erstattung eines erläuternden Berichts bestehen sollte, sofern die Beschreibung für sich gesehen ausreichend ist.

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Nicht jeder Formalverstoß der Verwaltung rechtfertigt ausweislich der zutreffenden Einschränkung in der Springer-Entscheidung des BGH eine Anfechtung der Entlastungsentscheidung 58. Verstöße gegen Informationspflichten sind nicht relevant, wenn der Hauptversammlung die entsprechenden Umstände ohnehin bekannt sind.59 So kommen in der Praxis immer wieder Formalfehler im Geschäftsbericht oder in Berichten des Aufsichtsrats vor, die in erkennbarem Widerspruch zu anderen Passagen stehen. Ist insoweit eindeutig, dass die eine Passage zutreffend ist und die andere Passage nur einen redaktionellen Fehler darstellt, so liegt letztlich kein Informationsdefizit der Hauptversammlung vor und sie kann voll informiert über die Entlastung entscheiden.60 Auch fehlerhafte Entsprechenserklärungen werden nicht in jedem Fall eine Anfechtung der Entlastung rechtfertigen können. Es ist im Einzelfall zu untersuchen, ob die fehlerhaft bekanntgemachte Entsprechung im Zusammenhang mit einer Empfehlung des DCGK steht, die einer Information (auch) der Hauptversammlung über die Entscheidung zur Entlastung dient.61 Dementsprechend hat das OLG Stuttgart im Ergebnis zu Recht entschieden, dass eine fehlerhafte Entsprechenserklärung wegen Abweichens von Ziffer 5.4.3 Satz 2 DCGK (Antrag des Vorstands auf gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds nur bis zum Ende der nächsten Hauptversammlung) keine Anfechtung des Entlastungsbeschlusses rechtfertigt.62

VI. Summa Die Kirch/Deutsche Bank-Entscheidung des BGH und deutlicher noch die Springer-Entscheidung aus dem Jahr 2009 legen es nahe, die Anforderungen an eine gerichtliche Überprüfung der Entlastungsentscheidung der Hauptversammlung nach Fallgruppen differenziert zu beurteilen. Geht es um den Vorwurf materieller Rechtsverstöße durch die Verwaltung, so ist an den Anforderungen der Macrotron-Entscheidung festzuhalten, dass nur eindeutige und schwerwiegende Gesetzes- oder Satzungsverstöße die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung rechtfertigen. Diese Anforderungen führen bei konsequenter Beachtung dazu, dass für eine gerichtliche Überprüfung (angeblicher) materieller Rechtsverstöße der Ver-

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Vgl. auch Goette FS Hüffer, 2010, 225, 232. BGH ZIP 2009, 2051, 2054 Rn. 18 (Springer). 60 Vgl. OLG Stuttgart BeckRS 2009, 18606, S. 23: Divergenz hinsichtlich der drucktechnischen Wiedergabe des Aufsichtsratsberichts im Geschäftsbericht einerseits und im Jahresabschluss/Lagebericht andererseits. 61 Vgl. dazu Goette FS Hüffer, 2010, 225, 234; Mutter ZGR 2009, 788, 797 ff. 62 OLG Stuttgart BeckRS 2009, 18606 S. 24. 59

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waltung schon mangels eines in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eindeutigen Gesetzesverstoßes vielfach kein Raum ist. Der Rechtsschutz der überstimmten Minderheit wird insoweit nicht unzulässig verkürzt. Ihr steht es frei, bei Erreichen der entsprechenden Quoren die gerichtlichen Verfahren der §§ 142, 148 AktG einzuleiten. Daneben steht etwa zur Überprüfung etwaiger Pflichtverstöße im Zusammenhang mit der Aufstellung und Prüfung des Jahresabschlusses der Rechtsbehelf des § 256 AktG zur Verfügung. Die Anfechtungsklage gegen Entlastungsbeschlüsse ist regelmäßig nicht der geeignete Rechtsbehelf, und zwar auch nicht als Ersatz für vermeintliche Schutzdefizite in Folge der Gelatine-Rechtsprechung bzw. der Siemens Nold-Rechtsprechung. Dagegen ist die Anfechtung der Entlastungsentscheidung wegen eindeutiger Verletzungen von Publizitäts-, Berichts-, Informations- und Auskunftspflichten der Verwaltung bereits dann zuzulassen, wenn die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung des Stimmrechts über die Entlastung der Hauptversammlung anzusehen ist. Der Rechtsgedanke des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG, den die ThyssenKrupp-Entscheidung für die Auskunftspflichtverletzung und die Springer-Entscheidung kumulativ für eine fehlerhafte Entsprechenserklärung herangezogen hat, ist für alle Fälle der Verletzung von Informationspflichten sachgerecht. Im Ergebnis ist damit keine Verschärfung der Rechtsprechung verbunden, sondern die nur verbal strengere Macrotron-Formel wird an die ohnehin bei Informationspflichtverletzungen feststellbare Linie der Rechtsprechung angepasst. Das Kriterium der Wesentlichkeit muss jedoch ernst genommen werden. Nicht jeder Formalverstoß rechtfertigt die Anfechtbarkeit der Entlastungsentscheidung.

Nicht delegierbare Geschäftsleiterpflichten Meinrad Dreher I. Einleitung Der Vorstand bildet gem. § 76 Abs. 1 AktG das Leitungsorgan der Aktiengesellschaft. Er hat sowohl das Recht als auch die Pflicht, das Unternehmen zu leiten.1 Die amtliche Begründung zu § 70 AktG 1937 formuliert insoweit treffend: „Aus dem Recht des Vorstands zur Leitung der Gesellschaft folgt seine Pflicht, für das Wohl der Gesellschaft, zu dem auch die Belange der Aktionäre gehören, zu sorgen und sich für dieses Ziel tatkräftig einzusetzen.“ 2 Für die unter § 76 AktG fallenden Aufgaben ist der Vorstand ausschließlich zuständig. Dieser Aufgaben darf er sich nicht entledigen. Die Leitungspflichten sind mit anderen Worten nicht delegierbar. Bereits der Begriff der Delegation ist jedoch nicht eindeutig bestimmt. Einerseits könnte man schon jede mehr oder weniger weit reichende Unterstützung für den Vorstand als Delegation bezeichnen.3 Andererseits ließe sich aber auch erst eine Zuständigkeitsübertragung vom Vorstand als Organ der Gesellschaft auf einzelne seiner Mitglieder oder auf nachgeordnete, in eine Weisungskette eingebundene Stellen der Gesellschaft als Delegation begreifen.4 In Abgrenzung zu einem dann engen Begriff der Delegation könnte man unter den Begriffen der Auslagerung bzw. des Outsourcing die Übertragung von Aufgaben oder Zuständigkeiten auf rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Funktionsträger verstehen. Gesellschaftsrechtlich gesehen wären Auslagerung und Delegation demnach wesensverschieden. Allerdings bliebe bei einer solchen Interpretation unberücksichtigt, dass auch im Fall eines Outsourcing an externe Stellen kraft schuldrechtlicher Vereinbarung ein Weisungsverhältnis zwischen dem ausgliedernden Unternehmen und dem künftigen Aufgabenträger entsteht. Daher ist vorliegend jede Zuständigkeitsübertragung innerhalb einer Gesellschaft als interne Delegation und das Outsourcing als externe Delegation zu bezeichnen. Der Oberbegriff der

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Hopt in GK AktG, 4. Aufl. § 93, Rn. 106 f. (Stand 11/1999). Amtl. Begründung zu §§ 70, 71 AktG 1937, abgedruckt bei: Klausing Aktiengesetz, 1937, S. 58 f.; vgl. dazu näher Seibt, FS K. Schmidt, 2009, S. 1463, 1466 ff. 3 So wohl Endres ZHR 163 (1999), 441, 449. 4 Hüffer in Liber amicorum Happ, 2006, S. 93, 104. 2

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Delegation soll damit sowohl die interne als auch die externe Delegation umfassen.5 Vor diesem Hintergrund ist im Folgenden zunächst zu erörtern, welchen Umfang das Pflichtenregime der Vorstandsmitglieder in der AG nach § 76 AktG, aber auch dasjenige der Geschäftsführer in der GmbH nach § 43 GmbHG umfasst (unten II.). Sodann sind die nicht delegierbaren und die delegierbaren Bestandteile der Geschäftsleiterpflichten abzugrenzen (unten III.). Auf dieser Grundlage ist weiter den tatbestandlichen Rechtsfolgen einer fehlenden Delegationsfähigkeit (unten IV.) und den haftungsrechtlichen Rechtsfolgen bei einer Delegation (unten V.) nachzugehen. Dem schließen sich noch kurze Bemerkungen zu der Delegierbarkeit von Aufsichtspflichten an, die die Geschäftsleiter eigentlich selbst treffen (unten VI.). Mit diesen Themen darf der Beitrag auf ein gewisses Interesse des Jubilars hoffen, der – neben vielen anderen Themen – die Debatte um die corporate governance allgemein und die Organtätigkeit speziell 6 wie kaum ein anderer Wissenschaftler auf nationaler und internationaler Ebene maßgeblich bereichert hat.

II. Die Geschäftsleiterpflichten 1. Aktiengesellschaft a) Ausgangspunkt Eine Beschreibung des Begriffs der „Leitung“ i.S.v. § 76 AktG findet sich im Gesetz selbst nicht. Vielmehr wird er vom Gesetzgeber vorausgesetzt. § 76 AktG ist entgegen dem eigentlichen Wortlaut dahingehend zu verstehen, dass sich die Leitung nicht auf die Gesellschaft als personalem Zusammenschluss der Gesellschafter bezieht, sondern vielmehr das Unternehmen als solches den Bezugspunkt hierfür darstellt.7 Weiter sind Aufgaben i.S.d. § 76 AktG vom Vorstand als Gesamtorgan auszuführen. Leitung ist daher stets Gesamtleitung.8 Welche Aufgaben jedoch genau vom Begriff der „Leitung“ umfasst sind, lässt das Gesetz offen. Teilweise wird daher vertreten, Leitung sei Geschäftsführung des Unternehmens, beide Begriffe seien also identisch.9 Dem ist jedoch schon die begriffliche Trennung in § 76 AktG und § 77 AktG entgegenzuhalten. Sie bringt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber von unter-

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In diesem Sinn schon Dreher/Schaaf WM 2008, 1765, 1769. Vgl. pars pro toto mit Bezug zur vorliegenden Abhandlung Hopt in GK AktG (Fn. 1); Hopt/Roth in GK AktG, 4. Aufl. (Stand 10/2006), Nachtrag zu § 93. 7 Vgl. nur Henze BB 2000, 209. 8 So bereits Schlegelberger/Quassowski in Aktiengesetz vom 30. Januar 1937, 3. Auflage, 1939, § 70 Anm. 1. 9 So Semler Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Auflage, 1996, Rn. 3 ff. 6

Nicht delegierbare Geschäftsleiterpflichten

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schiedlichen Pflichten ausgegangen ist. Demnach kann die Leitung bloß ein Ausschnitt bzw. ein „herausgehobener Teil“ 10 der Geschäftsführung sein.11 Damit wird auch eines der Kernanliegen des Gesetzgebers deutlich, das in einer Benennung und Betonung der dem Gesamtvorstand vorbehaltenen Leitungsaufgaben liegen sollte. Inhaltlich umfassen diese folglich jene Zuständigkeitsbereiche der Geschäftsführung, die zum „Kernbereich der Geschäftsleitertätigkeit“ 12 gehören. Sie besitzen alle eine überragende Bedeutung für das Wohl der Gesellschaft bzw. des Unternehmens.13 Eine solche Unterscheidung von Leitungs- und Nichtleitungsaufgaben wurde neuerdings „als begriffsjuristisches Konzept“ bezeichnet.14 Ohne dass diese These begründet würde, soll die Zulässigkeit einer Delegation in Zukunft nicht mehr auf Grund einer angeblich „begriffsjuristischen“ Unterscheidung von Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben im weiteren Sinn erfolgen. Vielmehr soll sie – jenseits gesetzlicher Einzelpflichten – „eine von den konkreten Umständen abhängige Einzelfallentscheidung“ gemäß der Anforderungen an sorgfältige unternehmerische Entscheidungen sein.15 Wenn aber für die Entscheidung im Einzelfall, ob eine Delegation erfolgt, zahlreiche Kriterien wie die Bedeutung der Entscheidung und verfügbare Ressourcen maßgeblich sein sollen,16 so verkennt dieser Ansatz bereits, dass derartige Kriterien in die bisher verbreitete Abgrenzung zwischen Leitungs- und Nichtleitungsaufgaben ohnehin einfließen. Denn mit Blick auf die notwendige Arbeitsteilung in den Unternehmen und die unabänderliche zeitliche sowie gegenständliche Begrenzung jeder Geschäftsleitertätigkeit sowie die notwendigen Restriktionen in der Zahl der Geschäftsleiter einer Gesellschaft bestimmt sich das Ausmaß der höchstpersönlichen Befassung von Geschäftsleitern mit Grund- und Einzelfragen eines Unternehmens ohnehin immer auch nach dessen Geschäftsmodell, nach seiner Größe, nach seiner wirtschaftlichen Lage und nach zahlreichen anderen Gegebenheiten.17 Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich gleichwohl ein Kanon von grundsätz10

Vgl. z.B. Kort in GK AktG, 4. Auflage, § 76, Rn. 29 (Stand 12/2002); Hefermehl/ Spindler in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage, 2008, § 76, Rn. 16; Hüffer AktG, 9. Auflage, 2010, § 76, Rn. 7. 11 Vgl. z.B. Henze BB 2000, 209; Mertens in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage, 2006, § 76, Rn. 4; Wiesner in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht, Bd. IV: AG, 3. Aufl., 2007, § 19, Rn. 13; Oltmanns in Anwaltskommentar zum Aktienrecht, 2005, § 76, Rn. 5. 12 So schon Dreher ZGR 1992, 22, 60 sowie z.B. Fleischer ZIP 2003, 1, 2; Schneider/ Brouwer, FS Priester, 2007, S. 713, 720. 13 Schneider/Brouwer, FS Priester, 2007, S. 713, 720. 14 Seibt, FS K. Schmidt, 2009, S. 1464. 15 So Seibt, FS K. Schmidt, 2009, S. 1486. 16 So Seibt, FS K. Schmidt, 2009, S. 1476 ff. unter Angabe weiterer Kriterien. 17 Vgl. nur Turiaux/Knigge DB 2004, 2194, 2204 sowie auch unten IV. 2. b) zu der parallelen Frage der delegierbaren Elemente einer nicht delegierbaren Pflicht.

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lichen Aufgaben, den sogenannten Leitungsaufgaben – so unterschiedlich ihre konkrete Breite und Tiefe in den einzelnen Unternehmen auch sein mögen –, von zahlreichen anderen, nicht ebenso grundsätzlichen Aufgaben abgrenzen lässt. Diese Abgrenzung erfolgt im Hinblick auf die Natur und Qualität eines Themas und damit materiell-sachbezogen. Sie bildet zudem eine Rechtsfrage und nicht eine Frage des unternehmerischen Ermessens. Der Vorwurf eines begriffsjuristischen Vorgehens trägt daher schon im Ausgangspunkt nicht. Hinzu kommt unter anderem, dass eine solcher Vorwurf umso weniger überzeugt, wenn im Zusammenhang mit dem Umfang der Delegationsfähigkeit von Leitungsaufgaben gerade „aus der Begriffsbestimmung der Unternehmensleitung“ Folgerungen gezogen werden,18 obwohl eine solche allgemeine Begriffsbestimmung zuvor ausdrücklich abgelehnt wird. Gleiches gilt, da die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats an die Leitungsfunktion anknüpft und – sollten sich die Leitungsaufgaben tatsächlich nur im Einzelfall definieren lassen – damit akzessorisch zu den Delegationsentscheidungen der Geschäftsleiter im Einzelfall, d.h. rechtlich völlig unbestimmt wäre. b) Pflichtaufgaben Bei der Bestimmung der unveräußerlichen Aufgaben der Unternehmensleitung lassen sich Pflichten aus zwei verschiedenen Herkunftsquellen unterscheiden. Zunächst sind dies jene Pflichtaufgaben, die dem Vorstand ausdrücklich durch eine gesetzliche Anordnung zugewiesen sind.19 So hat der BGH bezüglich der Pflicht nach § 124 Abs. 3 AktG, der Hauptversammlung Vorschläge zur Beschlussfassung zu unterbreiten, anerkannt, dass es sich aufgrund des Informationscharakters für die Aktionäre um eine bedeutende Pflicht handelt, die eine Leitungsaufgabe i.S.d. § 76 Abs. 1 AktG darstellt.20 Hinsichtlich der übrigen, im AktG kodifizierten Vorstandspflichten ergibt sich nichts anderes.21 Folglich handelt es sich bei ausdrücklich dem Vorstand zugewiesenen Aufgaben immer um Pflichtaufgaben. Eine explizite gesetzliche Zuweisung einer Aufgabe an den Vorstand, die nicht Pflichtaufgabe ist, ist nicht vorstellbar. Zu diesem Pflichtenkatalog gehören insbesondere die Pflicht zur Vorbereitung und Ausführung der Hauptversammlungsbeschlüsse aus § 83 AktG, die Berichterstattungspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat nach § 90 AktG, die

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So Seibt, FS K. Schmidt, 2009, S. 1472. Zu den damit einhergehenden Problemen der fehlerhaften Rechtsauslegung und -anwendung durch Organmitglieder vgl. Spindler, FS Canaris, 2007, S. 403 ff.; Dreher, FS Konzen, 2006, S. 85 ff.; Dreher/Thomas WuW 2004, 8 ff. 20 BGH ZIP 2002, 172, 173. 21 Fleischer ZIP 2003, 1, 6. 19

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Buchführungs- und Bestandssicherungspflicht 22 des § 91 AktG, die Unterzeichnungspflicht des § 245 HGB, die Verlustanzeige- und Insolvenzantragspflicht aus § 92 AktG, die Pflichten zur Einberufung von Aufsichtsrat und Hauptversammlung nach §§ 110 Abs. 1, 121 Abs. 1 AktG, die Pflicht zur Teilnahme an der Hauptversammlung gemäß § 118 Abs. 2 AktG, die Vorlagepflicht aus § 119 Abs. 2 AktG, die Auskunftspflicht nach § 131 AktG, die Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung aus § 161 AktG, die Pflicht zur Aufstellung von Jahresabschluss- und Lagebericht nach § 170 AktG, die Pflicht, gegebenenfalls von der Anfechtungsbefugnis gemäß § 245 AktG Gebrauch zu machen, die Pflicht zur Erstattung des Vertragsberichts nach § 293a AktG sowie die Pflicht zur Aufstellung des Abhängigkeitsberichts aus § 312 AktG. c) Aufgaben aus der sog. Unternehmerfunktion Die weiteren Bestandteile des unveräußerbaren Kernbereichs der Vorstandstätigkeit sind nicht ausdrücklich kodifiziert, gleichwohl weithin anerkannt. Dabei handelt es sich um Aufgaben des Vorstandes aufgrund seiner sog. Unternehmerfunktion. Dieser aus der Betriebswirtschaftslehre stammende Begriff lässt sich juristisch zwar nicht trennscharf umschreiben, wohl aber – um ihn auch rechtlich greifbar zu machen – typologisch erfassen.23 Er besteht aus jenen Aufgaben, die dem Vorstand kraft seiner Leitungsfunktion originär obliegen.24 Sie sind von besonderer Wichtigkeit für die mittel- und langfristige Entwicklung des Unternehmens und von entsprechender Bedeutung für die Ertrags-, Finanz- und Beschäftigungslage.25 Ein Beispiel bildet die Zuständigkeit der Geschäftsleiter für die Stellung eines kartellrechtlichen Bonus- oder Leniency-Antrags aufgrund der überragenden Bedeutung eines solchen Vorgehens für jedes Unternehmen.26 Aufgrund der sog. Unternehmerfunktion ist der Vorstand das Initiativorgan 27 des Unternehmens und gleichzeitig dessen Entscheidungs- und Handlungszentrum 28. Daraus erwachsen nach betriebswirtschaftlicher Diktion vier unternehmensbezogene Verantwortungsbereiche. Im Einzelnen sind dies

22 Zur – zu verneinenden – Frage, ob die Rechtspflicht darüber hinausgeht, vgl. z.B. Dreher, FS Hüffer, 2010, S. 161 ff. 23 Vgl. Henze BB 2000, 209, 210; Fleischer in ders. (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 1, Rn. 13; ausf. ders. ZIP 2003, 1, 4 ff.; Hüffer in Liber amicorum Happ (Fn. 4), 100 f. 24 Dreher ZGR 1992, 22, 60; Fleischer ZIP 2003, 1, 2. 25 Henze BB 2000, 209, 210. 26 Vgl. Dreher Kartellrechtliche Kronzeugenprogramme und Gesellschaftsrecht, ZWeR 2009, 397 ff. 27 So Hommelhof Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 170. 28 So Hüffer AktG (Fn. 10), § 76, Rn. 2.

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die Aufgaben der Unternehmensplanung, der Unternehmenskoordination, der Unternehmenskontrolle sowie der Besetzung der Führungspositionen.29 In der Sache nichts anderes meint die Unterscheidung der Planungs- und Steuerungsverantwortung, der Organisationsverantwortung, der Finanzverantwortung sowie der Informationsverantwortung.30 Der Vorstand ist daher kraft Ausübung seiner Unternehmerfunktion jenes Organ, das über die Zielkonzeption, die Organisation, die Führungsgrundsätze und die Geschäftspolitik des Unternehmens entscheidet.31 2. GmbH Während sich ein unentziehbarer Leitungsbereich des Vorstands der AG bereits aus § 76 AktG ergibt, findet sich für die Geschäftsführer einer GmbH im GmbHG dazu keine Parallele.32 Folglich können solche, aufgrund der Unternehmerfunktion eigentlich der Geschäftsleitung zugewiesenen Aufgaben durch das Weisungsrecht der Gesellschafter den Geschäftsführern entzogen werden. Eine derartige Übertragung ist auch in Bezug auf Funktionen im Leitungsbereich möglich. Umstritten ist allerdings, ob der Geschäftsleitung ein Kernbereich eigener Leitungsentscheidungen verbleiben muss.33 Ungeachtet dessen ist eine Delegation derjenigen Aufgaben, die den Geschäftsführern selbst zugewiesen sind, unzulässig. Dabei handelt es sich unter anderem um die Pflicht des § 40 GmbHG, Veränderungen im Gesellschafterbestand zum Handelsregister anzumelden, um die Buchführungspflicht aus § 41 GmbHG und um die Pflicht, gemäß § 49 GmbHG die Gesellschafterversammlung einzuberufen. Weiter sind die Geschäftsführer nach § 57 GmbHG verpflichtet, eine Erhöhung des Stammkapitals zum Handelsregister anzumelden. Zudem ordnet § 78 GmbHG umfassend an, dass gesetzlich vorgesehene Anmeldungen zum Handelsregister durch die Geschäftsführer zu bewirken sind. Zwar ist im Folgenden der Vorstand Bezugspunkt der Ausführungen. Sie gelten jedoch – vorbehaltlich besonderer Gesellschafterrechte – in gleicher Weise für die Geschäftsführer einer GmbH in Ansehung der ihnen ausdrücklich zugewiesenen, nicht delegierbaren Aufgaben.

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Hüffer in Liber amicorum Happ (Fn. 4), S. 100. Vgl. dazu sowie zur Begriffsbildung näher Fleischer ZIP 2003, 1, 5 f. 31 Vgl. z.B. Mertens in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz (Fn. 11), § 76, Rn. 10. 32 Vgl. z.B. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Auflage, 2009, § 37, Rn. 1; Vetter in Krieger/Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 2007, § 17, Rn. 67. 33 Für einen Kernbereich, der den Geschäftsführern verbleiben muss, z.B. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Auflage, 2006, § 37, Rn. 9 f.; gegen einen solchen Kernbereich z.B. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, (Fn. 32), § 37, Rn. 1 und Grunewald, Gesellschaftsrecht, 7. Auflage, 2008, Kapitel 2.F., Rn. 44. 30

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3. Nicht rechtsformspezifische Pflichten Zahlreiche weitere, ebenfalls gesetzlich angeordnete Geschäftsleiterpflichten betreffen nicht speziell die Geschäftsleiter eines Unternehmens einer bestimmten Rechtsform. Dabei handelt es sich vor allem um öffentlich-rechtliche, aber auch um strafrechtliche Pflichten. So müssen „die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft, die Inlandsemittent im Sinn des § 2 Abs. 7 WpHG“ ist, aufgrund des Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes 34 einen sog. Bilanzeid nach § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB ablegen.35 Ebenso verpflichtet § 34 Abs. 1 AO die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten. Gemäß § 24 Abs. 3 KWG sind die Geschäftsleiter eines Kreditinstituts aufsichtsrechtlich verpflichtet, bestimmte Vorfälle der BaFin und der Deutschen Bundesbank anzuzeigen. Weiter sind die Geschäftsleiter eines Kreditinstituts nach § 25a Abs. 1 KWG zur Einführung eines Risikomanagementsystems verpflichtet. Gleiches gilt seit dem 1. Januar 2008 nach § 64a Abs. 1 VAG für die Geschäftsleiter von Versicherungsunternehmen.36 § 266a i.V.m. § 14 Abs. 1 S. 1 StGB verbietet den Geschäftsleitern, Arbeitsentgelt vorzuenthalten oder zu veruntreuen. Zudem sind die Geschäftsleiter nach dem Grundsatz der Allzuständigkeit für alle Ge- und Verbote, die die von ihnen geführte Gesellschaft treffen, verantwortlich.37 Auch solche nicht rechtsformspezifische Pflichten sind kraft ihrer ausdrücklichen Zuweisung an die Geschäftsleiter unentziehbar und damit delegationsfeindlich.

III. Die Abgrenzung der Geschäftsleiterpflichten 1. Die nicht delegierbaren Geschäftsleiterpflichten Die zuvor als gesetzliche Pflichtaufgaben bezeichneten Aufgaben sind gänzlich delegationsfeindlich. Für eine Zuständigkeitsübertragung bleibt, weil der Vorstand selbst Pflichtbetroffener ist, kein Raum. Was dies aber für die Erfüllung solcher Pflichten bedeutet, ist erst im weiteren Zusammenhang zu erörtern.38 Auch für die Pflichten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Unternehmerfunktion kann nichts anderes gelten. Zwar sind diese unternehmensbezogenen Aufgaben nicht gesetzlich festgeschrieben. Als Kern34

TUG vom 05.01.2007. Vgl. dazu z.B. Schellhorn DB 2009, 2363 ff.; Fleischer ZIP 2007, 97 ff. 36 Vgl. dazu Dreher VersR 2008, 998 ff. und Dreher/Schaaf WM 2008, 1765 ff.; Schaaf, Risikomanagement und Compliance in Versicherungsunternehmen – Aufsichtsrechtliche Anforderungen und Organverantwortung (erscheint 2010), Teil 3 Kapitel 1; Dreher ZGR 2010 (im Erscheinen). 37 Näher hierzu z.B. Hegnon CCZ 2009, 57; Hopt in GK AktG (Fn. 1), § 93. Rn. 106 ff. 38 Unten IV. 2. 35

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elemente der Leitungsfunktion sind sie jedoch ebenso delegationsfeindlich wie die gesetzlich angeordneten Pflichtaufgaben.39 Das Leitungsermessen, über das die Geschäftsleiter verfügen, kann keine andere Betrachtung rechtfertigen. Zwar besitzt der Vorstand grundsätzlich einen breiten Spielraum, innerhalb dessen er seine Entscheidungen zu treffen hat.40 Schon begrifflich kann er sein Ermessen aber nur innerhalb der rechtlich abgesteckten Grenzen ausüben. Ihre Überschreitung wäre ermessenfehlerhaft und daher unzulässig. So stellt die fehlende Delegationsfähigkeit von Aufgaben eine äußere Grenze seines Leitungsermessens dar. Dessen Überschreitung würde zur Fehlerhaftigkeit der Handlung führen.41 Soweit es sich allerdings um delegierbare Aufgaben handelt, kann der Vorstand von seiner Delegationsbefugnis umfangreich Gebrauch machen. Jedoch ist der Vorstand nicht verpflichtet, solche delegierbaren Pflichten auch tatsächlich zu delegieren.42 Eine einmal erfolgte Delegation kann der Vorstand immer rückgängig machen und die entsprechenden Aufgaben wieder selbst wahrnehmen. Eine Systematisierung der als nicht delegierbar eingestuften Vorstandspflichten ergibt, dass diese entweder der verbandsinternen Funktionsfähigkeit dienen oder den Geschäftsleitern im öffentlichen Interesse aufgegeben sind oder den Gläubigerschutz bezwecken.43 Denn es geht jeweils um Pflichten, die sowohl für das Unternehmen selbst als auch für sein Umfeld von elementarer Bedeutung sind. Dementsprechend sind zahlreiche der nicht delegierbaren Geschäftsleiterpflichten auch strafbewehrt. Weiter ist den nicht delegierbaren Geschäftsleiterpflichten gemeinsam, dass sie, sofern sich das Organ aus mehreren Mitgliedern zusammensetzt, Pflichten des gesamten Organs darstellen und nicht etwa eine Pflicht des einzelnen Vorstandmitglieds, beispielsweise des Vorstandsvorsitzenden. Soweit sich die Pflichten auf § 76 Abs. 1 AktG zurückführen lassen, folgt dies bereits daraus, dass jeweils der Vorstand als Gesamtorgan Pflichtenadressat ist.44 Dabei begründet der Grundsatz der Gesamtverantwortung die Mindestpflicht eines jeden Vorstandsmitglieds, auf die Erfüllung und Sicherstellung der dem Gesamtvorstand auferlegten Pflichten hinzuwirken.45 In der GmbH ist eine solche Gesamtverantwortung für bestimmte, besonders bedeutsame Maßnahmen und die gesetzlichen Pflichtaufgaben ebenfalls anerkannt.46 39

Vgl. z.B. Hüffer in Liber amicorum Happ (Fn. 4), S. 106. Hopt in GK AktG (Fn. 1), § 93, Rn. 109; Hopt/Roth in GK AktG (Fn. 6), Nachtrag § 93, Rn. 2, 8. 41 Hüffer in Liber amicorum Happ (Fn. 4), S. 107. 42 So zutr. schon Vetter (Fn. 32), § 17, Rn. 62; aA unter Hinweis auf die Pflicht zum effizienten Einsatz personeller Ressourcen Hommelhoff (Fn. 27), S. 181. 43 Vgl. dazu z.B. Henze BB 2000, 209, 210; Fleischer ZIP 2003, 1, 6. 44 Fleischer ZIP 2003, 1, 2; Froesch DB 2009, 722, 723. 45 Schneider/Brouwer, FS Priester, 2007, S. 717. 46 Vgl. z.B. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, (Fn. 32), § 37, Rn. 31 f., 35. 40

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2. Die delegierbaren Geschäftsleiterpflichten mit zusätzlicher persönlicher Verantwortlichkeit Neben den übertragungsfeindlichen Aufgaben der Geschäftsleiter existieren zahlreiche Pflichten, die sich zwar als delegierbar erweisen, gleichzeitig jedoch eine zusätzliche persönliche Verantwortlichkeit der Geschäftsleiter festschreiben. So ist beispielsweise der Unternehmer eines in den Anwendungsbereich des BBergG fallenden Betriebs gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 BBergG für die ordnungsgemäße Leitung des Betriebs verantwortlich. § 62 BBergG ordnet dabei jedoch ausdrücklich an, dass bestimmte Leitungsaufgaben auf andere Personen übertragen werden können. Weiter bestimmen die §§ 4 ff. des USchadG, dass den Verantwortlichen eines Umweltschadens im Rahmen bestimmter beruflicher Tätigkeiten Informations-, Gefahrenabwehr- und Sanierungspflichten treffen. Anknüpfungspunkt der Inanspruchnahme auf der Grundlage des USchadG ist der Begriff des Verantwortlichen, der zugleich den Bezugspunkt weiterer Verantwortlichkeitsregelungen in § 22a Abs. 2 WHG und § 21a Abs. 4 BNatSchG bildet. Als Verantwortlicher i.S.d. USchadG gilt gemäß § 2 Nr. 3 USchadG jede natürliche oder juristische Person, die eine berufliche Tätigkeit ausübt oder bestimmt. Insoweit erfasst sie nicht nur die Betreiber im herkömmlichen Sinn, sondern bewusst sämtliche Personen, die auch als Störer im polizeiund ordnungsrechtlichen Sinn zu erfassen wären. Dabei handelt es sich insbesondere nicht nur um die Unternehmensträger als solche, sondern vor allem um Handlungs- und Entscheidungsträger wie die Geschäftsführer und Vorstände, also die Geschäftsleiter persönlich.47 Da es § 2 Nr. 3 und 4 USchadG jedoch genügen lassen, dass der potentiell Verantwortliche den Schaden durch eine bloße Handlung im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit verursacht hat, ist selbst eine hervorgehobene Stellung nicht erforderlich, sodass es auf ein Mindestmaß an Entscheidungsfreiheit oder Weisungsbefugnis nicht ankommt. Grundsätzlich können daher auch Arbeitnehmer erfasst werden. Lediglich nicht wirtschaftliche Tätigkeiten in privaten Haushalten sind von der Haftung ausgenommen.48 Verantwortlich i.S.d. USchadG sind damit grundsätzlich die Gesellschaft als solche, der jeweils Handelnde und, sofern Geschäftsleiter mit einer Handlung zu dem Schaden beigetragen haben, auch diese. Sämtliche Verantwortliche wachsen folglich in eine Gesamtschuldnerstellung, deren Ausgleichsmechanismus in § 9 Abs. 2 USchadG niedergelegt ist. Bereits daraus ergibt sich, dass solche Pflichten, sofern sie Geschäftsleiter treffen, durchaus delegierbar sein können. Zumindest lässt das USchadG die gesellschaftsrechtliche Bestimmung insoweit unberührt.

47 48

Vgl. dazu Schmidt NVwZ 2006, 635, 637 ff.; ders. NZG 2007, 650 f. Schmidt NZG 2007, 650, 651.

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Ähnlich ordnet in Umsetzung der EG-Transparenzrichtlinie zum öffentlichen Wirtschaftsrecht 49 § 6 TranspRLG an, dass für die Erfüllung der dem Unternehmensträger nach dem TranspRLG obliegenden Pflichten sowohl der Rechtsträger selbst als auch die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person einzustehen haben. Bei diesen Pflichten handelt es sich um die Pflicht zur getrennten Buchführung für alle Geschäftsbereiche nach § 3 TranspRLG sowie die Aufbewahrungs-, Vorlage- und Auskunftspflichten nach § 5 TranspRLG. Als solche vertretungsberechtigte Personen i.S.d. § 6 TranspRLG sind in der AG die Vorstandsmitglieder und in der GmbH die Geschäftsführer anzusehen. Die Vorschrift ermöglicht also eine persönliche verwaltungsrechtliche Inanspruchnahme dieser vertretungsberechtigten Personen.50 Weitere Auswirkungen, wie beispielsweise die Anordnung einer Delegationsunfähigkeit, sind vom Gesetzgeber hingegen nicht gewollt.

IV. Die tatbestandlichen Rechtsfolgen einer fehlenden Delegationsfähigkeit 1. Das Problem Die Geschäftsleiter sind also grundsätzlich verpflichtet, sich nicht delegierbaren Pflichten höchstpersönlich zu widmen. Jedoch ist offensichtlich, dass sie diese umfänglichen Pflichten tatsächlich nicht insgesamt selbst erfüllen können. Eine teilweise Verlagerung der Pflichterfüllung z.B. auf nachgeordnete Mitarbeiter des Pflichtenadressaten muss daher möglich sein. Die ausschließliche persönliche Wahrnehmung aller die Geschäftsleiter selbst treffender Pflichten widerspräche nicht nur der Arbeitskapazität der Betroffenen, sondern wäre auch mit einer auf Arbeitsteilung angelegten Gesellschafts- und Rechtsordnung nicht zu vereinbaren.51 Dies betrifft insbesondere die Vor- und Nachbereitung der den Geschäftsleitern selbst obliegenden Aufgaben. Daher ist im Weiteren vor allem zu prüfen, inwieweit die Delegationsunfähigkeit einer Pflicht immanente Grenzen hat sowie ob und wie diese Grenzen von der konkreten Auswahl des Delegatars abhängig sind.

49 Vgl. Rittner/Dreher Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, 3. Auflage, 2008, § 11, Rn. 9 und § 26, Rn. 25. Von dieser Richtlinie sind die arzneimittelrechtliche – vgl. Rittner/Dreher ebenda, § 25, Rn. 37 – und die kapitalmarktrechtliche – vgl. Rittner/Dreher ebenda, § 33, Rn. 4 – Transparenzrichtlinie zu unterscheiden. 50 Regierungsbegründung zum TranspRLG, BT-Drucksache 14/6280, S. 9, rechte Spalte. 51 Vgl. auch Hegnon CCZ 2009, 57.

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2. Das Maß der höchstpersönlichen Pflichterfüllung a) Die höchstpersönlichen Elemente einer nicht delegierbaren Pflicht Bereits der Wortlaut des § 76 Abs. 1 AktG, wonach der Vorstand die Gesellschaft unter eigener „Verantwortung“ zu leiten hat, legt es nahe, dass der Vorstand nicht delegierbare Aufgaben nicht vollumfänglich höchstpersönlich erfüllen muss. Vielmehr ist lediglich die Wahrnehmung der sog. Leitungsverantwortung als höchstpersönliche Pflicht anzusehen. Für die Vorbereitung und Ausführung solcher Aufgaben können die Geschäftsleiter Hilfspersonen heranziehen.52 Höchstpersönliches Element ist für den Vorstand folglich nur die sogenannte Entscheidungsverantwortung.53 Die Vorbereitung einer Entscheidung kann also an Hilfspersonen übertragen werden. Erforderlich ist lediglich, dass der Vorstand am Ende abschließend in eigener Verantwortlichkeit entscheidet. Davon betroffen ist die endgültige Entscheidung über jene Maßnahmen, die als nicht delegierbar eingestuft werden. Grundsätzlich sind solche Pflichten daher bereits immanent reduziert.54 Für diejenigen Aufgaben, die aufgrund der sog. Unternehmerfunktion als höchstpersönlich einzustufen sind, gilt folgendes: Die Planungsverantwortung des Vorstands umfasst ausschließlich die Richtlinien der Unternehmensplanung. Auch bezüglich der Organisationsverantwortung wird vom Vorstand nur verlangt, dass er die wesentlichen organisatorischen Grundstrukturen selbst festlegt. Ebenso ist hinsichtlich der Finanz- und Informationsverantwortung lediglich gefordert, dass ein effizientes Kontroll- und Berichtssystem installiert wird, während andere Personen die Ausgestaltung in Detailfragen wahrnehmen können. Ein Beispiel für diese immanente Pflichtenreduzierung bildet § 91 Abs. 2 AktG. Danach ist der Vorstand nur dazu verpflichtet, ein bestimmtes Überwachungssystem einzurichten und dessen Durchführung zu überwachen sowie strategische Entscheidungen, die dafür erforderlich sind, zu treffen.55 Erfolgt schließlich eine Delegation jener Aufgaben, die keine höchstpersönlichen Pflichten bilden, treffen den Vorstand Auswahl-, Einweisungsund Überwachungspflichten. Diese wiederum hat der Vorstand höchstpersönlich zu erfüllen.56 b) Die delegierbaren Elemente einer nicht delegierbaren Pflicht Die – auf erste Sicht paradox erscheinende – These, delegierbare Elemente einer nicht delegierbaren Pflicht anzuerkennen, ergibt sich bereits daraus, 52 53 54 55 56

Schürnbrand Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 413. So auch Fleischer ZIP 2003, 1, 6. Ebenso schon Fleischer ZIP 2003, ebenda. Vgl. ausf. Dreher, FS Hüffer, 2010, S. 162 ff. Vgl. dazu unten V. 2. b).

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dass der Vorstand, wie ausgeführt,57 nur die Entscheidungsverantwortung einer solchen Pflicht höchstpersönlich wahrnehmen muss. Diejenigen Elemente einer nicht delegierbaren Pflicht jedoch, die sich als nicht höchstpersönlich erweisen, darf der Vorstand ohne weiteres an andere Personen delegieren. Dem Vorstand obliegt nach § 76 Abs. 1 AktG nur die Wahrnehmung der Leitungsverantwortung, nicht aber auch die Vorbereitung und Durchführung von Entscheidungen. Insbesondere darf sich der Vorstand zuarbeiten lassen, soweit dies erforderlich ist.58 Dies betrifft vor allem die Vorbereitung möglicher Entscheidungs- und Beschlussvarianten. Ebenso kann die tatsächliche und laufende Durchführung der grundsätzlich dem Vorstand zugewiesenen Aufgaben auf Dritte übertragen werden. Eine solche Grenzziehung für die Delegationsfähigkeit von Geschäftsleiterpflichten erscheint nicht zuletzt wegen der Komplexität und der Vielschichtigkeit vieler Materien als sachgerecht und dürfte weitgehend der gängigen Praxis entsprechen.59 Tatsächlich wird ein Geschäftsleiter vor allem bei großen Unternehmen darauf angewiesen sein, delegierbare Aufgaben auch tatsächlich zu delegieren, um eine eigene zeitliche und gegenständliche Überforderung und damit einen Pflichtverstoß zu vermeiden.60 Die Einordnung von Bestandteilen einer grundsätzlich nicht delegierbaren Geschäftsleiterpflicht als delegierbar oder als delegationsfeindlich kann dabei auch von der Größe einer Gesellschaft und der Art einer betroffenen Pflicht abhängen.61 3. Die Auswahl des Delegatars a) Ausgangspunkt Ist ein Bestandteil einer nicht delegierbaren Pflicht als grundsätzlich übertragbar anzusehen, kann die Aufgabe gleichwohl nicht an jeden beliebigen Dritten übertragen werden. In Betracht kommt vor allem eine Delegation an andere Ebenen innerhalb des Unternehmens, eine Delegation an bestimmte ausgewählte Vorstandsmitglieder sowie eine Delegation an externe Dritte, d.h. ein Outsourcing. Daher ist fraglich, ob die Auswahl des Delegatars die Zulässigkeit einer an sich möglichen Delegation beeinflusst. b) Die vertikale Delegation Aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers und des dadurch entstehenden Weisungsverhältnisses zwischen Geschäftsleiter und Delegatar ist 57 58 59 60 61

Siehe oben IV. 2. a). So statt vieler z.B. Hüffer in Liber amicorum Happ (Fn. 4), S. 105. Vgl. z.B. Dreher/Schaaf WM 2008, 1766 für die Pflicht des § 64a Abs. 1 VAG. Vgl. Froesch DB 2009, 723. Vgl. Hegnon CCZ 2009, 58.

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die Delegation innerhalb eines Unternehmens auf den Geschäftsleitern nachgeordnete Mitarbeiter unproblematisch zulässig, soweit sie nur die übertragbaren Bereiche der Geschäftsleiterpflichten betrifft. Leitungsentscheidungen können daher auch innerhalb des Unternehmens nicht delegiert werden. Die Rechtsprechung hat allerdings eine weitgehende Delegation von Geschäftsführungsaufgaben in Form der Erteilung von Generalvollmachten anerkannt.62 c) Die horizontale Delegation Etwas anderes könnte sich jedoch bezüglich einer Delegation innerhalb des Vorstands ergeben. Wenn Aufgaben schon an entfernte und nachgelagerte Unternehmensebenen übertragen werden dürfen, könnte dies erst recht für eine Delegation innerhalb des Vorstands gelten, bei der eine relative Nähe des Delegatars zum Gesamtvorstand vorhanden und bezüglich der delegierten Aufgabe gewahrt ist. Bei näherer Betrachtung steht dem allerdings der Grundsatz der Gesamtverantwortung 63 entgegen. Die dem Vorstand obliegenden Aufgaben treffen ihn als Kollegialorgan. Dies ist nicht nur rechtlich gefordert, sondern überzeugt auch in der Sache. Denn das Kollegialorgan schöpft aus einem größeren Sachverstand als das einzelne Vorstandsmitglied. Im Ergebnis ist eine horizontale Delegation also nicht in weiterem Umfang zulässig, als dies für eine vertikale Delegation gilt. Aufgaben, die dem Bereich der Leitungsverantwortung zugehören, müssen zwingend vom Gesamtvorstand wahrgenommen werden.64 Wenn sich eine Pflicht bzw. ein Pflichtbestandteil als nicht delegierbar herausgestellt hat, muss dies auch innerhalb des Vorstands gelten. Umgekehrt bleibt die Leitungsverantwortung des Vorstands bei einer horizontalen Delegation gewahrt, sofern sie nur unterstützende Tätigkeiten sowie Ausführungsmaßnahmen betrifft und die maßgeblichen Entscheidungen vom Gesamtvorstand getroffen werden. Daher kann sie nicht in geringerem Umfang zulässig sein, als eine Delegation an nachgeordnete Unternehmensebenen. d) Die Möglichkeit der Delegation an Dritte (Outsourcing) Anders als bei einer internen Delegation kommt es bei der externen Delegation zu tief greifenden Einschnitten in die Unternehmensstruktur. Daher erscheinen Konflikte mit der verbandsinternen Leitungssouveränität zumindest möglich. Nach den allgemeinen Grundsätzen wäre eine Delegation auch insoweit grundsätzlich zulässig, sofern lediglich Geschäftsführungsaufgaben

62 Vgl. nur BGHZ 36, 292, 295 und Hopt in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 33. Auflage, 2008, Vor § 48 HGB, Rn. 2. 63 Vgl. dazu oben III. 1. 64 Vgl. ausf. schon Dreher ZGR 1992, 22, 49 ff.

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und nicht auch Leitungsaufgaben betroffen sind. Als problematisch erweist sich jedoch, dass dem Vorstand insoweit kein arbeitsrechtliches Direktionsrecht zusteht, wie dies im Rahmen der unternehmensinternen vertikalen Delegation der Fall ist. Zur Wahrung der Entscheidungsverantwortung und zum Ausgleich für das fehlende Direktionsrecht besteht im Fall der Delegation an Dritte daher eine Steuerungsverantwortung der Geschäftsleiter. Diese umfasst insbesondere die Gewinnung der wesentlichen Informationen im Sinn einer Informationsverantwortung.65 Um eine hinreichende Steuerungsverantwortung zu erreichen, ist es insbesondere erforderlich, dass der Vorstand bei einer vertraglichen Aufgabenübertragung Weisungsrechte und Kündigungsmöglichkeiten hat. Die notwendige Intensität des Weisungsrechts hängt dabei von der Wesentlichkeit und Tragweite der ausgelagerten Aufgabe ab. Die Zulässigkeit des Outsourcing folgt grundsätzlich schon daraus, dass die Planungs- und Entscheidungsverantwortung beim Vorstand bleibt. Darüber hinaus ist z.B. in § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG mit dem Betriebspachtvertrag ein Vertrag ausdrücklich anerkannt, bei dem der Betrieb eines Unternehmens, d.h. die laufenden Geschäfte, in die Hände eines anderen Unternehmensträgers gelegt werden.66 Solche Verträge waren bereits unter dem AktG des Jahres 1937 üblich. Eine Änderung hat der Gesetzgeber des späteren AktG insoweit nicht beabsichtigt.67 Bestärkt wird dieses Ergebnis durch einen Vergleich mit spezialgesetzlichen Regelungen. So fordert § 25a Abs. 2 KWG, dass bei einer Auslagerung wesentlicher Teilbereiche durch Finanzdienstleistungsinstitute auf einen anderen Unternehmensträger die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten der Geschäftsleitung nicht beeinträchtigt werden dürfen.68 Das Unternehmen muss sich die erforderlichen Leitungsbefugnisse vertraglich einräumen lassen. Vergleichbares gilt gemäß §§ 5 Abs. 3 Nr. 4, 64a VAG für Versicherungsunternehmen 69 und gemäß § 5 Abs. 3 BörsG für Börsenträger. Früher wurde eine solche externe Delegation vereinzelt bereits dem Grunde nach verneint. Denn § 76 Abs. 1 AktG unterscheide zwischen unmittelbarer aktiver Unternehmensleitung und mittelbarer passiver Unternehmensleitung. Beide Bestandteile seien zwingend vom Vorstand wahrzunehmen.70 Dabei sei Initiative, Planung und Durchführung Bestandteil der aktiven Unternehmensleitung, während die passive Unternehmensleitung die Bestellung und 65

Vgl. schon Fleischer ZIP 2003, 1, 9. Vgl. Wellhöfer in Die Haftung von Vorstand Aufsichtsrat Wirtschaftsprüfer, 2008, § 4, Rn. 38. 67 Fleischer ZIP 2003, 1, 9; Hüffer in Liber amicorum Happ (Fn. 4), S. 105. 68 Vgl. dazu näher Langen in Schwennicke/Auerbach (Hrsg.), KWG, 2009, § 25a, Rn. 29 ff., 106 ff., 116 ff. 69 Vgl. Dreher/Schaaf WM 2008, 1770 ff. 70 Veelken Der Betriebsführungsvertrag im deutschen und amerikanischen Aktien- und Konzernrecht, 1975, S. 120. 66

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Abberufung der aktiven Unternehmensleitung umfasse. Im Fall eines Betriebsführungsvertrags als typischem Fall der externen Delegation werde die aktive Unternehmensleitung jedoch gerade auf den Delegatar übertragen, was zu einem Verstoß gegen § 76 Abs. 1 AktG führe. Selbst unterstellt, dass § 76 Abs. 1 AktG zwischen aktiver und passiver Unternehmensleitung unterscheiden sollte, findet bei der externen Delegation in Form eines Betriebsführungsvertrags, die sich im Rahmen der allgemeinen Grundsätze 71 hält, gerade keine Delegation der Unternehmensleitung statt. Vielmehr werden lediglich Geschäftsführungsaufgaben und nicht solche der sog. aktiven Unternehmensleitung ausgelagert. § 76 Abs. 1 AktG mit der Leitungsverantwortung ist folglich nicht betroffen.72 Umgekehrt wurde aber auch die Auffassung vertreten, dass ein Outsourcing sehr weitgehend zulässig sei. Denn § 308 Abs. 1 AktG stelle insoweit die Grenze des rechtlich Zulässigen i.S.d. § 76 Abs. 1 AktG dar.73 Ein Betriebsführungsvertrag, der auch die Leitungsmacht auf den Delegatar überträgt, sei als Beherrschungsvertrag zu qualifizieren und könne sogar von unabhängigen Unternehmen geschlossen werden. Dies hätte zur Folge, dass eine externe Delegation in weiterem Umfang zulässig wäre als eine bloß interne. Dass dies nicht überzeugt, liegt schon wegen der Verbandssouveränität auf der Hand. § 308 Abs. 1 AktG stellt die nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahme im Rahmen von Konzernsachverhalten dar. Daher ist es im Ergebnis für die Zulässigkeit der Delegation grundsätzlich unerheblich, ob sie innerhalb des Unternehmens bzw. des Vorstands selbst oder nach außen erfolgt. Die Art des Delegationsempfängers ist allein für die Pflicht der Geschäftsleiter relevant, die Delegation zu organisieren und den Delegatar zu überwachen.74 4. Die Delegation nach § 52a BImSchG Fraglich ist weiter, ob spezielle öffentlich-rechtliche Normen wie § 52a BImSchG Auswirkungen auf die Zulässigkeit und Ausgestaltung einer ordnungsgemäßen Delegation haben. § 52a Abs. 1 BImSchG verpflichtet unter anderem Kapitalgesellschaften, deren vertretungsberechtigtes Organ aus mehreren Mitgliedern besteht, der zuständigen Behörde anzuzeigen, welches Organmitglied für die Gesellschaft als Betreiberin der nach dem BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlage die Pflichten wahrnimmt, die der Gesell-

71

Vgl. oben IV. 2. Vgl. oben II. 1. a) und IV. 2. a); so auch Gessler, FS Hefermehl, 1976, S. 263, 274. 73 Koppensteiner in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage, 2004, § 291, Rn. 25 f. 74 Vgl. unten V. 2. b). 72

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schaft obliegen.75 Ausdrücklich ordnet das Gesetz zusätzlich an, dass „die Gesamtverantwortung aller Organmitglieder oder Gesellschafter […] hiervon unberührt [bleibt].“76 Die Vorschrift soll gewährleisten, dass aufgrund einer ordnungsgemäßen Organisation Immissionen und Störfälle und damit schädliche Umwelteinwirkungen bereits im Vorfeld vermieden werden.77 Zunächst erfordert § 52a BImSchG die Benennung eines Organmitglieds als Verantwortlichen. Damit ist eine pflichtenbefreiende Delegation auf ein anderes Unternehmen oder einen sonstigen Dritten außerhalb der Geschäftsleitung ausgeschlossen.78 Weiter lässt § 52a BImSchG die Adressateneigenschaft des Betreibers unberührt und ordnet keine persönliche Verantwortlichkeit des Benannten an.79 Schließlich ist die Erfüllung der immissionsschutzrechtlichen Pflichten als Aufgabe der Geschäftsleitung bereits durch die gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Geschäftsführung angelegt, sodass § 52a BImSchG insoweit keine aufgabenbegründende Funktion zukommt.80 Allerdings könnte aus § 52a BImSchG eine öffentlich-rechtliche Beschränkung der Möglichkeit zur vertikalen Delegation folgen. Demnach müssten die immissionsschutzrechtlichen Pflichten zwingend durch ein Mitglied der Geschäftsleitung ausgeführt werden. Bei der Vorschrift handelt es sich um eine bloße Mitteilungspflicht, die zudem nicht bußgeldbewehrt ist. Würde man in ihr verbindliche materiellrechtliche Beschränkungen sehen, könnte ein Verstoß gegen eine solche Beschränkung der Delegation eine Untersagung nach § 20 Abs. 3 BImSchG rechtfertigen und damit den Regelungsgehalt der Vorschriften überdehnen.81 Daher folgt nur aus der Einordnung als delegationsfeindliche Pflicht i.S.d. zuvor genannten allgemeinen Grundsätze 82 ein angemessenes Ergebnis. Danach muss die Planungs- und Entscheidungsverantwortung bei der Geschäftsleitung bleiben, die auch die Pflichten i.S.d. noch auszuführenden Pflichtentrias 83 trifft, während Hilfstätigkeiten durch Delegatare ausgeführt werden können. Dass die allgemeinen Grundsätze bezüglich der horizontalen Delegation auch im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Vorschriften Anwendung finden, ergibt sich zudem bereits aus Satz 2 von § 52a Abs. 1 BImSchG und aus den Überlegun-

75

Vgl. Schneider ZIP 2003, 645, 649. Ebenso z.B. § 31 Abs. 1 StrLSchVV. 77 Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band I, § 52a. Rn. 1 (Stand: 8/2008). 78 Spindler in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, 2. Auflage, § 52a, Rn. 39 (Stand: 10/2006). 79 Spindler (Fn. 78), § 52a, Rn. 74 und deutlich Rn. 75; aA Haas Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 262 ff. 80 Spindler (Fn. 78), § 52a, Rn. 74. 81 Spindler (Fn. 78), § 52a, Rn. 76. 82 Siehe oben IV. 2. 83 Vgl. unten V. 2. b) bb). 76

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gen zur vertikalen Delegation. Gleiches gilt für die Zulässigkeit eines Outsourcing, wobei auch hier die grundlegenden Entscheidungen aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift zwingend innerhalb der Geschäftsleitung getroffen werden müssen.84 5. Die Rechtsstellung des Ausfuhrverantwortlichen nach dem AWG In Anträgen zur Ausfuhr rüstungsrelevanter Güter müssen solche Unternehmen, die eine Genehmigung nach dem AWG begehren, einen Ausfuhrverantwortlichen benennen, welcher der Unternehmensleitung angehören muss.85 Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 3 Abs. 2 AWG. Jedoch bestimmen die „Grundsätze der Bundesregierung zur Prüfung der Zuverlässigkeit von Exporteuren von Kriegswaffen und rüstungsrelevanten Gütern“,86 die als bloße Verwaltungsvorschriften erlassen worden sind, dass die Prüfung der Zuverlässigkeit des Antragstellers i.S.d. § 3 Abs. 2 AWG – und damit auch die Erteilung der Genehmigungen nach dem AWG – von der Bestellung eines Ausfuhrverantwortlichen durch das antragstellende Unternehmen abhängig ist.87 Bei diesem Ausfuhrverantwortlichen muss es sich grundsätzlich um ein Mitglied der Vorstands oder einen Geschäftsführer handeln.88 Fraglich ist, ob die Berufung zum Ausfuhrverantwortlichen Auswirkungen auf die Delegationsfähigkeit derjenigen Pflichten hat, die das Unternehmen nach dem AWG treffen. Insoweit bestimmen diese Grundsätze allerdings, dass der Ausfuhrverantwortliche die entsprechenden Anträge zur Erteilung von Genehmigungen nicht selbst zu unterzeichnen hat.89 Da das Unternehmen mangels gesetzlicher Verpflichtung weiter schon frei darin ist, Pflichten auf den Ausfuhrverantwortlichen zu übertragen,90 muss es dem Ausfuhrverantwortlichen erst recht möglich sein, ihm zugewiesene Aufgaben in Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur Delegation weiter zu übertragen. So folgt aus den Grundsätzen der Bundesregierung im Übrigen, dass

84

Spindler (Fn. 78), § 52a, Rn. 80. Rittner/Dreher (Fn. 49), § 27, Rn. 56. 86 Vgl. die „Grundsätze der Bundesregierung zur Prüfung der Zuverlässigkeit von Exporteuren von Kriegswaffen und rüstungsrelevanten Gütern“, BAnz. Nr. 148 vom 10.08.2001, S. 17177. 87 Hinder Der Ausfuhrverantwortliche im Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollrecht, 1999, S. 20 f. 88 Vgl. Nr. 2 Satz 1 der Grundsätze (Fn. 86). 89 Vgl. Nr. 2 Satz 1 der Grundsätze (Fn. 86). 90 Vgl. nur Hinder (Fn. 87), S. 73; eine Übertragung von Aufgaben an den Ausfuhrverantwortlichen erfolgt lediglich im Interesse der Erfüllung des Zuverlässigkeitskriteriums des § 3 Abs. 2 AWG, welches Voraussetzung für den Erhalt außenwirtschaftsrechtlicher Genehmigungen ist. 85

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dem Ausfuhrverantwortlichen die Organisations-, die Personalauswahl-, die Personalausbildungs- und die Überwachungspflicht obliegt.91 Dabei handelt es sich um klassische Pflichten i.S.d. gesteigerten Gewährleistungsverantwortung bei Einschaltung von Hilfspersonen.92 Die Haftung des Ausfuhrverantwortlichen muss sich daher auch nach allgemeinen Grundsätzen bemessen.93 6. Die Problematik eines Rumpfvorstands Aufgaben, die nicht delegierbar sind, müssen nach alledem von der Geschäftsleitung insgesamt wahrgenommen werden. Gemeint ist damit der Vorstand oder die Geschäftsführung als Organ. Gelegentlich ist es nicht vorschriftsmäßig besetzt oder weist nicht die erforderliche Anzahl an Mitgliedern auf. Nach dem BGH darf ein solcher Rumpfvorstand die fragliche Aufgabe nicht wahrnehmen.94 Stattdessen müsse der Aufsichtsrat nach § 84 Abs. 1 AktG den Vorstand wieder komplettieren. Andernfalls müsse gemäß § 85 AktG ein Notvorstand installiert werden. Diese konsequente Linie kann aber zu nachteiligen Folgen für die Gesellschaft führen. Aufgrund des nicht eindeutigen Wortlauts von § 87 AktG könnte man unter dem Begriff des Vorstands grundsätzlich auch die Gesamtheit der amtierenden Mitglieder verstehen.95 Abweichend davon lässt sich zwischen rechtsgeschäftlichen Handlungen des Vorstands und solchen ohne rechtsgeschäftlichen Charakter differenzieren. Lediglich bezüglich letzterer wäre der Vorstand dann handlungsunfähig.96

V. Die haftungsrechtlichen Rechtsfolgen bei einer Delegation 1. Die persönliche Verantwortlichkeit des Geschäftsleiters bei unzulässiger Delegation Verletzt ein Vorstandsmitglied seine Pflicht zur höchstpersönlichen Aufgabenwahrnehmung, indem er eine nicht delegierbare Aufgabe einem Dritten überträgt, verletzt er seine eigene Pflicht zur Leitung des Unternehmens, bei der er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden hat. Daher macht er sich der Gesellschaft gegenüber gemäß § 93

91

Vgl. Nr. 2 Satz 2 der Grundsätze (Fn. 86). Vgl. dazu unten V. 2. b). 93 Für das Strafrecht bereits Hinder (Fn. 87), S. 92. 94 BGHZ 149, 158, 160 f. 95 So z.B. Götz ZIP 2002, 1745, 1749. 96 So z.B. Hüffer AktG (Fn. 10), § 76, Rn. 23; differenzierend auch Fleischer NZG 2003, 449, 451. 92

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Abs. 2 AktG schadenersatzpflichtig.97 Eine Zurechnung etwaigen Fehlverhaltens der Delegatare an den Vorstand nach § 278 BGB muss dabei ausscheiden.98 2. Die persönliche Verantwortlichkeit des Geschäftsleiters bei zulässiger Delegation a) Die Ausführungsverantwortung bei höchstpersönlicher Pflichterfüllung Erfüllt der Vorstand die ihm obliegende Pflicht zwar selbst, aber nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, führt dies zur Haftung des Vorstands(mitglieds) nach allgemeinen Grundsätzen. Nur diejenigen Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten zur höchstpersönlichen Aufgabenerfüllung verletzt haben, haften entsprechend. Allerdings sind dem Vorstand in Fällen, in denen nicht delegierbare Pflichten betroffen sind, gesteigerte Sorgfaltspflichten auferlegt. Denn die fehlende Delegationsfähigkeit beruht auf der besonderen Bedeutung einer Pflicht für Gesellschaft oder Gläubiger.99 Die Gesellschaft darf daher eine besonders gewissenhafte und ordentliche Pflichtausführung erwarten. Insoweit hat die Geschäftsleitung die Ausführungsverantwortung. b) Die gesteigerte Gewährleistungsverantwortung bei Einschaltung von Hilfspersonen aa) Ausgangspunkt Ist eine Delegation zwar zulässig, verletzen die eingeschalteten Hilfspersonen jedoch ihrerseits die ihnen obliegenden Pflichten, stellt sich die Frage, inwieweit der Vorstand für ein solches Fehlverhalten der Delegatare einzutreten hat. Zunächst haftet er nach § 93 Abs. 2 AktG nur für eigenes Verschulden. Weiter scheidet eine Zurechnung des Fehlverhaltens der Delegatare gemäß § 278 BGB aus.100 Die Delegationsempfänger treten nicht als Erfüllungsgehilfen der Geschäftsleiter auf, sondern werden ausschließlich im Pflichtenkreis der Gesellschaft selbst tätig.101 Dabei nimmt die Geschäftsleitung lediglich das ihr zustehende Direktionsrecht wahr. Mit gleicher Begründung muss auch eine Haftung des Vorstands nach § 831 BGB aus-

97

Fleischer AG 2003, 291, 292. Näher hierzu unten V. 2. b) aa); aA noch BGHZ 13, 61, 66, der zur Anwendung des § 278 BGB gelangt ist. 99 Vgl. oben III. 1. 100 Vgl. bereits oben V. 1. sowie z.B. Hopt (Fn. 1), § 93, Rn. 57. 101 Fleischer AG 2003, 291, 292. 98

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scheiden. So ist die Gesellschaft selbst und nicht der jeweilige Geschäftsleiter Geschäftsherr i.S.d. § 831 BGB. Die Pflichtverletzung eines Delegatars scheidet daher als Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Geschäftsleitung insgesamt aus. Gleichzeitig kann jedoch die Verantwortung der Geschäftsleiter durch eine Delegation nicht generell entfallen.102 Hat die Geschäftsleitung Kenntnis von Pflichtverletzungen der Delegatare und diese trotz Verhinderungsmöglichkeit nicht unterbunden, macht sich der Geschäftsleiter die ursprünglich fremde Pflichtverletzung aufgrund eines sog. „Übernahmewillens“ zu Eigen, was zu seiner Mitverantwortlichkeit führt.103 bb) Pflichtentrias Im Übrigen führt eine Übertragung der Aufgaben zu einer bloßen Veränderung der den Vorstand gemäß § 93 AktG treffenden Pflichten.104 Dabei kann von einer die Geschäftsleitung treffenden Pflichtentrias ausgegangen werden. Diese umfasst die sorgfältige Auswahl, Einweisung und Überwachung der Delegatare.105 Teilweise wird insoweit auch von Organisationspflichten und einer Haftung wegen Organisationsverschuldens gesprochen.106 Zunächst ist der Vorstand verpflichtet, bei der Auswahl der Delegatare die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Er hat dabei insbesondere sicherzustellen, dass die Delegatare mit Blick auf die zu delegierenden Aufgaben hinreichend qualifiziert sind. Hierfür kommen z.B. Eignungstests sowie die Einholung von Informationen über etwaige Vorstrafen in Betracht. Weiter muss die Geschäftsleitung dafür Sorge tragen, dass die Delegatare angemessen in ihr künftiges Tätigkeitsfeld eingewiesen werden und hinreichende Informationen zu den übertragenen Aufgaben erhalten. Diese Pflicht endet nicht mit einer Instruktion zu Beginn der Delegation. Vielmehr handelt es sich um eine Dauerpflicht, die die Geschäftsleitung verpflichtet, die Instruktion gegebenenfalls zu wiederholen und den Delegatar bei entsprechenden Änderungen oder Neuerungen umfassend zu unterrichten. Schließlich hat der Geschäftsleiter den Delegatar bei seiner Tätigkeit angemessen zu überwachen sowie gegebenenfalls, insbesondere bei Verdachts102

So auch Schwark ZHR 142 (1987), 203, 219; Fleischer AG 2003, 291, 292. So bereits RGZ 109, 273, 277; BGHZ 14, 163, 174; Schneider/Brouwer, FS Priester, 2007, S. 731. 104 Schneider/Brouwer, FS Priester, 2007, S. 720; Fleischer AG 2003, 291, 292; allgemein zur Delegation von Verkehrssicherungspflichten und den damit verbundenen Änderungen des Pflichtenregimes des ursprünglich Pflichtbetroffenen z.B. Schwarz/Wandt Gesetzliche Schuldverhältnisse, 3. Aufl., 2009, 416, Rn. 117. 105 Ausf. z.B. Hopt in GK AktG (Fn. 1), § 93, Rn. 59; Fleischer AG 2003, 291, 293 sowie sub specie der Compliance Dreher in Krieger/Schneider (Fn. 32), § 29, Rn. 59 ff. 106 Schwark ZHR 142 (1987), 203, 220. 103

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momenten, steuernd entgegenzuwirken.107 Diese Überwachung hat nicht erst dann anzusetzen, wenn bereits Verfehlungen eingetreten sind. Vielmehr ist sie so durchzuführen, dass Missstände schon im Vorfeld verhindert werden können. Sind allerdings Verfehlungen aufgetreten, sind an die Überwachungspflichten strengere Maßstäbe anzulegen. Die Reichweite und Intensität von Überwachungsmaßnahmen bestimmt sich nach den „Umständen des Einzelfalls“.108 Dabei zu berücksichtigende Faktoren sind z.B. die Qualifikation des Delegatars sowie die Bedeutung der übertragenen Aufgaben.109 Gleichwohl kann die Überwachungspflicht aus naheliegenden Gründen lediglich den Ausschluss von wesentlichen Pflichtverletzungen betreffen. Sie lassen sich in Anlehnung an aufsichtsrechtliche Grundsätze des Risikomanagement im Besonderen Wirtschaftsrecht als Pflichtverletzungen bezeichnen, die sich nachhaltig negativ auf die Wirtschafts-, Finanz- oder Ertragslage des Unternehmens auswirken.110 Bei der Bestimmung des Umfangs der Überwachungspflicht kann weiter auf die Auslegung des § 130 OWiG zurückgegriffen werden.111 Die Möglichkeit einer solchen Einwirkung ist aufgrund des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts gesichert oder aufgrund besonderer schuldrechtlicher Abreden sicherzustellen.112 Sofern die Geschäftsleitung dieser Pflichtentrias nachkommt, löst die Pflichtverletzung eines Delegatars keine Haftungsfolgen bei ihr aus. Folglich sind die Geschäftsleiter zwar berechtigt, Zuständigkeiten zu delegieren, nicht aber Verantwortlichkeit.113 cc) Erweiterung der Pflichtentrias? Teilweise wird vorgeschlagen, die Geschäftsleiter träfen neben dieser Pflichtentrias weitere Aufsichtspflichten.114 Demnach müssten sie zunächst für „eine gehörige Organisation der Betriebsabläufe“ sorgen. Die Einweisung des Personals z.B. ist jedoch schon Bestandteil der Pflicht zur ordnungsgemäßen Einweisung der Delegatare. Weiter müsste der Geschäftsleiter ausreichende personelle und sachliche Ressourcen zur Erfüllung der delegierten Aufgabe bereitstellen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausprägung der Pflicht, die Aufgabe nur an einen hinreichend qualifizierten Delegatar zu übertragen. Sollten nicht hinreichend personelle Ressourcen zur

107

Vgl. z.B. BGH GmbHR 1985, 143. BGH WuW/E BGH 2202, 2203 – Brückenbau Hoppener Mühlenbach. 109 Vgl. z.B. Schneider/Brouwer, FS Priester, 2007, S. 721; Fleischer AG 2003, 291, 293. 110 Vgl. z.B. für die Überwachung ressortfremder Vorstände im Rahmen des § 64a Abs. 1 VAG Dreher/Schaaf WM 2008, 1765, 1766. 111 Fleischer AG 2003, 291, 294; ausf. zuletzt zu § 130 OWiG Koch AG 2009, 564 ff. 112 Vgl. für die Anforderungen an eine zulässige Delegation oben IV. e. d). 113 Vgl. Froesch DB 2009, 723, 724. 114 So z.B. Hegnon CCZ 2009, 58. 108

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Verfügung gestellt werden,115 ist die quantitative Auswahl fehlerhaft, sodass bereits unter Hinweis auf die Pflichtentrias ein Pflichtverstoß gegeben wäre. Und schließlich soll den Geschäftsleiter eine Pflicht zum Eingreifen treffen, wenn sich zeigen würde, dass trotz der bisherigen Aufsichtsmaßnahmen eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht mehr gewährleistet sei. Richtigerweise handelt es sich jedoch auch dabei um eine konsequente Ausformung der Überwachungspflicht, aufgrund derer der Geschäftsleiter ohnehin verpflichtet ist, gegebenenfalls steuernd entgegenzuwirken.116 Folglich sind weitere, in der Literatur zum Teil genannte Aufsichtspflichten bereits Teil der klassischen Pflichtentrias. dd) Organisationshaftung In Betracht kommt jedoch eine Haftung der Geschäftsleiter in Form einer sog. Organisationshaftung 117 als Garanten für den Schutz außenstehender Dritter auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB. Hierfür müssten Organisationspflichten im Außenverhältnis auch den Geschäftsleiter persönlich treffen. Jedoch sind die Geschäftsleiter gemäß § 43 GmbHG und § 93 AktG grundsätzlich nur im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft verpflichtet. Weiter bestünde anderenfalls die Gefahr, dass – zumindest mit Blick auf die Kriterien der Rechtsprechung für eine Außenhaftung – auf der Grundlage einer ex-post-Betrachtung ex-ante Unvermeidbares zu ex-post Vermeidbarem wird. Mithin würde aus einer solchen Organisationshaftung eine Erfüllungshaftung,118 die jedoch schon zuvor 119 auf anderer Grundlage abgelehnt worden ist. 3. Verantwortlichkeit der Hilfspersonen als „faktische Geschäftsleiter“ Ungeachtet einer möglichen vertraglichen Haftung der Delegatare stellt sich die Frage, ob sie eine Haftung gemäß § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG trifft.120 Dem Wortlaut nach erfasst eine solche Verantwortung nur Geschäftsleitungsmitglieder. Das Reichsgericht hat jedoch Geschäftsleiter, deren Bestellung unwirksam ist, nach den Grundsätzen des sog. faktischen Dauerrechtsverhältnisses einer „Quasigeschäftsleiterhaftung“ und strafrechtlicher Verantwortung unterworfen.121 Der BGH hat die Haftung sogar auf 115 Vgl. als Beispiel BGH (Fn. 108) und dazu Dreher in Krieger/Schneider (Fn. 32), § 29, Rn. 68. 116 Vgl. bereits oben V. 2. b) bb). 117 BGHZ 109, 297 – Baustoff und dazu z.B. Hopt in GK AktG (Fn. 1), § 93, Rn. 499 ff.; Dreher ZGR 1992, 22, 32 ff.; Schneider/Brouwer, FS Priester, 2007, S. 734. 118 Vgl. z.B. Schneider/Brouwer, FS Priester, 2007, S. 734. 119 Siehe oben V. 1. und 2. b) aa). 120 Schwark ZHR 142 (1987), 203, 220. 121 RGZ 152, 273, 277.

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jene Personen ausgeweitet, die solche Leitungs- und Überwachungsaufgaben bloß tatsächlich übernehmen, die an sich der Geschäftsleitung obliegen.122 Ungeachtet dessen, ob eine solche Haftung überhaupt angemessen ist, oder ob das Rechtsinstitut des faktischen Dauerrechtsverhältnisses durch den BGH nicht vielmehr überdehnt wird,123 geht es im vorliegenden Zusammenhang um eine andere Konstellation. Die Delegatare nehmen gerade keine Leitungs- und Überwachungsaufgaben der Geschäftsleiter wahr. Vielmehr werden sie ausschließlich in dem rechtlich zulässigerweise delegierten Pflichtenkreis der Geschäftsleitung tätig. Eine Quasigeschäftsleiterhaftung ist damit nicht vereinbar.

VI. Die Delegierbarkeit nicht delegierbarer Elemente Soweit einzelne Elemente der Geschäftsleiterpflichten nicht delegierbar sind, bedeutet dies nicht automatisch, dass die Geschäftsleiter die nicht delegierbaren Pflichten insgesamt höchstpersönlich wahrzunehmen hätten. Vielmehr können die Geschäftsleiter ihre Aufsichtspflichten wiederum an Dritte delegieren und sich auf eine sog. Meta-Überwachung beschränken.124 Aus einer etwaigen Delegation dieser sog. Sekundärpflichten erwächst wiederum eine Pflichtentrias, aufgrund derer den Geschäftsleiter die oben genannten Pflichten treffen, die meist als Oberaufsichtspflichten bzw. Aufsichtspflichten zweiten Grades bezeichnet werden. Die so entstandenen nachgelagerten Aufsichtspflichten sind dann allerdings insgesamt delegationsfeindlich und können nicht wirksam weiter übertragen werden.125 Die Abgrenzung zwischen den Oberaufsichtspflichten und den delegierbaren Aufsichtspflichten erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen. Daher muss die Kernfunktion der Aufsichtspflicht bei den Geschäftsleitern verbleiben.

VII. Schluss Die Geschäftsleiter in der AG und der GmbH haben zahlreiche Pflichten. Sie obliegen ihnen als gesetzliche Pflichtaufgaben und – zumindest in der AG sowie entgegen Kritik in der neueren Literatur – als Ausfluss eines unveräußerlichen Kernbereichs der Unternehmensleitung. Die Pflichten lassen 122

BGHSt 21, 101. So ausdrücklich Schwark ZHR 142 (1987), 203, 220; vgl. zu den Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung weiter z.B. Hopt in GK AktG (Fn. 1), § 93, Rn. 59 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, (Fn. 32), § 43, Rn. 2 sowie ausf. Schürnbrand (Fn. 52), S. 306 ff. 124 Vgl. Hegnon CCZ 2009, 59; Froesch DB 2009, 722, 725. 125 Hegnon CCZ 2009, 59. 123

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sich weiter nach dem Grad ihrer Delegationsfähigkeit unterscheiden. Bei Geschäftsleiterpflichten, die höchstpersönlichen Charakter haben, sind die Bereiche der höchstpersönlich wahrzunehmenden Planungs- und Entscheidungsverantwortung einerseits und der delegationsfähigen Vorbereitung sowie Durchführung von Entscheidungen im Sinn einer Ausführungsverantwortung andererseits zu trennen. Soweit es um die Auswahl eines Delegatars geht, haben die Geschäftsleiter gesellschaftsintern die Wahl zwischen einer horizontalen und einer vertikalen Delegation. In Betracht kommt aber auch eine Auslagerung auf Dritte, d.h. ein sog. Outsourcing, wenn die Steuerungsverantwortung durch eine angemessene Überwachung des Delegatars sichergestellt ist. Haftungsentlastend wirkt eine Delegation nur im Bereich ihrer rechtlichen Zulässigkeit und nur dann, wenn Geschäftsleiter ihrer grundsätzlichen Planungs- sowie Entscheidungsverantwortung gerecht werden und interne oder externe Hilfspersonen entsprechend auswählen, einweisen sowie überwachen. Sofern sie dieser Pflichtentrias nachkommen, können Geschäftsleiter ihre Pflichten jenseits des Kernbereichs der Leitung der Gesellschaft und der eigenen Wahrnehmung gesetzlicher Pflichtaufgaben daher aus rechtlicher Sicht in weitem Umfang delegieren.

Die Pflicht des Managements zur Vermeidung existenzgefährdender Risiken Tim Drygala I. Einleitung Fragen der Corporate Governance haben Klaus J. Hopt von jeher beschäftigt; das legt es nahe, auch diesen Beitrag einem solchen Thema zu widmen. Dabei geht es um die absoluten Begrenzungen, die der Haftungsfreistellung von Organmitgliedern im Rahmen der Business Judgement Rule gezogen werden, und insbesondere um eine solche, die durch die Finanzmarktkrise besondere Aktualität gewonnen hat. Denn zieht man die gängigen Werke zur Business Judgement Rule heran, darunter auch die Kommentierung zu § 93 AktG von Hopt im Großkommentar zum Aktiengesetz, so trifft man immer wieder auf die Aussage, dass der Vorstand per se pflichtwidrig handele und eine Berufung auf Business Judgement ausgeschlossen sei, wo es um die Übernahme außerordentlich großer, im Falle ihrer Verwirklichung für die Gesellschaft existenzvernichtender Risiken gehe 1. Dieser Ansicht hat sich jüngst auch das OLG Düsseldorf in Sachen IKB angeschlossen 2. Im Gegensatz zur überwiegenden Meinung findet sich allerdings in der Kommentierung von Hopt der einschränkende Zusatz, dass etwas anders gelten könne, wenn dem Risiko eine große Chance gegenüberstehe 3 – eine Einschränkung, die sich in den meisten, allerdings kurzen, Stellungnahmen zum Thema nicht findet 4. Sie ist ganz offenbar Ausdruck der Einschätzung Hopts, dass es in dieser Frage nicht um die Formulierung absoluter Grenzen, sondern um die zutreffende Bewertung des Verhältnisses von Chancen und Risiken geht 5. Das gibt Anlass, der Frage nach den Grenzen des erlaubten Risikos gerade in dieser Festschrift genauer nachzugehen. 1 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 93 Rn. 86 f.; Fleischer, in Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 75; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 443; Krieger/Sailer, in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rn. 13; Lutter, ZiP 2009, 197, 199; ders. ZIP 2007, 841, 845; unter Begrenzung auf „unverantwortliches“ Handeln auch BGHZ 135, 244, 253 f. 2 OLG Düsseldorf vom 9.12.2009, I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 32. 3 Hopt, in Großkomm. AktG, § 93 Rn. 82; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, Nachtrag § 93, Rn. 36; ähnl. auch Seibert, FS Bezzenberger, 2000, S. 427, 431. 4 Differenzierend allerdings Spindler, in MünchKomm. AktG, § 93 Rn. 50; Redeke, ZIP 2010, 159 ff.; Empt, KSzW 2010, 107, 109 ff.; Böttcher, NZG 2009, 1047, 1050 f. 5 So auch Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, 110 f.

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II. Das Verbot der Existenzgefährdung durch das Management Die Auswirkung der hier diskutierten These lässt sich an einem interessanten wirtschaftsgeschichtlichen Beispiel illustrieren: Die Boeing Corp. hatte sich Anfang der 1960er Jahre ohne Erfolg an einer Ausschreibung zur Entwicklung und Lieferung eines militärischen Großraum-Lufttransporters beworben. Das führte zu Überlegungen, die Vorentwürfe für ein ziviles Projekt nutzbar zu machen. Dieses Vorhaben war außerordentlich kostenintensiv; die Entwicklungskosten lagen in der Größenordnung der Bilanzsumme des Unternehmens 6. Zudem war die Entwicklung auch außerordentlich riskant, denn Erfahrungen mit einem Flugzeug der geplanten Größenordnung gab es nicht, und hinreichend leistungsfähige Triebwerke mussten noch entwickelt werden. Daraus resultierte die Gefahr einer erheblichen Entwicklungsverzögerung 7. Zugleich bestand auch die Gefahr, dass im Falle einer Verzögerung das ganze Projekt technologisch überholt wird, denn zum Zeitpunkt der Entscheidung ging in Fachkreisen die allgemeine Meinung dahin, dass die Zukunft des zivilen Luftverkehr nicht Großraumflugzeugen, sondern kleineren überschallschnellen Maschinen gehörte, die sich in Gestalt der Concorde bereits in der Entwicklung befanden. Trotz dieser Risiken entschied sich der Vorstandsvorsitzende William Allen in einer Sitzung mit dem Vorstandsvorsitzenden der Pan Am, Juan Trippe, im Dezember 1965 zum Bau des Flugzeugs unter der Voraussetzung, dass Pan Am 25 Maschinen abnimmt. Der Hergang der Sitzung wird mit dem Wortlaut Trippe: „If you build it, I buy it“; Allen: „If you buy it, I build it“, wiedergegeben 8. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Das Projekt wurde unter der Ziffer 747 termingerecht verwirklicht und ein großer wirtschaftlicher Erfolg, der der Gesellschaft auf Jahrzehnte die Marktführerschaft einbrachte. Hingegen blieb die Idee des Überschallverkehrs aus technischen, ökonomischen und ökologischen Gründen eine Randerscheinung. Die Sache hätte aber ohne weiteres auch anders ausgehen können, und in diesem Fall hätte sich die Frage durchaus stellen können, ob in einem solchen Fall nach deutschem Rechtsverständnis der oder die handelnden Unternehmensleiter unter dem Gesichtspunkt der Risikoüberspannung haftbar geworden wären. Dabei soll der Aspekt ausgeblendet bleiben, dass eine Entscheidung der hier skizzierten Tragweite nach heutigem Verständnis natürlich einer Befassung des gesamten Leitungsgremiums und zudem einer sorgfältigen Entscheidungsvorbereitung bedarf; als einsame und spontan getroffene Entscheidung des Vorsitzenden

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Burgner, http://www.flug-revue.rotor.com/FRheft/FRH9707/FR9707d.htm (8.2.2010). Die Jahrzehnte später beim Konkurrenten Airbus eingetretenen Verzögerungen bei der Entwicklung des Typs A 380 belegen die Realität solcher Überlegungen. 8 Plath/Flottau, Boeing 747, Geschichte, Typen, Einsatz, München, 2009, S. 8 ff. 7

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wäre sie per se angreifbar 9, und damit wohl auch zugleich pflichtwidrig 10. Hier soll es aber allein um die Haftung für falsche Entscheidungsinhalte gehen.

III. Besondere Rechtslage bei Neugründungen Bevor man auf die allgemeine Berechtigung der untersuchten These eingeht, ist bereits eine nicht unerhebliche Einschränkung zu machen. Die Aussage, dass existenzbedrohende Risiken stets zu vermeiden seien, kollidiert mit der Motivation, aus der heraus Kapitalgesellschaften gegründet werden und wegen derer der Gesetzgeber die Gesellschaften mit beschränkter Haftung zulässt, obwohl damit zwangsläufig eine Benachteiligung der Gläubiger in Gestalt von Insolvenzausfällen verbunden ist. Denn anerkanntermaßen bezieht die beschränkte Haftung ihre Legitimation zum einen aus der Trennung von Eigentum und Kontrolle, die eine persönliche Haftung der Eigentümer-Aktionäre als nicht zumutbar (und auch als ökonomisch nicht sinnvoll) erscheinen lässt 11. Dieses Motiv des Gesetzgebers ist bei der Publikumsgesellschaft das dominierende. Zum anderen legitimiert sich die Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung aber auch aus der Überwindung von Risikoaversion seitens der Gesellschafter heraus 12. Sie wird vom Gesetzgeber zugelassen, weil die Befürchtung, im Falle eines Scheiterns des geschäftlichen Projekts das Privatvermögen zu riskieren, Gründer von Schritten in die Selbständigkeit abhalten könnte. In der Überwindung dieser Hemmung wird ein Beitrag zu mehr wirtschaftlicher Innovation gesehen, und der Gesetzgeber geht davon aus, dass deren gesamtwirtschaftliche Vorteile die Nachteile der Gläubiger übertreffen 13. Wenn diese Betrachtung zutrifft, dann muss es aber der neu gegründeten Gesellschaft immanent sein, dass ihr existenzbedrohende Risiken innewohnen und dass diese sich in nicht wenigen Fällen auch verwirklichen. Beispiele dafür gibt es auch für die Rechtsform der AG aus der Zeit um das Jahr 2000

9 Zum Aspekt der hinreichenden Entscheidungsvorbereitung Fleischer, in Spindler/ Stilz, AktG, § 93 Rn. 69 f.; Hopt, in Großkomm. AktG, § 93 Rn. 84; Mertens/Cahn, in KölnKomm. AktG, § 93 Rn. 32 ff.; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 231. 10 Vgl. Hopt, in Großkomm. AktG, § 93 Rn. 132 ff.; Mertens/Cahn, in KölnKomm. AktG, § 93 Rn. 82. 11 J. Meyer Haftungsbeschränkung im Recht der Handelsgesellschaften, S. 427 f. 12 Oechelhäuser, in Verein zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen von Handel und Gewerbe (Hrsg.) Die Erweiterung des Handelsrechts durch Einführung neuer Gesellschaftsformen, Berlin, 1891, S. 51, 53; Fock, in Spindler/Stilz, AktG, § 1 Rn. 37; J. Meyer, Fn. 11, S. 291; Kölbl, BB 2009, 1194; Benecke, BB 2003, 1190, 1192. 13 Skeptisch J. Meyer, Fn. 11, S. 958, 964, 1104 ff.; vgl. auch K. Schmidt, GesR, 4. Auflage, S. 991 f.

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herum vielfältig: So kann es sein, dass sich das Geschäftsmodell der Gesellschaft schlicht als nicht tragfähig erweist, weil sich weniger Nutzer als erwartet für die angebotene Dienstleistung interessieren; daran scheiterte die Idee des „sozialen Einkaufens“ 14. Ebenso kann es sein, dass eine an sich tragfähige Idee bald nach der Gründung technologisch überholt wird, wie es manchen Betreibern von Internet-Suchmaschinen nach dem Markteintritt von Google ergangen ist. Und schließlich kann es sein, dass es einem Unternehmen nicht gelingt, den Markt schnell genug zu durchdringen, um vor Konkurrenten die kritische Größe zu erreichen, die notwenig ist, um sich auf Dauer zu behaupten – bei Anbietern von Online-Auktionen hat dieser Ausleseprozess in besonders deutlicher Form stattgefunden. In jedem der genannten Beispielsfälle hat sich das existenzbedrohende Risiko verwirklicht, sofern es der betroffenen Gesellschaft nicht noch gelang, billig unter das Dach eines Konkurrenten zu schlüpfen. Trotzdem ist man nicht geneigt, den beteiligten Vorständen deswegen Vorwürfe zu machen, weil es sich gerade um das Risiko gehandelt hat, das der Unternehmensgründung immanent ist und das vom Gesetz gleichwohl akzeptiert wird, weil diese Akzeptanz nötig ist, um die Risikoaversion der Gründer zu überwinden. Folglich kann auch ein Vorstand nicht rechtwidrig handeln, wenn er an der Umsetzung eines solchen Konzepts mitwirkt. Eine Bestandssicherung kann man von Vorständen daher nur dann verlangen, wenn es bereits einen Bestand gibt, der gesichert werden kann15. Vorher kann unter dem Gesichtspunkt der Sorgfaltspflicht nach § 93 AktG nicht mehr gefordert werden als eine realistische Planung, die sich etwa in hinreichender Markterforschung und einer regelgerechten und dokumentierten Finanzplanung ausdrückt 16. In der Gründungsphase limitieren also nicht absolut einzuhaltende Grenzen die Entscheidungsinhalte des Managements, sondern die Pflicht besteht in der Einhaltung von Verfahrensanforderungen bei der Entscheidungsvorbereitung. Damit ist ein weiteres Problem aufgeworfen: Erkennt man die hier diskutierte Ausnahme an, woran kaum ein Weg vorbeiführt, müssten die Vertreter der absoluten Risikogrenze einen Zeitpunkt definieren, von dem an die Aus14 Z.B. die Gemeinschafts-Shopping-Plattform Letsbuyit.com, deren Idee des „sozialen Einkaufens“ an der mangelnden Nutzerakzeptanz scheiterte. 15 So auch Semler, FS Ulmer, 2003, 627, 635; Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung und unternehmerisches Ermessen, 2000, S. 247 f.; Redeke, ZIP 2010, 159, 160. 16 Selbst unter Aspekten des Gläubigerschutzes ist es insoweit erwägenswert, neu gegründeten Unternehmen eine „Warmlaufphase“ zuzubilligen, in der sie auch bei ungünstigem Geschäftsverlauf nicht zum Marktaustritt gezwungen sind; so etwa unter dem Gesichtspunkt des wrongful trading nach englischem Recht Re Purpoint Ltd. (1991), BCLC 491, 498; näher dazu Bachner, 5 EBOR (2004), 293, 301 ff. Eine Übernahme dieser Rechtsprechung in die Interpretation der Fortführungsprognose nach § 19 InsO n.F. erscheint erwägenswert.

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nahme nicht mehr gilt, d.h. ab dem das fragliche Unternehmen dem Gründungsstadium entwachsen ist. Das ist bisher noch nicht einmal in Ansätzen versucht worden und dürfte auch kaum trennscharf erfolgen können.

IV. Die Bedeutung des Gesellschaftereinflusses 1. Bedeutung der Gesellschafter-Zustimmung Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. In den neu gegründeten Gesellschaften ist typischerweise die Trennung von Eigentum und Kontrolle noch schwach ausgeprägt und der Einfluss der Gründer-Gesellschafter hoch. Das zu verfolgende geschäftliche Projekt geben sie dem Vorstand durch die Formulierung des Unternehmensgegenstandes vor, und in nicht wenigen Fällen sind die Gründer, oder zumindest ein Teil von ihnen, zugleich auch als Vorstände in die Leitung der AG direkt eingebunden. In personalistischen Gesellschaftsstrukturen wird das Ausmaß der einzugehenden Risiken aber nicht von autonom handelnden Vorständen, sondern maßgeblich von den Gesellschaftern, bestimmt. Besonders deutlich ist das in der gesetzestypischen Personengesellschaft; hier können die persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie sich einig sind, auch besonders riskante oder unvernünftige Unternehmungen eingehen 17. Der Grundsatz der Einstimmigkeit sowie die persönliche Haftung genügen als Korrektiv gegen unvernünftiges Wirtschaften, auch soweit Gläubigerinteressen betroffen sind 18. In der GmbH ist die Rechtslage ebenfalls grundlegend anders als in der AG. Zwar sind § 43 Abs. 1 GmbHG und § 93 Abs. 1 AktG im Gesetzestext fast wortlautidentisch, aber ein beachtlicher Unterschied ergibt sich aus der Rolle der Gesellschafter als Eigentümer. Aufgrund der in der deutschen GmbH besonders schwach ausgeprägten Trennung zwischen Eigentum und Kontrolle sind der oder die Geschäftsführer nicht nur weisungsgebunden bis ins Tagesgeschäft hinein 19, sondern bei Geschäften von herausragender Bedeutung auch verpflichtet, die Frage der Gesellschafterversammlung vorzulegen20. Die Gesellschafter können dann den Geschäftsführer anweisen, auch existenzbedrohende Risiken einzugehen. Eine Grenze ergibt sich erst bei

17 Zur Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht vgl. Habermeier, in Staudinger, BGB, 2009, § 705 Rn. 14, 18; Wiedemann, GesR, Band II, 2004, S. 130 ff.; Zöllner, FS 100 Jahre GmbHGesetz, 1992, S. 85, 100 ff. 18 J. Meyer, Fn. 11, S. 955 f.; vgl. auch Armbrüster, ZGR 2005, 34, 36. 19 U. H. Schneider, in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 37 Rn. 30; Paefgen, in Ulmer/ Habersack/Winter, GmbHG, § 37 Rn. 18; aA Wiedemann, GesR, Band I, S. 336. 20 U. H. Schneider, in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 37 Rn. 12; Paefgen, in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 37 Rn. 9; OLG Jena, NZG 2001, 86, 87.

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Gesetzesverstößen 21, was aber in Fällen der hier diskutierten Art nicht ernsthaft in Betracht kommt. Ansonsten zieht die Rechtsprechung die Grenze erst dort, wo es zu einem Eingriff des bzw. der Gesellschafter in die Vermögensmasse der Gesellschaft kommt 22. Ein solcher Eingriff setzt aber nach der gegenwärtigen Rechtsprechung voraus, dass ein Abzug von Mitteln erfolgt, während die Belastung der Gesellschaft mit einem Risiko dem BGH ausdrücklich nicht genügt 23. Ferner muss die Insolvenz der Gesellschaft von den Gesellschaftern billigend in Kauf genommen worden sein; das folgt aus dem (gegenwärtigen) dogmatischen Ansatz der Rechtsprechung bei § 826 BGB 24. Dafür genügt einen bloße Risikoüberspannung aber nicht. Insofern werden auch die Gesellschafter der GmbH in ihrer Freiheit zu törichten Entscheidungen geschützt. Zugleich geht, soweit keine gläubigerschützenden Vorschriften verletzt sind, die Entscheidung der Gesellschafter mit einer Haftungsfreiheit für die ausführenden Organe einher (§§ 43 III GmbHG, 93 IV AktG). Damit ist aus Sicht des Managements auch das Haftungssystem liberaler, soweit die Möglichkeit besteht, die Eigentümer einzuschalten. Die zu diskutierende Regel muss daher von vornherein eingeschränkt werden; sie lautet vollständig: Ein Unternehmensleiter darf nicht ohne Zustimmung der Eigentümer des Unternehmens Risiken eingehen, die im Falle ihrer Verwirklichung zur Insolvenz der Gesellschaft führen 25. Dies entspricht auch der Rechtslage im amerikanischen Recht, in dem die shareholder’s ratification entlastende Wirkung entfaltet 26. 2. Schutz der Minderheit Kommt es aufgrund des bezeichneten Mechanismus in der GmbH zu einer Entscheidung der Eigentümer, so ist zu fragen, ob diese Entscheidung Einstimmigkeit oder zumindest eine Passivität der Minderheit trotz Kenntnis

21 BGHZ 31, 258, 278; 76, 159; U. H. Schneider, in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 37 Rn. 50. 22 BGHZ 93, 146; 149, 10 – Bremer Vulkan; 151, 181 – KBV; 173, 246 – Trihotel; U. H. Schneider, in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 37 Rn. 52; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 ff. 23 BGH NZG 2005, 214; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 45; Vetter, BB 2007, 1965, 1966; Weller, ZIP 2007, 1681, 1684; aA für eine reine Risikobündelungs-GmbH OLG Düsseldorf v. 26.10.2006, 6 U 248/05, ZIP 2007, 227 ff.; dagegen allerdings wiederum BGHZ 176, 204 ff. – Gamma –. 24 BGHZ 173, 246, 259; Kölbl, BB 2009, 1194, 1197; krit. Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2659. 25 In diese Richtung auch Semler, FS Ulmer, 2003, 627, 635. 26 Wheelabrator Technologies Inc. Shareholders Litigation, Fed. Se. L.Rep. 95, 489 (Del. Ch. 1990), Smith v. van Gorkom, 488 A.2d 858 (Del. 1985).

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der Problemlage 27 voraussetzt. Sieht man in der Eingehung des übermäßig riskanten Geschäfts eine Handlung, die die Gesellschaft schädigt, so erschiene der Gesellschafterbeschluss, mit dem die Mehrheit den Geschäftsführer zu einem solchen Verhalten anweist oder ein solches Verhalten nachträglich billigt, als treuwidrig. Dann müssten alle Gesellschafter zustimmen oder zumindest durch ihr passives Verhalten in Kenntnis der Problemlage erkennen lassen, dass sie die Maßnahme billigen. 3. Gesellschaftereinfluss in der AG In der AG hingegen ist der Vorstand zunächst nach § 76 AktG allein zur Entscheidung berufen, sofern nicht ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 AktG eingreift. Eine Vorlagepflicht kennt das AG nicht, wohl aber eine Vorlagemöglichkeit: Nach § 119 Abs. 2 AktG kann der Vorstand in geschäftspolitischen Fragen die Entscheidung der Hauptversammlung einholen, wenn es ihm zweckmäßig erscheint. In diesem Fall könnte sich der Vorstand nach § 93 Abs. 4 AktG auf Haftungsfreiheit berufen, weil er in Befolgung eines Beschlusses der Hauptversammlung gehandelt hat; diese Befreiung gilt auch dann, wenn der Vorstand den fraglichen Beschluss durch Gebrauch der Vorlagemöglichkeit nach § 119 Abs. 2 AktG selbst herbeigeführt hat 28. Rein rechtlich ist daher in der AG mit kleinem Gesellschafterkreis die Möglichkeit gegeben, besonders riskante Geschäfte durch die Gesellschafter entscheiden zu lassen und damit Haftungsrisiken zu minimieren. Aus Sicht des Vorstands hat das freilich den Nachteil, dass die Vorlageentscheidung das Organisationsgefüge der AG durchbricht. Das erweckt bei den Aktionären Begehrlichkeiten nach einer Einbindung auch in andere geschäftspolitische Fragen, und kann zudem den Eindruck von Entscheidungsschwäche oder Ratlosigkeit des Vorstands verursachen. Damit kann eine Schwächung seines eigenen Standings im Unternehmen einhergehen, die der Vorstand nur in Ausnahmefällen riskieren wird. Nicht zuletzt aus diesen Gründen wird von der Möglichkeit des § 119 Abs. 2 AktG in der Praxis nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht 29. In der Publikumsgesellschaft ist der Weg über § 119 Abs. 2 AktG rechtlich auch gegeben, aber aus rein faktischen Gründen verschlossen. Die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung wäre aufwendig und in

27 Die Passivität der Minderheit trotz Information über das Vorliegen einer für die Gesellschaft nachteiligen Handlung des Geschäftsführers steht nach der Rechtsprechung des BGH einer wirksamen Gesellschafterweisung gleich und führt zur Enthaftung des Geschäftsführers, BGH ZIP 2003, 945, 946; näher Drygala, ZGR 2006, 587, 606 f. 28 BGH WM 1960, 804; Ballerstedt, ZHR 135, 508; Kubis, in MünchKomm. AktG., § 119 Rn. 29; Hoffmann, in Spindler/Stilz, AktG, § 119 Rn. 18; Hüffer, AktG, § 119 Rn. 15. 29 Wie hier auch Mülbert, in Großkomm. AktG, § 119 Rn. 47.

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zeitlicher Hinsicht schwerfällig. Zudem ist aus Sicht des Vorstands mehr als zweifelhaft, ob die Publikumsaktionäre die Frage, ob das Risiko eingegangen werden soll oder nicht, angesichts ihres geringen Geschäftsverständnisses überhaupt sachgerecht beurteilen können. Faktisch ist eine Gesellschafterentscheidung auch deshalb nicht wirksam zu erlangen, weil in der AG mit größerem Gesellschafterkreis eine einstimmige Entscheidung (bzw. auch nur ein Stillhalten der Minderheit im Sinne einer Nicht-Anfechtung 30) nicht realistisch erscheint. Es wäre damit zu rechnen, dass ein entsprechender Beschluss der Hauptversammlung angefochten und damit für den Vorstand jedenfalls nicht im Sinne des § 93 Abs. 4 AktG bindend 31 werden würde. Anhand dieser Überlegungen wird deutlich, dass der immer wieder bemühte Vergleich mit dem Gutsverwalter, der auch im MannesmannVerfahren 32 eine Rolle gespielt hat, zumindest problematisch, wenn nicht sogar direkt falsch ist: Denn der Gutsverwalter historischen Zuschnitts 33 hätte den Herrn Baron um Anweisung fragen können, der Vorstand muss allein entscheiden. Auch der fremdnützige Treuhänder, auf den hinsichtlich der Pflichtenlage des Vorstands immer wieder abgestellt wird 34 ist stärker als der Vorstand Weisungen des Treugebers unterworfen und in bestimmten Situationen sogar gehalten, die Weisung des Treugebers einzuholen 35. Gerade diese Pflicht hat der Vorstand der AG nach dem AktG 1965 betont nicht, wie sich an § 119 Abs. 2 AktG zeigt. Es handelt sich bei ihm um eine besondere Rechtsfigur des „angestellten Unternehmers“, die sich nur schlecht mit anderen Erscheinungsformen fremdnützigen Handelns vergleichen lässt. Dieser Zweispalt aus fremdnütziger Rolle einerseits und unternehmerischer Aufgabe andererseits bringt den Vorstand in die unangenehme Position, wie ein Unternehmer entscheiden zu müssen, ohne sich wie ein Unternehmer darauf berufen zu können, dass auch törichte oder schlecht vorbereitete Entscheidungen von seiner Privatautonomie gedeckt seien. 30 Nichtig wäre der Beschluss nicht, wenn der Vorstand ihn nach § 119 Abs. 2 selbst herbeigeführt hat, vgl. Hüffer, § 241 AktG Rn. 20. 31 Bei einem angefochtenen Gesellschafterbeschluss fällt die Verantwortlichkeit wieder an den Vorstand zurück, der die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage prüfen und danach entscheiden muss, ob er den Beschluss umsetzt oder den Ausgang des Verfahrens abwartet, näher dazu Mülbert, in Großkomm. AktG, § 119 Rn. 54; Hoffmann, in Spindler/Stilz, AktG, § 119 Rn. 20. 32 Vgl. BGH (3. Strafsenat), ZIP 2006, 72; zustimmend Binz/Sorg, BB 2006, Nr. 6, Die erste Seite; Säcker/Boesche, BB 2006, 897, 898; kritisch Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 130. 33 Der Frage, ob gerade die in wirtschaftlicher Hinsicht notorisch erfolglose Gutsverwaltung historischen Zuschnitts als Rollenmodell für die heutige AG taugt, soll dabei nicht nachgegangen werden. Vgl. zum Überschuldungsproblem in der Landwirtschaft in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg Norer Lebendiges Agrarrecht, 2005, S. 9 ff. 34 OLG Düsseldorf, AG 1997, 231; OLG Koblenz, ZIP 1991, 871 f. 35 Vgl. jeweils zur Treuhand Grundmann, Der Treuhandvertrag, insbesondere die werbende Treuhand, 1997; S. 389; Geibel, Treuhandrecht als Gesellschaftsrecht, 2008.

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Diese Lösung führt dazu, dass dem Vorstand der Publikums-AG, aber in gewissem Umfang auch der AG mit geschlossenem Gesellschafterkreis, kraft Rechtsform und Realstruktur der Gesellschaft Handlungsmöglichkeiten verschlossen werden, die der Geschäftsführer einer rechtlich anders verfassten Einheit hätte. Weil dem Vorstand die praktikable Möglichkeit fehlt, die Rückbindung an die Eigentümer zu suchen, muss er konservativer und mehr auf Bestandserhaltung gerichtet wirtschaften, als es der Leiter einer personalistischen Gesellschaft mit Rückendeckung der Eigentümer könnte – oder er muss bereit sein, wie seinerzeiten William Allen bei Boeing die Risiken gleichwohl einzugehen und im Fall ihrer Verwirklichung die Haftung zu tragen36. 4. Konzernrechtliche Ausweichlösungen Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma wäre die Konzernbildung. In manchen Fällen kann es sich anbieten, das existenzgefährdende Risiko in eine Tochter- oder Zweckgesellschaft auszulagern, die man im Notfall fallen lassen kann so wie es, um erneut ein Beispiel aus der Luftfahrt zu bemühen, die damalige Daimler-Benz AG mit ihrer Tochtergesellschaft Fokker NV getan hat 37. Aber die Tochter wird das Risiko finanziell häufig nur dann tragen können, wenn die Mutter die Risiken zumindest gegenüber verhandlungsstarken Gläubigern finanziell mit übernimmt. Dann aber würde sich an der Risikoexposition der Obergesellschaft im Ergebnis nichts ändern, und die mögliche Pflichtverletzung des Vorstands läge in der Übernahme der entsprechenden Verpflichtungen. Aus entscheidungspsychologischer Sicht hat diese Lösung zudem den Nachteil, dass die ausgelagerten Risiken nach der Entscheidungsfindung nur noch bedingt als eigene wahrgenommen und damit mental verdrängt werden 38; vor allem dann, wenn das Bilanzrecht in diesem Punkt seiner Aufgabe, dem Kaufmann auch eine Quelle der Selbstvergewisserung zu sein 39, dadurch verfehlt, dass es für die herrschende Ge-

36 Berechtigt ist zudem der Hinweis von Jungmann, FS K. Schmidt, 2009, S. 831, 850 f., dass die Maßstäbe für pflichtwidriges Verhalten in der GmbH und der AG unterschiedliche sein können: Wegen der Möglichkeit und der Pflicht des GmbH-Geschäftsführers zur Vorlage an die Gesellschafterversammlung benötigt dieser weniger Spielraum für die eigenverantwortliche Entscheidung als der Vorstand der Aktiengesellschaft. 37 Zu diesem Vorgang und möglichen haftungsrechtlichen Konsequenzen Lutter, GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 229 ff.; Rieckers, NZG 2007, 125 ff.; Broichmann/Burmeister, NZG 2006, 687 ff. 38 Vgl. Yuwei Shi, Today’s Solution and Tomorrow’s Problem, California Management Review Vol. 49 No. 3, 2007, S. 27 ff. Dies ließe sich neben dem Verdrängungseffekt auch mit dem sog. „Framing-Effekt“ begründen, weil der Referenzpunkt des Entscheidungsträgers verschoben ist: vgl. http://www.medpsych.uni-freiburg.de/skripts/entscheidung.pdf. 39 Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl., S. 306.

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sellschaft die außerbilanzielle Übernahme von Risiken zulässt 40. Dann kann die Risikoverlagerung in Tochter- oder Zweckgesellschaften dem Vorstand, noch mehr aber dem Aufsichtsrat, eine Sicherheit vorspiegeln, die tatsächlich nicht vorhanden ist. 5. Zwischenergebnis Bereits die bisherige Betrachtung hat gezeigt, dass Klaus Hopt in seiner Kommentierung zu § 93 AktG einen vernünftigen Ansatz verfolgt. Denn schon das Beispiel der neu gegründeten Gesellschaften zeigt, dass sich ein absolutes Verbot der Eingehung existenzgefährdender Risiken nicht halten lässt. Zudem ergeben sich erhebliche Friktionen aus der Tatsache, dass für Gesellschafter und Geschäftführer nicht die gleichen Regeln gelten. Das benachteiligt die Gesellschaften, die von autonom handelnden Geschäftsleitern geführt werden, in ihren wirtschaftlichen Handlungsspielräumen.

V. Gibt es das absolute Risiko? 1. Notwendigkeit der Ausblendung von Extremrisiken Bedenklich erscheint an der Lehre von der Pflicht zur Vermeidung existenzbedrohender Risiken vor allem, dass sie versucht, eine absolute Risikogrenze zu definieren, die auf keinen Fall überschritten werden darf, ohne dabei auf Wahrscheinlichkeiten einzugehen. Denn auf die schiere Größe des Risikos kann es eigentlich nicht ankommen. Sonst würden nämlich alle Vorstände pflichtwidrig handeln, sofern überhaupt ein Risiko eingegangen wird, das die Gesellschaft bei abstrakter Betrachtung existenziell bedroht 41. Wer also für sein Unternehmen einen Standort wählt, der sich in der seismischen Zone der San-Andreas-Spalte befindet, müsste dann per se pflichtwidrig handeln, denn die auf den „Untergang“ des Unternehmens bezogene Aussage Lutters 42 könnte sich an diesem Standort schließlich im mehr als übertragenen Sinne verwirklichen. Dass dennoch zahlreiche Unternehmen in diesem Raum tätig sind, liegt offensichtlich daran, dass sie die vorhandenen Risiken entweder als beherrschbar ansehen 43, oder aber der Ansicht sind, dass das (statistisch 40 Vgl. zu diesem Aspekt der Finanzkrise Begr. des Rechtsausschusses zum BilMoG, BT-Drucks. 16/12407, S. 83 f.; Kümpel/Piel, DStR 2009, 1222 ff.; Ernst/Seidler, BB 2009, 766, 768; Schön/Cortez, IRZ 2009, 11 ff. 41 Wie hier auch Oltmanns, Fn. 15, 2000, S. 244; Rittner, JZ 1980, 113, 115; Redeke, ZIP 2010, 159, 160; zur GmbH Drygala, in Oppenländer/Trölitzsch, Hdb. GmbH-GF, 2004, § 41, Rn. 47. 42 Lutter, ZIP 2009, 197, 199. 43 Das dürfte vor allem für die EDV-Unternehmen im Silicon Valley zutreffen, für die die zerstörungsgefährdete Unternehmenssubstanz keinen wichtigen Produktionsfaktor

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geringe) Zerstörungsrisiko durch andere (z.B. logistische, netzwerkbedingte oder schlicht pfadabhängige) Faktoren des Standorts überwogen wird. Diese Sichtweise, dass existenzbedrohende Risiken eingegangen werden dürfen, wenn sie identifizierbar und aufgrund ihrer Seltenheit beherrschbar erscheinen, wird auch gestützt durch § 91 Abs. 2 AktG. Denn die Norm wäre überflüssig, wenn die Gesellschaft stets so geführt werden müsste, dass existenzbedrohende Entwicklungen gar nicht eintreten können. Zudem ist ein Vorschlag, der darauf zielte, die hier diskutierte These von der Pflicht zur Risikovermeidung im Gesetz festzuschreiben, schon im Vorfeld der Beratungen zur Einführung des § 91 Abs. 2 AktG verworfen worden 44. Bezieht man also vernünftigerweise die Wahrscheinlichkeit mit ein, müssen aber extrem unwahrscheinliche Risiken auch dann rechtmäßiger Weise eingegangen werden können, wenn sie bei Verwirklichung in die Insolvenz führen (z.B. extreme Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen, Krieg). Das gilt vor allem für Risiken, die der Beherrschung durch die Wirtschaftsteilnehmer entzogen sind und insofern dem allgemeinen Lebensrisiko der natürlichen Personen nahe stehen. Die Vermeidung dieser Risiken kann man von einem Vorstand nicht verlangen. 2. Abgrenzungsfragen Hat man sich aber erst einmal auf den Gedanken eingelassen, dass es eine absolute Pflicht zur Risikovermeidung nicht gibt, stellt sich unmittelbar die Frage nach der Bestimmung der Grenzen, bis zu denen ein existenzbedrohend großes, aber unwahrscheinliches Risiko noch rechtmäßigerweise eingegangen werden kann. Diese Bestimmung ist naturgemäß wesentlich schwieriger als die Formulierung einer absoluten Regel, zumal die Festlegung einer ziffernmäßig bestimmten „gegriffenen Größe“ für das maximale Ausmaß des erlaubten Risikos nicht möglich ist 45: Jeder Versuch in diese Richtung wäre rein willkürlich. a) Der Gang ins Casino Die ökonomische Betrachtung operiert an dieser Stelle mit dem Erwartungswert des Geschäfts, der sich aus der Multiplikation des Risikoumfangs mit der Eintrittswahrscheinlichkeit ergibt 46. Danach ist es dem Vorstand verdarstellt, während das wichtige Know-how durch Speicherung an einem ungefährdeten Ort in Sicherheit gebracht werden kann. 44 Dazu ausführlich Seibert, FS Bezzenberger, 2000, 427 ff., 438; Redeke, ZIP 2010, 159, 161 f.; gegen eine extensive Auslegung des § 91 AktG wohl auch Hommelhoff, FS Sandrock, 2000, 373 f.; vgl. auch Mülbert Funktionsauslagerung (Outsourcing) bei Kreditinstituten, S. 12 ff. 45 Allgemein zu „gegriffenen Größen in der aktienrechtlichen Spruchpraxis“: Fleischer, FS Canaris, 2007, S. 71 ff. 46 Vgl. Jungmann, FS Karsten Schmidt, 2009, S. 831, 839 f. m.w.N.

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wehrt, Geschäfte einzugehen, deren Erwartungswert erkennbar negativ ist, weil einer geringen Gewinnchance ein größeres Risiko gegenübersteht, etwa weil die Verlustwahrscheinlichkeit statistisch sicher nachgewiesen ist. Das trifft zu auf den viel zitierten Gang des Vorstands ins Casino 47, bei dem feststeht, dass die Chancen einseitig zugunsten der Bank verteilt sind, etwa beim Roulette im Verhältnis von 37 :35. Gleiches gilt für Fälle von Darlehensgewährung an erkennbar nicht kreditwürdige Personen48, denn auch hier ist absehbar, dass ein negativer Ausgang des Geschäfts ganz überwiegend wahrscheinlich ist. Bei Geschäfte, deren Erwartungswert negativ ist, weil bei einer kleinen Gewinnchance ein erhebliches Risiko gegenübersteht, verläuft zudem auch zu Recht die Grenze zur Strafbarkeit wegen Untreue 49. b) Bedeutung des Shareholder Value Beide bisher behandelten Fälle sind aber selten. Die meisten geschäftlichen Risiken, die die Gesellschaft existenziell bedrohen könnten, sind auf der einen Seite nicht so extrem unwahrscheinlich, dass sie, wie unter 1) beschrieben, vernachlässigenswert erscheinen, noch ist bei ihnen, wie unter 2a) beschrieben, auf der anderen Seite der negative Erwartungswert des Geschäfts von vornherein feststehend 50. Vor allem ist es kurzsichtig, allein aus dem 47 Vgl. Hertig/Kanda, in Kraakman/Davis/Hansmann The Anatomy of Corporate Law, 2004, 71, 73 f.; Adams Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 1991 S. 37; Roth, NZG 2003, 1081, 1083; Fleischer, ZGR 2004, 437, 446 f. Lutter, BB 2009, 786; ders., ZIP 2009, 197; vgl. auch Sinn, Casino-Kapitalismus, 2009, 82 ff. 48 Vgl. Mertens/Cahn, in KölnKomm. AktG, § 93 Rn. 86 ff.; Hopt, in GK-AktG, § 93 Rn. 96 f.; Landwehrmann, Heidel, § 93 AktG Rn. 63. 49 Für den Gleichlauf von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Pflichtverletzung: BGH, Urt. v. 22.11.2005 – 1 StR 571/04, NJW 2006, 453, 454 f.; m.w.N. Kutzner, NJW 2006, 3541; weiter einschränkend noch im subj. Tatbestand: Keul, DB 2007, 728 ff.; vgl. allgemein dazu: Brammsen, wistra 2009, 85 ff.; Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089 ff. 50 Wieweit dies auch auf die Finanzkrise und ihre Akteure zutrifft, ist gegenwärtig unsicher. Für Fahrlässigkeit in der Risikobewertung als Ursache Schön/Cortez, IRZ 2009, 11; Heise in Schäfer/Burghof/Johanning/Wagner/Rodt (Hrsg.) Risikomanagement und kapitalmarktorientierte Finanzierung, 2009, 43, 45 ff. (jeweils unter Berufung auf Informationsasymmetrie); für bewusstes Eingehen von Geschäften mit negativem Erwartungswert Bebchuk/Fried, Paying for Long-Term Performance (12/2009), Harvard Law and Economics Discussion Paper No. 658, http://ssrn.com/abstract=1535355; Bebchuk/Cohen/Spamann, The Wages of Failure: Executive Compensation at Bear Stearns and Lehman 2000–2008 (11/2009), Harvard Law and Economics Discussion Paper No. 657, http://ssrn.com/ abstract=1513522. Noch anders Sinn, Fn. 47, S. 83 ff., sowie ders. Risk Taking, Limited Liability, and the Banking Crisis, 2009, http://www.cesifo-group.de/portal/page/portal/ ifoHome/b-publ/b1book/90publindiv/_publsinn_reprints, der die wesentliche Ursache der Krise in der beschränkten Haftung der Aktionäre und ihres geringen Kapitaleinsatzes sieht. Die Frage ist haftungsrechtlich bedeutungslos, da Vorstände sowohl für Vorsatz als auch für Fahrlässigkeit haften. Rechtpolitisch ist sie aber extrem wichtig, denn eine Regulierung der Anreizsysteme in Richtung auf mehr langfristiges Denken (so Begr. des Rechtsausschusses VorstAG, BT-Drs. 16/13433, S. 1, 10 ff.; Begr. GesE, BT-Drucks. 16/12278, S. 5 ff.) würde fehlgehen, wenn der Ursache der Krise nicht in bewusster Risikoüberspannung durch das

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ungewissen Ausgang auf einen Wett- oder Spielcharakter des Geschäfts zu schließen, weil auch bei Geschäften mit unsicherem Ausgang ein von vornherein negativer Erwartungswert nicht unterstellt werden kann, sondern positiv festgestellt werden muss. Unhaltbar ist daher insbesondere die Aussage, die Investition in Finanzderivate sei für einen Vorstand per se pflichtwidrig 51. Damit stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn das Geschäft zwar insgesamt einen positiven Erwartungswert hat, das darin enthaltene existenzbedrohende Risiko aber entweder eine Eintrittswahrscheinlichkeit hat, die eine Vernachlässigung nicht zulässt, oder aber die Eintrittswahrscheinlichkeit des existenzbedrohenden Risikos nicht hinreichend sicher prognostiziert werden kann. In diesen Bereich gehörte der einleitend geschilderte BoeingFall. Da die 25 Festbestellungen von Pan Am nicht ausreichten, um die Kosten auch nur annähernd zu amortisieren und ein Totalverlust die Gesellschaft mutmaßlich ruiniert hätte, hätte der Vorstand ohne weiteres nur handeln können, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos vernachlässigenswert gering gewesen wäre. Das kann man aber hier aufgrund der Unsicherheiten der Entwicklung und der Marktlage gerade nicht annehmen. Auch dürfte es schwierig gewesen sein, in einer solchen Lage die Entwicklungsrisiken so verlässlich zu prognostizieren, dass ein Desaster mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden konnte. In einer solchen Lage würde es die Vorsicht gebieten, auf das Geschäft zu verzichten, auch wenn die Gewinnaussichten beträchtlich sind. Das würde zweifellos der Verhaltensweise eines vorsichtigen Gutverwalters entsprechen, hätte aber den Nachteil, dass die vorhandene Gewinnchance nicht genützt würde. Ein weiterer Nachteil läge darin, dass eine AG, zumindest eine solche mit weit gestreutem Aktionärskreis, sich im Verkehr anders, nämlich vorsichtiger, verhalten müsste, als eine Gesellschaft anderer Rechtsform das könnte. Denn mit Zustimmung der Gesellschafter wäre das Geschäft ja möglich. Das kann man positiv sehen, weil in der großen börsennotierten AG auch mehr Werte auf dem Spiel stehen und im Zweifel auch mehr Drittinteressen in Gestalt von Arbeitnehmer- und Gläubigerinteressen berührt sind. Das klingt in Zeiten der Krise nicht unplausibel, birgt aber die Gefahr, unter dem Eindruck der Krise die Risikovermeidung zu sehr zu betonen und die Chancenrealisierung zu wenig zu beachten. Langfristig wäre das kein Erfolgsrezept. Um diesem Problem vorzubeugen, könnte man darauf abstellen, wie die Aktionäre mutmaßlich entscheiden würden, wenn es möglich wäre, sie zu fragen. Das wäre eine Regel, die auf das Aktionärsinteresse abzielt. Das wird von den Vertretern der ökonomischen Analyse angenommen: Das AktionärsManagement, sondern in fehlender Produkttransparenz und Selbstüberschätzung der Akteure (unter Einschluss der Investoren) lag. 51 So aber OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28 ff.

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interesse gebietet es danach, Geschäftschancen wahrzunehmen, deren Erwartungswert positiv sei 52. Eine Einschränkung für existenzbedrohende Risiken wird dabei nicht vorgenommen. Die ökonomisch argumentierende Literatur verweist insoweit auf den Umstand, dass die Aktionäre das Risiko eines Totalverlustes des eingesetzten Kapitals bereits dadurch steuern können, dass sie diversifiziert anlegen 53, also in der Regel Aktien von mehr als einer Gesellschaft besitzen. Damit wirkt sich das gesellschaftsimmanente, also durch die Geschäftstätigkeit der betreffenden AG bezogene Risiko nur begrenzt auf ihre Gesamtrendite aus. Nimmt man diesen Ansatz ernst, dürfen rational handelnde Aktionäre auch keine Einwände dagegen haben, dass der Vorstand existenzbedrohende Risiken eingeht, wenn nur die Gewinnchancen entsprechend hoch sind 54. Denn eine mögliche Insolvenz trifft sie nur mit dem eingesetzten Kapital, das wiederum nur einen kleinen Teil des Gesamtportfolios ausmacht. Das deckt sich mit der tatsächlichen Beobachtung, dass eine Insolvenz der Gesellschaft, deren Aktien erworben wurden, von Aktionären zwar als bedauerlich angesehen, letztlich aber als ein mit der Aktienanlage verbundenes Risiko akzeptiert wird. c) Portfolio- Ansatz und Systemrelevanz Eine wichtige Einschränkung ist jedoch als Lehre aus der Finanzkrise auch auf der Basis dieses Ansatzes zu machen: Der Portfolio- Gedanke betrifft nur die Diversifikation des gesellschaftsimmanenten Risikos 55. Er versagt deshalb, wenn der Zusammenbruch der Beteiligungsgesellschaft die Diversifikation des Aktionärs aufhebt und dazu führt, dass auch die anderen Vermögenswerte des Portfolios in Mitleidenschaft gezogen werden. Denn löst die Insolvenz des einen von dem existenzbedrohenden Risiko betroffenen Unternehmens Kettenreaktionen in der gesamten Branche oder sogar im gesamten Aktienmarkt aus, so kann auch eine Diversifizierungsstrategie den Aktionär nicht vor Verlusten schützen. An der Eingehung solcher Risiken kann daher auch der rational handelnde diversifizierte Aktionär kein Interesse haben, eben weil der Eintritt des Risikos seine Strategie der Diversifikation zunichte macht. Hinzu kommen die volkswirtschaftlichen Nachteile, die bei einem Systemzusammenbruchs durch das erforderlich werdende Eingreifen des Staates ergeben und die nicht im Interesse der Aktienanleger 52 Vgl. Roth, Fn. 5, S. 109 f.; Weipert, Münch Hdb. GesR Bd. 1, 3. Aufl. 2009, § 56 Rn. 4; Fleischer, Vorstandsrecht, § 9 Rn. 23 ff.; zum Begriff der Geschäftschance m.w.N. Serg, DStR 2005, 1916; Greil, IStR 2009, 202. 53 Markowitz, Journal of Finance 07/1952, 77 ff.; m.w.N. Mülbert, ZGR 1997, 129, 135 f. 54 Das ist exakt das von Hopt postulierte Ergebnis, vgl. oben bei Fn. 1 55 Vgl. Mülbert, ZGR 1997, 129, 136; ders. Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe, Kapitalmarkt, S. 135.

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liegen, und zwar unabhängig davon, ob sie diversifiziert anlegen oder nicht. Insofern zeigen die Erfahrungen des Jahres 2008 deutlich die Grenzen auf, die dem Gedanken der Risikodiversifikation innewohnen. Aus ihnen kann man schlussfolgern, dass selbst dann, wenn man den oben angeführten rechtsökonomischen Ausgangspunkt trotz der Finanzkrise weiterhin akzeptiert, eine wichtige Einschränkung zu machen ist: Geschäftsleiter systemrelevanter Aktiengesellschaften müssen beachten, dass ihre Aktionäre kein Interesse an der Verwirklichung des Systemrisikos haben. Sie dürfen daher unabhängig von der Höhe möglicher Gewinne existenzbedrohende Risiken nur dann eingehen, wenn deren Eintrittswahrscheinlichkeit zum einen sicher bestimmt werden kann und sich dabei zum anderen als so extrem gering erweist, dass sie nicht über das allgemeine Lebensrisiko natürlicher Personen hinausgeht. Die dadurch bedingte Einschränkung ihrer Handlungsspielräume müssen sie als Preis für die Größe und öffentliche Bedeutung des Unternehmens hinnehmen 56. d) Beachtlichkeit von Drittinteressen Für die nicht systemrelevanten Unternehmen, und das ist die überwiegende Mehrheit der Aktiengesellschaften, erscheint der Portfolio-Gedanke aber weiterhin einleuchtend. Orientiert man sich daran, muss man den Vorstand konsequenter Weise auch bei einer Entscheidung für Geschäfte, mit denen ein existenzbedrohendes Risiko verbunden ist, für haftungsfrei halten, solange die prozeduralen Voraussetzungen des Business Judgement Rule (vor allem hinsichtlich der Informationsobliegenheit und des fehlenden Eigeninteresses) eingehalten sind und der Erwartungswert des Geschäfts trotz des darin enthaltenen existenzbedrohenden Risikos insgesamt positiv ist. Das wäre aber dann anders, wenn der Vorstand bei seiner Entscheidung auch Drittinteressen zu berücksichtigen hätte. aa) Gläubigerinteressen Denkbar wäre, das Verbot der Eingehung existenzbedrohender Risiken aus Gläubigerinteressen herzuleiten 57. Aber dieser Ansatz trägt als allgemeine Regel nicht, denn rechtlich relevante Gläubigerinteressen sind erst dann berührt, wenn sich die Gesellschaft bereits in einer Situation der materiellen Insolvenzreife befindet. Nur dann greift das Argument ein, dass eine Fortführung des Unternehmens nur noch auf Kosten der Gläubiger möglich 56 Für eine Einschränkung der Ermessensspielräume bei Banken und Versicherungen schon Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 172; aA aber Empt, KSzW 2010, 107, 109; Böttcher, NZG 2009, 1047, 1050 f. 57 Jungmann, FS K. Schmidt, 2009, 839; Spindler, in MünchKomm. AktG, § 93 Rn. 50; ähnlich auch Semler, FS Ulmer, 2003, 627, 635: Aktionäre und Gläubiger müssen zustimmen.

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wäre, weil das Eigenkapital der Gesellschafter bereits durch die eingetretenen Verluste aufgezehrt ist 58. Eben auf dieser Erwägung beruht die Annahme, dass dann die Geschäftsleiter in Insolvenznähe bei ihren Leitungsentscheidungen primär auf das Gläubigerinteresse Rücksicht zu nehmen hätten 59. Auf eine Situation, in der eine Insolvenz nur statistisch möglich, aber nicht einmal überwiegend wahrscheinlich ist, lässt sich das nicht übertragen, denn außerhalb der akuten Insolvenzgefahr gibt es eben keine rechtlich gesicherte Pflicht, das Unternehmen im Sinne der Gläubiger zu führen 60. Eine besondere Grenze der Risikobereitschaft lässt sich also aus Gläubigerinteressen erst dann entwickeln, wenn das Eigenkapital der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits überwiegend aufgezehrt ist. Dann kann sich das Risikogeschäft als pflichtwidrige Spekulation zu Lasten der Gläubiger darstellen. bb) Außerökonomische Abwägungskriterien Damit erweist sich, dass eine Pflicht, Insolvenzrisiken auch dann zu vermeiden, wenn der Erwartungswert des Geschäfts positiv ist, nur dann begründbar ist, wenn man die Orientierung am Unternehmensinteresse, die § 93 AktG vom Vorstand verlangt, nicht ausschließlich auf die Aktionärsinteressen bezieht. Damit ist die Frage nach dem Unterschied zwischen Aktionärsinteresse und dem Unternehmensinteresse angesprochen, wie es in Deutschland traditionell verstanden wird 61. An dieser Stelle wäre zunächst an das Gemeinwohlinteresse zu denken. Denn eine Insolvenz des Unternehmens betrifft neben den Aktionären auch die Allgemeinheit, vor allem aber auch die Arbeitnehmer. Gerade letztere haben ein im Vergleich zu den Aktionären deutlich gesteigertes Interesse am dauernden Fortbestand des Unternehmens, da sie weit mehr als die Aktionäre in ihrer wirtschaftlichen Lage vom Unternehmen abhängig sind und das Risiko auch nicht durch Diversifikation vermindern können. Aber abgesehen von systemrelevanten Unternehmen gibt es keinen anerkennenswerten Grund dafür, diese Interes58 Vgl. Jackson, The Logic and Limits of Bankruptcy Law, 1986, 205; C. W. Adams, 20 Hofstra Law Rev. (1991), 125 ff.; Lin, 46 Vand. Law Rev. (1993), 1485, 1500; Hertig/Kanda, Fn. 47, 71, 73 f.; Roth, NZG 2003, 1081, 1083; Fleischer, ZGR 2004, 437, 446 f.; Klöhn, ZGR 2008, 110, 122 ff. 59 Im englischen Recht anerkannt durch West Mercia Safetywear Ltd. Vs. Dodd (1988), BCLC 250, 252; Gwyer v. London Wharf Ltd. (2002), All ER (D) 226; näher dazu Redeker, Die Haftung für wrongful trading im englischen Recht, 2007, 175 ff. m.w.N.; im deutschen Recht findet dieser Gedanke Ausdruck im Zahlungsverbot des § 64 GmbHG, vgl. Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 678; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637, 651 ff. 60 Spindler, EBOR 7 (2007), 339, 349 f.; Veil, ZGR 2006, 374, 394 f. 61 Vgl. Ringleb, in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder-DCGK, 2. Aufl. 2008, Rn. 605 ff.; Fleischer Vorstandsrecht, § 1 Rn. 19–25, 33 sowie § 22 Rn. 108 ff. m.w.N.; Semler, in MünchKomm-AktG, 2. Aufl., § 161 Rn. 258; Redeke, ZIP 2010, 159, 164.

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sen im Rahmen der Abwägung nach §§ 76, 93 AktG stets für vorrangig zu erklären. Auch die Lehre vom Unternehmensinteresse verlangt nur, dass Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelange bei der Entscheidung mit berücksichtigt werden, nicht aber, dass diese den Entscheidungsprozess dominieren62. Zudem profitieren bei einem günstigen Ausgang des Geschäfts auch die an dieser Stelle betroffenen Interessengruppen, z.B. die Arbeitnehmer in Gestalt besserer Beschäftigungschancen und der Staat in Gestalt höherer Steuereinnahmen. Weiter haben in der deutschen AG die Arbeitnehmer typischerweise die Möglichkeit, ihre Interessen im Aufsichtsrat zur Geltung zu bringen, der bei Geschäften der hier diskutierten Art nach § 90 Abs. 1 Nr. 4 AktG an der Entscheidungsfindung zu beteiligen ist. Aus der Lehre vom Unternehmensinteresse lässt sich daher keine Grenze für Risikogeschäfte herleiten, die über die bisher bereits formulierte Aussage hinausgehen, dass der Erwartungswert des Geschäfts nicht erkennbar negativ sein darf. Aus der Pflicht, die Drittinteressen mit in die Entscheidung einzubeziehen, kann man aber ableiten, dass der Vorstand, der vor einer Entscheidung der hier diskutierten Art steht, das gesteigerte Risiko der Arbeitnehmer mit in den Abwägungsprozess einbeziehen und sich fragen muss, ob eine Entscheidung für das Geschäft auch unter diesem Gesichtspunkt vertretbar ist. Dem entspricht es, die Anforderungen an die Entscheidungsvorbereitung besonders hoch anzusetzen, wenn ein Geschäft von besonderer Tragweite in Rede steht. Deshalb muss der Vorstand bei einem Risikogeschäft das Ausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit besonders sorgfältig ermitteln und gegeneinander abwägen 63. Ergibt sich dabei ein positiver Erwartungswert des Geschäfts, ist der Vorstand berechtigt, den Interessen der diversifizierten Aktionäre an der Wahrnehmung der Chance den Vorrang vor den abweichenden Interessen der Arbeitnehmer einzuräumen. Eine solche Entscheidung mag riskant sein, „unverantwortlich“ im Sinne der ARAG-Entscheidung des BGH 64 ist sie nicht.

VI. Zusammenfassung 1. Die Aussage, der Vorstand einer AG dürfe keine Risiken eingehen, die bei ihrer Verwirklichung zur Insolvenz der AG führen würden, ist unzutreffend. Gegen ihre Richtigkeit spricht bereits die Tatsache, dass sie bei neu 62 Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986, S. 68; zust. Hopt, in GK-AktG, § 93 Rn. 87; Hecker, BB 2009, 1654 m.w.N. Sogar gegen die Einbeziehung weiterer Interessen (wie bspw. Arbeitnehmer etc.) vgl. Zöllner, AG 2003, 1 ff., 8; ferner Mülbert, ZGR 1997, 129, 147; wohl auch Henze, BB 2000, 209, 212. 63 Vgl. Mertens/Cahn, in KölnKomm. AktG, § 93 Rn. 86 f.; Roth, Fn. 5, S. 110; Spindler, in MünchKomm-AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rn. 50 ff.; Empt, KSzW 2010, 107, 110; weniger deutlich: Hopt, in GK-AktG, § 93 Rn. 87 f. 64 BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253.

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gegründeten Unternehmen nicht funktioniert. Die fragliche These ist zudem geeignet, die wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeit von börsennotierten Aktiengesellschaften im Vergleich zu Unternehmen anderer, stärker von den Eigentümern dominierter Rechtsform über Gebühr einzuschränken. 2. Eine Beurteilung von Risiken kann nicht losgelöst von der Wahrscheinlichkeit erfolgen, mit der das Risiko sich zu verwirklichen droht. Insofern lassen sich aber keine festen Grenzen festlegen, ab welcher Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos ein Geschäft unterbleiben muss. 3. Das Aktionärsinteresse gebietet es, Geschäfte wahrzunehmen, deren Erwartungswert insgesamt positiv ist. Das gilt auch dann, wenn in dem Geschäft ein existenzbedrohendes Risiko enthalten ist. Die Aktionäre können dem Totalverlustrisiko durch eine diversifizierte Anlagestrategie vorbeugen. 4. Drittinteressen gebieten nur zum Teil eine abweichende Betrachtung. Als Konsequenz aus der Finanzkrise ist von systemrelevanten Unternehmen eine risikoaverse Geschäftpolitik zu fordern; dies ergibt sich aus Gründen des Allgemeinwohls. Nur für diese Unternehmen trifft die Forderung, existenzbedrohende Risiken zu vermeiden, als generelle Regel zu. Ansonsten lässt sich aus den Arbeitnehmerinteressen nur ableiten, dass der Vorstand bei Risikogeschäften besondere Sorgfalt bei der Entscheidungsvorbereitung walten lassen und die Arbeitnehmerinteressen in den Abwägungsprozess bei der Entscheidung für oder gegen das Geschäft mit einbeziehen muss.

Unternehmensinsolvenz und Abschlussprüfung Werner F. Ebke I. Einleitung Die gegenwärtige Finanzmarktkrise stellt die Rechts- und Wirtschaftsordnung weltweit vor große Herausforderungen. In Deutschland hat die Wirtschaftskrise im Jahre 2009 die Zahl der Unternehmensinsolvenzen deutlich ansteigen lassen und zu einem Rekord bei den Insolvenzschäden geführt. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg nach Schätzungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im Jahre 2009 um 16 % auf 34.300 Fälle (Vorjahr: 29.580).1 Die Insolvenzschäden für die Volkswirtschaft belaufen sich für das Jahr 2009 auf 48,6 Mrd. Euro. Damit liegt das Schadensniveau um 19,6 Mrd. Euro oder 67,6 % über dem des Vorjahres (29,0 Mrd. Euro).2 Pro Unternehmensinsolvenz stehen nach Mitteilung von Creditreform durchschnittlich 1,1 Mio. Euro an Forderungen aus; die Gläubiger müssen den Großteil ihrer Forderungen abschreiben. Die Zahl der von der Insolvenz ihres Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer hat ebenfalls deutlich zugenommen. 521.000 Arbeitsplätze sind laut Creditreform bei insolventen Unternehmen bereits weggefallen oder in Gefahr, 2008 waren es 447.000.3 Stark betroffen von der Insolvenzwelle ist das verarbeitende Gewerbe; dort hat die Zahl der Unternehmenszusammenbrüche um 40 % auf 3.500 zugenommen (Vorjahr: 2.500). Dabei verzeichnete der Westen Deutschlands einen Anstieg der Insolvenzfälle um 46,0 %, im Osten beläuft sich der Zuwachs auf 14,6 %.4 Im Baugewerbe fiel der Anstieg auf Grund der staatlichen Konjunkturhilfen dagegen moderat aus. Nach 5.410 Betrieben im Jahre 2008 mussten im Jahre 2009 5.550 Bauunternehmen den Gang zum Insolvenzgericht antreten (plus 2,6 %). In der Dienstleistungsbranche mussten 17.780 Unternehmen (Vorjahr: 15.380) Insolvenz anmelden – ein Anstieg von 15,6 % gegenüber dem

1 http://www.dresdencreditreform.de/presse/wanalysen/inso_dtl/ana2009_16.html (Aufruf: 15.12.2009). Die tatsächlichen Zahlen liegen etwas niedriger als von Creditreform geschätzt. Siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, 2010, S. 7 ff. 2 http:/www.dresden-creditreform.de (Fn. 1). 3 Ebenda. 4 Ebenda.

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Vorjahr. Mit plus 18,8 % weist der Handel den zweithöchsten Zuwachs der vier Hauptwirtschaftsbereiche auf.5 Laut Creditreform kam es 2009 zu einer deutlichen Zunahme der Großinsolvenzen bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Mio. Euro. Die Zahl der insolventen Großunternehmen sei binnen eines Jahres von rund 60 Fällen im Vorjahr auf 200 Fälle gestiegen; die meisten Insolvenzen seien allerdings von mittelständischen Unternehmen angemeldet worden.6 In 77,2 % der insolventen Gesellschaften seien höchstens fünf Mitarbeiter beschäftigt gewesen.7 Die größte Insolvenz der vergangenen Jahrzehnte ist die des Handels- und Touristikkonzerns Arcandor. Ein Großteil der Versandhandelssparte mit dem Hauptgeschäft Quelle wurde bereits abgewickelt. Hoffnung gibt es noch für einige Karstadt-Warenhäuser. Zu den Großinsolvenzen 2009 zählen auch der Handelsdiscounter Woolworth, der Chiphersteller Qimonda und der Modekonzern Escada. Zudem gab es eine Reihe von Unternehmenszusammenbrüchen in der Automobilzuliefererindustrie. Diese Branche verzeichnete eine Verdreifachung der Insolvenzzahlen gegenüber dem Vorjahr. Die größten und bekanntesten Namen lauten Karmann, Edscha und Aksys.8 Die Insolvenz mittelgroßer und großer Unternehmen (vgl. § 267 Abs. 2 und 3 HGB) wirft im Hinblick auf die Abschlussprüfung solcher Unternehmen zahlreiche, zum Teil ungeklärte Rechtsfragen auf.9 Nach § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB müssen Kapitalgesellschaften, die nicht „kleine“ im Sinne des § 267 Abs. 1 HGB sind, ihren Jahresabschluss und ihren Lagebericht durch einen unabhängigen Abschlussprüfer prüfen lassen. Hat keine Prüfung stattgefunden, so kann der Jahresabschluss nicht festgestellt werden (§ 316 Abs. 1 Satz 2 HGB). § 264a Abs. 1 HGB, der durch Art. 1 Nr. 4 KapCoRiLiG in das Handelsgesetzbuch eingefügt wurde, erstreckt die Prüfungspflicht auf OHG und KG, bei denen nicht wenigstens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person (§ 264a Abs. 1 Nr. 1 HGB) oder eine OHG, KG oder andere Personengesellschaft mit einer natürlichen Person als persönlich haftendem Gesellschafter (§ 264a Abs. 1 Nr. 2 HGB) ist oder sich die Verbindung von Gesellschaften in dieser Art fortsetzt, soweit nicht die Befreiungsvorschrift des § 264b HGB eingreift.10 Neben den mittelgroßen 5

Ebenda. Ebenda. 7 Ebenda. 8 Ebenda. 9 Zu Einzelheiten der Publizität von Unternehmen in der Insolvenz aus Sicht einer Wirtschaftsauskunftei siehe Munsch, in Ebke/Möhlenkamp (Hrsg.), Rechnungslegung, Publizität und Wettbewerb, 2010, S. 143. 10 Zu den rechtspolitischen Hintergründen des KapCoRiLiG siehe Ebke, in Ebke/Luttermann/Siegel (Hrsg.), Internationale Rechnungslegungsstandards für börsenunabhängige Unternehmen?, 2007, S. 67, 89–90. 6

Unternehmensinsolvenz und Abschlussprüfung

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und großen Kapitalgesellschaften, den stets als große Kapitalgesellschaften geltenden kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften (§§ 264d, 267 Abs. 3 Satz 2 HGB) sowie den OHG und KG im Sinne des § 264a HGB sind eine Reihe von Unternehmen kraft ihrer Rechtsform, Größe oder Zugehörigkeit zu einem bestimmten Wirtschaftszweig zur Abschlussprüfung verpflichtet.11 Die Pflicht zur Prüfung des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts folgt aus § 316 Abs. 2 Satz 1 HGB. Hat keine Prüfung des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts stattgefunden, kann der Konzernabschluss nicht gebilligt werden (§ 316 Abs. 2 Satz 2 HGB). Der nachfolgende Beitrag, der Klaus J. Hopt in freundschaftlich-kollegialer Verbundenheit gewidmet ist, geht der Frage nach, welche Auswirkungen die Insolvenz einer prüfungspflichtigen Gesellschaft auf die Abschlussprüfung und den Abschlussprüfer hat. Zu diesem Zweck werden zunächst Inhalt und Bedeutung sowie die Zwecke der gesetzlichen Abschlussprüfung dargestellt. Auf der Grundlage dieser Darstellung werden die Folgen der Insolvenz des prüfungspflichtigen Unternehmens analysiert.

II. Abschlussprüfung Die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts durch externe, unabhängige Sachverständige soll sicherstellen, dass Jahresabschlüsse prüfungspflichtiger Gesellschaften mit den gesetzlichen Vorgaben über die Rechnungslegung und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung im Einklang stehen (vgl. § 317 Abs. 1 Satz 2 HGB). Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts durch den Abschlussprüfer erfüllt wichtige Kontroll-, Informations- und Beglaubigungsfunktionen.12 1. Kontroll-, Informations- und Beglaubigungsfunktion Die Prüfung durch den Abschlussprüfer dient den Kontroll- und Informations- und Beglaubigungsinteressen der zu prüfenden Gesellschaft und ihrer Organe. Abschlussprüfer erbringen mit ihrer Abschlussprüfung (§§ 316, 317 HGB), Berichterstattung (§ 321 HGB) und Bestätigung (§ 322 HGB) selbst etablierten Kapitalmarktunternehmen mit hoch differenzierten Buchführungs-, Rechnungslegungs- und internen Kontrollsystemen eine wichtige Dienstleistung. Denn die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts schafft auch unternehmensintern Klarheit über die Vermögens-, 11 Siehe dazu Ebke, in Münchener Kommentar zum HGB, Bd. 4, 2. Aufl. 2008, § 316 Rz. 9. 12 Siehe dazu näher Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 316 Rz. 24–28 m.w.N.; Graumann, Wirtschaftliches Prüfungswesen, 2007, S. 89–90.

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Finanz- und Ertragslage (§ 264 Abs. 2 Satz 1 HGB) und damit nicht zuletzt über die Leistung (performance) des Managements. Der – international weitgehend unbekannte, in Deutschland dagegen gesetzlich vorgeschriebene (§ 321 HGB) – Prüfungsbericht des Abschlussprüfers hat dabei die Aufgabe, mittels Dokumentation wesentlicher Prüfungsfeststellungen und Prüfungsergebnisse die Überwachung des Unternehmens durch die Aufsichtsorgane zu unterstützen.13 Die Abschlussprüfung ist also ein wichtiges Instrument der unternehmensinternen Unternehmens(leiter)kontrolle (corporate governance). Der geprüfte und festgestellte Jahresabschluss ist im Übrigen Grundlage für den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung (§ 174 Abs. 1 AktG; vgl. § 46 Nr. 1 GmbHG). Obgleich der Prüfer ausschließlich mit der prüfungspflichtigen Gesellschaft in vertraglichen Beziehungen steht (§ 318 Abs. 1 Satz 4 HGB) und seine Prüfungstätigkeit nur von dieser vergütet wird, dient die Abschlussprüfung nicht nur unternehmensinternen Zwecken. Die Abschlussprüfung hat vielmehr – ebenso wie ihr Substrat: die Rechnungslegung – auch gesellschaftsübergreifende Funktionen: Sie dient (auch) den Kontroll-, Informations- und Beglaubigungsinteressen derer, die der prüfungspflichtigen Gesellschaft Waren liefern, Dienstleistungen erbringen, Kredit gewähren (vgl. § 18 Satz 1 KWG), sich an ihr beteiligt haben oder beteiligen wollen, ferner den Arbeitnehmern und – wegen der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung gerade der mittelgroßen und großen Kapital- und Personengesellschaften (§ 267 Abs. 2 und 3 HGB) sowie der kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften (§§ 267 Abs. 3 Satz 2, 264d HGB) – auch der Volkswirtschaft, dem Staat (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) und der Allgemeinheit. Rechnungslegung, Abschlussprüfung und Publizität geprüfter Abschlüsse sind außerdem wesentliche Voraussetzungen für das Funktionieren des Kapitalmarktes, auf dem unter anderem die Güter Eigen- und Fremdkapital gehandelt werden und der ein wichtiger Baustein des Marktes für die externe Unternehmens(leiter)kontrolle (corporate governance) kapitalmarktorientierter Unternehmen ist (market for corporate control ).14 Dass aus der (auch) gesellschaftsübergreifenden Kontroll-, Informations- und Beglaubigungsfunktion der Abschlussprüfung nach geltendem Recht nicht automatisch eine Ersatzpflicht des Prüfers für sämtliche Schäden prüfungsvertragsfremder Personen folgt,15 steht der Annahme, dass die Abschlussprüfung (auch) 13 Als unternehmensinternes Informationsinstrument ist der Prüfungsbericht grundsätzlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt; der Prüfungsbericht ist daher nicht nach §§ 325 ff. HGB offenzulegen. Zur Offenlegung des Prüfungsberichts in besonderen Fällen (Insolvenz) vgl. § 321a HGB; siehe dazu unten sub III.8. 14 Zu Einzelheiten siehe Ebke, in FS Yamauchi, 2006, S. 105; Ebke in FS Buxbaum, 2000, S. 113. 15 Zu Einzelheiten der sog. Dritthaftung des gesetzlichen Abschlussprüfers siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 323 Rz. 85 ff.; Ebke, in Krieger/Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 2007, S. 349, 362–383.

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gesellschaftsübergreifende Zwecke verfolgt, nicht entgegen.16 Damit der Jahresabschluss und der Lagebericht und der Konzernabschluss nebst Konzernlagebericht die ihnen zugeteilten Aufgaben erfüllen können, müssen sie in formeller und materieller Hinsicht bestimmten Anforderungen genügen. Die Einhaltung der einschlägigen Regeln und Grundsätze wird seit der Notverordnung des Reichspräsidenten aus dem Jahre 1931 17 durch eine zwingend angeordnete Abschlussprüfung überwacht (§§ 316 ff. HGB) – und zwar durch öffentlich bestellte Wirtschaftsprüfer oder staatlich anerkannte Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die über eine wirksame Bescheinigung über die Teilnahme an einer Qualitätskontrolle nach § 57a WPO verfügen (§ 319 Abs. 1 Satz 1 und 3 HGB). Der Informationsfunktion der Abschlussprüfung gegenüber den gesetzlichen Vertretern der prüfungspflichtigen Gesellschaft sowie deren Aufsichtsgremien kommt der Prüfer in erster Linie mittels des schriftlichen Prüfungsberichts nach (§ 321 HGB), in dem er über Art und Umfang sowie das Ergebnis der Prüfung „mit der gebotenen Klarheit“ zu berichten hat (§ 321 Abs. 1 Satz 1 HGB). Hinzu kommt die sog. Rede- und Warnpflicht des Abschlussprüfers. Danach hat der Prüfer in seinem Prüfungsbericht über Tatsachen zu berichten, die den Bestand des Unternehmens oder des Konzerns gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können (§ 321 Abs. 1 Satz 3 HGB). § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB verpflichtet den Prüfer darüber hinaus, in seinem Bestätigungsvermerk auf Risiken, die den Fortbestand des Unternehmens oder eines Konzernunternehmens gefährden, „gesondert“ einzugehen. Die Beurteilung des Prüfungsergebnisses muss nach den Vorgaben des Gesetzgebers „allgemein verständlich und problemorientiert“ erfolgen (§ 322 Abs. 2 Satz 1 HGB). Der Bestätigungsvermerk, in dem das Ergebnis der Abschlussprüfung zusammenzufassen ist (§ 322 Abs. 1 Satz 1 HGB), ist ein unternehmensexternes Informationsinstrument. Er richtet sich – anders als der Prüfungsbericht – nicht nur an den Auftraggeber und dessen Organe, sondern auch an Gesellschafter, Anlageinteressenten, Warenund Geldkreditgeber, Unternehmenserwerber, Arbeitnehmer, Kapitalmarktteilnehmer und die interessierte Öffentlichkeit.18 In dem Bestätigungsvermerk manifestiert sich zugleich die Beglaubigungsfunktion der Abschlussprüfung. An den Bestätigungsvermerk knüpft sich – wie das OLG Düsseldorf betont 19 – das Vertrauen des Rechtsverkehrs.

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Ebke WPK-Mitt. 1998, 76, 77 Fn. 12. VO des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie vom 19.9.1931, RGBl. I S. 493. Art. VI der Verordnung fügte die Vorschriften über die Abschlussprüfung der Aktiengesellschaft als §§ 262a bis 262g in das HGB ein. 18 Vgl. KG AG 2001, 187, 188. 19 OLG Düsseldorf WM 1996, 1777, 1779. Vgl. Hellgart, Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 300. 17

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2. Vorgaben Anders als Informationsintermediäre (z.B. Rating-Unternehmen, Informationsdienste) selektieren Abschlussprüfer nicht in erster Linie unternehmens- und marktspezifische Daten, die sie dann mittels verschiedener Methoden zukunftsorientiert bewerten und in kompakter, anlegergerechter Form an den Kapitalmarkt weiterleiten. Abschlussprüfer haben nach den gesetzlichen Vorgaben vielmehr zu prüfen, ob der von dem Vorstand des Unternehmens aufgestellte und zu verantwortende Jahresabschluss nebst Lagebericht (vgl. § 322 Abs. 2 Satz 2 HGB) den gesetzlichen Vorschriften und sie ergänzenden Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung entspricht (§ 317 Abs. 1 Satz 2 HGB). Die Prüfung ist so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen die in § 317 Abs. 1 Satz 2 HGB aufgeführten Bestimmungen, die sich auf die Darstellung des sich nach § 264 Abs. 2 HGB ergebenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens wesentlich auswirken, bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden (§ 317 Abs. 1 Satz 3 HGB).20 Gegenstand der Prüfung sind insoweit in erster Linie vergangenheitsbezogene Vorgänge und Daten. Bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft ist im Rahmen der Prüfung außerdem zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 AktG obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und ob das danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann (§ 317 Abs. 4 HGB).21 § 317 Abs. 2 Satz 1 HGB verpflichtet den Abschlussprüfer darüber hinaus zu prüfen, ob der Lagebericht mit dem Jahresabschluss sowie mit den bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnissen des Abschlussprüfers im Einklang steht und ob der Lagebericht insgesamt eine zutreffende Vorstellung von der Lage des Unternehmens vermittelt.22 Dabei ist auch zu prüfen, ob die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung zutreffend dargestellt sind (§ 317 Abs. 2 Satz 2 HGB; die Erklärung zur Unternehmensführung nach § 289a HGB ist dagegen nicht in die Prüfung einzubeziehen, § 317 Abs. 2 Satz 3 HGB).23 Der Prüfer muss zu diesem Zweck auf der Grundlage der Angaben der Gesellschaft und der eigenen bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse eine genaue Analyse der Risikofaktoren und der positiven Erwartungen vor-

20 Vgl. LG München I ZIP 2008, 1123. Zur Bedeutung des Grundsatzes der Wesentlichkeit im Rahmen der Abschlussprüfung (audit materiality) siehe Mekat, Der Grundsatz der Wesentlichkeit in Rechnungslegung und Abschlussprüfung, 2009; Wolz, Wesentlichkeit im Rahmen der Abschlussprüfung, 2003. 21 Zu Einzelheiten der Dokumentation des Risikoüberwachungssystems siehe Theusinger/Liese NZG 2008, 289. 22 Zu Einzelheiten siehe Kirsch/Scheele WPg 2005, 1149. 23 Zu dem Hintergrund der Neuregelung siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 75.

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nehmen.24 Die Prüfung soll dadurch stärker an die Erwartungen der Öffentlichkeit angepasst werden. Die Hinzufügung des Wortes „Chancen“ durch das Bilanzrechtsreformgesetz von 2004 ändert freilich nichts an der Tatsache, dass der Prüfer nicht gefordert ist, bei prognostischen oder wertenden Angaben über den Fortbestand und die zukünftige Entwicklung des Unternehmens seine eigenen Prognosen und Wertungen an die Stelle der Prognosen und Wertungen des Vorstandes zu setzen.25 Es gilt vielmehr nach wie vor der Grundsatz, dass allein der Vorstand für die Darstellung der Lage des Unternehmens verantwortlich ist (vgl. § 322 Abs. 2 Satz 2 HGB) und der Prüfer die Vollständigkeit und Plausibilität der Darstellung zu prüfen hat.26 3. Ermittlungen Abschlussprüfer haben einen überlegenen Zugang zu wesentlichen Unternehmensinformationen (§ 320 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 HGB). Sie haben ein weitreichendes Recht auf Einsicht und Prüfung sowie umfangreiche Auskunftsrechte, und zwar schon vor Aufstellung des Jahresabschlusses durch den Vorstand und sogar gegenüber Mutter- und Tochterunternehmen (§ 320 Abs. 2 Satz 2 und 3 HGB) und auch gegenüber dem bisherigen Abschlussprüfer (§ 320 Abs. 4 HGB).27 Vor dem Abschlussprüfer gibt es keine Geheimnisse bezüglich der Gegenstände der Prüfung! Das erleichtert die Ermittlungen des Abschlussprüfers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.28 Wesentlich begrenzt wird der Umfang der jährlich stattfindenden Abschlussprüfung allerdings dadurch, dass angesichts des Zeitdrucks, des wachsenden Prüfungsstoffes sowie der gebotenen Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Abschlussprüfung selbst bei sachgerechter Vorbereitung der Prüfung und bei planmäßigem Vorgehen bei der Prüfung und selbst auf der Grundlage zusätzlicher Vor- oder Zwischenprüfungen eine lückenlose Prüfung nicht möglich ist. Stichproben (mit bewusster Auswahl bzw. Zufallsauswahl) der meisten Teilgebiete des Prüfungsgegenstandes (Prüffelder) sind daher unerlässlich und nach allgemeiner Ansicht auch zulässig.29 Dass die

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Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 41 Rz. 80. Es versteht sich von selbst, dass der Abschlussprüfer über ausreichende Kenntnisse über die Geschäftstätigkeit sowie das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des prüfungspflichtigen Unternehmens verfügen muss (vgl. IDW PS 230, WPg 2000, 842 mit redaktionellen Änderungen, WPg 2006, 218). 26 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 75; vgl. IDW PS 350.22, WPg 2006, 1293, 1296. 27 Zu dem Informationsrecht des neuen Abschlussprüfers gegenüber dem bisherigen Abschlussprüfer nach § 320 Abs. 4 HGB siehe Erchinger/Melcher DB 2009, 91, 94. 28 Zu dem Umfang der Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 42–69. 29 Zu Einzelheiten siehe etwa Jaspers StBp 2005, 319; Jaspers/Meinor WPg 2005, 1077. 25

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Sicherheit und Genauigkeit der Urteilsbildung seitens des Abschlussprüfers durch die Prüfung mittels Stichproben nicht leiden darf, versteht sich von selbst; denn das Gesetz verpflichtet den Prüfer zur gewissenhaften bzw. sorgfältigen und unparteiischen Prüfung (§§ 317 Abs. 1 Satz 3, 320 Abs. 2 Satz 1 und 3, 323 Abs. 1 Satz 1 HGB).30 Entsprechendes gilt für die Prüfungsintensität. Die Prüfungsstandards des IDW lassen daher – ebenso wie die internationalen und US-amerikanischen Prüfungsgrundsätze – Prüfungen mit wechselnden Prüfungsschwerpunkten ausdrücklich zu.31 Bei der richtigen Gewichtung der Prüfungshandlungen können die Existenz und die Effizienz unternehmensinterner Kontrollvorkehrungen wichtige Anhaltspunkte sein.32 Risiken bei der Informationsverarbeitung ergeben sich ferner daraus, dass der Abschlussprüfer und seine Gehilfen (Prüfungsteam) sich nicht von allen prüfungserheblichen Tatsachen unmittelbar durch eigene Wahrnehmung Kenntnisse verschaffen können. Eigene Bestandsaufnahmemaßnahmen, Saldenbestätigungen und Vollständigkeitserklärungen können die Gefahren fehlender Unmittelbarkeit allerdings nur teilweise wettmachen.33 4. Wertungen Wirtschaftsprüfer bringen durch ihre Ausbildung und Professionalisierung die fachlichen Fähigkeiten sowie die Erfahrung mit, die für eine gesetzeskonforme Abschlussprüfung erforderlich sind. Das zeigt sich sowohl bei den tatsächlichen Ermittlungen im Rahmen der Abschlussprüfung als auch bei den rechnungslegungsrechtlichen Bewertungen.34 Rechnungslegung ist keine Naturwissenschaft, sondern Kunsthandwerk auf höchstem Niveau („accounting is an art, not a science“). Rechnungslegungsregeln gewähren oftmals Spielräume, namentlich Ansatz- und Bewertungswahlrechte, die auszuüben Sache des Vorstands ist (vgl. § 322 Abs. 2 Satz 2 HGB). Der Abschlussprüfer muss prüfen, ob der Vorstand das ihm eingeräumte Ermessen „rechnungslegungsrechtlich einwandfrei“ ausgeübt hat; nicht einwandfreie Darstellungen in dem Jahresabschluss muss der Prüfer beanstanden.35 Entgegen landläufiger Ansicht darf der Abschlussprüfer den Jahresabschluss 30 Zu der Bedeutung der Begriffe „gewissenhaft“ und „sorgfältig“ siehe Gehringer, Abschlussprüfung, Gewissenhaftigkeit und Prüfungsstandards, 2002, S. 39–70; Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 323 Rz. 39–43. 31 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 47 m.w.N. 32 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 48 m.w.N; Schulze-Osterloh, in Baumbach/Hueck (Fn. 24), § 41 Rz. 77. Zu den Grundlagen und Ansätzen der Beurteilung der Wirksamkeit der internen Revision siehe Amling/Bantleon DStR 2008, 1300. 33 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 50–52 m.w.N. 34 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 53–69 m.w.N. 35 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 61.

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nicht selbst „in die Hand nehmen“ und seine Ermessensentscheidung an die Stelle des Ermessens des Vorstands des prüfungspflichtigen Unternehmens setzen. 5. Bestätigungsvermerk Bewegt sich der Vorstand mit seinen Entscheidungen innerhalb der von den Rechnungslegungsregeln gezogenen Grenzen und entspricht der Jahresabschluss auf Grund der bei der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse des Abschlussprüfers nach seiner Beurteilung auch sonst den gesetzlichen Vorschriften, hat der Prüfer den Abschluss uneingeschränkt zu bestätigen (§ 322 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 HGB). Überschreitet der Vorstand das ihm durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Satzung eingeräumte Ermessen oder sind sonstige Einwendungen zu erheben, hat der Prüfer den Jahresabschluss zu beanstanden und, sofern das Unternehmen keine oder keine hinreichenden Änderungen vornimmt, den Bestätigungsvermerk einzuschränken oder zu versagen (§ 322 Abs. 4 Satz 1 HGB). Der Bestätigungsvermerk ist auch dann zu versagen, wenn der Abschlussprüfer nach Ausschöpfung aller angemessenen Möglichkeiten zur Klärung des Sachverhalts nicht in der Lage ist, ein Prüfungsurteil abzugeben (§ 322 Abs. 5 HGB – sog. „disclaimer of opinion“).36 Durch die Möglichkeit der Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks erhalten Abschlussprüfer ein Instrument an die Hand, dessen Wirksamkeit im Hinblick auf die Herstellung wahrer und vollständiger Jahresabschlussinformationen für den Kapitalmarkt und andere Interessenten nicht unterschätzt werden sollte. 6. Unabhängigkeit Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der gesellschaftsübergreifenden Aufgabe des Abschlussprüfers sind seine Unabhängigkeit und Unbefangenheit.37 Kaum eine Profession unterliegt derart strengen Unabhängigkeitsund Befangenheitsregeln wie Wirtschaftsprüfer in der Funktion des gesetzlichen Abschlussprüfers.38 Mit Recht begreift der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer die Unabhängigkeit und die Unbefangenheit bei der Abschluss-

36

Zu Einzelheiten siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 322 Rz. 42–45; Förschle/Küster, in BeckBilKommHGB, 7. Aufl. 2010, § 322 Rz. 70–72; Schulze-Osterloh, in Baumbach/Hueck (Fn. 24), § 41 Rz. 156. 37 Ebke/Paal ZGR 2005, 895, 899. Zu Einzelheiten der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers siehe etwa Demme, Die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers nach deutschem, US-amerikanischem und internationalem Recht, 2003; K. Müller, Die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, 2006. 38 Ebke ZSR 119 (2000-II), 41, 75–85.

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prüfung als eine „Kardinaltugend“ jedes Berufsangehörigen.39 Bereits in den 80er Jahren wurde die These vertreten, dass strenge Unabhängigkeitsregeln notwendig sind, wenn Abschlussprüfer ihrer Aufgabe gerecht werden sollen.40 Außerdem wurde die Interdependenz von Unabhängigkeit und zivilrechtlicher Haftung des Prüfers herausgearbeitet.41 Der Gesetzgeber ist den daraus entwickelten Anforderungen an die Ausgestaltung des Rechts der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers zwanzig Jahre später im Bilanzrechtsreformgesetz gefolgt und hat diese Entwicklung im Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz aus dem Jahre 2009 noch einmal vertieft (§§ 319a, 319b HGB). Der Gesetzgeber verpflichtet den Abschlussprüfer neuerdings sogar, im Prüfungsbericht seine Unabhängigkeit ausdrücklich zu bestätigen (§ 321 Abs. 4a HGB). Durch die jüngsten Verschärfungen der Unabhängigkeitsregeln und die Konkretisierungen der Regeln über die Besorgnis der Befangenheit des Abschlussprüfers (§§ 318 Abs. 3 Satz 1, 319 Abs. 2 bis 5, 319a, § 319b HGB) hat insbesondere das Selbstprüfungsverbot, dessen Konturen in den Rechtssachen Allweiler,42 HypoVereinsbank 43 und K. of America 44 noch vergleichsweise großzügig gesehen wurden, an Bedeutung gewonnen.45 Neben der Verschärfung der Regeln über die Vereinbarkeit von Prüfung und Beratung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (§ 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB) 46 verdienen die Herabsetzung der Unabhängigkeitsgrenzwerte (§ 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB),47 die besonderen Mitwirkungsverbote (§ 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGB),48 die Einführung einer „Cooling off“-Periode nach erfolgter interner Rotation des Prüfers (§ 319a Abs. 1 Nr. 4 HGB) 49 sowie die Einführung der netzwerkweiten Prüferunabhängigkeit (§ 319b HGB) 50 besondere Erwähnung. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber im Rahmen des Bilanzrechtsreformgesetzes von 2004 die Unabhängigkeitsstandards für die

39

Siehe WP-Handbuch, Bd. I, 13. Aufl. 2006, Abschnitt A Rz. 284. Ebke, Wirtschaftsprüfer und Dritthaftung, 1983, S. 298 („… ,cornerstone‘ für eine wirksame, auch drittschutzbezogene Abschlussprüfung“). 41 Vgl. Ebke, Wirtschaftsprüfer (Fn. 40), S. 297–307; darauf aufbauend Doralt ÖBA 2006, 173. 42 BGHZ 135, 260. 43 BGHZ 153, 32. 44 BGH WM 2004, 1491 = BB 2004, 2009 mit Anm. Ekkenga = ZGR 2005, 894 mit Bspr.-Aufsatz Ebke/Paal. 45 Siehe dazu rechtsvergleichend Ebke, in Ferrarini/Hopt/Winter/Wymeersch (Hrsg.), Reforming Company and Takeover Law in Europe, 2004, S. 507, 520–532. 46 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 319a Rz. 13–19. 47 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 319a Rz. 10–12. 48 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 319a Rz. 21–23. 49 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 319a Rz. 34–39. 50 Petersen/Zwirner WPg 2008, 967, 970–971; Förschle/Schmidt, in BeckBilKommHGB (Fn. 36), § 319b Rz. 15–21. 40

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Prüfung kapitalmarktorientierter Unternehmen (§ 264d HGB) angehoben (siehe nur § 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Satz 4 und 5, Abs. 2 HGB).51 7. Kapitalmarkteffizienz Die individuellen Vorteile, die der Einsatz von Abschlussprüfern mit sich bringt, dienen bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften darüber hinaus dem Wohle des Kapitalmarktes insgesamt. Die gesetzlich vorgeschriebene Abschlussprüfung bündelt wichtige Informationsdienstleistungen, vermeidet unnötige Mehrfachproduktion gleichartiger Kapitalmarktinformationen und senkt dadurch Kosten, die Investoren zur Vorbereitung ihrer Anlageentscheidung aufwenden müssen. Durch geringere Kosten der Entscheidung und damit auch der Transparenz selbst steigt die Vertriebseffizienz des Marktes (sog. operationale Effizienz). Ein verbesserter Informationsstand des Anlegerpublikums trägt außerdem zu der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes bei. Zum einen verringert sich das Risiko der Negativauslese (adverse selection), die dann droht, wenn das Anlegerpublikum die Güte der angebotenen Wertpapiere nur unzureichend beurteilen kann; zum anderen verschafft der verbesserte Informationsstand des Anlegerpublikums den Beteiligungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt größere Beachtung und erhöht gleichzeitig die Transparenz der Risiken einer bestimmten Beteiligung. Die Informationen erlauben erst im Zusammenspiel der Marktkräfte eine Abwägung der Chancen und Risiken, infolgedessen das verfügbare Kapital dorthin fließt, wo der dringendste Bedarf an Investitionsmitteln die höchste Rendite (bei noch ausreichender Sicherheit) verspricht. Die optimale Zuordnung der Ressource Kapital, die allokative Effizienz, zählt zu den wichtigsten Kriterien funktionsfähiger Kapitalmärkte. Obwohl in den vorstehenden Erörterungen ökonomische Kosten- und Effizienzgesichtspunkte im Vordergrund standen, wäre es eine unzulässige Verkürzung, die Funktion des gesetzlichen Abschlussprüfers auf die „Beihilfe zur Effizienzsteigerung“ zu reduzieren. Gesetzliche Abschlussprüfer sind nicht Organ der prüfungspflichtigen Gesellschaft, sondern gesellschaftsexterne, unabhängige und sachverständige Vertragspartner der prüfungspflichtigen Gesellschaft mit gesetzlich umrissenen Kontroll-, Informationsund Beglaubigungsaufgaben.52 Diese Funktionen sind infolge der Trennung von Eigentum und Herrschaft in der modernen Kapitalgesellschaft und den sich daraus ergebenden potenziellen Konflikten zwischen Prinzipal und Agenten unerlässlich. Abschlussprüfer werden in der juristisch-ökonomischen

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Siehe dazu Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 319 Rz. 1–4. Die Einzelheiten sind streitig; zum Meinungsstand Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 316 Rz. 32–39. 52

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Literatur heute verbreitet als „Gatekeeper“ qualifiziert.53 Als solche haben Abschlussprüfer die Aufgabe, die wegen offensichtlicher Interessenkollisionen stets mit Unsicherheiten verbundenen Aussagen von Kapitalmarktunternehmen über ihre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage im Rahmen der gesetzlichen und sonstigen Vorgaben zu überprüfen und zu bestätigen. Wegen ihrer Unabhängigkeit, ihrer Sachkunde und ihrer Professionalisierung wird Wirtschaftsprüfern dabei eine besonders hohe Glaubwürdigkeit zugemessen. Dass die Erwartungen des Anlegerpublikums sich dabei nicht immer vollkommen decken mit den Aufgaben, die der Gesetzgeber dem Abschlussprüfer in den §§ 316 ff. HGB übertragen hat, steht auf einem anderen Blatt.54 Die Lücke zwischen der realen Leistungsfähigkeit des Prüfers und den Erwartungen der Anleger (expectations gap) zeigt sich in vielen Haftpflichtprozessen zwischen Kapitalgebern und Abschlussprüfern.

III. Insolvenz Die Insolvenz der prüfungspflichtigen Gesellschaft hat vielfältige Auswirkungen auf ihre Rechnungslegung sowie die Abschlussprüfung und den Abschlussprüfer. 1. Buchführung und Rechnungslegung Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleiben die handels- und steuerrechtlichen Pflichten zur Buchführung und Rechnungslegung unberührt (§ 155 Abs. 1 Satz 1 InsO). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt ein neues Geschäftsjahr (§ 155 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dadurch entstehen regelmäßig zwei so genannte Rumpfgeschäftsjahre: das Rumpfgeschäftsjahr bis zur Eröffnung des Verfahrens und das Rumpfgeschäftsjahr ab Eröffnung des Verfahrens bis zum Ende des regulären Geschäftsjahres.55 In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter die handelsrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten zu erfüllen (§ 155 Abs. 1 Satz 2 InsO). Danach ist der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des 53 Kraakman J. L. Econ. & Org. 2 (1986), 53; ders. Yale L.J. 93 (1984), 857; Coffee Gatekeepers: The Profession and Corporate Governance, 2006; ders., in Ferrarini/Hopt/Winter/ Wymeersch (Hrsg.), Reforming (Fn. 45), S. 455; ders. Bus.Law. 57 (2002), 1403; Cunningham U.C.L.A. L. Rev. 52 (2005), 413. 54 Zu der sog. „Erwartungslücke“ (expectations gap) siehe die Nachw. bei Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 66. 55 Die Dauer des Geschäftsjahres nach Eröffnung des Verfahrens ist umstritten; wie hier Dithmar in Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2007, § 155 Rz. 8; Klerx NZG 2003, 943, 944 Fn. 2 m.w.N. (auch der Gegenansicht); aA Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 655. Siehe auch Müller/Gelhausen, in FS Clausen, 1997, S. 687, 703.

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Insolvenzverfahrens verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen die Handelsgeschäfte und die Lage des Vermögens des Unternehmens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen (§ 238 Abs. 1 Satz 1 HGB) und einen Jahresabschluss aufzustellen (§ 242 Abs. 1 Satz 1 HGB). Die Buchführungs- und Rechnungslegungspflicht besteht auch dann, wenn die Buchführung oder Rechnungslegung der insolventen Gesellschaft schwer wiegende oder nicht behebbare Mängel aufweist; Buchführung und Rechnungslegung müssen dann ggf. neu und zutreffend erstellt werden.56 Das Fehlen einer aktuellen Buchhaltung entbindet den Verwalter ebenfalls nicht, diese zu Lasten der Masse aufzustellen und weiterzuführen.57 Die Buchführungspflicht erfasst auch den eingestellten Geschäftsbetrieb; hier müssen alle Abwicklungsgeschäfte und Abwicklungsvorfälle (z.B. Verkauf, Verschrottung, Verzicht, Uneinbringlichkeit von Forderungen) ordnungsgemäß gebucht und die Geschäftsjahre durch Jahresabschlüsse abgeschlossen werden.58 Bei der Bewertung der im Jahresabschluss ausgewiesenen Vermögensgegenstände und Schulden ist gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen (sog. going concernPrinzip), „sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen“. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine der going concern-Prämisse entgegenstehende rechtliche Gegebenheit, sofern nicht ein den Rechtsträger erhaltender, die Fortführung des Geschäftsbetriebs enthaltender Insolvenzplan beabsichtigt ist.59 In der Insolvenz dient die externe Rechnungslegung vornehmlich der Information Dritter, insbesondere (potenziellen) Erwerbern, (potenziellen) Waren- und Geldkreditgebern, Abnehmern sowie der Finanzverwaltung als Grundlage der laufenden Besteuerung (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG).60 2. Abschlussprüfungspflicht Aus § 155 Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO, der die Bestellung des Abschlussprüfers in dem Insolvenzverfahren regelt, folgt, dass in der Insolvenz der prü56

Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 4. Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 4; Haas, in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 41 Rz. 10. 58 Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 4. 59 Winkeljohann/Büssow, in BeckBilKommHGB (Fn. 36), § 252 Rz. 16; Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 7. Zu Einzelheiten der Rechnungslegung im Insolvenzverfahren siehe IDW RH HFA 1.010 „Bestandsaufnahme im Insolvenzverfahren“, FN-IDW 8/2008, S. 309 = WPg Supplement 3/2008, S. 37; IDW RH HFA 1.011 „Insolvenzspezifische Rechnungslegung im Insolvenzverfahren“, FN-IDW 8/2008, S. 321 = WPg Supplement 3/2008, S. 49; IDW RH HFA 1.012 „Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren“, FN-IDW 8/2008, S. 331 = WPg Supplement 3/2008, S. 59; siehe dazu Eisolt/Schmidt BB 2009, 654. 60 Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 654 (r. Sp.). 57

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fungspflichtigen Gesellschaft die Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts grundsätzlich fortgilt.61 Dem liegt die (zutreffende) Annahme zugrunde, dass die – oben erwähnte – Kontroll- und Informationsfunktion der Abschlussprüfung in der Insolvenz nicht entfällt, obgleich das Insolvenzgericht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine umfassende Aufsicht über den Insolvenzverwalter auszuüben hat (§ 58 Abs. 1 Satz 1 InsO). Diese Aufsicht kann und soll die Prüfung des Jahresabschlusses durch einen gesellschaftsexternen, unabhängigen und sachverständigen Wirtschaftsprüfer nicht ersetzen.62 Das Insolvenzgericht ist vielmehr bei seiner Aufsicht auf die Kontrolle durch den Abschlussprüfer angewiesen. § 66 Abs. 2 Satz 1 InsO, wonach das Insolvenzgericht die Schlussrechnung des Verwalters vor der Gläubigerversammlung prüfen muss, bestätigt die Auffassung; die Norm wäre überflüssig, wenn sich schon aus § 58 Abs. 1 InsO eine umfassende Pflicht des Insolvenzgerichts zur Prüfung der Buchführung und der Rechnungslegung ergäbe. Aus § 155 Abs. 3 InsO folgt ebenfalls, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein Bedürfnis besteht, den Jahresabschluss auch in der Insolvenz der Gesellschaft durch einen gesellschaftsexternen, unabhängigen und sachverständigen Abschlussprüfer prüfen zu lassen.63 Die Insolvenzordnung eröffnet nicht die Möglichkeit, die insolvente Gesellschaft von der Prüfungspflicht zu befreien. 3. Befreiungsmöglichkeit Allerdings bestimmen § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG bzw. § 71 Abs. 3 GmbHG, dass das Registergericht von der Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts durch einen Abschlussprüfer befreien kann, wenn die Verhältnisse der Gesellschaft so überschaubar sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger und der Gesellschafter nicht geboten erscheint. Die genannten Bestimmungen sind im Falle des Regelinsolvenzverfahrens (§§ 80 ff. InsO) allerdings nicht unmittelbar anwendbar. Das folgt aus § 264 Abs. 1 AktG und § 66 Abs. 1 GmbHG. Danach sind die Vorschriften über die Abwicklung der Aktiengesellschaft bzw. die Liquidation der GmbH nur anwendbar, wenn nicht über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Ob im Regelinsolvenzverfahren eine analoge Anwendung der genannten Vorschriften in Betracht kommt, ist in der Literatur

61

Einhellige Meinung; siehe statt aller Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 10. In diesem Sinne auch Jundt WPK Magazin 1/2007, 41, 42; Uhlenbruck, Insolvenzordnung Kommentar, 12. Aufl. 2003, § 58 Rz. 11; aA Kind/Frank/Heinrich NZI 2006, 205, 207; AG München ZIP 2004, 2110, 2111. 63 Der Verwalter ist auch bei seiner Überwachung der Erfüllung des Insolvenzplans (§§ 260 Abs. 1, 261 Abs. 1 Satz 1 InsO) auf den Abschlussprüfer angewiesen. 62

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heftig umstritten.64 Die Rechtsprechung verfolgt keine klare Linie.65 Richtigerweise wird man differenzieren müssen. § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG und § 71 Abs. 3 GmbHG regeln die Abschlussprüfung während der Abwicklung bzw. Liquidation. Für Zeiträume vor der Abwicklung bzw. Liquidation treffen sie keine Regelung. Eine analoge Erstreckung der Vorschriften auf Zeiträume vor der Abwicklung bzw. Liquidation verbietet sich schon mangels Regelungslücke: Der Gesetzgeber wollte mit den genannten Bestimmungen eine Ausnahme von der Prüfungspflicht für Zeiträume nach Eröffnung des Abwicklungs- bzw. Liquidationsverfahrens schaffen; für die Zeiträume vor Eröffnung des Abwicklungs- bzw. Liquidationsverfahrens bleibt es bei den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 316 ff. HGB. § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG und § 71 Abs. 3 GmbHG sind daher auf die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht analog anwendbar.66 Für die Zeiträume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird eine analoge Anwendung der Befreiungsvorschriften des § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG und § 71 Abs. 3 GmbHG dagegen mit Recht in Betracht gezogen.67 Die Interessenlage, die den erwähnten aktien- und GmbH-rechtlichen Vorschriften zugrunde liegt, ist mit der Interessenlage in der Insolvenz in der Tat durchaus vergleichbar. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in der Abwicklung bzw. Liquidation einer bis dahin prüfungspflichtigen Aktiengesellschaft bzw. GmbH die Prüfungszwecke (Kontrolle, Information, Beglaubigung) grundsätzlich fortbestehen, denn bei den genannten Bestimmungen handelt es sich um Vorschriften mit Ausnahmecharakter. Die Kontroll-, Informations- und Beglaubigungszwecke der Abschlussprüfung bestehen – mit gewissen Modifikationen – auch in der Insolvenz fort. Deshalb lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass die Befreiung einer Aktiengesellschaft bzw. GmbH von der Prüfungspflicht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in analoger Anwendung des § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG und des § 71 Abs. 3 GmbHG in Betracht kommt, falls „überschaubare Verhältnisse“ vorliegen, die eine ausnahmsweise Befreiung von der Pflicht zur Prüfung des Jahres-

64

Für eine weitgehende Befreiung z.B. Grashoff NZI 2008, 65, 68; Kind/Frank/Heinrich NZI 2006, 205, 206; Paulus EWiR 2005, 261; Pink ZIP 1997, 177, 185; Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 10; aA etwa Jundt WPK Magazin, 2007, 41, 41–43; Luttermann EWiR 2006, 116. 65 AG München ZIP 2004, 2110; OLG München NZI 2006, 108; teilweise abweichend OLG München NZG 2008, 229. 66 OLG München BB 2008, 886, 887; OLG München ZIP 2005, 2068; siehe auch Hess, in Hess, Großkommentar Insolvenzrecht, Bd. II, 2007, § 155 Rz. 200; aA Füchsl/Weishäupl, in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, Bd. 2, 2. Aufl. 2008, § 155 Rz. 21 (der Verwalter könne befreit werden, nicht hingegen der Schuldner). 67 Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 11; Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657; Haas, in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 57), § 41 Rz. 15.

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abschlusses rechtfertigen können.68 Die Ersteckung dieser Grundsätze auf die prüfungspflichtige OHG und KG ist möglich.69 Für die KGaA gilt Entsprechendes (§ 278 Abs. 3 AktG). Die Befreiungsmöglichkeit besteht auch für die Prüfung von Konzernabschlüssen.70 Wann die Verhältnisse in der Insolvenz der Gesellschaft „überschaubar“ sind, wird nicht einheitlich beurteilt. Einige Autoren vertreten die Auffassung, in der Insolvenz lägen überschaubare Verhältnisse fast immer vor.71 Nach Ansicht anderer Autoren liegen überschaubare Verhältnisse erst nach Einstellung des Geschäftsbetriebs vor.72 Nach einer noch restriktiveren Lehre soll eine Befreiung von der Prüfungspflicht nur zulässig sein, wenn der Geschäftsbetrieb eingestellt und der größte Teil der Vermögensgegenstände veräußert wurde.73 Die zuletzt genannte Auffassung verdient im Lichte der Zwecke der Abschlussprüfung Zustimmung. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs ist zwar eine Voraussetzung für die mögliche Befreiung von der Prüfungspflicht; sie reicht aber nicht aus, um die fortlaufenden Kontroll- und Informationsfunktionen der Abschlussprüfung zu verwirklichen, zumal das Insolvenzgericht allein nicht in der Lage sein dürfte, die nach Einstellung des Geschäftsbetriebs mit Liquidationswerten anzusetzenden Bilanzposten im Einzelnen zu überprüfen. Um seiner Aufsichtspflicht nach § 58 Abs. 1 Satz 1 InsO nachkommen zu können, bedarf das Insolvenzgericht im Allgemeinen der Kontrolle und Information durch den Abschlussprüfer. Die Kontrollund Informationsfunktionen der Abschlussprüfung bleiben deshalb insoweit auch nach Einstellung des Geschäftsbetriebs bestehen. Sind hingegen der Geschäftsbetrieb eingestellt und der größte Teil der Vermögensgegenstände des Schuldners veräußert worden, bestehen die Aktiva im Wesentlichen aus dem Anderkonto, die Passiva aus den zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderungen. In einer solchen Situation kann das Insolvenzgericht die Prüfung der einschlägigen Belege in vielen Fällen selbst vornehmen, sofern die Verhältnisse nicht unüberschaubare Ausmaße haben. Für den Befreiungsbeschluss ist indes nicht das Insolvenzgericht, sondern nach zutreffender Ansicht analog § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG das Registergericht zuständig (§ 145 Abs. 1 FGG).74 68 OLG München BB 2008, 886, 887; Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 11; Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657. 69 OLG München BB 2008, 886, 887 (für die GmbH & Co. KG); Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657 (für die GmbH & Co. KG); Kind/Frank/Heinrich NZI 2006, 205; Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 10 a.E. 70 Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657. 71 Kunz/Mundt DStR 1997, 664, 668. 72 Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657; Kind/Frank/Heinrich NZI 2006, 205, 206; Haas, in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 57), § 41 Rz. 15. 73 Pink ZIP 1997, 177, 185; i.E. ebenso Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657. 74 Dithmar, in Braun, InsO (Fn. 55), § 155 Rz. 10; Füchsl/Weishäupl, in MünchKommInsO (Fn. 66), § 155 Rz. 21; Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657; aA Kunz/Mundt DStR 1997,

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Im Insolvenzplanverfahren stellt sich die Lage wie folgt dar: Sobald die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist und das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens beschlossen hat, erlöschen die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 259 Abs. 1 Satz 1 InsO); der Schuldner erhält das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO). An der Auflösung der Gesellschaft ändert dies jedoch nichts, bis die Gesellschafter die Fortführung der Gesellschaft beschließen. Für den Abwicklungs- bzw. Liquidationszeitraum bestehen mithin die Befreiungsmöglichkeiten nach § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG, § 71 Abs. 3 GmbHG. Allerdings werden bei Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs im Allgemeinen keine „überschaubaren Verhältnisse“ vorliegen, die eine Befreiung von der Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts rechtfertigen können.75 4. Prüferbestellung Gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO entfällt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der prüfungspflichtigen Gesellschaft die Befugnis der Gesellschaftsorgane nach § 318 HGB zur Bestellung des Abschlussprüfers. Ab diesem Zeitpunkt ist der Abschlussprüfer nur noch auf Antrag des Insolvenzverwalters durch das Registergericht zu bestellen (§ 155 Abs. 3 Satz 1 InsO). § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO stellt allerdings ausdrücklich klar, dass die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Organe erfolgte Bestellung des Abschlussprüfers durch die nachfolgende Eröffnung des Insolvenzverfahrens in ihrer Wirksamkeit nicht berührt wird. Fraglich ist, was daraus für den Abschlussprüfer folgt. Grundlage für das Tätigwerden des Abschlussprüfers einer werbenden Gesellschaft ist seine Bestellung auf der Grundlage eines gesellschaftsrechtlichen Wahlbeschlusses des zuständigen Organs bzw. Gremiums (§ 318 Abs. 1 Satz 1 und 2 HGB), die Erteilung des schuldrechtlichen Prüfungsauftrages durch das zuständige Organ bzw. Gremium (§ 318 Abs. 1 Satz 4 HGB) und dessen Annahme durch den Prüfer durch Abschluss des schuldrechtlichen Prüfungsvertrages (vgl. § 318 Abs. 6 Satz 1 HGB).76 In der werbenden Aktiengesellschaft erfolgt die Bestellung des Abschlussprüfers gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG – auf Vorschlag des Aufsichtsrats

664, 668 (das Insolvenzgericht, wegen größerer Sachnähe). Gegen den Befreiungsbeschluss kann gemäß §§ 19 Abs. 2, 30 Abs. 1 Satz 1 FGG sofortige Beschwerde bei dem zuständigen Landgericht erhoben werden. Zu der Frage der Antragsberechtigung siehe Jundt WPK Magazin 1/2007, 41, 44. 75 Eisolt/Schmidt BB 2009, 654, 657; Grashoff NZI 2008, 65, 68. 76 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 1 und 22; OLG Naumburg vom 15.7.2003 – 1 U 9/03 (juris) (Rz. 38).

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(§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) 77 – durch Beschluss der Hauptversammlung 78 vor Ablauf des Geschäftsjahres, auf das sich seine Prüfungstätigkeit erstreckt (vgl. § 318 Abs. 1 Satz 3 HGB). Bei der KGaA erfolgt die Wahl des Abschlussprüfers ebenfalls durch die Hauptversammlung (vgl. § 285 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AktG). Die persönlich haftenden Gesellschafter haben allerdings bei der Beschlussfassung über die Wahl des Abschlussprüfers kein Stimmrecht und können es auch nicht für einen anderen ausüben (§ 285 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AktG). Das Stimmverbot kann durch die Satzung nicht ausgeschlossen werden. Dadurch soll eine Einflussnahme der den Jahresabschluss aufstellenden persönlich haftenden Gesellschafter (§ 283 Nr. 9 AktG) auf die Wahl des Abschlussprüfers verhindert werden. Bei der werbenden GmbH ist ebenfalls grundsätzlich die Gesellschafterversammlung für die Wahl des Abschlussprüfers zuständig (§ 318 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. HGB; §§ 46 Nr. 6, 48 Abs. 1 GmbHG); der Gesellschaftsvertrag kann aber etwas anderes bestimmen (§ 318 Abs. 1 Satz 2 HGB).79 Ist in dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt,80 wird der Abschlussprüfer durch die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit (§ 47 Abs. 1 GmbHG) gewählt. Gesellschafter-Geschäftsführer sind von dem Stimmrecht nicht ausgeschlossen; ein Stimmverbot entsprechend § 47 Abs. 4 GmbHG greift nicht ein, da die Abschlussprüfung keine Geschäftsführungsprüfung ist.81 5. Prüfungsauftrag Die Erteilung des Prüfungsauftrags erfolgt bei der werbenden Aktiengesellschaft seit 1998 gemäß § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG nicht mehr durch den Vorstand, sondern durch den Aufsichtsrat (vertreten durch seinen Vorsitzenden).82 § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG gilt für die GmbH entsprechend, wenn ein 77 Zu der Notwendigkeit einer solchen Regelung siehe Ebke, in Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Capital Markets and Company Law, 2003, S. 173, 183; siehe ferner Velte WPg 2009, 1229. 78 Das gilt, sofern keine Sonderregelungen eingreifen (z.B. § 341k Abs. 2 Satz 1 HGB für Versicherungsunternehmen oder § 30 Abs. 1 Satz 1 AktG für das erste Voll- bzw. Rumpfgeschäftsjahr). 79 Entsprechendes gilt für OHG und KG i.S.d. § 264a Abs. 1 HGB (vgl. § 318 Abs. 1 Satz 2 HGB). 80 Die Wahlzuständigkeit kann insbesondere einem Gesellschafter (aber in der Regel nicht einem Mehrheitsgesellschafter), einem fakultativen Aufsichtsrat, einem Beirat oder einem Gesellschafterausschuss übertragen werden (allg. Meinung), nicht hingegen – wegen offensichtlicher Interessenkollisionen – einem Geschäftsführer oder einem Geschäftsführerausschuss. Zu Einzelheiten siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 6. 81 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 6. 82 Der durch Art. 1 Nr. 12 KonTraG (BGBl. 1998 I S. 786) eingefügte § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG sollte Signalwirkung entfalten; der Gesetzgeber wollte vermeiden, dass mit der Auftragserteilung durch den Vorstand der „Eindruck einer zu großen Nähe des Prüfers zum Vorstand entstehen“ könnte (vgl. Dörner, in FS Röhricht, 2005, S. 809, 822). Denn, so

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Aufsichtsrat besteht (vgl. § 52 Abs. 1 GmbHG); ansonsten ist die Geschäftsführung zuständig (§ 35 GmbHG). Bei mitbestimmten GmbH ist stets der Aufsichtsrat zuständig. Bei der OHG und der KG im Sinne des § 264a Abs. 1 HGB schließen die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter den Prüfungsvertrag ab, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt. Die Qualifikation des schuldrechtlichen Rechtsverhältnisses zwischen der prüfungspflichtigen Gesellschaft und dem Abschlussprüfer ist nach wie vor umstritten: Teils wird er als Werkvertrag, teils als Dienstvertrag, teils als (atypischer) Geschäftsbesorgungsvertrag angesehen.83 Die Unterscheidung ist zivilrechtlich nicht überzubewerten, weil der Inhalt des Prüfungsauftrags im Wesentlichen gesetzlich vorgegeben ist; wo Unterschiede zum Tragen kommen könnten (z.B. Zuziehung von Hilfspersonen, Vertragsbeendigung, zivilrechtliche Haftung, Haftungsbegrenzungen), greifen §§ 318, 323 HGB als leges speciales ein. Die Qualifikation des Rechtsverhältnisses gewinnt aber in der Insolvenz der prüfungspflichtigen Gesellschaft Bedeutung. 6. Auswirkungen der Insolvenz Aus der gesetzlichen Unterscheidung zwischen gesellschaftsrechtlicher Bestellung und schuldrechtlicher Beauftragung folgt, dass auch bezüglich der Auswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen der gesellschaftsrechtlichen Bestellung und der schuldrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen der prüfungspflichtigen Gesellschaft und dem Abschlussprüfer zu unterscheiden ist. § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO stellt klar, dass die „Bestellung“ des Abschlussprüfers, also der korporationsrechtliche Bestellungsakt, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt wird. Das schuldrechtliche Rechtsverhältnis des Abschlussprüfers mit der prüfungspflichtigen Gesellschaft wird von dem Wortlaut des § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO („dieser Bestellung“) dagegen nicht erfasst. Das Schicksal dieses Rechtsverhältnisses hängt in der Insolvenz davon ab, wie es zivilrechtlich zu qualifizieren ist.84 Nach §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO erlöschen Werk- bzw. Dienstverträge, durch die sich jemand mit dem Schuldner verpflichtet hat, ein Geschäft für diesen zu besorgen,85 durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.86 Werkbemerkt Detlev Vagts aus rechtsvergleichender Sicht treffend, „[c]ynicism suggests that the watchdog is less apt to bark loudly if the hand that is found in the till is the hand that feeds it“ (Vagts Int.Enc.Comp.L. Ch. 12A, 1972, § 27[3], S. 25). 83 Zu Einzelheiten siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 23 m.w.N. 84 Zu den denkbaren Qualifikationen siehe oben bei Fn. 83. 85 Nach herrschender Meinung bedeutet Geschäftsbesorgung eine selbständige Tätigkeit wirtschaftlicher Art in fremdem Interesse, vgl. BGHZ 45, 223, 228. 86 Ott/Vuia, in MünchKommInsO (Fn. 66), § 116 Rz. 8; ausdrücklich für Verträge mit „Wirtschaftsprüfern“ Hess in Hess, GKInsR (Fn. 66), §§ 115, 116 Rz. 5; Andres, in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, 2006, § 116 Rz. 5 a.E.

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verträge, die keine Geschäftsbesorgung für den Schuldner zum Gegenstand haben,87 unterfallen hingegen dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO.88 Dienstverträge, die keine Geschäftsbesorgung für den Schuldner zum Gegenstand haben, unterfallen dagegen der Vorschrift des § 113 Abs. 1 InsO, sofern der Schuldner der Dienstberechtigte ist, mit der Folge, dass sie fortbestehen; sie können aber von dem Insolvenzverwalter und von dem anderen Teil ohne Vorliegen eines sonstigen Kündigungsgrundes unter verkürzten Fristen gekündigt werden.89 Unabhängig von der Qualifikationsfrage geht die herrschende Meinung mit Blick auf §§ 115, 116 InsO davon aus, dass mit der fortwirkenden Bestellung des Abschlussprüfers auch der schuldrechtliche Prüfungsauftrag weiter besteht. Begründet wird diese Ansicht damit, dass § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO als lex specialis die Regelungen der §§ 115, 116 InsO verdrängt.90 Demnach könnte der Prüfungsauftrag durch den Insolvenzverwalter entsprechend § 318 Abs. 1 Satz 5 HGB nur widerrufen werden,91 wenn nach § 318 Abs. 3 HGB ein anderer Prüfer durch das Registergericht bestellt worden ist.92 Zweck dieser Bestimmung ist es, die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers gegenüber der prüfungspflichtigen Gesellschaft zu stärken 93 und eine Abschlussprüferlosigkeit zu verhindern.94 Dagegen sollen §§ 115, 116 InsO sicherstellen, dass die Verwaltung der Insolvenzmasse allein in den Händen des Insolvenzverwalters liegt.95 Die Vertreter der Gegenansicht sehen denn auch für eine „erweiternde Auslegung“ des § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO keinen Bedarf.96 Das Erlöschen des Prüfungsauftrags gemäß §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO stelle eine „interessengerechte Lösung“ dar.97 Sie ermögliche es dem Insolvenzverwalter, die Vergütung des Abschlussprüfers mit diesem neu zu regeln, falls der ursprüng87

Vgl. BGH NJW 2000, 1107 (für Werkvertrag); offengelassen in BGH WM 1975, 763,

764. 88

Ott/Vuia, in MünchKommInsO (Fn. 66), § 116 Rz. 8. Ott/Vuia, in MünchKommInsO (Fn. 66), § 116 Rz. 8. 90 Siehe etwa OLG Frankfurt a.M. NZG 2004, 285, 286 („Durchbrechung der Grundregel der §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO“); Hess in Hess, GKInsR (Fn. 66), § 155 Rz. 196; Füchsl/Weishäupl, in MünchKommInsO (Fn. 66), § 155 Rz. 21. 91 Bei dem Widerruf gemäß § 318 Abs. 1 Satz 5 HGB handelt es sich um einen Sonderfall der Kündigung aus wichtigem Grund; vgl. Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 37 (unter Hinweis auf OLG Düsseldorf ZIP 1996, 1040, 1041). 92 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NZG 2004, 285, 286. Der Abschlussprüfer selbst kann den von ihm angenommenen Prüfungsauftrag nur aus wichtigem Grund kündigen (§ 318 Abs. 6 Satz 1 HGB). Als wichtiger Grund ist es nicht anzusehen, wenn Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des Bestätigungsvermerks, seine Einschränkung oder Versagung bestehen (§ 318 Abs. 6 Satz 2 HGB). 93 Merkt, in Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 318 Rz. 4. 94 Vgl. LG München I AG 2000, 235, 236 (HypoVereinsbank). 95 Ott/Vuia, in MünchKommInsO (Fn. 66), § 116 Rz. 8 a.E. 96 Klerx NZG 2003, 943, 944. 97 Klerx NZG 2003, 943, 944. 89

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liche Prüfungsauftrag von dem Verwalter nicht – ausdrücklich oder konkludent – bestätigt werde.98 Sofern eine Einigung über die Vergütung zwischen dem Verwalter und dem Prüfer nicht zustande komme, biete die analoge Anwendung des § 318 Abs. 5 Satz 1 und 2 HGB eine „interessengerechte Lösung“.99 Das Recht des Gerichts nach § 318 Abs. 5 Satz 2 HGB zur Festsetzung der Auslagen und der Vergütung des gerichtlich bestellten Abschlussprüfers folge aus der Kompetenz des Gerichts nach § 318 Abs. 3 bzw. 4 HGB, den Abschlussprüfer in den dort genannten Fällen zu bestellen. Die Interessenlage bei Fortdauer der Bestellung des Abschlussprüfers nach § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO sei den Fällen des § 318 Abs. 3 und 4 HGB vergleichbar. Die von den Vertretern der Gegenansicht befürwortete gerichtliche Festsetzung der Vergütung analog § 318 Abs. 5 Satz 2 HGB soll bewirken, dass die ursprünglich zwischen der prüfungspflichtigen Gesellschaft und dem Prüfer vereinbarte Vergütung gerichtlich überprüft werden kann und die Masse nicht mit einer „unangemessenen“ Prüfervergütung 100 belastet wird.101 7. Ersetzung Heftig umstritten ist außerdem die Frage, ob der Insolvenzverwalter den von dem zuständigen Organ bzw. Gremium des Schuldners vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewählten Prüfer nach Insolvenzeröffnung gerichtlich ersetzen lassen kann – etwa weil der Verwalter zu dem gewählten Prüfer kein Vertrauen hat, der Prüfer nicht die notwendige Neutralität oder fachliche Eignung besitzt oder ein anderer Ersetzungsgrund (z.B. ein Ausschlussgrund nach §§ 319 Abs. 2 bis 5, 319a, 319b HGB) besteht.102 Im Gegensatz zu der Bestellung des neuen Abschlussprüfers nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die Abberufung des vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewählten Prüfers nach Insolvenzeröffnung gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Daraus kann allerdings nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass eine Abberufung des so gewählten Abschlussprüfers durch den Verwalter ausgeschlossen ist. Immerhin verweist § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO vollumfänglich auf § 318 HGB. § 318 Abs. 3 HGB regelt die Voraussetzun-

98

Klerx NZG 2003, 943, 944. Klerx NZG 2003, 943, 944. 100 Für die Vergütung des gesetzlichen Abschlussprüfers gibt es derzeit keine Gebührenordnung. Wegen der unterschiedlichen Anknüpfungsmöglichkeiten für die Vergütungsregelung (z.B. Zeitaufwand, Wert des Objekts, Art der Tätigkeit) wird regelmäßig eine Honorarvereinbarung mit der prüfungspflichtigen Gesellschaft geschlossen (vgl. § 55 WPO). Zu Einzelheiten der Gestaltungsmöglichkeiten siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 32. 101 Klerx NZG 2003, 943, 944. 102 Zu möglichen Ersetzungsgründen siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 54 ff.; Jundt WPK Magazin 1/2007, 41, 44–45. 99

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gen für die Abberufung des gewählten Abschlussprüfers und seine gerichtliche Ersetzung durch einen anderen Prüfer.103 Fraglich ist allerdings, ob diese Bestimmung auch für den vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits bestellten Abschlussprüfer gilt, denn nach § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO wird die Wirksamkeit der Bestellung durch die Eröffnung ja nicht berührt. Aus dieser Vorschrift könnte man folgern, dass die Zuständigkeit der in § 318 Abs. 3 Satz 1 HGB genannten Antragsberechtigten (namentlich die gesetzlichen Vertreter, der Aufsichtsrat oder die Gesellschafter der werbenden Gesellschaft) 104 für die Abberufung und Ersetzung des Prüfers ebenfalls unberührt bleibt. Der Insolvenzverwalter wäre dann insoweit nicht antragsberechtigt.105 Andererseits stellt § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO klar, dass – im Gegensatz zu der Regelung in der alten Konkursordnung 106 – die Kompetenz für die Auswahl und Bestellung des Abschlussprüfers nach Insolvenzeröffnung gerade nicht bei der Gesellschafter-/Hauptversammlung bzw. den Gesellschaftsorganen verbleiben soll, sondern dass die entsprechende Zuständigkeit dem Registergericht auf Antrag des Insolvenzverwalters zustehen soll.107 Der Verwalter ist mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens allerdings nur dann zuständig, die Ersetzung des von den Gesellschaftern vor der Eröffnung gewählten Abschlussprüfers bei dem Registergericht zu beantragen, wenn man annimmt, dass mit dem Recht des Insolvenzverwalters, nach Insolvenzeröffnung bei dem Registergericht die Bestellung des Prüfers zu beantragen (§ 155 Abs. 3 Satz 1 InsO), das Recht auf Stellung des Antrags auf Ersetzung des Abschlussprüfers – einschließlich des vor der Insolvenzeröffnung gewählten Prüfers – korrespondiert.108 Diese Argumentation ist in Anbetracht des Wortlauts des § 155 Abs. 3 InsO freilich nicht zwingend. Andererseits kann es die Rechtsordnung angesichts der Bedeutung der (mit gewissen Modifikationen) fortbestehenden Prüfungszwecke (Kontrolle, Information und Beglaubigung) der Abschlussprüfung nicht hinnehmen, dass etwa wegen fehlenden Ersetzungsantrags der (in der ehemals werbenden Gesellschaft) Antragberechtigten der Jahresabschluss und der Lagebericht von einem Prüfer geprüft werden, der aus einem in seiner Person liegenden Grund, insbesondere bei Bestehen eines Ausschlussgrundes gemäß §§ 319 Abs. 2 bis 5, 103 Zu dem Verhältnis des handelsrechtlichen Ersetzungsverfahrens nach § 318 Abs. 3 Satz 1 HGB zu der aktienrechtlichen Anfechtbarkeit des Beschlusses über die Wahl des Abschlussprüfers (§ 243 AktG) wegen eines in der Person des gewählten Prüfers liegenden Grundes, siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 42–52. 104 Zu Einzelheiten siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 63 ff. 105 Vgl. OLG Frankfurt a.M. NZG 2004, 285, 286 m.w.N. (in casu allerdings offenlassend). 106 Vgl. LG Hamburg ZIP 1985, 805, 806. 107 Klerx NZG 2003, 944, 945. 108 In diesem Sinne Klerx NZG 2003, 944, 945.

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319a, 319b HGB nach dem Willen des Gesetzgebers von der Prüfung ausgeschlossen sein soll.109 Nach Sinn und Zweck des § 155 Abs. 3 InsO sowie der Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit des Abschlussprüfers (§§ 318 Abs. 3 Satz 1, 319 Abs. 2 bis 5, 319a, 319b HGB) ist daher jedenfalls eine subsidiäre Zuständigkeit des Insolvenzverwalters für die Beantragung der Ersetzung des vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewählten Prüfers zu bejahen, wenn die vor Insolvenzeröffnung Antragsberechtigten bei dem zuständigen Gericht nicht den Antrag auf Ersetzung des vor Insolvenzeröffnung bestellten Prüfers stellen, obgleich ein in seiner Person liegender Grund, insbesondere ein Ausschlussgrund nach §§ 319 Abs. 2 bis 5, 319a, 319b HGB besteht (§ 318 Abs. 3 Satz 1 HGB). Unabhängig davon, ob man eine ausschließliche oder eine subsidiäre Zuständigkeit des Insolvenzverwalters in derartigen Fällen bejaht, ist der Antragsfrist besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Der Antrag auf Ersetzung des gewählten Abschlussprüfers ist nach § 318 Abs. 3 Satz 2 1. Halbs. HGB binnen zwei Wochen seit dem Tag der Wahl des Abschlussprüfers zu stellen. Dabei ist der Gesetzgeber ersichtlich davon ausgegangen, dass die Ersetzungsgründe den Antragsberechtigten im Zeitpunkt der Wahl bekannt waren. Wird der Ersetzungsgrund erst nach der Wahl bekannt oder tritt ein Ersetzungsgrund erst nach der Wahl ein, ist der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Tag zu stellen, an dem der Antragsberechtigte Kenntnis von den die Ersetzung begründenden Umständen erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 318 Abs. 3 Satz 3 HGB). Diese – nicht zuletzt dem Schutz der Minderheitsgesellschafter der werbenden Gesellschaft dienende – Regelung muss bei analoger Anwendung des § 318 Abs. 3 HGB in der Insolvenz der prüfungspflichtigen Gesellschaft erst recht für den Insolvenzverwalter gelten; denn er wird in der Regel weder an der Wahl des Prüfers beteiligt gewesen sein noch entsprechende Einblicke in die Verhältnisse der Gesellschaft bzw. die Person des gewählten Prüfers haben. Etwaiges diesbezügliches Wissen der primär Antragsberechtigten ist dem Insolvenzverwalter nicht zuzurechnen. Deshalb beginnt die 2-Wochen-Frist des § 318 Abs. 3 Satz 2 HGB erst mit dem Tag, an dem der Verwalter von den die Ersetzung begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 318 Abs. 3 Satz 3 HGB).110 Der pauschale Verweis auf § 318 HGB in § 155 Abs. 3 Satz 1 InsO verdeutlicht, dass die Ersetzung des Abschlussprüfers auch in der Insolvenz bestimmten Voraussetzungen unterliegt; Sonderregelungen enthält § 155 109 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 21 Abs. 1 der Berufssatzung der WPK vom 22.11.2007 (BAnz S. 273) Wirtschaftsprüfer ihre Tätigkeit von sich aus zu versagen haben, wenn sie bei der Durchführung von Prüfungen „nicht unbefangen sind oder wenn die Besorgnis der Befangenheit besteht“. 110 I.E. ebenso Klerx NZG 2003, 944, 946; aA OLG Frankfurt a.M. NZG 2004, 285, 287.

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Abs. 3 InsO ausdrücklich nur für die Zuständigkeit und das Verfahren. Die gerichtliche Abberufung des gewählten Abschlussprüfers und seine Ersetzung durch einen anderen Prüfer setzen nach § 318 Abs. 3 Satz 1 HGB einen „in der Person des gewählten Prüfers liegenden Grund“ voraus.111 Als Beispiel („insbesondere“) ist das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach §§ 319 Abs. 2 bis 5, 319a, 319b HGB erwähnt. Die genannten Vorschriften sperren demnach nicht den Rückgriff auf einen anderen „in der Person des gewählten Prüfers liegenden Grund“. Zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals kann neben der Rechtsprechung 112 und der umfangreichen einschlägigen Literatur ergänzend auf die (rechtlich nicht verbindliche) Empfehlung der EU Kommission zur Unabhängigkeit des Abschlussprüfers in der EU vom 16.5.2002 113 sowie auf die am 29.6.2006 in Kraft getretene Abschlussprüferrichtlinie vom 17.5.2006 114 zurückgegriffen werden.115 Hilfestellung bei der Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „in der Person des gewählten Prüfers liegenden Grund“ kann darüber hinaus das Berufsrecht der Wirtschaftsprüfer leisten.116 Umgekehrt unterliegt das Recht des Insolvenzverwalters auf Beantragung der gerichtlichen Ersetzung des gewählten Abschlussprüfers den für die private Rechtsausübung allgemein geltenden Schranken, insbesondere dem aus § 242 BGB folgenden Verbot des Rechtsmissbrauchs. 8. Prüfungsbericht Die Insolvenz des prüfungspflichtigen Unternehmens hat auch Auswirkungen auf die – eingangs erwähnte – Informationsfunktion der Abschlussprüfung. Der Abschlussprüfer kommt seiner Informationspflicht bei der werbenden Gesellschaft in erster Linie mittels des Prüfungsberichts nach § 321 HGB nach. In dem Prüfungsbericht hat der Prüfer über Art und Umfang sowie über das Ergebnis der Prüfung „schriftlich und mit der gebotenen Klarheit“ zu berichten (§ 321 Abs. 1 Satz 1 HGB). Die Anforderungen an Form und Inhalt des Prüfungsberichts sind in den letzten Jahren vom Gesetzgeber mehrfach konkretisiert und spürbar angehoben worden.117 Bei der werbenden Gesellschaft hat der Abschlussprüfer den unterzeichneten 111 Zu Einzelheiten und zu den möglichen Ersetzungsgründen siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 54 ff.; Jundt WPK Magazin 1/2007, 41, 44–45. 112 Siehe z.B. BGHZ 153, 32 (HypoVereinsbank) (betr. Vertuschungsgefahr); LG Köln WM 1997, 920, 921 (KHD) (betr. frühere Fehler); siehe dazu Ebke, in FS Immenga, 2004, S. 517 („Einmal befangen, immer befangen?“). 113 ABl.EU Nr. L 181/22 vom 19.7.2002. 114 ABl.EU Nr. L 157/87 vom 9.6.2006. 115 Vgl. Hopt/Merkt, in Baumbach/Hopt, HGB (Fn. 93), § 319 Rz. 8; Frings WPg 2006, 821, 824. 116 Zu Einzelheiten siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 318 Rz. 57. 117 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 321 Rz. 25 ff.

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Prüfungsbericht den gesetzlichen Vertretern vorzulegen (§ 321 Abs. 5 Satz 1 HGB; vgl. § 42a Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Hat der Aufsichtsrat den Prüfungsauftrag erteilt (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG), so ist ihm der Prüfungsbericht vorzulegen (§ 321 Abs. 5 Satz 2 1. Halbs. HGB), nachdem dem Vorstand Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist (§ 321 Abs. 5 Satz 2 2. Halbs. HGB). Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlieren die Organe der Gesellschaft zwar nicht ihre Organstellung, wohl aber ihre Verwaltungsund Verfügungsbefugnis; das Verwaltungs- und Verfügungsrecht geht auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO).118 Die Informationsfunktion verlagert sich in der Insolvenz also von den Organen auf den Verwalter; zusätzliche Interessenten sind außer dem Verwalter das Insolvenzgericht und der Gläubigerausschuss, die nicht zuletzt mit Hilfe des Prüfungsberichts ihrer Aufsichts- (§ 58 Abs. 1 InsO) bzw. Überwachungspflicht (§ 69 Satz 1 InsO) nachkommen können.119 § 321 Abs. 5 HGB sieht allerdings eine Pflicht zur Vorlage des Prüfungsberichts nur an die gesetzlichen Vertreter bzw. den Aufsichtsrat vor. Der Verwalter, das Insolvenzgericht und der Gläubigerausschuss sind dort als Adressaten des Prüfungsberichts nicht erwähnt. Das überrascht nicht, denn das Gesetz geht naturgemäß nicht von dem Sonderfall der Insolvenz des prüfungspflichtigen Unternehmens aus. Eine analoge Anwendung des § 321 Abs. 5 HGB im Insolvenzfall, die von einigen Autoren erwogen und im Ergebnis befürwortet wird, dürfte allerdings an dem Erfordernis einer planwidrigen Regelungslücke scheitern. Richtig erscheint die Ansicht, dass der Prüfungsbericht dem Verwalter vorzulegen ist.120 Der Prüfungsbericht gehört zu den „Geschäftsbüchern“ des Schuldners (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO) und ist von dem Insolvenzverwalter in Besitz zu nehmen (§ 148 Abs. 1 InsO). § 321a HGB geht ebenfalls davon aus, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig der Verwalter im Besitz des Prüfungsberichts sein wird.121 Das Insolvenzgericht kann im Rahmen seiner Aufsicht über den Insolvenzverwalter von dem Verwalter jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über das Ergebnis der Abschlussprüfung verlangen (§ 58 Abs. 1 Satz 2 InsO).122

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Vgl. OLG Frankfurt a.M. NZG 2004, 285, 286. In dem Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) bleibt es bei der ursprünglichen Informationsfunktion. Allerdings haben in einem Insolvenzplanverfahren die Insolvenzgläubiger ein besonderes Interesse an der Entwicklung der Gesellschaft und damit auch spezielle Informationsinteressen. Die Insolvenzgläubiger sind deshalb gut beraten, in dem Insolvenzplan eine Klausel aufzunehmen, die ihnen Einblick in den Prüfungsbericht des Abschlussprüfers gewährt. 120 So schon Müller/Gelhausen, in FS Clausen, 1997, S. 687, 697. 121 Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 321a Rz. 4 (unter Hinweis auf IDW PS 450.152d, WPg 2006, 113, 127); Hopt/Merkt, in Baumbach/Hopt, HGB (Fn. 93), § 321a Rz. 1. 122 Zur Durchsetzung siehe § 58 Abs. 2 InsO. 119

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§ 321a HGB, der auf das Bilanzrechtsreformgesetz vom 4.12.2004 zurückgeht,123 ist eine weitere Ausprägung der Änderungen der Informationsfunktion der Abschlussprüfung in der Insolvenz der prüfungspflichtigen Gesellschaft. Die Bestimmung erweitert den Adressatenkreis des Prüfungsberichts nach Insolvenzeröffnung rückwirkend, um „auch außerhalb des Aufsichtsrats nachvollziehbar [zu machen], ob der Abschlussprüfer seiner gesetzlichen Berichtspflicht, insbesondere der nach § 321 Abs. 1 Satz 2 HGB geforderten Stellungnahme zur Lagebeurteilung durch die gesetzlichen Vertreter des Unternehmens und der Berichterstattung über Entwicklungsbeeinträchtigungen und Bestandsgefährdungen, die er im Verlauf der Prüfung festgestellt hat (§ 321 Abs. 1 Satz 3 HGB), nachgekommen ist“.124 Ist über das Vermögen der geprüften Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet oder wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen, so hat ein Gläubiger oder Gesellschafter 125 die Wahl, Einsicht in die Prüfungsberichte des Abschlussprüfers über die auf Grund gesetzlicher Vorschriften durchzuführende Prüfung des Jahresabschlusses der letzten drei Geschäftsjahre zu nehmen. Der Anspruch auf Einsichtnahme bezieht sich allerdings nur auf die Teile des Prüfungsberichts, die nach § 321 HGB vorgeschrieben sind (§ 321a Abs. 1 Satz 1 HGB), und besteht nur im Rahmen der Schutzklausel des § 321a Abs. 3 HGB zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Damit rücken neben den Gesellschaftern die Gläubiger der insolventen Gesellschaft in den Mittelpunkt der Informationsfunktion der Abschlussprüfung. Es versteht sich von selbst, dass auch die zur Einsichtnahme Berechtigten zur Verschwiegenheit über den Inhalt der von ihnen eingesehenen Unterlagen verpflichtet sind (§ 321a Abs. 3 Satz 3 HGB).126 9. Rede- und Warnpflicht Die – eingangs erwähnte – Rede- und Warnpflicht des Abschlussprüfers erfährt in der Insolvenz des prüfungspflichtigen Unternehmens ebenfalls Änderungen. Der BGH hatte die Rede- und Warnpflicht des gesetzlichen Abschlussprüfers in seiner wegleitenden Entscheidung vom 15.12.1954 aus der angeblichen Organstellung des Abschlussprüfers abgeleitet.127 Diese Stel123

BGBl. 2004 I S. 3166. IDW WPg 2000, 1027, 1031–1032. 125 Einschränkungen bestehen gemäß § 321a Abs. 2 HGB für Aktionäre einer Aktiengesellschaft oder KGaA. 126 Die Verschwiegenheitspflicht besteht auch gegenüber solchen Personen, die nach § 321a Abs. 1 Satz 1 HGB ein eigenes Einsichtsrecht haben, es aber nicht ausgeübt haben: Forster/Gelhausen/Möller WPg 2007, 191, 200 (dort auch zu der gesetzlich nicht geregelten Frage des Verwertungsverbots der Einsichtsberechtigten). 127 BGHZ 16, 17, 25 (sog. „Redepflicht“-Entscheidung); zweifelnd dann aber BGHZ 76, 338, 342 („wie ein Organ“); aA OLG Düsseldorf DB 2006, 1670; BayObLGZ 1987, 297, 308. Zu dem Streitstand siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 10), § 316 Rz. 32–33. 124

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lung verpflichte den Prüfer, auf Risiken hinzuweisen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden. Der Gesetzgeber hat die „Krisenwarnpflicht“ des Prüfers erstmals in § 166 Abs. 2 AktG 1965 kodifiziert.128 Im Jahre 1985 wurde die Rede- und Warnpflicht durch das Bilanzrichtliniengesetz in das 3. Buch des HGB transferiert. Sie hat – nach Änderungen129 – heute in §§ 321 Abs. 1 Satz 3, 322 Abs. 2 Satz 3 HGB Niederschlag gefunden.130 Die Frage, ob und inwieweit sich die Rede- und Warnpflicht des Abschlussprüfers in der Insolvenz des prüfungspflichtigen Unternehmens verändert, beurteilt sich danach, ob es sich um ein Regelinsolvenzverfahren (§§ 80 ff. InsO) oder ein Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) handelt. Im Insolvenzplanverfahren behält die Rede- und Warnpflicht des Prüfers ihre Bedeutung. Der Prüfer muss in seinem Prüfungsbericht über Tatsachen berichten, die den „Bestand des geprüften Unternehmens oder des Konzerns gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen“ (§ 321 Abs. 1 Satz 3 HGB). In seinem Bestätigungsvermerk hat der Prüfer auf Risiken, die den „Fortbestand des Unternehmens oder eines Konzernunternehmens gefährden“, „gesondert“ 131 einzugehen (§ 322 Abs. 2 Satz 3 HGB). Diese Vorgaben stellen den Prüfer im Insolvenzplanverfahren vor besondere Herausforderungen, denn er wird geneigt sein, die Erfolgschancen der angestrebten Sanierung eher vorsichtig und zurückhaltend zu beurteilen, um durch seine Bewertung der Aussagen in dem Lagebericht des Schuldners (§§ 289 Abs. 1, 315 Abs. 1 HGB) die Hoffnungen auf eine Sanierung nicht zunichtezumachen (Problem der sog. „self-fulfilling prophecy“).132 Der Zielkonflikt zwischen dem Interesse der Adressaten des testierten Jahresabschlusses an einer rechtzeitigen und eindeutigen Warnung vor Gefahren für den Erfolg der angestrebten Sanierung einerseits und dem Sanierungsziel andererseits ist im Einzelfall mit Hilfe der allgemeinen Grundsätze der Güter- und Pflichtenabwägung zu lösen.133 Diese Abwägung kann im Einzelfall schwierig sein und ist in hohem Maße haftungsträchtig.134 Denn bei einem Misserfolg des Insolvenzplanverfahrens eines prüfungspflichtigen Unternehmens werden Betroffene fragen, ob die den Sanierungserfolg gefährdenden Risiken in dem Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers „allgemein verständlich und problemorientiert“ (§ 322 Abs. 2 Satz 2 HGB) und in dem schriftlichen Prü128

Siehe dazu Ebke, Wirtschaftsprüfer (Fn. 40), S. 18. Siehe dazu Clemm, in FS Havermann, 1995, S. 83, 89. 130 Zu Einzelheiten siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 321 Rz. 24 und § 322 Rz. 46–51. 131 Zu der Bedeutung des Wortes „gesondert“ siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 322 Rz. 47. 132 Zu dem Problem der „self-fulfilling prophecy“ siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 322 Rz. 50. 133 Siehe Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 317 Rz. 78. 134 Vgl. dazu Ebke, in MünchKommHGB (Fn. 11), § 322 Rz. 51 m.w.N. 129

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fungsbericht mit der „gebotenen Klarheit“ (§ 321 Abs. 1 Satz 1 HGB) angesprochen waren. Ob die Rede- und Warnfunktion des Abschlussprüfers in dem Regelinsolvenzverfahren unverändert fortbesteht, ist umstritten. Kind/Frank/Heinrich vertreten die Ansicht, dass der Abschlussprüfer lediglich vor einer drohenden Insolvenz zu warnen habe. Wenn das Unternehmen insolvent sei, laufe die Warnfunktion leer, da sich das Risiko bereits verwirklicht habe.135 Jundt ist dagegen der Meinung, die Warnfunktion der Abschlussprüfung beinhalte auch eine Pflicht des Abschlussprüfers, in der Insolvenz auf die drohende Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 InsO hinzuweisen.136 Der Wortlaut der §§ 321 Abs. 1 Satz 3, 322 Abs. 2 Satz 3 HGB, aus denen sich die Redeund Warnpflicht des Prüfers heute ableitet, spricht allerdings gegen die Auffassung von Jundt. § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB verpflichtet den Prüfer, in dem Prüfungsbericht über Tatsachen zu berichten, die den „Bestand“ des geprüften Unternehmens oder Konzerns gefährden. § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB verlangt von dem Prüfer, in dem Bestätigungsvermerk gesondert auf Risiken einzugehen, die den „Fortbestand“ des Unternehmens oder eines Konzernunternehmens gefährden. Diese Risiken haben sich aber bereits verwirklicht, wenn das prüfungspflichtige Unternehmen in der Insolvenz liquidiert wird; der „Bestand“ bzw. „Fortbestand“ des Unternehmens kann nicht mehr „gefährdet“ werden. Eine Pflicht des Abschlussprüfers, auf die drohende Masseunzulänglichkeit hinzuweisen, wird in der Regel leerlaufen, denn § 208 Abs. 1 InsO verpflichtet den Insolvenzverwalter, dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, wenn zwar die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind, die Insolvenzmasse aber nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Früher kann auch die Rede- und Warnpflicht des Abschlussprüfers nicht eingreifen. Deshalb wird die Redeund Warnpflicht des Prüfers in dem Regelinsolvenzverfahren in der Regel entfallen.

IV. Schluss Die vorstehenden Ausführungen zeigen, wie vielfältig die Auswirkungen der Insolvenz einer prüfungspflichtigen Gesellschaft auf den Abschlussprüfer und die Abschlussprüfung sind. Sie verdeutlichen außerdem, wie viele Rechtsfragen in diesem Zusammenhang nach wie vor ungelöst sind. Das hängt nicht mit einer fehlenden Sensibilität des Gesetzgebers für die bestehenden Probleme und Auswirkungen zusammen. Der Gesetzgeber hat

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Kind/Frank/Heinrich NZI 2006, 205. Jundt WPK Magazin 1/2007, 41, 43.

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sich historisch bei der Ausgestaltung und Verbesserung der Regeln über die gesetzliche Abschlussprüfung und die Rolle, Stellung und Haftung des Abschlussprüfers vielmehr von dem Regelfall der werbenden Gesellschaft und nicht dem Sonderfall der insolventen Gesellschaft leiten lassen. Die vorhandenen insolvenzrechtlichen Bestimmungen regeln einige Grundfragen, lassen andere in der Praxis aufgekommene Rechtsfragen dagegen ungeregelt. Praxis und Wissenschaft haben die aufgetretenen Lücken mit Hilfe der traditionellen Instrumente der Rechtswissenschaft, insbesondere mittels Analogie, zu schließen versucht und sich darüber hinaus bei der Auslegung und Anwendung einschlägiger Normen vor allem von teleologischen Erwägungen leiten lassen. Das daraus entstandene Regelgeflecht hat sich als geeignet erwiesen, Lösungen selbst für schwierige Rechtsfragen anzubieten. Die Gerichte werden auch in Zukunft gefordert sein, auftauchende Probleme der Abschlussprüfung und des Abschlussprüfers in der Insolvenz des prüfungspflichtigen Unternehmens juristisch verlässlich, ökonomisch sinnvoll und mit Augenmaß zu lösen. Dabei können die Richter auf ein solides Fundament einschlägiger Rechtsprechung und weiterführender Lehre aufbauen.

Haftungsprobleme bei der Unternehmensbestattung* Ulrich Ehricke

I. Einleitung 1. Persönliche Vorbemerkung Ich habe Klaus Hopt anlässlich der mittlerweile fast als legendär anzusehenden IV. Tagung „Junge Juristen und Wirtschaft“ der Hanns-Martin Schleyer-Stiftung im Jahre 1992 kennen gelernt,1 als er die Diskussionsleitung eines Panels innehatte, von dem aus ich einen Vortrag zum Thema „Die Kontrolle von Eingriffen der EG-Kommission in den Wettbewerb durch das Gemeinschaftsrecht“ halten durfte.2 Im Anschluss an den Vortrag brandete ein Sturm von – größtenteils kritischen – Fragen auf, die Klaus Hopt mit einer mir Mut machenden, sehr freundlichen Bemerkung, die mir bis heute wörtlich in den Ohren klingt, an mich weiterleitete: „Viel Feind – viel Ehr’. Lassen Sie sich nicht unterkriegen. Ich glaube, Sie haben Recht!“. Von dem Moment an entwickelte sich ein ganz hervorragendes, von gegenseitigem höchstem Respekt geprägtes, fast freundschaftliches Verhältnis. Zu Ehren des 70. Geburtstages von Klaus Hopt möchte ich mich mit einem in der deutschen Unternehmenspraxis (leider) recht weit verbreiteten Phänomen beschäftigen, bei dessen rechtlicher Bewältigung ganz erhebliche Probleme bestehen. Es handelt sich um die so genannte „Unternehmensbestattung“, die typischerweise bei Gesellschaften mbH, welche sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden, vorgenommen wird.3 Aus rechtlicher Sicht geht es dabei neben – hier nicht weiter zu vertiefenden – strafrechtlichen Fragen 4 vor allem um den Schnittbereich von Gesellschafts-, Insolvenz- und Haftungsrecht. Es würde mich sehr freuen, * Prof. Dr. Ulrich Ehricke, LL.M. (London), M.A., Richter am OLG Düsseldorf, Direktor des Instituts für das Recht der Europäischen Union und Direktor des Instituts für Energierecht an der Universität zu Köln. 1 Vgl. dazu den Tagungsband „Junge Juristen und Wirtschaft 1992“, hrsg. von der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung, 1992. 2 Der Vortrag ist dann veröffentlicht worden in WuW 1993, 817 ff. 3 Vgl. Hirte ZlnsO 2003, 833 f.; Kleindiek ZGR 2007, 276; Seibert FS Röhricht, 2005, S. 585, 589. 4 Dazu vgl. u.a. Bittmann Status: Recht v. 28.9.2007, 294 f., ders. NStZ 2009, 113; Goltz/Klose NZI 2000, 108; Hey/Regel GmbHR 2000, 115, 124 f.

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wenn meine Ausführungen auf das Interesse des Jubilars stießen, der sich immer der Erkenntnis gegenüber offen gezeigt hat, dass viele gesellschaftsrechtlichen Probleme sich erst in der Insolvenz einer Gesellschaft stellen und deshalb nicht ohne den Blick auf das Insolvenzrecht zu bewältigen sind. 2. Problemstellung Nach dem geltenden Recht wird eine GmbH grundsätzlich durch ein Liquidationsverfahren beendet. Dabei stehen alternativ das Abwicklungsverfahren nach den §§ 60 ff. GmbHG oder die Liquidation im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zur Verfügung. In beiden Fällen werden die Interessen der Gläubiger in besonderer Weise berücksichtigt. Im gesellschaftsrechtlichen Liquidationsverfahren wird dies durch die Vorschriften der §§ 65 Abs. 2, 70 und 73 GmbHG gewährleistet.5 Im Insolvenzverfahren ergibt sich dies vor allem aus dem allgemeinen Grundsatz, dass der Insolvenzverwalter im Interesse der Gläubiger tätig wird und diese ihre Interessen im Insolvenzverfahren vertreten können.6 In der jüngeren Praxis kommen dagegen vermehrt auch Fälle einer so genannten „Unternehmensbestattung“ 7 vor. Mit einer derartigen Unternehmensbestattung soll hauptsächlich versucht werden, das zum Zeitpunkt der „Bestattung“ noch vorhandene Vermögen der Gesellschaft dem Zugriff der Gesellschaftergläubiger zu entziehen und die Gesellschaft vermögenslos in ein Liquidationsverfahren zu überführen. Problematisch ist dabei, dass es den Gesellschaftern grundsätzlich nicht untersagt ist, das Vermögen nach eigenem Ermessen aus ihrer Gesellschaft abzuziehen. Die Grenze wird insoweit erst bei in den ihnen obliegenden (formalen) Kapitalerhaltungspflichten oder durch die untereinander ggf. bestehende Treuepflicht gezogen.8 Es ist ihnen auch nicht per se untersagt, sich für ein derartiges Tun professioneller Hilfe zu bedienen. Bei der Inanspruchnahme der Hilfe von Unternehmensbestattern ist es jedoch nicht untypisch, dass diese weitgehend mit dem gewollten oder in Kauf genommenen Ziel einhergeht, die Gläubiger der Gesellschaft zu benachteiligen. Die Schwierigkeiten bei der rechtlichen Erfassung solcher Sachverhalte liegen meist darin, dass die Unternehmensbestattung regelmäßig aus vielen – für sich genommenen – rechtlich nicht zu beanstandenden Einzelschritten besteht, die erst in ihrem Zusammenspiel zu dem unerwünschten Ergebnis führen, den Gläubigern im Stadium der Liquidation der Gesellschaft nur noch die vermögenslose gesellschaftsrechtliche Hülle zu hinterlassen, so dass die Gläubiger mit ihren Forderungen ganz aus5 S. Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 73 Rn. 1; K. Schmidt in ders./ Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rn. 3.1 ff.; monographisch: Eller Liquidation der GmbH 2009; Passarge/Torwegge Die GmbH in der Liquidation 2008. 6 Vgl. z.B. Ganter in MünchKommInsO, 2. Aufl. 2007; § 1 Rn. 20 ff., 51 ff. 7 So die Bezeichnung des OLG Celle ZIP 2007, 631, 631 (Leitsatz 4). 8 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 29 Rn. 71.

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fallen. Vor diesem Hintergrund ist es ein wichtiges Ziel der Modernisierung des GmbH-Rechts durch das „MoMiG“ 9 gewesen, die Möglichkeit einer missbräuchlichen Instrumentalisierung der GmbH in der Unternehmenskrise zu verringern.10 Der Gesetzgeber hat dabei im Wesentlichen mit Zustellungserleichterungen (etwa §§ 10, 35 Abs. 2 GmbHG, § 13e Abs. 2 Satz 4 HGB) reagiert, um die Rechtsverfolgung gegenüber Gesellschaften mbH zu beschleunigen und zu verhindern, dass sich Gesellschaften bereits der Zustellung von Klagen und Mahnungen entziehen.11 Vorgesehen ist eine Pflicht zur Angabe der Anschrift des Firmensitzes im Handelsregister und – vereinfacht dargestellt – die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung, wenn an der bekannt gemachten Anschrift niemand mehr zu erreichen ist. Bei dem Phänomen der Unternehmensbestattung stellen sich freilich nicht nur Zuständigkeitsprobleme,12 sondern vorrangig die Frage nach den Einstandspflichten der an einer Unternehmensbestattung beteiligten Personen. Aus Sicht der Gläubiger der „bestatteten“ Gesellschaft besteht nämlich ein erhebliches Interesse daran, dass sie haftungsmäßig so gestellt werden, wie sie stünden, wenn die „bestattete“ Gesellschaft ordnungsgemäß liquidiert worden wäre und die Ausplünderung nicht stattgefunden hätte. Insofern hat das MoMiG ebenfalls zu Änderungen im GmbHG und in der InsO geführt, welche für die rechtliche Erfassung der mit der Unternehmensbestattung einhergehenden Probleme von Bedeutung sind. Das geänderte Gesetz sieht nunmehr u.a. vor, dass dann, wenn kein Geschäftsführer mehr vorhanden ist, die oder der Gesellschafter der GmbH verpflichtet sein soll(en), den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen. Darüber hinaus müssen bestimmte Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen, die unmittelbar zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen, zurückgewährt werden (§ 64 S. 3 GmbHG). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten in Betracht zu ziehen sind, um auf das Phänomen der Unternehmensbestattung reagieren zu können. Die folgende Untersuchung gliedert sich dabei in zwei Schritte. Nach einer Begriffsbestimmung der Unternehmensbestattung (unten II.) soll auf verschiedene Ansätze eingegangen werden, die Problematik der Unternehmensbestattung rechtlich zu lösen (unten III). Aspekte der grenzüberschreitenden Unternehmensbestattung müssen hier aus Platzgründen allerdings unbehandelt bleiben.13 9 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I S. 2026. 10 Vgl. u.a. Hirte ZInsO 2008, 689, 699 ff.; Kleindieck in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, S. 255, 258 ff.; Gehrlein in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, S. 825 ff. 11 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), vor § 35 Rn. 15. 12 Vgl. dazu BayObLG NJW-RR 2004, 1134 ff.; OLG Stuttgart ZlnsO 2004, 750 ff.; OLG Celle NZI 2004, 260 ff. 13 Instruktiv Weller ZIP 2009, 2029 ff.; s. zudem Oelschlegel Die transnationale GmbHBestattung, Diss. Mannheim 2009.

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II. Begriffsbestimmung der Unternehmensbestattung Mit dem Begriff der „Unternehmensbestattung“ wird üblicherweise ein Marktaustritt einer Gesellschaft zum Vorteil der Altgesellschafter und Altgeschäftsführer und zum Nachteil ihrer Gläubiger bezeichnet.14 Ein solcher kommt typischerweise bei der GmbH vor, wenn sie zwar unter formaler Beachtung der gesetzlichen Liquidierungs- und Insolvenzvorschriften aus dem Markt ausscheiden soll,15 aber der materiell-rechtliche Regelungsgehalt dieser Vorschriften dadurch leerzulaufen droht, dass die zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Vermögenswerte der zu „bestattenden“ Gesellschaft vor dem Zugriff des Insolvenzverwalters oder der Gläubiger „gesichert“ werden, indem sie zuvor oder während des gesamten Vorganges auf eine neue, unternehmerisch tätige Gesellschaft übertragen werden.16 Dabei entnehmen die Gesellschafter – meist unter Anleitung des „Bestatters“ – ihrer Gesellschaft deren ganzen Vermögenswerte, indem sie den oder die Geschäftsführer zu einem solchen Tun anweisen, und übertragen diese auf eine andere Gesellschaft, an der sie ebenfalls beteiligt sind. Kennzeichnend dafür ist wiederum eine Veräußerung oder „Veräußerungskette“ der Geschäftsanteile, bei der durch den Bestatter vermittelte Erwerber, – dies kann bzw. können auch wieder die Altgesellschafter selbst sein – diese gegen symbolische Preise übernehmen.17 Gleichzeitig rücken – ebenfalls aufgrund von Vermittlung durch den Bestatter – oft „vermögenslose“,18 „geschäftlich unbedarfte Sargträger“ 19 gegen ein geringes Entgelt jedenfalls formal in die Stellung des Geschäftsführers ein, wobei Personenidentität zwischen Neugesellschafter und Neugeschäftsführung nicht ausgeschlossen ist. Der Sitz der neuen Gesellschaft(en) ist regelmäßig weit vom Ursprungssitz der zu bestattenden Gesellschaft entfernt und liegt häufig in den neuen Bundesländern oder im Ausland.20 Im Rahmen dieser multiplen Übertragungstatbestände und dem damit einhergehenden fortlaufenden Wechsel der Geschäftsführung werden typischerweise die Geschäftsunterlagen und Papiere zwar gegen Empfangsbestätigung weitergereicht, gehen dann aber meist unauffindbar verloren.

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Statt vieler vgl. Weller ZIP 2009, 2029. Vgl. etwa Kuhne in Schwerdtfeger, Gesellschaftsrecht, 2007, Kapitel 13 Rn. 176 ff. 16 S. Schröder DNotZ 2005, 596, 598, wonach das System von Anfang an darauf ausgelegt ist, die Rechtsregeln zu unterlaufen. 17 S. z.B. Rattunde DZWiR 1998, 271, 272. 18 Seibert FS Röhricht, 2005, S. 585, 590; Kleindiek ZGR 2007, 276, 278; Hirte ZInsO 2003, 833, 834. 19 Kleindiek ZGR 2007, 276, 278; nach Seibert FS Röhricht, 2005, S. 585, 590 handelt es sich ,,zum Teil um Angehörige sozialer Randgruppen“. 20 Hierbei scheint sich Spanien besonderer Beliebtheit zu erfreuen, vgl. Hirte ZInsO 2003, 833, 834; Seibert FS Röhricht, 2005, S. 585, 590; vgl. auch Kleindiek ZGR 2007, 276, 280. 15

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Insbesondere der ursprüngliche (Alt-)Geschäftsführer kann sich deshalb regelmäßig durch eine Empfangsbestätigung bzgl. aller Geschäftsunterlagen durch den ihm folgenden Geschäftsführer hinsichtlich derartiger Unregelmäßigkeiten entlasten, der seinerseits dann unbekannt und unauffindbar verzieht. Der in der Kette zur Unternehmensbestattung letzte Geschäftsführer der Gesellschaft stellt schließlich einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 13 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 InsO) mit der Intention, die Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels kostendeckender Masse zu erreichen (vgl. § 26 Abs. 1 InsO). Alle Vorgänge im Rahmen der Unternehmensbestattung zielen also darauf ab, die Gläubiger ,,hakenschlagend abzuschütteln“ 21 und den Ermittlungsaufwand für die Verfahrensbeteiligten derart zu erhöhen, dass letztlich eine Verfolgung unterbleibt.22

III. Ansätze für eine rechtliche Lösung der Unternehmensbestattung Bei einer Unternehmensbestattung ist hinsichtlich etwaiger Ansprüche in doppelter Hinsicht zu differenzieren. Zum einen ist nach den Anspruchsgegnern zu unterscheiden, die ggf. Einstandspflichten wegen der Unternehmensbestattung ausgesetzt sind. Insoweit kommen insbesondere die Gesellschafter und der bzw. die Geschäftsführer der bestatteten GmbH, der Bestatter und die übrigen, an der Bestattung beteiligten Personen, vor allem der Notar, in Betracht. Zum anderen lässt sich nach der Art der ggf. bestehenden Ansprüche differenzieren. Dabei spielen neben Ansprüchen aus unerlaubter Handlung vor allem Einstandspflichten für sonstige Pflichtverletzungen und Rückgewähransprüche aufgrund der Insolvenzanfechtung eine bedeutende Rolle. 1. Nichtigkeit aller Rechtshandlungen im Zusammenhang mit einer Unternehmensbestattung nach §§ 134, 138 BGB a) Ansatz des AG Memmingen Als einer der ersten Ansätze zur Bewältigung der rechtlichen Folgen beim Vorliegen einer Unternehmensbestattung ist vertreten worden, dass sowohl alle Verträge der Gesellschaft mit Dritten sowie die Beschlüsse in der Gesellschaftsversammlung, die jeweils im Zusammenhang mit der Unternehmensbestattung vereinbart oder getätigt wurden, wegen einer sittenwidrigen Ver-

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LG Potsdam wistra 2005, 193, 194. Zu Beispielen s. Schrep Der Spiegel 1/2009, S. 32; Rose Die Bestatter, Zeit-Online v. 31.5.2007. 22

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haltensweise und gesetzlichen Verstößen nach den §§ 134, 138 BGB nichtig seien.23 Dies wurde aus dem Gesamtbild gefolgert, welches sich aus der initiierten Unternehmensbestattung ergäbe, weil durch diese die bewusste Schädigung der Gläubiger in kollusivem Zusammenwirken angestrebt werde. Der Vertrag der Gesellschafter mit dem Bestatter sei sittenwidrig, und diese Sittenwidrigkeit strahle auf alle darauf basierenden Rechtsgeschäfte aus. Andere Rechtsgeschäfte verstießen zudem gegen § 134 BGB. Das AG Memmingen ging zudem davon aus, dass eine bloße Anfechtbarkeit der Verträge und der Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung nicht ausreichend seien. Es könne im Hinblick auf die Unternehmensbestattung nämlich nicht nur auf diesen innergesellschaftlichen Bereich ankommen, sondern es müsse von Rechts wegen eine allseitige und umfassende Gläubiger schützende Folge eintreten, um dadurch dem Unternehmensbestatter und den an der Unternehmensbestattung beteiligten Personen die Möglichkeit zu nehmen, durch eine interne Gestaltung den Schutz der Beteiligten wiederum zu unterlaufen.24 In Folge der Nichtigkeit würde allen Verträgen und Beschlüssen, die im Zusammenhang mit der Unternehmensbestattung ergangen sind, die Rechtswirksamkeit fehlen, weshalb darauf basierende Leistungen nach §§ 812 ff. BGB zurückzugewähren seien. Soweit infolge dessen eine Leistungsrückgewähr stattfände, sei auch eine verschärfte Haftung aufgrund des bestehenden Sittenverstoßes nach § 819 BGB in Erwägung zu ziehen.25 Die beschlossenen Rechtsgrundlagen und Regelungsgegenstände würden aufgrund der Nichtigkeit wegfallen, weshalb insbesondere ein oder mehrere Wechsel im Geschäftsleitungsorgan der Gesellschaft und etwaige Sitzverlegungen so anzusehen seien, als hätten sie rechtlich nicht stattgefunden. Im Zusammenhang damit treffe die dennoch – aufgrund der Nichtigkeit ohne Bestellungsakt – handelnden Folgeorgane eine Verantwortlichkeit als faktische Organe.26 Zwischenzeitlich erfolgte Eintragungen ins Handelsregister, welche in Ansehung der Wirksamkeit der getroffenen Beschlüsse und Rechtsgeschäfte erfolgt seien, wären aufgrund ihrer Nichtigkeit durch eine Berichtigung des Handelsregisters zu korrigieren, weil sie insofern unrichtig geworden seien.27 b) Kritik an diesem Ansatz Diese Auffassung ist, trotz des zum Teil begrüßten Ergebnisses 28 im Zusammenhang mit der Unternehmensbestattung zu Recht auf erhebliche 23

So insbesondere AG Memmingen Rpfleger 2004, 223, 225 m. Anm. Ries. AG Memmingen Rpfleger 2004, 223, 225. 25 Dazu allgemein Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 819 Rn. 2 ff. 26 Vgl. zu dieser Folgeerwägung etwa OLG Hamm ZIP 2006, 233. 27 Zu dem Spezialproblem der Beseitigung unrichtiger Eintragungen s. u.a. Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 8 Rn. 12 ff.; Ammon/Ries in Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 8 Rn. 58 ff., jeweils m.w.N. 28 Ries Rpfleger 2005, 226. 24

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Kritik gestoßen. Zunächst spricht gegen diese Auffassung, dass die meisten Rechtshandlungen, wie insbesondere Abtretungserklärungen und Beschlussfassungen, wertneutral und folglich nicht sittenwidrig sind. Auch die im Rahmen einer Unternehmensbestattung gefassten Beschlüsse in einer Gesellschafterversammlung sind aufgrund der Neutralität ihres Inhaltes grundsätzlich nicht per se gem. § 241 Nr. 4 AktG unwirksam.29 Unabhängig davon ließe sich die Vorstellung eines sittenwidrigen „Bestattungsvertrages“, der gleichsam alle weiteren damit im Zusammenhang stehenden Rechtshandlungen infiziert, dogmatisch aufgrund der Relativität und der Spezialität von Rechtsgeschäften nicht rechtfertigen.30 Darüber hinaus wird man auch nicht ohne Weiteres annehmen können, wie es das AG Memmingen getan hat, dass die Unwirksamkeit von (Folge-)Rechtsgeschäften nach den §§ 134, 138 BGB zwingend mit einer Unternehmensbestattung einhergehe.31 Eine „gewerbliche Firmenbestattung“ als solche mag zwar moralisch fragwürdig und eines Kaufmannes unwürdig sein, allerdings stellt ein Vertrag mit diesem Inhalt – ohne das Hinzutreten weiterer Umstände – regelmäßig noch keine missbräuchliche Manipulation in einem solchen Umfang dar, die als solche schon die Sittenwidrigkeit begründen könne.32 Neben diesen Erwägungen spricht gegen eine Gesamtnichtigkeit aller mit der Unternehmensbestattung zusammenhängenden Rechtshandlungen, dass es – zumindest soweit § 138 BGB Anwendung finden soll – entscheidend darauf ankommt, ob tatsächlich auch alle beteiligten Personen sittenwidrig gehandelt haben. Nach allgemeiner Auffassung wird bei der Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens gegenüber der Allgemeinheit oder Dritten im Zusammenhang mit § 138 BGB nämlich stets der Charakter der Sittenwidrigkeit aus dem subjektiven Tatbestand abgeleitet.33 Das bedeutet, dass dann, wenn sich der Sittenverstoß nicht aus dem Inhalt des Rechtsgeschäftes, sondern erst aus einem Gesamtbild ableiten lässt, die Vorschrift des § 138 BGB bei einer Verletzung von Interessen der Allgemeinheit oder Dritten nur dann anwendbar ist, wenn alle Beteiligten des Rechtsgeschäftes sittenwidrig gehandelt haben, also alle Beteiligten die

29 So wohl OLG Karlsruhe ZIP 2005, 1475, 1477 f. (zur Frage der Zuständigkeitserschleichung); aA aber zur Zuständigkeitserschleichung BayObLG NJW-RR 2004, 986, 987; BayObLG NZI 2004, 90, 91; BayObLG NZI, 2004, 148, 149; OLG Celle NZI 2004, 258, 259 f.; OLG Celle NZI 2004, 260, 261; OLG Stuttgart ZInsO 2004, 750; OLG Schleswig NZI 2004, 264, 264 f.; vgl. auch Pananis/Börner GmbHR 2006, 513, 515 ff. (zur Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung). 30 Vgl. dazu allgemein Westermann in Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, Einl. § 241 Rn. 6. 31 OLG Celle ZIP 2007, 318 (Rn. 32). 32 So OLG Karlsruhe ZIP 2005, 1475, 1477 f.; aA aber zur Zuständigkeitserschleichung BayObLG NJW-RR 2004, 986, 987; BayObLG NZI 2004, 90, 91; BayObLG NZI, 2004, 148, 149; OLG Celle NZI 2004, 258, 259 f.; OLG Stuttgart ZInsO 2004, 750; OLG Celle NZI 2004, 260, 261; OLG Schleswig NZI 2004, 264, 264 f. 33 Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 138 Rn. 8

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Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit begründeten, kannten oder sich ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschlossen haben.34 Demzufolge könnte der Ansatz des AG Memmingen bei einer Unternehmensbestattung nur dann durchgreifen, wenn allen Beteiligten der Vorwurf der tatsächlichen Kenntnis oder der grob fahrlässigen Unkenntnis hinsichtlich der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatsachen gemacht werden könnte. Es kommt hinzu, dass um einen beiderseitigen Sittenverstoß anzunehmen, wie er bei der Unternehmensbestattung nach Auffassung des AG Memmingen vorliege, der jeweils andere Vertragsteil zum Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht nur den unsittlichen Bewegungsgrund seines Gegenübers kennen musste, sondern es ist erforderlich, dass er auch dessen sittenwidrige Absicht zumindest billigen, fördern oder ausnutzen wollte.35 Diese strengen Voraussetzungen sind aber bei der ganz überwiegenden Mehrzahl der einzelnen Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit einer Unternehmensbestattung nicht gegeben. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Dritten, wie etwa dem bei einer Unternehmensbestattung notwendigerweise mitwirkenden beurkundenden Notar. Zwar sind Notare notwendigerweise in die Ausgestaltung der Unternehmensübertragung im Rahmen von Unternehmensbestattungen einbezogen und fördern diese Vorgänge regelmäßig auch aktiv durch „Verursachungsbeiträge“, etwa indem sie durch die Beurkundung die Vermögenstransaktionen praktisch erst ermöglichen,36 doch ist – unabhängig, davon, dass es in der Praxis Ausnahmen geben mag – allein in der notariellen Beurkundung eine sittenwidrige Verhaltensweise nicht zu sehen. Man wird in diesen Fällen – in Parallelität zur Rechtslage bei der sog. „neutralen Beihilfe“37 – davon auszugehen haben, dass ein Notar als Beteiligter zumindest die Rechtsfolgen und die Intentionen der anderen Parteien kennen und ggf. um sein eigenes Handeln als Beitrag hierzu wissen muss, damit ihm bei der Beurkundung ein sittenwidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, das zu einem Anspruch gegen den Notar führt. Aber selbst, wenn man im Hinblick auf die Kenntnis der an der Unternehmensbestattung beteiligten Personen die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände bejahen wollte, so hätte der Ansatz des AG Memmingen im Hinblick auf eine erfolgreiche Bekämpfung von Unternehmensbestattungen jedenfalls nur dann durchschlagenden Erfolg, wenn den Anspruchsgegnern die verschärfte Bereicherungshaftung gem. § 819 BGB trifft. Dafür ist allerdings regelmäßig die positive Kenntnis

34 So Ellenberger in Palandt, BGB (Fn. 25), § 138 Rn. 8 unter Verweis auf BGH NJW 1990, 567, 568; BGH NJW 1992, 310, 310. 35 Vgl. RGZ 71, 192, 194; BGH DB 1971, 38, 39; Ellenberger in Palandt, BGB (Fn. 25), § 138 Rn. 8. 36 Nach Seibert FS Röhricht, 2005, S. 585, 590 „müsse man davon ausgehen, dass die betrauten Notare Bescheid wissen, …“. 37 Vgl. Spindler in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, § 830 Rn. 12a.

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derjenigen Umstände und Tatsachen, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt, d.h. aus denen das Vorliegen der Gesetzes- oder Sittenverstoßes zu begründen ist, notwendig; 38 diese wird in der Praxis hingegen kaum in der ganzen Reihe aller an der Unternehmensbestattung Beteiligten vorliegen. c) Zwischenergebnis Der vom AG Memmingen vorgeschlagene Ansatz einer Gesamtnichtigkeit aller mit einer Unternehmensbestattung zusammenhängenden Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen bietet keine geeignete Handhabe, um gegen die Unternehmensbestattung vorzugehen. Er ist dogmatisch sehr problematisch und bietet praktisch aufgrund der hohen Tatbestandsanforderungen zu viele Schlupflöcher, durch die sich an der Unternehmensbestattung beteiligte Personen ihrer Einstandspflicht entziehen können. 2. Einstandspflichten der an der Unternehmensbestattung beteiligten Personen a) Vorüberlegung Mit der Ablehnung eines „Gesamtansatzes“ können die benachteiligenden Folgen des Phänomens der Unternehmensbestattung nur erfasst werden, wenn individuelle Einstandspflichten gegenüber den Gläubigern der „bestatteten“ Gesellschaft begründet werden können. Dabei folgt die Verantwortlichkeit der betreffenden Personen aber keinem allgemeinen Muster der Unternehmensbestattung. Vielmehr ist die Vorwerfbarkeit eines bestimmten Tuns je nach Person und Rechtsbeziehung einzelfallabhängig zu beurteilen. Zudem muss immer auch danach differenziert werden, ob eine Person als Täter eigenständig Tatbestände verwirklicht hat, die für sie zu einer Einstandspflicht führt oder ob sie (nur) als Anstifter oder Gehilfe anzusehen ist, was zur Folge hat, dass hinsichtlich der zu prüfenden Einstandspflichten des Täters in einem zweiten Schritt stets zu klären ist, ob insoweit überhaupt eine Haftung wegen Anstiftung bzw. Beihilfe gem. §§ 830, 840 BGB möglich ist. b) Insolvenzbezogene Einstandspflichten aa) Ansatzpunkt nach altem Recht Vor dem Hintergrund, dass Unternehmensbestattungen typischerweise im Zusammenhang mit der Insolvenz der Gesellschaft erfolgen, kommen im Hinblick auf den Ausgleich von Schäden der Gläubiger im Zusammenhang

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Vgl. BGHZ 133, 246, 250; Sprau in Palandt, BGB (Fn. 25), § 819 Rn. 2.

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mit der Unternehmensbestattung zunächst die Haftungstatbestände wegen verspäteter Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Anspruch auf Rückzahlung des nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Feststellung der Überschuldung Geleisteten in Betracht. Nach früherem Recht basierten diese Ansprüche auf § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. und auf § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. Anspruchsgegner waren in beiden Fällen der oder die Geschäftsführer 39 und auch jeder faktische Geschäftsführer 40. Die Gesellschafter der GmbH oder Dritte konnten hinsichtlich der verbotswidrigen Zahlung gem. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. wegen des allgemein anerkannten Schutzgesetzcharakters der Norm 41 zudem problemlos als Anstifter oder Gehilfe gem. §§ 830, 840 BGB in Anspruch genommen werden.42 Hinsichtlich der Verpflichtung, Zahlungen, die nach Insolvenzreife aus dem Vermögen der Gesellschaft geleistet wurden, zurückzugewähren, war es aufgrund der ganz unterschiedlichen Sichtweisen, ob der Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. einen deliktsrechtlichen Charakter hat 43, hingegen weitaus schwieriger gewesen, eine Einstandspflicht der Gesellschafter oder von Dritten als Anstifter oder Gehilfen zu begründen.44 Nachdem der BGH sich dann in einigen Entscheidungen ausdrücklich dagegen entschieden hatte, § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. als Deliktstatbestand zu betrachten 45, war es in der Praxis nicht mehr möglich, auch die Gesellschafter oder Dritte im Hinblick auf die Zahlungen aus dem Vermögen nach Insolvenzreife in Anspruch zu nehmen. Aus Sicht des Versuches, die Personen, die an einer Unternehmensbestattung beteiligt sind, haftungsrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, hat diese Rechtsprechung kontraproduktiv gewirkt, denn üblicherweise nehmen die eingesetzten Geschäftsführer diejenigen Zahlungen aus dem Vermögen

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S. etwa LG Berlin ZIP 2006, 865. BGH NJW 1988, 1789; BGH NJW 2002, 1803, 1805. 41 S. etwa BGHZ 75, 106; BGHZ 100, 23; BGH ZIP 1993, 766; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000/2002, § 64 Rn. 37; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 82; Lutter/Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 64 Rn. 41; BGH NJW 1959, 623; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 64 Rn. 61; aA Altmeppen/Wilhelm NJW 1999, 673, 679; Altmeppen ZIP 2001, 2201, 2205 ff. 42 BGH NJW 2005, 3137. 43 Vgl. dazu z.B. K. Schmidt in Scholz, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 35; Medicus GmbHR 1993, 537; Altmeppen ZIP 2001, 2201, 2208; Ehricke ZGR 2000, 351, 355 ff. (bejahend); dagegen z.B. Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 70; Goette ZInsO 2001, 529, 535; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2010, § 64 Rn. 6. 44 Bejahend allerdings Ehricke ZGR 2000, 351, 382; im Ergebnis hinsichtlich der Gesellschafter auch Goette WPg 2008, 231, 238. 45 S. BGH ZIP 2009, 956 f.; BGH NJW-RR 2008, 1066; vgl. dazu K. Schmidt GmbHR 2008, 449, 455; Poertzgen NZI 2008, 9, 11; BGH ZIP 2001, 235, 239; früher bereits BGH NJW 1974, 1089; vgl. aber auch BGHZ 131, 325, 326, wo das Gericht den Anspruch deliktsrechtlich qualifiziert hat. 40

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der GmbH, die nach Insolvenzreife getätigt werden, stets auf Weisung der Gesellschafter und nach dem Plan des Bestatters vor. Da die Geschäftsführer aber typischerweise mittellos sind, sind die Bemühungen, bei ihnen die ausgezahlten Beträge zurückzuholen, meist erfolglos, während diejenigen, an die die Zahlungen geflossen sind und welche den Vermögensabfluss bei der GmbH in Gang gesetzt haben, nicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. belangt werden konnten. Betrachtet man zudem, dass mit dem Anspruch nach § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. in der Regel nur der Quotenschaden der Gläubiger – und nur in selteneren Fällen der Vertrauensschaden der Neugläubiger 46 – erfasst werden konnte, stellte § 64 GmbHG a.F. im Ergebnis lediglich ein stumpfes Schwert im Kampf gegen die Unternehmensbestattung dar. bb) Einstandspflicht wegen verspäteter Stellung des Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach neuem Recht (a) Neuerungen durch das MoMiG Mit dem Inkrafttreten des MoMiG hat sich die normative Grundlage für die Insolvenzverschleppungshaftung geändert. Sie wird nunmehr durch § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO gebildet.47 Inhaltlich bleibt es allerdings bei der Haftung für den Quotenschaden bei den Altgläubigern und bei dem Vertrauensschaden bei den Neugläubigern.48 Eine Erweiterung des Kreises der Anspruchsgegner bringt hingegen die Neuregelung des § 15a Abs. 3 InsO mit sich. Danach ist für den Fall der Führungslosigkeit der GmbH vorgesehen, dass dann jeder Gesellschafter in die Haftung genommen werden kann, es sei denn, er hatte von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. Führungslosigkeit liegt dann vor, wenn die GmbH keinen Geschäftsführer mehr hat (§ 35 Abs. 1 S. 2 GmbHG). Unklar ist allerdings, ob auch dann von einer Führungslosigkeit der Gesellschaft gesprochen werden kann, wenn der Geschäftsführer nicht handlungswillig oder -fähig oder wenn er nicht erreichbar ist.49 Aus Sicht der Bekämpfung der Unternehmensbestattung würde diese Regelung in der Tat dann eine größere Bedeutung erhalten, wenn man tatsächlich die Führungslosigkeit einer GmbH damit gleichsetzen könnte, dass an die Stelle des Geschäftsführers einer GmbH eine vollständig unqualifizierte Person gesetzt würde, die sowohl im Außenverhältnis als auch im Innenverhältnis den Eindruck einer bloßen Marionette der Gesellschafter oder der Bestatter vermit46

Dazu s. z.B. Altmeppen ZIP 2002, 2201 ff. Vgl. u.a. Hirte in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 15a Rn. 1 ff.; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 109 ff.; Gehrlein in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, S. 828; Währholz DStR 2007, 1914. 48 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 39 ff. 49 Vgl. Währholz DStR 2007, 1914; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), vor § 35 Rn. 14. 47

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telt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Neuregelung die Vorstellung verbunden, den Gesellschaftern einen Anreiz zu geben, in jedem Stadium der GmbH dafür Sorge zu tragen, dass aktionsfähige Geschäftsleitungsorgane bestellt sind, weil in diesem Fall dann nicht die Gefahr bestünde, dass sie wegen der Verletzung der Insolvenzantragspflicht haften müssen.50 Nimmt man an, dass der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf „aktionsfähige Geschäftsleitungsorgane“ durchaus zum Ausdruck bringen wollte, dass Gesellschaften mit beschränkter Haftung nur dann nicht als führungslos angesehen werden, wenn die Geschäftsführer solche Personen sind, die – bei aller Weisungsabhängigkeit – intellektuell und von ihren kaufmännischen und übrigen Fähigkeiten her imstande sind, die Geschicke einer Kapitalgesellschaft eigenverantwortlich zu lenken, so würde dies eine wesentliche Verbesserung der Möglichkeiten darstellen, die Gesellschafter einer im Bestattungsvorgang befindlichen GmbH haftbar zu machen, wenn sie im Laufe dieses Vorgangs nur einen „pro-forma-Geschäftsführer“ einsetzen und dieser nicht rechtzeitig den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat. Unabhängig davon bleibt allerdings auch nach den Änderungen durch das MoMiG weiterhin ein Anwendungsbereich für die Haftung von faktischen Geschäftsführern erhalten.51 Darunter kann dann im Einzelfall vor allem der Bestatter fallen, wenn er dem Geschäftsführer einer zu bestattenden GmbH bei seinen Tätigkeiten „gleichsam die Hand führt“. Nicht ausdrücklich geregelt sind nach wie vor die Haftung wegen Anstiftung oder Beihilfe zur verspäteten Antragstellung durch die Gesellschafter der GmbH oder durch Dritte. Aufgrund des weiterhin eindeutigen Charakters der Haftung wegen Insolvenzverschleppung als unerlaubte Handlung gibt es allerdings keinen Zweifel daran, dass bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen gem. §§ 830, 840 BGB auch nach dem neuen Recht gegen die Gesellschafter oder gegen Dritte Schadensersatzansprüche als Anstifter oder Gehilfe zur verspäteten Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden können. (b) Unattraktivität der Haftungsansprüche für die Gläubiger Im Zusammenhang mit Haftungsansprüchen bei der Unternehmensbestattung sind Ansprüche der Gläubiger auf Ersatz des Schadens, der wegen verspäteter Antragstellung bei ihnen entstanden ist, allerdings meist nur wenig attraktiv. So umfasst der Anspruch nicht den Ausgleich derjenigen Schäden, welche die Gläubiger meinen, im Rahmen einer Unternehmensbestattung dadurch erlitten zu haben, dass der Gesellschaft das zu ihrer Befriedigung dienende Ver-

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BR-Drucks. 354/07, S. 127. Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 9.

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mögen entzogen wurde.52 Zudem können die Gläubiger ihre etwaigen Ansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO (früher § 64 Abs. 1 GmbHG a.F) nicht selbst geltend machen, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist,53 denn in solchen Fällen macht gem. § 92 InsO der Insolvenzverwalter den Anspruch geltend und zieht ihn zur Masse.54 Ferner sind die Voraussetzungen im Prozess oft nur schwer zu beweisen, wobei die Beweislast den den Anspruch geltend machenden Insolvenzverwalter und nicht den Gläubiger trifft. Für die Frage der Haftung wegen Insolvenzverschleppung gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 15a InsO muss seitens des Anspruchstellers insbesondere dargelegt werden, dass bereits vor dem Zeitpunkt der Antragstellung die Gesellschaft insolvenzreif war.55 Insoweit sind zwei Änderungen durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wesentlich. Zum einen ist der zweistufige Überschuldungsbegriff wieder (befristet) eingeführt worden.56 Das bedeutet, dass selbst wenn das Vermögen die Verbindlichkeiten des Schuldners nicht abdecken sollte – was möglicherweise noch relativ einfach nachzuweisen ist – dann keine Überschuldung vorliegt, wenn eine Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist.57 Diese Änderung führt dazu, dass der Tatbestand der Insolvenzverschleppung auch für einen Insolvenzverwalter noch schwieriger nachgewiesen werden kann als nach früherem Recht, denn der Geschäftsführer einer GmbH wird sich regelmäßig darauf berufen, dass die Fortführungsprognose aus seiner Sicht positiv gewesen sei. Zum anderen führen allerdings die grundsätzliche Passivierungspflicht von Gesellschafterdarlehen 58 und die Regelungen über das cash-pooling 59 dazu, dass eine größere Klarheit hinsichtlich des Vermögensstatus’ erreicht werden kann, was dann für die spätere Feststellung eines Verstoßes gegen die Antragspflicht wiederum vorteilhaft sein kann. 52 Der Quotenschaden kann von den so genannten Altgläubigern geltend gemacht werden (vgl. dazu Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 41), vor § 64 Rn. 123). Neugläubiger können dagegen ihren Vertrauensschaden geltend machen (vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 39 ff.). 53 Statt aller Sprau in Palandt, BGB (Fn. 25), § 823 Rn. 64. 54 Vgl. Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO (Stand 2009), § 92 Rn. 26; Kroth in Braun, InsO, 4. Aufl. 2009, § 92 Rn. 4; Pohlmann in HambKommInsO, 3. Aufl. 2009, § 92 Rn. 4 ff.; Hirte in Uhlenbruck, InsO (Fn. 47), § 92 Rn. 4 ff. 55 Wicke GmbHG, 2008, § 64 Rn. 14. 56 Vgl. dazu etwa Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 41), vor § 64 Rn. 29 ff.; Uhlenbruck in ders., InsO (Fn. 47), § 19 Rn. 36 ff. 57 S. dazu statt vieler Drukarcyk in MünchKommInsO (Fn. 6), § 19 Rn. 42 ff.; Schmerbach in Frankfurter Kommentar InsO, 5. Aufl. 2009, § 19 Rn. 6. 58 Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn der Gesellschafter eine Rangrücktrittserklärung dergestalt abgibt, dass daraus deutlich wird, dass in der Insolvenz die Forderung auf Rückzahlung erst nach den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO zur Befriedigung ansteht; vgl. dazu Ehricke in MünchKommInsO (Fn. 6), § 39 Rn. 45 ff.; Hirte ZInsO 2008, 689, 697; Seibert/Deckert ZIP 2008, 1208, 1211. 59 Hierzu vgl. Altmeppen ZIP 2006, 1025.

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cc) Einstandspflicht wegen Zahlungen nach Insolvenzreife (a) Allgemeines Die Rückzahlungspflicht für Zahlungen aus dem Vermögen der GmbH nach Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung ist nach Inkrafttreten des MoMiG nunmehr in dem neu gestalteten § 64 S. 1 und S. 2 GmbHG verankert. Insoweit ist die Rechtslage im Vergleich zur früheren Regelung allerdings unverändert geblieben.60 Das bedeutet aber, dass weiterhin keine Einstandspflicht von Gesellschaftern oder Dritten bei Zahlungen des Geschäftsführers aus dem Vermögen der GmbH nach Insolvenzreife aufgrund einer Anstiftung oder einer Beihilfe in Betracht kommt.61 Für die Fälle der Unternehmensbestattung bleibt es daher bei den oben bereits erwähnten negativen Folgen, wenn dort – wie typisch – vermögenslose Geschäftsführer auf Geheiß der Bestatter den Ausverkauf der Gesellschaft betreiben.62 Richtigerweise wird man eine Unterscheidung zwischen deliktischen Normen und Normen machen müssen, die unerlaubte Handlungen erfassen. Eine solche Unterscheidung ist bei der Schaffung des BGB zugrunde gelegt worden und dann erst im Laufe der Zeit von Literatur und Rechtsprechung immer mehr nivelliert worden.63 Eine solche Unterscheidung beruht auf der Überlegung, dass die in §§ 823 ff. BGB vorgesehenen deliktsrechtlichen Vorschriften nur einen Unterfall der Vorschriften über unerlaubte Handlungen darstellen und dass andere Normen durchaus Einstandspflichten für unerlaubte Handlungen beinhalten, ohne jedoch deliktsrechtlicher Natur zu sein.64 Da § 830 BGB an unerlaubte Handlungen und nicht etwa an deliktische Handlungen anknüpft, wäre insofern auch eine Haftung wegen Anstiftung oder wegen Beihilfe an unerlaubten Handlungen, wie z.B. an Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen durch den Geschäftsführer nach Insolvenzreife einer GmbH, möglich.65 (b) Unattraktivität des Rückgewähranspruchs Auch der Anspruch gegen die Geschäftsführer bzw. die faktischen Geschäftsführer nach § 64 S. 1 und 2 GmbHG n.F. auf Rückgewähr der nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Feststellung der Überschuldung geleisteten Zahlungen 66 ist nur mittelbar auf die Verbesserung der Vermö60 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 1; K. Schmidt in Scholz, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 6 und 19 ff. 61 So ausdrücklich Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 6. 62 Vgl. Spliedt ZIP 2009, 149, 159. 63 S. Ehricke ZGR 2000, 369 ff. 64 Einzelheiten dazu bei Ehricke ZGR 2000, 369, 370. 65 Ehricke ZGR 2000, 369 ff. 66 Der Begriff der „Zahlungen“ wird allgemein als zu eng verstanden. Gemeint sind vielmehr alle Leistungen, die das Gesellschaftsvermögen schmälern (vgl. BGHZ 126, 181, 194;

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gensposition der Gläubiger gerichtet. Es handelt sich nämlich um einen Anspruch der Gesellschaft gegen das Geschäftsleitungsorgan, der im Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter geltend gemacht wird.67 Erst die damit bewirkte Vergrößerung der Masse wirkt sich dann durch die Verbesserung der Quote für die Gläubiger aus. dd) Einstandspflicht für Zahlungen, die zur Zahlungsunfähigkeit führen mussten (1) Grund für den neuen Ansatz Eine wichtige Neuerung, Zahlungen, die im Rahmen einer Unternehmensbestattung an die Gesellschafter geflossen sind, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wieder zur Masse zu ziehen, ist durch das MoMiG in § 64 S. 3 GmbHG eingeführt worden. Diese Vorschrift erweitert die Einstandspflicht der Geschäftsführer und der faktischen Geschäftsführer 68 einer GmbH und erstreckt sich auf solche Zahlungen aus dem Vermögen der Gesellschaft durch den Geschäftsführer, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dass dies auch bei der Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes nicht erkennbar war. Erfasst werden von dieser Ersatzpflicht allerdings nur Zahlungen aus dem Vermögen der GmbH an deren Gesellschafter und an Dritte, die einem Gesellschafter gleich stehen. Letzteres ergibt sich daraus, dass – wie bei der Kapitalaufbringung – Umgehungen (z.B. Zahlungen an Strohmänner oder an Konzernunternehmen, die sich wirtschaftlich wie eine Zahlung an den Gesellschafter darstellen) verhindert werden sollen, um die Regelung nicht leer laufen zu lassen. Der Umfang der Ersatzpflicht beschränkt sich auf alle Leistungen, die Auswirkungen auf die Liquidität der Gesellschaft haben, abzüglich des Wertes etwaig erbrachter Gegenleistungen des Zahlungsempfängers, die sich bei der Gesellschaft als vermögenswirksam erweisen.69 Die Vorschrift des § 64 Satz 3 GmbHG soll nach der Konzeption des Gesetzgebers die Haftung der Gesellschafter wegen Insolvenzverursachungshaftung ergänzen.70 Durch beide Instrumente soll gewährleistet werden, dass weder die Gesellschafter noch die Geschäftsführer für die Gesellschaft überlebenswichtige Vermögenswerte abziehen, die die Gesellschaft bei objektiver Betrachtung zur Erfüllung ihrer Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 7; Röhricht ZIP 2005, 505, 510 f.), wobei die erhaltene Gegenleistung in Abzug zu bringen ist (s. BGH ZIP 2003, 1006; Casper in Ulmer, GmbHG, Band III, 2008, § 64 Rn. 85; Geißler NZG 2007, 645, 647). 67 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 7. 68 Vgl. Casper in Ulmer, GmbHG (Fn. 66), § 64 Rn. 39; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 2; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 9. 69 Vgl. Greulich/Rau NZG 2008, 284, 287; Casper in Ulmer, GmbHG (Fn. 66), § 64 Rn. 105; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 24. 70 S. Begründung RegE MoMiG § 64 Satz 3, BT-Drs. 16/6140, S. 46 f.

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Verbindlichkeiten benötigt.71 Die Androhung einer Pflicht zum Ersatz von Zahlungen nach § 64 S. 3 GmbHG soll demzufolge die Ausplünderung der GmbH in Insolvenznähe verhindern 72 und damit auch im Bereich der Bewältigung der Folgen von Unternehmensbestattung einen wichtigen Platz einnehmen.73 (b) Probleme des neuen Ansatzes Ob § 64 S. 3 GmbHG ein wirksames Instrument im Kampf gegen die Unternehmensbestattung sein kann, unterliegt erheblichen Zweifeln. Diese beruhen auf verschiedenen konzeptionellen Problemen der Norm, die es als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Anspruch auf Rückzahlung gem. § 64 S. 3 GmbHG in den Fällen der Unternehmensbestattung in der Praxis kaum eine nennenswerte Bedeutung erlangen wird. (1) Kausalzusammenhang zwischen Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen und der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft Ein wesentliches konzeptionelles Problem besteht darin, dass die Rechtsfolge des § 64 S. 3 GmbHG nur durch solche Zahlungen an Gesellschafter oder an gleichgestellte Dritte ausgelöst wird, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten.74 Damit wird durch das Gesetz ein enger Kausalzusammenhang deutlich gemacht,75 der betont, dass es sich bei der Regelung um eine Ausnahmevorschrift handeln soll, die nur einen eng begrenzten Anwendungsbereich abdeckt.76 Sinn und Zweck der Norm ist es, dass der Geschäftsführer solche Zahlungen nicht an die Gesellschafter erbringen soll, bei denen sich zum Zeitpunkt der Zahlung schon klar abzeichne, dass die Gesellschaft unter normalem Verlauf der Dinge ohne den weggegebenen Vermögenswert ihre Verbindlichkeiten nicht mehr werde erfüllen können.77 Allerdings bedeute dies nach der Konzeption des Gesetzgebers nicht, dass die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft sofort in dem Moment der Zahlung eintrete. Es komme nur darauf an, dass durch die Zahlung gerade jene Liquidität abgezogen wird, welche die Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Verbind71

Vgl. die Begründung RegE MoMiG § 64 Satz 3, BT-Drs. 16/6140, S. 46 f. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 22; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 95; Kleindiek FS K. Schmidt, 2007, S. 893, 900 ff.; vgl. auch Seibert ZIP 2006, 1157, 1167. 73 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 22. 74 Weitergehend Casper in Ulmer, GmbHG (Fn. 66), § 64 Rn. 107 – auch die Verursachung der Überschuldung der Gesellschaft sei erfasst. 75 Ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 27; anders wohl tendenziell Cahn Der Konzern 2009, 7, 16 (für die AG). 76 Vgl. Begr. RegE MoMiG § 64 Satz 3, BT-Drs. 16/6140, S. 47. 77 Begr. RegE MoMiG § 64 Satz 3, BT-Drs. 16/6140, S. 46 f. 72

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lichkeiten benötigt, so dass die Zahlungsunfähigkeit, wenn auch nicht notwendig sofort, unausweichliche Folge der Zahlung ist.78 Dem Geschäftsführer wird damit aufgebürdet, im Rahmen einer auf den Zahlungszeitpunkt bezogenen Solvenzprognose vorherzusehen, dass die Zahlung an den Gesellschafter – auch beim Hinzutreten weiterer Umstände, die dem Verlauf der Dinge entsprechen 79 – zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen wird. Da es sich bei dem Eintritt der Insolvenz einer Gesellschaft regelmäßig um einen multikausalen Prozess handelt,80 dürfte es in der Praxis – unabhängig von den Fällen der Unternehmensbestattung – allgemein bereits um vernachlässigbar wenige Fälle handeln, in denen tatsächlich diese Voraussetzung erfüllt sein wird, denn es wird ex post kaum geklärt werden können, welche von mehreren Umstände tatsächlich kausal für die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gewesen ist und ob dies für den Geschäftsführer aus einer verobjektivierten Sichtweise auch ex ante vorhersehbar gewesen ist. Entsprechend soll nach dem Willen des Gesetzgebers der notwendige Kausalzusammenhang bereits dann nicht gegeben sein, wenn es erst nach Hinzutreten weiterer Umstände zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft kommt, die im Moment der Zahlung noch nicht feststanden.81 Zu dieser, aus Sicht der Anspruchsteller bereits problematischen Kausalitätsvoraussetzung kommt hinzu, dass man dem Geschäftsführer einer GmbH wird zubilligen müssen, ein Wahrscheinlichkeitsurteil hinsichtlich der Kausalität der Zahlung an den Gesellschafter für die Folge des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu fällen, da von niemandem normativ gefordert werden kann, eine auf den Zeitpunkt der Leistung bezogene Prognose über den zukünftigen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu machen, die mit der Prognose übereinstimmt, die ein „objektiver Betrachter“ aus einer ex post-Sicht gemacht hätte.82 Die hier angedeuteten Probleme verschärfen sich im Falle einer Unternehmensbestattung weiter, weil die Geschäftsführer, die typischerweise in den zu bestattenden Gesellschaften eingesetzt werden, regelmäßig ganz geschäftsunerfahren und meist für die Position eines Geschäftsführers ungeeignet sind. In diesen Fällen wird man derartigen Geschäftsführern grundsätzlich nicht das Wissen oder die Fähigkeiten eines durchschnittlichen, ordentlichen Geschäftsführers zubilligen können, was zur Folge hat, dass ihnen Zahlungen an den oder die Gesellschafter regelmäßig nicht vorgeworfen werden können, weil sie nicht ab78

Begr. RegE MoMiG § 64 Satz 3, BT-Drs. 16/6140, S. 46. Dazu s. u.a. Greulich/Rau NZG 2008, 284, 288; Greulich/Bunnemann NZG 2006, 681, 685; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 28; anders aber z.B. Hölzle GmbHR 2007, 729, 731. 80 Vgl. Stellungnahme des DAV zum Referentenentwurf, NZG 2007, 211, Tz. 70. 81 Begr. RegE MoMiG § 64 Satz 3, BT-Drs. 16/6140, S. 47. 82 Für die Zulässigkeit eines Wahrscheinlichkeitsurteils auch Spliedt ZIP 2009, 149, 160; Knof DStR 2007, 1536, 1540; ders. DStR 2007, 1580, 1581; Greulich/Bunnemann NZG 2006, 681, 685; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 28. 79

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sehen oder erkennen konnten, dass diese Zahlungen oder zumindest eine dieser Zahlungen zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen wird. (2) Wertungsprobleme mit den Insolvenzantragsgründen Unabhängig von diesen Problemen führt die Regelung des § 64 S. 3 InsO zu Wertungsproblemen mit den Insolvenzantragsgründen der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO und der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO.83 Nach § 17 InsO in Verbindung mit § 15a Abs. 1 InsO müssen die Mitglieder des Vertretungsorgans der GmbH unverzüglich, spätestens aber nach drei Wochen nach Eintritt der Situation, dass die Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. § 18 InsO erlaubt es einem Geschäftsführer der GmbH (wenn es mehrere Geschäftsführer gibt, dann nur mit diesen gemeinsam, vgl. § 18 Abs. 3 InsO) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, wenn die Gesellschaft voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.84 § 64 S. 3 GmbHG führt – nimmt man die Formulierung wörtlich – nur dann zu einer Ersatzpflicht des Geschäftsführers, wenn die Zahlung an den oder die Gesellschafter zur Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO führt.85 Daraus folgt zweierlei: Zum einen werden nur die Weggabe liquider oder unverzüglich liquidierbarer Mittel aus dem Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter von § 64 S. 3 GmbHG erfasst. Das bedeutet, dass etwa Sachleistungen, die nicht die Fähigkeit beeinträchtigen, fällige Zahlungspflichten der Gesellschaft sofort zu begleichen, nicht vom Begriff der Zahlung im Sinne des § 64 S. 3 InsO erfasst werden.86 Dasselbe gilt auch für Zahlungen aufgrund eines Darlehens an den Gesellschafter, soweit der Rückzahlungsanspruch vollwertig und jederzeit liquidierbar ist,87 und für Sicherheiten, die seitens der Gesellschaft durch den Geschäftsführer für den Gesellschafter bestellt werden, soweit der Rückgriffsanspruch gleichwertig und liquide ist.88 Schließlich bedeutet die Anknüpfung an den Zahlungsunfähigkeitsbegriff des § 17 Abs. 2 InsO, dass – mit einigen in der Praxis wohl kaum relevanten Ausnahmen 89 – durch die Zahlung auf eine 83

Vgl. allerdings Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 96 ff. Vgl. dazu monographisch Möser Die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners als neuer Eröffnungsgrund, Diss. Berlin 2006. 85 Ebenso Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 98. 86 S. etwa Knof DStR 2007, 1536, 1538. 87 Niesert/Hohler NZI 2009, 345, 349; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 98; s. aber auch Poertzgen ZInsO 2010, 785, 787. 88 Niesert/Hohler NZI 2009, 345, 349 dagegen aber Poertzgen ZInsO 2010, 785, 787 mit dem rein rechtspolitischen Hinweis, dass ansonsten der Anwendungsbereich des § 64 S. 3 GmbHG vollkommen einschmelze. 89 Zu diesen Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 99. 84

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Gesellschafterforderung, die ihrerseits fällig und durchsetzbar ist, keine Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt werden kann.90 Denkbar wäre zwar, dass die Verpflichtung zur Zahlung die Insolvenz auslösen kann, allerdings wohl nur im Rahmen der Überschuldung und nicht im Rahmen der Zahlungsunfähigkeit.91 Unabhängig davon soll nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Norm – wie in § 64 S. 1 GmbHG – nur eine Zahlung im Sinne einer tatsächlichen Weggabe von Vermögenswerten von § 64 S. 3 InsO erfasst werden, also nicht bereits die Begründung von Forderungen.92 Vor dem Hintergrund dieser durch die Anknüpfung an den Begriff der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO indizierten Einschränkungen des Begriffs der Zahlung käme es praktisch zu einer weitgehenden Sinnentleerung des § 64 S. 3 GmbHG, weil eine Vielzahl von Transaktionen zu Gunsten der Gesellschafter nicht von § 64 S. 3 GmbHG erfasst würden.93 Zum anderen folgt aus der Anknüpfung an den Begriff der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 InsO, dass allein die Zahlung an den oder die Gesellschafter bereits zur Zahlungsunfähigkeit führen muss.94 Das kann freilich nicht gemeint sein, da § 64 S. 3 GmbHG – dies vorausgesetzt – allein schon aus diesem Grund nahezu vollständig bedeutungslos würde, weil nur die Fälle erfasst würden, in denen der Geschäftsführer gleichsam als letzte Zahlung diejenige an die Gesellschafter vornähme und mit dessen Vollzug unverzüglich gem. § 17 InsO den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen müsste.95 Zudem liefe dadurch der in § 64 S. 3 InsO einzuräumende Prognosespielraum der Geschäftsführer im Kern leer, weil nach § 15 a Abs. 5 InsO auch schon eine fahrlässige fehlende, fehlerhafte oder verspätete Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 17 InsO bestraft wird.96 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 64 S. 3 GmbHG anders auszulegen.97 Ansatzpunkt wäre insoweit die an sich eher eigentümliche Formulierung des Gesetzes „zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten.“ Entgegen einer in der Literatur vertretenen Meinung 98 ist darin eine ex post-Betrachtung enthalten,99 die auf eine Zeitraumilliquidität abstellt. Damit liegt es nahe, die Formulierung des § 64 S. 3 InsO als Anforde-

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S. Spliedt ZIP 2009, 149, 159. So jedoch Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 99. 92 S. Knof DStR 2007, 1536, 1538; Wicke GmbHG, 2008, § 64 Rn. 27. 93 Insoweit auch Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 99; Spliedt ZIP 2009, 149, 159. 94 Ebenso Greulich/Rau NZG 2008, 284, 288. 95 K. Schmidt in Scholz, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 83. 96 Vom Resultat her ähnlich Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 103. 97 Im Ergebnis ebenso Spliedt ZIP 2009, 149, 159 f.; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 99. 98 Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 104. 99 So auch K. Schmidt in Scholz, GmbHG (Fn. 41), § 64 Rn. 68. 91

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rung an die Prognose des Geschäftsführers zu qualifizieren, die parallel zu der Prognose läuft, die vom Geschäftsführer auch im Rahmen von § 18 InsO erwartet wird. Das entspräche dann auch dem vom Gesetzgeber geäußerten Verständnis des § 64 S. 3 GmbHG, dass die Zahlung an die Gesellschafter nicht monokausal für die Zahlungseinstellung bei der Gesellschaft sein müsse, sondern es ausreiche, wenn die Zahlung an den oder die Gesellschafter einen wesentlichen Beitrag dazu leiste, dass die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeigeführt werde.100 Wollte man dies anders sehen, würde man den in der Praxis gerade typischen Fall nicht erfassen können, in welchem die Gesellschafter ihr Geld aus der Gesellschaft gerade dann abziehen, wenn sich die Insolvenz der Gesellschaft bereits abzeichnet, denn der Entzug der Liquidität würde in solchen Fällen den Eintritt der durch andere Ursachen (mit-)verursachten Insolvenz der Gesellschaft nur beschleunigen, nicht aber in Gang setzen.101 Wenn man allerdings den Zurechnungszusammenhang zwischen einer Zahlung an den oder die Gesellschafter und der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft an die „drohende Zahlungsunfähigkeit“ gem. § 18 Abs. 2 InsO anknüpfen wollte, um die Probleme zu vermeiden, die mit der Anknüpfung an den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 InsO einhergehen, „importiert“ man freilich automatisch die ganz erheblichen Unsicherheiten, die es im Rahmen des § 18 InsO hinsichtlich der vom Geschäftsführer insoweit anzustellenden Prognose gibt,102 in die Anwendung des § 64 S. 3 GmbHG. Dies gilt vor allem für die Länge des Prognosezeitraums.103 Würde man allerdings selbst den kürzesten Prognosezeitraum zugrunde legen, der von der Literatur vertreten wird, so käme es zu einem Konflikt mit der ausdrücklichen Gesetzesbegründung zu § 64 S. 3 GmbHG. Demnach dürfe es zwar eine gewisse Zeitspanne zwischen Zahlung und Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geben, diese dürfe aber nur so ausgestaltet sein, dass es sich im Moment der Zahlung klar abzeichne, dass die Gesellschaft 100 Vgl. Spliedt ZIP 2009, 149, 160; Casper in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rn. 6.46; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 105. 101 So zutreffend Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 105 unter Berufung auf Spliedt ZIP 2009, 149, 160. 102 Dazu vgl. statt aller Schmerbach in Frankfurter Kommentar InsO (Fn. 57), § 18 Rn. 8; Drukarczyk in MünchKommInsO (Fn. 6), § 18 Rn. 41 ff.; Uhlenbruck in ders., InsO (Fn. 47), § 18 Rn. 6 ff. 103 Vgl. z.B. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO (Stand: September 2009), § 18 Rn. 9 (maximal 2 Jahre); Müller in Jaeger, InsO, 2007, § 18 Rn. 7 (letzter bestehender Fälligkeitstermin, maximal 2 Jahre); Schmerbach in Frankfurter Kommentar InsO (Fn. 57), § 18 Rn. 8a (maximal drei Jahre); Mönnig in Nerlich/Römermann, InsO (Stand: März 2009), § 18 Rn. 25 (letzter Fälligkeitstermin bestehender Zahlungen, ggf. mehrere Jahre); Drukarcyk in MünchKommInsO (Fn. 6), § 18 Rn. 44 (letzter Fälligkeitstermin bestehender Zahlungsverpflichtungen ohne zeitliche Grenze); Kind in Braun, InsO, 4. Aufl. 2009, § 18 Rn. 8 (einzelfallabhängig).

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unter dem normalen Verlauf der Dinge ihre Verbindlichkeiten nicht mehr wird erfüllen können.104 Legt man dem entsprechend für § 64 S. 3 GmbHG die Begriffsbestimmung der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Abs. 2 GmbHG um diesen Zeitraum modifiziert zugrunde, bliebe es immer noch dabei, dass es im Zeitpunkt der Zahlung zu einer Situation kommt, die derjenigen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit entspricht. Es ist – außer dem Fall, dass die Zahlung monokausal zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führt – nämlich kein Fall denkbar, in dem die Anforderungen des § 64 S. 3 GmbHG an die Zahlung des Geschäftsführers an die Gesellschafter nicht zu der Situation einer drohenden Zahlungsunfähigkeit führen. Wenn dem so ist, dann ist aber nicht nur § 64 S. 3 GmbHG als Anspruchsgrundlage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anwendbar, sondern vorher auch immer § 18 InsO zu beachten. Es würde sich insoweit dann allerdings auch immer die weitergehende Frage stellen, ob der Geschäftsführer nach der Zahlung an einen Gesellschafter, die zu einer drohenden Zahlungsunfähigkeit führt, vor der möglichen Stellung eines Antrages gem. § 18 InsO einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung herbeiführen muss. Ein solches Vorgehen wird von einer starken Auffassung in der Literatur mit sehr guten Gründen aus § 49 Abs. 2 GmbHG gefolgert 105 und ist insoweit auch schlüssig, weil eine Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft auch für die zu frühe Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Betracht kommt 106 und durch einen entsprechenden Beschluss nach § 49 Abs. 2 GmbHG vermieden werden könnte. Dies als zutreffend unterstellt, würde man dann allerdings zu dem offenbar widersprüchlichen Ergebnis kommen, dass der Geschäftsführer einer GmbH zwar aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafter die frühzeitige Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterlassen darf und damit ggf. vor einer späteren Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG immunisiert würde, zugleich aber nach dem späteren Eintreten der Zahlungsunfähigkeit und der darauf folgenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 64 S. 3 GmbHG zur Rückzahlung des an die Gesellschafter gezahlten Betrages verpflichtet wäre. Rechtfertigen könnte man ein solches Ergebnis allerdings dadurch, dass das Unterlassen der Antragsstellung den Gesellschaftern, an die die Zahlung geleistet wurde, die Möglichkeit bieten würde, vor dem tatsächlichen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit entweder den entsprechenden Betrag zum Vermögen der Gesellschaft zurückzugewähren oder zugunsten der

104

S. RegBegr. MoMiG, S. 107. Vgl. z.B. Wortberg ZInsO 2004, 707, 709 f.; Uhlenbruck in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rn. 5.10; K. Schmidt/Seibt in Scholz, GmbHG (Fn. 41), § 49 Rn. 23; Veil ZGR 2006, 374, 381; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 49 Rn. 13. 106 Vgl. Hennssler ZInsO 1999, 121; Ehlers ZInsO 2005, 169. 105

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Gesellschaft eine liquide Gegenleistung zu erbringen 107 oder der Gesellschaft in derselben Höhe ein Darlehen zu gewähren und dabei ausdrücklich einen Rangrücktritt zu vereinbaren.108 Fraglich ist allerdings, ob dies eine wahrscheinliche Annahme ist, denn es wäre aus Sicht der Gesellschafter ökonomisch nicht sinnvoll, Zahlungen zurückzuleisten, wenn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht sie, sondern der Geschäftsführer für die Rückzahlung einzustehen hat. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Gesellschafter durch die Forderung der Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen durch den Geschäftsführer an sie zugleich den Tatbestand einer Insolvenzverursachungshaftung gem. § 826 BGB erfüllen würden.109 Ist dem nicht so, könnte man sogar erwarten, dass die Gesellschafter regelmäßig einen Beschluss nach § 49 Abs. 2 GmbHG dergestalt treffen werden, dass der Geschäftsführer den Antrag nach § 18 InsO zu stellen habe. In diesem Fall hätten sie nämlich die Möglichkeit die Rückzahlung der an sie geleisteten Zahlung dem Geschäftsführer gem. § 64 S. 3 GmbHG aufzubürden. Da nach h.M. an der Verwirklichung des Tatbestandes des § 64 S. 3 InsO keine Beihilfe und keine Anstiftung möglich sein soll,110 würde ein solches Ergebnis freilich unbillig sein, denn der Geschäftsführer könnte sich nur vor einer Zahlungsverpflichtung nach § 64 S. 3 GmbHG schützen, wenn er sich von vornherein weigern würde, die Zahlung an den oder die Gesellschafter vorzunehmen.110a Zwar muss er gem. § 37 Abs. 1 GmbHG keine nichtigen oder anfechtbaren Beschlüsse der Gesellschafter befolgen, doch bedeutet dies zugleich, dass er im Moment der Gesellschafterweisung eine Zahlung an einen oder mehrere Gesellschafter vorzunehmen, eine – möglicherweise umfassende – rechtliche Prüfung von ggf. komplizierten Sachverhalten durchführen muss und sich letztenendes ggf. sogar gegen den Willen der Gesellschafter durchsetzen muss. Dies dürfte mit langwierigen gerichtlichen Verfahren einhergehen, die möglicherweise auch einen ungewissen Ausgang haben, insbesondere dann, wenn die Frage, ob der Geschäftsführer die Auswirkung der Zahlung auf die zukünftige Zahlungsunfähigkeit der Gesellschafter hätte erkennen können, geklärt werden muss. Die in der Rechtsprechung insoweit gelegentlich zu findende Formulierung, dass die Insolvenz der Gesellschaft in derartigen Fällen zum Greifen nahe sei, stimmt nicht mit den insolvenzpraktischen Erfahrungen überein. Die Weigerung von Geschäftsführern einer GmbH, eine durch Beschluss der Gesellschafter vorgegebene Weisung nicht zu befolgen,

107 Dazu vgl. Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 100; Greulich/Rau NZG 2008, 284, 287. 108 Zu Letzterem vgl. Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 100. 109 Dazu s. unten. 110 Vgl. Casper in Ulmer, GmbHG (Fn. 66), § 64 Rn. 36 ff. 110a S. Poertzgen ZInsO 2010, 785, 787 zu der Frage, ob der Geschäftsführer die Zahlung verweigern darf, wenn er sich sonst der Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG aussetzen würde.

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dürfte – selbst in dem unterstellten Falle, die Insolvenz sei zum Greifen nahe – die ganz seltene Ausnahme sein. Nimmt man insoweit wiederum die spezielle Situation der Unternehmensbestattung in den Blick, so wird dies von den dort regelmäßig als Geschäftsführer eingesetzten Strohleuten praktisch nie zu erwarten sein, da diese typischerweise gerade immer danach ausgesucht werden, dass sie kritiklos das umsetzen, was ihnen – von den Bestattern und oder von den Gesellschaftern – vorgegeben wird. Auch vor diesem Hintergrund erweist sich die Vorschrift des § 64 S. 3 GmbHG allgemein und im Fall der Unternehmensbestattung im Besonderen als im Wesentlichen untauglich, Zahlungen des Geschäftsführers aus dem Gesellschaftsvermögen an die Gesellschaft im Insolvenzverfahren wieder in die Masse ziehen zu können. (3) Fehlende Beteiligtenhaftung Ein drittes, vor allem aus Sicht der Bekämpfung der Unternehmensbestattung bedeutendes Defizit des § 64 S. 3 GmbHG besteht schließlich darin, dass das dort normierte Verbot nicht den Charakter einer unerlaubten Handlung haben soll, so dass eine Haftung der Gesellschafter oder Dritter als Anstifter oder wegen Beihilfe gem. §§ 830, 840 BGB nicht in Betracht kommt. Damit würde aber derjenige, der die durch den Geschäftsführer bewirkte Zahlung an den oder die Gesellschafter „angestoßen“ hat und in der Regel als „denkender Kopf hinter dem Täter“ fungiert, haftungsrechtlich nicht im Rahmen des § 64 S. 3 GmbHG erfasst, sondern – soweit es sich um die Gesellschafter handelt – allenfalls im Rahmen des § 826 BGB, jedenfalls dann, wenn dieses Verhalten auch zugleich die (wegen des doppelten Vorsatzes) viel höheren Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt. Wenn es sich bei den Hintermännern indes nicht um Gesellschafter handelt, sondern etwa wie bei der Unternehmensbestattung um die Bestatter, können diese nach der von der h.M. vertretenen Konzeption des § 64 S. 3 GmbHG wegen der Zahlung des Geschäftsführers haftungsrechtlich nicht belangt werden, obwohl diese als Hintermänner oftmals die entsprechenden Zahlungen des Geschäftsführers angestoßen haben. (4) Zusammenfassung und weitergehende Überlegung (aa) Zusammenfassung Für den Fall der Unternehmensbestattung erweist sich die Regelung des § 64 S. 3 GmbHG als ein wirkungsloses und zudem unbilliges Instrument. Die Voraussetzungen, die das Gesetz an Zahlungen knüpft, die der Geschäftsführer einer zu bestattenden GmbH an die Gesellschafter geleistet hat, dürften nur in seltenen Ausnahmefällen vorliegen, so dass der Insolvenzverwalter, dem die Geltendmachung dieses Rückzahlungsanspruchs zur Vergrößerung

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der Masse obliegt,111 in der Regel erfolglos versuchen dürfte, auf dieser Rechtsgrundlage diese Zahlungen zur Masse zurückzufordern. Selbst wenn es dem Insolvenzverwalter gelingen sollte, die Voraussetzungen des Anspruchs zu beweisen, so wird der Anspruch in den Fällen der Unternehmensbestattung ins Leere laufen, da die Geschäftsführer, die im Zusammenhang mit der Bestattung eingesetzt werden, typischerweise mittellos und damit nicht in der Lage sind, den entsprechenden Betrag zurückzuzahlen. Die Gesellschafter hingegen, die die Zahlung erhalten haben, oder der Bestatter, der den Geschäftsführer der GmbH zu der Zahlung „angewiesen“ hat, sind bislang nach h.M. nicht dem Rückzahlungsanspruch ausgesetzt bzw. können auch nicht als Anstifter oder wegen Beihilfe zur Verantwortung gezogen werden. (bb) Weitergehende Überlegung Aufgrund der dargestellten Schwierigkeiten mit den tatbestandlichen Voraussetzungen des Rückzahlungsanspruches gegen den Geschäftsführer aus § 64 S. 3 GmbHG liegt es nahe, dass nicht nur in Fällen der Unternehmensbestattung mit seinen Besonderheiten im Prinzipal-Agenten-Verhältnis, sondern auch in den meisten anderen Fällen das mit der Einführung dieser Norm verbundene Ziel nicht erreicht werden wird. Unabhängig davon ist die Regelung des § 64 S. 3 GmbHG aus allgemeinen dogmatischen Gründen sehr problematisch und daher abzulehnen. Die Vorschrift des § 64 S. 3 GmbHG ist von ihrer Konzeption eng mit der Insolvenz einer GmbH, insbesondere mit § 18 InsO, verbunden. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellt immer einen wesentlichen Eingriff in die Autonomie des Schuldners und in die Eigentumsrechte der Gläubiger dar. Dies bildet sich in dem durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens markierten Übergang von einem Einzelzwangsvollstreckungsansatz mit Prioritätsgrundsatz zu einem Gesamtvollstreckungsansatz mit dem Prinzip der Gläubigergleichbehandlung ab. Die Rechtfertigung für diesen Paradigmenwechsel liegt darin, dass zu diesem Zeitpunkt das gesamte Vermögen des Schuldners nicht mehr ausreicht, alle Verbindlichkeiten sämtlicher Gläubiger zu befriedigen.112 Die Einleitung dieses Paradigmenwechsels zu einem Zeitpunkt, in dem – jedenfalls formal – das Vermögen des Schuldners noch ausreichen würde, alle fälligen Forderungen der Gläubiger zu befriedigen, bedarf aufgrund der weitreichenden Folgen des Insolvenzverfahrens eine besonders starke Rechtfertigung. Diese besteht im Zusammenhang mit dem Antragsgrund des § 18 InsO allein in der Vorstellung, dass die Chancen für eine nachhaltige Sanierung des Schuldners verbessert werden können, wenn bereits zu diesem (frühen) Zeitpunkt das Insol111 Einhellige Meinung, vgl. Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 108; Wicke, GmbHG, § 64 Rn. 26; Casper in Ulmer, GmbHG (Fn. 66), § 64 Rn. 109; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 64 Rn. 32. 112 Siehe statt vieler Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rn. 2.17 ff.

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venzverfahren eröffnet wird, was dann im Ergebnis positive Effekte für den Markt insgesamt haben soll.113 Der damit einhergehende Eingriff in die Verfügungsrechte des Schuldners und in die Vermögensrechte der Gläubiger wird also im Wesentlichen gerechtfertigt durch die Vorteile für den Markt insgesamt, der mit dem sanierten Schuldner einen wettbewerbsfähigen Teilnehmer zurückgewinnt und mit den daraus resultierenden ökonomischen Vorteilen für die Gläubiger. Aus dieser Perspektive ist es wichtig, dass die Begründung für die Einführung des § 64 S. 3 GmbHG ebenfalls auf dem Gedanken des Gläubigerschutzes beruht. Es sollen nämlich in der Krise des Unternehmens keine Zahlungen an die Gesellschafter mehr erfolgen, die das Kapital, welches die Gesellschaft zur Verfügung hat, um die fälligen Forderung der Gläubiger zu erfüllen, zum Nachteil der Gläubiger verringern.114 Das führt aber unmittelbar zu der Frage, mit welcher Rechtfertigung der Geschäftsführer für Zahlungen an die Gesellschafter in einem – nicht einmal genau zu definierenden – Zeitpunkt der Krise dafür einstehen muss, dass gerade derjenige Betrag aus dem Gesellschaftsvermögen, den er an die Gesellschafter gezahlt hat, zu dem Vermögen gehört, das den Gläubigern im Zeitpunkt der jeweiligen, individuellen Fälligkeit ihrer Forderung als Haftungsmasse zur Verfügung stehen soll. Da – außer bei bestimmten Sicherungsrechten – keine genaue Zuordnung von Teilen des Schuldnervermögens zu bestimmten Gläubigerforderungen besteht, kann der Sinn und Zweck und damit die Rechtfertigung der Regelung des § 64 S. 3 GmbHG nur darin bestehen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt „im Leben der GmbH“ die Haftungsmasse für die Gläubiger nicht mehr durch Zahlungen an die Gesellschafter verringert werden darf. Unabhängig von der an dieser Stelle nicht zu vertiefenden Frage, ob es dogmatisch möglich und systematisch kohärent ist, durch die Regelung des § 64 S. 3 GmbHG mittelbar eine Auszahlungssperre für Gesellschafter in der (fortgeschrittenen) Krise der Gesellschaft zu schaffen, verkennt ein solcher Ansatz, dass es keinerlei Rechtfertigung für einen (erweiterten) Gläubigerschutz in einer solchen Krisensituation gibt und damit auch keine Rechtfertigung für eine Auszahlungssperre an die Gesellschafter. Ein gegenläufiger Regelungsansatz würde nämlich verkennen, dass es ein Kernmerkmal einer GmbH ist, dass den Gläubigern zum Zeitpunkt der Fälligkeit ihrer jeweiligen Forderungen – wie es § 13 Abs. 2 GmbHG ausdrücklich vorsieht – nur das Gesellschaftsvermögen zur Haftung zur Verfügung steht. Dieses Vermögen ist hinsichtlich der Verringerung durch Zahlungen an die Gesellschafter lediglich insoweit geschützt, dass einmal die von den Gesellschaftern versprochene Einlage effektiv aufgebracht und dem Vermögen der Gesellschaft zugeordnet werden muss 115 und dass dieses der 113 Vgl. dazu statt aller Drukarczyk in MünchKommInsO (Fn. 6), § 18 Rn. 1 ff.; Haas GmbHR 2010, 1. 114 Begr. RegE MoMiG, S. 105 ff. 115 S. statt aller K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 37 I 2.

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Gesellschaft zugeordnete Stammkapital auf Dauer der Existenz der Gesellschaft nicht durch Zahlungen an die Gesellschafter wieder entzogen wird (vgl. § 30 Abs. 1 GmbHG). Darüber hinaus hat kein Gläubiger einer GmbH ein gesichertes Interesse, dass das Vermögen der Gesellschaft tatsächlich ausreichen wird, damit gerade seine Forderung zum Fälligkeitszeitpunkt auch tatsächlich erfüllt werden kann bzw. dass eine bestimmte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehende Vermögens- und Haftungsmasse auch zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung noch besteht und dann gerade für die Erfüllung seiner (also des betreffenden Gläubigers) Verbindlichkeit verwendet wird. Vielmehr muss er bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses immer davon ausgehen, dass ein Risiko besteht, dass er mit seiner Forderung ausfallen wird. Die Einschätzung der Größe des Risikos obliegt dabei allein dem Gläubiger. Gläubiger können sich nur darauf verlassen, dass in dem Fall, in dem das Vermögen ihres Schuldners nicht ausreicht, alle Schuldner zu befriedigen, und er mit der vollständigen Befriedigung seiner Forderung ausfällt, in einem Insolvenzverfahren kein Gläubiger besser behandelt wird als er selbst und alle quotal befriedigt werden. Eine Ausnahme gibt es zum einen dann, wenn dem Gläubiger zugesichert wird, zum Zeitpunkt der Fälligkeit seiner Forderung werde eine bestimmte (ausreichende) Summe von liquidem Haftkapital der Gesellschaft vorhanden sein – insoweit begründet sich eine Einstandspflicht des Gesellschafters oder des Geschäftsführers gegenüber dem Gläubiger, wenn jener trotzdem mit seiner Forderung ausfällt, allerdings auf die Verletzung des vorher geschaffenen Vertrauens und nicht auf eine irgendwie gesellschaftsrechtlich geschützte Erwartung des Gläubigers dahingehend, es sei genügend Vermögen bei der Gesellschaft vorhanden, um seine Forderung zu erfüllen. Zum anderen gibt es eine Ausnahme dort, wo die Verringerung des Gesellschaftsvermögens durch die Gesellschafter einen deliktischen Charakter in Bezug auf bestimmte Gläubiger annimmt. Jeder andere Regelungsansatz würde die eine Kapitalgesellschaft charakterisierende Grundlage missachten, dass ein Gesellschafter dann nicht mehr für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen muss, wenn er alle Verpflichtungen der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung erfüllt hat.116 § 64 S. 3 GmbHG erscheint vor diesem Hintergrund aus einem doppelten Grund systemwidrig. Zum einen erweitert er funktional den Anwendungsbereich des § 30 GmbHG auf Zahlungen an die Gesellschafter, obwohl es sich bei den Zahlungen an die Gesellschafter, die von § 64 S. 3 GmbHG erfasst werden, definitionsgemäß gar nicht um stammkapitalverletzende Zahlungen handelt und damit die Rechtfertigung, die für das Auszahlungsverbot des § 30 GmbHG gilt 117, nicht übertragbar ist. Zum anderen wird die Verpflichtung für die Rückgewähr einer solchen Zahlung nicht demjenigen auferlegt, der den Vermögens116 117

S. ausführlich K. Schmidt (Fn. 115), § 37 II und III. Dazu vgl. u.a. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 30 Rn. 5 ff.

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wert tatsächlich erlangt hat (also dem Gesellschafter), sondern demjenigen, der diese Zahlung ausgeführt hat – also dem Geschäftsführer. In diesem Zusammenhang ist insbesondere ungeklärt, mit welcher Rechtfertigung der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Verfahrens den an die Gesellschafter ausgekehrten Betrag vom Geschäftsführer gem. § 64 S. 3 GmbHG zurückverlangen kann, wenn er hinsichtlich desselben Betrages auch den betreffenden Gesellschafter, der den Geschäftsführer angewiesen hat, die Zahlung vorzunehmen, wegen der Haftung wegen Insolvenzverursachung gem. § 826 BGB in Anspruch nehmen kann. Soweit zur Begründung der Einstandspflicht des Geschäftsführers nach § 64 S. 3 GmbHG eine Parallele zu § 122 HGB gezogen wird,118 vermag dies nicht zu überzeugen, denn unabhängig davon, dass § 122 HGB nicht die Geschäftsführer betrifft, sondern sich an die Gesellschafter wendet, denen nur aufgrund der Besonderheiten bei der OHG zugleich auch die Geschäftsführung obliegt, geht es bei der Einschränkung des Entnahmerechts gem. § 122 Abs. 1 2 HS HGB um den Schutz der Mitgliedschaftsrechte der anderen Gesellschafter und nicht – wie bei § 64 S. 3 GmbHG – um den Schutz der Gesellschaftsgläubiger.119 c) Haftungstatbestände für unerlaubte Handlungen In der Diskussion um die Möglichkeiten, die an einer Unternehmensbestattung beteiligten Personen in Anspruch nehmen zu können, spielen Haftungstatbestände für unerlaubte Handlungen eine besondere Rolle, weil man sich von ihnen vielfach einen größeren Erfolg im Kampf gegen die Unternehmensbestattung verspricht.120 Dabei lassen sich im Wesentlichen die gesellschaftsbezogenen Haftungstatbestände, die Haftungstatbestände auf der Grundlage von verschiedensten Schutzgesetzverletzungen in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB und die Haftung der Gesellschafter wegen Insolvenzverursachung unterscheiden. (aa) Haftungsgrundlagen außerhalb der Insolvenzverursachungshaftung Als mögliche allgemeine Haftungsgrundlage in Bezug auf den Geschäftsführer kommen Ansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG in Betracht. Diese können im Einzelfall ergänzt werden durch Ansprüche von Steuergläubigern nach §§ 69, 34 AO 121 und die vielfältigen Ansprüche aus Verletzung von Ver118

So Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 43 Rn. 95. S. Ehricke in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2008, § 122 Rn. 34; Priester in MünchKommHGB, 2. Aufl., § 122 Rn. 40. 120 Zur Parallelität dieser Haftungstatbestände vgl. auch Kleindiek ZGR 2007, 276, 287 ff.; zur Haftung wegen Insolvenzverschleppung aus c.i.c. vgl. Poertzgen ZInsO 2010, 416 ff. und 460 ff. 121 Vgl. dazu u.a. BGH WM 2008, 2213, 2214; BGH DStR 2008, 1492; BGH NJW 2007, 2118, 2120; vgl. auch Schön FS Westermann, 2008, S. 1469, 1480 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 43 Rn. 99 ff. 119

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kehrs- oder Organisationspflichten des Geschäftsführers zum Schutz von Dritten.122 Insbesondere im Zusammenhang mit den Fällen der Unternehmensbestattung werden des Weiteren auch Schadensersatzansprüche aus der Verletzung von gesetzlichen Liquidationsvorschriften, wie vor allem § 73 GmbHG,123 erwogen und die Verletzung von Strafvorschriften, die Schutzgesetze darstellen,124 diskutiert. Bei Letzterem können im Einzelfall die Bankrottdelikte und Untreue eine bedeutende Rolle spielen. So könnte man auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB und § 266 StGB versuchen, den weitgehenden Ersatz der durch die Veruntreuung entzogene Vermögenswerte von den verschiedenen im Rahmen des gesamten Vorgangs der Unternehmensbestattung eingesetzten Geschäftsführern zu verlangen, doch scheitert dies in der Praxis üblicherweise an der Vermögenslosigkeit der als Geschäftsführer eingesetzten Personen und an der strukturell mit einer Unternehmensbestattung einhergehenden Beweislage, insbesondere weil regelmäßig wichtige oder alle Unterlagen der Gesellschaft, die einen Einblick in die Vermögenslage der Gesellschaft gestattet hätten, nicht mehr vorhanden sind. Die Probleme bei der Beweislage lassen es grundsätzlich auch aussichtslos erscheinen, die Gesellschafter oder den Bestatter als Mittäter bei den deliktischen Handlungen der Geschäftsführer in Haftung nehmen zu können. Für den insoweit gemachten Vorschlag, dass die jeweiligen Haftungsadressaten dem Insolvenzverwalter auf Ersatz sämtlicher gegen die bestattete Gesellschaft gerichteten Verbindlichkeiten verpflichtet sind, ihnen aber die Möglichkeit eröffnet wird, im Rahmen eines Gegenbeweises zu zeigen, dass die durch die vorgeworfenen Handlungen zugefügten Nachteile geringer sind als dieser Schaden,125 gibt es weder prozessual noch materiell-rechtlich eine hinreichende normative Grundlage.

122 Dazu vgl. statt vieler Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 43 Rn. 62 ff. 123 So Kleindiek ZGR 2007, 276, 300. Das Problem ist hierbei, dass die h.A. § 73 GmbHG nur als Schutzgesetz für übergangene Gläubiger im Liquidationsverfahren sieht (vgl. Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 73 Rn. 22; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), § 73 Rn. 14, jeweils m.w.N.), bei einer Unternehmensbestattung ein solches Liquidationsverfahren aber gerade nicht eingeleitet wird. Dazu vgl. im Weiteren Kleindiek ZGR 2007, 276, 300 mit umfassenden Nachweisen in den Fn. 97 und 98. 124 So etwa zur Strafbarkeit von Geschäftsführern im Zusammenhang mit einer Firmenbestattung nach den §§ 64, 84 GmbHG sowie §§ 266, 283, 283b StGB LG Potsdam ZInsO 2005, 1225 und nach § 84 GmbHG s. LG Magdeburg Urt. v. 22.06.2007 – 24 Ns 4/06 (zit. n. juris); vgl. zu den strafrechtlichen Folgen des MoMiG Bittmann NStZ 2009, 113 ff. und zu den strafrechtlichen Folgen des gezielten Ankaufs von GmbH-Anteilen insolventer Gesellschaften Goltz/Klose NZI 2000, 108 ff. 125 So Kleindiek ZGR 2007, 276, 301 unter Verweis auf BGH ZIP 2005, 117, 118.

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(bb) Insolvenzverursachungshaftung (1) Ausgangspunkt Zentrale Bedeutung wird im Zusammenhang der Haftung im Rahmen der Unternehmensbestattung mittlerweile der Insolvenzverursachungshaftung 126 beigemessen.127 Die Voraussetzungen und der Umfang für diese Haftung sind zunächst äußerst umstritten gewesen,128 jedoch scheinen diese Unsicherheiten mit dem sog. TRIHOTEL-Urteil des 2. Senates des BGH 129 weitestgehend überwunden zu sein. Sie knüpft allgemein an die Tatsache an, dass ein Gesellschafter dann zur Haftung verpflichtet sein soll, wenn er mittelbar oder unmittelbar über seine Befugnisse hinaus derart in die Vermögensstruktur der Gesellschaft eingegriffen hat, dass ihr dadurch (jedenfalls vorübergehend 130) die Lebensfähigkeit entzogen wurde und sie insolvent wurde.131 Konkret besteht der Haftungsvorwurf darin, dass der oder die Gesellschafter (oder eine gleichgestellte Person 132) in das Vermögen der Gesellschaft eingegriffen haben und in Folge dessen das Haftungssubstrat der Gesellschaft für die Gesellschaftsgläubiger ausgehöhlt oder erheblich gemindert wird.133 Insoweit hat der BGH vertreten, dass mit der Haftung der Verstoß gegen die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erfasst wird, der die Rücksichtnahme auf diese Bindung als das systemimmanente Korrelat der Instrumentalisierung der GmbH als haftungsbegrenzende Institution außer Acht lässt.134 Demzufolge soll das Vermögen einer GmbH einer gläubigerbezogenen Zweckbindung unterliegen, sodass es zu ihrer Befriedigung zu dienen bestimmt ist,135 selbst 126 Diese Haftung wird vielfach auch als „Existenzvernichtungshaftung“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist aber irreführend und auch inhaltlich falsch; s. zutreffend Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), Schlussanh. Konzernrecht, Rn. 122. 127 S. z.B. Kleindiek ZGR 2007, 276, 287 f. und 301 ff., jedoch noch zur Rechtslage vor der TRIHOTEL-Entscheidung des BGH v. 16.7.2007, BGHZ 173, 246. 128 Einen Überblick geben etwa Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 13 Rn. 17 ff. 129 BGHZ 173, 246 ff. Dazu u.a. Altmeppen NJW 2007, 2657 ff.; ders. ZIP 2008, 1201; Habersack ZGR 2008, 533; Goette DStR 2007, 1593 ff.; Hönn WM 2008, 769; Noack LMK 2007, 240726; Paefgen DB 2007, 1907 ff. 130 Zutreffend der Hinweis von Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), Schlussanh. Konzernrecht, Rn. 122, dass im Rahmen der Sanierung während des Insolvenzverfahrens die Lebensfähigkeit des Unternehmens und damit zusammenhängend auch des Unternehmensträgers wiederhergestellt werden kann. 131 Vgl. BGHZ 173, 246 (Rn. 16, 18); dies galt freilich auch schon zur Zeit der BremerVulkan-Entscheidung des BGH s. etwa Rotstegge Konzerninsolvenz, 2007, § 2 C, S. 48. 132 Etwa der mittelbar Beteiligte, s. BGH ZIP 2005, 117, 118. 133 BGHZ 173, 246 (Rn. 16, 18), Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn. 43), Anh. § 47 Rn.18; Bitter in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rn. 94; vgl. auch Noack LMK 2007, 240726. 134 BGHZ 173, 246, Tz. 25; vgl. bereits Zöllner FS Konzen, 2006, S. 1021. 135 BGHZ 173, 246 (Rn. 18).

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wenn es sich nicht originär um das Kapital handelt, das für den Schutz des Stammkapitals erforderlich ist. Mit der TRIHOTEL-Entscheidung hat der BGH zugleich die Unklarheit hinsichtlich der normativen Verortung der Insolvenzverursachungshaftung beseitigt und hat sie als Unterfall der Haftung wegen sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB eingeordnet.136 Die Insolvenzverursachungshaftung ist zugleich als Binnenhaftung gegen die Gesellschafter einer GmbH ausgestaltet und kann daher in der Insolvenz gem. § 92 InsO vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Diese Einordnung der Insolvenzverursachungshaftung hat nicht nur zur Folge, dass sie als Bestandteil des materiellen Zivilrechts auf jede Gesellschaftsform Anwendung finden kann, sondern auch, dass zugleich die ergänzenden Vorschriften und Rechtsgrundsätze des materiellen Zivilrechts gelten.137 Überdies hat der BGH klargestellt, dass der Anspruch aus § 826 BGB nicht gegenüber den §§ 30, 31 GmbHG subsidiär sei.138 Vielmehr soll die Insolvenzverursachungshaftung eine über das Stammkapital hinausgehende „Entnahmesperre“ beinhalten, indem über den Regelungsgehalt der §§ 30, 31 GmbHG hinaus die Gesellschafter der Gesellschaft kein Vermögen entziehen dürfen, wenn dadurch die Gläubigerinteressen gefährdet werden könnten.139 Der Haftungsadressat der Existenzvernichtungshaftung ist grundsätzlich zunächst der Gesellschafter, welcher in die Vermögensordnung der Gesellschaft eingreift.140 Der BGH begründet dies damit, dass gerade auf der Ebene der Gesellschafter, die ihrerseits für die Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen verantwortlich seien, auf eine derartige Zwecksetzung zu achten sei.141 Daneben können auch solche Personen als Haftungsadressaten in Betracht kommen, die nicht unmittelbar an der Gesellschaft beteiligt sind, sondern die über eine andere Gesellschaft mittelbar in die Vermögenslage bei der Gesellschaft eingreifen, indem sie ihre Einflussnahmemöglichkeiten entsprechend ausnutzen.142 Voraussetzung ist aber ein Schaden bei der Gesellschaft und mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Geselschaft.143 136

BGHZ 173, 246 (Rn. 27 ff., 30). Dies hat z.B. Folgen für die Anwendung auf ausländische Gesellschaftsformen, wie z.B. die englische „limited“, weil von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zur Freizügigkeit der Gesellschaften zwingende nationale zivil-, und insolvenzrechtliche Regelungen nicht erfasst sind. Dies ist für die Frage der Unternehmensbestattung wichtig, weil die Gesellschaftsform der „limited“ dort eine zunehmende Bedeutung erhält, da sie bei der Bestattung von Unternehmen innerhalb Deutschlands vermehrt herangezogen wird. Vgl. insoweit auch Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 64 Rn. 17 ff., insbes. 21. 138 BGHZ 173, 246 (Rn. 38). 139 Ebenso wie der BGH auch Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), Schlussanh. Konzernrecht, Rn. 123; Geisler in jurisPR-BGH ZivilR 36/2007 Anm. 1. 140 BGHZ 173, 246 (Rn. 44). 141 BGHZ 173, 246 (Rn. 44). 142 BGHZ 173, 246 (Rn. 44) unter Verweis auf BGH ZIP 2005, 117, 118. 143 S. statt aller Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), Schlussanh. KonzernR, Rn. 125. 137

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Der Gesellschafter muss also wissen oder in Kauf nehmen, dass die Gesellschaft durch sein Handeln geschädigt wird. Hinsichtlich der Sittenwidrigkeit des Handelns ist es genügend, wenn der Gesellschafter es weiß oder für möglich hält, dass durch sein Handeln die Insolvenz der Gesellschaft herbeigeführt oder vertieft wird.144 (2) Ansätze für eine Kritik Das Haftungskonzept des BGH, das keineswegs neu ist,145 ist außerordentlich problematisch. Ohne dass im Zusammenhang mit der Thematik der Unternehmensbestattung umfassend darauf eingegangen werden könnte, seien nur knapp folgende Problembereiche angerissen, die bislang noch nicht befriedigend beantwortet sind. Zunächst setzt die Ausgestaltung einer Binnenhaftung der Gesellschaft gegen die Gesellschafter voraus, dass es für die Gesellschafter Schutzpflichten gegenüber der Gesellschaft gibt, über die die Gesellschafter im Rahmen der Willensbildung der Gesellschaft nicht disponieren können.146 Derartige Schutzpflichten kennt das GmbHG allerdings nicht. Die gesellschaftsvermögensbezogenen Pflichten der Gesellschafter bestehen in der ordnungsmäßigen Aufbringung des versprochenen Kapitals. Selbst die stammkapitalverletzende Kapitalauszahlung an die Gesellschafter trifft sie nicht direkt, sondern nur mittelbar, denn die Zahlungen werden nicht von ihnen, sondern vom Geschäftsführer vorgenommen (vgl. § 43 Abs. 1 GmbHG). Darüber hinaus treffen sie Verpflichtungen nach dem Beschluss zur Kapitalerhöhung oder (ebenfalls mittelbar) zur Liquidierung. Eine reflexive Pflicht zur Beachtung des Erfüllungsinteresses der Gläubiger oder des Interesses der Gläubiger, die GmbH werde ihr Kapital jedenfalls nicht durch Zahlungen an die Gesellschafter verkürzen, besteht nicht. Unabhängig davon würden derartige, sich auf die Vermögensmasse der Gesellschaft beziehende Pflichten auch gar nicht die Gesellschafter betreffen, sondern die Geschäftsführer. Die Gesellschafter sind zwar weisungsbefugt, können aber – mit Ausnahme des Falls des Gesellschaftergeschäftsführers oder des faktischen Geschäftsführers – keine Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen vornehmen. Wenn sie hingegen die Geschäftsführer anweisen, an sie bestimmte Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen vorzunehmen, dann wäre dies allenfalls als Anstiftung zu einer möglicherweise unerlaubten Handlung des Geschäftsführers anzusehen. Ferner setzt die Rechtsprechung des BGH voraus, dass es durch ein Handeln der Gesellschafter zu einem Schaden bei der Gesellschaft gekommen sein muss. Fraglich ist allerdings, worin dieser Schaden liegen soll. Verbreitet wird er in der Insolvenz der Gesellschaft gesehen, die verbun144

Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), Schlussanh. KonzernR, Rn. 125. So z.B. der zutreffende Hinweis von Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 13 Rn. 59. 146 So zu Recht Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 5), § 13 Rn. 59. 145

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den ist mit dem Ausfall der Forderungen der Gläubiger. Ob darin ein Schaden der Gesellschaft zu sehen ist, ist allerdings sehr zweifelhaft. Die Insolvenz der Gesellschaft führt zunächst nämlich nur zu einer Verminderung des Wertes der Gesellschaftsanteile. Insoweit könnte man dann allenfalls vertreten, dass nur die Verminderung des Wertes der Anteile bei allen anderen Gesellschaftern durch das Handeln eines Gesellschafters für diese einen Schaden darstellt, der in der Insolvenz als Gesamtschaden dann durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht wird.147 Aber unabhängig davon, dass ein Schaden der Gesellschafter bereits dann ausschiede, wenn die Zahlung durch einstimmigen oder jedenfalls ordnungsmäßigen Mehrheitsbeschluss gefasst würde, vermag ein solches Konstrukt auch ansonsten nicht zu überzeugen. Die wahren Gläubiger dieses Anspruchs würden nämlich allenfalls ganz zuletzt von diesem Anspruch profitieren. Der Anspruch kommt zunächst und nahezu immer zum gesamten Teil den Gläubigern der Gesellschaft durch eine Vergrößerung der Quote zugute, obwohl nicht sie, sondern die Gesellschafter die Geschädigten sind. Würde man hingegen darauf abstellen, dass die Gläubiger der Gesellschaft durch die Insolvenz der GmbH geschädigt würden, so setzte dies voraus, dass diese überhaupt ein geschütztes Interesse daran haben, dass sie nicht deshalb mit ihren Forderungen ausfallen, weil die Gesellschaft genügend Vermögen hat. Gerade dies aber ist nicht der Fall. Kein Gläubiger ist davor geschützt, dass er mit seiner Forderung aufgrund der Insolvenz ausfallen wird. Selbst wenn man diesen Grundsatz des deutschen Insolvenzrechts nicht anerkennen wollte, so ergibt sich die tatsächliche Schwierigkeit, dass die Insolvenz praktisch nie auf eine Zahlung an einen oder mehrere Gesellschafter allein zurückzuführen ist. Insoweit würde man in der Praxis auch nie den subjektiven Tatbestand des § 826 BGB erfüllen können. Eine Ausnahme bilden die seltenen Fälle, in denen ein Gesellschafter oder eine Mehrheit von Gesellschaftern durch eine Zahlung, die sie an sich fordern oder sich eigenmächtig zuweisen, der Gesellschaft den Todesstoß der Insolvenz geben, sei es um absichtlich bestimmte Gläubiger zu schädigen oder sei es, um die anderen Gesellschafter durch die Entwertung ihrer Anteile zu schädigen. Vor diesem Hintergrund kann die Haftung der Gesellschafter wegen Insolvenzverursachung gem. § 826 BGB nur einen äußerst kleinen Anwendungsbereich haben. Aufgrund der Zielrichtung des Handelns bei einer Unternehmensbestattung dürfte dieser Anspruch allerdings in diesem Zusammenhang eine überproportional große Rolle spielen können. Bildhaft könnte man ihn passenderweise auch „Unternehmensbestattungsanspruch“ nennen.

147 Vgl. insoweit auch Ehricke Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998, S. 260 ff.

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(3) Anwendbarkeit der Insolvenzverursachungshaftung auf Fälle der Unternehmensbestattung Unabhängig von diesen fundamentalen dogmatischen Unsicherheiten der neuen Rechtsprechung wurden anfänglich Bedenken hinsichtlich der Erstreckung der Insolvenzverursachungshaftung auf die Fälle der Unternehmensbestattung vorgebracht.148 Vor allem ist eingewendet worden, dass die Liquidationsregeln erst bei Vorliegen eines gesetzlich definierten Auflösungsgrundes eingriffen und deshalb ein Haftungskonzept, das an einem durch Gesellschafter verursachten Leerlaufen der Liquidationsregeln ansetze, im Rahmen von Unternehmensbestattungen keine merkliche Wirksamkeit entfalten könne.149 Allerdings ist insoweit vertreten worden, dass die §§ 65 ff. GmbHG zugunsten der Gesellschaftsgläubiger das Gebot einer verfahrensmäßigen Abwicklung der Gesellschaft zugunsten der Gläubiger enthalten, welches zugleich eine Ausschüttungssperre (vgl. § 73 I GmbHG) festschreibe.150 Ob daraus tatsächlich ein allgemeines Verbot der „Ausplünderung“ der Gesellschaft durch die Gesellschafter zugunsten der Gläubiger abgeleitet werden kann, ist überaus fraglich, denn die Liquidationsregeln der §§ 60 ff. GmbHG setzen nämlich als wesentliches Kriterium gem. § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG den Beschluss der Gläubiger zur Liquidation der Gesellschaft voraus (dem ist gleichgestellt der Ablauf der Zeit, für die das Bestehen der Gesellschaft vorgesehen war, § 60 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG). Dieser Beschluss bewirkt, wie §§ 70, 72 und 73 GmbHG zeigen, dass (erst) ab diesem Zeitpunkt das vorhandene Vermögen in erster Linie den Gläubigern zur Verfügung steht und daher nicht von den Gesellschaftern bzw. den Liquidatoren verringert werden darf.151 Ein solcher Beschluss kann funktional ersetzt werden durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG), in dem die Verringerung des Vermögens durch die Gesellschafter durch § 80 InsO verhindert werden soll. Im Umkehrschluss zeigen diese Regelungen, dass vor den dort bestimmten Zeitpunkten die Gesellschafter frei sind, mit dem Vermögen der Gesellschaft zu verfahren, wie sie möchten, soweit nicht das Stammkapital durch Zahlungen an sie verringert wird. Die Insolvenzantragspflicht nach § 64 GmbHG sichert die Liquidationsregelung vor einem Unterlaufen ab, indem dann, wenn die Vermögenswerte der Gesellschaft nicht mehr ausreichen, um alle Verbindlichkeiten der Gesell148 S. z.B. Grigoleit Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 283 f.; Rubner „Solvat socius“ statt „caveat creditor“?, 2005, S. 147 f.; Mülbert DStR 2001, 1937, 1941 f. 149 Vgl. Kleindiek ZGR 2007, 276, 300. 150 S. Kleindiek ZGR 2007, 276, 299 f. 151 Vgl. dazu u.a. Ehricke/Rotstegge in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Band II, 2007, Rn. 6 ff. und 17 ff. (zum vergleichbaren Fall der AG); K. Schmidt (Fn. 115), § 38 IV 4; K. Schmidt in Scholz, GmbHG (Fn. 41), § 60 Rn. 18.

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Ulrich Ehricke

schaftsgläubiger zu befriedigen, der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden muss. Die Rechtsprechung hat mittlerweile die Insolvenzverursachungshaftung – wenngleich mit einer anderen Begründung – auch auf die Fälle erstreckt, die für die Unternehmensbestattung typisch sind. Schon das OLG Celle hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 152 angenommen, dass – auch wenn die Verträge im Zusammenhang mit einer Unternehmensbestattung nicht zwingend gegen §§ 134, 138 BGB verstießen – die gezielte Bestattung einer Gesellschaft unter vorheriger Ausplünderung ihres Restvermögens grundsätzlich den Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erfülle.153 Mittlerweile hat auch der BGH seine Rechtsprechung zur Insolvenzverursachungshaftung dahingehend weiterentwickelt, dass die Grundsätze der TRIHOTEL-Rechtsprechung, namentlich das von den Interessen der Gläubiger verselbstständigte Vermögensinteresse der GmbH, auch im Stadium der Liquidation der Gesellschaft gelten,154 weil der Grundsatz eines gegenüber den Gesellschafterinteressen verselbstständigten Vermögensinteresses „erst recht“ für eine Gesellschaft in Liquidation anzunehmen sei.155 Dies gelte, ohne dass zusätzliche Kriterien, wie z.B. die Insolvenzverursachung oder die Verschlechterung der Vermögenslage nach Eintritt der Insolvenz der Gesellschaft, erfüllt sein müssen.156 (4) Zwischenergebnis Zusammengefasst kann das Konzept einer Insolvenzverursachungshaftung im Allgemeinen aus dogmatischen und aus praktischen Gründen im Wesentlichen nicht überzeugen. In dem speziellen Zusammenhang der Unternehmensbestattung, in dem es gerade darum geht, dass die Gläubiger einer Gesellschaft durch die Bestattung der Gesellschaft geschädigt werden sollen, bietet dieser Haftungsansatz jedoch einen brauchbaren Ansatz. (dd) Einbeziehung von Dritten in die Insolvenzverursachungshaftung Geht man davon aus, dass im Zusammenhang der Fälle der Unternehmensbestattung (ausnahmsweise) ein Anspruch gegen die Gesellschafter aus § 826 BGB wegen Insolvenzverursachungshaftung bestehen kann, so folgt aus der Verortung dieses Anspruchs im Deliktsrecht, dass auch eine (Mit-) Haftung anderer Personen als der Gesellschafter nach den Regelungen über 152

OLG Celle ZIP 2007, 318 ff. (Revision: BGH NJW-RR 2008, 1066). OLG Celle ZIP 2007, 318 (Rn. 32, 34) [im konkreten Fall hatte das Gericht seine Entscheidung allerdings nicht auf § 826 BGB stützen können, weil insoweit nicht hinreichend vorgetragen wurde]; im Ergebnis ebenso Kleindiek ZGR 2007, 276, 301 ff. 154 BGH ZIP 2009, 891 ff. (Sanitary). 155 BGH ZIP 2009, 891 (Rn. 37). 156 BGH ZIP 2009, 891 (Leitsatz 2). 153

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die Teilnahme nach §§ 830, 840 BGB möglich ist. Voraussetzung der Teilnehmerhaftung nach § 830 BGB ist, dass entweder eine gemeinschaftliche Begehung (Mittäter, § 830 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB), eine Hilfeleistung durch einen Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe, § 830 Abs. 2 BGB) 157 oder mehrere Personen zumindest einen Verursachungsbeitrag zur unerlaubten Handlung geleistet haben, wobei deren Maßgeblichkeit für den eingetretenen Unrechtserfolg grundsätzlich sogar ungewiss sein kann.158 Eine derartige Erweiterung des Adressatenkreises der Haftung wäre für die Unternehmensbestattung von großer Bedeutung, weil damit die verschiedenen Beteiligten an einer Unternehmensbestattung vom Insolvenzverwalter in Haftung genommen werden könnten. Zwar hat der BGH zu einer Verantwortlichkeit von Teilnehmern einer Insolvenzverschleppungshaftung noch nicht ausdrücklich Stellung bezogen, doch lässt sich jedenfalls der TRIHOTEL-Entscheidung entnehmen, dass er den Anwendungsbereich der Teilnehmerhaftung für grundsätzlich eröffnet hält.159 Für eine Einbeziehung der Teilnehmer in den Kreis der Haftenden spricht vor allem, dass die Unternehmensbestattung keine Besonderheiten begründet, wegen derer von den allgemeinen Regeln der Haftung von Teilnehmern an einer unerlaubten Handlung gem. § 830 BGB i.V.m. § 826 BGB abzuweichen wäre. Vielmehr entspricht es gerade der Billigkeit, wenn nicht nur der Gesellschafter als unmittelbarer Täter für die Insolvenzverursachung in Anspruch genommen wird, sondern überdies auch diejenigen Personen, die eine solche Vorgehensweise geduldet, gebilligt oder gefördert haben. Alle Beteiligten und Teilnehmer haften demnach gem. § 826 BGB in Verbindung mit §§ 830, 840 BGB als Gesamtschuldner, wobei nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB die gesamtschuldnerische Haftung zulasten aller Beteiligten bereits dann eintreten kann, wenn sicher ist, dass einer der Beteiligten durch seine Handlung den Erfolg verursacht hat, aber sich nicht ermitteln lässt, aus wessen Handlung der Schaden hervorgeht.160 Im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit derer, die eine Beihilfe zu der Insolvenzverursachungshaftung geleistet haben, bestehen allerdings zwei bislang noch nicht endgültig gelöste Fragen. Zum einen ist problematisch, ob vor dem Hintergrund der Regelung des § 64 S. 3 GmbHG auch ein Anspruch gegen den oder die Geschäftsführer der GmbH gegeben ist, der bzw. die auf Weisung des Gesellschafters bzw. der Gesellschafter durch Zahlung aus dem 157 Vgl. etwa Spindler in Bamberger/Roth, BGB (Fn. 37), § 830 Rn. 3; Wagner in MünchKommBGB, 5. Aufl. 2009; § 830 Rn. 11 ff. 158 Vgl. Sprau in Palandt, BGB (Fn. 25), § 830 Rn. 1; Schaub in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 3. Aufl. 2009, § 830 Rn. 1. 159 BGHZ 173, 246 (Rn. 46): „Darauf, dass im Rahmen des neuen Haftungskonzepts nach § 826 BGB ohnehin für eine Haftungszurechnung an den Beklagten eine Beteiligung i.S.v. § 830 BGB ausreichen würde und eine solche zumindest nahe liegt, kommt es danach nicht mehr an.“; s. auch Geisler in jurisPR-BGH ZivilR 36/2007 Anm. 1. 160 S. Noack LMK 2007, 240726.

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Ulrich Ehricke

Gesellschaftsvermögen einen Beitrag zur Insolvenz der Gesellschaft geleistet hat bzw. haben. Insoweit käme nämlich (auch) eine Rückzahlungsverpflichtung nach § 64 S. 3 GmbHG in Betracht. Da der Gesetzgeber diese Rückzahlungsverpflichtung als Ergänzung zur Insolvenzverursachungshaftung der Gesellschafter konzipiert hat,161 kann nach der lex-specialis-Regel ein Anwendungsfall für eine Haftung nach § 826 BGB in Verbindung mit §§ 830 Abs. 2, 840 Abs. 2 BGB nur noch dort in Betracht kommen, wo die strengen Voraussetzungen des § 64 S. 3 GmbHG durch den Geschäftsführer nicht erfüllt sind. Zum anderen ergibt sich die Schwierigkeit, wie die im Rahmen der Unternehmensbestattung ganz typische Fallgruppe der sog. „neutralen Beihilfe“ zu behandeln ist, bei denen zwar Unterstützungshandlungen vorgenommen worden sind, welche einen (möglicherweise sogar wesentlichen) Verursachungsbeitrag zur Schadensentstehung geleistet haben, die aber lediglich im Rahmen einer ordnungsgemäßen Berufsausübung durchgeführt wurden.162 Auf der subjektiven Seite der Haftung wegen einer Beteiligung ist erforderlich, dass auch die Beteiligten zumindest vorsätzlich im Sinne des dolus eventualis bezüglich der Haupttat und ihres Teilnahmebeitrages gehandelt haben.163 Eine Mittäterschaft wird somit bereits dann angenommen, wenn – unabhängig vom Umfang des eigenen Tatbeitrages – eine willentliche Mitwirkung auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses vorliegt und dem jeweiligen Mittäter die Tatbeiträge der anderen Personen zugerechnet werden können.164 Gerade diese Haftungszurechnung aufgrund eines gezielten kollusiven Zusammenwirkens zulasten der Gesellschaftsgläubiger kann bei Unternehmensbestattungen als Grundlage der Haftung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.165 (ee) Subsidiarität der Existenzvernichtungshaftung und Insolvenzanfechtungsmöglichkeiten Im Zusammenhang mit etwaigen Ansprüchen aus § 826 BGB, die im Rahmen einer Unternehmensbestattung geltend gemacht werden könnten, ist allerdings fraglich, ob diese nicht möglicherweise hinter den insolvenzrechtlichen Anfechtungsansprüchen zurückbleiben müssen. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt nämlich eine Haftung für vorsätzliche sittenwidrige Schädigung neben den Anfechtungstatbeständen des AnfG oder der InsO 161

Vgl. nochmals Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG (Fn 43) , § 64 Rn. 21. Ausführlicher hierzu Spindler in Bamberger/Roth, BGB (Fn. 37), § 830 Rn. 12a; Wagner in MünchKommBGB (Fn. 157), § 830 Rn. 16. 163 Vgl. BGHZ 70, 277, 286; BGHZ 105, 121, 134; s. zudem Spindler in Bamberger/ Roth, BGB (Fn. 37), § 830 Rn. 13; Wagner in MünchKommBGB (Fn. 157), § 830 Rn. 21. 164 So Spindler in Bamberger/Roth, BGB (Fn. 37), § 830 Rn. 5; zur ständigen Rechtsprechung des BGH vgl. BGHZ 8, 288, 294; BGHZ 17, 327, 333; BGHZ 63, 124, 126; BGHZ 89, 383, 395; BGH NJW 1972, 40, 41 f. 165 So schon Kleindiek ZGR 2007, 276, 303. 162

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nur dann in Betracht, wenn über die Anfechtungstatbestände hinausgehende besondere Umstände vorliegen, die das Vorliegen einer sittenwidrigen Schädigung begründen.166 Eine derartige Subsidiarität wird bei einer Unternehmensbestattung allerdings nur selten anzunehmen sein, denn gerade dadurch, dass einige der beteiligten Personen unter Verschleierung oder der Vernichtung von Informationen und Unterlagen Transaktionen durchführen, um die Gesellschaft zu bestatten, begründet für sich schon den Umstand einer sittenwidrigen Verhaltensweise. Ist dies nicht der Fall, so bleibt es allein bei der Möglichkeit, durch Anfechtung der einzelnen Rechtshandlungen im Rahmen der Unternehmensbestattung die Masse der bestatteten Gesellschaft zu vergrößern. Speziell im Hinblick auf die Unternehmensbestattung hat der BGH diesbezüglich entschieden, dass Rechtshandlungen, die mit einer Unternehmensbestattung im Zusammenhang stehen, durch Gläubiger ggf. nach den §§ 3, 6 AnfG angefochten werden können.167 Dies betrifft allerdings diejenigen Fälle, in denen das Vermögen der Gesellschaft nach der Bestattung so gering ist, dass nicht einmal ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG). Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es in diesen Fällen in Betracht, dass bestimmte Zahlungen im Zusammenhang mit einer Unternehmensbestattung ebenso angefochten und zurückgefordert werden können wie das Unterlassen der Geltendmachung von Rückforderungs- oder Freistellungsansprüchen, welche im Falle der Tilgung von Verbindlichkeiten reflexiv gegen den Gesellschafter aus dem Kapitalersatzrecht entstehen (können).168 Aufgrund der Parallelität der Vorschriften der §§ 3 und 6 AnfG zu den §§ 129, 133 und 135 InsO lässt sich diese Entscheidung unproblematisch auf die insolvenzrechtliche Anfechtung im Rahmen derjenigen Fälle übertragen, in welchen über das Vermögen der bestatteten GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Nahezu parallel zu der Wertung der Haftung aus § 826 BGB läuft dabei die Anfechtungsmöglichkeit wegen vorsätzlicher Benachteiligung durch den Schuldner. § 133 InsO gibt insoweit zudem die Möglichkeit, bis zu zehn Jahre vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsprechende Rechtshandlungen anzufechten. Zudem gibt es im Hinblick auf den Nachweis der Kenntnis in § 133 Abs. 1 S. 2 InsO wesentliche Erleichterungen für den Insolvenzverwalter. Dasselbe gilt für entgeltliche Verträge, die der Schuldner mit ihm nahestehenden Personen abgeschlossen hat. Der Begriff der nahestehenden Person von juristischen Personen dabei wird sehr weit verstanden 166 S. BGH WM 1970, 404, 404 f.; BGH WM 1996, 1245, 1246; BGH WM 2005, 564, 568; Kreft in Heidelberger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2009, § 129 Rn. 74; Bork in Kübler/Prütting/Bork, InsO (Stand: September 2009), vor § 129 Rn. 18; s. auch Geisler in jurisPR-BGH ZivilR 36/2007 Anm. 1; Spliedt DZWIR 2006, 208, 211. 167 Vgl. BGHZ 165, 343 (Rn. 11, 19) m. Anm. Spliedt; vgl. auch Cierniak DB 2006, 1996, 1997; Kleindiek ZGR 2007, 276, 287. 168 So BGHZ 165, 343 (Rn. 19).

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und erfasst vor allem Transaktionen innerhalb von Konzernstrukturen oder mit Gesellschaftern oder Geschäftsführern.169 Diese entgeltlichen Verträge sind noch für zwei Jahre vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar, vgl. § 133 Abs. 2 InsO. Erfolgreich können auch Anfechtungen von unmittelbar benachteiligenden Rechtshandlungen nach § 132 InsO, von eigenkapitalersetzenden Darlehen nach § 135 InsO oder von unentgeltlichen Leistungen des Schuldners nach § 134 InsO sein. Die entsprechenden Rechtshandlungen können dann bis zu zehn Jahre vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefochten werden, vgl. § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

IV. Ergebnis Die Unternehmensbestattung ist ein sich immer weiter verbreitendes Phänomen, dem mit den gesellschaftsrechtlichen und zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeiten nur unzureichend begegnet werden kann. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen der bestatteten Gesellschaft eröffnet, hat der Insolvenzverwalter zwar ein ganzes Bündel an Anspruchsgrundlagen gegen verschiedene Geschäftsführer und die Gesellschafter der bestatteten Gesellschaft in der Hand, doch greifen diese oft zu kurz. Dies liegt zum einen daran, dass die Anspruchsgrundlagen gegen die Geschäftsführer meist leerlaufen, weil diese nach dem Konzept der Unternehmensbestattung absichtlich meist mittellos, vielfach völlig unbedarft und für die Position eines Geschäftsführers ungeeignet sind. Zum anderen zeigen sich vor allem im Hinblick auf die neu geschaffene Regelung des § 64 S. 3 GmbHG ganz erhebliche dogmatische Bedenken. Problematisch ist auch, dass die Rechtsprechung und die Literatur – nach hiesiger Auffassung zu Unrecht – davon ausgehen, dass zu vielen unerlaubten Handlungen des Geschäftsführers weder Beihilfe noch Anstiftung möglich sein sollen. Damit erfasst man jedoch die Hintermänner, die die Unternehmensbestattung steuern, also regelmäßig die Bestatter und die Gesellschafter, nicht. Im Hinblick auf die Haftung der Gesellschafter bietet sich bei der Unternehmensbestattung an, die Haftung wegen Insolvenzverursachung gem. § 826 BGB nutzbar zu machen. Unabhängig davon, dass auch insoweit das dogmatische Konzept problematisch ist, kann diese Anspruchsgrundlage in den Fällen der Unternehmensbestattung durchaus Erfolg haben. Wesentlich erfolgreicher erscheinen hingegen die insolvenzrechtlichen Möglichkeiten der Anfechtung, mit Hilfe derer dasjenige, das durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen der Gesellschaft weggegeben oder aufgegeben wurde, wieder zur Insolvenzmasse zurück169 Statt aller Ehricke in Kübler/Prütting/Bork, InsO (Stand 2009), § 138 Rn. 16 ff.; Henckel in Jaeger, InsO, 4. Band 2008, § 138 Rn. 25 ff.; Rogge in HambKommInsO (Fn. 54), § 138 Rn. 19 ff.

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gewährt werden muss (§ 143 Abs. 1 S. 1 InsO), wobei die Gegenforderung des Anfechtungsgegners grundsätzlich wieder auflebt, aber nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann. Etwas anderes gilt aber nach § 143 Abs. 1 S. 2 InsO, wenn der Empfänger den Mangel des rechtlichen Grundes gekannt hat. Auch von den weiteren, durch das MoMiG veranlassten Neuregelungen ist im Hinblick auf die Bewältigung des Phänomens der Unternehmensbestattung nicht zu viel zu erwarten. Der Umstand, dass nach der Neuregelung in §§ 10, 35 GmbHG und § 13 e Abs. 2 S. 4 HGB ein Vollstreckungstitel gegen die Gesellschaft schneller zu erhalten ist, nützt den Gläubigern praktisch nichts, wenn über das Vermögen der Gesellschaft – wie in den Fällen der Unternehmensbestattung üblich – ohnehin das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (vgl. § 89 Abs. 1 InsO). Auch der Umstand, dass bei Fehlen eines Geschäftsführers nunmehr die Gesellschafter verpflichtet sind, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen und ggf. wegen Insolvenzverschleppung einstehen müssen, ist lediglich eine normative Klarstellung, aber keine inhaltliche Verbesserung im Hinblick auf die Unternehmensbestattung. Bereits früher war es nämlich möglich, die Gesellschafter über die Gehilfen- oder Anstifterhaftung oder über die Haftung als faktische Geschäftsführer für die Schäden heranzuziehen, die durch die verspätete Antragsstellung entstehen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn man – wie hier vorgeschlagen – dem Fall des Fehlens des Geschäftsführers den Fall gleichsetzt, in dem als Geschäftsführer eine unbedarfte und für die Aufgabe der Geschäftsführung vollständig überforderte Person eingesetzt worden ist. Problematisch ist bei der Insolvenzanfechtung ebenso wie bei den anderen Anspruchsgrundlagen, dass die notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen der Normen meist nur schwer oder gar nicht zu beweisen sind, weil typischerweise die Geschäftsunterlagen vernichtet worden sind. Zwar kann zum Teil die Schätzung nach § 287 ZPO eine Hilfe sein, doch wäre de lege ferenda wünschenswert, dass prozessuale Hilfestellungen für die Geltendmachung der entsprechenden Ansprüche vorgesehen werden. In Erwägung gezogen werden könnte, dass die Darlegungs- und Beweislast zumindest hinsichtlich der Schadenshöhe umzukehren ist, wenn hinsichtlich der Anspruchsgegner nachgewiesen wurde, dass ihre Handlungen ein Teil einer geplanten Unternehmensbestattung gewesen sind und sie dies auch wussten oder hätten wissen können. Gerechtfertigt werden könnte dies dadurch, dass die betreffenden Personen aufgrund ihrer Beteiligung an der Unternehmensbestattung einen besseren Einblick in die Interna haben und sie möglicherweise sogar bei der Beseitigung der notwendigen Unterlagen mitgewirkt haben und damit die wahrheitsgemäße Aufklärung des Sachverhalts vereitelt haben. Derartige Kriterien sind für die Annahme einer Beweiserleichterung geradezu typisch.170 170

Vgl. statt aller Greger in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010; vor § 284 Rn. 25 ff.

Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders? Christoph Van der Elst

Professor Hopt is as no other familiar with the European developments of company law over the last decades. He studied many aspects of these developments in every single detail and in particular the comparative advantages and disadvantages of the national and European company law frameworks.1 As a member of the High Level Group of Company Law Experts he supported many European corporate developments exploring the strengths of a welldeveloped internal market. During the last decade the European Union has spent significant effort to develop an efficient and open European capital market. Whereas free capital movement is one of the “four freedoms” enabling competitive financial markets, it took many years to overcome many barriers to operate abroad. The financial services action plan was the start to (further) reduce many barriers for European wide investing.2 It was later accompanied with a plan to modernise corporate law,3 initiated by the High Level Group of Company Law Experts. Both plans resulted in a new and extensive framework for the integrated European capital market. In this contribution I want to explore one specific element of this European capital market: the development of foreign shareholders’ investments in the capital of listed entities in six European countries in light of the development of company and securities law. The first section discusses briefly the leximetric approach of company law. In the second section the dataset and the methodology that are used in this study are presented. Section three is subdivided in two parts: an analysis of the number and classes of foreign shareholders and an examination of the size of the voting blocks of foreign shareholders. Section four describes foreign ownership from a portfolio approach. Section five concludes. 1 See for a recent, excellent example, the article “Control Transactions”, co-authored with Paul Davies in The Anatomy of Corporate Law, Oxford University Press 2009, 225–273. 2 European Commission, Financial Services: Implementing the Framework for Financial Markets: Action Plan, Brussels, 11 May 1999, COM (1999) 232, 32 p. 3 European Commission, Modernising Company Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union – A Plan to Move Forward, Brussels, 21 May 2003, COM (2003) 284, 29 p.

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Christoph Van der Elst

I. Leximetrics of company and securities law Leximetrics quantifies law. Since the development of the “law and finance” theory, many economists and lawyers have quantified shareholder, creditor, and employee rights via an analysis of company, securities and insolvency law. Lele and Siems 4 developed the widely criticised original model of La Porta and others 5 with six one year “anti-director” rights and six one-year creditor rights into a model with 42 shareholder rights, which help to protect the interest of shareholders against shirking of directors and 18 minority shareholder rights, which help to protect the interest of minority shareholders against expropriation of controlling shareholders over a period of thirty-five years in five countries (US, UK, India, Germany and France). Not every right is covered, but in a diligent way they combine many pivotal rights in corporate law while taking into account considerations of contract law and civil procedure. The rights are more or less centered around the position and power of individual shareholders vis-à-vis the general meeting and vis-à-vis the powers and position of directors and boards. In light of the following analysis of ownership structures we expanded their model with Italy and Belgium for the period of 1994 and 2005. A summary of the findings is presented in figure 1. The shareholder index shows an increase in shareholder rights in all countries. By the end of 2005 all countries offered all shareholders between 25 and 30 rights (on a scale of 42 rights). For France, Germany and Belgium the increase is statistically significant.6 The variability of the rights between the five developed countries is limited and even decreased over the years. Whilst Belgium offered less than half of the total number of rights to shareholders in 1994 and the UK already offered more than 26 rights, the difference between the best – the UK – and the worst performing country – Belgium – was less than 4 rights in 2005. The development of the minority shareholder rights index shows a different pattern. In three out of five countries, minority shareholders experienced hardly any increase in the number of the shareholder rights. In France the latest development was even negative: the quorum rules for decision making at general meetings of shareholders were softened. Acting against expropriation of large shareholders is only supported in Germany with new rights. There are no significant differences in any of the countries between 1994 and 2005. In this setting, Italy has the

4 P. Lele and M. Siems Shareholder Protection: A Leximetric Approach, Journal of Corporate Law Studies 2007, 17–50. 5 R. La Porta, F. Lopez-de-Silanes, A. Shleifer, R. Vishny Legal Determinants of External Finance, Journal of Finance 52, 1997, 1131–1150. 6 See for a detailed analysis of the development C. Van der Elst Law and Economics of Shareholder Rights and Ownership Structures: How Trivial Are Shareholder Rights for Shareholders, working paper, November 2009, 59 p.

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Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders?

best formal institutional setting protecting the minority shareholders. We will discuss this finding further.7 Overall the different approach in continental Europe and in the UK is clear. In continental Europe blockholders are common. Therefore, the legislation endorsed and should endorse the protection of minority shareholders. The endorsement started already before 1995. In the UK, major blockholders are rather the exception than the rule. The UK supported the protection of shareholders against shirking of directors and management: the protection against (expropriation by) major shareholders is relatively weak developed.

16

35 30 Belgium

25

France Italy

20

Germany

15

UK

10 5 0

S h a re h o ld e r P ro te c tio n R ig h ts

14 12 Belgium

10

France

8

Italy Germany

6

UK

4 2

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

0 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

S h a re h o ld e r P ro te c tio n R ig h ts

40

Figure 1: Development of shareholder and minority shareholder rights in five European countries (1994–2005) Source: France, Germany and UK: P. Lele and M. Siems Shareholder Protection: A Leximetric Approach, Journal of Corporate Law Studies 2007, 17-50; Belgium and Italy: own research (for Italy research assistance was provided by Ranieri Giunta and Endrit Mema)

In a “law and finance” setting the increase in the number of shareholder rights against shirking of directors suggests that the ownership concentration levels will decrease. Enhanced protection of the position of the shareholder will no longer require the same level of highly concentrated ownership as the latter is substituted by (the provision of) more shareholder rights. The insignificant increase in the number of minority shareholder rights against expropriation by controlling shareholders implies that minority shareholders remain confronted with a significant probability of controlling shareholder expropriation. The impact of this status quo on the developments of the size of voting blocks of minority shareholders is ambiguous. It can be argued that minority shareholders will increase their voting power in order to counterbalance the position of the controlling shareholder. However, it is also pos7

See section 5.

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Christoph Van der Elst

sible that the minority shareholders reduce the exposure of expropriation by reducing their position in controlled companies. The development of the ownership of foreign shareholders is studied in the next sections. As this type of shareholder must rely on the qualities of the legal system – even more than national shareholders – it can be argued that they are more sensitive to formal legal developments.

II. Data and methodology We have collected the voting right structure in 1999 and 2007 for a large sample of European companies listed before 1999 and until 2008.8 We opted for an identical sample in 1999 and 2008 to exclude the influence of different sample compositions. The distribution of the sample of companies in the dataset can be found in table 1. We included Spain notwithstanding the absence of the developments of the shareholder rights of this country, because the ownership data shows some remarkable differences between this country and the five other countries. The distribution of companies of different countries is more or less similar to the importance of the different national stock markets, except for France where the number of data is smaller and biased towards larger companies.9 The average market capitalisation of the French companies is almost three times the average of the overall sample. Table 1: Number and size of companies in the sample Number of Listed entities in sample France Belgium UK Germany Italy Spain Total

95 84 272 242 114 95 902

Avg. market cap. 99 (mio.)

Avg. market cap. 07 (mio.)

10.513 1.363 3.339 3.971 3.305 2.694

12.375 2.299 4.209 3.658 4.558 5.512

We based our analysis on data as they have been published by individual companies and their shareholders according to the legislation that transposes the major shareholdings directive of 1988 and the transparency directive of 2001 and 2004. Next to annual reports different databases were used: for Bel8

For the UK companies, the data are from April 2001 and 2007. The market capitalisation data were acquired via the different stock markets where the companies have their most important listing. 9

Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders?

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gium the data were obtained from Euronext NYSE Brussels transparency declarations, for France the data that were disclosed via the website of the Autorité des Marchés Financiers (formerly COB) are used, for Italy and Spain the information is provided by the Italian and Spanish supervisory authority Consob and Comision Nacional del Mercado de Valores, for the UK the ownership data were acquired from Hemscott and for Germany the databases of both Hoppenstadt Aktienführer and Bafin were used. Each shareholder holding a voting block of more than 5 per cent of the voting rights 10 of each company was classified in a shareholder class. The different shareholder classes that were used in all six countries are: individuals and families, non-financial companies, insurance companies, banks, the government and foreign shareholders. For the latter class, the shareholders were subdivided in identical classes as the classes used at national level. In all countries other types of shareholders exist. All these shareholders have been identified even though not all the data are presented for all these remaining shareholder classes.11 While in most cases the type of shareholder was obvious, for a significant number of shareholders different sources, including several search engines, have been used to identify the type of shareholder. In another paper on “shareholder mobility” it is illustrated how the procedure was applied.12 As the law and finance theory requires the study of the voting power, in the next section the unweighted averages will be presented.

III. Large foreign shareholders 1. Representative classes of large foreign shareholders Companies experience an internationalisation of their ownership structure. Whereas the home country bias did not (yet) completely disappear, the increasing number of foreign shareholders acquiring large blocks in many European companies illustrates the decreasing importance of local investment policies. This development is more than likely due to the significant efforts of the European Union to develop an integrated capital market. In Belgium and Germany 30 per cent of all large stakes are in hands of foreign 10 The lowest common threshold in all countries in both years. In the following sections these shareholders have been qualified as “large shareholders”. 11 Some other important classes are (Dutch) “stichtingen administratiekantoren” in Belgium, “grouped holdings of employees” in France, “investment managers” in Germany, “investment managers”, “nominees”, and “trusts” in the UK, “fondaziona” in Italy and “fundacion” in Spain. In the UK, Germany and France national or foreign private equity funds and hedge funds are also common. 12 See section 3.2. of in the paper C. Van der Elst Shareholder Mobility in Five European Countries, ECGI – Law Working Paper No. 104/2008.

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Christoph Van der Elst

shareholders (figure 2). In France and the UK one of every four stakes belongs to overseas shareholders. Southern European countries are lagging behind with 15 per cent to 20 per cent foreign blockholders. The internationalisation of the shareholder structure was remarkable in Germany and France. In Germany the growth in numbers over a period of eight years was almost 300 per cent and in France the number of foreign stakes doubled. Belgium and the UK, which already had a relatively high number of foreign shareholders in 1999, had rather modest growth rates. Southern European countries like Italy and Spain did not develop in a similar way. Italy experienced a small increase and in Spain the number of large foreign shareholders significantly decreased. There are several elements that help to explain the relative decline. First, there was a significant increase in the number of large stakes held by Spanish shareholders, resulting in a relative decline in the number of foreign shareholders. Especially individuals and non-financial Spanish companies acquired additional stakes. Next, a number of foreign banks and foreign nonfinancial companies sold their stakes. For both classes of foreign shareholders mostly smaller blocks were sold in the market. In particular American banks sold their blocks. Figure 3 presents the allocation of large voting blocks in hands of foreign shareholders. In 1999, foreign non financial companies were the most and only important class of foreign investors in Belgium, France, Germany and Italy and the second most important class in Spain. In Spain foreign banks held more large stakes. In the UK, foreign investment funds controlled more than half of the total number of large stakes held by foreign investors. In Belgium Dutch trusts (controlled by Belgian families) are of considerable importance. 35% 30% 25% 20%

1999 2007

15% 10% 5% 0% Belgium

France

Germany

Italy

Spain

UK

Figure 2: Relative number of large stakes (>5 %) in hands of foreign shareholders Source: own research

Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders?

635

This pattern changed significantly in the first decade of the twenty-first century. In Germany and Belgium foreign non financial shareholders remained the most important class of foreign shareholders. In 2007, 12 per cent of all German large shareholder stakes and 10 per cent of all Belgian large shareholder stakes were held by foreign non financial companies. In France and Italy, the pole position of foreign non financial companies measured in number of large stakes is taken over by foreign investment funds, which remained the most important foreign shareholder class in the UK. In Spain, foreign banks and investment funds remained the most important foreign shareholder classes.

1999

2007

14%

16%

12%

14%

10%

12% 10%

8%

8%

6%

6% other banks PE/HF foundation inv. fund non-financials individuals

2%

UK

Spain

0%

Italy

UK

Spain

Italy

Germany

France

Belgium

0%

4%

Germany

2%

France

other banks PE/HF foundation inv. fund non-financials individuals

Belgium

4%

Figure 3: Importance of the different foreign shareholder classes measured by number of large stakes (1999–2007) Source: own research

In French and in German companies, foreign hedge funds acquired a significant number of large stakes. This development provides an explanation as to why these two countries are standing on the barricades for a regulatory framework for these funds at the moment of writing. Finally, with the exception of Spain, all countries experienced an increase in the number of large stakes in hands of foreign banks. In the UK this number more than doubled. It can be questioned whether this development must be supported. We certainly believe that the economic and banking crisis will have brought this process to an end. The importance of foreign ownership is also measured by the number of companies where at least one large voting block is in hands of foreign investors. Half of the companies in the UK and Belgium, 40 per cent of the

636

Christoph Van der Elst

companies in France and Germany and around 30 per cent of the companies in Spain and Italy have a large foreign shareholder. This evolution is similar to the evolution of the total number of foreign voting blocks: a significant increase in Belgium, France, Germany and the UK, a modest increase in Italy and a significant decrease in Spain. The results illustrate that the home biased investment did not completely disappear since in all countries at least half of the companies are unfamiliar with large foreign shareholders. 60% 50% 40% 1999

30%

2007

20% 10% 0% Belgium

France

Germany

Italy

Spain

UK

Figure 4: Relative number of companies with at least one large foreign shareholder (>5 %) Source: own research

2. Size of the stakes of large foreign shareholders Another approach to study the developments of foreign investors looks at the size of the voting block of this investor class. The average voting block size is studied over time and compared with the voting blocks of the national investors. In all countries but Germany, the average voting block of foreign shareholders decreased between the turn of the century and 2007. In France the average voting block of a foreign shareholder is less than 20 per cent and in Italy, Spain, and the UK less than 15 per cent. In those four countries, the average foreign shareholder is not in a position to control the company; he is not even in the position to successfully block decisions requiring a supermajority approval. In Belgium and Germany the situation is different. The average voting block of a foreign shareholder is sufficient to block significant changes of the company requiring a supermajority approval. Germany, but also Belgium, experienced a significant increase in the number of large foreign stakes, illustrating the significant foreign investors’ power. The second part of the figure contains the average stakes of “national” large shareholders. In general, the average voting block of national large

637

Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders?

shareholders remained relatively stable over the last decade. In Belgium and Germany the average voting block decreased with 3 per cent to 4 per cent. Especially in the latter country, the developments of the position of foreign shareholders vis-à-vis the national shareholders are striking. Only in Germany foreign shareholders are – on average – more powerful than national shareholders. The Belgian situation is different as the large averages for foreign shareholders are due to the position of Dutch trusts in Belgian listed companies. These Dutch trusts are predominantly used as a specific control vehicle for Belgian family patrimonies. For France and Italy, the converse position of foreign large shareholders as in Germany can be found. In Spain and the UK foreign shareholders have similar, though slightly smaller voting blocks than national shareholders.

A v e ra ge s t a k e o f a la rge f o re ign s ha re ho lde r

A v e ra ge s t a k e o f a "na t io na l" la rge s ha re ho lde r

35%

40%

30%

35%

25%

30% 25%

20%

1999

2007

15%

2007

in

UK

Ita

Sp a

giu m Fr an ce G er m an y

Be l

Be l

UK

0%

Sp ai n

5%

0%

Ita ly

10%

5%

ly

15%

10%

giu m Fr an ce G er m an y

1999

20%

Figure 5: Evolution of the average voting block of large foreign shareholders and other shareholders Source: own research

Different investor classes can have different investment policies. Figure 6 presents the average voting blocks of the most common foreign investor classes. In 1999 it was common that foreign non financial companies had large, often de facto controlling voting blocks in Italy, France, Belgium, and Spain and a blocking minority in Germany. Conversely, foreign investment funds, insurance companies and banks only acquired – on average – smaller voting blocks of less than 10 per cent in all countries.13 Foreign individuals generally acquired relatively large blocks in Belgium, Germany and the UK, but small blocks in Spain. 13 For these classes of shareholders the averages are only provided if there are at least four observations.

638

Christoph Van der Elst

The investment policy of investment funds, insurance companies and banks vis-à-vis foreign countries was not adjusted. The average voting block of these types of shareholder classes remained under the threshold of 10 per cent in all countries. There is one exception. Via subsidiaries three banks had acquired a majority voting block in three German companies. These controlling voting blocks increased the average of foreign banks to almost 20 per cent of the voting rights. For the other classes of foreign investors there are a number of opposite developments. Non-financial companies acquired larger, de facto voting blocks in France, Germany and Belgium. This development should be read together with the significant increase in the number of voting blocks in hands of foreign non-financial companies in Germany and the opposite development in France. Somewhat exaggerating we can say that Germany became a country of subsidiaries, similar to Belgium. In Italy the average voting block of this shareholder class significantly dropped and was only slightly higher than the average block in the UK. Foreign individual investors also behave differently in different countries. Whereas the absolute numbers of foreign individual investors remain modest, this type of investor hold or acquired a de facto controlling voting block in Belgium and Germany, but must be considered as a pure financial investor in Italy and Spain with average voting blocks of less than 8 per cent. In the UK, overseas individual investors seem to develop a similar policy as in Germany and Belgium: with an average of

1999

2007

50%

55% 50% 45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0%

45% 40% 35% 30% 25% 20%

UK

Spain

banks PE/HF foundation insurance inv. fund non-financials individuals avg foreign Italy

Germany

France

15% 10% 5% 0% Belgium

UK

Spain

Italy

Germany

France

Belgium

banks foundation insurance inv. fund non-financials individuals avg foreign

Figure 6: Evolution of the average voting block of different classes of large foreign shareholders Source: own research

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25 per cent of the voting rights which is more than twice the average size of the voting block of the other foreign investor classes in the UK, this type of investor seeks de facto control over the UK company. Finally, the new types of investors, foreign private equity funds and foreign hedge funds not only acquired a significant number of blocks in Germany and France, the average voting block must be considered as higher than can be expected from a pure financial investment perspective. In both countries the average voting block is almost 25 per cent. In continental Europe, the position of the largest shareholder is pivotal.14 Figure 7 provides information on the position of the foreign shareholder as largest and de facto or de iure controlling shareholder. A de facto controlling foreign shareholder holds a voting block above the mandatory bid threshold and a de iure controlling foreign shareholder is a simple majority shareholder. In 1999, a significant portion of 20 per cent to 30 per cent of the Belgian, Spanish and British companies had a foreign shareholder as largest shareholder. Only in Belgium the large majority of these foreign shareholders controlled the company. In France, Germany and Italy less than 10 per cent of the companies had a foreign shareholder as largest shareholder. German companies were in less than 5 per cent of the cases controlled by a foreign shareholder. Eight years later, the pattern altered significantly. In Germany

40% 35% 30% 25% 20% 15% 10%

2007 de iure control 2007 de facto control 2007 largest 1999 de iure control 1999 de facto control 1999 largest

5%

UK

Spain

Italy

Germany

France

Belgium

0%

Figure 7: Evolution of the number of companies with a foreign shareholder as largest, de facto or de iure controlling shareholder Source: own research

14 For an analysis see C. Van der Elst Shareholder Mobility in Five European Countries, ECGI – Law Working Paper No. 104/2008.

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more than 25 per cent of the companies experienced a foreign shareholder as their largest shareholder and in France almost one out of every five companies. The number of de iure by foreign shareholders controlled German companies even exceeded the Belgian number. Equally in Belgium and in the UK the number of largest foreign shareholder increased whereas the number dropped in Italy and Spain. In Belgium, a large number of companies are de facto controlled by a foreign shareholder. The number soared to almost 20 per cent in 2007. While Italy is known for its highest concentration of ownership, it has the lowest number of foreign controlled companies. In Figure 8 we further investigated the development of the position of the largest “national” shareholder and the largest “foreign” shareholder.15 In most countries the largest national shareholder did not alter its voting block significantly. In Italy, Spain and the UK the difference in the voting block of the largest shareholder was less than 1 per cent between 1999 and 2007, in France 2,5 per cent, in Germany less than 4 per cent and in Belgium 5 per cent. It must be noted that the countries where the decrease in ownership concentration was the largest, also were the countries where the shareholder rights index significantly increased over the period between 1997 and 2005.

A v e ra ge s t a k e la rge s t "na t io na l"s ha re ho lde r

A v e ra ge s t a k e large s t f o reign s ha re ho lder

60%

60%

50%

50% 40%

Be

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Ita

2007

UK

0% lg iu m Fr an ce G er m an y

0%

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10%

in

10%

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20%

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Be

1999

30%

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2007

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30%

Ita

1999

Sp

40%

Figure 8: Average voting block of the largest “national” shareholder and the largest foreign shareholder Source: own research

15 It should be stressed that only stakes that exceed the threshold of 5 per cent of the voting rights have been taken in this analysis. Companies with a widely dispersed ownership structure without shareholders passing this threshold of 5 per cent have been excluded. In all countries in the study less than 7 per cent of the companies belong to this “Berle and Means” type of companies.

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Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders?

The voting block of the largest foreign shareholder developed in an opposite direction in Germany and the variation is of a different magnitude in France, Italy, and Spain. In Germany the largest foreign shareholder has on average a nearly absolute control block. In France foreign shareholders have abandoned this position. In Spain the largest foreign shareholder significantly increased its position and in Italy the largest foreign shareholder significantly decreased its position. In the UK and Belgium the positions did not significantly change. However the largest foreign shareholder in Belgium has a larger voting block than national shareholders, whilst the converse situation can be found in the UK.

IV. Ownership from a Portfolio Approach Ownership can be studied in another dimension. Ownership structures can be identified by summing the total value of the shares in hands of a specified shareholder class related to the total market capitalisation in a specific country. In most countries, a relatively small number of companies represent a large part of the total market value of the “national” stock exchange. Hence this method reflects and emphasizes the ownership structure of “blue chips”. FESE regularly studies the portfolio position of different types of the shareholders. Figure 9 provides an overview of the market value of the shares of stock exchange listed companies in hands of foreign shareholders. In all countries, with the exception of Italy, the importance of foreign shareholders moderately increased. Overall, in the UK, France, Belgium and Spain between 35 per cent and 40 per cent of the market value of the companies are Foreign Investors 45 % 40 % 35 %

Belgium

30 %

France

25 %

Germany

20 %

Italy

15 %

Spain

10 %

UK

5% 0% 1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Figure 9: Market value of shares of stock exchange listed companies in hands of foreign shareholders (1999–2007) Source: FESE, Share Ownership Structure in Europe, Brussels, December 2008.

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in hands of foreigners. In Italy and Germany the importance of foreign shareholders is significantly lower with levels of approximately 20 per cent in Germany and only 15 per cent in Italy. In light of the previous findings it can be assumed that in Spain foreign shareholders hold a significant part of the smaller stakes in listed companies, whilst in Germany foreign shareholders have acquired many large stakes. Foreign shareholders seem to be prudent vis-à-vis investments in Italian companies. In Belgium, France and the UK foreign investors invest equally in large and small shareholder stakes.

V. Conclusion Shareholder rights received considerable attention both from a political and a scientific perspective. It resulted in a better understanding of the role and importance of shareholders in corporate governance over the last decades. In many countries shareholders were offered more rights against “inappropriate” behaviour of other corporate constituents or colleagues. Whether these developments result in more market participation and deeper and more liquid markets, as argued in law and finance theory, remains an open question. For a large sample of European listed companies we revealed part of the answer: we analysed the evolution of the investment behaviour of foreign shareholders in a large sample of European companies between 1999 and 2007. We considered that this type of shareholder is more sensitive to (changes in) shareholder rights than “national” shareholder classes. A steadily growing number of 15 to 30 per cent of all large stakes belong to foreign shareholders. One out of four to half of the companies in the different European countries have a large foreign shareholder in their shareholder circle. The importance of foreign non-financial companies as large shareholders is declining in all countries but Germany and foreign investment funds grow in number of large stakes except in Spain. Spain experienced also a sharp decline in the number of large foreign bank stakes. The average voting block of a foreign shareholder decreased in all countries but in Germany. This development resulted in Germany being the country with the largest number of de iure foreign controlled companies of all countries in 2007. Foreign hedge funds and private equity funds became important foreign shareholders in France and Germany, whereas they are hardly present in the other countries. The results in this paper show that the hypothesis of a straightforward inverse linear relationship between shareholder rights and ownership concentration is not confirmed. The significant increase in the number of shareholder rights in Belgium, France, and Germany, did not result in a significant decrease in (foreign) shareholder concentration levels: foreign non-financial companies increased their voting position up to de facto controlling voting

Are Shareholder Rights Appealing to Foreign Shareholders?

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stake of largest foreign shareholder

blocks in France and Germany. Neither did the insignificant changes in Italy, Spain and the UK result in a status quo in these countries: in Italy the average voting block of foreign shareholders dropped and foreign non-financial companies relinquished their de facto controlling voting blocks, whilst foreign individuals of British companies increased their voting block. Other features drive the development of ownership structures. These factors can be of a legal nature: In Europe, UCITS may not invest more than 5 per cent of its assets in transferable securities or money market instruments issued by the same body and are prohibited to acquire any shares carrying voting rights which would enable it to exercise a significant influence over the management of an issuing body. A feature can also be shareholder specific: some Belgian families control a listed company via a Dutch trust (“administratiekantoor”) allowing the separation of financial benefits and the controlling power. There are other indications that the relationship between shareholder rights and ownership patterns are not straightforward. Many shareholder rights are related to a specific threshold: 5 per cent is allowed to call a general meeting, 25 per cent blocks important decisions, 30 per cent requires the mandatory bid offer, 50 per cent controls the general meeting, 75 per cent changes the articles of association and 95 per cent squeezes the minority shareholders.16 Only a small number of these thresholds seem to be influential determinants for shareholder voting block acquisitions. Figure 10 presents the voting block of the foreign shareholder of all companies in the sample if 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 0%

20%

40%

60%

80%

Fraction of the data

Figure 10: Voting block of the foreign largest shareholder in 2007 Source: own research

16

These thresholds are not universal but many countries adopted these ceilings.

100%

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this shareholder is the largest shareholder. Only at the level of 30 per cent, the mandatory bid threshold in five of the six countries, the line is flatter. Other thresholds are not clearly identifiable.17 These results do not reject any kind of relationship between shareholder rights and investment policies. First, the leximetric approach is still under construction. Not all rights have been addressed. Next, shareholder rights are considered of equal importance. It is more than likely that some rights matter more than other rights. Third, in a time frame of one decade the variability of both shareholder rights and ownership structures is relatively limited. All industrialised countries in the sample offer already a significant number of shareholder rights. These rights seem to be sufficient to appeal foreign shareholders. A larger sample of countries where the development of shareholder rights is more or less advanced and more longitudinal studies are required to reveal more precisely the relationships between (corporate and securities) law and the capital market.

17 The line is somewhat flatter around the threshold of 50 per cent but this is the case at both sides of the threshold.

Three Recent Developments in Auditors’ Liability Eilís Ferran* Introduction The March 2008 issue of the Cambridge Law Journal includes an article on the topic of auditors’ liability. That article presents the views of the Working Group on the subject set up by the Max Planck Institute for Comparative and International Private Law in Hamburg (MPI). Professor Klaus Hopt was a member of the Working Group and one of the authors of the article. This recent connection between Professor Hopt’s work and my “home” institution provides a small, but still rather nice, reason for choosing to write on auditors’ liability in this collection but there are also more substantial reasons for focusing on this topic. Ever since the collapse of Arthur Andersen in the aftermath of the Enron scandal, the crucial gatekeeping function performed by auditors has been centre-stage in corporate governance policy debate around the world. It is recognised that the threat of liability has a valuable role to play in ensuring that auditors act responsibly but also that excessive liability combined with the “deep pocket” syndrome1 and inadequate insurance cover could trigger a collapse in the already highly-concentrated market for the supply of auditing services. Developments in litigation practice such as the emergence of professional third-party litigation funders have increased the credibility of private enforcement as a disciplining option in countries where historically the practice has been to rely more on other forms of corporate governance control but, in the wake of those developments, fears about the possibility of catastrophic litigation against auditors have become more widespread.2 Striking the balance on liability has thus become a more universal problem but one that requires local solutions because of considerable variations in civil liability systems governing private enforcement. However, local solutions must take * I am grateful for comments from Kathryn Cearns, Hardeep Nahal and Richard Nolan. 1 I.e. that the auditors may be the only culpable party that is worth suing. 2 JC Coffee ‘Gatekeeper Failure and Reform: The Challenges of Fashioning Relevant Reforms’ in G Ferrarini, KJ Hopt, J Winter and E Wymeersch, Reforming Company and Takeover Law in Europe (OUP, 2004) 455, 489 describes the question of striking the appropriate balance as “a uniquely American problem” because of distinctive features of its system of civil procedure (class actions, juries).

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account of the global dimension to avoid creating new difficulties for internationally-active companies and professional firms. There is already a substantial body of scholarship on auditors’ liability and it is not the purpose of this short essay to conduct a literature review and to summarise quite well-known information and arguments on the topic. Instead the focus is on recent developments, in particular the European Commission’s 2008 Recommendation concerning the limitation of the civil liability of statutory auditors and audit firms,3 the problems that have hindered attempts to use contractually-negotiated arrangements as a method of limiting auditors’ liability, and a 2009 ruling on auditor liability by the UK House of Lords (now Supreme Court) that may be of interest to an international audience.

EC Recommendation The Recommendation is aimed at serving the public interest by ensuring a sustainable audit function and accordingly a competitive market for audit firms.4 Its adoption resulted from a policy assessment that the existence of only four firms that are capable of meeting the demand for international audit services and of high barriers to entry to the international market for mid-tier and new firms (mainly high liability risks, limited insurance availability, the huge investment of time and resources that would be needed to establish a competitive presence) constituted a market failure.5 That this was a transnational issue that could properly be addressed at the EU level was relatively clear. Indeed the Statutory Audit Directive in 2006 had envisaged that the Commission would act to address liability concerns.6 The Recommendation in form (non-binding) and content (considerable optionality in the ways that Member States can give effect to it) is very light touch. This is appropriate because the subject-matter demands an approach that is particularly sensitive to differences in national legal environments. The non-binding nature of the instrument does not mean that it lacks legal significance. There is a long track record in financial market regulation of sophisticated and intelligent use of “soft law” to establish norms that gradu3 OJ 2008 L 162/39. The close attention that the European Commission and other bodies have given to this question during the 2000s demonstrates that this is no longer a localized concern. 4 Recommendation, recs 2–4. 5 European Commission, Impact Assessment (Accompanying Document to the Commission Recommendation Concerning the Limitation of the Civil Liability of Statutory Auditors and Audit Firms) SEC(2008) 1975, para 3.1. 6 Directive 2006/43/EC of the European Parliament and of the Council of 17 May 2006, OJ 2006 L 157/87, art 31.

Three Recent Developments in Auditors’ Liability

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ally harden through being adhered to in practice. The Recommendation can be viewed as an important first step that crystallizes the principle that Member States should take action to provide for the limitation of auditors’ liability arising from a non-intentional breach of their professional duties. It thus puts pressure on Member States at least to consider their position. A sense of quasi-obligation may be reinforced by a follow up provision in the Recommendation itself 7 and by the Commission’s declared intention to monitor closely Member States’ implementation.8 The Recommendation is concerned with civil liability arising from the carrying out of statutory audits of companies registered in a Member State that have securities admitted to trading on a regulated market.9 This limited scope reflects the mandate conferred on the Commission by the Statutory Audit Directive.10 It does not preclude Member States from taking action in relation to auditor liability arising from the audit of unlisted companies. The Recommendation sets out three methods for limiting liability: caps (either fixed or determinable by reference to a formula); proportionate rather than joint and several liability; and auditor liability limitation agreements.11 The Recommendation suggests that the limitation should apply against third parties as well as against the client company. Rules in the general law prohibiting the imposition of contractual burdens on non-contracting parties would appear to rule out liability limitation agreements as a direct way of meeting that particular aim. However, the Recommendation envisages the possibility of using a combination of methods to achieve the desired level of auditor protection.12 In principle it would be possible for a contractually-agreed limit to function also as a cap in respect of third party claims subject to appropriate public notice of its existence and to its substance being fair and reasonable. Functionally, systems of tort law that deny the existence of a duty owed to third parties also achieve the desired result but the Recommendation is silent with regard to scope of duty issues. The MPI Working Group favoured liability limitation agreements subject to certain procedural safeguards, publicity requirements, and the possibility of judicial review of the fairness and reasonableness of the agreed terms. The Recommendation in fact includes safeguards in relation to liability limitation agreements that are broadly similar to those that were advocated by the MPI

7

Art 9. ‘Commission Recommendation on Limitation of Auditors’ Liability: Frequently Asked Questions’ (Memo /08/366, Brussels, 6 June 2008). 9 Art 1. 10 Art 31 mandated the Commission to examine the impact of the current national liability rules for the carrying out of statutory audits on European capital markets. 11 Art 2.3. 12 Art 5. 8

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Working Group though they are less extensive in certain respects.13 The MPI Working Group considered liability limitation agreements to be a superior option for relating the level of liability to the specific risk situations of individual companies.

Limiting auditors’ liability by contract: a misconceived idea? The Steering Group that led the UK’s domestic reform of company law between 1998 and 2000 also took a favourable view of auditor liability limitation agreements.14 The timing of the UK’s domestic review and the subsequent reforms enacted in the Companies Act 2006 obviously preceded the Commission’s intervention but the UK approach is broadly consistent with the Commission’s recommended approach.15 Efforts to take advantage of the new permissive regime in the Companies Act 2006 and to put a system of auditor liability limitation agreements into operation are thus worth exploring for the lessons they may offer to others in the Community who are considering how to address the issue. Unfortunately for proponents of a contractual approach, the news is not encouraging. Under sections 532 to 538 of the Companies Act 2006 a company can enter into a liability limitation agreement with its auditor provided that shareholder approval is obtained. The Act does not prescribe how an agreement should be framed, save for a requirement that it cannot cover more than one financial year.16 The Act does not directly impose a requirement for the amount to which liability is limited to be fair and reasonable but seeks indirectly to achieve that result by providing that an agreement will not be effective to limit liability to a lesser amount. Should an agreement purport to fix a limit

13 On fairness and judicial review: Arts 4 and 6(a). However, the MPI Working Group’s suggestions for specification of the basic criteria for the company and its auditor to take into account in forming an agreement and of additional factors to be taken into account in the judicial assessment have not been taken up. On shareholder approval as a procedural safeguard: Art 6(b). On publicity: Art 6(c). 14 In particular, Modern Company Law: Developing the Framework (URN No: 00/656) paras 5.156–5.164; Modern Company Law: Completing the Structure (URN No: 00/1335) paras 6.89–9.93. 15 There are a couple of differences. First, third party claims are not covered but auditors are shielded by tort law from liability to third parties (see below). Secondly, the Act leaves open the possibility of a liability limitation agreement in respect of an intentional breach of duty. Purported limitation of liability for fraud or dishonesty would, however, be void on public policy grounds. 16 There is provision for the government to intervene by way of Regulations but it has indicated that it will only use this power if problems emerge in practice: Financial Reporting Council, Guidance on Auditor Liability Limitation Agreements (June 2008) 22; Hansard, HC, vol 450, 19 Oct 2006, col 1074 (Vera Baird, MP).

Three Recent Developments in Auditors’ Liability

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that is too low, it will not be wholly ineffective but will operate as if it limited liability to the fair and reasonable amount as determined by the court. The auditor’s statutory and contractual responsibilities and expected professional standards are matters that are relevant to the determination of what is fair and reasonable in all of the circumstances of the case, but no account is to be taken of matters arising after the loss or damage in question has occurred or matters affecting the possibility of recovering compensation for the loss from another party. A company must disclose information about any auditor liability limitation agreement it has entered into in its annual accounts.17 The new law came into force in April 2008. There was some expectation that listed companies would be among the first group to enter into liability limitation agreements with their auditors but, as of September 2009, there was no known example of a listed company putting a proposal to that effect to its shareholders. A number of possible explanations for the slow uptake have been identified. First, it appears that auditors have been reluctant to reduce their fees or offer some other incentive18 in return for a liability limitation agreement. This deprives boards of a clear tangible benefit that could help to persuade shareholders that allowing their auditor to limit liability represents a good deal for the company,19 and may therefore make boards reluctant to put forward a proposal. Secondly, the complicated mix of limitation between the corporate group and individual subsidiaries, both UK and non-UK, may not have been properly thought through in the initial proposals that the firms put to their client companies. Thirdly, for UK companies that are registered with the SEC, stringent post-Enron requirements in US securities regulation on auditor independence have emerged as a major stumbling block.20 While there is a trend for European companies to terminate their SEC registration, many of the UK’s top companies have maintained their registration and thus the hostile stance of the US regulatory authorities to auditor liability limitation agreements constitutes a significant problem.21

17 The Companies (Disclosure of Auditor Remuneration and Liability Limitation Agreements) Regulations 2008 (SI No 489) reg 8. 18 E.g., streamlining group audit fee negotiations or centralizing audit administration for multinationals. 19 Institutional Shareholders’ Committee, Statement on Auditor Liability Limitation Agreements (June 2008), emphasizes that the institutions would expect directors to satisfy themselves that proposing a shareholders’ resolution for the approval of such an agreement accorded with their fiduciary duties and to reassure shareholders that they had made full use of the bargaining potential in liability agreements to maintain and enhance audit quality and to secure other benefits for the company in its relationship with its auditor. 20 GC100, Updated Note on Auditor Liability Limitation Agreements (July 2009). 21 There were 44 UK reporting issuers registered with SEC at end December 2008, including Barclays, BP, BT, Cadbury, Diageo, GlaxoSmithKline, HSBC, Pearson, RoyalDutchShell and Vodafone.

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The SEC takes the view that when an auditor and the client enter into a liability limitation agreement, the auditor is not independent.22 The SEC considers that a liability limitation agreement removes or greatly weakens one of the major stimuli to objective and unbiased consideration of the problems encountered in a particular engagement. The federal banking agencies have followed the SEC’s position in relation to banks, credit institutions and certain savings and loans associations and have adopted the policy that certain limitation of liability provisions are unsafe and unsound because limits on external auditors’ liability may weaken the external auditors’ objectivity, impartiality, and performance and, thus, reduce the agencies’ ability to rely on audits.23 In 2009 it was reported (though there has been no official pronouncement to this effect) that the SEC would not relax its position for foreign listed issuers, thereby effectively closing the door on such agreements for dual-listed UK companies.24 For those who have taken seriously the rhetoric of transatlantic dialogue as a mechanism for the early detection and practical solution of problems that have their roots in misunderstandings about different ways of tackling common problems, this impasse is remarkable. Since the position of the US agencies on this matter is not new, it could be thought to be rather surprising that the risk of creating a new international regulatory friction was not given more attention in the UK (and the EU) deliberations about the merits of reform based on a contractual approach. Perhaps there was a miscalculation about the extent to which the SEC would feel under pressure not to resist a new approach that is imbued with the legitimacy and authority of a sovereign lawmaking process. On the other hand, while the SEC is of course entitled to write the “rules of the game” for those engaging in securities market activity in the United States it is nevertheless disturbing to see the apparent intransigence of a foreign regulator thwarting to such a powerful extent a carefully researched, delicately-balanced law reform exercise undertaken in another country. Fundamental differences of approach on either side of the Atlantic to the governance role of shareholders appear to lie close to the heart of this matter: auditor independence is as much a concern for British and European policymakers and regulators as it is for their American counterparts but on the European side there appears to be more willingness to trust shareholders to police the risks.

22 SEC, Office of the Chief Accountant: Application of the Commission’s Rules on Auditor Independence Frequently Asked Questions; SEC, Financial Reporting Policies – Section 600–602.02.f.i. “Indemnification by Client”. 23 Interagency Advisory on the Unsafe and Unsound Use of Limitation of Liability Provisions in External Audit Engagement Letters (2006). 24 J Hughes ‘SEC Blocks Auditor Liability Deals’, Financial Times, 10 March 2009, 17.

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There is no easy way forward in the UK.25 In an attempt to break the logjam, in 2009 the auditing profession reportedly revived an old idea and began to press the British government for a proportionate liability regime to be imposed by statute.26 That the government was not responsive to this request cannot have come as a great surprise, however, because for many years before the voluntary approach enacted in the Companies Act 2006 took shape, the professions had unsuccessfully lobbied for the introduction of statutory proportionate liability.27 While a statutory proportionate liability regime could meet SEC concerns about contract negotiations as an independence-eroding process, dropping the requirement for shareholder approval would be highly controversial from a corporate governance perspective. Particularly in the aftermath of the financial crisis, the government would presumably have been reluctant to revisit its opposition to proportionate liability for fear of looking like it was in any way relaxing corporate governance or shareholder protections, even though there has been no indication (as yet) of audit failure in the crisis. So, for the foreseeable future, auditors in the UK continue to face the risk of unlimited liability. How serious is this risk? This is the question to which we now turn.

Auditor liability in the UK and the courts: the latest instalment It may be helpful to begin with a brief summary of the law on the liability of auditors in respect of the statutory audit.28 An auditor owes statutory and common law duties to the client company.29 The core statutory obligation on an auditor is to report to the company’s members on whether the annual accounts have been properly prepared and give a true and fair view of the financial position.30 At common law there are co-extensive duties in contract and tort to exercise reasonable care and skill. An auditor who is in breach of the duties of care is liable to compensate the company for resulting losses. 25

It is possible that auditors may switch course and seek to build momentum and critical mass by taking a “bottom up” approach, so starting with the smallest unquoted companies, through AIM and small cap and so on. 26 A Spence ‘Big Audit Firms Left Unprotected Against Claims of Negligence’, The Times, 28 September 2009, 36. For an example of a statutory proportionate liability scheme in respect of economic or property loss arising from failure to take care see Civil Liability Act 2002, Pt 4 (New South Wales). 27 Spence ibid, reporting that while Lord Mandelson, the Business Secretary, had initially seemed receptive, his Department eventually decided against changing the law. 28 For detail see C Butcher and J Brocklebank ‘Accountants and Auditors’ in M Simpson (ed) Professional Negligence and Liability (LLP, looseleaf), ch 13. 29 The statutory functions of an auditor are specified in Companies Act 2006, Pt 16, ch 3. 30 Companies Act 2006, s 495.

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Principles of causation and an examination of the scope of the duty undertaken and whether it extends to protecting the claimant against the particular loss that has been suffered 31 are used to determine the losses that are attributable to an auditor’s negligence. Normal remoteness tests also apply. In ordinary circumstances an auditor does not owe a direct duty of care to individual shareholders, creditors or other third parties in respect of the carrying out of an audit.32 The audit is a check on the company’s internal processes and thus in a typical case an auditor’s breach of duty will lie in a failure to pick up fraud or error on the part of the company’s executive officers and board of directors. This means that the company’s losses are likely to result from the culpability of several parties. An auditor’s liability for losses that are attributable to the actions of a number of parties is joint and several rather than proportionate to the degree of personal culpability. However, the fact that the auditor’s role is to check for managerial fault or wrongdoing does not preclude an auditor from raising a defence based on contributory negligence.33 It is open to an auditor to seek to recover a contribution in respect of losses for which he is held liable from any other person (such as the company’s directors) who is also liable in respect of the same damage. It is also possible for an auditor who is in breach of duty to seek discretionary relief from the court under section 1157 of the Companies Act 2006 on the grounds that he acted fairly and reasonably. Attribution principles and rules about contributory negligence, contributions in respect of concurrent liability, discretionary relief and remoteness can reduce the amount that a negligent auditor has to pay by way of damages to a client company to a level more commensurate with relative culpability.34 This overview of the record of the British courts in dealing with questions about who auditors are liable to and the extent of their liability suggests that the law has developed in a way that is quite sensitive to the special features of the market for the supply of auditing services that make it desirable to guard against the risk of catastrophic litigation. This tendency led some to question the seriousness of the risk of crippling civil liability faced by auditing profession in the UK even before the opportunity to limit liability by contract was introduced by the Companies Act 2006.35

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Banque Bruxelles Lambert SA v Eagle Star Insurance Co Ltd [1997] 1 AC 191, HL. Caparo Industries plc v Dickman [1990] 2 AC 605, HL. 33 Barings v Cooper & Lybrand [2003] EWHC 1319, Ch. 34 C Butcher ‘Auditors, Parliament and the Courts: the Development and Limitation of Auditors’ Liability’ (2008) 24(2) Professional Negligence 66. 35 There were suggestions in Parliament during the passage of the Companies Act 2006 that the civil liability pressures on auditors were already quite low: Hansard, HC, vol 450, 19 October 2006, col 1054 (David Howarth MP). 32

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On the face of it, the recent decision in Moore Stephens v Stone Rolls Ltd 36 appears to confirm that auditors can afford to be relatively relaxed about the civil liability risks that they face in the UK. The case, which was brought by a company in liquidation against its former auditor, raised the question whether top management fraud provides a defence to a negligent auditor. The liquidator sought to recover damages on behalf of the company. If the action had succeeded, the principal indirect beneficiaries would have been a number of banks that had been defrauded in a scheme orchestrated by an individual who was the sole directing mind and will of the company and its beneficial owner. The auditor sought to have the case struck out on the ground that the company could not bring an action in which it would have to rely on its own illegal conduct (ex turpi causa non oritur actio). For the limited purpose of the strike-out application, the auditor admitted negligence and a causative role in the continuance of the fraud for an extended period. By a majority of three to two, the House of Lords dismissed the appeal from the Court of Appeal’s decision to strike out the company’s claim. As the first major case facilitated by third-party funding, the defeat could be a setback to the development of litigation entrepreneurship in the UK at least in the short term. For the majority, the ex turpi causa principle provided a defence to the claim advanced by the company. Under normal principles governing the attribution of actions and states of minds to companies, the controller’s fraud was the company’s fraud.37 There was no basis for not applying the general rule against assisting a claimant to recover compensation for the consequences of its own illegal conduct. The argument that the claim should be allowed to proceed so as not to strip the “very thing” that the auditor was engaged to do of its content was not found to be persuasive. While there was some common ground between the three members of the majority, there were also some differences in their reasoning. Lord Walker emphasised that in factual circumstances involving one or more individuals who for fraudulent purposes ran a “one-man” company, no advantage could be obtained by claiming that the company was a victim of the fraud rather than a perpetrator: in such a case attribution of the controllers’ fraud to the company was inevitable because the company could not be in a stronger position than its controller and it was unarguable that if the controller had carried out the frauds on his own, rather than through a corporate vehicle, neither he nor his trustee in bankruptcy would have been able to sue the auditors of the business. Lord Brown also stressed the fact that the claimant was a “one-man” company in concluding that the fraud had to be attributed

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[2009] UKHL 39. Meridian Global Funds Management Asia Ltd v Securities Commission [1995] 2 AC 500, PC. 37

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to the company. Scope-of-duty reasoning was a critical part of Lord Phillips’s analysis: it was established by Caparo that an auditor owes duties to the company in the interests of its shareholders but no direct duties to individual shareholders or creditors; a claim brought by the company for the indirect benefit of its creditors fell outside the scope of any duty owed by the auditor; since all of those whose interests formed the subject of any duty of care owed by the auditor were party to the illegal conduct, the ex turpi causa principle provided a defence. There are several analytical problems with this decision, many of which are explained in the speeches of the dissenting law lords (Lord Mance and Lord Scott). It is a fundamental principle of company law that a company is a separate legal entity and, as such, if there is a breach of any duty owed to the company, the company recovers for its own loss and not for any reflective loss suffered by its shareholders, creditors or other constituencies. However, it is also well-established in company law that reification has both uses and limitations; many legal questions can only be resolved by looking through the entity to the persons behind it, usually to the shareholders as a body but with shareholders giving way to creditors in the event of insolvency. The qualified nature of the entity principle adds complexity to questions about the scope of duties, whether they have been breached, and whether there is causally-related loss for which compensation can be claimed because it makes it essential to think carefully about whether the term “company” in any particular context really means the entity or is, in effect, being used as a shorthand reference to an interested constituency. Where it is alleged that an auditor is in breach of duty to the client company in having failed to detect top management fraud, the answer may well be that there is no breach because corporate insiders were in the know but this is not necessarily the case because it all depends on how that duty is defined. Lord Phillips saw the crucial significance of the scope of the duty owed by an auditor but then seemed to be in two minds about how to proceed from that point. Rather confusingly, his Lordship first shied away from looking behind the company to those whose interests the duty was intended to protect because “there are difficulties in the way of doing so to which no clear resolution had been demonstrated” (para 18(4)) but then concluded that the creditors fell outside the scope of the duty and that since the sole beneficiary of the duty was the fraudster ex turpi causa provided a defence. With respect, this sweeping conclusion too readily accepts the Caparo shareholder-oriented formulation of the auditor’s duty and does not give enough consideration to the fact that Moore Stephens, unlike Caparo, concerned a company that was insolvent at each audit date. In an Australian case that has been the foundation for a line of cases in the UK and elsewhere on the modification of directors’ duties to take account of creditors’ interests, Street CJ explained that:

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“Where a company is insolvent the interests of the creditors intrude. They become prospectively entitled, through the mechanism of liquidation, to displace the power of the shareholders and directors to deal with the company’s assets. It is in a practical sense their assets and not the shareholders’ assets that, through the medium of the company, are under the management of the directors pending either liquidation, return to solvency, or the imposition of some alternative administration.” 38 If, as Lord Phillips accepted, the auditor’s duty extends to the “exercise of reasonable care in the provision of information to the directors and those who had a proprietary interest in the company”,39 surely the fact that the shareholders’ proprietary interest no longer exists when a company is insolvent must affect the scope of that duty? An explanation for the striking omission of analysis of this point may be that the appeal to the House of Lords arose out of a strike-out application on the single issue of the availability of the ex turpi causa defence and yet involved complex arguments spread over a range of issues.40 Scope of duty was not even directly in point because of the tactical concession by counsel for Moore Stephens for the purpose of the strike-out application that the firm was in breach of duty. Another well-established company law rule that arguably did not receive adequate attention in the opinions of the majority is that even a unanimous decision of the shareholders is not effective to override a duty that is for the benefit of other constituencies as well. So the question of how the duty is defined is also key to the “one man” company line of analysis. Once creditors are brought into the picture, the view that everyone who mattered was “in the know” loses its persuasive force. What about the argument that a liquidator cannot assert a claim that was not available to the company itself (the “no-advantage” argument)? Again, it is essential to bear in mind that company law accommodates the possibility of a company having a claim in respect of wrongful acts that have been condoned (or even carried out by) its controllers. Any action brought by the liquidator in respect of such acts would be taken with a view to recovering compensation for the company’s loss, which is entirely separate and distinct from any shareholder’s or creditor’s personal loss. There is thus a clear distinction to be drawn between the position of a liquidator of a company that has been used as a vehicle of fraud and that of a trustee in bankruptcy of a fraudster: the trustee, unlike the liquidator, would be seeking to recover for the fraudster’s personal loss. Since it is only the company’s loss that is in issue, the spectre of indeterminacy, mentioned by Lord Brown in his speech in Moore Stephens, does not arise. 38 39 40

Kinsela v Russell Kinsela Pty Ltd (in liq) (1986) 4 NSWLR 722 NSW SC, 730. Lord Phillips para 84 (author emphasis added). Lord Mance, para 265.

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It is perhaps easiest to see the flaws in the no-advantage argument by considering the example of a claim by a liquidator against controllers whose fraudulent activities caused the company to fail. There can be no doubt that the fact that the controllers were in the know would not stand in the way of a claim by the liquidator in respect of wrongs that the shareholders were powerless to ratify. The liquidator would be asserting a claim that the company had but, of course, chose not to pursue while the wrongdoers controlled the corporate decision-making apparatus. It seems inconceivable that the ex turpi causa defence (which is not so much a principle as a policy 41) would operate in these circumstances. What is different, then, about a claim brought by a liquidator on behalf of the company against an auditor who has failed to detect the fraud (assuming the scope of the auditor’s duty is defined in a way that properly takes account of the company’s insolvent status at the time the audits were conducted)? One point of distinction is the possibility that the fraudsters themselves could benefit from the liquidator’s action.42 It would be obviously objectionable if a fraudster who has worked through a company could benefit in any way from a liquidator’s action and the ex turpi causa policy might have a limited role to play in preventing that result. However, that is a situation that seems most unlikely to arise in a typical corporate liquidation resulting from the collapse of a fraud and, if it did occur, other more finely-tuned mechanisms might be available to prevent an offensive outcome.43 This is not the place to go further into the technicalities of the Moore Stephens decision. It may prove to be a ruling that has limited significance: Lord Walker and Lord Brown expressly restricted their reasoning to the situation where the directing mind and will of the company is also its owner; Lord Phillips described it as a case involving extreme facts (para 18(5) 44), acknowledged the attraction “in principle” of looking behind the company at those whose interests the duty is intended to protect (para 18(3)), and mentioned the possibility of extending the scope of the duty undertaken by an auditor to include protecting the interest that the creditors of a company have in the preservation of its assets (para 85). So, close examination of the decision may give the auditing profession some cause for concern. Yet,

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Gray v Thames Trains Ltd [2009] 3 WLR 167, para 30 per Lord Hoffmann. Another is contributory negligence where, as Lord Mance noted, there is a conundrum: “if the fraud of top management is not attributed to the company for the purposes of the maxim ex turpi causa … why should it be attributed to the company for the purposes of contributory fault?” (para 274). Lord Mance evidently felt that a “pragmatic” solution could be found (ibid) but compare Lord Phillips for whom contributory negligence was a “more intractable” problem (para 62). 43 This was Lord Mance’s view but compare Lord Phillips (paras 61–63). 44 See also Lord Walker para 193. 42

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even with these caveats noted, the decision tends to confirm the impression that the British courts are quite generous to auditors. This should provide some comfort to the profession to set against the frustrations that efforts to establish a workable system of liability limitation agreements have generated. But a consequence of judicial conservatism in relation to auditor liability is that other mechanisms, such as public oversight of the profession, may have to work harder to protect society’s interest in the quality of statutory audits.

Europäisches Gesellschaftsrecht Andreas M. Fleckner

„ ‚Europäisches Gesellschaftsrecht‘ ist etwas, an dem sich die Geister scheiden. Für die einen ist es Realität und Vision zugleich: Realität sind die über 25 bereits erlassenen oder im Verfahren befindlichen europäischen Rechtsakte zum Gesellschaftsrecht. Die Vision geht auf ein EGeinheitliches, bei dem Sog in Süd- und Osteuropa vielleicht sogar auf ein gemeineuropäisches ius commune societatum. Für die anderen ist schon diese Sicht der Realität fragwürdig, von einer Vision ganz zu schweigen: Mit Ausnahme vielleicht der EWIV fehle es an einer wirklichen EG-Gesellschaftsrechtsvereinheitlichung. Vielmehr existiere nur deutsches, französisches oder anderes nationales Gesellschaftsrecht, obschon punktuell gleichwertig.“ Mit diesen Worten eröffnete Klaus J. Hopt vor fast zwei Jahrzehnten einen grundlegenden Beitrag zum europäischen Gesellschaftsrecht (1992).1 Es folgten zahlreiche weitere Aufsätze, in denen er das europäische Gesellschaftsrecht insgesamt (1998 und 2005) 2 oder wichtige Teilaspekte analysierte, etwa das Übernahmerecht (1997),3 die Corporate Governance (2000),4 die Leitungsstruktur (2004) 5 oder das Konzernrecht (1998/2007).6 Die Berufung in die von der Europäischen Kommission eingesetzte „High Level Group of Company Law Experts“ (2001/2002) eröffnete die seltene Chance, die aus der langjährigen Beschäftigung mit der Materie gewonnenen Kenntnisse unmittelbar in die politische Diskussion einzubringen. Gleichzeitig hat sich der Jubilar immer wieder mit den allgemeinen Grundlagen und dem größeren Kontext des Gesellschaftsrechts befasst. Beispielhaft hervorgehoben seien sein Beitrag über die Aktien-, Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert (1980),7 seine Mitwirkung an der Anatomy of Corporate Law 1

Hopt ZGR 1992, 265–295. Hopt ZIP 1998, 96–106; Hopt ZIP 2005, 461–474. 3 Hopt ZHR 161 (1997), 368–420. 4 Hopt ZGR 2000, 779–818. 5 Hopt/Leyens ECFR 2004, 135–168. 6 Forum Eur. Konzernrecht ZGR 1998, 672–772; Hopt ZHR 171 (2007), 199–240. 7 Hopt Ideelle und wirtschaftliche Grundlagen der Aktien-, Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert, in: Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band V, 1980, S. 128–168. 2

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(2004/2009) 8 und sein Kapitel über Comparative Company Law (2006/ 2008).9 All dies legt es nahe, den Geburtstag Klaus J. Hopts zum Anlass zu nehmen, einen Moment innezuhalten, sich von den tagesaktuellen Diskussionen zu lösen und über die – in dem eingangs wiedergegebenen Zitat angedeuteten – grundsätzlichen Fragen des europäischen Gesellschaftsrechts nachzudenken. Ausgehend von einem knappen Überblick über den erreichten Stand (I.) erarbeitet der Beitrag zunächst die konzeptionellen (II.) und historischen (III.) Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts. Auf diesem Fundament unternimmt der anschließende Abschnitt, der Kern des Beitrags, den Versuch, prozedurale, methodische und inhaltliche Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen (IV.).

I. Erreichter Stand Über das Gesellschaftsrecht, das im institutionellen Rahmen der Europäischen Union und ihrer Vorgänger entstanden ist, informiert ein mittlerweile reiches Spezialschrifttum.10 Der folgende Überblick kann sich deshalb auf die Grundzüge und die neuesten Entwicklungen beschränken.11 1. Angleichung nationaler Gesellschaftsrechte Auf dem Gebiete des Gesellschaftsrechts sind bislang zwölf Richtlinien ergangen. Die ersten neun liegen bereits mehr als zwei Jahrzehnte zurück (1968 bis 1989). Nach fünfzehn Jahren folgten die Übernahmerichtlinie (2004), die Internationale Verschmelzungsrichtlinie (2005) und die Aktionärsrechterichtlinie (2007). Kurz- und mittelfristig ist allenfalls mit einer weiteren Richtlinie zu rechnen, der Sitzverlegungsrichtlinie.

8 Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock The Anatomy of Corporate Law, 1. Aufl., 2004; zitiert nach der 2. Aufl. (mit Armour und Enriques), 2009. 9 Hopt Comparative Company Law, in: Reimann/Zimmermann (Hrsg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006 (corrected paperback edition 2008), S. 1161–1191. 10 Neuere Gesamtdarstellungen (seit 2003): Behrens Gesellschaftsrecht, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblatt), 2004; Cassottana/Nuzzo Diritto commerciale comunitario, 2. Aufl., 2006, Parte I; Cordeiro Direito europeu das sociedades, 2005; Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004 (zitiert nach: European Company Law, 2007); Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2006; Menjucq Droit international et européen des sociétés, 2. Aufl., 2008; Werlauff EU-Company Law, 2003. 11 Aktuelle Überblicke (seit 2008): Engert Gesellschaftsrecht, in: Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl., 2008, S. 225–280; Fleckner s.v. Gesellschaftsrecht, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Band I, 2009, S. 734–739.

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2. Unmittelbar geltendes europäisches Gesellschaftsrecht Alle börsennotierten Gesellschaften sind unmittelbar kraft europäischen Rechts verpflichtet, nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) zu bilanzieren (seit 2005). Diese Standards werden von einem privaten Gremium, dem International Accounting Standards Board (IASB), konzipiert und anschließend von der Europäischen Kommission in Kraft gesetzt. Außerdem gibt es drei Gesellschaftsformen europäischen Rechts: die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) (1985), die Europäische (Aktien-)Gesellschaft (Societas Europaea, SE) (2001) und die Europäische Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE) (2003). Als weitere Rechtsform steht aktuell die Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea, SPE) auf der politischen Agenda. 3. Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit Der Europäische Gerichtshof hat eine Reihe wegweisender und die Diskussion um das europäische Gesellschaftsrecht prägender Urteile erlassen. Ausgangspunkt der Rechtsprechung zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49–55 AEUV) war die bereits vor zwei Jahrzehnten ergangene Entscheidung Daily Mail (1988); in den letzten zehn Jahren folgten in kurzen Abständen Centros (1999), Überseering (2002), Inspire Art (2003), SEVIC Systems (2005) und Cartesio (2008). Neueren Datums sind die neun Urteile (2002–2007) zur Frage, ob und inwieweit Bestimmungen, die (zuvor privatisierte) Gesellschaften vor Übernahmen schützen, mit der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 63–66, 75 AEUV) vereinbar sind; sechs dieser Entscheidungen befassen sich mit sog. Goldenen Aktien (2002– 2006), eine mit dem deutschen VW-Gesetz (2007). *

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Die Diskussion um das europäische Gesellschaftsrecht bewegt sich bislang fast ausschließlich innerhalb des gerade skizzierten, von den Institutionen der Europäischen Union vorgezeichneten Rahmens. Im weiteren Verlauf des Beitrags wird deutlich werden, dass es jenseits dieser Grenzen eine weitere Form europäischen Gesellschaftsrechts gibt bzw. geben kann: gemeines europäisches Gesellschaftsrecht.

II. Konzeptionelle Grundlagen Die konzeptionellen Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts erschließen sich, wenn der Begriff in seine zwei Bestandteile zerlegt wird: Zunächst ist zu bestimmen, was „Gesellschaftsrecht“ ist, sodann ist zu überlegen, was „europäisches“ Gesellschaftsrecht ist.

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1. „Gesellschaftsrecht“ Gesellschaftsrecht regelt die innere und äußere Verfassung von Gesellschaften, also etwa die interne Kompetenzverteilung oder die Haftung gegenüber Außenstehenden. Gesellschaften sind, dem heutigen weiten Sprachgebrauch folgend, alle Vereinigungen des Privatrechts zur gemeinsamen Zweckverfolgung sowie Einpersonengesellschaften. Hierunter fallen Gesellschaften im engeren (Sozietät; societas; société; partnership) und im weiteren Sinne (Körperschaft/Verein; universitas; association; company/corporation). Für die nationale Rechtsanwendung ist es regelmäßig eine unbedeutende Frage, ob man die Grenzbereiche noch dem Gesellschaftsrecht oder schon anderen Rechtsgebieten zuordnet. Bereits ein „Klassiker“ ist insoweit die Differenzierung zwischen gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Vorschriften; sie ist konzeptionell reizvoll, in rein nationalen Kontexten aber nur relevant, wenn es einer systematischen oder teleologischen Auslegung bedarf. Bedeutsamer sind die Grenzen des Gesellschaftsrechts im europäischen Kontext. Beispielsweise wird gegenwärtig viel diskutiert, zu welchem Rechtsgebiet der Schutz der Gläubiger im Vorfeld von Unternehmensinsolvenzen gehört. In Deutschland haben Gesetzgeber (Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO) 12 und Rechtsprechung (Existenzvernichtungshaftung, § 826 BGB) 13 jüngst zwei traditionell im Gesellschaftsrecht verortete und teils als gesellschaftsrechtlich verstandene Institute mindestens äußerlich in andere Rechtsgebiete überführt. Ob sie damit – was offenbar ein Beweggrund war – dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 49–55 AEUV) entzogen sind und ungehindert auf ausländische Gesellschaften erstreckt werden können, scheint jedoch fraglich. Denn für die Reichweite der Niederlassungsfreiheit dürfte es nicht (formal) auf den nationalen Regelungsstandort, sondern (materiell) auf den nach europäischen Maßstäben zu bestimmenden Regelungsgehalt ankommen.14 Die Frage, was Gesellschaftsrecht ist und was nicht, führt zu den in Kontinentaleuropa selten in die Überlegungen einbezogenen Funktionen des Gesellschaftsrechts.15 Der Jubilar hat in dem eingangs erwähnten Beitrag davon gesprochen, Gesellschaftsrecht könne „als ein die Privatautonomie einschränkendes Regelungsinstrument gesehen werden, aber auch umgekehrt als ein solches, das die Privatautonomie weiter entfaltet“.16 Im geltenden Gesell12

Eingefügt mit Art. 9 Nr. 3 MoMiG vom 22.10.2008, BGBl. I S. 2026, 2037. BGHZ 173, 246 (Trihotel) und BGHZ 176, 204 (Gamma). 14 Ebenso z.B. Armour Current Legal Problems 58 (2005), 369, 371, 402–406, 412 und Eidenmüller RabelsZ 70 (2006), 474–504, insb. 479, 483 und 502 (allgemein) sowie 487–491 (Durchgriffshaftung) und 494–498 (Insolvenzantragspflicht). 15 Dazu insb. Armour/Hansmann/Kraakman What is Corporate Law?, in: Anatomy (Fn. 8), S. 1–34 und Armour/Whincop Oxford J. Leg. Stud. 27 (2007), 429–465, insb. 461/462. 16 Hopt ZGR 1992, 265, 292. 13

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schaftsrecht lassen sich Regelungen beider Art identifizieren: solche mit regulierender Funktion, welche das allgemeine Zivilrecht um Bestimmungen für gesellschaftsrechtliche Fragen ergänzen oder abändern,17 und solche mit eröffnender Funktion, ohne die Gesellschaften nicht organisiert werden können.18 Letzteres, also unverzichtbares Gesellschaftsrecht, ist selten, weil sich fast alles vertraglich regeln lässt; überall zusätzliche Optionen eröffnen die Vorschriften, welche das individuelle Privatvermögen der Gesellschafter und das gemeinsame Geschäftsvermögen der Gesellschaft trennen („Prinzip beidseitiger Vermögenstrennung“).19 2. „Europäisches“ Gesellschaftsrecht Es lassen sich drei Kategorien europäischen Gesellschaftsrechts identifizieren: a) Originäres europäisches Gesellschaftsrecht Originäres europäisches Gesellschaftsrecht ist dasjenige Recht, das von den europäischen Institutionen geschaffen wird.20 Hierzu gehören die Rechtsakte von Rat, Kommission und Parlament sowie die Urteile des Gerichtshofs. b) Derivatives europäisches Gesellschaftsrecht Derivatives europäisches Gesellschaftsrecht sind die nationalen Vorschriften, die zur Umsetzung originären, aber nicht unmittelbar geltenden europäischen Gesellschaftsrechts erlassen werden.21 Manche Beobachter verstehen den Begriff des europäischen Gesellschaftsrechts dagegen so eng, dass sie die Umsetzungsgesetze nicht mehr hierunter fassen können und stattdessen von „Gesellschaftsrecht in den EG-Mitgliedstaaten“ sprechen.22 Dies erscheint wenig glücklich, weil es sowohl für die Rechtsanwendung als auch für das System des europäischen Gesellschaftsrechts ein erheblicher Unterschied ist, ob eine bestimmte Vorschrift europarechtlich vorgegeben ist und damit in allen Mitgliedstaaten erwartet werden kann oder nicht. 17 Für das Aktienrecht Fleckner Aktienrechtliche Gesetzgebung (1807–2007), in: Bayer/ Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Band I, 2007, S. 999, 1000–1002. 18 Luhmann Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 136 (u.a. am Beispiel der „juristischen Persönlichkeit mit beschränkter Haftung“). 19 Zum „Prinzip beidseitiger Vermögenstrennung“ im Rahmen einer allgemeinen „Theorie der Kapitalvereinigung“ Fleckner Antike Kapitalvereinigungen, 2010, S. 53–59. 20 Hopt ZGR 1992, 265, 270; ebenso ließe sich – wie in den revidierten englischen Fassungen (Hopt Company Law in the European Union, 1998, S. 3; Int’l & Comp. Corp. L. J. 1 [1999], 41, 43) – von genuinem europäischem Gesellschaftsrecht sprechen. 21 Hopt ZGR 1992, 265, 270. 22 So insb. Goerdeler Festschrift Steindorff, 1990, 1211, 1218.

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c) Gemeines europäisches Gesellschaftsrecht Gemeines europäisches Gesellschaftsrecht ist – nach dem konzeptionellen und terminologischen Vorbild des ius commune – das den nationalen Jurisdiktionen gemeinsame Gesellschaftsrecht: ius commune societatis. Die mögliche Relevanz dieser dritten Kategorie europäischen Gesellschaftsrechts wird deutlich, wenn man sich fragt, welche Regelungen der nationalen Gesellschaftsrechte im europäischen Vergleich einzigartig oder zumindest selten sind. Dies ist, selbst hinsichtlich der Details und bei Einbeziehung des Vereinigten Königreichs, eine kleine Minderheit. Das gemeine Gesellschaftsrecht als Schnittmenge der nationalen Gesellschaftsrechte ist deshalb qualitativ und quantitativ sehr viel bedeutsamer als das originäre und derivative europäische Gesellschaftsrecht. Umgekehrt hierzu verhält sich seine Wahrnehmung in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion.23 Der Beitrag des Jubilars zur Frage „Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa?“ (2000) 24 hat deshalb nicht nur inhaltliches Neuland betreten, sondern zugleich methodische Pionierarbeit geleistet. Weitere Beispiele für gemeinsame Grundsätze, die als solche bereits untersucht wurden, sind die unbeschränkte Haftung gemeinsam unternehmerisch Tätiger,25 der Rechtsmissbrauch,26 der Gläubigerschutz 27 und die Proportionalität von Beteiligung und Stimmrecht.28 Wie berechtigt solche Überlegungen sind, zeigen die im nächsten Abschnitt skizzierten historischen Grundlagen. Sie vermitteln außerdem einen ersten Eindruck von den äußeren Voraussetzungen, unter denen gemeines 23 Wo das Thema überhaupt behandelt wird, überwiegt Skepsis (repräsentativ Grundmann [Fn. 10], S. 14); entgegen dem Titel befasst sich auch Timmermans Company law as ius commune?, 2002 ganz überwiegend (Ausnahme: S. 14–16) mit dem originären und derivativen europäischen Gesellschaftsrecht (Erläuterung: S. 1/2). Größerer Beliebtheit erfreuen sich in jüngerer Zeit Überblicke über die nationalen Gesellschaftsrechte, insb. Andenas/Wooldridge European comparative company law, 2009; Dornseifer (Hrsg.), Corporate Business Forms in Europe, 2005; van Hulle/Gesell (Hrsg.), European Corporate Law, 2006. 24 Hopt ZGR 2000, 779–818; terminologisch bemerkenswert Hopt Riv. d. soc. 2006, 906, 907 („I understand company law as European company law, both in the narrower sense of the EU law as well as in a broader sense of common European principles of company law.“). 25 Schön RabelsZ 64 (2000), 1, 37 („gesamteuropäisches Prinzip des Gesellschaftsrechts“). 26 Schön Festschrift Wiedemann, 2002, 1271, 1271 („fundamentale – geradezu archaische – Figuren, die nahezu jeder Rechtsordnung zu eigen sind“; konkret verneinend: S. 1281/ 1282). 27 Teichmann Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, insb. S. 15–17 (S. 17: der „interessenbezogene[] Ansatz im Gesellschaftsrecht“ sei eine „gemeineuropäische Grundlage“) mit S. 453–456 („Gläubigerschutz – ein europaweit anerkanntes Regelungsbedürfnis“). 28 Ferrarini Riv. d. soc. 2006, 24, 49/50 („Un’azione – un voto“: un principio europeo?).

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Gesellschaftsrecht entsteht, und den inneren Eigenarten, die gemeines Recht von bloßen Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen, die sich im Gesellschaftsrecht weltweit beobachten lassen, unterscheiden.

III. Historische Grundlagen Ehe sich die nationalen Gesellschaftsrechte bildeten, über deren Konvergenz und Harmonisierung heute diskutiert wird, verfügte Europa jahrhundertelang über ein gemeines Gesellschaftsrecht. 1. Altertum (18. Jh. v. Chr.–6. Jh. n. Chr.) Bereits die großen Kulturen des Altertums – namentlich die Ägypter, Babylonier, Griechen, Phönizier und Römer – kannten Vereinigungen zur gemeinsamen wirtschaftlichen Zweckverfolgung.29 Ob es damals allerdings ein gemeines (europäisches oder mediterranes) Gesellschaftsrecht gab, ist bislang nicht untersucht worden.30 Am meisten, allerdings mehr Rechtliches als Tatsächliches, ist von den Römern bekannt. Ihr Sozietätsrecht (ius societatis) ist insbesondere in den Institutionen (3.148–3.154b) des Gaius (161 n. Chr.) sowie als Teil des Corpus Iuris Civilis (533/534 n. Chr.) in den Institutionen (3.25), in den Digesten (17.2) und im Codex (4.37) überliefert.31 Aus dem Codex Hammurabi (18. Jh. v. Chr.) sind zu gemeinsamen wirtschaftlichen Unternehmungen dagegen nur einige fragmentarische Bestimmungen erhalten geblieben.32 Wegen der lückenhaften Kenntnisse von Recht und Praxis des seinerzeitigen Gesellschaftswesens lassen sich Gemeinsamkeiten, die auf gegenseitiger Beeinflussung beruhen und deshalb als gemeines Recht verstanden werden könnten, nicht sicher identifizieren. Eine rechtliche Übereinstimmung ist beispielsweise der im Codex Hammurabi 33 ausgesprochene und unter römischen Juristen 34 anerkannte Grundsatz gleicher Gewinnverteilung, eine tatsäch-

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Fleckner (Fn. 19), S. 107–113 m.w.N. Separiert insb. Szlechter Le contrat de société en Babylonie, en Grèce et à Rome, 1947; allgemein Ladjili-Mouchette Histoire juridique de la Méditerranée, 2. Aufl., 2007. 31 Monographisch in jüngerer Zeit Hernando Lera El contrato de sociedad, 1992; Santucci Il socio d’opera in diritto romano, 1997; Meissel Societas, 2004; Fleckner (Fn. 19). 32 Cod. Hamm. (18. Jh. v. Chr.), §§ 77+f, 100–107 (zitiert nach der Edition von Richardson Hammurabi’s Laws, 2000). 33 Cod. Hamm. (18. Jh. v. Chr.), § 77+f. 34 Insb. Gai Inst. (161 n. Chr.), 3.150; Ulp. (30 ad Sab.), Dig. 17.2.29 pr.; Inst. (533 n. Chr.), 3.25.1. 30

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liche Parallele die von ägyptischen 35 und römischen 36 Vereinigungen verfolgte Pacht öffentlicher Abgaben. Aber keine dieser oder anderer gemeinsamer Regeln und Praktiken ist so originell, dass sie sich nicht unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen entwickelt haben könnte. Auch die Ausbreitung des römischen Reiches begründete kein gemeines (europäisches oder mediterranes) Gesellschaftsrecht. Denn die Römer zeigten wenig Interesse daran, ihr Recht in den eroberten Gebieten einzuführen;37 für das Gesellschaftsrecht bestätigen dies ägyptische Papyri.38 2. Rezeption (11.–16. Jh.) Am Beginn des europäischen Gesellschaftswesens und -rechts liegt eine doppelte Rezeption.39 a) Rezeption arabischer Praktiken Im Hochmittelalter wurden arabische Praktiken gemeinsamer wirtschaftlicher Tätigkeit (qira¯d, muqa¯rada, muda¯raba) zunächst in den norditalienischen Städten und hiervon ausgehend modifizierte Formen (commenda, societas maris, compagnia) in ganz Europa nachgeahmt. Der erste dieser beiden Imitationsvorgänge, die Übernahme arabischer Institute, lässt sich aus den Quellen nicht sicher belegen und ist daher – als solcher und hinsichtlich seines Ausmaßes – immer wieder bezweifelt worden.40 Der florierende Levantehandel und der damit verbundene kulturelle Austausch sowie eigenartige konzeptionelle Übereinstimmungen sprechen aber dafür, dass sich die europäischen Organisationsformen nicht völlig unabhängig von den arabischen entwickelt haben.41 35 Übersicht bei Wilcken Griechische Ostraka aus Aegypten und Nubien, Band I, 1899, insb. S. 535–547 und S. 590/591. 36 Die wichtigste literarische Quelle ist Cicero Verr. sec. (70 v. Chr.), insb. 3.6.12– 3.69.163, die wichtigste juristische nómov télouv ’Asíav = lex portorii Asiae (62 n. Chr.). 37 Ein Bruch mit dieser Grundhaltung deutet sich erst mit der (nicht erhaltenen) constitutio Antoniniana (212 n. Chr.) an (zu ihr insb. P. Giss. I 40, um 215 n. Chr.); dass sich an der lokalen Geschäftspraxis in der Folgezeit viel änderte, ist freilich unwahrscheinlich. 38 Übersicht bei Taubenschlag The Law of Greco-Roman Egypt in the Light of the Papyri, 2. Aufl., 1955, S. 388–393; Fallstudie (zu P. Oxy. XXII 2342, 102 n. Chr.) bei Jakab Tyche 16 (2001), 63–85. 39 Der (Wieder-)Beginn des Gesellschaftswesens und -rechts in Europa liegt außerhalb des Erkenntnisinteresses dieses Beitrags; er ist lokal sehr unterschiedlich und wenig erforscht. 40 Insb. Pryor Speculum 52 (1977), 5–37; zuvor z.B. Rehme Geschichte des Handelsrechtes, in: Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrechts, Band I, 1913, S. 94, 102; unentschieden Lopez The Commercial Revolution of the Middle Ages, 1976, S. 76. 41 Eingehend Udovitch Speculum 37 (1962), 198–207; ferner z.B. Udovitch Partnership and Profit in Medieval Islam, 1970, S. 171/172; Çizakça A Comparative Evolution of Business Partnerships, 1996, insb. S. 10–12; im älteren Schrifttum insb. Kohler Die Commenda im islamitischen Rechte, 1885, S. 3–6.

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b) Rezeption römischen Rechts Mit der Rezeption römischen Sozietätsrechts beginnt die Geschichte des europäischen Gesellschaftsrechts.42 Die Bedingungen für eine intensive Aufnahme des klassischen Sozietätsrechts waren im Ausgangspunkt günstig, denn es war stärker ausdifferenziert als alle mittelalterlichen Partikularrechte. Sehr gut veranschaulicht dies der Sachsenspiegel (13. Jh.): Er enthält nur drei vage Vorschriften über brudere oder andere lude, die gemeinsames Gut halten, und selbst diese Bestimmungen scheinen bereits vom römischen Recht beeinflusst zu sein.43 Das ius commune societatis beruhte auf einem europäischen Diskurs mit einheitlicher Terminologie, Dogmatik und Sprache sowie einem gemeinsamen Normbestand, der anfangs lokal nur in wenigen Details divergierte. Das so verstandene gemeine Gesellschaftsrecht galt in ganz Europa, einschließlich Britannien (mit geringeren als üblicherweise angenommenen, aber noch nicht hinreichend erforschten Besonderheiten).44 3. Weiterentwicklung und Kodifikation (13.–19. Jh.) Bereits während der Rezeption des römischen Sozietätsrechts entwickelten Rechtsgelehrte, Richter und Normgeber die antiken Vorschriften fort. Soweit dies lediglich lokal geschah, verlor das europäische und gewann das partikulare Gesellschaftsrecht an Bedeutung. Für einen Bruch mit dem gemeinen Gesellschaftsrecht sorgten die nationalen Kodifikationen. a) Weiterentwicklungen Mit ihren teils über ganz Europa verstreuten Niederlassungen bedurften viele mittelalterliche Handelsunternehmen eines Regelungsregimes, das Gesellschaften mit einer Vielzahl von Mitgliedern und Kapitalgebern erlaubte.

42 Überblicke bei Coing Europäisches Privatrecht, Band I, 1985, S. 464–469 und Zimmermann The Law of Obligations, 1990, S. 468–476; monographisch Wojciechowski Societas w twórczos´ci glosatorów i komentatorów, 2002 und Mehr Societas und universitas, 2008. 43 Landrecht I 12 (zitiert nach der Ausgabe von Eckhardt Sachsenspiegel – Landrecht, 2. Aufl., 1955). Die erste Vorschrift geht möglicherweise auf Ulp. (31 ed.), Dig. 17.2.52.4, die dritte höchstwahrscheinlich auf Pomp. (12 Sab.), Dig. 17.2.59.1 zurück. 44 Treffend Story Commentaries on the Law of Partnership, 1. Aufl., 1841, S. VII (das römische Sozietätsrecht sei „the true origin and basis of many of the general doctrines, incorporated into the modern jurisprudence of Continental Europe, as well as into that of the Common Law“); ferner z.B. Fick ZHR 5 (1862), 1, 36–39 (am Beispiel der stillen Gesellschaft); Kent Commentaries on American Law, Band II, 1. Aufl., 1827, S. 217 (am Beispiel der corporation); Zimmermann (Fn. 42), S. 472–476 (am Beispiel südafrikanischen Gesellschaftsrechts).

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Das römische Sozietätsrecht eignete sich hierfür nicht (Beispiele sogleich).45 Die notwendigen Weiterentwicklungen geschahen auf zweierlei Weise: (1) Gemeines Juristenrecht Der Beitrag der mittelalterlichen Rechtswissenschaft zur Fortentwicklung des klassischen Sozietätsrechts wird traditionell als gering erachtet.46 Diese Einschätzung wird den Leistungen der gemeinrechtlichen Juristen, welche das römische Sozietätsrecht nicht blind rezipiert, sondern vorsichtig fortgebildet haben, nicht gerecht und dürfte sich mit der genaueren Erforschung ihrer Rolle relativieren.47 Es sei nur ein Beispiel genannt: Handeln in Angelegenheiten der societas verpflichtet nach klassischem Recht allein den aktiven socius, nicht die anderen Mitglieder.48 Erst die gemeinrechtlichen Juristen, allen voran Bartolus (14. Jh.), etablierten die gesamtschuldnerische Haftung aller Gesellschafter.49 (2) Lokales Statutenrecht Partikularrechtliche Sondervorschriften erließen die lokalen Rechtsetzer – wenig überraschend – gerade in Bereichen, wo das römische Recht der Organisation größerer Vereinigungen Hindernisse bereitet: Das klassische Recht ermöglicht eine Geschäftsführung einzelner Personen mit Wirkung für alle Gesellschafter nur um den Preis ihrer persönlichen Haftung;50 daher schützen Florenz (1408),51 Nürnberg (1464 52/1564 53) und Frankfurt (1578) 54 das Privatvermögen bestimmter Kapitalgeber spezialgesetzlich. Das römische Recht sichert das gemeinsame Geschäftsvermögen kaum gegenüber Zugrif45 So eines der zentralen Ergebnisse der Untersuchung der antiken Verhältnisse bei Fleckner (Fn. 19); zur mangelnden Geeignetheit für das mittelalterliche Gesellschaftswesen Wieacker Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967, S. 47, 150, 203, 241. 46 Sehr spitz Weber Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter, 1889, S. 155; weitere Skepsis gegenüber dem römischen Recht und seiner Rezeption auf S. 67, 151 und 159. 47 Wie bereits mit den Arbeiten von Wojciechowski und Mehr (beide Fn. 42) geschehen. 48 Papin. (3 resp.), Dig. 17.2.82: iure societatis per socium aere alieno socius non obligatur; zu diesem Fragment und weiteren Quellen Fleckner (Fn. 19), S. 253–256. 49 Insb. Bartolus Nr. 7 zu Dig. 45.2.9 (gedruckt z.B.: Band II, Venedig, 1570, Bl. 63). 50 Fleckner (Fn. 19), S. 295–337. 51 Legge dall’ Eccelsa Repubblica Fiorentina vom 30.11.1408; Fundort: Archivio di Stato di Firenze, Provvisioni – registri – 97, Bl. 137/138 (ohne Titelangabe); auszugsweise abgedruckt in Fierli Della società chiamata accomandita, Band I, 1803, S. 14–18. 52 Privileg Kaiser Friedrichs III. für die Stadt Nürnberg vom 23.6.1464; Fundort: Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Kaiserprivilegien Nr. 475a und Nr. 475b. 53 Nürnberger Reformation von 1564, Teil II, Tit. XVIII, Gesetz IIII, Abs. 2 und Abs. 3; gedruckt als: Der Stat Nürmberg verneute Reformation, 1564. 54 Frankfurter Reformation von 1578, Teil II, Tit. XXIII, § 12; gedruckt als: Der Statt Franckenfurt erneuwerte Reformation, 1578.

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fen;55 also sorgen vor allem Antwerpen (1582 56/1608 57) und Genua (1589) 58 für den zur Bildung größerer Vereinigungen unerlässlichen Schutz. Die Fortentwicklung des römischen Sozietätsrechts, die einflussreichen Beobachtern als Neubildung der ganzen Rechtsmaterie erscheint,59 hat eine einschneidende Konsequenz: Da die Rechtsfortbildungen zunehmend nicht gemeinrechtlichen, sondern partikularrechtlichen Ursprungs sind, erleidet das europäische Gesellschaftsrecht einen Rückschlag. Die Kenner des gemeinen Sozietätsrechts interessieren sich, wie allgemein die gelehrten Juristen, wenig für lokale Sonderregelungen. Und die Handels(rechts)wissenschaft ist noch nicht entwickelt genug, um den gesellschaftsrechtlichen Normbestand europaweit zu ordnen und zu systematisieren. Die Integration lokalen Sonderrechts in das gemeine Gesellschaftsrecht gelingt deshalb lediglich für Einzelfragen. b) Kodifikationen Den Anfang vom Ende des gemeinen Gesellschaftsrechts markieren die nationalen Kodifikationen, in denen fast alle kontinentaleuropäischen Länder bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts die wichtigsten Gesellschaftsformen regeln; als für das deutsche Gesellschaftsrecht bedeutsam sind hervorzuheben das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (1794), der Code Civil (1804), der Code de Commerce (1807), das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (1861), das Bürgerliche Gesetzbuch (1896) und das Handelsgesetzbuch (1897). Anders als die früheren Rechtssammlungen (Sachsenspiegel, Reformationen) versuchen die Kodifikationen, einen bestimmten Rechtsbereich „formell und materiell vollkommen“ mit Bestimmungen zu regeln, die „klar, unzweydeutig und erschöpfend“ sind.60 Sie lassen für viele Juristen den Rückgriff auf die gemeinsamen historischen Wurzeln verzichtbar erscheinen. Deshalb klagt Savigny, mit allgemeinen Gesetzbüchern sei gemeint, „[d]er Staat soll seinen gesammten Rechtsvorrath untersuchen und schriftlich aufzeichnen lassen, so daß dieses Buch nunmehr als einzige Rechtsquelle gelte, 55

Fleckner (Fn. 19), S. 339–442. Costumen der Stadt Antwerpen gesegt Impressæ von 1582, Tit. LII, Art. 3–6; abgedruckt in: de Longé Recueil des anciennes coutumes de la Belgique, Coutumes du pays et duché de Brabant: quartier d’Anvers, Band II, 1871. 57 Costumen der Stadt Antwerpen gesegt Compilatæ von 1608, Teil IV, Tit. IX, Art. 26/27; abgedruckt in: de Longé (Fn. 56), Band III und IV, 1872 und 1874. 58 Statuta Civilium Reipublicae Genuensis von 1589, Lib. IV, Cap. 12; gedruckt als: Statutorum Civilium Reipublicae Genuensis libri sex, 1589. 59 Wieacker (Fn. 45), S. 241. 60 So die Forderungen an die Gesetzgebung bei Thibaut Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, 1814, S. 12/13 und S. 13; zeitgenössisch zum Konzept insb. Bentham General View of a Complete Code of Laws, in: Bowring (Hrsg.), The Works of Jeremy Bentham, Band III, 1838, S. 155–210. 56

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alles andere aber, was bisher etwa gegolten hat, nicht mehr gelte.“ 61 Weiter zuspitzend moniert er, ein Gesetzbuch stehe in der Mitte, hemme und erschwere „die vielseitige Berührung mit früheren einsichtsvollen Zeiten“.62 Derartige Sorgen waren, wie das Allgemeine Landrecht (1794) gezeigt hatte, nicht unbegründet. Denn in seiner Einleitung (§ 6) unternahm das Gesetz ausdrücklich den (letztlich gescheiterten) Versuch, mit dem traditionell gewachsenen Recht zu brechen, indem es anordnete: „Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bey künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden.“ Diese Bestimmung veranschaulicht (stellvertretend für viele andere Gesetze), dass die Motivation zur Gesetzgebung häufig nicht in der Verbesserung des Rechts und seiner Legitimation lag, sondern in „umfassende[r] Gesellschaftsplanung“ 63 bzw., weniger euphemistisch, in der Verwirklichung des exekutiven Machtanspruchs, in der „Verstaatlichung des Rechts“. Für das gemeine Gesellschaftsrecht hatte dies fatale Folgen. Waren bereits zuvor die lokalen Sonderregeln immer bedeutsamer geworden, so führten die nationalen Kodifikationen zu einer weitreichenden Nationalisierung oder, gleichbedeutend, Enteuropäisierung.64 Viele Schriften beschränkten sich fortan auf eine Darstellung der nationalen Vorschriften; mit Ausnahme der Dissertationen erschienen fast alle Werke in der nationalen Sprache; der Rechtsunterricht nahm seinen Ausgangspunkt regelmäßig bei den nationalen Kodifikationen; „die Wissenschaft ist zur Landesjurisprudenz degradirt, die wissenschaftlichen Gränzen fallen in der Jurisprudenz mit den politischen zusammen“;65 die erhoffte nationale Rechtseinheit vor Augen, geriet die bereits verwirklichte europäische aus dem Blick. Gleichwohl verblieb ein Rest europäischen Gesellschaftsrechts: Das Gesellschaftsrecht des Auslands wurde zwar nur noch als fremdes wahrgenommen, nicht mehr als Teil eines gemeinen Gesellschaftsrechts. Aber ausländische Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur flossen, insbesondere in rechtspolitischem Kontext, umfänglich in die nationalen Diskussionen ein.66 Ein gutes Beispiel hierfür ist das Aktienrecht,67 dessen Entstehungsprozess 61

Savigny Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, S. 17. Savigny (Fn. 61), S. 24. 63 Wieacker (Fn. 45), S. 323. 64 Zimmermann JZ 1992, 8, 10 („Nationalisierung von Rechtsquellen, Rechtsunterricht und Rechtswissenschaft“); ferner insb. Basedow/Blaurock/Flessner/Schulze/Zimmermann ZEuP 1 (1993), 1–3 und Zimmermann Law Qu. Rev. 112 (1996), 576, 580/581. 65 Jhering Geist des römischen Rechts, Erster Theil, 2. Aufl., 1866, S. 15. 66 Allgemein Coing Ius Commune 7 (1978), 160–178; Coing Handbuch der Quellen und Literatur der neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Band III/1, 1982, insb. S. 14–16; Coing Europäisches Privatrecht, Band II, 1989, insb. S. V und S. 3. 67 Beispiele bei Hopt Festschrift Wiedemann, 2002, 1013, 1029 und Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1167 sowie Coing (Fn. 66, 1982), S. 15/16; Coing (Fn. 66, 1989), S. 145–147; Fleckner (Fn. 17), S. 999, 1010–1014. 62

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so europäisch war, dass ein Zeitzeuge rückblickend auf das 19. Jahrhundert formulierte (1904): „[D]ie Aktiengesellschaft [sc. ist] … ein Kind Westeuropas … eine Schöpfung selten in so glücklicher Verbindung wiederkehrender gemeinsamer Kulturarbeit.“ 68 4. Abschluss der Nationalisierung (20. Jh.) Während im 19. Jahrhundert das ausländische Gesellschaftsrecht noch wahrgenommen und in die Überlegungen einbezogen wurde, ging im 20. Jahrhundert das Interesse an den Regelungen des Auslands vielerorts verloren.69 Hieran hat weder die europäische Annäherung noch die Globalisierung etwas geändert.70 In den Ministerien (wo die gesellschaftsrechtlichen Entwürfe entstehen) gibt es kaum eigene Rechtsvergleichung.71 Die Rechtsprechung berücksichtigt fast nie Urteile ausländischer Gerichte.72 Und das Schrifttum, insbesondere die Lehrbuchliteratur, diskutiert konkrete Sachprobleme nur vereinzelt unter Einbeziehung ausländischer Erkenntnisquellen.73 Selbst das im institutionellen Rahmen der Europäischen Union entstandene europäische Gesellschaftsrecht wird regelmäßig nur an Hand der jeweiligen nationalen Sekundärquellen erörtert – wenn es, was außerhalb Deutschlands lange selten war, überhaupt ausführlicher thematisiert und analysiert wird.74

IV. Entwicklungsperspektiven Im Anschluss an den erreichten Stand sowie die konzeptionellen und historischen Grundlagen des europäischen Gesellschaftsrechts unternimmt dieser Abschnitt den Versuch, prozedurale, methodische und inhaltliche Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen.75 68 Klein Die neueren Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, 1904, S. 10. 69 Einen authentischen Eindruck aus den ersten Jahrzehnten des Niedergangs vermittelt allgemein Rabel Rhein. Z. 13 (1924), 279–301. 70 Auf den Punkt gebracht von Basedow/Blaurock/Flessner/Schulze/Zimmermann (Fn. 64). 71 Fleckner (Fn. 17), S. 999, 1013/1014. 72 Krit. Hopt ZGR 1992, 265, 288; Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1172; ferner z.B. Lutter ZGR 1992, 435, 443. 73 Krit. Hopt ZGR 1992, 265, 293/294; Hopt Festschrift Wiedemann, 2002, 1013, 1025; Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1162, 1169/1170; ferner z.B. Lutter ZGR 1992, 435, 443/444 und Steindorff ZHR 156 (1992), 1, 14, 16. 74 Treffend Cordeiro (Fn. 10), S. 32 („A bibliografia essencial surge-nos em língua alemã: uma das razões que nos levou a publicar a presente obra, em português.“). 75 Aus den zahlreichen früheren Stellungnahmen, Plädoyers und Vorschlägen seien besonders hervorgehoben der (unter Beteiligung des Jubilars entstandene) Report of the

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1. Prozedurale Entwicklungsperspektiven Europäisches Gesellschaftsrecht kann auf zweierlei Weise entstehen: Originäres und derivatives europäisches Gesellschaftsrecht ist das Ergebnis zentralisierter Entwicklung; kraft europäischen Rechts gilt es unmittelbar bzw. ist von den Mitgliedstaaten in den nationalen Rechtsordnungen umzusetzen. Gemeines europäisches Gesellschaftsrecht bildet sich demgegenüber dezentral auf nationaler Ebene.76 a) Zentralisierte Entwicklung (supranationale Harmonisierung) Seit mehr als vier Jahrzehnten erlassen die europäischen Institutionen originäres und die Mitgliedstaaten derivatives europäisches Gesellschaftsrecht. Die Vorteile dieses Verfahrens (Steuerbarkeit, Einheitlichkeit, Verbindlichkeit) sind so bekannt, dass sie an dieser Stelle ebenso wenig thematisiert werden müssen wie die Kritik an ihm (Dominanz der Exekutiven, Intransparenz der Entscheidungsfindung, geringe öffentliche Anteilnahme). b) Dezentrale Entwicklung (nationale Konvergenz) Europäisches Gesellschaftsrecht kann sich, wie seine konzeptionellen und historischen Grundlagen zeigen, unabhängig von zentralisierter Rechtsetzung entwickeln, als den nationalen Jurisdiktionen gemeinsame gesellschaftsrechtliche Regeln (gemeines Gesellschaftsrecht, ius commune societatis).77 Die Idee, dass aus einem einheitlichen europäischen Diskurs im Wege nationaler Konvergenz für bestimmte Fragen ein gemeines Gesellschaftsrecht High Level Group of Company Law Experts on a Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe (Brüssel, 4.11.2002) sowie Hopt ZGR 1992, 265, 292–294; Hopt ZIP 1998, 96, 104–106; Hopt Festschrift Wiedemann, 2002, 1013, 1029–1032; Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1186–1190; ferner (chronologisch) Timmermans RabelsZ 48 (1984), 1–47; Lutter ZGR 1992, 435–451; Blaurock ZEuP 1998, 460–483; Ebke RabelsZ 62 (1998), 195–242; Lutter ZGR 2000, 1, 8–18; Wouters Com. M. L. Rev. 37 (2000), 257–300; Timmermans (Fn. 23); Cordeiro (Fn. 10), S. 90–94; Habersack (Fn. 10), S. 67–79; Grundmann (Fn. 10), S. 769–772; Müller-Graff EWS 2009, 489–502. 76 Es wird der Gegensatz zentralisiert/dezentral (nicht zentral/dezentral oder zentralisiert/dezentralisiert) gebildet, weil Ausgangspunkt die dezentrale Zuständigkeit der souveränen Nationalstaaten ist, welche die Regelung einzelner Fragen zentralisieren können. 77 Die Diskussion um die (globale) Konvergenz des Gesellschaftsrechts hat zur hiesigen Thematik wegen entgegengesetzter Methodik und andersartigem Erkenntnisziel nur mittelbare Bezüge; die beiden bekanntesten Beiträge sind Bebchuk/Roe Stan. L. Rev. 52 (1999), 127–170 und Hansmann/Kraakman Geo. L.J. 89 (2001), 439–468; diese beiden sowie weitere Beiträge in: Gordon/Roe (Hrsg.), Convergence and Persistence in Corporate Governance, 2004. Grundlegend in größerem Kontext nunmehr Vogt Konvergenz von Gesellschaftsrechten – Ein rechtsvergleichender Befund und seine rechtssoziologische und rechtstheoretische Erklärung im Lichte der Globalisierung, Habilitation (Zürich), 2006; monographisch ferner Siems Die Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005 (zitiert nach: Convergence in Shareholder Law, 2008).

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hervorgehen könnte, rüttelt an den Grundfesten des Rechts, namentlich seinem Schöpfer (Parlament? Rechtsprechung? Wissenschaft?), den seiner Bildung zugrunde liegenden Erkenntnisquellen (nur nationale oder auch ausländische?) und seinem Geltungsgrund (Überzeugungskraft? Tradition? Akzeptanz? Verfahren? Volksbeteiligung?). Diese Fragen können im hiesigen Rahmen weder allgemein noch speziell für das Gesellschaftsrecht beantwortet werden; das muss genuin rechtstheoretischen Schriften vorbehalten bleiben. Einige grundlegende Punkte seien gleichwohl angesprochen. (1) Charakter Ergebnis der Rezeption des römischen Rechts war „eine einheitliche, wissenschaftlich begründete Rechtsordnung, in der Normen und Institutionen römischer, germanischer und kanonischer Herkunft eine nicht mehr auflösbare geschlossene Doktrin bildeten.“ 78 Die Rezeption hatte also zwei wesentliche Folgen: die Übernahme antiker Rechtssätze (sie steht im Vordergrund der allgemeinen Wahrnehmung) und – worauf es für die prozeduralen Entwicklungsperspektiven ankommt – die Verwissenschaftlichung des Rechtslebens (über deren Bedeutung sich im Einzelnen streiten lässt).79 Ebenso wichtig hervorzuheben ist, was das ius commune nicht war: ein für ganz Europa in Stein gemeißeltes, überall bis ins Detail identisches und für immer unabänderliches Recht; einheitlich war lediglich der Diskurs, den es aufgrund gemeinsamer Begriffe und Konzepte ermöglichte.80 Das größte Hindernis für die Entstehung gemeinen Gesellschaftsrechts dürfte heute im Detailreichtum der nationalen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft liegen. Denn während das seinerzeitige ius commune den Charme besaß, mit seiner gegenüber dem Lokalrecht größeren Regelungs- und Falldichte die Rechtssicherheit zu erhöhen, ist der Ausgang gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten in vielen Mitgliedstaaten heute bereits auf Grundlage des eigenen Rechts hinreichend prognostizierbar. Kein wesentliches Hindernis dürfte demgegenüber die mit der größeren Ausdifferenziertheit verbundene Zunahme der Erkenntnisquellen sein, die für ein neues gemeines Recht zu sichten und zu systematisieren wären; diesen „Nachteil“ kompensieren die modernen Transport-, Kommunikations- und Datenverarbeitungsmittel. Etwas günstiger als früher ist die Ausgangsposition insoweit, als die heutigen Rechtsordnungen ein gemeinsames historisches Erbe, 78

Wieacker (Fn. 45), S. 228. Letzteres sehr betont im Werk von Wieacker (Fn. 45) (bilanzierend S. 225/226). 80 Wer mit dem ius commune nicht vertraut ist, der möge (allein zu Veranschaulichungszwecken) an das Polizeirecht der Gegenwart denken: Trotz divergierender Landesgesetze und fehlender Bundesrechtsprechung gibt es einen einheitlichen deutschen Diskurs; äußerer Bezugsrahmen ist hier das Verfassungsrecht, für das ius commune waren es Tradition und Glauben, für gemeines Gesellschaftsrecht wird es das supranationale Recht sein. 79

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eben das ius commune, haben; das germanische Recht wies dagegen in sich sowie gegenüber dem römischen und dem kanonischen Recht bedeutsame Unterschiede auf. (2) Techniken Zusätzlich zu den aus der Zeit des ius commune bekannten Techniken, lokale Vielfalt in einen einheitlichen Diskurs einzubetten, erfreut sich seit einiger Zeit ein neues Verfahren großer Popularität: die private Kompilation von Rechtssätzen. Bekannte Beispiele sind in Europa die Principles of European Contract Law, in den Vereinigten Staaten der Model Business Corporation Act, international die Unidroit Principles of International Commercial Contracts. Den (teils wissenschaftlichen, teils praktischen) Erfolg dieser Regelwerke vor Augen, haben zahlreiche Beobachter 81 – darunter der Jubilar 82 – angeregt,83 auch für das Gesellschaftsrecht Prinzipien festzustellen oder Musterkodifikationen auszuarbeiten.84 Vor Kurzem hat nunmehr eine internationale Forschergruppe die Arbeiten an einem European Model Company Law Act aufgenommen.85 Zielen solche Initiativen darauf ab, über die europäischen Gemeinsamkeiten zu informieren und der Diskussion einen groben Orientierungsrahmen zu geben, so wird niemand ihren Nutzen leugnen wollen. Problematisch wäre es allerdings, und darin liegt die Gefahr der Bezeichnung als Modellgesetz (oder Model Act), wenn sich die europäischen Institutionen oder die Mitgliedstaaten eines Tages entschlössen, solchen Rechtssammlungen gesetzliche Geltungskraft zu verleihen. Denn dann dürfte sich auf europäischer Ebene wiederholen, was die Kodifikationen des 19. Jahrhunderts in den Nationalstaaten bewirkten: die Verengung der Erkenntnisquellen, die Vernachlässigung horizontaler und vertikaler Rechtsvergleichung, das Austrocknen des interdisziplinären Austauschs.86 Gerade das noch zarte Pflänzchen des europäischen Gesellschaftsrechts braucht Freiräume, um sich entwickeln zu können; eine Kodifikation nimmt diese Räume und verführt

81 Ebke RabelsZ 62 (1998), 195, 238; Fleischer ZGR 2007, 500, 510; Kübler Festschrift K. Schmidt, 2009, 1041, 1052; Merkt ZGR 2007, 532, 540; Siems (Fn. 77), S. 379/380; Wouters Com. M. L. Rev. 37 (2000), 257, 298. 82 Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1172 („astonishing that similarly successful work has not yet been undertaken in the area of company law“). 83 Zurückhaltender High Level Group (Fn. 75), S. 32 und Grundmann (Fn. 10), S. 14. 84 Modellgesetz für die Beitrittsstaaten bei Dine/Koutsias/Blecher Company Law in the New Europe – The EU Acquis, Comparative Methodology and Model Law, 2007. 85 Vorstellung des Projekts bei Baums Festschrift von Rosen, 2008, 525–535. 86 Positiver insb. K. Schmidt Die Zukunft der Kodifikationsidee, 1985 (vor allem in § 4: „Der Auftrag an Rechtsprechung und Wissenschaft“), der freilich eine Kreativität und Innovationsfähigkeit voraussetzt, wie sie außerhalb zweier blauer Bücher selten sind.

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die Beteiligten dazu, sich in das (nur äußerlich) schicke Gedankenkorsett der Kodifikation zu zwängen.87 (3) Legitimation Die Autorität des ius commune leitete sich nicht von staatlichen Gesetzen, sondern von seiner inneren Überzeugungskraft ab. Das gemeine Recht galt nicht ratione imperii, sondern imperio rationis.88 Respekt verschaffte außerdem das hohe Alter des rezipierten Rechts. Diese Geltungsgründe mögen heute auf den ersten Blick suspekt erscheinen, denn sie stehen mit der seit langem favorisierten Rechtsetzung im Wege parlamentarischer Gesetzgebung, also in einem geordneten Verfahren unter mittelbarer Beteiligung des Volkes, in Konflikt.89 Bei näherem Hinsehen erweisen sich solche Bedenken aber als nicht berechtigt.90 Erstens – dies ist eine relative Beobachtung – kann ein etwaiges Legitimationsdefizit des gemeinen gegenüber dem supranationalen Gesellschaftsrecht angesichts der exekutiven Führungsrolle im europäischen Rechtsetzungsverfahren und der disproportionalen Repräsentation der Bürger im Europäischen Parlament nicht sehr groß sein.91 Selbst wenn sich beides ändern ließe, verbliebe als Legitimationsmangel die geringe öffentliche Anteilnahme. Zweitens – der maßgebliche Gesichtspunkt – ist die pauschale Qualifizierung parlamentarischer Gesetzgebung als legitimiert und anderer Formen der Rechtsfindung als nicht legitimiert überholt. In der Gegenwart sind alle an der Rechtsentstehung Beteiligten – Gesetzgebung, Rechtsprechung und öffentliche Wissenschaft – demokratisch legitimiert.92 Unterschiede bestehen allein hinsichtlich der Länge und des Verlaufs der Legitimationskette zum Volk, von dem alle

87 Tendenziell ebenso Werlauff (Fn. 10), S. 103 („the opportunity to allow ideas and concepts a free flow across borders in a mutual competition to some extent would be missed“); allgemein wie hier Knütel ZEuP 1994, 244, 268. 88 Dies ist eine schlagwortartige Verkürzung eines sehr komplexen, zeitlich wie örtlich heterogenen Sachverhalts; hierzu Jansen Das gelehrte Recht und der Staat, in: Zimmermann (Hrsg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Band II, 2008, S. 159–186. 89 Bedenken formulieren in gesellschaftsrechtlichem Kontext z.B. Grundmann Lib. Am. Buxbaum, 2000, 213, 226/227 und Teichmann (Fn. 27), S. 354–356. 90 Treffend Kötz Europäisches Vertragsrecht, Band I, 1996, S. V („die europäische Rechtseinheit [sc. ist] eine viel zu wichtige Sache …, als daß man sie allein dem Gesetzgeber überlassen könnte“) und Zweigert/Kötz Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, S. 27 („Die Vorstellung, daß alles Recht auf Gesetzen beruht, ist eine längst ins Grab gelegte Irrlehre der Aufklärungszeit“). Allgemein Kötz RabelsZ 50 (1986), 1, 13–17 und Zweigert/Kötz, eod., S. 27–31 sowie das Symposium Alternativen zur legislatorischen Rechtsvereinheitlichung RabelsZ 56 (1992), 215–316. 91 Hierzu nunmehr insb. BVerfG (30.6.2009 – 2 BvE 2/08), demnächst in BVerfGE. 92 Auf die grundsätzliche Problematik kann wie gesagt nicht eingegangen werden; sehr krit. weiterhin Rüthers (etwa in: Rechtstheorie, 4. Aufl., 2008, insb. Rdn. 232–261).

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Staatsgewalt ausgeht (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). Gerade gegenüber den Richtern ist die Skepsis der Aufklärungszeit unberechtigt, seit diese von der Regierung unabhängig sind (Art. 97 Abs. 1 GG); dies unterstreicht nicht zuletzt der Stellenwert der Rechtsprechung in England oder den Vereinigten Staaten,93 Ländern mit sehr viel längerer demokratischer Tradition.94 Drittens – keine normative, sondern eine tatsächliche Aussage – ist die parlamentarische Einflussnahme auf den Inhalt gesellschaftsrechtlicher Vorschriften verschwindend gering;95 materiell verlöre also nicht das Parlament, sondern die Regierung an Macht. c) Fazit Europäisches Gesellschaftsrecht kann sich zentralisiert im institutionellen Rahmen der Europäischen Union (supranationale Harmonisierung) und dezentral auf mitgliedstaatlicher Ebene (nationale Konvergenz) entwickeln. In welchem (Konkurrenz-)Verhältnis beide Konzepte stehen, lässt sich erst gegen Ende des Beitrags, unter Berücksichtigung der methodischen und inhaltlichen Entwicklungsperspektiven, bestimmen. 2. Methodische Entwicklungsperspektiven Europäisches Gesellschaftsrecht – supranationales ebenso wie gemeines – wird sich umso besser entwickeln, je genauer die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede der bestehenden Gesellschaftsrechte sowie ihres sozialen Umfelds erkannt und verstanden werden. Hierzu bedürfen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft einer Internationalisierung, Interdisziplinarisierung und Historisierung. a) Internationalisierung Gesellschaftsrechtliche Bestimmungen, Urteile und Schriften des europäischen Auslandes müssen in allen Jurisdiktionen größere Beachtung finden.96 93 Vergleich speziell für das Gesellschaftsrecht bei von Hein Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 793–801. 94 Den Zusammenhang mit der „politischen Kultur“ sieht bereits Kantorowicz [als Gnaeus Flavius], Der Kampf um die Rechtswissenschaft, 1906, S. 48 („Auch unser Richterstand aber ist jetzt wohl reif genug, um des alten Gängelbandes zu entraten, reifer bei weitem jedenfalls als die Mehrzahl der als Gesetzgeber funktionierenden Parteiagenten!“). 95 Fleckner (Fn. 17), S. 999, 1014–1016; Fleckner Va. L. & Bus. Rev. 3 (2008), 275, 276/277; Fleckner s.v. Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (Fn. 11), S. 45, 49. 96 In größerer Zahl Plädoyers für eine Internationalisierung aufzuführen, ist angesichts deren Allgegenwärtigkeit verzichtbar (Beispiele vorstehend III. 4.); unter den Beiträgen des Jubilars z.B. Hopt ZGR 1992, 265, 293/294; Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1186–1190; Hopt WM 2009, 1873, 1881; hervorhebenswert in diesem Zusammenhang außerdem die (individuellen) Stellungnahmen von Eidenmüller, Fleischer, Hirte, Kalss

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Denn ohne Kenntnis der anderen Rechte und ihres sozialen Umfelds kann kein gemeinsamer Diskurs und in der Folge kein Konsens entstehen („Rechtsvergleichung vor Rechtsangleichung“ 97). „Unsere Gesetzgebung ist in einer krankhaften Unruhe. Nicht alles, aber manches wäre besser, nützten die Gesetzesreformer die älteren und die auswärtigen Erfahrungen stärker aus.“ 98 Dieser Satz aus der Weimarer Republik war niemals berechtigter als im Europa der Gegenwart. Zur Abhilfe müssten Verfasser gesellschaftsrechtlicher Gesetzentwürfe Erkenntnisquellen aus den verschiedenen Mitgliedstaaten selbst in ihre Überlegungen einbeziehen und Großgutachten – wenn überhaupt – als ersten Überblick, nicht aber zur gelegentlichen Lektüre oder gar allein zur politischen Absicherung verwenden.99 Mit anderen Worten sollte es wieder mehr eigene Rechtsvergleichung innerhalb der Ministerien geben. Ähnliches ist von der gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung zu erhoffen. In Zeiten weltweit kostenfrei zugänglicher höchstrichterlicher Entscheidungen lässt es sich allein mit Gewohnheit erklären, dass etwa in Deutschland die Urteile des (vorkonstitutionellen) Reichsgerichts mehr beachtet werden als brandaktuelle Urteile des (außerkonstitutionellen) österreichischen Obersten Gerichtshofs.100 Ebenso kritikwürdig ist, wie wenig der Europäische Gerichtshof aus dem reichen Erfahrungsschatz der nationalen Rechtsprechung schöpft.101 Den größten Beitrag zur Internationalisierung muss die Wissenschaft leisten. Angesichts personeller und sachlicher Nöte können Entwurfsverfasser und Richter ihre Arbeit allein nicht in hinreichender Weise internationalisieren. Es bedarf eines Intermediärs, um die Vielzahl an Informationen zu sichten, zu ordnen und für eine breitere Verwendung vorzubereiten. Ressourcen hierfür hat die Wissenschaft genug, das zeigt die gesellschaftsrechtliche Publikationsflut.102 Ausländische Erkenntnisquellen lassen sich problemlos in größerem Umfang berücksichtigen, wenn die Veröffentlichungen insgesamt entsprechend verringert werden. Beispielsweise wird kein Leser und Merkt zu den „Zukunftsperspektiven der privatrechtlichen Forschung – Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht“ (abgedruckt in: ZGR 2007, 480–541), aus welchen die Notwendigkeit der Befassung mit ausländischen Erkenntnisquellen durchgehend hervorgeht. 97 Ebke Festschrift Großfeld, 1999, 189, 189 (Überschrift zu I.). 98 Rabel Rhein. Z. 13 (1924), 279, 298. 99 Krit. Fleckner (Fn. 17), S. 999, 1013/1014. 100 Krit. Fleckner s. v. Reichsoberhandelsgericht (Fn. 11), Band II, S. 1282, 1286. 101 Krit. Hopt ZGR 1992, 265, 288; Lutter ZGR 1992, 435, 444/445; relativierend Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1172/1173. 102 Krit. zur Publikationsflut in jüngerer Zeit z.B. Fleischer Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht als wissenschaftliche Disziplin, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, 2007, S. 50, 67 (Zeitschriften); Fleischer Gesellschaftsrecht, in: Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, 2007, S. 485, 499/500 (WpÜG-Kommentare); zu den Folgen anschaulich („Vom Plappern und Lallen im Gesellschaftsrecht“) Stein Festschrift K. Schmidt, 2009, 1551–1560.

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etwas vermissen, wenn sich die Zahl der Kommentare zu den gesellschaftsrechtlichen Kodifikationen wieder im mittleren einstelligen Bereich einpendelt. Dies wäre eine gesunde Entwicklung, für die es keiner Verbote wie von Kaiser Justinian 103 oder in Brobdingnag 104 bedarf, sondern lediglich der Einsicht in eine der apollonischen Weisheiten: mhdèn a¢gan (ne quid nimis, nichts übermäßig). Eine Wissenschaft, die mit Unternehmensjuristen, Anwälten und Richtern um die größere lokale Rechtskenntnis wetteifert, macht sich verzichtbar. „Amerikanische Verhältnisse“ drohen bei einer kleinen Kurskorrektur auf einen gemäßigten Mittelweg nicht. Die Internationalisierung sollte sich hinsichtlich ihres Erkenntnisziels, der Identifikation und Entwicklung gemeinsamer Lösungen, auf Europa konzentrieren, aber nicht hinsichtlich ihrer Erkenntnisquellen. So ist das Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht außereuropäischer Wirtschaftsmächte wie Japans oder der Vereinigten Staaten natürlich in die Überlegungen einzubeziehen. Nur erscheint es angesichts des sozialen und politischen Umfelds unrealistisch anzunehmen, es könnte sich über Europa hinaus ein globaler Diskurs entwickeln; zu den genannten Ländern etwa bestehen bislang keine Austausch-, sondern Rezeptionsverhältnisse: Deutschland von den Vereinigten Staaten,105 Japan von Deutschland und Europa.106 b) Interdisziplinarisierung Mit der Internationalisierung muss eine Interdisziplinarisierung, also eine Öffnung insbesondere für die Ökonomie, Politologie, Soziologie und Theologie, einhergehen.107 Denn Rechtsvergleichung erfordert – das ist eine allgemein ebenso bekannte wie als lästig empfundene Einsicht – mehr, als nur das Recht zu vergleichen. Notwendig ist ein Vergleich des Gesellschaftsrechts und seines sozialen Umfelds.108

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Const. Dedoken (16.12.533), § 21: mhdéna qarrñsai … u™pomnämata gráfein; ferner Const. Deo Auctore (15.12.530), § 12 und Const. Tanta (16.12.533), § 21. 104 Swift [als Lemuel Gulliver], Travels into several Remote Nations of the World, Teil II: A Voyage to Brobdingnag, 1726, S. 130 („And to write a Comment upon any Law is a capital Crime.“). 105 Hierzu z.B. Hopt Festschrift Canaris, 2007, Band II, 105–128; monographisch von Hein (Fn. 93). 106 Historischer Überblick mit zahlreichen Beispielen bei Baum s.v. Ausstrahlung des europäischen Privatrechts ins japanische Recht (Fn. 11), S. 155–159. 107 Plädoyer insb. bei Hopt in: Reimann/Zimmermann (Fn. 9), S. 1161, 1190; ferner in allen Vorträgen zu den „Zukunftsperspektiven“, ZGR 2007, 480–541 (Fn. 96): Eidenmüller (485, 491–495), Fleischer (501–505), Hirte (518), Kalss (521, 531) und Merkt (534, 537/538, 539, 540, 541); zum Wie Hopt/Trautmann (482/483). 108 Deutliche Kritik an solcherart funktionaler Rechtsvergleichung formuliert (vom Standpunkt der Systemtheorie aus) Vogt (Fn. 77), insb. § 1 II und § 5 III.

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Einer der Urväter der Rechtsvergleichung hat dies einmal treffend wie folgt beschrieben: „Der Stoff des Nachdenkens über die Probleme des Rechts muß das Recht der gesamten Erde sein, vergangenes und heutiges, der Zusammenhang des Rechts mit Boden, Klima und Rasse, mit geschichtlichen Schicksalen der Völker – Krieg, Revolution, Staatengründung, Unterjochung –, mit religiösen und ethischen Vorstellungen; Ehrgeiz und schöpferischer Kraft von Einzelpersonen; Bedürfnis von Gütererzeugung und Verbrauch; Interesse von Schichten, Parteien, Klassen.“ 109 Der Einwand liegt nahe, dass ein solch allumfassender Anspruch Rechtsvergleichung utopisch macht. Wer deutsches und österreichisches Aktienrecht vergleicht, wird sich im Allgemeinen nicht mit klimatischen Unterschieden auseinandersetzen müssen. Wer aber die Entstehung des nordeuropäischen Gesellschaftswesens verstehen will, wird sich über die jährliche Vereisung der Ostsee informieren müssen, weil nur so bestimmte Unternehmungsformen verständlich werden.110 Ebenso wenig wird zu einer fundierten Einschätzung der Societas Europaea gelangen, wer nicht die Gründe für die Wahl dieser Gesellschaftsform ermittelt.111 Es bedarf also stets einer (zumindest gedanklichen) Vorprüfung, ob und inwieweit außerrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. c) Historisierung Internationalisierung und Interdisziplinarisierung sind nur sinnvoll bei gleichzeitiger Historisierung. Ansonsten lassen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede meist nicht verstehen. Dies gilt besonders bei über Jahrhunderte gewachsenen Regelungsmaterien wie dem Gesellschaftsrecht; zur Erläuterung genügt der Hinweis auf die Pfadabhängigkeit vieler Regelungen. Im Gesellschaftsrecht versprechen die „Zwillingsschwestern“ 112 Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte besonders reiche Erkenntnisgewinne. Denn die Geschichte des Gesellschaftsrechts gehört zu den am wenigsten genutzten Erkenntnisquellen der gesellschaftsrechtlichen Forschung. Diese Beobachtung ist weder neu noch wird sie bezweifelt. Aber bislang sind alle Appelle, an diesem Missstand etwas zu ändern, verhallt.113 Deshalb ist der 109

Rabel Rhein. Z. 13 (1924), 279, 283. Zu den Rechtsfragen auf Grundlage eingehender Quellenstudien Cordes Spätmittelalterlicher Gesellschaftshandel im Hanseraum, 1998. 111 Mustergültig Eidenmüller/Engert/Hornuf AG 2008, 721–730 und AG 2009, 845– 855. 112 Kötz JZ 1992, 20, 20; außerdem z.B. Rabel Rhein. Z. 13 (1924), 279, 298 (wiedergegeben im Text zu Fn. 98) und Coing (Fn. 42), S. 2. 113 Etwa Hommelhoff Geschichtliche Rechtswissenschaft und Recht der Kapitalgesellschaften, in: Eckert (Hrsg.), Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte, 2003, S. 227–243, insb. S. 227–230 und S. 242/243 sowie K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, S. 54 (seit 1. Aufl., 1986, S. 41); weitere Nachweise aus den letzten beiden Jahrhunderten 110

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Umstand, dass die Geschichte des europäischen Gesellschaftsrechts nicht vor einigen Jahrzehnten, sondern vor fast eintausend Jahren beginnt, in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion kaum präsent. Allein mit historischem Desinteresse lässt sich auch erklären, dass manche Regelungskonzepte immer wieder als neu vorgeschlagen werden, obwohl sie längst erprobt sind (etwa höhere Strafandrohungen für Geschäftsleiter);114 „eine Rechtswissenschaft, die nicht auf dem Boden gründlich historischer Kenntniß ruht, versieht eigentlich nur Schreibersdienst bey dem Gerichtsgebrauch“.115 Die Historisierung hat gleichwohl klare Grenzen. Es handelt sich um kein Heilsversprechen derart, in den Normen und den Fällen des früheren Gesellschaftsrechts liege eine Erkenntnisquelle des zukünftigen. Das römische Sozietätsrecht kann weder in seiner klassischen noch in seiner mittelalterlichen Form das viel ausdifferenziertere Gesellschaftsrecht der Gegenwart ersetzen. Nicht auf das Gesellschaftsrecht bezogen, sondern allgemein ist insoweit einmal ironisch bemerkt worden, die Epoche vor der Französischen Revolution sei „wahrscheinlich in besonderem Maße geeignet, die Rechtsprobleme der europäischen Industrienationen zu lösen“.116 Dieser Einwand ist im Ausgangspunkt berechtigt, geht aber fehl, wenn man den Beitrag, welchen die Geschichte des Gesellschaftsrechts zur modernen Diskussion leisten kann, richtig bestimmt: Nicht der Inhalt des Rechts soll historisiert werden, sondern die Methode seiner Entwicklung.117 Historisch-rechtsvergleichend sollen der frühere Normbestand identifiziert, die Motive für seine Entstehung und Fortentwicklung herausgearbeitet sowie sein Verhältnis mit dem sozialen Umfeld analysiert werden. Fast immer führt dies zu neuen Einsichten in die Wirkungsweise des Gesellschaftsrechts und bereichert die Diskussion in der Gegenwart. Selbst wenn sich einmal keine konkreten Erkenntnisse ergeben sollten, ist der Aufwand nicht vergeblich: „[A] sufficient reason for comparative historical study of cases in great number is the fact that such study frees the teacher and the lawyer and the judge from the illusion of certainty; and from the delusion that law is absolute and eternal, that doctrines can be used mechanically, and

bei Fleckner (Fn. 19), S. 15–18; ferner in den Vorträgen zu den „Zukunftsperspektiven“, ZGR 2007, 480–541 (Fn. 96): Eidenmüller (493), Fleischer (509), Hirte (519), Kalss (521/522) und Merkt (540). 114 Beispiel: Art. 249–249f ADHGB 1884. 115 Savigny (Fn. 61), S. 78/79. 116 Simon RJ 11 (1992), 574, 578. 117 Ebenso Savigny (Fn. 61), S. 117 („Der Charakter derselben [sc. der historischen Methode der Rechtswissenschaft] besteht nicht, wie einige neuere Gegner unbegreiflicherweise gesagt haben, in ausschließender Anpreisung des Römischen Rechts“) und Zimmermann Law Qu. Rev. 112 (1996), 576, 597 („It would be equally fatal to idealise the purity and truth of classical Roman law, to attribute to it some sort of eternal validity and to try to press the present into the straitjacket of an heroic past.“).

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that there are correct and unchangeable definitions.“ 118 Von solchen Einsichten könnten gerade die detail- und definitionsverliebten europäischen Entwurfsverfasser profitieren. d) Fazit Kritik an einer Internationalisierung, Interdisziplinarisierung und Historisierung ist – das lehrt die Erfahrung – nicht von denjenigen zu erwarten, die bereits rechtsvergleichend, fächerübergreifend und geschichtlich arbeiten, sondern von denjenigen, die mit diesen Erkenntnisquellen noch nicht so vertraut sind. Umgekehrt fehlt denjenigen, die Lebens- und Forschungszeit in den Erwerb rechtsvergleichender, interdisziplinärer und historischer Kenntnisse investiert haben, häufig eine realistische Einschätzung der Grenzen dieser Ansätze. An der Entwicklung europäischen Gesellschaftsrechts müssen deshalb Vertreter des ganzen methodischen Spektrums mitwirken. 3. Inhaltliche Entwicklungsperspektiven Weichenstellend für die inhaltlichen Entwicklungsperspektiven des europäischen Gesellschaftsrechts ist das Verfahren seiner Entstehung: Supranationale Harmonisierung setzt eine formalisierte Verständigung der politischen Entscheidungsträger über den konkreten Inhalt jedes einzelnen Rechtsakts voraus. Nationale Konvergenz ist dagegen ein formloser Prozess, der typischerweise zu Regeln führt, die allgemein für sachgerecht gehalten werden. a) Supranationale Harmonisierung: Vielfältiger Dissens Über die Maßstäbe, nach denen sich die Notwendigkeit und der mögliche Inhalt supranationalen Gesellschaftsrechts beurteilen lassen, besteht kein Konsens. Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei den großen Systemfragen (um von den Details gar nicht zu sprechen): Inwieweit sollte das Gesellschaftsrecht überhaupt kodifiziert sein? Sollte es überwiegend zwingende oder dispositive Vorschriften enthalten? Wo empfehlen sich staatliche, wo private Regelwerke? Zu diesen von der Regelungsebene unabhängigen Grundentscheidungen kommt als europäische Gretchenfrage: Was sollte supranational, was national geregelt werden? 119 Dies führt an den innersten Kern der Rechtsangleichung, über deren Sinnhaftigkeit seit alters her allgemein 120 und speziell für das Gesellschafts118

Corbin Corbin on Contracts, 1952, S. 163. Aus der Vielzahl der Stellungnahmen hervorzuheben Armour Current Legal Problems 58 (2005), 369–413; Ebke RabelsZ 62 (1998), 195–242; Schön ZHR 160 (1996), 221–249. 120 Insb. Kötz RabelsZ 50 (1986), 1–18 und Zweigert/Kötz (Fn. 90), S. 23–27. 119

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recht 121 diskutiert wird. Gegenübergestellt seien nur die berühmten Worte Napoléons („Cela resserre les liens des nations d’avoir les mêmes lois civiles et les mêmes monnaies“) 122 mit denen seines Zeitgenossen Savigny (beklagend die „unbeschreibliche[] Gewalt, welche die bloße Idee der Gleichförmigkeit nach allen Richtungen nun schon so lange in Europa ausübt“).123 Im Gesellschaftsrecht ist die frühere Angleichungseuphorie seit der längeren Phase ohne neue Rechtsakte (1989–2001) einer breiten Ernüchterung gewichen. Vollharmonisierung fordert heute niemand mehr, dessen Stimme Gewicht hat; nur in ausgewählten Fragen soll es europäisches Einheitsrecht geben.124 Begleitet werden die Meinungsverschiedenheiten in der Sache seit Anbeginn von politischen Scharmützeln (mit den Deutschen an vorderster Front, vor allem beim Reizthema Mitbestimmung). In der Folge ist heute manches harmonisiert, das vielen anzugleichen nicht ratsam erscheint (etwa das Mindestkapital), und umgekehrt ist manche Harmonisierungsmaßnahme, die für ausgewogene „Spielregeln“ zwischen den Mitgliedstaaten gesorgt hätte, bislang unterblieben (wie die Sitzverlegungsrichtlinie). Vor dem Hintergrund dieser konzeptionellen und politischen Meinungsverschiedenheiten wird der fragmentarische Charakter des supranationalen Gesellschaftsrechts ebenso verständlich wie seine fehlende Systematik und Konsistenz. Zwei allgemeine Beobachtungen mögen dies veranschaulichen: Der persönliche Anwendungsbereich zahlreicher Richtlinien umfasst allein die Aktiengesellschaft und ihre ausländischen Äquivalente.125 Gegenüber den auf persönlicher Mitwirkung und Haftung beruhenden Gesellschaften (wie etwa der deutschen oHG) lässt sich dies damit begründen, dass Geschäft und Inhaberstruktur der Aktiengesellschaft typischerweise internationaler sind. Die Aktiengesellschaft hat deshalb eine größere Bedeutung für die Verwirklichung eines europäischen Binnenmarktes; außerdem stellt sich wegen ihrer Organisations- und Haftungsverfassung in besonderer Weise die Frage eines grenzüberschreitenden Gläubiger- und Anlegerschutzes.126 Beide Gedanken 121 Z.B. Blaurock ZEuP 1998, 460, 460–463; Siems (Fn. 77), S. 373–395; Timmermans RabelsZ 48 (1984), 1, 11–30; Wouters Com. M. L. Rev. 37 (2000), 257, 268–298. 122 Napoléon Brief an Louis (13.11.1807), in: Vox (Hrsg.), Correspondance de Napoléon – Six cents lettres de travail (1806–1810), 12. Aufl., 1943, S. 360, 361. 123 Savigny (Fn. 61), S. 41. 124 Repräsentativ Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan, KOM(2003) 284 endg. vom 21.5.2003. Pointiert Lutter ZGR 1992, 435, 447 („Einheit um jeden Preis ist von Übel, führt zur Überforderung des Rechts und der Rechtsanwender und zum Mißtrauen des Bürgers.“). Unter den Stellungnahmen des Jubilars insb. Hopt ZHR 161 (1997), 368, 379–384 und Hopt ZGR 2000, 779, 813–818. 125 Übersicht bei Grundmann (Fn. 10), S. 12 und S. 59/60. 126 Mit diesem Argument z.B. Erwägungsgrund Nr. 1 der Zweiten Richtlinie (77/91/ EWG) vom 13.12.1976, ABl. EG Nr. L 26, S. 1 in Widerspruch zu Erwägungsgrund Nr. 1 der Ersten Richtlinie (68/151/EWG) vom 9.3.1968, ABl. EG Nr. L 65, S. 8.

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tragen aber weniger gut als Differenzierungskriterium gegenüber den geschlossenen Kapitalgesellschaften (wie der deutschen GmbH).127 Viele der von ihnen finanzierten Unternehmen sind nämlich ebenfalls grenzüberschreitend tätig; Beispiele hierfür geben die Sachverhalte der erwähnten EuGH-Entscheidungen zur Niederlassungsfreiheit. Ähnliche Zweifel erweckt die Auswahl der geregelten Sachfragen: Vorschriften über die Rechnungslegung, über bestimmte Strukturmaßnahmen und über den Kapitalmarkt anzugleichen, mag zur Förderung des gemeinsamen Marktes sowie zum Schutz von Gläubigern und Anlegern sinnvoll sein; nicht weniger bedeutsam sind aber die nicht oder kaum harmonisierten Regeln über die Organisationsverfassung, die unternehmerische Mitbestimmung und die Verbindung von Unternehmen (Konzernrecht).128 Diese kurzen Bemerkungen genügen zur Erklärung des status quo und zur Begründung der Prognose, dass sich hieran auf supranationalem Wege so bald nichts ändern wird. Sofern nicht, was nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte unwahrscheinlich ist, ein größerer konzeptioneller und politischer Konsens entsteht, wird das supranationale Gesellschaftsrecht seinen erratischen Charakter behalten und sich allgemeinen Überlegungen zu seinen inhaltlichen Entwicklungsperspektiven entziehen. b) Nationale Konvergenz: Immanenter Konsens Ein wesentlicher Vorteil nationaler Konvergenz liegt in der Qualität des ihm immanenten Konsenses, der anders im Falle supranationaler Harmonisierung kein enger politischer, sondern ein breiter gesellschaftlicher ist. Wenn Gesetzgeber, Rechtsprechung und Wissenschaft europaweit zu konvergierenden Ergebnissen gelangen, so der Ausgangspunkt der Überlegungen, dann dürften diese anhand gesamtgesellschaftlich akzeptierter Maßstäbe sachgerecht und deshalb konsensfähig sein. Denn die drei Beteiligten werden im Normalfall (und nur über den lässt sich allgemein sprechen) nicht zu Regeln verleitet werden, die sich für eine Interessengruppe (etwa Gesellschaftsgläubiger) oder eine Region (etwa ein anpassungsunfähiges Land) als erhebliche Beeinträchtigung, als race to the bottom, darstellen. Dies verhindert der pluralistische Entstehungsprozess gemeinen Rechts, an dem alle Interessierten – insbesondere sich benachteiligt sehende Gruppen – über die Medien, mittels Eingaben an Parlamente und Ministerien, in Schriftsätzen bei Gericht oder mit der Anregung wissenschaftlicher Studien teilnehmen können. Gleichzeitig bietet die gegenüber der parlamentarischen Gesetzgebung geringere Steuer- und damit Beeinflussbarkeit Schutz vor Lobbyisten und der Verwirklichung von Partikularinteressen. 127

Ebenso Lutter ZGR 2000, 1, 9/10, 13; positiver Grundmann (Fn. 10), S. 751–769. Ob die Inkonsistenzen mit mehr oder mit weniger Harmonisierung beseitigt werden sollten, lässt sich aus den im Text genannten Gründen nicht pauschal beantworten. 128

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Von diesen Vorüberlegungen aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, um im Diskurs des gemeinen Rechts einen Wettbewerb zu sehen, der in der Vielfalt konkurrierender Begriffe, Konzepte und Meinungen diejenigen ent- oder aufdeckt, welche die größte Überzeugungskraft haben („Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“).129 Je intensiver dieser Wettbewerb ist, desto höher ist die inhaltliche Sachgerechtigkeit der Rechtssätze, die sich europaweit durchsetzen: „Mögen doch verschiedene Erfahrungen gemacht werden, was sich als das beste bewährt, wird dann wohl allgemeinen Eingang finden.“130 Damit aus den bislang weitgehend separaten Diskursen in den Nationalstaaten ein gemeinsamer europäischer Ideenwettbewerb wird, bedarf es – wie in den methodischen Entwicklungsperspektiven angedeutet – einer Internationalisierung, Interdisziplinarisierung und Historisierung. Für wen tiefere Einsicht kein Selbstzweck ist, der wird seine Erkenntnisquellen allerdings nur verbreitern, sofern er sich hiervon einen Vorteil verspricht, etwa wenn er Grund zur Annahme hat, mit rechtsvergleichenden, interdisziplinären oder historischen Argumenten den Ausgang gerichtlicher Entscheidungen beeinflussen zu können. Genau dies ist aber keine lebensfremde Vision; es muss nur jemand den Anfang machen. Entschlösse sich etwa der Bundesgerichtshof, seine Urteile vermehrt auf ausländische Rechtsprechung, empirische Untersuchungen oder historische Erfahrungen zu stützen, hätte dies die sichere Folge, dass sich alle Beteiligten künftig mehr mit diesen Erkenntnisquellen befassten. Ähnliche, allerdings nicht unmittelbar wirkende Impulse könnte die Wissenschaft geben, indem sie Lehre und Forschung auf ein breiteres Fundament stellte. Den größten Einfluss hat aber der Gesetzgeber, weil er die Grenzen des Ideenwettbewerbs absteckt: Statt die Gesellschaften, die Rechtsprechung und die Wissenschaft an die Kandare der Kodifikation zu nehmen (geradezu exzessiv die paternalistische Satzungsstrenge im Aktienrecht),131 sollte der Gesetzgeber den Irrglauben, alles selbst am besten zu wissen, überwinden und in einen Dialog mit den anderen Beteiligten treten. Die langjährige Diskussion um den „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ zeigt, dass gemeines Gesellschaftsrecht als Folge eines europäischen Ideenwettbewerbs kein unrealistisches Szenario, sondern für ausgewählte Fragen bereits im Entstehen begriffen ist. Ein Wettbewerb der Rechtsordnungen setzt im Gesellschaftswesen bekanntlich zweierlei voraus: erstens die (Niederlassungs-, Gründungs-, Gestaltungs-) Freiheit der Regulierten, für sie günstigere Regeln im Ausland zu wählen (Nachfrage), und zweitens die

129 Ausgangspunkt der heutigen Diskussion ist der Vortrag von Hayek Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968. 130 Savigny (Fn. 61), S. 131 (zur Landesgesetzgebung). 131 Zur – mit heutigen Wert- und Verfassungsvorstellungen kaum vereinbaren – paternalistischen Motivation Fleckner/Hopt Entwicklung des Börsenrechts, in: Handelskammer Hamburg (Hrsg.), Die Hamburger Börse 1558–2008, 2008, 249, 264.

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Bereitschaft der Rechtsschöpfer, mit Änderungen der Regeln an einem Wettbewerb um die Regulierten teilzunehmen (Angebot). An beidem fehlt es – entgegen früheren Prognosen 132 – nicht: Gründer und Geschäftsleiter haben in größerer Zahl ausländische 133 und supranationale 134 Gesellschaftsformen nachgefragt. Und Staaten wie Deutschland, Frankreich und Spanien haben rechtliche Erleichterungen angeboten.135 Motor dieses Wettbewerbs ist derzeit allerdings vielerorts nicht, den Rechtsrahmen für Gesellschaften und damit „das Recht“ zu verbessern (wie aus finanziellen Gründen in Delaware),136 sondern die von allen Beteiligten (Entwurfsverfassern, Richtern und Wissenschaftlern) 137 in die eigenen Kenntnisse und Fertigkeiten investierten Ressourcen zu verteidigen.138 Unter den zuvor genannten Voraussetzungen, insbesondere mehr Freiräumen für Rechtsprechung und Wissenschaft sowie einer Ausweitung der Erkenntnisquellen, könnte sich dieser Verteidigungswettbewerb als Nukleus eines umfassenden Ideenwettbewerbs und der Entstehung gemeinen Gesellschaftsrechts erweisen. Hiermit verlöre der Wettbewerb der Rechtsordnungen auch den Schrecken, den er angesichts der umstrittenen Wirkungen jenseits des Atlantiks bis heute verbreitet.139 Konzeptionelles Vorbild soll gerade nicht der auf Inkorporationen fokussierte Wettstreit zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten sein, den aus institutionellen Gründen bestimmte Interessengruppen beherrschen. Modell sei vielmehr das ius commune als gemeinsamer Diskurs über die lokal besten Regelungsansätze, dessen „Entdeckungsverfahren“ bei richtiger Ausgestaltung zu Ergebnissen führt, die nach mehreren Maßstäben und aus Sicht der wichtigsten Interessengruppen sachgerecht sind. Mit dem immanenten Konsens und der Richtigkeitsgewähr gemeinen Gesellschaftsrechts ist ein weiterer wesentlicher Vorteil verbunden: Niemand – weder Gesetzgeber, Rechtsprechung noch Wissenschaft – muss auf jede Angleichungsfrage eine umfassende und abschließende Antwort parat haben. Wenn die Gesellschaftsrechte geräuschlos zu einer bestimmten Regel konvergieren, besteht selten Anlass, die Angleichung als solche und den Inhalt der 132 Monographisch Kieninger Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002; ferner insb. Enriques EBLR 2004, 1259–1274 und Gelter J. Corp. L. Stud. 5 (2005), 247–284. 133 Becht/Mayer/Wagner J. Corp. Fin. 14 (2008), 241–256. 134 Eidenmüller/Engert/Hornuf AG 2008, 721–730 und AG 2009, 845–855. 135 Überblick bei Zimmer Festschrift K. Schmidt, 2009, 1789, 1793–1800; zur Entwicklung in Frankreich und in drei weiteren Staaten (CH, UK, I) Witt ZGR 2009, 872–930. 136 Zur Ausnahmestellung Kahan/Kamar Stan. L. Rev. 55 (2002), 679, 687–693. 137 Besonders deutlich wird dies in dem am 27.10.2008 vom Bundesministerium der Justiz mit sechs Justizorganisationen geschlossenen „Bündnis für das deutsche Recht“. 138 Ebenso von Hein (Fn. 93), S. 572–590 (Fazit S. 590: „Verteidigungswettbewerb“). 139 Pointiert Wiedemann Gesellschaftsrecht, Band I, 1980, S. 783 („Das Wettbewerbsprinzip ist kein sachgerechter Maßstab für den Gesetzgeber.“).

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angeglichenen Norm zu hinterfragen. Bleibt eine Rechtsfrage lokal unterschiedlich geregelt, ohne dass hierüber eine Diskussion entbrennt, so ist dies typischerweise ebenfalls sachgerecht. Für welche Fragen sich mit welchem Inhalt gemeines Gesellschaftsrecht bilden wird, ist angesichts des ergebnisoffenen Entstehungsprozesses, in den eine Vielzahl miteinander konkurrierender und ständig wechselnder Interessen (namentlich von Gesellschaftern, Geschäftsleitern, Gläubigern) 140 einfließen, nicht prognostizierbar. Darin liegt kein Mangel dezentraler Entwicklung, sondern ein wesenstypisches Kennzeichen des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahrens.141 c) Konkurrenzverhältnis Supranationale Harmonisierung und nationale Konvergenz sind keine alternativen, sondern sich ergänzende Konzepte.142 Das folgt bereits daraus, dass europäisches Gesellschaftsrecht aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen für manche Rechtsfragen nur auf die erste, für andere allein auf die zweite Weise entstehen kann. Wo beide Wege offenstehen, stellt sich die Konkurrenzfrage. Konzeptionell (Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, immanenter Konsens, Richtigkeitsgewähr, Berücksichtigung lokaler Besonderheiten, Überwindung politischen Stillstands, nationale Flexibilität statt supranationale Versteinerung), rechtstheoretisch (pluralistischer Entstehungsprozess mit vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten) und primärrechtlich (Subsidiaritätsprinzip) lässt sich ein Vorrang nationaler Konvergenz vor supranationaler Harmonisierung begründen. Hat sich für ein bestimmtes Regelungsproblem gemeines Gesellschaftsrecht gebildet, ist der Erlass supranationalen Gesellschaftsrechts deshalb allein dann angezeigt, wenn unmittelbar geltendes Einheitsrecht ausnahmsweise einen gewichtigen zusätzlichen Vorteil verspricht (wie Transaktionskosten erheblich zu verringern, inakzeptable Externalisierungen zu verhindern oder die Verwirklichung des gemeinsamen Marktes in besonderer Weise zu fördern). Soweit sich keine nationale Konvergenz abzeichnet, kommt supranationale Harmonisierung nur in Betracht, wenn nach Würdigung aller Umstände eine Angleichung des fraglichen Regelungsgebietes vorteilhaft erscheint; über die in diese Abwägung einzubeziehenden Gesichtspunkte und die für die Entscheidung maßgeblichen Kriterien besteht wie 140 An den betroffenen Interessen orientiert die Bestandsaufnahme und der Ausblick von Lutter ZGR 2000, 1–18; richtungsweisend das an den Interessen ausgerichtete dritte Kapitel bei Wiedemann (Fn. 139); heute insb. Anatomy (Fn. 8). 141 Hayek (Fn. 129), insb. S. 5 („[D]ie Voraussagekraft dieser Theorie [sc. ist] notwendig auf eine Voraussage der Art der Struktur oder der abstrakten Ordnung beschränkt, die sich bilden wird, erstreckt sich aber nicht auf eine Voraussage besonderer Ereignisse.“). 142 Aktuelle Analyse entlang der bisherigen Argumentationslinien mit anschaulichen Beispielen bei Grundmann (Fn. 10), S. 95–109; grundlegend im früheren Schrifttum Buxbaum/Hopt Legal Harmonization and the Business Enterprise, 1988.

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angedeutet kein Konsens. Mit der wachsenden Einsicht in die Vorteile dezentraler Entwicklung dürften supranationale Vorschriften über materielles Gesellschaftsrecht („Mindestkapital“) ab- und über den Ideenwettbewerb stärkende Rahmenbedingungen („Sitzverlegung“) zunehmen. d) Fazit Über die inhaltlichen Entwicklungsperspektiven des europäischen Gesellschaftsrechts lassen sich kaum pauschale Aussagen treffen. Für supranationales Gesellschaftsrecht verhindern dies konzeptionelle und politische Meinungsverschiedenheiten, für gemeines Gesellschaftsrecht sein ergebnisoffener Entstehungsprozess. Nationale Konvergenz hat aus konzeptionellen, rechtstheoretischen und primärrechtlichen Gründen grundsätzlich Vorrang vor supranationaler Harmonisierung.

V. Fazit Gegen Ende seines grundlegenden Beitrags vor fast zwei Jahrzehnten schrieb der Jubilar: „Einheit und Vielfalt im europäischen Gesellschaftsrecht ist die Perspektive, kein ius commune societatum Europae.“ 143 Die Ereignisse seitdem, besonders die lange „Pause“ ohne neue Rechtsakte, haben diese Aussage voll bestätigt. Gleichzeitig lassen sie Zweifel aufkommen, ob die mittlerweile von vielen geteilte Vision – „Einheit und Vielfalt“ – auf dem herkömmlichen Pfade, also mittels supranationaler Harmonisierung, in sachgerechter Weise erreichbar ist. Mit diesem Beitrag ist versucht worden, den Blick auf einen zweiten Weg zu lenken, auf dem europäisches Gesellschaftsrecht entstehen kann: als den nationalen Jurisdiktionen gemeinsames Gesellschaftsrecht, als gemeines europäisches Gesellschaftsrecht. Bei einem solchen novum ius commune societatis, das nur dem Namen nach an das vom Jubilar abgelehnte ius commune erinnert, sind Einheit und zugleich Vielfalt ein realistisches Szenario. Was jahrhundertelang unter Führung der Rechtswissenschaft gelang und als Ergebnis „große Mannichfaltigkeit und Eigenthümlichkeit im einzelnen, aber als Grundlage überall das gemeine Recht“ hatte,144 könnte heute unter Einbeziehung aller an der Rechtsentstehung Beteiligten in einem Wettbewerb der Ideen glücken. Hierzu bedürfen gesellschaftsrechtliche Gesetzgebung, Rechtsprechung und Wissenschaft der Internationalisierung, Interdisziplinarisierung und Historisierung. 143 Hopt ZGR 1992, 265, 293 (Hervorhebung im Original); ähnlich das Fazit von Lutter ZGR 1992, 435, 451. 144 Savigny (Fn. 61), S. 43.

Zur Orientierung der Vorstandsvergütung an der Lage der Muttergesellschaft Wulf Goette I. Einleitung – der Ausgangsfall Der II. Zivilsenat hatte jüngst 1 über die Frage zu entscheiden, ob der Hauptversammlungsbeschluss über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrates auf Anfechtung deswegen für nichtig zu erklären sei, weil der Aufsichtsrat eine Vergütungsregelung mit den beiden Vorstandsmitgliedern der Aktiengesellschaft getroffen hatte, die nach Meinung der klagenden Minderheitsaktionäre gegen § 87 AktG in der bis zum Inkrafttreten des VorstAG 2 geltenden Fassung verstoßen habe. Nach dem Anstellungsvertrag sollten die Vorstände neben einer festen und einer variablen, an bestimmten Kennzahlen der Gesellschaft anknüpfenden Vergütung von zusammen knapp 400.000 € eine weitere variable Vergütung, die sich an der Entwicklung der Konzernobergesellschaft – aus der Sicht der Gesellschaft, deren Aktien zu rund 90 % Konzerngesellschaften gehörte, war dies die Urgroßmutter – orientieren sollte. Die Kläger haben die Ansicht vertreten, diese Orientierung an der Lage der „Muttergesellschaft“ sei schlechthin gesetzwidrig; einem Aufsichtsrat, der sich in dieser Weise über die zwingenden Regeln des § 87 Abs. 1 AktG a.F., der maßgeblich auf die „Lage der Gesellschaft“ abstelle, hinwegsetze, könne nicht in Gestalt der Entlastung nach § 120 AktG wirksam das Vertrauen für Vergangenheit und Zukunft ausgesprochen werden. In den Tatsacheninstanzen war die Klage erfolglos, der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München als Berufungsgericht 3 hat dabei weit ausgreifend dargelegt, dass eine solche konzernorientierte Vergütungsregelung gegen § 87 AktG verstoße, hat dann aber seine das klagabweisende erstinstanzliche Urteil bestätigende Entscheidung darauf gestützt, dass es sich bei dem Verhalten der Aufsichtsratsmitglieder nicht um einen eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß handele, wie er nach der MACRO-

1

Beschl. v. 9.11.2009 – II ZR 154/08, ZIP 2009, 2436 m. Anm. Wackerbarth. Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 31. Juli 2009, BGBl. I S. 2509. 3 ZIP 2008, 1237. 2

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TON-Doktrin 4 des II. Zivilsenats erforderlich sei, um einen Entlastungsbeschluss für nichtig erklären zu können. Die von einer Nebenintervenientin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der II. Zivilsenat zurückgewiesen und hierzu – über die übliche Formalbegründung hinausgehend – folgendes ausgeführt: „… Der Rechtsstreit der Parteien hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nur ein eindeutiger und schwerwiegender Gesetzes- oder Satzungsverstoß wegen eines Inhaltsmangels zur Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses führt (…). Selbst von dem sich von den Regeln des § 87 AktG a.F. entfernenden Ansatz des Berufungsgerichts kann von einem solchen zur Nichtigkeit des Entlastungsbeschlusses führenden Gesetzesverstoß nicht ausgegangen werden, weil der Aufsichtsrat sich nicht über eine zweifelsfreie Gesetzeslage hinweggesetzt hat; es ist vielmehr in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass umstritten ist, ob und inwieweit im faktischen Konzern die Vergütung des Vorstands einer abhängigen Aktiengesellschaft an der Ertragslage der herrschenden Gesellschaft ausgerichtet werden darf.“ Diese Entscheidung des Senats ist auf heftige Kritik 5 gestoßen; sie setzt prozessual an, greift die mit MACROTRON 6 begründete Linie des II. Zivilsenats zu den Voraussetzungen für die Nichtigerklärung eines Entlastungsbeschlusses an und läuft letztlich aber auf die Forderung hinaus, eine variable Vergütung, wie sie hier vom Aufsichtsrat mit den beiden Vorständen vereinbart worden ist, sei als Verstoß gegen die business judgement rule 7 zu verwerfen. Ehe zu der von den Klägern in dem Ausgangsfall problematisierten materiellen Frage, ob eine Orientierung der Vorstandsvergütung an der Lage der Obergesellschaft zulässig ist oder nicht, Stellung genommen wird – diese Problematik wird hoffentlich auf das Interesse des Jubilars stoßen, der in seiner beeindruckenden Offenheit auch für die international geführten Diskussionen unter den Ökonomen immer wieder 8 zu den zwischen der Gesellschaft und ihren Organen auftretenden Interessenkonflikten, um die es auch in unserem Zusammenhang geht (Stichwort: principal-agent-Konflikt) Weg-

4 BGHZ 153, 47, 51; BGHZ 160, 385, 388; BGHZ 180, 9, Tz. 26–28 – „KIRCH/DEUTSCHE BANK“; BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, Tz. 18, DStR 2009, 2207, vorgesehen zur Veröffentlichung in BGHZ 182, 272. 5 S. Wackerbarth Fn. 1. 6 S. Fn. 4. 7 Dazu eingehend Hopt/Roth, GK-AktG, 4. Aufl., Bd. 3 zu „§ 93 Abs. 1 Satz 2, 4 n.F. (Stand 1.10.2006)“. 8 Vgl. nur ZGR 2002, 333 ff.; ZGR 1993, 534 ff.

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weisendes publiziert und die deutsche Sicht beeinflusst hat –, soll kurz auf die erwähnte Kritik gegen die Nichtzulassung der Revision eingegangen werden. Es soll eine „Rechtsverweigerung“ darstellen, dass nach der Rechtsprechung des Senats nicht jeder, sondern nur ein eindeutiger und schwerwiegender Verstoß der Organmitglieder einer Aktiengesellschaft gegen gesetzliche Regelungen oder Satzungsbestimmungen den Beschluss über ihre Entlastung anfechtbar macht. Denn mit seiner „Erfindung“ des im Gesetz nicht enthaltenen Gebots der Eindeutigkeit eröffne sich der Senat die Möglichkeit, jeweils dieses Merkmal zu verneinen und seiner Aufgabe, für „die Eindeutigkeit der Rechtslage durch Klärung der einschlägigen Rechtsfragen zu sorgen“ auszuweichen; gerade im entschiedenen Fall sei eine Antwort zur Zulässigkeit des Vergütungssystems zur Rechtsfortbildung geboten gewesen. Abgesehen davon, dass der Verfasser in seiner ein wenig fern einer universitär angelegten Sichtweise den eigenen prozessrechtlichen Ansatz dadurch diskreditiert, dass er von „eher prozessualen Fragen“ spricht – richtigerweise besteht ein unauflösbarer Zusammenhang zwischen den prozessrechtlichen Vorschriften, die den Weg eröffnen, das materielle Recht durchzusetzen und dem materiellen Recht selbst – ist der Ausgangspunkt nicht überzeugend: § 120 Abs. 2 AktG verhält sich neutral hinsichtlich der Frage, ob einem Organmitglied die Entlastung deswegen versagt werden muss, weil es sich eines Verstoßes gegen Gesetz oder Satzung schuldig gemacht hat. Der in der MACROTRON-Entscheidung 9 dokumentierte Meinungsstand belegt deutlich, dass vielfach die Auffassung vertreten worden war, es könne bei der in § 120 Abs. 2 AktG apostrophierten Billigung des Verwaltungshandelns überhaupt nicht auf die Frage ankommen, ob den betreffenden Personen Pflichtverletzungen vorzuwerfen seien. Dem ist der Senat entgegengetreten, weil auch dann, wenn nach dem Gesetz kein Automatismus zwischen Pflichtverletzung durch Missachtung von Gesetz oder Satzung und der Notwendigkeit einer Versagung der Entlastung besteht, die Beschlussfassung der Mehrheit doch der gerichtlichen Kontrolle daraufhin unterliegen muss, ob sie die selbstverständlichen Grenzen der Ausübung ihrer Macht eingehalten hat. Der Hauptversammlung ist es nicht verwehrt, bei ihrer Abwägung, ob sie trotz eines festgestellt pflichtwidrigen Verhaltens einem Organmitglied für Vergangenheit und Zukunft ihr Vertrauen aussprechen will, Milde walten zu lassen und die sonst untadelige und für die Gesellschaft förderliche Amtsführung in die Waagschale zu werfen und diesen Umständen entscheidendes Gewicht beizumessen. Deswegen ist entgegen Wackerbarth 10 nicht jeder Entlastungsbeschluss gesetzwidrig, der ein gesetz- oder satzungswidriges Verhalten eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds billigt; die Grenze ist erst dann überschritten, wenn der Entlastungsbeschluss seinerseits gesetzwidrig 9 10

BGHZ 153, 47, 50 f. Fn. 1.

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ist, weil nämlich die Mehrheit von ihrer Stimmmacht einen fehlsamen Gebrauch macht. Das ist im Hinblick auf die Regelungen in § 120 Abs. 2 und § 243 Abs. 1 AktG aber erst dann der Fall, wenn es angesichts der Eindeutigkeit und der Schwere der Verletzung ausgeschlossen ist, dem pflichtwidrig handelnden Organmitglied den in der Entlastung liegenden Vertrauensbeweis auszusprechen. Wenn der II. Zivilsenat danach in dem Ausgangsfall einen eindeutigen und schwerwiegenden Pflichtverstoß der Aufsichtsratsmitglieder verneint hat, hat er sich prozessual ordnungsgemäß verhalten, nämlich ausschließlich die ihm unterbreiteten entscheidungsrelevanten Fragen beantwortet, nicht aber, wie ihm angesonnen worden ist, auf Kosten 11 der Parteien Rechtsfortbildung betrieben. Es kann danach in unserem Fall unter dem Gesichtspunkt des Angriffs gegen den Entlastungsbeschluss allein darauf ankommen, ob die Orientierung der Vorstandsvergütung an der Lage der Obergesellschaft schlechterdings und offensichtlich gesetzwidrig ist, oder ob es nicht eher auf die konkrete Ausgestaltung der Vergütungsregeln mit der Folge ankommt, dass im konkreten Fall schon ein Gesetzesverstoß ausscheidet oder er jedenfalls nicht schwerwiegend oder nicht eindeutig ist, so dass Angriffe gegen den Entlastungsbeschluss sich als untaugliches Mittel zur gerichtlichen Klärung der Frage erweisen, was eine angemessene Vergütung im Sinne von § 87 AktG ausmacht. Diese Frage unter schlichter Berufung auf die business judgement rule lösen zu wollen, weil der Aufsichtsrat sich sorgfaltswidrig verhalte, wenn er nur die Interessen eines Gesellschafters – hier der Obergesellschaft – berücksichtige, ist schon deswegen nicht angängig, weil ebenso wenig wie ein Gesetzes- oder Satzungsverstoß ein Treuepflichtverstoß für sich allein zu einer Versagung der Entlastung führen muss; davon abgesehen ist die Ausgangsthese, es stelle eine Verletzung der Pflicht, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, dar, wenn die Verwaltungsorgane das Interesse eines einzelnen Gesellschafters besonders berücksichtigen, in ihrer – an das anders 12 geartete US-amerikanische Verständnis der business judgement rule anknüpfenden – Undifferenziertheit unzutreffend.

11 Man stelle sich nur vor, dass es bei der weiteren revisionsrechtlichen Prüfung auf nicht festgestellte Behauptungen der Parteien angekommen wäre und der Senat deswegen gezwungen worden wäre, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur Klärung der Tatsachen an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen; auch diese prozessuale Implikation hat die Kritik ausgeblendet. Im Übrigen ist es zu schlicht gedacht anzunehmen, die Frage, welches Vergütungssystem angemessen ist, könne allein über die Anfechtung der Entlastung gerichtlich geklärt werden. 12 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 93 Rn. 4a; Hopt/Roth (Fn. 7) Rn. 5; Krieger/Seiler, in Schmidt/Lutter, AktG, 1. Aufl. 2008, § 93 Rn. 10 ff.; Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 7 Rn. 45 ff.

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II. „Lage der Gesellschaft“ im Sinne von § 87 AktG Die Änderung des § 87 Abs. 1 AktG durch das VorstAG,13 das die Angemessenheit der Vorstandsbezüge näher geregelt und sich vor allem zum Ziel gesetzt hat, Fehlanreize zu beseitigen, die durch eine nur an den kurzfristigen Erfolg der Gesellschaft als Maßstab für die Vergütungsstruktur anknüpfende Verfahrensweise entstehen können, hat den Teil der Vorschrift unberührt gelassen, an den die klagenden Aktionäre im Ausgangsfall mit ihrer Kritik an der von dem Aufsichtsrat bewilligten Vorstandsvergütung angeknüpft haben. Denn wie schon seinerzeit so soll es auch heute bei der Angemessenheitsprüfung u.a. „auf die Lage der Gesellschaft“ ankommen. Die Bestimmung geht zurück auf § 78 AktG 1937 14; mit ihr ging der Gesetzgeber ab von dem bis dahin herrschenden Verständnis, dass es auch in der Aktiengesellschaft Sache der Eigentümer sei darüber zu befinden, wie viel an Vergütung sie einem von ihnen durch den Aufsichtsrat angestellten Manager zahlen wollten, m.a.W. wie viel dieser ihnen „wert“ war.15 Grund dafür war u.a.16 auch damals schon, dass der zwar nicht nach zwingendem Gesetzesrecht, aber faktisch mit der Aushandlung der Anstellungsverträge beauftragte Aufsichtsrat 17 als hypertroph empfundene Vorstandsbezüge zu vereinbaren pflegte, deren Zurückführung seinerzeit um so leichter fiel, als der Grundsatz „Gemeinsinn geht vor Eigennutz“ ein allgemein leitendes Prinzip der Gesetzgebung war. Wenn seitdem die Angemessenheit an den Parametern „Aufgaben des Vorstands“ und „Lage der Gesellschaft“ auszurichten ist, so kann der zweitgenannte Maßstab nicht in jedem Fall nur die Ertragslage, also was sich die Gesellschaft „leisten“ kann, meinen, weil anderenfalls z.B. einer sanierungsbedürftigen 18 Gesellschaft ihren gerade in dieser schwierigen Lage in besonderem Maße geforderten Vorstandsmitgliedern im Extremfall überhaupt keine Vergütung leisten dürfte. Dieser Gesichtspunkt für sich allein muss schon die von den klagenden Aktionären vertretene These in Frage stellen, dass eine Orientierung an anderen Kriterien als der Ertragslage der anstellenden Aktiengesellschaft nicht toleriert werden kann. Vielmehr kommt es auch auf die Zukunftsaussichten, die Größe oder die Branchenzugehörig13

Fn. 2. Vgl. Thoelke/Kropff, AktG, 2. Aufl. 2005, S. 111. 15 Vgl. Bayer/Engelke, in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. I, S. 649 Rn. 68 m.w.N. 16 Vgl. Schlegelberger/Quassowski, AktG 1937, § 78 Anm. 1; Hüffer, in Bayer/Habersack (Fn. 15) Bd. II, S. 363 Rn. 56 mit zutreffendem Hinweis, dass der Schwerpunkt der Regelung damals der Möglichkeit der Herabsetzung einer vereinbarten zu hohen Vergütung galt. 17 S. Hüffer (Fn. 16) S. 369 Rn. 69. 18 Vgl. dazu z.B. Kort, in GK-AktG, 4. Aufl. 2008, § 87 Rn. 35 m.w.N.; Spindler, in MünchKomm-AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 Rn. 33; ferner Fleischer DStR 2005, 1279, 1280. 14

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keit 19 an. Dabei kann auch nicht von vornherein ausgeblendet werden, dass das betreffende Unternehmen in einen Konzern eingebunden ist und von dessen positiven wie negativen Entwicklungen betroffen sein kann. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass mit dem Ansatz bei der „Lage der Gesellschaft“ das eigentliche hier zu untersuchende Problem nicht trennscharf erfasst, vor allem dem Sinn der Vorschrift nicht genügt wird, für die die Anknüpfung an die „Lage der Gesellschaft“ nicht der eigentliche Zweck, sondern nur einer der Parameter der Prüfung sein kann, wann eine nicht angemessene und damit von den Aktionären nicht hinzunehmende Vergütung vereinbart worden ist. Macht man sich den Anlass 20 klar, der zur Schaffung der Vorläufervorschrift des § 87 AktG durch das AktG 1937 geführt hat, dann ging es darum zu verhindern, dass die Vorstandsmitglieder auf Kosten der Aktionäre und zu Lasten etwaiger Gläubiger der Gesellschaft sich eine Vergütung auszahlen ließen, die außer Verhältnis zu den zu erfüllenden Aufgaben und der wirtschaftlichen Lage der Aktiengesellschaft stand.21 Geht es aber darum, dass verhindert werden soll, dass die Vorstände sich – bildlich gesprochen – ein ihnen nicht zustehendes, zu großes Stück aus der „Torte“ herausschneiden, dann fokussiert sich das das Oberlandesgericht München 22 in dem Ausgangsfall umtreibende Problem auf die von ihm unter mindestens achtmaliger Beschwörung der Gefahr, dass sich ein von ihm ausgemachter Interessenkonflikt verwirklichen könne, zu Unrecht bejahte Frage, ob denn ein solcher Fall gegeben ist, wenn die Vergütungsregelung sich auch an der Lage der Obergesellschaft orientiert.

III. Differenzierung nach Lage der Muttergesellschaft 1. Meinungsstand Im Ausgangsfall hat sich das Berufungsgericht – wie oben ausgeführt: die „Lage der Gesellschaft“ überstrapazierend – auf den Standpunkt gestellt, eine Anknüpfung der Vorstandsvergütung an die Verhältnisse der Obergesellschaft, wie sie bei konzernweiten Aktienoptionsprogrammen nicht unüblich, sondern für eine sachgerechte Führungsstruktur sogar notwendig ist, sei 19

Spindler, in MünchKomm-AktG (Fn. 18) Rn. 32 m.w.N. Nach der Neufassung des § 87 AktG durch das VorstAG (Fn. 2) ist nunmehr als weiterer Zweck hinzugetreten, dass zwecks Sicherung des betrieblichen Friedens die Vorstandsvergütung sich auch in das Gesamtgefüge der Löhne und Gehälter aller Bediensteten der Gesellschaft einfügen muss; diese Problematik wird im Folgenden nicht behandelt. 21 So zutreffend schon Schlegelberger/Quassowski (Fn. 16) § 78 Anm. 1; Hüffer (Fn. 12) § 87 Rn. 1 mit der zutreffenden Aufforderung, § 87 Abs. 1 AktG nicht überzustrapazieren; ders., in Bayer/Habersack (Fn. 15) Bd. II, S. 362 f. Rn. 56 f.; ferner Seibt, in Schmidt/Lutter (Fn. 12) § 87 Rn. 1. 22 Fn. 3. 20

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„prinzipiell geeignet“, Führungsentscheidungen der Vertretungsorgane zu honorieren, die nicht im Interesse der anstellenden Gesellschaft liegen, sondern ihnen zuwiderlaufen. Dem wird man in der allgemeinen Aussage schwerlich widersprechen können, weil natürlich – die nach und nach zu Tage tretenden Umstände, die zu der gegenwärtigen Krise der Finanzmärkte und der nationalen Volkswirtschaften geführt haben, legen dafür beredtes Zeugnis ab – Vergütungsregeln Fehlanreize schaffen können, die die Begünstigten dazu veranlassen können, ihre Pflichten zu ordnungsgemäßer Amtsführung zu verletzen und bei den zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen dem eigenen Vorteil Vorrang zu geben. Indessen geht es zu weit, aus dieser prinzipiell bestehenden Gefahr 23 einer Fehlsteuerung den Schluss zu ziehen, dass sie sich verwirklichen müsse, und deswegen solche Vergütungssysteme per se als „nicht in jeder Hinsicht den Anforderungen des § 87 Abs. 1 AktG“ entsprechend zu qualifizieren. Der II. Zivilsenat hat dies durch seine distanzierende Aussage in dem oben wiedergegebenen Beschluss deutlich gemacht, wenn dort von dem „sich von den Regeln des § 87 AktG a.F. entfernenden Ansatz“ des Oberlandesgerichts die Rede ist. Allerdings steht das genannte Gericht mit seiner restriktiven Sicht nicht allein. Denn ungeachtet des Umstands, dass nach § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG – jedenfalls bei echten Aktienoptionen – auch den Arbeitnehmern oder Mitgliedern der Geschäftsführung eines verbundenen Unternehmens Bezugsrechte eingeräumt werden können, der Gesetzgeber also zumindest für einen Sonderfall entschieden hat, dass die versprochene Vergütung auch auf den Erfolg eines anderen als des eigenen Unternehmens bezogen werden darf, wird diese Ausnahme von Teilen des Schrifttums restriktiv behandelt und die Auffassung vertreten, jedenfalls bei einer faktisch konzernierten Tochtergesellschaft, die auch außenstehende Aktionäre, wie die beklagte Aktiengesellschaft im Ausgangsfall hat, sei eine Orientierung der Vergütung am Erfolg der Obergesellschaft schlechthin unzulässig.24 Der Sache nach ent23 Diese Gleichsetzung der Gefahr einer Verwirklichung des principal-agent-Konflikts (vgl. dazu nochmals Fleischer DStR 2005, 1279, 1281; ferner Schüller, Vorstandsvergütung, 2002, S. 46 ff.) mit dem schädlichen Eintritt bei der abhängigen Gesellschaft ist in dem konkreten Fall um so erstaunlicher, als das Berufungsgericht selbst festgestellt hat, dass die betreffenden Vorstandsmitglieder der „Versuchung“ nicht erlegen sind, durch Bevorzugung der Obergesellschaft beim Einkauf des von ihrer Gesellschaft weiter veräußerten Stroms die Interessen der Obergesellschaft zu bevorzugen und auf diesem Weg zu ihrem eigenen Vorteil den Börsenkurs der Obergesellschaft nach oben zu treiben; vielmehr hat die Tochtergesellschaft mit der Obergesellschaft Geschäfte ausschließlich zu marktüblichen Preisen und Konditionen abgewickelt. 24 Vgl. z.B. Wiesner, in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 Aktiengesellschaft, § 21 Rn. 42; Thüsing, in Fleischer (Fn. 12) § 6 Rn. 51; Ziemons, in Nirk/ Ziemons/Binnewies, Handbuch der Aktiengesellschaft I Rn. 8.329; Hüffer (Fn. 12) § 192 Rn. 20a; Spindler, in MünchKomm-AktG (Fn. 18) § 87 Rn. 43; Zitzewitz NZG 1999, 698, 701 Schüller (Fn. 23) S. 142.

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spricht dies der Auffassung von Baums in seiner Stellungnahme zur Aktienrechtsreform 1997,25 dass für diese Fallgestaltung präventiv zur Vermeidung jedweden Interessenkonflikts die Gewährung von Aktienoptionen ausscheiden müsse. Einzelne Autoren untermauern diese Sichtweise mit dem Hinweis auf die Schwächen des Ausgleichssystems der §§ 311 ff. AktG, die es geboten erscheinen lasse, schon den Anfängen zu wehren.26 Dem steht eine Gruppe von Schriftstellern gegenüber, die es zwar ungeachtet des insofern nicht differenzierenden Wortlauts des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG im Anschluss an die Gesetzesbegründung 27 und in Einklang mit der ganz h.M.28 für unzulässig halten, dass die Obergesellschaft eine Bezugsberechtigung auf Aktien der Tochtergesellschaft erhält,29 die aber für den umgekehrten Fall der Einräumung von Aktienoptionen an Manager der Tochtergesellschaft keine durchgreifenden Bedenken haben.30 Für die zuletzt genannte Auffassung spricht, dass die Gegenposition – die Erwägungen des Berufungsgerichts im Ausgangsfall illustrieren dies – allein wegen des Bestehens des in Gestalt des principal-agent-Problems auftretenden Interessenkonflikts und des ihm innewohnenden Gefährdungspotentials eine präventive Sperre aufbaut, die jede Einzelfallbeurteilung abschneidet. Derartige „Brechstangenlösungen“, getragen von der Sorge, ein Interessenkonflikt könne sich im Einzelfall nachteilig bemerkbar machen, finden sich im Gesellschaftsrecht auch sonst öfter. Ein Beispiel bildet etwa die Ansicht, der Sinn des in § 47 Abs. 4 GmbHG niedergelegten Stimmverbots, die Abstimmung in der Gesellschafterversammlung von bestimmten Interessenkonflikten freizuhalten, rechtfertige eine Verallgemeinerung dahin, dass bei jedwedem Auftreten eines derartigen Konflikts der betroffene Gesellschafter von der Abstimmung ausgeschlossen sei; 31 dem ist die höchstrichterliche Rechtsprechung mit Recht nicht gefolgt.32 Ein anderes Beispiel bildet die in 25

Sonderheft der AG 1997, 26, 35; ders. FS Claussen S. 3, 12. Paradigmatisch Spindler FS Karsten Schmidt S. 1529, 1538 m.w.N.; Zitzewitz (Fn. 24); vgl. ferner Frey, in GK-AktG, 4. Aufl., § 193 Rn. 68; Fuchs, in MünchKomm-AktG (Fn. 18) § 192 Rn. 90. 27 BT-Drs. 13/9712 S. 24. 28 Hüffer (Fn. 12) § 192 Rn. 20a; Veil, in Schmidt/Lutter (Fn. 12) § 192 Rn. 23; Rieckers, in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 192 Rn. 61; Fuchs, in MünchKomm-AktG (Fn. 18) § 192 Rn. 89; Krieger, in MünchHdb. Bd. 4 (Fn. 24) § 63 Rn. 39. 29 Paradigmatisch Habersack FS Raiser S. 111, 114; aA Hoffmann-Becking NZG 1999, 797, 803; unentschieden Martens FS Ulmer S. 399, 416. 30 Habersack (Fn. 29) S. 119 f.; ders., Anm. zum Berufungsurteil im Ausgangsfall, NZG 2008, 634 f.; Krieger (Fn. 28) § 63 Rn. 31, 39; Rieckers (Fn. 28) § 192 Rn. 61; Martens (Fn. 29) S. 416; Hoffmann-Becking (Fn. 29) S. 803; Leuering/Simon NZG 2005, 945, 947; Hohenstatt/Seibt/Wagner, Besprechungsaufsatz zum Berufungsurteil, ZIP 2009, 2289, 2293; Waldhausen/Schüller AG 2009, 179, 183. 31 Vgl. Roth, in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 47 Rn. 55, 81. 32 Vgl. z.B. BGHZ 68, 107, 109; BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, DStR 2009, 1442 Tz. 28 ff. 26

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dem GELATINE-Komplex ergangene Entscheidung des II. Zivilsenats SCHUTZGEMEINSCHAFTSVERTRAG II,33 in der die „Brechstangenlösung“, die aktienrechtlichen Stimmquoren schon auf der Ebene der Entscheidungsfindung in der Schutzgemeinschaft durchschlagen zu lassen, zugunsten einer den Einzelfall in den Blick nehmenden und damit flexiblen Vorgehensweise verworfen worden ist, indem auf der Ebene der Schutzgemeinschaft geprüft wird, ob die Mehrheit von ihrer Ermächtigung sachgerecht und nicht treupflichtwidrig Gebrauch macht. Schließlich zeigt der Fall VORSTANDSDOPPELMANDAT,34 in dem es ebenfalls um die Notwendigkeit von Vorkehrungen gegen die schädlichen Folgen von Interessenkonflikten ging, dass es nicht erforderlich ist, solchen möglicherweise auftretenden Interessenkonflikten durch generell-abstrakte Verbote zu begegnen, dass das Gesetz vielmehr ein derartiges Zusammentreffen unterschiedlicher Interessen gesehen hat, es in Kauf nimmt und darauf vertraut, dass Fehlern bei der Bewältigung im Einzelfall hinreichend begegnet werden kann.35 Erforderlich ist danach eine am Schutzzweck des § 87 Abs. 1 AktG a.F. orientierte differenzierende Betrachtung. 2. Schlechtere Situation der Obergesellschaft Diejenigen Autoren, welche schlechthin jede Orientierung der Vorstandsvergütung an der Lage der Obergesellschaft für unzulässig halten,36 schießen – selbst wenn man ihrem Ansatz folgen wollte – über das mit § 87 Abs. 1 AktG a.F. 37 verfolgte Ziel weit hinaus, wenn die Lage der Obergesellschaft, auf die die variable Vergütung der Vorstandsmitglieder der Tochtergesellschaft bezogen wird, schlechter ist als diejenige der anstellenden Gesellschaft. Dann nämlich kann es zu dem Konflikt, der durch das Verbot einer solchen Orientierung „nach oben“ vermieden werden soll, von vornherein nicht kommen, weil nicht zu erwarten ist, dass sich die Manager der Tochtergesellschaft wegen der Aussicht auf eine höhere variable Vergütung dazu „verführen“ lassen werden, die Interessen der Tochtergesellschaft zu Gunsten der Obergesellschaft zu vernachlässigen. Und der faktisch konzernierten Gesellschaft kann bei dieser Konstellation veranlasst durch die Vergütungsregelung auch kein Nachteil zugefügt werden, über dessen Ausgleich oder gar Ausgleichsfähigkeit Diskussionen entstehen könnten. 33

BGHZ 179, 13. BGHZ 180, 105. Mit Recht wird die Parallele zu Vorstandsdoppelmandaten auch im Schrifttum herangezogen, vgl. nur Habersack FS Raiser (Fn. 29) S. 119 f; HoffmannBecking (Fn. 29) S. 803; Martens FS Ulmer (Fn. 29) S. 416. 35 AaO Tz. 15 f. 36 Etwa Wiesner aaO (Fn. 24). 37 Die über den alten, aber fortgeltenden Text hinausgehenden Änderungen durch das VorstAG bleiben hier ausdrücklich ausgeklammert. 34

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3. Bessere Situation der Obergesellschaft: Problem des Ausgleichs nach § 311 AktG Der eigentlich problematische Fall kann danach nur derjenige sein, in dem die faktisch konzernierte Tochtergesellschaft ihren Organmitgliedern eine höhere Vergütung zahlt, als sie bei einer vergleichbaren, an ihrer eigenen Lage orientierten Vergütungsregelung in Betracht käme. Die Gründe dafür, dass sich die Obergesellschaft in einer finanziell besseren Lage befindet, können vielfältiger Natur sein. Gerade dann, wenn etwa ihr Börsenkurs einer der Maßstäbe für die Zuteilung ist, können sich externe Ursachen verwirklichen, wie z.B. Zukunftserwartungen der Anleger im Hinblick auf die Stellung des Konzerns am Markt, die Beurteilung der Struktur der Synergieeffekte hebenden Gruppe, das Zutrauen in die Weitsicht und Führungskraft seiner Verwaltungsorgane oder vielleicht auch nur die Auswirkung einer allgemeinen Börsenhochstimmung. Wenn die abhängige Gesellschaft hieran nicht teilnimmt, etwa weil sie selbst gar nicht an der Börse notiert ist oder weil der Glanz der Obergesellschaft eher auf dem Erfolg anderer Konzerngesellschaften beruht, ihre eigene Lage aber vom Markt als schwächer beurteilt wird, dann kann es sich für die abhängige Gesellschaft als nachteilig erweisen, dass dem oben beschriebenen Zweck des § 87 AktG zuwider mit Rücksicht auf die Obergesellschaft ein zu hoher Teil ihres Vermögens an die Vorstände fließt. Darin kann – vor allem wenn es keine kompensierbaren Vorteile 38 gibt – ein Nachteil im Sinne des § 311 AktG liegen, der auszugleichen ist. Davon abgesehen, kann bei einer Orientierung der variablen Vergütung an der Lage der Obergesellschaft tatsächlich nicht ausgeschlossen werden, dass sich der dadurch potenziell angelegte Konflikt verwirklicht und der leistungspflichtigen Gesellschaft ein Nachteil entsteht, weil wegen des Fehlanreizes der Vergütungsregelung die betreffenden Vorstandsmitglieder der Prosperität der Obergesellschaft den Vorrang vor der Wahrung der Belange ihrer Gesellschaft geben, also etwa an die Obergesellschaft überhöhte Leistungsentgelte zahlen oder einen geringeren Preis in Rechnung stellen, als er von fremden Dritten gezahlt werden müsste. Dem ist – der II. Zivilsenat hat es, wie oben bemerkt, zuletzt in der Entscheidung VORSTANDSDOPPELMANDAT in Erinnerung gerufen 39 – zunächst auf der Ebene der Vorstandsmitglieder zu begegnen, die aus eigensüchtigen Motiven ihre Pflicht verletzt haben, allein im Sinne des Unternehmenswohls ihrer Gesellschaft zu handeln. Die Regressnahme wegen einer schadenstiftenden Pflichtverletzung ist – mag dies auch im Aktienrecht typischerweise nicht in Gestalt eines vor den

38 Vgl. Habersack, in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 311 Rn. 64. 39 BGHZ 180, 105.

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ordentlichen Gerichten geführten Rechtsstreits vollzogen werden – nichts Besonderes. Warum dieses Instrumentarium gerade bei durch Vergütungsfehlanreize ausgelösten Pflichtverletzungen im faktischen Konzern versagen sollte, ist nicht ersichtlich; im Gegenteil wird doch in der gegenwärtigen Finanzkrise allgemein danach gerufen, Bankmanager und -mitarbeiter, die wegen ihrer Aussicht auf extrem hohe Bonuszahlungen jede berufsübliche Vorsicht und Sorgfalt haben fahren lassen, für den angerichteten Schaden haftbar zu machen. Daneben gilt aber auch hier, dass die dadurch bei der abhängigen Gesellschaft entstandenen Nachteile nach § 311 AktG auszugleichen sind. § 311 AktG enthält, wie der II. Zivilsenat jüngst in dem MPS-Urteil 40 herausgestellt hat, kein Verbotsgesetz,41 sondern gestattet der herrschenden Gesellschaft eine Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft, die bei dieser zu einem Nachteil führt, sofern dieser Nachteil sofort oder bis zum Ende des Geschäftsjahres ausgeglichen wird oder der Gesellschaft bis dahin ein Rechtsanspruch auf künftigen Nachteilsausgleich eingeräumt wird; der Sache nach verneint damit der Gesetzgeber in diesen Fällen eines hinausgeschobenen effektiven Ausgleichs das Vorhandensein eines Nachteils und nimmt es hin, dass diese Kompensation u.U. nicht sofort stattfindet. Wollte man die in unserem Ausgangsfall getroffene Vergütungsregelung allein wegen ihrer – potentiellen 42 – Nachteiligkeit für unzulässig erachten, entfernte man sich für diesen Sonderfall von den allgemein anerkannten Haftungsregeln des faktischen Konzerns. Im Schrifttum wird deswegen von den Autoren, welche Vergütungssysteme der hier verwandten Art verwerfen, die Unanwendbarkeit des § 311 AktG – soweit nicht zu kurz greifend, weil die Grundentscheidung des Gesetzgebers zu §§ 311 ff. AktG der Sache nach ablehnend nur von mangelnder Funktionsfähigkeit oder der Schwächen des Ausgleichssystems 43 die Rede ist – damit begründet, dass sich die Nachteile in diesen Fallgestaltungen nicht quantifizieren lassen und deswegen nach allgemeiner Ansicht 44 wegen Versagens des Ausgleichssystems die nachteilige Maßnahme rechtswidrig ist, die genannte privilegierende Wirkung des § 311 AktG also ausscheiden muss. Dieser letztlich von dem Unbehagen, der Interessenkonflikt könne sich tatsächlich auf die Lage der Tochtergesellschaft auswirken, geleiteten Ansicht 40

BGHZ 179, 71 Tz. 11. Habersack ZGR 2009, 347, 358 – Besprechungsaufsatz zu MPS – spricht treffend von der „privilegierenden Wirkung“ des § 311 AktG. 42 Im Ausgangsfall hat sich das Berufungsgericht, wie ausgeführt, zu Unrecht mit der „Gefahr“ eines Nachteils begnügt und obendrein verfehlt auf die Unwahrscheinlichkeit der Durchsetzung des Ausgleichsanspruchs verwiesen, um einen Verstoß gegen § 87 AktG zu begründen. 43 Vgl. z.B. Spindler (Fn. 26) S. 1538; ders./Lönner WuB II A § 192 AktG 1.08. 44 Paradigmatisch Habersack (Fn. 38) § 311 Rn. 43, 64 m.w.N. 41

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kann – jedenfalls in ihrer Allgemeinheit – nicht gefolgt werden. Erforderlich ist auch hier vielmehr eine Betrachtung des Einzelfalls, die – wie auch sonst im Rahmen des § 311 AktG – durchaus zu der Beurteilung führen kann, der Schaden sei nicht quantifizierbar. Gerade der von der Gegenansicht angeführte Fall der obergesellschaftsorientierten Preisgestaltung – zu geringes Entgelt für die eigene bzw. zu hohes Entgelt für die Leistung der Obergesellschaft – ist jedoch ein klassischer 45 Fall, in dem es sich um ausgleichsfähige Nachteile handelt. Denn die für einen solchen Leistungsaustausch am Markt typischerweise gezahlten Entgelte lassen sich ohne weiteres feststellen, und im Ausgangsfall war das Tatsachengericht ohne Weiteres imstande festzustellen, dass die beklagte Aktiengesellschaft beim Einkauf des von ihr weiter veräußerten Stroms keine konzernbedingt überhöhten Preise gezahlt hat. Auch hinsichtlich des durch ein, wie im Ausgangsfall, vereinbartes Aktienoptionsprogramm in Gestalt der übermäßig hohen Minderung des Vermögens der Tochtergesellschaft eintretenden und nicht bereits kompensierten 46 Nachteils lässt sich nicht per se die fehlende Quantifizierbarkeit feststellen.47 Denn in aller Regel lässt sich das für die Obergesellschaft etablierte – das gilt auch für eine virtuelle Variante – Aktienoptionsprogramm auch auf die Tochtergesellschaft übertragen mit der Folge, dass anschließend ein Vergleich möglich wird und sich der der Tochter zugefügte Nachteil feststellen lässt. Erst wenn auch ein solcher Vergleich ausscheidet, wird man im Einzelfall zu dem Urteil kommen, dass die Vergütungsregelung nicht durchgeführt werden darf, sie also – da auch von § 311 AktG nicht gedeckt – einen Verstoß gegen die Anordnungen in § 87 Abs. 1 AktG a.F. darstellt.

IV. Zusammenfassung Die Ausrichtung der variablen Vergütung an der Lage der Obergesellschaft führt typischerweise zu einem Interessenkonflikt. Den durch ihn heraufbeschworenen Gefahren durch ein Verbot derartiger Gestaltungen begegnen zu wollen, ist – wie regelmäßig bei der Beherrschung von solchen Konflikten – unangebracht, es führt zu überschießenden und undifferenzierten Restriktionen. Sachgerechter ist es, vor dem Hintergrund des mit § 87 Abs. 1 AktG a.F. verfolgten Zwecks im Einzelfall zu entscheiden, ob eine solche Vergütungsvereinbarung hingenommen werden darf oder verworfen werden muss. Ist die Lage der Obergesellschaft schlechter als diejenige der Tochtergesellschaft, wird die Gefahr, dass sich die Vorstände der Tochtergesellschaft wegen des an der Lage der Muttergesellschaft orientierten Ver45 46 47

Vgl. Krieger (Fn. 28) § 69 Rn. 81 m.w.N. S. oben bei Fn. 38. Vgl. Krieger (Fn. 28) § 63 Rn. 39 m.w.N.

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gütungssystems „fehlsteuern“ lassen, schwerlich bestehen. Wenn dagegen die Lage der Obergesellschaft besser ist, kann es nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Vorstände der Tochtergesellschaft die ihnen ihrer Gesellschaft gegenüber bestehenden Pflichten aus eigensüchtigen Motiven verletzen. Auch dann ist eine „Brechstangenlösung“ in Gestalt eines präventiv wirkenden Verbots solcher Vereinbarungen nicht die richtige Reaktion. Es reicht vielmehr aus, dass die – etwa durch eine an den Interessen der Obergesellschaft orientierte Preisgestaltung – pflichtwidrig handelnden Organmitglieder in Regress genommen werden und dass im Einzelfall geprüft wird, ob das Ausgleichssystem der §§ 311 ff. AktG greifen kann. Nur wenn sich bei dieser einzelfallbezogenen Prüfung herausstellt, dass ein nicht kompensierter Nachteil verbleibt, der – etwa wegen fehlender Quantifizierbarkeit – nicht ausgleichsfähig ist, ist das vereinbarte Vergütungssystem rechtswidrig. Dass angesichts dieser gebotenen differenzierenden Betrachtung eine Vereinbarung, wie sie im Ausgangsfall getroffen worden ist, einen eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstoß darstellt und dem Aufsichtsrat deswegen die Entlastung verweigert werden muss, wird man nur in eng begrenzten Ausnahmefällen annehmen dürfen; der Ausgangsfall war entgegen der hieran geäußerten Kritik kein solcher Fall.

Krisenhaftungsansprüche und Verjährung Ulrich Haas

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verjährung der Haftung wegen Zahlung nach Eintritt der Insolvenzreife 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sinn und Zweck des Erstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Umfang des Erstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abwicklung des Erstattungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Verjährung der Haftung wegen Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick über den Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Grundsatz der Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . cc) Übertragung der vorstehenden Grundsätze auf den konkreten Fall (1) Gesetzeskonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aushöhlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vorrang kraft sonstiger Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verjährungsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Hemmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Befindet sich eine Gesellschaft in einer wirtschaftlichen Krise, so werden die allgemeinen Sorgfaltspflichten der Geschäftsleitung von „Beschränkthaftern“ (z.B. § 43 Abs. 1 GmbHG) durch besondere, haftungsbewehrte Krisenpflichten überlagert, nämlich insbesondere durch das Zahlungsverbot nach Eintritt der Insolvenzreife und durch das Verbot der Insolvenzverschleppung. Teilweise sind diese Pflichten rechtsformspezifisch in den einzelnen Gesellschaftsgesetzen, teilweise aber rechtsformübergreifend in der InsO geregelt. Nachfolgend soll untersucht werden, wie die unterschiedlichen an diesen Pflichten anknüpfenden Haftungsansprüche verjähren.

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II. Die Verjährung der Haftung wegen Zahlung nach Eintritt der Insolvenzreife 1. Überblick In der Krise trifft den GmbH-Geschäftsführer die Pflicht, nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung keine Zahlungen mehr aus dem Gesellschaftsvermögen zu leisten (§ 64 S. 1 GmbHG). Verstößt der Geschäftsführer hiergegen, hat er der Gesellschaft die Zahlung zu erstatten. Vergleichbare Haftungsansprüche finden sich auch für die kapitalistische Personengesellschaft in § 130a Abs. 2 HGB (und § 177a HGB), die AG in §§ 92 Abs. 2 S. 1, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG und für die Genossenschaft in §§ 34 Abs. 2 Nr. 4, 99 GenG. Keine vergleichbare Vorschrift kennt hingegen das Vereinsrecht. Ob und inwieweit die vorstehenden Vorschriften im Vereinsrecht analoge Anwendung finden, war bislang umstritten.1 Richtiger Ansicht nach wird man nach Inkrafttreten des MoMiG,2 das ja u.a. bezweckt hat, die Krisenhaftungsansprüche zumindest teilweise rechtsformübergreifend zu normieren, von einer abschließenden Regelung ausgehen können und damit eine zu schließende Gesetzeslücke für das Vereinsrecht ablehnen müssen.3 2. Verjährung Der Gesetzgeber hat mit dem Verweis in § 64 S. 4 GmbHG auf § 43 Abs. 4 GmbHG die Verjährungsfrist für den Erstattungsanspruch aus § 64 S. 1 GmbHG ausdrücklich geregelt. Danach verjährt der Anspruch in fünf Jahren. Eine entsprechende Verjährungsfrist sieht das Aktienrecht (§ 93 Abs. 6) und das GenG (§ 34 Abs. 6) vor. Auch der Erstattungsanspruch der kapitalistischen Personengesellschaft verjährt nach § 130a Abs. 2 S. 6 HGB in fünf Jahren. Fraglich ist allerdings, wann die Verjährungsfrist zu laufen beginnt. Da der Gesetzgeber insoweit keine ausdrückliche Regelung getroffen hat, richtet sich der Beginn der Verjährung nach § 200 BGB. Danach beginnt die Verjährung solcher Ansprüche, die nicht der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen und für die nichts anderes bestimmt ist, mit „der Entstehung des Anspruchs“. Damit ist zu klären, wann nun der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG (bzw. nach den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) in diesem Sinne entsteht.

1 Siehe zum Ganzen Haas, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 5, § 60 Rn. 41. 2 Für eine planwidrige Lücke vor Inkrafttreten des MoMiG, MünchKommBGB/Reuter, 5. Aufl. 2006, § 42 Rn. 17; Passarge ZInsO 2005, 176, 177 f.; aA aber OLG Nürnberg ZIP 2009, 757, 758; Koza DZWIR 2008, 98. 3 Haas, in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 5, 2009, § 60 Rn. 41.

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a) Überblick über den Meinungsstand In welchem Zeitpunkt der Erstattungsanspruch wegen Zahlung nach Insolvenzreife entsteht, ist umstritten. In der Literatur findet sich mitunter die Ansicht, dass der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG mit der „verbotswidrigen“ Zahlung entsteht.4 Anderer Ansicht nach setzt der Anspruch die Insolvenzeröffnung bzw. Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse voraus und kann daher erst in diesem Zeitpunkt entstehen.5 Folgt man dieser Ansicht, kann die Verjährung nicht vor diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen.6 Die Position der höchstrichterlichen Rspr. ist widersprüchlich. In einer aktuellen Entscheidung führt der BGH 7 zum Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs aus: „Der von dem Kl. geltend gemachte Anspruch aus § 130a III HGB verjährt gem. Abs. 3 S. 6 HGB a.F. (§ 130a II 6 HGB n.F.) binnen fünf Jahren nach seiner Entstehung gem. § 200 S. 1 BGB, also ab dem Zeitpunkt, in dem die die Masse schmälernde Zahlung geleistet oder die schmälernde Maßnahme ergriffen worden ist.“ Diese Ausführungen stehen aber im Widerspruch zu einer anderen Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2000 zu der dem § 130a Abs. 2 HGB entsprechenden Norm des § 64 S. 1 GmbHG. In dieser Entscheidung vertrat der BGH nämlich die Ansicht 8, dass: „der Erstattungsanspruch der GmbH aus § 64 II GmbHG [a.F.] grundsätzlich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraussetzt“, dass aber „zutreffend … im Schrifttum dem Fall der Konkurseröffnung derjenige ihrer Ablehnung mangels Masse gleichgestellt [wird].“ Wenn der Erstattungsanspruch aber grundsätzlich die Insolvenzeröffnung bzw. die Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse voraussetzt, wie kann er dann schon in dem früheren Zeitpunkt der „Zahlung“ und damit vor Entscheidung über den Eröffnungsantrag entstanden sein? b) Stellungnahme aa) Sinn und Zweck des Erstattungsanspruchs Der Ersatzanspruch nach § 64 S. 1 GmbHG (bzw. nach den anderen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) ist zwar der Gesellschaft zugewiesen, dient aber ganz h.M. zufolge nicht dem Schutz der Gesellschaftsinteressen, sondern dem Schutz der Gläubigergesamtheit.9 Einen Nachteil erleidet die Gläu4 Siehe Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rn. 33; Ulmer/ Casper, GmbHG, 2008, § 64 Rn. 99; in diesem Sinne auch LG Waldshut-Tiengen NJW-RR 1996, 105. 5 So Michalski/Nerlich, GmbHG 2002, § 64 Rn. 47; Fleck GmbHR 1974, 224, 230. 6 Widersprüchlich daher Michalski/Nerlich, GmbHG 2002, § 64 Rn. 53. 7 BGH NZG 2009, 582, 583. 8 BGH NZG 2000, 1222. 9 Siehe Ulmer/Casper, GmbHG, 2008, § 64 Rn. 4; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 5.

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bigergesamtheit aber nicht, solange die Gesellschaft noch werbend am Markt tätig ist; denn soweit dies der Fall ist, dient das Gesellschaftsvermögen ja nicht allein der Befriedigung der Gläubiger, sondern auch als Reservoir zur Erzielung weiterer Einkünfte zugunsten der Gesellschaft. Erst mit Insolvenzeröffnung ist das Gesellschaftsvermögen der Befriedigung der Gläubigergesamtheit ausschließlich vorbehalten (§ 1 InsO). In diesem Zeitpunkt erst lässt sich damit feststellen, ob durch die Weggabe von Vermögen im Vorfeld der Insolvenzeröffnung (oder Abweisung des Antrags mangels Masse) überhaupt ein Gläubigernachteil entstanden ist. Erholt sich nämlich die Gesellschaft wirtschaftlich und kommt es damit gar nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (bzw. zur Verfahrensabweisung mangels Masse), dann hat die Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen die Gläubigergesamtheit auch zu keinem Zeitpunkt benachteiligt. Dass der Sinn und Zweck des Erstattungsanspruchs die Insolvenzeröffnung (bzw. Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse) notwendig voraussetzt, hat der BGH in einer aktuellen Entscheidung zu § 92 Abs. 2 AktG n.F. kürzlich erst nochmals klargestellt. In der Entscheidung heißt es: 10 „Durch das Zahlungsverbot soll sichergestellt werden, dass das noch vorhandene Gesellschaftsvermögen zur gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erhalten bleibt (BGHZ 143, 184 [186] = NZG 2000, 370 = NJW 2000, 668). Dafür kommt es allein auf den Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife an. Auch wenn der Vorstand wegen laufender Sanierungsbemühungen innerhalb der längstens dreiwöchigen Frist des § 15a I 1 InsO (= § 92 II AktG a.F.) noch keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen muss, hat er doch das Gesellschaftsvermögen für den Fall zu sichern, dass die Sanierungsbemühungen fehlschlagen und das Vermögen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu verteilen ist.11“ bb) Der Umfang des Erstattungsanspruchs Nicht nur Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen dafür, dass der Erstattungsanspruch erst mit Insolvenzeröffnung (oder Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse) entsteht. Auch die Art und Weise, wie dieser berechnet wird, weisen in dieselbe Richtung. Die Berechnung orientiert sich nämlich am Ausmaß der Gläubigerbenachteiligung. Daher sind h.M. zufolge auch mit der Zahlung durch das Leitungsorgan im Zusammenhang stehende (Gegen-)Leistungen an die Gesellschaft zu berücksichtigen.12 Für die Frage aber, ob und inwieweit eine Gegenleistung an die Gesellschaft den Erstattungsanspruch mindert, stellt der BGH auf eine Zeitraum-, nicht aber eine 10

BGH NZG 2009, 550, 551. Hervorhebung durch den Verfasser. 12 BGH NJW 1974, 1088, 1089; NJW 2003, 2716 f.; siehe zum Ganzen Baumbach/ Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 70. 11

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Zeitpunktbetrachtung ab. So heißt es etwa in einer Entscheidung des BGH 13 vom 18.3.1974, dass die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (§ 64 S. 1 GmbHG n.F.) insoweit entfällt, als dieser den Nachweis führt, „dass ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort voll erhalten geblieben ist 14“. Diese Rspr. hat der BGH in einer späteren Entscheidung bestätigt. Danach kann dann, wenn „mit den von dem Geschäftsführer bewirkten Zahlungen ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort verblieben ist, … erwogen werden, eine Masseverkürzung … zu verneinen“.15 Mit der Formulierung stellt der BGH klar, dass für den Umfang des Erstattungsanspruchs nach § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (§ 64 S. 1 GmbHG n.F.) die weiteren Geschehnisse vom Zeitpunkt des Erhalts der (mit der Zahlung im Zusammenhang stehenden) Gegenleistung bis hin zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Würdigung einbezogen werden müssen. Steht aber die Höhe des Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Zahlung noch gar nicht fest, kann der Anspruch mit einer Leistungsklage zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geltend gemacht werden. Dies spricht aber gegen die Ansicht, dass der Anspruch bereits mit Zahlung entsteht. cc) Abwicklung des Erstattungsanspruchs Dass es auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung (bzw. Abweisung des Antrags mangels Masse) für den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung ankommt, zeigt sich auch mit Blick auf die Rechtsfolgen des Erstattungsanspruchs. So ist etwa nach h.M. das Leitungsorgan nach § 255 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung evtl. Insolvenzanfechtungsansprüche zur Erstattung der Zahlung verpflichtet.16 Insolvenzanfechtungsansprüche entstehen aber kraft Gesetzes in der Hand des Insolvenzverwalters, niemals aber in der Hand der Gesellschaft. Wenn aber Letztere insoweit keine Rechtszuständigkeit besitzt, dann können im Vorfeld der Insolvenzeröffnung diese Ansprüche auch nicht Zug um Zug an das Leitungsorgan abgetreten werden. Darüber hinaus sieht die h.M. im Rahmen der Abwicklung des Erstattungsanspruchs vor, dass in den Fällen, in denen das Leitungsorgan mit der Zahlung eine Gesellschaftsverbindlichkeit beglichen hat, die auf diese Forderung entfallende Insolvenzquote Berücksichtigung findet, um eine Bevorteilung der Masse zu verhindern. Nach h.M. soll dies dergestalt geschehen, dass das Leitungsorgan befugt sein soll, nach Erstattung der Leistung an die Masse einen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter geltend zu machen, der dem 13

BGH NJW 1974, 1088, 1089. Hervorhebung durch den Verfasser. 15 BGH DStR 2003, 1133, 1134. 16 OLG Oldenburg GmbHR 2004, 1014, 1015; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rn. 17; Goette ZInsO 2005, 1, 5; Müller ZIP 1996, 1153, 1154; Glöckner JZ 1997, 622, 625 f; Ulmer/Casper, GmbHG, 2008, § 64 Rn. 97. 14

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Rang und der Höhe nach dem Betrag entspricht, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte.17 Diese Art der Anspruchsabwicklung macht aber im Vorfeld der Insolvenzeröffnung keinen Sinn. All dies zeigt, dass der Anspruch nach § 130a Abs. 3 HGB a.F. (bzw. der entsprechende Anspruch nach dem GmbHG, AktG oder GenG) vor Insolvenzeröffnung überhaupt noch nicht geltend gemacht werden und damit auch noch nicht entstanden sein kann. c) Fazit Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass der Erstattungsanspruch wegen Zahlungen nach Insolvenzreife nicht bereits mit der Zahlung, sondern erst mit Insolvenzeröffnung oder Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse entsteht.18 Allenfalls ließe sich – analog dem Insolvenzanfechtungsanspruch (§ 143 InsO) – diskutieren, ob der Erstattungsanspruch zwar bereits mit Zahlung aber unter der aufschiebenden Bedingung der Insolvenzeröffnung (oder Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse) entsteht.19 All dies kann aber grundsätzlich nichts daran ändern, dass die Verjährungsfrist nach § 200 BGB nicht schon ab Zahlung, sondern erst ab Insolvenzeröffnung (oder Abweisung des Antrags mangels Masse) zu laufen beginnt.20 Etwas anderes würde allenfalls dann gelten, wenn der Gesetzgeber – vergleichbar dem § 548 Abs. 1 S. 2 BGB 21 – ausdrücklich vorgesehen hätte, dass die Verjährung des Anspruchs bereits vor dessen Entstehung beginnt. Dies ist aber vorliegend nicht der Fall. Fraglich ist u.U., ob der Ersatzanspruch erst nach Insolvenzeröffnung bzw. Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse verjährt. Hierfür könnte auf den ersten Blick sprechen, dass – überwiegender Ansicht nach 22 – der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG zu den Ersatzansprüchen des § 46 Nr. 8 17

BGHZ 146, 264, 278 f.; OLG Celle ZIP 2007, 2210, 2211; OLG Jena ZIP 2002, 986,

987. 18 So auch Michalski/Nerlich, GmbHG, 2002, § 64 Rn. 47; Fleck GmbHR 1974, 224, 230; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 12. 19 So für § 143 InsO, BGHZ 15, 333, 337 = NJW 1955, 259; Kübler/Prütting/Bork/ Jacoby, § 143 InsO Rn. 9; MünchKommInsO/Kirchhof, 2. Aufl. 2008, § 129 Rn. 186 und § 143 Rn. 9, für Entstehung erst mit Insolvenzeröffnung aber BGHZ 101, 286, 288; BGH ZIP 2004, 1653, 1654. 20 Auch ein aufschiebend bedingter Anspruch entsteht erst i.S. des § 200 BGB mit Eintritt der Bedingung, siehe BGH NJW 1987, 2743, 2745; MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 199 Rn. 6. 21 BGH NJW 2005, 739, 740. 22 Die Ansicht ist abzulehnen. Wenn nämlich die Ersatzansprüche aus der Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltung wegen ihrer Wichtigkeit für den Gläubigerschutz der Disposition der Gesellschafter entzogen sind (siehe Ulmer/Hüffer, GmbHG, 2006, § 46 Rn. 95; Michalski/Römermann, GmbHG, 2002, § 46 Rn. 425; Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 47 Rn. 62), muss dieses erst recht für den Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG gelten, der ja ausschließlich den Interessen der Gläubiger dient.

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GmbHG zählt, für deren materiellrechtliche Geltendmachung 23 ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist.24 Dieses grundsätzliche Beschlusserfordernis schiebt jedoch den „Entstehungszeitpunkt“ i.S.d. § 200 BGB nicht nach hinten hinaus. Zum einen findet die Vorschrift nämlich in der Insolvenz – ganz h.M. nach – keine Anwendung.25 Zum andern hat das Beschlusserfordernis aber auch für die Fälle der masselosen Insolvenz keinen Einfluss auf den Verjährungsbeginn. Zwar „entsteht“ ein Anspruch i.S.d. § 200 S. 1 BGB grundsätzlich erst dann, wenn er im Wege der Klage durchgesetzt bzw. die Befriedigung des Anspruchs verlangt werden kann.26 Hängt aber – wie im vorliegenden Fall – die Herbeiführung der materiellrechtlichen Durchsetzbarkeit allein von einer entsprechenden Willensbetätigung der Gesellschafter ab, so beginnt die Verjährung für diesen Anspruch sofort und nicht erst dann, wenn die Gesellschafter den entsprechenden Beschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG fassen.27

III. Die Verjährung der Haftung wegen Insolvenzverschleppung 1. Überblick Nach § 15a Abs. 1 InsO ist das Leitungsorgan einer juristischen Person 28 bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder aber der Überschuldung innerhalb einer Höchstfrist von drei Wochen verpflichtet, den Insolvenzantrag zu stellen. Die Vorschrift ist – h.M. nach – Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB mit der Folge, dass das Leitungsorgan im Falle einer verspäteten Antragstellung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO haftet.29 Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO trifft – im Grundsatz – alle Leitungsorgane, die der Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO unterliegen. Hierzu gehört die Geschäftsleitung der AG und der GmbH. Anwendung findet § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO aber auch auf die Genossenschaft. Allerdings gilt dies für eine Anknüpfung am Tatbestand der Überschuldung nur, wenn dieser bei der Genossenschaft auch tatsächlich 23 Zu der Bedeutung des Beschlusserfordernis, siehe BGH DStR 1999, 907, 908; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rn. 61; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rn. 222. 24 BGH NJW 1975, 977, 978; Ulmer/Hüffer, GmbHG, 2006, § 46 Rn. 94; Michalski/ Römermann, GmbHG, 2002, § 46 Rn. 424; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 46 Rn. 40. 25 BGH GmbHR 1992, 303 f.; NJW 1960, 1667; OLG Celle RIW 2000, 710, 711 f.; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rn. 223. 26 MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 200 Rn. 3 i.V.m. § 199 Rn. 4. 27 Siehe auch BGH DStR 1997, 1735, 1736. 28 Die Vorschrift gilt allerdings nicht für den eingetragenen nichtwirtschaftlichen Verein. 29 BGHZ 29, 100, 102 ff.; 138, 211, 214; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rn. 44; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 109.

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Insolvenzauslösegrund ist (vgl. § 98 GenG). Nach § 15a Abs. 1 S. 2 InsO ist zwar auch das Leitungsorgan der kapitalistischen OHG oder KG Adressat der (rechtsformübergreifend geregelten) Insolvenzantragspflicht. Für eine Verletzung derselben ordnet das Gesetz allerdings – anders als beispielsweise für die GmbH – in § 130a Abs. 2 S. 1 HGB (bzw. für die kapitalistische KG nach § 177a HGB) ausdrücklich eine Schadensersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft an. Für den Verein gilt § 15a Abs. 1 InsO nicht. Dies folgt aus der Gesetzesbegründung zum MoMiG sowie daraus, dass der Gesetzgeber die Insolvenzantragspflicht rechtsformspezifisch im § 42 Abs. 2 S. 1 BGB belassen hat.30 Dort heißt es, dass der Vorstand im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen hat. Verstößt der Vorstand hiergegen, bestimmt § 42 Abs. 2 S. 2 BGB, dass die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, dem Gläubiger „für den daraus entstandenen Schaden verantwortlich sind“. Die Bedeutung der Vorschrift ist allerdings nicht ganz klar. Teilweise wird in dieser Vorschrift unmittelbar eine Anspruchsgrundlage zugunsten der (Neu- und Alt-) Gläubiger gesehen.31 Anderer Ansicht nach soll sich hingegen die Haftung des Vorstandes aus § 823 Abs. 2 i.V.m. 42 Abs. 2 S. 1 BGB ergeben.32 Im Rahmen des deliktischen Anspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO differenziert die h.M. zwischen dem Schadensersatzanspruch zugunsten der vertraglichen Neugläubiger und demjenigen in der Hand der sonstigen Gläubiger bzw. der Altgläubiger.33 Zwar steht in beiden Fällen die Inhaberschaft des Anspruchs – h.M. nach – dem Gläubiger zu.34 Hinsichtlich des Schadensumfangs unterscheiden sich beide Ansprüche aber grundlegend. Während nämlich die Altgläubiger nur Anspruch auf Ersatz des Quotenschadens, also der Differenz tatsächlich erhaltener und bei rechtzeitiger Antragstellung erzielbarer Konkursdividende erhalten,35 kann der Neugläubiger Ersatz seines gesamten Vertrauensschadens verlangen.36 30

Siehe auch RegE, S. 127. Vgl. Bamberger/Roth/Schwarz/Schöpflin, BGB, 2. Aufl. 2007, § 42 Rn. 13; Staudinger/Weick, BGB, 2009, § 42 Rn. 13; Kreißig, Der Sportverein in Krise und Insolvenz, 2003, S. 112 f.; wohl auch OLG Köln, in Haas/Haug/Reschke (Hrsg.), Handbuch des Sportrechts, Teil D Dok.-Nr. 27 00 2; OLG Hamm OLG Report 2001, 265. 32 Vgl. MünchKomm/Reuter, BGB, 5. Aufl. 2006, § 42 Rn. 16; Uhlenbruck, in FS Merz, 1992, S. 583. 33 Vgl. BGHZ 126, 181, 192 ff.; 138, 211, 214 ff.; BGH ZIP 2005, 1734, 1737; ZIP 2007, 676, 678; Ulmer/Casper, GmbHG, 2008, § 64 Rn. 131 f.; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 127 f. 34 Kritisch für den Quotenschaden aber Haas ZIP 2009, 1257, 1260. 35 BGHZ 138, 211, 221; 29, 100, 102 ff.; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rn. 61 ff. 36 BGH GmbHR 1994, 539; NJW-RR 1995, 289 f.; ZIP 2007, 1060, 1063; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 92 Rn. 18. 31

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2. Verjährung Während Erstattungsansprüche wegen Zahlung nach Insolvenzreife bzw. Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit – obwohl sie rechtsformspezifisch ausgestaltet sind – eine einheitliche Verjährungsfrist von fünf Jahren kennen, ist die Rechtslage in Bezug auf den Haftungsanspruch wegen Insolvenzverschleppung weniger klar. Dies verwundert auf den ersten Blick, hat doch das MoMiG zumindest die Insolvenzantragspflicht – sieht man einmal von dem Vereinsrecht ab – rechtsformübergreifend geregelt. a) Überblick über den Meinungsstand Eindeutig ist die Rechtslage hinsichtlich der Verjährungsfrist nur mit Blick auf den in § 130a Abs. 2 HGB geregelten Anspruch wegen Insolvenzverschleppung. Dieser verjährt nach § 130a Abs. 2 S. 6 HGB in 5 Jahren. Eindeutig ist auch die Verjährungsfrist des Schadensersatzanspruchs aus § 42 Abs. 2 S. 2 BGB. Dieser unterliegt als quasi deliktischer Anspruch den Vorschriften in §§ 195, 199 Abs. 1 BGB.37 Unklar ist hingegen die Rechtslage, soweit der Ersatzanspruch auf das Deliktsrecht, d.h. auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO gestützt wird.38 Mitunter wird diesbezüglich die Ansicht vertreten, dass dieser Anspruch aufgrund seiner funktionalen Nähe mit dem Erstattungsanspruch wegen Zahlung nach Insolvenzreife ebenfalls in fünf Jahren verjährt.39 Anderer Ansicht nach sollen auf den Schadensersatzanspruch die allgemeinen Verjährungsvorschriften Anwendung finden.40 Teilweise wird auch danach differenziert, ob der Anspruch aus Insolvenzverschleppung mit anderen Deliktstatbeständen konkurriert (z.B. mit § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263, 265a, 266 StGB).41 Schließlich wird für die anwendbare Verjährungsfrist auch danach unterschieden, ob es im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO um den Ersatz eines Quoten- oder aber um den Ersatz eines darüber hinausgehenden Individualschadens geht.42

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Bamberger/Roth/Schwarz/Schöpflin, BGB, 2. Aufl. 2007, § 42 Rn. 10. Allg. hierzu K. Schmidt, in FS Georgiades, 2007, 689, 691 ff. Überblick über Streitstand auch bei OLG Saarbrücken GmbHR 2008, 1036, 1037. 39 Für die GmbH: OLG Saarbrücken NZG 2000, 559; OLG Köln NZG 2001, 411, 412; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rn. 77; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh zu § 64 Rn. 85; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl. 2009, § 15a Rn. 42; siehe auch Ulmer/Casper, GmbHG, 2008, § 64 Rn. 144. 40 OLG Saarbrücken GmbHR 2008, 1036, 1038; OLG Frankfurt Urt. 4.4.2007 – 19 U 230/06 BeckRs2007 10668. 41 OLG Stuttgart NZI 2000, 597 f. = DStR 2001, 410 (Haas). 42 So Haas DStR 2003, 423, 430. 38

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b) Stellungnahme aa) Der Grundsatz der Gleichwertigkeit Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob der deliktsrechtliche Haftungsanspruch eigenständig verjährt oder insoweit verjährungsrechtlich den gesellschaftlichen Vorschriften untersteht, ist der Grundsatz der Gleichwertigkeit beider Rechtsgebiete. Allein der Umstand also, dass ein deliktischer Schadensersatzanspruch einen Bezug zum Gesellschaftsrecht hat, z.B. ein unternehmerisches Verhalten eines Leitungsorgans sanktioniert, führt mithin nicht dazu, dass der deliktische Anspruch den gesellschaftsrechtlichen Verjährungsvorschriften unterliegt.43 Das war freilich nicht immer so. So hat etwa das Reichsgericht die Auffassung vertreten, dass ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied neben den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften gegenüber der Gesellschaft nur dann nach Deliktsrecht hafte, wenn die Handlung, falls sie von einer Person begangen worden wäre, die nicht Leitungsorgan der Genossenschaft ist, ebenfalls eine unerlaubte Handlung sein würde.44 Aus diesem Vorrang des Gesellschaftsrechts wurde mitunter im Schrifttum auch abgeleitet, dass die gesellschaftsrechtlichen Verjährungsvorschriften den allgemeinen vorgingen, wenn die in Frage stehende Handlung, falls sie nicht vom Leitungsorgan begangen würde, keine unerlaubte Handlung darstellt.45 Diese Ansicht gilt heute aber zu Recht als überwunden. Lässt sich daher eine Rechtsfolge sowohl auf eine gesellschaftsrechtlich und auf eine deliktische Haftungsnorm stützen, so gilt – grundsätzlich – das Prinzip der selbständigen Verjährung konkurrierender Ansprüche.46 bb) Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichwertigkeit Der vorstehende Grundsatz kennt freilich auch Ausnahmen.47 Eine Gleichwertigkeit der Anspruchsgrundlagen kann von vornherein dort nicht vorliegen, wo die gesellschaftsrechtliche Anspruchsgrundlage die deliktische verdrängt, wo also ein Fall der Gesetzeskonkurrenz vorliegt.48 Kommt der

43 BGH NJW 1987, 2008, 2010; BGHZ 116, 297, 300; K. Schmidt, in FS Georgiades, 2007, S. 689, 691; MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 195 Rn. 65; Erman/SchmidtRäntsch, BGB, 12. Aufl. 2008, § 195 Rn. 14; vgl. auch K. Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer, AktG, 2008, § 93 Rn. 63; Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rn. 231. 44 RGZ 87, 306, 309; JW 1938, 2019, 2020. 45 Vgl. Nachweise bei BGH NJW 1987, 208, 2010. 46 NJW 1987, 2008, 2010; vgl. in diesem Sinne auch Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2009, § 195 Rn. 42; MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 195 Rn. 65; Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 43 Rn. 58; Ulmer/Paefgen, GmbHG, 2006, § 43 Rn. 155. 47 Siehe hierzu K. Schmidt, in FS Geoergiades, 2007, S. 689, 700. 48 Siehe hierzu Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2009, § 195 Rn. 33.

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deliktische Haftungstatbestand damit schon tatbestandsmäßig nicht zur Anwendung, stellt sich die Frage nach der anwendbaren Verjährungsregel nicht.49 Von den Fällen der Gesetzeskonkurrenz zu unterscheiden sind die Konstellationen, in denen zwar Anspruchskonkurrenz besteht, dem einen Haftungstatbestand aber ein – verjährungsrechtlicher – Vorrang gegenüber dem anderen gebührt.50 Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Zwecke der verschiedenen Regelungsbereiche eine (verjährungsrechtlich gesonderte) Anwendung der jeweiligen Haftungsnormen nebeneinander nicht zulassen, weil es sich bei einer der beiden um eine Spezialnorm handelt.51 Ein solcher Fall liegt dem BGH zufolge etwa dann vor, wenn die Haftung nach einem besonderen Regelungsbereich typischerweise zugleich auch den Haftungstatbestand nach dem allgemeinen Regelungsbereich auslöst, sich der Anwendungsbereich der verschiedenen Haftungsnormen also weitgehend überschneidet. In einem solchen Fall droht nämlich die gesetzliche Spezialregelung ausgehöhlt und vereitelt zu werden.52 Daher wird für diese Fälle der spezialgesetzlichen Bestimmung – ausnahmsweise – verjährungsrechtliche Ausstrahlungswirkung zugebilligt. Letzteres nimmt der BGH beispielsweise für das Verhältnis des Haftungsanspruchs aus Geschäftsführervertrag zu dem gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestand in § 43 Abs. 2 GmbHG an. Die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG nehme – so der BGH – als Spezialregelung die vertragliche Haftungsgrundlage in sich auf mit der Folge, dass der Haftungsanspruch wegen Verletzung der Pflichten aus dem Anstellungsvertrag ebenso wie § 43 Abs. 2 GmbHG der Verjährung nach § 43 Abs. 4 GmbHG unterliege.53 Ob es auch jenseits dieser „Aushöhlungsproblematik“ Fälle gibt, in denen der einen Haftungsnorm – wertungsmäßig – der verjährungsrechtliche Vorrang gebührt, ist fraglich. Mitunter wird ein Vorrang des gesellschaftsrechtlichen Haftungstatbestands etwa dann für möglich gehalten, wenn dieser – wie etwa im Fall des § 85 GmbHG – überhaupt nur durch das Leitungsorgan begangen werden kann.54 Teilweise wird ein evtl. gesellschaftsrechtlicher Vorrang aber auch deutlich enger gefasst. Nach Grothe etwa werden die §§ 195, 199 BGB nur insoweit von den §§ 43 Abs. 4 GmbHG, 93 Abs. 6 49

Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2009, § 195 Rn. 36. BGH NJW 1987, 2008, 2010. 51 BGH NJW 1987, 2008, 2010. 52 Georgiades, Die Anspruchskonkurrenz im Zivilrecht und Zivilprozessrecht, 1968, S. 184; Prütting/Wegen/Weinreich/Kesseler, BGB, 4. Aufl. 2009, § 195 Rn. 11; siehe auch Erman/Schmidt-Räntsch, BGB, 12. Aufl. 2008, § 195 Rn. 15; MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 195 Rn. 47 ff.; Bamberger/Roth/Heinrich, BGB, 2. Aufl. 2007, § 195 Rn. 11; aus der Rspr. etwa BAG NZA 2001, 94, 95; BGHZ 116, 293, 294 f. = NJW 1992, 1821. 53 BGH NJW-RR 1989, 1255, 1256. 54 BGH NJW 1987, 2008, 2010. 50

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AktG, 45 Abs. 6 GenG verdrängt, als eine unerlaubte Handlung ausschließlich unter der Voraussetzung vorliegt, dass man in dieser Haftungsgrundlage selbst ein Schutzgesetz erblickt. Beeinträchtigt hingegen das Verhalten des Organs – so Grothe – ein in § 823 Abs. 1 BGB genanntes Rechtsgut, verstößt es gegen § 826 BGB oder gegen eine andere als Schutzgesetz in Betracht kommende Norm, insbesondere einen entsprechenden Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand, so gilt für den Anspruch aus unerlaubter Handlung die regelmäßige Verjährung.55 Ähnlich wie Grothe will auch Karsten Schmidt für die Frage nach der verjährungsrechtlichen Ausstrahlungswirkung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften nach dem Schutzzweck der Norm differenzieren.56 cc) Übertragung der vorstehenden Grundsätze auf den konkreten Fall (1) Gesetzeskonkurrenz Die Frage der Gesetzeskonkurrenz stellt sich insbesondere im Personengesellschaftsrecht; denn hier ist die Haftung wegen Insolvenzverschleppung ja gesetzlich ausdrücklich geregelt. Folglich ist zu klären, ob und inwieweit neben dieser gesetzlichen Regelung überhaupt Raum für einen Rückgriff auf eine hiermit konkurrierende deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO ist. Nach ständiger Rspr. ist ein deliktischer Schutz nach § 823 Abs. 2 BGB dort abzulehnen, wo die Belange der Geschädigten bereits auf andere Weise hinreichend abgesichert sind.57 Die Liquidation des Gläubigerschadens über das Gesellschaftsvermögen – wie sie in § 130a Abs. 2 S. 1 HGB vorgesehen ist – macht offensichtlich nur dort Sinn, wo es um Schadloshaltung solcher Gläubiger geht, die infolge der Insolvenzverschleppung in gleicher Weise betroffen sind, d.h. die einen Quotenschaden erlitten haben. Von vornherein keinen angemessenen Schutz durch § 130a Abs. 2 S. 1 HGB erfahren daher die vertraglichen Neugläubiger; denn deren infolge der Insolvenzverschleppung erlittener Vertrauensschaden geht in aller Regel über den Quotenschaden hinaus. Zu ihrem Schutz bedarf es daher einer (ergänzenden) Haftung der Leitungsorgane nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO.58 Ihre Interessen werden also m.a.W. durch § 130a Abs. 2 S. 1 HGB nicht hinreichend geschützt. 55

MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 195 Rn. 65. K. Schmidt, in FS Georgiades, 2007, S. 689, 698. 57 BGHZ 84, 312, 316; 110, 342, 360; 125, 366, 376 f. 58 Gottwald/Haas/Vogel, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl. 2010, § 94 Rn. 31; Röhricht/Westphalen/von Gerkan/Haas, HGB, 4. Aufl. 2010, § 130a Rn. 28; im Ergebnis auch Staub/Habersack, HGB, 2004, § 130a Rn. 35 ff.; aA aber Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/ Hillmann, HGB, 2. Aufl. 2008, § 130a Rn. 32; MünchKommHGB/K. Schmidt, 2006, § 130a Rn. 43: auch Altgläubiger haben Schadensersatzanspruch. 56

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Fraglich ist demgegenüber, ob auch zugunsten der Altgläubiger, die infolge der Insolvenzverschleppung lediglich einen Quotenschaden erleiden, § 130a Abs. 2 S. 1 HGB einer Ergänzung durch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO bedarf. Letzteres wäre nur dann zu bejahen, wenn die Interessen der Altgläubiger nicht bereits hinreichend durch § 130a Abs. 2 S. 1 HGB gesichert wären. Für den Fall, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird, geht von einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO im Vergleich zu der nach § 130a Abs. 2 S. 1 HGB kein „Mehr“ an Schutz für die Altgläubiger aus. An der Geltendmachung des den (Alt-)Gläubigern zustehenden deliktischen Haftungsanspruchs sind die einzelnen Gläubiger, nämlich gemäß § 92 InsO gehindert; denn Ansprüche der Gläubiger auf Ersatz ihrer jeweiligen Quotenschäden werden infolge dieser Vorschrift „kollektiviert“ und für die Dauer des Insolvenzverfahrens allein von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht.59 Ob im eröffneten Verfahren dem Gläubiger formal ein selbständiger Anspruch auf Erstattung des Quotenschadens zusteht, ist daher aus der Sicht der Gläubiger bedeutungslos. Anders könnte die Rechtslage aber dann sein, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse nicht eröffnet wird; denn für diesen Fall greift die Sperre des § 92 InsO nicht.60 Die Binnenhaftung nach § 130a Abs. 2 HGB weist dann zu Lasten der Altgläubiger den Nachteil auf, dass – sieht man einmal von dem grundsätzlich unwilligen Liquidator ab – niemand vorhanden ist, um den (nach dieser Vorschrift zu ersetzenden) Gesamtgläubigerschaden in ihrem Interesse geltend zu machen. Das (ergänzende) Außenhaftungskonzept über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO hätte hier daher den Vorteil, dass sich die Rechtsverfolgung für den individuellen Gläubiger „einfacher“ gestaltet. Diese müssten nämlich nicht in evtl. Binnenhaftungsansprüche der Gesellschaft vollstrecken und sich diese zur Einziehung überweisen lassen.61 Vielmehr könnten sie selbst und unmittelbar aus eigenem Recht gegen das Leitungsorgan aufgrund der Insolvenzverschleppung vorgehen. Als weiterer Vorteil der Außenhaftung im Fall der masselosen Insolvenz wird schließlich geltend gemacht, dass hiervon ein Beitrag zur Gläubigergleichbehandlung ausgeht; denn der Außenhaftungsanspruch steht dem Gläubiger immer nur anteilig, d.h. in Höhe des von ihm erlittenen Quotenschadens zu.62

59 BGH ZIP 2007, 676, 678; BGHZ 138, 211, 216 f.; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2002, § 64 Rn. 49, 85; Haas DStR 2003, 423, 431. 60 K. Schmidt ZGR 1996, 209, 223; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 25. 61 Siehe Habersack/Verse ZHR 2004, 174, 212. 62 Habersack/Verse ZHR 2004, 174, 212.

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Diese vorgenannten (angeblichen) „Vorteile“ eines Außenhaftungskonzepts sind allerdings (erheblich) zu relativieren. Der einzelne (Alt-)Gläubiger mag zwar nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO im Fall der Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse Inhaber eines Anspruchs auf Ersatz des Quotenschadens sein. Er kann aber hiermit wenig anfangen, da er nie in der Lage sein wird, diesen zu berechnen. Er müsste nämlich darlegen und notfalls beweisen, was für eine Quote er auf seine Forderung im Fall eines rechtzeitig durchgeführten (also hypothetischen) Insolvenzverfahrens erhalten hätte. Dies ist aber völlig illusorisch. Es kann daher nicht verwundern, dass bislang aus der Praxis kein einziger Fall bekannt ist, in dem ein (Alt-)Gläubiger seinen Quotenschaden (erfolgreich) geltend gemacht hätte. Eine Außenhaftung bringt damit letztlich für den einzelnen Altgläubiger keine Erleichterungen bei der Rechtsdurchsetzung. Selbst wenn man in der Rechtsdurchsetzung im Falle der masselosen Insolvenz eine Gläubigerschutzlücke erblicken wollte, so wird diese jedenfalls durch einen Rückgriff auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO nicht geschlossen. Auch der Hinweis auf eine von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO ausgehende Gleichbehandlung der Gläubiger ist wenig überzeugend; denn dieser insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsatz findet – wie ja auch ein Blick auf die Pfändung des Anspruchs aus § 64 S. 1 GmbHG für den Fall der masselosen Insolvenz zeigt – 63 ausschließlich innerhalb, nicht aber außerhalb des Insolvenzverfahrens Anwendung.64 Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO in der kapitalistischen Personengesellschaft richtiger Ansicht nach nur zum Schutz der vertraglichen Neugläubiger greift. Die Interessen der übrigen Gläubiger werden hingegen bereits hinreichend durch § 130a Abs. 2 HGB geschützt, so dass für diese Gläubiger die Vorschrift in § 130a Abs. 2 HGB keiner deliktischen Abrundung bedarf. Für letztere Fallgestaltung stellt sich damit die Frage der Verjährung der deliktischen Haftung schon aufgrund Gesetzeskonkurrenz nicht. (2) „Aushöhlungsverbot“ Der Ersatz des Quotenschadens zugunsten der so genannten Altgläubiger nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO spielt – wie oben bereits dargelegt – in der Praxis nur in den Fällen eine Rolle, in denen das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wurde. In einem solchen

63

Siehe BGH NZI 2001, 87 f.; Altmeppen ZIP 2001, 2201, 2210; Pape ZInsO 2001, 397, 403; Haas NZG 2004, 737, 745. 64 Vgl. BGH NJW 1970, 468, 470; RGZ 149, 293, 298 f.; siehe im Übrigen Noack, InsO GesR, 1999, Rn. 273; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl. 2009, § 11 Rn. 113; aA Scholz/ K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 60 Rn. 28; ders. KTS 1988, 16 ff.

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Fall wird aber – h.M. zufolge 65 – der Ersatz des Quotenschadens für die Dauer des Insolvenzverfahrens nicht durch den einzelnen Gläubiger, sondern nach § 92 InsO über die Insolvenzmasse liquidiert. Insoweit besteht – grundsätzlich – zur Liquidation des Erstattungsanspruchs wegen verbotswidriger Zahlung nach Insolvenzreife kein Unterschied. Auch letztere Ansprüche kann nicht der einzelne Gläubiger, sondern nur der Insolvenzverwalter geltend machen. Zwischen dem vom Insolvenzverwalter nach § 92 InsO geltend gemachten Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO auf Ersatz des Gesamtgläubigerschadens und dem Ersatzanspruch nach § 64 S. 1 GmbHG (bzw. den vergleichbaren Vorschriften) gibt es einen weiten Überschneidungsbereich. Eine Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen nach Insolvenzreife wird nämlich grundsätzlich zu einer Schmälerung der Insolvenzquote führen; denn aufgrund der Zahlung wird in aller Regel weniger verteilungsfähige Masse für die Gläubigergesamtheit zur Verfügung stehen. Ebenso wie der Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO ist auch der Erstattungsanspruch aus § 64 S. 1 GmbHG (oder aus den vergleichbaren gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) an der konkreten Gläubigerbenachteiligung ausgerichtet.66 Die Liquidation des Erstattungsanspruchs nach § 64 S. 1 GmbHG kennt nämlich vielerlei Anknüpfungspunkte um eine Bevorteilung der Masse zu verhindern. Das gilt etwa im Hinblick auf die Verrechnung mit Gegenleistungen Dritter,67 „Anrechnung“ von Ansprüchen gegen Dritte 68 oder der Insolvenzquote 69 oder die Zusammenfassung rechtlich selbständiger Zahlungsvorgänge unter dem Blickwinkel der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“.70 Löst aber ein Anspruch nach § 64 S. 1 GmbHG (oder nach den vergleichbaren gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) stets auch einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO aus, so liegt es nahe, die Verjährungsregelung des § 64 S. 4 GmbHG auf den Anspruch auf Ersatz des Quotenschadens entsprechend zu übertragen. Anderenfalls würde nämlich die Wertung des § 64 S. 4 GmbHG (bzw. der vergleichbaren gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) unterlaufen. Soweit mit dem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO nicht der Ersatz eines Quoten-, sondern eines Individualschadens begehrt wird, besteht die Gefahr eines „Leerlaufens“ der gesellschaftsrechtlichen

65

Siehe aber auch Haas ZIP 2009, 1257. Kritisch insoweit K. Schmidt ZIP 2005, 2177, 2183; K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rn. 11.35. 67 Siehe hierzu BGH WM 1986, 237, 238; OLG Hamburg ZIP 2005, 1968, 1971; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 70. 68 Siehe oben II.2.b) cc). 69 Siehe hierzu Haas, in FS Fischer, 2008, S. 209, 210 ff. 70 Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 68 ff. 66

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Verjährungsvorschrift nicht; denn beide Ansprüche laufen nicht parallel, sondern haben einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Insbesondere löst ein Haftungsanspruch gegen das Leitungsorgan – etwa nach § 64 S. 1 GmbHG – nicht automatisch auch einen Ersatzanspruch zugunsten des vertraglichen Neugläubigers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO aus. Eine Ausstrahlung der verjährungsrechtlichen Vorschriften des Gesellschaftsrechts auf das Deliktsrecht ist daher aus diesem Wertungsgesichtspunkt nicht angezeigt. (3) Vorrang kraft sonstiger Wertungen Für eine Fernwirkung der gesellschaftsrechtlichen Verjährungsvorschrift auf den deliktischen Anspruch auf Ersatz des Quotenschadens nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO sprechen auch noch weitere Gesichtspunkte. So würde nämlich die Anwendung der deliktsrechtlichen Verjährungsvorschrift auf diesen Fall zu Wertungswidersprüchen mit dem Personengesellschaftsrecht führen; denn insoweit hat der Gesetzgeber ja den Ersatz des Gesamtgläubigerschadens nach § 130a Abs. 2 S. 1 HGB ausdrücklich der fünfjährigen Verjährung unterstellt. Bei Anwendung der allgemeinen Verjährungsregeln bestünde damit die Gefahr, dass der Anspruch auf Ersatz des Gesamtgläubigerschadens im Personengesellschaftsrecht anderen Verjährungsvorschriften unterliegt als im GmbH-Recht oder im Aktienrecht, und zwar obwohl es stets um die Verletzung ein und derselben rechtsformübergreifenden Insolvenzantragspflicht geht. Dieser Widerspruch lässt sich nicht mit dem Hinweis ausräumen, dass nun mal die Haftung im Zusammenhang mit dem Quotenschaden im Personengesellschaftsrecht und nach Deliktsrecht unterschiedlich ausgestaltet ist. Zwar trifft es zu, dass im Personengesellschaftsrecht der Anspruch der Gesellschaft und auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO – h.M. zufolge – dem einzelnen Gläubiger zugewiesen ist. In der Praxis wirkt sich aber diese formal unterschiedliche Gläubigerstellung nicht aus; denn der den Gläubigern kraft Deliktsrecht zustehende Anspruch wird ja für die Dauer des Insolvenzverfahrens nach § 92 InsO – ebenso wie der Anspruch nach § 130a Abs. 2 S. 1 HGB – von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht. In der Hand des Insolvenzverwalters mutiert dann aber der Anspruch des einzelnen Gläubigers auf Ersatz seines Quotenschadens zu einem Ersatzanspruch gegen das Leitungsorgan auf Ersatz des (Gesamt-)Gläubigerschadens. Der einzelne Gläubiger verliert im Gegenzug für die Dauer des Insolvenzverfahrens die Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis für seinen Schadensersatzanspruch.71 Aufgrund dieser mit § 92 InsO einhergehenden 71 Vgl. K. Schmidt ZGR 1996, 209, 211 f.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh zu § 64 Rn. 78.

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Sperrwirkung verliert der Gläubiger mit Insolvenzeröffnung auch die Empfangszuständigkeit für die Leistung. Folglich kann das Leitungsorgan nach Insolvenzeröffnung grundsätzlich auch nicht mehr haftungsbefreiend an die Gläubiger leisten.72 Letztere können auch nicht gegenüber dem Leitungsorgan aufrechnen.73 Darüber hinaus wird – für die Dauer des Insolvenzverfahrens – so getan, als ob die Ansprüche der Altgläubiger auf Ersatz ihres Quotenschadens der Masse zustünden. So erfolgt beispielsweise die Berücksichtigung der nach § 92 InsO „kollektivierten“ Haftungsansprüche bei der Massekostendeckungsprüfung nach § 26 InsO.74 Des Weiteren kann – richtiger Ansicht nach – der Insolvenzverwalter auch über den Anspruch (in den Grenzen des Insolvenzzwecks) 75 verfügen bzw. sich hierüber vergleichen.76 Zudem bleibt der Insolvenzverwalter befugt, die Haftungsansprüche auch bei Masseunzulänglichkeit weiterhin geltend zu machen. Letzteres gilt selbst dann, wenn die Geltendmachung des Anspruchs allein den Massegläubigern zugute kommen würde.77 Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass – auf der Grundlage des herrschenden Haftungsmodells – von der angeblichen Rechtsinhaberschaft des Gläubigers für die Dauer des Insolvenzverfahrens nichts übrig bleibt. Die auf der Grundlage des herrschenden Haftungsmodells behauptete Rechtsinhaberschaft der einzelnen Gläubiger gleicht damit einer inhaltsleeren begriffsjuristischen Hülle. Diese kann aber kaum als Rechtfertigung dafür herhalten, die Verjährung des Anspruchs nach § 130a Abs. 2 S. 1 HGB anders auszugestalten als die Haftung auf Ersatz des Quotenschadens nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO. Anders ist die Rechtslage auch hier in Bezug auf den aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO abzuleitenden Individualanspruch des vertraglichen Neugläubigers. Eine wertungsmäßige Nähe dieses Anspruchs etwa zu § 64 S. 1 GmbHG (bzw. den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) besteht nicht. So werden die vertraglichen Neugläubiger etwa an der 72

BerlinerKommInsO/Blersch/v. Olshausen, Stand: Mai 2009, § 92 Rn. 7. HeidelbergerKommInsO/Kayser, 5. Aufl. 2008, § 92 Rn. 30. 74 LG Frankfurt ZInsO 2006, 107, 109; Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO, 2002, S. 60; Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl. 2010, § 92 Rn. 228. 75 Siehe hierzu Uhlenbruck/Maus, InsO, 13. Aufl. 2009, § 80 Rn. 150 ff.; Jaeger/Gerhardt, InsO, 2006, § 60 Rn. 38; MünchKommInsO/Ott/Vuia, 2. Aufl. 2008, § 80 Rn. 62 f. 76 Für § 93 InsO siehe ausdrücklich idS BAG ZIP 2008, 846, 848 f.; LAG Berlin EWiR 2007, 725 (Runkel/Schmidt); im Übrigen vgl. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh zu § 64 Rn. 78; K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rn. 7.112; Krüger NZI 2002, 367, 369 f.; Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl. 2010, § 92 Rn. 521; Oepen, Massefremde Masse, 1998, Rn. 177; vgl. auch BerlinerKommInsO/Blersch/v. Olshausen, Stand: Mai 2009, § 92 InsO Rn. 7; Brinkmann, Die Bedeutung der §§ 92, 93 InsO, 2002, S. 64 ff.; aA Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl. 2009, § 92 InsO Rn. 21; MünchKommInsO/Brandes, 2. Aufl. 2008, § 92 Rn. 14. 77 Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl. 2010, § 92 Rn. 547 ff. 73

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Geltendmachung ihres Individualschadens auch während des laufenden Insolvenzverfahrens nicht durch § 92 InsO gehindert. Auch wird man aus der nunmehr im Insolvenzrecht geregelten Insolvenzantragspflicht nicht mehr ohne Weiteres auf einen Vorrang gerade der gesellschaftsrechtlichen Verjährungsvorschriften schließen können. Dies gilt gerade auch deshalb, weil der Anspruch des Neugläubigers vielfach mit einem solchen aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB konkurrieren wird. Dieser Anspruch auf Schadensersatz wegen Informationspflichtverletzungen verjährt aber unstreitig nach § 195 BGB.78 Im Hinblick auf die Nähe zu den sonstigen deliktischen Ansprüchen wegen Informationspflichtverletzungen fällt es aber schwer, den Schadensersatzanspruch des vertraglichen Neugläubigers eindeutig und vorrangig dem „gesellschaftsrechtlichen Lager“ zuzuordnen.79 Für die Anwendung der allgemeinen und nicht der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zur Verjährung sprechen darüber hinaus auch Gläubigerschutzgesichtspunkte. Die von der Kenntnis der Anspruchsentstehung unabhängige Verjährung ist sicherlich angezeigt, um im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihrem Leitungsorgan schnell klare Verhältnisse zu schaffen; denn – über die allgemeinen Schwierigkeiten hinausgehende – Probleme im Rahmen der Anspruchsdurchsetzung gibt es in diesem Verhältnis in aller Regel nicht.80 Anders ist die Ausgangslage aber im Verhältnis zwischen dem Leitungsorgan und außenstehenden (Vertrags-)Gläubigern. Ob beispielsweise ein Gläubiger Neu- oder Altgläubiger ist, ist nämlich mitunter nur unter großen Schwierigkeiten festzustellen. Für den Neugläubiger kann daher das Abstellen auf die allgemeinen Verjährungsvorschriften (sehr viel) günstiger sein als die Anwendung des § 64 S. 4 GmbHG.81 Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Gläubiger die erforderliche Kenntnis später als zwei Jahre nach der Anspruchsentstehung erlangt. Die besseren Gründe sprechen mithin dafür, der Verjährungsvorschrift in § 64 S. 4 GmbHG keinen wertungsrechtlichen Vorrang gegenüber dem Schadensersatzanspruch des vertraglichen Neugläubigers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO einzuräumen. dd) Fazit Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass sich die Frage, innerhalb welcher Frist der deliktische Schadensersatzanspruch wegen Insolvenzverschleppung verjährt, nur dann stellt, wenn der deliktische Anspruch nicht

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Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2009, § 195 Rn. 12. So im Ansatz auch Ulmer/Paefgen, GmbHG, 2006, § 43 Rn. 155. 80 Siehe zu diesem Gesichtspunkt OLG Saarbrücken GmbHR 2008, 1036, 1038. 81 Siehe K. Schmidt, in: FS Georgiades, 2007, S. 789, 707; siehe zu diesem Gesichtspunkt auch OLG Saarbrücken GmbHR 2008, 1036, 1038. 79

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kraft Gesetzeskonkurrenz verdrängt wird. Soweit dies nicht der Fall ist, muss zwischen dem (deliktischen) Schadensersatzanspruch zugunsten der vertraglichen Neu- und der übrigen Gläubiger unterschieden werden.82 Ersterer unterliegt den allgemeinen Verjährungsvorschriften. Der Anspruch der übrigen Gläubiger auf Ersatz ihres Quotenschadens unterliegt hingegen der fünfjährigen Verjährungsfrist. c) Verjährungsbeginn

Folgt man der hier vertretenen Ansicht zu den Verjährungsfristen, dann beginnt die Verjährung des deliktischen Anspruchs auf Ersatz des Quotenschadens nach § 200 S. 1 BGB mit Anspruchsentstehung. Der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung ist freilich auch für § 199 Abs. 1 BGB von Bedeutung; denn danach beginnt die Verjährung nicht vor Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1). Fraglich ist nun, wann der Anspruch wegen Insolvenzverschleppung entsteht. Mitunter wird die Ansicht geäußert, dass der Anspruch in dem Zeitpunkt entsteht, in dem der Antrag versäumt wird, dass aber – weil es sich bei der Insolvenzverschleppung um ein Dauerdelikt handele – die Verjährung erst mit Beendigung der schuldhaften Insolvenzverschleppung also im Zeitpunkt der verspäteten Antragstellung beginne.83 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Anspruch entsteht – ebenso wie im Fall des § 64 S. 1 GmbHG (bzw. den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) – erst mit Insolvenzeröffnung bzw. Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse. Erst in diesem Zeitpunkt steht nämlich fest, ob der Gläubiger einen Quotenschaden oder aber aufgrund der Kreditgewährung einen Individualschaden erlitten hat. Vor Entstehung des Anspruchs kann aber – da sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt – die Verjährung des Schadensersatzanspruchs nicht zu laufen beginnen. Soweit § 199 Abs. 1 BGB zur Anwendung gelangt (nämlich auf den Anspruch auf Ersatz des Individualschadens), kommt es für den Lauf der Frist neben der Entstehung des Anspruchs auch darauf an, ob der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Im Hinblick auf dieses subjektive Erfordernis stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Gläubiger einer Informations- und Aufklärungspflicht unterliegt. Die Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit erlangt, wer in zumutbarer Weise und ohne nennenswerte Mühe und Kosten sich die erforderlichen Informa-

82 Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl. 2010, § 92 Rn. 121; Baumbach/ Hueck/Haas, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rn. 92; ders. DStR 2003, 423, 430; aA Ulmer/Casper, GmbHG, 2006, Rn. 144. 83 So Ulmer/Casper, GmbHG, 2006, § 64 Rn. 144; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2010, Anh zu § 64 Rn. 77.

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tionen beschaffen kann.84 Einigkeit besteht aber insoweit, als ein Geschädigter nicht die Pflicht hat, im Interesse des Schädigers auf einen möglichst frühzeitigen Fristbeginn hinzuwirken, indem er entsprechende Initiativen zur Unterrichtung über den Schadenshergang entfaltet.85 Auf den vorliegenden Fall übertragen folgt hieraus, dass der Gläubiger nicht verpflichtet ist, die vorhandenen Informationsquellen (Einsicht in die Insolvenzakten bzw. Bücher und Geschäftsunterlagen der Gesellschaft) 86 sofort und zeitnah zu nutzen. In diesem Sinne hat jedenfalls das OLG Saarbrücken entschieden und insoweit zu Recht ausgeführt: 87 „Eine weitergehende, umfassende und frühzeitigere Auswertung des Inhalts der Insolvenzakte ist einem geschädigten Gläubiger nicht zumutbar. Zumindest stellt sich das Unterlassen einer solchen Prüfung in einem frühen Stadium des Insolvenzverfahrens nicht als missbräuchlich dar, zumal die abschließende Beurteilung der maßgeblichen Fragen neben wirtschaftlichen auch juristische Spezialkenntnisse erfordert, die dem Gläubiger in aller Regel allein durch Beiziehung eines Rechtsanwalts vermittelt werden können.“ d) Hemmung Geht man mit der h.M. davon aus, dass Inhaber des deliktischen Anspruchs auf Ersatz des Quotenschadens der einzelne Gläubiger ist und die Geltendmachung dieses Anspruchs während des Insolvenzverfahrens nur durch den Insolvenzverwalter wahrgenommen wird, stellt sich die Frage, wie sich diese Durchsetzungssperre zu Lasten des einzelnen Gläubigers verjährungsrechtlich auswirkt. Richtiger Ansicht nach wirkt sich die Durchsetzungssperre nicht aus, da es verjährungsrechtlich gesehen allein auf die Person des Insolvenzverwalters und nicht auf die des Altgläubigers ankommt. In eben diesem Sinne hat der BGH auch für andere „Quotenersatzansprüche“ entschieden, die während des Insolvenzverfahrens nur von dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden können.88

84 BGH NJW 1996, 2933, 2934; OLG Saarbrücken GmbHR 2008, 1036, 1038; siehe auch Bamberger/Roth/Henrich/Spindler, BGB, 2. Aufl. 2007, § 199 Rn. 18; MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 199 Rn. 28. 85 BGH NJW 1996, 2933, 2934; NJW 1994, 3092, 3093; OLG Saarbrücken GmbHR 2008, 1036, 1038; MünchKommBGB/Grothe, 5. Aufl. 2006, § 199 Rn. 28; Bamberger/Roth/ Henrich/Spindler, BGB, 2. Aufl. 2007, § 199 Rn. 19. 86 Siehe zu alldem Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, 4. Aufl. 2010, § 92 Rn. 114 ff. 87 OLG Saarbrücken GmbHR 2008, 1036, 1038. 88 BGH NZI 2004, 496, 497; siehe auch HambKommInsO/Pohlmann, 3. Aufl. 2009, § 92 Rn. 30; siehe auch BerlinerKommInsO/Blersch/v. Olshausen, Stand: Mai 2009, § 92 Rn. 8.

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V. Zusammenfassung (1) Der Haftungsanspruch aus § 64 S. 1 GmbHG (bzw. aus den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften) unterliegt der fünfjährigen Verjährungsfrist. Letztere beginnt nach § 200 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Dies ist der Zeitpunkt, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet oder aber der Antrag mangels Masse abgewiesen wird. Soweit man einen Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG für die Durchsetzung des Anspruchs für notwendig erachtet, hat dieses Beschlusserfordernis auf das Entstehen des Anspruchs i.S.d. § 200 BGB keinen Einfluss. (2) Eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung lässt sich teils auf deliktsrechtliche Grundlage (§ 823 Abs. 2 BGB), teils auf eine spezialgesetzliche Grundlage stützen (z.B. § 130a Abs. 2 HGB). Die Frage, ob der deliktsrechtliche Anspruch der gesellschaftsrechtlichen Verjährung unterliegt, stellt sich nur dann, wenn die deliktsrechtliche Haftungsgrundlage nicht infolge Gesetzeskonkurrenz verdrängt wird. Im Verhältnis des deliktsrechtlichen Anspruchs zu § 130a Abs. 2 HGB ist – richtiger Ansicht nach – für Ersteren nur insoweit Raum als es um den Ersatz des Individualschadens der vertraglichen Neugläubiger und nicht um den Quotenschaden der Altgläubiger geht. (3) Soweit der deliktsrechtliche Anspruch wegen Insolvenzverschleppung zur Anwendung gelangt, ist Ausgangspunkt für dessen verjährungsrechtliche Einordnung der Grundsatz der Gleichwertigkeit des Gesellschafts- und des Deliktsrechts. Danach finden im Fall der Anspruchskonkurrenz die jeweiligen verjährungsrechtlichen Vorschriften nebeneinander Anwendung. Dieser Grundsatz wird jedoch dann durchbrochen, wenn es sich bei der gesellschaftsrechtlichen Verjährungsregelung um eine Spezialnorm mit Ausstrahlungswirkung auch für den anderen Haftungstatbestand handelt. Diese Sonderstellung kommt der fünfjährigen Verjährungsfrist des Gesellschaftsrechts dann zu, wenn zwischen der gesellschaftsrechtlichen Haftungsnorm und dem Deliktsrecht ein weitgehender Überschneidungsbereich besteht bzw. der gesellschaftsrechtlichen Verjährungsregel aufgrund besonderer Wertungen der Vorrang gebührt. Ein solcher Vorrang kommt – richtiger Ansicht nach – der gesellschaftsrechtlichen Verjährungsnorm in §§ 64 S. 4, 43 Abs. 4 GmbHG (bzw. in den entsprechenden Gesellschaftsrechtsgesetzen) aber nur im Hinblick auf den deliktischen Schadensersatzanspruch zugunsten der Altgläubiger zu. Der Individualanspruch der vertraglichen Neugläubiger wegen Insolvenzverschleppung ist demgegenüber strukturell zu verschieden, um diesen der gesellschaftsrechtlichen Verjährungsregel unterstellen zu können. Mithin verjährt Letzterer nach §§ 195, 199 BGB. (4) Auch der Ersatzanspruch wegen Insolvenzverschleppung entsteht (unabhängig davon, ob er auf Ersatz des Quoten- oder des Vertrauensschadens geht) im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bzw. der Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse. Für den Verjährungsbeginn des Anspruchs

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wegen Insolvenzverschleppung zugunsten der vertraglichen Neugläubiger kommt es – neben dessen Entstehung – nach § 199 Abs. 1 BGB auch auf subjektive Momente an. Eine Pflicht zu besonderen Anstrengungen, auf einen möglichst frühzeitigen Verjährungsbeginn hinzuwirken, trifft den Gläubiger nicht.

Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs nach MoMiG Mathias Habersack I. Einleitung Nach § 71a Abs. 1 S. 1 AktG ist ein Rechtsgeschäft, das die Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit durch die Gesellschaft an einen anderen zum Zweck des Erwerbs von Aktien dieser Gesellschaft zum Gegenstand hat, nichtig. Das in dieser Vorschrift verkörperte Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs geht bekanntlich auf Art. 23 der Kapitalrichtlinie vom 13. Dezember 1976 1 zurück,2 mithin auf eine Vorschrift, die auf Drängen der britischen Delegation in die bei Aufnahme der Beitrittsverhandlungen weitgehend ausgehandelte Kapitalrichtlinie aufgenommen worden ist und in der die seinerzeit in Großbritannien vorherrschende Skepsis gegenüber dem Erwerb eigener Aktien klar zum Ausdruck kommt.3 Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Umsetzung des Art. 23 Kapitalrichtlinie sein Unbehagen in die Bemerkung gekleidet, dass durch die Beteiligung der neuen Mitgliedstaaten – darunter namentlich Großbritanniens – an den Verhandlungen im Rat Elemente in die Diskussion hineingekommen seien, die auf teilweise völlig anderen rechtlichen Gegebenheiten beruhten; dem habe seitens der sechs Gründungsstaaten Rechnung getragen werden müssen, um die Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in der EG zu fördern.4 1 Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vom 13. Dezember 1976, ABl. Nr. L 26/1; näher dazu Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2006, § 6 Rz. 1 ff. (mit Abdruck der Richtlinie in Rz. 80); Bayer/Schmidt, in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. I: Entwicklung des Aktienrechts, Kapitel 18 Rz. 24 ff. 2 Gesetz zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 13. Dezember 1978, BGBl. I S. 1959 ff. 3 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1678 S. 9, 16; Lutter/Drygala, in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., 2009, § 71a Rn. 2; Schroeder, Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs, 1995, S. 20 ff.; Fleischer AG 1996, 494, 495; Habersack ZIP 2006, 445, 446; Davies in Gower and Davies, Principles of modern Company Law, 8. Aufl., 2008, S. § 13 Rn. 26 (S. 341): “… the Second Directive, whose provisions the then British Government unwisely insisted should contain a rule against financial assistance …”. – S. dazu noch unter IV. 1. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1678, S. 9.

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Seit Erlass der Kapitalrichtlinie haben sich die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen freilich nicht unerheblich gewandelt. Nicht nur bildet die gesellschaftsfinanzierte Übernahme ein weitverbreitetes Erwerbsmodell.5 Auch in rechtlicher Hinsicht begegnet man der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs durchaus weniger reserviert. Was zunächst das englische Recht anbelangt, so unterliegen nach sec. 677 ff. Companies Act 2006 grundsätzlich nur noch public companies dem Verbot der finanziellen Unterstützung; die private company hingegen wird – in Abkehr von der seit 1929 geltenden Rechtslage 6 – nur noch erfasst, wenn sie Tochtergesellschaft einer public company ist.7 Die britische Regierung hält an sich sogar eine gänzliche Abschaffung des Verbots der finanziellen Unterstützung für geboten, sieht sich hieran indes zu Recht durch Art. 23 der Kapitalrichtlinie gehindert und will sich deshalb – ein echter „Treppenwitz“ der Geschichte – zunächst für dessen Abschaffung einsetzen.8 Besagter Art. 23 Kapitalrichtlinie ist in etwa zeitgleich mit der Reform des Companies Act immerhin liberalisiert worden, und zwar durch die Richtlinie 2006/68/EG vom 6. September 2006 zur Änderung der Kapitalrichtlinie.9 Diese Änderungsrichtlinie greift Überlegungen auf, die erstmals im Rahmen der SLIM-Initiative 10 entwickelt worden sind. Danach sollte entweder eine finanzielle Unterstützung in Höhe der ausschüttungsfähigen Rücklagen zulässig sein oder das Verbot auf den Wert der gezeichneten neuen Aktien beschränkt werden. In ihrem am 4. November 2002 vorgelegten Abschlussbericht über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa spricht sich sodann die hochrangige Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts 11 dafür 5

Zum Leveraged Buy-Out s. Riegger ZGR 2008, 233 ff. Zur Entwicklung s. Davies (Fn. 3) § 13 Rn. 26 f. (S. 342 ff.); Ferran, Principles of Corporate Finance, 2. Aufl., 2008, S. 267 f. 7 Zur Reform des Companies Act s. Rickford (Hrsg.), Reforming Capital: Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, 15 EBLR (2004) S. 919 ff. (945). 8 Department of Trade and Industry (DTI), Company Law Reform: Financial Assistance by a company for the Acquisition of its own shares: Conclusion of Consultations, London, 21.4.1997; ferner Armour, 63 Modern Law Review (2000), 355, 376 f., 382 f.; Davies (Fn. 3) § 13 Rn. 26 (S. 341 f.); Ferran (Fn. 6) S. 268 f.; dies., 63 Cambridge Law Journal (2004) 225 ff.; Cahn, in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 71a Rn. 2 ff.; Merkt, in Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., 2008, § 71a Rn. 6 f.; Schroeder (Fn. 3) S. 16 ff. 9 Richtlinie 2006/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 zur Änderung der Richtlinie 77/91/EWG des Rates in Bezug auf die Gründung von Aktiengesellschaften und die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals, ABl. Nr. L 264/32; speziell zur Neufassung des Art. 23 der Kapitalrichtlinie Drygala Der Konzern 2007, 396 ff.; Freitag AG 2007, 157, 159 ff.; Oechsler ZHR 170 (2006), 72, 81 ff.; Schmolke WM 2005, 1828 ff.; Westermann ZHR 172 (2008) 144, 161 ff. 10 SLIM steht für Simpler Legislation for the Single Market. – Abdruck der Empfehlungen in ZIP 1999, 1944; dazu Drygala AG 2001, 291 ff.; Kallmeyer AG 2001, 406 ff.; Baldamus, Reform der Kapitalrichtlinie, 2002, S. 39 ff. 11 Der Abschlussbericht ist abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/ index_de.htm. 6

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aus, die finanzielle Unterstützung bis zur Höhe der ausschüttungsfähigen Rücklagen zu erlauben, die Unterstützung indes an einen Beschluss der Hauptversammlung zu binden, durch den entweder die konkrete Maßnahme gestattet wird oder die Verwaltung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren zur Vornahme von Unterstützungshandlungen ermächtigt wird. Diese Empfehlung ist sodann in den Aktionsplan der Kommission vom 21. Mai 2003 12 gemündet, aus dem schließlich die Änderungsrichtlinie 2006/68/EG hervorgegangen ist. Nach dem neuen Art. 23 Abs. 1 UnterAbs. 1 der Kapitalrichtlinie kann ein Mitgliedstaat es zwar einer Gesellschaft gestatten, im Hinblick auf einen Erwerb eigener Aktien durch einen Dritten unmittelbar oder mittelbar Vorschüsse zu zahlen, Darlehen zu gewähren oder Sicherheiten zu leisten. Er hat dann allerdings solche Geschäfte von der Erfüllung der in Art. 23 Abs. 1 UnterAbs. 2 bis 5 genannten Bedingungen – darunter insbesondere einem mit qualifizierter Mehrheit ergangenen und durch schriftlichen Vorstandsbericht vorbereiteten Beschluss der Hauptversammlung – abhängig zu machen. Klaus J. Hopt ist als Mitglied der High Level Group einer der wesentlichen Initiatoren des neuen gemeinschaftsrechtlichen Regimes der finanziellen Unterstützung. Dies mag die Erwartung rechtfertigen, ein Beitrag zu § 71a Abs. 1 S. 1 AktG – mithin zum nach wie vor strikten Verbot der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs nach deutschem Recht – könne auf sein Interesse stoßen.

II. Der Anlass der Untersuchung: §§ 57 Abs. 1 S. 3, 71a Abs. 1 S. 3 AktG Der Verfasser dieses Beitrags hat vor nunmehr fünf Jahren die These aufgestellt, § 71a Abs. 1 S. 1 AktG sei eine weitgehend funktionslose Vorschrift.13 Diese These ist zwar auf gewisse Resonanz gestoßen,14 lässt sich indes nach Inkrafttreten des MoMiG15 nicht aufrechterhalten.16 Die These basierte näm12 Mitteilung „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan“ vom 21. Mai 2003, KOM (2003) 284 endg., abrufbar unter der in Fn. 11 genannten Website; zum Aktionsplan s. Habersack NZG 2004, 1 ff. 13 Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 159 ff. 14 Vgl. LG Düsseldorf ZIP 2006, 516 – HDW; Drygala Der Konzern 2007, 396, 397 f.; Freitag AG 2007, 157, 162 ff.; Schmolke WM 2005, 1828, 1831; ablehnend Oechsler in Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl, 2008, § 71a Rn. 5 ff.; ders. ZIP 2006, 1661, 1662 ff.; Hüffer AktG, 8. Aufl., 2008, § 71a Rn. 3a; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter AktG, 2008, § 71a Rn. 8; Spindler/Stilz/Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 9. 15 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I S. 2026; dazu Goette, Einführung in das das neue GmbHRecht, 2008, mit Abdruck sämtlicher Materialien. 16 Zutr. KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 19 f.

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lich auf der Annahme, dass die nach § 71a Abs. 1 S. 1 AktG verbotenen Finanzierungsmaßnahmen nach der seinerzeit herrschenden Meinung, die sich nicht zuletzt auf das zu § 30 Abs. 1 GmbHG ergangene „November“Urteil des II. Zivilsenats des BGH 17 stützen konnte, ganz überwiegend schon nach § 57 Abs. 1 AktG verboten waren.18 Nachdem das MoMiG einen neuen § 57 Abs. 1 S. 3 AktG geschaffen hat, dem zufolge das Verbot des § 57 Abs. 1 S. 1 auf Leistungen der Gesellschaft, die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt sind, und damit insbesondere auf die Gewährung eines Darlehens der Gesellschaft an den Aktionär und die Stellung von Sicherheiten zugunsten von Aktionären unanwendbar ist und der nach Ansicht des BGH nur „klarstellende“ Bedeutung hat,19 verbietet § 71a Abs. 1 S. 1 AktG nunmehr indes Finanzierungsgeschäfte, die für sich genommen nach § 57 Abs. 1 AktG erlaubt sind.20 Damit aber kommt der Frage nach dem Schutzzweck des in § 71a Abs. 1 S. 1 AktG geregelten Verbots gesteigerte Bedeutung zu. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass das deutsche Recht von der nunmehr durch Art. 23 der Kapitalrichtlinie eröffneten Möglichkeit, Aktiengesellschaften es unter bestimmten Voraussetzungen zu gestatten, den Erwerb eigener Aktien durch einen Dritten finanziell zu unterstützen,21 „vorerst“ keinen Gebrauch macht 22 und es deshalb dabei bewendet, dass sämtliche Fälle, in denen eine finanzielle Unterstützung vorliegt, diese indes nach der Richtlinie erlaubt werden könnte, nach dem unverändert fortbestehenden § 71a Abs. 1 S. 1 AktG verboten bleiben. Das MoMiG hat freilich dem § 71a Abs. 1 S. 1 AktG nicht nur einen Bedeutungsgewinn beschert, indem es die Gewährung unmittelbaren oder mittelbaren Kredits unter der Voraussetzung eines vollwertigen Gegenleistungsoder Rückgewähranspruchs gegen den Aktionär sub specie der allgemeinen aktienrechtlichen Vermögensbindung erlaubt. Es hat vielmehr § 71a Abs. 1 AktG um einen neuen Satz 3 ergänzt, dem zufolge das Verbot der finanziel-

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BGHZ 157, 72. OLG Hamm AG 1995, 512; Bayer, in Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2008, § 57 Rn. 100; Hüffer AG 2004, 416, 417 f. 19 BGH AG 2009, 81, 82 – MPS; dazu Altmeppen ZIP 2009, 49 ff.; Kropff NJW 2009, 814 ff.; Wand/Tillmann/Heckenthaler AG 2009, 148 ff.; Habersack ZGR 2009, 347 ff. 20 Zu dieser Entwicklung bereits Westermann ZHR 172 (2008) 144, 155 ff.; Habersack, FAZ vom 21.11.2007 (Nr. 271) S. 25; zur entsprechenden Situation im englischen Recht s. die Nachw. in Fn. 67. – Näher zu §§ 57 Abs. 1 S. 3 AktG, 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG, insbesondere zur Anwendbarkeit auf die Bestellung von Sicherheiten, Vetter in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rn. 4.68 ff. 21 Näher dazu Westermann ZHR 172 (2008) 144, 161 ff.; Oechsler ZHR 170 (2006), 72, 81 ff.; Schmolke WM 2005, 1828 ff.; Drygala Der Konzern 2007, 396 ff.; Freitag AG 2007, 157, 159 ff. 22 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13098 S. 55. 18

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len Unterstützung nicht gilt „für Rechtsgeschäfte bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags“ im Sinne des § 291 AktG.23 Dies ist umso bemerkenswerter, als das MoMiG das nämliche Konzernprivileg auch im Rahmen des § 57 Abs. 1 AktG (sowie des § 30 Abs. 1 GmbHG) eingeführt und damit eine gewisse gedankliche Nähe zwischen dem Verbot der finanziellen Unterstützung und der Kapitalerhaltung anerkannt hat. Immerhin, so könnte man meinen, hat das MoMiG damit die bislang umstrittene Frage, ob § 71a Abs. 1 S. 1 AktG auch im Rahmen von Konzernsachverhalten zur Anwendung gelangt, eindeutig beantwortet, und zwar in einem zwischen dem Vertragskonzern auf der einen und dem einfachen Konzern und der bloßen Abhängigkeit auf der anderen Seite unterscheidenden Sinne. Doch könnte sich diese Annahme als Trugschluss erweisen, nachdem der II. Zivilsenat des BGH im „MPS“-Urteil vom 1.12.2008 zu Recht entschieden hat, dass § 57 Abs. 1 S. 1 AktG ungeachtet des § 57 Abs. 1 S. 3 AktG auch hinter §§ 311 ff. AktG zurückzutreten hat.24 Möglicherweise verbietet sich deshalb auch im Zusammenhang mit § 71a Abs. 1 S. 3 AktG ein Umkehrschluss des Inhalts, dass das Verbot der finanziellen Unterstützung im Rahmen der §§ 311 ff. AktG uneingeschränkt zur Anwendung gelangt.

III. Missverhältnis zwischen tatbestandlicher Unschärfe und Verbotsfolge Im Schrifttum besteht weitgehend Einvernehmen darüber, dass die Nichtigkeitssanktion des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG auch Nichtaktionäre treffen kann; von praktischer Bedeutung ist dies namentlich im Falle der Besicherung eines vom Aktionär aufgenommenen Darlehens durch die Gesellschaft.25 Zwar soll von der Nichtigkeit nur das obligatorische Geschäft erfasst sein.26 Bei Gewährung eines Darlehens ist danach also der Darlehensvertrag, nicht dagegen die Hingabe der Darlehensvaluta, bei Leistung einer Sicherheit die Sicherungsabrede, nicht dagegen das eigentliche Bestellungsgeschäft nichtig.27 Bei der Stellung akzessorischer Sicherheiten – insbesondere bei Abgabe eines 23 Näher dazu Vetter (Fn. 20) Rn. 4.100 ff.; Habersack FS Schaumburg, 2009, S. 1291, 1295 ff. 24 BGH AG 2009, 81, 82; speziell dazu Altmeppen ZIP 2009, 49, 53; Habersack ZGR 2009, 347, 355 ff.; ders., in Emmerich/Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., 2010, § 311 Rn. 47, 82 f.; weitere Nachw. zum „MPS“-Urteil s. in Fn. 19. 25 GroßkommAktG/Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 14; MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 5; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 33, 51. 26 MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 40; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 50; Hüffer (Fn. 14) § 71a Rn. 4. 27 MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 40; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 50 f.

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Bürgschaftsversprechens gegenüber dem Gläubiger des Erwerbers – muss die Nichtigkeit indes das Sicherungsgeschäft als solches erfassen, soll die Sanktion nicht leerlaufen.28 Anders ist die Ausgangslage bei nach § 57 AktG verbotenen Geschäften. Hier soll zwar ein Verstoß nach bislang herrschender (freilich nicht überzeugender) Meinung nicht nur den Rückgewähranspruch aus § 62 Abs. 1 AktG begründen, sondern – zumindest bei offenen Verstößen – zugleich die Nichtigkeit des Verpflichtungs- und des Verfügungsgeschäfts nach sich ziehen.29 Auch auf der Grundlage dieser herrschenden Ansicht werden indes Leistungen an Dritte, da sich das Verbot des § 57 AktG nur an Aktionäre richtet, von der Nichtigkeitssanktion ausgenommen.30 In deutlichem Missverhältnis zu der nicht zu bestreitenden Schärfe der Sanktion steht die Unschärfe des Tatbestands der finanziellen Unterstützung. Diese beruht zum einen darauf, dass höchstrichterliche Rechtsprechung zur Reichweite des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG, soweit ersichtlich, überhaupt nicht ergangen ist 31 und im Schrifttum nach wie vor kein Konsens hinsichtlich des Schutzzwecks des Verbots erzielt worden ist. Zum anderen muss es die Praxis beunruhigen, dass der an sich durchaus klare Wortlaut des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG – „Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit durch die Gesellschaft an einen anderen zum Zweck des Erwerbs von Aktien dieser Gesellschaft“ – verbreitet im Sinne eines „offenen Tatbestands mit Regelbeispielen“ gedeutet wird.32 Zumal vor dem Hintergrund, dass Art. 23 Kapitalrichtlinie explizit nur die Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens sowie die Leistung von Sicherheiten erfasst, mithin im deutlichen Gegensatz zum Companies Act 33 auf einen 28 Zutr. KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 56 f. m.w.N.; eingehend Schroeder (Fn. 3) S. 116, 232 ff. 29 Hüffer (Fn. 14) § 57 Rn. 23 mit weiteren Nachw.; hiergegen zu Recht MünchKommAktG/Bayer (Fn. 18) § 57 Rn. 162 ff. 30 Vgl. MünchKommAktG/Bayer (Fn. 18) § 57 Rn. 159, 166; Hüffer (Fn. 14) § 57 Rn. 24; vgl. für § 30 Abs. 1 GmbHG auch BGHZ 138, 291, 298 ff.: Einseitiger Verstoß der Gesellschaft gegen Kapitalerhaltungsregeln begründet noch nicht Sittenwidrigkeit des Sicherungsgeschäfts; näher dazu Habersack in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 30 Rn. 99 m.w.N. 31 BGH ZIP 2006, 2119 betrifft primär § 71a Abs. 1 S. 2; s. ferner die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde im „HDW“-Verfahren (LG Düsseldorf ZIP 2006, 516; OLG Düsseldorf NZG 2007, 273) durch den XI. Zivilsenat des BGH (Beschluss vom 11.12.2007 – XI ZR 342/06). 32 So oder ähnlich MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 14, 19; Hüffer (Fn. 14) § 71a Rn. 2; K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 11 ff.; Spindler/ Stilz/Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 22 ff. (26 ff.); Ludwig FS Happ, 2006, S. 131, 133 ff.; Schroeder (Fn. 3) S. 174; vorsichtiger KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 27; Drygala Der Konzern 2007, 396, 400. 33 Sec. 677 Abs. 1 Companies Act 2006 entspricht nahezu wörtlich sec. 152 Companies Act 1985 und sec. 54 Companies Act 1948 und lautet wie folgt: “In this Chapter ‘financial assistance’ means: (a) financial assistance given by way of gift, (b) financial assistance given

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generalklauselartigen Auffangtatbestand verzichtet, muss dies verwundern. Nun gilt gewiss auch für § 71a Abs. 1 S. 1 AktG, dass nicht allein der Wortlaut, sondern insbesondere auch Sinn und Zweck des Verbots über dessen Reichweite bestimmen – ein Ansatz übrigens, der auch im Zusammenhang mit sec. 678 Companies Act 2006 (und der Vorgängervorschriften) praktiziert wird, indem die Gerichte darauf hinweisen, dass “the words ‘financial assistance’ have no technical meaning and their frame of reference is the language of ‘ordinary commerce’” – “what matters is the commercial substance of the transaction.” 34 Trotz (oder wegen) der Existenz eines Auffangtatbestands (“any other financial assistance”) wird seitens der englischen Gerichtspraxis freilich – nicht zuletzt mit Blick auf die scharfen Sanktionen einer Missachtung des Verbots 35 – eine zurückhaltende Handhabung des “test of commercial substance and reality” angemahnt, “bearing in mind that the section is a penal one and should not be strained to cover transactions which are not fairly within it.” 36 In der wichtigen Entscheidung in Sachen Chaston v. SWP Group plc stellt Arden LJ darauf ab, dass die in Frage stehende Zahlung – “as a matter of commercial reality” – “smoothed the path to the acquisition of shares,” 37 nicht ohne zuvor den Schutzzweck des Verbots wie folgt zu umreißen: “The general mischief, however, remains the same, namely that the resources of the target company and its subsidiaries should not be used directly or indirectly to assist the purchaser financially to make the acquisition. This may prejudice the interests of the creditors of the target or its group, and the interests of any shareholders who do not accept the offer to acquire their shares or to whom the offer is not made.” 38

(i) by way of guarantee, security or indemnity (…), or (ii) by way of release or waiver, (c) financial assistance given (i) by way of a loan or any other agreement under which any of the obligations of the person giving the assistance are to be fulfilled at a time when in accordance with the agreement any obligation of another party to the agreement remains unfulfilled, or (ii) by way of the novation of, or the assignment (in Scotland, assignation) of rights arising under, a loan or such other agreement, or (d) any other financial assistance given by a company where (i) the net assets of the company are reduced to a material extent by the giving of the assistance, or (ii) the company has no net assets.”; s. dazu auch Davies (Fn. 3) § 13 Rn. 29 (S. 345): “certainly more widely than is required by the Second Directive.” 34 Charterhouse Investment Trust Ltd. and others v. Tempest Diesels Ltd., [1986] BCLC 1, 10; s. ferner Chasten v. SWP Group plc, [2003] 1 BCLC 675, CA (para 38 ff.); Corporate Development Partners LLC v. E-Relationship Marketing Ltd. [2007] All ER (D) 162 (Mar). 35 Zusammenfassend Davies (Fn. 3) § 13 Rn. 35 ff. (S. 352 ff.); Ferran (Fn. 6) S. 303 ff. 36 Hoffmann J in Charterhouse Investment Trust Ltd. and others v. Tempest Diesels Ltd., [1986] BCLC 1, 10. 37 [2003] 1 BCLC 675, CA, para 38. 38 [2003] 1 BCLC 675, CA, para 31.

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Schon diese wenigen Hinweise belegen, dass die englische Spruchpraxis bemüht ist, den generalklauselartigen Tatbestand der finanziellen Unterstützung im Interesse eines Mindestmaßes an Transaktionssicherheit einzugrenzen. Demgegenüber lässt sich für § 71a Abs. 1 S. 1 AktG – zugespitzt formuliert – eine gegenläufige Tendenz feststellen: Der Tatbestand ist zwar vom Gesetzgeber – im Einklang mit Art. 23 Kapitalrichtlinie – auf drei ausdrücklich benannte Unterstützungshandlungen begrenzt worden; im Schrifttum herrscht indes das Bestreben vor, § 71a Abs. 1 S. 1 AktG zu einem „offenen Tatbestand mit Regelbeispielen“ umzudeuten, was methodisch angreifbar ist und die Finanzierungs- und Übernahmepraxis mit einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit belastet.

IV. Schutzzweck des Verbots der finanziellen Unterstützung 1. Schutz vor Umgehung des § 71 Abs. 1 AktG? Nach herrschender Ansicht bezweckt § 71a Abs. 1 S. 1 AktG zumindest auch, das in § 71 Abs. 1 und 2 AktG geregelte grundsätzliche Verbot des Erwerbs eigener Aktien durch die Gesellschaft gegen Umgehungen zu schützen.39 Hierauf deuten in der Tat die amtliche Überschrift – „Umgehungsgeschäfte“ – und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift 40 hin. Auch trifft es zu, dass die dem Erwerb eigener Aktien immanente Gefahr eines „Doppelschadens“ auch bei der finanziellen Unterstützung des Dritterwerbs besteht, übernimmt doch die Gesellschaft das Risiko einer Insolvenz des Erwerbers, dessen Vermögen sich zu einem Gutteil aus Aktien der Gesellschaft zusammensetzt, sodass sich eine wirtschaftliche Schieflage der Gesellschaft im Vermögen des Erwerbers niederschlägt und dies wiederum zur Folge haben kann, dass, wenn der Erwerber das ihm überlassene Darlehen nicht zurückzahlen kann,41 ein zwangsweiser Zugriff der Gesellschaft auf ihre Aktien 42 nicht zur Befriedigung führt, die Gesellschaft also in ihrer Krise „doppelt betroffen“ wäre.43 Freilich ist dieses „Doppelrisiko“ auch den Fäl39 Vgl. LG Göttingen WM 1992, 1373, 1375; MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 3 f.; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 6; GroßkommAktG/Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 2 f.; Wieneke, in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 71a Rn. 1; Wiesner, in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4: Aktiengesellschaft, 3. Aufl., 2007, § 15 Rn. 29; wohl auch Hüffer (Fn. 14) § 71a Rn. 1; aA K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 6; Spindler/Stilz/Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 8 f. 40 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1678 S. 16. 41 Etwa weil sonstige Kreditgeber den Wertverfall zum Anlass für eine Kreditkündigung nehmen. 42 Zur Zulässigkeit der Vollstreckung in eigene Aktien s. MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71 Rn. 90 m.w.N. 43 MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 4; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 7; GroßkommAktG/Merkt (Fn. 8) Rn. 2; aA – gegen die Umgehungsthese –

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len des § 57 Abs. 1 S. 3 AktG immanent.44 Soweit diese Vorschrift zu einem vorübergehenden Zweck erfolgende Auszahlungen (wie insbesondere Darlehen) an Aktionäre erlaubt, trägt nämlich die Gesellschaft nicht nur das allgemeine Ausfallrisiko eines Darlehensgläubigers, sondern das zusätzliche Risiko, dass sich das Vermögen des Empfängers auch aus Aktien der Gesellschaft zusammensetzt und diese durch eine Krise der Gesellschaft in Wertverfall geraten können. Während dem Gesetzgeber dieses Risiko sub specie der allgemeinen Vermögensbindung als tolerierbar erschien, hat er – den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts gehorchend – daran festgehalten, dass die Gewährung von Kredit zu dem speziellen Zweck der Finanzierung des Erwerbs von Aktien strikt verboten ist. Dieser Befund spricht zwar nicht von vornherein gegen die Umgehungsthese, unterstreicht aber noch einmal den singulären Charakter des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG. Es kommt hinzu, dass die beim Erwerb eigener Aktien bestehende Gefahr einer Störung der Kompetenzordnung durch Ausübung mitgliedschaftlicher Teilhaberechte durch die Gesellschaft (der für den Fall des Direkterwerbs die Vorschrift des § 71b AktG Rechnung trägt) im Falle des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG schon deshalb nicht zu befürchten ist, weil der Dritte die Aktien auf eigene Rechnung erwirbt.45 Anderes mag für die Erwägung gelten, § 71a Abs. 1 S. 1 AktG solle – ebenso wie das Verbot des Erwerbs eigener Aktien 46 – verhindern, dass die Gesellschaft durch Unterstützung bestimmter Erwerber auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises und auf den Kurs der Aktie Einfluss nimmt. Auch ein so verstandener Schutzzweck des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG kann allerdings der Gesellschaft nicht verbieten, was ihr andere Vorschriften, nämlich vor allem § 68 Abs. 2 AktG, § 33 Abs. 1, 2 WpÜG 47, ausdrücklich erlauben; soweit diese speziellen Erlaubnisnormen reichen, vermag auch § 71a Abs. 1 S. 1 AktG die Unzulässigkeit nicht allein deshalb zu begründen, weil mit der fraglichen Maßnahme eine Einflussaufnahme auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises verbunden ist. Bedenkt man weiter, dass auch jenseits des WpÜG die Frage einer „Neutralitätspflicht“ des Vorstands überaus umstritten ist,48 so wird man in der Neutralität des Vorstands im Zusammenhang mit der Finanzierung des Erwerbs von Aktien durch K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 6 (s. aber auch dens. Rn. 9); Spindler/ Stilz/Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 8. 44 Vgl. bereits Habersack, FS Röhricht, 2005, S. 155, 159 f., dort noch zu § 57 AktG a.F. 45 Relativierend MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 4. 46 Vgl. MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71 Rn. 22, § 71a Rn. 4; zur Frage eines Andienungs- und Erwerbsrechts der Aktionäre s. Habersack ZIP 2004, 1121 ff. 47 Zum übernahmerechtlichen Verhinderungsverbot, zu seinen Ausnahmen sowie zur Frage einer aktienrechtlichen „Neutralitätspflicht“ Hopt ZGR 1993, 534 ff.; ders., FS Lutter, 2000, S. 1361 ff.; ders. ZHR 166 (2002) 383 ff. 48 Vgl. neben den Nachw. in voriger Fn. insbes. BGH ZIP 2008, 218, 219 (offengelassen); Hüffer (Fn. 14) § 76 Rn. 15d; Kort FS Lutter, 2000, S. 1421, 1426 ff.

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Dritte eher einen Begleiteffekt als den Hauptzweck des § 71a Abs. 1 S 1 AktG zu erblicken haben. Schließlich vermag die Umgehungsthese, wie bereits an anderer Stelle näher dargelegt worden ist,49 das Verbot der finanziellen Unterstützung allenfalls insoweit zu rechtfertigen, als es um Erwerbsgeschäfte geht, die, würden sie von der Gesellschaft getätigt, aktienrechtlich unzulässig wären.50 Diesbezüglich finden sich in § 71a Abs. 1 S. 2 AktG Erlaubnistatbestände, die denjenigen des § 71 Abs. 1 Nr. 2 und 7 AktG entsprechen und vorgehen.51 Im Übrigen bleibt, wenn man die im Rahmen des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG ersichtlich nicht einschlägigen Tatbestände des § 71 Abs. 1 Nr. 3 bis 6 AktG außer Betracht lässt, zunächst der Erwerb kraft Ermächtigung durch die Hauptversammlung gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG. Insoweit enthält Art. 23 Abs. 1 UnterAbs. 3 Kapitalrichtlinie in der Fassung durch die Änderungsrichtlinie 2006 nunmehr besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, die deutlich über die Erwerbsvoraussetzungen des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG hinausgehen und die nicht ohne Weiteres durch die Erwägung, § 71a Abs. 1 S. 1 AktG könne nicht verbieten, was § 71 Abs. 1 AktG erlaube, auf die finanzielle Unterstützung erstreckt werden können.52 Es bleibt deshalb bei Lichte betrachtet nur der Erlaubnistatbestand des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG, der, ausgehend von der Umgehungsthese, auch im Rahmen des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG Berücksichtigung finden könnte, sodass eine finanzielle Unterstützung, durch die ein schwerer und unmittelbar bevorstehender Schaden von der Gesellschaft abgewendet werden soll, nicht verboten wäre.53 Eine weitgehende Überlappung von Anwendungsbereich und Telos des § 71 Abs. 1 AktG einerseits und des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG andererseits lässt sich nach alledem nicht konstatieren, sodass die Umgehungsthese allenfalls eine erste Annäherung an den Schutzzweck des Verbots der finanziellen Unterstützung zu bieten vermag. Dies gilt zumal dann, wenn man den originären Erwerb von Aktien in die Betrachtung einbezieht und einstweilen unterstellt, dass auch dieser in den Anwendungsbereich des § 71a Abs. 1 S. 1 49

Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 168 f. So zuvor bereits Werner AG 1990, 1, 14; Westermann FS Peltzer, 2001, S. 613, 625 f.; seitdem auch K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 6; Spindler/Stilz/Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 8 f.; differenzierend KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 42 f.; aA GroßkommAktG/Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 2; MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 39; Hüffer (Fn. 14) § 71a Rn. 3; Block, in Heidel, AktG, 2. Aufl., 2007, § 71a Rn. 1; Schroeder (Fn. 3) S. 109, 226 ff.; vgl. ferner Singhof NZG 2002, 745, 750, der zu Recht auf den mit § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG eingeleiteten Paradigmenwechsel hinweist, gleichwohl an der „Eigenständigkeit“ des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG festhält. 51 Zutr. KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 43. 52 Zutr. KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 43; anders noch – freilich vor Verabschiedung der Änderungsrichtlinie 2006 – Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 168 f. 53 So auch KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 43; zur Gemeinschaftsrechtskonformität s. bereits Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 168 f. 50

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AktG fällt und der Gesellschaft es verboten ist, die Zeichnung ihrer Aktien durch Dritte zu fördern;54 der Zusammenhang zu § 71 AktG wäre dann noch loser. Vermag somit die Umgehungsthese das Verbot der finanziellen Unterstützung jedenfalls nicht vollauf zu erklären und zu legitimieren, so lässt sich allerdings nicht bestreiten, dass der Gesellschaft bei finanzieller Unterstützung ein „Doppelschaden“ droht, der demjenigen bei Eigenerwerb der Aktien durchaus vergleichbar ist, und § 71a Abs. 1 S. 1 AktG deshalb zumindest auch bezweckt, die Belastung der Gesellschaft mit finanziellen Risiken aus dem Erwerb ihrer Aktien zu verhindern.55 2. Eigenständiger (und über § 57 Abs. 1 AktG hinausgehender) Kapitalschutz? Als im neueren Schrifttum herrschend darf die Ansicht bezeichnet werden, der zufolge § 71a Abs. 1 S. 1 AktG allgemein die Heranziehung des Gesellschaftsvermögens zur Erwerbsfinanzierung außerhalb der legalen Gewinnausschüttung und der förmlichen Kapitalherabsetzung unterbinden und den Grundsatz der Kapitalerhaltung in Fällen der Veränderung der Aktionärsstruktur absichern und verschärfen soll, mithin den Leveraged Buyout als Form der Finanzierung der Unternehmensübernahme verbiete.56 Dem kann im Ansatz durchaus zugestimmt werden, nachdem § 57 Abs. 1 S. 3 AktG die nach § 71a Abs. 1 S. 1 AktG verbotenen Unterstützungshandlungen im Grundsatz erlaubt oder, anders gewendet, § 71a Abs. 1 S. 1 AktG Vorfinanzierungen des Anteilserwerbs unabhängig davon verbietet, ob diese sub specie der allgemeinen Vermögensbindung erlaubt oder verboten sind.57 Allzu viel gewonnen ist mit dieser Feststellung freilich nicht. Dass nämlich § 71a Abs. 1 S. 1 AktG die Heranziehung des Gesellschaftsvermögens zur Erwerbsfinanzierung verbietet, lässt sich ohne Weiteres dem Wortlaut und dem gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund der Vorschrift (und damit letztlich aus dem Verbot der financial assistance nach dem Companies Act) herleiten.58 Unbeantwortet bleibt namentlich, weshalb § 71a Abs. 1 S. 1 AktG die Heran-

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Dazu noch unter V. 1. So pointiert K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 9; s. ferner die Nachw. in Fn. 43. 56 So erstmals Schroeder (Fn. 3) S. 107 ff.; ebenso MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 3 f.; GroßkommAktG/Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 4; K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 8 f.; Spindler/Stilz/Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 9; Hüffer (Fn. 14) § 71a Rn. 3 („zumindest auch um eigenständigen Kapitalschutz“); Heidel/Block (Fn. 50) § 71a Rn. 1. 57 Vgl. bereits unter II., ferner KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 20. 58 Verfasser hat dies auch in der Festschrift Röhricht (2005, S. 155 ff.) nicht bezweifelt, vielmehr allein darauf aufmerksam gemacht, dass § 71a Abs. 1 S. 1 AktG nach dem „November“-Urteil des BGH weitgehend funktionslos geworden war. 55

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ziehung von Gesellschaftsvermögen in einer über § 57 Abs. 1 AktG hinausgehenden Weise verbietet; und unbeantwortet bleibt zudem, wie weit das Verbot des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG im Einzelnen reicht. Was die erste der beiden Fragen betrifft, so soll das Verbot des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG nach Ansicht von Oechsler den Investor zunächst an externe Kreditgeber verweisen, die die Transaktion im eigenen Interesse auf ihre ökonomische Stichhaltigkeit überprüfen und damit die Gesellschaft letztlich vor Bietern bewahren, die aus ökonomischem Unverstand die Vor- und Nachteile des Aktienerwerbs falsch kalkulieren und die Gesellschaft nach der Übernahme in die Insolvenz treiben.59 Dabei bleibt indes unberücksichtigt, dass die Gesellschaft in den Fällen des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG den Erwerb typischerweise nicht alleine finanziert, vielmehr nur unterstützend tätig wird; evident ist dies im Falle der Bestellung einer Sicherheit, bei dem die liquiden Mittel von externen Finanzierern bereitgestellt werden, die ungeachtet der Besicherung durch die Gesellschaft im eigenen Interesse das Ausfallrisiko – und damit die Plausibilität der Transaktion – ermitteln und hierzu zudem im Anwendungsbereich des KWG auch verpflichtet sind. Namentlich Lutter/Drygala sind denn auch der Prämisse Oechslers, § 71a Abs. 1 S. 1 AktG verkörpere eine legislatorische Grundsatzentscheidung gegen die Zulässigkeit eines Leveraged Buyouts,60 unter zutreffendem Hinweis darauf entgegengetreten, dass die Vorschrift gesellschaftsfinanzierte Übernehmen letztlich ohnehin nicht verhindern könne.61 Da nämlich das Gesetz sowohl die vertragliche Konzernierung der Zielgesellschaft als auch die Verschmelzung der Zielgesellschaft und den damit verbundenen Übergang des Vermögens auf den Erwerber (oder eine zwischengeschaltete Zweckgesellschaft) erlaube,62 beschränke sich die Funktion des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG in Übernahmesachverhalten darauf, die Zugriffsschwelle auf das Vermögen der AG auf das Maß anzuheben, das für den Abschluss eines Beherrschungsvertrags oder die Durchsetzung einer Verschmelzung erforderlich sei. Der Zweck des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG bestehe deshalb darin, dass der Vorstand über die Finanzierung der Übernahme mit Mitteln der Gesellschaft nicht ohne Beteiligung der Hauptversammlung und nur unter Einhaltung der konzern- und verschmelzungsrechtlichen Gläubigerschutzmechanismen entscheiden könne. In dieses Bild fügt es sich in der Tat ein, dass der Erwerber nicht nur über die vertragliche Konzernierung und Verschmelzung der Zielgesellschaft, sondern gleichermaßen über die Umwandlung freier Rücklagen in ausschüt-

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MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 4. Vgl. MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 2; ferner Ludwig FS Happ, 2006, S. 131, 135 ff. 61 KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 16 f.; s. ferner Drygala Der Konzern 2007, 396, 400; Freitag AG 2007, 157, 164. 62 Dazu noch unter V. 4. 60

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tungsfähigen Gewinn oder durch Realisierung stiller Reserven auf das Vermögen der Zielgesellschaft zugreifen kann, ohne sich hieran durch § 71a Abs. 1 S. 1 AktG gehindert zu sehen, und dass es auch hierzu eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf.63 Lässt man die bereits unter II. angedeutete Frage, ob § 71a Abs. 1 S. 1 AktG – wie dies § 71a Abs. 1 S. 3 AktG nunmehr nahezulegen scheint – tatsächlich neben §§ 311 ff. AktG zur Anwendung gelangt, auch an dieser Stelle der Untersuchung außer Betracht,64 und unterstellt man, dass das Verbot der finanziellen Unterstützung tatsächlich die Beteiligung der Hauptversammlung sicherstellen soll, so vermag dies für sich genommen freilich nicht zu erklären, weshalb dem Vorstand die entsprechende Kompetenz fehlen sollte. Den Hinweis Lutters und Drygalas auf die Schutzmechanismen des Konzern- und Umwandlungsrechts darf man so verstehen, dass es letztlich um die sachgerechte Bewältigung des mit der Verwendung von Gesellschaftsvermögen für die Zwecke des Anteilserwerbs verbundenen und von Lutter/Drygala an anderer Stelle der Kommentierung zu Recht betonten 65 Risikos eines „Doppelschadens“ geht. 3. Erstes Resümee und weiteres Vorgehen Ein erstes Fazit lautet, dass der Schutzzweck des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG nach wie vor diffus ist. Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass die Vorschrift die Heranziehung von Gesellschaftsvermögen zum Zwecke der Finanzierung des Beteiligungserwerbs durch Dritte verbietet. Viel gewonnen ist mit dieser Feststellung indes nicht, geht sie doch über eine Umschreibung des Wortlauts der Vorschrift letztlich nicht hinaus. Noch am ehesten plausibel erweist sich zwar die Überlegung, dass die Vorschrift der Gefahr eines „Doppelschadens“, wie er dem Erwerb eigener Aktien und in ganz vergleichbarer Form auch der Finanzierung des Erwerbs von Aktien durch Dritte eigen ist, begegnen will. Da ein entsprechendes „Doppelrisiko“ allerdings im Rahmen des § 57 Abs. 1 S. 3 AktG – und damit bei der Vergabe von Kredit, der nicht den Erwerb der Beteiligung fördern soll – hingenommen wird, erschließt sich die ratio des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG auch nach Inkrafttreten des MoMiG nicht ohne Weiteres. Gewiss steht es dem Gesetzgeber frei, ein an den Erwerb von Aktien durch Dritte anknüpfendes Gebot finanzieller Enthaltsamkeit zu statuieren und hieran ungeachtet des Wahlrechts aus Art. 23 Kapitalrichtlinie n.F. festzuhalten. Eine „Politik des Gesetzes“ 66, die es etwa dadurch zu fördern und fortzuentwickeln gilt, dass § 71a Abs. 1 S. 1 AktG seinem klaren Wortlaut zuwider in einen „offenen Tatbestand mit Regelbeispielen“ – und in 63 64 65 66

Näher zu „Superdividenden“ Habersack FS K. Schmidt, 2009, S. 523 ff. Dazu noch unter V. 3. Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 13. Steindorff FS Larenz, 1973, S. 217 ff.

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der Folge mit gänzlich konturenlosem Tatbestand – uminterpretiert wird, lässt sich indes nach wie vor nicht erkennen.67 Wie das englische Recht (dies allerdings seit jeher) 68 sieht sich vielmehr auch das deutsche Recht, nachdem § 57 Abs. 1 S. 3 AktG die von § 71a Abs. 1 S. 1 AktG erfassten Unterstützungshandlungen außerhalb von Erwerbsvorgängen erlauben, mit einem Instrument situativen Gläubigerschutzes konfrontiert, dessen rechtspolitische Überzeugungskraft angesichts der den Investoren zur Verfügung stehenden und selbst bei extensiver Auslegung des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG nicht verbotenen Möglichkeiten des Zugriffs auf das Vermögen der Zielgesellschaft 69 nicht sonderlich groß ist. Auf diesem Hintergrund gilt es im Folgenden, einige Zweifelsfragen im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG zu klären. Zu beginnen ist mit der Frage, ob das Verbot der finanziellen Unterstützung auch bei originärem Erwerb der Aktien Anwendung findet. Sodann sind Leistungen der Gesellschaft anzusprechen, die nicht den Erwerb, wohl aber das Halten der Aktien ermöglichen sollen. In einem dritten Schritt ist auf das Verhältnis zwischen § 71a Abs. 1 S. 1 AktG und §§ 311 ff. AktG einzugehen, bevor abschließend einige konkrete Unterstützungshandlungen anzusprechen sind.

V. Offene Fragen zum Anwendungsbereich 1. Originärer Erwerb Was zunächst die Frage der Anwendbarkeit des Verbots der finanziellen Unterstützung auf den originären Erwerb von Aktien betrifft, so stellt sie sich aus Sicht des deutschen Rechts in voller Schärfe, seitdem das Hin- und Herzahlen nach § 27 Abs. 4 AktG in der Fassung durch das ARUG 70 Til67 Die für das englische Recht zunächst erwogene kapitalmarktrechtliche Rechtfertigung (vgl. Ferran [Fn. 6] S. 274) ist angesichts des nunmehr erreichten Standes der kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten gewiss obsolet, so neben Ferran aaO auch Spindler/Stilz/ Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 10. 68 Charterhouse Investment Trust Ltd. and others v. Tempest Diesels Ltd. [1986] BCLC 1, 2: “The fact that a company received a fair value in connection with a particular transaction in the sense that any cash paid out was replaced by an asset of equivalent value did not entail that the transaction could not constitute the giving of financial assistance, as if the dominant purpose was to put the other party in funds to purchase the company’s shares then the section would be contravened.”; s. ferner Re Hill and Tyler Ltd. (in administration), Harlow and another v. Loveday and another [2005] 1 BCLC 41 (betr. ein Darlehen der Gesellschaft: “The proposed financial assistance did not reduce the net assets of the company”); Ferran (Fn. 6) S. 271 m.w.N. 69 Verschmelzung, Beherrschungsvertrag, Gewinnverwendung, s. unter V. 3., 4.; gleichsinnig Ferran (Fn. 6) S. 274: “… the market has worked out ways round the law, with the consequence that financial assistance law has been reduced to the level of a hindrance rather than an insurmountable hurdle.” 70 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom 30.7.2009, BGBl. I S. 2479.

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gungswirkung hat und letztlich darauf hinausläuft, dass die Einlageleistung – und damit der Anteilserwerb – durch die Gesellschaft finanziert wird. Mögen auch die systematische Stellung des § 71a Abs. 1 AktG innerhalb der Gruppe der Vorschriften über den abgeleiteten Erwerb eigener Aktien und der Umstand, dass die Zeichnung eigener Aktien bereits nach § 56 AktG verboten ist, gegen die Anwendbarkeit des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG sprechen,71 so zeigt doch Art. 23 Abs. 1 UnterAbs. 5 der Kapitalrichtlinie in aller Deutlichkeit, dass der Richtlinie zumindest für de Zeichnung von Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung die gegenteilige Annahme zugrunde liegt, sie also von der Anwendbarkeit ausgeht.72 Andernorts ist bereits dargelegt worden, dass Sachgründe, den Erwerb bei Gründung anders zu beurteilen, nicht ersichtlich sind, der Umstand, dass Art. 23 Abs. 1 UnterAbs. 5 der Kapitalrichtlinie nunmehr die Kapitalerhöhung gesondert erwähnt, vielmehr darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sich nur bei dieser Form des originären Erwerbs die besondere Problematik des angemessenen Erwerbspreises stellt.73 Die seinerzeit getroffenen Feststellungen lassen sich noch um die Erwägung ergänzen, dass das englische Recht, auf das Art. 23 der Kapitalrichtlinie zurückgeht, den originären Erwerb jedenfalls seit Inkrafttreten des Companies Act 1948 erfasst.74 So hatte sec. 54 Companies Act 1948 explizit “the purchase of” und “the subscription for” shares angesprochen. Nachdem der Tatbestand der “subscription” in der Sache “Governments Stock and Other Securities Investment Co. Ltd. and Others v. Christopher and others” 75 auf den Erwerb gegen Bareinlage beschränkt worden war, war bereits sec. 151 Companies Act 1985 dazu übergegangen, generell die Unterstützung bei jeder Form der “acquisition” von Aktien zu verbieten, um hierdurch auch den Erwerb gegen eine Sachleistung zu erfassen; hieran hat der Companies Act 2006 festgehalten.76 Die englische Sprachfassung des Art. 23 der Kapitalrichtlinie wiederum handelt allgemein von “the acquisition of … shares”, und zwar sowohl in der ursprünglichen Fassung als auch in der Fassung durch die Änderungsrichtlinie 2006. Angesichts dieser Historie kann nicht zweifelhaft sein, dass Art. 23

71 So in der Tat MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 15; Großkomm/Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 43; Schroeder (Fn. 3) S. 153; aA – für Anwendbarkeit – KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 21; Drygala Der Konzern 2007, 396, 405 f.; Spindler/Stilz/ Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 22. 72 Vgl. zum Folgenden bereits Habersack AG 2009, 557, 561 ff.; ferner KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 21; Drygala Der Konzern 2007, 396, 405 f.; Spindler/Stilz/ Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 22. 73 Habersack AG 2009, 557, 562 f. 74 Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Companies Act 1948 s. Court of Appeal In re V. G. M. Holdings, Limited [1942] Ch. 235. 75 [1956] 1 All ER 490: “it imports that the person agreeing to take the shares puts himself under a liability to pay the nominal amount thereof in cash”. 76 Vgl. Davies (Fn. 3) § 13 Rn. 28 (S. 344 Fn. 238); Ferran (Fn. 6) S. 286.

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Abs. 1 der Kapitalrichtlinie, indem er allgemein “the acquisition of shares” anspricht, sowohl den derivativen als auch den originären Erwerb erfassen will und sein UnterAbs. 5 keinesfalls den Umkehrschluss rechtfertigt, die Zeichnung bei Gründung sei a limine ausgeklammert. Damit aber hat es dabei zu bewenden, dass das Hin- und Herzahlen gemäß § 27 Abs. 4 AktG den Tatbestand der finanziellen Unterstützung im Sinne des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG verwirklicht und, da der Gesellschaft infolge der Unwirksamkeit des Unterstützungsgeschäfts kein Rückgewähranspruch erwächst, unwirksam ist. 2. Unterstützung nach erfolgtem Aktienerwerb Notwendige Voraussetzung einer jeden finanziellen Unterstützung ist, dass zwischen der Unterstützungshandlung und dem Erwerb der Aktien ein funktionaler Bezug besteht. Der Wortlaut des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG verlangt insoweit, dass die finanzielle Unterstützung „zum Zweck des Erwerbs von Aktien“ erfolgt, was Unterstützungshandlungen, die nach Erwerb erfolgen, an sich ausschließt. Die herrschende Lehre hält dieses Ergebnis indes für in der Sache unangemessen und zudem gemeinschaftsrechtswidrig.77 Sie stützt sich zunächst auf den Wortlaut des Art. 23 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie, der darauf abstellt, dass die finanzielle Unterstützung „im Hinblick auf einen Erwerb“ oder – in der englischen Sprachfassung – “with a view to the acquisition” erfolgt, und der die Einbeziehung von Finanzierungssachverhalten nach erfolgtem Erwerb der Aktien erfordere, sofern sich noch ein Zweckzusammenhang feststellen lasse, wovon bei einer Finanzierung, die den Behalt der Aktien ermöglicht, auszugehen sei. Nur diese weite Auslegung verhindere im Übrigen Umgehungen des Verbots, etwa dergestalt, dass der Erwerber zunächst eine externe Zwischenfinanzierung erlangt, die sodann durch eine Finanzierung durch die Gesellschaft abgelöst werde.78 Diese herrschende Lehre vermag indes schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zu überzeugen. Vor dem Hintergrund, dass § 71a Abs. 1 S. 1 AktG die Nichtigkeit des verbotenen Finanzierungsgeschäfts auch dann anordnet, wenn an ihm Dritte beteiligt sind, könnte die herrschende Lehre selbst dann nicht überzeugen, wenn der sachliche Anwendungsbereich des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG auf die drei ausdrücklich genannten Unterstützungshandlungen beschränkt wäre. Genau dies sieht die herrschende Lehre indes anders; danach soll, wie bereits erwähnt,79 § 71a Abs. 1 S. 1 AktG einen „offe77 GroßkommAktG/Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 46; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 41; MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 36; Spindler/Stilz/Cahn (Fn. 8) § 71a Rn. 36; K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 14; Hüffer (Fn. 14) § 71a Rn. 3; Bürgers/Körber/Wieneke (Fn. 39) § 71a Rn. 6; Fleischer AG 1996, 494, 501; Horn ZIP 1987, 1225, 1234; Schroeder (Fn. 3) S. 194 ff.; aA Otto DB 1989, 1389, 1395. 78 Vgl. die Nachw. in voriger Fn. 79 Unter III.; näher dazu sogleich unter V. 4.

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nen Tatbestand mit Regelbeispielen“ enthalten, was im Zusammenspiel mit der Einbeziehung auch nachträglicher Finanzierungsgeschäfte das Ausmaß der Unsicherheit potenziert. Aus gutem Grund stellt denn auch das englische Recht in sec. 678 (1) Companies Act 2006 – ebenso wie zuvor in sec. 151 (1) Companies Act 1985 – darauf ab, dass die Unterstützung “for the purpose of that acquisition before or at the same time as the acquisition takes place” erfolgt. Nachträgliche Finanzierungsgeschäfte sind hiernach selbst dann vom Verbot ausgenommen, wenn sie dem Erhalt der zuvor erworbenen Aktien dienen. Damit weichen die neueren Fassungen des Companies Act von sec. 54 (1) Companies Act 1948 ab, der noch jede finanzielle Unterstützung “for the purpose of or in connection with a purchase or subscription” erfasst hat und somit einen Zusammenhang mit dem Erwerb genügen ließ, ohne freilich sich zur Anwendbarkeit auf nach Erwerb der Aktien erfolgende Finanzierungsmaßnahmen explizit zu äußern. Da sich die englischen Gerichte, soweit ersichtlich, mit der Frage, ob nachträgliche Finanzierungsgeschäfte dem Verbot der finanziellen Unterstützung unterliegen, nicht zu befassen brauchten, darf vermutet werden, dass die Neufassung zum Zwecke der Klarstellung – und damit vor allem aus Gründen der Rechtssicherheit – erfolgt ist. Gegen die Anwendung des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG auf Finanzierungsgeschäfte nach Erwerb spricht zudem § 57 Abs. 1 S. 3 AktG, der nunmehr der Gesellschaft die Gewährung von Kredit an ihre Aktionäre erlaubt, ohne auf den Zweck des Kredits abzustellen. Nun erscheint es zwar keineswegs ausgeschlossen, Kredite, die dem Erhalt der Aktien dienen, zusätzlich dem § 71a Abs. 1 S. 1 AktG zu unterstellen; denn nach herrschender Ansicht ist auch derjenige „Aktionär“ im Sinne des § 57 Abs. 1 AktG, der Leistungen im Vorgriff (oder im Hinblick) auf den beabsichtigten Erwerb der Aktien erlangt.80 Speziell für die Finanzierungsgeschäfte des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG bietet es sich indes an, klar zwischen solchen zugunsten des künftigen Aktionärs und solchen zugunsten desjenigen, der bereits Aktionär ist, zu unterscheiden und erstere allein dem § 71a Abs. 1 S. 1 AktG, letztere hingegen allein dem § 57 Abs. 1 S. 1, 3 AktG zu unterstellen; hierfür spricht auch, dass der Normzweck des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG diffus ist und eine Ausdehnung des Verbots auf vom Wortlaut nicht erfasste (vielmehr anderweitig – nämlich in § 57 Abs. 1 S. 3 AktG – geregelte) Sachverhalte nicht nahelegt. Mit Art. 23 der Kapitalrichtlinie sollte diese klare Grenzziehung schon deshalb vereinbar sein, weil der Wortlaut – „im Hinblick auf einen Erwerb“ – nachträgliche Finanzierungsgeschäfte keineswegs zwingend erfasst und der Umstand, dass das im Rahmen des Art. 23 der Kapitalrichtlinie besonders aussagekräftige englische Recht solche Geschäfte nunmehr ausdrücklich ausklammert, auch insoweit ausstrahlen sollte. 80

MünchKommAktG/Bayer (Fn. 18) § 57 Rn. 57 m.w.N.

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3. Verhältnis zu §§ 311 ff. AktG Bereits unter II. war darauf hinzuweisen, dass der durch das MoMiG eingefügte § 71a Abs. 1 S. 3 AktG zwar klargestellt hat, dass das Verbot der finanziellen Unterstützung „bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags“ unanwendbar ist, hieraus indes nicht zwangsläufig folgt, dass das Verbot im Rahmen von Abhängigkeits- und „faktischen“ Konzernverhältnissen zur Anwendung gelangt. Die Materialien zu § 71a Abs. 1 S. 3 AktG lassen denn auch nicht erkennen, dass der Gesetzgeber die Frage reflektiert hätte; ihm ist es vielmehr darum gegangen, das zuvor in § 291 Abs. 3 AktG geregelte und durch das MoMiG vom Erfordernis der vertragsgemäßen Leistung befreite Konzernprivileg 81 gleichsam en passant auf § 71a Abs. 1 AktG zu erstrecken und hierdurch die Konzernfinanzierung von jeglichen Beschränkungen allgemeiner Natur zu befreien. Bereits vor Inkrafttreten des MoMiG – und damit unter Geltung des § 291 Abs. 3 AktG a.F. – war denn auch die Ansicht herrschend, dass § 57 AktG nicht nur durch §§ 291 ff. AktG, sondern gleichermaßen durch § 311 AktG verdrängt werde, das System des gestreckten Nachteilsausgleichs also, sofern und solange Nachteilsausgleich möglich ist, an die Stelle des § 57 AktG trete; in der „MPS“Entscheidung hat sich der II. Zivilsenat dieser Ansicht angeschlossen und zugleich betont, dass auch unter Geltung des MoMiG vom Vorrang des § 311 AktG gegenüber § 57 AktG auszugehen ist.82 Verbietet es sich hiernach, im Wege eines Umkehrschlusses aus §§ 291 Abs. 3, 57 Abs. 1 S. 3 AktG von der Geltung des § 57 Abs. 1 S. 1 AktG im Rahmen der §§ 311 ff. AktG auszugehen, so erscheint es jedenfalls nicht ohne Weiteres geboten, aus § 71a Abs. 1 S. 3 AktG die Geltung des Verbots der finanziellen Unterstützung im Rahmen der §§ 311 ff. AktG herleiten zu wollen. Im Gegenteil beanspruchen die Erwägungen, die für die Verdrängung des § 57 AktG durch § 311 AktG sprechen,83 auch im vorliegenden Zusammenhang Geltung; auch insoweit gilt es zu vermeiden, dass das System des gestreckten Nachteilsausgleichs und die darin – ebenso wie in § 302 AktG – zum Ausdruck kommende Offenheit des Gesetzgebers gegenüber konzerninternen Kreditgewährungen durch die abhängige Gesellschaft partiell leerlaufen.84 Allzu große Bedeutung dürfte der Frage freilich schon deshalb nicht 81

Näher dazu die Nachw. in Fn. 23. BGH AG 2009, 81, 82; näher dazu Habersack ZGR 2009, 347, 354 ff.; s. ferner OLG München NZG 2005, 181, 183; OLG Frankfurt AG 1996, 324, 327; OLG Hamm AG 1995, 512, 516; OLG Stuttgart AG 1994, 411, 412; LG Düsseldorf AG 1979, 290, 291 f.; Hüffer (Fn. 14) § 311 Rn. 49; Ulmer FS Hüffer, 2009, S. 997, 1003 ff.; einschränkend Bayer FS Lutter, 2000, S. 1011, 1030 f.; aA Bälz, FS Raiser, 1974, S. 287, 314 f.; Altmeppen ZIP 1996, 693, 695 ff.; offen gelassen noch in BGHZ 175, 365 = NJW 2008, 1583 Tz. 28 – UMTS. 83 Vgl. die Nachw. in voriger Fn. 84 Für Vorrang des § 311 AktG auch Schroeder (Fn. 3) S. 278 ff.; GroßkommAktG/ Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 22; Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, 82

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zukommen, weil die Verdrängung des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG durch § 311 AktG nur insoweit in Betracht kommt, als die Gesellschaft einen Aktionär, der bereits herrschendes Unternehmen ist, beim Hinzuerwerb weiterer Anteile unterstützt; hingegen hat es bei § 71a Abs. 1 S. 1 AktG zu bewenden, wenn die Unterstützung dazu dient, eine beherrschende Stellung zu erlangen. Im Übrigen steht und fällt der Vorrang des § 311 AktG (ebenso wie derjenige der §§ 291 ff. AktG) damit, dass Art. 23 der Kapitalrichtlinie Raum für Konzernausnahmen lässt.85 4. „Ungeschriebene“ Unterstützungshandlungen Die Frage schließlich, welche Unterstützungshandlungen § 71a Abs. 1 S. 1 AktG im Einzelnen verbietet, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Wortlaut der Vorschrift – ebenso wie derjenige des Art. 23 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie – nur die Gewährung eines Vorschusses oder eines Darlehens und die Leistung einer Sicherheit verbietet, die ganz herrschende Meinung hierin indes einen „offenen Tatbestand mit Regelbeispielen“ erblickt und hieraus die Anwendbarkeit auf „ungeschriebene“ Unterstützungshandlungen herleitet.86 Dies ist bereits in methodischer Hinsicht bedenklich, haben sich doch sowohl das AktG als auch die Kapitalrichtlinie – anders als der Companies Act (“any other financial assistance”!) – gegen eine generalklauselartige Umschreibung der finanziellen Unterstützung oder die Ergänzung beispielhaft genannter Unterstützungshandlungen durch einen Auffangtatbestand entschieden. Die Annahme eines „offenen Tatbestands“ erscheint vor diesem Hintergrund um so problematischer, als hinsichtlich des Normzwecks des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG, wie im Einzelnen unter IV. dargelegt worden ist, nach wie vor kein Einvernehmen besteht und deshalb die Gefahr besteht, dass über die Hintertür des „offenen Tatbestands“ die jeweils für „richtig“ befundene ratio des Verbots Einzug hält. Gewiss geht es nicht an, am Wortlaut der drei „geschriebenen“ Tatbestände haften zu bleiben und hierdurch einer Umgehung des Verbots Tür und Tor zu öffnen,87 weshalb sich auch im Rahmen des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG ein “test of commercial sub-

Band IV: Aktiengesellschaft, 3. Aufl. 2007, § 69 Rn. 54; Fleischer AG 1996, 494, 505 ff.; Riegger ZGR 2008, 233, 240; offen gelassen von Kerber DB 2004, 1027, 1030; aA Koppensteiner, in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., 2004, § 311 Rn. 163; Nodoushani Der Konzern 2008, 385, 388 ff. – Allg. zum schuldrechtlichen Charakter der konzernrechtlichen Ausgleichsmechanismen Habersack/Schürnbrand NZG 2004, 689 ff. 85 Dazu im Zusammenhang mit Art. 15 der Kapitalrichtlinie, §§ 291 Abs. 3, 311 Abs. 2 AktG Schön FS Kropff, 1997, S. 285, 298 ff.; Habersack (Fn. 1) § 6 Rn. 40; Schwarz Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rn. 596; Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, Rn. 343. 86 Vgl. bereits unter III. mit Nachw. in Fn. 32. 87 In diesem Sinne auch KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) S. 27.

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stance and reality” empfiehlt.88 Dieser Test hat jedoch von dem gemeinsamen Kennzeichen der nach § 71a Abs. 1 S. 1 AktG verbotenen Handlungen auszugehen, das ersichtlich in dem Kreditelement der Unterstützung und der damit verbundenen Übernahme des Risikos des Aktienerwerbs besteht. Vor diesem Hintergrund lässt sich zunächst festhalten, dass die Unterstützung finanzieller Art sein muss, weshalb die Gestattung einer due diligence als solche gewiss nicht von § 71a Abs. 1 S. 1 AktG erfasst wird.89 Verhält es sich so, dass die Gesellschaft die Kosten der due diligence trägt, so mag das gegen § 57 AktG verstoßen;90 eine finanzielle Unterstützung in dem Sinne, dass die Gesellschaft das Risiko des Erwerbs der Aktien trägt, ist dann freilich immer noch nicht gegeben.91 Entsprechendes gilt für die Zusicherung einer „break-up“-Gebühr, die schon deshalb nicht unter § 71a Abs. 1 S. 1 AktG fällt, weil sie nicht den Aktienerwerb finanziert, sondern die Folgen des unterbliebenen Erwerbs ausgleichen soll,92 sodass es an der Übernahme eines auch nur mittelbaren Erwerbsrisikos fehlt. Austauschverträge ohne wirtschaftliches Eigeninteresse der Gesellschaft und zu unangemessenen Konditionen sowie verlorene Zuschüsse verstoßen gegen §§ 57 Abs. 1 S. 1, 93 Abs. 1 AktG, haben indes mit einer finanziellen Unterstützung im Sinne des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG schon deshalb nichts zu tun, weil es ihnen an einem Kreditelement fehlt.93 Entsprechendes gilt für die Zustimmung der Gesellschaft zur Übernahme einer Schuld des Veräußerers durch den Erwerber; sie hat weder den Abfluss von Aktiva noch die Einbuße an Liquidität noch die Begründung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft zur Folge, sodass es an jeglicher Gemeinsamkeit mit den „geschriebenen“ Unterstützungshandlun88

Vgl. dazu unter III. Vgl. zu sec. 677 Companies Act 2006 Davies (Fn. 3) § 13 Rn. 30 (S. 346); Ferran (Fn. 6) S. 277. 90 Näher zu den Vorstandspflichten Hemeling ZHR 169 (2005) 274 ff.; speziell zur Kostentragung durch die Gesellschaft Sigle/Zinger NZG 2003, 301, 306. 91 S. hingegen Chaston v. SWP Group plc. [2003] 1 BCLC 765, wo – auf der Grundlage der Generalklausel der sec. 152 Companies Act 1985 völlig konsequent – eine finanzielle Unterstützung für den Fall bejaht wird, dass die Kosten der due diligence von einer Tochter der Zielgesellschaft übernommen werden; vgl. ferner Corporate Development Partners LLC v. E-Relationship Marketing Ltd. [2007] All ER (D) 162 (Mar): Zahlung einer „Vermittlungsgebühr“ an Dritten stellt keine finanzielle Unterstützung dar. 92 Zu Recht gegen Anwendung des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 34; Sieger/Hasselbach BB 2000, 625, 630; aA MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 29; K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 12; Hilgard BB 2008, 286, 293 f. 93 AA Schroeder (Fn. 3) S. 188 f.; MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 20 f.; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 29 f.; s. zu sec. 54 Companies Act 1948 auch Belmont Finance Corporation v. Williams Furniture Ltd. and others (No. 2) [1980] 1 All ER 393 betr. einen Austauschvertrag zu angemessenen Konditionen, aber ohne Eigeninteresse der Gesellschaft. – Näher dazu sowie zur Anwendbarkeit des § 57 Abs. 1 S. 1 AktG Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 170. 89

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gen fehlt.94 Verschmelzung und Formwechsel der Zielgesellschaft unterliegen dem § 71a Abs. 1 S. 1 AktG schon deshalb nicht, weil sie Ausprägung der Organisationsfreiheit der Gesellschaft und ihrer Aktionäre sind und die Gläubiger den Schutz des UmwG genießen.95 Die Zahlung von Dividende schließlich ist auch dann gestattet, wenn der Empfänger mit ihrer Hilfe Aktien erwirbt; dies gilt auch für „Superdividenden“, die wirtschaftlich auf eine Teilliquidation der Gesellschaft hinauslaufen mögen, die indes die Gesellschaft nicht mit Risiken des Aktienerwerbs belasten.96 Zieht man Bilanz, so erweist sich die Annahme der herrschenden Ansicht, § 71a Abs. 1 S. 1 AktG enthalte einen „offenen Tatbestand mit Regelbeispielen“, nicht nur methodisch, sondern auch in der Sache als verfehlt. Richtig ist vielmehr das glatte Gegenteil: § 71a Abs. 1 S. 1 AktG erfasst gezielt drei Unterstützungshandlungen, denen durchweg ein Kreditelement und die damit verbundene Belastung der Gesellschaft mit Risiken aus dem Erwerb ihrer Aktien eigen ist. Das so verstandene Enumerativprinzip schließt zwar die erweiternde Auslegung oder gar analoge Anwendung des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG keineswegs aus; die hierfür erforderliche Vergleichbarkeit des ungeregelten mit dem geregelten Sachverhalt verlangt indes – auch dies an sich eine pure Selbstverständlichkeit – Ähnlichkeit im rechtlichen Sinne, an denen es den im Schrifttum befürworteten und vorstehend angesprochenen Anwendungsfällen des § 71a Abs. 1 S. 1 AktG durchweg fehlt.

VI. Fazit und Ausblick Im Umgang mit dem Verbot der finanziellen Unterstützung empfiehlt sich Nüchternheit. Die Vorschrift untersagt zwar die Heranziehung von Gesellschaftsvermögen zum Zwecke der Finanzierung des Beteiligungserwerbs durch Dritte, dies freilich nicht in jeder Hinsicht, sondern nur insoweit, als 94 So zumindest für den Fall, dass die Bonität des neuen Schuldners nicht schlechter ist die des alten Schuldners, LG Düsseldorf ZIP 2006, 516; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 35; näher Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 173; aA MünchKommAktG/ Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 28; ders. ZIP 2006, 1661, 1665 f.; K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger (Fn. 14) § 71a Rn. 12; Kerber DB 2004, 1027, 1028; ders. ZIP 2006, 522. – Vgl. auch MT Realisations Ltd. (in liquidation) v. Digital Equipment Co Ltd. [2003] 2 BCLC 117: Abtretung einer gegen die Zielgesellschaft gerichteten Darlehensforderung des Veräußerers an Erwerber ist keine finanzielle Unterstützung. 95 LG Düsseldorf ZIP 2006, 516; KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 38; MünchKommAktG/Oechsler (Fn. 14) § 71a Rn. 26; GroßkommAktG/Merkt (Fn. 8) § 71a Rn. 24; Fleischer AG 1996, 494, 505; Habersack FS Röhricht, 2005, S. 155, 174 ff.; Riegger ZGR 2008, 233, 248 f.; aA Kerber DB 2004, 1027 ff.; ders. ZIP 2006, 522; Ludwig FS Happ, 2006, S. 134 ff. 96 Wohl einhellige Meinung, s. KölnKomm/Lutter/Drygala (Fn. 3) § 71a Rn. 32; Habersack FS K. Schmidt, 2009, S. 523, 543.

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die Gesellschaft den Erwerb durch Gewährung von Kredit fördert und hierdurch mittelbar Risiken aus dem Erwerb ihrer Aktien eingeht. Die analoge Anwendung der Vorschrift kommt deshalb nur insoweit in Betracht, als Unterstützungshandlungen in Frage stehen, denen ein nämliches Kreditelement eigen ist. Entgegen der ganz herrschenden Ansicht enthält § 71a Abs. 1 S. 1 AktG mithin keinen „offenen Tatbestand mit Regelbeispielen“. Die Vorschrift folgt vielmehr dem Enumerativprinzip, was angesichts der weitreichenden Folgen eines Verstoßes auch angemessen ist. Vor diesem Hintergrund wird man dem deutschen Gesetzgeber nicht empfehlen können, von der Option des Art. 23 Abs. 1 der Kapitalrichtlinie Gebrauch zu machen und die finanzielle Unterstützung nach Maßgabe der UnterAbs. 2 bis 5 dieser Vorschrift zu gestatten und hierdurch zugleich der Neuregelung in § 27 Abs. 4 AktG über das Hin- und Herzahlen einen praktischen Anwendungsfall zu verschaffen. Der damit verbundene Regelungsaufwand stünde nicht zuletzt mit Blick auf das unabdingbare Erfordernis eines mit qualifizierter Mehrheit ergangenen und durch Vorstandsbericht vorbereiteten Hauptversammlungsbeschlusses außer Verhältnis zum praktischen Nutzen einer solchen Reform.97

97 So auch Drygala Der Konzern 2007, 396, 406; für das englische Recht auch Davies (Fn. 3) § 13 Rn. 57 (S. 357 f.); Ferran (Fn. 6) S. 308 f.

The Contractualization of Organizational Law Henry Hansmann / Reinier Kraakman I. Introduction In Atlantic society, the law of business organizations has traversed a great arc since the Middle Ages, evolving – in very general terms – from contract to law and then back again to contract. Moreover, in the relatively recent shift from law back to contract, the control strategies employed have evolved, broadly speaking, through three stages: from (1) hard-edged legal rules to (2) more flexible legal standards to (3) decision-making mechanisms based on voice and exit. Indeed, the latter pattern can be seen in non-business organizations as well. Our object here is to describe this broad evolutionary course and to speculate on the reasons for it. The thoughts we offer are both very general and very preliminary; we hope to explore the issues more carefully in future work.1 The topic seems appropriate in celebrating the extraordinarily distinguished career of Klaus Hopt, who has dealt with corporate law in the broadest terms, has been intensely international, has produced authoritative work in the field of contract law as well as corporate law, and has spent a conspicuous period of residence in Florence, which was at the heart of the medieval origins of modern commercial law that we describe. The business organizations on which we focus are those that fall within our own broader definition – offered elsewhere – of “legal entities” 2 or

1 We build here on the recent work of a number other scholars, including particularly Timothy Guinnane, Ron Harris, Naomi Lamoreaux & Jean-Laurent Rosenthal Ownership and Control in the Entrepreneurial Firm: An International History of Private Limited Companies, Yale Economic Growth Center Discussion Paper No. 959 (2007); Margaret Blair Locking in Capital: What Corporate Law Achieved for Business Organizers in the Nineteenth Century, 51 UCLA Law Review 387 (2003); Naomi Lamoreaux & JeanLaurent Rosenthal Corporate Governance and the Plight of Minority Shareholders in the United States before the Great Depression, in Edward Glaeser & Claudia Goldin, eds., Corruption and Reform: Lessons from American’s Economic History (2006); Ron Harris Industrializing English Law: Entrepreneurship and Business Organization 1720–1844 (2000); Larry Ribstein Why Corporations?, 1 Berkeley Bus. L.J. 183 (2004). 2 Henry Hansmann, Reinier Kraakman & Richard Squire Law and the Rise of the Firm, 119 Harv. L.Rev. 1333 (2006).

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“contracting entities” 3. These are, in simple terms, organizations that have the capacity to enter into contracts and own property in the organization’s own name. More particularly, they are organizations whose assets are, as a default rule of law, all pledged to back the organization’s contractual commitments and, to this end, are shielded to some degree from the claims of creditors of the organization’s owners and managers.4 We’ll necessarily be brief and schematic in our exposition and analysis. In particular, we’ll focus, in strongly stylized fashion, on just three discrete points in the temporal and geographic development of organizational law: Italy around 1450, the United States around 1875, and the United States today.

II. Italy in 1450: Private Ordering and Unlimited Liability The dominant business entities in Europe of the 1400s in Italy – the most advanced commercial region of the time – were the partnership and the (then relatively new) limited partnership. These organizational forms collapse owners and managers into a single class of actors, the general partners, who both manage their firms and face unlimited personal liability for their firms’ obligations. The principal difference between the more common partnership and the limited partnership, in the late middle ages as today, is that limited partners were passive investors who did not exercise control rights and were therefore not full owners of their firms. The core of the partnership form, at least until the late 20th century, was tying management to ownership, and tying both of them to unlimited personal liability to the firm’s creditors. Almost every other aspect of the general partnership entity, in the 15th as well as the 20th century, could be modified in a partnership agreement – that is, by a contract drafted against the backdrop of more or less well articulated default terms. Of course, unlimited liability to firm creditors was also a default rule that the partnership could avoid by contract with individual creditors, presumably even in 1450. As a matter of practice, however, there is little evidence that partnerships even attempted to contract out of the personal liability of general partners, at least until several hundred years later in England.5 Thus, the status of general partners suggests 3 Henry Hansmann Ownership and Organizational Form, in The Handbook of Organizational Economics, Robert Gibbons and John Roberts, eds., forthcoming 2010. 4 The latter attribute is explored in Henry Hansmann & Reinier Kraakman The Essential Role of Organizational Law, 110 Yale L.J. 387 (2000), where it is termed “affirmative asset partitioning.” We give it the simpler label “entity shielding” in Hansmann, Kraakman & Squire supra note 2. 5 Eighteenth century England – and the U.S. – saw the creation of many unincorporated joint stock companies that sought to achieve limited liability by contract. See Ron Harris supra note 1.

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that the structure of the principal commercial legal entities from the Middle Ages until the 19th century was driven by a fear of partner opportunism vis-à-vis firm creditors. This fear was well grounded in 1450. Reflecting the commerce of the time, partnerships tended to have only a few owners, and possessed assets that were highly redeployable and easily appropriated. Thanks to Siena’s unsuccessful experimentation with legislation mandating limited liability partnerships for banks in 1310, we know that imposing unlimited personal liability on general partners was a crucial legal prerequisite if partnerships were to be creditworthy, at least in some lines of business.6 Thus it seems that creditor-owner conflict was the dominant agency problem afflicting the commercial firms in 1450, and it continued to be so for several centuries thereafter.

III. The Corporate Business Organizations in 1875: Large Firms and Legal Rigidity Skipping centuries and jurisdictions, to the U.S. of 1875, we still find the general partnership a widely used commercial entity form. But now there is an entirely new genus of corporate commercial entity forms, ranging from ordinary business corporations to cooperatives and mutuals. A principal hallmark of these new entities is that the liability of their owners – their shareholders or members – for firm obligations is limited, in sharp contrast to the general partners of the various partnership forms. What developments led to the appearance of this new genus of corporate-type commercial forms? Why, in particular, did it become efficient for third parties to extend credit to organizations whose owners not only exercised control but also enjoyed limited liability? One obvious point is that the new corporate-type forms were quintessentially designed for large organizations. Business corporation statutes and cooperative corporation statutes, as of 1875, implicitly contemplated numerous owners and significant assets. Large size, numerous owners, and substantial assets that were often fixed – such as plant and equipment or canals and railway infrastructure – gave firm creditors a measure of de facto protection, simply because the multiple owners of these firms would have found it difficult to walk off with their firms’ assets, in contrast to the handful of general partners in, say, textile or banking partnerships of 1450. In this respect (and this respect only), the business corporations of 1875 resembled 6 See William M. Bowsky A Medieval Italian Commune: Siena Under the Nine 1287–1355, at 254–57 (1981); Edward D. English Enterprise and Liability in Sienese Banking, 1230–1350, at 91–92 (1988).

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the “nonprofit” monasteries of 1450, which engaged in extensive business activities and generally enjoyed a reputation as good credit risks. Thus there is good reason to expect that the severity of the agency problem between creditors and owner in the corporate form was less severe than it had been in earlier centuries. 1. Explaining the Transition to the Corporate Form The fact that the new corporate entity forms were designed for large firms with fixed assets, while small firms continued to rely on the partnership, suggests one reason why creditors may have accepted limited liability for owners by 1875. It does not explain, however, the emergence of enterprises that required the corporate form – or, alternatively, the emergence of a legal entity structure that “permitted” these enterprises to efficiently raise capital. Here we digress briefly to explore the two kinds of theories that might be, and have been, offered to explain the radical legal innovation that encouraged an explosion of corporations and cooperatives in the late 19th century. We will label them, respectively, demand-side theories and supply-side theories. Demand-side theories point to the changing scale and character of industrial technology, hypothesizing that the new technologies called for new organizational forms. There are, broadly speaking, two demand-side theories. The first focuses on new technologies that increased the capital intensity of industry. The explanation goes more or less as follows: The need to assemble large amounts of capital required a larger class of equity investors, with the result that management of the entities necessarily required delegation. With delegation of authority, owners were no longer prepared to incur unlimited personal liability for organizational debts. The result was greater scope for opportunism toward creditors than in unlimited liability entities. This could be mitigated to some degree, as it was, by reducing owners’ withdrawal rights, though at some cost of increased opportunism toward the locked-in beneficiaries. These entities were costlier – in terms of the sum of the cost of credit and the cost of opportunism – than the previously dominant unlimited liability entities. But that higher cost was worth paying in return for the advantages of the new capital-intensive technologies. The second demand-side theory focuses on increased asset specificity. According to that theory, new productive technologies required organizations to invest in specialized assets whose value would be substantially reduced if the firm were liquidated in whole or in part. For this reason, beneficiary withdrawal rights had to be attenuated. The increased costs to beneficiaries from being locked in could be mitigated to some extent by adopting limited liability, though at an increased cost of credit. But the profitability of the new technologies was sufficient, in many cases, to bear the higher cost of credit

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and of opportunism toward beneficiaries that these forms would often involve.7 By contrast, supply-side theories point to changes in the legal and institutional environment in which entities are embedded. Again, broadly speaking, there are two such theories. The first might be called the “invention theory,” which points to the invention or discovery of new organizational forms and legal rules. The most familiar version of this theory focuses on limited liability as a novel invention that crucially paved the way for the business corporation. More sophisticated variants of this theory point instead, or as well, to the conceptualization of fractional ownership rights in a firm as personal property that can be freely transferred, or the introduction of general corporation statutes that permit the formation of limited liability entities as a matter of right. Under the extreme form of these theories, the legal rules involved might just as easily have been implemented in 1450 as in 1875, but simply had not been thought of at the earlier date. The second supply-side theory attributes the appearance of the new organizational forms to the development of the social infrastructure – what we might term the “transaction technology” – necessary to support them. The dominant forms of 1450 were, one might think, of types that placed little pressure on the legal system or on private institutions of contracting, monitoring, and enforcement. The business corporations and other limitedliability business entities that arose later, however, required more sophisticated and elaborate institutions of both a legal and an economic character. These new institutions might include, for example, broader geographic jurisdiction for courts, better developed bankruptcy processes, more sophisticated accounting, better communications, and more extensive markets for financial assets. This theory differs from the invention theory in that it points to developments that could not have taken place instantaneously in 1450, but required substantial time and investment. Moreover, some of the critical features – such as courts with broad geographic reach – were simply unavailable in Italy in 1450 for largely exogenous reasons. We will not try to offer a full evaluation of these demand- and supply-side theories. We note, however, that to date the demand-side theories have been much more clearly articulated and more closely tested than have the supplyside theories. On the demand side, the development of new productive technologies that called for greater capital intensity and greater asset specificity clearly required the creation of a legal entity, such as the business corporation, that could pool large amounts of stable capital. Unfortunately, it is hard to say if supply-side changes were equally important, and if so which

7 Note that firm-specific assets are commonly poor security for credit, and hence in themselves may exacerbate rather than mitigate the cost of credit.

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ones. Transferable equity shares had been employed by large proto-jointstock companies created in Genoa as early as the 14th century.8 Knowledge of accounting and bookkeeping may have been more widespread in 1875, but the essential innovations in those fields had already been made by 1450 and were evidently well-known to prominent merchants of the time. The American judicial system was well developed in 1875, but may not have exhibited greater honesty or commercial expertise than the merchant courts of 1450. Moreover, it is not even clear that a developed corporate law and judicial system was essential infrastructure for the corporate form. Japan created substantial numbers of successful corporations by the early 1890s with little background law, and many developing countries are arguably doing roughly the same today. 2. Legal Hesitation and the Corporate Form But if the law’s role in initiating the corporate form is uncertain, lawmakers were well aware of the dangers of abandoning the simple but robust protections of partnership law – namely, unlimited liability for creditors, and the right to force dissolution of the firm for the firm’s individual owners. As we have noted, the large scale of new corporate firms in itself mitigated the dangers faced by firm creditors. Nonetheless, the new entities clearly did not entirely escape the risk of owner opportunism vis-à-vis creditors. Moreover, the new entities exacerbated the risk of opportunistic behavior by majority owners vis-à-vis minority owners. The new corporate entities were designed to support large and stable pools of capital, which meant that their owners – e.g., individual shareholders – could not be allowed to force liquidation of the firm or withdraw their assets at will. Minority shareholders thus lost the strong protection of withdrawal rights that general partners enjoyed in partnership entities. Organizational law from 1450 to 1875 developed along lines that evidently sought to mitigate the continuing problem of creditor expropriation and the newly enhanced problem of the exploitation of minority shareholders. In general, the evolution of corporate forms from 1450 to 1875 took place in two phases. The first phase, roughly from 1450 to 1800, brought the development of the new organizational types – business corporations, cooperatives, and mutuals – in the form of individually chartered organizations or, some-

8 See Guido Ferrarini Origins of Limited Liability Companies and Company Law Modernisation in Italy: a Historical Outline, in Gepken-Jager, van Solinge, Timmerman, eds., VOC 1602–2002, 400 Years of Company Law 189 (2005). Indeed, publicly traded joint stock companies with limited liability appear to have flourished even at the close of the Roman republic; see Ulrike Malmendier Law and Finance “At the Origin”, 47 J. Econ. Lit. 1076 (2009).

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times, as unincorporated joint stock companies cobbled together, with uncertain legality, from elements of partnership and trust law.9 The second phase, roughly from 1800 to 1875, brought the instantiation of these new organizational types into standard statutory forms that organizations could adopt as a matter of right, without having to petition the legislature or the executive for a special charter. Both phases involved special devices for protecting the interests of creditors and noncontrolling beneficiaries. During the first phase, the incorporators had to convince the government that the organization deserved the government’s authorization – a process that presumably included providing assurances that opportunism toward creditors and noncontrolling beneficiaries would remain within bounds. In the second phase, which largely occurred during the 19th century, the statutory forms were designed to be simple and rigid, reducing the potential for structures or transactions that could be abusive to creditors or noncontrolling owners. Under the original business corporation statutes, for example, firms were closely regulated in their maintenance of minimum capital, could not merge, could not have their stock held by other corporations, were closely restricted to stated charter purposes, were subject to rigid constraints on self-dealing transactions by officers and directors, and in some states were obligated to employ cumulative voting for directors. The first of these types of restrictions, on legal capital, was clearly designed to protect creditors. The others were evidently designed to protect noncontrolling beneficiaries, but were probably imposed as well to facilitate credit by making it easier for creditors to evaluate and monitor the new limited liability firms. Thus it was toward the conclusion of the period 1450–1875 that the “legalization” of business entities reached its apogee. While partnership law continued to provide ample space for privately ordering small businesses, general corporate or cooperative statutes imposed numerous mandatory rules on corporations to protect creditors and outside shareholders. In the third stage of organizational development that we describe below, from 1875 to the present, we see a remarkable loosening of rigid constraints on corporate-style entities, and a shift toward the internalization of classic conflict-of-interest disputes, in which the law shapes internal corporate procedures rather than deciding the substantive outcomes of these disputes. On one level this evolution signals a return to the kind of private ordering that has always dominated partnership entities. On another level, it signals the development of a much more sophisticated legal infrastructure that can support private ordering without the elegantly simple but unstable buttresses of partnership law, i.e., unlimited partner liability and a partner’s unlimited right of withdrawal.

9

See note 7, supra.

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IV. The 20th Century: A Return to Private Ordering Broadly speaking, the 20th century brought three types of changes in business entities. First, debt of all forms became almost completely contractualized. Second, internal governance in small firms that have corporate-type limited liability also became almost completely contractualized, in part through the introduction of new and more flexible types of limited-liability business entities. (While this new flexibility has also been made available to publicly-held firms, they have generally made little use of it.) Third, all business entities evolved toward greater flexibility in internal affairs along a path that proceeded through, broadly speaking, three stages: from (1) hard-edged legal rules to (2) more flexible legal standards to (3) contractual decisionmaking mechanisms based on voice and exit. We examine these three developments in order. The reader must bear in mind, however, that – apart from the introduction of the new limited-liability business entities – these developments have actually unfolded in parallel. 1. The Contractualization of Debt Business firms of all types – including very small closely-held firms with few tangible assets – have now become capable of attracting credit with limited liability. The most likely reason is increased sophistication in contracting, and in the institutions – such as credit reporting services, legal services, courts, accounting, communications, the law of security interests and associated notice systems, and bankruptcy law – that support contracting. Some of these changes presumably occurred between 1450 and 1875. Yet, as we have already noted, it is difficult to judge the extent to which the creditworthiness of limited liability entities prior to 1875 was simply a consequence of demand-side as opposed to supply-side developments. Today, however, the change is clear. Firms of the type that were formed as general partnerships in 1875 – not to mention 1400 – are now formed as limited liability entities. In effect, the 20th century brought nearly complete contractualization of creditor relations. Substantial lenders might often insist that the owners of a small firm pledge their personal assets as a condition of extending credit, hence waiving their limited liability, but this commitment is today undertaken explicitly by individual contract, as an exception to the standard form. The contractualization of debt is also reflected in bond contracts, whose indentures often stretch to 200 pages or more, and regulate the debtor firm in far more detail than statutory law ever could. And it is reflected in the terms of borrowing from banking syndicates and in the short-term Repo market, whose collapse in the financial crisis of 2007–08 threatened to bring the U.S. economy to a complete standstill.

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The path to the contractualization of debt has, moreover, followed the three-step pattern we have described: from rules to standards to full contractualization, with an increasing grant of exit and voice rights to creditors. The 19th century approach to creditor protection in business corporations focused on a rules approach, such as rigid provisions for maintaining legal capital. This was followed by a standards-based approach, focused on more flexible limits such as those imposed by the prohibition of fraudulent conveyances. Today, in turn, there is extensive contracting over the details of the relationship between the firm and its creditors, and those details often include requirements that firms continue to meet a variety of financial targets and conditions, backed by the creditors’ right to exit – that is, withdraw their financing – from the firm in case of noncompliance. Moreover, creditors increasingly contract for the explicit right to approve or disapprove a variety of business decisions that might affect the creditworthiness of the firm, including entry into new lines of business.10 2. The Contractualization of Internal Governance in Small Firms The rise of closely held firms with limited liability follows chronologically the contractualization of debt for the entire range of legal entities. U.S. jurisdictions over the past 30 years have given birth to five new forms for business entities – all of which have limited liability, and all of which are designed principally for use by closely held firms. Even more than the rise of corporate forms in the 19th century, these new forms spell the effective death of the partnership form, at least as a set of default rules. While partnership law continues to govern the rights and obligations of parties who do business together without formalizing their relationship, it is now rarely a form that business persons self-consciously adopt for anything other than specialpurpose joint ventures. This is an enormous change. The partnership, not the corporation, was the workhorse of the Industrial Revolution, and remained the dominant form for small business at the beginning of the 20th century. By the end of the century, however, it had become vestigial (as had the sole proprietorship as well). Even the smallest of business firms, including those with a single individual as the owner, are today typically formed as business corporations or as LLCs The new forms of business entities for closely-held firms in the U.S. date from roughly 1960 onwards. The first of these new forms was the closely held business corporation that was specially provided for by separate statutes

10 This is not to deny that there was sophisticated contractualization of debt prior to 1875, but rather to suggest that a degree of rigidity in legal protections was nonetheless deemed necessary.

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beginning around midcentury. To this were added, in rapid succession in the last two decades of the century, the limited liability company (LLC), the limited liability partnership (LLP), the limited liability limited partnership (LLLP), and the statutory business trust.11 The movement toward contractualization that these new entity forms facilitate goes well beyond relationships with creditors, extending to all aspects of firm governance – including, in particular, relationships between controlling owners and noncontrolling owners. The new business forms impose many fewer mandatory rules on organizational governance and finance than the business corporation statutes traditionally have. Indeed, the newest of these forms – the statutory business trust, first adopted in 1988 by the State of Delaware – even lacks default rules for many basic elements of firm organization, such as selection of managers. And all of the elements for which the statutory trust law does provide default rules – including fiduciary duties – are explicitly made alterable by contract in the firm’s governing instrument. In short, the statutory trust provides a simple entity shell – with corporate-type asset partitioning in the form of strong entity shielding and full limited liability – and leaves everything else to contract. And the new LLC statutes come reasonably close to this position of total contractualization as well. (In contrast, the general corporation statutes continue to contain some important rules that are evidently mandatory. For example, Delaware law requires a proposal by a corporation’s board and a majority vote of the shareholders to dissolve the firm.) The highly contractualized governance mechanisms of closely held firms seem also, roughly speaking, to be following the path from rules to standards to voice and exit. In 1875, closely held corporations were forced to adhere to the same inflexible rules that governed publicly traded business corporations. By the middle of the 20th century, such firms were allowed more structural flexibility, subject to meeting acceptable broad standards. Thus, voting agreements and restrictions on the transferability of shares were permitted when reasonable. And today, the essentially unlimited contractual freedom given closely held firms has been employed to establish the same kinds of proceduralized protections for specific types of transactions that is increasingly becoming part of a law of publicly traded corporations. High-technology startup firms that are financed by venture capital offer an example of the state that such contracting has reached. Decision rights are elaborately apportioned

11 As we discuss below, similar forms developed in Europe beginning rather earlier, including the workhorse of the German Mittelstand, the GmbH. But while these European forms allowed owner/shareholders a great deal of flexibility to structure their internal governance, with the exception of the UK private limited company they were careful (at least until recently) not to relax mandatory rules intended to protect creditors, such as relatively high minimum capitalization requirements.

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among the entrepreneur and the venture capitalists, sometimes with provision for mediation by specially selected independent board members.12 Having outlined the evolution of the law of business entities over the past century, it remains to ask how that evolution can be explained. While there are several plausible explanations, the available evidence seems insufficient to choose among them with clarity. We will therefore content ourselves with simply describing, generally, what we see as the principal alternatives. Roughly speaking, there seem to be three theories that might explain the progressive relaxation of the legal restrictions on the structure of closely held firms over the past century. a) Mistake The simplest theory is that the restrictions in the law of 1875 were unnecessary even then, and imposed in error. Parties to closely held firms – whether the unlimited liability partnerships of 1450 or the close corporations of 1875 – could always manage firm governance by contract. The addition of limited liability, lock-in, and transferability did not require legal restrictions on organizational forms. b) Exogenous Institutional Change Another theory is that relaxation of legal constraints was occasioned by relatively exogenous changes in legal and institutional technology and infrastructure that permitted more elaborate contracting among equity holders and small firms. These might include less corrupt and more sophisticated courts, and the adoption of federal bankruptcy law (lacking in the U.S. before 1898). c) Endogenous Institutional Change Facilitating institutional change could also have been endogenous. When the corporate form was first introduced, it allowed noncontrolling owners to get locked in. It also allowed transferability of shares. Legislators and judges were understandably nervous about the abuses that might follow. So they adopted relatively restrictive forms to limit the potential for those abuses. As experience developed, they saw that some of their fears were unfounded, and the related restrictions could be relaxed. Other fears were well-founded, but over time the sophistication for handling them developed among entrepreneurs and investors and their legal and financial advisors, so that the law could be liberalized. 12 See Brian Broughman Independent Directors and Board Control in Venture Finance (2009). The history of these forms is carefully documented in Guinnane et al. supra note 1.

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d) Exogenous Incentives Yet a fourth theory that is commonly offered, but that does not seem to survive scrutiny, attributes institutional evolution to exogenous changes in the taxation of business entities. In the U.S., liberalization of the tax rules for limited liability entities during the 1980s was, conspicuously, a major stimulus to liberalization of entity forms. Compared to the partnership, however, this was the re-leveling of a playing field that had been distorted with the adoption of the corporate income tax early in the century. Therefore, taxation cannot explain why today’s world looks different from that of 1875. 3. Experience in Other Countries So far, in viewing organizational evolution from 1875 to 2000, we have concentrated our focus on developments in the U.S. But some other countries adopted relatively liberal forms for closely held limited liability companies long before similar forms were adopted in the U.S. Germany provided for the GmbH in 1892, the UK for the private limited company in 1907, and France for the SARL in 1925.13 Can we learn something general about the evolution of organizational law by comparing those developments with that in the U.S.? Once more, clear answers are difficult to find. We can simply set forth several theories that could, individually or together, explain why special liberal forms for private limited liability companies arrived in Europe much earlier than in the U.S. a) Mistake Again, there is the mistake theory. There was never a need to place restrictions on the internal affairs of close companies. It would have been efficient for the United States to adopt a liberal close company form in 1890 just as the Germans did, and it was simply an inefficient mistake that more than half a century was required for the U.S. to follow suit. b) Sociology Another theory points to differences in the structure of European society. Enterprise in Europe was commonly family owned over a long period of time, and the family, its firm, and the firm’s employees, suppliers, and customers were principally local and stable. This contrasted with a great mobility and anonymity of the owners and patrons of American enterprise. Consequently, in Europe reputation could provide the support for small firm 13

The history of these forms is carefully documented in Guinnane et al. supra note 1.

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contractual relations that had to be provided by more rigid legal rules in the United States. c) Fear of Markets Yet another theory points to the apparent greater fear of public equity markets on the continent than in the U.S. or the UK – a fear with its roots in the ill fate that met the early experience with shares in publicly traded firms. This caused the Europeans to adopt public company forms in the 19th century that, though permitting incorporation as of right, were relatively rigid compared to those in United States and England. But the Europeans were, naturally, less worried about privately held firms. Consequently, there was substantial pressure to relax the rules for privately held firms, while keeping them rigid for publicly held firms. In the United States and England, in contrast, the law of publicly traded firms was never as rigid as it was on the continent. Consequently, there was much less need for special less restricted private company forms. (And we should note in this context that the first form, the German private company, was in fact moderately rigid by current standards.) England adopted a private company statute – more or less following the pattern of the continental Europeans – only after, in 1875, it replaced its original extremely flexible public company statute with a more rigid one. The private company statute adopted in 1906 can be seen as simply returning private companies in the UK to the degree of liberality they had prior to the adoption of the restricted public company statute in 1875. But why were the English able to develop a very liberal public company law in the 19th century while the United States had more rigid law? A likely answer is that, in fact, they were not able to do that. They realized, by 1875, that they had gone too far with respect to publicly traded firms, and cut back. But then why did they not cut back also for privately held firms, at least to the extent that the United States Law restrained them? One answer might be that, on account of the liberality of the earlier law, England already had many private companies with governance structures that were sufficiently creative as not to be well covered by a rigid statute. Adopting a new rigid statute would have required the reformation of all of those firms, which would be expensive and a source of resistance. Moreover, English entrepreneurs, lawyers, and bankers had already developed some sophistication in dealing with these more elaborate private companies. Consequently, they had the transactional technology, as it were, to deal with them – a technology that had not yet been developed in the United States. 4. The Incomplete Contractualization of Publicly Held Firms A seeming anomaly for our thesis that business entities are following a path from law to contract is the publicly traded business corporation in the United States. The U.S. law of publicly traded business corporations today

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provides for vastly greater freedom of contract than in the past (or than is the case in most other countries). The statutes today are filled largely with default rules rather than mandatory rules, leaving a firm’s founders with great discretion to structure the governance and financing of the firm as they wish. Yet publicly traded firms, in contrast to closely held firms, rarely take advantage of this flexibility. Instead, they typically just adopt the default terms of the corporation statutes. Or at least this is true for two of the three relationships – and corresponding agency problems – that characterize organizations: that between the organizations’ owners and managers, and that between controlling owners and noncontrolling owners. As noted above, the third of these relationships – that between the firm and its creditors – was contractualized in publicly traded firms well before it was fully contractualized in closely held firms. Why have publicly traded business corporations, as opposed to closely held ones, abjured the freedom given them by the law to customize their internal affairs? There seem to be, broadly speaking, three possible reasons. a) Network Effects The first involves network effects. The essential idea here is that there are economies of scope and scale for courts, investors, creditors, financial analysts, and lawyers in having a reasonably standardized firm structure to deal with.14 b) Perfection The second possible reason is that the default rules in the business corporation statutes cannot easily be improved upon. That is, there is essentially only one set of efficient arrangements for the financing and governance of publicly traded business corporations, and that set of arrangements is well captured by the default rules currently provided for in the law, or at least by those provided for in the law of Delaware, which governs the majority of the publicly traded corporations in the United States. c) Delegated Contracting A third possible reason is that adoption of statutory default terms has the advantages of what one of us has elsewhere called “delegated contracting.” 15 Publicly traded business corporations have long expected lifetimes, during the course of which their internal relationships will almost surely need to be

14

Michael Klausner The Contractarian Theory of Corporate Law: A Generation Later, 31 J. Corporation Law 779 (2006). 15 Henry Hansmann Corporation and Contract, 8 American L. & Econ. Rev. 1 (2006).

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adjusted to accommodate to changes in the legal and business environment in which they operate. Yet the very large numbers of shareholders in such corporations, and the degree of operational authority that must necessarily be delegated to management in such corporations, effectively render efficient recontracting of governance terms among those parties impractical. Consequently, the most efficient solution is to delegate to a reasonably disinterested third party the responsibility for altering the firm’s internal relationships as becomes necessary over time. And delegation of this re-contracting authority to a relatively neutral governmental entity – such as the legislature and courts of the small state of Delaware – serves this purpose well. This delegated contracting authority need not extend to relations between the firm and its creditors, however, since those relationships tend to be relatively short-term and since often they require negotiation and agreement only between two parties or their representatives. Thus, delegation of authority for setting and revising the rules of internal governance need only extend to the relationships between owners and managers and between controlling and noncontrolling owners. Our own view is that the third of these explanations is the most convincing, though perhaps some weight should be given to the other two as well. Whatever the correct explanation, however, publicly traded business firms have been constrained from following closely held firms down the path of complete contractualization that the latter have followed over the past century. 5. From Rules to Standards to Exit and Voice Publicly traded corporations in the United States have, however, evolved in a pattern similar to that followed by closely held corporations, in that the legal strategies employed by the law of publicly held corporations have followed a progression from rules to standards to decision-making mechanisms based on exit and voice. Roughly speaking, the late 19th century approach to constraining opportunism on the part of managers and controlling owners was to deploy rules that limited the types of transactions that could be undertaken. Strict interpretation of purposes causes, prohibitions on mergers and on ownership of stock in another corporation, and voidability of self-dealing contracts are examples. In the course of the 20th century, these rules were often replaced with more flexible standards. Standards, in turn, were then supplemented or replaced by decision-making mechanisms in which the parties who might be disadvantaged by the decision were given the right to approve it, and given as well access to the information necessary to make that choice. Thus, crudely speaking, self-dealing transactions by managers were at first prohibited, then

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permitted if they met a judicially accepted standard of fairness, then made subject to a vote of approval by disinterested directors or shareholders. Likewise, to constrain opportunism by controlling shareholders, mergers between corporations were first prohibited entirely, then permitted subject to a vote of shareholders but only if the consideration took the form of stock in the surviving corporation, then permitted to be organized on a cash-out basis but subject to judicial review for fairness, and finally – in the case of the squeeze out mergers that are most threatening to minority shareholders – subject to a fairness standard whose severity was conditioned on the exercise of voice in the form of hard negotiation by independent directors and informed vote of approval by a majority of the non-controlling shareholders. And meanwhile an exit right in the form of appraisal – under increasingly sophisticated financial evaluation methods – has been maintained for typical squeeze out transactions as well (though its importance today is perhaps questionable). 6. Alternative Business Organizational Forms: Coops We have described two broad developments in the organization of business firms over the past century. One is a movement from law to contract. The other is a shift in protective mechanisms from rules to standards to voice and exit. Although business firms exhibit these transformations most clearly, other types of organizations seem to be on a similar evolutionary path, though often with a noticeable lag. We briefly review the evolution of one other business organizational form here, and say a few words about the extent to which the theories outlined above seem applicable to these developments. We have taken care to refer to “corporate” entity forms rather than to the business corporation per se, although in most contexts the business corporation is our paradigm. Our reticence arises from the fact that many jurisdictions provide for commercial entities other forms than the business corporation that confer limited liability on their owners, including, in particular, cooperative corporations. Until recently, U.S. statutes establishing the cooperative corporation form exhibited a set of relatively arbitrary statutory rules (such as one-member-one-vote) and broad standards (such as redeeming capital investments of withdrawing members within a reasonable period of time). Over roughly the last 20 years, however, there has arisen a group of “new generation cooperatives” that create much more elaborate governance structures by means of contract, often building from the newly flexible business organization forms rather than from cooperative statutes. These new generation cooperatives allocate voting rights proportionally to patronage, as in a business corporation. They lock in a stable level of patronage by eliminating individual withdrawal rights in favor of collective liquidation

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rights, and then make patronage shares transferable, also as in a well-formed business corporation. But all is done by contract rather than by law.16 The viability of these organizations would not be affected if the cooperative corporation statutes were simply repealed. Why have these new firms appeared only recently? It is hard to argue that the answer lies in the demand side. Heavily capitalized cooperatives have been in existence for at least three quarters of a century. Rather, there seem to be two other possible explanations. One is the evolution of the business corporation statutes, which are now sufficiently flexible to allow them to be used for these purposes. Thus, this development piggybacks on the developments among business corporations dealt with above. A second explanation perhaps lies in the increasing sophistication of the agriculturalists and their legal advisors – sophistication that perhaps has come largely from experience in working with standard investor-owned corporations.

V. Conclusion When we examine the evolution of organizational forms over time, we see several prominent patterns. First, there is the development of organizations whose beneficiaries have limited liability yet exercise some degree of control over the organization. These limited liability organizations at first had relatively rigid legally mandated forms, but by now have come to include firms with virtually any governance structure. While the first phases of this development may have been largely driven by demand, the more recent phase has clearly involved the development of more sophisticated transactional technology. How much of that technology was exogenous and how much was endogenous, however, is difficult to judge. Second, consistently with the increasing sophistication of transactional technology, the structures of closely held business organizations have become increasingly contractual over roughly the last century, returning them to the high level of contractualization they exhibited in the late Middle Ages. This contractualization is not mirrored, however, in publicly traded business firms, which for the foreseeable future seem destined to be structured largely by law. Third, whether organizations are structured by law or by contract, the mechanisms by which their fundamental agency problems are handled seem to be evolving from rules to standards to voice and exit. Again, improved transactional technology – including, in particular, better means of disclosing

16 See Michael Sykuta & Michael L. Cook A New Institutional Economics Approach to Contracts and Cooperatives, 83 Am. J. Agri. Econ. 1271 (2001).

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and evaluating information – seem to be playing a strong role in this transformation. This development is most conspicuous among business organizations, but seems to be visible, with a lag, in other types of organizations as well.

Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Alexander Hellgardt I. Einleitung Gesellschaftsrecht ist bei Klaus J. Hopt zutiefst mit Rechtsvergleichung verbunden. Es ist daher wenig überraschend, dass die Arbeiten des Jubilars zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht durch die rechtsvergleichende Sichtweise geprägt sind, insbesondere durch den Dualismus der US-amerikanischen fiduciary duties, die sich in die duty of care und die duty of loyalty unterteilen.1 Rechtsvergleichende Impulse sind auch in Hopts Arbeiten zur Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht unverkennbar, zuletzt im Rahmen seines Vorsitzes der Abteilung Wirtschaftsrecht des 67. Deutschen Juristentags.2 Der vorliegende Aufsatz behandelt die Schnittmenge dieser beiden Themen aus dem breit gefächerten Portfolio des Jubilars, indem der Frage nachgegangen wird, inwieweit die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, die als „richterrechtliche Generalklausel“ 3 aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses besondere Rücksichtnahme verlangt, der privatautonomen Disposition unterliegt. Damit soll zugleich ein Beitrag zur weiteren rechtsdogmatischen Durchdringung der Treuepflicht geleistet werden. Unter dem Schlagwort „gesellschaftsrechtliche Treuepflicht“ kann man eine ganze Reihe heterogener Pflichten zusammenfassen. Im ersten Zugriff empfiehlt sich eine Dreiteilung in organschaftliche Treuepflicht, Treuepflicht des Mehrheitsgesellschafters und mitgliedschaftliche Treuepflicht.4 Der fol1 Siehe etwa Hopt Self-Dealing and Use of Corporate Opportunity and Information: Regulating Directors’ Conflicts of Interest, in: Hopt/Teubner (Hrsg.), Corporate Governance and Directors’ Liabilities, 1985, S. 285; Hopt Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat, FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 917, 921 ff.; Hopt in: Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 145; Hopt ZGR 2004, 1, 5. 2 Siehe schon Hopt Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht in Europa, in: Lutter/ Wiedemann (Hrsg.), Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, S. 123, 124 f. sowie Hopt Aktienrecht unter amerikanischem Einfluss, FS Canaris, 2007, Bd. 2, S. 105, 107 ff.; zum 67. DJT Hopt SZW 2009, 94, 98 f. 3 Hüffer Zur Gesellschaftsrechtlichen Treupflicht als richterrechtlicher Generalklausel, FS Steindorff, 1990, S. 59. 4 Janke Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 55 ff.; Wiedemann Gesellschaftsrecht Bd. II, 2004, S. 192 ff. Ausführlich ders. Zu den Treuepflichten im Gesellschaftsrecht, FS Heinsius, 1991, S. 949, 953 ff., 957 ff., 960 ff.

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gende Beitrag beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der organschaftlichen Treuepflicht, wobei ein funktionaler Organbegriff zugrunde gelegt wird. Erfasst sind etwa auch geschäftsführende Gesellschafter in Personengesellschaften oder der GmbH-Mehrheitsgesellschafter, der den Geschäftsführer durch Weisungen so dirigiert, dass dieser hinsichtlich aller wesentlichen Entscheidungen gebunden ist.5 Ein praktisches Bedürfnis, Treuepflichten abzubedingen, besteht vor allem im Bereich der alternativen Investments und der Innovationsfinanzierung, also bei Hedgefonds, Private Equity Fonds und Venture-Capital-Firmen.6 Das Geschäftsmodell derartiger Anlagevehikel bringt es häufig mit sich, dass die vermögensverwaltenden Manager mehrere Fonds parallel betreuen und dabei etwa sich auftuende Geschäftschancen nur mit einer bestimmten Gesellschaft realisieren anstatt mit den Schwestergesellschaften. In der deutschen gesellschaftsrechtlichen Literatur hat die Abdingbarkeit von Treuepflichten bisher ein Schattendasein geführt. Diejenigen Autoren, welche die Frage überhaupt behandeln, verneinen sie zumeist knapp.7 Demgegenüber ist in den USA in jüngerer Vergangenheit bei ganz verschiedenen Ausprägungen der Treuepflicht die Frage nach ihrer Abdingbarkeit aufgekommen. Ausgehend von einer kurzen Darstellung der dortigen Rechtsentwicklungen und einer rechtsökonomischen Vergewisserung soll die Disponibilität der Treuepflicht im deutschen Gesellschaftsrecht untersucht werden.

II. US-amerikanische Impulse In den USA, sprich in Delaware, gewährt das Gesellschaftsrecht traditionell große Gestaltungsfreiheit.8 Deshalb verwundert es nicht, dass dort das Thema der Abdingbarkeit von Treuepflichten bereits seit einiger Zeit disku5 Zur Frage, wann und für wen in der GmbH ein Wettbewerbsverbot besteht, siehe Röhricht WPg 1992, 766, 771 ff. 6 Vgl. Haar Gesellschaftsrechtsformen der Innovationsfinanzierung, in: Baum u.a. (Hrsg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts – Beiträge für Klaus J. Hopt, 2008, S. 141; speziell zur Abbedingung von Treuepflichten: S. 149 ff. 7 Henze/Notz in: Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2004, Anh § 53a Rn. 126 f. („Weder Regelungen in der Ursprungssatzung noch spätere Satzungsänderungen können die bestehenden Treubindungen generell abschaffen“); Hüffer AktG, 9. Aufl. 2010, § 53a Rn. 18 („Genereller Dispens von Treubindungen durch die Satzung scheidet von vornherein aus“); Mertens in: Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 88 Rn. 2 und 6, § 93 Rn. 4 und 59 („Eine anstellungsvertragliche Regelung oder eine Einwilligung des Aufsichtsrats … sind im übrigen nichtig“); Timm WM 1991, 481, 483 („sie [scil. die Treuepflicht] ist […] unabdingbarer Bestandteil jeglicher Mitgliedschaft“), gleiche Formulierung bei Eisenhardt Gesellschaftsrecht, 14. Aufl. 2009, S. 358; Wiedemann (Fn. 4), S. 198 („Rechtsprinzipien wie […] die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht [sind] als solche nicht verhandelbar“). 8 Einführend Symposiumsband “The Debate on Contractual Freedom in Corporate Law”, Colum. L. Rev. 87 No. 7 (1989) mit Beiträgen u.a. von Easterbrook/Fischel, Gordon,

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tiert wird.9 Dabei ist zu unterscheiden zwischen der corporation, der limited liability company (LLC) und der partnership, wobei letztere in Form der limited partnership (LP) häufig auch als Publikumspersonengesellschaft mit börsennotierten Anteilen auftritt.10 1. Corporation Im Bereich der corporation wurde die Entwicklung wesentlich durch die Entscheidung Smith v. Van Gorkum angestoßen, in der erstmals directors einer Publikumsgesellschaft persönlich für die Verletzung von fiduciary duties zu Schadensersatz verurteilt wurden.11 In der Folge der Entscheidung stiegen die Prämien für D&O-Versicherungen. Der Delaware-Gesetzgeber reagierte schnell und fügte 1986 section 102(b)(7) in das Delaware General Corporate Law (DGCL) ein. Nach dieser Vorschrift kann in die Satzung (certificate of incorporation) eine Bestimmung aufgenommen werden, dass die persönliche Schadensersatzhaftung von directors für den Bruch einer fiduciary duty ausgeschlossen (eliminate) oder beschränkt (limit) wird. Die Delaware-Gesellschaften haben in der Folgezeit in großem Umfang von der neuen Satzungsklausel Gebrauch gemacht. Section 102(b)(7) DGCL nimmt von der Möglichkeit des Haftungsausschlusses allerdings die Haftung für die Verletzung der duty of loyalty gegenüber der Gesellschaft oder den Aktionären sowie die Haftung für “acts or omissions not in good faith” aus. Diese letzte Einschränkung bescherte den Gerichten Arbeit für 20 Jahre. In der Entscheidung Cede v. Technicolor sprach der Delaware Supreme Court erstmals davon, dass es neben den anerkannten Kategorien der duty of care und der duty of loyalty eine separate und gleichrangige “duty of good faith” gebe.12 Dies führte dazu, dass in der Folgezeit in einer Reihe von Prozessen Anwälte diese neue duty of good faith bemühten, um den Ausschluss

Romano und Coffee. Aus europäischer Sicht dazu etwa Hopt, in: Lutter/Wiedemann (Fn. 2), S. 123, 124 f. 9 Überblick bei Pistor Anlegerschutz im Binnenrecht hybrider Publikumsgesellschaften: Rechtsvergleichende und ökonomische Perspektiven, in: Baum u.a. (Fn. 6), S. 481, 490 ff. Siehe auch die Beiträge von Conaway, Hill sowie Welch/Saunders zur Konferenz “The Delaware General Corporation Law for the 21st Century”, veröffentlicht in Del. J. Corp. L. 33 No. 3 (2008). 10 Pistor (Fn. 9), S. 483 hat dafür den Begriff „hybride Publikumsgesellschaft“ geprägt; das deutsche Pendant ist die (GmbH & Co.) KGaA. 11 Smith v. Van Gorkom, 488 A.2d 858 (Del. 1985). Der Grund war, dass die directors grob fahrlässig (grossly negligent) gehandelt hätten, als sie einer Fusion gegen Barabfindung lediglich auf Grundlage einer zwanzigminütigen Präsentation nach nur zweistündiger Bedenkzeit zustimmten; siehe aaO, S. 874. 12 Cede & Co. v. Technicolor, Inc., 634 A.2d 345, 361 (Del. 1993). Ausführlich zur “duty of good faith” Eisenberg Del. J. Corp. L. 31 (2006), 1.

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der Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen zu umgehen.13 Klärung trat erst durch zwei Entscheidungen im Jahr 2006 ein. In der Disney-Entscheidung hob der Delaware Supreme Court hervor, dass eine klare rechtliche Trennung zwischen der duty of care und der duty to act in good faith bestehe; allerdings nahm er bezüglich der Pflichtverletzungen eine Dreiteilung vor zwischen Verhalten mit Schädigungsabsicht, einer bewussten Nichterfüllung der organschaftlichen Pflichten und grob fahrlässigem Verhalten.14 Den (vorläufigen) Schlusspunkt setzte Stone v. Ritter. In dieser Entscheidung hielt der Delaware Supreme Court fest, dass es keine unabhängige duty of good faith gebe, sondern es sich dabei um einen Unterfall der duty of loyalty handele.15 Erst kürzlich haben die Justices des Delaware Supreme Court im Rahmen der Beantwortung einer Anfrage der Securities and Exchange Commission entschieden, dass die fiduciary duties der directors auch nicht durch eine Nebenbestimmung zur Satzung (bylaw) außer Kraft gesetzt werden können.16 Trotz dieser insgesamt restriktiven Haltung bezüglich der Abdingbarkeit der allgemeinen duty of loyalty erlaubt das Gesetz seit dem Jahr 2000 ausdrücklich, eine der wichtigsten Ausprägungen der Treuepflicht, die corporate opportunity doctrine, wonach Geschäftschancen, die im Geschäftsbereich der Gesellschaft auftreten, der Gesellschaft zustehen und nicht von den Managern privat wahrgenommen werden dürfen,17 durch die Satzung für einzelne Geschäftschancen oder Klassen von Geschäftschancen abzubedingen.18 Mit dieser Neuregelung reagierte der Gesetzgeber auf die Bedürfnisse vieler Technologiefirmen aus dem „Silicon Valley“, bei denen es aufgrund enger Verbindungen üblich ist, dass die gleichen Personen als directors einer Vielzahl von gleichartigen, miteinander in Konkurrenz stehenden Unternehmen tätig sind.19

13 Siehe z.B. Emerald Partners v. Berlin, 787 A.2d 85, 90 (Del. 2001) (“The directors of Delaware corporations have a triad of primary fiduciary duties: due care, loyalty, and good faith.”) und Malone v. Brincat, 722 A.2d 5, 10 (Del. 1998) (“The director’s fiduciary duty to both the corporation and its shareholders has been characterized by this Court as a triad: due care, good faith, and loyalty.”). 14 In re Walt Disney Co. Derivative Litigation, 906 A.2d 27, 64 ff. (Del. 2006). 15 Stone v. Ritter, 911 A.2d 362, 370 (Del. 2006). Dazu Loewenstein Del. J. Corp. L. 34 (2009), 433, 443 ff. 16 CA Inc. v. AFSCME Employees Pension Plan, 953 A.2d 227, 238 (Del. 2008). 17 Zu diesem “line of business”-Test siehe z.B. In re Ebay, Inc. Shareholders Litigation, 2004 Del. Ch. LEXIS 4. Allgemein zu den Tests der corporate opportunity doctrine siehe Allen/Kraakman/Subramanian Commentaries and Cases on the Law of Business Organization, 3. Aufl. 2009, S. 348 f. 18 Section 122(17) DGCL. 19 Vgl. Allen/Kraakman/Subramanian (Fn. 17), S. 350, die auch das Beispiel der Filmproduktionsfirma Dreamworks nennen, die ihren Gründungsgesellschaftern (u.a. Steven Spielberg) in der Satzung völlig freie Hand lässt, ob sie ein Projekt im Rahmen der Gesellschaft oder anderweitig wahrnehmen wollen.

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2. Partnership und Limited Liability Company Im Recht der partnership nahm die Diskussion über die Abdingbarkeit von Treuepflichten ihren Ausgang in einem obiter dictum des Delaware Supreme Court. In der Entscheidung Gotham Partners v. Hallwood Realty Partners fühlte sich der damalige Chief Justice Veasey aufgerufen klarzustellen, der Supreme Court missbillige die Aussage des Chancery Court, dass der Delaware Revised Uniform Limited Partnership Act (DRULPA) nicht nur die Einschränkung (limitation), sondern auch die Abbedingung (elimination) von fiduciary duties erlaube.20 Auf Druck interessierter Kreise handelte wiederum der Gesetzgeber und änderte fast genau zwei Jahre nach der Entscheidung das Gesetz. Nun ist es sowohl im Recht der partnership als auch bei der LLC möglich, fiduciary duties abzubedingen (eliminate), mit Ausnahme der “implied contractual covenant of good faith and fair dealing”.21 In einem programmatischen Aufsatz rief Veaseys Nachfolger, der neue Chief Justice Steele, dazu auf, diese Gesetzesänderung ernst zu nehmen und zukünftig zu unterscheiden zwischen gesellschaftsrechtlichen Statusverhältnissen einerseits wie der Organstellung im Recht der corporation, die fiduciary duties begründen, und reinen Vertragsverhältnissen andererseits, zu denen auch das Recht der partnerships und der LLC zu zählen sei.22 Da der Grundsatz von Treu und Glauben im amerikanischen Vertragsrecht weitaus enger verstanden wird als im deutschen Recht,23 besteht im US-amerikanischen Personengesellschafts- und GmbH-Recht nun die Möglichkeit, organschaftliche Pflichten einschließlich der Treuepflicht weitestgehend abzubedingen. Manche Autoren sehen die Vertragsfreiheit auch bei der corporation im Vordringen begriffen, was insbesondere an der Möglichkeit festgemacht wird, auf corporate opportunities zu verzichten.24

III. Ökonomische Analyse Nach der herkömmlichen Sichtweise in der ökonomischen Analyse des Gesellschaftsrechts ist es effizient, das Interesse des Geschäftsführers (agent) dem der Gesellschafter (principals) unterzuordnen, weil diese grundsätzlich 20 Gotham Partners, L.P. v. Hallwood Realty Partners, L.P., 817 A.2d 160, 167 f. (Del. 2002). 21 Vgl. section 17-1101(d) DRULPA; section 18-1101(e) Delaware Limited Liability Company Act. 22 Steele Del. J. Corp. L. 32 (2007), 1, 9 ff. Diese Argumentation mutet kurios an, wenn man sich verdeutlicht, dass der meistzitierte Fall zur gesellschaftsrechtlichen duty of loyalty, Meinhard v. Salmon, 164 N.E. 545, 546 (N.Y. 1928), aus dem Recht der partnership stammt. 23 Für eine ausführliche Analyse der vertragrechtlichen Rechtsprechung in Delaware siehe Steele Del. J. Corp. L. 32 (2007), 1, 16 ff.; laut Pistor (Fn. 9), S. 494 wird nur vorsätzlich missbräuchliches Verhalten erfasst. 24 Loewenstein Del. J. Corp. L. 34 (2009), 433, 461.

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die besten Anreize haben, die Geschäftsführung im Interesse einer Steigerung des Gesamtunternehmenswertes zu überwachen, da sie ihren Gewinn erst erhalten, nachdem alle anderen stakeholder befriedigt wurden.25 Demgemäß soll der Geschäftsführer seine faktische Handlungsmacht in gesellschaftsvertraglich nicht eindeutig geregelten Situationen nicht zu Lasten der Gesellschafter missbrauchen (moral hazard oder opportunistisches Verhalten 26). Gesellschaftsrechtsverhältnisse sind zukunftsoffen und damit von vornherein nicht einer Vertragsgestaltung zugänglich, die für alle Eventualitäten eine explizite Regelung enthält (sog. Theorie unvollständiger Verträge).27 Das probate Mittel, auf die Unvollständigkeit von Verträgen zu reagieren, liegt in der Festlegung von governance structures,28 insbesondere der Einräumung von Entscheidungsrechten. Die Verfolgung des Gesellschaftszwecks wird delegiert mit dem ausdrücklichen Ziel, nicht für alle Eventualitäten ex ante vertragliche Vorgaben zu machen, sondern dem agent die Entscheidungsmacht (Geschäftsführung) zu übertragen und dafür einen Ermessensspielraum einzuräumen. In dieser Situation dient die Treuepflicht dazu, die infolge der Unvollständigkeit einerseits und der (faktischen) Handlungsmacht andererseits auftretende „überschießende Rechtsmacht“ 29 auszugleichen, indem sie eine „Generalverpflichtung“ 30 ausspricht, sich allein an dem Interesse der Gesellschaft auszurichten. Die Treuepflicht räumt den principals ein in ökonomischer Diktion sog. property right 31 an der Wahrung ihrer Interessen ein. Mit dem Dispens der Treuepflicht übertragen die Gesellschafter dieses property right und gestatten dem Geschäftsführer ausdrücklich, opportunistisch zu handeln. Kernpunkt der ökonomischen Analyse der Abdingbarkeit von Treuepflichten ist das grundlegende Coase-Theorem, demzufolge vertragliche Vereinbarungen in Abwesenheit von Transaktionskosten, bei vollständiger

25

Siehe etwa Fama/Jensen J. L. & Econ. 26 (1983), 327. Dazu grundlegend Williamson Economic Institutions of Capitalism, 1985, S. 47. 27 Grundlegend die Arbeiten von Oliver Hart; siehe z.B. Grossman/Hart J. Pol. Econ. 94 (1986), 691; Hart J. L., Econ. & Org. 4(1) (1988), 119. Aus der rechtswissenschaftlichen Literatur etwa Janke (Fn. 4), S. 151 ff.; Jickeli Der langfristige Vertrag, 1996, S. 48 ff. 28 Grundlegend Williamson (Fn. 26), S. 305 f. und passim. Aus der deutschen Literatur etwa Jickeli (Fn. 27), S. 77 ff.; speziell zur Treuepflicht Janke (Fn. 4), S. 157 ff. 29 Vgl. Mestmäcker Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 214 f.; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 341 f. 30 Wiedemann (Fn. 4), S. 197. 31 Siehe allgemein zu “property rights” im Zusammenhang mit unvollständigen Verträgen Hart/Moore J. Pol. Econ. 98 (1990), 1119. Etwas anders Easterbrook/Fischel J. L. & Econ. 36 (1993), 425, 427, wonach die Treuepflicht dazu dient, die Regelung durchzusetzen, die die Parteien selbst gewählt hätten, wenn sie das Problem ausdrücklich in ihrer Vereinbarung berücksichtigt hätten. 26

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Information und Rationalität der beteiligten Parteien zu effizienten Ergebnissen führen.32 In der modellhaften Welt des Coase-Theorems werden sich die Gesellschafter nur dann auf eine Abbedingung der Treuepflicht einlassen, wenn sie sich einen vertraglichen Ausgleich gesichert haben oder sich davon ihrerseits Vorteile versprechen, die ohne den Treuepflichtdispens nicht zu erhalten wären. Praktisch sind vor allem zwei Fälle denkbar, in denen dies zutrifft: Einerseits bei engem persönlichen Vertrauen zu dem Geschäftsführer, etwa weil es sich um ein Familienmitglied handelt, dem man bei der Geschäftsführung vollkommen „freie Hand“ lassen möchte. Andererseits in Konstellationen, in denen sich der Geschäftsführer nur dann gewinnen lässt, wenn man ihm gestattet, konkurrierenden Tätigkeiten mit anderen Gesellschaften nachzugehen, wie dies insbesondere bei Fondsmanagern der Fall ist. Wer als Gesellschafter solche Gesellschaftsverträge schließt, geht bewusst das kalkulierte Risiko ein, von dem Geschäftsführer geschädigt zu werden, weil er sich eine Rendite verspricht, die ohne den Treuepflichtdispens so nicht erhältlich wäre, oder weil er aufgrund persönlicher Bande darauf vertraut, keinen übermäßigen Nachteil zu erleiden. Sofern die Bedingungen des CoaseTheorems erfüllt sind, sollte die Treuepflicht daher abbedungen werden können, auch wenn dies dazu führt, dass opportunistisches Verhalten im Einzelfall nicht unterbunden werden kann. Rechtlicher Handlungsbedarf entsteht, wenn die idealtypischen Voraussetzungen – Abwesenheit von Transaktionskosten, vollständige Information und Rationalität – nicht gegeben sind. Problematisch ist es insbesondere, wenn ein Gesellschafter nicht einschätzen kann, welchen Wert das treugemäße zukünftige Verhalten des Geschäftsführers für ihn hat. Auch der Geschäftsführer wird häufig diesen Wert nicht kennen, weil ihm ex ante nicht genau bewusst ist, in welchen Fällen die Verpflichtung zum Tragen kommen könnte. In dieser Situation ist es gerechtfertigt, den Gesellschaftsvertrag daraufhin zu überprüfen, ob der vertraglich vorgesehene Ausgleich in etwa angemessen erscheint. Denkbar wäre auch, den vorherigen Verzicht auf die Treuepflicht ganz zu verbieten und eine einzelfallbezogene Gestattung zu verlangen. Dies wird in den genannten Konstellationen aber häufig an den damit verbundenen Transaktionskosten scheitern. So gibt es etwa Geschäftschancen und andere Handlungsoptionen, die ihrer Natur nach so schnell wahrgenommen werden müssen, dass sie bereits verfallen sind, wenn zuvor die Gesellschafter entscheiden müssten. Man denke etwa an typische Spekulationsgeschäfte von Hedgefonds. Auch kann es im Einzelfall für die Gesellschafter sehr aufwändig sein, zu überprüfen, ob sie tatsächlich auf treugemäßes Verhalten verzichten wollen und zu welchem Preis.

32 Das Coase-Theorem ist von Ronald H. Coase niemals als solches ausformuliert worden. Als grundlegend gilt allgemein der Aufsatz Coase J. L. & Econ. 3 (1960), 1.

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Ein weiteres Problem entsteht, wenn man die dritte Grundannahme des Coase-Theorems lockert, nämlich die Prämisse, dass die beteiligten Personen rational handeln. Bereits seit Jahren lehrt die behavioral finance,33 dass eine Vielzahl der am Wirtschaftsleben beteiligten Privatanleger bei komplexen und langfristigen Entscheidungen durch irrationale Einflüsse (biases) systematisch zu suboptimalen Ergebnissen gelenkt werden. Insoweit droht insbesondere die Gefahr von over-optimism,34 indem der Verzichtende glaubt, die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Konfliktsituation sowie die eventuellen Nachteile bei Abbedingung der Treuepflicht richtig einschätzen zu können, während das tatsächliche Risiko weitaus höher ist.35 In diesen Fällen muss wohlgemerkt keine Täuschung durch die andere Partei vorliegen; vielmehr kann gerade eine umfangreiche Aufklärung die trügerische Selbstsicherheit erzeugen, man könne die Situation überblicken und die Risiken richtig einschätzen.36 Dies spricht dafür, bei geschäftlich weniger erfahrenen Personen einen Verzicht auf die Treuepflicht nur bei Einhaltung prozeduraler Mindeststandards zuzulassen. Institutionelle Investoren bedürfen dagegen eines solchen Schutzes nicht und sollten grundsätzlich in der Lage sein, über den Dispens der Treuepflicht selbst zu entscheiden.

IV. Abbedingung der Treuepflicht im deutschen Recht Bevor die Frage der Abdingbarkeit von Treuepflichten im deutschen Gesellschaftsrecht angegangen werden kann, ist zunächst die Terminologie zu präzisieren. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion werden die Treuepflichten teilweise aufgespalten in solche zwischen Gesellschaftern und ggf. Organen sowie, im Falle von Kapitalgesellschaften, solche gegenüber der Gesellschaft selbst.37 Die Treuepflichten gegenüber der Kapitalgesellschaft selbst stellen dann eine Bündelung der in der Personengesellschaft den ein-

33 Einführend Fleischer Behavioral Law and Economics im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht – ein Werkstattbericht, FS Immenga, 2004, S. 575; monographisch Klöhn Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006. 34 Dazu einführend etwa Jolls Behavioral Law and Economics, Working Paper, 2006, S. 14, http://ssrn.com/abstract=959177. 35 Eisenberg Stan. L. Rev. 47 (1995), 211, 249 spricht sich vor diesem Hintergrund gegen die Zulässigkeit einer vollständigen Abbedingung der duty of loyalty aus; allgemein zu den Grenzen des Informationsmodells aufgrund von „Zeitinkonsistenz“ Schön Zwingendes Recht oder informierte Entscheidung – zu einer (neuen) Grundlage unserer Zivilrechtsordnung, FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 1191, 1210. 36 Zur Wichtigkeit von “choice architecture” siehe Thaler/Sunstein Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness, 2008, S. 11 ff. und passim. 37 Siehe etwa Winter Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 63 ff., 67 ff.

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zelnen Mitgesellschaftern geschuldeten Pflichten dar.38 Teilweise werden aber darüber hinausgehend in der Kapitalgesellschaft auch die im Interesse der Gläubiger bestehenden (und daher von vornherein der Disposition durch die Gesellschafter entzogenen) Pflichten als „Treuepflichten“ bezeichnet.39 Mit diesen gläubigerschützenden „Treuepflichten“ wird bzw. wurde beispielsweise die Haftung für existenzvernichtende Eingriffe begründet.40 Auch jenseits der grundsätzlichen Frage, inwieweit es ein von der Gesellschaftergesamtheit losgelöstes „Eigeninteresse“ der Gesellschaft überhaupt geben kann,41 ist für die Behandlung des vorliegenden Themas festzuhalten, dass gläubigerschützende Regeln wie etwa das Verbot der kalten Liquidation nicht als Ausfluss von „Treuepflichten“ betrachtet werden sollten. Der BGH ist mit der Trihotel-Entscheidung zu einer deliktischen Sichtweise übergegangen und knüpft an Umstände wie den Missbrauch von Rechtsformen an.42 In diesem Konzept ist im Bereich des Gläubigerschutzes für innergesellschaftliche Treuepflichten kein Raum.43 Aber auch wenn gute Gründe dafür sprechen, die gläubigerschützenden Pflichten, anders als der BGH, nicht deliktisch einzuordnen, sondern als Ausfluss der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung zu betrachten,44 besteht doch unabhängig von der sogleich zu untersuchenden dogmatischen Herleitung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten Einigkeit, dass es sich dabei um den Ausfluss gemeinsamer Zweckverfolgung handelt.45 Deshalb wird auch vorgeschlagen, den Ausdruck „mitgliedschaftliche Förderpflicht“ zu verwenden.46 Eine Förderpflicht und gemeinsame Zweckverfolgung existiert im Verhältnis zu Gläubigern aber 38 Angesichts der Konvergenz der Rechtsfähigkeit von Personengesellschaften und Körperschaften (dazu jüngst K. Schmidt Grundlagenungewissheit der Gesetzgebung oder der Rechtsfortbildung im Gesellschaftsrecht?, FS Beuthien, 2009, S. 211, 228 f.) erscheint die Unterscheidung insgesamt allerdings fragwürdig bis überholt. 39 Vgl. insbesondere Winter (Fn. 37), S. 191 ff. 40 Winter ZGR 1994, 570, 580 ff.; Ziemons Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996, S. 81 ff., 181; siehe auch Assmann JZ 1986, 928, 931; Hüffer AktG (Fn. 7), § 302 Rn. 8; Priester ZGR 1993, 512; Ulmer ZIP 2001, 2021, 2026 f. 41 Dazu zuletzt Osterloh-Konrad ZHR 172 (2008), 274, 294. 42 BGHZ 173, 246, 251 ff. 43 Laut Gehrlein WM 2008, 761, 767 f. will der BGH eine Haftung aus Sonderverbindung nach dem Trihotel-Urteil weiterhin zulassen. Anders aber ausdrücklich BGHZ 173, 246, 251. 44 Überzeugend Osterloh-Konrad ZHR 172 (2008), 274, 290 ff. Siehe auch Dauner-Lieb ZGR 2008, 34, 43; Weller ZIP 2007, 1681, 1683 f. 45 Dabei wird nicht verkannt, dass der Gesellschaftszweck ein überindividueller Zweck der Gesellschaft und nicht der gemeinsame Zweck der Gesellschafter ist; vgl. Flume Die Personengesellschaft, 1977, S. 37 ff. Der entscheidende Punkt ist, dass der Gesellschaftszweck gem. § 33 Abs. 1 S. 2 BGB zur alleinigen Disposition der Gesellschafter steht. 46 Lutter AcP 180 (1980), 84, 102 ff.; Hadding in: Soergel, BGB, 12. Aufl. 2007, § 705 Rn. 58.

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gerade nicht, weshalb Gläubigerschutzvorschriften auch nicht als „Treuepflichten“ bezeichnet werden sollten. 1. Abdingbarkeit der Treuepflicht Rechtsdogmatisch ist die Frage, ob ein genereller Dispens von den Wirkungen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht erteilt werden kann, eng mit dem Rechtsgrund der zu annullierenden Verpflichtung verbunden. Bei der Treuepflicht handelt es sich um eine rechtsformübergreifende Generalklausel.47 Ihr Geltungsgrund ist ein seit längerem beackertes Feld, auf dem sich zwei Hauptbegründungsansätze herausgebildet haben: Nach der älteren Lehre kommt es entscheidend auf das gegenseitige Vertrauen der beteiligten Personen an.48 Nach anderer Auffassung ist die tatsächliche Einwirkungsmacht auf die Interessen der Gesellschafter entscheidend,49 wobei auch auf die gegenleistungslose Übertragung des Treuguts, im Gesellschaftsrecht nur bildlich als Einräumung der Verfügungsbefugnis über das Gesellschaftsvermögen zu verstehen, als Grundlage verstärkter Treubindungen abgestellt wird.50 Hinsichtlich der Rechtsgrundlage ist sodann umstritten, ob es sich bei der in der Mitgliedschaft bzw. Satzung zu verortenden Pflicht 51 lediglich um eine Ausprägung des in § 242 BGB niedergelegten Grundsatzes von Treu und Glauben52 oder aber um eine selbständige Hauptpflicht des Gesellschaftsoder Organverhältnisses handelt.53 In der Kapitalgesellschaft wird für den reinen Geschäftsleiter eine Treubindung gegenüber den Gesellschaftern persönlich von der h.M. bislang noch gänzlich abgelehnt,54 für möglich gehalten wird aber eine Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern, welche die Organe zu beachten haben.55 47

Hüffer FS Steindorff (Fn. 3), S. 75; Koppensteiner GesRZ 2009, 197, 199. Fischer in: Großkomm. HGB, 3. Aufl. 1973, § 105 Anm. 31a; A. Hueck Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, S. 192. 49 Grundlegend Mestmäcker (Fn. 29), S. 214 f.; Zöllner (Fn. 29), S. 341 f. 50 Grundmann Treuhandvertrag, 1997, S. 212 ff. 51 Henze BB 1996, 489, 492; Lutter ZHR 153 (1989), 446, 454 f. Siehe auch Hey Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, 2004, S. 329 ff. 52 Hennrichs AcP 195 (1995), 221, 227 ff.; Schmiedel ZHR 134 ( 1970) 173, 182; Wellenhofer-Klein RabelsZ 64 (2000), 564, 575. 53 So etwa Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 109 Rn. 23; Hadding in: Soergel (Fn. 46), § 705 Rn. 58. Speziell zur organschaftlichen Treuepflicht Hopt in: Großkomm. AktG (Fn. 1), § 93 Rn. 145; ders. ZGR 2004, 1, 16. 54 Umfassend Kuntz Informationsweitergabe durch die Geschäftsleiter beim Buyout unter Managementbeteiligung, 2009, S. 29 ff. m.w.N. Auch im Verhältnis der Kapitalgesellschafter wurde allerdings zunächst die Treuepflicht nur zur Gesellschaft selbst anerkannt; siehe Raiser ZHR 151 (1987), 422, 434 f. Zu einer kapitalmarktrechtlichen Treuepflicht der Verwaltung Hellgardt Kapitalmarktdeliktsrecht, 2008, S. 436 ff., insbesondere S. 440 f. 55 BGHZ 127, 107, 111; Henze/Notz in: Großkomm. AktG (Fn. 7) Anh. § 53 Rn. 87 ff.; Verse Treuepflicht und Gleichbehandlungsgrundsatz, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. II, S. 578, 600. 48

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a) Zulässigkeit nach allgemeinen Regeln Wenn es sich bei der Treuepflicht um eine selbständige Hauptpflicht auf Grundlage des Gesellschaftsvertrags handelt, gilt die Regel des § 311 Abs. 1 BGB, dass die Vertragsparteien diese modifizieren und abbedingen können. Allerdings ist die Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht mehrfach beschränkt, grundlegend bereits durch den Numerus Clausus der Gesellschaftsformen. Teilweise wird die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als Paraphrase von § 705 BGB definiert,56 so dass es sich möglicherweise um notwendigen Vertragsinhalt handelt.57 Angesichts des Umstands, dass die Treuepflicht gesetzlich nur in ihren Einzelausprägungen wie dem dispositiven (!) Wettbewerbsverbot niedergelegt ist, lässt sich jedoch schwerlich behaupten, dass die Abbedingung der Treuepflicht das Rechtsverhältnis gleichsam der strukturbildenden Elemente der Gesellschaft entkernte,58 so dass dem verbleibenden Gebilde die rechtliche Anerkennung als solche zu versagen und es allenfalls nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft abzuwickeln wäre. Atypische Gestaltungsformen sind im Gesellschaftsrecht vielmehr gang und gäbe. Ihre Zulässigkeit wird spätestens seit der Anerkennung der GmbH & Co. KGaA59 nicht mehr ernsthaft bestritten; die Lehre vom Typenzwang hat sich nicht durchsetzen können.60 Stellt man sich dagegen auf den Standpunkt, dass es sich bei der Treuepflicht um eine Ausprägung von § 242 BGB handelt, erscheint die Abdingbarkeit generell fraglich. Teilweise wird vertreten, § 242 BGB sei unabdingbar.61 Dies ist insofern korrekt, als der generelle Grundsatz der Redlichkeit indisponibel ist. Jedoch können die Parteien die in einer Sonderverbindung bestehenden Pflichten und Obliegenheiten abbedingen oder verändern, sofern das im Rahmen von § 138 BGB zu beachtende rechtsethische Minimum

56 A. Hueck (Fn. 48), S. 192; siehe auch Erman Verwaltung der Rechte eines Kommanditisten durch einen persönlich haftenden Gesellschafter der Kommanditgesellschaft, FS Nipperdey, 1965, Bd. 1, S. 277, 291, wonach die Treuepflicht (und § 138 BGB) den Kernbereich der Mitgliedschaft konstituiert; krit. Flume (Fn. 45), S. 261. 57 So wohl Geiger Wettbewerbsverbote im Konzernrecht, 1996, S. 172 (generelle Abbedingung der Treuepflicht sei unzulässig, da sie zu einer „Denaturierung der Gesellschaft“ führe). 58 Vgl. BGHZ 81, 263, 266, wo ein Hinauskündigungsrecht nach freiem Belieben an den „Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts“ gemessen wird. Für einen „zwingenden Kern von Treuepflichten“ Koppensteiner GesRZ 2009, 197, 199. 59 BGHZ 134, 392. 60 Ausführlich zu der (vom Autor verneinten) Frage, inwieweit das „Wesen“, der „Typus“ oder die „Institution“ einer Gesellschaft die Gestaltungsfreiheit beschränkt Hey (Fn. 51), S. 222 ff. 61 Larenz Schuldrecht I, 14. Aufl., 1987, § 10 I, S. 128; Mansel in: Jauernig, BGB, 13. Aufl. 2009, § 242 Rn. 2.

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nicht unterschritten wird.62 Soweit die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bei § 242 BGB verortet wird, soll es sich dabei um eine Intensitätssteigerung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben handeln.63 Anders gewendet bedeutet dies, dass die Anforderungen der Treuepflicht über den allgemeinen Grundsatz der Redlichkeit hinausgehen 64 und somit abdingbar sind.65 Dafür spricht auch der Vergleich zu den der Gesellschaft verwandten partiarischen Rechtsgeschäften. Obwohl sich das partiarische Darlehen nur in Nuancen von der stillen Gesellschaft unterscheidet, für die eine gesellschaftsrechtliche Treuepflicht angenommen wird,66 sucht man vergebens nach einer partiarischen Treuepflicht.67 Vor diesem Hintergrund ist es schwierig zu verstehen, warum nicht auch Gesellschaftsrechtsverhältnisse ohne derart gesteigerte Rücksichtnahmepflichten auskommen können sollten. Teilweise wird argumentiert, aufgrund der bereits im Rahmen der ökonomischen Analyse genannten begrenzten Rationalität solle nur der Dispens einzelner Ausprägungen der Treuepflicht, nicht aber die generelle Abbedingung zugelassen werden.68 Dieser Standpunkt vernachlässigt aber die Möglichkeit, dass Investoren eine „Kompensation“ durch die Schaffung von Ausgleichsmechanismen durchsetzen. In einem solchen Fall handelt es sich um eine Risikoanlage, deren Erfolg letztlich davon abhängt, ob die Ausgleichsmechanismen ausreichen, dass das Investment insgesamt noch profitabel bleibt. Sofern keine unbegrenzten Nachschusspflichten bestehen und das finanzielle Risiko daher überschaubar ist, erscheint es nicht überzeugend, die Treuepflicht für per se unabdingbar zu erklären. Die Abbedingung der organschaftlichen Treuepflicht scheitert auch nicht an § 276 Abs. 3 BGB, demzufolge die Haftung für Vorsatz auch individualvertraglich nicht ausgeschlossen werden kann. Denn dieses Abbedingungsverbot kommt nur dann zum Tragen, wenn für Fälle feststehenden Vertrags-

62 Teichmann in: Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, § 242 Rn. 109; Timm GmbHR 1981, 177, 179; ähnlich Enderlein Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996, S. 377; Looschelders/Olzen in: Staudinger, BGB, 2009, § 242 Rn. 109. 63 Roth in: MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 242 Rn. 153; vgl. auch A. Hueck Der Treuegedanke im Recht der offenen Handelsgesellschaft, FS Hübner, 1935, S. 72, 80; aA Hennrichs AcP 195 (1995), 221, 228. 64 Siehe auch Janke (Fn. 4), S. 157 f., der die Treuepflicht mit dem allgemein-zivilrechtlichen billigen Ermessen in §§ 315 Abs. 3, 319 Abs. 1 BGB kontrastiert. 65 Teichmann Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 170 vertritt die Auffassung, die Treuepflicht selbst sei nicht abdingbar, wohl aber ihre Einzelausprägungen. Dabei weist er selbst auf das Problem hin, abzugrenzen, wann die Abbedingung vieler Einzelpflichten in eine generelle Abbedingung umschlägt. 66 Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 230 Rn. 16; K. Schmidt in: MünchKomm. HGB, 2. Aufl. 2007, § 230 Rn. 140 m.w.N. 67 Krit. zur Treuepflicht als Unterscheidungskriterium von stiller Gesellschaft und partiarischem Darlehen aber Schön ZGR 1993, 210, 229 ff. 68 Eisenberg Colum. L. Rev. 89 (1989), 1461, 1469 f.

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bruchs 69 nicht nur die Verschuldensform (grobe) Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird, sondern der offene und gezielte Vertragsbruch legitimiert werden soll. Beim Dispens von der Treuepflicht geht es dagegen um die vorgelagerte Frage, wieweit die gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers überhaupt reichen. b) Satzungsstrenge Unabhängig von den vorstehenden Fragen bildet aber die aktienrechtliche Satzungsstrenge eine Grenze der Abdingbarkeit. Wenn man die organschaftliche Treuepflicht in der Generalklausel des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG verortet, steht § 23 Abs. 5 AktG der generellen Abbedingung entgegen.70 Angesichts der Austauschbarkeit von GmbH und geschlossener Aktiengesellschaft ist dies jedoch nur ein Beleg dafür, dass die Satzungsstrenge für geschlossene Aktiengesellschaften ohnehin kaum zu rechtfertigen ist.71 Etwas anderes gilt für Publikumsgesellschaften: Zwar ist auch dort die Berechtigung der Satzungsstrenge grundsätzlich zweifelhaft; soweit es um die Abbedingung der Treuepflicht in Gesellschaftsvertrag oder Satzung einer Publikumsgesellschaft geht, stellen sich aber in der Tat weitergehende Probleme als in der geschlossenen Gesellschaft. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Ist damit geklärt, dass die organschaftliche Treuepflicht – de lege lata nur jenseits der Grenzen der Satzungsstrenge – zur Disposition der Gesellschafter steht, ist nunmehr zu fragen, auf welche Weise eine Befreiung erteilt werden kann. Die letzten Überlegungen zeigen bereits, dass bei der Behandlung dieser Frage zwischen geschlossenen Gesellschaften und Publikumsgesellschaften unterschieden werden sollte. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf der geschlossenen Gesellschaft, anschließend wird die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Publikumsgesellschaft diskutiert. Im Einklang mit dem eingangs erwähnten Befund, dass es sich bei der Treuepflicht um eine rechtsformübergreifende Generalklausel handelt, wird die Aufteilung zwischen geschlossenen und Publikumsgesellschaften nicht entlang der Linie der Gesellschaftsrechtsformen, sondern funktional vorgenommen.72 69 Rechtswidrigkeit meint im Vertragsrecht Vertragswidrigkeit, vgl. Grundmann in: MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 276 Rn. 16. 70 Zum zwingenden Charakter von § 93 AktG siehe etwa Pentz in: MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 23 Rn. 156. 71 Siehe Hopt in: Lutter/Wiedemann (Fn. 2), S. 144 f.; ihm folgend Bayer Gutachten E für den 67. DJT, 2008, S. E 38, E 82. 72 Es ist anerkannt, dass hinsichtlich der Treuepflicht verstärkt auf die „Realstruktur“ der Gesellschaft und nicht ihre Rechtsform abzustellen ist; ausführlich Lutter AcP 180 (1980), 84, 105 ff. In diesem Sinne wird die Treuepflicht auch als Beleg für die Nähe von geschlossener AG, GmbH und Personengesellschaft angeführt, siehe etwa BGHZ 65, 15, 18 f. (für GmbH und Personengesellschaften).

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2. Aufhebung von Treuebindungen in geschlossenen Gesellschaften Ausgangspunkt der Überlegungen zur Aufhebung der Treuepflicht in geschlossenen Gesellschaften ist der Grundsatz, dass alle Gesellschafter gemeinsam nachträglich jede Handlung gestatten können, die sie durch den Gesellschaftsvertrag zulassen könnten.73 Betrachtet werden daher einerseits generelle Grenzen, die aus § 138 BGB oder § 23 Abs. 5 AktG folgen, und andererseits die Zulässigkeit gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten, aufgrund derer Treuebindungen trotz in der konkreten Situation gegenteiligen Willens einzelner Gesellschafter aufgehoben werden können (Mehrheitsbeschluss; Kompetenz eines Gesellschaftsorgans). Im Ausgangspunkt wird im Folgenden eine Gesellschaft mit zahlenmäßig überschaubarem, geschlossenem Gesellschafterkreis zugrunde gelegt, deren Gesellschafter als geschäftlich erfahren gelten dürfen, wie dies etwa bei Investoren der Fall ist, die sich an Hedgefonds, Private Equity Fonds oder Venture Capital Fonds beteiligen. Welche Einschränkungen bei weniger erfahrenen Gesellschaftern zu machen sind, wird im Zusammenhang mit den Publikumsgesellschaften diskutiert.74 Nähert man sich der Frage, wie die Treuepflicht als ganze oder einzelne aus dem Treuegedanken folgende Pflichten aufgegeben werden können, stößt man zunächst auf rechtsdogmatisch sehr heterogene Regelungsansätze in den Rechtsformen Aktiengesellschaft, GmbH und Kommanditgesellschaft.75 Ausgehend von der am weitesten gediehenen Diskussion über die Aufhebung des Wettbewerbsverbots sollen gemeinsame Grundsätze herausgearbeitet werden. Im Einzelnen ist zu unterscheiden zwischen der Gestattung von Ausnahmen im Einzelfall, dem Dispens von einzelnen Ausprägungen des Treugebots und der Aufhebung der Treuepflicht als ganzer. a) Gestattung von Ausnahmen im Einzelfall Für den Fall des Wettbewerbsverbots sehen § 112 HGB und § 88 Abs. 1 AktG ausdrücklich die Möglichkeit einer Einwilligung vor. Danach kann dem pflichtunterworfenen Geschäftsführer (Gesellschafter oder Organwalter) im Einzelfall eine an sich wettbewerbs- und damit treupflichtwidrige Tätigkeit gestattet werden; diese Regeln werden analog auf weitere Gesellschaftsformen und Konstellationen des Wettbewerbsverbots angewandt.76 Für die 73

Siehe nur Röhricht WPg 1992, 766, 783 f. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass geschäftlich unerfahrene Personen eines erweiterten Schutzes bedürfen; vgl. BGH NJW 1981, 1206, 1207 (§ 138 BGB); BGHZ 80, 80, 82 und 85 (culpa in contrahendo). 75 Auf die OHG und GbR mit natürlichen Personen als Gesellschaftern lassen sich diese Grundsätze nicht ohne weiteres übertragen, da dort aufgrund der persönlichen Haftung eine „Realstruktur“ besteht, die eine erweiterte Rücksichtnahme erfordert. 76 Zur GmbH siehe etwa Röhricht WPg 1992, 766, 780 ff.; Timm GmbHR 1981, 177. 74

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nachträgliche, d.h. noch nicht im Gesellschaftsvertrag erteilte Gestattung, mit der Gesellschaft in Wettbewerb treten zu dürfen, verlangt § 112 HGB nach seinem Wortlaut die Zustimmung eines jeden Gesellschafters, auch der Kommanditisten.77 Teilweise wird es für unzulässig gehalten, im Gesellschaftsvertrag den nachträglichen Dispens einem Mehrheitsbeschluss zu unterstellen.78 Letztlich kann die Zulässigkeit einer Mehrheitsklausel, die den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genügt, aber nicht zweifelhaft sein, da selbst die Gegenmeinung davon ausgeht, dass § 112 HGB insgesamt disponibel ist und die Geschäftsführer daher gänzlich von dem Wettbewerbsverbot befreit werden können.79 In der Konstellation der AG & Co. KG geht der BGH sogar soweit, die Komplementär-AG ohne ausdrückliche Regelung im KG-Vertrag im Ergebnis gänzlich von § 112 HGB freizustellen, wenn ihr Aufsichtsrat ohne Konsultation der Kommanditisten ihren Vorstandsmitgliedern eine Konkurrenztätigkeit gestattet.80 Daneben sollte es auch unproblematisch möglich sein, in der KG oder GmbH die Befreiungszuständigkeit ausdrücklich auf einen fakultativen Bei- oder Aufsichtsrat zu übertragen.81 Anders ist die Ausgangslage im Aktienrecht, wo § 88 Abs. 1 AktG dem Aufsichtsrat die Kompetenz zuweist, den Vorstand von seinem Wettbewerbsverbot zu befreien, so dass hier ein Vetorecht einzelner Aktionäre bereits nach der gesetzlichen Regelung nicht besteht. Fraglich ist, inwieweit sich diese Grundsätze als Blaupause dafür eignen, Geschäftsführern Ausnahmen zu gestatten von anderen aus der Treuebindung folgenden Einzelpflichten, beispielsweise den Verboten, sich Geschäftschancen der Gesellschaft anzueignen 82 oder Geschäfte mit der Gesellschaft zu nicht marktgerechten Preisen vorzunehmen.83 Soweit es um die Ein-

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Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 165 Rn. 1. Goette in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2. Aufl. 2008, § 112 Rn. 25; aA ohne Einschränkung Fischer in: Großkomm. HGB (Fn. 48), § 112 Anm. 13; Ulmer in: Staub, Großkomm. HGB, 4. Aufl. 1988, § 112 Rn. 28; für die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses bei sachlicher Rechtfertigung im Interesse der Gesellschaft Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 112 Rn. 13. 79 Goette in: Ebenroth/Boujong/Joost (Fn. 78), § 112 Rn. 40; dazu ausführlich sogleich unter IV.2.b). 80 BGHZ 180, 105, 113. Für ein Zustimmungserfordernis zugunsten der Kommanditisten wegen des Wettbewerbsverstoßes durch den Aufsichtsrat bei der Gestattung gem. § 88 AktG Hellgardt ZIP 2007, 2248, 2253. 81 In der mitbestimmten GmbH ist der Aufsichtsrat zuständig, Schießl GmbHR 1988, 53, 55 f.; aA offenbar Geiger (Fn. 57), S. 147. 82 Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Einwilligung Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 109 Rn. 26; ders. in: Großkomm. AktG (Fn. 1), § 93 Rn. 167; Kübler Erwerbschancen und Organpflichten, FS Werner, 1984, S. 437, 440. 83 Jenseits des Kapitalschutzes sind solche „verdeckten“ Gewinnausschüttungen jedenfalls zulässig, wenn alle benachteiligten Gesellschafter zustimmen oder der Gesellschafts78

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führung des Mehrheitsprinzips geht, wird man bei Personengesellschaften und GmbHs zumindest eine explizite Klausel im Gesellschaftsvertrag verlangen müssen, die den Erfordernissen des Bestimmtheitsgrundsatzes entspricht und daher den Beschlussgegenstand sowie Art und Umfang des Eingriffs erkennen lässt.84 Zum Schwur kommt es bei der Frage, ob eine solche Befreiung den Kernbereich der Mitgliedschaft des überstimmten Minderheitsgesellschafters berührt. Allgemein wird man dies nicht sagen können, insbesondere, wenn die Hürde des Bestimmtheitsgrundsatzes bereits genommen wurde. Extremfälle, in denen sich ein geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter die Ausplünderung der Gesellschaft zu Lasten der Minderheit selbst genehmigt, lassen sich ohne weiteres mit der Sittenwidrigkeitsschranke des § 138 BGB einfangen.85 In Anlehnung an § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG sind selbstbetroffene Gesellschafter oder ihre Vertreter im Beirat zudem vom Stimmrecht auszuschließen.86 In der Aktiengesellschaft kann dem Vorstandsmitglied nach h.M. analog § 88 AktG durch den Aufsichtsrat auch die Wahrnehmung von Geschäftschancen der Gesellschaft gestattet werden.87 Dafür, dass diese Kompetenzzuweisung für andere Fälle der Gestattung treuwidrigen Verhaltens verallgemeinerungsfähig ist, spricht § 89 AktG. Danach steht die Entscheidung über Kreditgewährungen an Vorstandsmitglieder dem Aufsichtsrat zu, wobei die Modalitäten (insbesondere die Frage, ob überhaupt ein Zins erhoben werden soll und in welcher Höhe) nach ganz h.M. allein in dessen Ermessen stehen.88 Zudem ist der Aufsichtsrat nach § 112 AktG für die Verfolgung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand zuständig. Angesichts der Regelung von § 93 Abs. 4 S. 2 AktG, derzufolge eine Billigung des Aufsichtsrats die Ersatzpflicht des Vorstandsmitglieds für Pflichtverletzungen nicht entfallen lässt, ist die allgemeine Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Dispense allerdings nicht ganz zweifelsfrei. Vor dem Hintergrund dieser Vorschrift vertrag explizit Vorzugsrechte gewährt; G. Hueck/Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 3 Rn. 45 f.; § 29 Rn. 73. Zur Möglichkeit von Sonderrechten in der Personengesellschaft Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 109 Rn. 31. 84 Auch nach der Otto-Entscheidung bedarf es hinsichtlich von „Vertragsänderungen und ähnliche[n] die Grundlagen der Gesellschaft berührende[n] oder in Rechtspositionen der Gesellschafter eingreifende[n] Maßnahmen“ nach wie vor nicht nur einer allgemeinen Mehrheitsklausel, sondern einer eindeutigen Grundlage im Gesellschaftsvertrag; vgl. BGHZ 170, 283, 286. 85 Ausführlich zu den Voraussetzungen der Einwilligung per Mehrheitsbeschluss Timm GmbHR 1981, 177, 182 ff., der auch verlangt, dass die Gesellschaft im Einzelfall eine Entschädigung erhalten müsse; dagegen zu Recht Röhricht WPg 1992, 766, 782 f. 86 Zu diesem allgemeinen Prinzip siehe Hopt ZGR 2004, 1, 32 f. m.w.N. 87 Hopt in: Großkomm. AktG (Fn. 1), § 93 Rn. 167; Kübler FS Werner (Fn. 82), S. 440; Merkt ZHR 159 (1995), 423, 445; aA Geiger (Fn. 57), S. 147. 88 Hüffer AktG (Fn. 7), § 89 Rn. 4; Kort in: Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 89 Rn. 46; Mertens in: Kölner Komm. AktG (Fn. 7), § 89 Rn. 17.

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wird nämlich vertreten, dass sich der Vorstand nicht auf ein venire contra factum proprium berufen könne, wenn die Gesellschaft Schadensersatz für eine pflichtwidrige Handlung verlangt, die der Aufsichtsrat zuvor genehmigt hatte, weil die Ersatzpflicht insoweit unabdingbar sei.89 Folgt man dieser Argumentation, sollte aber § 93 Abs. 4 S. 1 AktG (in der geschlossenen AG) weit verstanden und eine Gestattung durch die Aktionäre ermöglicht werden.90 Andernfalls geriete man in einen Wertungswiderspruch zu § 88 AktG, der jenseits der Frage der kompetenzrechtlichen Analogiefähigkeit belegt, dass die einzelfallbezogene Gestattung treuwidrigen Verhaltens auch in der Aktiengesellschaft zulässig ist.91 b) Aufhebung von Einzelpflichten Als nächstes ist der Frage nachzugehen, ob und ggf. wie es möglich ist, in der Treuepflicht gründende Einzelpflichten92 komplett abzubedingen, also das Wettbewerbsverbot oder die Geschäftschancenlehre generell für unanwendbar zu erklären und nicht nur einmalige Ausnahmen zu gestatten. In der Sache besteht der wesentliche Unterschied zur Genehmigung im Einzelfall darin, dass eine abstrakte(re) Abwägung der Interessen jenseits des konkreten Konfliktfalles getroffen werden muss und daher die Gefahr steigt, dass Gesellschafter auf vermögenswerte Positionen verzichten, deren Wert sie unterschätzen. Allerdings ist eine generelle Abbedingung häufig die praktikablere, da transaktionskostenärmere Möglichkeit zur Übertragung des property right an treugemäßem Verhalten, weil nicht in jedem Einzelfall die Gesellschafterversammlung oder ein Aufsichtsorgan befasst werden muss. In diesem Sinne entspricht es wie bereits erwähnt der ganz h.M., dass das Wettbewerbsverbot des § 112 HGB insgesamt disponibel ist (vgl. auch § 109 HGB),93 und § 88 AktG kann nach überwiegender Ansicht durch die Sat-

89 Hopt in: Großkomm. AktG (Fn. 1), § 93 Rn. 161, 349; Mertens in: Kölner Komm. AktG (Fn. 7), § 88 Rn. 2 und 6; § 93 Rn. 69. 90 Nach der h.M. reicht demgegenüber das Haftungsprivileg des § 93 Abs. 4 S. 1 AktG nur soweit wie die Pflichtenbindung des Vorstands an Hauptversammlungsbeschlüsse (§ 83 Abs. 2 AktG); Hopt in: Großkomm. AktG (Fn. 1), § 93 Rn. 207; Spindler in: MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rn. 207. In der geschlossenen AG erscheint diese Sichtweise zu eng. 91 Anders wohl der 3. Strafsenat des BGH in der Mannesmann-Entscheidung, die allerdings eine Publikumsgesellschaft betraf; vgl. BGHSt 50, 331, 343 = NJW 2006, 522, 525 f. (Zustimmung eines mit 98,66 % beteiligten Mehrheitsaktionärs zur Treuepflichtverletzung lässt die Pflichtwidrigkeit nicht entfallen). 92 Für eine Systematisierung der Einzelpflichten siehe Hopt in: Hopt/Teubner (Fn. 1), S. 287 ff. 93 Goette in: Ebenroth/Boujong/Joost (Fn. 78), § 112 Rn. 40; Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 112 Rn. 13; Ulmer in: Staub, Großkomm. HGB (Fn. 78), § 112 Rn. 31; aA Martens in: Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1992, § 112 Rn. 25.

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zung zumindest modifiziert werden.94 Teilweise wird allerdings vertreten, mit der Aufhebung des Wettbewerbsverbots sei im Zweifel nicht auch das aus der Treuepflicht folgende Verbot aufgehoben, die Gesellschaft zu schädigen; sollte dies dennoch gewollt sein, so sei ein darin liegender Verzicht auf die Treuepflicht selbst bei Zustimmung sämtlicher (!) Gesellschafter nur wirksam, wenn hierdurch die Verfolgung des gemeinsamen Zwecks weder unmöglich gemacht noch entscheidend in Frage gestellt werde.95 Diese Auffassung ist als zu paternalistisch abzulehnen. Letztlich überhöht sie den Gesellschaftszweck zu einem überindividuellen Eigeninteresse der Gesellschaft, denn anders lässt sich kaum erklären, warum der gemeinsame Zweck nicht durch die Aufhebung von Treuebindungen einvernehmlich implizit modifiziert werden können sollte. Dass diese Aufhebung im Einzelfall einseitig dem Geschäftsführer zugute kommen mag, macht eine solche Regelung angesichts der Tatsache, dass nach h.M. jenseits der Aktiengesellschaft sogar ein „dienender“ Gesellschaftszweck vereinbart werden kann,96 kaum per se sittenwidrig. Ist also eine Aufhebung generell möglich, ist als nächstes zu fragen, ob sie auch durch Mehrheitsbeschluss oder ein besonderes Organ geschehen kann. Zu denken ist an den Fall, dass die Änderung des Gesellschaftsvertrags durch Mehrheitsentscheid möglich ist und etwa das Wettbewerbsverbot nachträglich gegen die Stimmen der Minderheit aufgehoben wird.97 Diese Situation, in der Aktiengesellschaft und GmbH gem. §§ 179 Abs. 2 AktG, 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG der gesetzliche Normalfall, weist gewisse Ähnlichkeiten zur nachträglichen Einwilligung per Mehrheitsentscheid auf. Bei der GmbH wird sogar die Meinung vertreten, die generelle Aufhebung des Wettbewerbsverbots sei auch ohne Satzungsänderung mit einfacher Mehrheit möglich.98 Das geht jedoch auch wieder zu weit, denn die generelle Aufhebung einer wesentlichen Ausprägung der Treuepflicht betrifft die Grundlagen der Gesellschaft und sollte daher, sofern nicht durch eine Öffnungsklausel die einfache Mehr94 Für eine Abdingbarkeit Geiger (Fn. 57), S. 148, 172; tendenziell auch Fleischer AG 2005, 336, 345 f.; Kort in: Großkomm. AktG (Fn. 88), § 88 Rn. 115 f.; Spindler in: MünchKomm. AktG (Fn. 90), § 88 Rn. 26; anders Mertens in: Kölner Komm. AktG (Fn. 7), § 88 Rn. 6, wonach die Satzung allenfalls dem Aufsichtsrat Richtlinien erteilen könne, von denen dieser aber bei erheblichen Gründen abweichen dürfe. 95 Ulmer in: Staub, Großkomm. HGB (Fn. 78), § 112 Rn. 33. 96 So selbst Ulmer in: Staub, Großkomm. HGB (Fn. 78), Anh. § 105 Rn. 14 sowie Mülbert in: MünchKomm. HGB, 2. Aufl. 2007, KonzernR Rn. 135 ff. m.w.N.; aA Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S. 300 ff. Zum Ausschluss der Gewinnbeteiligung (societas leonina) als Grenze sogleich unter IV.2.c). 97 Dazu Ulmer in: Staub, Großkomm. HGB (Fn. 78), § 112 Rn. 31. 98 Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh zu § 6 Rn. 23; Roth/Altmeppen GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 43 Rn. 31; aA Paefgen in: Ulmer, GmbHG, 2006, § 43 Rn. 47 (Dreiviertelmehrheit); U. H. Schneider in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rn. 192 (Einstimmigkeit).

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heit festgeschrieben wird,99 nur mit satzungsändernder Mehrheit möglich sein. Wird weitergehend durch die – ursprüngliche oder nachträgliche – Abbedingung eine Abhängigkeit entsprechend § 17 Abs. 1 AktG herbeigeführt, handelt es sich bei Personengesellschaft und GmbH um ein Grundlagengeschäft, für das ein Mehrheitsbeschluss grundsätzlich nicht zulässig ist, falls er nicht durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist,100 während bei der Aktiengesellschaft die §§ 311 ff. AktG eingreifen.101 Daneben geht es um die Frage, ob ein Aufsichts- oder Beirat die Dispensentscheidung treffen kann. In der Aktiengesellschaft kann die generelle Befreiung vom Wettbewerbsverbot gemäß § 88 Abs. 1 S. 3 AktG de lege lata nicht durch den Aufsichtsrat erteilt werden;102 bei GmbH und Personengesellschaft ist nicht ersichtlich, warum eine solche Kompetenz des fakultativen Organs nicht ausdrücklich in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden können sollte. Umstritten ist, ob die Aufhebung einzelner Treuepflichten gegen den Willen von Gesellschaftern nur bei Gewährung eines Ausgleichs zulässig ist.103 Letztlich ist diese Frage nachgelagert, denn es ist anerkannt, dass Mehrheitsbeschlüsse, die in Gesellschafterrechte eingreifen, einer sachlichen Rechtfertigung im Interesse der Gesellschaft bedürfen.104 Die danach erforderliche Wahrung der Minderheitsinteressen kann insbesondere dadurch gewährleistet werden, dass der Gesellschaft die durch die Befreiung entstehenden Nachteile in angemessener Form ausgeglichen werden.105 Somit ist im Ergebnis stets ein Ausgleich vorzusehen, wenn nicht die Abbedingung im Einzelfall einmal der Gesellschaft einschließlich der Minderheitsgesellschafter ausschließlich Vorteile bringt. Fraglich ist aber, welche Anforderungen an einen solchen Ausgleich zu stellen sind. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Abbedingung bereits von Anfang an im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist oder später vorgenommen wird. Eine Befreiung in der Ursprungssatzung birgt weitaus weniger Gefahren für die Minderheit als die nachträgliche Änderung des Gesellschaftsvertrags.106 99

Vgl. Armbrüster ZIP 1997, 1269, 1275 m.w.N. BGHZ 80, 69, 74; Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 112 Rn. 13; Wiedemann/ Hirte ZGR 1986, 163, 173. 101 Siehe nur Bayer in: MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 17 Rn. 6. 102 Diese Bestimmung unterliegt der Satzungsstrenge, vgl. Spindler in: MünchKomm. AktG (Fn. 90), § 88 Rn. 26. 103 Dagegen Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff (Fn. 98), Anh. zu § 6 Rn. 23; ebenso Wassermeyer GmbHR 1993, 329, 336, der aber anders als Kleindiek davon ausgeht, dass die Aufhebung nur einstimmig möglich sei. 104 BGHZ 80, 69, 74; Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 109 Rn. 25; Ulmer/Schäfer in: MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 709 Rn. 101. 105 BGHZ 80, 69, 74 f.; Röhricht WPg 1992, 766, 782. 106 Vgl. Bebchuk Harv. L. Rev. 102 (1989), 1820, 1825 ff. 100

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Ist eine Regelung schon zum Beitrittszeitpunkt im Gesellschaftsvertrag enthalten, kann man davon ausgehen, dass geschäftlich bewanderte Investoren die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen haben. Ausdrückliche Abbedingung oder Schaffung von Organkompetenzen zur Befreiung von Treuepflichten in der Ursprungssatzung sollten daher keiner gerichtlichen Kontrolle im Hinblick auf einen Ausgleichsmechanismus unterliegen. Etwas anderes gilt im Falle von nachträglichen Änderungen. Wird die Kompetenz, über die Aufhebung einzelner Treuepflichten zu entscheiden, auf ein Organ übertragen, ist es zweckmäßig, den Ausgleich durch checks and balances im Rahmen dieser Organkompetenz durchzuführen. Entsendeund Vetorechte für Minderheitsgesellschafter wurden bereits als Beispiele genannt. Darüber hinaus bieten die haftungsbewehrten Organpflichten (§§ 52 Abs. 1 GmbHG, 116 AktG) einen gewissen Mindestschutz. Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, wie ein Ausgleich auszusehen hat, den die Gesellschaft dafür erhält, dass die Mehrheit nachträglich die Aufhebung einer aus der Treuepflicht folgenden Bindung beschließt. Die Angemessenheit des Ausgleichs hängt letztlich damit zusammen, um welche Einzelpflicht es sich handelt. Wird etwa gegenüber dem Geschäftsführer das Verbot aufgehoben, Geschäftschancen der Gesellschaft privat wahrzunehmen, so ist denkbar, dass er im Gegenzug verpflichtet wird, der Gesellschaft gegenüber für jede an sich gezogene Geschäftschance Rechnung zu legen und eine finanzielle Kompensation in Höhe des Wertes der Geschäftschance für die Gesellschaft zu gewähren. Möglich ist auch eine pauschale finanzielle Abgeltung, deren Höhe dann aber einer Angemessenheitskontrolle unterliegt. c) Aufhebung der Treuepflicht insgesamt Bei der Aktiengesellschaft steht der gänzlichen Abbedingung der Treuepflicht de lege lata § 23 Abs. 5 AktG entgegen, bei GmbH und KG herrschen Gestaltungsfreiheit. Im Einzelnen stellen sich drei Fragen: Auf welche Weise kann die Treuepflicht abbedungen werden? Welche Rechte verbleiben den befreienden Gesellschaftern? Ist es erforderlich, einen Ausgleichsmechanismus vorzusehen? Die Treuepflicht ist eng mit dem Gesellschaftszweck verbunden, als dessen Ausfluss sie sogar teilweise verstanden wird.107 Eine Gesellschaft, in der die Treuepflicht nicht gilt, verfolgt daher einen atypischen Zweck, ähnlich einer Gesellschaft mit „dienendem Zweck“108. Selbstverständlich verpflichten sich die Gesellschafter nach wie vor zur Erbringung von Beiträgen109 – bei den 107

Siehe Nachweise in Fn. 56 f. Dazu bereits oben Fn. 96. 109 Vgl. K. Schmidt in: MünchKomm. HGB, 2. Aufl. 2006, § 105 Rn. 119, wonach die Beitragspflichten notwendiger Vertragsinhalt des Gesellschaftsvertrags sind; für die GmbH siehe § 3 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG. 108

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hier betrachteten Gesellschaftsformen KG, GmbH und AG vorrangig in der Form von finanziellen Einlagen, hinsichtlich des geschäftsführenden Komplementärs aber ggf. auch in Form der Verpflichtung, der Gesellschaft die eigene Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Es besteht aber nicht mehr die Pflicht, „die Interessen der [Gesellschaft] in jeder Weise zu berücksichtigen“110. Dies leuchtet unmittelbar ein für den unproblematischen Fall, dass derselbe Gesellschafterkreis mit denselben Beteiligungs- und Gewinnquoten zwei Schwestergesellschaften führt, die in dem gleichen Geschäftsbereich tätig sind. Die Vertragsfreiheit erlaubt es aber ebenfalls, durch die Abbedingung der Treuepflicht nur einzelne Gesellschafter bzw. den Geschäftsführer zu begünstigen. Verortet man die Treuepflicht derart im Gesellschaftszweck, ergibt sich daraus, welche Anforderungen an die Abbedingung zu stellen sind. Eine solche ist nur im Ursprungsgesellschaftsvertrag oder durch einstimmigen Beschluss gem. § 33 Abs. 1 S. 2 BGB möglich. Wenn damit das Verfahren zur Abbedingung der Treuepflicht geklärt ist, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen ein solcher Dispens zeitigt. Diese lassen sich am besten durch eine negative Abgrenzung bestimmen: Neben der Treuepflicht existieren eine ganze Reihe weiterer Mechanismen zum Schutz der Gesellschafter. Soweit es sich dabei um unabdingbare Rechte der verzichtenden Gesellschafter handelt, werden sie auch durch die Abbedingung der Treuepflicht nicht berührt. Äußere Grenzen bilden daher das Sittenpostulat des § 138 BGB, der generelle Grundsatz der Redlichkeit im Sinne von § 242 BGB, die ausdrücklich für unverfügbar erklärten Gesellschafterrechte und diejenigen Rechtspositionen, die zum „Kernbereich“ der Mitgliedschaft zu zählen sind, mit der Folge, dass sie nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters entzogen werden können. Im Einzelnen stellen sich freilich schwierige Abgrenzungsfragen. Bereits bei der Sittenwidrigkeit sind die Grenzen der Bevorzugung einzelner Gesellschafter unklar. So stand die h.M. früher auf dem Standpunkt, der Ausschluss jeglicher Gewinnbeteiligung einzelner Gesellschafter (societas leonina) sei sittenwidrig,111 während heute eine differenzierende Betrachtung vorherrscht, die jedenfalls dann keinen Sittenverstoß annimmt, wenn ein sachlicher Grund vorliegt und etwa Eltern der Gesellschaft ihrer Kinder eine „Starthilfe“ verschaffen wollen.112 Auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz macht den Gesellschaftsvertrag nicht per se sitten-

110

So die Definition der Treuepflicht bei A. Hueck (Fn. 48), S. 192. Siehe z.B. Flechtheim in: Düringer/Hachenburg, HGB, 1930, § 105 Anm. 2; Hachenburg JW 1915, 1470; Keßler in: Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1991, Vor § 705 Rn. 179; monographisch Hingst Die societas leonina in der europäischen Privatrechtsgeschichte, 2003, S. 393 ff. und passim. 112 Flume (Fn. 45), S. 49 f.; Hadding in: Soergel (Fn. 46), § 705 Rn. 36; Ulmer in: MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 Rn. 151. 111

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widrig; vielmehr genießt die Vertragsfreiheit Vorrang, sofern die Ungleichbehandlung nicht rein willkürlich erfolgt und die Zustimmung nicht unter Ausnutzung der wirtschaftlichen Vormachtstellung des befreiten Gesellschafters oder des Vertrauens und der Unerfahrenheit des anderen Teils herbeigeführt wurde.113 Vor diesem Hintergrund wird man es kaum als sittenwidrig ansehen können, wenn etwa die Investoren eines Hedgefonds, Private Equity Fonds oder Venture Capital Fonds zugunsten des Managements auf die Einhaltung der Treuepflicht verzichten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dieser Verzicht in einer Weise erfolgt, die nicht willkürlich ist, worauf gleich noch zurückzukommen ist. Selbst wenn die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht abbedungen ist, gilt weiterhin der aus § 242 BGB folgende, als solcher nicht disponible Grundsatz der Redlichkeit. Versteht man die Treuepflicht als Sonderausprägung des § 242 BGB, so werden die geschuldeten Pflichten einfach auf den Kern des Gebots von Treu und Glauben zurückgeschnitten; aber auch bei Einordnung der Treuepflicht als Hauptpflicht aus dem Gesellschafts- oder Organverhältnis gilt selbstverständlich weiterhin § 242 BGB im Hintergrund, der in der atypischen Gestaltung der abbedungenen Treuepflicht wieder Bedeutung erlangt. Ausprägungen des § 242 BGB, die auch im Falle einer abbedungenen Treuepflicht gelten, sind jedenfalls die Verbote des Rechtsmissbrauchs und des venire contra factum proprium. Es ist dem Geschäftsführer daher verboten, die (Mit-)Gesellschafter zu schikanieren (vgl. auch § 226 BGB), und er muss sich an einem berechtigt geweckten Vertrauen festhalten lassen. Hat der Geschäftsführer also etwa begonnen, eine Geschäftschance für die Gesellschaft wahrzunehmen, darf er ihr diese nachträglich nicht willkürlich wieder entziehen, auch wenn ex ante keine Pflicht bestand, das Geschäft gerade für die betreffende Gesellschaft wahrzunehmen. Erforderlich ist auch, dass sich eine Handlung noch in dem Rahmen bewegt, in dem im Einzelfall eine Genehmigung durch die Gesellschafter vorstellbar wäre; hat eine Maßnahme dagegen keinerlei denkbaren Bezug zum Gesellschaftszweck mehr, ist sie schikanös und muss unterbleiben. Allgemein darf die Befreiung von der Treuepflicht nicht dazu führen, dass der Vertragszweck, also der nach wie vor bestehende wirtschaftliche, gemeinnützige oder ideelle Gesellschaftszweck, vereitelt wird.114 Dies erfordert, dass der Geschäftsführer einem Mindestmaß an Kontrolle unterliegt oder dass anderweitige Mechanismen vereinbart sind, die sicherstellen, dass der pflichtentbundene Organwalter nicht ausschließlich in die eigene Tasche wirtschaftet.

113 Hadding in: Soergel (Fn. 46), § 705 Rn. 65; Ulmer in: MünchKomm. BGB (Fn. 112), § 705 Rn. 134. 114 Vgl. RGZ 114, 68, 71 f. (zur Gründung einer Parallelgesellschaft mit dem ausschließlichen Ziel, sich von einem langfristigen Vertrag zu lösen).

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Daneben gibt es einige Gesellschafterrechte, die das Gesetz oder die Rechtsprechung für unabdingbar erklärt haben, etwa die Auflösungsklage in der KG (§§ 161 Abs. 2, 133 Abs. 3 HGB), das Austrittsrecht aus wichtigem Grund 115, das Auskunfts- und Einsichtsrecht der GmbH-Gesellschafter (§ 51a Abs. 3 GmbHG) und das außerordentliche Informationsrecht des Kommanditisten (§ 166 Abs. 3 HGB) 116. Viele dieser Regelungen knüpfen allerdings an das Vorliegen eines wichtigen Grundes an, der häufig in einer Pflichtverletzung bestehen wird. Durch die Abbedingung der Treuepflicht werden diese Gesellschafterrechte daher mittelbar beeinträchtigt, indem ein ansonsten pflichtwidriges, nun aber erlaubtes Verhalten keinen wichtigen Grund mehr darstellt. Die wichtigen Gründe reduzieren sich bei abbedungener Treuepflicht im Wesentlichen auf Verstöße gegen die oben diskutierten Fälle der Sittenwidrigkeit und des Grundsatzes der Redlichkeit. Eine ähnliche Wechselwirkung besteht bezüglich derjenigen Rechtspositionen, die den Kernbereich der Mitgliedschaft ausmachen und in die deshalb nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters eingegriffen werden darf. Genannt werden insoweit u.a. Beitragserhöhungen (§§ 707 BGB, 53 Abs. 3 GmbHG), unmittelbare Eingriffe in das Stimmrecht, Änderungen des Gewinnverteilungsschlüssels und der Liquidationsfolgen sowie Änderungen bei der Ausgestaltung der Geschäftsführung.117 Wenn die Abbedingung der Treuepflicht ohnehin als Zweckänderung eines einstimmigen Beschlusses bedarf, hängt die verbleibende Beschränkung der Organkompetenzen durch den Kernbereich der Mitgliedschaft der Gesellschafter davon ab, inwieweit die Zweckänderung auch den Eingriff in diese Rechtspositionen legitimiert. Eine solche Legitimation ist jedoch weitgehend schon deshalb nicht anzunehmen, weil es sich um Rechte jenseits der Geschäftsführung handelt. Aus der Befreiung des Geschäftsführers von seinen organschaftlichen Treuebindungen folgt zwar das Recht, Geschäftschancen der Gesellschaft an sich zu ziehen und Geschäfte mit der Gesellschaft zu nicht marktgerechten Preisen abzuschließen, nicht aber die Kompetenz zur Änderung des Verteilungsschlüssels hinsichtlich der verbleibenden Gewinne oder der Stimmrechtsgewichte der Gesellschafter. Zusammenfassend kann man festhalten, dass der von der Treuepflicht befreite Geschäftsführer selbstverständlich nach wie vor die Kompetenzordnung der Gesellschaft zu beachten hat, seine Arbeitsleistung gemäß des Um115 Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 133 Rn. 1; Lutter in: Lutter/Hommelhoff (Fn. 98), § 34 Rn. 70; Röhricht Zum Austritt des Gesellschafters aus der GmbH, FS Kellermann, 1991, S. 361, 379. 116 Grunewald in: MünchKomm. HGB, 2. Aufl. 2007, § 166 Rn. 48; Hopt in: Baumbach/Hopt (Fn. 53), § 166 Rn. 19. 117 Bayer in: Lutter/Hommelhoff (Fn. 98), § 14 Rn. 11; G. Hueck/Fastrich in: Baumbach/Hueck (Fn. 83), § 14 Rn. 14; Löffler NJW 1989, 2656, 2657 ff.; Ulmer/Schäfer in: MünchKomm. BGB (Fn. 104); § 709 Rn. 93.

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fangs seiner Beitragspflicht (im Falle der KG) oder seines Anstellungsvertrags in den Dienst der Gesellschaft zu stellen hat, den Gesellschaftszweck fördern muss und nicht vereiteln darf sowie sich nicht rechtswidersprüchlich oder schikanierend verhalten darf. Aus dem Sittengebot ist zudem abzuleiten, dass die Befreiung von der Treuepflicht nicht willkürlich erfolgen darf. Das Willkürverbot bei der Aufhebung der Treuepflicht eröffnet die Frage, inwieweit es eines Ausgleichs zugunsten der Gesellschafter bedarf. Ist der Kontrollverzicht so groß, dass berechtigte Zweifel angebracht sind, ob die Dispensentscheidung ex ante auf hinreichender Informationsgrundlage erfolgt ist, stellt dies die Wirksamkeit der Abbedingung in Frage. Wie beim Ausschluss der Gewinnbeteiligung handelt es sich letztlich um eine Frage der sachlichen Rechtfertigung im Einzelfall, so dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen ein Ausgleich nicht erforderlich erscheint. Können die Eltern ihrem Kind Starthilfe durch eine gewinnlose Beteiligung geben, so sollte es genauso möglich sein, einen Gewinnanspruch zu vereinbaren, aber dem Kind vollkommene Handlungsfreiheit durch Befreiung von den gesteigerten Anforderungen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu gewähren. Ist ein solcher persönlicher Grund für den Verzicht allerdings nicht gegeben, so wird man im Gegenzug einen Ausgleichsmechanismus verlangen müssen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die gewöhnlichen Kontroll- und Kündigungsrechte wie dargestellt durch die Anhebung der Schwelle des „wichtigen Grundes“ ausgehöhlt werden. In Betracht kommen etwa die Statuierung besonderer Berichtspflichten oder die Schaffung eines Kontrollorgans, das die Geschäftsführung überwacht. Weiterhin ist daran zu denken, die Voraussetzungen des außerordentlichen Austrittsrechts abzusenken und den Kapitalgebern zu bestimmten Stichtagen den Ausstieg zu ermöglichen. In einem solchen Fall steht es dem Geschäftsführer zwar frei, eigennützig zu wirtschaften; übertreibt er es aber, muss er den Abzug des Kapitals gewärtigen. Besteht das Geschäftsmodell des befreiten Geschäftsführers darin, Serien von gleichartigen Gesellschaften, insbesondere Fonds, aufzulegen, und ist er daher auf regelmäßige Reinvestition bzw. gute Reputation118 bei seinen Investoren angewiesen, sollte es genügen, dass die Investoren bei exzessiv eigennützigem Verhalten des Geschäftsführers diesen dadurch „abstrafen“ können, dass sie die Investition in Anschlussfonds verweigern.119 118 Dazu ausführlich Haar in: Baum u.a. (Fn. 6), S. 163 ff.; Rosenberg Colum. Bus. L. Rev. (2002) 363, 394 ff. 119 Dies setzt allerdings voraus, dass man die Treuepflicht – wie in der Personengesellschaft die ganz h.M. – als eine Pflicht zwischen den beteiligten Personen und nicht zum Rechtssubjekt Gesellschaft ansieht. Die Abbedingung vertraglicher Pflichten zwischen Personen lässt sich damit rechtfertigen, dass der Verzichtende keinen Anschlussvertrag mit dem Begünstigten eingehen wird, wenn er sich betrogen fühlt. Versteht man die organschaftliche Treuepflicht dagegen – wie die ganz h.M. im Kapitalgesellschaftsrecht – als eine Pflicht zur bestehenden Gesellschaft, kann die transgesellschaftliche Möglichkeit der Reinvestitionsentscheidung die Abbedingung nicht rechtfertigen.

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Ein Ausgleich kann aber nicht nur im Wege repressiver Gesellschafterrechte erfolgen. Ebenso ist es denkbar, positive Anreize für den Geschäftsleiter zu setzen, welche die Erwartung rechtfertigen, dass dieser die gewährte Freiheit letztlich im Sinne der Gesellschafter einsetzen wird. Im Bereich der alternativen Investments sind erfolgsbezogene Vergütungen ein häufig genutztes Instrument. Die Manager von Hedgefonds, Private Equity Fonds oder Venture Capital Fonds vereinbaren oftmals eine bestimmte Gewinnzielgröße (sog. hurdle rate), ab deren Überschreiten sie eine hohe prozentuale Beteiligung an den überschießenden Gewinnen erhalten.120 Diese Gewinnbeteiligung – verbunden mit dem enormen Kapitalaufwand, den es erfordern würde, ein Geschäft privat wahrzunehmen – schränkt aus Sicht der Investoren die Gefahr ein, dass das Management zu ihrem Schaden Gewinnchancen der Gesellschaft an sich ziehen oder die Gesellschaft anderweitig schädigen wird. Allein der Anreiz durch die Vergütung reicht allerdings nicht aus. Dies zeigt ein Beispiel aus einer der Fallgruppen, in der praktisch am stärksten das Bedürfnis zur Abbedingung der Treuepflicht besteht: Führt ein Manager zwei parallele Fonds, die in ähnlichen Geschäftsbereichen investieren,121 ist aber nur in der Lage, eine geringe Anzahl sehr lukrativer Investitionsmöglichkeiten aufzutun, gibt die hurdle rate den perversen Anreiz, einen Fonds einseitig zu bevorzugen, dort einen hohen Gewinnbonus zu kassieren und den anderen Fonds in die Insolvenz zu schicken. Grenzen zieht in diesem Fall ausschließlich das Reputationsinteresse, wobei es bei Hochrisikoanlagen relativ einfach als plausibel darzustellen ist, dass ein Fonds erfolglos war, gerade wenn man zugleich den besonders erfolgreichen Schwesterfonds präsentieren kann. Allerdings ist auch dieses Risiko für verständige Investoren ex ante erkennbar, so dass es primär ihrem Verhandlungsgeschick obliegen sollte, Vorkehrungen zu treffen, und ein rein vergütungsanreizbasierter Ausgleichsmechanismus daher nur in ganz extremen Fällen das Sittenwidrigkeitsverdikt bezüglich der Abbedingung der Treuepflicht auslösen sollte.

120 Vor der Finanzkrise war es etwa üblich, dass Hedgefondsmanager eine Vergütung in Höhe von 20 % der oberhalb der hurdle rate erzielten Gewinne bekamen; siehe Stulz J. Econ. Persp. 21 (2007), 175, 178. Ähnliche Arrangements galten für Private Equity Fonds und Venture Capital Fonds; vgl. Cheffins/Armour Del. J. Corp. L. 33 (2008) 1, 10. 121 Laut Röhricht WPg 1992, 766, 775 soll in einem solchen Fall kein Treueverstoß vorliegen, wenn den Mitgesellschaftern die doppelte Verpflichtung zur Loyalität bekannt ist. Dies ist höchst fraglich, insbesondere hinsichtlich der zuerst gegründeten Gesellschaft. Überzeugender ist es, eine tatsächliche Befreiung von der Treuepflicht zu verlangen, in deren Rahmen die Mitgesellschafter ihre Rechte hinreichend wahren können.

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3. Übertragbarkeit auf Publikumsgesellschaften Im vorstehenden Teil wurden die Grenzen der Gestaltungsfreiheit ausgelotet unter den Annahmen, dass es sich um einen zahlenmäßig begrenzten Gesellschafterkreis handelt, so dass tatsächlich die Möglichkeit zur Verhandlung der Konditionen besteht, und dass die betreffenden Gesellschafter geschäftlich erfahren sind, so dass grundsätzlich kein Schutz gegen Übervorteilung erforderlich ist. In diesem Teil soll kurz untersucht werden, welche Änderungen sich ergeben, wenn man diese beiden Prämissen lockert und stattdessen von einer Handelbarkeit der Anteile sowie einem darauf beruhenden Preisbildungsverfahren an einem Kapitalmarkt ausgeht. Im Schwerpunkt geht es dabei um die Frage, inwieweit es in der Publikumsgesellschaft zwingenden Rechts bedarf, um unerfahrene Anleger zu schützen, so dass insbesondere die Berechtigung der aktienrechtlichen Satzungsstrenge untersucht wird. Dabei beschränken sich die Ausführungen im Folgenden auf die Frage, ob es möglich ist, einzelne Ausprägungen der Treuepflicht oder sogar die Treuepflicht insgesamt aufzuheben. Die Existenz von § 88 AktG zeigt hinreichend, dass auch in der Publikumsgesellschaft die einzelfallbezogene Gestattung an sich treuwidrigen Verhaltens möglich sein soll; eine Wertung, die, wie bereits ausgeführt, über den Bereich des Wettbewerbsverstoßes hinaus verallgemeinerungsfähig ist. a) Mangel an Verhandlungsmacht Zuerst ist zu untersuchen, inwieweit die Publikumsgesellschafter dadurch verstärkt Schutz bedürfen, dass sie nicht in der Lage sind, die Konditionen ihrer Beteiligung individuell auszuhandeln. So wird etwa die Satzungsstrenge bei der Aktiengesellschaft damit gerechtfertigt, sie führe zu einer Standardisierung der Aktien und enthebe daher die Anleger der Notwendigkeit, in jedem Fall zu recherchieren, wie eine konkrete Gesellschaft die Mitgliedschaftsrechte ausgestaltet hat.122 Die h.M. vertritt die Auffassung, die Satzungsstrenge sei bei Publikumsgesellschaften notwendig, um agency-Kosten zu minimieren und der staatlichen Fürsorgepflicht für Kleinaktionäre gerecht zu werden.123 Demgegenüber hat Hopt schon früh auf den Widerspruch hingewiesen, dass die Vertragsfreiheit bei den Publikumspersonengesellschaften keine besonderen Schwierigkeiten bereitet, obwohl die genannten Aspekte dort in gleichem Maße zutreffen.124 Als Mitglied der High 122 Janke (Fn. 4), S. 45; Pentz in: MünchKomm. AktG (Fn. 70), § 23 Rn. 150; Röhricht in: Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1996, § 93 Rn. 167. 123 Siehe die in der vorherigen Fußnote Genannten sowie Bayer (Fn. 71), S. E 84 f. m.w.N. Kritisch Fleckner/Hopt Entwicklung des Börsenrechts, FS Hamburger Börse, 2008, S. 249, 264. 124 Hopt in: Lutter/Wiedemann (Fn. 2), S. 145.

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Level Group of Company Law Experts hat er sich dementsprechend bei börsennotierten Gesellschaften für einen Ersatz zwingenden Rechts durch Offenlegungspflichten ausgesprochen.125 Inzwischen ist der Gesetzgeber die ersten, wenn auch zögerlichen Schritte auf diesem Weg gegangen, indem er mit der Entsprechenserklärung des § 161 AktG den Unternehmen Gestaltungsoptionen eingeräumt hat und dabei darauf vertraut, dass der Kapitalmarkt die Bewertung übernimmt. Dem liegt die verallgemeinerungsfähige Einsicht zugrunde, dass die Anleger dann nicht geschädigt sind, wenn sie für eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Gestaltung – etwa die Schaffung besonders großen Freiraums der Geschäftsleitung – einen angemessen niedrigeren Preis bezahlen.126 Es ist kein überzeugender Einwand, darauf zu verweisen, dass der Markt nicht in der Lage sei, den Wert einer bestimmten gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeit korrekt zu bepreisen. Ein funktionierender Preisbildungsmechanismus zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er aus den gesammelten Einschätzungen der Marktteilnehmer ein Aggregat bildet, das im Durchschnitt der korrekten Bewertung näher kommt als die Einschätzungen einzelner Marktteilnehmer.127 In der Publikumsgesellschaft wird der Schwund an Verhandlungsmacht und Einfluss des einzelnen Anlegers dadurch kompensiert, dass der Kapitalmarkt die Anlage bewertet und für die Anleger negative Arrangements mit einem Preisabschlag belegt. Erforderlich ist daher, dass die Gesellschaft die Öffentlichkeit korrekt informiert und sich nicht durch Fehlinformationen dem Urteil des Marktes entzieht.128 Eine Standardisierung der Anlage zum Schutz der Anleger ist höchstens dort zu rechtfertigen, wo der Preisbildungsmechanismus defizitär ist; genau in diesem früher sog. „grauen Kapitalmarkt“ dominieren aber Fonds in den Rechtsformen GbR und GmbH & Co. KG, die bekanntlich weitgehender Gestaltungsfreiheit unterliegen, während die allein börsentaugliche AG in das Korsett der Satzungsstrenge gepresst wird. Die vorstehenden Ausführungen gelten aber nur für Abbedingungen der Treuepflicht in der Ursprungssatzung. Gegen die Zulässigkeit einer nachträglichen Aufhebung von Treuepflichten durch mehrheitliche Satzungsänderung oder Organbeschluss hat sich Bebchuk ausgesprochen. Seiner Ansicht nach fehlt es den Gesellschaftern an den hinreichenden Informationen; eine neutrale Entscheidung durch den Aufsichtsrat sei gerade in den problematischen Fällen nicht zu erwarten, in denen Interessenkonflikte bestehen, und ein eventueller Mehrheitsgesellschafter könne Änderungen aus

125 Report of the High Level Group of Company Law Experts on a Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe, 4 Nov. 2002, S. 34 (engl. Fassung). 126 Spindler AG 1998, 53, 65; siehe auch Grunewald NZG 2009, 967, 969; monographisch Bak Aktienrecht zwischen Markt und Staat, 2003, S. 326. 127 Hellgardt (Fn. 54), S. 113, 123 ff. m.w.N. 128 Dazu ausführlich Hellgardt (Fn. 54), S. 223 f.

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reinem Eigeninteresse durchsetzen.129 Wenn man die Abbedingung der Treuepflicht wie hier allerdings als Zweckänderung einordnet, ergibt sich schon aus § 33 Abs. 1 S. 2 BGB, dass ein solcher Dispens in Publikumsgesellschaften praktisch nur in der Ursprungssatzung möglich ist. Dieses Prinzip sollte entsprechend auch auf die Aufhebung einzelner Stränge der Treuepflicht wie die Geschäftschancenlehre angewendet werden. Eine nachträgliche Aufhebung derartiger Pflichten stellte die bereits beteiligten Gesellschafter schutzlos, weil sie schon einen Preis gezahlt haben, der sich nach der nachträglichen Abbedingung der Treuepflicht als überhöht herausstellt. Der Mangel an Verhandlungsmacht des einzelnen Anlegers ist daher keine überzeugende Rechtfertigung für ein zwingendes Gesellschaftsrecht, das dem Treuepflichtdispens auch in der Ursprungssatzung die Anerkennung versagt. Dies gilt solange, wie die Anteile der betreffenden Gesellschaft einem marktlichen Preisbildungsprozess, etwa auf einem organisierten Markt nach europäischem Recht, unterliegen und die Abbedingung der Treuepflicht hinreichend veröffentlicht wird. Besteht ein solcher Preisbildungsprozess nicht oder geht es um nachträgliche Dispense, sind die Publikumsgesellschafter durch die Unabdingbarkeit der Treuebindungen zu schützen. b) Schutz von unerfahrenen Anlegern Als nächstes ist zu untersuchen, ob die Abdingbarkeit der Treuepflicht in Frage gestellt werden muss, wenn die befreienden Gesellschafter geschäftlich nicht erfahren sind und daher möglicherweise die Konsequenzen des Dispenses falsch einschätzen. Das gleiche Problem stellt sich, wenn der ursprüngliche Gesellschafterkreis zwar geschäftlich erfahren ist, dann aber die Anteile an weniger erfahrene Gesellschafter weiterveräußert, ein Problem, das bei der Publikumsgesellschaft mit handelbaren Anteilen strukturell nicht auszuschließen ist. Das Gesellschaftsrecht von Delaware versucht, die Anleger dadurch zu schützen, dass Transaktionen, die gegen die duty of loyalty verstoßen, nur dann zulässig sind, wenn sie durch eine Mehrheit unabhängiger directors oder durch die Mehrheit der Aktionäre genehmigt wurden (section 144 DGCL).130 Das Zustimmungserfordernis zugunsten der Aktionäre 131 läuft aber dann leer, wenn die Anleger nicht in der Lage sind, die Konsequenzen ihrer Entscheidung richtig abzuschätzen. Dies mag bei einer ad hoc-Zustimmung im Einzelfall noch hinnehmbar sein, bei einer generellen Abbedingung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht oder einer Aufhebung der Treuebindung an sich wächst sich aber die Unfähigkeit der Publikums129

Bebchuk Harv. L. Rev. 102 (1989), 1820, 1836 ff., 1840 ff., 1846 f. Kritisch dazu Brudney J. Corp. L. 25 (2000), 209; Brown Hastings L. J. 54 (2003), 641; Eisenberg Colum. L. Rev. 89 (1989), 1461, 1474 ff. 131 Die New York Stock Exchange auferlegt sämtlichen dort notierten Gesellschaften eine derartige Pflicht, siehe NYSE, Inc., Listed Company Manual § 312.03(b). 130

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aktionäre, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen, zu einem ernsthaften Problem aus. Können die Anleger die mit einer Aufhebung der Treuepflicht verbundenen Gefahren nicht korrekt einschätzen, sind grundsätzlich zwei regulatorische Strategien denkbar. Einerseits kann die Abbedingung verboten werden, andererseits kann die Gesellschaft verpflichtet werden, die Anleger zu informieren. Dabei sollte die Informationspflicht als milderer Eingriff gewählt werden, sofern damit das Schutzziel auf gleich wirksame Weise erreicht werden kann. Es geht also um die Frage, ob Informationspflichten geeignet sind, Anleger in hinreichender Art und Weise über das Risiko aufzuklären, das mit dem Dispens der Treuepflicht verbunden ist. Im bürgerlichen Recht stößt das Informationsmodell auf Grenzen, wenn Parteien durch psychologischen Druck, wettbewerbswidrige Marktstrukturen oder fehlerhafte Einschätzung ihrer eigenen Präferenzen dazu gebracht werden, extrem nachteilige Verträge, etwa Wucherdarlehen, zu akzeptieren.132 Daran anknüpfend könnte man auch die Abbedingung der Treuepflicht unabhängig von einer Informationsoffenlegung durch die Gesellschaft generell für unzulässig erklären. Allerdings existieren bei der börsennotierten Publikumsgesellschaft Marktmechanismen, die im bürgerlichen Recht nicht gegeben sind und die für solche Gesellschaften eine abweichende Bewertung rechtfertigen können. So besteht bei der börsennotierten Gesellschaft mit frei handelbaren Anteilen die Gefahr einer feindlichen Übernahme („Markt für Unternehmenskontrolle“).133 Wirtschaftet das Management zu sehr in die eigene Tasche und lässt die wahren Potenziale der Gesellschaft ungenutzt, gibt dies strategischen Investoren, aber auch Private Equity Fonds oder Hedgefonds einen Anreiz, die Mehrheit der Anteile am Markt aufzukaufen, das Management zu ersetzen und die Gesellschaft später mit Gewinn weiterzuverkaufen oder in das eigene Unternehmen zu integrieren. Die Antizipation dieser Gefahr begrenzt den Handlungsspielraum der Verwaltung einer börsennotierten Gesellschaft selbst dann, wenn formal die Treuepflicht abbedungen ist. Das wirtschaftliche Potential der Gesellschaft und damit die Erwartungen der Investoren an die Unternehmensleitung bestehen unabhängig von einem Treuepflichtdispens. Diese Erwägungen sprechen dagegen, bei der Publikumsgesellschaft die Abbedingung der Treuepflicht in der Ursprungssatzung generell für unzulässig zu erklären. Allerdings erscheint es angebracht, nicht nur auf marktliche Ausgleichsmechanismen wie den Markt für Unternehmenskontrolle zu setzen, sondern den Dispens zum Schutz der Minderheitsaktionäre einer gewissen Inhaltskontrolle zu unterziehen. Demnach könnten die Gerichte kontrollieren, ob die oben beispielhaft genannten Ausgleichsmechanismen 132 133

Schön FS Canaris (Fn. 35), S. 1204. Ausführlich dazu Hellgardt (Fn. 54), S. 161 ff. m.w.N.

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eingerichtet sind und dies in einer Weise, die tatsächlich geeignet ist, den Gefahren übermäßig opportunistischen Verhaltens gerecht zu werden. Aktionäre, die bereit sind, die verbleibenden Gefahren zu tragen, und dadurch von den vermeintlich besonderen Fähigkeiten derart befreiter Geschäftsleiter zu profitieren, sollten nicht durch übermäßigen Paternalismus gezwungen werden, auf ausländische Rechtsformen auszuweichen.

V. Implikationen Die Frage, ob und inwieweit im Gesellschaftsrecht Vertragsfreiheit herrschen sollte, lässt sich nur dann befriedigend beantworten, wenn man sich die schwierigen Fällen ansieht. In Deutschland stand die Frage der Abdingbarkeit der Treuepflicht bislang nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Vergewärtigt man sich allerdings, in welchem Maße die Gestattung in Einzelfällen und der Dispens von Einzelsträngen der Treuepflicht allgemein anerkannt sind, so zeigt sich, dass das vermeintliche Tabu gar keines ist. Die Abbedingung der Treuepflicht ist durchaus eine realistische Option und keineswegs per se unwirksam. Vielmehr kommt es entscheidend auf die Ausgestaltung im Einzelfall und darauf an, ob ein hinreichender Ausgleich vorgesehen ist. Selbst bei Publikumsgesellschaften mit einer Vielzahl von Anlegern, denen die Kenntnis und die faktische Möglichkeit fehlt, die Bedingungen ihrer Beteiligung zu verhandeln, ist es keinesfalls ausgeschlossen, in der Ursprungssatzung weitgehende Vertragsfreiheit zu gewähren. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein marktlicher Mechanismus besteht, der dazu führt, dass Gesellschaftsanteile mit einem Preisabschlag versehen werden, wenn die Gesellschafterrechte allzu stark ausgehöhlt zu werden drohen. Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ergebnisse stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung der aktienrechtlichen Satzungsstrenge mit neuer Brisanz. Wenn § 33 Abs. 1 S. 2 BGB weitgehend ausreicht, um die Gesellschafter vor nachträglich opportunistischem Verhalten der Geschäftsleitung zu schützen, verbleiben kaum noch legitime Rechtfertigungsgründe für die generelle Satzungsstrenge. Anders als die Befürworter derselben meinen 134, kann die Sonderstellung Deutschlands in diesem Bereich kaum mit „Pfadabhängigkeiten“ gerechtfertigt werden. Die Satzungsstrenge ist insbesondere dort entbehrlich, wo ein funktionierender Kapitalmarkt und ein ausgebildetes Kapitalmarktrecht bestehen. In dieser Hinsicht ist aber in den vergangenen 20 Jahren – nicht zuletzt aufgrund der unermüdlichen Initiative des Jubilars 135 – eine starke Konvergenz zwischen den USA und Deutschland erkennbar. 134

Vgl. Bayer (Fn. 71), S. E 85. Zuletzt Hopt FS Canaris (Fn. 2). Siehe auch von Hein Die Rezeption des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 383 ff. und passim. 135

Takeovers, Poison Pills and Protectionism in Comparative Corporate Governance Jennifer G. Hill * I. Introduction “Forgive me, then, for bringing owls to Athens as a thanks-offering”. Goethe 1 By the turn of the last decade, a range of factors had propelled comparative corporate governance to governmental and scholarly prominence.2 Fanned by globalisation3 and the influential “law matters” thesis,4 a central issue at that time became whether corporate governance regimes around the world would converge.5 Whereas some scholars considered this to be inevitable,6

* Professor of Corporate Law, Sydney Law School; Visiting Professor, Vanderbilt University Law School; Research Associate, European Corporate Governance Institute. I am grateful to Greg Golding, Justice Randy Holland and Nico Howson for certain references, and to John Clayton Brett, Liam Burgess and Sean Wlodarczyk for their excellent research assistance. 1 Letter from Goethe to Wilhelm von Humboldt, (Sept. 1, 1816), available at http:// www.gutenberg.org/files/11366/11366-8.txt. Speaking on the subject of takeovers to an English audience in 2002, Professor Hopt said that he felt as if he were “carrying owls to Athens”, or in the English vernacular, “carrying coals to Newcastle” (Klaus J. Hopt Takeovers, Secrecy, and Conflicts of Interest: Problems for Boards and Banks, in Takeovers in English and German Law 33, 33 (Jennifer Payne, ed., Hart Publishing, 2002)). I share this sentiment in writing on the same topic, given Professor Hopt’s expertise in this area. 2 Ronald J. Gilson & Mark J. Roe Understanding the Japanese Keiretsu: Overlaps Between Corporate Governance and Industrial Organization, 102 Yale L.J. 871, 872 (1993). 3 See Arthur R. Pinto Globalization and the Study of Comparative Corporate Governance, 23 Wis. Int’l L.J. 477 (2005). 4 The “law matters” hypothesis postulated that capital market structure was directly linked to a country’s corporate governance regime. See, e.g., Rafael La Porta, Florencio Lopez-de-Silanes & Andrei Shleifer Corporate Ownership Around the World, 54 J. Fin. 471 (1999); Rafael La Porta, Florencio Lopez-de-Silanes, Andrei Shleifer & Robert Vishny Law and Finance, 106 J. Pol. Econ. 1113 (1998). 5 See generally Jennifer G. Hill The Persistent Debate about Convergence in Comparative Corporate Governance, 27 Sydney L. Rev. 743 (2005). 6 See, e.g., Henry Hansmann & Reinier Kraakman The End of History for Corporate Law, 89 Geo. L.J. 439, 468 (2001).

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others suggested that the very notion of “convergence” is ambiguous,7 and that the process is likely to be “slow, sporadic, and uncertain.” 8 This paper examines takeovers through a comparative law lens, and in the shadow of these fin de siècle debates. Takeover regulation constitutes an interesting corporate governance microcosm, where clear contrasts in approach are evident across jurisdictions. Context is crucial in this area, since takeover regulation confronts a range of principal-agent problems9 that may vary depending upon underlying corporate ownership structures.10 Takeovers also reflect the dynamic operation of legal regulation,11 which includes the strategic responses of regulated parties themselves.12 The structure of this paper is as follows. First, it discusses the rise of takeovers and takeover defences in the United States. Against the backdrop of the American experience, the paper then considers recent developments around the world, including in some other Western jurisdictions and two major Asian economies, Japan and China. As the paper shows, in spite of the apparent promise of open capital markets offered by globalisation and convergence theory, protectionism is on the rise internationally and takeovers play a central role in this evolving story.

7 See, e.g., Ronald J. Gilson Globalising Corporate Governance: Convergence of Form or Function, in Convergence and Persistence in Corporate Governance 128, 158 (Jeffrey N. Gordon & Mark J. Roe eds., Cambridge Univ. Press 2004); Toru Yoshikawa & Abdul A. Rasheed Convergence of Corporate Governance: Critical Review and Future Directions, 17 Corp. Gov.: An Intl. Rev. 388, 389–390 (2009). 8 Curtis J. Milhaupt Property Rights in Firms, in Convergence and Persistence in Corporate Governance 210, 213 (Jeffrey N. Gordon & Mark. J. Roe eds., Cambridge Univ. Press, 2004). 9 See generally Klaus J. Hopt Obstacles to Corporate Restructuring: Observations from a European and German Perspective, in Perspectives in Company Law and Financial Regulation 373, 376 (Michel Tison et al. eds., Cambridge Univ. Press, 2009). 10 See, e.g., Lucian A. Bebchuk & Assaf Hamdani The Elusive Quest for Global Governance Standards, 157 U. Penn. L. Rev. 1263 (2009). Klaus J. Hopt American Corporate Governance Indices as Seen from a European Perspective, 158 U. Penn. L. Rev. Pennumbra 27 (2009), available at http://www.pennumbra.com/responses/response.php?rid=79. 11 See John C. Coffee Law and the Market: The Impact of Enforcement, 156 U. Penn. L. Rev. 229 (2007); Howell E. Jackson Variation in the Intensity of Financial Regulation: Preliminary Evidence and Potential Implications, 24 Yale Journal on Regulation 253 (2007). 12 See, e.g., David A. Skeel Governance in the Ruin, 122 Harv. L. Rev. 696, 697 (2008); Curtis J. Milhaupt & Katharina Pistor Law and Capitalism: What Corporate Crises Reveal about Legal Systems and Economic Development around the World. (Univ. of Chicago Press, 2008).

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II. Takeovers, Takeover Defences and the Balance of Power Between the Board and Shareholders in the US 1. The Rise of Takeovers in the US “[O]ur corporate law is not static. It must grow and develop in response to, indeed in anticipation of, evolving concepts and needs”. Unocal Corp v Mesa Petroleum Corp 13 The traditional mechanism in the United States for achieving corporate reconstructions was by way of merger, a procedure initiated and controlled by a company’s board, rather than its shareholders.14 Hostile takeovers made their first appearance in the US in the 1960s,15 and subsequently attained renown during the 1980s, aided by a smorgasbord of novel financing techniques, such as junk bonds.16 Takeovers offered the opportunity for potential acquirers to appeal directly to shareholders, thus bypassing the need to negotiate with the board. The takeover boom of the 1980s17 revived corporate theory, which had languished since the early 20th century, raising fundamental questions about the nature and purpose of the corporation.18 Under agency theory, the market for corporate control emerged as the market’s “ultimate disciplinary tool.” 19 Supporters of a free market for corporate control differed, nonetheless, on the role of directors in responding to an unsolicited bid. Some scholars suggested a limited power in target management to seek out competing bids;20 13

493 A. 2d 946, 957 (Del. 1985). Generally, a US statutory merger will be approved by the boards and shareholders of each constituent corporation. The board acts as gatekeeper in determining which transactions should be considered by shareholders. See Charles R. T. O’Kelley & Robert B. Thompson Corporations and Other Business Associations: Cases and Materials 621, 755 (5th ed. 2006). 15 See Jesse H. Choper, John C. Coffee & Ronald J. Gilson Cases and Materials on Corporations 945 (7th ed. 2008). 16 See, e.g., Ronald Gilson & Reinier Kraakman Takeovers in the Boardroom: Burke versus Schumpeter, 60 Bus. Law. 1419, 1419 (2005). 17 Between 1980 and 1988, for example, M&A activity in the United States increased from $44 billion to $247 billion. Marcel Kahan & Edward B. Rock How I Learned to Stop Worrying and Love the Pill: Adaptive Responses to Takeover Law, 69 U. Chi. L. Rev. 871, 873 (2002). 18 See William Allen Our Schizophrenic Conception of the Business Corporation, 14 Cardozo L. Rev. 261, 264 (1992). 19 Gilson & Kraakman (supra note 16), at 1424. See also Edward Rock America’s Shifting Fascination with Comparative Corporate Governance, 74 Wash. U. L.Q. 367, 374–375 (1996). 20 See, e.g., Lucian Arye Bebchuk The Case for Facilitating Competing Tender Offers, 95 Harv. L. Rev. 1028 (1982); Ronald J. Gilson Seeking Competitive Bids Versus Pure Passivity in Tender Offer Defense, 35 Stan. L. Rev. 51 (1982). 14

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others advocated complete board passivity.21 The divergence reflects differing conceptions of “efficiency”. Professors Davies and Hopt have noted this tension, describing how rules that facilitate competing offers to enhance the bid price in particular transactions can, by deterring future initiating offers, effectively chill overall systemic efficiency of the market for corporate control.22 Not everyone was equally sanguine about the corporate governance benefits of the market for corporate control. Takeovers, particularly of the bust-up variety, exposed stark conflicts of interest between various stakeholders in the corporate enterprise.23 Some influential managerialist commentators argued that the hostile takeover trend encouraged short-termism, predatory conduct by professional investors,24 harmed stakeholders and the community, and constituted a fundamental attack on the central role of the board under US corporate law.25 This critique provided an ideological justification for broad managerial discretion and paternalism toward shareholders, permitting the directors to fight fire with fire.26 Unocal Corp. v Mesa Petroleum Corp.27 constituted a watershed decision in terms of consideration of agency conflicts, and the allocation of power between parties, in the takeover context. Recognising a target board’s “omnipresent specter” of self-interest, the Delaware Supreme Court assessed board conduct by reference to an enhanced scrutiny test, requiring the board’s response to be “proportionate” to the threat posed by the hostile bid to the corporate enterprise.28 Yet the level of scrutiny under the Unocal test was malleable, and directors enjoyed considerable leeway in the exercise of their discretion, including the right to consider the interests of non-shareholder constituencies.29 Revlon, Inc. v MacAndrews & Forbes Holdings, Inc.30 subsequently constrained managerial power where a target company was up for sale, holding that in these circumstances stockholder interests would be

21 E.g., Frank Easterbrook & Daniel Fischel The Proper Role of a Target’s Management in Responding to a Tender Offer, 94 Harv. L. Rev. 1161 (1981). 22 See Paul Davies & Klaus Hopt Control Transactions, in The Anatomy of Corporate Law: A Comparative and Functional Approach 225, 237 (Reinier Kraakman et al., eds., Oxford Univ. Press, 2nd ed, 2009). 23 Id. at 229–230; John C. Coffee Shareholders versus Managers: The Strain in the Corporate Web, 85 Mich L. Rev. 1, 13 (1986). 24 See Martin Lipton Takeover Abuses Mortgage the Future, Wall St. J., April 5, 1985. 25 Martin Lipton Takeover Bids in the Target’s Boardroom, 35 Bus. Law. 101, 105–106 (1979). 26 Id. at 113, 123. 27 493 A. 2d 946 (Del. 1985). 28 Id. at 954. See also Ronald J. Gilson & Reinier Kraakman Delaware’s Intermediate Standard for Defensive Tactics: Is There Substance to Proportionality Review? 44 Bus. Law. 247 (1989). 29 Unocal, 493 A.2d at 955. 30 506 A.2d 173 (Del. 1986).

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paramount and obliging directors to attain the highest share price.31 Yet, in spite of Revlon 32 and some early Delaware Chancery Court case law that gave real bite to Unocal’s proportionality test for assessing target board conduct,33 later Supreme Court decisions firmly reinstated a presumption of managerial fiat, in the absence of board action that was preclusive, coercive, or had the primary purpose of interfering with the shareholder franchise.34 Such approach is premised on the image of the board as less a gatekeeper than prime guardian of shareholder interests.35 This protector role for the board has been viewed as a vital antidote to the danger of coercive bids and as necessary to stimulate auctions to increase share price.36 2. The Poison Pill (and Other Managerial Barricades) and the Current Shareholder Empowerment Debate “The takeover wars are over. Management won.” Grundfest 37 These legal developments legitimised defensive conduct 38 by US target boards from a theoretical perspective. All that was needed as a practical matter was an impregnable commercial strategy to impede unwelcome bids. This emerged with the 1982 creation of the celebrated poison pill, or share-

31 See generally Leo E. Strine Jr. The Story of Blasius Industries v. Atlas Corp.: Keeping the Electoral Path to Takeovers Clear, in Corporate Law Stories 243 (J. Mark Ramseyer ed., Foundation Press 2009). 32 506 A.2d 173 (Del. 1986). 33 See, e.g., City Capital Assoc. v. Interco, Inc, 551 A.2d 787, 798 (Del. Ch. 1988), where Chancellor Allen noted that the alleged “threat” was “far too mild” to justify the board’s decision to keep a poison pill in place. 34 See, e.g., Paramount Comm’n, Inc. v. Time, Inc, 571 A.2d 1140 (Del. 1990). See also Unitrin, Inc v. American Gen Corp, 651 A.2d 1361 (Del. 1995); M.M. Companies, Inc v Liquid Audio, Inc, 813 A.2d 1118 (Del. 2003). See also Gilson & Kraakman (supra note 16), at 1428. 35 See Stephen M. Bainbridge Unocal at 20: Director Primacy in Corporate Takeovers, 31 Del. J. Corp. L. 769, 772 (2006); Robert Thompson Takeover Regulation after the ‘Convergence’ of Corporate Law, 24 Sydney L. Rev. 323 (2002). See Leo E. Strine The Professorial Bear Hug: The ESB Proposal as a Conscious Effort to Make the Delaware Courts Confront the Basic ‘Just Say No’ Question, 55 Stan. L. Rev. 863, 872 (2002). 36 See, e.g., Leo Strine Toward Common Sense and Common Ground? Reflections on the Shared Interests of Managers and Labor in a More Rational System of Corporate Governance, 33 J. Corp. L. 1, 12 (2007). 37 Joseph Grundfest Just Vote No: A Minimalist Strategy for Dealing with Barbarians Inside the Gates, 45 Stan. L. Rev. 857, 858 (1993). 38 A wide variety of defensive tactics were used in the early 1980s, including, for example, shark repellents, greenmail and white knights. Kahan & Rock (supra note 17), at 874.

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holder rights plan.39 Poison pills involve the issuance of a new class of preferred stock to common shareholders of a potential target company prior to an acquisition.40 The stock contains inchoate rights, which will only be triggered by the acquisition of a specified percentage of target’s stock.41 The rights typically entitle the target company’s shareholders, but not the hostile bidder, to acquire additional common stock at a discounted price. The essence of the poison pill has been described as “discriminatory dilution” 42 that makes a takeover bid more expensive and less palatable to a prospective acquirer. A significant part of the poison pill’s allure was that it could be adopted by the board without the need for shareholder approval.43 US courts have typically been kind to poison pills. Within two years of their implementation, the Delaware Supreme Court declared poison pills valid;44 only in relatively rare cases have they been judicially rejected.45 City Capital Assocs. v Interco, Inc.46 represents an atypical case in which Chancellor Allen identified troubling aspects of poison pills from an accountability perspective, stating that in certain circumstances they threatened “to diminish the legitimacy and authority of our corporation law.” 47

39 Martin Lipton Twenty-Five Years After Takeover Bids in the Target’s Boardroom: Old Battles, New Attacks and the Continuing War, 60 Bus. Law. 1369, 1372–1373 (2005). See William Carney & Leonard Silverstein The Illusory Protections of the Poison Pill, 79 Notre Dame L. Rev. 179, 181-2 (2003). 40 For a detailed discussion of the technical operation of a shareholder rights plan, see Carney & Silverstein (supra note 39), at 183–186. 41 See John Armour & David A. Skeel Who Writes the Rules for Hostile Takeovers, and Why? The Peculiar Divergence of U.S. and U.K. Takeover Regulation, 95 Geo. L.J. 1727, 1734 (2007). 42 George Geis Internal Poison Pills, 84 N.Y.U. L. Rev. 1169, 1201 (2009); Tunde Ogowewo Tactical Litigation in Takeover Contests, 2007 J. Bus. L. 589, n. 2 (2007). 43 Kahan & Rock (supra note 17), at 909. For discussion of a battle between the shareholders and directors of News Corporation concerning this aspect of poison pills, see generally Jennifer G. Hill Subverting Shareholder Rights: Lessons from News Corp.’s Migration to Delaware, 63 Vand. L. Rev. 1, 29 ff. (2010). 44 See Moran v. Household International, Inc., 500 A.2d 1346 (1985). See also Jonathan R. Macey & Geoffrey P. Miller Toward an Interest-Group Theory of Delaware Corporate Law, 65 Tex. L. Rev. 469, 519–522 (1987). 45 The Delaware courts have invalidated some variations of the shareholder rights plan, such as so-called “dead hand” and “no hand” poison pills. See, e.g., Carmody v. Toll Brothers, Inc., 723 A.2d 1180 (Del. 1998); Quickturn Design Systems, Inc. v. Shapiro, 721 A.2d 1281 (Del. 1998). 46 551 A.2d 787 (Del. Ch. 1988). 47 City Capital Assoc. v. Interco, Inc, 551 A.2d 787, 799–800 (Del. Ch. 1988). Responding to the Interco case, Martin Lipton sent a memo to his clients depicting the decision as a “dagger aimed at the hearts of all Delaware corporations.” Memorandum from Wachtell, Lipton, Rosen & Katz to clients, You Can’t Say No in Delaware No More, (Dec. 17, 1988), reprinted in Jeffrey N. Gordon Corporations, Markets, and Courts, 91 Colum. L. Rev. 1931, 1959 n. 95 (1991). See also Kahan & Rock (supra note 17), at 877.

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Some US commentators have suggested that the potency of this form of takeover defence has been overstated.48 Nonetheless, when combined with a staggered board, the poison pill is indeed a formidable barrier to hostile bids.49 Under Delaware law, directors may be elected for a staggered term of up to three years,50 and, unless the certificate of incorporation provides otherwise, these directors can only be removed “for cause.” 51 Such a limitation effectively insulates the directors by preventing an acquirer from obtaining control of the board in a single election. By the early 1990s, a confluence of factors, such as the rise of constituency statutes, proliferation of poison pills, and less hospitable financial market conditions for takeovers,52 led one commentator to declare that the takeover wars were over, with management the clear victor.53 Nonetheless, this assessment was perhaps premature. These battles may simply have shifted to a new corporate governance arena: the current US shareholder empowerment debate.54 A broad-based law reform agenda is now underway to grant shareholders stronger rights vis-à-vis management in a range of contexts, including nomination of directors 55 and executive remuneration decisions.56 These reform proposals have provoked fierce controversy and backlash in the United States.57 Also, in recent times there has been a sharp decline in staggered boards 58 and poison pills 59 at US companies due to institutional investor pressure.

48 Kahan & Rock (supra note 17), at 871; See Carney & Silverstein (supra note 39), at 182. Carney and Silverstein consider that “the typical poison pill will make many bidders nauseous, but that it will not be fatal in most cases”. Id. at 181. Cf. Geis (supra note 42), at 1201. 49 See Lucian Bebchuk, John C. Coates IV, & Guhan Subramanian The Powerful Antitakeover Force of Staggered Boards: Theory, Evidence and Policy, 54 Stan. L. Rev. 887, 890 (2002). 50 Del. Code Ann., tit. 8, § 141(d) (2008). 51 Del. Code Ann., tit. 8, § 141(k)(1) (2008). 52 Kahan & Rock (supra note 17), at 878–879. 53 Grundfest (supra note 37), at 858. 54 Lipton (supra note 39), at 1369. See generally Jennifer G. Hill The Rising Tension Between Shareholder and Director Power in the Common Law World, Corporate Governance: An International Review (forthcoming 2010). 55 Cf. Lucian A. Bebchuk & Scott Hirst Private Ordering and the Proxy Access Debate, 65 Bus. Law. 329 (2010); Joseph A. Grundfest The SEC’s Proposed Proxy Access Rules: Politics, Economics, and the Law, 65 Bus. Law, 361 (2010). 56 See generally William W. Bratton & Michael L. Wachter The Case Against Shareholder Empowerment, 158 U Pa. L. Rev. 653 (2010). 57 See, e.g., Lawrence Mitchell Protect Industry from Predatory Speculators, Fin. Times, July 8, 2009, at 9; Martin Lipton, Jay Lorsch & Theodore Mirvis Schumer’s Shareholder Bill Misses the Mark, Wall St. J., May 12, 2009, at A15. 58 See Robert B. Thompson & Paul H. Edelman Corporate Voting, 62 Vand. L. Rev. 129, 169 (2009); Marcel Kahan & Edward Rock Embattled CEOs 88 Tex. L. Rev. 987, 1007–1009 (2010). 59 See Inst’l S’holder Serv., Poison Pills in France, Japan, the U.S., and Canada: Takeover Barriers Rise in Europe and Japan, But Fall in North America 10–11 (May 2007), available at http://www.complianceweek.com/s/documents/PoisonPillPrimer.pdf.

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III. A Comparison Between Takeover Law in the United States and Some Other Western Jurisdictions “While the focus in the UK has been on attracting capital, the focus in the US has been on attracting managers”. Rickford 60 “The experience with the implementation of the 13th Directive on Takeovers is sobering indeed”. Hopt 61 An apparent assumption of the “law matters” hypothesis was that there exists a standardised common law model of corporate governance, offering superior legal protections to those found in civil law jurisdictions.62 In fact, however, takeover laws in the United States and other common law jurisdictions, such as the United Kingdom 63 and Australia,64 have divergent origins and have followed different paths in allocating power between shareholders and directors in takeovers.65 Takeovers emerged earlier in the United Kingdom than the US, and appear to have been generally welcomed there as a panacea to the country’s postWWII economic malaise.66 A number of scholars have noted, and sought to explain, the United Kingdom’s clear preference for shareholder interests in the takeover context,67 in comparison with the US pattern of deference to management.68 One possible explanation relates to regulatory structure. 60 Jonathon Rickford Do Good Governance Recommendations Change the Rules for the Board of Directors?, in Capital Markets and Company Law 461, 474 (Klaus J. Hopt & Eddy Wymeersch eds., Oxford Univ. Press, 2003). 61 Klaus J. Hopt Obstacles to Corporate Restructuring: Observations from a European and German Perspective, in Perspectives in Company Law and Financial Regulation 373, 373 (Michel Tison et al. eds., Cambridge Univ. Press, 2009). 62 See David A. Skeel Jr. Corporate Anatomy Lessons, 113 Yale L.J. 1519, 1544–1545 (2004). 63 See Brian R. Cheffins Corporate Ownership and Control: British Business Transformed 360 (Oxford Univ. Press, 2008); Ross Cranston The Rise and Rise of the Hostile Takeover, in European Takeovers – Law and Practice 77 (Klaus J. Hopt & Eddy Wymeersch eds., Butterworths 1992). 64 See generally Elaine Hutson Regulation of Corporate Control in Australia: A Historical Perspective, 7 Canterbury L. Rev. 102 (1998). 65 See John C. Coffee Jr. The Rise of Dispersed Ownership: The Roles of Law and the State in the Separation of Ownership and Control, 111 Yale L.J. 1, 18–22 (2001). 66 Takeovers developed from the 1950s in the United Kingdom. See Cheffins (supra note 63), at 360–361; Cranston (supra note 63), at 79. 67 See, e.g., Armour & Skeel (supra note 41), at 1727. See also Paul Davies & Klaus Hopt Control Transactions in The Anatomy of Corporate Law: A Comparative and Functional Approach 157, 172 (Reinier Kraakman et al., eds. Oxford Univ. Press, 2004). 68 See, e.g., Martin Gelter The Dark Side of Shareholder Influence: Managerial Autonomy and Stakeholder Orientation in Comparative Corporate Governance, 50 Harv. Int’l L.J. 129, 134 (2009).

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Some scholars have suggested that the UK self-regulatory regime, under the City Code on Takeovers and Mergers (“City Code”),69 has favoured institutional investors,70 unlike the US judicial model which supported managerial interests. There has also been a far lower level of tactical litigation in the United Kingdom than in the United States.71 The contours of UK takeover regulation have been modified in recent times in accordance with European developments discussed below.72 Australian takeover law provides an interesting contrast to these jurisdictions. The Australian regime, which has been described as “unique”,73 has several home-grown features74 that have tended to privilege equality of opportunity and fairness for minority shareholders over economic efficiency.75 The regime is particularly restrictive by international standards. Like many other jurisdictions, but unlike the US, Australian takeover law ensures that majority and minority shareholders share equally any control premium. However, whereas UK law permits private control transactions that pass the relevant takeover threshold provided a general offer or “mandatory bid” 76 is then made to all shareholders, Australian takeover law prohibits an acquirer from passing the threshold except by means of a general bid.77 Takeover disputes in Australia were, as in the United States, traditionally decided by the courts. However, this changed in 2000, when, in an attempt to reduce widespread tactical litigation,78 resolution of takeover disputes shifted to the Australian Takeovers Panel.79 This procedural shift also resulted in a 69 Under the UK takeover regime, a specialised non-judicial body, the Panel on Takeovers and Mergers administers the City Code on Takeovers and Mergers. 70 Armour & Skeel (supra note 41), at 1730–32. See also Davies & Hopt (supra note 67), at 172. A central feature of the City Code is the pre-eminence of shareholder decisionmaking during a takeover, under the “frustrating action” principle. See Panel on Takeovers and Mergers, City Code on Takeovers and Mergers, R. 21 (U.K.), http://www.thetakeoverpanel. org.uk/wp-content/uploads/2008/11/code.pdf. 71 See Ogowewo (supra note 42), at 607–09. 72 Id. at 590–92. 73 Justin Mannolini Convergence or Divergence: Is There a Role for the Eggleston Principles in a Global M&A Environment?, 24 Sydney L. Rev. 336, 358 (2002). 74 The 1969 Second Interim Report of the Company Law Advisory Committee (“Eggleston Committee Report”) has been described as the “conceptual grundnorm” of Australia’s takeover regime. Id. at 337. 75 Id. at 338. 76 For discussion of the benefits and potential costs to a mandatory bid rule, see Paul L. Davies The Notion of Equality in European Takeover Regulation, in Takeovers in English and German Law 9, 22–28 (Jennifer Payne, ed., Hart Publishing, 2002). 77 Mannolini (supra note 73), at 357–58. 78 Simon McKeon & Jonathan Farrer Expanding the Jurisdiction of the Takeovers Panel in the Aftermath of Glencore: A New Chapter Begins?, 26 Comp. & Sec. L.J. 517 (2008). 79 The general consensus appears to be that the Australian Takeovers Panel has been a success. See generally McKeon & Farrer (supra note 78); Emma Armson Models for Takeover Dispute Resolution: Australia and the UK, 5 J. Corp. L. Stud. 401 (2005).

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doctrinal change in the assessment of defensive conduct by target boards. The Takeovers Panel departed from the courts’ previous fiduciary duty analysis of directors’ defensive conduct, substituting its own “frustrating action” policy, which focused on the effect, rather than the purpose, of the directors’ actions.80 This constituted a major shift in the balance of power between the board of directors and shareholders during a bid under Australian law.81 The board is further constrained in both Australia and the United Kingdom by the fact that neither US-style poison pills,82 nor US-style staggered boards 83 are legally permissible. Another common jurisdiction, Canada, permits poison pills,84 but they have evolved in an idiosyncratic way, to confer paramount control on shareholders.85 What of Europe? Much ink has been spilled in recent years analysing the 13th Directive on Takeovers, (“Takeover Bid Directive”),86 and the Byzantine route to its introduction,87 so discussion here will be limited to a few salient points. The directive’s apparent goals were to stimulate takeover activity in Europe and to create a level playing field through harmonisation.88 Key elements of the directive – the mandatory bid rule in Article 5 and the antifrustration rule in Article 9 – were based on the London City Code.89 The controversial breakthrough rule in Article 11, which sought to achieve proportionality between capital and control, derived from recommendations of the 2002 Report of the High Level Group of Company Law Experts.90 80 See Jennifer G. Hill Back to the Future? Bigshop 2 and Defensive Tactics in Takeovers, 20 Comp. & Sec. L.J. 126, 129–30 (2002). 81 See Guidance Note 12: Takeovers Panel, Austl. Gov’t § 2 (2003), available at http:// www.takeovers.gov.au/content/Guidance_Notes/Current/downloads/GN12_2010.pdf. 82 For a detailed analysis of the reasons why U.S.-style poison pills are impermissible under Australian and UK law, see Jennifer G. Hill (supra note 80), at 134–38. 83 See Corporations Act, 2001 § 203D (Austl.); Companies Act, 2006 c. 46 § 168(1) (U.K.), which grant shareholders an absolute right to remove directors with or without cause. 84 See Inst. S’holder Serv. (supra note 59), at 11–13. 85 See Philip Anisman Poison Pills: The Canadian Experience, in Corporations, Capital Markets and Business in the Law: Liber Amicorum Richard M. Buxbaum 12 (Theodor Baums et al. eds., Kluwer Law International 2000); Ronald Podolny Fixing What Ain’t Broke: In Defence of Canadian Poison Pill Regulation, 67 U. Toronto Fac. L. Rev. 47, 51 (2009). 86 Council Directive 2004/25, 2004 O.J. (L 142) 12. (EC). 87 See Hopt (supra note 61), at 375; André Nilsen The EU Takeover Directive and the Competitiveness of European Industry, (Oxford Council on Good Governance, 2004), available at http://ocgg.org/fileadmin/Publications/EY001.pdf; Klaus J. Hopt Takeover Regulation in Europe – The Battle for the 13th Directive on Takeovers, 15 Austl. J. Corp. L. 1 (2002). 88 Nilsen (supra note 87), at 1. 89 Klaus J. Hopt Corporate Law, Corporate Governance and Takeover Law in the European Union: Stocktaking, Reform Problems and Perspectives, 20 Austl. J. Corp L. 244, 261–262 (2007). 90 Report of the High Level Group of Company Law Experts on Issues Related to Takeover Bids in the European Union 4–8, 29 (Jan. 10, 2002) http://ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/takeoverbids/2002-01-hlg-report_en.pdf.

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Ultimately, the Takeover Bid Directive may exemplify the potential gap in regulatory reform between motivation and outcome.91 According to one commentator, if the main goal of the directive was maximisation of takeovers, then it has been “a spectacular failure”.92 Harmonisation 93 was weakened by a political compromise that rendered the anti-frustration and breakthrough rules merely optional under Article 12.94 The majority of member states, perhaps unsurprisingly, have elected to opt out of these rules 95 and some, such as France, have strengthened their anti-takeover defences.96 Also, in 2007 the proposed “one share, one vote” rule was abandoned in what has been called “a rare policy capitulation” 97 by the European Commission. In a recent paper, Professor Hopt describes the experience with the Takeover Bid Directive as “sobering,” in view of the large number of member states that appear to have adopted a protectionist stance towards the directive’s implementation in response to populist fears of globalisation.98 As the discussion below illustrates, this theme of economic protectionism is also of growing importance in parts of Asia.

91 Donald C. Langevoort The Social Construction of Sarbanes-Oxley, 105 Mich. L. Rev. 1817 (2007). 92 Luca Enriques European Takeover Law: The Case for a Neutral Approach, 2 (UCD Working Papers in Law, Criminology & Socio-Legal Studies Research Paper No. 24/2010), available at http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1523307. 93 See Eddy Wymeersch The Takeover Bid Directive, Light and Darkness, (Fin. Law Inst., Working Paper 2008-01, Jan. 2008) (assessing harmonisation successes and failures in the directive), available at papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1086987. 94 Complexity abounds, however, in the opt-in/opt-out interplay for member states and companies under Article 12. See Hopt (supra note 89), at 263. 95 See Comm’n of the Euro. Cmties., Comm’n Staff Working Document, Report on the Implementation of the Directive on Takeover Bids, 4 (2007); Hopt (supra note 61), at 378–79. 96 France, for example, introduced a form of poison pill. See Wymeersch (supra note 93), at 7; Inst. S’holder Serv. (supra note 59), at 6–7. 97 Andrew Bounds & Kate Burgess EU Scraps Plan for “One Share, One Vote” Reform, Fin. Times, Oct. 4, 2007, at 1; Hopt (supra note 61), at 392. 98 Hopt (supra note 61), at 378–381. See also Report on the Implementation of the Directive on Takeover Bids (supra note 95), at 10. Professor Hopt notes, however, that another interpretation of the directive’s implementation is one of path dependency, rather than protectionism. Hopt (supra note 61), at 380.

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IV. Takeovers, Defensive Mechanisms and Protectionism: Recent Developments in Asia 1. Japan “Until recently, Japan seemed destined to become the Galapagos Islands of the financial world”. Nakamoto 99 Japan constitutes a fascinating and evolving case study in the takeover realm.100 In contrast to the United States, hostile acquisitions were until recently non-existent in Japan, due to the insulation provided by Japan’s elaborate system of cross-shareholding and keiretsu relationships.101 However, from the 1990s onwards, Japan’s capital market structure altered significantly as a result of corporate law reforms to enhance flexibility,102 the unravelling of stable cross-shareholdings, and increased foreign ownership.103 These changes provided a basis for hostile takeovers and increased attention to shareholder interests.104 The effect of these corporate governance developments was revealed starkly in 2005, when Livedoor, an upstart Japanese internet company, launched a hostile takeover bid for Nippon Broadcasting,105 transforming the “unthinkable” into reality.106 In resultant litigation, the Tokyo District Court granted injunctive relief against a planned defensive stock warrant issue by the target 99

Michiyo Nakamoto It’s Time to Leave Home Again, Fin. Times, Sept. 12, 2008, at 1. Davies & Hopt (supra note 22), at 273. 101 See Gilson & Roe (supra note 2), at 882. 102 See Ronald Gilson The Poison Pill in Japan: The Missing Infrastructure 1–2, (Euro. Corp Governance Inst., Working Paper No. 20, 2004). 103 The value of shares held in cross-shareholding arrangements in Japanese companies declined from 33% in 1991 to 11.1% in the fiscal year ending March 2006. See Andrew Morse & Sebastian Moffett Japan’s Companies Gird for Attack – Fearing Takeovers, They Rebuild Walls; Rise of Poison Pills, Wall St. J., Apr. 30, 2008 at A1. Foreign ownership of Japanese shares increased from 4.1% in 1987 to 27.6% in 2008. See Alison Tudor Advocate Pitches Reform in Japan, Wall St. J., Apr. 9, 2009, at C2. 104 See Ministry of Econ., Trade, and Indus. and Ministry of Justice, Guidelines Regarding Takeover Defense for the Purposes of Protection and Enhancement of Corporate Value and Shareholders’ Common Interests 2 (2005) [hereinafter Guidelines]. 105 For detailed background of this control contest, see generally Sadakazu Osaki Regulation of Japan’s Capital Markets and the Battle for Control of Nippon Broadcasting System, 8 Nomura Capital Market Rev. 25 (2005); Curtis Milhaupt & Katharina Pistor The Livedoor Bid and Hostile Takeovers in Japan: Postwar Law and Capitalism at the Crossroads, in Law and Capitalism: What Corporate Crises Reveal about Legal Systems and Economic Development around the World 87 (Univ. of Chicago Press, 2008). 106 See Curtis Milhaupt In the Shadow of Delaware? The Rise of Hostile Takeovers in Japan, 105 Colum. L. Rev. 2171, 2172 (2005). 100

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board, on the basis that the directors’ conduct was designed to maintain current managerial and ownership control, and was “grossly unfair” under the Japanese Commercial Code.107 This decision was subsequently affirmed by the Tokyo High Court.108 The Nippon Broadcasting litigation raised business community concerns about the prospect of hostile takeovers, particularly by predatory foreign corporations.109 A flurry of government reports and guidelines concerning takeover defences followed.110 These included joint guidelines issued by the Ministry of Economy, Trade and Industry (“METI”) and the Ministry of Justice (“Guidelines”),111 which sanctioned the adoption of pre-bid defences in certain circumstances.112 Although the ostensible purpose of these nonbinding Guidelines was to prevent “excessive defensive takeover measures”, in fact they provided Japanese companies with a blueprint for ensuring the validity of any defensive mechanisms.113 According to principles embedded in the Guidelines, takeover defences should seek to enhance corporate values and shareholder interests, reflect the shareholders’ will, and be “necessary and reasonable in relation to the threat posed”.114 Whereas the emphasis on shareholders’ will reflects a central principle under, for example, the UK and Australian takeover regimes, the final requirement is pure Delaware law.115 The Guidelines expressly contemplated discrimination against a hostile 107

Osaki (supra note 105), at 34–36. Nippon Hoso K.K. v. Livedoor K.K., 1173 Hanrei Taimuzu 125 (Tokyo H. Ct., Mar 23, 2005) (translated in Curtis Milhaupt Bull-Dog Sauce for the Japanese Soul? Courts, Corporations, and Communities – A Comment on Haley’s View of Japanese Law, 8 Wash. Univ. Global. Stud. L. Rev. 345, 348–49 (2009); Livedoor v Nippon Broadcasting System, 25 Waseda Bulletin of Comp. L. 125 (2005). 109 See Osaki (supra note 105), at 42; John Buchanan & Simon Deakin Japan’s Paradoxical Response to the New ‘Global Standard’ in Corporate Governance, 16–17 (Euro. Corp. Governance Inst., Working Paper No. 87, 2007); Cf. Press Release, European Business Council in Japan and American Chamber of Commerce in Japan, EBC and ACCJ Express Concern about Adverse Impact on Portfolio and Direct Investment in Japan, (June 29, 2005) [hereinafter “Press Release”] (deriding any soi-disant “foreign capital threat” as inaccurate and founded on emotionalism). 110 Hideki Kanda Takeover Defences and the Role of Law: A Japanese Perspective, in Perspectives in Company Law and Financial Regulation 413, 416–17 (Michel Tison et al. eds., Cambridge Univ. Press, 2009); Curtis J. Milhaupt & Katharina Pistor Law and Capitalism: What Corporate Crises Reveal about Legal Systems and Economic Development around the World 87, 95 (Univ. Chicago Press 2008). 111 See Guidelines (supra note 104). 112 These circumstances included situations where, for example, the defense was in response to a coercive bid, where defensive measures could benefit shareholders. Id. at 2–5. The Tokyo High Court decision in the Nippon Broadcasting litigation also provided examples of exploitative takeovers, where defensive tactics might be justified. Id. at 16; Osaki (supra note 105), at 25. 113 Guidelines (supra note 104), at 1. 114 Id., at 3–6. 115 See Milhaupt & Pistor (supra note 110). 108

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bidder, an important feature of poison pills.116 International business groups in Japan expressed anxiety that METI’s guidelines could obstruct, rather than improve, corporate governance and chill foreign investment.117 As poison pills have declined in the United States,118 they have increased dramatically in Japan. The number of Japanese companies using this defence rose from two in 2004 to 340 in 2007,119 and 634 by 2008.120 The efficacy of poison pills as a defence mechanism in Japan was demonstrated in 2007, when a plan by the activist US hedge fund, Steel Partners LLC (“Steel Partners”), which held a 10% interest in the Japanese company Bull-Dog Sauce Co (“Bull-Dog”), to acquire the remaining shares, foundered when Bull-Dog’s board adopted a poison pill that was subsequently approved by the target company’s shareholders. The pill was a standard dilution scheme, but with a condition that the potential acquirer would receive cash in lieu of the shares to which other shareholders were entitled.121 Steel Partners was unsuccessful in legal proceedings challenging the target board’s conduct. The Tokyo District Court, High Court and Supreme Court all ruled that the defensive measure was lawful, though on somewhat different lines of reasoning.122 The fact that the target shareholders had approved the defensive plan was a particularly significant factor in the District Court and Supreme Court judgments,123 and it is open to doubt whether a similar defensive plan would be sanctioned if enacted solely by management.124 The Japanese Foreign Exchange and Foreign Trade Act of 1949 125 provides additional constraints by requiring advance notification and government approval for foreign investment in sectors deemed to be sensitive, such as national security.126 In September 2007, Japan widened the scope of industries subject to such notification and government review.127 The following 116

Guidelines (supra note 104), at 7–8, 11–12. See, e.g., Press Release (supra note 109). 118 Inst. S’holder Serv. (supra note 59). 119 U.S. Gov’t Accountability Office, Foreign Investment: Laws and Policies Regulating Foreign Investment in 10 Countries 74 (2008) [hereinafter “USGAO Report”]. 120 See Morse & Moffett (supra note 103), (citing data of Swiss investment bank, UBS AG). See also Kanda (supra note 110), at 414–15. 121 Curtis Milhaupt Bull-Dog Sauce for the Japanese Soul? Court, Corporations, and Communities – A Comment on Haley’s View of Japanese Law, 8 Wash. Univ. Global. Stud. L. Rev. 345, 353–54 (2009). 122 Id. at 345, 354–56. 123 In contrast, the Tokyo High Court focused on the bidder, categorising Steel Partners as an “abusive acquirer” due to its pattern of quickly selling off acquired corporations, thereby confirming the appropriateness of defensive methods. Id. at 354–55. 124 Kanda (supra note 110), at 422–23; Buchanan & Deakin (supra note 109), at 16. 125 See, e.g., Foreign Exchange and Foreign Trade Act, Law No. 228 of 1949, art. 26–27, 55–56. 126 See USGAO Report (supra note 119), at 75. 127 Id. at 12; Morse & Moffett (supra note 103), at A1. 117

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year, METI raised national security objections to block an attempt by the UK hedge fund, The Children’s Investment Fund, to double its stake to 20% in J-Power (Electric Power Development Co), a Japanese electricity company with nuclear power aspirations.128 The acquisition by the Australian investment bank, Macquarie Bank, of a 20% stake in the Japanese company that owns Tokyo’s Haneda airport facilities also prompted intense political debate.129 In spite of the resonance of US principles in recent corporate governance developments in Japan, few commentators consider this to provide evidence of any direct convergence toward a globalised standard.130 For example, although accepting Delaware takeover law principles, Japan appears more cautious about the related concept of the independent director.131 Institutional setting matters,132 and it appears that Japan may have adapted certain Western corporate governance principles, without displacing, and perhaps even strengthening, its traditional concept of the community firm.133 There have been some rare examples of successful shareholder activism, such as Steel Partners’ 2009 victory in replacing the board of Aderans,134 and recent evidence of a more shareholder-friendly stance by METI to encourage greater foreign investment.135 Nonetheless, Japan’s messages in this regard have been decidedly mixed.136 Poison pills have arguably proven to be a functional equivalent of Japan’s traditionally closed model of corporate governance,137 and protective cross-shareholdings are reappearing.138 These developments 128 See Michiyo Nakamoto Japan Warms to Outside Investors, Fin. Times, Jun. 26, 2008 at 1; Toshiyuki Sugiyama & Mariko Kotaki J-Power Issue Forces Out Discussions, Nikkei Business Online, April 21, 2008, available at http://business.nikkeibp.co.jp/article/eng/ 20080421/153726/. 129 Alan Beattie, Stephanie Kirchgaessner & Raphael Minder Left in the Cold: Foreign Bidders Find Themselves Out of Favour, Fin. Times, Apr 25, 2008, at 13. 130 See, e.g., Milhaupt & Pistor (supra note 105), at 87, 101. 131 See Ministry of Econ., Trade and Indus., The Corporate Governance Study Group Report, 2, 2–4 (2009) (Japan). On the connection between takeover defences and independent directors, see Milhaupt & Pistor (supra note 105), at 101. 132 Gilson (supra note 102). 133 Buchanan & Deakin (supra note 109), at 20–22. 134 See Robin Harding US Investment Fund Unseats Aderans Board, Fin. Times, May 29, 2009, at 18. See also Michiyo Nakamoto & Kate Burgess Dividends to Reap; Shareholder Activists Begin to Make Their Mark in Japan, Fin. Times, July 3, 2008, at 7. 135 See Tudor (supra note 103), at C2; Nakamoto (supra note 128). 136 In 2008, for example, Takao Kitabata, a Vice Minister of METI, described shareholders as “fickle, irresponsible and greedy”. See Michiyo Nakamoto One-way Street? As Its Companies Expand Abroad, Japan Erects New Barriers at Home, Fin. Times, March 3, 2008, at 7. 137 See David Skeel Governance in the Ruin, 122 Harv. L. Rev. 696, 707 (2008); Milhaupt & Pistor (supra note 105), at 102. See also Michiyo Nakamoto Fresh Poison Pill Fear in Japan, Fin. Times, Feb. 25, 2008, at 17. 138 See Nakamoto & Burgess (supra note 134); Morse & Moffett (supra note 103).

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have led the European Union Trade Commissioner to describe Japan, which has far less foreign investment than other developed economies,139 as “a globalisation paradox”.140 Others have simply declared that “Fortress Japan is back”.141 2. China “China is not and has never been a law-oriented culture”. Tay 142 There is much current interest in corporate law developments in China. China is in the midst of “gaizhi,” or “transformation of the system.” 143 This development has converted China from a state-controlled system to one with a mixture of state and private enterprise elements.144 China’s state-owned enterprises (“SOEs”) have been gradually transformed into partially privatised organisations, often in tranches.145 This mode of restructuring has enabled the Chinese government to maintain strategic levels of control in certain enterprises.146 Like Japan, China was formerly insulated from the market for corporate control, but within the space of only a decade, M&A transactions are now a recognised feature of the corporate landscape.147 These economic developments have generated a torrent of corporate legislation in a country which historically relied upon administrative regulations and neibu, rather than

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See USGAO Report (supra note 119), at 73. In 2006, foreign direct investment in Japan was 2.5% of gross domestic project, compared to 44.6% in the UK and 33.2% in France. See Michiyo Nakamoto Struggle to Sweep Away Barriers to Change, Fin. Times, March 19, 2008 at 1. 140 Leo Lewis, Peter Mandelson Raps Japan’s Investment Hostility, Times Online, April 22, 2008. 141 Morse & Moffett (supra note 103). 142 Alice Erh-Soon Tay Communist Visions, Communist Realities, and the Role of Law, 17 J. L. & Soc’y 155, 159 (1990). 143 Ross Garnaut, Ligang Song, Stoyan Tenev & Yang Yao China’s Ownership Transformation, at xi (Int’l Fin. Corp. et al. eds., 2005). 144 Id. See also Knowledge@Wharton, The Long and Winding Road to Privatization in China, May 10, 2006. 145 See generally Ross Garnaut et al. (supra note 143), at xi-xiv; Stephen Green ‘Twothirds Privatisation’ – How China’s Listed Companies are – Finally – Privatising (The Royal Inst. of Int’l Affairs, 2003). 146 See Zhiwu Chen Privatisation Would Enrich China, Fin. Times, Aug. 7, 2008, available at http://www.ft.com/cms/s/0/79a95b7e-64b0-11dd-af61-0000779fd18c.html? nclick_check=1; Caught Between Right and Left, Town and Country – Governing China, The Economist, Mar. 10, 2007, at 382. 147 See Hui Huang The New Takeover Regulation in China: Evolution and Enhancement, 42 Int’l Law. 153, 154 (2008).

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law.148 The market regulator, the China Securities Regulatory Commission (“CSRC”) introduced new takeover regulations in 2002 149 and 2006,150 with further amendments in 2008.151 China’s emerging takeover law is interesting from the dual perspectives of the “law on the books” issue 152 and protectionism. China’s “on the books” takeover law is state of the art, containing, for example, a mandatory bid requirement of a 30% acquisition threshold to ensure sharing of a control premium and fairness between majority and minority shareholders.153 However, to date, there has been a wide gap between China’s formal takeover law and its operation in practice. The CSRC possesses a broad discretion to waive the 30% mandatory bid rule on a case-by-case basis. The CSRC has exercised this waiver power so often as effectively to subvert the operation of the mandatory bid rule altogether.154 It also appears that the rule may not apply to acquisitions of control involving government-mandated transfers or allocation of State-owned assets.155 Trade protectionism is on the rise in China through a variety of different legal techniques.156 Waivers of the mandatory bid rule could potentially be used in this way to discriminate between domestic and foreign bidders.157 Waivers could constitute a subtle, and low visibility, way in which certain market players could receive favourable treatment within a protectionist framework. 148

Stanley Lubman Looking for Law in China, 20 Colum. J. Asian L. 1, 6–7 (2006). Measures for Administration of the Acquisition of Listed Companies were promulgated by the CSRC on September 28, 2002 and became effective on December 1, 2002. See generally Paul, Weiss, Rifkind, Wharton & Garrison Measures for Administration of the Acquisition of Listed Companies 2–5 (2002) [hereinafter Measures]. 150 See China Sec. Regulatory Comm’n, Measures for the Admin. of the Takeover of Listed Cos., translated in China L. & Prac., Nov. 2006, at 40; China Overhauls Takeover Code of Listed Companies, China L. & Prac., Oct. 2006, at 31. See generally Hui Huang (supra note 147). 151 See China Sec. Regulatory Comm’n, Measures for the Admin. of the Takeover of Listed Cos. (Revised), translated in China L. & Prac., Oct. 2008. 152 See Skeel (supra note 62), at 1543; Gerard Hertig Convergence of Substantive Law and Convergence of Enforcement: A Comparison, in Convergence and Persistence in Corporate Governance 328 (Jeffrey N. Gordon & Mark J. Roe, eds., Cambridge Univ. Press, 2004). 153 Huang (supra note 147), at 159–162. 154 By the end of 2000, for example, the CSRC had granted an exemption from the mandatory bid rule with respect to every takeover by private agreement, one hundred and twenty one in total. See id. at 168, n. 108 (citing Bingan Li A Discussion of the Exemption from the Mandatory Bid Rule 18(6) Falu Luntan [Legal Forum] 50 (2003)). 155 See Measures (supra note 149), at 2–5. 156 See, e.g., Mark Wu Antidumping in Asia’s Emerging Giants (2010) (unpublished comment, on file with the author) (discussing China’s increasing use of antidumping laws for protectionist purposes). 157 A range of other possible obstacles exist for foreign investors. See Wayne Chen & James Weng The Art of Investment: Tactics for Acquiring PRC Listed Companies, China L. & Prac., March 2007. 149

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In the wake of the global financial crisis, China has been on both sides of several recent international M&A skirmishes with protectionist overtones. In March 2009, the Chinese Ministry of Commerce (“Mofcom”) used new competition laws, introduced as a condition to China’s accession to the WTO,158 to block a $2.4 billion bid by Coca-Cola Co for China Huiyuan Juice Group Ltd (“Huiyuan Juice”), in what would have been the largest foreign takeover of a Chinese company.159 The Huiyuan Juice takeover bid was seen as a litmus test in determining China’s willingness to give foreign companies greater latitude in acquiring Chinese companies.160 Although Chinese officials publicly denied trade protectionism in relation to the proposed deal, critics have argued that the Mofcom decision perpetuates foreign investment obstacles, particularly where loss of leading Chinese brands is at issue.161 China’s investments abroad have grown exponentially in recent years, rising from $143 million in 2002 to $40.7 billion in 2008.162 Increasingly, however, Chinese companies seeking such investment opportunities have themselves experienced protectionist pressures.163 A high profile example of this phenomenon occurred when the Chinese oil production company CNOOC Ltd withdrew an $18.5 billion bid for Unocal Corp in 2005, in the face of intense pressure from the US Congress.164 More recently, Chinese corporations, seeking to buy stakes in the Australian resource sector, have received variable responses from Canberra. Under Australian law,165 the Federal Treasurer is the ultimate arbiter of foreign

158 See China Blocks Coke, Fin. Times, Mar. 19, 2009, at 12. On the implications generally of China’s entry into the WTO, see Donald C. Clarke China’s Legal System and the WTO: Prospects for Compliance, 2 Wash. U. Global Stud. L. Rev. 97 (2003). 159 See David Barboza & Bettina Wassener China Blocks Coke’s Bid for Juice Company, N.Y. Times, Mar. 19, 2009, at 10; Gordon Fairclough & Carlos Tejada, China’s Coke Decision Threatens to Chill Investment, Wall St. J., March 19, 2009, at B9. 160 Fairclough & Tejada (supra note 159), at B9. 161 See Rick Carew, James T. Areddy & Gordon Fairclough China Denies Protectionism in Coca-Cola Ruling – Rejection of $2.4 Billion Takeover Bid for Huiyuan Prompts Questions on Foreign-Investment Deals in Pipeline, Wall St. J., March 20, 2009, B4. On protection of leading Chinese trademarks or trade names, see generally Lubman (supra note 148), at 27; Peter A. Neumann & Tony Zhang China’s New Foreign-Funded M & A Provisions: Greater Legal Protection or Legalized Protectionism?, China L. & Prac., Oct. 2006, at 21. 162 Jamil Anderlini, William MacNamara & Sundeep Tucker Outmanoeuvred, Fin. Times, June 12, 2009, at 7. 163 Aries Poon & David Winning Cnooc Chairman Says Slowdown, Protectionism Sour Climate for Acquistions, Wall St. J., April 2, 2009, at B9. 164 Id. 165 The main sources of regulation of foreign investment in Australia are the Foreign Acquisitions and Takeovers Act 1975 and the Australian Government’s Foreign Investment Policy.

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investment decisions, advised by the Foreign Investment Review Board (FIRB).166 In March 2009, only one week after the Chinese government rejected Coca-Cola’s bid for Huiyuan Juice, the Australian government blocked a $1.8 billion bid by China Minmetals Nonferrous Metals Co. for the Australian company Oz Minerals Ltd, on “national security” grounds.167 However, in the same month, Canberra approved an acquisition by Hunan Valin Iron and Steel of up to 17.55 % of Fortescue Metals, Australia’s third largest iron ore exporter.168 The most controversial transaction in Australia to date is the attempted acquisition by Chinalco of a $19.5 billion stake in the Anglo-Australian mining group Rio Tinto (“Rio”) in 2009.169 This constituted the largest overseas investment ever announced by a Chinese company.170 The proposal included terms that would have entitled Chinalco to a boardroom presence at Rio as well as joint venture marketing rights in relation to the iron ore.171 Critics of the proposed transaction relied on the Chinese government’s veto of Coca-Cola’s bid for Huiyuan Juice as justification for an analogous rejection by the Australian government of Chinalco’s bid.172 The government was, however, spared the need to rule on the acquisition,173 since the planned deal ultimately collapsed in acrimonious circumstances.174 Rio, faced with shareholder opposition, abandoned Chinalco’s proposal in favour of a joint venture with its Anglo-Australian competitor BHP Billiton Ltd (“BHP”).175 Speculation continues as to the possibility that the Chinese government

166 For a discussion of Australia’s foreign investment regulatory regime, including proposed 2009 amendments to extend its reach, see Greg Golding & Rachael Bassil Australian Regulation of Foreign Direct Investment by Sovereign Wealth Funds and State Owned Enterprises: Are Our Rules Right?, Address to the Law Council Corporations Law Committee, 2009 Corporate Law Workshop (Sept. 12, 2009). 167 See Peter Smith & Sundeep Tucker Australia Quashes Bid for Oz Minerals, Fin. Times, March 28, 2009, at 1; Peter Smith & Sundeep Tucker “National Security” Seen as Weak Defence of Oz Decision, Fin. Times, March 28, 2009, at 11. 168 Peter Smith, Hunan Stake in Fortescue Approved, Fin. Times, April 1, 2009, at 16. 169 For background on the deal, see generally Outmanoeuvred (supra note 162). 170 Patti Waldmeir Chinalco’s Overseas Ambition Left in Tatters, Fin. Times, June 5, 2009, at 19. 171 See Smith & Tucker National Security (supra note 167), at 11. 172 See Elizabeth Knight Dust-up Over Juice Company is a Free Kick for the AntiChinalco League, Sydney Morning Herald, March 20, 2009, at 19; Peter Smith Rio Deal Critic Takes Heart, Fin. Times, March 19, 2009, at 16. 173 See Peter Smith State Spared Tough Decision, Fin. Times, June 5, 2009, at 15. 174 The state-controlled newspaper, the Beijing Times, was particularly critical of events, stating, “Poor Chinalco prepared the wedding clothes but when the peach was ripe somebody else plucked it.” Outmanoeuvred (supra note 162). 175 See Holman W. Jenkins Jr. Editorial, China’s War for Ore, Wall St. J., July 15, 2009, at A13.

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might attempt to use its anti-monopoly powers, which have extra-territorial force,176 to challenge the Rio-BHP joint venture.177 Scholars have predicted that, in spite of China’s adoption of many Western style reforms, it remains highly unlikely that legal convergence will occur.178 Rather, as in the case of Japan, it seems probable that China will adapt these reforms and ultimately retain its own distinctive legal tradition.179

V. Conclusion “Convergence in one area will be paralleled by renewed divergence in another.” Hirshman 180 Fundamental differences exist in takeover regimes, not only between common law and civil law jurisdictions, but also within the common law world itself. The allocation of power between corporate controllers and shareholders will vary, depending upon underlying corporate theory and who is viewed as the greater threat – a hostile bidder or the target company’s own management.181 The paper discusses developments concerning takeovers and takeover defences in a number of jurisdictions, including some, such as Japan and China, which have not until recently had a market for corporate control. Some scholars have considered convergence of takeover law to be inevitable.182 The developments discussed in this paper undoubtedly exhibit some common themes, such as the rise of protectionism in takeover law. However, they also show the dynamic nature of legal regulation, including adaptive conduct by regulated parties, and the uncertainty of outcome in

176 See C.T. Johnson More Shots Fired in Chinalco-Rio Spat, China Stakes, June 13, 2009, available at http://www.chinastakes.com/2009/6/more-shots-fired-in-chinalco-rio-spat. html. 177 John Garnaut Staring Down the Dragon: BHP’s Battles in China, Sydney Morning Herald, Jan. 30, 2010, at 1. 178 See, e.g., Lubman (supra note 148), at 91–92; Erh-Soon Tay (supra note 142), at 159–161. 179 See Teemu Ruskola Conceptualizing Corporations and Kinship: Comparative Law and Development Theory in a Chinese Perspective, 52 Stan. L. Rev. 1599 (2000); Eric W. Orts The Rule of Law in China, 34 Vand. J. Transnat’l L. 43 (2001). 180 Albert Hirschman Ideology: Mask, or Nessus Shirt?, in Comparison of Economic Systems: Theoretical and Methodological Approaches 289 (Alexander Eckstein ed., UCLA Press, 1971). 181 Hill (supra note 5), at 748. 182 See, e.g., Hansmann & Kraakman (supra note 6), 457–58.

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legal transplantation, given underlying differences in legal cultures and enforcement mechanisms.183 These developments serve as a reminder that a gap often exists between motivation and outcome in regulatory reform,184 and that convergence is indeed an uncertain process.185

183 See Gunther Teubner Legal Irritants: Good Faith in British Law or How Unifying Law Ends Up in New Divergences, 61 Mod. L. Rev. 11 (1998). 184 Langevoort (supra note 91). 185 Milhaupt (supra note 8), at 213.

Corporate Governance durch Steuerrecht im Nonprofit-Sektor: wünschenswert oder systemwidrig? Thomas von Hippel A. Einleitung: Corporate Governance und steuerliches Gemeinnützigkeit Die Erkenntnisse der Corporate Governance lassen sich auch für die Nonprofit-Organisationen fruchtbar machen, wie nicht zuletzt Klaus J. Hopt unter Beweis gestellt hat.1 Wer sich mit diesem Thema näher befasst, erkennt schnell, dass das Steuerrecht in Form des Gemeinnützigkeitsrechts im Bereich der Corporate Governance schon längst Aufgaben übernommen hat, die bei For-Profit-Unternehmen vom Gesellschaftsrecht erfüllt werden. In den USA sind bereits vor 40 Jahren mit dem Tax Reform Act 1969 steuerrechtliche Vorgabe zur Verbesserung der Corporate Governance von Nonprofit Organisationen geschaffen worden.2 Mittlerweile lassen sich auch in vielen anderen Ländern Reformen des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts beobachten, die in dieselbe Richtung zielen.3 In Deutschland ist diese Fragestellung vergleichsweise neu. Der folgende Beitrag konzentriert sich auf das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht und untersucht zunächst das besondere Kontrollproblem von Nonprofit-Organisationen und Lösungsmöglichkeiten (B). Es folgt eine Analyse, inwieweit ausgesuchte Vorschriften des Gemeinnützigkeitsrechts als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance dienen können (C). Am Ende steht ein Fazit (D).

1 Siehe hierzu jüngst umfassend Hopt/von Hippel (eds.) Comparative Corporate Governance for Non-Profit Organisations (2010). 2 Näher hierzu von Hippel Grundprobleme von Nonprofit-Organisationen (2007), S. 27 ff. 3 Siehe näher zu den entsprechenden Tendenzen in verschiedenen Ländern rechtsvergleichend von Hippel/Walz Generalbericht in: Walz/von Auer/von Hippel (Hrsg.), Spenden- und Gemeinnützigkeitsrecht in Europa (2007).

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B. Das besondere Kontrollproblem der Nonprofit-Organisationen und Lösungsmöglichkeiten I. Das besondere Kontrollproblem der fremdnützigen Nonprofit-Organisationen Jedenfalls bei fremdnützigen Nonprofit-Organisationen zeigt sich typischerweise ein besonderes Kontrollproblem, weil es dort oft an einem Druck von Gesellschaftern und Kapitalmarkt fehlt und dadurch die Spielräume des Managements zur Selbstbedienung erheblich steigen. Fehler des Managements gehen zu Lasten des Vermögens der fremdnützigen Nonprofit-Organisationen, nicht zu Lasten des persönlichen Vermögens der dahinter stehenden Gesellschafter. Dies gilt insbesondere für die mitgliederlose Stiftung, aber auch für den fremdnützigen Verein, der zwar Mitglieder hat, die jedoch keinen Anspruch auf Gewinnausschüttung haben, so dass es ihnen typischerweise an einem Anreiz zur effizienten Kontrolle fehlt.4 Diese besonderen Kontrollprobleme erhöhen die Gefahr, dass die Verantwortlichen in der Realität das Ziel der fremdnützigen Nonprofit-Organisation (Förderung des satzungsmäßigen, typischerweise gemeinnützigen Zwecks) nicht alleine verfolgen, sondern Chancen zu persönlichen Vorteilsnahmen wahrnehmen, was sich insbesondere in den folgenden Fehlentwicklungen niederschlagen kann5: – Offene oder verdeckte Ausschüttungen für privatnützige Zwecke, z.B. Griff in die Kasse, überhöhte Gehälter. – Förderung eines heimlichen Zwecks, d.h. eines Zwecks, der nicht statutarisch niedergelegt, aber faktisch vorrangig verfolgt wird, und als bloßer Nebeneffekt oder bloßes Mittel zur Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks getarnt wird, z.B. eine Vermögensanlage, die auch bei einem langfristigem Anlagehorizont von vornherein offenkundig unrentabel erscheint. – Missachtung der Widmung von externen Spendern und (Zu-)Stiftern, z.B. Verwendung von Spenden für einen anderen gemeinnützigen Zweck als von dem Spender vorgesehen.

4 Insbesondere die neuere stiftungsrechtliche Literatur hat sich verstärkt mit diesem Kontrollproblem beschäftigt, siehe statt vieler Thymm Das Kontrollproblem der Stiftung und die Rechtsstellung der Destinatäre (2007); Golan Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Stiftung – Eine Untersuchung zur Anwendbarkeit der Business Judgment Rule (2008) sowie allgemein von Hippel (Fn. 2), S. 48 ff. 5 Siehe exemplarisch auch die Beiträge von Edie und Mecking in: Hopt/von Hippel (Fn. 1).

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II. Die zivilrechtliche Staatsaufsicht als traditionelle Lösung 1. Bestandsaufnahme In Deutschland unterliegen (rechtsfähige) Stiftungen einer rechtsformspezifischen Aufsicht, die durch Landesaufsichtsbehörden ausgeübt wird. Gerechtfertigt wird diese zivilrechtliche Staatsaufsicht mit dem soeben dargestellten besonderen Kontrollproblem der Stiftung, d.h. mit der strukturellen Eigenart der Stiftung als „eigentümerlose“ bzw. mitgliederlose juristische Person.6 Im Anschluss an die Anerkennung der Grundrechtsträgerschaft der privatrechtlichen Stiftung durch das BVerfG 7 und ein Grundsatzurteil des BVerwG 8 aus dem Jahr 1972 inzwischen allgemein anerkannt, dass sich die Stiftungsaufsicht auf eine reine Rechtsaufsicht beschränkt.9 Im deutschen Vereinsrecht besteht hingegen keine entsprechende zivilrechtliche Staatsaufsicht, auch nicht für fremdnützige Vereine.10 2. Kritik an der Aufsichtspraxis Obwohl die Befugnisse der deutschen Stiftungsaufsicht, die hier aus Platzgründen nicht näher dargestellt werden können, auf dem Papier durchaus ausreichend erscheinen, um eine angemessene Rechtskontrolle zu gewährleisten, gibt es Anzeichen dafür, dass die Stiftungsaufsicht mit der Kontrolle in der Praxis überfordert sind.11 Die Ursachen hierfür sind nicht abschließend geklärt. Manche Autoren meinen, es fehle der Aufsicht oft an den notwendigen Informationen 12, obwohl die Informations- und Prüfungsrechte eigentlich ausreichen müssten, um sich einen hinreichenden Überblick zu verschaffen. Nach anderer Ansicht scheut die Stiftungsaufsicht die Aufdeckung von Pflichtverletzungen, weil sie sich damit (im Falle einer zu späten Entdeckung) der Staatshaftung aussetzen könnte.13 Demnach würde die Staatshaftung, die eigentlich für eine effektivere Kontrolle durch die Stiftungsaufsicht sorgen soll, genau das 6 BVerwG, NJW 1998, 2545 (2547); OVG Münster NVwZ 1996, 913 (914); Jakob Schutz der Stiftung (2006), S. 241 f. 7 BVerfGE 46, 73 (83). 8 BVerwGE 40, 347 (350, 352). 9 Siehe statt aller Reuter Die Haftung des Stiftungsvorstands gegenüber der Stiftung, Dritten und dem Fiskus, Non Profit Law Yearbook 2002, 157 (170). 10 Anders ist dies hingegen im anglo-amerikanischen Rechtskreis, in dem alle fremdnützigen Charities einer rechtsformübergreifenden zivilrechtlichen staatlichen Aufsicht unterliegen; Näher hierzu von Hippel (Fn. 2), S. 271 ff. 11 Näher hierzu von Hippel (Fn. 2), S. 309 ff. 12 Schwintek Vorstandskontrolle in rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts (2001), S. 278. 13 Reuter Non Profit Law Yearbook 2002, 157 (171).

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Gegenteil bewirken, weil die Unterlassungen nicht entdeckt werden, sondern durch einen „Nichtangriffspakt“ zwischen der Stiftungsaufsicht und den verantwortlichen Organmitgliedern vertuscht werden.14 Ein weiterer Grund mag sein, dass die Tätigkeit bei einer deutschen Landesstiftungsaufsichtsbehörde für karriereorientierte Beamten nicht allzu attraktiv ist. Auch in den USA wird die mangelnde Effizienz der zivilrechtlichen Aufsicht über Charities seit langem kritisiert.15

III. Alternativen zur zivilrechtlichen Staatsaufsicht Angesichts dieses eher ernüchternden Fazits stellt sich die Frage, welche Alternativen zur zivilrechtlichen Staatsaufsicht bestehen. 1. Kontrolle durch das steuerliche Gemeinnützigkeitsrecht Für diejenigen Nonprofit-Organisationen, die als gemeinnützige Organisationen Steuervergünstigungen erhalten, kommt eine Kontrolle durch das Steuerrecht in Betracht. Das Steuerrecht übt dort gewissermaßen eine gesellschaftsrechtliche Ersatzfunktion in dem Sinne aus, dass die Finanzverwaltung Kontrollaufgaben übernimmt, die im For-Profit-Sektor von den Gesellschaftern wahrgenommen werden – dies gilt etwa für die zentralen Fragen, ob die Organisation ihren Satzungszweck beachtet, effizient wirtschaftet und nicht durch unvorteilhafte Rechtsgeschäfte übervorteilt wird. 2. Kontrolle durch besonders interessierte Dritte In Einzelfällen mag es einzelne Personen oder öffentliche Institutionen geben, die ein besonderes persönliches Interesse an einer erfolgreichen und effizienten Arbeit der betreffenden Nonprofit-Organisation haben, weil sie z.B. Zustifter, Großspender, oder Subventionsgeber sind. In einem solchen besonderen Fall ist es auch gut vorstellbar, dass der Interessent als Gegenleistung für seine Zuwendung mit der betroffenen Nonprofit-Organisation die Einräumung von hinreichenden Informations- und Kontrollrechte verlangen kann. 3. Selbstregulierung Abgesehen hiervon kommen Selbstregulierung-Organisationen als Alternative zur Staatsaufsicht in Betracht, wie zum Beispiel das Spendensiegel des DZI. Allerdings hängen die Möglichkeiten von derartigen Organisationen 14

So Richter Rechtsfähige Stiftung und Charitable Corporation (2001), S. 371. Siehe statt vieler Karst 73 Harv. L. Rev. 433, 459 (1960); Hansmann 129 U. Pa. L. Rev. 497, 601 (1981); Ping Lee 103 Colum. L. Rev. 925, 933 (2003). 15

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angesichts der mangelnden Publizität und Intransparenz im Nonprofit-Sektor in Deutschland mehr oder minder von der freiwilligen Kooperationsbereitschaft der einzelnen Vereine und Stiftungen ab.

IV. Reformen im Stiftungs- und Vereinsrecht der letzten zehn Jahre Bislang hat sich das zu beobachtende verstärkte Interesse der Literatur an den Kontrollproblemen von Stiftungen und anderen Nonprofit-Organisationen 16 nicht in den jüngeren Reformen im Stiftungs- und Vereinsrecht niedergeschlagen. 1. So sind Initiativen zur Verstärkung der Stiftungsaufsicht nicht derzeit zu erwarten. Vielmehr geht der Trend in den einschlägigen Landesstiftungsgesetzen eindeutig in die entgegengesetzte Richtung, nämlich dahin, im Zuge des „Bürokratieabbaus“ oder der „Deregulierung“ die Intensität der Stiftungsaufsicht zu reduzieren.17 2. Im Vorfeld der Reform des Stiftungszivilrechts um die Jahrtausendwende gab es unter anderem Forderungen, die Rechnungslegung und Transparenz im Stiftungssektor zu verbessern. Diese Forderungen wurden jedoch von dem Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Nach einer fünfjährigen Diskussion kam es im Jahre 2002 zu einer eher symbolischen Minireform im Stiftungszivilrecht. Der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht, zusammengesetzt aus den Ministerialbeamten der Stiftungsaufsicht, führt aus, die Kritik am bestehenden Recht sei verfehlt, es bestehe kein weiterer Reformbedarf, inbesondere kein Bedarf für gesteigerte Rechnungslegungspflichten und Transparenz, die nur unnötige Kosten verursachte.18 3. Im Vereinsrecht gab es in den letzten Jahren mehrere Gesetzesinitiativen. In der Diskussion haben jedoch Kontrollprobleme und eine Verbesserung der Corporate Governance nahezu keine Rolle gespielt, der Schwerpunkt der Diskussion lag auf anderen Gebieten (Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeiten, Haftung für ehrenamtliche Vorstände). Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass der durch die jüngste Reform vom Herbst 2009 eingeführte neue § 31a BGB den zivilrechtlichen Haftungsmaßstab von ehrenamtlichen Vereins- und Stiftungsvorständen auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt, aber keinerlei Vorgaben für eine Verbesserung der Corporate Governance enthält. 16

Siehe die Nachweise oben in Fn. 4. Siehe z.B. die Gesetzesbegründung zur Reform des Saarländischen Stiftungsgesetzes von 2004, LT-Drucks. 12/1086, S. 9: „[…] wird mit der Einschränkung der Aufsicht dem Deregulierungsgedanken Rechnung getragen“. 18 Siehe den Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht vom 19.10.2001, S. 60 f. 17

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V. Zwischenergebnis Aus dogmatisch-systematischer Sicht liegt es prima vista nahe, das Kontrollproblem als ein zivilrechtliches Problem aufzufassen, das im Zivilrecht gelöst werden sollte.19 In Anbetracht der wenig ermutigenden Erfahrungen mit der zivilrechtlichen Aufsicht und den eher ernüchternden Verlauf der jüngeren Reformdiskussion im Stiftungs- und Vereinsrecht, spricht jedoch viel dafür, diesen dogmatisch-systematischen Standpunkt nicht zu verabsolutieren, sondern über Alternativen zur zivilrechtlichen Staatsaufsicht und zu zivilrechtlichen Vorgaben nachzudenken. Zudem hinterlässt die Kontrolle durch die Finanzverwaltung längst in der Praxis ihre Spuren. So ist von den Verantwortlichen von Stiftungen nicht selten zu hören, die eigentliche Kontrolle über gemeinnützige Stiftungen finde nicht durch die Stiftungsaufsicht, sondern durch das Finanzamt statt. Erst recht gilt dies für gemeinnützige Vereine, bei denen kein Äquivalent der Stiftungsaufsicht besteht. Bezeichnend für die zunehmende Bedeutung des Steuerrechts in der Praxis ist denn auch, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, das neu eingeführte Haftungsprivileg des § 31a BGB auf steuerrechtliche Haftungstatbestände zu erstrecken.20

C. Steuerliches Gemeinnützigkeitsrecht als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance Im folgenden soll das steuerliche Gemeinnützigkeitsrecht und sein Beitrag als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance untersucht werden. Da eine umfassende Darstellung ist aus räumlichen Gründen nicht möglich ist, beschränkt sich die folgende Untersuchung auf eine knappe Einführung in die Struktur des Gemeinnützigkeitsrechts sowie eine Analyse ausgesuchter Vorschriften.

I. Einführender Überblick Gemeinnützige Organisationen und ihre Spender erhalten diverse Steuerprivilegien.21 So ergibt sich z.B. im Körperschaftsteuerrecht aus der der Struktur des Gesetzes ein „Vier-Sphären-Modell“ der Einnahmesphären einer ge19 In diese Richtung wohl Jakob (Fn. 6), S. 271 f., der eine „stiftungsrechtliche Aufsicht“ durch Steuerbehörden im Ergebnis für „zweifelhaft“ hält, weil dies „dem gegenwärtigen Trend entgegen [laufe], Steuerrecht und Lenkungsrecht zu entflechten“. 20 Siehe Unger Neue Haftungsbegrenzungen für ehrenamtlich tätige Vereins- und Stiftungsvorstände, NJW 2009, 3269 (3271). 21 Siehe umfassend Hüttemann Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht (2008), § 1, Rn. 25 ff.

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meinnützigen Körperschaft, und zwar (1) die ideelle Sphäre (Einnahmen ohne Gegenleistung), (2) die Vermögensverwaltung, (3) den Zweckbetrieb (unternehmerische Tätigkeit zur Förderung des gemeinnützigen Satzungszwecks), und (4) den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (unternehmerische Tätigkeit zur Mittelbeschaffung). Nur Einkünfte aus der letztgenannten Sphäre werden aus Wettbewerbsgründen (partiell) besteuert; Einkünfte aus den übrigen drei Sphären bleiben hingegen steuerfrei. Um die Steuerprivilegien zu erhalten, muss eine gemeinnüntzige Organisation eine Reihe von steuerrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, der Befolgung rechtsformübergreifend von der Finanzverwaltung kontrolliert wird. Man kann diese Voraussetzungen für den Status einer gemeinnützigen Organisation unterteilen in (1) organisationsrechtliche Voraussetzungen, (2) die Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks, der die Allgemeinheit fördert, (3) weitere Voraussetzungen für die Mittelverwendung und (4) Vorraussetzungen bei der Mittelerzielung.

II. Ausschließlichkeitsgebot und Selbstlosigkeit 1. Gesetzliche Regelungen Nach dem in § 56 AO normierten sog. Ausschließlichkeitsgebot hat eine gemeinnützige Körperschaft „nur ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke“ zu verfolgen. § 56 AO verbietet damit eine Aufteilung zwischen satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke und satzungsmäßigen nichtgemeinnützigen Zwecken: Die Gemeinnützigkeit ist in diesen Fällen regelmäßig insgesamt zu versagen.22 Für die Mittelverwendung ist der Grundsatz des § 56 AO nochmals durch das Gebot der sog. Selbstlosigkeit in § 55 AO konkretisiert. Eine nähere Analyse des § 55 AO zeigt freilich, dass es sich hierbei nicht um ein einheitliches Gebot handelt, sondern um eine Kombination von zwei Grundsätzen. a) Zum einen um ein erweitertes Gewinnausschüttungsverbot, direkte Ausschüttungen an die Mitglieder (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 a.E. AO) oder eine Beteiligung der Mitglieder am Liquidationserlös vorzunehmen (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder zweckfremde oder überhöhte Ausgaben zu tätigen (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 AO). b) Außerdem enthält § 55 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AO ein Verbot eigenwirtschaftlicher Zwecke 23, dessen Aussagegehalt mehrdeutig ist.24 Aus der Ge-

22 Eine Ausnahme ist in § 58 Nr. 2 AO vorgesehen, der begrenzte privatnützige Ausschüttungen an den Stifter und seine Familie erlaubt. 23 „… wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke – zum Beispiel gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke – verfolgt werden“. 24 Siehe näher zum folgenden Hüttemann (Fn. 21), § 4, Rn. 69 ff.

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setzsystematik ergibt sich, dass hiermit eine Grenze für eigenwirtschaftliche Vorteile gezogen werden soll, die nicht als „Zweck“ in der Satzung genannt sind.25 Als Beispiele eines solchen eigenwirtschaftlichen Vorteils nennt § 55 Abs. 1 Satz 1 AO „gewerbliche oder sonstige Erwerbszwecke“ Im Umkehrschluss ergibt sich hieraus, dass nichtwirtschaftliche, sog. „ideelle“ Vorteile für die Mitglieder für den Status der Gemeinnützigkeit unschädlich sind. Aus der Formulierung „nicht in erster Linie“ ergibt sich ferner, dass selbst ein gewisses Maß an eigenwirtschaftlichen Vorteilen für die Mitglieder noch zulässig ist. In der Praxis ist die Abgrenzung nicht immer einfach.26

2. Funktionsweise als Instrumente zur Verbesserung der Corporate Governance a) Gewinnausschüttungsverbot Die Funktion als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance liegt bei dem soeben dargestellten erweiterten Gewinnausschüttungsverbot auf der Hand, das als Anwendungsfall der duty of loyalty angesehen werden kann. Nicht ohne Grund ist es gerade das Gewinnausschüttungsverbot, das in der US-amerikanischen Literatur als charakteristische Regel der Nonprofit-Organisationen ausgemacht worden ist und dessen Durchsetzbarkeit es zu verbessern gelte.27 b) Verbot der eigenwirtschaftlichen Zweckverfolgung Das Verbot der eigenwirtschaftlichen Zweckverfolgung lässt sich nicht nur als ein vom Gesetzgeber vorausgesetztes Mindestmaß an Altruismus (Selbstlosigkeit) verstehen, sondern durchaus auch als verhaltenssteuernde Regelung im Sinne einer Corporate Governance. In der Sache begrenzt es nämlich die Verfolgung eines heimlichen Zwecks in bestimmten Fällen (nämlich bei eigenwirtschaftlichen Zwecken der Mitglieder, die in erster Linie verfolgt 25 Ausdrücklich in der Satzung können diese eigenwirtschaftlichen „Zwecke“ nicht in die Satzung aufgenommen werden, denn diese Zwecke müssen ja gemeinnützig sein, und zwar ausschließlich gemeinnützig, wie aus dem soeben behandelten § 56 AO folgt. 26 Ein Verstoß dürfte z.B. anzunehmen sein, wenn alle Hotelliers und Pensionen eines Urlaubsgebiets einen Verein gründen, der satzungsmäßig einen kostenlosen Gästekindergarten für die Gäste seiner Mitglieder unterhält. Der Verein ist zwar objektiv gemeinnützig, da ein Kindergarten dem gemeinnützigen Zweck der Jugendhilfe dient (§ 52 Abs. 1 Nr. 4 AO). Es fehlt jedoch an der subjektiven Gemeinnützigkeit, da der Verein die erwerbswirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder (ihrer Hotels und Pensionen) fördert, denn die Mitgliedern sparen sich Kosten (für ein eigenes entsprechendes Kinderbetreuungsangebot), indem sie die satzungsmäßigen Leistungen des Vereins in Anspruch nehmen; siehe auch Hüttemann (Fn. 21), § 4, Rn. 82. 27 Grundlegend Hansmann 89 Yale L.J. 835 (1980).

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werden) und sucht hierdurch zu verhindern, dass der satzungsmäßige gemeinnützige Zweck in diesen Fällen aus den Augen verloren wird.

III. Gebot zeitnaher Mittelverwendung 1. Gesetzliche Regelung Nach § 55 Abs. 1 Nr. 5 AO hat eine steuerbegünstigte Körperschaft ihre Mittel zeitnah für ihre steuerbegünstigten Zwecke zu verwenden. Die Verwendung ist zeitnah, wenn sie spätestens im folgenden Kalender- oder Wirtschaftsjahr erfolgt. Von diesem steuerrechtlichen Gebot der zeitnahen Mittelverwendung bestehen allerdings mehrere Ausnahmen.28 Nicht erfasst sind einmal diejenigen Vermögenswerte, die nach Gesetz, Satzung oder Widmung im Rahmen ihrer Zuwendung erhalten bleiben müssen (z.B. das Grundstockvermögen der Stiftung sowie Zustiftungen oder Spenden mit entsprechender Widmung). Auch etwaige Veräußerungsgewinne, die bei Umschichtungen des Grundstockvermögens anfallen, unterliegen nicht dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung. Nicht erfasst werden außerdem angeschaffte oder hergestellte Gegenstände, die den satzungsmäßigen Zwecken dienen, sowie Rückstellungen zur Erfüllung von konkreten Verbindlichkeiten. Schließlich dürfen aus verschiedenen Gründen Rücklagen gebildet werden. 2. Funktionsweise als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance Die deutsche Literatur rechtfertigt das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung traditionell mit der Erwägung, das Gemeinnützigkeitsrecht verlange die zeitnahe Förderung gemeinnütziger Zwecke. Fraglich ist indessen, ob dieses Argument zur Begründung ausreicht: Man kann ihm nämlich entgegenhalten, die Leistungsfähigkeit einer gemeinnützigen Organisation werde erhöht, wenn ihre Erträge zunächst investiert werden; der Allgemeinheit gehe hierdurch nichts verloren.29 Überzeugender ist es, das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung als verhaltenssteuernde Pflicht anzusehen, die sich als ein Instrument der Corporate Governance darstellt, indem es dafür sorgt, dass die Verantwortlichen

28

Siehe zum folgenden ausführlich Hüttemann (Fn. 21), § 5, Rn. 74 ff. In diesem Sinne etwa die Kritik von Wagner in: Wagner/Walz, Zweckerfüllung gemeinnütziger Stiftungen durch zeitnahe Mittelverwendung und Vermögenserhaltung (1997), S. 11 (40 ff.), aus ökonomischer Sicht. 29

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der gemeinnützigen Organisation deren eigentlichen satzungsmäßigen gemeinnützigen Zweck nicht aus dem Auge verlieren und de facto heimliche Zwecke fördern.30

IV. Beschränkung des Umfangs des wirtschaftlichen Geschäftsbetreibs durch die Geprägetheorie? 1. Meinungsstand Umstritten ist, ob die Gemeinnützigkeit insgesamt verloren gehen kann, wenn die wirtschaftliche Tätigkeit der gemeinnützigen Organisation (d.h. ihre Einnahmen aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb) bei einer Gesamtbetrachtung das Gepräge gibt.31 Die Finanzverwaltung sprach sich ursprünglich für eine solche „Geprägetheorie“ aus und entwickelt diese aus dem Verbot eigenwirtschaftlicher Zwecke in § 55 Abs. 1 Satz 1 AO. Die offene Formulierung dieser Vorschrift („Eine Förderung oder Unterstützung geschieht selbstlos, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche […] verfolgt werden“) soll demnach auch eigenwirtschaftliche Zwecke der gemeinnützigen Körperschaft selbst verbieten und sich nicht allein in dem Gebot der subjektiven Selbstlosigkeit erschöpfen, welches nur eigenwirtschaftliche Zwecke der Mitglieder erfasst. Eine vordringende Ansicht in der Literatur kritisiert die Geprägetheorie32: Das Verbot der Eigennützigkeit betreffe nur die Mitglieder (nicht aber die Körperschaft selbst), wie sich aus einer historischen und systematischen Analyse ergebe. Zudem führe die Geprägetheorie zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit, da es nicht gelungen sei, klare Kriterien zu entwickeln. 2. Funktionsweise als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance Die mittlerweile weitgehend aufgegebene Geprägetheorie ließ sich noch am ehesten mit Erwägungen der Corporate Governance erklären, denn andere Erklärungsversuche überzeugen nicht.33 Als einzige überzeugende Erklärung

30

von Hippel (Fn. 2), S. 107 f. Näher hierzu Wallenhorst Gemeinnützigkeit: Ist die Geprägetheorie überholt? DStR 2009, 717 ff. 32 Hüttemann (Fn. 21), § 6, Rn. 7. 33 So lässt sich die Geprägetheorie schwerlich mit der Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung erklären, denn da die Gewinne aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb besteuert werden, ist keine Wettbewerbsverzerrung ersichtlich. Warum also sollte ein Überwiegen des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs gleichwohl zu einem Verlust der Gemeinnützigkeit führen? 31

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verbleibt wiederum die bereits soeben angesprochene Gefahr, dass eine Organisation ihre Identität als gemeinnützige Organisation verlieren könnte, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb dominiert.

V. Verbot eines Verlustausgleich im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb? 1. Meinungsstand Umstritten ist, ob ein Verlustausgleich in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zulässig ist. Ein Urteil des BFH von 1996 hat insoweit (zur alten Rechtslage nach 1982–1984) relativ strenge Maßstäbe aufgestellt 34: Das Mittelverwendungsgebot verbiete es grundsätzlich, Mittel aus dem ideellen Tätigkeitsbereich zum Ausgleich von Verlusten eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs einzusetzen; auch Gewinne aus der Vermögensverwaltung oder aus Zweckbetrieb dürften hierfür nicht verwendet werden. Streng genommen würde ein Verlust im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, der nicht durch die ohnehin in § 64 Abs. 2 AO vorgesehene Verrechnung mit Gewinnen aus einem anderen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ausgeglichen wird, damit die Gemeinnützigkeit ernsthaft bedrohen, denn ein solcher Verlust ließe sich nur noch durch die gezielte Zuwendung von Dritten ausgleichen, die aber (mangels Förderung eines gemeinnützigen Zwecks) keinen Spendenabzug in Anspruch nehmen dürfen. Die Finanzverwaltung hat diesen sehr strikten Maßstab in einem Schreiben von 1998 abgemildert, das inzwischen in den Anwendungserlass zur Abgabenordnung übernommen worden ist.35 Im Ergebnis verlangt die Finanzverwaltung aber ebenfalls mittelfristig einen vollständigen Verlustausgleich allein durch entsprechend höhere Erträge aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und untersagt es, den Verlust mit Gewinnen aus den anderen drei Tätigkeitsbereichen endgültig auszugleichen. In der Literatur ist bezweifelt worden, ob diese Vorgaben realistisch sind.36 Ein striktes Verlustausgleichsverbot gehe an der Realität wirtschaftlichen Handelns vorbei. Man könne gemeinnützigen Körperschaften nicht auf der einen Seite unter Hinweis auf § 64 AO die Aufnahme wirtschaftlicher Betätigungen zur Mittelbeschaffung gestatten, ihnen gleichzeitig aber die Erwirtschaftung von Verlusten strikt verbieten. Denn in einer Marktwirtschaft gebe es keine „sicheren Geschäfte“, sondern jeder Gewinnchance stehe auch ein

34 35 36

BFH, DStR 1997, 278 ff. Siehe AEAO Nr. 4 bis Nr. 8 zu § 55. Siehe zum folgenden Hüttemann (Fn. 21), § 6, Rn. 21 ff.

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gewisses Verlustrisiko gegenüber. Investitionen zur Mittelbeschaffung seien nicht der Ebene der Mittelverwendung, sondern dem Bereich der Mittelerzielung zuzuordnen. Solange eine Investition ex ante wirtschaftlich vernünftig sei, werde das Mittelverwendungsgebot nicht verletzt. In einem neuen Urteil von 2009 hat der BFH offengelassen, ob im Hinblick auf diese Krtik an seiner früheren Rechtsprechung festhalten möchte.37 2. Funktionsweise als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance Der BFH hat das (seiner Ansicht nach bestehende) Verbot, Verluste im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb mit Mitteln aus anderen Einkommenssphären zum Verlust der Gemeinnützigkeit nicht nur vorübergehend auszugleichen, mit dem Ausschließlichkeitgebot (mittlerweile § 56 AO) begründet und außerdem das Gebot der Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts herangezogen, dass verletzt würde, „wenn es einer wegen Verfolgung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke steuerbefreiten Körperschaft erlaubt wäre, ihre Nicht-Zweckbetriebe mit Mitteln aus steuerbegünstigten Beiträgen oder Spenden und Erträgen ihrer steuerbegünstigten Zweckbetriebe oder Vermögensverwaltung zu alimentieren“.38 Neben dieser Begründung greift hier aber auch zusätzlich wiederum der Gesichtspunkt ein, dass eine Organisation ihre Identität als gemeinnützige Organisation verlieren könnte, wenn die Mittel nicht nur vorübergehend für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb verwendet werden müssen.

D. Fazit I. Corporate Governance durch Steuerrecht Die Analyse hat zunächst aufgezeigt, dass das steuerliche Gemeinnützigkeitsrecht eine Reihe von Regeln enthält, die man jedenfalls auch als Instrumente zur Verbesserung der Corporate Governance von gemeinnützigen Organisationen ansehen kann.

II. Möglichkeiten und Grenzen de lege lata Bei der Analyse ist zu beachten, dass sich die aufgezeigten Fehlentwicklungen 39 sehr unterschiedlich leicht tatbestandlich erfassen und nachweisen lassen. 37 38 39

BFH/NV 2009, 1837. BFH, DStR 1997, 278 (280). Siehe oben unter B I.

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1. Offene und verdeckte Ausschüttungen Verhältnismäßig einfach erscheint dies im Falle der offenen oder verdeckten Ausschüttung. Insoweit erscheint das gemeinnützigkeitsrechtliche Gewinnausschüttungsverbot im Steuerrecht 40 ausreichend und dessen Kontrolle durch die Finanzverwaltung sachgerecht, denn diese ist naturgemäß besonders darin geschult, offene und verdeckte Gewinnausschüttungen zu identifizieren. 2. Missachtung der Widmung eines Dritten Keinen ausreichenden Schutz erlaubt das geltende Gemeinnützigkeitsrecht im Falle der Missachtung der Widmung von externen Dritten. Diese sind nur dann erfasst, wenn neben der Missachtung der Widmung zusätzlich ein weiterer gemeinnützigkeitsrechtlicher Verstoß vorliegt, nicht hingegen, wenn die Mittel für einen satzungsmäßigen gemeinnützigen Zweck verwendet werden, den der Dritte nicht fördern wollte. 3. Verfolgung eines heimlichen Zwecks Im Vergleich weitaus schwieriger ist der Fall, dass eine gemeinnützige Organisation heimliche Zwecke fördert.41 Immerhin erscheint es denkbar, aus dem Ausschließlichkeitsgebot des § 56 AO sowie dem in § 55 Nr. 3 AO statuierten Verbot zweckfremder Ausgaben eine allgemeine Grenze in dem Sinne abzuleiten, dass diese Tätigkeiten sich selbst noch als ein „Mittel“ darstellen müssen, das den gemeinnützigen Zweck voranbringt. Nicht mehr gedeckt sind demnach dann Tätigkeiten, die sich gleichsam vom „Mittel“ zu einem „Selbstzweck“ entwickeln.42 Wann dieses der Fall ist, lässt sich aber naturgemäß nur schwierig beurteilen Sicherlich dazu gehören offenkundig ineffiziente und unvernünftige Verhaltensweisen, die über den gebotenen Ermessensspielraum des Leitungsorgans hinausgehen. Beispiele wären eine ersichtlich überdimensionierte Verwaltung oder Vermögensanlagen, die auch bei einem langfristigem Anlagehorizont von vornherein offenkundig unrentabel erscheinen. Abgesehen hiervon enthält das Gesetz zwei ausdrückliche spezielle Regelungen, die sich gegen die Förderung zu einem heimlichen Zweck richten, 40

Siehe oben unter C II 2 a. Das Gewinnausschüttungsverbot im Sinne des § 55 Nr. 2 AO hilft hier nicht weiter, denn es verbietet nicht, dass die gemeinnützige Organisation auch Tätigkeiten durchführt, die nicht direkt dem Zweck zugute kommen (z.B. Aufbau einer Verwaltung, Fundraising, Vermögensverwaltung, wirtschaftliche Mittelbeschaffungtätikeiten), und hierfür Mittel aufwenden bzw. investieren. 42 Näher hierzu Hüttemann (Fn. 21), § 4, Rn. 6 ff. 41

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nämlich das Verbot der eigenwirtschaftlichen Zwecke 43 und das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung 44. Beide Regelungen leuchten für ihren jeweiligen speziellen Anwendungsbereich ein. Allerdings greifen beide Regelungen nur partiell ein und erfassen nicht alle denkbaren Fälle der Förderung eines heimlichen Zwecks.45 Im Übrigen lassen sich auch die umstrittenen Regeln der Geprägetheorie 46 und des Verbot des unbegrenzten Verlustausgleichs 47 als weitere Möglichkeiten ansehen, um weitere Fälle der Förderung eines heimlichen Zwecks zu ermitteln. Betrachtet man die Geprägetheorie näher, so überwiegen freilich die Zweifel sowohl in Bezug auf ihre gesetzliche Ableitung als hinsichtlich ihrer Sachgerechtigkeit. Die Praxis hat nämlich gezeigt, dass es im Rahmen der Geprägetheorie bislang nicht gelungen ist, hinreichend eindeutige Kriterien zu entwickeln, wann der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb dominiert. Es besteht daher die Gefahr, dass die Beteiligten angesichts dieser Rechtsunsicherheit davor zurückschrecken, wirtschaftlich sinnvolle und auch aus Corporate Governance Sicht unbedenkliche Erweiterungen eines Mittelbeschaffungsbetriebs vorzunehmen. Diskutabel ist hingegen, die Notwendigkeit eines Verlustausgleichs jedenfalls als Indiz für einen möglichen Verstoß gegen das Verbot der Förderung eines heimlichen Zwecks heranzuziehen ist. Aus den bereits vorgetragenen Gründen 48 erscheint es freilich zu weitgehend, in allen Fällen allein aus der objektiven Tatsache, dass ein Verlust im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb angefallen ist, bereits einen steuerrechtlichen Verstoß anzunehmen. Richtigerweis sollte aus steuerrechtlicher Sicht kein anderer Haftungsmaßstab gelten als im Zivilrecht. Wie an anderer Stelle ausgeführt worden ist 49, sollte insoweit eine modifizierte Business Judgment Rule gelten: Grundlegende Entscheidungen sollten demnach einer Entscheidung über die Vermögensverwaltung gleichstehen, denn die Unterhaltung eines Mittelbeschaffungsbetriebs ist aus Sicht des Stiftungsvorstands eine Alternative zur Vermögensanlage. Daher hat er bei dieser Entscheidung die besonderen Vor-

43

Siehe oben unter C II 2 b. Siehe oben unter C III. 45 Dies gilt etwa für Holdingkonstellationen, bei denen die Organisation als Gesellschafterin einer unternehmerisch tätigen GmbH (als Mittelbeschaffungsbetrieb) fungiert und auf eine Ausschüttung der erzielten Gewinne (weitgehend) verzichtet, so dass die Gewinne innerhalb der GmbH thesauriert oder reinvestiert werden. Siehe ausführlich hierzu von Hippel (Fn. 2), S. 106 ff., 136, 210. 46 Siehe oben unter C IV. 47 Siehe oben unter C V. 48 Siehe oben unter C V. 49 Siehe näher zum folgenden von Hippel in: Baum/Fleckner/Hellgardt/Roth (Hrsg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts (2008), S. 167 ff. 44

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gaben für die Vermögensverwaltung (insbesondere die Diversifikationspflicht) zu beachten. Hinsichtlich der Geschäftsführung des Mittelbeschaffungsbetriebs ist hingegen der Anwendungsbereich für eine etwaige allgemeine stiftungsrechtliche Busi-ness Judgment Rule eröffnet.

III. Argumente für mehr Publizität und Transparenz Angesichts der dargelegten Schwierigkeiten, zumindest einige der Pflichtverstöße zu erkennen und durchzusetzen spricht viel für die Einführung von größenabhängigen Publizitäts- und Transparenzvorschriften, nach dem Vorbild der USA und England.50 Hierdurch könnten auch diejenigen Verstöße gegen die Widmung eines Dritten besser erkannt werden, die durch die Kontrolle der Finanzverwaltung nicht erfasst sind.

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Näher hierzu von Hippel (Fn. 2), S. 335 ff.

Gesellschaftsrecht und Art. 14 GG Christian Hofmann I. Privatautonomie im Gesellschafterverhältnis Über die Wirkungsweise von Grundrechten in Privatrechtsverhältnissen wurde viel nachgedacht und geschrieben.1 Die spezielle Frage, welche Bedeutung die Grundrechte im Gesellschaftsrecht besitzen, insbesondere welchen Beitrag sie zur Lösung des Mehrheits-Minderheits-Konflikts beitragen können, hat demgegenüber bislang wenig Beachtung gefunden. Bei der Anwendung grundrechtlicher Wertungen im Gesellschaftsrecht gebührt dem Grundrecht aus Art. 14 GG besondere Aufmerksamkeit. Die von Art. 14 GG geschützte Mitgliedschaft des Gesellschafters dient einerseits als Abwehrrecht gegen Beeinträchtigungen. Sie bildet andererseits die Grundlage dafür, die mitgliedschaftlichen Rechte ausüben zu dürfen. Eben darin ist der innergesellschaftliche Konflikt begründet: Während sich eine Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte (im Ansatz) als Betätigung grundrechtlicher Freiheit darstellt, kann sie die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Mitgesellschafter und damit deren (ebenfalls im Ansatz) grundrechtlich verbürgte Freiheit beeinträchtigen. Diese entgegengesetzten Positionen müssen in einen verträglichen Ausgleich gebracht werden. Dies spricht dafür, grundrechtliche Wertungen zur Konfliktlösung in das Gesellschaftsrecht zu übernehmen. Wie stets bei der Anwendung verfassungsrechtlicher Prinzipien im Privatrecht ist jedoch Zurückhaltung geboten, weil der Grundsatz der Privatautonomie durch eine unangemessen breite Anwendung grundrechtlicher Wertungen Schaden nehmen könnte.2 Deshalb steht bei der Diskussion um die Anwendung grundrechtlicher Wertungen die Frage an erster Stelle, inwieweit die Gesellschafter einen privatautonomen 1 Aus neuerer Zeit etwa Canaris Grundrechte und Privatrecht, 1999; Cherednychenko in: Grundmann (ed.), Constitutional Values and European Contract Law, 2008, S. 35; Colombi Ciacchi in: Furrer, Europäisches Privatrecht im wissenschaftlichen Diskurs, 2006, 231; Neuner in: Neuner, Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 159; Singer in: Neuner, Grundrechte und Privatrecht aus rechtsvergleichender Sicht, 2007, S. 245. 2 Dürig, FS Nawiasky, 1956, S. 157, 158 f.; Dreier in: Dreier, GG-Kommentar, Band I, 2. Aufl. 2004, Art. 1–19 Rn. 98; Ehmke Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 79; ähnlich Herdegen in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Loseblatt Stand 05/09, Art. 1 Abs. 3 Rn. 59.

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Verzicht üben, der Beeinträchtigungen ihrer Rechtsstellung abdeckt und eine Fremdbeeinflussung, die Schutzmechanismen erfordert, ausschließt. Der Träger des Grundrechts aus Art. 14 I GG hat die Freiheit, über dieses Grundrecht zu disponieren, also auch auf seinen Schutz zu verzichten.3 Entscheidend kommt es dabei darauf an, den Umfang dieses Verzichts zu bestimmen, da dessen Voraussetzungen nur bei einer privatautonomen, bewussten und zwanglosen Entscheidung vorliegen. Davon kann bei Austauschverträgen regelmäßig ausgegangen werden, weswegen dort auch die Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien nicht überprüft werden. Die Parteien haben im Grundsatz diametral gerichtete Interessen und begründen einen Kompromiss, der beide Seiten zu befriedigen vermag.4 Eine Inhaltskontrolle scheidet daher aus, und Ausnahmen greifen nur ein, wenn die Entscheidung einer Vertragspartei nicht eigen-, sondern ausnahmsweise fremdbestimmt erfolgt.5 1. Privatautonomie im Gründungsstadium Im Gesellschaftsrecht müssen zwei Stadien unterschieden werden, das der Gesellschaftsgründung bzw. des Beitritts zu einer bestehenden Gesellschaft und das der Entwicklung der Mitgliedschaft im weiteren Verlauf des Gesellschaftslebens.6 Das Gründungsstadium wird von der Privatautonomie beherrscht. Die Parteien sind frei darin, sich zur gemeinsamen Zweckerreichung zu verbinden und das Gesellschaftsverhältnis nach ihren Vorstellungen auszugestalten.7 Die Investitionsentscheidung trifft jeder Gesellschafter autonom und mit der Möglichkeit, sich über alle relevanten Tatsachen seiner zukünftigen Mitgliedschaft im Verband zu informieren. Vor seinem Eintritt ist 3

Leisner Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 389. Dazu kurz Guntz Treubindungen von Minderheitsaktionären, 1997, S. 100. Ausführlich für gestörte Vertragsparität im Arbeitsvertragsrecht Singer (Fn. 1), S. 249–251. 5 Dazu etwa BVerfG NJW 2005, 2363, 2366; BVerfGE 114, 73 (Rn. 60) = NJW 2005, 2376; BVerfGE 103, 89, 100 f.; BVerfGE 89, 214, 232 = JZ 1994, 408; BVerfGE 81, 242, 255. Ausführlich Leisner (Fn. 3), S. 320 und S. 378 ff. (insb. S. 384). 6 Zur Gründung der Gesellschaft als Organisationsakt Lutter AcP 180 (1980), 84, 97 f.; Windbichler Gesellschaftsrecht, 22. Aufl. 2009, S. 56–60; Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, S. 35; Kirchner, FS Immenga, 2004, S. 607, 618; Wiedemann ZGR 2006, 240, 243; Windbichler 2 EBOR 795, 805–807 (2001); Bachmann Private Ordnung, 2006, S. 114–117; Röpke Gläubigerschutzregime im europäischen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte, 2007, S. 13. 7 Dazu Schön, FS Ulmer, 2003, S. 1359, 1376; vgl. auch Lutter AcP 180 (1980), 84, 94; Jung Der Unternehmergesellschafter als personaler Kern der rechtsfähigen Gesellschaft, 2002, S. 217. Zur Privatautonomie als Mittel privater Rechtssetzung auch Bachmann (Fn. 6), 2006, § 11. Der Verband kann beanspruchen, seine innere Ordnung in freier Selbstbestimmung zu regeln, wie sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG ergibt, dazu Hey Freie Gestaltung in Gesellschaftsverträgen und ihre Schranken, 2004, S. 11. 4

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er gehalten, seine Rechtsstellung auszuhandeln. Sofern dies, wie regelmäßig bei den Publikumsgesellschaften, nicht möglich ist, muss er eine abwägende Entscheidung darüber treffen, ob der erhoffte Nutzen die schon erkennbaren und in Zukunft zu erwartenden Nachteile einer Unterordnung unter den Mehrheitswillen aufzuwiegen vermag.8 Ein strukturelles Ungleichgewicht, das einer wechselseitigen privatautonomen Betätigung entgegen stehen würde, besteht regelmäßig nicht. Im Ausnahmefall kann, wie bei Abschluss von Austauschverträgen, in besonders gelagerten Konstellationen ein Mindestmaß an Schutz durch die Anwendung von §§ 138, 242 BGB, teilweise unter Heranziehung grundrechtlicher Wertungen, sichergestellt werden.9 2. Unterwerfung unter die Mehrheitsmacht Im weiteren Verlauf des Gesellschaftsverhältnisses ändern sich diese Vorzeichen. Für den Gesellschafter besteht zwar weiterhin die Möglichkeit, über die Modalitäten seiner Mitgliedschaft mitzuentscheiden, nun jedoch nicht mehr als gleichberechtigter Partner wie zum Zeitpunkt des Gesellschaftsbeitritts, sondern nur noch als Repräsentant seiner Beteiligung in deren jeweiliger Höhe, so dass ein Minderheitsgesellschafter fortan der Mehrheitsmacht ausgesetzt ist. Hier zeigt sich deutlich der Unterschied zum Austauschvertrag: Dieser hat in der einmal abgeschlossenen Form solange Bestand, bis er durch zustimmende Willenserklärung aller Vertragsparteien geändert wird. Die Parteien legen die Modalitäten der vertraglichen Bindung und damit auch die Reichweite eines eventuellen Rechtsverzichts regelmäßig im Detail fest. Soweit Fragen offen bleiben, etwa bei Dauerschuldverhältnissen, werden die Lücken durch Auslegung des Willens der Vertragsparteien geschlossen. Bei einseitigen Leistungsbestimmungsrechten liegt der Grundsatz des billigen Ermessens zugrunde, der wiederum die Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich zu bringen versucht. Nur soweit vereinbart und damit im Ausnahmefall, kann eine Leistungsbestimmung nach freiem Ermessen erfolgen.10 8

Schön, FS Ulmer, 2003, S. 1359, 1377; vgl. auch Möslein ZIP 2007, 208, 214. Zur Korrektur einer Regelung durch Anwendung von § 138 BGB Westermann in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band II, 2000, S. 245, 253; Westermann in: Scholz GmbHG, Band I, 10. Aufl. 2007, Einl., Rn. 78. In Ausnahmefällen kommt auch eine Kontrolle nach den Regeln zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Betracht, so die ständige Rechtsprechung seit BGHZ 64, 238 für die Fälle, in denen die Kommanditisten einer Publikums-KG in der Öffentlichkeit geworben werden und, wenn sie beitreten wollen, nur einen Gesellschaftsvertrag unterzeichnen können, der fertig vorformuliert ist und auf dessen Inhalt sie keinen irgendwie gearteten mitgestaltenden, ihre Interessen wahrenden Einfluss ausüben können. 10 Näher Gottwald in: MünchKomm.-BGB Band 2, 5. Aufl. 2007, § 315 Rn. 30–32; Grüneberg in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 315 Rn. 10. 9

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Im Gegensatz hierzu können im Gesellschaftsvertrag nur die allgemeinen Grundlagen des künftigen Zusammenwirkens niedergelegt werden, während sich jedenfalls die Details der Rechtsbeziehung einer verbindlichen Festlegung für die Zukunft entziehen.11 Es werden keine Endzustände festgelegt, sondern Grundregeln bestimmt, die für die weitere Interaktion der Akteure maßgeblich sind.12 Dies gilt für die Aktiengesellschaft, GmbH, OHG, KG und BGB-Gesellschaft gleichermaßen.13 Dieses unausweichliche Regelungsdefizit bringt es mit sich, dass insbesondere der Gesellschafterversammlung die Möglichkeit dauernder Einwirkung auf die Rechtsposition des einzelnen Gesellschafters eingeräumt wird, was zu nicht vorhersehbaren zukünftigen Entwicklungen der Gesellschafterstellung führt 14 und außer in den Fällen zwingend einstimmiger Beschlüsse eine Fremdbeherrschung des Minderheitsgesellschafters auslösen kann.15 3. Besonderheiten des Mehrheitsprinzips Daher trägt der Hinweis, wer sich einmal der Herrschaft einer Mehrheit unterordne, gebe selbst gewählt seine Autonomie und seinen Schutz auf, nicht. Zwar geht ein Investor dann, wenn er in eine Gesellschaft eintritt, eine bewusste Entscheidung ein, sich dem Mehrheitswillen unterzuordnen. Er nimmt damit bewusst seinen grundrechtlichen Schutzanspruch zurück. Im Gegenzug erhält er über seine Beteiligung Vermögens- und Verwaltungsrechte, die den Gegenwert dafür darstellen, dass er sich der Verfügungsgewalt über den auf die Gesellschaft übertragenen Vermögensgegenstand begibt.16 Dieser Verzicht ist zwar auch im weiteren Verlauf des Gesellschaftslebens zu beachten. Er vermag wegen der bedeutenden Unterschiede zwischen Gesellschafts- und übrigem Vertragsrecht jedoch nicht zu rechtfertigen, den

11 Zum ökonomischen Hintergrund Richter/Furubotn Neue Institutenökonomik, 3. Aufl. 2003, S. 194; Röpke (Fn. 6), S. 21. 12 Röpke (Fn. 6), S. 39. 13 Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass die Unterschiede von Personen- und Kapitalgesellschaften es nicht rechtfertigen, bei den allgemeinen Grundlagen der Gesellschafterverbindung zu differenzieren. Wie der Gesetzgeber in §§ 190–304 UmwG klarstellt, sind identitätswahrende Rechtsformwechsel möglich, was den Schluss nahe legt, dass alle hiervon betroffenen Gesellschaftsformen auf vergleichbare Grundlagen zurückzuführen sein müssen. Dazu Hey (Fn. 7), S. 21 f. 14 Dazu etwa Lutter AcP 180 (1980), 84, 92; Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. 2005, S. 639: Gesellschaftsvertrag als symbiotischer und langfristiger Vertrag, der stets unvollständig ist und bei dessen Vertragsschluss langfristige Risiken nicht vorauszusehen sind. 15 Vgl. Riesenhuber/Möslein in: Riesenhuber, Perspektiven des europäischen Vertragsrechts, 2008, S. 1, 11; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 341. 16 Stumpf NJW 2003, 9, 11.

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Gesellschafter jedes grundrechtlichen Schutzes zu entheben. Der Beitritt stellt eine (partielle) Unterwerfung unter den Mehrheitswillen, nicht aber einen Grundrechtsverzicht dar.17 Trotz Mehrheitsprinzips stellt die Verbindung der Gesellschafter einen partnerschaftlichen, auf gemeinsame Zweckförderung angelegten Zusammenschluss dar, nicht einen Unterwerfungsakt, der eine Über- und Unterordnung begründen soll.18 Von seiner Autonomie will jeder Gesellschafter nur so viel aufgeben, wie zur Erreichung und Förderung des Gesellschaftszwecks erforderlich ist.19 Aus diesem Bestand folgt: Die Unterwerfung unter den Mehrheitswillen ist als Willensentschluss zu verstehen, die selbstbestimmte Wahrnehmung der Eigeninteressen in den Grenzen des rechtlich Zulässigen einzuschränken, und zwar unter der Annahme, dass die Mehrheit ihre Rechtsstellung nach den Grundsätzen fairer Zusammenarbeit ausüben wird. Daraus ergibt sich, dass die Einführung des Mehrheitsprinzips als Inhaltsund Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 I 2 GG zwar im Ansatz verfassungsrechtlich unbedenklich ist,20 dass hiervon jedoch die Anforderungen an die Ausübung des Stimmrechts im Einzelfall streng zu unterscheiden sind. Die Richtigkeitsgewähr des gefundenen Konsenses, von der man bei Austauschverträgen regelmäßig ausgehen kann, besteht bei Gesellschaften wegen der Unterwerfung unter einen Mehrheitswillen nicht. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis kehrt sich um: Der Ansatz bei Austauschverträgen, wonach Informationsdefizite im Ausnahmefall dazu führen, dass der ausgehandelte Konsens keine Richtigkeitsgewähr besitzt, trägt im Gesellschaftsrecht nicht: Auch ein umfassend informierter Gesellschafter läuft Gefahr, gegen seinen Willen einer egoistisch motivierten Mehrheitsentscheidung unterworfen zu werden.21

17 So auch Falkenhausen Verfassungsrechtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft nach dem Recht der Kapitalgesellschaften (AG und GmbH), 1967, S. 11; vgl. auch Schön, FS Ulmer, 2003, S. 1359, 1385; Stumpf NJW 2003, 9, 10 f. 18 Vgl. Lutter AcP 180 (1980), 84, 97. Siehe auch Martens Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970, S. 61 f., am Beispiel des Konzernrechts. 19 Göbel Mehrheitsentscheidungen in Personengesellschaften, 1992, S. 137. 20 Siehe BVerfGE 14, 263, 278 (Feldmühle), wonach das in der Aktie verkörperte gesellschaftsrechtliche Eigentum in seinem Bestand gegen Beschlüsse der Mehrheit nicht schrankenlos gesichert ist. Auch im Moto Meter-Beschluss ging es um die mitgliedschaftliche Stellung der Minderheitsaktionäre und die Reichweite rechtmäßiger Eingriffe in diese Mitgliedschaft, BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter). Die darin aufgestellten Grundsätze wurden im Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit der aktienrechtlichen Bestimmungen zum Squeeze out (§§ 327a ff. AktG) bestätigt, siehe BVerfG NJW 2007, 3268. Zu diesen Fragen auch öOGH Urteil vom 16.6.2005, Rs. G 129/04-17, G 63/05-3, G 64/05-2, G 65/05-2, G 66/05-2. Zu strukturellen Ungleichgewichten in Privatrechtsbeziehungen siehe BVerfGE 114, 1 = NJW 2005, 2363 (Rn. 140–142); BVerfGE 114, 73 = NJW 2005, 2376 (Rn. 67 und 79). Dazu Mülbert/Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 619. 21 Vgl. dazu Riesenhuber NZG 2004, 15, 21.

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Würde man sich auf den Standpunkt stellen, dass die von Art. 14 I 1 GG geschützte Eigentumsposition des einzelnen Gesellschafters wegen dieser Inhalts- und Schrankenbestimmung von Anfang an eingeschränkt, der Schutzbereich also von den Konsequenzen des Mehrheitsprinzips determiniert wäre,22 würde der (wohl allseits akzeptierte) Ausgangspunkt, dass ein uneingeschränktes Mehrheitsprinzip verfassungswidrig wäre, konterkariert.23 Für die von der Rechtsprechung mitunter geprüfte materielle Beschlusskontrolle sowie, allgemeiner, die von der h.M. angenommenen Treuebindungen bei der Ausübung des Stimmrechts wäre unter dieser Prämisse kein Raum.24 Auch die Rechtsprechung des BVerfG gibt zu erkennen, dass ein im Gesetz angelegtes Mehrheitsprinzip, mit dessen Hilfe die Rechtsposition der überstimmten Minderheit entwertet werden kann, nicht zugleich eine prüfungsfreie immanente Schranke des Aktieneigentums darstellt. Stattdessen wird die zum Zeitpunkt des Gesellschafterbeitritts bestehende rechtliche Ausgestaltung der Mitgliedschaft zum verfassungsrechtlich geschützten Bestand des Gesellschaftereigentums erhoben und jede von der Mehrheit bewirkte nachteilige Veränderung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft.25 Dies wird besonders deutlich an einem Beschluss zu den Abfindungs- und Ausgleichsansprüchen von Minderheitsaktionären. Dem lag zugrunde, dass die Aktionärsmehrheit von der Ermächtigung in §§ 291 ff. AktG Gebrauch machte und Unternehmensverträge abschloss. Das BVerfG ging nicht etwa davon aus, dass die Mitgliedschaft Schutz nur in den Grenzen der gesetzlichen Ausformung vorsehe und die gesetzlich verankerte Möglichkeit der Mehrheit, Unternehmensverträge abzuschließen, daher aus dem Schutzbereich der Mitgliedschaft der widersprechenden Minderheit herausfalle. Vielmehr erkannte das Gericht im Abschluss derartiger Unternehmensverträge eine Beeinträchtigung des Kleinaktionärs in seiner durch Art. 14 I GG geschützten Mitgliedschaft und prüfte, ob dieser Eingriff gerechtfertigt war.26 22

So aber die Anklänge bei Mülbert/Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 627. Vgl. dazu BGH ZIP 2003, 387 (Macrotron); Martens, FS R. Fischer, 1979, S. 437, 445. Vgl. auch die Verwendung der Eingriffs- und Verhältnismäßigkeitsterminologie für Beeinträchtigungen der Minderheit durch Maßnahmen der Mehrheit, so etwa in BGHZ 9, 157, 159 und 177, sowie bei Jung (Fn. 7), S. 235 Fn. 623; Lutter ZHR 153 (1989), 446, 454. 24 Zur materiellen Beschlusskontrolle BGH NJW 1978, 1316, 1317 (Kali + Salz); BGH NJW 1982, 2444, 2445 (Holzmann); BGH NJW 1997, 2815, 2816 (Siemens/Nold). 25 So auch die Interpretation von Schön, FS Ulmer, 2003, S. 1359, 1385, der zutreffend darauf hinweist, dass diese Sichtweise des BVerfG in dessen allgemeine zivilrechtliche Dogmatik passt, wonach etwa auch die Position des Mieters dem Schutzbereich des Art. 14 GG unterfällt und die Eingriffsbefugnisse des Vermieters nicht als dem Gesetz immanente Inhalts- und Schrankenbestimmungen abgetan werden können. AA wohl Mülbert/ Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 627. 26 Dazu die prägnante Formulierung in BVerfG ZIP 1999, 532, 533 = NJW 1999, 1699: „Die Regelungen der §§ 291 ff. AktG greifen in die grundrechtlich geschützte Eigentumsposition der ‚außenstehenden Aktionäre‘ einer Aktiengesellschaft ein“. 23

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Ebenso wird die übertragende Auflösung im Moto Meter-Beschluss nicht etwa als gesetzlich vorgesehene Beschränkung der Mitgliedschaft, sondern vielmehr als Beeinträchtigung der Mitgliedschaft bewertet und einer Rechtfertigungskontrolle unterzogen.27 4. Gesellschaftsinteresse als Ausübungsschranke In der bestehenden Gesellschaft überzeugt der Verweis auf die Privatautonomie daher weniger als im Gründungs- und Beitrittsstadium. Da der Gesellschafter durch sein Abstimmungsverhalten bei Gesellschafterbeschlüssen rechtlich geschützte Positionen seiner Mitgesellschafter beeinträchtigen kann, steht es ihm nicht frei, unter Berufung auf die ihm durch Gesetz und Gesellschaftsvertrag eingeräumten Befugnisse die Belange der übrigen Gesellschafter zu ignorieren. Die dauerhafte Einbindung in die Gesellschaft und die dort bestehenden Mehrheitsverhältnisse stellen den Grund dar, warum der bloße Verweis auf die Privatautonomie einen Ausschluss der Grundrechtsbindung im Innenverhältnis der Gesellschafter nicht zu rechfertigen vermag. Vielmehr ist es verfassungsrechtlich geboten, den Gesellschafter vor den Auswirkungen uneingeschränkter Fremdbeeinflussung zu schützen.28 Die mit dem Gesellschaftsbeitritt verbundene Unterordnung unter den Mehrheitswillen erfordert Schutzmechanismen, die dazu führen, dass Maßnahmen nicht nach freiem Belieben, sondern anhand billiger Grundsätze getroffen werden. Dieser Ausgangspunkt findet allgemeine Zustimmung und führt die h.M. dazu, Treuepflichten auf die Gesellschafterbeziehung anzuwenden.29 Dies bedeutet, dass Raum für und Bedarf nach ausfüllenden und ergänzenden Grundsätzen besteht. Hierzu kann die in den Grundrechten verkörperte Werteordnung dienen. Art. 14 GG ist nicht nur wegen der beschriebenen

27 Dazu vor allem die Formulierung in BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 (Moto Meter): „Die ‚übertragende Auflösung‘, wie sie von der Großaktionärin im vorliegenden Fall praktiziert und von den Gerichten gebilligt worden ist, tangiert sowohl die mitgliedschaftliche Stellung der Minderheitsaktionäre, weil diese gegen ihren Willen die Beteiligung an der Gesellschaft verlieren, als auch deren vermögensrechtliche Position (…)“. 28 Vgl. dazu Westermann (Fn. 9), S. 245, 249; vgl. auch Leisner (Fn. 3), S. 378 ff. (insb. S. 384). Zur Ausbeutungs- und Opportunismusgefahr Röpke (Fn. 6), S. 21 f. Siehe Singer (Fn. 1), S. 245, 251, zur vergleichbaren Situation in Arbeitsverhältnissen. Die Parallele besteht in den Gestaltungsbefugnissen des Arbeitgebers in bestehenden Arbeitsverträgen. Singer (Fn. 1) begründet die Schranken der Gestaltungsbefugnisse aus der grundrechtlichen Schutzpflichtlehre. 29 So ausdrücklich Zöllner (Fn. 15), S. 341 ff., und Wimmer-Leonhardt Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 289. Besonders hinzuweisen ist auf eine Aussage Zöllners (Fn. 15), S. 341: Es gehe um die Stärke des durch die Aufnahme von Gemeinschaftsbeziehungen dem Einzelnen anvertrauten Einflusses auf die Angelegenheiten der Gesamtheit. Beim gewöhnlichen Schuldvertrag, bei dem die gegenseitigen Hauptleistungen genau abgegrenzt seien, sei dieser Einfluss so gering, dass die Vertrauensgrundlage gar nicht in Erscheinung trete.

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Wechselwirkung relevant, die sich daraus ergibt, dass sich jeder Gesellschafter bei Wahrnehmung seiner Rechte und Abwehr von Beeinträchtigungen auf Art. 14 GG beruft. Hinzu kommt, dass in Art. 14 GG der Grundsatz der Sozialpflichtigkeit des Eigentums enthalten ist. Dies kann als allgemeiner Grundsatz verstanden werden, wonach die Individualinteressen des Eigentümers hinter höherrangige Ziele zurückzutreten haben. Dieser Gedanke trägt durchaus im Gesellschaftsrecht, da die Gesellschafterbeziehung eine Verbindung zu einem gemeinsamen Zweck darstellt. Im Gegensatz zu anderen Bereichen des Privatrechts existiert mit dem zweckgebundenen Gesellschaftsinteresse durchaus eine über die individuellen Parteiinteressen hinausgehende, sozusagen den in der Gesellschaft verkörperten Allgemeininteressen verpflichtete Ebene, die als Bezugspunkt für Einschränkungen der Individualinteressen dienen kann. Davon scheint auch der BGH auszugehen, wenn er in der Macrotron-Entscheidung im gesetzlich ungeregelten Bereich nach Regeln und Mechanismen sucht, die einen interessengerechten Ausgleich der gegensätzlichen Aktionärspositionen herbeiführen können und diese in den wechselseitig wirkenden Vorgaben des Art. 14 GG findet, anhand derer die Interessen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden.30

II. Das Prüfungsmodell Ausgehend von diesen Grundlagen bedarf es eines generell anwendbaren Prüfungsmodells, mit dem grundrechtsrelevante Beeinträchtigungen ermittelt und gelöst werden können. Die anerkannte Grundrechtsdogmatik kann dabei als Ausgangspunkt dienen, muss jedoch in privatrechtsverträglicher Weise in das Gesellschaftsrecht eingebracht werden. An dieser Stelle kann das Prüfungsmodell zugleich nur in Kürze skizziert werden.31 1. Bestimmung des Schutzbereichs der mitgliedschaftlichen Rechtsstellung Nach herrschender Grundrechtsdogmatik zu Art. 14 GG unterfallen dem Schutz des Eigentums alle vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung so zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen Befugnisse in eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nut30

BGH ZIP 2003, 387 ff. (Macrotron). Siehe auch Langenbucher Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2008, S. 145 Rn. 5, die für die verfassungsrechtliche Prüfung des Mehrheitshandelns jedoch eine hohe Hürde errichtet. Nur soweit das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verletzt ist, soll eine Bindung der Mehrheit an die Grundrechte bestehen. Grundlegend zur Sozialbindung des Eigentums Schmidt-Leithoff Die Verantwortung der Unternehmensleitung, 1989, S. 176–212. 31 Ausführlich Hofmann Der Minderheitsschutz im Gesellschaftsrecht (im Erscheinen), § 3D.

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zen ausüben darf.32 Die Besonderheit des Art. 14 GG im Vergleich zu den übrigen Grundrechten besteht darin, dass nach Abs. 1 S. 2 sowohl die Schranken als auch der Inhalt durch die Gesetze bestimmt werden. Erst durch einfachgesetzliche Ausgestaltung von Inhalt und Reichweite des Eigentums wird daher der Schutzbereich des grundrechtlich geschützten Eigentums festgelegt. Zur Bestimmung des Schutzbereichs der Gesellschafterstellung sind daher jedenfalls die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Gesellschaftsrechts bedeutend, also die konkrete Ausgestaltung des Gesellschaftseigentums durch den Gesetzgeber. Dessen Wertungen definieren die Rechtsstellung des Gesellschafters zumindest in ihren groben Zügen. Da den Parteien die Möglichkeit belassen wird, die Rechtsstellung der Gesellschafter privatautonom im Gesellschaftsvertrag auszugestalten, wird die individuelle Rechtsstellung der Mitgliedschaft darüber hinaus durch die gesetzgeberisch eingeräumte Regelungsbefugnis der Gesellschafter ergänzt.33 Der Gesellschaftsvertrag legt die Einzelheiten der konkreten Beteiligung und damit entscheidende Merkmale der Rechtsposition des einzelnen Gesellschafters fest. Die Folgerung hieraus kann nur lauten, dass der Schutzbereich des Anteileigentums des einzelnen Gesellschafters alle subjektiven Rechte umfasst, wie sie durch die Gesetze, aber auch den Gesellschaftsvertrag eingeräumt werden. Entscheidender Zeitpunkt ist dabei der Beitritt des Gesellschafters. Dies bedeutet zugleich, dass der Schutzbereich für jeden Gesellschafter gesondert und individuell zu bestimmen ist. Der Schutzbereich der Beteiligung eines Gesellschafters kann daher nicht nur von der eines Gesellschafters der gleichen Rechtsform, sondern sogar der der eigenen Mitgesellschafter abweichen, wenn diese zu einem anderen Zeitpunkt beigetreten sind, zu dem die Mitgliedschaft noch anders ausgestaltet war, etwa noch keine später für Neugesellschafter vorgesehene Vinkulierung der Anteile bestand.34 32 BVerfGE 79, 174, 191; BVerfGE 83, 201, 209; Becker in: Stern/Becker, Grundrechte – Kommentar, 2010, Art. 14, Rn. 44. Zum Schutzbereich des mitgliedschaftlichen Eigentums im Aktienrecht BVerfG ZIP 1999, 1436, 1439 (DAT/Altana); bestätigt durch BVerfG WM 2007, 1520, 1521; inhaltlich auch BVerfGE 14, 263, 276 f. = NJW 1962, 1667 (Feldmühle); BVerfGE 50, 290, 341 f. (Mitbestimmung); BVerfG ZIP 1999, 1798, 1799 (Wenger/DaimlerBenz); BVerfG ZIP 1999, 1801, 1802 (Scheidemandel II); BVerfG ZIP 2000, 1670, 1671 (Moto Meter); Papier in: Maunz/Dürig, GG, Stand 05/09, Art. 14 Rn. 195; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2010, § 9 Rn. 14; Badura Staatsrecht, 3. Aufl. 2003, S. 219; Schön, FS Ulmer, 2003, S. 1359, 1368; Adams Ökonomische Theorie des Rechts, 2. Aufl. 2004, S. 264 f. 33 Siehe dazu BGHZ 110, 323, 327, wonach es zu den Mitgliedschaftsrechten jedes Vereinsmitglieds (in einem Idealverein) gehört, nicht „entgegen den geltenden vereinsrechtlichen Bestimmungen behandelt zu werden“. 34 Diese Feststellungen beziehen sich auf die unmittelbaren Bestandteile der Mitgliedschaft. Daneben kann auch das mittelbare Eigentum des Gesellschafters, sein über die Gesellschaft vermittelter Anteil am Gesellschaftsvermögen, betroffen sein. Zur Abgren-

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Eben dies geht auch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH hervor. Die Gerichte legen zur Bestimmung des Schutzbereichs implizit die individuelle, von allen Besonderheiten des Einzelfalls abhängige Situation des Gesellschafters zugrunde. Um die Frage beurteilen zu können, ob die Schlechterstellung der Kleinaktionäre durch den Abschluss eines Unternehmensvertrages 35 oder bei Beschlüssen über übertragende Auflösungen 36 verfassungsgemäß ist, musste das BVerfG zunächst den Bezugspunkt seiner Prüfung festlegen und ging dabei von der bisherigen Rechtsstellung des Aktionärs in seiner Gesellschaft ohne die beeinträchtigende Maßnahme aus.37 Gleiches gilt für den BGH und seine Macrotron-Entscheidung zum Delisting,38 in der das Gericht den Schutzbereich der von Art. 14 I GG geschützten Mitgliedschaft nach den tatsächlichen Verhältnissen, die in der betroffenen Aktiengesellschaft die Börsennotierung der Aktien einschlossen, bestimmte. Daraus wird ersichtlich, dass sogar eine dritte Komponente hinzutritt: Auch die tatsächlichen Umstände können für die Bestimmung des Schutzbereichs bedeutsam werden, wenn sie die Grundlagen der Beteiligung berühren und für die Rechtsstellung der Gesellschafter von elementarer Bedeutung sind, wie im Falle der Börsennotierung, der Rechtsformänderung oder dem Ende der Unabhängigkeit der Gesellschaft. Die h.M., die den Schutz der Gesellschafter nicht über eine grundrechlich verankerte Eingriffsprüfung, sondern die Treuepflicht zu gewährleisten versucht, trägt diesen Umständen bei der Ausgestaltung der individuellen Treuepflicht Rechnung. So ist anerkannt, dass Art und Umfang der gegenüber den Mitgesellschaftern bestehenden Pflichten von den berechtigten Erwartungen der Gesellschafter abhängen, die sich im Laufe der Zeit in der bestehenden Gesellschaft verändern können. So verstärkt eine lange und funktionierende

zung irrelevanter, lediglich reflexartiger Beeinträchtigungen des Beteiligungswertes von den Fällen, in denen sich die Beeinträchtigung zu einem relevanten Eingriff verdichtet, siehe Hofmann (Fn. 31), §§ 6, 7. 35 BVerfGE 14, 263, 277 ff. = NJW 1962, 1667 (Feldmühle); BVerfGE 100, 289 = NJW 1999, 3769 (DAT/Altana); BGH NJW 1997, 2242, 2243: Danach stellen die Regelungen über Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge „(…) einen Eingriff in das nach Art. 14 I GG geschützte Anteilsrecht des Aktionärs dar, der nur unter der Voraussetzung zulässig ist, daß die berechtigten Interessen der außenstehenden Aktionäre gewahrt werden“. 36 BVerfG ZIP 2000, 1670 (Moto Meter). 37 Siehe auch BVerfG ZIP 1999, 1798, 1799 (Wenger/Daimler-Benz), wo es heißt: „Aus der mitgliedschaftlichen Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche“. Damit unvereinbar OLG Stuttgart AG 1997, 136, 137 („Moto Meter II“), wonach Art. 14 GG bei einer übertragenden Auflösung nicht berührt sein soll, „da das Anteilseigentum schon immer mit der Möglichkeit belastet war, daß es durch Mehrheitsbeschlüsse eine Entwicklung nimmt, die (…) den Interessen des einzelnen Aktionärs nicht entspricht“. 38 BGH WM 2003, 533.

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Zusammenarbeit die berechtigten Erwartungen an eine rücksichtsvolle Ausübung der Mitgliedschaftsrechte.39 Trotz dieser Einzelfallabhängigkeit lassen sich doch typische Mitgliedschaftsrechte formulieren, die entweder zwingend oder doch regelmäßig vom Schutzbereich der Gesellschafterstellung umfasst sind. Die Einzelheiten sind bekannt und bedürfen hier keiner Darstellung.40 2. Bestimmung des Eingriffs in den Schutzbereich a) Eingriffsterminologie Art. 14 GG schützt den Grundrechtsträger vor Eingriffen, mit denen sein Eigentum beeinträchtigt wird. Von einer Enteignung und – allgemeiner – einem Eingriff ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nur bei einem staatlichen (Hoheits- oder Real-)Akt auszugehen.41 Gleichwohl besteht im Grundsatz Einigkeit darüber, dass die Grundrechtsträger (unter im Einzelnen umstrittenen Voraussetzungen) auch vor Schädigungen durch Privatrechtsträger zu schützen sind. Dabei findet der Begriff des Grundrechtseingriffs gelegentlich Verwendung, in anderen Fällen wird er vermieden und stattdessen eine andere, umschreibende Formulierung gewählt.42 Für den durch Art. 14 GG gebotenen effektiven Schutz des Grundrechtsträgers bedeutet die Einbeziehung einer privatrechtlichen Dimension, dass der Schutz nicht von Begrifflichkeiten, insbesondere der Definition der Ent39 Lutter ZHR 162 (1998), 164, 169. Zugleich wird daran auch die Bedeutung der Realstruktur der Gesellschaft ersichtlich. 40 Zu einer systematischen Darstellung Wiedemann Gesellschaftsrecht, Band I, 1980, S. 366; ders. WM 1992, SB 7, S. 1, 23; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 557– 560. Zu den Aktionärsrechten Hüffer in: AktG, 8. Aufl. 2008, § 118 Rn. 7 f.; Kubis in: MünchKomm.-AktG, Band IV, 2. Aufl. 2004, § 118 Rn. 46–49; Mülbert in: Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 118 Rn. 91–95; Spindler in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 118 Rn. 13–17. Zur systematischen Einteilung der Mitgliedschaftsrechte in der GmbH Lutter/ Bayer in: Luttter/Hommelhoff GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 14 Rn. 11 f.; Zöllner in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 45 Rn. 2 f.; Winter/Seibt in: Scholz, GmbHG, Band I, 10. Aufl. 2007, § 14 Rn. 14. Zu einer Übersicht über die Rechte des Personengesellschafters Habermeier in: Staudinger BGB, 13. Bearb. 2003, § 705 Rn. 33–36; Hopt in: Baumbach/Hopt HGB, 34. Aufl. 2010, § 109 Rn. 4 ff.; Kraft/Kreutz Gesellschaftsrecht, 12. Aufl. 2007, S. 121 f., 181 ff. 41 Eine Enteignung der Gesellschafterminderheit durch die Mehrheit wurde bei einem Umwandlungsbeschluss vom BVerfG im Feldmühle-Beschluss mit der Begründung abgelehnt, eine solche müsse stets vom Staat oder von einem mit staatlichen Zwangsrechten beliehenen Unternehmer ausgehen, vgl. BVerfGE 14, 263 = NJW 1962, 1667. Zur Begrenzung des Eingriffs auf einen staatlichen Akt auch BGHZ 6, 270, 289 f.; LG Wuppertal AG 2004, 161, 162. 42 Hager JZ 1994, 373, 379; Hillgruber AcP 191 (1991), 69, 72. Siehe auch BayObLG BB 2003, 275, 279; BGH NJW 1998, 2054, 2055 (Sachsenmilch); BGH ZIP 1985, 1137, 1138; i.E. BGH WM 2003, 533, 535. Vgl. auch Classen AöR 122 (1997), 65, 79.

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eignung abhängen darf. Wer auf einen staatlichen Akt besteht, unterliegt einer petitio principii. Ist die Notwendigkeit, den Grundrechtsträger vor Beeinträchtigungen durch Private zu schützen, anerkannt, kann der notwendige Schutz nicht daran scheitern, dass die Verfassungsdogmatik im privatrechtlichen Bereich keine entsprechenden Begriffsbestimmungen bereithält. Die Versuche, das Handeln der Gesellschaft bzw. ihrer Gesellschafter nicht als originär privatrechtliches Handeln zu begreifen, sondern dahinter einen staatlichen Akt zu erkennen, der dem privaten Rechtsträger wiederum zugerechnet wird, dienen dem Ziel, sich streng an die verfassungsrechtliche Terminologie zu halten.43 Es ist vorzugswürdig, sich an dieser zwar zu orientieren, sie zugleich jedoch in eine originär privatrechtliche Dogmatik einzubetten. Tatsächlich fehlt es in diesen Fällen zwar an einem staatlichen Akt, der Grundrechtsträger wird jedoch auch von privater Seite beeinträchtigenden Wirkungen ausgesetzt, die denen bei staatlichem Handeln gleichkommen können. Stellt man auf diese Wirkung ab, lässt sich auch beim Handeln eines Privatrechtssubjekts von einem Eingriff, nunmehr einem privatrechtlichen, sprechen. b) Unmittelbare und mittelbare Eingriffe Eine der größten Herausforderungen besteht darin, unmittelbare und mittelbare Eingriffe voneinander abzugrenzen. Die Rechtsstellung des Gesellschafters wird bei mittelbaren Eingriffen nur reflexartig betroffen, der Schaden entsteht unmittelbar im Vermögen der Gesellschaft, und die Frage lautet, ob neben dieser auch der Gesellschafter Ansprüche besitzen soll. Sinnvoll erscheint eine Abgrenzung nach den Wirkungen und der Zielrichtung der Beeinträchtigung. Eine unmittelbar auf die Mitgliedschaft einwirkende Beseitigung, Verkürzung oder sonstige Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Rechte des Gesellschafters kann als unmittelbarer Eingriff qualifiziert werden. Geht es zumindest auch darum, die Rechte eines Gesellschafters zu beschneiden, etwa weil sich andere Gesellschafter oder auch ein Verwal43

Falkenberg Verfassungsrechtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft nach dem Recht der Kapitalgesellschaften, 1967, S. 111 f.; Krolop Der Rückzug vom organisierten Kapitalmarkt (Delisting), 2005, S. 99, argumentiert für den Delisting-Beschluss streng formalistisch mit dem Verwaltungsakt der Börsenzulassungsstelle; im Gegensatz dazu hebt Hirte Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 138–140, die unübersehbaren Parallelen von Verfassungsrecht als Regulator für staatliche Mehrheitsherrschaft und Gesellschaftsrecht als Regulator für gesellschafterliche Mehrheitsherrschaft hervor und bejaht eine den Besonderheiten der privatrechtlichen Verbindung angemessene Heranziehung verfassungsrechtlicher Grundsätze für das Gesellschaftsrecht. Siehe auch Schwabe Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, insb. S. 14 ff., der den geschaffenen Freiraum für den Mehrheitsgesellschafter als quasi verlängerten staatlichen Arm begreift. Dagegen BVerfGE 14, 263 (Feldmühle) für den Fall der Umwandlung: „Wenn der Gesetzgeber der Hauptversammlung generell die Befugnis gibt, eine Mehrheitsumwandlung zu beschließen, so verleiht er nicht eine Enteignungsbefugnis, sondern ermächtigt die Hauptversammlung zu einer Umgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Aktionären“.

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tungsorgan der Gesellschaft hieraus reflexartige Vorteile für sich selbst oder die Gesellschaft versprechen, spricht schon diese Zielrichtung der Maßnahme für einen unmittelbaren Eingriff. Derartige Konstellationen existieren in großer Zahl. Beispielhaft seien die Behinderung eines Aktionärs an der Teilnahme an der Hauptversammlung, der Ausschluss oder die Beschränkung des Stimmrechts und die Verweigerung von Information, Auskunft, Einsicht oder Gegenanträgen genannt.44 Mittelbare Eingriffe zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass die Rechtsstellung des Gesellschafters im Grundsatz unverändert bleibt und keine Rechtsposition entzogen wird, gleichwohl jedoch eine spürbare Beeinträchtigung in vermögensrechtlicher Hinsicht vorliegt. Auch wird nicht primär das Ziel verfolgt, die Rechtsstellung des betroffenen Gesellschafters zu beeinträchtigen. Die negativen Wirkungen treten vielmehr als Nebenfolge ein. Dies läuft insgesamt auf eine Wertung hinaus. Dabei sind einerseits die Erwartungen des einzelnen Gesellschafters an ein faires Verhalten der Mitgesellschafter und Gesellschaftsorgane auf ihre Berechtigung, andererseits das Verhalten des handelnden Mehrheitsgesellschafters oder Gesellschaftsorgans auf seine Angemessenheit gegenüber den (Mit-)Gesellschaftern zu untersuchen. Das Ergebnis einer solchen Wertung kann hier nur angedeutet werden: Vorgänge, die mit den innergesellschaftlichen Pflichten zu vereinbaren sind, dennoch aber einen Vermögensverlust für den Gesellschafter mit sich bringen, spiegeln nur das allgemeine Investitionsrisiko wider, während Pflichtverstöße, die sich vermögensmindernd auf die Beteiligung des Gesellschafters auswirken, Eingriffscharakter besitzen. Solche Pflichtverstöße sind für Gesellschafter und Gesellschaftsorgane nach unterschiedlichen Regeln festzustellen. Während letztere einer strengen treuhänderischen Bindung unterliegen, die eine Wahrnehmung von Eigeninteressen ausschließt, kann dem Gesellschafter als Eigentümer seiner Beteiligung an der Gesellschaft nicht versagt werden, auch Eigeninteressen wahrzunehmen. Zugleich ergeben sich aus seiner mit anderen Eigentümern eingegangenen Verbindung bedeutende Einschränkungen. Dazu nun im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung. 3. Die Rechtfertigungsprüfung Auf Rechtfertigungsebene ist erneut auf die Zweckerreichungsabrede der Gesellschafter zurückzukommen.45 Diese ordnen die eigenen Belange dem Gemeinschaftsinteresse im notwendigen Maß unter. Die Handlungs- und 44 Siehe dazu als Beispiele aus der Rechtsprechung BGH ZIP 1982, 568, 573 (Holzmüller); BGH ZIP 1992, 1227. Zu einer Zusammenstellung unmittelbarer Eingriffe Hofmann (Fn. 31), § 3D III 2. 45 Dazu allgemein K. Schmidt (Fn. 40), S. 57 ff.; für Personengesellschaften ausführlich Göbel (Fn. 19), S. 134–136. Dazu, dass die Zweckbindung auch unabhängig von einer Treubindung anzuerkennen ist, Zöllner ZHR 162 (1998), 235, 239 f.

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Entscheidungsfreiheit des einzelnen Gesellschafters wird durch die Verbandszugehörigkeit beschnitten, der Beitritt zur Gesellschaft begründet einen Souveränitätsverzicht und bewirkt eine Autonomiebeschränkung.46 Zugleich entsteht damit auch ein gemeinsamer Nenner der privatrechtlichen Verbindung oder, anders ausgedrückt, ein neutraler Bezugspunkt, an dem Beeinträchtigungen der Rechtspositionen gemessen werden können.47 Ein solcher fehlt demgegenüber beim Austauschvertrag, da dort nur Einzelinteressen der Vertragsparteien existieren, die nicht gleichgerichtet sind. Verfassungsrechtliche Prüfungsparameter können nicht ohne Weiteres auf ein durch Austauschvertrag begründetes Privatrechtsverhältnis übertragen werden, da die Vorgaben für rechtmäßige Eingriffe an den Befugnissen und Möglichkeiten des Staates ausgerichtet sind, während kollidierende Grundrechte mehrerer Privatrechtssubjekte unter Beachtung der Privatautonomie und durch Interessenabwägung in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen.48 Das ist für das Gesellschaftsverhältnis und Art. 14 I GG tendenziell anders. Als Ausgangspunkt dient, dass staatliche Eingriffe in das Eigentum nach Art. 14 I GG nur dann rechtmäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen darstellen, wenn sie an den Belangen der Allgemeinheit ausgerichtet sind.49 Jeder Eingriff in die Rechte des Grundrechtsträgers muss daher einem im Allgemeininteresse liegenden Zweck dienen, der zum Bezugspunkt der Rechtmäßigkeitsprüfung wird. Diese Wertung kann auf das Gesellschaftsverhältnis übertragen werden: Da mit dem Gesellschaftsinteresse ein über die Individualinteressen hinausgehendes „Allgemeininteresse“ existiert, bedarf es nicht wie bei sonstigen Grundrechten einer Gegenüberstellung und Abwägung der Individualinteressen, um praktische Konkordanz zu erzielen. Vielmehr wird das Gesellschaftsinteresse zum entscheidenden Bezugspunkt der Rechtmäßigkeitsprüfung. Wiederum ist auf das Phänomen der Mehrheitsherrschaft und den fehlenden Bestandsschutz der mitgliedschaftlichen Rechtsstellung zurückzukommen: Die 46 Göbel (Fn. 19), S. 134; Hey (Fn. 7), S. 11 f.; Martens (Fn. 18), S. 106; Schockenhoff Gesellschaftsinteresse und Gleichbehandlung beim Bezugsrechtsausschluß, 1988, S. 1; Westermann Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 138. 47 Nach Timm Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 52 f., ist die (nicht konzernierte) Gesellschaft ausschließlich in ihrem eigenen Interesse zu führen und haben die Aktionäre ein „Grundrecht“ darauf, dass der Gesellschaftszweck unter den organisatorischen Bedingungen des gesetzlichen Normalstatuts verfolgt wird. So auch Martens, FS R. Fischer, 1979, S. 437, 454 f. 48 Siehe unter I. 4. Dazu auch BVerfGE 36, 1 (Nasciturus); BVerfGE 90, 27 (Parabolantenne); Canaris (Fn. 1), S. 59–61; Leisner (Fn. 3), S. 384; Singer JZ 1995, 1133, 1136; Hager JZ 1994, 373, 377; Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, 1988, S. 1585. 49 Vgl. dazu BVerfGE 7, 297, 299; BVerfGE 100, 226, 241; Becker in: Stern/Becker, Grundrechte – Kommentar, 2010, Art. 14, Rn. 162.

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Rechtsposition des Gesellschafters ist nicht grenzenlos vor Beeinträchtigungen geschützt. Vielmehr sind Eingriffe möglich, soweit sie übergeordneten Zielen, nämlich dem Gesellschaftsinteresse, dienen.50 Umgekehrt wird der Eingriff einer Rechtfertigungskontrolle unterzogen, die selbstsüchtiges Verhalten ausschließt und sicherstellt, dass der betroffene Gesellschafter nur soweit beeinträchtigt wird, wie dies durch seinen privatautonomen Verzichtsakt, die Unterwerfung unter die gemeinsame Zweckverfolgung und die Berücksichtigung von Gesellschaftsinteressen, gedeckt ist. Die Mehrheit muss es wegen ihrer Verpflichtung auf den Gesellschaftszweck und ihrer mit den übrigen Gesellschaftern eingegangenen Verbindung hinnehmen, dass ihre durch die Höhe der Kapitalbeteiligung vermittelte Mehrheitsmacht nicht grenzenlos gewährt wird, sondern der Bindung an die Gesellschaftsinteressen unterliegt. Im Einzelnen folgt daraus, dass die in die Mitgliedschaft des Gesellschafters eingreifende Maßnahme geeignet sein muss, um einen im Gesellschaftsinteresse liegenden und damit legitimen Zweck zu erreichen (Geeignetheitsprüfung). Sie muss zudem erforderlich sein, so dass kein gleich effektives, jedoch milderes und die Mitgliedschaft der widersprechenden Gesellschafter weniger belastendes Mittel zur Verfügung stehen darf (Erforderlichkeitsprüfung). Für die Angemessenheitsprüfung kommt es schließlich auf eine Abwägung der beteiligten Interessen an.51 Soweit Maßnahmen der Disposition über das von allen Gesellschaftern gemeinsam eingebrachte Vermögen dienen, müssen auch die Interessen aller Gesellschafter einbezogen werden. Im Wege dieser Angemessenheitskontrolle kann der notwendige Ausgleich der verschiedenen und mannigfaltigen Interessen in einer für alle Beteiligten verträglichen Weise erzielt werden. Aus der Rechtsstellung der Gesellschafter als Eigentümer ihrer Beteiligung folgt, dass sie Eigeninteressen verfolgen dürfen. Zwar handelt es sich bei dem Gesellschaftsinteresse um das kollektivierte Zweckerreichungsinteresse aller Gesellschafter; dieses kann dem individuellen Eigentumsinteresse des einzelnen Gesellschafters in einer konkreten Situation jedoch zuwider laufen. Auch hierbei gelten Einschränkungen. Soweit ein Gesellschafter mit einer Maßnahme, wie stets im Rahmen von Gesellschafterbeschlüssen, zugleich über das Vermögen der Mitgesellschafter entscheidet und deren Interessen entgegenstehen können, unterliegt seine Handlungsmacht Grenzen. Schon aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Verbot des § 243 II AktG, Sondervorteile zu verfolgen, ergibt sich, dass die Eigeninteressen nur soweit

50 So auch etwa Heine Anleger- und Minderheitsschutz beim Börsenaustritt und Voluntary Delisting, 2003, S. 132. 51 So auch die Prüfungsschritte für die sog. Materielle Beschlusskontrolle, siehe BGHZ 33, 175, 186; BGHZ 71, 40, 44–46; BGHZ 83, 319, 321; Lutter ZGR 1979, 401, 404 ff.

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reichen dürfen wie die eigene Beteiligung.52 Das Mehrheitsprinzip bringt es jedoch mit sich, dass auch über die von den Mitgesellschaftern eingebrachte Beteiligung entschieden wird. Dies ist nach dem Gesagten zulässig, solange sich die Fremdbestimmung mit den Interessen der Gesellschaft deckt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Mitgesellschafter hindert die Wahrnehmung der Eigeninteressen durch die Mehrheit nicht, solange ein Eingriff im Gesellschaftsinteresse geboten und erforderlich ist und sich gegen die Interessen der beeinträchtigten Gesellschafter im Rahmen der Abwägung durchsetzt und daher als angemessen erweist. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass Eigeninteressen ausscheiden müssen, wenn sie dem Willen der Mitgesellschafter und dem Gesellschaftsinteresse zuwiderlaufen. Hierbei handelt es sich um die allgemeinen Grundsätze, von denen in besonderen Situationen gewichtige Ausnahmen existieren. Dazu muss auf die Darstellung an anderer Stelle verwiesen werden.53

V. Schlussbemerkungen Grundlegende Unterschiede im Verhältnis der Parteien von Austauschverträgen einerseits sowie im Innenverhältnis der Gesellschaft andererseits bedingen es, dass die Anwendung von Art. 14 GG im Gesellschafterverhältnis anderen Regeln folgt als bei Austauschverträgen. Zugleich erweist sich eine auf die Besonderheiten des Privatrechtsverhältnisses zugeschnittene Anwendung des Art. 14 GG und eine hieraus entwickelte Eingriffskontrolle als genereller Mechanismus, mit dem der genuine Konflikt des Gesellschaftsrechts gelöst werden kann: Bei der Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte darf der Gesellschafter Eigeninteressen verfolgen. Dies ist Ausfluss seiner grundrechtlich geschützten Eigentumsfreiheit. Gleichzeitig unterliegt er besonderen Pflichtbindungen, soweit die ebenfalls grundrechtlich geschützte Rechtsstellung der Mitgesellschafter beeinträchtigt wird. Praktische Konkordanz der vielfältigen und auf grundrechtlich abgesicherte Positionen gestützten Interessen vermag eine an den Gesellschaftsinteressen ausgerichtete Prüfung zu gewährleisten. Eingriffe in die Mitgliedschaft sind insoweit gerechtfertigt, als sie geeignet, erforderlich und angemessen sind. 52 Vgl. Grundmann Der Treuhandvertrag, 1997, S. 272 f., der die Bestimmungen als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens versteht, wonach ein Übergriff auf die Beteiligung der Mitgesellschafter durch Quotenveränderung untersagt ist. 53 Bedeutend sind die Fälle, in denen der Gesellschafter nicht die in seiner Mitgliedschaft wurzelnden und aus seinem Kapitalbeitrag resultierenden Rechte wahrnimmt, sondern eine Treuhänderstellung innehat, die ihn streng und ausschließlich an Fremdinteressen bindet. Auch gelten modifizierte Grundsätze, wenn aufgrund der Natur einer Maßnahme ausscheidet, dass diese im Gesellschaftsinteresse liegen kann. Im Einzelnen dazu Hofmann (Fn. 31), § 3D.

Der SPE-Formwechsel nach dem schwedischen Kompromissvorschlag Peter Hommelhoff / Christoph Teichmann I. Heranführung Die Societas Europaea (SE), von Klaus Hopt Debatten-prägend als das „Flaggschiff des Europäischen Gesellschaftsrechts“ bezeichnet,1 hat in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens ansehnliche Erfolge zu verzeichnen und auch für den Mittelstand eine gewisse – wenngleich vielfach mitbestimmungsinduzierte – Attraktivität erlangt.2 Und doch ist die europäische Flotte, um das anschauliche Bild des Jubilars weiter auszuschmücken, mit einem Flaggschiff allein nicht wirklich komplett. Die große Vielzahl der kleinen und mittelgroßen Unternehmen wartet weiterhin auf eine Vielzweck-Korvette, auf eine wendige, vielseitig einsetzbare weitere supranationale Rechtsform des Gemeinschaftsrechts für den geschlossenen Gesellschafterkreis: die Societas Privata Europaea (SPE). Nicht anders als die zweite Kapitalgesellschaftsform in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird auch die SPE nach ihrem rechtspolitischen Regelungskonzept als „Allzweckmöbel“ für eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Zwecke 3 neben der SE fungieren können. Trotz dieser weiten Einsetzbarkeit wird die SPE in der Unternehmenspraxis, so steht zu erwarten, bevorzugt von jenen Gesellschaften und Konzernen (zumindest in der ersten Phase ihrer Verfügbarkeit) verwendet werden, die bereits über Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften im EU-Ausland aktiv sind.4 Das werden nicht allein größere Unternehmen und Konzerne sein, sondern in nicht geringer Zahl und vielleicht sogar primär Binnenmarkt-weit operierende Gruppen in der mittelständischen Wirtschaft.5 Denn für die Strukturie1

Hopt ZIP 1998, 96, 99. Zu den Motiven der SE-Gründung auf Basis einer empirischen Bestandsaufnahme Eidenmüller/Engert/Hornuf AG 2009, 845 ff. 3 Dazu schon Hommelhoff/Teichmann GmbHR 2008, 897, 900; Hommelhoff Der Gesellschafter (GesRZ) 2008, 337, 344. 4 Über die hierauf bezogene VDMA-Umfrage berichtet Steinberger BB-Beilage 2006, Nr. 7, S. 27, 28 f. Zum Einsatz der SPE als ausländische Tochtergesellschaft außerdem Teichmann, RIW 2010, 120 ff. 5 Dazu ausführlich Teichmann, RIW 2010, 120 ff. Nachdrücklich vorgetragen auch von Kristina Schunk für die süddeutsche Schunk GmbH & Co. KG vor dem Rechtsausschuss 2

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rung ihrer Aktivitäten in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ist der Gedanke der „Gruppen-individuellen Einheitlichkeit der Gesellschaftsstatute in Europa“, der rechtspolitisch im Zentrum des SPE-Regelungskonzepts steht,6 aus mehreren Gründen von besonderem Gewicht. Die einheitliche Rechtsform erleichtert die Gründung von Tochtergesellschaften im Ausland, weil das Verfahren in allen Mitgliedstaaten vergleichbaren Regeln folgt. Noch wichtiger: Jede Tochtergesellschaft kann, gleichgültig in welchem Mitgliedstaat sie registriert ist, mit ein und derselben individuell gruppen-spezifischen Satzung ausgestattet werden. Die damit erreichbaren Skalenvorteile haben auch erste Kommentatoren der Rechtspraxis zu dem Schluss gelangen lassen, dass europäische Konzerne künftig regelmäßig SPE-Gesellschaften als lokale Tochtergesellschaften einsetzen werden.7 Solche bereits Auslands-aktiven Unternehmen, Konzerne und Gruppen werden die Rechtsform der SPE allerdings nicht über die Gründung „ex nihilo“, also „auf der grünen Wiese“ ansteuern, sondern auf dem Weg über einen Formwechsel aus der nationalen Ausgangsform ihrer existierenden Tochtergesellschaften in die neue Zielform des Gemeinschaftsrechts. Diesen rechtspraktisch hoch bedeutsamen Formwechsel hatte der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission noch nicht im Blick. Die Verhandlungen im Europäischen Rat haben sich dieser Frage dankenswerterweise angenommen. Den dafür notwendigen Rechtsrahmen stellt nunmehr der Entwurf für eine SPE-Verordnung zur Verfügung, den die schwedische Präsidentschaft des EU-Ministerrats den Mitgliedstaaten als Kompromissvorschlag unterbreitet hat. Dies Recht des Formwechsels soll im Folgenden analysiert werden, um damit Klaus Hopt zu ehren – den großen Meister des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts. Er hat nicht nur der SE ihr Markenzeichen verliehen, sondern als Mitglied der „High Level Group of Company Law Experts“ auch wesentlich mit dazu beigetragen, das Projekt einer SPE in das Licht der europäischen Rechtspolitik zu des Europäischen Parlaments, (in englischer Sprache) abgedruckt in European Company Law [ECL] 2006, 275 f. 6 S. Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Europäische Privatgesellschaft, Kompromissvorschlag der schwedischen Präsidentschaft vom 27.11.2009, Dokument 16115/09 DRS 71 SOC 711 ADD1, abrufbar unter www. europeanprivatecompany.eu/legal_texts, Erwägungsgründe 3/5/20. 7 So die Schlussfolgerung von Brems/Cannivé Der Konzern 2008, 629, 638, in einem Beitrag, der die Eignung der SPE als Konzernbaustein untersucht. Auch Krejci Societas Privata Europaea (SPE), 2008, S. 10, Peters/Wüllrich NZG 2008, 807, 811, und Vossius EWS 2007, 438, 439, sehen in der ausländischen Konzerntochter einen wichtigen Einsatzbereich der SPE. Das betrifft nicht nur Großunternehmen, die mit der Rechtsvielfalt im Binnenmarkt ohnehin besser umgehen können. Unternehmen des exportorientierten deutschen Mittelstandes unterhalten häufig ein Dutzend oder mehr ausländische Tochtergesellschaften; vgl. dazu das Fallbeispiel bei Teichmann VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008, 2009, S. 55, 56, und ders., RIW 2010, 120 ff. Zu den mit der SPE verbundenen Praxisfragen auch Weber-Rey VGR, aaO, S. 77 ff.

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rücken.8 Da sich auch der Jubilar dem kreativen Brückenschlag von der Rechtswissenschaft zur Kautelarjurisprudenz (in seinen Worten: dem „Living law“) verpflichtet fühlt,9 liegt es nahe, den Formwechsel in die SPE auch ganz praktisch auf die Probe zu stellen. Nach Erläuterungen zur Notwendigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung des Formwechsels (unter II.), einer Analyse der Entscheidungsunterlagen (unter III.) und des Außenseiterschutzes (unter IV.) sowie einem kurzen Seitenblick auf den Formwechsel aus der SPE in eine nationale Rechtsform (unter V.) folgt daher eine Fallstudie, mit deren Hilfe beurteilt werden soll, ob das auf den ersten Blick recht schwerfällige Verfahren nicht doch – getreu dem Regelungsziel der SPE-Verordnung – auch ein KMU-geeignetes Recht des Formwechsels bietet (unter VI.).

II. Zu Notwendigkeit und Grundstruktur des SPE-Formwechsels 1. Notwendigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung Der ursprüngliche Entwurf für eine SPE-Verordnung aus der Feder der EU-Kommission10 hatte zwar in Art. 5 Abs. 1 (lit b)/Abs. 2 den Formwechsel angesprochen, wollte seine nähere Ausgestaltung jedoch den einzelnen Mitgliedstaaten in der Form eines „kleinen“ Regelungsauftrags überantworten:11 Zwar stehe es den Mitgliedstaaten frei, ob und wie sie den Formwechsel regeln wollen. Wenn sie ihn aber normierten, so gab ihnen der SPE-Verordnungsentwurf zweierlei vor: Zum ersten müssten sie ihr Recht der formwechselnden Umwandlung so erstrecken, dass es ebenfalls die SPE erfasse. Und zum zweiten sei das Umwandlungsrecht, zumindest was den Wechsel in die SPE anbelangt, so zu gestalten, dass die bestehende Gesellschaft beim Formwechsel weder aufgelöst werde, noch ihre Rechtspersönlichkeit verloren gehe oder eine Unterbrechung erleide (Art. 5 Abs. 2 S. 2 SPE-VOKE). Jenseits dieser gemeinschaftsrechtlichen Eckdaten jedoch wollte der Kommissionsentwurf alles Übrige den einzelnen Mitgliedstaaten zur je eigenen Regelung belassen – also von der Vorbereitung des Umwandlungsbeschlusses mit ihren vielfältigen Details bis hin zum Vollzug des Formwechsels in seinen Einzelheiten. Für die binnenmarktweit aktiven Unternehmen, Gruppen und Konzerne hätte dies Regelungskonzept bedeutet: Mit jeder ihrer Auslandstöchter oder -enkel hätten sie ein eigenständig ausgestaltetes Umwandlungs8 Bericht der Hochrangigen Expertengruppe zum Gesellschaftsrecht vom 4.11.2002, S. 123 ff., Aktionsplan der EU-Kommission vom 21.5.2003, S. 25 f. (abrufbar unter: http:// ec.europa.eu/internal_market/company/modern/ index_de.htm). 9 Das Hopt’sche Vertragshandbuch zum Zivil- und Wirtschaftsrecht war bei Abfassung dieses Textes bereits in 4. Aufl. für 2010 angekündigt. 10 Entwurf der Europäischen Kommission für eine Verordnung über das Statut einer Societas Privata Europaea (SPE-VOKE) vom 25.6.2008, Dokument KOM (2008) 396 (abrufbar u.a. unter www.europeanprivatecompany.eu/legal_texts). 11 Dazu schon Hommelhoff, FS Loewenheim, 2009, S. 594 ff.

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verfahren mit hohem personellen und finanziellen Aufwand durchlaufen müssen. Denn anders als Verschmelzung und Spaltung ist der Formwechsel in der Gemeinschaft nicht harmonisiert; sein Recht ist in den Mitgliedstaaten von bunter Mannigfaltigkeit geprägt.12 Es erscheint noch nicht einmal gesichert, dass der Formwechsel als Strukturmaßnahme überhaupt in allen Mitgliedstaaten bekannt ist. Die Regelungszurückhaltung des europäischen Gesetzgebers hätte daher den SPE-Grundgedanken von der gruppen- und konzernindividuellen Einheitlichkeit in Europa 13 gefährdet und überdies dem generellen Bestreben des Verordnungsvorschlags, die Gründung dieser supranationalen Rechtsform zu vereinfachen und zu beschleunigen, entgegen gestanden.14 Das Fehlen des Formwechsels erschien auch rechtssystematisch unstimmig. Denn die SE-Verordnung regelt europäisch-autonom den Formwechsel einer nationalen Aktiengesellschaft in die SE (Art. 37 SE-VO). Warum nur das Flaggschiff, nicht aber seine Begleitschiffe im Wege des Formwechsels vom Stapel sollen laufen können, ist nicht recht einzusehen. Deshalb war schon im laufenden Gesetzgebungsverfahren für die SPEVerordnung eine genuin gemeinschaftsrechtliche Regelung des Formwechsels mit dem Ziel angeregt worden, diese unternehmenspraktisch hoch bedeutsame SPE-Gründungsform EU-weit zu vereinheitlichen.15 Diesen Vorschlag hat die Arbeitsgruppe des EU-Ministerrats unter schwedischer Präsidentschaft mit der Erwägung aufgegriffen, die SPE-Gründung auf dem Wege der Umwandlung erleichtern zu wollen.16 Konsequent enthält Art. 5b des schwedischen Entwurfs (SPE-VOSE) eine elf Absätze umfassende Eigenregelung für den Formwechsel aus einer bestehenden Organisationseinheit (des nationalen oder europäischen Rechts) in die SPE – wenn auch nationales Recht, wie noch darzustellen sein wird, umfangreich und durchaus nicht unkompliziert handhabbar, zusätzlich anzuwenden ist. Diesem Regelungsvorschlag, dessen Wortlaut nachfolgend abgedruckt wird, soll im Weiteren nachgegangen werden: Art. 5b in der Fassung des schwedischen Kompromissvorschlags (SPE-VOSE):17 Gründung durch Umwandlung (0) Eine SPE kann durch Umwandlung einer juristischen Person des Rechts eines Mitgliedstaats gegründet werden. Die Mitgliedstaaten gestatten die Umwandlung einer der in Anhang II genannten Privat12

Zur ersten Einführung Hommelhoff (Fn. 11) S. 594 m.w.N. Oben bei Fn. 6. 14 S. Rat der Europäischen Union (Fn. 6) Erwägungsgrund 8. 15 S. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht NZG 2008, 897, 899 (These 18 mit eigenem Formulierungsvorschlag); Hommelhoff/Teichmann GmbHR 2008, 897, 901. 16 Rat der Europäischen Union (Fn. 6) Erwägungsgrund 7. 17 Kursive Hervorhebung zur besseren Übersichtlichkeit durch Verf. eingefügt; der Text weicht geringfügig von der teilweise fehlerhaften offiziellen deutschen Übersetzung der englischen Arbeitsfassung ab (beide abrufbar unter www.europeanprivatecompany.eu). 13

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gesellschaften mit beschränkter Haftung in eine SPE. Sie gestatten ferner die Umwandlung anderer juristischer Personen als der in Anhang II genannten Privatgesellschaften mit beschränkter Haftung in eine SPE, insoweit als ihr innerstaatliches Recht die Umwandlung einer solchen juristischen Person in eine Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung zulässt. Eine Gründung durch Umwandlung hat weder die Auflösung der umzuwandelnden juristischen Person noch den Verlust oder eine Unterbrechung ihrer Rechtspersönlichkeit zur Folge. Der Sitz einer durch Umwandlung gegründeten SPE muss sich im selben Mitgliedstaat befinden wie der Sitz der umgewandelten juristischen Person. Eine juristische Person mit gezeichnetem Stammkapital darf nur dann in eine SPE umgewandelt werden, wenn sie über Nettovermögenswerte mindestens in Höhe des gezeichneten Kapitals zuzüglich der kraft Gesetzes oder Satzung nicht ausschüttungsfähigen Rücklagen verfügt. Das Geschäftsführungsorgan der umzuwandelnden juristischen Person erstellt einen Umwandlungsplan, der zumindest Folgendes enthält: (a) Firma der umzuwandelnden juristischen Person und Anschrift ihres Sitzes, (b) für die SPE vorgesehene Firma und Anschrift des künftigen Sitzes (c) einen Vorschlag für die Satzung der SPE, (d) den vorgeschlagenen Zeitplan für die Umwandlung, (e) die voraussichtlichen Folgen der Umwandlung für die Arbeitnehmer und diesbezüglich vorgeschlagene Maßnahmen, (f) die zum Schutz der Gesellschafter und Gläubiger vorgesehenen Rechte. Das Geschäftsführungsorgan der umzuwandelnden juristischen Person erstellt einen Bericht, in dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der vorgeschlagenen Umwandlung erläutert und begründet und die Auswirkungen auf die Gesellschafter, die Gläubiger und die Arbeitnehmer dargelegt werden. Der Bericht wird den Gesellschaftern und den Arbeitnehmervertretern oder – in Ermangelung solcher Vertreter – den Arbeitnehmern selbst zusammen mit dem Umwandlungsvorschlag vorgelegt. Der Bericht wird gleichzeitig den Gläubigern zur Verfügung gestellt. Geht dem Geschäftsführungsorgan binnen 21 Kalendertagen nach der Vorlage des Berichts nach Absatz 5 eine Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter zu der Umwandlung zu, wird diese dem Bericht beigefügt.

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(7) Mindestens einen Monat bevor der Beschluss nach Absatz 8 gefasst wird, hat das Geschäftsführungsorgan der umzuwandelnden juristischen Person (a) den Bericht jedem Gesellschafter und jedem Arbeitnehmervertreter oder – in Ermangelung solcher Vertreter – den Arbeitnehmern der juristischen Person zur Prüfung vorzulegen und den Gläubigern zuzuleiten, (b) den Umwandlungsplan bekannt zu machen. (8) Der Umwandlungsplan wird den Gesellschaftern zur Zustimmung vorgelegt. Der Beschluss über die Umwandlung einer in Anhang II genannten Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung in eine SPE muss mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der gesamten Stimmrechte der umzuwandelnden Gesellschaft gefasst werden. Die Mitgliedstaaten können eine höhere Schwelle für die Mehrheit festlegen. Bei Umwandlung einer anderen juristischen Person gilt das für deren Umwandlung in eine in Anhang II genannte Gesellschaft anwendbare einzelstaatliche Recht. (9) Der Schutz der Minderheitsgesellschafter, die die Umwandlung ablehnen, sowie ein etwaiger zusätzlicher Schutz der Gläubiger der sich umwandelnden juristischen Person regelt sich nach dem für diese maßgebenden einzelstaatlichen Recht. Sieht das betreffende einzelstaatliche Recht nichts Entsprechendes vor, können die Mitgliedstaaten Vorschriften zum Schutz der betroffenen Minderheitsgesellschafter und/oder Gläubiger erlassen. (10) Die zum Zeitpunkt der Eintragung der SPE aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten sowie aufgrund individueller Arbeitsverträge oder Arbeitsverhältnisse bestehenden Rechte und Pflichten der umzuwandelnden Gesellschaft hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen gehen auf die SPE über. (11) Die SPE wird gemäß Artikel 9, Artikel 10 Absätze 1 und 4 und Artikel 11 eingetragen. (12) Etwaige Beschränkungen nach einzelstaatlichem Recht in Bezug auf die Umwandlung einer juristischen Person in eine in Anhang II genannte Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung gelten auch für die SPE.“ 2. Grundstruktur des Formwechsels in die SPE Mit dem Formwechsel nach Art. 5b SPE-VOSE nimmt eine Gesellschaft nationalen Rechts die Rechtsform der Societas Privata Europaea (SPE) an. Eine Sitzverlegung darf mit dem Formwechsel nicht verbunden werden.18 18

Art. 5b Abs. 2 SPE-VOSE.

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Eine vergleichbare Regelung findet sich in der SE-Verordnung (Art. 37 Abs. 3 SE-VO). Sie trägt den Sorgen der Mitgliedstaaten Rechnung, mit dem Formwechsel in die europäische Rechtsform könnten zwingende nationale Schutzvorschriften, die an den Registersitz anknüpfen, umgangen werden; zu denken ist hier aus deutscher Sicht vor allem an die unternehmerische Mitbestimmung.19 Bleibt somit dasselbe Register zuständig, ist der Formwechsel letztlich verfahrensrechtlich wenig mehr als eine Änderung des Registereintrags, beispielsweise von einer „Schulze GmbH“ mit Sitz in Hamburg in eine „Schulze SPE“. Art. 5b Abs. 2 SPE-VOSE ordnet ausdrücklich an, dass der Formwechsel weder die Auflösung der Gesellschaft noch den Verlust oder eine Unterbrechung ihrer Rechtspersönlichkeit zur Folge hat. Materiell-rechtlich ändert sich allerdings das anwendbare Gesellschaftsrecht. Denn die SPE ist nicht mehr dem deutschen GmbH-Gesetz unterstellt, sondern der europäischen SPE-Verordnung. Da die SPE-Verordnung konzeptionell auf eine weitgehend vollständige Regelung des Gesellschaftsrechts hin angelegt ist,20 kann dies im Einzelfall durchaus spürbare Folgen für die Rechtsstellung der Gesellschafter, Gläubiger oder Arbeitnehmer haben, soweit diese im unmittelbaren oder mittelbaren Schutzbereich gesellschaftsrechtlicher Regelungen liegen. In Anlehnung an bisher bereits im Gemeinschaftsrecht geregelte Strukturmaßnahmen sieht der schwedische Entwurf folgendes Verfahren vor: Das Geschäftsführungsorgan der Gesellschaft erstellt einen Umwandlungsplan, der die wichtigsten Angaben zum Formwechsel enthält. Er wird ergänzt durch einen Umwandlungsbericht über die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte des Formwechsels. Diesem wird eine eventuelle Stellungnahme der Arbeitnehmer beigefügt. Danach beschließen die Gesellschafter über den Formwechsel. Der Formwechsel wird schließlich vom zuständigen Register eingetragen und ist damit wirksam.

19 Vgl. Casper in Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, 2007, Art. 37 SE-VO, Rn. 6; Schäfer MünchKomm. AktG, 2006, Art. 37 SE-VO, Rn. 3; Seibt in Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), SE-Kommentar, 2008, Art. 37, Rn. 4. 20 Zu dieser Grundkonzeption Hommelhoff/Teichmann DStR 2008, 925, 929 ff. sowie dies. GmbHR 2008, 897, 898 f.; als problematisch erweist sich die Frage, inwieweit Lücken in der Satzungsgestaltung geschlossen werden können (siehe dazu nur Hadding/Kießling WM 2009, 145, 152 f. und Hügel ZHR 173 [2009] 309, 334 ff.). Die statt dessen von Kritikern geforderte Ergänzung des SPE-VOE um dispositives Recht wird es jedoch aus rechtspolitischen Gründen nicht geben (dazu bereits Hommelhoff/Teichmann DStR 2008, 925, 930). Statt dessen reagiert der aktuelle Art. 4 SPE-VOSE auf die Kritik am Konzept des Vollstatuts mit einer bedenklichen Durchlöcherung des Rechtstextes, indem nun für alle nicht oder nur teilweise in der Verordnung geregelten Bereiche auf das nationale Recht verwiesen wird.

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III. Die Entscheidungsunterlagen im Einzelnen Art. 5b SPE-VOSE fügt sich nahtlos in das bereits bestehende europäische System der Strukturmaßnahmen ein,21 dessen zentraler Baustein eine angemessene Information der Anteilseigner ist. Die europäisch angeglichenen Strukturmaßnahmen der innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verschmelzungen fußen daher ebenso wie die Gründungsformen der SE-Verordnung auf einem ausgefeilten Informationssystem. Nach dem Grundkonzept des europäischen Gesellschaftsrechts sollen die Anteilsinhaber, wenn und soweit sie zur Entscheidung aufgerufen sind, vorab wohl informiert, sich ein eigenes Bild vom Entscheidungsgegenstand machen können, um sodann verantwortlich zu votieren. Dementsprechend auferlegt auch der SPE-Verordnungsentwurf der Geschäftsleitung die Informationsinitiative gegenüber den Anteilseignern. Materialisiert wird die Informationsinitiative der Geschäftsleitung in drei Instrumenten: im Umwandlungsplan, in der für die SPE vorgesehenen Satzung sowie im Umwandlungsbericht. Parallele Bestimmungen hierzu finden sich seit längerem schon im (transformierten) deutschen Umwandlungsrecht; dennoch weist der SPE-Verordnungsvorschlag an manchen Stellen markante Abweichungen auf. 1. Der Umwandlungsplan a) Informationsfunktion Über den Formwechsel in die SPE entscheiden die Anteilsinhaber der (nationalen oder gemeinschaftsrechtlichen) Ausgangsform durch Annahme des Umwandlungsplans (Art. 5b Abs. 4/8 SPE-VOSE). Für ihn gibt die Verordnung einen bestimmten Mindestinhalt verbindlich vor und strukturiert auf diese Weise nicht allein die Entscheidung der Anteilsinhaber, sondern sorgt zugleich für deren angemessene Information. Der Umwandlungsplan fungiert mithin auch als Informationsinstrument; das tritt namentlich für die Arbeitnehmer als Informationsadressaten überdeutlich zutage. Denn in den Umwandlungsplan sind die Auswirkungen des Formwechsels auf sie aufzunehmen sowie die vorgesehenen Maßnahmen, welche die Arbeitnehmer betreffen (Art. 5b Abs. 4 lit e SPE-VOSE). Ihren Repräsentanten (ersatzweise ihnen selbst) ist der Umwandlungsplan ebenso wie den Anteilsinhabern mindestens einen Monat vor deren Entscheid zu übermitteln (Art. 5b Abs. 7 lit a SPE-VOSE). Den Gläubigern ist der Plan lediglich zugänglich zu machen; im Übrigen liegt die Informationsinitiative bei ihnen. Gleichzeitig ist der Um21 Zu diesem schon Hommelhoff/Riesenhuber in Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 259 ff.

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wandlungsplan zu veröffentlichen (Art. 5b Abs. 7 lit b SPE-VOSE). In alledem kommt die Informationsfunktion des Umwandlungsplans (noch vor seiner Funktion als Entscheidungsgrundlage der Anteilsinhaber) sinnfällig zum Ausdruck. Allerdings fehlen unter den Pflichtangaben zum SPE-Umwandlungsplan (in bemerkenswertem Unterschied zum deutschen Recht in § 194 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 UmwG) alle Vorgaben zu den Mitgliedschaftsrechten der Anteilsinhaber in der neuen Rechtsform des Gemeinschaftsrechts. Insoweit verzichtet dieses offenbar nicht allein darauf, die Entscheidung der Anteilsinhaber inhaltlich vorzustrukturieren, sondern überdies auf entsprechende Vorabinformationen. Beides scheint der Verordnungsentwurf in die Hände der Geschäftsleitung legen zu wollen, wenn er den Katalog der Bestandteile, aus denen sich der Umwandlungsplan zusammensetzen soll, lediglich als Mindestkatalog beschreibt (Art. 5b Abs. 4 vor lit a SPE-VOSE). So aber ist es nicht; denn zu den Mitgliedschaftsrechten in der SPE und zu ihrer Ausgestaltung hat sich die SPE-Satzung zu äußern (Art. 8 Abs. 1 lit g ff./Annex I Nr. 8 ff SPE-VOSE); sie ist integraler Bestandteil des Umwandlungsplans. Folgerichtig verzichtet der SPE-Verordnungsentwurf keineswegs darauf, den Anteilsinhaber-Entscheid zu den SPE-Mitgliedschaftsrechten (nicht anders als das deutsche Recht) vorzustrukturieren. Andererseits nimmt der Entwurf im Vergleich zum deutschen Recht den demonstrativen Hinweis auf die neuen Mitgliedschaftsrechte (wohl ohne Substanzverlust) ein gutes Stück zurück. b) Einbeziehung der Arbeitnehmer aa) Grundidee und europäische Vorbilder Bemerkenswert ist die explizite Einbeziehung der Gläubiger und Arbeitnehmer in das Informationssystem (Art. 5b Abs. 5 SPE-VOSE); war der deutsche Gesetzgeber doch seinerzeit heftig gescholten worden, als er in den Verschmelzungsvertrag über die Vorgaben der europäischen Verschmelzungsrichtlinie hinaus auch eine Information über die „Folgen der Verschmelzung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen“ aufgenommen hatte (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG).22 In der Zwischenzeit hatten vergleichbare Regelungen aber auch in die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung (vgl. § 122e UmwG) und in die Übernahmerichtlinie (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 WpÜG) Eingang gefunden. Der Befund von Lutter/Drygala, die Informa22 Vgl. Lutter/Drygala in Lutter/Winter (Hrsg.), UmwG, 4. Aufl., 2009, § 5, Rn. 55a: Die Norm habe bei ihrer Einführung „befremdlich“ gewirkt und sei nicht durch europäische Vorgaben veranlasst gewesen. Ebenso regelt § 194 Abs. 1 Nr. 7 UmwG den Inhalt des Umwandlungsbeschlusses für den Formwechsel, der allerdings bislang nicht auf europäischer Rechtsgrundlage beruht und auch in der UmwG-Novelle 2010 (vgl. RefE für Drittes Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, www.bmj.bund.de; dazu Neye/Jäckel, AG 2010, 237 ff.) nicht verändert werden wird.

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tion der Arbeitnehmer über wichtige Eckdaten einer Unternehmenstransaktion sei dabei, sich zum national und europäisch üblichen Standard zu entwickeln,23 findet in Art. 5b Abs. 5 SPE-VOSE seine Bestätigung: Getreu dem sog. Stakeholder-Ansatz 24 sind bei einer Strukturmaßnahme nicht nur die Interessen der Anteilseigner, sondern auch diejenigen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Bis in den Wortlaut hinein stimmen Gemeinschafts- und deutsches Recht in der Information der Arbeitnehmer überein (Art. 5b Abs. 4 lit e SPE-VOSE/ § 194 Abs. 1 Ziff. 7 UmwG). Der Verordnungsentwurf will den Arbeitnehmer-Repräsentanten (oder diesen selbst) die Möglichkeit eröffnen, die Auswirkungen des Formwechsels auf die Arbeitnehmer und die insoweit vorgesehenen Maßnahmen zu überprüfen (Art. 5b Abs. 7 lit a SPE-VOSE). Damit schlägt der Entwurf die Brücke vom Umwandlungsplan hinüber zum Umwandlungsbericht (Art. 5b Abs. 5 SPE-VOSE); denn falls die ArbeitnehmerRepräsentanten sich zum geplanten Formwechsel nach Überprüfung äußern, ist ihre Stellungnahme dem Umwandlungsbericht beizufügen (Art. 5b Abs. 6 SPE-VOSE). Freilich sind die gesetzlich vorgesehenen Informations- und Äußerungszeiträume so eng bemessen, dass eine ruhige und sorgfältige Prüfung durch die Arbeitnehmer-Repräsentanten eher ausgeschlossen erscheint. Wenngleich die Information der Arbeitnehmer mittlerweile zum sekundärrechtlichen Standard gehört, geht der SPE-VOSE doch wiederum einen Schritt weiter, indem er in das gesellschaftsrechtliche Strukturverfahren die Möglichkeit einer eigenen Stellungnahme der Arbeitnehmer einbaut. Das Gemeinschaftsrecht kennt an anderer Stelle derartige Informations- und Anhörungsrechte der Arbeitnehmer, insbesondere in der Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat.25 Man sollte sich aus Sicht der Unternehmensleitung nicht der Illusion hingeben, es handele sich hier um einen zahnlosen Tiger. Französische Gerichte haben unlängst die Verschmelzung von Gaz de France und Société Suez vorübergehend gestoppt, weil der Europäische Betriebsrat von Gaz de France nicht genügend Zeit hatte, zu den Einzelheiten der Verschmelzung Stellung zu nehmen.26 Ebenso wie beim Europäischen Betriebsrat wird man auch beim Formwechsel in die SPE den Informationsund Anhörungsrechten (Art. 5b Absätze 5 und 6 SPE-VOSE) implizit die Verpflichtung der Unternehmensleitung zu entnehmen haben, den dergestalt informierten Arbeitnehmern auch genügend Zeit zur Prüfung der Informa-

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Lutter/Drygala in Lutter/Winter (Hrsg.), UmwG, 4. Aufl., 2009, § 5, Rn. 55a. Zu ihm etwa Fleischer in Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, 2007, § 76, Rn. 29. 25 Richtlinie 2009/38/EG vom 6.5.2009, Abl. EU Nr. L 122/28, 16.5.2009. 26 Einstweilige Verfügung des Tribunal de Grande Instance von Paris, aufrechterhalten von der Cour d’Appel von Paris, Revision zurückgewiesen durch Entscheidung der Chambre Sociale der Cour de Cassation vom 16.1.2008 (vgl. dazu die Anmerkung von Seifert EuZA 2009, 557 ff.). 24

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tionen zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu gewähren, Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Zwar setzt Art. 5b Abs. 6 SPE-VOSE dafür eine Frist von nur 21 Tagen, die mit Vorlage des nach Art. 5b Abs. 5 SPE-VOSE zu erstellenden Umwandlungsberichts beginnt. Allerdings wird ein inhaltlich unzureichender Bericht den Fristlauf wohl nicht auslösen können. Der Information über die Folgen des Formwechsels für die Arbeitnehmer ist daher größte Sorgfalt zu widmen. Diesen Einbruch im Betriebsverfassungsrecht ausgeprägter Prinzipien in das Gesellschaftsrecht wird man zu gewärtigen haben, falls es auch in der Endfassung der SPE-Verordnung bei der Einbeziehung der Arbeitnehmer in das gesellschaftsrechtliche Strukturverfahren des Formwechsels bleibt. bb) Inhaltliche Anforderungen Welche inhaltliche Anforderungen an die Arbeitnehmer-Informationen im Umwandlungsplan zu stellen sind, lässt sich dem Wortlaut des Verordnungsentwurfs nicht entnehmen. Konsequent bestimmt sich der Berichtsinhalt insofern wesentlich nach dem Sinn und Zweck, den die SPE-Verordnung mit der Information der Arbeitnehmer bzw. ihrer Repräsentanten verfolgt. Zwar liegt ein Rückgriff auf das deutsche Umwandlungsrecht nahe, weil sich der Verordnungstext in seinem Wortlaut offenbar an der entsprechenden Regelung in § 194 Abs. 1 Nr. 7 UmwG orientiert hat. Dem steht jedoch das Gebot entgegen, Gemeinschaftsrecht allein auf der Ebene des europäischen Rechts auszulegen, also ohne Rückgriff auf nationales Recht.27 Im Kontext der SPE-Verordnung sollen die Arbeitnehmer-Informationen nach Art. 5b Abs. 4 lit e ihre Repräsentanten bzw. sie selbst in die Lage versetzen, die Auswirkungen des geplanten Formwechsels auf sie, ihre Position im Unternehmen und auf ihre Belange zu prüfen: Hat der Formwechsel insoweit Änderungen zur Folge, inwieweit sind diese nachteilig und werden diese durch anderweite Vorteile aufgehoben? Dies zu eruieren, auferlegt der Verordnungsentwurf nicht allein der Arbeitnehmerseite als Obliegenheit; vielmehr liegt die Informationsinitiative zunächst bei der Geschäftsleitung der Ausgangsgesellschaft als Verpflichtung gegenüber der Belegschaft. Aufgabe der Geschäftsleitung ist es allerdings nicht, diese Informationen über die Auswirkungen und über die entsprechenden ins Auge gefassten Maßnahmen vom Standpunkt der Arbeitnehmer her zu bewerten; das bleibt die selbstverständliche, weil unverzichtbar eigene Aufgabe der Arbeitnehmer-Repräsentanten bzw. der Arbeitnehmer selbst. Indes – in der Prüfung der Auswirkungen und der weiteren Maßnahmen erschöpft sich die Zielsetzung der Arbeitnehmer-Informationen nicht. Letz27 Zur europäisch-autonomen Interpretation des Gemeinschaftsrechts s. nur Kokott in Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 314, Rn. 4.

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ten Endes zielt sie auf die Möglichkeit ab, den Umwandlungsbericht nach Art. 5b Abs. 5 SPE-VOSE um eine Stellungnahme der Arbeitnehmer-Repräsentanten zum Formwechsel zu ergänzen (Art. 5b Abs. 6). Damit werden vor allem die Unterlagen der zur Entscheidung aufgerufenen Gesellschafter (Art. 5b Abs. 8 SPE-VOSE) angereichert und auch die der Gläubiger (Art. 5b Abs. 7 lit a): Sie sollen wissen, ob bei der Durchführung des Formwechsels oder in seinem Gefolge bei seiner Umsetzung mit Schwierigkeiten auf Seiten der Arbeitnehmer zu rechnen ist, um daraus ggf. ihre Schlüsse zu ziehen. So könnten die Gesellschafter, beeindruckt vom Gewicht der ArbeitnehmerArgumente, von einem Umwandlungs-Entscheid einstweilen absehen und die Geschäftsleitung auffordern, den Bedenken der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen oder sie auf anderen Wegen aus der Welt zu schaffen. Das im Verordnungsentwurf angelegte System zum Schutze der Arbeitnehmer-Belange beim Formwechsel ist mithin ganz auf außerrechtliche Mechanismen hin angelegt; Vetopositionen eröffnet dies System den Arbeitnehmern nicht, wie es auch den Gerichten keine Möglichkeit gewährt, in den Umwandlungsbeschluss der Gesellschafter inhaltlich einzugreifen. Die Arbeitnehmer und ihre Repräsentanten müssen mit der Kraft ihrer Argumente überzeugen. Oder anders formuliert: Dies System ist auf Information und ansatzweise auch auf Konsultation hin angelegt, nicht aber auf Mitentscheidung. Diese Interpretation der Arbeitnehmer-Informationsrechte deckt sich mit der oben aufgezeigten systematischen Parallele zum Europäischen Betriebsrat. Arbeitnehmer müssen in Kenntnis der Sachlage die Möglichkeit haben, ihre Stimme zu erheben und Entscheidungen zu beeinflussen. Ein echtes Mitentscheidungsrecht im Sinne einer Vetoposition haben sie deshalb nicht. Ihre Mitwirkung ist rein prozeduraler Natur. Inhaltlich müssen die Arbeitnehmer-Informationen daher mit der Möglichkeit verbunden werden, die Gesellschafter im Entscheidungsprozess zur Umwandlung von der Arbeitnehmer-Sicht der Dinge zu überzeugen, also von ihrer Sicht der Probleme, ihrer Würdigung und gegebenenfalls vom Vorschlag der Arbeitnehmer zur Problemlösung. Für diesen Überzeugungsprozess hat die Geschäftsleitung der Arbeitnehmer-Seite die ersten und grundlegenden Informationen zu liefern. Die möglichen Probleme sollen frühzeitig erkannt und möglichst gelöst werden, um nach der Umwandlung die neue Rechtsform der SPE nicht mit Problemen der Arbeitnehmer zu belasten. Deshalb müssen die Auswirkungen des Formwechsels auf die Arbeitnehmer und die insoweit vorgesehenen Maßnahmen so umfassend und konkret Unternehmens- bzw. Gruppen-individuell im Umwandlungsplan beschrieben werden, dass die möglichen Probleme für die Arbeitnehmer deutlich erkennbar werden. Die Geschäftsleitung muss sich in die Lage der Arbeitnehmer versetzen. Zu Art. 5b Abs. 4 lit c SPE-VOSE werden dem weder zu abstrakt gehaltene Darlegungen gerecht, welche die möglichen Probleme verdecken, noch gar allgemeine Leerformeln ohne Bezug zum konkreten Unter-

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nehmen oder Konzern. Andererseits brauchen jedoch keine Probleme künstlich herbeigeredet zu werden, wo keine zu erwarten sind. Typischerweise wird der bloße Formwechsel, wenn mit ihm weder eine Sitzverlegung noch eine Änderung des Unternehmensgegenstandes verbunden ist, keine nennenswerten Auswirkungen auf die Arbeitnehmer haben. Insoweit darf, auch wenn europäisches Recht autonom auszulegen ist, rechtspraktisch auf die Erfahrungen nach § 194 Abs. 1 Nr. 7 UmwG zurückgegriffen werden.28 Dort liegen Probleme allenfalls im Bereich der unternehmerischen Mitbestimmung, wenn der Rechtsformwechsel das gesetzliche Mitbestimmungsstatut ändert.29 Im Übrigen hat der Formwechsel für die Arbeitnehmer wegen der Identität des Rechtsträgers unmittelbar keine Auswirkungen: Die Arbeitsverträge setzen sich fort; auch im rechtsformneutral ausgestalteten Betriebsverfassungsrecht ergeben sich keine Veränderungen.30 Über mögliche mittelbare Folgen (etwa Umstrukturierungen in der Unternehmensgruppe) muss nicht berichtet werden; 31 sie beruhen nicht auf dem Formwechsel, sondern auf nachfolgenden unternehmerischen Entscheidungen, für welche die allgemeinen Informations- und Anhörungsrechte gelten. Diese Überlegungen sind auf die SPE übertragbar, denn sie finden ihren Niederschlag in Text und Konzeption der SPE-Verordnung: Die individuellen Arbeitsvertragsbedingungen gehen unverändert auf die SPE über; das ordnet Art. 5b Abs. 10 SPE-VOSE ausdrücklich an. Betriebsverfassungsrechtlich ergeben sich keine Änderungen, weil dieses Rechtsgebiet nicht Gegenstand der SPE-Verordnung ist.32 Es gilt also das nationale Recht, das in Deutschland an die Organisationseinheit des Betriebes anknüpft, die sich durch den (gesellschaftsrechtlichen) Formwechsel nicht ändert. Sollte die Gesellschaft mitbestimmt sein, ändert sich auch in diesem Bereich nichts. Für die unternehmerische Mitbestimmung gilt das Recht des Staates, in dem die SPE ihren Registersitz hat.33 Da dieser anlässlich des Formwechsels nicht verlegt werden darf, bleibt auch eine eventuell bestehende Mitbestimmung im Aufsichtsrat unverändert bestehen. Die Information der Arbeitnehmer 28 Vgl. Decher in Lutter/Winter (Hrsg.), UmwG, 4. Aufl., 2009, § 194, Rn. 24 ff., Willemsen in Kallmeyer (Hrsg.), UmwG, 3. Aufl., 2006, § 194, Rn. 58. 29 Etwa beim Wechsel von der AG oder GmbH in die Personengesellschaft (Decher o. Fn. 28, § 194, Rn. 26; Willemsen o. Fn. 28, § 194, Rn. 58); zum Spezialproblem der möglichen Diskontinuität von Aufsichtsratsmandaten s. Decher aaO § 203, Rn. 5 ff. sowie Willemsen o. Fn. 28, vor § 322, Rn. 13. 30 Decher o. Fn. 28, § 194, Rn. 25; Willemsen o. Fn. 28, § 194, Rn. 58 und vor § 322, Rn. 10 ff. 31 Decher o. Fn. 28, § 194, Rn. 28. 32 Vgl. Art. 4 SPE-VOSE. Auch das Arbeitsvertragsrecht ist nationales Recht; die Regelung in Art. 5b Abs. 10 SPE-VOSE ist insoweit überflüssig und rein deklaratorischer Natur. 33 Art. 35 SPE-VOSE. Allerdings befindet sich die Diskussion über die Mitbestimmungsregelung noch im Fluss (zuletzt Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 340 ff.). Umfassend bereits Hommelhoff/Krause/Teichmann GmbHR 2008, 1193 ff.

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wird sich daher in vielen Fällen auf die Negativerklärung beschränken können, dass sich aus dem Formwechsel keine Auswirkungen für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen ergeben.34 cc) Sanktionen unzureichender Information und Anhörung Die Informationspflicht gegenüber der Arbeitnehmer-Seite ist bloß schwach sanktioniert. Ihre inhaltliche Ausfüllung zu überprüfen, ist nicht Aufgabe der öffentlichen Stellen innerhalb des Verfahrens der Umwandlung und ihrer Registrierung; die öffentlichen Stellen prüfen allein formal das Vorliegen der Arbeitnehmer-Informationen.35 Der prozeduralen Natur ihrer Rechtsposition entsprechend könnten Arbeitnehmervertretungen allenfalls geltend machen, überhaupt nicht informiert worden zu sein oder eine – gemessen an der recht kurzen Frist von 21 Tagen – inhaltlich unzureichende Information erhalten zu haben. Das Registergericht könnte dieses Problem durch eine Zwischenverfügung lösen, die der Geschäftsleitung auferlegt, den Arbeitnehmern innerhalb einer bestimmten Frist die erforderliche Information nachzuliefern.36 Sollte hingegen der Umwandlungsplan nach Ansicht der Arbeitnehmer inhaltlichen Anlass zu Kritik bieten, müssen sie sich selbst wehren und dies in ihrer Stellungnahme nach Art. 5b Abs. 6 SPE-VOSE rügen. Die Geschäftsleitung und alsdann die zur Beschlussfassung aufgerufenen Gesellschafter entscheiden, ob sie diese Anregungen aufgreifen, und sind andernfalls hinreichend gewarnt, dass es nach dem Formwechsel zu störenden Folgeproblemen bei den Arbeitnehmern kommen kann. dd) Mitbestimmungsverhandlungen Von der informatorischen Einbeziehung in das Verfahren des Formwechsels zu trennen ist die Notwendigkeit, unter bestimmten Voraussetzungen ein eigenes Verhandlungsverfahren über unternehmerische Mitbestimmung zu durchlaufen. Soll eine SE gegründet werden, muss in jedem Fall verhandelt werden (siehe nur Art. 12 Abs. 2 SE-VO: vor Abschluss des Verhandlungsverfahrens wird die SE nicht eingetragen).37 Für die SPE wäre ein solches Verfahren völlig überdimensioniert, zielt sie doch typischerweise auf Unternehmen, die – jedenfalls in Deutschland – weit unterhalb der mitbestimmungsrelevanten Schwellen liegen.38 Andererseits sollte sich die SPE als 34

Formulierungsbeispiele bei Decher o. Fn. 28, § 194, Rn. 29 f. Allerdings erwähnt Art. 9 Abs. 2 lit. m SPE-VOSE die Arbeitnehmer nicht als Schutzadressaten, sondern allein die Minderheitsgesellschafter und Gläubiger: ein Redaktionsversehen? 36 Vgl. dazu das oben (Fn. 26) erwähnte Verfahren in Sachen Gaz de France. 37 Die nähere Ausgestaltung des Verhandlungsverfahrens findet sich im SE-Beteiligungsgesetz. 38 Dazu im Einzelnen Hommelhoff/Krause/Teichmann GmbHR 2008, 1193 ff. 35

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europäische Rechtsform, sofern sie mitbestimmungsrelevante Dimensionen erreicht, auch ein europäisch-autonomes Mitbestimmungsstatut zulegen können, wie es derzeit nur die europäische Verhandlungslösung ermöglicht. Rechtspolitisch zu entscheiden ist dann die Frage, bei welchem Schwellenwert der Einstieg in die Verhandlungen vorzunehmen ist. Die Schwelle zum Großunternehmen markiert das Bilanzrecht bei 250 Arbeitnehmern,39 das Europäische Parlament hat eine Schwelle von 500 Arbeitnehmern vorgeschlagen,40 bei dieser Zahl setzt auch der schwedische Entwurf an.41 Wie dem auch sei – für die weit überwiegende Zahl der SPE-Gründungen wird keiner der aktuell diskutierten Schwellenwerte erreicht werden, so dass die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern als eher untypische Variante des Formwechsels im weiteren Verlauf ausgeklammert bleiben sollen. 2. Die Satzung innerhalb des Umwandlungsplans Nach Art. 5b Abs. 4 lit c SPE-VOSE hat der Umwandlungsplan auch einen Vorschlag für die SPE-Satzung zu enthalten – und zwar unabhängig von der jeweiligen Ausgangsrechtsform in jedem Fall, also auch dann, wenn eine Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung nach Anhang II zur SPEVerordnung (in Deutschland also eine GmbH) in die Form der SPE überführt werden soll. Für diesen Fall könnte man sich im Interesse eines beschleunigten Umwandlungsverfahrens und zur Kostensenkung eine Übernahme der bisherigen Satzung auf die neue Rechtsform vorstellen; jene müsste dann lediglich hier und da terminologisch angepasst werden. Aber diese Lösung hat der europäische Gesetzgeber aus guten Gründen nicht gewählt; vielmehr zwingt er die Gesellschafter richtig, sich mit den Rechtsgrundlagen ihrer Gesellschaft und deren Gestaltung radikal zu befassen. Denn mit den statutarischen Regelungsoptionen nach Anhang I zur SPEVerordnung und deren Ausnutzung 42 entscheiden die Gesellschafter nicht allein über die Anwendung von Gemeinschaftsrecht oder mitgliedstaatlichem Recht auf den einzelnen Regelungsbereich (arg. Art. 8 Abs. 1a SPEVOSE); darüber hinaus führt ein Regelungsverzicht der Gesellschafter zu 39

So der Vorschlag bei Hommelhoff/Krause/Teichmann GmbHR 2008, 1193, 1198. Entschließung vom 10. März 2009 (abrufbar unter www.europeanprivatecompany. eu/legal_texts), Abänderung Nr. 71 zu Art. 34 des Verordnungsvorschlags der Europäischen Kommission. 41 Art. 35 Abs. 1a SPE-VOSE. 42 Zum Instrument der Regelungsaufträge im Kontext der Rechtsquellen für die SPE: Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht NZG 2008, 897, 898 (Thesen 10–15); Bücker ZHR 173 (2009) 281, 285 ff.; Hadding/Kießling WM 2009, 145, 153; Hommelhoff/Teichmann GmbHR 2008, 897, 898. – Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ist die Unterscheidung zwischen (obligatorischen) Regelungsaufträgen (Art. 8 Abs. 1 SPE-VOSE) und (fakultativen) Regelungsoptionen (Art. 8 Abs. 1a/Anhang I) stärker herausgearbeitet worden. 40

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einem der in Anhang I aufgelisteten Punkte dazu, dass die Satzungslücke dann durch das nationale Recht des SPE-Sitzstaates aufgefüllt wird (Artt. 8 Abs. 1a/4 Abs. 2b SPE-VOSE). So kommt für eine in Deutschland zu registrierende SPE für die Beschlussfassung der Gesellschafter § 47 GmbHG zum Zuge, falls sie nicht von der Regelungsoption nach Anhang I Nr. 9 Gebrauch machen. Zu alledem ist sorgfältiger Abgleich der einzelnen Regelungen auf den unterschiedlichen Regelungsebenen des europäischen und des nationalen Rechts mitsamt den Satzungsbestimmungen geboten. Dem würde eine bloße Retusche der Altsatzung aus der Ausgangsform nicht gerecht. Einen wirklichen Regelungsauftrag (und nicht bloß eine Regelungsoption) erteilt die SPE-Verordnung den satzungsgebenden Gesellschaftern in Art. 8 Abs. 1 lit g zur Anzahl der von jedem Gründungsgesellschafter gezeichneten Geschäftsanteile und zu deren Ausgestaltung (lit ea). Im Zusammenhang mit dem Formwechsel wird man diese Vorgaben dahin zu lesen haben, dass in die SPE-Satzung die künftigen SPE-Anteilsinhaber mitsamt ihren Anteilen nach Zahl, Art, Umfang und deren Ausstattung aufzunehmen sind. Anders als nach der Regelung im deutschen Recht (§ 194 Abs. 1 Nr. 3–5 UmwG) erfahren die Gesellschafter ihre Rechtsposition in der neuen Gesellschaftsform somit nicht aus dem Umwandlungsplan, sondern nur mittelbar aus der SPESatzung. Das nimmt dieser für die Gesellschafter zentral bedeutsamen Information das Demonstrative. Ob der europäische Gesetzgeber klug daran tut, sollte er wohl noch einmal erwägen. Aber unabhängig hiervon stellt sich für den SPE-Satzungsgeber die Aufgabe, sorgfältig Satzungsbestimmung für Satzungsbestimmung zu erwägen, ob und (im Kontext der Regelungsoptionen nach Anhang I zur SPE-Verordnung) in welcher Weise Bestimmungen aus der Altsatzung in die der SPE übernommen werden sollen. Besonders sorgfältig sind dabei jene Regelungsbereiche zu prüfen, die in der Altsatzung ungeregelt geblieben sind, so dass ergänzend nationales Gesetzesrecht zum Zuge kommt: Soll das in der SPE unverändert fortgeführt werden? Oder ist es im Interesse Binnenmarkt-weit einheitlich ausgestalteter Tochter- und Enkelsatzungen im Konzern oder in der Gruppe 43 geboten, durch eine nach Art. 8 Abs. 1a SPE-VOSE abgesicherte Regelung in der SPE-Satzung dafür zu sorgen, dass nicht unterschiedlich ausgestaltete Nationalrechte in den einzelnen Gliedern die Führung des Konzerns/der Gruppe übermäßig erschweren? Diese Detailarbeit an der SPE-Satzung wird von den Angehörigen des Unternehmens oder der Gruppenspitze in aller Regel nicht aus eigener Sachkunde und Erfahrung Erfolg-versprechend geleistet werden können. Hierfür bedarf es externen Rats, in Deutschland vorzüglich des der Notare.44 Ihre 43

Oben bei Fn. 7. Zu ihrer Funktion in diesem Zusammenhang schon Hommelhoff FS K. Schmidt, 2009, S. 675 ff.; ders. Der Gesellschafter (GesRZ) 2008, 337, 344. 44

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Funktion nimmt Art. 9 Abs. 4 SPE-VOSE nun auf. Zugegeben – das verteuert auch die SPE-Gründung durch Formwechsel. Andererseits ist die ohnehin nötige individuell zugeschnitten fachkundige Satzungsgestaltung in Form der notariellen, gebührengedeckelten Beratung noch vergleichsweise günstig zu haben. Auch relativiert sich der finanzielle Aufwand schnell, wenn für Gesellschaften in mehreren EU-Mitgliedstaaten eine möglichst einheitlich ausgestaltete SPE-Satzung verwendet werden kann. Im laufenden Betrieb amortisiert sich der Einsatz schnell dank der einfacheren Führbarkeit der grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe. 3. Umwandlungsbericht Neben dem Umwandlungsplan hat die Geschäftsleitung einen Umwandlungsbericht zu verfassen (Art. 5b Abs. 5 SPE-VOSE). Dieser Bericht hat das Umwandlungsvorhaben sowohl unter rechtlichen als auch unter wirtschaftlichen Aspekten zu erläutern und zu begründen. Darüber hinaus ist darzulegen, wie sich das Umwandlungsvorhaben (in seiner Umsetzung) auf die Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer auswirkt. Konsequent sind sie gleichfalls (in wenn auch differenzierter Weise) die Berichtsadressaten. Der SPE-Umwandlungsbericht dient den Interessen und Belangen jeder Adressatengruppe in gleicher Weise; anders als im deutschen Recht (§ 192 Abs. 1 UmwG) wird keine der Gruppen bevorzugt angesprochen – auch nicht die der Anteilseigner. Freilich darf hierüber nicht die herausragende Position übersehen werden, die den Anteilseignern/Gesellschaftern im Rahmen des Umwandlungsverfahrens zukommt: Sie setzen den Umsetzungsplan und damit das gesamte Vorhaben, in die neue Rechtsform einer SPE überzuwechseln, in Kraft. Hierfür liefert der Umwandlungsbericht im Zusammenspiel mit dem Umwandlungsplan den Gesellschaftern die erforderlichen wesentlichen Entscheidungsgrundlagen. Die Gesellschafter sollen sich aufgrund der Erläuterungen und Begründungen, aber zusätzlich auch aufgrund der Darlegungen zu den Auswirkungen ein umfassendes eigenes Bild vom Umwandlungsvorhaben machen können, damit sie wohl abwägend eine Verantwortungs-getragene Entscheidung unter Berücksichtigung sämtlicher für das Vorhaben wesentlicher Aspekte fällen können.45 Das schließt die Auswirkungen auf die Gläubiger und Arbeitnehmer sowie auf ihre Belange mit ein. Grosso modo muss die Geschäftsleitung die Gesellschafter auf ihren eigenen Kenntnisstand bringen. Hieraus folgt für den Umwandlungsbericht und seine inhaltliche Ausgestaltung: Er muss umfassend auf das konkrete Vorhaben hin zugeschnitten 45 Zur Funktion der Gesellschafter-Vorabinformation für deren Entscheidung schon Hommelhoff Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 333 ff.

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sein. Den Gesellschaftern muss es in seinen Grundzügen und in seinen wesentlichen Details transparent gemacht werden; ihnen müssen sich die Vor-, aber auch die Nachteile des SPE-Formwechsels von hinreichendem Gewicht erschließen. Das wird in aller Regel konkrete Alternativszenarien im Umwandlungsbericht erfordern und umgekehrt (wie schon bei den Arbeitnehmer-Informationen) abstrakte Darlegungen fern vom individuellen Umwandlungsvorhaben ausschließen. Andererseits darf die Geschäftsleitung die Gesellschafter aber auch nicht in einer Fülle vernebelnder Details untergehen lassen. Gesellschafter, die vor dem Gesellschafterbeschluss an bestimmten Einzelheiten interessiert sind, können von ihrem individuellen Informationsrecht (Art. 29 SPE-VOSE) Gebrauch machen. Der Umwandlungsbericht muss also höchst informativ und Entscheidungsorientiert sein. Davon profitieren auch die Berichts-Adressatengruppen der Gesellschaftsgläubiger und Arbeitnehmer. Das folgt aus dem für alle Adressatengruppen einheitlichen Umwandlungsbericht; dieser wird in seinem Inhalt und Informationsgehalt nicht gegenüber Gläubigern und Arbeitnehmern beschnitten, obwohl diese Adressatengruppen für ihre spezifischen Belange regelmäßig nicht jene umfassende Information brauchen, welche die Gesellschafter für ihren Entscheid über das Umwandlungsvorhaben benötigen. Aber auch umgekehrt lässt sich aus den eingegrenzten Informationsbedürfnissen der Gläubiger und Arbeitnehmer mitnichten ein entsprechend im Informationsgehalt reduzierter Inhalt des Umwandlungsberichts herleiten. Eine solche Argumentation würde weder der Zuständigkeit der Gesellschafter für das Umwandlungsvorhaben (Art. 5b Abs. 8 S. 1 SPE-VOSE) gerecht, noch ihrer zentralen Verantwortung für seine Inkraftsetzung.

IV. Außenseiterschutz Der Wechsel in die Rechtsform der SPE kann die Interessen der Minderheitsgesellschafter in der Ausgangsform beeinträchtigen, aber auch die ihrer Gläubiger. So mag es beim Formwechsel zu Machtverschiebungen zulasten der Gesellschafterminderheit kommen oder zu einer verkappten Kapitalherabsetzung zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger. Konsequent müssen auch beim SPE-Formwechsel diese Außenseiter geschützt werden. 1. Der Verordnungsvorschlag Diese Aufgabe überträgt die SPE-Verordnung für den Schutz der Minderheitsgesellschafter dem für die Ausgangsform zuständigen Nationalrecht ebenso wie die Regelungskompetenz für den Schutz der Gesellschaftsgläubiger, soweit dessen Schutzregime über den Gläubigerschutz nach der SPE-Verordnung hinausgeht (Art. 5b Abs. 9 SPE-VOSE). Deren Schutz be-

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schränkt sich auf zwei Instrumente: zum einen auf die Wechselsperre einer Unterbilanz (Art. 5b Abs. 3) und zum anderen auf den informationellen Gläubigerschutz durch Gläubigerinformationen im Umwandlungsplan (namentlich Art. 5b Abs. 4 lit f) und -bericht (Art. 5b Abs. 5 S. 3/Abs. 7). Mithin fehlt eine gemeinschaftsrechtliche Regelung etwa zu den Voraussetzungen, unter denen die Gläubiger noch nicht fälliger Ansprüche Sicherheiten für deren Erfüllung verlangen können. Über ihren Einsatz entscheidet nach der Vorstellung des europäischen Gesetzgebers der des einzelnen Mitgliedstaates. Sollte dieser bislang noch keine Regelung getroffen haben, so ermächtigt ihn die SPE-Verordnung, eine solche Regelung speziell für den SPE-Formwechsel zu treffen (Art. 5b Abs. 9 S. 2 SPE-VOSE). Das Gleiche gilt für den Schutz der Minderheitsgesellschafter. 2. Auswirkungen des Regelungsverzichts Dieser Regelungsverzicht des Gemeinschaftsgesetzgebers scheint nur folgerichtig. Es geht um den Außenseiterschutz in der Ausgangsform. Sie aber unterliegt dem nationalen Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten. Daher scheint es in der Tat nahe zu liegen, diesen den Außenseiterschutz zu überantworten. Auf der anderen Seite jedoch widerstreitet ein solches Regelungskonzept dem Gedanken der Binnenmarkt-weiten Einheitlichkeit im Konzern/in der Gruppe.46 Denn der Rückgriff auf den mitgliedstaatlichen Außenseiterschutz zwingt die Akteure in der Konzernspitze, welche die Tochter- oder Enkelgesellschaften in die SPE-Form überführen wollen, sich im Rahmen des Formwechsels eingehend mit dem Gesellschafts- und Umwandlungsrecht mehrerer Mitgliedstaaten zu befassen. Damit gehen die Aufwands- und Kostenvorteile zu großen Teilen verloren, die der Wirtschaftspraxis über die SPE als europäischer Einheitsform erschlossen werden sollen. Daher muss der Respekt gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten rechtspolitisch abgewogen werden gegen den Gedanken der Binnenmarkt-weiten Einheitlichkeit. Das führt zu differenzierten Ergebnissen: a) Konsequenzen für den Gläubigerschutz Den Schutz der Gesellschaftsgläubiger sollte der europäische Gesetzgeber über die vorhandenen Ansätze in der vorgelegten Fassung der SPE-Verordnung hinaus zu einem im Gemeinschaftsrecht abgeschlossenen Schutzsystem ausbauen, so dass ein Rückgriff auf Nationalrecht sich erübrigt – dies freilich beschränkt auf den Wechsel aus einer nationalen Privatgesellschaftsform nach Anhang II in die der SPE. Dazu sind zum einen Vorkehrungen gegen eine verkappte Kapitalherabsetzung im Rahmen des Formwechsels 46

Oben bei Fn. 6.

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(in der SPE ein geringeres Stammkapital als in der Ausgangsform) geboten und zum anderen ein Sicherungsanspruch des einzelnen Gesellschaftsgläubigers, sofern die Umwandlung sein Erfüllungsinteresse gefährden sollte. Beide Schutzmechanismen sind ohne größeren legislatorischen Aufwand in das SPE-Recht des Formwechsels zu inkorporieren. – Ein weitergehender Gläubigerschutz nach mitgliedstaatlichem Recht sollte bloß für die Umwandlung aus jenen juristischen Personen heraus eröffnet werden, die nicht Privatgesellschaften mit beschränkter Haftung nach Anhang II SPE-VOSE sind. b) Konsequenzen für den Minderheitenschutz Vergleichbar differenziert sollte der Schutz der Minderheitsgesellschafter in der SPE-Verordnung geregelt werden. So könnte sie selbst einen Minderheitenschutz für die Umwandlung aus einer Privatgesellschaft nach Anhang II für den Fall ausschließen, dass die Rechte und Pflichten aller Gesellschafter in der SPE unverändert fortgeführt werden sollen. Sollte dagegen die Rechtsposition der Minderheit so verändert werden, dass ihr der Verbleib in der SPE nach dem Formwechsel nicht zuzumuten ist, so sollte die Verordnung der Minderheit ein Austrittsrecht gegen Abfindung gewähren. Für den Formwechsel aus einer juristischen Person nationalen Rechts, die nicht Privatgesellschaft mit beschränkter Haftung nach Anhang II ist, kann die Verordnung den Minderheitenschutz dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats belassen. Auf diese Weise könnte der Respekt gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht angemessen mit dem Konzept der Binnenmarkt-weiten Einheitlichkeit abgeglichen werden.

V. Formwechsel aus der SPE Die Freiheit zur Umstrukturierung von Gesellschaften speziell in eine SPE wäre unvollkommen, wenn man zwar in diese supranationale Rechtsform überwechseln könnte, aber nicht mehr aus ihr heraus – es sei denn um den Preis der Liquidation. Eine Einbahnstraße zur SPE würde gewiss kein Unternehmen, keine Konzernspitze betreten, da sich nicht ausschließen lässt, dass sich die Umstände wirtschaftlich und/oder rechtspraktisch so verändern können, dass die Aufgabe der Rechtsform „SPE“ angezeigt ist. Deshalb tut die SPE-Verordnung gut daran, auch den (Rück-)Wechsel in eine nationale Rechtsform als Maßnahme der Umstrukturierung neben Verschmelzung und Spaltung der SPE zu eröffnen (Art. 40 SPE-VOSE). Abweichend von der Parallelregelung für die Europäische Aktiengesellschaft (Art. 66 SEVO) verzichtet die SPE-Verordnung jedoch auf eine gemeinschaftsrechtliche Regelung, soweit es die Ausgangsform betrifft. Vielmehr

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verweist sie insofern auch für die SPE auf nationales Recht und engt, anders als die SE-Verordnung (Art. 66 Abs. 1 S. 1), nicht die möglichen Zielformen ein. Für eine in Deutschland registrierte SPE kämen mithin die §§ 190 ff. UmwG zum Zuge und müssten nach dem implizierten Regelungsauftrag an die nationalen Gesetzgeber (Art. 40 SPE-VOSE) entsprechend für die SPE geöffnet werden. Hilfreicher erscheint demgegenüber eine Eigenregelung des europäischen Gesetzgebers auch für die SPE.

VI. Bietet der schwedische Entwurf ein KMU-geeignetes Formwechselrecht? 1. Differenzierung nach der Eigenart der Zielgruppe Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt: Der SPE-Verordnungsentwurf der schwedischen Ratspräsidentschaft bemüht sich um ein austariertes System der Interessenwahrung aller „stakeholder“: Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer finden sich eingebunden in ein ausgeklügeltes Verfahrensrecht. Angesichts der rechtspolitischen Zielgruppe der SPE – kleine und mittlere Unternehmen – fragt sich, ob der europäische Gesetzgeber damit nicht des Guten zu viel tun würde. Verglichen mit der SE-Verordnung, die immerhin für Großunternehmen konzipiert ist, hat der Regelungsumfang sogar zugenommen. Ist dieses schwerfällige und bürokratische Verfahren des Formwechsels wirklich dazu angetan, die große Masse der KMU in Europa von der Attraktivität der neuen Rechtsform zu überzeugen? Die Antwort muss differenziert ausfallen: Erstens ist niemand gezwungen, den Weg des Formwechsels zu gehen. Er bietet sich eher für Unternehmen an, die bereits etabliert sind und auch schon Tochtergesellschaften im Ausland haben, mithin für eine Zielgruppe, die um Rechtsrat nicht verlegen ist und über einige unternehmerische Erfahrung verfügt. Die Neugründung einer SPE „ex nihilo“ bleibt unbenommen und ist wesentlich einfacher zu handhaben. Zweitens wird das auf den ersten Blick mühsame Verfahren des Formwechsels immer, aber auch nur dann wirklich schwerfällig, wenn eine große Zahl von Gesellschaftern, Gläubigern und Arbeitnehmern einzubeziehen ist. Eine umfassende, alle Interessen in den Blick nehmende Regelung ist dann auch sinnvoll und der rechtspolitische Preis für die Eröffnung des Formwechsels aus einer Vielzahl nationaler Rechtsformen. Die große Masse der als Zielgruppe anvisierten Unternehmen ist davon aber kaum betroffen: Dies ist die typische Auslandstochter mit nur einem Gesellschafter und einer Handvoll von Arbeitnehmern. Solche Gesellschaften müssen zwar den Formwechsel nach Art. 5b SPE-VOSE durchlaufen. Rechtspraktisch dürfte dafür jedoch ein recht schlankes Verfahren genügen.

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2. Fallstudie Die Überprüfung dieser These gelingt am besten mit Blick auf ein konkretes Beispiel. Gesetzt den Fall, eine deutsche GmbH soll in eine SPE umgewandelt werden. Die GmbH hat einen einzigen Gesellschafter und nur wenige Arbeitnehmer. Immerhin gibt es einen Betriebsrat, der die Interessen der Arbeitnehmer artikulieren kann. Es handelt sich damit um einen Fall, wie er zu hunderttausenden im Binnenmarkt existiert und zum Paradebeispiel der SPE-Anwendung taugen dürfte.47 Die nachfolgende beispielhafte Dokumentation des Formwechsels in die SPE mag aus Sicht der kautelarjuristischen Praxis noch die eine oder andere Ergänzung vertragen, deutlich umfangreicher als hier vorgeschlagen muss sie aber nicht sein. Der Umwandlungsplan für diesen Formwechsel wäre recht knapp (unter a). Auch der Umwandlungsbericht muss nicht in epische Breiten ausarten (unter b). Insbesondere ist die Einbeziehung der Arbeitnehmerinteressen, die sich im Einzelfall als Stolperstein des Verfahrens erweisen kann,48 für die typische SPE-Gründung völlig unproblematisch. Das zeigt schon der Blick auf die größeren SE-Gründungen in Deutschland, die zumeist als Formwechsel durchgeführt wurden. Die Information der Arbeitnehmer fiel dort nur deshalb umfangreich aus, weil das Verhandlungsverfahren für die SE-Beteiligungsvereinbarung erläutert werden musste. Alle übrigen Angaben beschränkten sich auf wenige Sätze.49 Für die hier ins Auge gefasste SPE-Gründung müssen keine Mitbestimmungsverhandlungen geführt werden.50 Es sind also nur Angaben zu den Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen nötig, die nach den SE-Erfahrungen sehr kurz ausfallen können, weil sich im Grunde für die Arbeitnehmer nichts ändert. Die Satzung der SPE (unter c) könnte weitgehend derjenigen der deutschen GmbH folgen, soweit nicht mit Blick auf spezifische Gegebenheiten der Unternehmensgruppe schon bei diesem ersten Schritt eine für den europaweiten Einsatz taugliche Satzung entworfen werden soll; dann entsteht zu Beginn ein gewisser Beratungsaufwand, der sich aber bei Umgründung weiterer Tochtergesellschaften und erst recht in der laufenden Verwaltung der grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe rasch amortisiert.

47

Vgl. die Überlegungen zu den praktischen Einsatzmöglichkeiten oben bei Fn. 7. Siehe Text bei Fn. 26. 49 Die Darstellung des Verhandlungsverfahrens nahm im Umwandlungsplan der BASF AG zur BASF SE (abrufbar unter www.basf.com) 8 Seiten ein, also mehr als die Hälfte des gesamten Umwandlungsplans, der 14 Seiten umfasst. Die hier interessierenden Angaben zu den Auswirkungen des Formwechsels auf die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen passten in drei Sätze, deren Grundtenor darin besteht, dass sich nichts ändert. 50 Vgl. oben bei Fn. 39. 48

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a) Umwandlungsplan „Die Schulze GmbH ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung deutschen Rechts registriert im Handelsregister Abt. B des Amtsgerichts Hamburg unter der Nummer 0815. Der künftige Name der Gesellschaft soll lauten: Schulze SPE. Die Gesellschaft soll beim Amtsgericht Hamburg registriert bleiben. Der Gesellschaftsvertrag der Schulze SPE ist als Anlage 1 beigefügt.51 Zeitplan des Formwechsels: Dieser Umwandlungsplan soll zusammen mit dem Umwandlungsbericht dem Alleingesellschafter Hans Schulze und den Arbeitnehmern am ____ vorgelegt werden. Zum selben Zeitpunkt werden Umwandlungsplan und Umwandlungsbericht den Gläubigern der Gesellschaft durch Einreichung beim Amtsgericht Hamburg bei gleichzeitiger Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern zugänglich gemacht. Die Gesellschafterversammlung, die über den Formwechsel beschließen soll, ist für den _____ terminiert. Im unmittelbaren zeitlichen Anschluss wird die Eintragung des Formwechsels beim Amtsgericht Hamburg beantragt werden. Durch den Formwechsel wird die Schulze GmbH identitätswahrend ihre Rechtsform ändern. Die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer der Schulze GmbH werden von ihr in der neuen Rechtsform unverändert fortgesetzt. Der Formwechsel ändert weder die arbeits- oder tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen noch die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte. Auf Grund des Formwechsels sind auch keine weiteren Maßnahmen geplant, die Auswirkungen auf die Situation der Arbeitnehmer hätten. Besondere Schutzrechte für Minderheitsgesellschafter und Gläubiger bestehen nach dem anwendbaren europäischen und nationalen Recht nicht. Das Stammkapital der Gesellschaft beläuft sich unverändert auf _____ €. Auch im Übrigen werden die Rechtsverhältnisse zu den Gläubigern der Gesellschaft durch den Formwechsel nicht berührt.“ b) Umwandlungsbericht „Umwandlungsbericht zum Formwechsel der Schulze GmbH in eine SPE: aa) Rechtliche Aspekte Der Formwechsel der Schulze GmbH in die europäische Rechtsform der SPE stützt sich auf die Europäische Verordnung Nr. _____. Gemäß Art. 5b dieser Verordnung kann eine GmbH deutschen Rechts ihre Rechtsform in eine SPE europäischen Rechts ändern. Der Formwechsel führt weder zu einer Auflösung noch zu einer Unterbrechung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft. Vielmehr gilt der Grundsatz der Identitätswahrung. Die SPE ist juristisch betrachtet derselbe Rechtsträger wie die GmbH, allein die Rechtsform verändert sich. 51

Hier unter Gliederungspunkt c).

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Der Formwechsel in die SPE setzt voraus, dass ein Umwandlungsplan erstellt wird, der mindestens die folgenden Angaben enthält … [es folgt: Katalog des Art. 5b Abs. 4 SPE-VOSE]. Umwandlungsplan und Umwandlungsbericht sind den Gesellschaftern und den Arbeitnehmervertretern vorzulegen. Der Bericht wird gleichzeitig den Gläubigern zur Verfügung gestellt. Geht dem Geschäftsführungsorgan binnen 21 Kalendertagen nach der Vorlage des Berichts eine Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung zu der Umwandlung zu, wird sie dem Bericht beigefügt. Der Umwandlungsvorschlag wird der Gesellschafterversammlung der Schulze GmbH zur Zustimmung vorgelegt, die ihm mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen, mindestens aber zwei Dritteln der gesamten Stimmrechte zustimmen muss. Die neue Satzung der Schulze SPE entspricht der bisherigen Satzung der Schulze GmbH. In Anpassung an die europäische SPE-Verordnung wurden lediglich redaktionelle Änderungen vorgenommen. Die neue und die bisherige Satzung sind dem Umwandlungsbericht beigefügt. Die Rechtsstellung der Arbeitnehmer der Schulze GmbH wird von der Schulze SPE unverändert übernommen. Es handelt sich im rechtlichen Sinne weiterhin um ein und denselben Arbeitgeber. Der existierende Betriebsrat kann seine Arbeit unverändert fortführen. Auch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen bleiben bestehen. Diese rechtliche Kontinuität gilt auch für Rechtsbeziehungen zu allen Dritten (Lieferanten, Kunden, Gläubigern). Der Formwechsel hat keinen Einfluss auf bestehende Rechtsbeziehungen der Schulze GmbH zu Dritten; diese werden unverändert fortgeführt. bb) Wirtschaftliche Aspekte Der Formwechsel in die SPE verändert als solcher die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft nicht. Die Vermögensverhältnisse bleiben unverändert. Auch in den Beziehungen zu Arbeitnehmern, Kunden, Lieferanten und anderen Dritten treten keinerlei Veränderungen ein. Positive wirtschaftliche Auswirkungen ergeben sich in der Zukunft daraus, dass die interne Struktur der Schulze-Unternehmensgruppe über die Grenzen hinweg vereinheitlicht werden kann. In dieser Vereinheitlichung der internen Struktur für die grenzüberschreitend tätige Schulze-Unternehmensgruppe liegt der entscheidende Grund für den vorgeschlagenen Formwechsel. Die europäische Rechtsform der SPE existiert in allen Mitgliedstaaten der EU und in den Vertragsstaaten des EWR. In vielen dieser Staaten ist die SchulzeUnternehmensgruppe derzeit an Tochtergesellschaften oder Gemeinschaftsunternehmen beteiligt, die in nationalen Rechtsformen organisiert sind. Dadurch folgt jede dieser Gesellschaften im Bereich des Gesellschaftsrechts einer anderen Rechtsordnung. Es war bislang rechtlich nicht möglich, all diese Ge-

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sellschaften mit einer gleichlautenden Satzung auszustatten. Dies verursacht unnötigen administrativen Aufwand und Reibungsverluste im täglichen Management der Unternehmensgruppe. Durch den Formwechsel in die SPE kann die Schulze GmbH auch im Ausland mit einer Rechtsform auftreten, die dort bekannt ist und wegen ihres Ursprungs im europäischen Recht eine gute Reputation genießt. In der nahen Zukunft sollen weitere Gesellschaften der Schulze-Unternehmensgruppe die Rechtsform der SPE annehmen. Im Außenverhältnis unterstreicht dies den einheitlichen europaweiten Auftritt der Unternehmensgruppe. In der inneren Struktur der Unternehmensgruppe entsteht eine klare und transparente rechtliche Struktur durch Verwendung eines einheitlichen Satzungstextes, der in naher Zukunft gemeinsam mit Rechtsberatern der betroffenen Rechtsordnungen konzipiert werden soll. Dies verspricht nach Umsetzung der Strukturmaßnahmen eine erhebliche Erleichterung der inneren Abläufe und eine größere Transparenz der Entscheidungswege.“ c) Satzung der Schulze SPE „Präambel Die Schulze SPE ist durch Formwechsel hervorgegangen aus der Schulze GmbH gemäß Art. 5b der europäischen Verordnung über die Societas Privata Europaea (SPE). Sie führt das Unternehmen der Schulze GmbH identitätswahrend fort. Die Schulze GmbH wurde gegründet durch Eintragung im Handelsregister des Amtsgerichts Hamburg am _____ (HRB Nr. ____). § 1 Firma und Sitz (1) Die Firma der Gesellschaft lautet Schulze SPE. (2) Registersitz der Gesellschaft ist Hamburg. § 2 Unternehmensgegenstand (1) Gegenstand des Unternehmens ist der Vertrieb von Produkten der Schulze-Unternehmensgruppe. Zum Gegenstand des Unternehmens gehört insbesondere, die Schulze-Unternehmensgruppe auf dem deutschen Markt zu vertreten. (2) Zur Verwirklichung ihres Gegenstandes kann die Gesellschaft andere Unternehmen erwerben, vertreten oder sich an diesen beteiligen sowie Zweigniederlassungen errichten. § 3 Stammkapital und Geschäftsanteile (1) Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt ___ € (in Worten: ______ €). (2) Alleiniger Gesellschafter ist Hans Schulze, wohnhaft ________. Er hält einen Geschäftsanteil in Höhe von ______ €. Die hierauf zu entrichtende Bareinlage wurde in vollem Umfang eingezahlt.

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(3) Der Geschäftsanteil kann durch Beschluss der Gesellschafterversammlung in mehrere Anteile aufgeteilt werden. § 4 Dauer der Gesellschaft Die Gesellschaft wird auf unbestimmte Zeit errichtet. § 5 Geschäftsjahr Das Geschäftsjahr läuft vom 1. Januar bis 31. Dezember eines jeden Jahres. § 6 Geschäftsführung und Vertretung (1) Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Der oder die Geschäftsführer bildet/n die Unternehmensleitung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. e SPE-Verordnung. (2) Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, vertritt er die Gesellschaft alleine. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft von zwei Geschäftsführern gemeinsam vertreten. Jedem Geschäftsführer kann auch in diesem Fall Einzelvertretungsbefugnis erteilt werden. (3) Jedem Geschäftsführer kann Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB erteilt werden, so dass er die Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit sich selbst oder mit sich als Vertreter eines Dritten vertreten kann. (4) Geschäftsführer werden durch Gesellschafterbeschluss bestellt und abberufen. Die Bestellung kann befristet oder unbefristet erfolgen. Eine Abberufung ist jederzeit auch ohne Angabe von Gründen möglich. Rechte und Pflichten, die sich aus einem eventuell zusätzlich abgeschlossenen Dienstvertrag ergeben, bleiben davon unberührt. (5) Geschäftsführer der Gesellschaft ist im Zeitpunkt des Formwechsels in die SPE: Hans Schulze (Adresse, Geburtsdatum und Geburtsort). § 7 Gesellschafterbeschlüsse Gesellschafterbeschlüsse werden in schriftlicher Form gefasst. Die Abhaltung einer Gesellschafterversammlung bedarf keiner weiteren Formen oder Fristen. § 8 Jahresabschluss und Ergebnisverwendung (1) Der Jahresabschluss ist von der Unternehmensleitung innerhalb der gesetzlichen Frist aufzustellen und von sämtlichen Geschäftsführern zu unterschreiben. (2) Die Gesellschafterversammlung stellt den Jahresabschluss fest und beschließt über die Gewinnverwendung. (3) Ausschüttungen sind auch während des Geschäftsjahres möglich, sofern die Gesellschafterversammlung dies in Übereinstimmung mit Art. 21 Abs. 3 SPE-Verordnung beschließt.

Der SPE-Formwechsel nach dem schwedischen Kompromissvorschlag

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§ 9 Veräußerung von Geschäftsanteilen (1) Geschäftsanteile der Gesellschaft sind frei übertragbar. (2) Die Gesellschaft kann – unter Beachtung von Art. 21 SPE-Verordnung – eigene Geschäftsanteile erwerben. § 10 Bekanntmachungen Die gesetzlich vorgeschriebenen Bekanntmachungen der Gesellschaft erfolgen nur im elektronischen Bundesanzeiger. § 11 Schlussbestimmungen Verstößt eine der in diesem Gesellschaftsvertrag enthaltenen Vorschriften gegen das auf die SPE anwendbare Recht, so findet die betreffende Vorschrift keine Anwendung. Die anderen Vorschriften dieses Vertrages bleiben davon unberührt.“

VI. Resumee Der Entwurf der schwedischen Ratspräsidentschaft zur SPE-Verordnung bietet nach alledem mit Blick auf den Formwechsel eine erfreuliche Entwicklung des Rechtstextes. Das Verfahren ist zwar auf den ersten Blick schwerfälliger ausgestaltet, als für eine Gesellschaft mit geschlossenem Gesellschafterkreis erforderlich erscheint. Damit tragen die Mitgliedstaaten jedoch vor allem der Sorge Rechnung, der Formwechsel könne bei einer großen Gesellschaft mit einer großen Zahl betroffener Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer in irgendeiner Weise Rechte der Beteiligten verkürzen. Für den typischen Anwendungsfall, den Formwechsel einer hundertprozentigen Auslandstochter mit Vertriebs- oder Servicefunktion, fallen die Verfahrensanforderungen kaum erschwerend ins Gewicht, da die Zahl der betroffenen Personen klein und überschaubar ist. Dem sollte auch bei der Auslegung der Verordnungsbestimmungen Rechnung getragen werden, etwa bei der Bestimmung der inhaltlichen Anforderungen an den Umwandlungsbericht. Erfreulich für einen Wegbereiter des europäischen Gesellschaftsrechts wie Klaus Hopt dürfte auch sein, dass der SPE-Verordnungsvorschlag reichhaltiges Anschauungsmaterial für eine Systementwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts bietet. Dazu gehört die Entstehung eines europäischen Rechts der Strukturmaßnahmen mit Kernelementen der Information und Beschlussfassung der Gesellschafter. Dazu zählt aber auch der zunehmende Stellenwert der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer. Vieles konnte hier nur angedeutet werden und bedarf weiterer Erörterung, an der sich der Jubilar und seine Schüler gewiss auch in Zukunft lebhaft und gewinnbringend beteiligen werden.

Utopies ou anticipations sociétaires Guy Horsmans

Le jubilaire, auquel ces quelques lignes sont destinées, a tout dit en droit des sociétés. Sa qualification d’expert de haut niveau est un pléonasme. Il est le droit des sociétés qu’il personnifie, qu’il précise et qu’il enrichit dans la respiration européenne qui est la sienne. Ses innombrables amis en portent témoignage de longue date par une écoute, attentive, suivie et admirative, de ses propos, de ses idées et de ses suggestions et par l’intérêt et le plaisir sans limite qu’ils éprouvent à la lecture de ses ouvrages et de ses écrits. Une page blanche témoignerait de ce silence éloquent de respect, d’affection et de cordialité. Mais Klaus serait frustré et malheureux si nous nous taisions et si, à notre tour, nous ne l’invitions pas au dialogue auquel il n’a cessé de convier ceux qui ont eu le bonheur de le rencontrer, de travailler avec lui et de développer et d’approfondir, au fil du temps, les échanges de vues et les recherches qu’il a toujours suscités et animés avec passion et clairvoyance. Les quelques pages de cette contribution perdront dès lors leur blancheur immaculée pour témoigner de cette communion d’esprit, de parole et d’action qui confère vie et beauté aux démarches de ceux qui, à l’instar du destinataire de ces lignes et sous son égide, se consacrent à l’œuvre du droit et à celle de la justice. Quelques notes les couvriront et participeront, dans cet esprit, à la grande symphonie de l’amitié et de l’estime qui voudrait charmer Klaus et lui procurer le plaisir et la joie qu’il éprouve à l’écoute de la musique qu’il aime et des opéras qui l’enchantent. Il sait qu’au-delà de leur simplicité parfois naïve, mes convictions en appellent autant à l’imagination et au rêve qu’aux réalités concrètes et que mes propos reflèteront aussi bien le concert sociétaire à la mode que quelques idées plus ou moins insolites que d’aucuns qualifieront d’utopies et qui ne seront peut-être que des anticipations du droit sociétaire d’un avenir plus ou moins proche. J’espère simplement que cette contribution amicale ne sera pas trop saugrenue ni discordante et qu’elle n’altèrera pas l’harmonie du concert juridique qui lui est destiné. Mes quelques notes privilégieront les sociétés petites et moyennes qui sont trop souvent analysées et traitées sous l’égide du droit des grandes sociétés et des sociétés cotées qui retiennent, en premier ordre, l’attention des médias et de l’opinion publique. Elles porteront sur la nature et les finalités sociétaires ;

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sur l’esprit international des droits locaux des sociétés petites et moyennes ; sur les sites informatiques des sociétés ; sur le dialogue entre les autorités publiques et les sociétés privées et sur l’intervention d’un tiers aux fins d’éclairer et de conseiller la société ou de l’aider à résoudre des situations problématiques ou conflictuelles. La conclusion invitera, à l’instar des mouvements écologiques qui en appellent au respect de la nature et de sa richesse, au renouveau du respect de l’homme et de sa dignité dans les démarches sociétaires du monde économique.

I. La nature et les finalités sociétaires 1. Le moment présent est à la fois dramatique pour tous ceux qui souffrent intensément de la crise économique et interpellant pour ces victimes comme pour toute la communauté humaine qui doit remettre en cause les normes juridiques qui ont été les siennes, entamer de nouvelles réflexions et de nouvelles recherches et procéder aux choix de vie et d’espérance que la dignité humaine impose aux structures économiques et à leurs activités. Tous les acteurs sont invités à y prêter leur concours à la faveur du changement des mentalités qui paraît s’être produit dans le monde et que sans trop de naïveté ou d’optimisme, l’on peut espérer durable. Il s’agit, au premier chef, de la conscience tangible de l’interdépendance et de l’enchevêtrement des économies nationales. Quelles que soient la réalité positive du mondialisme économique et les conditions et les modalités qui s’imposent à son organisation et à son fonctionnement, la crise et ses conséquences se sont universellement imposées avec une rapidité aussi soudaine que profonde. La situation économique comme les circonstances et les données qui ont précédé la crise auraient sans doute dû susciter une conscience plus affinée de son éventuelle survenance au-delà de la normalité que certains y ont reconnu dans la succession des cycles de l’économie de marché mais rien ne semblait prévoir la fulgurance et l’ampleur qui ont été les siennes dans l’économie mondiale et dans un très grand nombre d’économies nationales dont les digues juridiques ont été balayées sans coup férir. Le cataclysme économique a démontré, si besoin en était, la solidarité de la communauté humaine. Une solidarité de la souffrance et de la maladie. Celle-ci appelle et requiert, pour la combattre, une solidarité de la guérison, de la santé et de l’hygiène morale dans le choix des remèdes, des comportements, des décisions et des actions individuels et collectifs. Peut-on espérer, au vu des déclarations du Président des Etats-Unis qui a indiqué à plusieurs reprises la nécessité de mieux écouter les autres et de rechercher avec eux les solutions les plus justes et les plus utiles et de celles d’autres dirigeants politiques qui s’inscrivent dans le même sillage, que le G 20 devienne le berceau et le creuset d’un nouveau dialogue entre les peuples et d’un nouveau donné

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juridique plus ouvert, plus solidaire et plus respectueux, dans la légitime poursuite de la meilleure efficience possible des économies nationales et de l’économie mondiale, des légitimes attentes de toute la communauté humaine et du respect et de la dignité des hommes qui sont au cœur des finalités humaines de l’économie? Les réunions récentes du G 20 ne donnent aucune assurance mais ouvrent les pistes de l’espoir auquel le monde juridique, tant académique que professionnel, doit se consacrer pour apporter son indispensable contribution au bien-être collectif et à l’épanouissement de tous et de chacun des membres de la communauté humaine. 2. On peut comprendre qu’après avoir été au secours du secteur bancaire et financier en détresse et lui avoir octroyé les crédits nécessaires, les autorités publiques aient, en écho à des opinions publiques étonnées, surprises et désapprobatrices, réagi et entendu réglementer l’importance des rémunérations et des bonus octroyés au sein des institutions concernées et que des réunions du G 20 en aient conféré et aient envisagé une réglementation contraignante à leur sujet mais l’espoir que suscite le G 20 implique et requiert que celui-ci s’attelle à d’autres tâches plus fondamentales et plus essentielles et qu’à cette fin, chacun de ses membres’y prépare à la faveur d’une mobilisation active et suivie de tous les acteurs de ces pays qui doivent être conscients de leur responsabilité mondiale tant individuelle que collective. Mon rêve emporte qu’à partir du G 20, pour le G 20 et dans l’environnement du G 20, le droit comparé connaisse un souffle nouveau et que tous les juristes des pays du G 20 s’y consacrent avec imagination, enthousiasme et persévérance ; entrent en dialogue permanent et y invitent la communauté juridique toute entière. Il ne s’agirait pas de proposer des projets de réglementations spécifiques au commerce international ou à l’un ou l’autre de ces secteurs ni de marquer sa préférence éventuelle pour tel ou tel système juridique en vigueur ni de prétendre justifier la situation existante ni encore d’élaborer des codes uniformes mais de chercher ensemble, sans préjugé d’aucune sorte et dans le respect de la richesse de la diversité des cultures, les conditions, les voies et les moyens de promouvoir et d’augmenter, réellement et concrètement, le respect réciproque et la réalisation de l’intérêt commun. Au-delà des critiques et des nuances qui y sont apportées, le mouvement et la croisade des droits de l’homme participent de la démarche que nous souhaitons. Celle-ci aspire aussi, sans doute au prix de difficultés et de discussions semblables, à l’universel de la dignité humaine. Elle entend y veiller par une dynamique de l’action individuelle et collective dans une économie de marché qu’il ne faut pas craindre de mettre en jugement en raison des excès, des abus et des dérives qui ont résulté d’actions condamnables et de la méconnaissance des finalités humaines qui sont les siennes ainsi que des erreurs, des carences et des insuffisances du ou des cadres juridiques dans lesquels elle crée ses structures et déploie ses activités.

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Cette mise en jugement ne peut se limiter à corriger et à modifier un nombre de normes plus ou moins important dans le dédale abondant et complexe de toutes les réglementations existantes. Elle doit commencer, au moins à tel ou tel moment que certaines circonstances ou certains impératifs, comme la crise que nous subissons, peuvent imposer et que toute génération devrait d’ailleurs effectuer à intervalles plus ou moins réguliers, par une réflexion collective, au-delà des normes juridiques en vigueur, sur les possibilités dont la collectivité humaine dispose aux fins de répondre adéquatement et utilement à ses besoins et à ceux de chacun de ses membres. Le monde juridique a trop tendance à gloser sur les projets de lois et sur les textes normatifs et à demeurer dans sa chapelle. Il devrait davantage élargir, avec imagination et audace, son offre de services à la collectivité en lui soumettant des propositions qu’il croit être susceptibles de répondre, de manière plus juste, plus équilibrée et plus efficiente, aux aspirations et aux attentes qui s’y manifestent. Le champ d’investigation est immense et tous les concours sont requis pour réfléchir, discuter et délibérer des choix démocratiques de valeurs, de principes et de normes qui permettraient un meilleur épanouissement de la vie des femmes et des hommes. 3. L’objet de mes quelques propos se limite, quant à lui, au droit des sociétés qui est au service de la réalisation de ces choix et qui y veille de très longue date, la structure sociétaire s’étant imposée comme la plus pertinente et la plus adéquate aux activités entreprises et poursuivies dans l’économie de marché adoptée et promue par toutes les démocraties modernes. Son succès n’a-t-il pas altéré son âme et sa nature? Quelles que soient les nécessités et les avantages, de rigueur et de précision, que procurent les classifications, les catégories et les distinctions juridiques, elles entraînent souvent, sinon toujours, une accentuation et une rigidité de leurs caractéristiques principales auxquelles elles ont tendance à se réduire et à s’identifier et la mise en veilleuse, sinon la perte, des données et des éléments qui, dans leur diversité et leur complexité, contribuaient à la plénitude du sens et de la valeur de chacune des composantes regroupées sous une égide commune. Telle est l’histoire de la distinction entre le droit civil et le droit commercial. Telle est l’histoire de la distinction entre les sociétés civiles et les sociétés commerciales. Telle est l’histoire de la distinction entre les activités économiques et les activités culturelles. Le moment n’est-il pas venu de réunifier nos vies; de ne plus les découper en tranches bien classifiées et bien distinctes; de promouvoir l’interaction de nos attentes et de nos comportements et d’enrichir les uns et les autres par des influences réciproques? Le droit des sociétés, cantonné dans une classification matérielle d’aspiration et de recherche de profit et de lucre, n’a-t-il pas négligé la dimension solidaire qui, par nature, est la sienne et l’altérité qui le caractérise. Une société doit, à

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l’évidence, posséder les moyens nécessaires à sa politique et veiller à en disposer tout au long de son existence. Ces exigences économiques constituent la condition de sa création et du maintien de son existence et permettent sa respiration de personne morale. Mais la raison d’être et la finalité de sa respiration prennent leur dimension d’humanité et d’utilité dans l’ouverture et le dialogue qu’elle suscite et permet en son sein et avec toutes les parties prenantes. Les autres font partie d’elle-même. Le pluriel est au cœur du langage, du discours, de la prospective et de l’action des sociétés. Il ne se réduit pas à l’appât du gain et témoigne d’autres richesses. Le monde juridique devrait promouvoir cette vision élargie et unifiée de vie et d’action sociétaires en espérant que l’opinion publique y aura égard dans ses attentes et dans ses démarches et que les sociétés concernées mènent, autant que faire se peut, leur politique en ce sens. Si la société, qualifiée de commerciale, est et doit demeurer un agent créateur de biens, de produits et de services et partant, être créée et gérée dans cet esprit, elle ne devrait pas, pour autant, demeurer étrangère à toutes les richesses qui ne sont pas sonnantes et trébuchantes et ne participer en rien à la promotion de toutes les autres valeurs humaines. Le bénéfice de la responsabilité limitée a permis et accentué l’impression et la réalité de l’égoïsme des acteurs sociétaires. Il s’impose aujourd’hui de mettre l’accent, non sur ce bénéfice qui demeure au profit de ceux qui entreprennent l’aventure sociétaire, mais sur la transparence qu’elle implique en faveur de toutes les personnes intéressées et partant sur l’aventure commune qui regroupe, dans une communauté d’intérêts que le monde juridique reconnaît et décrit sans pouvoir, en l’état, en préciser la dynamique de la convergence et les critères d’appréciation, de jugement et de décision, les actionnaires et les autres parties prenantes de la réalité sociétaire. Le droit des sociétés doit être synonyme d’humanisme et de vie.

II. L’esprit international des droits locaux des sociétés petites et moyennes 1. Est-il illusoire de penser que le G 20 pourrait contribuer à donner visage, force et vigueur à cette recherche d’humanisme culturel et économique dans le monde des sociétés économiques et commerciales et encourager, par des déclarations et des messages répétés, une vision plus large et plus enthousiaste que celle que comporte la froideur mathématique des calculs des profits et des gains? Le monde financier et bancaire a retenu l’attention du G 20. Il en est de même des difficultés et des problèmes rencontrés par les très grandes sociétés dont on a relevé, en son temps, qu’elles constituaient un pouvoir économique privé plus puissant que celui détenu par un grand nombre d’autorités publi-

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ques nationales. Si, sans méconnaître leurs intérêts nationaux, les membres du G 20 parvenaient à esquisser, à préciser et à approfondir des lignes de conduite commune, un nouveau dialogue pourrait peut-être y être utilement et efficacement mené entre le groupe significatif des autorités nationales que constitue le G 20 et les tenants du pouvoir économique privé. J’espère aussi, et peut-être surtout, que le G 20 réservera une attention privilégiée et suivie aux sociétés petites et moyennes et à tout le tissu sociétaire qu’elles représentent. Tout le monde en reconnaît et en proclame sans cesse l’importance et la valeur. Les autorités nationales et locales le savent et prennent souvent, en leur faveur, des mesures plus ou moins judicieuses et efficaces. Il serait heureux que, sous l’égide du G 20, les données et les perspectives mondiales y fassent davantage écho car même lorsque leurs activités ne franchissent pas les frontières, les sociétés, petites et moyennes, représentent une part considérable de l’économie mondiale et participent pleinement, à leur niveau, à la solidarité active qu’il s’impose de promouvoir. 2. Le G 20 pourrait inviter solennellement les jeunes générations à entreprendre et à agir et à y veiller par des structures sociétaires appropriées dont le ius commune devrait, sans trop de difficulté, être affirmé et répété. Quelques principes de base et quelques interdictions fondamentales suffisent dans cette invitation à l’action et dans la déclaration de foi qu’elle comporte, sans préjudice, bien entendu, des prescriptions et des normes que les autorités locales estimeraient devoir y ajouter au vu des spécificités économiques et culturelles dont elles bénéficient ou auxquelles elles sont confrontées; des expériences qui sont les leurs et des projets qu’elles poursuivent. Mon rêve comporte une communauté de vues sur la nécessité de promouvoir et d’encourager de telles aventures sociétaires et partant, sur la facilité de constituer une société et d’assurer sa reconnaissance et l’exercice de ses activités partout dans le monde. Le plus simple commun dénominateur serait celui d’une déclaration publique par laquelle une ou plusieurs personnes expriment leur volonté de fonder une société. Celle-ci serait accompagnée de l’indication du montant des fonds et des moyens qui composent le capital social ou de l’assurance que de tels moyens sont à la disposition de la société ainsi que de l’identité des personnes qui ont compétence et qualité pour engager la société et assurer sa gestion. Le classicisme marque ces conditions élémentaires. La révolution se situe dans la proposition de supprimer l’obligation d’indiquer l’objet de la société. Quelle que soit l’importance de la détermination de l’objet social, je me permets de proposer que celle-ci ne soit plus une condition de la création des sociétés petites et moyennes mais relève désormais de la politique d’information que, dans le respect des législations y relatives, ces sociétés doivent procurer au public auquel elles s’adressent. Au-delà de son caractère utopique ou anticipatoire, cette proposition entend s’inscrire dans la problématique des recherches et des réflexions relatives à l’utilité même des structures sociétaires. En son état, la condition de l’objet

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social précise cette utilité de manière plus ou moins objective en indiquant les activités auxquelles la société va se consacrer et auxquelles les juristes ont dès lors limité sa capacité légale. Mais toute société n’est-elle pas naturellement et nécessairement, lorsqu’elle ne se livre pas ou qu’elle n’est pas le paravent d’activités criminelles et malhonnêtes, utile à la collectivité dans laquelle elle apparaît et avec laquelle elle se propose de nouer des contacts et des liens juridiques? Sa seule présence n’emporte-t-elle pas, par elle-même, un appel au dialogue et à l’action réciproque? Pourquoi soumettre cette évidence à la démonstration de conditions superfétatoires? La véritable question n’est-elle pas de savoir comment faire lorsque telle ou telle société méconnaît sa nature propre et ne poursuit, quelle que soit l’indication de son objet, que des finalités illégales ou totalement égoïstes au seul bénéfice de ses fondateurs et de ceux qui en profitent? Toute personne intéressée devrait, en ce cas, avoir le droit de solliciter la nullité de la société concernée, sans préjudice, bien entendu, des poursuites pénales qui devraient frapper les responsables de cette manipulation. 3. L’appel et l’encouragement à l’aventure sociétaire et à la création de sociétés, petites et moyennes, doivent s’accompagner d’exigences normatives les plus simples dans le meilleur climat de confiance en faveur de ceux qui entreprennent et qui entament et qui poursuivent des aventures sociétaires. Il s’impose que la liberté et la confiance dominent cette problématique et les normes impératives et d’ordre public ne doivent être définies et arrêtées qu’aux fins de les servir et d’assurer l’altérité et l’utilité qui sont au cœur de la démarche sociétaire et qui participent de sa nature et de son essence. Le cortège des responsabilités et des sanctions, qui s’est allongé au fil du temps, doit être réduit de manière générale et plus spécialement au niveau des sanctions financières et pénales qui ne doivent frapper que les inconscients, les incompétents notoires et les malhonnêtes. La compréhension et la sympathie, attendues de la part du monde économique, social et culturel international et du G 2O en faveur des sociétés petites et moyennes, n’imposeraient-elles pas, pour éviter toute équivoque, de revoir le tronc commun sociétaire et de distinguer, s’il échet, le tronc commun des sociétés petites et moyennes d’une part et celui des grandes sociétés et des sociétés cotées d’autre part? Peut-on vraiment croire qu’il suffit de revêtir la même robe juridique pour que s’amenuisent, s’estompent et disparaissent les profondes différences économiques, sociales et culturelles des personnes morales dont la taille et l’envergure des structures et l’importance des besoins et des activités n’ont en commun que les labels juridiques dont elles font usage? Ne faudrait-il pas créer un régime de base différent pour les petites et moyennes sociétés d’une part et pour les grandes sociétés d’autre part et ne plus suivre la politique actuelle qui consiste à limiter et à réduire, en faveur des sociétés petites et moyennes, l’étendue des exigences qui pèsent sur les grandes sociétés? Les

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sociétés petites et moyennes n’ont-elles pas droit à une réflexion et à un régime juridique qui prennent leur source dans leur nature et leur réalité propres et spécifiques? Sans attacher trop d’importance aux classifications et aux catégories et sans prétendre en revenir à celles d’antan, ne serait-il néanmoins pas judicieux, aux fins notamment d’enrichir l’humanisme du mouvement sociétaire, de procéder à de nouvelles réflexions et à de nouveaux échanges de vues à partir de la distinction ancienne des sociétés de personnes et des sociétés de capitaux? On pourrait peut-être, dans un esprit semblable et une perspective comparable, privilégier les critères de proximité, d’éloignement et de dispersion? La plupart des petites et des moyennes sociétés, qui constituent le monde important et vital des PME (petites et moyennes entreprises), se caractérisent, en effet, dans la très grande majorité, sinon l’unanimité des cas, par la proximité, de famille, d’amitié ou de connaissance, des associés et des gérants ainsi que des travailleurs et, dans une proportion variable due au développement croissant des relations internationales, des créanciers de la société et des autres parties prenantes. Certaines de ces caractéristiques se retrouvent dans des grandes sociétés mais l’éloignement et la dispersion en sont toutefois les marques dominantes non seulement en raison de la dépendance des sociétés cotées au marché boursier mais aussi parce que le marché international en est et en devient de plus en plus la référence première tant dans la détention du pouvoir sociétaire que dans l’organisation de sa gestion et le fonctionnement de ses activités. L’utopie ou l’anticipation comporte que les PME conservent et développent l’humanisme de leur proximité et que dans une conscience affinée de leur importance et de leur vitalité, elles sortent davantage du cadre local dans lequel on a tendance à les confiner et prennent conscience, dans un rapprochement des réalités nationales et à la faveur d’un dialogue le plus élargi possible, de l’esprit international qui peut et qui doit être le leur et de l’influence qu’elles peuvent et qu’elles doivent exercer dans la solidarité internationale économique, sociale et culturelle. L’utopie emporte que même les sociétés les plus locales soient les meilleurs agents et les meilleurs témoins de l’esprit d’ouverture et de solidarité universelles et de la réelle communauté qui, dans la diversité des cultures, unit l’humanité toute entière.

III. Les sites informatiques sociétaires 1. La confiance et la communication vont de pair. La confiance s’acquiert, se stabilise et s’amplifie au gré d’une communication aussi avisée que permanente. Telle est une des merveilleuses leçons de l’économie de marché qui repose sur ces axes et qui leur doit son succès.

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Notre époque est à cet égard particulièrement privilégiée car elle est la première dans l’histoire à disposer de moyens de communication dont les facilités d’accès et de manipulation sont tout à fait remarquables et dont les performances paraissent sans limites. Tout le monde peut être avisé des informations dont on souhaite lui faire part à l’instant même de leur formulation. Le langage informatique est celui de l’instantanéité et le site informatique, celui de la diffusion publique des informations que l’on veut faire connaître et répandre, sans réserves, dans le public le plus large. Les sites informatiques sont des cartes de visite détaillées de leurs auteurs et contiennent toutes les précisions que ceux-ci ont entendu y mettre et y faire valoir. L’informatique est assurément la voie nouvelle de l’information dont l’économie de marché et le droit des sociétés ont un besoin essentiel dans les diverses manifestations de leur fonctionnement et de leurs activités. Pourquoi ne remplace-t-elle pas, d’évidence, tous les moyens anciens et archaïques? Pourquoi cette réserve, ces doutes et le maintien des techniques anciennes d’une information qui n’a pas toutes les qualités et toutes les possibilités que révèle et que possède la technique de l’informatique? Que signifie, dans la mise en œuvre des besoins et des normes juridiques, ce cortège d’objections et de craintes de manipulations et d’erreurs qui va à l’encontre de l’usage généralisé de l’informatique dans la vie économique, sociale et culturelle? 2. A l’heure actuelle, les sociétés petites et moyennes, et peut-être aussi les grandes et les sociétés cotées, sont plus soucieuses de leur site informatique que de leurs statuts et des normes juridiques qui encadrent leur création et leur fonctionnement. Le langage informatique est celui de leur présentation et de leur invitation au dialogue. Quand va-t-on consacrer pleinement cette évolution et la réalité nouvelle qui en résulte au niveau du langage juridique et de l’application des normes? La simplicité et la maîtrise des coûts, qui doivent dominer la formulation juridique et la normativité qu’elle comporte, l’impliquent et le requièrent. L’utopie ou l’anticipation conduisent ainsi à la proposition, simple et peu coûteuse, de substituer la constitution d’un site informatique aux formalités qui, dans mon pays, emportent l’établissement d’un acte notarié, le dépôt de cet acte au greffe du Tribunal et sa publication, complète ou partielle, aux Annexes du Moniteur belge. La constitution de chaque site sociétaire se ferait sous la responsabilité de ses auteurs qui devraient veiller à ce qu’il soit dûment repris dans le site informatique central qui se substituerait aux registres et répertoires tenus actuellement à la Banque-Carrefour des Entreprises. On peut imaginer et suggérer que pour réduire encore les coûts et augmenter la facilité de constitution des sociétés, ladite Banque-Carrefour des Entreprises ou/et la Fédération royale des notaires établissent des formules-type de constitution des sociétés et que les fondateurs de la société puissent s’y référer purement et simplement en y portant uniquement les indications propres et spécifiques à leur société. Ils pourraient, bien entendu, s’en écarter et

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arrêter, à défaut de normes impératives ou d’ordre public, d’autres dispositions statutaires de leur choix avec la seule obligation d’attirer, en ce cas, l’attention des autorités publiques et des tiers sur leurs choix et sur leurs décisions. Cette proposition révolutionnaire sacrifie-t-elle trop à la mode informatique? Méconnait-elle les avantages et les bienfaits du droit positif actuel et notamment de ceux résultant de l’intervention du monde notarial et des pratiques et des habitudes adoptées et suivies de longue date au niveau de la rédaction et de l’information des données sociétaires et des publications auxquelles elles donnent lieu? Les économies de dépenses et de coûts sontelles réelles et sont-elles à la mesure des bouleversements qui résulteraient de cette référence dominante, voire exclusive de l’informatique? Toutes et chacune de ces questions doivent faire l’objet d’un débat et d’une réflexion approfondie. Il s’agit d’examiner si, à l’aide du langage informatique et de la pratique, aujourd’hui généralisée, de la constitution, par chaque société, d’un site informatique, le donné juridique peut mieux assurer, au profit des entreprises économiques sociétaires, les conditions sans cesse souhaitées et répétées de simplicité, de facilité et de moindre coût dans la création et le fonctionnement du tissu sociétaire de petite et de moyenne importance. Il paraît en tout cas indéniable qu’à l’heure actuelle, l’informatique représente la meilleure technique et constitue la meilleure voie susceptible d’assurer l’information et l’accès à l’information dont le droit des sociétés a impérativement besoin tant dans la problématique de la constitution des sociétés que dans celle de leur fonctionnement et de l’exercice de leurs activités. L’usage de l’informatique, surtout au niveau des jeunes générations, est devenu tellement naturel et quotidien que les sites sociétaires seront sans doute plus naturellement et plus fréquemment visités et connus que ne le sont, aujourd’hui, les dossiers sociétaires. La première concrétisation de la facilité et de la simplicité, souhaitée et recherchée dans le mouvement sociétaire, emporte d’y veiller dans les voies et selon les modes qui sont, aujourd’hui, les plus répandus, les plus utilisés et dont les caractéristiques et les possibilités semblent sans limites. Le langage du droit ne peut ignorer le langage qui a présentement toutes les faveurs. Le monde juridique en semble convaincu et il n’élève pas d’objection dirimante sur le principe d’une domination, voire d’une exclusivité de l’informatique dans la communication et l’information des données sociétaires. Les craintes et les objections sont au niveau des risques de manipulation et de fraudes du donné informatique et des difficultés de preuve et de contrôle. Comment empêcher les erreurs, les insuffisances et les problèmes que pourraient présenter les sites informatiques sociétaires si les fondateurs de la société peuvent y veiller sans le moindre contrôle et sans la moindre intervention de ceux qui, aujourd’hui, y prêtent leur concours à l’un ou l’autre titre? Comment empêcher par ailleurs que les responsables de la société ne modi-

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fient les données informatiques sociétaires sans respecter les dispositions et les règles qui gouverneraient de telles modifications? Comment être certain de l’exactitude et de la portée juridiques du site informatique sociétaire dans son intégralité et dans chacune de ses composantes? Ces questions et ces craintes ne pourraient-elles pas trouver des réponses satisfaisantes dans les conditions et les termes du dialogue qui serait instauré entre chacun des sites informatiques sociétaires et le site informatique public central qui pourrait, dans ses tâches d’ordre et de contrôle, recevoir les observations, questions, interpellations et plaintes de toutes les personnes intéressées? Les sites informatiques permettent et impliquent les dialogues tant entre tous ceux qui participent à la vie économique, sociale et culturelle qu’entre les agents privés de l’économie, du social et du culturel et les autorités publiques chargées de veiller, dans l’accomplissement de leurs missions d’aide aux entreprises, à la défense et à la promotion de l’intérêt général.

IV. Le dialogue entre les autorités publiques et le monde sociétaire 1. Le binôme de la liberté individuelle et de l’intérêt collectif est au cœur de la démarche démocratique et assure, sous ce couvert, les axes et les bases de l’économie de marché Celle-ci attend de la main invisible la réalisation de l’intérêt collectif par le jeu des initiatives individuelles qui apparaissent et qui se déploient sous la surveillance des autorités de régulation, des autorités de contrôle et du pouvoir judiciaire. Le slogan le plus connu et le plus répandu est celui selon lequel tout ce qui n’est pas interdit est permis. Certains y retrouvent la priorité de la liberté individuelle à prétexte qu’à défaut de disposition impérative et contraignante, le droit applicable est celui de la liberté souveraine qui crée et applique sa loi dont toutes les dispositions s’imposent à l’instar des normes légales arrêtées par les autorités publiques. Mais comment soutenir une telle hiérarchie dans les termes du binôme de la liberté et de l’intérêt collectif lorsqu’il suffit d’un acte de l’autorité pour imposer ses vues et ses choix et restreindre en conséquence le champ d’application de la liberté et que pour les motifs les plus divers, les autorités publiques et les législateurs multiplient leurs interventions et imposent une production législative aussi abondante que mouvante et complexe. Il demeure que si l’intérêt collectif a et doit avoir le dernier mot, les principes fondamentaux de la démocratie et de l’économie de marché empêchent cependant ceux qui sont légitimement choisis pour le définir et pour l’exprimer en termes légaux, de prétendre y veiller au détriment des libertés individuelles et de réduire l’expression de ces dernières à une peau de chagrin.

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Il ne faut pas opposer la liberté et l’intérêt public ni les hiérarchiser dans les évidences qu’implique la vie collective. La tâche du monde juridique est d’assurer leur complémentarité nécessaire et enthousiaste et de réaliser essentiellement le bien-être collectif à la faveur des libertés individuelles dont ceux qui les expriment sont et doivent être les premiers acteurs de la définition et de la promotion du bien commun en collaboration étroite et suivie avec les détenteurs de l’autorité publique qui s’y consacrent par vocation, par conviction, par fonction ou par opportunité et qui témoignent de sentiments louables conformes à cette haute finalité en révélant aussi, plus ou moins souvent, des penchants d’autoritarisme et de puissance et de regrettables prétentions d’auto-suffisance et de dogmatisme. Le droit des sociétés est et peut être un merveilleux laboratoire de la nécessaire complémentarité entre la liberté et l’ordre public et partant, du dialogue qui la consacre. 2. La convergence des finalités suppose qu’elles soient définies et précisées en commun. Tel est l’objet fondamental et la portée essentielle du donné juridique que les communautés humaines élaborent et édifient dans la démarche démocratique qui en constitue heureusement la référence dominante et qui s’applique dans la diversité des expressions culturelles, des données historiques et des diverses réformes qui y sont apportées dans leur sillage ou en rupture plus ou moins profonde avec elles. Mais le donné juridique a de plus en plus de peine à remplir sa mission tant les normes s’accumulent et se compliquent dans une technicité de plus en plus poussée et fréquemment changeante et tant il est difficile d’y trouver des perspectives de vision et d‘action pour les projets et les entreprises d’aujourd’hui et de demain. Comment être sûr du donné juridique en vigueur et comment connaître celui de demain? Dans pratiquement toutes les communautés humaines, les partis politiques qui briguent le pouvoir s’engagent, en effet, en cas de succès, à procéder à des changements plus ou moins profonds. La situation présente est, à tout le moins paradoxale dans la mesure où d’une part, la volonté de changement poursuit la stabilité et la durée du nouvel ordre juridique qu’elle promeut et que d’autre part, la plupart des lois nouvelles s’efforcent, en invoquant le devoir de précaution, d’éviter la répétition des problèmes du passé alors que la vie regarde vers le futur et que l’économie de marché ne prend son sens et sa valeur que dans les innovations dont elle assume, de manière, on l’espère, réfléchie et raisonnable, le risque de l’échec. A défaut de pouvoir freiner la frénésie législative et réglementaire, je propose d’aller dans son sens mais à un autre niveau. Je rêve que des juristes se consacrent à la détermination des principes essentiels de l’aventure sociétaire de petite et de moyenne importance d’une part et de grande importance d’autre part et qu’ils proposent dès lors à l’ensemble de l’économie de marché et au G 20 en particulier deux documents de nature et de portée constitutionnelle au niveau du droit sociétaire, un document constitutionnel

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pour les sociétés petites et moyennes et l’autre, pour les grandes sociétés et les sociétés cotées. Un ius commune de principes et de fondements essentiels qui assurerait, au plus haut niveau, la convergence recherchée et qui constituerait la référence d’autorité dans tous les problèmes d’interprétation et d’application des textes sociétaires. Cette détermination brève des valeurs et des principes sociétaires s’accompagnerait de celle des pratiques sociétaires intolérables et des sanctions qui y seraient attachées dans une révision du droit pénal sociétaire qui frapperait plus durement les malhonnêtes et les escrocs. Un genre d’expropriation et de confiscation des droits sociétaires au profit des autorités publiques pourrait accompagner les sanctions prononcées à l’égard d’administrateurs et de dirigeants sociétaires coupables des crimes et des délits sociétaires ainsi limités et précisés. Le droit pénal n’exercerait, en revanche, plus son empire et ne connaîtrait plus une application quelconque à l’égard de ceux qui auraient méconnu ou oublié tel ou tel détail des lois et des règlements sociétaires. D’autres remèdes devraient être étudiés à cette fin. Le droit des sociétés, qui a rendu d’excellents services à l’économie et au bien-être des femmes et des hommes, ne mériterait-il pas une telle réflexion d’envergure et de vision au profit de notre temps et de celui des générations futures? Il suffirait que Klaus en accepte l’idée et en assure la direction. 3. Le rêve et l’utopie se poursuivent par la suggestion, adressée au G 20 et à défaut, aux autorités européennes, de constituer un organe central sociétaire d’aide, d’avis, de collaboration et de surveillance des sociétés petites et moyennes. Cette institution publique aurait pour mission de dialoguer avec les petites et les moyennes sociétés et de favoriser, dans ce dialogue, la reconnaissance et la promotion de leur liberté et de leurs initiatives en faveur du marché et de l’intérêt général et, s’il échet, de réserver suite aux demandes que ces sociétés lui soumettraient à propos de projets de normes ou de pratiques sociétaires. Si cette autorité publique y marquait son accord, cette norme ou cette pratique ne pourrait entraîner la moindre conséquence préjudiciable tant qu’une autorité judiciaire, qui serait saisie, n’aurait pas émis une opinion opposée. Un tel jugement ne vaudrait que pour l’avenir et n’entraînerait dès lors que l’obligation de mettre fin ou de modifier la norme ou la pratique incriminée dans le délai fixé dans le jugement. Si ladite autorité réservait une suite négative à la demande d’une société, celle-ci pourrait saisir le juge afin qu’il apporte à ce différend une réponse définitive. Une telle procédure d’approbation ou de décision judiciaire permettrait d’éviter ou de réduire les incertitudes juridiques et les craintes qui empêchent parfois certaines initiatives dans l’organisation du pouvoir sociétaire, dans le fonctionnement des sociétés, dans des réponses à des questions soulevées par des actionnaires ou par des parties prenantes et à mieux maîtriser l’ampleur et l’acuité des démarches judiciaires et les développements auxquelles elles donnent parfois lieu dans les conflits sociétaires.

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Cette idée et d’autres semblables pourraient peut-être répondre aux besoins et au désir des sociétés petites et moyennes d’éviter ou de réduire les procédures contentieuses ou d’en accélérer le cours et de leur procurer davantage de sécurité dans leurs initiatives, dans leurs démarches et dans leurs actions. Il s’impose, en toute hypothèse, de revoir et de réformer les principes et les bases du contentieux sociétaire et d’assurer, par les voies les plus appropriées, la sécurité juridique qui, en matière sociétaire comme en d’autres, ne peut attendre de longues années de procédure pour être définie et proclamée. Le donné juridique des sociétés petites et moyennes requiert de nouvelles exigences et de nouvelles voies qui interpellent tant les autorités publiques que le monde sociétaire lui-même. 4. Il existe une criminalité sociétaire organisée. Il s’impose donc de maintenir et de promouvoir à leur encontre l’intervention et l’action des autorités répressives. Une meilleure détermination de la criminalité qu’il faut s’efforcer d’éradiquer devrait améliorer les résultats d’une telle politique internationale. Il faut aussi, me paraît-il, développer, en dehors du climat pénal et répressif, les termes d’un nouveau dialogue entre les autorités publiques et le monde sociétaire au niveau international à l’initiative du G 20 ou des autorités européennes ainsi qu’au niveau régional, national et local. On peut s’étonner à cet égard que la nécessité et la réalité sociétaires n’aient pas largement suscité la création et l’action d’autorités publiques chargées, en dehors ou au-delà d’une politique répressive, de suivre et d’accompagner le mouvement sociétaire tellement essentiel à l’économie de marché et en particulier le mouvement sociétaire de petite et de moyenne importance qui retient spécialement notre attention. Il est vrai que traditionnellement, lorsque la liberté dominait le droit des sociétés, l’autorité publique et l’autorité judiciaire n’y réservaient principalement leur attention qu’en cas de faillite ou de liquidation des sociétés et que le climat d’intervention judiciaire a évolué à un rythme plus lent que celui adopté par les autorités légales et réglementaires dans le donné sociétaire et dans les multiplications des contraintes qui l’ont marqué et qui l’ont transformé de manière plus ou moins profonde. Le droit des sociétés s’est imposé avec force et éclat aux autorités publiques et aux autorités judiciaires dans la dernière partie du siècle dernier à l’occasion des combats pour le pouvoir sociétaire, des offres publiques d’achat des actions et de toutes les démarches et tentatives de mutation de l’ordonnancement sociétaire. Les disputes d’associés dans les sociétés petites et moyennes ont suivi le mouvement et ont fait florès devant la juridiction des référés. Un mouvement semblable aura-t-lieu au profit des entreprises en difficulté et des politiques proclamées et poursuivies de tout mettre en œuvre pour assurer, autant que faire se peut, la continuité des entreprises? Le souhait, peut-être utopique, est de contribuer à la réussite du mouvement sociétaire en général et des sociétés petites et moyennes en particulier

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grâce à une collaboration accrue et suivie des autorités publiques et judiciaires d’une part et du monde sociétaire d’autre part. La tâche des autorités publiques sociétaires ne se limiterait pas à contrôler, à réprimander et à sanctionner. L’essentiel de leurs missions serait de nature consultative et suggestive et elles les accompliraient en coopération étroite et suivie avec le monde sociétaire et tous les organismes et institutions qui se consacrent au droit et à la vie des sociétés ou qui s’y intéressent à l’un ou l’autre titre. Une coopération réelle d’écoute et de confiance et une recherche commune des meilleurs résultats remplacerait la conception hiérarchique traditionnelle. Cette action commune porterait aussi bien sur les besoins micro-économiques de telle ou de telle initiative sociétaire ou de telle ou de telle société confrontée à un problème de fonctionnement de structure, d’expansion ou de continuité qu’aux attentes macro-économiques de l’ensemble du monde sociétaire. Le droit des sociétés a besoin, dans sa recherche permanente d’équilibre entre l’action des libertés individuelles et la promotion de l’intérêt collectif, de créativité et d’imagination et tous les acteurs devraient en faire preuve dans un échange d’idées et de suggestions le plus ouvert et le plus constructif. Il ne s’agit plus d’arrêter un seul système supplétif à défaut d’autre choix par les acteurs sociétaires mais de multiplier les propositions et les suggestions et les autorités publiques peuvent peut-être, avec l’aide des milieux scientifiques, apporter dans cet esprit une contribution de choix au mouvement sociétaire de petite et de moyenne importance dont, trop souvent, les membres n’ont pas le temps ni les moyens de s’y consacrer comme ils le souhaiteraient. 5. Une évolution de l’esprit hiérarchique et une mutation des conditions et des termes du dialogue entre les autorités publiques et le mouvement sociétaire s’accompagneraient très heureusement d’une participation, plus directe et plus active, des acteurs sociétaires à la détermination et au respect de l’ordre public sociétaire. Il s’agirait donc que ceux qui sont les destinataires de l’ordre public sociétaire et qui doivent veiller à son respect soient aussi, en quelque sorte, les auteurs de ses conditions et de ses exigences à la faveur d’une coopération étroite, suivie et organisée avec les autorités publiques. Le monde sociétaire a raison de rappeler sans cesse l’importance de la liberté et de l’appréciation souveraine que requièrent, dans l’intérêt collectif, les initiatives et les risques qu’il doit prendre dans l’édification de ses structures et l’exercice de ses activités. Il lui incombe aussi de faire entendre sa voix et de participer, avec les autorités publiques et avec tous les milieux intéressés, aux recherches et aux analyses destinées à définir et à arrêter l’ordre public sociétaire. Il ne peut demeurer passif à cet égard ni pratiquer une politique attentiste de la chaise vide en profitant égoïstement ou en paraissant profiter du retard que connaîtraient l’adoption et la promulgation des règles nouvelles qui seraient nécessaires au bon fonctionnement des agents économiques et à l’intérêt général.

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Est-il utopique et illusoire de souhaiter que le monde sociétaire anticipe le respect de telles règles dans un climat et une atmosphère de véritable ordre public d’origine privée? Il est particulièrement bien placé pour y veiller par les connaissances dont les agents économiques peuvent généralement se prévaloir et par les expériences qui sont les leurs. Ceux-ci doivent cependant, dans cette perspective et à cette fin, perdre des réflexes et des certitudes de repli sur soi-même et d’absence de dialogue. La responsabilité des agents économiques ne s’arrête pas, comme certains le prétendent, aux frontières de leurs structures sociétaires. Elle concerne aussi, à leur niveau, la défense et la promotion de l’intérêt général et il est réducteur et inexact de prétendre que la liberté serait toujours préférable à toute norme contraignante qui serait nécessairement source de difficultés et de frais. Le dialogue qu’appelle l’état actuel de l’économie de marché et que le tissu sociétaire permet et facilite implique que tous les acteurs y soient attentifs et y participent pleinement à tous les niveaux et dans tous ses aspects. Au surplus, il est indéniable que la discipline librement définie et consentie a une force significative et une portée majeure dans les pratiques sociales en général et dans les pratiques sociétaires en particulier. Les anciens avaient raison de souligner que la coutume du milieu créait la règle et que son respect était assuré pour les meilleures raisons dont la fierté de la participation et de l’intégration au milieu concerné était sans doute la première. L’éthique a été et est le ferment d’un mouvement semblable. Elle a conduit à l’échange d’idées et de convictions qui se sont voulues de transparence et d’objectivité et à l’adoption de codes généralement privés et partant, à une discipline, librement acceptée, d’attitudes, de procédures et de comportements, destinée à susciter, sinon à garantir la confiance de toutes les parties prenantes dans le gouvernement des structures sociétaires qui s’y rallient. Ne serait-il pas souhaitable, sinon nécessaire que les références éthiques s’ouvrent davantage au dialogue le plus élargi, baigne moins dans les certitudes des milieux qui en ont pris l’initiative et qui animent le mouvement et n’aient pas peur, à la faveur d’une vision teintée d’utopie, de relever, avec force, confiance, créativité et imagination constructive, les défis actuels des finalités de l’économie au profit et au service de toute la communauté humaine?

V. La consultation, la conciliation, la médiation et l’arbitrage sociétaires L’anticipation qualifie mieux que l’utopie la mise en évidence de l’intérêt et de l’utilité, pour les sociétés de moyenne et de petite importance, de prévoir et de promouvoir l’intervention de tiers aux fins d’éclairer et de conseiller ces dernières et de les aider à résoudre des situations problématiques et conflictuelles.

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1. L’audit de l’ami ou des amis de la société a) La création et le fonctionnement des sociétés bénéficie du concours, parfois obligatoire, de spécialistes du chiffre et de la comptabilité ainsi que de juristes et de ceux dont les compétences sont indispensables au regard des activités de production, de distribution et de services des entités sociétaires comme de ceux qui aident ces dernières à prendre place sur le marché et à s’efforcer d’y acquérir une part plus ou moins importante. L’apport des spécialistes est une nécessité et emporte une plus value certaine. Mais il entraîne des coûts qui ne sont pas négligeables par rapport aux moyens et aux ressources des sociétés de petite et de moyenne importance et il ne résout pas tous les problèmes. L’expérience apprend, en effet, que pour l’essentiel, le ou les dirigeants sociétaires sont souvent livrés à eux-mêmes et que quelle que soit la réalité juridique des assemblées générales, ils ne cherchent pas ou ne bénéficient pas des échanges de vues et des discussions qui leur seraient utiles et profitables dans l’étude et l’analyse de leurs idées et des projets qu’ils nourrissent par rapport à la situation présente. Il n’y a pas, dans un nombre plus ou moins grand de sociétés, de véritable dialogue interne relativement à la gestion et à l’administration des sociétés petites et moyennes. Il faut, aussi bien, les encourager à élargir leur organe de gestion ou à solliciter des concours extérieurs mais toutes n’en ont pas la possibilité ou les moyens nécessaires. Au courant des dernières décennies, l’idée a été émise, même au niveau des sociétés petites et moyennes, de faire appel à des administrateurs et à des gérants indépendants. Le mouvement a pris de l’ampleur et a même été consacré par des dispositions légales tant la démarche a paru séduisante et utile en raison de la vision objective et judicieuse que l’on attribue généralement à ces personnes qui n’ont d’autre lien avec la société concernée que la compétence qu’elles mettent à son service moyennant la rémunération convenue pour de tels devoirs, prestations et diligences. Il n’est cependant pas aisé de préciser quelles sont les conditions et quelles sont les modalités qui assurent et qui garantissent, au moment de l’attribution et tout au long de l’exercice d’un tel mandat, cette qualité d’indépendance qui serait la source des avantages et des bienfaits du concours et de la collaboration de ces administrateurs et de ces gérants indépendants. Comment, au demeurant, maintenir cette indépendance et la parfaite objectivité qui devrait en résulter lorsqu’une personne exerce un tel mandat sans limite de durée et qu’au fil du temps, elle s’intègre ainsi inévitablement à la société à l’égal de ceux qui y ont effectué des investissements plus ou moins importants? On aperçoit mal, par ailleurs, la valeur et la qualité spécifiques de l’apport des administrateurs et des gérants indépendants dans la détermination et le suivi des opérations sociétaires les plus journalières et les plus courantes. Le mandat des administrateurs et des gérants indépendants ne devrait-il dès lors être exercé que dans des hypothèses plus ou moins exceptionnelles?

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b) Quel que soit le bilan de la problématique des administrateurs et des gérants indépendants, des certitudes qui y sont attachées comme des réserves et des nuances qu’elle suscite, j’y fais référence dans l’expression d’une proposition qui s’en inspire tout en s’en distinguant dans sa formulation, dans ses conditions et dans sa portée. Une brève réflexion amplifie l’expérience qui en est à la base. Il fut un temps où certaines sociétés m’invitaient à passer une ou plusieurs journées en leur sein non pour me demander, en ma qualité d’avocat, des informations ou des précisions juridiques qui auraient été nécessaires pour résoudre certains problèmes, pour répondre à certaines interpellations internes ou externes, pour aider à éviter un conflit ou pour traiter tel ou tel litige mais bien pour leur faire part de mes remarques, observations, critiques et avis sur la situation de la société dans son ensemble et sur ses projets d’avenir. La question était simple: Que pensez-vous de nous? Quels sont vos étonnements, vos désaccords et vos approbations? Quelles sont vos suggestions? Pour y répondre, tous les livres étaient ouverts ; tous les documents, accessibles et tous les membres de la société, prêts à des conversations sans réserves. L’intérêt et le plaisir de ces journées me demeurent en mémoire. Leur conclusion ne comportait pas un audit, sinon un audit de référé. Il est plus exact de parler d’un avis et d’une expression de sentiments. Leur portée et leur pertinence éventuelle étaient à la mesure du dialogue qu’ils suscitaient et développaient avec le ou les dirigeants sociétaires par rapport à leurs idées, leurs convictions, leurs entreprises, leurs projets et leurs espoirs. J’aimerais que cette démarche soit reprise et amplifiée car je crois qu’au-delà du concours des spécialistes, le ou les dirigeants des sociétés de petite et de moyenne importance doivent avoir l’opportunité de dialoguer avec euxmêmes au niveau de leurs idées, de leurs démarches, de leurs actions et de leurs espoirs. Cette mission le permet et l’assure. Elle implique, pour ceux qui sont prêts à l’assumer, d’éprouver, pour la société concernée et pour son ou ses dirigeants, un intérêt et une sympathie pour les faits et pour les dires sociaux et une capacité et une volonté de mener un dialogue loyal et critique sur le présent de la société, sur ses visions d’avenir et sur les possibilités qui pourraient y être les siennes à la faveur des changements qui seraient suggérés. Qui répond à ces exigences dans l’entourage des dirigeants des sociétés petites et moyennes? Pourrait-on y veiller de manière régulière ou serait-il préférable de ne pas trop répéter cette démarche pour conserver la fraicheur d’une observation et d’une critique des plus pertinentes? Le monde des avocats est qualifié pour relever ce défi s’il veille à ne pas le limiter à des leçons et à des observations juridiques et si, comme il peut le faire, il gère le dossier sociétaire dans l’intégralité de ses données, de ses perspectives et de ses possibilités. La récente loi belge du 31 janvier 2009 sur la continuité des entreprises, comme d’autres lois qui ont été promulguées dans d’autres pays européens, l’y invite de manière plus ou moins explicite en

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faveur des entreprises en difficulté. Je suis convaincu que les entreprises, petites et moyennes, qui sont en bonne santé peuvent aussi, trouver, dans ces missions de quasi-audit, des avantages indéniables de développement et de promotion de leurs succès. 2. La conciliation dans le monde sociétaire a) La juridicisation a-t-elle atteint et envahi le monde sociétaire? Le nombre de procès a-t-il augmenté ou parle-t-on davantage des procès qui concernent les acteurs sociétaires? Les décisions judiciaires apportent-elles une plus value à la création, à l’existence et au fonctionnement des sociétés ou ne sont-elles que l’épilogue d’un mal nécessaire ? La voie juridictionnelle s’avère-t-elle comme la plus voie la plus efficace pour faire, sur l’adversaire, une pression d’autant plus forte que la presse y fait largement écho et lui donne l’ampleur souhaitée et attendue ? La victoire judiciaire a-t-elle un prix sans pareil qui justifierait, malgré toutes les doléances, le temps que l’on y consacre et les longues attentes qu’elle impose ? La décision du juge des référés n’entraînet-elle plus, comme elle semblait encore le faire récemment, la fin des démarches judiciaires et le retour aux négociations et aux accords? Toutes et chacune de ces questions mériterait une collecte de données statistiques et des évaluations sociologiques et psychologiques du comportement des acteurs concernés. Il apparaît, en effet, fréquemment que l’opposition des thèses juridiques n’est qu’un habillage des conflits et des litiges sociétaires. Leur objet et leur nature relèvent, en effet, très souvent d’autres sources et plongent dans d’autres racines qui suscitent et qui alimentent l’incompréhension et l’animosité des parties en litige. Les désaccords sont dans les esprits et dans les cœurs avant de se manifester dans l’interprétation et l’application des normes juridiques et des textes qui les consacrent. Le mouvement sociétaire a dès lors un profond besoin non seulement d’un droit pertinent consacrant, dans les meilleures conditions, les choix démocratiques qui permettent et qui assurent la satisfaction des besoins des femmes et des hommes en fonction des réalités et des possibilités de l’économie mais aussi d’une attention particulière et suivie à toutes les données psychologiques et sociologiques des comportements et des réactions de tous les acteurs. Comment y veiller au mieux dans le processus et la vie des sociétés? b) La construction sociétaire évoque, par elle-même et au niveau de chacun des organes sociétaires, l’échange d’idées et de propositions ; le dialogue et la discussion à leur propos et la convergence majoritaire qui conduit à la prise de décision. Le dialogue le plus large et la règle de la majorité dominent le processus sociétaire comme il domine le processus politique démocratique, les deux se faisant écho sans qu’on sache exactement celui qui a, le plus, influencé l’autre.

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On connaît, à cet égard, les efforts inlassables dont témoignent des normes légales et des pratiques sociétaires aux fins de donner souffle et vie aux assemblées des associés et des actionnaires et d’y favoriser des échanges de vues et des débats qui pourraient contribuer à susciter et à développer, au sein de la société, le meilleur esprit et la meilleure culture sociétaire. Hélas, ces tentatives ont rarement réussi à obtenir les résultats espérés. Les appréciations sont généralement plus positives en ce qui concerne les procédures adoptées et suivies sous le couvert de la gouvernance d’entreprise et d’heureuses suggestions s’efforcent d’amplifier la force, la rigueur et la pertinence de certaines pratiques. Le mouvement doit se poursuivre au profit d’un dialogue sociétaire de grande qualité. Celui-ci implique le soin d’une information adéquate, la pertinence d’une discussion et d’un échange d’idées et de propositions aussi loyal et complet que créatif et constructif, la recherche éclairée de la meilleure conciliation possible des points de vue respectifs et la clarté et la fermeté d’une prise de décision aussi prompte que ne le requiert la plus ou moins grande urgence des données et des circonstances de l’espèce. Ces exigences sont inhérentes au processus sociétaire. Les moyens modernes de communication et l’informatique en facilitent la réalisation dans une proportion qui pourrait être beaucoup plus importante si l’environnement légal du monde sociétaire s’en inspirait davantage et en autorisait et en préconisait, avec confiance et audace, un usage étendu et privilégié. Le droit des sociétés doit prendre la tête de la consécration généralisée d’un nouveau langage et des nouvelles formes et des nouvelles voies qui sont les siennes. c) On souhaite et on attend que le dialogue sociétaire et les discussions qu’il implique évitent les disputes et les ruptures. Lorsque le fonctionnement normal des organes sociaux et l’observance des règles qui y président ne permettent pas d’empêcher la survenance de querelles acharnées et de conflits sournois ou tumultueux, la société a tout intérêt à faire appel à une personnalité extérieure dont les qualités premières devraient être, outre sa sympathie pour la société concernée, celles de l’écoute, de la compréhension, du bon sens, de l’imagination et de l’art de la conciliation. Il ne faut pas attendre que le conflit soit tout à fait exacerbé pour y faire appel et il est souhaitable que pour éviter des discussions sur l’opportunité de son intervention, les statuts de la société disposent qu’un associé ou un actionnaire plus ou moins important ou un membre d’un organe sociétaire, voire, à certaines conditions, toute partie proche de la société et intéressée par son bon fonctionnement, a le droit, en cas de conflit, de mettre la procédure de conciliation en mouvement et qu’aucune autre partie intéressée ne pourra, avant le déroulement de cette procédure de conciliation et le constat éventuel de son échec, introduire, s’il échet, une procédure devant les Cours et Tribunaux. Est-il utopique d’espérer qu’un nombre croissant de sociétés introduiront cette procédure de conciliation dans leurs statuts et qu’en vue

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d’assurer son efficacité immédiate, les sociétés fassent nommément choix d’un conciliateur dont le mandat pourrait, par exemple, être de cinq ans? Aucune raison ne me paraît empêcher que ce mandat soit renouvelé autant de fois que la société le souhaite. Rien n’empêche que la conciliation soit mise sur pied et organisée de manière plus générale sous le couvert d’institutions et d’organismes qui y veilleraient au bénéfice de l’ensemble des sociétés d’un pays, d’une région ou d’un secteur ou même sous l’égide plus ou moins directe des Cours et des Tribunaux qui prennent de plus en plus conscience des perspectives, des besoins et de la valeur de la conciliation et de toutes les formes d’arrangement amiable qui requièrent une participation active des acteurs concernés à la recherche et à la détermination de la solution des problèmes auxquels ils sont confrontés. 3. L’arbitrage et la médiation a) Jusqu’à la création et la promulgation, dans la deuxième partie du XIXe siècle, du droit moderne des sociétés, l’arbitrage était le mode obligatoire de règlement des litiges sociétaires. Le pouvoir de l’époque n’entendait pas que des dépenses publiques soient exposées et que les juridictions ordinaires soient encombrées par des différends dont il apparaissait logique et naturel que l’organisation de la procédure de règlement maintienne et prolonge la nature privée de l’organisation sociétaire elle-même. L’obligation était cependant contre nature et assurément regrettable. Il eut mieux valu que le pouvoir préconise et encourage la procédure arbitrale sans contraindre les parties à y avoir recours. Quoi qu’il en soit, l’obligation a été supprimée par les grandes lois sociétaires modernes et le contentieux sociétaire arbitral s’est tari même si les chambres de commerce, les fédérations professionnelles et les institutions et les organisations industrielles et commerciales ont continué à inviter et à recommander à leurs membres d’y avoir recours. On sait que l’arbitrage a repris vigueur au XXe siècle et qu’après la deuxième guerre mondiale, il est même apparu, lentement mais sûrement, comme le mode normal de règlement des litiges commerciaux internationaux. En acquérant de telles lettres de reconnaissance et de noblesse juridictionnelle, l’arbitrage a répondu aux attentes d’ordre et de sécurité des opérateurs du commerce international. N’a-t-il cependant pas, en obtenant cette consécration judiciaire, perdu un peu de son originalité et de sa spécificité qui prenaient notamment leur source dans la dominance du climat corporatif et de la nature professionnelle des problèmes litigieux que posaient des accords et des contrats conclus dans le même esprit? Les acteurs des négociations, des pourparlers et des conventions entendaient le demeurer dans la survenance des problèmes et dans leur règlement. Leurs conseillers et leurs avocats pouvaient

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les accompagner mais leur rôle n’était que d’appui et d’assistance des parties qui, quant à elles, demeuraient d’autant plus aisément au centre des débats que les arbitres étaient fréquemment choisis au sein des mêmes milieux corporatifs et professionnels. La marée juridique a progressivement envahi les rivages de l’arbitrage et en a modifié l’organisation, la liturgie et la finalité. Le droit y a étendu tout son empire dans son discours, son langage, ses classifications, ses questions, ses nuances et ses problèmes. Ses excès et ses dérives s’y manifestent également et donnent lieu notamment à des combats judiciaires de très mauvais aloi. Ils provoquent, de la part de certains parmi les plus éminents spécialistes de l’arbitrage comme l’était notre regretté collègue et ami Philippe Fouchard, de juste doléances et des inquiétudes sur l’évolution du droit de l’arbitrage et des pratiques arbitrales. Cette situation et d’autres causes diverses d’insatisfaction, comme celles des difficultés, des lenteurs et du coût de certaines procédures arbitrales, ontelles été à l’origine du mouvement des ADR (alternative dispute resolution) ou celui-ci est-il né et s’est-il développé pour d’autres raisons? Quel que soit, au demeurant, le degré d’influence de ces causes respectives ou leur convergence, l’essentiel est la voie qui s’ouvre, d’utopie ou d’anticipation, dans le règlement des conflits sociétaires. b) Cette voie est celle qui, depuis la nuit des temps, invite les parties en conflit à ne pas s’y enfermer, à se rapprocher l’une de l’autre et à régler leur différend à l’amiable. Elles peuvent le faire par elles-mêmes, y veiller grâce à leurs conseils et à leurs avocats ou encore sous l’égide du juge à qui elles ont soumis leur contentieux. La conciliation ne retranche rien au donné juridique et ne l’amoindrit d’aucune manière même si elle emporte des renonciations à des droits qui paraissaient établis et indiscutables. Elle l’enrichit par la valeur de sa création et par celle des sentiments de respect, de dignité et d‘estime qu’elle suscite et consacre dans la satisfaction réciproque des parties et de ceux qui ont concouru à sa réalisation. La conciliation en général et la conciliation judiciaire en particulier devraient être les voies royales du règlement des litiges et ne plus être considérées comme une simple possibilité marginale dans le cadre d’une liturgie judiciaire qui a naturellement tendance à se concentrer sur ses rites juridiques et qui ne confère généralement qu’un rôle très passif aux parties elles-mêmes. La vie des sociétés en appelle, par nature et par finalité, à la conciliation des problèmes et des difficultés qui surgissent en leur sein et, à cette fin, à une intervention et à un dialogue, actif et suivi, des parties concernées. c) Il faut se réjouir que des législateurs en grand nombre aient compris ces nécessités et ces besoins et y aient répondu par des législations appropriées relatives à la médiation judiciaire ou volontaire. Les résultats actuels ne sont cependant pas à la mesure des espérances. Les législations elles-mêmes peuvent peut-être en être la cause car il ne suffit pas

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de répondre à des attentes et d’arrêter des dispositions légales, pour modifier les esprits et amener les parties intéressées à d’autres démarches et à d’autres convictions. En l’espèce, le cadre légal est, en effet, moins important que la volonté des parties. La conciliation et la médiation impliquent, au-delà de leurs nuances et des oppositions d’idées à propos de la compétence qu’il faut ou qu’il ne faut pas accorder aux juges de veiller activement et personnellement à l’une comme à l’autre, qu’en cas de litige, les parties ne s’en remettent plus, purement et simplement, à leurs avocats et à leurs conseils et ne limitent pas leur attente et leur souhait à ce qu’au terme d’une liturgie principalement, sinon exclusivement judiciaire, les juges répondent intégralement à leurs demandes et fassent comprendre à l’autre partie les erreurs et les responsabilités qui sont les siennes. La conciliation et la médiation requièrent qu’avec leurs avocats et leurs conseils, les parties poursuivent et développent, malgré leur conflit, un dialogue direct et créatif et soient et demeurent les acteurs principaux de la recherche et de la découverte des voies et des possibilités de règlement amiable de leur différend. Le conciliateur et le médiateur ne sont que les auxiliaires des démarches des parties dont ils doivent assurer le cadre, la possibilité, les perspectives éventuelles et l’esprit. Les idées et les mouvements en ce sens apparaissent et se développent et les magistrats y apportent un concours de choix comme l’attestent la création, par les juges qui croient à la conciliation et la médiation et qui entendent promouvoir son esprit et sa réussite, d’associations qui les réunissent tant au niveau européen qu’au niveau international. Le droit des sociétés devrait être un terrain privilégié de la reconnaissance et de la promotion de ce nouvel esprit judiciaire. Il bénéficierait, en ce faisant, d’un supplément d’humanité et d’efficience. L’utopie et l’anticipation se rejoignent dans une telle espérance et une telle certitude.

VI. Conclusion La conclusion de ces quelques propos rejoint la personnalité de celui auquel ils sont destinés dans un domaine qui est son royaume. Le droit des sociétés est un droit merveilleux lorsqu’il contribue, avec dignité et efficacité, aux besoins des femmes et des hommes et à leur épanouissement. Klaus y veille avec chaleur et avec soin et il enrichit sans cesse ce droit dont il a toujours été un des meilleurs orfèvres. Merci Klaus.

Die Aktiengesellschaft als Rechtsform gemischtwirtschaftlicher Unternehmen Uwe Hüffer I. Grundlagen 1. Einführung Das Aktienrecht und auch das übrige Gesellschaftsrecht stehen einer mitgliedschaftlichen Beteiligung der öffentlichen Hand, besonders einer – auch kommunalen – Gebietskörperschaft, offen gegenüber. Das folgt schon aus §§ 394, 395 AktG, die eine solche Beteiligung voraussetzen. Die jeweilige öffentlich-rechtliche Korporation genießt allerdings als Gesellschafterin auch keinen Sonderstatus, sondern hat nach der Gesetzeslage die gleichen Rechte und Pflichten wie ihre privaten Mitgesellschafter. Exemplarisch findet das darin Ausdruck, dass die mit Beherrschungspotential (§ 17 AktG) ausgestattete Gebietskörperschaft wie ein privater Aktionär in die konzernrechtliche Rechts- und (vor allem) Pflichtenlage einrückt, dass es also keine konzernrechtliche Privilegierung von Gebietskörperschaften gibt, auch nicht im Hinblick auf die Gemeinwohlbindung, der sie unterliegen.1 Größere Schwierigkeiten bereitet das Thema aus der Sicht der öffentlichen Hand, besonders einer beteiligungswilligen Kommune. Dabei stehen jedoch im Ausgangspunkt nicht gesellschaftsrechtliche, sondern öffentlich-rechtliche Probleme zur Diskussion, nämlich erstens die Zulässigkeit einer Errichtung von oder einer Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmen (vgl. z.B. § 102 ff. GemO BW) und zweitens die Zulässigkeit einer Organisationsprivatisierung (auch: einer formellen Privatisierung) bei fortdauernder materieller Verantwortung der jeweiligen Gebietskörperschaft für ihre Pflichtaufgaben.2 1 Heute ganz h.M., s. BGHZ 69, 334, 338 ff. = NJW 1978, 104 (VEBA/Gelsenberg); BGHZ 105, 168, 176 f. = NJW 1988, 3143 (HSW); BGHZ 135, 107, 113 = NJW 1997, 1855 (VW/Land Niedersachsen); Hüffer Aktiengesetz, 9. Aufl. 2010, § 15 Rn. 13 m.w.N.; ferner Siegels in Hoppe/Uechtritz (Hrsg.), Handbuch Kommunale Unternehmen, 2. Aufl. 2007, § 13 Rn. 21. 2 Vgl. zur Betätigung von Gebietskörperschaften in wirtschaftlichen Unternehmen Kunze/Schmidt/Katz Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, 4. Aufl., Loseblatt, § 102 Rn. 1 ff. (Stand Juli 2008); Schröder in Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2000, § 16 Rn. 7 ff.; zur Organisationsprivatisierung Knemeyer/Kempen ebenda § 17 Rn. 32, 77; Hellermann in Handbuch Kommunale Unternehmen (Fn. 1) § 17 Rn. 32, 77.

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2. Problemschwerpunkte und Plan der Darstellung Die übliche Rechtsform eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens ist zwar die GmbH,3 was ihrer auch sonst zu registrierenden Verbreitung entspricht.4 Auch die Aktiengesellschaft findet aber Verwendung und ist dann ohne Alternative, wenn der Zugang zum Kapitalmarkt gesucht wird.5 Der Beitrag knüpft an diese Verwendung der Aktiengesellschaft an und untersucht sie als Rechtsform gemischtwirtschaftlicher Unternehmen. Das soll in vier Abschnitten geschehen. Erforderlich ist zunächst eine knappe Vorklärung der in diesem Zusammenhang anzutreffenden Terminologie (II). Sodann ist die rechtliche Verfassung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen aufzuzeigen. Dabei geht es um den Gegensatz zwischen Verwaltungsgesellschaftsrecht und aktienrechtlichem Regime (III). Der folgende Untersuchungsabschnitt wendet sich den öffentlich-rechtlichen Vorgaben zu, denen sich Unternehmen in privater Rechtsform ausgesetzt sehen (IV). In den damit geschaffenen Rahmen ist schließlich die Sonderregelung der §§ 394, 395 AktG einzustellen, die unter den Stichworten Amtsverschwiegenheit und Berichtspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern für die Praxis manche Schwierigkeit bereithält (V). Klaus J. Hopt ist unter anderem als Herausgeber und Autor eines Großkommentars zum Aktiengesetz hervorgetreten; namentlich die unter seiner Federführung vorgelegte Erläuterung der §§ 95 bis 116 AktG nimmt sich der Rechtsfragen des Aufsichtsrats in einer schon monumental zu nennenden Darstellung an.6 Weil sich die Beteiligung der öffentlichen Hand vor allem in der Besetzung des Aufsichtsrats niederschlägt, überrascht es nicht, dass die angesprochenen Sachkomplexe gerade dieses Leitungsorgan betreffen. Deshalb bietet es sich an, das Thema in der Festschrift abzuhandeln, die Klaus J. Hopt zu seinem 70. Geburtstag gewidmet ist.

3 S. dazu aus jüngster Zeit OLG München AG 2009, 706; van Kann/Keiluweit DB 2009, 2251. 4 Die Rechtsform der GmbH haben rund 1 Mio. Gesellschaften, die der AG etwa 15.000. 5 Als börsennotierte Gesellschaften mit kommunaler oder stadtstaatlicher Beteiligung lassen sich etwa Fraport, Gelsenwasser, HHLA, MVV Energie und RWE nennen, ferner als Gesellschaften mit beachtlicher Bundes- oder Landesbeteiligung Deutsche Post, Deutsche Telekom und Volkswagen. 6 Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Großkommentar Aktiengesetz, 4. Aufl., 24. Lfg. 2005 (§§ 95–116 bearbeitet von Hopt/Roth); einschlägig für das Thema des Beitrags ist auch die 11. Lfg. 1999 (§ 93 bearbeitet von Hopt).

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II. Gemischtwirtschaftliche Unternehmen, private public partnership und Kooperationsmodell Zur üblichen Terminologie bleibt festzuhalten: Das gemischtwirtschaftliche Unternehmen bezeichnet diejenige gesellschaftsrechtliche Kooperation von privaten Aktionären oder sonstigen Teilhabern mit der Kommune oder sonstigen Gebietskörperschaft, die sich auf der Basis gemeinschaftlicher Mitgliedschaft vollzieht. Während der gesellschaftsrechtliche Ertrag der Begriffsbildung wegen der ohnehin anerkannten Zulässigkeit einer mitgliedschaftlichen Beteiligung der öffentlichen Hand eher schmal bleibt, signalisiert sie für das öffentliche Recht eine Organisationsprivatisierung, die deshalb zulässig ist, weil die jeweilige Gebietskörperschaft mitgliedschaftlichen Einfluss gewinnt und in den Strukturen der gewählten Gesellschaftsform zur Geltung bringen kann. Es ist also grundsätzlich möglich, der fortdauernden Aufgabenverantwortung trotz der Wahrnehmung durch eine AG oder GmbH Rechnung zu tragen.7 Teilweise wird die Zulässigkeit der Organisationsprivatisierung durch den Zusammenschluss in gemischtwirtschaftlichen Unternehmen allerdings auch in der Erwartung bejaht, dass sich weitergehende öffentlich-rechtliche Bindungen der Unternehmensleitung wegen der besonderen Aufgabenstellung des Unternehmens bejahen lassen.8 Dieser Erwartung kann nicht entsprochen werden.9 Hinzuzufügen bleibt: Die zeitweise in den Vordergrund gerückte private public partnership hat gegenüber den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen keine eigenständige rechtliche Bedeutung. Am ehesten lässt sie sich als deren Sonderform kennzeichnen, wobei die Besonderheit auf der typologischen Ebene liegt; es geht nämlich bei der private public partnership vor allem um Unternehmen der Ver- und Entsorgungswirtschaft mit überschaubarem Gesellschafterkreis unter Beteiligung einer Kommune.10 Soweit es schließlich um das Kooperationsmodell geht, führt auch dieser Begriff für eine gesellschaftsrechtliche Analyse nicht weiter als derjenige des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens. Während dieser Terminus oder auch die private public partnership den Unternehmensträger kennzeichnen wollen, geht es beim Kooperationsmodell um denselben Sachverhalt unter dem Aspekt zulässiger und zweckmäßiger Organisationsprivatisierung, wobei das Kooperationsmodell mit anderen Modellen (Betreibermodell, Betriebsführungsmodell usw.) konkurriert.11 7

Vgl. z.B. Hellermann in Handbuch Kommunale Unternehmen (Fn. 1) § 7 Rn. 200. Übersicht zu entsprechenden Ansätzen etwa bei Spannowsky ZHR 160 (1996) 560, 581 ff. 9 Unten III 1b. 10 Ähnlich Habersack ZGR 1996, 544, 545 f. 11 Überblick bei Hellermann in Handbuch Kommunale Unternehmen (Fn. 1) § 7 Rn. 189 ff. 8

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III. Die rechtliche Verfassung des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens 1. Kein Verwaltungsgesellschaftsrecht a) Zum Stand der Diskussion Geht man von den angesprochenen Zulässigkeitsfragen zu dem rechtlichen Regime über, dem ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen unterliegt, so bietet es sich an, dieses Regime in der gesellschaftsrechtlichen Teilordnung zu finden, für die sich die Beteiligten im Gründungsgeschäft entschieden haben, also im Aktienrecht, soweit es um die hier untersuchten Fälle geht. Die Maßgeblichkeit der autonom gewählten gesellschaftsrechtlichen Teilordnung wird jedoch von einer Meinungsrichtung des öffentlich-rechtlichen Schrifttums in Abrede gestellt oder doch zumindest deutlich relativiert. In der älteren Literatur begegnet sie in der Variante einer Vorrangtheorie, nach welcher die sogenannte Daseinsvorsorge auch dann dem öffentlichen Recht unterfallen soll, wenn sie in den Formen des bürgerlichen Rechts betrieben wird.12 Im jüngeren Schrifttum ist der Gedanke anzutreffen, dass die zivilrechtlichen Institutionen durch ein Verwaltungsgesellschaftsrecht überformt werden, das offenbar dem „Verwaltungsprivatrecht“ nachgebildet ist. Danach soll es möglich und auch geboten sein (Ingerenzprinzip), die gesellschaftsrechtliche Ordnung zwecks Herstellung einer demokratischen Legitimationskette durch verfassungskonforme Auslegung umzugestalten und den Vorstand oder den Aufsichtsrat einer Einflussnahme des öffentlichen Gesellschafters zu unterwerfen, die über die Ausübung seiner mitgliedschaftlichen Rechte deutlich hinausginge, nämlich als „Ergänzung und Überhöhung der ihm aus der bloßen Kapitalbeteiligung schon zivilrechtlich zukommenden Ein- und Mitwirkungsbefugnisse“ aufzufassen wäre. Eine an den Rechtsfolgen orientierte Konkretisierung dieser Theorie ist zwar noch kaum gelungen, doch wird offenbar daran gedacht, dass entsandte Aufsichtsratsmitglieder an Einzelweisungen des öffentlichen Gesellschafters gebunden sein können.13 Durchweg stößt diese Lehre jedoch auf Ablehnung, wofür verbreitet auf die Kollisionsregel des Art. 31 GG rekurriert wird.14 Daneben findet sich der 12 S. dazu vor allem H. P. Ipsen JZ 1955, 593, 598; Forsthoff Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Aufl., Bd. 1 1961, S. 322 ff.; ferner Nerschmüller Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden auf ihre Eigengesellschaften, 1977, S. 91 ff. (insoweit zitiert nach Spannowsky ZHR 160 [1996], 560, 586). 13 Vgl. zum Ganzen vor allem von Danwitz AöR 120 (1995) 622 ff.; Ossenbühl ZGR 1996, 504, 511 ff.; ähnlich schon Stober NJW 1984, 449, 455; weitere Nachw. bei Habersack ZGR 1996, 544, 555 Fn. 51. 14 S. zu Art. 31 GG etwa Harbarth Anlegerschutz in öffentlichen Unternehmen, 1998, S. 107 f.; Schmidt-Aßmann/Ulmer BB 1988 Beil. 13 S. 15 linke Spalte; Schön ZGR 1996, 429, 432 f.; Schwintowski NJW 1995, 1316, 1317; Zeichner AG 1985, 61, 69 linke Spalte.

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Gedanke, dass dem Ingerenzprinzip nicht entnommen werden kann, in welcher Art und Weise die als notwendig vorausgesetzte Einwirkung auf das gemischtwirtschaftliche Unternehmen erfolgen darf oder muss, weshalb auch kein belastbarer Schluss auf bestimmte gesellschaftsrechtliche Ausformungen des Prinzips gelinge.15 b) Verwaltungsgesellschaftsrecht als Überforderung des Ingerenzprinzips Vor allem die jüngere Variante der Lehre vom Verwaltungsgesellschaftsrecht wäre geeignet, die rechtliche Basis der gemischtwirtschaftlichen Unternehmen im Allgemeinen und insbesondere die Rechtsstellung derjenigen Aufsichtsratsmitglieder, die von dem öffentlichen Gesellschafter entsandt oder auch nur auf seine Veranlassung gewählt worden sind, grundlegend umzugestalten. Vor allem müsste für die angesprochenen Mitglieder des Aufsichtsrats vom Standpunkt dieser Theorie aus letztlich angenommen werden, dass sie als Mandatare der hinter ihnen stehenden Gemeinde oder sonstigen Gebietskörperschaft tätig sind. Soweit es um die gewählten Aufsichtsratsmitglieder geht, bleibt zwar zu bedenken, dass sie ihr Amt unmittelbar nicht dem öffentlichen Gesellschafter, sondern dem Wahlbeschluss der Hauptversammlung verdanken. Im Rahmen eines verwaltungsrechtlich umgeformten Aktienrechts käme es aber entscheidend auf den rechtlich abgesicherten Einfluss des öffentlichen Gesellschafters an. Auch bliebe zu bedenken, dass er es ist, der den Wahlbeschluss der Hauptversammlung als Mehrheitsgesellschafter mit seinen Stimmen zustande bringt. Es spricht manches für die Annahme, dass die Lehre vom Verwaltungsgesellschaftsrecht die theoretische Zuspitzung einer weiter greifenden Denkrichtung darstellt, welche die Frage erst aufkommen lässt, ob namentlich die aus dem Gemeinderat stammenden Repräsentanten eines kommunalen Mehrheitsaktionärs sich hauptsächlich oder wenigstens auch als sein Vertreter und als Wahrer seiner Belange betrachten dürfen. Ebenso spricht die Formulierung z.B. des § 32 Abs. 5 GemO BW, der Gemeinderäte, die Organmitglieder eines wirtschaftlichen Unternehmens sind, ohne Umschweife als Vertreter der Gemeinde bezeichnet, für ein juristisches Bewusstsein, in dem die jeweilige gesellschaftsrechtliche Ordnung von Regelungsanliegen des öffentlichen Rechts überlagert wird.

15 Zu den Grenzen des Ingerenzprinzips vgl. Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 2a; Kropff in Münchener Kommentar AktG, 2. Aufl., Bd. 9/2 2006, Vor §§ 394, 395 Rn. 25 f.; Oetker in K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), AktG, Bd. II 2008, Vor §§ 394, 395 Rn. 10; Harbarth (Fn. 14) S. 112; Mann Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 291 ff.; ders. Die Verwaltung 2002, 463, 466; ders. GS Tettinger, 2007, S. 295, 301; Spannowsky ZHR 160 (1996) 560, 586 f.

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Gegenüber solchen Bestrebungen oder Vorstellungen ist mit der herrschenden Meinung daran festzuhalten, dass die Lehre vom Verwaltungsgesellschaftsrecht nicht überzeugen kann. Die verbreitet für richtig gehaltene Argumentation aus Art. 31 GG mag dabei allerdings zu kurz greifen. Dass sie nur bei einer Kollision gesellschaftsrechtlicher Ordnungen mit Gemeinderecht oder Landeshaushaltsrecht zielführend sein kann, ist zwar nicht immer durchschlagendes Argument. Sollte es jedoch richtig sein, dass sich das Ingerenzprinzip seinerseits als materieller Bestandteil der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes erweist, wofür vieles spricht, erweist sich die Kollisionsregel umfassend als nicht einschlägig.16 Unabhängig von der Kollisionsregel des Art. 31 GG bleibt es jedoch richtig, dass das Ingerenzprinzip auf der Rechtsfolgenseite wenig ausgearbeitet ist 17 und zwar Verpflichtungen für den durch das Prinzip angesprochenen öffentlichen Gesellschafter zu begründen vermag, ihm jedoch vorbehaltlich einer anderen einfachrechtlichen Ausprägung, die als Kommunal- oder sonstiges Landesrecht mit dem höherrangigen Bundesrecht (Art. 31 GG) in Einklang stehen müsste, keine Befugnisse gegenüber den Organen des gemischtwirtschaftlichen Unternehmens gewährt. Aus dem Ingerenzprinzip mögen sich danach Einschränkungen bei der Wahl der zulässigen Rechtsform sowie Verpflichtungen des öffentlichen Gesellschafters bei der Satzungsgestaltung ergeben. Nicht anzuerkennen ist indessen ein von Rechts wegen wirksamer Vorrang des öffentlichen Rechts gegenüber dem Gesellschaftsrecht. Zutreffend ist stattdessen das Umgekehrte: Das Gesellschaftsrecht geht dem öffentlichen Recht vor, soweit Verpflichtungen der Gesellschaftsorgane oder ihrer Mitglieder, die öffentlich-rechtlich begründbar sein mögen, dem selbstgewählten gesellschaftsrechtlichen Organisationsstatut zuwiderlaufen würden, was speziell bei der Aktiengesellschaft wegen der detaillierten und grundsätzlich zwingenden (§ 23 Abs. 5 AktG) gesetzlichen Regelung der Normalfall ist. 2. „Zuständigkeit“ der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Teilordnung; Sondervorschriften Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich nicht nur, dass der Lehre vom Verwaltungsgesellschaftsrecht nicht gefolgt werden kann. Vielmehr folgt aus ihnen spiegelbildlich, dass sich die Rechtsverhältnisse der Beteiligten nach dem autonom gewählten gesellschaftsrechtlichen Organisationsstatut bestimmen, in den hier untersuchten Fällen also nach dem Aktienrecht, soweit nicht gesetzliche Regelungen des öffentlichen Rechts vorhanden sind 16 Darin zutreffend von Danwitz AöR 120 (1995) 595, 616 f.; Ossenbühl ZGR 1996, 504, 512 f.; ausführlich Mann (Fn. 15) S. 55 f.; s. auch dens. GS Tettinger, 2007, S. 295, 298 ff. 17 Vgl. Mann (Fn. 15) S. 286 f.: keine Rechtsfolgenklarheit.

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und sich trotz des Vorrangs des bundesgesetzlich geordneten Aktienrechts (Art. 31 GG) auch behaupten können. Danach kann es nur ergänzendes, aber nicht derogierendes Landesrecht geben.18 Die Geltung des aktienrechtlichen Organisationsstatuts schließt die Geltung der Sondervorschriften ein, die in den §§ 394, 395 AktG für den Fall der Beteiligung von Gebietskörperschaften enthalten sind. Die Überschrift dieses Gesetzesteils ist jedoch zu weit geraten, indem sie die Existenz einer umfassenden Sonderregelung suggeriert. Diese ist gerade nicht gewollt. Vielmehr verbleibt es, soweit §§ 394, 395 AktG nicht eingreifen, bei der allgemeinen aktienrechtlichen Regelung.19 Was die §§ 394, 395 AktG angeht, so ordnen sie Sonderfragen, die sich für den Gesetzgeber des Aktiengesetzes 1965 aus der haushaltsrechtlichen Betätigungsprüfung nach § 111 Abs. 1 Nr. 2 RHO ergeben haben und vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags an Wirtschafts- und Rechtsausschuss herangetragen worden sind.20 Auf deren Initiative ist es zurückzuführen, dass – unter Zurückweisung weitergehender Regelungsvorstellungen des Haushaltsausschusses – die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder für den Fall von ihnen zu erstattender Berichte außer Kraft gesetzt (§ 394 AktG) und stattdessen auf die Berichtsadressaten verlagert wird (§ 395 AktG). Darauf ist noch zurückzukommen.21

IV. Öffentlich-rechtliche Vorgaben für die Führung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen 1. Ausgangspunkt Nach den bisher erzielten Ergebnissen scheitert zwar der Versuch, öffentlich-rechtliche Vorgaben für die Führung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen aus allgemeinen Grundsätzen wie einem angeblichen Vorrang des öffentlichen Rechts oder dem Ingerenzprinzip abzuleiten. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, dass solche Vorgaben nicht bestehen könnten, etwa wegen der privatrechtlichen Natur der Aktiengesellschaft. Vielmehr sind sie in den durch Art. 31 GG gezogenen Grenzen denkbar und teilweise auch 18

S. noch unten IV 3. BGHZ 69, 334, 340 = NJW 1978, 104 (VEBA/Gelsenberg); Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 2; Kropff (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 23; Oetker (Fn. 15) Vor § 394, 395 Rn. 9; Rob. Fischer AG 1982, 85, 90 f.; Lutter/Grunewald WM 1984, 385 m.w.N. in Fn. 5; Spannowsky ZGR 1996, 400, 422 ff.; aA H. P. Ipsen JZ 1955, 593, 598 auf der Grundlage der von ihm für richtig gehaltenen Vorrangtheorie und noch auf der Basis einer seit 1965 überholten aktienrechtlichen Ordnung. 20 Kropff (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 13 ff.; ders. Aktiengesetz, 1965, S. 496. 21 Unten V 2. 19

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vorhanden, nämlich vor allem in Gestalt der §§ 53, 54 HGrG. Dagegen sind kommunalrechtliche Weisungsbefugnisse nur noch eine historische Reminiszenz. Auch eine von manchen angenommene beamtenrechtliche Weisungsbindung von Aufsichtsratsmitgliedern kann nach geltendem Recht nicht anerkannt werden. 2. Haushaltsrecht Die haushaltsrechtlichen Vorschriften haben für die Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder keine unmittelbare Bedeutung und sollen deshalb nur der Vollständigkeit halber eingeführt werden. Einschlägig sind §§ 53, 54 HGrG sowie §§ 65 ff. BHO und die inhaltsgleichen Vorschriften der Bundesländer. §§ 53, 54 HGrG betreffen die erweiterte Abschlussprüfung und die satzungsabhängige Befugnis der Rechnungsprüfungsbehörde, sich unmittelbar (örtlich) zu unterrichten und durch Einsichtnahme in den Betrieb sowie Bücher und Schriften des Unternehmens zu informieren. Die Vorschriften gelten gemäß § 49 HGrG auch für die Bundesländer einschließlich der in ihrem Staatsverband existierenden Gemeinden.22 Anders als §§ 65 ff BHO und die Parallelvorschriften der Bundeslänger, die Verwaltungsinnenrecht darstellen und deshalb dem der öffentlichen Hand zuzurechnenden Aktionär keine gegenüber dem Aktienrecht erweiterten Befugnisse verschaffen können,23 gewähren die §§ 53, 54 HGrG der jeweiligen Gebietskörperschaft mitgliedschaftliche Sonderrechte und haben deshalb ungeachtet ihres systematischen Standorts materiell aktienrechtlichen Charakter.24 3. Gemeinderecht Für das Gemeinderecht ist davon auszugehen, dass es zeitweilig, nämlich vom Inkrafttreten der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) im Jahre 1935 bis zum Inkrafttreten des Aktiengesetzes 1965, ein Weisungsrecht des Bürgermeisters gegenüber den von der Gemeinde in den Aufsichtsrat entsandten (nicht auch: den gewählten) Beamten oder Angestellten gegeben hat. So war es jedenfalls in § 70 Abs. 2 DGO vorgesehen, woran das nachfolgende Aktiengesetz 1937 mangels klarer Aussage nach richtiger, wenngleich umstrittener Ansicht nichts geändert hat.25 Demgegenüber enthalten die §§ 394, 395 AktG, für die es im Aktiengesetz 1937 noch kein Vorbild gibt, nicht nur Sonderregeln für die Verschwie22

Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 23; Kropff (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 120. Lutter/Grunewald WM 1984, 385, 386 rechte Spalte. 24 Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 5; Kropff (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 117; Lutter/Grunewald WM 1984, 385, 386 rechte Spalte m.w.N. in Fn. 7. 25 S. dazu Rob. Fischer AG 1982, 85, 87 ff. mit Darstellung des seinerzeitigen Meinungsstandes. 23

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genheitspflicht. Vielmehr ist ihnen auch die Aussage zu entnehmen, dass es bei diesen Sonderregeln verbleiben und im Übrigen die allgemeine aktienrechtliche Regelung gelten soll.26 Danach gilt aber der Grundsatz der eigenverantwortlichen, insbesondere weisungsfreien Mandatswahrnehmung, und zwar gleichermaßen bei entsandten wie bei gewählten Aufsichtsratsmitgliedern.27 Damit hat sich das Thema einer kommunalrechtlichen Sonderstellung von Aufsichtsratsmitgliedern seit 1965 erledigt. Richtig ist allerdings auch, dass die Gemeindeordnungen mancher Bundesländer Bestimmungen enthalten, die mit dieser Ausgangslage schwerlich in Einklang stehen.28 Wie dargelegt,29 können sie sich gegen das Bundesrecht nicht durchsetzen. 4. Beamtenrecht a) Zum Stand der Diskussion Zu erörtern bleibt, ob aus dem Beamtenstatus oder aus vergleichbaren öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehungen eine Weisungsgebundenheit oder ein anderweitiger Pflichtenstatus von Aufsichtsratsmitgliedern hergeleitet werden kann. Diese Frage betrifft das Kommunalrecht, reicht aber darüber hinaus, weil die Entsendung von Beamten in den Aufsichtsrat und der Versuch, ihre Mandatswahrnehmung durch unmittelbare Verhaltensdirektiven zu steuern, nicht auf Gemeinden beschränkt sind. Die beamtenrechtliche Weisungsbindung als solche kann nicht in Frage gestellt werden (§ 37 BRRG, § 55 S. 2 BBG und die entsprechenden Vorschriften der Länder). Für Mitglieder von Gemeinderäten gelten solche Normen zwar nicht, weil sie in dieser Eigenschaft nicht Beamte sind. Immerhin denkbar bleibt jedoch, sie als Beteiligte des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus anzusprechen, in dem sie sich als Gemeinderäte befinden, wie etwa § 32 Abs. 5 GemO BW zeigt, und aus diesem Sonderstatus Pflichten für die Ausübung von Aufsichtsratsmandaten abzuleiten. Das setzt aber voraus, dass es eine solche externe Pflichtbindung aus der Sicht des Aktienrechts überhaupt geben kann. Dafür kommt der Reichweite der beamtenrechtlichen Weisungsbindung paradigmatische Bedeutung zu. Ob die beamtenrechtliche Weisungsbindung die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten erfassen kann, ist noch immer streitig, wobei die Trenn26

Oben III 2. BGHZ 36, 296, 306 = NJW 1962, 538; Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 30; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, § 12 Rn. 822; Schwintowski NJW 1995, 1316, 1318. 28 Beispiele bei Kropff (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 91; vgl. zu Nordrhein-Westfalen auch Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 30. 29 Oben III 2. 27

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linie zwischen den Meinungsgruppen weitgehend der Zuordnung der Autoren zum öffentlichen Recht oder zum Gesellschaftsrecht entspricht. Mit Unterschieden im Einzelnen nimmt das öffentlich-rechtliche Schrifttum durchweg eine beamtenrechtliche Weisungsbindung auch insoweit an, als es um die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten durch den Beamten geht.30 Dagegen ist es unter den Vertretern des Gesellschaftsrechts so gut wie einhellige Meinung, dass es eine weisungsgebundene Mandatsausübung nicht gibt, was dann auch – oder schon erst recht – für Gemeinderäte als Aufsichtsratsmitglieder zu gelten hat.31 b) Vorrang des Gesellschaftsrechts Mit der herrschenden Meinung des Gesellschaftsrechts ist daran festzuhalten, dass es eine Weisungsbindung des in den Aufsichtsrat entsandten oder auf Veranlassung seines Dienstherrn gewählten Beamten nicht gibt, weshalb sich auch für Gemeinderäte nichts Ähnliches konstruieren lässt. Nach richtiger Ansicht folgt das schon aus dem Vorrang des Gesellschaftsrechts, welches durch beamtenrechtliche Vorschriften als typische Ausprägungen des Verwaltungsinnenrechts nicht in Frage gestellt wird. Auch relativiert sich die auf den ersten Blick eindrucksvolle Geschlossenheit des öffentlich-rechtlichen Schrifttums dadurch deutlich, dass ein Teil der Äußerungen sich noch auf die Gesetzeslage vor 1965 bezieht und mehr oder minder die eigentlich auch im öffentlichen Recht überwundene Vorrangtheorie 32 fortschreibt. Schließlich sollte der Annahme einer Weisungsbindung auch schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der als Mitglied des Aufsichtsrats tätige Beamte nicht im Rahmen seines dienstrechtlichen Verhältnisses tätig wird.33

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Battis BBG § 68 Rn. 2, 4; H. P. Ipsen JZ 1955, 593, 597 rechte Spalte; Lohl AG 1970, 159, 162 Fn. 25; Stober NJW 1984, 449, 455 rechte Spalte; mit Einschränkungen Geis in Fürst/Finger BBG § 67 Rn. 25; Plog/Wiedow BBG § 67 Rn. 5. 31 Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 29; Oetker (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 13 ff.; Rob. Fischer AG 1982, 85, 90 f.; Lutter ZIP 2007, 1991 f.; Lutter/Grunewald WM 1994, 385, 396; Meier NZG 2003, 54, 56 rechte Spalte; Raiser ZGR 1978, 391, 401 ff.; Säcker FS Rebmann, 1989, S. 781, 793; R. Schmidt ZGR 1996, 345, 353 f.; Schmidt-Aßmann/Ulmer BB 1988 Beil. 13 S. 4 rechte Spalte bei Fn. 9; Schwintowski NJW 1995, 1316, 1318 f. 32 Oben III 1a. 33 Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 29, 41; ähnlich Schmidt-Aßmann/Ulmer BB 1988 Beil. 13 S. 20 linke Spalte; andere Begründung bei Oetker (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 14 (Konkurrenzverhältnis, das zugunsten des Gesellschaftsrechts aufzulösen ist); differenzierend mit teilweise anderen Ergebnissen Kropff (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 105.

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V. Sonderregelung der §§ 394, 395 AktG 1. Pflicht zur Amtsverschwiegenheit a) Umfang aa) Wahrung der Vertraulichkeit Nachdem die Pflichtenlage der Aufsichtsratsmitglieder einer gemischtwirtschaftlichen AG nach dem allgemeinen Organisationsrecht der AG und nach den Vorgaben des öffentlichen Rechts analysiert worden ist, bleibt zu erörtern, welche Konsequenzen sich aus den schon angesprochenen, aber nur unter dem Blickwinkel einer mittelbaren Geltungsanordnung zugunsten des allgemeinen Aktienrechts 34 näher beleuchteten §§ 394, 395 AktG ergeben. Dabei steht die Amtsverschwiegenheit im Vordergrund. Klärungsbedürftig sind ihr Umfang, ihre Geltung auch für die Repräsentanten eines öffentlichen Gesellschafters und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung. Hinsichtlich des Umfangs kann von der beispielsartigen Konkretisierung ausgegangen werden, die sich seit 2002 in § 116 S. 2 AktG findet.35 Danach erfasst die Verschwiegenheitspflicht Berichte (schriftlich, mündlich oder in anderer Form) des Vorstands oder von Mitarbeitern oder von zugezogenen Sachverständigen, die innerhalb oder außerhalb der Aufsichtsratssitzung erstattet werden, sofern sie vertraulich sind. Darüber entscheiden weder der Berichterstatter noch das einzelne Aufsichtsratsmitglied. Vielmehr ist eine objektive Beurteilung maßgebend, die sich allein am Gesellschaftsinteresse ausrichtet. Vertraulichkeit ist danach anzunehmen, wenn die Informationsweitergabe für die Gesellschaft nachteilig sein kann, auch wenn es sich nicht oder nicht mehr um ein Gesellschaftsgeheimnis handelt. Zumindest für den Regelfall wird man sämtliche Personalangelegenheiten des Vorstands und des Aufsichtsrats als vertraulich einzustufen haben.36 Das zweite von § 116 Satz 3 AktG gebildete Beispiel stellen vertrauliche Beratungen dar. Für das Vertraulichkeitsmerkmal ist die soeben gegebene Umschreibung auch hier maßgebend. Damit erweist sich allerdings, dass die Gesetzesfassung („vertrauliche Beratungen“) tautologisch ist. Die Beratungen (Tagesordnung, Redebeiträge, Abstimmungsergebnisse, Tischvorlagen und andere Sitzungsdokumente, Niederschrift) des Plenums oder seiner Ausschüsse sind immer vertraulich, weil sie wesentliche Gesellschaftsinterna betreffen, weshalb ihre Publizität auch potentiell nachteilig ist.37 34

Oben III 2 und 3. Angefügt durch Art. 1 Nr. 10 TransPuG vom 19.7.2002 (BGBl. I S. 2681); s. Hüffer (Fn. 1) § 116 Rn. 6a. 36 OLG Stuttgart AG 2007, 218, 219 rechte Spalte; Hopt (Fn. 6) § 93 Rn. 196; Hüffer (Fn. 1) § 93 Rn. 7; Spindler in Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl., Bd. 2 2008, § 93 Rn. 103; Wiesner in Münchener Handbuch AG, 3. Aufl. 2007, § 25 Rn. 42. 37 Hopt/Roth (Fn. 6) § 116 Rn. 250; Hüffer (Fn. 1) § 116 Rn. 6a; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, Bd. 1 2007, § 116 Rn. 92; DAV-Handelsrechtsausschuß NZG 2002, 115, 117 linke Spalte. 35

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bb) Geheimnisschutz Was danach vom Grundtatbestand des § 93 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 116 Satz 1 AktG vor allem bleibt, ist der Geheimnisschutz. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG spricht „Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebsoder Geschäftsgeheimnisse“ an. Geheimnisse sind Tatsachen, die nicht offenkundig sind und nach dem bekannten oder mutmaßlichen Willen der Gesellschaft auch nicht offenkundig werden sollen, sofern auch ein objektives Geheimhaltungsbedürfnis besteht.38 Dabei hat der gesetzliche Hinweis auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse nur beispielhafte Bedeutung. Generell steigt die Bedeutung des Geheimnisschutzes mit den Anforderungen, die an die Berichterstattung des Vorstands (§ 90 AktG) gestellt werden. So dürften sämtliche Berichtsgegenstände des § 90 Abs. 1 AktG auf der Seite des Aufsichtsrats unter den Geheimnisschutz nach § 93 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 116 Satz 1 AktG fallen. Dem steht auch nicht entgegen, dass das Gesetz „Tatsachen“ voraussetzt; denn darunter werden auch „subjektive“ Tatsachen wie Produktionsvorhaben und sämtliche Daten der Unternehmensplanung verstanden, solange nicht der Vorstand selbst (nicht etwa: der Aufsichtsrat) seine Planungen publik macht.39 b) Geltung für Mitglieder von Gemeinderäten und andere Repräsentanten öffentlicher Gesellschafter aa) Grundsatz An die vorstehend umschriebene Verschwiegenheitspflicht sind auch diejenigen Mitglieder des bei einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen bestehenden Aufsichtsrats gebunden, die den öffentlichen Gesellschafter repräsentieren, also etwa dem Gemeinderat eines kommunalen Aktionärs angehören. So ist es schon deshalb, weil §§ 93, 116 AktG nur an die Aufsichtsratseigenschaft anknüpfen; weitere Funktionen der Mitglieder bleiben danach unbeachtlich. Das Ergebnis wird auch von § 394 Satz 1 AktG bestätigt; denn die dort vorgesehene Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht setzt voraus, dass sie grundsätzlich besteht. Das Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Beziehung zum öffentlichen Gesellschafter, namentlich Doppelmitgliedschaft in Aufsichtsrat und Gemeinderat, in Einzelfällen zu Interessenkonflikten zu führen

38 BGHZ 64, 325, 329 = NJW 1975, 1412; Hüffer (Fn. 1) § 93 Rn. 7; Spindler (Fn. 37) § 116 Rn. 89; unter Verzicht auf das Geheimhaltungsinteresse auch Hopt (Fn. 6) § 93 Rn. 191; Hopt/Roth (Fn. 6) § 116 Rn. 226. 39 Hopt/Roth (Fn. 6) § 116 Rn. 226; Spindler (Fn. 37) § 116 Rn. 90; von Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 6.

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vermag. Die Problemlage ist von den Arbeitnehmervertretern in mitbestimmten Aufsichtsräten her geläufig und kann für die Vertreter der öffentlichen Hand nicht anders behandelt werden. Für die Arbeitnehmervertreter ist aber anerkannt, dass es keine gespaltene Vertraulichkeit gibt, dass sie also der Pflicht zur Verschwiegenheit in genau der gleichen Weise unterliegen wie die Vertreter der Anteilseigner.40 Ferner gibt es für die Mitglieder des Aufsichtsrats generell und für die Vertreter der Arbeitnehmerseite insbesondere auch keinen Beurteilungsspielraum mit der Folge, dass sie bei unrichtiger, aber immerhin vertretbarer Verneinung der Geheimhaltungsbedürftigkeit oder der Notwendigkeit vertraulicher Behandlung in der Öffentlichkeit oder in Organen der betrieblichen Mitbestimmung reden dürften. Darin läge nämlich der Sache nach eine Lockerung der Gesetzesbindung durch Anmaßung einer Entscheidungskompetenz.41 Für die Aufsichtsratsmitglieder, welche die öffentliche Hand als Gesellschafter repräsentieren, gilt nichts anderes. bb) Begrenzte Relativierung durch § 394 AktG § 394 AktG relativiert die Verschwiegenheitspflicht für solche Aufsichtsratsmitglieder, die erstens von einer Gebietskörperschaft entsandt oder auf ihre Veranlassung gewählt worden sind (wie etwa Mitglieder des Gemeinderats, die auf Betreiben der Kommune in den Wahlvorschlag aufgenommen worden sind) und zweitens gegenüber der Gebietskörperschaft berichtspflichtig sind. Bei vertraulichen Angaben und Gesellschaftsgeheimnissen gilt die Dispensierung durch § 394 Satz 1 AktG wiederum dann nicht, wenn ihre Kenntnis für den Berichtszweck nicht von Bedeutung ist (§ 394 Satz 2 AktG). § 394 soll also lediglich eine ihrem Zweck entsprechende Berichterstattung ermöglichen. Eine weitergehende Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht, die von Inhabern politischer Funktionen gelegentlich vermutet wird, findet in der Vorschrift dagegen keine Stütze. c) Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung Wenn Aufsichtsratsmitglieder ihre Pflicht zur Verschwiegenheit verletzen, ist ihre Abberufung durch gerichtliche Entscheidung gemäß § 103 Abs. 3 AktG gerechtfertigt, sofern sich aus der Pflichtverletzung ergibt, dass die

40 OLG Stuttgart AG 2007, 218, 219 rechte Spalte; Hopt/Roth (Fn. 6) § 116 Rn. 219 ff.; Hüffer (Fn. 1) § 116 Rn. 7; Habersack in Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl., Bd. 2 2008, § 116 Rn. 55; Edenfeld/Neufang AG 1999, 49, 52; speziell für kommunale Aufsichtsratsmitglieder van Kann/Keiluweit DB 2009, 2251. 41 HM, vgl. Hoffmann-Becking in Münchener Handbuch AG, 3. Aufl. 2007, § 33 Rn. 37; Ulmer/Habersack MitbestG, 2. Aufl. 2006, § 25 Rn. 104 m.w.N.

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Fortsetzung des Amtsverhältnisses bis zum Ablauf der Bestellungsperiode für die AG unzumutbar ist (wichtiger Grund).42 Unzumutbarkeit ist dann gegeben, wenn sich aus wiederholten Verletzungshandlungen oder bei einmaligem Verstoß aus dessen Massivität oder aus sonstigen Begleitumständen ergibt, dass eine Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit in der Zukunft nicht mehr besteht.43 Das ist zwar Frage des Einzelfalls, doch geht die Tendenz in Rechtsprechung und Schrifttum dahin, bei Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht die Unzumutbarkeit anzunehmen. Insbesondere wird in einem Interessenkonflikt, in dem sich das Aufsichtsratsmitglied befinden mag, keine Rechtfertigung für Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht gefunden.44 Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht stellt weiter nach § 404 Abs. 1 Nr. 1 AktG einen Straftatbestand dar, wenn darin die Offenbarung eines Geschäftsgeheimnisses liegt. Bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, die börsennotiert sind, kommt gegebenenfalls der erweiterte Strafrahmen einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zum Zuge. Entsteht der Gesellschaft ein Schaden, so ist das Aufsichtsratsmitglied unter den weiteren Voraussetzungen der §§ 93 Abs. 2, 116 Satz 1 AktG auch schadensersatzpflichtig. 2. Berichtspflichten a) Keine Berichtspflicht durch Satzungsrecht Die Frage nach einer Berichtspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft gewählt worden sind oder ihr Amt einer Entsendung verdanken, gehört in den Zusammenhang der Verschwiegenheitspflicht, weil diese relativiert werden muss, um die verwaltungsrechtliche Verpflichtung aktienrechtlich erfüllbar zu machen.45 Der vertiefenden Erörterung der einschlägigen §§ 394, 395 AktG ist die Bemerkung voranzustellen, dass eine Berichtspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, die eine Gebietskörperschaft repräsentieren, sich jedenfalls für den aktienrechtlichen Aufsichtsrat nicht aus der Satzung ergeben kann. So ist es, weil §§ 394, 395 AktG jenseits ihrer Sonderregelung die allgemeinen Vorschriften unberührt lassen.46 Diese kennen aber keine Berichtspflicht, und eine entsprechende Satzungsklausel wäre eine Abweichung, die mangels Zulassung gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG unzulässig ist. 42 OLG Stuttgart AG 2007, 218, 219; AG München WM 1986, 974 (im Ergebnis verneinend); Hopt/Roth (Fn. 6) § 103 Rn. 67; Hüffer (Fn. 1) § 103 Rn. 10; Habersack (Fn. 40) § 103 Rn. 39 ff.; Ulmer/Habersack (Fn. 41) § 6 Rn. 71. 43 S. dazu Hopt/Roth (Fn. 6) § 103 Rn. 57 f.; Hüffer (Fn. 1) § 103 Rn. 10. 44 OLG Stuttgart AG 2007, 218, 219 rechte Spalte; Hopt/Roth (Fn. 6) § 116 Rn. 219 ff; Hüffer (Fn. 1) § 116 Rn. 7. 45 Oben III 2. 46 Oben III 2.

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b) Gesetzliche Berichtspflicht Auch § 394 AktG begründet keine Berichtspflicht, sondern setzt ihre anderweitige Begründung voraus. Hauptfrage ist insoweit, ob die Berichtspflicht einer gesetzlichen Grundlage bedarf oder auch durch ein vertragliches Auftragsverhältnis zustande kommen kann (§§ 662, 666 BGB). Das Erste entspricht der herrschenden Meinung,47 aber auch das Zweite findet Anhänger.48 An der herrschenden Meinung ist festzuhalten, und zwar vor allem deshalb, weil die nach §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 AktG zwingende Verschwiegenheitspflicht nicht zur rechtsgeschäftlichen Disposition von Gebietskörperschaft und Aufsichtsratsmitglied stehen kann. Auch bliebe die Lockerung der Verschwiegenheitspflicht durch § 394 AktG ohne hinreichend scharfe Konturen, wenn man auf das Erfordernis einer gesetzlichen Berichtspflicht verzichten wollte. So ist es, weil die Vorschrift ihren Adressatenkreis mit dem Tatbestandsmerkmal der „veranlassten“ Wahl nur weiträumig umschreibt und es auch nicht immer einfach zu gewährleisten ist, dass die Verschwiegenheitspflicht des § 395 AktG eingehalten wird.49 Einzuräumen ist allerdings, dass die praktische Bedeutung des § 394 AktG durch das zutreffende Verständnis der herrschenden Meinung marginalisiert wird.50 Insbesondere die Gemeindeordnungen der Länder sprechen eine Berichtspflicht nämlich vielfach nicht aus 51 (vgl. z.B. §§ 102 ff. GemO BW) und wo sie ausgesprochen ist (vgl. z.B. § 113 Abs. 5 S. 1 GemO NW), scheitert die Berichtspflicht gleichwohl, wenn der Gemeinderat oder ein vergleichbar öffentliches Organ der Berichtsadressat sein soll; das bleibt noch darzulegen. c) Berichtsadressat und Verschwiegenheitspflicht nach § 395 AktG Wollte man die verschiedenen Streitfragen zur gesetzlichen Berichtspflicht anders beurteilen als das hier für richtig gehalten wird, so bliebe eine Berichterstattung unter Einschränkung der Verschwiegenheitspflicht im Gemeinderat gleichwohl unzulässig, weil der Berichtsadressat in der Lage sein muss, 47 Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 37; Zöllner in Kölner Kommentar AktG, Bd. 3 4. Lfg. §§ 394, 395 Rn. 4; ders. AG 1984, 147 f.; Lutter/Grunewald WM 1984, 385, 397 rechte Spalte; Mann Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002, S. 242 f.; ders. GS Tettinger, 2007, S. 295, 305; Martens AG 1984, 29, 33 und 212 f.; Schmidt-Aßmann/Ulmer BB 1988 Beil. 13 S. 8; Schwintowski NJW 1990, 1009, 1014 linke Spalte. 48 Kropff (Fn. 15) Vor §§ 394, 395 Rn. 91, 92; ders. FS Hefermehl, 1976, S. 327, 328; von Stebut (Fn. 39) S. 130. 49 Dazu unten V 2c. 50 Von einem Leerlaufen spricht Kropff (Fn. 15) §§ 394, 395 Rn. 28 f. 51 Nicht genügend wäre eine beamtenrechtliche Weisungsbindung, sofern sie überhaupt gegeben ist; vgl. oben IV 4.

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der Verschwiegenheitspflicht des § 395 AktG nachzukommen 52 und der Gemeinderat wegen der Vielzahl seiner Mitglieder (§ 25 Abs. 2 GemO BW), wegen der grundsätzlichen Öffentlichkeit seiner Sitzungen (§ 35 GemO BW) und wegen des Fehlens einer die Verschwiegenheit gewährleistenden Organisation nicht entsprechen kann.53 Die Bedeutung der §§ 394, 395 AktG liegt danach weniger in der Begründung besonderer Rechte der an einer AG beteiligten Gebietskörperschaft als in der impliziten Anordnung, auch Gesellschaften mit solchen Aktionären der allgemeinen aktienrechtlichen Regelung zu unterstellen.

VI. Schlussbemerkung In der Summe zeigt sich, dass die Aktiengesellschaft als Rechtsform gemischtwirtschaftlicher Unternehmen durchaus in Betracht kommt, aus der Sicht einer beteiligten Gebietskörperschaft aber nur dann gewählt werden sollte, wenn sie mit dem aktienrechtlichen Regime zurecht kommen kann (oder wegen einer geplanten Börsenzulassung zurechtkommen muss). Dieses lässt nämlich, wenn man von §§ 53, 54 HGrG absieht, wenig Spielraum für verwaltungsrechtliche Umgestaltungen, ein Ergebnis, das durch §§ 394, 395 AktG eher bestätigt als modifiziert wird. Ein letzter Punkt, der zwar nicht eigentlich Gegenstand dieser Abhandlung ist, bei ihrer Gelegenheit und zumal in der Klaus J. Hopt gewidmeten Festschrift aber doch angesprochen werden sollte: Anhang II lit. d) der Empfehlung der Europäischen Kommission von 2005 54 fordert Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder in dem Sinne, dass sie weder Kontrollaktionär sind noch einen solchen vertreten. Diese Unabhängigkeit geht den Repräsentanten der öffentlichen Hand ab. Typischerweise ist sie auch Kontrollaktionär.55 Damit zeigt sich, dass das verbreitet kritisch gesehene 56 und von 52 Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 43; Kropff (Fn. 15) §§ 394, 395 Rn. 61 ff.; ders. FS Hefermehl, 1976, S. 327, 340 und 342; Oetker (Fn. 15) § 394 Rn. 21; Schmidt-Aßmann/Ulmer BB 1988 Beil. 13 S. 9 linke Spalte; Schwintowski NJW 1990, 1009, 1014 linke Spalte. 53 Hüffer (Fn. 1) § 394 Rn. 43; Kropff (Fn. 15) §§ 394, 395 Rn. 72 m.w.N. in Fn. 150; ferner Noack Städte- und Gemeinderat 1995, 379, 385 f.; aA zu § 113 Abs. 5 S. 1 GemO NW Vogel Städte- und Gemeinderat 1996, 252 f., 256. 54 Empfehlung vom 15.2.2005 (2005/162/EG); Text: ABl. EG Nr. L 52 S. 51; Überblick bei Spindler ZIP 2005, 2033 ff.; s. auch Hüffer ZIP 2006, 637, 638 ff. Die Empfehlung basiert auf dem Aktionsplan zur „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union vom 21.5.2003; s. Mitteilung KOM (2003) 284 endg; Abdruck auch in NZG 2003, Beil. zu Heft 13. Vgl. dazu namentlich Hopt FS Röhricht, 2005, S. 235 ff.; ders. ZIP 2005, 461 ff. 55 Anhang II lit. d) verweist dafür auf Art. 1 Abs. 1 der Konzernbilanzrichtlinie (83/349/EWG), die in § 290 Abs. 2 HGB umgesetzt worden ist. 56 Vgl. zur Kritik Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht ZIP 2003, 863, 869; DAV-Handelsrechtsausschuss NZG 2003, 1008, 1010 f.; Bayer BB 2004, 1, 7; Habersack

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Ziffer 5.4.2 DCGK auch nicht rezipierte 57 Unabhängigkeitspostulat mit dem teilweise gesetzlich geforderten Einfluss der öffentlichen Hand auf gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Widerspruch steht. Mit dem Inhalt von Anhang II lit. d) passt die Empfehlung auch insoweit nicht zum deutschen Recht. Die Akzeptanz, auf die sie mangels Rechtsverbindlichkeit (Art. 239 EG) angewiesen ist, wird sie deshalb nicht finden. Sollte man an Anhang II lit. d) wirklich festhalten wollen, empfiehlt sich jedenfalls eine deutliche Reduzierung des Anwendungsbereichs.

NZG 2004, 1, 5; ders. ZHR 163 (2004) 373, 377 f.; Hoffmann-Becking ZGR 2004, 355, 359 f.; Hüffer ZIP 2006, 637, 642. 57 Vgl. dazu Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder Deutscher Corporate GovernanceKodex, 3. Aufl. 2008, Rn. 1038.

Dienstabreden über die Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen durch einen Inferenten im GmbH-Recht Christian Kersting I. Einleitung Das Kapital einer Gesellschaft wird durch Einlagen aufgebracht. Als Einlage kommt in erster Linie Geld in Betracht. Daneben sind auch Sacheinlagen möglich, für die im Interesse der vollständigen Kapitalaufbringung besondere Vorschriften greifen, welche insbesondere einer Überbewertung der Sacheinlagen entgegenwirken sollen (etwa §§ 5 Abs. 4, 9, 56 GmbHG). Überhaupt nicht einlagefähig sind Dienstleistungen. Für die Aktiengesellschaft ist dies in § 27 Abs. 2 AktG ausdrücklich ausgesprochen; für die hier behandelte GmbH gilt dies nach herrschender Auffassung entsprechend.1 Hintergrund der fehlenden Einlagefähigkeit von Dienstleistungen sind die mit der Durchsetzung von Dienstleistungsverpflichtungen verbundenen Schwierigkeiten bei der Zwangsvollstreckung (vgl. §§ 887, 888 Abs. 3 ZPO) 2 sowie der Umstand, dass es bei der Einbringung obligatorischer Ansprüche gegen den Inferenten schon an einer Aussonderung aus dessen Vermögen fehlt.3 Das Gesetz sichert die Einhaltung der Kapitalaufbringungsvorschriften durch verschiedene Institute. So stellt die Vorschrift über das Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 5 GmbHG) sicher, dass die geleistete Geldeinlage nicht wieder an den Gesellschafter zurückfließt und damit im Ergebnis von der 1 BGH, 16.2.2009, II ZR 120/07, in ZIP 2009, 713 ff., Tz. 9 – Qivive; für das Aktienrecht BGH, 1.2.2010, II ZR 173/08, in ZIP 2010, 423 ff., Rn. 10 ff. – EUROBIKE; Baumbach/ Hueck/Hueck/Fastrich GmbHG19 (2010) § 5 Rn. 24; Habersack FS Priester (2007) S. 157 (161 f.); Hennrichs NZG 2009, 921 (922); Ulmer/Habersack/Winter/Ulmer Großkommentar GmbHG (2005) § 5 Rn. 46, 60 f., 78; K. Schmidt ZHR 154 (1990) 237 (254); jeweils m.w.N. AA etwa Langenfeld GmbHR 1981, 53 (55); Schall Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz (2009) S. 147 ff.; Skibbe GmbHR 1980, 73 ff.; Sudhoff NJW 1964, 1249 ff.; für Dienstleistungsansprüche gegen Dritte auch Michalski/Zeidler GmbHG (2002) § 5 Rn. 139; differenzierend Frey Einlagen in Kapitalgesellschaften (1990) S. 103. 2 BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 9. Siehe auch die übrigen Nachweise in Fn. 1. 3 BGH, Qivive (Fn. 1) Tz. 10. Siehe auch Lutter/Hommelhoff/Bayer GmbHG17 (2009) § 5 Rn. 14 f.; Seibert/Decker ZIP 2008, 1208 (1210); Ulmer (oben Fn. 1) § 5 Rn. 78. Zweifelnd aber Schall ZGR 2009, 126 (151, Fn. 92); Wicke GmbHG (2008) § 5 Rn. 11, § 19 Rn. 33. AA Skibbe GmbHR 1980, 73 (74).

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Gesellschaft finanziert wird. Auch die besonderen Vorschriften über die Sacheinlage werden gegen Umgehungen gesichert. § 19 Abs. 4 S. 1 GmbHG ordnet an, dass wenn „eine Geldeinlage eines Gesellschafters bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten“ ist, „dies den Gesellschafter nicht von seiner Einlageverpflichtung“ befreit. Angesichts dessen erstaunt es, dass es nach Auffassung des BGH und eines Teils der Literatur an einem Umgehungsschutz im Hinblick auf das Verbot der Einlage von Dienstleistungen fehlen soll: Im Fall Qivive sollte der Inferent im Rahmen einer Kapitalerhöhung eine Einlage von 5 Mio. Euro übernehmen. Gleichzeitig wurde verabredet, dass der Inferent für die Gesellschaft Werbeleistungen erbringen sollte. Der Gesellschaft wurde das Recht eingeräumt, Werbeleistungen im Wert von bis zu 82,5 Mio. Euro abzurufen, wobei eine Zahlungspflicht lediglich für die ersten 10 Mio. Euro bestehen sollte. In der Insolvenz der Gesellschaft verlangte der Insolvenzverwalter von dem Inferenten erneute Zahlung der Einlage von 5 Mio. Euro. Der BGH entschied, dass auf den geschilderten Fall weder die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage noch die Grundsätze des Hin- und Herzahlens Anwendung finden und der Insolvenzverwalter unter diesen Gesichtspunkten daher keine Zahlung verlangen könnte. Der beklagte Inferent habe – so der BGH – seine Einlagepflicht erfüllt.4 Dies verwundert. Das Gesetz stellt strenge Regeln für die Erbringung von Sacheinlagen auf, welche sicherstellen sollen, dass der Gesellschaft der versprochene Wert tatsächlich zugeführt wird, und sichert diese im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtung auch gegen Umgehungen ab. Wie können dann Gestaltungen zulässig sein, die bei wirtschaftlicher Betrachtung zur (unzulässigen!) Einlage von Dienstleistungen führen? Müssten hier nicht zumindest Vorschriften eingreifen, die der Gesellschaft bei einer Überbewertung von Dienstleistungen einen Geldanspruch auf die Differenz gewähren? Schließlich droht bei Dienstleistungen die Gefahr einer Überbewertung mindestens in gleichem Maße wie bei Sacheinlagen. Der Verfasser hofft, mit diesen Fragen auf das Interesse des Jubilars zu stoßen, der sich als Mitglied der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts auch mit der Frage der Einlagefähigkeit 4

BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 9 ff.; vgl. auch BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 14 f., 16 f. Zustimmend Carlé DStZ 2009, 379 (379); Lieder LMK 2009, 284066; Roth/Altmeppen/ Roth GmbHG6 (2009) § 19 Rn. 55; Schluck-Amend/Penke DStR 2009, 1433 (1438); Strohn DB 2010, 37 (39 f.); Theusinger/Liese NZG 2009, 641 (643 f.); vor der Entscheidung in Qivive auch Habersack FS Priester (2007) S. 157 (164 ff.); Joost ZIP 1990, 549 (557); Richter/Schick GmbHR 1999, 97 (98 f.); Schall ZGR 2009, 126 (138, Fn. 48); vgl. auch Wicke GmbHG (2008) § 19 Rn. 23. Ausführlich zur Rechtsprechung vor Qivive Busse (Fn. 6) S. 87 (88 ff.).

Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen durch einen Inferenten

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von Dienstleistungen beschäftigt hat.5 Der vorliegende Aufsatz knüpft insofern auch an einen Beitrag von Busse an, der sich bereits in der Festschrift anlässlich der Emeritierung des Jubilars mit der verdeckten Einlegung von Dienstleistungen befasst hat.6

II. Meinungsstand In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, wie damit umzugehen ist, wenn im Zusammenhang mit der Begründung einer Geldeinlageverpflichtung auch entgeltliche Dienstleistungen des Inferenten verabredet werden. Teilweise wird angenommen, auf diese Fälle, die nachfolgend abkürzend mit dem Schlagwort „Dienstabrede“ bezeichnet werden sollen, seien (erst recht) die Regeln über die verdeckte Sacheinlage (jetzt § 19 Abs. 4 GmbHG) anzuwenden. Abgestellt wird insofern auf eine Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit.7 Andere lehnen dies ab. Zum Teil wird dabei auf die für den Inferenten harten Rechtsfolgen hingewiesen, welche die Einstufung einer Dienstabrede als verdeckte Sacheinlage mit sich brächte 8 – ein Argument, an dem freilich nach der deutlichen Abmilderung der Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage durch das MoMiG nicht mehr festgehalten werden kann. Als entscheidendes Argument gegen die Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG wird angesehen, dass ein anerkennenswertes Bedürfnis bestehe, Dienstabreden treffen zu können. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft nach allgemeiner Auffassung u.a. in der Lage sein müsse, einen Inferenten entgeltlich als Geschäftsführer anzustellen.9 Im Hinblick auf dieses Ergebnis besteht allerdings ohnehin Einigkeit, so dass sich der Meinungsstreit im Kern darum dreht, auf welchem Weg es erzielt werden kann. Ausgehend von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage wird zur Ermöglichung bestimmter Dienstabreden über Ausnahmen für normale Umsatzgeschäfte 10, 5 Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts vom 4. November 2002, S. 90, im Internet unter: http://ec.europa.eu/internal_market/ company/docs/modern/report_de.pdf. 6 Busse in Baum/Fleckner/Hellgardt/Roth/et al., Perspektiven des Wirtschaftsrechts, Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung (2008) S. 87 ff. 7 OLG Düsseldorf, 25.6.2008, 18 U 25/08, BB 2009, 180 (182 f.) [Vorinstanz zu BGH, 1.2.2010 (Fn. 1); zu dem Urteil OLG Düsseldorf vgl. Lommatzsch SR 2008, 319]; Bayer GmbHR 2004, 445 (451, 453); Busse (Fn. 6) S. 87 (94 f., 99 ff.); Frey (oben Fn. 1) S. 140 f.; Hoffmann NZG 2001, 433 (434 f.); Lutter/Hommelhoff/Lutter/Bayer GmbHG16 (2004) § 5 Rn. 54 [siehe jetzt aber Bayer (oben Fn. 3) § 19 Rn. 53]. 8 So insbesondere Habersack FS Priester (2007) S. 157 (166 f.). 9 BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 11 f.; sowie die Nachweise in Fn. 4. 10 Busse (Fn. 6) S. 87 (106 f.) [unter Hinweis auch auf § 6 Abs. 3 GmbHG]; Hueck/ Fastrich (oben Fn. 1) § 19 Rn. 29; T. Bezzenberger JZ 2007, 946 (948 f.); Henze ZHR 154 (1990) 105 (112 f.); Hoffmann NZG 2001, 433 (436 f.); Schall (Fn. 1) S. 137. Ablehnend für die Gründung einer AG BGH, 20.11.2006, II ZR 176/05, in BGHZ 170, 47 (57) Tz. 22.

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teleologische Reduktionen 11 sowie ein Entfallen der Vermutung der Vorabsprache 12 nachgedacht. Demgegenüber setzt der BGH einen Schritt früher an und ermöglicht Dienstabreden auf den ersten Blick sogar generell, indem er die Anwendbarkeit der Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage schon im Grundsatz verneint.13 Die unterschiedlichen Wege führen zwar zu demselben Ziel, nämlich der Ermöglichung von Anstellungsverträgen mit Inferenten sowie des Erwerbs sonstiger Dienstleistungen von Inferenten, die sonst anderweitig und womöglich teurer eingekauft werden müssten. Sie unterscheiden sich jedoch gravierend in den übrigen Rechtsfolgen. Hält man nämlich die Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage grundsätzlich für anwendbar, so besteht die Möglichkeit, zwischen zulässigen und unzulässigen Dienstabreden zu differenzieren. Man könnte etwa Abreden, wonach die zu leistenden Dienste im Voraus zu vergüten sind, so dass die Gesellschaft im Ergebnis kein Geld, sondern nur obligatorische Ansprüche auf das Erbringen von Dienstleistungen erhält, angemessen sanktionieren. Verneint man hingegen die Anwendbarkeit, so kommt in solchen Fällen nur das Heranziehen der Regeln über das Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 5 GmbHG) in Betracht.14 Dies ist für den Inferenten, der nach den Vertretern der Auffassung von der Unanwendbarkeit des § 19 Abs. 4 GmbHG doch gerade vor den harschen Folgen der verdeckten Sacheinlage geschützt werden soll,15 allerdings erheblich ungünstiger als die Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG. Da nämlich keine Anrechnungsmöglichkeit besteht, erbringt er – wie später zu zeigen ist – seine Dienstleistung im Extremfall kostenlos.16

III. Eigene Auffassung Nach der hier vertretenen Auffassung darf ein Gesellschafter nicht von seiner Einlagepflicht befreit werden, wenn seine Geldeinlage „bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Über11 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz GmbHG4 (2002) § 19 Rn. 161. Siehe auch Hoffmann NZG 2001, 433 (436 ff.). 12 Pentz (oben Fn. 11) § 19 Rn. 126; Ulmer (oben Fn. 1) § 5 Rn. 171a; vgl. auch Habersack FS Priester (2007) S. 157 (165). 13 BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 12; sowie die Nachweise in Fn. 4. 14 Zutreffend Bayer (oben Fn. 3) § 19 Rn. 53, 92. Vgl. auch BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 21, der die Problematik einer Bezahlung im Voraus zwar sieht, letztlich jedoch übergeht. Seine Begründung, das Honorar sei erst mit Erbringung der Leistung verdient, trägt nicht, da dieser Umstand nichts daran ändert, dass es an einer Aussonderung aus dem Vermögen des Inferenten (zunächst) fehlt und die Gesellschaft das Risiko der Zwangsvollstreckung trägt, vgl. auch unten III.2.b), c). 15 Oben Fn. 8. 16 Siehe unten III.4.a)bb).

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nahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise“ (vgl. insoweit § 19 Abs. 4 GmbHG) als unzulässige Einlage von Dienstleistungen zu bewerten ist. Dies bedeutet nicht, dass die Qivive-Entscheidung des BGH unrichtig ist: selbstverständlich muss die Gesellschaft einen Gesellschafter entgeltlich als Geschäftsführer beschäftigen dürfen und auch die Verabredung, dass ein Inferent Werbeleistungen für die Gesellschaft erbringt, ist im konkreten Fall nicht zu beanstanden. Allerdings bedarf die Begründung einer Ausdifferenzierung, welche die tragenden Wertungsgesichtspunkte offenlegt. Die zulässigen Gestaltungen müssen von den unzulässigen abgegrenzt werden, und sowohl für die unzulässigen als auch für die zulässigen Gestaltungen müssen die Rechtsfolgen benannt werden. 1. Ansatzpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit von Dienstabreden Zunächst ist der korrekte Ansatzpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit von Dienstabreden zu ermitteln. Droht bei ihnen eine Umgehung der Sacheinlagevorschriften, so dass sie ggf. als verdeckte Sacheinlage zu behandeln sind, oder geht es vielmehr um die Frage, ob eine Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit vorliegt? In Qivive werden beide Möglichkeiten im Ergebnis abgelehnt, was den Eindruck erweckt, Dienstabreden wären mangels Vorliegens eines Umgehungstatbestandes generell zulässig. Dem ist indes nur im Hinblick auf die Ablehnung der ersten Möglichkeit beizupflichten: a) Umgehung der Sacheinlagevorschriften Der BGH ist zu Recht der Auffassung, in der Verabredung entgeltlicher Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Begründung der Geldeinlagepflicht eines Inferenten (Dienstabrede) liege keine Umgehung der Sacheinlagevorschriften, so dass eine direkte Anwendung der Regeln über die verdeckte Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG) ausscheidet. Der Vorwurf der Umgehung der Sacheinlagevorschriften kann nämlich nur erhoben werden, wenn der erstrebte Erfolg auch rechtmäßig erreicht werden kann. Dies ist bei Dienstleistungen aber nicht der Fall, da diese von vornherein nicht sacheinlagefähig sind. Die Rechtsordnung kann die dem Inferenten nachteiligen Folgen des Rechts der verdeckten Sacheinlage nicht an die Nichteinhaltung eines Verfahrens knüpfen, welches sie dem Inferenten gar nicht zur Verfügung gestellt hat.17 Dem lässt sich – an dieser Stelle – auch nicht entgegenhalten, dass dem Inferenten eine Möglichkeit normkonformen Verhaltens dann offensteht, 17 BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 9, 11; BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 17; so auch Habersack FS Priester (2007) S. 157 (164 f.); Hoffmann NZG 2001, 433 (435). Vgl. auch Joost ZIP 2007, 2242 (2244); sowie Kersting in VGR (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2008 (2009) S. 101 (117).

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wenn man die Sacheinlagevorschriften zumindest auf bestimmte Dienstabreden anwendet und insoweit insbesondere Offenlegungspflichten stipuliert.18 Denn eine solche entsprechende Anwendung der Sacheinlagevorschriften auf Dienstabreden kann nicht generell erfolgen, sondern bedarf der Abstimmung mit dem grundsätzlichen Verbot der Einlage von Dienstleistungen. Erst wenn feststeht, dass eine bestimmte Dienstabrede zulässig ist, kann über ihre weitere Behandlung nachgedacht werden. Dann allerdings sind Offenlegungspflichten durchaus in Erwägung zu ziehen.19 b) Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit Dienstabreden können aber im wirtschaftlichen Ergebnis dazu führen, dass die Gesellschaft anstatt der versprochenen Geldeinlage Dienstleistungen erhält. Insofern droht eine Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen. Für die Beurteilung der Zulässigkeit von Dienstabreden ist daher bei den Regeln über die Einlagefähigkeit anzusetzen. Führt eine Dienstabrede zu einer Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen, so ist sie unzulässig. Im Ausgangspunkt sieht dies auch der BGH so. Dennoch lehnt er es „zumindest für das GmbH-Recht“ ab, aus der fehlenden Sacheinlagefähigkeit von Dienstleistungen „ein ‚Verbot‘ der Verabredung entgeltlicher Dienstleistungen des Inferenten in Zusammenhang mit der Begründung seiner Bareinlageschuld ab[zu]leiten und darauf eine analoge Anwendung der Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage [zu] stützen“.20 Dem ist in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Denn in der Sache sagt der BGH damit, dass eine Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen nicht sanktioniert werden soll. Er argumentiert insofern ausschließlich ergebnisorientiert, dass bei einer analogen Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG Inferenten keine Möglichkeit hätten, entgeltlich für die Gesellschaft als Geschäftsführer tätig zu werden, was ihnen nach allgemeiner und zutreffender Auffassung aber möglich sein müsste. Abgesehen davon, dass im konkreten (Qivive-)Fall offenbleibt, ob auch der Abschluss von Werbeverträgen mit Inferenten möglich sein muss, ist dieses Argument auch aus einem anderen Grund nicht tragfähig. Schon seine Prämisse ist nämlich unrichtig. Es ist unzutreffend, dass Dienstabreden über die Anstellung eines Inferenten als Geschäftsführer immer unzulässig wären, wenn man zur Beurteilung ihrer Zulässigkeit an das Vorliegen einer Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit anknüpft. Wie sogleich zu zeigen sein wird, stellt nämlich nicht jede Dienstabrede eine Umgehung dieser Vorschriften dar. Die hier vertretene Auffassung erlaubt gerade die Differenzierung zwischen zulässigen und unzulässigen 18 19 20

So aber für bestimmte Einlageleistungen Pentz GmbHR 2009, 505 (509). Hierzu unten III.3.a). BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 12; ähnlich BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 17.

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Dienstabreden. Die Frage nach der Sanktionierung einer Umgehung – etwa durch die analoge Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG – stellt sich somit nicht, wie der BGH glaubt, bei jeder, sondern nur bei unzulässigen Dienstabreden. Nicht zu überzeugen vermag im Übrigen auch, wie der BGH die in der Literatur vertretenen Vorschläge, den Inferenten eine entgeltliche Tätigkeit als Geschäftsführer auch bei Geltung der Regeln über die verdeckte Sacheinlage zu ermöglichen,21 ablehnt. Entscheidend sei, so der BGH, dass Dienstleistungen nicht Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage sein können.22 Er begründet damit seine Weigerung, die Regeln über die Umgehung der Sacheinlagevorschriften analog auf die Umgehung der Vorschriften über die Sacheinlagefähigkeit anzuwenden, mit ihrer fehlenden direkten Anwendbarkeit. Damit wird aber gerade der Umstand, der überhaupt erst die Frage nach einer Analogie aufwirft, zum Grund für die Ablehnung der Analogie. c) Zwischenergebnis Dienstabreden stellen keine Umgehung der Vorschriften über die Sacheinlage dar, die Regeln über die verdeckte Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG) finden keine direkte Anwendung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Dienstabreden generell zulässig sind. Ansatzpunkt für die Beurteilung ihrer Zulässigkeit ist vielmehr die Frage, ob eine Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit vorliegt. Dies muss nicht zwangsläufig bei jeder Dienstabrede der Fall sein. 2. Differenzierung zwischen zulässigen und unzulässigen Dienstabreden a) Vorliegen einer Umgehung Wann liegt nun eine Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit vor, die zur Unzulässigkeit der Dienstabrede führt? Formuliert man in Anlehnung an § 19 Abs. 4 GmbHG, so liegt eine Umgehung vor, wenn die Geldeinlage des Inferenten „bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede vollständig oder teilweise“ als Einlage von Dienstleistungen zu bewerten ist. Doch wann führt die wirtschaftliche Betrachtung zu dem Ergebnis, dass die Geldeinlage als Einlage von Dienstleistungen zu bewerten ist? Dies lässt sich nur mit Blick auf die Gründe für die fehlende Einlagefähigkeit beurteilen. Dienstleistungen sind nicht einlagefähig, weil es an einer Aussonderung aus dem Vermögen des Inferenten fehlt und die Zwangsvollstreckung

21 22

Oben Fn. 10, 11, 12. BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 12.

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Schwierigkeiten aufweist.23 Eine Dienstabrede stellt damit dann eine Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen dar, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtung dazu führt, dass der Gesellschaft diese spezifischen Risiken einer Einlage von Dienstleistungen aufgebürdet werden. Denn dann wird das Verbot der Einlage von Dienstleistungen, welches die Gesellschaft vor diesen Risiken gerade schützen soll, unterlaufen. b) Unzulässige Dienstabreden Wenn nun eine Gestaltung dazu führt, dass der Gesellschaft die spezifischen Risiken der Einlage einer Dienstleistung aufgebürdet werden, so liegt eine Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit vor und die Dienstabrede ist unzulässig. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Gesellschaft die versprochenen Dienstleistungen des Gesellschafters vorab bezahlt, weil dann wirtschaftlich betrachtet der Anspruch der Gesellschaft auf die Geldeinlage durch einen Anspruch auf zukünftige Dienstleistungen ersetzt wird. Der Gesellschafter erbringt zwar seine Geldeinlage, erhält diese aber gegen die Begründung einer zukünftigen Dienstleistungsverpflichtung vollständig oder teilweise zurück. Per Saldo hat die Gesellschaft dann zumindest teilweise kein Geld erhalten, sondern nur eine Forderung auf die zukünftige Vornahme von Dienstleistungen. Da es diesbezüglich an der erforderlichen Aussonderung aus dem Vermögen des Inferenten fehlt und sich die Gesellschaft überdies den für Dienstleistungen typischen besonderen Schwierigkeiten bei der Vollstreckung ausgesetzt sieht, liegt in der Sache eine unzulässige Einlage von Dienstleistungen vor. Die Gesellschaft wird mit den Nachteilen belastet, die für die Einlage von Dienstleistungen typisch sind und die das Verbot der Einlage begründen. c) Zulässige Dienstabreden aa) Entgeltliche Anstellung als Geschäftsführer Anders liegt der Fall jedoch, wenn die Gesellschaft einen Inferenten entgeltlich als Geschäftsführer anstellt. Im Normalfall einer Anstellung als Geschäftsführer erhält die Gesellschaft nämlich die Geldeinlage direkt und zahlt monatlich nachträglich für bereits geleistete Dienste. Da diese Dienste immer erst nach ihrer Erbringung zu vergüten sind, stellen sich weder Fragen der Aussonderung aus dem Vermögen des Inferenten noch Fragen der Vollstreckung. Hier ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Gesellschaft bei Nichterbringung der Dienste von ihrer eigenen Leistungspflicht gemäß §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB frei wird bzw. dass sie sich zumindest auf § 320 BGB berufen kann. Vor diesem Hintergrund ist in der entgeltlichen 23

Siehe die Nachweise oben in Fn. 2, 3.

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Anstellung eines Inferenten als Geschäftsführer keine Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen zu sehen.24 Die gewählte Gestaltung beseitigt nämlich gerade die Risiken, die das Verbot in der Sache legitimieren.25 Die Geldeinlage des Inferenten ist daher „bei wirtschaftlicher Betrachtung“ trotz der „im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffenen Abrede“ weder vollständig noch teilweise als Einlage von Dienstleistungen zu bewerten.26 Eine solche Dienstabrede ist zulässig. bb) Abruf von Werbeleistungen (Qivive) Gleiches gilt in der Qivive-Fallkonstellation. Auch hier erhält die Gesellschaft zunächst die Geldeinlage und bezahlt den Inferenten anschließend; und zwar nur für geleistete Dienste. Die besonderen Risiken einer Einlage von Dienstleistungen trägt sie gerade nicht, so dass auch hier von einer zulässigen Dienstabrede ausgegangen werden kann. cc) Verpflichtung zur Abnahme von Beratungsleistungen Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung 27 gilt für Fälle, in denen die Gesellschaft verpflichtet ist, Beratungsleistungen des Inferenten abzunehmen,28 nichts anderes. Der Umstand, dass die Gesellschaft anders als im Qivive-Fall verpflichtet ist, die Beratungsleistungen abzunehmen und ihr nicht lediglich das Recht eingeräumt ist, diese abzurufen, begründet keinen relevanten Unterschied. Denn auch bei einer Abnahmeverpflichtung der Gesellschaft erhält diese zunächst das Geld und zahlt nur nach Leistung des Inferenten. Soweit dieser nicht leistet, kann sie sich auf § 320 BGB berufen und ihre Leistung ebenfalls zurückhalten. Die Abnahmepflicht führt also nicht dazu, dass der Gesellschaft die spezifischen Risiken einer Einlage von Dienstleistungen aufgebürdet werden. Die Situation ist damit nicht wesentlich anders als bei der entgeltlichen Beschäftigung des Inferenten als Geschäftsführer, die nach allgemeiner Meinung zulässig sein muss. Der einzige Unterschied besteht darin, dass bei Nichtleistung des Inferenten als Geschäftsführer nicht § 320 BGB eingreift, sondern die Gesellschaft gemäß

24 Zu einer etwaigen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder der Gewährung bezahlten Urlaubs siehe unten III.2.d). 25 Vgl. auch Frey (oben Fn. 1) S. 103 [Beschränkung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen auf Gestaltungen, die mit unkalkulierbaren Risiken einhergehen]. 26 Es liegt aber auch keine Geldeinlage im üblichen Sinne vor, da die Gesellschaft in der Sache nicht den Geldwert, sondern den Wert der erbrachten Dienstleistungen erhält, vgl. unten III.3.a). 27 Theusinger/Liese NZG 2009, 641 (644). Vgl. auch Hentzen/Schwandtner ZGR 2009, 1007 (1014); Schluck-Amend/Penke DStR 2009, 1433 (1439). 28 Vgl. den Fall des OLG Düsseldorf, 25.6.2008 (Fn. 7).

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§§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB von ihrer Leistungspflicht ganz befreit wird. Doch ist in beiden Fällen sichergestellt, dass die Gesellschaft nicht in Vorleistung treten muss. d) Keine durchgreifenden Einwände Gegen die hier vorgeschlagene Differenzierung zwischen zulässigen und unzulässigen Dienstabreden lässt sich nicht einwenden, dass sie das Problem der Bewertbarkeit von Dienstleistungen ausblende. Es ist zwar richtig, dass die Schwierigkeiten bei der Bewertung von Dienstleistungen ebenfalls zur Begründung ihrer fehlenden Einlagefähigkeit herangezogen werden.29 Doch ist bei Dienstleistungen ein Drittvergleich in der Regel möglich.30 Die Problematik der Bewertung von Dienstleistungen unterscheidet sich damit nicht wesentlich von der Problematik der Bewertung von Sacheinlagen.31 Dies zeigt, dass der Gefahr einer Überbewertung nicht durch ein generelles Verbot von Dienstabreden, sondern durch eine Differenzhaftung zu begegnen ist, sei es über § 9 GmbHG oder über § 19 Abs. 4 GmbHG.32 Auch die möglicherweise fehlende Übertragbarkeit von Ansprüchen auf Dienstleistungen (vgl. § 613 S. 2 BGB) 33 sowie die mit ihnen verbundenen „übergroßen persönlichen Risiken“, d.h. Risiken der Erkrankung oder der mangelnden Motivation des Verpflichteten 34, lassen sich nicht gegen die hier vorgenommene Differenzierung einwenden. Denn diese Nachteile bestehen nur, wenn die Gesellschaft außer dem Anspruch auf die Dienstleistung nichts in der Hand hat. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall, wenn sie zunächst Geld erhält und dieses erst nach Erbringung der Dienstleistung als Entgelt

29 OLG Düsseldorf (Fn. 7); Giedinghagen/Lakenberg NZG 2009, 202; Pentz in MünchKomm AktG3 (2008) § 27 Rn. 33; vgl. auch Barz in GroßKomm AktG3 (1973) § 27 Anm. 7. 30 Im Gesellschaftsrecht vgl. BGH, 14.5.1990, II ZR 126/89, NJW 1990, 2625 (2625 f.); Hueck/Fastrich (oben Fn. 1) § 29 Rn. 68 f.; Lutter/Hommelhoff/Hommelhoff GmbHG17 (2009) § 29 Rn. 51. Im Steuerrecht vgl. BFH, 27.2.2003, I R 46/01, NJW-RR 2003, 1477 (1478 ff.); BFH, 4.6.2003, I R 24/02, DB 2003, 2258 (2259); BFH, 5.3.2008, I B 171/07, DB 2008, 1017 f. Überblick über eine Vergütungsstudie bei Tänzer GmbHR 2000, 596 ff.; ders. GmbHR 1996, 40 ff. Siehe insbesondere auch § 612 BGB; hierzu Schall (Fn. 1) S. 138. 31 Sudhoff NJW 1964, 1249 (1253); ähnlich Priester DB 1993, 1173 (1176); Skibbe GmbHR 1980, 73; Zeidler (oben Fn. 1) § 5 Rn. 139. 32 Hierzu unten III.3.a) bzw. III.4.b). 33 Frey (oben Fn. 1) S. 103; Penné WPg 1988, 35 (39). Für die Voraussetzung der Einzelübertragbarkeit bei Sacheinlagen Ekkenga ZHR 161 (1997) 599 (620); Hüffer AktG8 (2008) § 27 Rn. 21. Überblick über die Problematik bei Zeidler (oben Fn. 1) § 5 Rn. 92; siehe auch Hueck/Fastrich (oben Fn. 1) § 5 Rn. 23; Hachenburg/Ulmer GmbHG8 (1992) § 5 Rn. 34 f. 34 Lutter Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG (1964) S. 232; Ulmer (oben Fn. 1) § 5 Rn. 60; vgl. auch Röhricht in GroßKomm AktG4 (1996) § 27 Rn. 70, 78.

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„zurückzahlt“. Sie hat dann insoweit den in der Dienstleistung liegenden Gegenwert vereinnahmt, so dass sich die Fragen der Übertragbarkeit des Anspruchs oder der Motivation des Dienstverpflichteten nicht (mehr) stellen.35 Dies gilt selbst dann, wenn man eine etwaige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder einen Anspruch auf bezahlten Urlaub berücksichtigt.36 Die Gesellschaft gewährt nämlich entgegen dem ersten Anschein auch hier keine Bezahlung ohne Gegenleistung, denn der Urlaubsanspruch sowie die Absicherung gegen Krankheitsrisiken stellen bei wirtschaftlicher Betrachtung einen Teil der für geleistete Dienste geschuldeten Gegenleistung dar. 3. Behandlung zulässiger Dienstabreden a) Anwendung der Vorschriften über die offene Sacheinlage Stellt sich eine Dienstabrede nach dem zuvor Gesagten als zulässig dar, so bedeutet dies zunächst nur, dass keine Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit vorliegt. Eine weitere Frage ist, welche Rechtsfolgen an das Vorliegen einer solchen zulässigen Dienstabrede zu knüpfen sind. Denn auch wenn bei der zulässigen Dienstabrede die Geldeinlage des Inferenten gerade nicht als Einlage von Dienstleistungen zu bewerten ist, so stellt sich doch die Frage, ob sie als normale Geldeinlage gelten kann. Aufgrund der Verknüpfung von Geldeinlage und Dienstvertrag erhält die Gesellschaft nämlich in der Sache nicht den Geldwert, sondern den Wert der erbrachten Dienstleistung. Bleibt dieser hinter der für die Dienstleistung vereinbarten Vergütung zurück, so entsteht eine Situation wie bei einer überbewerteten Sacheinlage. Vor diesem Hintergrund und da Dienstleistungen zu den gleichen Bewertungsschwierigkeiten führen wie Sacheinlagen,37 ist zu überlegen, Dienstabreden im Interesse der vollständigen Kapitalaufbringung den Sacheinlagevorschriften zu unterwerfen. Dem steht nicht das Argument des BGH entgegen, dass Dienstleistungen mangels Einlagefähigkeit nicht den Vorschriften über (verdeckte) Sacheinlagen unterworfen werden können. Es ist zwar richtig, dass wenn das Sacheinlageverfahren für Dienstleistungen nicht zur Verfügung steht, in einer Dienstabrede keine Umgehung dieses Verfahrens erblickt werden kann.38 Doch geht es hier gerade nicht um eine Sanktionierung der Umgehung der Sachein35 Vgl. insofern auch Lutter (oben Fn. 34) S. 233, der ausdrücklich betont, dass Bedenken gegen die Einlagefähigkeit entfallen, wenn das sie begründende Risiko beseitigt wird. 36 Zur Rechtsgrundlage dieser Ansprüche bei GmbH-Geschäftsführern siehe Roth/Altmeppen/Altmeppen GmbHG6 (2009) § 6 Rn. 105, 107; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek GmbHG17 (2009) Anh. zu § 6 Rn. 29, 41; Ulmer/Habersack/Winter/Paefgen Großkommentar GmbHG (2005) § 35 Rn. 144; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack GmbHG19 (2010) § 35 Rn. 177. Vgl. auch Lücke NJOZ 2009, 3469. 37 Soeben III.2.d). 38 Oben III.1.a).

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lagevorschriften, sondern um ihre analoge Anwendung auf den Fall einer zulässigen Dienstabrede. Bei dieser handelt es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung gerade nicht um eine Einlage von Dienstleistungen. Da eine zulässige Dienstabrede bei wirtschaftlicher Betrachtung aber auch nicht als normale Geldeinlage angesehen werden kann,39 sondern in der Sache die Einbringung des Wertes erbrachter Dienstleistungen bedeutet, ist das Gebot der vollständigen Kapitalaufbringung berührt. Diese ist aufgrund von Bewertungsunsicherheiten bei der zulässigen Dienstabrede genauso gefährdet wie bei der zulässigen Sacheinlage. In beiden Fällen wird nämlich bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Geldeinlage erbracht, sondern eine andere Leistung; bei der zulässigen Sacheinlage wird eine Sache eingelegt, bei der zulässigen Dienstabrede der Wert erbrachter Dienstleistungen. Aufgrund der identischen Gefährdungslage ist es daher geboten, in beiden Fällen die gleichen Schutzmechanismen eingreifen zu lassen. Soweit es wie hier um zulässige Dienstabreden geht, mit denen keine Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen verbunden ist, sollte man sich daher in der Ausgestaltung dieses Schutzes an den Vorschriften über die offene Sacheinlage orientieren.40 Die zulässige Dienstabrede ist dementsprechend offenzulegen 41 und der Inferent einer Differenzhaftung für den Fall der Überbewertung seiner Dienstleistung zu unterwerfen. Die Offenlegung hat nach §§ 5 Abs. 4, 8, 56, 57 GmbHG zu erfolgen, was die Erstattung eines Berichts über die Dienstabrede einschließt. Die Differenzhaftung richtet sich nach § 9 GmbHG. Unterbleibt die erforderliche Offenlegung, so greift § 19 Abs. 4 GmbHG als Umgehungstatbestand ein.42 Einzelfragen der Anwendung des § 9 GmbHG können hier nicht vertieft werden. Lediglich ein denkbarer Einwand sei vorweggenommen: Die Anwendung des § 9 GmbHG bedeutet nicht, dass monatliche Fehlbeträge über die ganze Laufzeit des Dienstvertrags addiert werden, so dass bei langfristigen Verträgen zwangsläufig eine Differenzhaftung in der Höhe der Einlage entsteht. Einerseits wird man nämlich in der Zukunft liegende Fehlbeträge abzinsen müssen, andererseits ist der Betrachtungszeitraum auf den Zeitraum zu begrenzen, der der Vorabsprache zugrundeliegt. Im Zweifel wird dieser – auch bei Dauerschuldverhältnissen – 2 Jahre nicht übersteigen.43 39

Vgl. auch Busse (Fn. 6) S. 87 (104). Vgl. auch Schall (Fn. 1) S. 149 f. 41 Vgl. auch Pentz GmbHR 2009, 505 (508 f.). AA Schall (Fn. 1) S. 137, der jedoch – vor dem Hintergrund seiner Auffassung von der Einlagefähigkeit von Diensten – für Dienstabreden, die über die von ihm angenommene Verkehrsgeschäftsausnahme hinausgehen, eine vollständige Anwendung der Vorschriften über die (offene und verdeckte) Sacheinlage fordert und insofern auch eine Offenlegungspflicht annimmt (aaO, S. 147 ff., 150). 42 Zur Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG auf von vornherein unzulässige Dienstabreden siehe unten III.4.b). 43 Vgl. hierzu Knobbe-Keuk ZIP 1986, 885 (890), die eine Parallele zur aktienrechtlichen Nachgründung (§ 52 Abs. 1 S. 1 AktG) zieht. Zur Bedeutung der Umgehungsabrede siehe auch Busse (Fn. 6) S. 87 (102 ff.). 40

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b) Strafbarkeitsdrohung Zulässige Dienstabreden bergen für Geschäftsführer oder Gesellschafter keine Gefahr, sich strafbar zu machen. § 82 GmbHG sanktioniert vorsätzlich falsche Angaben im Zusammenhang mit der Erbringung von Einlagen oder im Sachgründungsbericht. Hieran fehlt es jedoch, wenn zulässige Dienstabreden ordnungsgemäß offengelegt werden. Wird ein Inferent als Geschäftsführer entgeltlich beschäftigt, so genügt die Offenlegung dieses Umstands, um die Strafbarkeit auszuschließen. Dies erfolgt zwangsläufig durch die Angaben gemäß § 8 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 GmbHG. 4. Behandlung unzulässiger Dienstabreden Stellt sich eine Dienstabrede als unzulässig dar, weil sie bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit darstellt, so führt dies zwangsläufig zunächst dazu, dass die Einlageschuld nicht erfüllt ist. Offen ist allerdings die Frage nach den weiteren Rechtsfolgen, insbesondere nach der Wirksamkeit der Abrede über die Erbringung von Dienstleistungen sowie nach der Möglichkeit der Anrechnung erbrachter Dienstleistungen auf die fortbestehende Einlageschuld. a) Analogie zum Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 5 GmbHG analog)? Man könnte zunächst überlegen, auf unzulässige Dienstabreden die Vorschriften über das Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 5 GmbHG) analog anzuwenden. Der Fall, dass die Geldeinlage des Gesellschafters zur Bezahlung künftiger Dienstleistungen sofort zurückgewährt wird, scheint nämlich den klassischen Fällen des Hin- und Herzahlens zu entsprechen. aa) Ansatz des BGH Dies scheint auch die Lösung zu sein, welche der BGH wählen würde. In Qivive lehnte er die Annahme eines Hin- und Herzahlens zwar ab, weil weder eine verdeckte Finanzierung der Einlage durch die Gesellschaft noch ein bloßer Austausch der gesellschaftsrechtlichen Einlageforderung gegen eine andere schuldrechtliche Forderung vorliege. Das Erfordernis der Einzahlung der Geldeinlage zur freien Verfügung (§§ 8 Abs. 2, 57 Abs. 2 GmbHG) sei nicht berührt, wenn die Einlagemittel nicht für die Bezahlung der Dienstleistungen reserviert, sondern in den Geldkreislauf der Gesellschaft eingespeist würden. Entscheidend sei, dass die Leistung aus dem Vermögen des Inferenten ausgeschieden werde und der Gesellschaft so zufließe, dass sie diese uneingeschränkt für ihre Zwecke verwenden könne.44 Doch 44

BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 17; ähnlich BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 23 f.

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lässt sich aus der Ablehnung des § 19 Abs. 5 GmbHG in Qivive nicht entnehmen, dass die Vorschriften über das Hin- und Herzahlen generell nicht zur Anwendung kommen sollen. Mit der gewählten Begründung deutet der BGH vielmehr an, dass die Annahme eines Hin- und Herzahlens grundsätzlich in Betracht kommt und in Qivive nur aus tatsächlichen Gründen ausschied. Es lässt sich auch nicht einwenden, dass der Tatbestand des Hin- und Herzahlens insoweit nicht hinreichend abgegrenzt ist. Obwohl der BGH anders als die hier vertretene Auffassung von der generellen Zulässigkeit von Dienstabreden auszugehen scheint, erfasst er mit dem Tatbestand des Hin- und Herzahlens genau die Fälle, in denen nach der hier vertretenen Auffassung unzulässige Dienstabreden vorliegen: Anders als erste Stellungnahmen in der Literatur annehmen,45 dürfte nämlich für die Bejahung eines Hin- und Herzahlens noch nicht genügen, dass die Einlagemittel für die Bezahlung der Dienstleistungen in der Form reserviert werden, dass die Gesellschaft zur Abnahme der Dienstleistungen verpflichtet ist.46 Wollte man dies nämlich für ausschlaggebend halten, so wären auch Anstellungsverträge mit Geschäftsführern unzulässig, welche die Rechtsprechung jedoch zu Recht gerade erlauben will.47 Nach dem BGH soll es vielmehr darauf ankommen, ob „die Abrede dahin geht, die Einlagemittel unter Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln wieder an den Einleger zurückfließen zu lassen“; schuldrechtliche Verwendungsabsprachen, mit denen lediglich Entscheidungen der Gesellschafter umgesetzt würden, seien unbedenklich.48 Ein unzulässiges Hinund Herzahlen wird man vor diesem Hintergrund daher nur annehmen können, wenn eine stärkere Form der Reservierung als eine zulässige schuldrechtliche Verwendungsabsprache vorliegt.49 Im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung von der Unzulässigkeit bestimmter Dienstabreden wäre dies beispielsweise der Fall, wenn die Gesellschaft in Vorleistung tritt. Nicht zu folgen ist vor diesem Hintergrund auch der Auffassung, eine Abrede, die Einlagemittel unter Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln an den Inferenten zurückfließen zu lassen, könne auch angenommen werden, wenn die vom Inferenten zu erbringende Dienstleistung deutlich überbewertet wird.50 Abgesehen davon, dass die Festlegung einer entsprechenden Wertgrenze willkürlich wäre und dass nicht befriedigend zu erklären ist, warum eine Überbewertung unterhalb der Wertgrenze hingenommen werden soll,

45

Oben Fn. 27. Hierzu oben III.2.c)cc). 47 Hierzu oben II. und III.2.c)aa). 48 BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 18 [Hervorhebung des Gerichts]. 49 BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 19. 50 So aber Herrler JA 2009, 529 (533); vgl. auch Schluck-Amend/Penke DStR 2009, 1433 (1439) [Drittvergleich]. 46

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kommt es für die Zulässigkeit der Dienstabrede auf die Frage der Überbewertung nicht an. Denn eine Überbewertung der Dienstleistung macht die Dienstabrede nicht unzulässig, sondern löst lediglich die Differenzhaftung aus.51 bb) Unangemessene Rechtsfolgen Dennoch ist dem Ansatz des BGH, auf bestimmte Dienstabreden mit der Anwendung der Vorschriften über das Hin- und Herzahlen zu reagieren, im Ergebnis nicht zu folgen. Er fügt sich zwar in die hier getroffene Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Dienstabreden ein. Bezieht man allerdings die Rechtsfolgen des Hin- und Herzahlens in die Überlegungen mit ein, so zeigt sich, dass diese den Inferenten unangemessen belasten würden: Wendet man nämlich die Regeln über das Hin- und Herzahlen auf den Fall einer unzulässigen Dienstabrede an, so bliebe zunächst mangels eines vollwertigen Rückgewähranspruchs der Einlageanspruch der Gesellschaft bestehen (§ 19 Abs. 5 S. 1 GmbHG). Denn der Anspruch der Gesellschaft auf eine künftige Dienstleistung kann gerade nicht als ein Anspruch auf Rückgewähr der an den Gesellschafter zurückgezahlten Geldeinlage angesehen werden.52 Sodann kann der fortbestehende Geldeinlageanspruch der Gesellschaft auch nicht durch die tatsächliche Erbringung der Dienstleistung getilgt werden, weil hierin – anders als in den typischen Fällen, in denen der Gesellschafter ein vermeintliches „Darlehen“ an die Gesellschaft zurückzahlt 53 – keine Leistung auf den fortbestehenden Einlageanspruch gesehen werden kann. Schließlich ist der Einlageanspruch auf Geld und nicht auf das Erbringen einer Dienstleistung gerichtet. Dem Inferenten bliebe daher nur ein – wegen der Nichtigkeit des Dienstvertrages 54 bereicherungsrechtlicher – Anspruch auf Ersatz des Wertes der Dienstleistung. Mit diesem bereicherungsrechtlichen Anspruch fällt er jedoch in der Insolvenz der Gesellschaft aus, weil er ihn nicht gegen seine fortbestehende Einlageschuld aufrechnen kann (§§ 19 Abs. 2 S. 2, 56 Abs. 2 GmbHG). Im Extremfall erbringt der Inferent seine Dienstleistungen also kostenlos. 51

Oben III.3.a). Giedinghagen/Lakenberg NZG 2009, 201 (204); vgl. auch Hentzen/Schwandtner ZGR 2009, 1007 (1017); Schall (Fn. 1) S. 136. 53 Siehe BGH, 21.11.2005, II ZR 140/04, in BGHZ 165, 113 (116 f.) = NJW 2006, 509 (509 f.); BGH, 9.1.2006, II ZR 72/05, NJW 2006, 906 (907 f.); zur Rechtslage nach dem MoMiG siehe Hueck/Fastrich (oben Fn. 1) § 19 Rn. 26, 74, 84; Roth (oben Fn. 4) § 19 Rn. 105, § 7 Rn. 30a; Wicke GmbHG (2008) § 19 Rn. 38. 54 BGH, 21.11.2005 (oben Fn. 53); Goette/Habersack/Winter Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis (2009) S. 73. Nach dem MoMiG: Bayer (oben Fn. 3) § 19 Rn. 102; Hueck/ Fastrich (oben Fn. 1) § 19 Rn. 74, 84; vgl. auch Herrler DB 2008, 2347 (2348 f.); ders., JA 2009, 529 (531). 52

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Im Vergleich zu der Regelung über die verdeckte Sacheinlage, wo der Wert der erbrachten Leistungen auf die fortbestehende Einlageforderung der Gesellschaft anzurechnen ist (§ 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG),55 ist dies nicht angemessen. Mit der Änderung der Rechtslage bei der verdeckten Sacheinlage hat der Gesetzgeber nämlich zum Ausdruck gebracht, dass erbrachte Leistungen des Gesellschafters diesem auch zugute kommen sollen. Doppelzahlungen sollen vermieden werden. Dieses Ziel würde jedoch verfehlt, wollte man die – nach § 19 Abs. 5 GmbHG gegenüber den Grundsätzen der verdeckten Sacheinlage subsidiären! – Grundsätze des Hin- und Herzahlens auf Konstellationen anwenden, in denen der Einlageanspruch der Gesellschaft nicht gegen einen anderweitigen Anspruch auf Geldzahlung, sondern gegen einen Anspruch auf sonstige Leistungen getauscht wird. Denn im letzteren Fall lässt sich die Erbringung dieser sonstigen Leistungen nicht als Zahlung auf den fortbestehenden Einlageanspruch deuten, so dass der Inferent in der Insolvenz der Gesellschaft im Ergebnis doppelt leisten muss bzw. seine sonstigen Leistungen kostenlos erbringt. Aus dem gleichen Grund kann auch nicht einer zur UG (haftungsbeschränkt) vertretenen Ansicht gefolgt werden. Ein Rückgriff auf die vor der Einfügung des § 19 Abs. 4 GmbHG durch das MoMiG geltenden Rechtsprechungsregeln 56 würde den Inferenten ebenfalls von der Anrechnungsmöglichkeit ausschließen. Damit würde er genau der Gefahr einer Doppelleistung ausgesetzt, welche nach der in § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG n.F. zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidung des Gesetzgebers gerade beseitigt werden sollte.57 b) Analogie zur verdeckten Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG analog) aa) Rechtsfolgen der Analogie zu § 19 Abs. 4 GmbHG Richtigerweise sind die Rechtsfolgen im Fall einer unzulässigen Dienstabrede daher aus einer Analogie zu den Regeln über die verdeckte Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG) zu gewinnen. Dies bedeutet, dass die Geldeinlageforderung der Gesellschaft zunächst fortbesteht (S. 1). Die Abrede über die Erbringung von Dienstleistungen durch den Inferenten bliebe aber wirksam (S. 2). Außerdem würde der Wert tatsächlich erbrachter Dienstleistungen auf die fortbestehende Geldeinlageschuld angerechnet (S. 3), wobei der Inferent die Werthaltigkeit zu beweisen hätte (S. 4). Eine unangemessene

55 Zur Anrechnung siehe Dauner-Lieb AG 2009, 217 ff.; Kersting (oben Fn. 17) S. 101 (107 ff.); Maier-Reimer/Wenzel ZIP 2008, 1449 ff.; dies. ZIP 2009, 1185 ff.; Pentz FS K. Schmidt (2009) 1265 ff.; ders. GmbHR 2009, 126 (127 ff.); Ulmer ZIP 2009, 293 ff.; Veil/Werner GmbHR 2009, 729 ff. 56 Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 64. 57 Ablehnend zur UG (haftungsbeschränkt) Kersting (oben Fn. 17) S. 101 (122 f.).

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doppelte Inanspruchnahme des Inferenten im Fall der Insolvenz der Gesellschaft wird so vermieden. Gleichzeitig wird aber auch dem Gebot der vollständigen Kapitalaufbringung Rechnung getragen, indem der Einlageanspruch bestehen bleibt und erst bei Erbringung der Dienstleistungen und auch nur insoweit, als diese werthaltig sind, getilgt wird. bb) Fehlende Einlagefähigkeit kein Hinderungsgrund für die analoge Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG Gegen eine Analogie zu § 19 Abs. 4 GmbHG lässt sich nicht einwenden, dass Dienstleistungen nicht einlagefähig seien, so dass bei den hier betrachteten unzulässigen Dienstabreden keine Umgehung der Sacheinlagevorschriften vorliegen könne, da es an der Möglichkeit fehle, den angestrebten Erfolg rechtmäßig zu erreichen.58 Zum einen soll mit der Analogie nämlich nicht die Umgehung von (in der Tat nicht existierenden) Verfahrensvorschriften über die Einlage von Dienstleistungen sanktioniert werden. Sanktioniert werden soll vielmehr das Treffen einer unzulässigen Dienstabrede, d.h. die Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen.59 Zum anderen zeigen auch die Beispiele der UG (haftungsbeschränkt) sowie der Musterprotokollgründung, dass ein Schluss von der fehlenden Einlagefähigkeit einer Leistung auf die zwingende Unanwendbarkeit aller Vorschriften über die Sacheinlage, einschließlich der Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage, fehlgeht. Sowohl bei der Gründung einer UG (haftungsbeschränkt) als auch bei der GmbH-Gründung unter Verwendung eines Musterprotokolls sind nämlich ausschließlich Geldeinlagen zulässig (§§ 2 Abs. 1a i.V.m. der Anlage, 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG). Das Gesetz stellt also in diesen Fällen kein Verfahren zur Verfügung, mit dem Sacheinlagen erbracht werden können. Folgte man jetzt der Logik des BGH, so käme eine Umgehung der Vorschriften über das Verfahren bei Sacheinlagen nicht in Betracht und eine Anwendung der Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage schiede aus.60 Richtigerweise ist die Umgehung der Verfahrensvorschriften über die Sacheinlage hier aber gar nicht der entscheidende Gesichtspunkt. Die Verfahrensvorschriften sind nämlich kein Selbstzweck, sondern dienen der Sicherstellung der vollständigen Kapitalaufbringung. Diese ist jedoch in Fällen, in denen verdeckt Sacheinlagen erbracht werden, unabhängig davon gefährdet, ob Sacheinlagen generell zulässig sind (bei der GmbH) oder nicht (bei der UG (haftungsbeschränkt) bzw. bei Verwendung des Musterprotokolls). Entscheidend ist vielmehr, ob die gewählte Gestaltung dazu führt, dass 58

So aber BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 9, 11; BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 17; vgl. hierzu oben III.1.a). 59 Zur Umgehung der Vorschriften über die Einlagefähigkeit als maßgeblicher Ansatzpunkt siehe oben III.1.b). 60 BGH, 16.2.2009 (Fn. 1) Tz. 9, 11; BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 17; weitere Nachweise in Fn. 4, 17.

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bei wirtschaftlicher Betrachtung keine Geldeinlage erbracht wird, sondern eine andere Leistung, deren Werthaltigkeit nicht in gleichem Maße feststeht.61 Die Interessenlage bei fehlender Einlagefähigkeit von Sachen ist daher insofern identisch zu derjenigen bei der verdeckten Sacheinlage.62 Man muss somit in beiden Fällen die Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage anwenden, obwohl bei der UG (haftungsbeschränkt) und bei der Musterprotokollgründung eine offene Sacheinlage nicht möglich gewesen wäre.63 Demgegenüber wäre weder die Anwendung der alten Rechtsprechungsregeln zur verdeckten Sacheinlage 64 noch ein Rückgriff auf § 19 Abs. 5 GmbHG eine gangbare Alternative.65 In beiden Fällen würde der Inferent um die Möglichkeit der Anrechnung gebracht und damit entgegen der Intention des § 19 Abs. 4 GmbHG unangemessen belastet.66 Diese Argumentation lässt sich auch auf den Fall der unzulässigen Dienstabrede, d.h. der unzulässigen Verabredung von Dienstleistungen des Inferenten im Zusammenhang mit der Begründung seiner Geldeinlagepflicht übertragen.67 Auch in diesem Fall lässt sich aus der fehlenden Einlagefähigkeit von Dienstleistungen nicht schließen, dass eine analoge Anwendung der Sacheinlagevorschriften ausscheiden muss. cc) Möglichkeit der Anrechnung Entscheidender Gesichtspunkt dafür, die Rechtsfolgen einer unzulässigen Dienstabrede in Analogie zu § 19 Abs. 4 GmbHG zu bestimmen, ist nach den obigen Ausführungen die Möglichkeit der Anrechnung erbrachter Dienstleistungen auf die fortbestehende Einlageschuld.68 Insofern ist aller61

Vgl. auch OLG Düsseldorf (Fn. 7). Insbesondere deswegen, weil das Verbot der Sacheinlage lediglich Vereinfachungszwecken dient; zur Vergleichbarkeit bei Dienstleistungen siehe unten in und bei Fn. 67. 63 Kersting (oben Fn. 17) S. 101 (122 f., 124) m.w.N. auch zur Gegenansicht; siehe auch Hennrichs NZG 2009, 921 (923); ders., NZG 2009, 1161 (1164); Veil, ZGR 2009, 623 (631). Zur Möglichkeit der Anrechnung nach § 19 Abs. 4 S. 3 GmbHG bei Dienstabreden siehe auch unten III.4.b)cc). 64 So aber etwa Bormann GmbHR 2007, 897 (901); ders./Urlichs GmbHR Sonderheft 2008, 37 (42); Freitag/Riemenschneider ZIP 2007, 1485 (1486); Heckschen/Heidinger Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis (2009) S. 235 f.; Hueck/Fastrich (oben Fn. 1) § 5a Rn. 12; § 19 Rn. 48; Hirte ZInsO 2008, 933 (935); Miras Die neue Unternehmergesellschaft, Rn. 352; Schall ZHR 2009, 126 (152); Wachter GmbHR Sonderheft 2008, 25 (33); Weber BB 2009, 842 (845); Wicke GmbHG, § 5a Rn. 8. 65 Vgl. aber Joost ZIP 2007, 2242 (2244). 66 Kersting (oben Fn. 17) S. 101 (122 f., 124) sowie oben III.4.a)bb). 67 Zwar wird hier anders als bei der Argumentation zur UG (haftungsbeschränkt) und zur Musterprotokollgründung (siehe oben bei Fn. 62) bei unzulässigen Dienstabreden die Gesellschaft zusätzlich zu den Bewertungsunsicherheiten mit der weiteren Unsicherheit belastet, ob überhaupt erfüllt wird. Dieser Aspekt kann jedoch außer Betracht bleiben, weil eine Anrechnung ohnehin erst nach Erfüllung, d.h. nach Erbringung der Dienstleistung in Betracht kommt, siehe unten III.4.b)cc). 68 Oben III.4.a), b). 62

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dings problematisch, dass § 19 Abs. 4 GmbHG nur die Anrechnung des Wertes des „Vermögensgegenstands“ erlaubt, so dass eine Anrechnung nicht einlagefähiger Leistungen, zu denen gerade auch Dienstleistungen gehören, nicht möglich ist.69 Dennoch darf nicht unbesehen von der fehlenden Einlagefähigkeit einer Leistung auf den Ausschluss der Anrechnungsmöglichkeit geschlossen werden. So geht es in den zuvor 70 diskutierten Fällen der UG (haftungsbeschränkt) und der Musterprotokollgründung um Einlageleistungen, die grundsätzlich Gegenstand einer Sacheinlage sein können und deren Sacheinlagefähigkeit nur für eine spezielle Konstellation aus Vereinfachungsgründen ausgeschlossen wurde. Der Blick auf den Zweck der Anordnung fehlender Sacheinlagefähigkeit zeigt hier, dass die fehlende Sacheinlagefähigkeit nicht zu einem Ausschluss der Anrechnungsmöglichkeit führt.71 In gleicher Weise ist auch bei den unzulässigen Dienstabreden der Zweck der fehlenden Einlagefähigkeit von Dienstleistungen in den Blick zu nehmen.72 Mit der Anrechnung darf nicht der mit dem Ausschluss der Einlagefähigkeit verfolgte Zweck unterlaufen werden, d.h. die Anrechnung darf im Ergebnis nicht zu einer Einlage von nicht einlagefähigen Leistungen führen. Daher ist die entsprechende Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG dahingehend zu beschränken, dass der Wert von Ansprüchen auf Dienstleistungen nicht angerechnet wird. Umgekehrt führt eine zweckorientierte Betrachtung aber auch zu der Erkenntnis, dass eine Anrechnung den Zweck des Ausschlusses der Einlagefähigkeit dann nicht (mehr) unterläuft, wenn die Dienstleistung bereits erbracht wurde. Ist die Dienstleistung nämlich erst einmal erbracht, so ist der Grund für das Verbot ihrer Einlage entfallen.73 Dann spricht aber in der Sache auch nichts mehr dagegen, die – ohnehin analoge – Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG auch auf die Anrechnung zu erstrecken. Der Gesellschaft ist schließlich ein entsprechender Wert zugeführt worden, so dass kein Grund besteht, diese Fallgruppe strenger zu behandeln als die Fälle der verdeckten Sacheinlage oder die Fälle des (unzulässigen) Hin- und Herzahlens.74 Angerechnet wird dann allerdings nicht der Wert des (nicht einlagefähigen) Anspruchs auf die Dienstleistungen, sondern der Wert der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen,75 der auch geringer sein kann als die vereinbarte Vergütung. 69

Siehe Kersting (oben Fn. 17) S. 101 (117 f.). Oben III.4.b)bb). 71 Vgl. Kersting (oben Fn. 17) S. 101 (123). 72 Noch ohne diese Differenzierung Kersting (oben Fn. 17) S. 101 (117 f.). 73 Siehe oben III.2. 74 In den Fällen des (unzulässigen) Hin- und Herzahlens erfolgt eine Anrechnung dadurch, dass Zahlungen auf den bestehenden (wenn auch nicht im Sinne des § 19 Abs. 5 GmbHG vollwertigen) Rückgewähranspruch der Gesellschaft die fortbestehende Einlageforderung tilgen, siehe die Nachweise in Fn. 53. 75 Vgl. auch Schall (Fn. 1) S. 136. 70

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c) Strafbarkeitsdrohung Eine unzulässige Dienstabrede führt dazu, dass die Einlageschuld nicht getilgt wird. Bei wirtschaftlicher Betrachtung wird nämlich keine Geldeinlage erbracht, sondern unzulässigerweise eine Dienstleistung eingelegt. Dies führt dazu, dass die Versicherung nach §§ 8 Abs. 2 S. 1, 57 Abs. 2 GmbHG falsch ist.76 Soweit sie vorsätzlich handeln, machen sich die Geschäftsführer und Gesellschafter damit gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 1, 3 GmbHG strafbar.

IV. Fazit und Ausblick auf die Aktiengesellschaft Abreden über die Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen durch einen Gesellschafter, die im Zusammenhang mit der Begründung einer Geldeinlagepflicht des Gesellschafters getroffen werden, wurden hier als „Dienstabreden“ bezeichnet. Solche Dienstabreden sind nicht generell unzulässig. Insofern ist der Qivive-Entscheidung des BGH beizupflichten. Sie sind aber – anders als die Qivive-Entscheidung anzudeuten scheint – auch nicht generell zulässig. Vielmehr ist zwischen zulässigen und unzulässigen Dienstabreden danach zu differenzieren, ob durch sie das Verbot der Einlage von Dienstleistungen umgangen wird. Dies ist nur der Fall, wenn der Gesellschaft die spezifischen Risiken einer Einlage von Dienstleistungen, nämlich die fehlende Aussonderung aus dem Vermögen des Gesellschafters sowie die Schwierigkeiten bei der Zwangsvollstreckung, aufgebürdet werden. Hieran fehlt es beispielsweise, wenn die Gesellschaft einen Inferenten als Geschäftsführer anstellt und diesen für geleistete Dienste bezahlt. Eine Umgehung läge hingegen vor, wenn die Gesellschaft in Vorleistung tritt und für künftige Dienste bezahlt.77 Auf zulässige Dienstabreden sind die Vorschriften über offene Sacheinlagen entsprechend anzuwenden, insbesondere §§ 5 Abs. 4, 8, 9, 56, 57 GmbHG. Auf unzulässige Dienstabreden finden hingegen die Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage (§ 19 Abs. 4 GmbHG) entsprechende Anwendung. Dies führt dazu, dass die vollständige Kapitalaufbringung in jedem Fall durch eine Differenzhaftung abgesichert ist. Einer Strafbarkeitsdrohung sehen sich die Gesellschafter und Geschäftsführer hingegen nur im Fall der unzulässigen Dienstabrede ausgesetzt. 76 Vgl. zur verdeckten Sacheinlage Baumbach/Hueck/Haas GmbHG19 (2010) § 82 Rn. 12, 37; Ensthaler/Füller/Schmidt/Müller GmbHG2 (2010) § 82 Rn. 10. 77 Die zentrale Bedeutung des Leistungsrisikos wurde auch von der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts, welcher der Jubilar angehörte, so gesehen. In ihrem Bericht (Fn. 5) will sie die Einlage von Dienstleistungen zulassen, sofern das Risiko mangelnder Leistung beseitigt wird. Im wirtschaftlichen Ergebnis entspricht dies der hier vertretenen Auffassung.

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Diese Vorgaben lassen sich auch auf die Aktiengesellschaft übertragen. Die insofern einzige Besonderheit des Aktienrechts besteht darin, dass § 27 Abs. 2 AktG die Einlage von Dienstleistungen in Umsetzung von Art. 7 S. 2 Kapitalrichtlinie 78 ausdrücklich verbietet. Diesem Verbot wird die hier vertretene Auffassung aber durchaus gerecht. Zulässige Dienstabreden stellen nämlich schon keine Umgehung des Verbots der Einlage von Dienstleistungen dar; aus diesem Grund überzeugt auch nicht das Argument, durch eine Anrechnung werde § 27 Abs. 2 Halbs. 2 AktG ausgehebelt.79 Unzulässige Dienstabreden bleiben hingegen unzulässig und sind zudem strafbewehrt. Überdies greift sowohl bei zulässigen als auch bei unzulässigen Dienstabreden im Ergebnis eine Differenzhaftung.

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Richtlinie 77/91/EWG, ABl. L 26, 31.1.1977, S. 1. So aber BGH, 1.2.2010 (Fn. 1) Rn. 21 im Anschluss an A. Arnold, in: Zöllner/Noack (Hrsg.), Kölner Kommentar Aktiengesetz3 (2010), § 27 Rn. 92. 79

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung nach MoMiG und ARUG: Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der neuen Vorschriften Detlef Kleindiek Im Zuge der GmbH-Reform des Jahres 20081 hat der Gesetzgeber erhebliche Korrekturen im Recht der Kapitalaufbringungen und -erhaltung vorgenommen. Einige diese Neuerungen – so die „Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise“ im Rahmen der Kapitalerhaltung oder die „Abschaffung“ der früheren Rechtsprechungsregeln zum alten Eigenkapitalersatz – betreffen das GmbH- wie Aktienrecht gleichermaßen. Demgegenüber beschränkten sich die Rechtsfolgenkorrekturen für verdeckte Sacheinlagen und sog. Hin- und Herzahlungen zunächst auf das GmbH-Recht. Sie wurden aber schon bald – mit dem ARUG2 – in das Aktienrecht übernommen. Die genaue Abgrenzung des Anwendungsbereichs jener Neuregelungen ist in mancherlei Hinsicht umstritten und höchstrichterlich noch ungeklärt. Einigen dieser Zweifelsfragen will dieser Beitrag näher nachgehen: Zunächst der Geltung von § 19 Abs. 4 GmbHG n.F. in der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) sowie bei GmbH-Gründungen im vereinfachten Verfahren unter Verwendung eines Musterprotokolls (unter I.); sodann der Fortgeltung der Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz in Altfällen (II.); und schließlich der Anwendbarkeit der gesetzlichen Neuordnung verdeckter Sacheinlagen auf Konstellationen, die vom Wortlaut der reformierten Bestimmungen (§ 19 Abs. 4 GmbHG und § 27 Abs. 3 AktG) nicht erfasst werden (III.).

I. Anrechnung verdeckter Sacheinlagen auch bei gesetzlichem Bareinlagegebot? Mit dem neuen § 19 Abs. 4 GmbHG (und seiner entsprechenden Anwendung bei Kapitalerhöhungen: § 56 Abs. 2 GmbHG) hat der Gesetzgeber das bislang geltende Recht der verdeckten Sacheinlagen auf der Rechtsfolgenseite 1 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 28. Oktober 2008, BGBl. I 2026. 2 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30. Juli 2009, BGBl. I 2479.

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korrigiert. Weil der Inferent nach altem Recht von seiner Pflicht zur Bareinlageleistung nicht frei geworden war, musste er seine Einlageleistung ggf. ein zweites Mal erbringen – selbst wenn er den Nachweis führen konnte, dass der Wert der verdeckten Sachleistung den Betrag der Stammeinlage erreichte oder gar überstieg. § 19 Abs. 4 GmbHG in der Fassung des MoMiG ordnet demgegenüber eine Wertanrechnung an: Zwar führt die Leistung einer verdeckten Sacheinlage (noch) nicht zur Befreiung des Gesellschafters von seiner Bareinlageverpflichtung; doch ist auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht – sobald die Eintragung der Gesellschaft (bzw. der Kapitalerhöhung) in das Handelsregister vollzogen worden ist – der (vom Gesellschafter nachzuweisende) Wert des eingebrachten Vermögensgegenstandes anzurechnen. Jene Rechtsfolgenkorrektur trägt Forderungen aus Wissenschaft und Praxis Rechnung. In den das alte Recht kennzeichnenden Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen sahen viele eine überschießende – weil mit Gläubigerbelangen nicht zu rechtfertigende – Reaktion auf den bloß formalen Fehler, die bei wirtschaftlicher Betrachtung vollzogene Sacheinlage nicht als solche deklariert, die besonderen Kautelen der Sachgründung bzw. Sachkapitalerhöhung nicht beachtet zu haben.3 Das Stammkapital der mit dem MoMiG neu geschaffenen Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – der Sache nach eine GmbH, die wegen eines Stammkapitals von weniger als € 25.000 aber nicht als GmbH soll firmieren dürfen – kann im Wege offener Sacheinlagen gar nicht aufgebracht werden. § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG stellt insoweit fest: „Sacheinlagen sind ausgeschlossen.“ Im Ergebnis gleiches gilt, wo eine GmbH mit einem Stammkapital von € 25.000 oder mehr im vereinfachten Verfahren nach § 2 Abs. 1a GmbHG n.F. gegründet werden soll. Denn dabei ist das in der Anlage zum GmbHG bereitgestellte Musterprotokoll zu verwenden, welches für die Gründung einer Einpersonengesellschaft und die Gründung einer Mehrpersonengesellschaft mit bis zu drei Gesellschaftern gleichermaßen vorschreibt, dass „die Einlagen in Geld zu erbringen sind“. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere für die Gründung einer UG (haftungsbeschränkt) – aber auch für GmbH-Gründungen unter Verwendung des Musterprotokolls – strittig, ob in Konstellationen verdeckter Sacheinlagen die „Anrechnungslösung“ nach § 19 Abs. 4 GmbHG überhaupt Anwendung finden kann.4 Wer das verneint, macht geltend, dass die privilegierenden Wirkungen jener neuen Rechtsfolgenregelung keine Berechtigung haben, wo die Beteiligten den Weg der offenen Sacheinlage gar nicht hätten wählen dürfen.5 Die Gegenposition6 verweist auf das mit dem MoMiG ver3

S. statt anderer Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 37 II 4b (S. 1124 f.). Für einen Überblick zum Meinungsstand s. etwa Witt ZIP 2009, 1102, 1103 f. 5 Stellvertretend Wachter in Römermann/Wachter (Hrsg.), GmbH-Beratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft 2008, S. 25, 33 und zuletzt Hueck/Fastrich in Baumbach/ 4

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folgte Ziel des Gesetzgebers, das Gründungsverfahren zu deregulieren und die bisherigen Rechtsfolgen einer verdeckten Sacheinlage zu beseitigen; sie ausgerechnet bei der UG (haftungsbeschränkt) fröhliche Urstände feiern zu lassen, könne nicht sein.7 Eine dritte Ansicht trägt schließlich vor, ohne die Möglichkeit von Sacheinlagen gebe es auch keine verdeckten Sacheinlagen; das darin nach altem Recht liegende Risiko sei für die Unternehmergesellschaft mit dem Sacheinlagenverbot nach § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG entfallen, die Problematik verdeckter Sacheinlagen sei schlicht „beseitigt“ worden.8 Gegenüber letzterem ist allein einzuräumen, dass die Risiken aus verdeckten Sacheinlagen in der UG (haftungsbeschränkt) faktisch geringer sind als in der regulären GmbH. Der betroffene Gesellschafter läuft ja allenfalls Gefahr, in Höhe seiner übernommenen Bareinlagepflicht noch einmal zur Leistung herangezogen zu werden. Da die Unternehmergesellschaft aber typischerweise mit einem Stammkapital von deutlich weniger als 25.000 € ausgestattet wird,9 schlägt das Risiko der Doppelzahlung mit einem entsprechend geringeren Betrag zu Buche. Die These von der vermeintlichen Beseitigung des Risikos verdeckter Sacheinlagen in der UG (haftungsbeschränkt) ist aber gewiss ohne Überzeugungskraft. Dass sich eine in der äußeren Form einer Geldeinlage gekleidete Gesellschafterleistung bei wirtschaftlicher Betrachtung auch dort als verdeckte Sacheinlage entpuppen kann, wo offene Sacheinlagen nicht zulässig sind, wird man nicht ernstlich bestreiten wollen. Denn insoweit geht es allein um die Charakterisierung („Bewertung“) rechtstatsächlicher Vorgänge.10 Eine – bei wirtschaftlicher Betrachtung – „NichtBarleistung“ aber gerade deshalb als risikolos ansehen zu wollen, weil das Gesetz eine zulässige Alternative zur Barleistung gar nicht anbietet, liegt fern. Der gegenteilige Schluss liegt sehr viel näher: Wo die Gründung oder Kapitalerhöhung im Wege offen ausgewiesener Sacheinlagen gar nicht zugelassen ist, verstößt die verdeckte Sacheinlage selbst bei Werthaltigkeit des überlassenen Vermögensgegenstandes eben nicht lediglich gegen formelle Verfahrenskautelen des Gesetzes. Auch kann man nicht mit Überzeugungskraft geltend machen, das Sacheinlageverbot in der UG (haftungsbeschränkt) diene allein der Vereinfachung und Beschleunigung des GründungsprozesHueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 5a Rz. 12 und § 19 Rz. 48; Märtens in Münchener Kommentar GmbHG, 2010, § 19 Rz. 172; Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, Nachtrag MoMiG, § 5a Rz. 19. 6 Aus jüngerer Zeit etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 19 Rz. 59; Rieder in Münchener Kommentar GmbHG, § 5a Rz. 23; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 5a Rz. 15. 7 In diesem Sinne Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5a Rz. 13. 8 So Joost ZIP 2007, 2242, 2244 (noch auf der Basis des RegE MoMiG). 9 Nähere Daten bei Bayer/Hoffmann GmbHR 2010, 9, 11. 10 Zutreffend Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5a Rz. 13; Witt ZIP 2009, 1102, 1104.

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ses, nicht aber dem Schutz von Gläubigerinteressen.11 Mit Blick auf das Bareinlagegebot bei GmbH-Gründungen im vereinfachten Verfahren treffen solche Überlegungen durchaus zu; die damit bezweckte „standardisierte“ Gesellschaftsgründung unter Verwendung eines Musterprotokolls soll von der (ggf. kosten- und zeitträchtigen) Werthaltigkeitsprüfung etwaiger Sacheinlagen frei gehalten werden. Das Sacheinlageverbot aus § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG lässt sich mit solchen Erwägungen indes nicht erklären; zumindest nicht, wenn man die Anordnung des Gesetzes („Sacheinlagen sind ausgeschlossen.“) mit der ganz herrschenden (zutreffenden) Lehre nicht allein auf die Gründung der Unternehmergesellschaft beschränkt sehen will, sondern ihren Geltungsanspruch auch im Falle einer späteren Kapitalerhöhung anerkennt, jedenfalls soweit mit dieser nicht der Betrag des Mindeststammkapitals einer regulären GmbH (§ 5 Abs. 1 GmbHG) erreicht wird. Letzteres ist zwar umstritten;12 der vereinzelt vertretenen Beschränkung des Sacheinlageverbots des § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG auf die Gründung der UG (haftungsbeschränkt)13 steht aber jedenfalls die eindeutige Anordnung in § 5a Abs. 5 GmbHG entgegen, wonach „die Absätze 1 bis 4“ der Vorschrift erst dann keine Anwendung mehr finden, wenn die Gesellschaft ihr Stammkapital so erhöht, dass es den Betrag von € 25.000 erreicht oder übersteigt. Vor diesem Hintergrund wird man nicht umhinkommen, dem Sacheinlageverbot des § 5a Abs. 2 Satz 2 GmbHG auch Gläubigerschutzfunktion zuzumessen. Die effektive Aufbringung des Stammkapitals von weniger als € 25.000 soll nicht durch die Gefahr mangelnder Werthaltigkeit eingebrachter Sacheinlagen gefährdet werden. Einen Konflikt mit den Interessen der Gesellschafter sah der Gesetzgeber insoweit nicht: Die Feststellung in der Begründung zum Regierungsentwurf MoMiG, Sacheinlagen seien in der UG (haftungsbeschränkt) nicht erforderlich,14 dürfte auf der Überlegung beruhen, dass es den Gesellschaftern gerade frei steht, das Stammkapital auf einen Betrag zu begrenzen, den sie durch Barleistungen aufbringen können. Und dennoch wäre es wertungswidersprüchlich, wollte man die Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG in der Unternehmergesellschaft versagen.15 Denn die in jener Vorschrift angeordnete Wertanrechnung des als „verdeckte Sacheinlage“ überlassenen Vermögensgegenstandes auf die Geldeinlagepflicht des Gesellschafters führt im Ergebnis – soweit die Anrechnung reicht – zum 11 In diesem Sinne aber etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 19 Rz. 59; Rieder in Münchener Kommentar GmbHG, § 5a Rz. 23; Witt ZIP 2009, 1102, 1104 und 1105. 12 Nachweise zum Meinungsstand zuletzt bei Berninger GmbHR 2010, 63, 65. 13 So Hennrichs NZG 2009, 1161, 1162 f. 14 RegE MoMiG, Begründung zu § 5a Abs. 2 GmbHG-E, BT-Drucks 16/6140, S. 32. 15 Im Ansatz ähnlich wie hier Goette Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008, Rz. 44 (S. 19 f); Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5a Rz. 13; auch Witt ZIP 2009, 1102, 1105, der freilich die Tilgungswirkung der Anrechnung leugnet.

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Erlöschen seiner Barleistungspflicht. Der Neuordnung der Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen liegt also die gesetzliche Wertung zugrunde, dass den Gläubigerinteressen hinreichend Rechnung getragen ist, wenn die Gesellschafter der Gesellschaft Vermögensgegenstände im (nachgewiesenen) Wert des Stammkapitalbetrages überlassen. Diese Wertung unterscheidet nicht danach, ob eine offene Sacheinlage erlaubt oder verboten ist. Eine solche Differenzierung wäre wenig folgerichtig, denn die verdeckte Sacheinlage verletzt auch dann die Vorgaben des Gesetzes, wo der nämliche Vermögensgegenstand im Wege einer offenen Sacheinlage hätte eingebracht werden können. Hier wie dort gibt der Geschäftsführer eine falsche Versicherung ab, wenn er den Tatbestand der verdeckten Sacheinlage bei der Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister verschweigt; ihn treffen daraus zivilrechtliche und (bei Vorsatz) strafrechtliche Sanktionen.16 Gleichwohl führt die Wertanrechnung nach Eintragung der Gesellschaft (oder der Kapitalerhöhung) in Höhe des angerechneten Wertes zur Befreiung des Gesellschafters von seiner Bareinlagepflicht. Wo ex lege ein Bareinlagegebot gilt, kann das nicht anders sein. Die in § 19 Abs. 4 GmbHG zum Ausdruck kommende Wertung des MoMiG-Gesetzgebers begrenzt auch die zulässige Sanktion für den Verstoß gegen das Sacheinlageverbot in der UG (haftungsbeschränkt) bzw. bei der GmbH-Gründung im vereinfachten Verfahren unter Verwendung eines Musterprotokolls. Auch hier kommen also die privilegierenden Wirkungen des § 19 Abs. 4 GmbHG zur Anwendung.

II. Reformiertes Kapitalerhaltungsrecht und Altfälle Während das Sacheinlageverbot bei der Unternehmergesellschaft sowie bei GmbH-Gründungen im vereinfachten Verfahren die Frage nach der sachlichen Anwendbarkeit von § 19 Abs. 4 GmbHG aufwirft, sind mit der Neufassung von § 30 Abs. 1 GmbHG und § 57 Abs. 1 AktG Zweifel hinsichtlich der zeitlichen Geltung verknüpft. 1. Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise Für die in § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n.F. bzw. § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG n.F. zum Ausdruck kommende „Rückkehr zum bilanziellen Denken“17, mit der der MoMiG-Gesetzgeber auf das viel diskutierte „November-Urteil“ des BGH18 reagierte, hat der BGH die Problematik selbst entschärft. Seine Erkenntnis im „November-Urteil“, wonach Kreditgewährungen an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zu Lasten 16 17 18

Dazu schon Kleindiek FS Karsten Schmidt, 2009, S. 893, 897 f. S. RegE MoMiG, Begründung zu § 30 Abs. 1 GmbHG-E, BT-Drucks 16/6140, S. 41. BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263.

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des gebundenen Vermögens der GmbH erfolgen, auch dann grundsätzlich als verbotene Auszahlungen von Gesellschaftsvermögen zu bewerten seien, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig sein sollte,19 hat der II. Zivilsenat in seiner – die aktienrechtliche Parallelvorschrift des § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG n.F. betreffenden – „MPS-Entscheidung“ vom 1. Dezember 2008 20 revidiert: gerade auch „für Altfälle“ aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des MoMiG und mit der (durchaus kritikwürdigen) Begründung, der Gesetzgeber begreife die Neufassung von § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG (wie des § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG) ausweislich der Bemerkung in der Begründung zum Regierungsentwurf des MoMiG nicht als konstitutive Neuregelung, sondern als lediglich klarstellende Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise, die bis zum „November-Urteil“ des Senats „problemlos anerkannt“ gewesen sei.21 Im Ergebnis wendet der BGH den neu formulierten § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG (ebenso wie § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG n.F.) also auch auf vor Inkrafttreten des MoMiG ausgereichte Darlehen der Gesellschaft an einen Gesellschafter an. Auf die nach altem Recht an sich durchaus erhebliche, in den Entscheidungsgründen des „November-Urteils“ leider nicht eindeutig reflektierte Frage, ob schon vor Darlehensausreichung eine Unterbilanz vorgelegen hat oder nicht,22 kommt es also selbst für Altfälle jetzt nicht mehr an. 2. Fortgeltung der Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz in Altfällen Nach wie vor Unsicherheit herrscht in der Praxis freilich hinsichtlich der zeitlichen Geltung von § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. (und seiner Parallelvorschrift in § 57 Abs. 1 Satz 4 AktG n.F.), also zum „Anwendungsverbot“ des Kapitalerhaltungsrechts auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens sowie auf wirtschaftlich entsprechende Leistungen. a) Tilgungsleistungen nach Inkrafttreten des MoMiG Bekanntlich durfte nach den sog. Rechtsprechungsregeln des (früheren) Eigenkapitalersatzrechts das eigenkapitalersetzende – d.h. in der Krise der Gesellschaft ausgereichte oder stehen gelassene – Darlehen eines GmbHGesellschafters analog § 30 Abs. 1 GmbHG nicht zurückgezahlt werden, soweit es erforderlich war, um eine Unterbilanz oder Überschuldung abzudecken; verbotswidrig geleistete Zahlungen waren vom Empfänger analog 19

So der Leitsatz des „November-Urteils“ (Fn. 18). BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70. 21 BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70, Tz. 12, in Anknüpfung an RegE MoMiG, Begründung zu § 30 Abs. 1 GmbHG-E, BT-Drucks 16/6140, S. 41. 22 Dazu grundlegend Stimpel FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 335, 346 ff. 20

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§ 31 Abs. 1 GmbHG an die Gesellschaft zurückzugewähren. Das MoMiG hat den bisherigen Rechtsprechungsregeln den Boden entzogen. Nach neuem Recht beschränkt sich die eigenkapitalähnliche Bindung eines Gesellschafterdarlehens und funktional vergleichbarer Gesellschafterhilfen – freilich unter Aufgabe des bisherigen Tatbestandsmerkmals der Krisenfinanzierung – auf den Nachrang und die Anfechtbarkeit in der Insolvenz.23 Außer Diskussion steht, dass nach dem Inkrafttreten des MoMiG (zum 1. November 2008) vollzogene Tilgungsleistungen auf ein Gesellschafterdarlehen (oder eine wirtschaftlich entsprechende Forderung) nicht mehr als analog § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlungen bewertet werden können. b) Verbotene Auszahlungen vor Inkrafttreten des MoMiG Noch nicht rechtssicher geklärt ist indes, in welchem Rahmen die Rechtsprechungsregeln zum (früheren) Eigenkapitalersatz auf Altfälle – also zur Bestimmung der Rechtsfolgen von Leistungen vor dem 1. November 2008 – weiterhin heranziehbar sind. Das ist von erheblicher praktischer Relevanz. Denn Kapitalerhaltungsvorschriften verletzende Tilgungsleistungen auf eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen wurden auch in der Vergangenheit vielfach erst im Insolvenzverfahren ans Tageslicht gebracht und dann – vorbehaltlich eingetretener Verjährung (analog § 31 Abs. 5 GmbHG in zehn Jahren) – durch den Insolvenzverwalter sanktioniert. Der Gesetzgeber des MoMiG hat mit Art. 103d EGInsO eine spezielle Überleitungsvorschrift zur Weitergeltung der bis zum Inkrafttreten des MoMiG gültigen Bestimmungen des Insolvenzrechts bereit gestellt. Danach sind die bislang geltenden gesetzlichen Vorschriften in vor diesem Zeitpunkt eröffneten Insolvenzverfahren weiter anzuwenden, im Rahmen später eröffneter Verfahren auf vor diesem Stichtag vollzogene Rechtshandlungen aber nur, wenn diese Altbestimmungen für den Anfechtungsgegner günstiger sind (Vertrauensschutzkomponente). In seiner Entscheidung „Gut Buschow“ vom Januar 2009 24 hatte der II. Zivilsenat des BGH u.a. jene Übergangsbestimmung herangezogen, um die fortbestehende Anwendbarkeit der Rechtsprechungsregeln des (früheren) Eigenkapitalersatzrechts jedenfalls dort zu rechtfertigen, wo das Insolvenzverfahren bereits vor dem Inkrafttreten des MoMiG (also vor dem 1. November 2008) eröffnet worden war.25 Dies ist im Ergebnis richtig,26 23 Für einen näheren Überblick s. etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh § 64 Rz. 102 ff. 24 BGH v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 = ZIP 2009, 615. 25 BGH v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 = ZIP 2009, 615, Tz. 17. 25 BGH v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 = ZIP 2009, 615, Tz. 17. 26 AA aber insbesondere Hirte WM 2008, 1429, 1435; Hirte/Knof/Mock NZG 2009, 48, 49; Holzer ZIP 2009, 206, 207, die meinen, mit dem Inkrafttreten des MoMiG seien auch

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kann mit dieser Begründung indes nicht überzeugen: Denn die vor dem Inkrafttreten des MoMiG geltenden „gesetzlichen Vorschriften“, deren weitere Anwendbarkeit Art. 103d EGInsO auf vor dem Inkrafttreten des MoMiG eröffnete Insolvenzverfahren anordnet, sind jene des Insolvenzrechts. Das schließt zwar solche (materiell insolvenzrechtlichen) Vorschriften ein, die nicht in der InsO, sondern wie die sonstigen Novellenregeln des alten Eigenkapitalersatzrechts andernorts (etwa in §§ 32a, 32b GmbHG a.F.) kodifiziert waren. Die auf der Analogie zu §§ 30, 31 GmbHG a.F. fußenden (gesellschaftsrechtlichen) Rechtsprechungsregeln gehören hierzu aber nicht. Ihre Fortgeltung für Altfälle ergibt sich jedoch aus den – vom BGH immerhin hilfsweise herangezogenen27 – allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts zu Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen eines Schuldverhältnisses im Falle von Normänderungen ohne Übergangsbestimmungen (vgl Art. 170, Art. 229 § 5, Art. 232 § 1 EGBGB). Aus ihnen folgt das Fortbestehen bereits vor Inkrafttreten des MoMiG entstandener Erstattungsansprüche nach Maßgabe der Rechtsprechungsregeln,28 und zwar für alle Konstellationen, in denen der Verstoß gegen § 30 GmbHG a.F. analog – und damit der Haftungstatbestand nach § 31 GmbHG analog – vor dem 1. November 2008 verwirklicht worden war. Ob das Insolvenzverfahren bei Inkrafttreten des MoMiG schon eröffnet war oder aber erst danach eröffnet wurde, ist für die allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts ganz und gar unerheblich. In nach dem Inkrafttreten des MoMiG eröffneten Insolvenzverfahren die früheren Rechtsprechungsregeln nicht mehr zur Anwendung kommen zu lassen,29 könnte auch nicht überzeugen: Der Gesellschaft schon entstandene Erstattungsansprüche aus der Verletzung gläubigerschützender Vorschriften ausgerechnet dann zu nehmen, wenn (nach dem 31.Oktober 2008) ein Gesellschaftsinsolvenzverfahren eröffnet wird, wäre nicht sachgerecht und dürfte im Übrigen nur dann angenommen werden, wenn der Gesetzgeber in einer speziellen Übergangsbestimmung Entsprechendes angeordnet hätte. Art. 103d EGInsO trifft eine solche Spezialbestimmung gegenüber den allgemeinen Grundsätzen intertemporalen Rechts aber gerade nicht, weil sich jene Regelung nur auf die gesetzlichen Vorschriften des Insolvenzrechts bezieht.30 Auch aus der (Art. 103d EGInsO funktional entsprechenden) Übergangsbestimmung des § 20 Abs. 3 AnfG ergibt sich nichts anderes;31 jene Bestimmung verhält sich allein zum anwendbaren Anfechtungsrecht in alle schon bestehenden Ansprüche der Gesellschaft auf Basis der alten Rechtsprechungsregeln entfallen. 27 BGH v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 = ZIP 2009, 615, Tz. 19 ff. 28 Zutreffend schon Wedemann GmbHR 2008, 1131, 1134 f. 29 So Haas DStR 2009, 976, 978 f. 30 S. schon Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh § 64 Rz. 148 m.w.N. 31 AA Büscher GmbHR 2009, 800, 802.

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der Einzelzwangsvollstreckung und trifft keine – auch keine implizite – Aussage zum Schicksal von Erstattungsansprüchen analog § 31 Abs. 1 GmbHG, die vor dem 1. November 2008 schon entstanden sind. c) Keine Durchsetzungssperre für einmal entstandene Erstattungsansprüche Von Teilen des Schrifttums32 wird freilich – im Anschluss an ein obiter dictum des OLG Köln33 – geltend gemacht: Ein in Altfällen aus §§ 30, 31 GmbHG a.F. analog entstandener Erstattungsanspruch der Gesellschaft wegen verbotener Rückzahlung einer eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistung sei nach Inkrafttreten des MoMiG außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht mehr durchsetzbar. Weil der Gesellschafter nach neuem Recht – sofern nicht die Voraussetzungen eines Zahlungsverbots aus § 64 GmbHG vorlägen – die Bedienung eines fälligen Rückzahlungsanspruchs verlangen könne, stehe der Durchsetzung des entstandenen Erstattungsanspruchs ab Inkrafttreten des MoMiG (zum 1. November 2008) der dolo-petit-Einwand (§ 242 BGB) entgegen. Andere verneinen die Durchsetzbarkeit eines nach altem Recht entstandenen Erstattungsanspruchs auch innerhalb eines (nach Inkrafttreten des MoMiG eröffneten) Insolvenzverfahrens, wenn der Antrag auf Verfahrenseröffnung nicht schon vor dem 1. November 2009 gestellt worden sei: 34 Weil dem Gesellschafter mit Inkrafttreten des MoMiG ein einredefreier Anspruch auf Darlehensrückzahlung zustehe, sei er seitdem zur Aufrechnung gegen einen vor dem 1. November 2008 entstandenen Erstattungsanspruch befugt, was er auch in einem (nach dem 31. Oktober 2008 eröffneten) Insolvenzverfahren einredeweise geltend machen könne. Da allerdings Tilgungsleistungen an den Gesellschafter nach § 135 InsO n.F. anfechtbar seien, wenn sie binnen Jahresfrist vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden, sei auch der dolo-petit-Einwand des Gesellschafters wertungskonsistent zu beschränken: Wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens binnen eines Jahres ab Entstehung des dolopetit-Einwands – also vor dem 1. November 2009 – gestellt werde, müsse der Gesellschafter den bis zum Inkrafttreten des MoMiG entstandenen Erstattungsanspruch bedienen. Werde der Eröffnungsantrag hingegen erst nach dem 31. Oktober 2009 gestellt, könnten Altansprüche gegen den Gesellschafter auch im eröffneten Insolvenzverfahren nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden.

32 Büscher GmbHR 2009, 800, 802; Orlikowski-Wolf GmbHR 2009, 902, 907; dagegen aber Felke GmbHR 2009, 260; Lorenz GmbHR 2009, 135, 137 a.E. 33 OLG Köln, Urt. v. 11.12.2008 – 18 U 138/07, ZIP 2009, 315, 316 (linke Spalte). 34 Rellermeyer/Gröblinghoff ZIP 2009, 1933, 1936 f.

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An solchen Überlegungen ist zwar richtig, dass einem fälligen Darlehensrückzahlungsanspruch eines Gesellschafters unter der Herrschaft des neuen Rechts nur noch unter den Voraussetzungen des § 64 GmbHG begegnet werden kann; liegen die Voraussetzungen jener Norm nicht vor, ist dieser Anspruch durchsetzbar. Aber das beschränkt nicht die Durchsetzbarkeit eines nach altem Recht entstandenen Erstattungsanspruchs der Gesellschaft wegen verbotswidriger (weil die Kapitalbindungen aus § 30 Abs. 1 GmbHG a.F. verletzender) Leistungen an den Gesellschafter. Denn der Erstattungsanspruch aus § 31 Abs. 1 GmbHG (analog) unterliegt besonderen, aus der Funktion des Stammkapitals und seiner Sicherung resultierenden Bindungen.35 So lässt die anderweitige Wiederherstellung des Stammkapitals einen einmal entstandenen Erstattungsanspruch weder entfallen noch verleiht sie dem durch die Auszahlung begünstigten Gesellschafter das Recht, die Erstattung unter Erhebung des dolo-petit-Einwands zu verweigern.36 Ebenso wenig kann der erstattungspflichtige Gesellschafter mit einer eigenen Forderung gegen den Anspruch der Gesellschaft aufrechnen; das Aufrechnungsverbot aus § 19 Abs. 2 GmbHG gilt vielmehr entsprechend.37 Wo der Gesellschafter einen vollwertigen und nicht erfüllten Anspruch gegen die Gesellschaft hat, kommt allein eine Aufrechnung der Gesellschaft mit ihrem Erstattungsanspruch in Betracht; die Aufrechnung des Gesellschafters gegen diesen Erstattungsanspruch ist indes unzulässig.38 Genauso wenig wie zur Aufrechnung kann der Gesellschafter einen eigenen Anspruch gegen die Gesellschaft zur Leistungsverweigerung im Wege des dolo-petit-Einwands heranziehen. Für noch unter der Herrschaft des alten Rechts entstandene Erstattungsansprüche aus § 31 Abs. 1 GmbHG (analog) hat sich daran auch mit Inkrafttreten des MoMiG nichts geändert. Der zuvor entstandene Erstattungsanspruch wegen verbotswidriger Leistungen auf Eigenkapitalersatz behält seinen Kapitalschutz-Charakter und die daraus resultierenden Bindungen ohne jede Einschränkung auch unter der Geltung des MoMiG. Das ist wiederum eine Folge der hier einschlägigen allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Rechts. Seit dem 1. November 2008 kann der Gesellschafter einen fälligen Darlehensrückzahlungsanspruch zwar – außerhalb der Gesellschaftsinsolvenz und vorbehaltlich § 64 GmbHG – einredefrei verfolgen bzw. – im Insolvenzverfahren – zur nachrangigen Berichtigung geltend machen. Zur Abwehr einer einmal entstandenen Erstattungs35 Im Ansatz gleichsinnig schon Lorenz GmbHR 2009, 135, 137 a.E.; aA Rühle ZIP 2009, 1358, 1366. 36 BGH, Urt. v. 29.5.2000 – II ZR 118/98 , BGHZ 144, 336, 341 f. = ZIP 2000, 1251; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 31 Rz. 12 f. m.w.N. 37 BGH, Urt. v. 27.11.2000 – II ZR 83/00, BGHZ 146, 105, 107 f. = ZIP 2001, 157. 38 BGH, Urt. v. 29.5.2000 – II ZR 118/98 , BGHZ 144, 336, 342 = ZIP 2000, 1251; BGH, Urt. v. 27.11.2000 – II ZR 83/00, BGHZ 146, 105, 107 f. = ZIP 2001, 157; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 31 Rz. 13 und 27 f., je m.w.N.

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pflicht analog § 31 Abs. 1 GmbHG kann er jenen Anspruch aber nicht heranziehen. 3. Intertemporales Strafrecht In diesem Zusammenhang ein kurzer Seitenblick auf das intertemporale Strafrecht. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH in Strafsachen begründet ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Auszahlungsverbot des § 30 Abs. 1 GmbHG Strafbarkeit des (Gesellschafter-)Geschäftsführers wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) zu Lasten der GmbH; das galt bisher auch bei Rückzahlung eines eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens, welches zur Stammkapitaldeckung benötigt wurde.39 Im Strafrecht ist die mit § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. (bzw. § 57 Abs. 1 Satz 4 AktG n.F.) angeordnete Nichtanwendbarkeit des Kapitalerhaltungsrechts auf die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen – anders als im Zivilrecht – auch für Altfälle relevant. Denn nach dem Meistbegünstigungsgebot des § 2 Abs. 3 StGB ist das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der gerichtlichen Entscheidung über die Strafe geändert wird. Mit dem Gesichtspunkt unzulässiger Rückgewähr von Eigenkapitalersatz lässt sich die Strafbarkeit wegen Untreue deshalb auch in Altfällen nicht länger begründen. Für die strafrechtliche Sanktionierung solcher Altfälle kommt es vielmehr darauf an, ob die Verwirklichung des Treuebruchtatbestandes unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt mit der Folge Bestand haben kann, dass sich an der Strafbarkeit der Rückzahlung des Gesellschafterdarlehens nichts ändert. Das OLG Stuttgart hat dies in einer Entscheidung vom April 2009 unter Rekurs auf § 64 Satz 1 und 3 GmbHG in seiner heutigen Fassung bejaht und insofern für Alttaten Unrechtskontinuität40 zwischen der alten und neuen Rechtslage angenommen.41 Das erscheint auch aus der Perspektive des Gesellschaftsrechts als folgerichtig. Der Unrechtsgehalt eines Verstoßes gegen die Zahlungsverbote aus § 64 GmbHG fällt keineswegs hinter jenem eines Verstoßes gegen das Auszahlungsverbot aus § 30 Abs. 1 GmbHG zurück. Während § 30 Abs. 1 GmbHG – im Gläubigerinteresse – das zur Deckung der Stammkapitalziffer erforderliche Gesellschaftsvermögen vor einer Verlagerung auf die Gesellschafter zu schützen sucht, verbot § 64 GmbHG schon immer – wiederum im Gläubigerinteresse – masseschmälernde (und mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns unvereinbare) Leistungen nach Eintritt der 39

Zuletzt BGH, Urt. v. 6.5.2008 – 5 StR 34/08, NStZ 2009, 153, 154 f. m.w.N. Zu den Voraussetzungen der Unrechtskontinuität weiterführend Dannecker in Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2007, § 2 Rz. 63; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 2 Rz. 26. 41 OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.4.2009 – 1 Ws 32/09, ZIP 2009, 1864. 40

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materiellen Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), einerlei wem sie zu Gute kommen. Das MoMiG hat dem mit § 64 Satz 3 GmbHG n.F. Zahlungen an die Gesellschafter (nicht also an Dritte) gleichgestellt, die zur Zahlungsunfähigkeit führen mussten.42 Im Konzept des MoMiG-Gesetzgebers soll das Zahlungsverbot aus § 64 Satz 3 GmbHG n.F. ggf. auch der Rückzahlung fälliger Gesellschafterdarlehen entgegenstehen. Die Begründung zum Regierungsentwurf verweist – u.a. – auf die kompensatorische Wirkung jener Haftungserweiterung, um die im neuen Satz 3 des § 30 Abs. 1 GmbHG verfügte „Abschaffung“ der Rechtsprechungsregeln zum früheren Eigenkapitalersatzrecht zu rechtfertigen.43 Inwieweit und mit welchen Konsequenzen Zahlungen auf Gesellschafterdarlehen überhaupt dem Anwendungsfeld des § 64 Satz 3 GmbHG unterfallen, wird gegenwärtig freilich kontrovers diskutiert.44 Jedenfalls wenn die entsprechenden Verbindlichkeiten in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen sind und die verfügbare Liquidität zur Begleichung auch der sonstigen fälligen (bzw. in den nächsten drei Wochen fällig werdenden) Verbindlichkeiten nicht ausreicht, liegt – sofern nicht lediglich eine geringfügige Liquiditätslücke besteht – schon deshalb Zahlungsunfähigkeit vor;45 das eröffnet den Anwendungsbereich von § 64 Satz 1 GmbHG. Deshalb dem neuen § 64 Satz 3 GmbHG jeden Anwendungsbereich in Konstellationen fälliger Gesellschafteransprüche gegen die Gesellschaft absprechen zu wollen,46 überzeugt indes nicht. Die Rede von der „Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit“ im Text der neuen Vorschrift zielt offenbar auf später fällig werdende Drittverbindlichkeiten. Die zu ihrer Bedienung benötigte Liquidität soll nicht heute an die Gesellschafter abfließen, auch nicht zur Erfüllung einer jetzt fälligen Gesellschafterforderung.

III. Zur Reichweite der Neuordnung verdeckter Sacheinlagen im GmbH- und Aktienrecht Zum Abschluss einige wenige Bemerkungen zur Reichweite der Neuordnung der Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen, zunächst erörtert für das Aktienrecht. Mit dem ARUG47 sind die schon zuvor (im Zuge des MoMiG)

42 Zum erforderlichen (engen) Kausalzusammenhang näher Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 64 Rz. 27 ff.; zum Zahlungsbegriff des § 64 s. ebenda Rz. 7 ff. und 24 ff. 43 BegrRegE MoMiG zu § 30 Abs. 1 GmbHG-E, BT-Drucks 16/6140, S. 42. 44 Zuletzt Altmeppen FS Hüffer, 2010, S. 1. 45 Näher dazu Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh § 64 Rz. 7 ff. 46 So Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 61 ff. 47 S. oben Fn. 2.

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im GmbH-Recht vollzogenen Rechtsfolgenkorrekturen bei verdeckten Sacheinlagen (§ 19 Abs. 4 GmbHG n.F.) sowie Hin- und Herzahlungen (§ 19 Abs. 5 GmbHG n.F.) in das Aktienrecht übertragen worden. Zur Begründung heißt es in Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf ARUG: Die Neuregelung im GmbH-Recht sei von Praxis und Wissenschaft überwiegend gut aufgenommen worden und solle in das Recht der Aktiengesellschaft übertragen werden.48 Die reformierten Bestimmungen in § 27 Absätze 3 und 4 AktG entsprechen denn auch ihren Vorbildern in § 19 Absätze 4 und 5 GmbHG n.F. Dabei nimmt der Gesetzgeber bewusst in Kauf, dass § 27 Abs. 4 AktG n.F. – jedenfalls so lange § 71a AktG in seiner jetzigen Form unverändert bleibt – möglicherweise keinen praktischen Anwendungsbereich hat.49 Schon das ist ungewöhnlich genug. Bemerkenswert fällt aber auch der Vergleich von § 27 Abs. 3 und 4 AktG n.F. mit den bis zum ARUG gültigen Regelungen des Gesetzes aus. 1. Die Korrekturen in § 27 Abs. 3 und 4 AktG Die Bestimmungen in § 27 Abs. 1 AktG (zu den notwendigen Satzungsfestsetzungen bei Sacheinlagen und Sachübernahmen) sowie in § 27 Abs. 2 AktG (zu den sacheinlage- und sachübernahmefähigen Vermögensgegenständen) sind auch nach dem Inkrafttreten des ARUG unverändert geblieben. Anderes gilt aber für die bisherigen Absätze 3 und 4 des § 27 AktG a.F., wo es früher hieß: „(3) Ohne eine Festsetzung nach Absatz 1 sind Verträge über Sacheinlagen und Sachübernahmen und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung der Gesellschaft gegenüber unwirksam. Ist die Gesellschaft eingetragen, so wird die Gültigkeit der Satzung durch diese Unwirksamkeit nicht berührt. Ist die Vereinbarung der Sacheinlage unwirksam, so ist der Aktionär verpflichtet, den Ausgabebetrag der Aktie einzuzahlen. (4) Nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister kann die Unwirksamkeit nicht durch Satzungsänderung geheilt werden.“ Dem § 27 Abs. 3 AktG a.F. funktional entsprechende Regelungen fanden sich – für die verschiedenen Formen der Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen – in § 183 Abs. 2 AktG a.F., § 194 Abs. 2 AktG a.F. und § 205 Abs. 4 AktG a.F. Das ARUG hat (mit Wirkung ab 1. September 2009) § 27 Abs. 3 und 4 AktG a.F. durch die neuen Bestimmungen zu den Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG n.F.) bzw. zu Hin- und Herzahlungen außer-

48

BT-Drucks 16/13098, S. 36, anknüpfend an § 19 Abs. 4 GmbHG n.F. S. dazu BT-Drucks 16/13098, S. 38 und näher Habersack AG 2009, 557, 560 ff.; zuletzt A. Arnold in Kölner Kommentar AktG, 3. Aufl. 2010, § 27 Rz. 133 ff. 49

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halb verdeckter Sacheinlagen (§ 27 Abs. 4 AktG n.F.) ersetzt. Im Recht der Kapitalerhöhung wird nunmehr auf § 27 Abs. 3 und 4 AktG n.F. verwiesen (§§ 183 Abs. 2, 194 Abs. 2 und 205 Abs. 3 AktG n.F.). In Anlehnung an die Übergangsvorschrift nach § 3 Abs. 4 EGGmbHG bestimmt § 20 Abs. 7 Satz 1 EGAktG, dass § 27 Abs. 3 und 4 des AktG in der ab dem 1. September 2009 geltenden Fassung auch auf Einlageleistungen anzuwenden sind, die vor diesem Zeitpunkt bewirkt wurden, soweit sie nach der vor dem Inkrafttreten des ARUG geltenden Rechtslage wegen der Vereinbarung einer Einlagenrückgewähr oder wegen einer verdeckten Sacheinlage keine Erfüllung der Einlagenverpflichtung bewirkt hatten. 2. Regelungsdefizite des neuen Rechts Während sich § 27 Abs. 3 AktG in seiner aktuellen Fassung allein noch zu den Rechtsfolgen einer verdeckten Sacheinlage verhält, war der Regelungsgehalt des alten Absatzes 3 der Vorschrift – und seiner „Schwesterbestimmungen“ zum Recht der Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen – deutlich breiter ausgelegt: § 27 Abs. 3 Satz 1 a.F. ordnete (beschränkt auf das Verhältnis zur Gesellschaft) die Unwirksamkeit von Verträgen über Sacheinlagen und über Sachübernahmen sowie der entsprechenden Erfüllungsgeschäfte an, wenn es an der von § 27 Abs. 1 AktG geforderten Satzungspublizität mangelte. Sacheinlagen sind nach § 27 Abs. 1 AktG Einlagen, die nicht durch Zahlung des Ausgabebetrages der Aktien zu leisten sind; Sachübernahmen meinen die Verpflichtung der Gesellschaft, von einem Gründer (oder einem Dritten) einen bestimmten Vermögensgegenstand gegen eine Vergütung zu übernehmen, die nicht in Aktien besteht.50 Soll die Vergütung für den übernommenen Gegenstand auf die Einlage eines Aktionärs angerechnet werden, gilt das nach § 27 Abs. 1 Satz 2 AktG als (fingierte) Sacheinlage. In der Folge der Unwirksamkeit einer Sacheinlagevereinbarung verpflichtete Satz 3 a.F. den Aktionär zur Einzahlung des Ausgabebetrages der Aktie, also zur Barleistung. Die schon zitierten Bestimmungen des AktG a.F. zu Kapitalerhöhungen trafen entsprechende Anordnungen, wenn es im Kapitalerhöhungsbeschluss bzw. im Vorstandsbeschluss und Zeichnungsschein an den vorgeschriebenen Festsetzungen über den Gegenstand der Sacheinlage, die Person des Sacheinlegers sowie Nennbetrag bzw. (bei Stückaktien) Zahl der zu gewährenden Aktien fehlte. Verpflichtete mithin das alte Recht den Aktionär in allen Fällen nicht ordnungsgemäßer Vornahme der für Sacheinlagen festgeschriebenen Festsetzungen jeweils dazu, den Ausgabebetrag der Aktien in Form der Bareinlage zu

50 S. statt anderer Bayer in Karsten Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 27 Rz. 25; Hüffer AktG, 9. Aufl. 2010, § 27 Rz. 5.

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entrichten, knüpft § 27 Abs. 3 und 4 AktG n.F. nur noch an Vorgänge verdeckter Sacheinlagen bzw. an die Einlagenrückgewähr durch Hin- und Herzahlen außerhalb verdeckter Sacheinlagen an. Damit werden die Erscheinungsformen fehlerhafter Sachgründungen bzw. Sachkapitalerhöhungen aber nicht vollständig erfasst. Namentlich die Konstellationen einer gemischten Sacheinlage lassen sich keineswegs durchgängig unter § 27 Abs. 3 oder 4 AktG n.F. subsumieren. Unter gemischter Sacheinlage 51 versteht man die Übertragung von Vermögensgegenständen an die Gesellschaft, für die der Inferent neben Aktien ein sonstiges Entgelt von der Gesellschaft erhält. Die Rechtsprechung unterwirft einen solchen Vorgang – jedenfalls wenn er eine objektiv oder kraft Parteivereinbarung unteilbare Leistung betrifft – im gesamten Umfang den Regeln über Sacheinlagen, so dass nicht nur die Einbringung der Vermögensgegenstände als Sacheinlage gegen Gewährung von Aktien, sondern auch das vereinbarte sonstige Entgelt in der Satzung bzw. im Kapitalerhöhungsbeschluss etc. offen zu legen sind; andernfalls ist der Inferent zur Bareinzahlung verpflichtet.52 Wird ein solcher Vorgang in das äußere Gewand einer Bargründung bzw. Barkapitalerhöhung gekleidet,53 die (bei wirtschaftlicher Betrachtung) geleistete Sacheinlage also erst gar nicht als solche deklariert, liegt eine verdeckte gemischte Sacheinlage vor.54 In derartigen Konstellationen kann man für das neue Recht an den Wortlaut des § 27 Abs. 3 AktG n.F. (und der Übergangsbestimmung in § 20 Abs. 7 EGAktG) anknüpfen.55 Wo indes eine Sachgründung bzw. Sachkapitalerhöhung deklariert wird, in den begleitenden Festsetzungen das vereinbarte sonstige Entgelt aber nicht ordnungsgemäß offen gelegt wird, ist eine verdeckte Sacheinlage im Sinne der Umschreibung in § 27 Abs. 3 AktG n.F. (der ja auf eine ausgewiesene Geldeinlage abstellt) nicht gegeben. Auch der Tatbestand des § 27 Abs. 4 AktG n.F. (Hin- und Herzahlen) ist nicht einschlägig. Ob in derartigen Konstellationen gleichwohl die 51 S. dazu etwa Habersack FS Konzen, 2006, S. 179; Hüffer AktG, § 27 Rz. 8; Pentz in Münchener Kommentar AktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rz. 67 f. 52 BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2006, 178, Tz. 17; BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi I), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, Tz. 15; BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06 (Rheinmöve), BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788, Tz. 14. 53 Vgl. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2006, 178, Tz. 11. 54 BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2006, 178, Tz. 18 f.; BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06 (Lurgi I), BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751, Tz. 16; BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06 (Rheinmöve), BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788, Tz. 10 ff. 55 Zu (umstrittenen) Einzelheiten der Anrechnung bei verdeckten gemischten Sacheinlagen s. A. Arnold in Kölner Kommentar AktG, § 27 Rz. 115 und 119; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, § 19 Rz. 77; Maier-Reimer/Wenzel ZIP 2008, 1449, 1452; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 19 Rz. 82; Veil in Scholz, GmbHG, Nachtrag MoMiG, § 19 Rz. 45 ff.

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Anrechnungswirkung nach § 27 Abs. 3 AktG – über § 20 Abs. 7 EGAktG auch für Altfälle – zur (analogen) Anwendung kommt, ist also allemal fraglich. 3. Wertungskonsistente Lösung Man wird die Frage im Ergebnis bejahen müssen. Auch im Aktienrecht liegt der Neuordnung der Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen die gesetzliche Wertung zugrunde, dass den Gläubigerinteressen – trotz Verletzung der Publizitätserfordernisse – hinreichend Rechnung getragen ist, wenn die Aktionäre der Gesellschaft Vermögensgegenstände im (nachgewiesenen) Wert des Ausgabebetrages der Aktien überlassen. Im Falle verdeckter Sacheinlagen, also bei fälschlichem Ausweis einer Bargründung bzw. Barkapitalerhöhung, führt das im Umfang der Werthaltigkeit der Sachleistung zur Anrechnung auf die Geldeinlagepflicht und damit im Ergebnis zu deren Erlöschen. Es wäre wertungswidersprüchlich, dem Aktionär gleichwohl – wie nach altem Recht – unter Versagung der Wertanrechnung die volle Barleistungspflicht aufzuerlegen, wo (durchaus zutreffend) die Sachgründung bzw. Sachkapitalerhöhung ausgewiesen wird, die dabei vorgeschriebenen Festsetzungen aber nicht ordnungsgemäß vorgenommen werden.56 Mit den Legitimationserwägungen der gesetzlichen Rechtsfolgenkorrektur für verdeckte Sacheinlagen, mit denen der Gesetzgeber den Gläubigerschutz im Kapitalaufbringungsrecht neu justieren wollte, wäre es jedenfalls nicht zu vereinbaren, in Fällen verdeckter – weil als Bargründung bzw. -kapitalerhöhung deklarierter – gemischter Sacheinlageleistungen die Anrechnung zu gewähren, sie bei den sonstigen (im Vergleich eher weniger gravierenden) Mängeln im Ausweis einer gemischten Sacheinlage aber zu verweigern. Die Notwendigkeit wertungskonsistenter Lösungen stellt sich im Übrigen nicht nur im Aktienrecht, sondern auch im GmbH-Recht. Auch dort sind im Zuge der Neuformulierungen von § 19 Abs. 4 und 5 GmbHG Klarstellungen des alten Rechts verloren gegangen. So war aus § 19 Abs. 5 GmbHG a.F. abzuleiten, dass Leistungen auf die Stammeinlage an Erfüllungs Statt (ohne die nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG erforderlichen Festsetzungen) keine befreiende Wirkung haben. Vom Wortlaut des § 19 Abs. 4 GmbHG werden Leistungen an Erfüllungs Statt aber nicht erfasst, wenn es an den Tatbestandsvoraussetzungen der verdeckten Sacheinlage fehlt. In solchen Fällen die Wertanrechnung versagen zu wollen, wäre wiederum wertungswidersprüchlich; die analoge Anwendung des § 19 Abs. 4 GmbHG ist die überzeugendere Lösung. Das entspricht der inzwischen herrschenden Lehre im

56 Gleichsinnig A. Arnold in Kölner Kommentar AktG, § 27 Rz. 41; Habersack GWR 2010, 107, 109.

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GmbH-rechtlichen Schrifttum,57 wo im Übrigen – soweit die Regelungsdefizite des § 19 Abs. 4 GmbHG n.F. näher reflektiert werden – zutreffend geltend gemacht wird, dass auch bei sonstigen Verstößen gegen die nach § 5 Abs. 4 GmbHG gebotenen Festsetzungen die Anrechnungslösung des § 19 Abs. 4 GmbHG zur analogen Anwendung kommen müsse.58 Zu Recht werden dabei fehlerhafte Festsetzungen im Zusammenhang mit gemischten Sacheinlagen einbezogen.59

57

S. frühzeitig Veil ZIP 2007, 1241, 1246 und etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5 Rz. 32 und § 19 Rz. 60; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, GmbHG, § 19 Rz. 53; Roth in Roth/Altmeppen, § 5 Rz. 55b und § 19 Rz. 45; Wicke GmbHG, 2008, § 5 Rz. 15 und § 19 Rz. 24. 58 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5 Rz. 32; Wicke GmbHG, § 5 Rz. 15 a.E. 59 So Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 5 Rz. 41.

Konzerne und Abhängigkeitslagen jenseits des Gesellschaftsrechts Hans-Georg Koppensteiner I. Zum Gegenstand des Beitrags § 18 AktG definiert den Konzern als die Zusammenfassung mehrerer Unternehmensträger unter einheitlicher Leitung. Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. Diese Begriffsbestimmung ist nicht nur aktienrechtlich bedeutsam; auf sie wird nämlich in sehr zahlreichen Normen anderer Gesetze verwiesen.1 Ähnlich liegen die Dinge für das auf Grund europarechtlicher Vorgaben in § 290 Abs. 2 HGB verankerte so genannte „Control“-Konzept. Während Abs. 1 der Bestimmung seit dem BilMoG die Konsolidierungspflicht nicht mehr an einheitliche Leitung, sondern an die Möglichkeit der Ausübung beherrschenden Einflusses, also Abhängigkeit, anknüpft und auch auf das frühere Beteiligungserfordernis verzichtet, umschreibt Abs. 3 drei anwendungsklare Sachverhalte, die dazu führen, dass das Mutterunternehmen einen Konzernabschluss aufzustellen hat.2 Auch auf diese Bestimmung rekurrieren viele Vorschriften ganz anderer Provenienz entweder in Form einer Direktverweisung oder durch Wiederholung ihrer Tatbestandsmerkmale. Darüber hinaus gibt es nicht wenige Rechtslagen, wo der Konzernzusammenhang berücksichtigt wird, obwohl eine gesetzliche Anordnung fehlt. Mit den folgenden Überlegungen wird versucht, anhand signifikanter Beispiele 3 eine Teilantwort auf die Frage zu finden, ob es einen rechtsgebiets1 Eine Computerrecherche hat für Österreich mehr als 700 Verweisungen auf § 15 (= § 15 dAktG 1937) ergeben. 2 Das BilMoG hat eine weitere Ziffer 4 hinzugefügt, die sog. Zweckgesellschaften regelt (dazu Ernst/Seidler BB 2009, 766, 768; Lüdenbach/Freiberg BB 2009, 1230, 1231 ff.). Sie interessieren hier nicht weiter. 3 Mehr ist nicht möglich, zum Teil schon wegen der ohne Weiteres erkennbaren Fülle des Stoffes (zur Bedeutung des Unternehmensverbundes im Hinblick auf – auch öffentlichrechtliche – Organisationspflichten s. die grundlegende Untersuchung von Spindler Unternehmensorganisationspflichten (2001); neuerdings auch Schneider/Schneider ZIP 2007, 2061 ff. mit vielen Hinweisen), andererseits deshalb, weil es mit einiger Sicherheit unerkannte Problemlagen gibt. Im Grunde müsste nämlich bei jeder Norm, die sich an einen Unternehmensträger wendet, danach gefragt werden, ob sich ihr Inhalt ändert, wenn der

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übergreifenden Konzern-/Abhängigkeitsbegriff gibt. Ein Blick auf Praxis und Schrifttum zeigt, dass eine generelle Bejahung dieser Frage nicht in Betracht zu kommen scheint und zwar auch dann nicht, wenn ausdrücklich auf die §§ 18, 17 AktG (oder § 290 HGB) verwiesen wird. In einschlägigen Fällen ist daher nach den Gründen eines abweichenden Begriffsverständnisses und, soweit sie ausreichen, in weiterer Folge danach zu fragen, ob es wenigstens einen gemeinsamen Begriffskern, also ein allgemein brauchbares Konzept dessen gibt, was mindestens verlangt werden muss, um verbundspezifische Rechtsfolgen auszulösen. Der Wortlaut von § 290 Abs. 2 HGB indiziert, dass in den dort genannten Fällen meistens auch Abhängigkeit im Sinne von § 17 AktG (samt der daran anknüpfenden Konzernvermutung) gegeben sein wird. Ausnahmslos gilt dies aber nicht, wenn man diesen Wortlaut für strikt verbindlich hält. Dies anzunehmen hätte die sehr störende Konsequenz, dass ein einheitliches Konzept des rechtlich maßgeblichen polykorporativen Unternehmens 4 schon im Ansatz ausgeschlossen wäre. Deswegen empfiehlt es sich, vorweg zu prüfen, wie man sich das Verhältnis der § 17 AktG und § 290 Abs. 2 HGB vorzustellen hat. Die vorher angedeutete Möglichkeit, eine Vorschrift, die auf die §§ 18, 17 AktG oder 290 HGB verweist, dennoch nicht strikt nach den Maßstäben dieser Bestimmungen auszulegen, ist nicht allgemein anerkannt 5, trifft aber dennoch das Richtige. Der Inhalt der angeführten Bestimmungen ist von spezifischen aktien-/rechnungslegungsrechtlichen Determinanten geprägt. Es ist nicht anzunehmen, dass eine Rechtsquelle, die sich dieser Definitionen als Kürzel bedient, ihren teleologischen Kontext mitmeint, wenn sie in Wahrheit in einen ganz anderen Zweckzusammenhang gehört. Ob dies zutrifft, ist allerdings sorgfältig zu prüfen, ebenso die begrifflichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Lassen sich daraus keine überwiegend starken Argumente für inhaltliche Variationen der §§ 18, 17 AktG, 290 HGB gewinnen, ist ihr Gehalt verbindlich.6 Nicht völlig evident ist, ob unterschiedliche Auslegungsansätze geboten sind, je nach dem ob die in Frage stehende Norm den Konzernzusammenhang wie im Bilanzrecht mit Pflichten verknüpft oder umgekehrt wie z.B. bei der konzerninternen Wettbewerbsbeschränkung als Kriterium der EntAdressat Teil eines die Rechtsperson transzendierenden Gesamtunternehmens ist. Vgl. Koppensteiner in KK-AktG, Bd. 6, 3. Aufl. (2004) Vorb. § 15 Rn. 112 f. Horizontalverbindungen bleiben ausgespart. 4 Kritisch gegenüber dieser von Bälz stammenden Begrifflichkeit Zöllner in Baumbach/ Hueck, 18. Aufl (2006) SchlAnh. KonzernR Rn. 33. 5 Nachweise bei Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 111. 6 Zum Vorstehenden insb. Feick Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Pflichten in konzernfreien und in konzernverbundenen Unternehmen (1999) 89 ff.; für w.N. Koppensteiner aaO (Fn. 3); s. auch schon ders. Bankenaufsicht und Bankengruppen (1991) 39.

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lastung von Pflichten fungiert. Für solche ließe sich nämlich mit einem jedenfalls früher verbreiteten Interpretationstheorem sagen, sie seien als Ausnahme eng auszulegen. Das trifft aber nicht zu. Auch bei Ausnahmen kommt es darauf an, was damit bezweckt wird und danach richtet sich ihr Geltungsbereich. Das bedeutende Werk von Hopt enthält viele herausragende Arbeiten zum Konzern.7 Der folgende, in alter Verbundenheit geschriebene Beitrag, sollte deshalb gut in ein Buch passen, das Reichweite und Qualität seines Werkes spiegeln und ihm Freude, auch Genugtuung über das Erreichte verschaffen soll.

II. Zum Verhältnis der §§ 18, 17 AktG und 290 HGB Der Zweck von Konzernabschluss und -lagebericht besteht darin, die Lücke zu füllen, die sich aus der beschränkten Aussagekraft des Einzelabschlusses von Rechtsträgern ergibt, die Teil eines Unternehmensverbundes sind. Die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage der einbezogenen Unternehmen ist – so § 297 Abs. 3 HGB – so darzustellen, „als ob diese Unternehmen insgesamt ein einziges wären“. Von daher ist der Sinn der Tatbestandsbildung in § 290 Abs. 1 bis 4 HGB zu erschließen. Sie ist als Umschreibung jenes „einzigen Unternehmens“ aufzufassen, auf das sich die Konsolidierung bezieht. Für § 290 Abs. 1 HGB a.F. war das unschwer nachzuvollziehen. Denn die Bestimmung setzte einen Konzern voraus, der am Ort seiner Definition, nämlich in § 18 AktG, ebenfalls aus dem Gedanken der wirtschaftlichen Einheit zu entwickeln ist.8 Deshalb war es auch bedenkenfrei möglich, ja geboten, die „einheitliche Leitung“ des § 290 Abs. 1 HGB ebenso zu verstehen, wie dies für § 18 AktG zutrifft. Das galt auch für die Vermutungen in § 18 Abs. 1 S. 2 und 3.9

7 Zuletzt etwa Hopt ZHR 171 (2007) 199; vorher ders. in Hommelhoff/Hopt/Lutter (Hrsg.), Konzernrecht und Kapitalmarktrecht (2001) 31 ff., 279 ff. 8 Näher dazu Koppensteiner aaO (Fn. 3) § 18 Rn. 17 ff. m.w.N. auch abweichender Ansichten. Dass neben einheitlicher Leitung auch eine Beteiligung nach § 271 Abs. 1 HGB vorausgesetzt wurde, braucht hier schon wegen Entfallens dieses Tatbestandsmerkmals nicht weiter gewürdigt zu werden. 9 Wie hier z.B. Kindler in Großkomm. Bilanzrecht (2002) § 290 Rn. 22, 28 m.w.N. Allerdings wird dort für den so genannten weiten Konzernbegriff optiert (Übernahme von Leitungsaufgaben in einem wesentlichen Entscheidungsbereich genügt, Rn. 26), während es nach hier vertretener Auffassung auf den engeren Begriff (Koordination des Finanzbereichs ausreichend aber auch erforderlich) ankommt. Diskussion bei Koppensteiner aaO (Fn. 3) § 18 Rn. 22 ff. m.w.N. Ob ein Unternehmen im Sinne des AktG vorliegt, ist allerdings irrelevant. Denn auch eine Holding, die nur an einer Gesellschaft beteiligt ist, muss konsolidieren.

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Das BilMoG hat den Zusammenhang zwischen dem „einzigen“ Unternehmen des § 297 Abs. 3 HGB und den Konsolidierungsvoraussetzungen gelockert, scheinbar sogar aufgegeben. Bloße Abhängigkeit schafft nämlich nicht jenes einheitliche Unternehmen, das § 297 Abs. 3 zugrunde liegt. Latent ist dieser Zusammenhang aber immer noch vorhanden. Denn Abhängigkeit ist als potentielle Konzernierung zu begreifen.10 Das drückt sich in der Vermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG und in dem rechtstatsächlichen Befund aus, dass beherrschender Einfluss meistens zu einheitlicher Leitung verdichtet wird.11 Problematisch aus rechtspolitischer Sicht sind daher nur die seltenen Fälle widerlegter Konzernvermutung. In solchen Fällen muss konsolidiert werden, obwohl eine wirtschaftliche Einheit nicht vorliegt. Die Bestimmungen in § 290 Abs. 2 Z. 1–3 HGB sind europarechtlich vorgegeben, allerdings, worauf zurückzukommen sein wird, nicht so streng, wie es den Anschein hat. Sachlich liegt ihnen das Bedürfnis zugrunde, die Pflicht zu konsolidierter Rechnungslegung tatbestandlich möglichst klar zu umschreiben. Inhaltlich geht es um typische Abhängigkeitslagen, insofern darum, Abs. 1 zu präzisieren. Abs. 2 Z. 3 geht mit der Erwähnung von Beherrschungsverträgen allerdings weiter. Damit ist nämlich eine unwiderlegliche Konzernvermutung verbunden (§ 18 Abs. 1 S. 2 AktG), also ein expliziter Rest des die Konsolidierungspflicht an sich tragenden Unterbaus eines wirtschaftlich einheitlichen Unternehmens.12 Zu § 290 Abs. 2 HGB a.F. wurde diskutiert, ob sich die Bestimmung so interpretieren lässt, dass abhängige Tochterunternehmen stets zu konsolidieren sind, unabhängige dagegen nicht.13 Von der Antwort auf diese Frage hängt es ab, ob es möglich ist, die Konsolidierungsvorschriften selbst als systematisch und teleologisch widerspruchsfreies Ganzes zu begreifen. Aber nicht nur das: Entschieden würde auch darüber, ob die §§ 290 HGB und 17 AktG unterschiedliche Inhalte haben oder nicht. Darin besteht das für diesen Beitrag zentrale Problem. Die aufgeworfenen Fragen, die auch den Inhalt der Zurechnungsvorschrift in § 290 Abs. 3 determinieren, wurden zum alten Recht wohl überwiegend verneint, waren aber schon damals zu bejahen.14 De lege lata hat sich ihr 10

S. Koppensteiner aaO (Fn. 3) § 18 Rn. 18. So die Regierungsbegründung zu § 18 AktG, bei Kropff Aktiengesetz (1965) 33. 12 In der Fassung des BilMoG verlangt Z. 3, dass dem Mutterunternehmen aufgrund des Beherrschungsvertrags das Recht zusteht, die Finanz- und Geschäftspolitik der Tochter zu bestimmen. Praktisch dürfte sich diese Regel nur bei beherrschungsvertraglichem Ausschluss nachteiliger Weisungen auswirken. Weitergehende Einschränkungen des Weisungsrechts sind entgegen verschiedentlich vertretener Auffassung unzulässig. Vgl. Koppensteiner FS Canaris (2007) 209, 215 f. 13 Abgesehen selbstverständlich von den im HGB selbst, namentlich in den §§ 293, 296 vorgesehenen Ausnahmen. 14 S. Koppensteiner wbl 2005, 293, 294 ff. m.N.; wie dort neuerdings auch Küting DB 2009, 73 ff. 11

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erster Teil erledigt. Abhängige Unternehmen sind wegen § 290 Abs. 1 auch dann zu konsolidieren, wenn sie nicht unter Abs. 2 fallen. Praktisch handelt es sich dabei um die sog. Hauptversammlungsmehrheit 15 und um Gemeinschaftsunternehmen 16. Letzterem könnte man entgegenhalten, dass § 290 Abs. 1 nach seinem Wortlaut ein (einziges) Mutterunternehmen voraussetzt, das für Gemeinschaftsunternehmen konstitutive Vorhandensein mehrerer Mütter also auszuschließen scheint. Aber auch § 17 AktG spricht von „einem“ herrschenden Unternehmen, ohne dass dies die Einbeziehung von Gemeinschaftsunternehmen gehindert hätte.17 Steht somit fest, dass § 290 HGB Abhängigkeitslagen i.S.v. § 17 AktG erfasst, bleibt zu prüfen, ob auch die Umkehrung gilt, nämlich ob durchweg auch Abhängigkeit vorausgesetzt wird. So wird Stimmrechtsmehrheit nicht immer Abhängigkeit begründen, z.B. dann nicht, wenn sie wegen Existenz einer Höchststimmrechtsregelung nicht eingesetzt werden kann. Die überwiegend angenommene Unanwendbarkeit von § 290 Abs. 2 wird mit dem Verlust eben dieser Stimmrechtsmehrheit begründet.18 Ähnliche Fälle (qualifizierte Mehrheitserfordernisse für wichtige Beschlüsse, Zustimmungsbedürftigkeit, Entherrschungsverträge) beurteilt man dagegen häufig umgekehrt.19 Ich kann das mit Rücksicht auf den Normzweck nicht für überzeugend halten. Jedenfalls lassen sich die angeführten Sachverhalte nicht schwerer feststellen als Höchststimmrechte. Die Beweislast für das Vorliegen Abhängigkeit ausschließender Umstände liegt – wie bei § 17 Abs. 2 AktG – ohnehin bei dem Rechtsträger, dessen Konsolidierungspflicht in Frage steht. Der § 290 Abs. 2 angeblich ausschließlich prägende Gedanke, es sollten leicht fassbare und objektivierbare Kriterien aufgestellt werden, ist im Grunde gar nicht tangiert. 15 Zu ihr als Abhängigkeit begründender Tatbestand z.B. Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. (2008) § 17 Rn. 19; Windbichler in Großkomm. AktG, § 17 Rn. 24. Statistische Angaben über die Daxunternehmen in den Jahren 2006 bis 2008 bei Küting DB 2009, 73. Zur (bilanzrechtlichen) Relevanz der Hauptversammlungsmehrheit de lege lata Ernst/Seidler BB 2009, 766, 768. 16 Zur Anwendbarkeit von § 17 AktG etwa Emmerich/Habersack aaO (Fn. 15) § 17 Rn. 30. 17 Im Verhältnis zu § 310 HGB ergeben sich neue Abgrenzungsprobleme, die hier aber auf sich beruhen müssen. 18 Z.B. bei Nowotny in Straube, HGB/RLG, 2. Aufl. (2000) § 244 Rn. 31. 19 Kindler aaO (Fn. 9) § 290 Rn. 39 f. m.w.N. auch gegenteiliger Ansichten; solche auch bei KK-WpHG/v. Bülow (2007) § 22 Rn. 237; wie hier (für Entherrschungsverträge) Baumbach/Hopt HGB, 31. Aufl. (2003) § 290 Rn. 9. Der § 290 Abs. 2 in der Tat zugrunde liegende Gedanke, die Voraussetzungen der Konsolidierungspflicht klar zu umschreiben, liefert einem Teil der Literatur das Kernargument dafür, sowohl die (jetzt obsolete) analoge Anwendung der Bestimmung als auch ihre teleologische Reduktion abzulehnen (paradigmatisch Kindler aaO (Fn. 9) § 290 Rn. 38 ff.; s. auch Hopt aaO (Fn. 7) 35 f.). Eine Auslegungsmethode, die Zweckzusammenhänge von vorneherein für irrelevant hält, erscheint mir aber bedenklich. Insgesamt wie hier zuletzt Küting DB 2009, 73, 76 f.

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Es mag sein, dass § 296 Abs. 1 Z. 1 HGB gegen die hier vertretene Ansicht spricht.20 Aber das würde nur für den eigentlichen Anwendungsbereich von § 290 Abs. 2 HGB, nicht dagegen für Bestimmungen gelten, die (nur) auf § 290 verweisen. Ein weiteres – wichtigeres – Gegenargument bestünde in der Behauptung, dass hier befürwortete Verständnis von § 290 Abs. 2 HGB kollidiere mit der einschlägigen Richtlinie 83/349/EWG 21. Auch dem wäre indes nicht zu folgen. In den Erwägungsgründen ist ausdrücklich von der „Beherrschungsbefugnis“ die Rede, die auf einer Mehrheit der Stimmen beruht. Außerdem wird den Mitgliedstaaten erlaubt, auch Minderheitsbeteiligungen zu erfassen, die Beherrschung ermöglichen. Die hier vertretene Interpretationshypothese kann daher nicht richtlinienwidrig sein. Dass der deutsche Gesetzgeber (früher) davon abgesehen hat, Abhängigkeit begründende Minderheitsbeteiligungen ausdrücklich einzubeziehen, kann ebenfalls nicht den Ausschlag geben. Denn das beruhte auf der Annahme, die Hauptversammlungs-Präsenzmehrheit habe in Deutschland keine wesentliche Bedeutung,22 also einem zwischenzeitlich korrigierten Anschauungsfehler. Der vorher formulierte Zwischenbefund hat sich also bestätigt. Verweisungen auf die §§ 290 Abs. 1, Abs. 2 haben keinen prinzipiell anderen Gehalt als solche auf die § 17 AktG.23

III. Kapitalmarkt Für das Kapitalmarktrecht sind Konzerne und Abhängigkeitslagen in vielfacher Hinsicht bedeutsam.24 Der folgende Text erörtert nur ausdrückliche Verweisungen und auch davon nur die wichtigsten. 1.a) Nach § 21 WpHG sind Beteiligungen an einer börsennotierten Gesellschaft meldepflichtig, sofern dabei bestimmte Beteiligungsquoten überoder unterschritten werden. Das Ausmaß der Beteiligung hängt (auch) von

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So insb. Kindler aaO (Fn. 9) Rn. 39. Die ÄnderungsRL 2006/46/EG ist für die hier interessierende Frage bedeutungslos. 22 S. die Materialien zitiert nach Kindler aaO (Fn. 9). 23 Kritisch könnte man noch auf Normen wie die §§ 2 Abs. 6 WpÜG, 22 Abs. 3 WpHG hinweisen, wo Tochterunternehmen als solche i.S.v. § 290 HGB oder solche definiert werden, „auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann“. Diese Regelung beruhte offenbar auf der Annahme, dass § 290 Abs. 2 HGB die Möglichkeit beherrschenden Einflusses nicht voraussetzt. Indes konnte und durfte die zitierte „oder“-Formulierung im Hinblick auf den Auslegungsstreit zu § 290 Abs. 2 a.F. auch als bloße Klarstellung des Anwendungsbereichs der jeweils in Frage stehenden Gesetze verstanden werden. De lege lata sind die zitierten Formulierungen wegen § 290 Abs. 1 jedenfalls überflüssig geworden. 24 Übersicht bei Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 21 ff.; besonders instruktiv Hopt ZHR 171 (2007) 199, 231 ff.; ders. aaO (Fn. 7) 39 ff. 21

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den Zurechnungsregeln des § 22 WpHG ab. Hier interessiert in erster Linie Abs. 1 Z. 1 der Bestimmung. Demnach sind Aktien zuzurechnen, die einem Tochterunternehmen des Meldepflichtigen gehören.25 Unter Tochterunternehmen sind nach § 22 Abs. 3 solche i.S.d. § 290 HGB und solche zu verstehen, auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann. Insoweit kommt es auf die vorher diskutierte Frage, ob § 290 Abs. 2 Abhängigkeit voraussetzt, hier nicht an. Der Sinn der Zurechnung besteht darin, Stimmen zu erfassen, deren Ausübung der Meldepflichtige kontrollieren kann.26 Bei Aktien im Besitz einheitlich geleiteter Unternehmen (§ 290 Abs. 1 HGB a.F.) trifft dies zu. Im Prinzip billigenswert war es daher, wenn § 22 Abs. 3 WpHG als Verweisung auf den Konzernbegriff des § 18 AktG aufgefasst wurde.27 Nach § 18 AktG muss der Herrschaftsträger selbst Unternehmensqualität haben, bei Fehlen eines eigenen Geschäftsbetriebs also mehrere Beteiligungen halten.28 Dabei handelt es sich um ein aus spezifisch aktienrechtlichen Gegebenheiten entwickeltes Erfordernis. Wo es wie hier um Beteiligungstransparenz geht, kann es darauf nicht ankommen. Zuzurechnen sind also auch Aktien, die einem Rechtsträger beliebiger Rechtsform gehören, sofern er von einer Holding oder auch einer Privatperson (ohne Rücksicht auf sonstigen Beteiligungsbesitz) einheitlich geleitet wird.29 Bezüglich der Möglichkeit beherrschenden Einflusses wird wegen des Normzwecks zutreffend angenommen, es sei grundsätzlich auf den Abhängigkeitsbegriff des § 17 AktG abzustellen,30 aber auch im Einklang mit der hier zum Konzern vertretenen Auffassung zugestanden, dass der potentiell Meldepflichtige kein Unternehmen zu sein braucht.31 Die Abhängigkeitsvermutung bei Mehrheitsbeteiligung (§ 17 Abs. 2 AktG) soll nicht eingreifen, weil die Umkehr der Beweislast mit der Sanktion versäumter Meldepflichten als Ordnungswidrigkeit (§ 39 Abs. 2 Z. 2e WpHG) nicht vereinbar sei.32 Das Argument vernachlässigt, dass außerdem § 28, also eine gesellschaftsrechtliche Sanktion, eingreift. Insoweit ist die Anwendung von § 17 Abs. 2 AktG unproblematisch, daher zu befürworten.33 25

Zu Ausnahmen bei Kapitalanlagegesellschaften v. Bülow aaO (Fn. 19) Rn. 42 ff. V. Bülow aaO (Fn. 19) Rn. 3 m.N. 27 V. Bülow aaO (Fn. 19) Rn. 230 m.N. 28 Näher dazu Emmerich/Habersack aaO (Fn. 15) § 15 Rn. 13 ff.; Koppensteiner aaO (Fn. 3) § 15 Rn. 35 ff. mit unterschiedlichen Akzenten. 29 Umstritten. Wie hier Koppensteiner aaO (Fn. 3) Anh. § 22 Rn. 16, dagegen v. Bülow aaO (Fn. 19) Rn. 229, 231 m.w.N. beider Ansichten. 30 V. Bülow aaO (Fn. 19) Rn. 242 mit Hinweis auf die Materialien, ebenso etwa Schwark/Schwark KMRK, 3. Aufl. (2004) § 22 Rn. 31 m.w.N. 31 V. Bülow aaO (Fn. 19) Rn. 247 m.N. 32 V. Bülow aaO (Fn. 19) Rn. 248 m.N.; anders Sudmeyer BB 2002, 685, 688. 33 Gegenteilig Liebscher ZIP 2002, 1005, 1009, 1011 auf der Grundlage einer petitio principii. Die verwandte Frage, ob (auch) strafrechtlich sanktionierte Normen in zivilrecht26

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Offen ist damit nur noch, ob auch Aktien zuzurechnen sind, die einem nicht abhängigen Tochterunternehmen gehören. Die Frage ist auf der Grundlage der oben vertretenen Auslegung von § 290 Abs. 2 und 3 HGB ohne Weiteres zu verneinen. Aber auch unabhängig davon wäre zu bedenken, dass die §§ 21, 22 WpHG einen eigenständigen, auf Beteiligungstransparenz zielenden Zweck verfolgen und in diesem Rahmen Stimmrechte zugerechnet wissen wollen, deren Ausübung der potentiell Meldepflichtige kontrollieren kann. Aus dieser Perspektive ist auch die Verweisung von § 22 Abs. 3 auf § 290 HGB zu interpretieren. Das bedeutet, dass Aktienbesitz nicht abhängiger Unternehmen auch bei mehrheitlicher Beteiligung nicht zuzurechnen ist. Denn in solchen Fällen hat der übergeordnete Rechtsträger keinen Einfluss darauf, wie das Stimmgewicht aus solchen Aktien eingesetzt wird.34 b) § 24 WpHG gestattet es, die Meldepflichten konzernangehöriger Unternehmen im Interesse verfahrensmäßiger Vereinfachung durch das Mutterunternehmen erfüllen zu lassen, sofern ein Konzernabschluss nach den §§ 290, 340i HGB aufzustellen ist. Wörtlich genommen würde dies bedeuten, dass diese Möglichkeit auf Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland beschränkt ist.35 Ein vernünftiger Grund dafür ist nicht ersichtlich. Daher wird denn auch in der Literatur, teilweise gestützt auf richtlinienkonforme Interpretation, mit Recht dafür plädiert, § 24 WpHG auch dann anzuwenden, wenn eine Nicht-Kapitalgesellschaft einen Konzernabschluss (freiwillig) erstellt oder wenn ein solcher Abschluss nach dem EU/EWR-Heimatrecht des Mutterunternehmens geboten ist.36 Eine insgesamt befriedigende Lösung – sie müsste sich auf Konzerne ohne weitere Voraussetzungen beziehen 37 – lässt sich allerdings auch so nicht erreichen. De lege lata ist dies freilich nicht zu vermeiden, weil sonst ein Tatbestandsmerkmal von § 24 weginterpretiert würde. 2.a.) § 29 Abs. 1 WpÜG definiert Übernahmeangebote als solche, die auf den Erwerb von Kontrolle gerichtet sind. Wer kontrollierend beteiligt ist, hat nach näherer Maßgabe von § 35 ein Angebot auf Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft zu veröffentlichen. Unter Kontrolle ist nach § 29 Abs. 2 das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft zu verstehen. Diese Schwelle liegt weit unterhalb der Mehrheitsbeteiligung nach § 16 AktG und führt daher auch nicht zur Anwendbarkeit der Vermutungen lichem Kontext analogiefähig sind, ist zu bejahen. S. Koppensteiner Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht (1997) 68 m.w.N. Zur „gespaltenen“ Auslegung von Bestimmungen mit verwaltungs- und strafrechtlicher Sanktion jüngst (wie hier) Hammen Der Konzern 2009, 18, 20 f. 34 Anders wie hier Hopt aaO (Fn. 7) 51, 40. 35 Bei Kreditinstituten kommen auch Unternehmen anderer Rechtsform hinzu. Zur Bedeutung der Befreiungstatbestände in den §§ 291–293 HGB s. KK-WpHG/Hirte (2007) § 24 Rn. 12. 36 Hirte aaO (Fn. 35) Rn. 12 f. 37 So de lege ferenda die bei Hirte aaO (Fn. 35) zitierten Autoren.

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in den §§ 17 Abs. 2 und 18 Abs. 1 S. 3. Dennoch beruht sie auf der gleichen Regelungsidee, nämlich auf der Annahme, dass der Inhaber von mindestens 30 % der Stimmrechte in aller Regel über eine Hauptversammlungsmehrheit verfügt und damit in der Lage ist, die Zielgesellschaft zu beherrschen.38 Unerheblich ist allerdings, ob dies tatsächlich zutrifft oder – umgekehrt – ob die Gesellschaft auf der Grundlage einer Beteiligung beherrscht wird, die unter 30 % liegt.39 Die Rechtslage wäre wohl anders zu beurteilen, wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht nicht die Befreiungsmöglichkeit nach § 37 WpÜG bzw. § 9 Abs. 2 WpÜG-AV hätte. Demnach kann von der Angebotspflicht befreit werden, wenn ein Dritter über einen höheren Stimmrechtsanteil verfügt oder auf Grund der Erfahrungen in den letzten drei Hauptversammlungen nicht zu erwarten ist, dass der potentielle Bieter über mehr als 50 % der vertretenen Stimmen verfügen wird. Dadurch wird die 30 %-Schwelle in normzweckgerechter Weise aufgelockert.40 Nach § 30 WpÜG sind dem „Bieter“ Aktien zuzurechnen, die ihm nicht selbst gehören. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen entsprechen – bewusst und gewollt – jenen des § 22 WpHG.41 Das ist auch sinnvoll. Denn in beiden Fällen geht es darum, das reale Stimmgewicht potentieller Bieter zu berücksichtigen.42 Das verlangt die Einbeziehung von Stimmen, deren Ausübung von den Direktiven solcher Bieter abhängt. Daraus folgt allerdings nicht notwendigerweise, dass beide Bestimmungen stets gleich auszulegen sind.43 Für den Begriff des Tochterunternehmens (§ 30 Abs. 1 Z. 1 WpÜG) spielt das allerdings keine Rolle. Er wird in § 2 Abs. 6 WpÜG ebenso definiert wie in § 22 Abs. 3 WpHG. Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Auslegung sind nicht ersichtlich. Daher kann auf die Überlegungen zu dieser 38

Ebenso KK-WpÜG/v. Bülow (2003) § 29 Rn. 2 mit Hinweis auf die Materialien; ähnlich Möller in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG (2005) § 29 Rn. 9. 39 V. Bülow aaO (Fn. 38) Rn. 71 f. § 35 Rn. 45; Möller aaO (Fn. 38) Rn. 9, 15 f.; Schwark/ Noack aaO (Fn. 30) § 29 WpÜG Rn. 18; anders Oechsler NZG 2001, 817, 825. Für Harmonisierung der Voraussetzungen aktienrechtlicher Abhängigkeit und des übernahmerechtlichen Kontrollbegriffes Mülbert ZIP 2001, 1221, 1225 ff. mit dem beachtlichen Argument, dass es sowohl in dem § 311 AktG als auch im Übernahmerecht um den Schutz außenstehender Aktionäre gegen das (missbräuchlich einsetzbare) Einflusspotential herrschender Rechtsträger gehe. 40 Der Katalog von § 9 Abs. 2 WpÜG-AV ist nicht abschließend. So ist anerkannt, dass auch ein Beherrschungsvertrag mit einem Dritten unter § 37 fällt (KK-WpÜG/Versteegen aaO (Fn. 38) § 37 Rn. 53; Krause/Pötzsch in Assmann u.a., aaO (Fn. 38) § 37 Rn. 73). Umstritten ist, ob auch schuldvertragliche Vereinbarungen, namentlich ein Entherrschungsvertrag, berücksichtigungsfähig sind (dafür Hopt ZHR 166 (2002) 383, 418; dagegen Krause/Pötzsch aaO Rn. 74 m.w.N. beider Ansichten). Ich meine, dass die bejahende Auffassung das Richtige trifft. 41 S. nur Uwe H. Schneider in Assmann u.a., aaO (Fn. 38) § 30 Rn. 5. 42 So zu § 30 WpÜG OLG Frankfurt ZIP 2004, 1309, 1312 im Einklang mit der allg. M. 43 Dazu Uwe H. Schneider aaO (Fn. 41) Rn. 8; v. Bülow aaO (Fn. 38) § 30 Rn. 8 je m.w.N.

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Bestimmung verwiesen werden. Festzuhalten ist allerdings, dass man mit der Verweisung auf § 290 HGB im übernahmerechtlichen Kontext überzeugend, aber ohne Erklärung, erheblich großzügiger umgeht als im HGB selbst. So soll es weder auf Rechtsform und Sitz des Mutterunternehmens noch überhaupt auf dessen Unternehmenseigenschaft ankommen.44 b) Nach den §§ 31, 29 WpÜG i.V.m. § 4 WpÜG-AV richtet sich die Angemessenheit der Gegenleistung auch danach, was ein Tochterunternehmen des Bieters für Aktien der Zielgesellschaft bezahlt hat. Der Sinn dieser Regel besteht darin, die primär auf Aktienerwerbe des Bieters selbst gerichtete Vorschrift gegen sonst allzu leicht mögliche Umgehungen abzusichern. Der Begriff des Tochterunternehmens richtet sich wiederum nach § 2 Abs. 6 WpÜG. Auslegungsbesonderheiten im Verhältnis zu § 30 Abs. 1 Z. 1 sind nicht zu erkennen.

IV. Banken 1. Nach § 10 KWG müssen neben Kreditinstituten auch Instituts- und Finanzholdinggruppen angemessene Eigenmittel haben.45 Ob dies für Gruppen zutrifft, ist gemäß § 10a Abs. 6 mittels Konsolidierung festzustellen.46 Nach Abs. 1 der Bestimmung besteht die Institutsgruppe aus einem übergeordneten Unternehmen im Sinne von § 1 Abs. 7a oder Abs. 7c mit Sitz im Inland und den nachgeordneten Unternehmen.47 Bei ihnen handelt es sich um Tochterunternehmen, die selbst Institute, Kapitalanlagegesellschaften, Finanzunternehmen oder Anbieter von Nebenleistungen sind. Tochterunternehmen sind – wie im WpHG und im WpÜG – solche, die unter § 290 HGB fallen oder auf die ein beherrschender Einfluss ausgeübt werden kann (§ 1 Abs. 7 KWG). Was unter beherrschendem Einfluss zu verstehen ist, richtet 44

Vgl. Uwe H. Schneider aaO (Fn. 41) Rn. 18; Versteegen aaO (Fn. 40) § 2 Rn. 187 f. Zum Regelungszweck (Neutralisierung der Eigenkapitalpyramide, Gedanken des Risikodurchschlages, Umgehungsverhinderung) s. Koppensteiner Bankenaufsicht und Bankengruppen (1991) 4 f., 15. Die sehr komplexen Einzelheiten der Ermittlung der Eigenmittel ergeben sich aus § 10 KWG (in der Beck’schen Ausgabe der „Wirtschaftsgesetze“ fast 13 Seiten). Finanzholdinggruppen werden hier nicht weiter erörtert. Zu einer Banken, Versicherungen und Finanzkonglomerate integrierenden Betrachtung von „Verbundtatbeständen im Finanzbereich“ vgl. Koppensteiner BankArchiv 2005, 623 ff. Die dortigen Überlegungen dürften wegen weitgehender Harmonisierung nationaler Rechte durch Rechtsquellen europäischer Provenienz auch für Deutschland interessieren. Eine konsolidierte Betrachtung der Liquiditätslage von Institutsgruppen schreibt das geltende Recht nicht vor. 46 Etwas ausführlicher Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 33 m.N. 47 Unter § 1 Abs. 7a fallen Institute, die keinem Institut im selben Mitgliedstaat zugeordnet sind. § 1 Abs. 7c (EU-Mutterunternehmen) nennt Institute, die keinem Institut (Finanzholdinggesellschaft) mit Sitz in einem EWR-Staat nachgeordnet sind. Beide Bestimmungen zusammen weisen die Konsolidierungspflicht also, von Mutterinstituten außerhalb des EWR-Raumes abgesehen, der jeweiligen Verbundspitze zu. 45

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sich nach § 17 AktG.48 Die Leitidee der Bestimmung scheint also darin zu bestehen, dass nur solche Institute konsolidierungspflichtig sind, die die Gestion nachgeordneter Unternehmen lenken können.49 Bestätigt wird dies durch § 10a Abs. 12. Nach dieser Bestimmung ist das übergeordnete Unternehmen nämlich für eine angemessene Eigenmittelausstattung der Institutsgruppe verantwortlich, muss dabei allerdings gesellschaftsrechtliche Grenzen beachten.50 Dem hier für richtig gehaltenen Gesetzesverständnis könnte man § 10a Abs. 4 entgegenhalten. Demnach gelten als nachgeordnete Institute auch solche, an denen ein gruppenangehöriges Unternehmen mindestens 20 % der Kapitalanteile oder der Stimmrechte hält.51 Mit Kapitalanteilen (ohne korrespondierende Stimmrechte) sind keine Einflussmöglichkeiten verbunden. Zusätzlich vorausgesetzt wird aber „gemeinsame“ Leitung solcher Institute zusammen mit anderen Unternehmen.52 Die Abs. 1 zu Grunde liegende Regelungsidee bleibt also keineswegs auf der Strecke. 2. Im Rahmen der Großkreditregelung der §§ 13 ff. KWG gelten die für Einzelinstitute maßgeblichen Vorschriften auch für die von einer Institutsgruppe insgesamt gewährten Kredite (§ 13b Abs. 1). Ob eine Gruppe vorliegt, richtet sich nach den einschlägigen Bestimmungen in § 10a. Damit behandelt das Gesetz die Gruppe wiederum als Träger eines einheitlichen Risikos. Auch auf Kreditnehmerseite wird berücksichtigt, dass Zahlungsschwierigkeiten bei einem Glied eines Unternehmensverbundes auch die anderen in Mitleidenschaft ziehen können. Unter den in § 19 Abs. 2 KWG umschriebenen Voraussetzungen wird der Verbund nämlich als ein einziger Kreditnehmer behandelt. Erfasst werden zwei Sachverhaltslagen: beherrschender Einfluss einer natürlichen/juristischen Person auf andere oder Vorliegen einer Risikoeinheit aus anderen Gründen.53 48

Ebenso wohl BFS-KWG/Schäfer, 3. Aufl. (2008) § 1 Rn. 208. Das gilt selbstverständlich nur mit der Einschränkung, dass die hier vertretene Auslegung von § 290 Abs. 2 HGB akzeptiert wird. Eine „horizontale“ Gruppe (§ 10a Abs. 2) liegt nur vor, wenn die beteiligten Unternehmen einheitlich geleitet werden (Gleichordnungskonzern) oder, was auf das Gleiche hinauslaufen dürfte, organschaftlich von der gleichen Person geleitet werden. An der Maßgeblichkeit beherrschenden Einflusses als Mindestvoraussetzung der Konsolidierung ändert sich daher nichts. 50 Zum Ausgleich statuiert § 10a Abs. 7 Informationspflichten, die dem übergeordneten Institut die Wahrnehmung seiner Gesamtverantwortlichkeit ermöglichen sollen. 51 Zur Berechnung der Anteils-Stimmrechtshöhe verweist Abs. 4 auf § 16 Abs. 2 und 3 AktG, merkwürdigerweise aber nicht auf Abs. 4 dieser Bestimmung. Ob eine tatbestandsmäßige mittelbare Beteiligung vorliegt, soll im Wege der Durchrechnung (Multiplikation der Beteiligungsquoten) zu ermitteln sein (BFS-KWG/Boos aaO (Fn. 48) § 10a Rn. 34). Das ist für die Kapitalbeteiligung, wo es nur um das Ausmaß der Interessenverknüpfung geht, konsequent, nicht aber für den Stimmrechtsanteil. S. Koppensteiner wbl 2005, 293, 295, 304 f. 52 Der Begriff gemeinsamer Leitung wird in der Literatur mit „gemeinsamer Führung“ i.S.v. § 310 HGB gleichgesetzt. Vgl. BFS-KWG/Boos, aaO (Fn. 48) Rn. 35. Dort sollte er als einheitliche Leitung verstanden werden (Koppensteiner aaO (Fn. 51) 296, Fn. 25). 53 Das Gesetz verlangt hier Abhängigkeiten, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass finanzielle Schwierigkeiten eines Kreditnehmers auch bei den anderen zu Zahlungs49

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Abgesehen davon, dass die Verbundspitze kein Unternehmen zu sein braucht, ist die Möglichkeit beherrschenden Einflusses an Hand von § 17 AktG zu konkretisieren.54 In der Mehrzahl der Fälle wird dies, auch wegen § 18 Abs. 1 S. 3 AktG, darauf hinauslaufen, dass ein Konzern anzunehmen ist.55 Zu beachten ist, dass Herrschaft/Abhängigkeit im Katalog des § 19 Abs. 2 S. 2 nicht durchgängig vorausgesetzt wird. Für die Fälle persönlicher Haftung ist dies evident, gilt aber auch für die Mehrheit der Kapitalanteile ohne entsprechendes Stimmgewicht (§ 16 Abs. 2 AktG). Ein solcher Sachverhalt ist geeignet, die Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG mit der Folge zu widerlegen,56 dass auch die Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 AktG nicht eingreift. 3. Das KWG kennt „bedeutende Beteiligungen“ (§ 1 Abs. 9) und die „enge Verbindung“ (§ 1 Abs. 10). „Bedeutend“ ist eine Beteiligung u.a., wenn unmittelbar oder mittelbar über ein oder mehrere Tochterunternehmen 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte an einem dritten Unternehmen gehalten werden.57 Die „enge Verbindung“ unterscheidet sich neben anderen Abweichungen 58 dadurch, dass die Innehabung von 20 % des Kapitals oder der Stimmrechte verlangt wird. Die „qualifizierte Beteiligung“ (§ 1 Abs. 15) ähnelt der „bedeutenden Beteiligung“, bezieht sich im Unterschied zu ihr aber auf Beteiligungen außerhalb des Finanzsektors.59 Bezüglich der Zurechnung von Stimmrechten verweist § 1 Abs. 9 und Abs. 15 auf § 22 Abs. 1 bis 3a WpHG. Die letztgenannte Bestimmung kann hier außer Betracht bleiben. Zum Tochterunternehmen des § 22 Abs. 1 Z. 1 WpHG ist auf frühere Überlegungen zu verweisen.60 Sie haben ergeben, dass schwierigkeiten führen. Das – so § 19 Abs. 2 S. 2 – ist mit auf „öffentliche Hände“ zielenden Ausnahmen „insbesondere“ der Fall bei Unternehmen, die demselben Konzern angehören, bei einem Gewinnabführungsvertrag, Mehrheitsbesitz oder persönlicher Haftung. Bei einem Teil dieser Sachverhalte ist auch beherrschender Einfluss möglich. Näher zur zweiten Alternative von Abs. 2 S. 1 und zu S. 2 BFS-KWG/Bock aaO (Fn. 48) § 19 Rn. 81 ff., 87 ff. 54 Bock aaO (Fn. 48) Rn. 74 f. 55 Anderes gilt, wenn die Verbundspitze kein Unternehmen ist. 56 S. Koppensteiner aaO (Fn. 3) § 17 Rn. 102. 57 Zu den Rechtsfolgen s. Schäfer aaO (Fn. 48) § 1 Rn. 215. Im Kern geht es darum, dass Inhaber bedeutender Beteiligungen „zuverlässig“ zu sein haben und um die Kontrolle dieses Umstandes. In diesem Zusammenhang ist auch erheblich, ob der Beteiligungsinhaber einem Konzern angehört (§ 32 Abs. 1 Z. 6 lit. e). Was damit gemeint ist, bedarf noch näherer Untersuchung. Zu Parallelbestimmungen in Österreich Koppensteiner BankArchiv 2005, 623, 624 f. 58 Zu ihnen Schäfer aaO (Fn. 48) Rn. 216; dort auch zur Anzeigepflicht nach § 24 Abs. 1a Z. 1 KWG. Eine weitere Rechtsfolge (Information der Bankenaufsicht durch den Abschlussprüfer) ergibt sich aus § 29 Abs. 3 S. 3 KWG. 59 Vgl. Schäfer aaO (Fn. 48) Rn. 237. 60 Der Leitgedanke von § 22 Abs. 1 und 2 WpHG besteht, obwohl nicht ganz konsequent durchgeführt, wie beim Tochterunternehmen darin, Stimmen zuzurechnen, deren Ausübung vom Meldepflichtigen kontrolliert werden kann. Vgl. Koppensteiner aaO (Fn. 3) Anh. § 22 Rn. 18 ff.

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es dort durchweg auf Beherrschung/Konzernierung ankommt. Gründe für ein hiervon abweichendes Gesetzesverständnis sind nicht ersichtlich. In § 1 Abs. 10 KWG fehlt die Verweisung auf das WpHG. Eine Erklärung dafür sehe ich nicht. Fest steht jedenfalls, dass „mittelbares Halten“ nur über Tochterunternehmen oder Treuhänder in Betracht kommt. Unmittelbare und mittelbare Beteiligungsquoten sind zusammenzurechnen, obschon dies in Abs. 10 im Unterschied zu Abs. 9 nicht ausdrücklich angeordnet wird. Sämtliche Beteiligungsvarianten inkludieren auch das (mittelbare) Halten bloßer Kapitalbeteiligungen. Das ist jedenfalls für § 1 Abs. 9 nicht einsichtig. Denn auf die Frage, warum ein einflussloser Beteiligungsinhaber „zuverlässig“ sein muss, gibt es wohl keine rundum befriedigende Antwort.61 Da es nicht um Herrschaft, sondern um Interessenverknüpfung geht, sollte die mittelbare Beteiligungsquote im Übrigen durchgerechnet ermittelt werden.62 Ein weiteres Beispiel einer Zurechnungsvorschrift findet sich in § 10 Abs. 2a S. 3 KWG. Die Bestimmung gehört in den Zusammenhang der Ermittlung des Kernkapitals. Von ihm sind bestimmte Kredite, insbesondere solche an Gesellschafter eines Instituts, abzuziehen, sofern ihnen mehr als 25 % der Kapitalanteile gehören oder ihnen entsprechend viele Stimmrechte zustehen. Die Berechnung dieser Quoten richtet sich nach § 16 Abs. 2 bis 4 AktG. Die Zurechnungsgründe „Abhängigkeit“ und „für Rechnung halten“ finden sich auch in dem richtig verstandenen § 290 Abs. 3 HGB.63 Die gesetzliche Verweisungstechnik kann systematisch daher kaum befriedigen. Verantwortlich dafür sind vermutlich Vorgaben des Richtlinienrechts. Ohne dieses wäre nämlich unverständlich, warum Zurechnungsfragen einmal anhand von § 290 HGB (häufig ergänzt durch Beherrschung), zum anderen Teil über § 16 Abs. 4 AktG zu beurteilen sind.

V. Arbeitsrecht Das Rechtsgebiet weist zahlreiche verbundspezifische Bezüge auf.64 Die folgende (komprimierte) Darstellung beschränkt sich auf Beispiele, die für den Gegenstand des Beitrages wichtig sind. 61

Erklärungsversuch bei Koppensteiner, BankArchiv 2005, 623, 625. Genauer Koppensteiner aaO (Fn. 3). 63 Dazu (ausführlicher) Koppensteiner wbl 2005, 293, 295. 64 Übersichten bei Liebscher GmbH-Konzernrecht (2006) Rn. 97 ff. (S. 365 ff.); Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 69 ff.; Windbichler aaO (Fn. 15) Vor § 15 Rn. 28 ff.; ausführlicher Wackerbarth in Lutter (Hrsg.), Holding-Handbuch, 4. Aufl. (2004) § 9; monographisch Windbichler Arbeitsrecht im Konzern (1989); s. etwa noch Wiedemann Die Unternehmensgruppe im Privatrecht (1988), 91 ff. Für Österreich Kreil Arbeitsverhältnisse im Konzern (1996); ders. Mitbestimmung im Konzern (1993); Jabornegg DRdA 2002, 3 ff., 118 ff.; s. auch Koppensteiner FS Binder (2009), 5, 12 ff. Zur Bedeutung von Abhängigkeit im Mitbestimmungsrecht der SE zuletzt Henssler FS K. Schmidt (2009) 601 ff. 62

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1.a) Der Zweck des MitbestG besteht darin, Arbeitnehmer ab einer bestimmten Unternehmensgröße (in der Regel mehr als 2000, § 1 Abs. 1 Z. 2) über paritätische Repräsentanz im Aufsichtsrat an unternehmerischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn wesentliche Weichen nicht in der Gesellschaft selbst, sondern bei einem ihr übergeordneten Rechtsträger gestellt werden. Aus diesem Grund sieht § 5 Abs. 1 vor, dass Arbeitnehmer konzernierter Unternehmen als solche der Konzernspitzengesellschaft gelten, sofern diese in einer der in § 1 Abs. 1 Z. 1 genannten Rechtsformen organisiert ist. Das hat zur Folge, dass Arbeitnehmer konzernabhängiger Unternehmen bei der Schwellenberechnung nach § 1 Abs. 1 Z. 2 mitzuzählen sind, und dass ihnen das aktive und passive Wahlrecht zum Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens 65 zusteht. Ob ein Konzern vorliegt, richtet sich kraft ausdrücklicher Verweisung in § 5 Abs. 1 MitbestG nach § 18 Abs. 1 AktG. Das bedeutet fast unstreitig, dass auch die Vermutungen in S. 2 und S. 3 der Bestimmung anzuwenden sind.66 Auf den aktienrechtlich geprägten Unternehmensbegriff des § 18 kommt es wegen des Normzwecks von § 5 MitbestG demgegenüber nicht an.67 Auch wird im Mitbestimmungs- im Gegensatz zum Aktienrecht ein „Konzern im Konzern“ überwiegend für möglich gehalten und zwar auch im Anwendungsbereich von § 5 Abs. 1.68 Denkbar ist dies allenfalls auf der Grundlage eines weiten, für § 18 AktG nach hier vertretener Auffassung gerade nicht maßgeblichen Konzernbegriffs.69 Nach dem (systemwidrigen) § 5 Abs. 3 MitbestG gilt Abs. 1 auch dann, wenn einheitliche Leitung nicht von einem nach § 1 Abs. 1 verfassten Unternehmen ausgeübt wird und zwar für jenen Unternehmensträger, der der Konzernleitung „am nächsten“ steht. Zusätzlich vorausgesetzt wird, dass das herrschende über dieses „Zwischenunternehmen“ andere Konzernunternehmen beherrscht.70 Die Auslegung der Vorschrift ist umstritten. Sie sollte im 65 Eine korrigierende Regelung, die u.a. verhindern soll, dass der mitbestimmte Aufsichtsrat die Anteilseignerversammlung in einer ihrerseits mitbestimmten Gesellschaft beeinflussen kann, findet sich in § 32 MitbestG. Dazu etwa Emmerich/Habersack Konzernrecht, 9. Aufl. (2008) 73 f. m.w.N. 66 S. Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. (2006) § 5 Rn. 26 f. 67 Dazu etwa ErfK/Oetker, § 5 MitbestG Rn. 3. Die Konsequenz besteht darin, dass z.B. eine Holding, die nur eine Gesellschaft leitet, unter § 5 fällt. 68 Dazu etwa Ulmer/Habersack aaO (Fn. 66) § 5 Rn. 35 m.w.N. auch abweichender Ansichten; s. auch Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 74. Mit Recht zurückhaltend OLG München, NZG 2009, 112, 113 f. 69 Näher dazu Kort NZG 2009, 81, 82 f.; auch Seibt ZIP 2007, 1301, 1303 f. 70 Die Regel ist insofern systemwidrig, als der Wortlaut keine eigenen Leitungsbefugnisse der Zwischengesellschaft voraussetzt. Erklären lässt sie sich nur mit der Absicht des Gesetzgebers, die Konzernmitbestimmung möglichst weit, sogar über die von der Natur der Sache her gegebenen Grenzen, auszudehnen.

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(dreistufigen Konzern) jedenfalls dann nicht angewendet werden, wenn zwischen der Konzernspitzengesellschaft und einem Enkelunternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht. Denn in dieser Konstellation wird die Enkelin nicht „über“ die Tochter geleitet. Die Vermutung nach § 18 Abs. 1 S. 3 AktG ist widerlegt. Leitungsbefugnisse hat die Tochter nicht. Ein konzernmitbestimmter Aufsichtsrat bei ihr hätte keinen Sinn.71 b) Sofern ein Unternehmen in den Rechtsformen des § 1 Abs. 1 DrittelbG in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer hat, steht ihnen das Recht zu, ein Drittel des Aufsichtsrats zu wählen. Dabei spielt wie in § 5 MitbestG auch eine Rolle, ob ein herrschendes Unternehmen abhängige Gesellschaften einheitlich leitet. Trifft dies zu, dann sind die Arbeitnehmer konzernunterworfener Unternehmen an den Wahlen zum Aufsichtsrat eines herrschenden Rechtsträgers (aktiv und passiv) zu beteiligen (§ 2 Abs. 1 DrittelbG). Auch in diesem Zusammenhang wird auf die Konzerndefinition des § 18 Abs. 1 AktG, also einschließlich der dort angeordneten Vermutungen verwiesen. Auch für das DrittelbG wird die Möglichkeit eines „Konzerns im Konzern“ meistens bejaht.72 Die § 2 Abs. 1 DrittelbG logisch vorgeordnete Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen in abhängigen Unternehmen tätige Arbeitnehmer bei der Schwellenberechnung nach § 1 mitzuzählen sind, wird erst in § 2 Abs. 2 beantwortet. Ohne ersichtlichen Grund gelten strengere Kriterien als in § 2 Abs. 1. Verlangt wird nämlich ein Beherrschungsvertrag oder Eingliederung der abhängigen AG 73 in die übergeordnete Gesellschaft. Im „faktischen“ Konzern läuft § 2 Abs. 1 also leer, wenn die Schwelle von mehr als 500 Arbeitnehmern nicht auch ohne Zurechnung überschritten ist. 2. Bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 54 Abs. 1 BetrVG kann ein Konzernbetriebsrat gebildet werden. Der Sinn dieser und der folgenden Bestimmungen ähnelt den Zwecken der Konzernmitbestimmung.74 Dem ent71 Wie hier etwa Ulmer/Habersack aaO (Fn. 66) § 5 MitbestG Rn. 70 f.; Burg/Böing Der Konzern 2008, 605, 610; Kort NZG 2009, 81, 84 f.; Emmerich/Habersack aaO (Fn. 65) 73 gegen die Auffassung einiger Oberlandesgerichte. S. noch Oetker aaO (Fn. 67) § 5 MitbestG, Rn. 21 und öOGH, RdW 2006, 90: „Wenn keine Leitungstätigkeit entfaltet wird, besteht kein Überwachungsbedarf“. 72 Vgl. Habersack in Ulmer u.a., aaO (Fn. 66) § 2 DrittelbG, Rn. 9; Oetker, aaO, § 2 DrittelbG Rn. 9. Das läuft auf die Geltung § 5 Abs. 3 MitbestG entsprechender Grundsätze hinaus. 73 Die Eingliederung nach den §§ 319 ff. AktG setzt eine AG voraus, auch für die übergeordnete Gesellschaft. Zu Beherrschungsverträgen mit AG-fremder Rechtsform s. die Nachweise bei Habersack in Ulmer u.a., aaO (Fn. 66) Rn. 13. 74 Dazu ErfK/Eisemann aaO (Fn. 67) § 54 BetrVG Rn. 1 m.N. Sichergestellt werde, dass betriebsverfassungsrechtliche Beteiligungsrechte nicht durch Verlagerung von Entscheidungsmacht auf die Konzernebene verloren gingen. Ausführlich Windbichler aaO ( Fn. 64) 300 ff. Zur besonderen, allerdings problematischen Bedeutung des Konzernbetriebsrates für konzernweit wirkende Betriebsvereinbarungen s. Rieble Der Konzern 2005, 475, 477.

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spricht die auch hier vorfindliche Verweisung auf § 18 Abs. 1 AktG. Die Grundsätze über den „Konzern im Konzern“ sollen anwendbar sein, wenn dem Tochterunternehmen betriebsverfassungsrechtlich relevante, eigene Entscheidungskompetenzen belassen wurden.75 3. Ein weiteres Beispiel, wie Arbeitsrecht auf die wirtschaftliche Realität des polykorporativen Unternehmens reagiert, findet sich im AÜG.76 Nach § 1 Abs. 3 Z. 3 AÜG ist dieses Gesetz (mit gewissen Ausnahmen) nicht auf die Arbeitnehmerüberlassung im Konzern anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer vorübergehend nicht bei seinem Arbeitgeber tätig ist. Das hat zur Einrichtung konzerneigener Verleihunternehmen geführt, die aber auch für externe Unternehmen tätig werden können, sofern kein konzerninterner Einsatzbedarf besteht.77 § 1 Abs. 3 Z. 2 verweist auf § 18 AktG, also einschließlich der in Abs. 1 enthaltenen Vermutungen. Auf die Rechtsform der beteiligten Konzernglieder kommt es nicht an,78 ebenso wenig darauf, ob die Vorraussetzungen des aktienrechtlichen Unternehmensbegriffes erfüllt sind. Letzteres ist wie in anderen, schon erörterten Verweisungsfällen daraus abzuleiten, dass sich die Übernahme auch dieses Begriffes teleologisch nicht begründen lässt.

75 Eisemann aaO (Fn. 74) Rn. 7; ausführlichere Erörterung bei Wackerbarth aaO (Fn. 64) § 9 Rn. 170; ablehnend etwa Windbichler aaO (Fn. 64) 320 ff. m.w.N., wonach (bei ausländischen Unternehmen) allerdings der Rechtsgedanke des § 5 Abs. 3 MitbestG ausschlaggebend sein soll. Zum Ganzen noch Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 69. Dazu, dass der für § 18 AktG maßgebliche Unternehmensbegriff hier nicht anzuwenden ist, s. oben bei Fn. 67, wie hier Wackerbarth aaO (Fn. 64) Rn. 167. Zu den Regeln über den europäischen Betriebsrat s. Koppensteiner, aaO, Rn. 70; Windbichler aaO (Fn. 15) Vor § 15 Rn. 30, § 18 Rn. 80; Schrammel FS Straube (2009) 397 ff. Obwohl die dort vorgesehenen Vermutungsregeln dem Control-Konzept folgen, meine ich doch, dass es ohne Abhängigkeit i.S. von § 17 Abs. 1 nach deutschem Recht keinen Betriebsrat geben kann. Ebenso für Abhängigkeit im Mitbestimmungsrecht der SE, das die für den europäischen Betriebsrat maßgeblichen Kriterien verwendet, Henssler FS K. Schmidt (2009) 601, 609 ff. 76 In anderen Regelungsfeldern werden Verbundtatbestände dagegen ignoriert oder sehr zurückhaltend berücksichtigt, so etwa beim Kündigungsschutz (vgl. z.B. Wackerbarth aaO (Fn. 64) Rn. 63 ff., 66 ff. m.N. auch abweichender Ansichten; Turkenburg Möglichkeiten und Grenzen konzerneigener Leihunternehmen und Personalführungsgesellschaften (2008) 186 ff.), bei der Anpassung von Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG (dazu Wackerbarth aaO (Fn. 64) Rn. 41 ff., Zöllner AG 1994, 285 ff.). Ein konzernweiter Gleichbehandlungsgrundsatz wird allenfalls unter zusätzlichen, ihrerseits umstrittenen Voraussetzungen anerkannt (ausführliche Analyse bei Windbichler aaO (Fn. 64) 417 ff.). Der Grund dieser aus der Sicht des Konzerns als wirtschaftlich einheitliches Unternehmen nicht recht einleuchtenden Rechtslage dürfte darin bestehen, dass nur Personen, nicht aber der Konzern als Arbeitgeber in Betracht kommen. Zum Gleichbehandlungsgrundsatz im AÜG s. dort § 9 Z. 2. 77 S. Turkenburg aaO (Fn. 76) 17, zu den Gründen für den Personalaustausch im Konzern 25 f., ausführlich zu § 1 Abs. 3 Z. 2 AÜG 75 ff. Zur Möglichkeit dauerhafter konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung mit dementsprechenden tarifrechtlichen Konsequenzen ebenda 151 ff. 78 ErfK/Wank aaO (Fn. 67) § 1 AÜG Rn. 67.

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VI. Kartellrecht Der Unternehmensverbund ist im europäischen und deutschen Kartellrecht unter drei Hauptgesichtspunkten bedeutsam, nämlich bei der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, im Rahmen der Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und bei der Beurteilung verbundinterner Wettbewerbsbeschränkungen. Hinzu kommen weitere Tatbestände, die an das Marktgewicht beteiligter Unternehmen anknüpfen. 1.a) Zusammenschlüsse i.S.d. FKVO charakterisieren sich dadurch, dass eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle stattfindet. Kontrolle liegt vor, wenn sie durch eine oder mehrere Personen, die bereits ein Unternehmen kontrollieren, gegenüber der Gesamtheit oder Teilen anderer Unternehmen erworben wird (Art. 3 Abs. 1). Inhaltlich kommt es darauf an, dass ein „bestimmender Einfluss“ auf solche Unternehmen ausgeübt werden kann (Art. 3 Abs. 2). Das erinnert an die Abhängigkeit des § 17 AktG. Doch ist der Kontrollbegriff der FKVO autonom auszulegen und umfasst z.B. auch bloß wirtschaftliche Abhängigkeiten.79 § 37 GWB ist ganz ähnlich formuliert. Insbesondere kommt es auch dort auf die Möglichkeit „bestimmenden Einflusses“ an (§ 37 Abs. 1 Z. 2).80 Konkretisiert wird dies in Abs. 1 Z. 3. Demnach genügt der Erwerb (zusammen mit bereits vorhandenen Anteilen) von 50 % oder 25 % des Kapitals oder der Stimmrechte der Gesellschaft. Die Verbundklausel des § 36 Abs. 2 GWB ist anzuwenden.81 An dieser Regelung fällt auf, dass 25 % der Anteile für sich allein normalerweise keinen bestimmenden Einfluss verschaffen, und dass auch die bloße Beteiligung am Kapital (ohne korrespondierende Stimmrechte) tatbestandsmäßig ist. Erklären lässt sich dies damit, dass ein Zusammenschluss nur dann zu untersagen ist, wenn erwartet werden muss, dass eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird (§ 36 Abs. 1 GWB). Die dafür erforderliche wettbewerbschädliche Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, also eine Verschlechterung der Marktstruktur, ist im Vertikalverbund ausgeschlossen, wenn das übergeordnete Unternehmen keinen bestimmenden Einfluss auf das Marktverhalten des untergeordneten hat.82 Nicht tatbestandsmäßig i.S.d. FKVO sind konzerninterne Veränderungen, also z.B. eine Fusion unter schon bisher kontrollierten Gesellschaften. Denn 79 Einzelheiten z.B. bei Immenga/Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1 EG/Teil 2, 4. Aufl (2007) Art. 3 FKVO Rn. 33 ff. 80 § 37 Abs. 1 Z. 2. In der Auffangklausel des § 37 Abs. 1 Z. 4 ist demgegenüber von „wettbewerblich erheblichen“ Einfluss die Rede. Kritisch dazu Bechtold GWB, 5. Aufl. (2008) § 37 Rn. 36 mit Erläuterung Rn. 37 ff. 81 Bechtold aaO (Fn. 80) Rn. 30 mit Hinweis auf die Materialien. 82 Von Kapitalbeteiligungen (ohne Stimmrechtesmacht) wird im Übrigen angenommen, auch sie könnten einen erheblichen faktischen Einfluss auf die Unternehmensführung begründen; s. Immenga/Körber aaO (Fn. 79) Art. 5 FKVO Rn. 50.

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auf der obersten Leitungsebene findet kein Kontrollwechsel statt.83 Nicht wesentlich anders liegen die Dinge im deutschen Recht. Zwar ist ein Zusammenschluss nach § 37 Abs. 2 GWB auch dann gegeben, wenn die beteiligten Unternehmen schon vorher zusammengeschlossen waren, aber nur dann, wenn er zu einer wesentlichen Verstärkung der bestehenden Unternehmensverbindung führt. Das wäre z.B. nicht der Fall (in dreigliedrigen Konzernen), wenn eine Abhängigkeit begründende Beteiligung von einer Tochter an die andere übertragen wird, wohl aber, wenn die Verbundspitze eine schon vorhandene Beteiligung in Höhe von 25 % auf 55 % aufstockt.84 Beide Rechtsordnungen berücksichtigen auf einleuchtende Weise, dass Veränderungen der Kontrollstruktur innerhalb polykorporativer Unternehmen wegen fehlender Auswirkungen auf den Markt keine wettbewerbsrechtlich erheblichen Zusammenschlüsse verwirklichen. b) Neben den soeben erörterten Aufgreifskriterien kennen beide Rechtsordnungen ein weiteres, an Mindestumsätzen orientiertes Erfordernis. Die FKVO definiert es in Art. 1 Abs. 1 und 2. Hier interessiert die „Verbundklausel“ des Art. 5 Abs. 4. Demnach sind den Umsätzen des am Zusammenschluss beteiligten Unternehmens Umsätze von Tochter- und Enkelunternehmen zuzurechnen.85 Der Grund besteht darin, dass nur so das wirtschaftliche Gewicht des Gesamtunternehmens zu erkennen ist. Der Begriff des Tochterunternehmens richtet sich ohne klar erkennbaren Grund anders als beim Kontrollbegriff des Art. 3 nach formalisierten, an die Konzernbilanzrichtlinie (im deutschen Recht § 290 Abs. 2 HGB) angelehnten Kriterien.86 Dennoch hat sich die Praxis mit überwiegender Zustimmung des Schrifttums nicht daran gehindert gesehen, Art. 5 Abs. 4 aus Art. 3 zu ergänzen.87 So wurde die Umsatzzurechnung z.B. (bei Fehlen einer Mehrheitsbeteiligung) auf die Hauptversammlungsmehrheit gestützt oder umgekehrt angenommen, dass auch bei Innehabung aller Anteile nicht zuzurechnen sei, wenn der Kapitalgeber nicht über entsprechende Kontrollmöglichkeiten verfügt. Aus teleologischer Sicht ist das nur konsequent. Die nach deutschem Recht erforderlichen Umsatzschwellen ergeben sich aus § 35 Abs. 1, 2 GWB. Umsätze des/der Zusammenschlussbeteiligten sind 83 Wie hier Immenga/Körber, aaO (Fn. 79) Art. 3 FKVO Rn. 13 m.N., wo konzerninterne Vorgänge als solche gekennzeichnet werden, die innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit stattfinden; s. auch schon Koppensteiner Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. (1997) § 20 Rn. 19, 10. 84 Wie hier Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. (2007) § 37 Rn 115 f., 120; Bechtold aaO (Fn. 80) § 37 Rn. 46. 85 Genauer Immenga/Körber aaO (Fn. 79) Art. 5 FKVO Rn. 49 (Übersicht), 56 ff. 86 Zur dort ebenfalls kritisierten Diskrepanz zwischen Art. 3 und 5 FKVO Immenga/ Körber aaO (Fn. 79) Rn. 53 f.; ebenso Art. 11 der Vertikal-VO bezüglich der in Art. 3 festgelegten Marktanteilsschwelle von 30 % (dazu Veelken in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG Teil 1, 4. Aufl. (2007) Vertikal-VO Rn. 151). 87 Dazu Immenga/Körber, aaO (Rn. 79), auch die Angaben in Rn. 56 ff.

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mit jenen verbundener Unternehmen i.S.v. § 36 Abs. 2 zu addieren.88 Diese Bestimmung verweist auf die §§ 17, 18 AktG und unterscheidet sich daher ebenfalls von dem Zusammenschlussbegriff des § 37. Unabhängig davon besteht der Zurechnungsgrund jedenfalls hier darin, dass herrschende und abhängige Unternehmen – sachgerecht – als Einheit gewertet werden. Konzerninterne Umsätze bleiben in beiden Rechtsordnungen außer Betracht (Art. 5. Abs. 1 S. 2 FKVO, § 38 As. 1 S. 2 GWB). Sie werden – wiederum sachgerecht – als nicht marktwirksame Innenumsätze behandelt. c) Verbotsvoraussetzung ist nach der FKVO, dass wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde. Dieser erst 2004 eingeführte sog. SIC- oder SLC-Test 89 ist an die Stelle des früheren Marktbeherrschungstests getreten (Art. 2 Abs. 3 FKVO).90 Marktbeherrschung ist aber immer noch („insbesondere“) Regelbeispiel. Insofern spielt der Marktanteil nach wie vor eine bedeutsame Rolle. Obwohl es im Unterschied zur Umsatzzurechnung nach Art. 5 FKVO an einer ausdrücklichen Regel fehlt, wird der Marktanteil abhängiger Unternehmen dem des zusammenschlussbeteiligten Unternehmens zugerechnet. Abhängigkeit in diesem Zusammenhang bedeutet, dass das übergeordnete Unternehmen das Marktverhalten des untergeordneten beeinflussen kann.91 Ein wesentlicher Unterschied zu § 17 AktG dürfte sich nicht ausmachen lassen. Nach § 36 Abs. 1 GWB hängt die Untersagungsvoraussetzung „marktbeherrschende Stellung“ schon von Gesetzes wegen (§ 19 Abs. 2 92) von Marktanteilen ab. Bei ihrer Ermittlung sind Konzernunternehmen sowie herrschende und abhängige Unternehmen i.S.d. §§ 17, 18 AktG wie bei der Umsatzzurechnung als ein einheitliches Unternehmen anzusehen (§ 36 Abs. 2). Die Auslegung der Bestimmung folgt aktienrechtlichen Grundsätzen 93 mit Ausnahme des auch hier nicht passenden Unternehmensbegriffes. Verbundinterne Lieferungen bleiben bei der Berechnung von Marktanteilen außer Betracht.94 Das ist die notwendige Konsequenz des Unternehmensverbundes als „wettbewerbliche Einheit“. 2.a) Auch bei der Feststellung von Marktbeherrschung nach Art. 102 AEUV kommt es, wie nicht anders zu erwarten, auf Marktanteile an. Sie sind unter Einbeziehung abhängiger Unternehmen zu ermitteln. Abhängigkeit 88

Dazu Mestmäcker/Veelken aaO (Fn. 84) § 38 Rn. 4; Bechtold aaO (Fn. 80) § 38 Rn. 3. Significant Impediment to Competition; Substantial Lessening of Competition. 90 Näher zu dieser Entwicklung und ihren Gründen Immenga/Körber aaO (Fn. 79) Art. 2 FKVO Rn. 2 ff. 91 Immenga/Körber aaO (Fn. 79) Rn. 229 mit Praxishinweisen. 92 Zur Maßgeblichkeit dieser Bestimmung auch für § 36 etwa Bechtold aaO (Fn. 80) § 36 Rn. 8. 93 Bechtold aaO (Fn. 80) Rn. 38. 94 Für die FKVO Immenga/Körber aaO (Fn. 79) Art. 2. FKVO Rn. 231; für das GWB Bechtold aaO (Fn. 80) § 19 Rn. 24. 89

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sollte in diesem Zusammenhang ebenso verstanden werden wie bei der Marktanteilszurechnung nach der FKVO.95 Für das deutsche Recht gilt Entsprechendes. Denn es ist kein Grund ersichtlich, die Verbundklausel des § 36 Abs. 2 GWB nicht auch für die Auslegung von § 19 heranzuziehen.96 b) Ob Marktmacht missbräuchlich eingesetzt wird, kann wiederum davon abhängen, ob Normadressaten Glied eines Unternehmensverbundes sind. So gilt das Diskriminierungsverbot z.B. dann nicht, wenn eine 100 %-ige Tochter gegenüber anderen Verbundgliedern benachteiligt wird. Kontrahierungszwang zu Gunsten externer Unternehmen kommt – von der essential facility doctrine eventuell abgesehen – nicht in Betracht, wenn Konzernprodukte ausschließlich über Konzerngesellschaften vertrieben werden.97 3. Verbundinterne Wettbewerbsbeschränkungen, also z.B. eine Marktabgrenzungsvereinbarung unter Konzerngliedern, sind nach allgemeiner Auffassung kartellrechtsimmun. Der Grund besteht darin, dass das Zustandekommen von Wettbewerb ein eigenes wirtschaftliches Interesse der Beteiligten und deren Fähigkeit voraussetzt, dieses Interesse in selbstbestimmte Markthandlungen umzusetzen. Einzelheiten der Tatbestandsbildung sind umstritten. Nach ausführlich dargelegter Auffassung des Verfassers 98 kommt es für das deutsche aber auch das europäische Recht auf Abhängigkeit (§ 17 AktG) einerseits, auf gesellschaftsrechtliche Einflussgrenzen andererseits an. Zu denken ist dabei an § 311 AktG oder das Schädigungsverbot bei der mehrgliedrigen GmbH.

VII. Firma, unlauterer Wettbewerb, Marken 1. Im Unternehmensverbund kann es erwünscht sein, seine Glieder (oder einen Teil) unter einem einheitlichen Schlagwort auftreten zu lassen. Die Zulässigkeit der dafür erforderlichen Lizenzen ist wegen § 23 HGB nicht 95 MünchKomm-Kartellrecht/Eilmansberger Bd. 1 (2007) Art. 82 Rn. 109; enger wohl Möschel in Immenga/Mestmäcker aaO (Fn. 86) Art. 82 Rn. 106 mit unzutreffender Berufung auf ein zu konzerninternen Wettbewerbsbeschränkungen ergangenes Urteil des EuGH. Dazu unter 3. 96 Möschel in Immenga/Mestmäcker aaO (Fn. 84) § 19 Rn. 59, wo Marktanteilszurechnung aber auch über die Grenzen von § 36 Abs. 2 hinaus für anwendbar gehalten wird. 97 Genauer zum Ganzen Koppensteiner wbl 2007, 465, 466 ff. (für europäisches und österreichisches Recht). Kritisch jetzt aber Ostendorf WuW 2008, 950, 958 ff. gegen den BGH. 98 Koppensteiner FS Mailänder (2006) 125 ff. mit Diskussion des Meinungsstandes; zur Zurechnung bei der Verhängung von Bußgeldern ebendort 136 ff. Ähnlich wie hier Zimmer in Immenga/Mestmäcker aaO (Fn. 86) § 1 Rn. 132 ff. Kürzlich hat das BKartA auf der Grundlage von § 130 OWiG eine Geldbuße gegen eine Konzernmutter wegen kartellrechtswidrigem Verhalten zweier Tochtergesellschaften festgesetzt. Dazu (kritisch) Koch, AG 2009, 564 ff.

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unproblematisch, infolge Fehlens der Irreführungseignung aber doch zu bejahen, wenn eine wirtschaftliche Einheit vorliegt.99 Das ist beim Konzern des § 18 AktG der Fall, jedenfalls dann, wenn dieser Begriff, m.E. richtig, eng verstanden wird.100 Auf den dort maßgeblichen Unternehmensbegriff kommt es aus offensichtlichen teleologischen Gründen dagegen auch hier nicht an. 2. Das UWG verlangt eine „geschäftliche Handlung“. Eine solche setzt Verhalten auf dem Markt voraus und liegt daher bei rein innerbetrieblichen Maßnahmen nicht vor. Entsprechendes gilt für konzerninterne Handlungen.101 Weitere lauterkeitsrechtliche Konsequenzen von Verbundsachverhalten ergeben sich im Irreführungsrecht, z.B. dann, wenn mit „eigener“ Fabrik geworben wird, aber Eigentümer der Fabrik nicht der Beklagte, sondern ein konzernverbundenes Unternehmen ist.102 Wo es auf Marktfolgen einer Handlung ankommt,103 spielt die Marktmacht des Beklagten eine häufig entscheidende Rolle. Sie kann wie im Kartellrecht zutreffend nur unter Berücksichtigung des Konzernzusammenhangs gewürdigt werden.104 Mehrfachklagen durch Gliedgesellschaften des Konzerns wegen desselben Sachverhalts sind unzulässig, wenn dies nicht sachlich gerechtfertigt ist.105 Umgekehrt, dann nämlich, wenn ein einheitlicher Wettbewerbsverstoß durch mehrere Konzerngesellschaften begangen wurde, gilt Entsprechendes.106 Im Rahmen von § 8 Abs. 2 UWG können Wettbewerbsverstöße abhängiger dem herrschenden Unternehmen zuzurechnen sein.107 Was unter einem Konzern im Lauterkeitsrecht zu verstehen ist, wurde bisher, so weit ich sehe, nicht näher untersucht. Ohne Differenzierungen zwischen den einzelnen Fallgruppen von vorneherein auszuschließen, wird jedenfalls zu fragen sein, ob das Marktverhalten der Verbundglieder zentral gesteuert wird. Denn dieses Kriterium dürfte geeignet sein, die mitgeteilten Besonderheiten zu erklären. Abhängigkeit gemäß § 17 AktG reicht nicht aus. Ein Konzern i.S.v. § 18 AktG braucht aber auch nicht vorzuliegen.

99 S. Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 92 m.N. Vgl. den Sachverhalt vom OLG Düsseldorf, NZG 2008, 195. 100 Dazu Koppensteiner, aaO (Fn. 3) § 18 Rn. 15 ff., 22 ff. 101 Harte/Henning/Keller, § 2 Rn. 20; Beater, Unlauterer Wettbewerb (2002) 306. 102 S. Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 94 m.N. und weiteren Beispielen. Der österreichische OGH hat die Vortäuschung von Wettbewerb unter Konzerngliedern beanstandet (wbl 2006, 145). 103 Näher dazu Koppensteiner WRP 2007, 475, 476 ff. 104 S. Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 95. 105 S. OLG Frankfurt GRURInt 2006, 247; w.N. bei Koppensteiner aaO (Fn. 3) Rn. 97; genauer Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. (2009) § 8 UWG Rn. 4.16. 106 BGH GRUR 2006, 243; OLG Hamburg, GRUR 2006, 956; Köhler aaO (Fn. 105) Rn. 4.16.; zu einer Ausnahme OLG Frankfurt GRUR 2006, 247. 107 Hefermehl/Köhler/Bornkamm aaO (Fn. 105) § 8 UWG Rn. 2.45; s. auch OG Luzern SZW 2005, 317. Mit Recht ablehnend für Schwestergesellschaften öOGH, ecolex 2006, 769.

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3. Obwohl der Konzern mangels Rechtssubjektivität selbst nicht markenfähig ist,108 gibt es ein Recht der „Konzernmarke“.109 So ist irreführender Markengebrauch wie im UWG zu verneinen, wenn gekennzeichnete Ware nicht aus dem Betrieb des markenführenden Unternehmens, wohl aber von einem anderen Konzernglied stammt. Die Löschungsklage wegen Nichtbenutzung ist abzuweisen, wenn die Marke mit Zustimmung des Markeninhabers in einem anderen Teil des Verbunds gebraucht wurde.110 So lange die Ware nur Gegenstand des konzerninternen Geschäftsverkehrs ist, ist sie nicht in Verkehr gebracht. Anderenfalls erschöpft sich das Recht auch dann, wenn nicht die markenberechtigte Mutter-, sondern eine dazu ermächtigte Tochtergesellschaft veräußert hat (§ 24 Abs. 1 MarkenG). Die Anerkennung von Verwechslungsgefahr im weiteren Sinn 111 impliziert, dass sich die Zeichenaussage auf eine Gruppe von Unternehmen richten darf, also die Zulässigkeit der Konzernmarke. Die sonst mögliche Abschwächung der Kennzeichnungskraft einer von mehreren Unternehmen verwendeten Marke tritt nicht ein, wenn Gliedunternehmen eines Konzerns nach Außen als wirtschaftliche Einheit auftreten. Entsprechend der Rechtslage im UWG kann der Herrschaftsträger wegen Markenverletzung durch ein abhängiges Unternehmen in Anspruch genommen werden.112 Der markenrechtlich relevante Konzernbegriff kann bis heute nicht als abschließend geklärt gelten. Einigermaßen gesichert ist aber, dass der übergeordnete Rechtsträger kein Unternehmen im aktienrechtlichen Verständnis zu sein braucht, ferner, dass einheitliche Leitung i.S.d. § 18 AktG nicht erforderlich ist, schließlich auch, dass die Vermutung des § 18 Abs. 1 S. 3 nicht eingreift. Das ergibt sich m.E. zwingend daraus, dass sich die genannten Kriterien aus markenrechtlicher Sicht nicht begründen lassen.113 Umgekehrt dürfte klar sein, dass die angeführten Beispiele konzernmarkenrechtlicher Sachverhalte doch allesamt nur verständlich sind, wenn der Markengebrauch

108 Vgl. aber Fezer Markenrecht, 4. Aufl. (2009) § 3 Rn. 160 ff.; kritisch dazu Busche GS Sonnenschein (2003) 743, 756 f. 109 S. Koppensteiner aaO (Fn. 3) Vorb. § 15 Rn. 98 ff. m.N. 110 S. § 26 Abs. 2 MarkenG. Im Vertikalkonzern ist eine solche Zustimmung zu vermuten. Zutreffend Busche aaO (Fn. 108) 793; s. auch Ströbele/Hacker Markengesetz, 9. Aufl. (2009) § 26 Rn. 83 m.w.N. 111 Die beteiligten Verkehrskreise erkennen, dass die Zeichen führenden Unternehmen nicht identisch sind, schließen aus der Ähnlichkeit der Zeichen aber auf besondere Nahebeziehungen wirtschaftlicher oder organisatorischer Art. 112 BGH GRUR 2005, 864 bei Einbindung der Tochter in den Vertrieb der Mutter. Zur Parallelfrage in patentrechtlichen Kontext C. Buxbaum GRUR 2009, 240, 242 ff. in Anknüpfung an eine Entscheidung des OLG Düsseldorf. 113 Näher und trotz Änderung der Gesetzeslage (Aufgabe der Verknüpfung von Markeninhaberschaft und Geschäftsbetrieb) nicht überholt Koppensteiner GRUR 1972, 394, 400 ff. Wie hier auch Busche aaO (Fn. 108) 747.

Konzerne und Abhängigkeitslagen jenseits des Gesellschaftsrechts

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im Konzern zentral gesteuert, insofern also einheitlich geleitet wird.114 Das setzt entsprechende Einflussmöglichkeiten voraus. Ob diese gesellschaftsrechtlich abgesichert sein müssen, wird aber doch eher zu verneinen sein. Auch auf der Grundlage bloß wirtschaftlicher Abhängigkeit 115 kann der herrschende Rechtsträger darüber entscheiden, ob und wie seine Marken verwendet werden.116 Ob sich der Unternehmensverbund nach außen als wirtschaftlich einheitliches Unternehmen präsentiert, ist in manchen, aber nicht in allen Fällen erheblich.

VIII. Fazit 1. Für die Mehrzahl der angesprochenen Regelungsfelder hat sich gezeigt, dass das Gesetz Konzerne und Abhängigkeit in Gestalt ausdrücklicher Verweisungen berücksichtigt. Dabei fällt auf, dass ohne immer erkennbaren Grund einmal die §§ 17, 18 AktG, in anderen Fällen § 290 HGB maßgeblich sein sollen. Praktisch wirkt sich das aber nicht aus, weil auch § 290 Abs. 2 HGB Abhängigkeit wie in § 17 AktG voraussetzt. 2. Normativ ausschlaggebend ist überwiegend, ob eine Gesellschaft abhängig ist. Dahinter steht aber entsprechend § 18 Abs. 1 S. 3 AktG regelmäßig die Annahme, dass vorhandene Beherrschungsmöglichkeiten auch genutzt werden. Nur so lässt sich z.B. die Stimmenzurechnung schon bei Abhängigkeit überzeugend begründen. Denn letzten Endes kommt es in diesem Zusammenhang aus teleologischer Sicht darauf an, dass im Verbund insgesamt vorhandene Stimmen koordiniert eingesetzt werden. Auch wenn dies zutrifft, kann allerdings nicht ohne weiteres auf das Vorhandensein eines Konzerns geschlossen werden. Denn einheitliche Leitung setzt auch bei (m.E. unrichtiger) Annahme eines weiten Konzernbegriffes mehr voraus als die Koordination der Stimmabgabe zwischen herrschenden Rechtsträgern und abhängigen Unternehmen. Daraus erklärt sich, warum das Gesetz im hier interessierenden Zusammenhang „nur“ Abhängigkeit, also keinen Konzern verlangt. 3. Wo wie in § 5 MitbestG nur auf § 18 Abs. 1 AktG verwiesen wird, geschieht dies, weil die Bestimmung ohne tatsächlich ausgeübte einheitliche Leitung ihren Sinn einbüßen würde. Denn Mitbestimmung in der Konzern-

114 Für eine methodisch interessante Parallele im Immissionsschutzrecht (allgemeiner: in betreiber- und anlagebezogenen Gesetzen) s. die Ausführungen von Spindler aaO (Fn. 3) 569 ff.: Konzernspitze als Betreiberin der Anlage, wenn sie die abhängige Gesellschaft gerade im Hinblick auf Anlagen intensiv beherrscht (genauer wohl: leitet). Der aktienrechtliche Konzernbegriff wird denn auch explizit für unmaßgeblich gehalten. 115 Beschreibung relevanter Sachverhalte bei Koppensteiner aaO (Fn. 3) § 17 Rn. 58. 116 Anders wie hier Busche aaO (Fn. 108).

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spitze unter Beteiligung von Repräsentanten abhängiger Unternehmen wird gerade deshalb angeordnet, weil wesentliche Entscheidungen „oben“ getroffen werden. 4. Von dem in den §§ 17, 18 AktG zu Grunde gelegten aktienrechtlich geprägten Unternehmensbegriff abgesehen, sind Bestimmungen, die auf diese (oder auf § 290 HGB) verweisen, im Großen und Ganzen so auszulegen wie in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich. Für die im Arbeitsrecht überwiegend befürwortete Möglichkeit des „Konzerns im Konzern“ gilt dies zwar nicht. Sie, insbesondere § 5 Abs. 3 MitbestG, ist aber auf spezifisch mitbestimmungspolitische Erwägungen zurückzuführen. Einen Sinn macht der „Konzern im Konzern“ jedenfalls nur dann, wenn anders als in § 18 AktG ein weiter Konzernbegriff zu Grunde gelegt wird. 5. Wo der Verbundzusammenhang trotz Fehlens von Verweisungsnormen juristisch bedeutsam wird, spielen die Definitionen in den §§ 17, 18 AktG eine unterschiedliche Rolle. Bei der Privilegierung verbundinterner Wettbewerbsbeschränkungen ist zwar keine „wirtschaftliche Einheit“, immerhin aber Abhängigkeit zu verlangen. Die Lizenz von Firmenschlagworten setzt einen Konzern voraus. Im UWG und im Markenrecht kommt es zwar auf einheitliche Leitung an, aber nur in einem Segment, also nicht i.S.v. § 18 AktG. Im Regelfall wird sich solche Leitung nur auf der Grundlage von Abhängigkeit nach § 17 AktG realisieren lassen. 6. Die vorliegende Untersuchung hat sich bemüht, wenn auch nur an Hand die Problematik überhaupt nicht erschöpfender Beispiele, einer Antwort auf die Frage näher zu kommen, ob es ein einheitliches Konzept des rechtlich relevanten Unternehmensverbundes gibt. Diese Frage ist, wie eingangs schon vermutet, zu verneinen. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass die Begriffe der aktien- (und rechnungslegungsrechtlichen) Abhängigkeit sowie des Konzerns im Rahmen ausdrücklicher Verweisungen zumeist ausschlaggebend bedeutsam sind. Auch in anderen Fällen, so bei der Firmenlizenz oder beim Thema Verwässerungsgefahr, kommt es darauf an. Sonst liegt es juristisch anders; rein faktisch wird aber meistens Abhängigkeit vorliegen. Insofern lässt sich doch sagen, dass die §§ 17, 18 AktG den Kern eines Gesamtrechts verbundener Unternehmen ausmachen.

Compliance-Pflichten von Vorstandsmitgliedern und Aufsichtsratsmitgliedern Michael Kort I. Vorstandsmitglieder 1. Compliance als Leitungsaufgabe a) Legalitäts- und Organisationspflicht Nach § 76 AktG leitet der Vorstand der AG die Gesellschaft und führt ihre Geschäfte. Es ist heute einhellige Auffassung, dass die Compliance zu den Leitungsaufgaben des Vorstands gehört.1 Corporate Compliance ist somit nicht etwa nur „Kür“, sondern „Pflicht“ des Vorstands.2 Der Begriff der Compliance ist nach wie vor schillernd.3 Compliance weist Berührungspunkte zur Corporate Governance und zum Risikomanagement auf.4 Gegenüber dem Versuch, die Compliance als Bestandteil unternehmensinterner Qualitätssicherungssysteme zu betrachten,5 ist hingegen Zurückhaltung geboten, da dieser betriebswirtschaftliche Terminus nicht die Rechtsfolgen bestimmen kann, die aus Compliance-Pflichten resultieren. Unter Compliance soll im Folgenden zum einen die Pflicht verstanden werden, sich selbst norm- und regelgerecht zu verhalten, also die sogenannte Legalitätspflicht 6, zum anderen aber auch die Pflicht, für eine solche Organisation von Verantwortlichkeitsstrukturen im Unternehmen zu sorgen, dass 1

So schon Uwe H. Schneider ZIP 2003, 645, 647 f.; ferner Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65, 73; Hauschka Compliance – Praktische Erfahrungen und Thesen – in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 51, 52; Spindler WM 2008, 905, 909; Veil WM 2008, 1093, 1095 f.; Campos Nave/Bonenberger BB 2008, 734; Bergmoser/Theusinger/Gushurst BB Special 5 zu BB 2008, Heft 25, S. 1, 6; Hegnon CCZ 2009, 57; Reichert/Ott ZIP 2009, 2173; monographisch Geiser Leitungspflichten des Vorstandes in der AG, 2010. 2 Bürkle BB 2005, 565. 3 Dazu Bergmoser/Theusinger/Gushurst aaO (Fn. 1) S. 1. 4 Dazu allg. Kort NZG 2008, 81. 5 So Runte in Bürgers/Körber (Hrsg.), AktG, § 161 Rn. 55 ff. 6 Dazu näher Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 76 ff.; Liese BB Special 5 zu BB 2008, Heft 25, S. 17, 18; Bayer in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 85, 88 ff.; Hauschka AG 2004, 461, 465 f.; Reichert/Ott ZIP 2009, 2173; Lutter in FS Hüffer, 2010, S. 617; Meier-Greve BB 2009, 2555.

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allgemein die Möglichkeit, sich norm- und regelgerecht zu verhalten, gewährleistet ist, also die sogenannte Organisationspflicht 7. Die Vorstandsmitglieder sind verpflichtet, ein Compliance-System zu etablieren, das die Regelbefolgung im Unternehmen gewährleistet. Dieses Compliance-System muss nicht nur der Information über bestehende Regeln dienen, sondern vor allem auch der Kontrolle der Regeleinhaltung. b) Deutscher Corporate Governance Kodex Seit 2007 enthält der Deutsche Corporate Governance Kodex den Versuch einer Definition von Compliance. Dort heißt es in Ziffer 4.1.3: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance).“ Wenn der DCGK ausführt, der Vorstand habe für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen, so soll das heissen, dass Compliance-Pflichten nicht nur die Einhaltung von staatlich gesetztem Recht gebieten, sondern auch die Einhaltung unternehmensinterner Richtlinien, also von Richtlinien, die vom Unternehmen selbst aufgestellt worden sind, zum Beispiel so genannte Ethik-Richtlinien, die Verhaltensanweisungen sind. Wenn der DCGK davon spricht, dass der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien „zu sorgen“ hat, ist damit nicht nur gemeint, dass die Vorstandsmitglieder selbst die gesetzlichen Bestimmungen und die unternehmensinternen Richtlinien einhalten müssen, sondern es ist damit auch gemeint, dass die Vorstandsmitglieder Compliance so organisieren müssen, dass für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien nicht nur durch sie selbst, sondern auch durch alle Arbeitnehmer der Aktiengesellschaft gesorgt ist. Der Kodex enthält aber keine Ausführungen dazu, wie der Vorstand der Compliance im Einzelnen genügen soll.8 Das ist eine sinnvolle Selbstbeschränkung, denn jegliche konkrete RegelVorgabe für Compliance, selbst wenn es sich nur wie im Kodex um soft law handeln sollte, ist angesichts der bunten Vielfalt von Erscheinungsformen der Aktiengesellschaft unangebracht. Vielmehr sollte es der Betriebswirtschaft vorbehalten bleiben, „Regieanweisungen“ für gute Compliance zu geben,9 so 7 Bürkle aaO (Fn. 2) 565, 567; Liese aaO (Fn. 6) S. 17, 18; zu den strafrechtlichen Konsequenzen der Verletzung von Organisationspflichten Spindler in Fleischer (Hrsg.), Handbuch Vorstandsrecht, 2006, § 15 Rn. 67 ff. 8 Spindler in MünchKomm AktG, 3. Aufl., 2008, § 91 Rn. 37; Liese BB aaO (Fn. 6) S. 17, 20; Bergmoser/Theusinger/Gushurst aaO (Fn. 1) S. 1, 5. 9 Dazu zB die Überlegungen von Bergmoser/Theusinger/Gushurst aaO (Fn. 1) S. 1, 8 ff.

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etwa bei der Entwicklung eines aus den fünf Elementen der Risikoanalyse, des Commitment, der Organisation, der Kommunikation und der Dokumentation bestehenden Compliance-Modells.10 Die Rechtswissenschaft hingegen sollte den im Ergebnis zum Scheitern verurteilten Versuch unterlassen, zusätzlich zur Schaffung eines mehr oder minder zwingenden rechtlichen Rahmens auch noch konkrete Vorgaben für gute Compliance machen zu wollen.11 c) Gesetzliche Regelung der Compliance? Erst recht ist vor dem Ruf nach dem Gesetzgeber zwecks Regelung von Compliance-Pflichten zu warnen.12 Dem steht, abgesehen von rechtspraktischen Überlegungen, dass bei der Statuierung von Compliance-Pflichten nicht alles über einen Leisten geschlagen werden kann,13 die grundsätzliche Überlegung entgegen, dass die Freiheit des Unternehmers zur Unternehmensorganisation verfassungsrechtlich geschützt ist (Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG).14 2. Unternehmensinteressenbezug der Erfüllung von Compliance-Pflichten Compliance ist jedenfalls außerhalb des teilweise spezialgesetzlich geregelten Bereichs des Wertpapierdienstleistungs- und Versicherungssektors keine Veranstaltung im Interesse des Allgemeinwohls. Compliance dient vielmehr ausschließlich der Verfolgung des Unternehmensinteresses.15 Anders liegen die Dinge teilweise im Wertpapierdienstleistungs- und Versicherungssektor: Während dort bei der Compliance aufsichtsrechtliche Fragen und damit Gemeinwohlfragen sowie weitere kapitalmarktrechtliche Fragen eine gewisse Rolle spielen,16 ist das bei der Compliance in nicht spezialgesetzlich geregelten Wirtschaftsektoren nicht der Fall. Dort können Interessen der

10 Dazu Hauschka Compliance – Praktische Erfahrungen und Thesen – aaO (Fn. 1) S. 51, 57 ff. 11 Bachmann in Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 76 warnt zu Recht vor einer „Verbetriebswirtschaftlichung des Organisationsrechts“; s. auch schon Kort in Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Großkommentar, 4. Aufl., 2003, § 76 Rn. 38. 12 So auch Hauschka Compliance – Praktische Erfahrungen und Thesen – aaO (Fn. 1) S. 51, 63. 13 Dazu schon Hauschka ZIP 2004, 877, 878 sowie Bürkle BB 2005, 565. 14 Spindler WM 2008, 905, 909. 15 Casper in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 199, 208; angedeutet auch bei Hauschka Compliance – Praktische Erfahrungen und Thesen aaO (Fn. 1) S. 51, 52. 16 Dazu Veil WM 2008, 1093, 1096 f. mit dem fragwürdigen Ergebnis, der ComplianceBeauftragte sei bei Wertpapierdienstleistungsunternehmen „Unternehmensbeauftragter“.

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Allgemeinheit für die Compliance nur insofern eine Rolle spielen, als sie in das Unternehmensinteresses einfließen. 3. Vorstandsmitglieder als ex lege Verpflichtete Aus dem Umstand, dass Compliance-Pflichten Leitungsaufgaben des Vorstands sind, folgt erstens, dass sie sowohl den Vorstand als Gesamtorgan als auch die einzelnen Vorstandsmitglieder als Organmitglieder der Gesellschaft Compliance-Pflichten treffen. Die Vorstandsmitglieder der AG sind somit Adressaten von Compliance-Pflichten. Compliance-Pflichten sind deshalb ohne weiteres, also ohne dass es einer entsprechenden privatautonomen Regelung, etwa in der Satzung oder in den Anstellungsverträgen, bedürfte, originäre gesellschaftsrechtliche Pflichten des Vorstands und seiner Mitglieder. 4. Keine Möglichkeit der vollständigen Entäußerung von Compliance-Pflichten Zweitens folgt aus der Feststellung, dass Compliance-Pflichten originäre Leitungsaufgaben des Vorstands sind, dass sich der Vorstand als Gesamtorgan nicht der Compliance-Pflichten vollständig entäußern kann. Der Vorstand kann also nicht Compliance-Aufgaben vollständig unter Aufgabe der eigenen Verantwortung einem unternehmensinternen oder unternehmensexternen Compliance-Officer, einem oder mehreren (sonstigen) ComplianceBeauftragten, einem Compliance Committee, einem sonstigen Ausschuss oder der Rechtsabteilung oder der Revisionsabteilung überlassen und die Hände quasi in den Schoß legen. 5. Aber: Recht und möglicherweise Pflicht zur arbeitsteiligen Organisation von Compliance a) Möglichkeit der horizontalen Delegation Nun mag jedoch je nach der Struktur des Unternehmens aus den Compliance-Pflichten des Vorstands sogar die Pflicht zur arbeitsteiligen Organisation der Erfüllung von Compliance folgen. Es ist nicht gesellschaftsrechtlich untersagt, dass eine mehr oder minder weitgehende Verlagerung von Compliance-Aufgaben vom Gesamt-Vorstand auf andere Akteure erfolgt.17 So finden sich in vielen größeren Aktiengesellschaften Regelungen, die den Bereich der Compliance und die damit verbundenen Compliance-Pflichten einem Vorstandsmitglied oder mehreren bestimmten Vorstandsmitgliedern

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Fleischer CCZ 2008, 1, 3; Liese aaO (Fn. 6) S. 17, 21.

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zuweisen. Es erfolgt also eine horizontale Delegation. Ein zwingendes Gebot zu einer derartigen arbeits- oder aufgabenteiligen Organisation des Vorstands in Hinblick auf Compliance-Pflichten besteht aber nicht durchgängig. Auch bei großen börsennotierten Aktiengesellschaften ist es gesellschaftsrechtlich nicht zwingend geboten, die Compliance einem bestimmten Vorstandsmitglied zuzuweisen. b) Grundsatz der Gesamtverantwortung Erfolgt eine solche Zuweisung, fragt sich, was daraus für die CompliancePflichten der anderen Vorstandsmitglieder folgt. Es entspricht zunehmend herrschender Auffassung, dass angesichts des Grundsatzes der Gesamtverantwortung der Vorstandsmitglieder eine Zuweisung der Compliance-Aufgaben an bestimmte Vorstandsmitglieder im Rahmen der Geschäftsverteilung im Vorstand nicht dazu führen kann, dass die anderen Vorstandsmitglieder aus der Verantwortung für die Compliance entlassen würden. Vielmehr folgt aus dem Grundsatz der Gesamtverantwortung der Vorstandsmitglieder, dass auch die nicht primär für die Compliance zuständigen Vorstandsmitglieder ihre primär für die Compliance zuständigen Vorstandskollegen beobachten müssen und ggf. gegen deren Verstöße vorgehen müssen, seien es Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Compliance, Verstöße gegen Überwachungspflichten oder sogar eigene Regelverstöße der für die Compliance primär zuständigen Vorstandsmitglieder (Prinzip der Restverantwortung neben der Ressortverantwortung).18 Diese Pflicht zur Beobachtung und Kontrolle der anderen Vorstandskollegen kann allerdings nicht soweit reichen wie die ohne privatautonome Regelung allen Vorstandsmitgliedern gleichmäßig obliegende Leitungsaufgabe der Compliance selbst, da andernfalls die Möglichkeit der Geschäftsverteilung im Vorstand im Ergebnis aufgehoben würde. Eine allgemeine, unbeschränkte gegenseitige Überwachungspflicht gibt es im Kollegialorgan „Vorstand“ nicht.19 Ein Mindestmaß an gegenseitiger Kontrolle der Vorstandsmitglieder ist hingegen essentieller Bestandteil des Grundsatzes der Gesamtverantwortung der Vorstandsmitglieder bei Leitungsaufgaben des Vorstands.20 Der in den letzten Jahren bei Compliance-Verstößen häufig anzutreffende Einwand vieler betroffener Vorstandsmitglieder, man habe nichts von Regelverstößen gewusst, da die Compliance in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Vorstandskollegen falle, steht insofern auf tönernen Füßen.

18 Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Priester, 2007, S. 713, 717 f.; auch Fleischer in Fleischer (Hrsg.), Handbuch Vorstandsrecht, 2006, § 8 Rn. 9 f. 19 Hauschka AG 2004, 461, 462. 20 J. Wagner CCZ 2009, 8, 14.

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c) Keine Sonderstellung des Vorstandsvorsitzenden Bisweilen wird bei der Diskussion über die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder für die Compliance auch die Frage aufgeworfen, ob dem Vorstandsvorsitzenden, neudeutsch: dem CEO, eine besondere Rolle zukommt. Diese Frage ist auf der Basis allgemeiner gesellschaftsrechtlicher Überlegungen zu verneinen: Der Vorstandsvorsitzende ist nach deutscher Rechtsauffassung lediglich primus inter pares und insofern gerade kein CEO US-amerikanischen Stils, ihm obliegen in Hinblick auf die Compliance von Gesetzes wegen keine besonderen Pflichten, die über die Pflichten gewöhnlicher Vorstandsmitglieder hinausgehen.21 d) Vertikale Delegation In der Aktiengesellschaft muss die Compliance nicht als umfassende Pflicht aller oder einzelner Vorstandsmitglieder vorgesehen werden, sondern es kann auch eine Delegation von Compliance-Aufgaben an interne oder externe Personen erfolgen,22 also eine vertikale Delegation. Der Gesamtvorstand oder das für die Compliance primär verantwortliche Vorstandsmitglied muss die Compliance-Aufgaben nicht umfassend selbst erledigen (und wird dazu bei Großunternehmen auch gar nicht in der Lage sein), sondern kann diese Aufgaben großteils delegieren.23 Die Grenze für eine Delegation ist allerdings erreicht, wenn es um den Kernbereich der Aufgaben geht, für die der Vorstand als Leitungsorgan zuständig ist. So ist etwa die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten von überragender Bedeutung nicht delegierbar.24 Jedoch ist eine partielle Delegation durchaus auch im Bereich der Leitungsaufgaben des Vorstands denkbar. Es gibt insofern kein allgemeines „Delegationsverbot“ bei Leitungsaufgaben des Vorstands.25 Das gilt auch für die Compliance.26 Die Delegation der Compliance-Aufgaben an speziell dafür vorgesehene Mitarbeiter, also Angestellte des Unternehmens, oder auch an externe Dritte, etwa Rechtsanwälte, hat allerdings nicht die Entäußerung der Verantwort21 S. allgemein für Überwachungspflichten des Vorstandsvorsitzenden Fleischer aaO (Fn. 18) Rn. 23. 22 Zu dieser Möglichkeit Bürkle in Hauschka (Hrsg.), Corporate Compliance, 2007, § 8 Rn. 36 ff. 23 Spindler in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 91 Rn. 38; Kremer/Klahold ZGR 2010, 113, 125. 24 Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Priester, 2007, S. 713, 720; Froesch DB 2009, 722, 724. 25 Dazu die sorgfältig differenzierende Analyse von Seibt in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1463. 26 Insofern tendenziell aA Kiethe GmbHR 2007, 393, 394 („Corporate Compliance … darf keine Beeinträchtigung durch Outsourcing-Maßnahmen erfahren.“).

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lichkeit der Vorstandsmitglieder zur Folge. Die Vorstandsmitglieder dürfen insbesondere keine Compliance-Strukturen schaffen, bei denen nicht gewährleistet ist, dass die Compliance-Verantwortlichen an die zuständigen Vorstandsmitglieder mit Informationen und Rückfragen herantreten können. Bei der Delegation von Compliance-Aufgaben an Mitarbeiter oder an externe Dritte ist die Pflichtentrias von Auswahl-, Einweisungs- und Überwachungspflichten27 zu beachten. Verstoßen die Vorstandsmitglieder gegen diese Pflichten, sind sie möglicherweise haftbar. Die bei entsprechender Geschäftsverteilung nicht für die Compliance zuständigen Vorstandsmitglieder haben bei einer Delegation der Compliance durch ihre für Compliance-Fragen zuständigen Kollegen die Pflicht, die zuständigen Kollegen bei der Auswahl und Überwachung derjenigen Personen, an die Compliance-Aufgaben delegiert werden, ihrerseits in dem bereits beschriebenen Ausmaß zu überwachen. e) Recht des Vorstands auf Wiedereinräumung von Compliance-Funktionen Unabhängig davon, ob und inwiefern der Vorstand Compliance-Verantwortung an Arbeitnehmer oder externe Dritte delegiert, gebietet der Grundsatz der Unveräußerlichkeit des Rechts und der Pflicht zur Leitung des Unternehmens nicht nur – wie bereits ausgeführt –, dass den Vorstand eine Auswahl-, Einweisungs- und Überwachungspflicht in Hinblick auf diejenigen trifft, an die delegiert worden ist, sondern auch, dass gewährleistet sein muss, dass der Vorstand über alle Compliance-relevanten Umstände informiert wird sowie das Recht hat, Compliance-Verantwortung stets wieder an sich zu ziehen.28 Dieses Recht, Compliance-Verantwortung zulasten derjenigen, denen die Compliance-Verantwortung übertragen worden ist, wieder an sich zu ziehen, ist angesichts des Gebots einer gewissen Unabhängigkeit der Compliance-Verantwortlichen nicht unproblematisch, ist aber Ausfluss des Prinzips der unveräußerlichen (Gesamt-)Verantwortung der Vorstandsmitglieder für die Leitung des Unternehmens. Das Recht, die Compliance-Verantwortung wieder zu übernehmen, muss der Vorstand ggf. arbeitsvertraglich gegenüber Mitarbeitern oder schuldvertraglich gegenüber externen Dritten absichern, soweit diese für Compliance zuständig sind. Ein Recht des Vorstands auf Wiedereinräumung der Compliance-Verantwortung besteht allerdings selbstverständlich nicht, falls Vorstandsmitglieder mit dem Wiederansichziehen von Compliance-Aufgaben rechtsmissbräuchlich versuchen sollten, eigene Compliance-Verstöße zu verdecken oder Rechtsfolgen dieser Verstöße zu verhindern. 27 28

Uwe H. Schneider/Brouwer aaO. Lösler WM 2008, 1098, 1104.

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6. Haftung von Vorstandsmitgliedern als Compliance-Verantwortliche a) Pflichtverletzung Ist der Compliance-Verantwortliche Vorstandsmitglied einer AG, kann eine Innenhaftung nach § 93 AktG gegenüber der Gesellschaft in Betracht kommen. Die Voraussetzungen für eine solche Haftung können in Hinblick auf die einzelnen Vorstandsmitglieder unterschiedlich sein, wenn eine arbeitsteilige Verantwortung für Compliance im Vorstand vorgesehen ist. So fragt sich je nach Geschäftsverteilung im Vorstand, ob das betreffende Vorstandsmitglied selbst seine eigene Pflicht zur Compliance durch Handeln oder durch Unterlassen verletzt hat, oder ein angesichts der Geschäftsverteilung im Vorstand nicht primär für die Compliance zuständiges Vorstandsmitglied die für die Compliance verantwortlichen Vorstandsmitglieder nicht gehörig überwacht und kontrolliert hat oder bei Erkennen von Verstößen der primär Compliance-verantwortlichen Vorstandsmitglieder nicht gehörig auf das Abstellen dieser Verstöße hingewirkt hat. Ferner sind die allgemeinen Normen der Geschäftsleiterhaftung anwendbar, so etwa § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG für die Darlegungs- und Beweislast. Diesbezüglich gelten zwar keine Compliance-spezifischen Sonderregeln. Jedoch kann etwa der Nachweis, dass angebrachte Compliance-Maßnahmen zumindest „auf dem Papier“ ergriffen worden sind, dazu führen, dass die Beweislast für einen Compliance-Verstoß dem Anspruchsteller auferlegt wird.29 Auch für die Versicherbarkeit etwa im Rahmen einer D&O gelten die allgemeinen Regeln und keine Compliance-spezifischen Regeln. b) Anwendung der business judgment rule aa) Nichtanwendbarkeit der business judgment rule Die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG normativ verankerte business judgment rule30 spielt bei der Erfüllung von Vorstandspflichten im Bereich der Compliance eine wichtige Rolle.31 Die business judgment rule besagt bekanntlich, dass Vorstandsmitglieder bei entsprechender ordnungsgemäßer Informiertheit einen recht breiten Ermessensspielraum bei unternehmerischen Entscheidungen haben. Es besteht aber Einigkeit, dass die business judgment rule als safe harbor 32 nur in Betracht kommt, wenn es nicht um Rechts- oder 29 Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 85; ähnlich Spindler WM 2008, 905, 915. 30 Dazu näher Hopt/Roth in Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Großkommentar, 4. Aufl. 2006, § 93 Abs. 1 Satz 2 n.F. Rn. 1 ff. 31 KölnerKomm AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2010, § 91 Rn. 36; Spindler WM 2008, 905, 909. 32 Hopt/Roth aaO (Fn. 30) Rn. 10 ff.

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Regelverstöße geht.33 Daher scheidet für den hier interessierenden Bereich der Compliance eine Anwendung der business judgment rule aus, wenn Vorstandsmitglieder ihrerseits gegen Normen oder normgleiche Regeln (wie etwa anerkannte Rechtsprechungsregeln) verstoßen. Ein ordnungswidrig, kartellrechtswidrig oder umweltrechtswidrig handelndes Vorstandsmitglied kann sich unter keinem Gesichtspunkt auf die business judgment rule berufen. Ferner scheidet eine Anwendung der business judgment rule aus, wenn es um bloße Rechts- oder Regelbefolgung ohne jeden Spielraum geht, das handelnde Vorstandsmitglied also gar nicht zwischen mehreren denkbaren Entscheidungsmöglichkeiten wählen kann. Bezogen auf die Compliance ist das bei der Entscheidung der Fall, sich selbst rechtmäßig und regelgerecht zu verhalten (Legalitätsprinzip). Ferner ist das auch bei der Entscheidung der Fall, überhaupt ein (wie auch immer geartetes) Compliance-System einzuführen. Ein diesbezügliches „Entschließungsermessen“ gibt es also nicht. bb) Anwendbarkeit der business judgment rule Eine Anwendung der business judgment rule kommt bei CompliancePflichten von Vorstandsmitgliedern vielmehr nur dort in Betracht, wo es um bestimmte Maßnahmen der Compliance-Organisation geht, also um die konkrete Ausgestaltung der Compliance-Organisation im Rahmen der (allgemeinen) Organisationspflicht des Vorstands.34 So können etwa die Fragen, ob und inwiefern interne oder externe Compliance-Beauftragte vorgesehen werden sollen, ob ein Compliance-Komitee zuständig sein soll, ob es Compliance-Helplines oder Compliance-Hotlines geben soll, ob und wie das Whistleblowing35 gestaltet werden soll, sowie die Frage, wie die Berichtsund Verantwortlichkeitsketten im Unternehmen in Hinblick auf die Compliance strukturiert sein sollen, jeweils der business judgment rule unterliegen. Welche Maßnahmen konkret zu treffen sind, bestimmt sich unter anderem nach einem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Rechtlich geht es hierbei um die Zumutbarkeitsgrenze für die Organisation von Compliance-Verfahren.36

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Hopt/Roth aaO (Fn. 30) Rn. 22 ff. Spindler in MünchKomm AktG, 3. Aufl., 2008, § 91 Rn. 36; Bürkle, BB 2005, 565, 569; Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 85 f. 35 Dazu allg. Kort in FS Kreutz, 2009, S. 247. 36 Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 78 f.; Fleischer in Fleischer (Hrsg.), Handbuch Vorstandsrecht, 2006, § 8 Rn. 45; KölnerKomm AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., 2010, § 91 Rn. 37. 34

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c) „Nützliche“ Pflichtverletzungen Bei der Thematik der Compliance-Pflichten von Organmitgliedern stellt sich das Problem sogenannter „nützlicher“ Pflichtverletzungen 37 durch Vorstandsmitglieder oder auch durch Aufsichtsratsmitglieder: Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich die Frage, ob es im Unternehmensinteresse liegt (und damit letztlich eine Haftung von Organmitgliedern ausscheidet), wenn zwar Regelverstöße durch Organmitglieder begangen werden, diese aber wirtschaftlich, also „unter dem Strich betrachtet“ für das Unternehmen vorteilhaft sind. Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass bei allem Streit um den Inhalt des vagen Terminus des „Unternehmensinteresses“ jedenfalls Konsens besteht, dass damit nicht das Ziel einer kurzfristigen Steigerung des Unternehmenswerts oder des Börsenkurses gemeint ist, sondern eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswerts. Das zeigt auch der 2009 eingeführte Passus in der Präambel des DCGK, der das Unternehmensinteresse zu den „Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft“ in Beziehung setzt und den Vorstand (sowie Aufsichtsrat) verpflichtet, nicht nur für den Bestand des Unternehmens, sondern auch für dessen „nachhaltige Wertschöpfung“ zu sorgen.38 Ergänzend sieht Ziffer 4.1.1 des DCGK in der Fassung von 2009 vor, dass die Unternehmensleitung durch den Vorstand „unter besonderer Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder)“ erfolgt. Hierbei handelt es sich nicht um eine Anregung oder Empfehlung des Kodex, sondern um eine Konkretisierung des Begriffs des „Unternehmensinteresses“.39 Strittig ist allerdings nach wie vor, ob besonders starkes Gewicht auf den Shareholder Value zu legen ist oder aber die Interessen der Stakeholder, also der Vertragpartner, der Gläubiger und der Arbeitnehmer des Unternehmens sowie die Interessen der Allgemeinheit gleichrangig und nicht bloß nachrangig zu berücksichtigen sind.40 Gerade in Zeiten der Finanzkrise, aber nicht erst seit dieser Krise, dürfte klar sein, dass die Interessen der Stakeholder zumindest in gewissem Maße Berücksichtigung bei der Verfolgung des Unternehmensinteresses finden müssen. Auch erweist sich die behauptete Dichotomie zwischen Shareholderinteressen und Stakeholderinteressen oft als trügerisch: So besteht ein Interesse auch der Shareholder an einem 37 Monographisch Harzenetter Innenhaftung des Vorstands der Aktiengesellschaft für sogenannte „nützliche Pflichtverletzungen“, 2008, passim; ferner Fleischer ZIP 2005, 141, 145; Lutter ZIP 2007, 841, 843; Lohse in FS Hüffer, 2010, S. 581. 38 Dazu Hecker BB 2009, 1654 f.; auch schon Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/ von Werder, DCGK, 3. Aufl., 2008, Rn. 608 ff. 39 Hecker aaO. 40 Dazu allg. Kort aaO (Fn. 11) § 76 Rn. 52 ff.

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beständigen und gut ausgebildeten Mitarbeiterstab. So mag etwa die Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen aus Marketinggründen und Imagegründen ebenfalls im Interesse der Shareholder liegen. Aus der Legalitätspflicht folgt für die Vorstandsmitglieder, dass sie geltendes Recht, und zwar Gesetzesrecht, aber auch Richterrecht, bei ihrem Handeln stets beachten müssen. Die früher geführte Diskussion, ob ein Vorstandsmitglied etwa in- oder ausländische Träger hoheitlicher Gewalt bestechen darf oder auch Mitarbeitern potenzieller Geschäftspartner Begünstigungen wie Geschenke zur Herbeiführung eines Geschäftsabschlusses machen darf, ist in den letzten Jahren der Erkenntnis gewichen, dass solche Fälle von Korruption oder Bestechung völlig unabhängig davon, ob sie in dem jeweiligen Land oder in dem jeweiligen Geschäftszweig üblich sind oder nicht, rechtswidrig sind und daher unter keinem denkbaren Gesichtspunkt im Unternehmensinteresse der jeweiligen Aktiengesellschaft liegen können. Zu dieser neuen Erkenntnis hat zum einen die immer intensiver gegen Bestechung und Korruption gerichtete nationale und internationale Normgebung beigetragen, zum anderen aber auch die mehr grundsätzliche unternehmensethische Überlegung, dass Handlungen von Vorstandsmitgliedern nicht im Unternehmensinteresse liegen können, wenn sie „von außen betrachtet“ rechtswidrig sind. Es gibt daher keine so genannten nützlichen Pflichtverletzungen, die vermeintlich im Unternehmensinteresse liegen, obwohl sie gegen Gesetz und Recht verstoßen.41 Rechtswidriges Verhalten von Vorstandsmitgliedern gegenüber Dritten stellt grundsätzlich auch eine Verletzung der Pflichten der Vorstandsmitglieder gegenüber ihrer Aktiengesellschaft dar. Die Frage, ob sogenannte „nützliche“ Pflichtverletzungen im Unternehmensinteresse liegen können, ist somit zu verneinen. Hintergrund für die in den letzten Jahren erzielte Einigung über die Beantwortung dieser Frage ist die Überlegung, dass Normverstöße bei unternehmerischer Tätigkeit generell als nicht mehr im Unternehmensinteresse liegend angesehen werden. Das hat Auswirkungen auch auf die Compliance: Sogenannte nützliche Pflichtverletzungen sind Compliance-Verstöße. Compliance-Verantwortliche, die das nicht berücksichtigen, handeln ihrerseits pflichtwidrig. Da „nützliche Pflichtverletzungen“ rechtswidrige Verstöße sind, ist auch die Anwendung der business judgment rule ausgeschlossen. Ein rein wirtschaftlich betrachtet möglicherweise durchaus „effizienter“ Verstoß eines Vorstandsmitglieds gegen Gesetz oder Recht kann zur Haftung des Vorstandsmitglieds gegenüber der AG führen.

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Bayer in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 85, 90 f.

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d) Aufnahme von Compliance-Pflichten in Regelwerke? Auch in Zukunft ist es nicht wünschenswert, die aus den CompliancePflichten erwachsenden Organisationspflichten der Vorstandsmitglieder im Gesetz oder sonstigen Regelwerken zu fixieren. Weder in das Aktiengesetz noch in den DCGK lassen sich die Organisationspflichten im Detail aufnehmen, da sie stark von der Größe und Struktur der jeweiligen Aktiengesellschaft sowie von dem Wirtschaftssektor, auf dem die Aktiengesellschaft tätig ist, abhängen. Insbesondere ist zu betonen, dass die Zurückhaltung in Ziffer 4.1.3 des DCGK erfreulich ist: Der Kodex gibt keine konkreten Empfehlungen, ja noch nicht einmal Anregungen für die Erledigung von Compliance-Aufgaben durch den Vorstand.42 So werden zu Recht weder bestimmte Compliance-relevante Gebote oder Verbote unter Zurücksetzung anderer besonders hervorgehoben (etwa das Bestechungsverbot), noch werden bestimmte Verfahrensweisen oder Managementtechniken genannt, um den ComplianceAnforderungen gerecht zu werden.43 Das ist angesichts der unterschiedlichen Realstruktur, die auch börsennotierte AG aufweisen können, richtig. Konkrete Kodex-Vorgaben könnten sich nämlich in diesem Bereich als „Schuss nach hinten“ in dem Sinne erweisen, dass die im Kodex konkret genannten Compliance-Vorgaben unter Vernachlässigung anderer wichtiger ComplianceAufgaben bloß „abgearbeitet“ würden. e) Keine Pflicht zur Etablierung einer bestimmten Compliance-Organisation Hintergrund für die relativ breite Eröffnung eines Anwendungsspielraums der business judgment rule bei der Erfüllung von Compliance-Aufgaben ist, dass es bei Unternehmen, die keinen branchenspezifischen normativen Vorgaben an die Compliance-Organisation wie etwa denjenigen für Kreditinstitute im Sinne des § 25a KWG44, denjenigen für Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach § 33 WpHG45 und § 12 WpDVerOV46 oder denjenigen für Versicherungsunternehmen nach § 64a VAG unterliegen,47 keine generelle Pflicht zur Etablierung einer bestimmten Compliance-Organisation gibt.48 42

Ringleb aaO (Fn. 38) Rn. 618. Ringleb aaO (Fn. 38) Rn. 617. 44 Dazu z.B. Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 69 f. 45 Dazu Casper in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 199, 205 ff. 46 Dazu Veil WM 2008, 1093, 1094 f. 47 Zu industrie- und sektorspezifischen Regelungen Bergmoser/Theusinger/Gushurst aaO (Fn. 1) S. 1, 4 f. 48 Dezidiert aA Uwe H. Schneider ZIP 2003, 645, 648; ferner Lösler WM 2007, 676, 681; wie hier dagegen Fleischer AG 2003, 291, 299; Hauschka ZIP 2004, 877, 878; Ringleb aaO (Fn. 38) Rn. 603; differenzierend M. Winter in FS Hüffer, 2010, S. 1103, 1104 ff. 43

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Eine solche Pflicht lässt sich weder aus allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Überlegungen noch aus Einzel- oder Gesamtanalogien herleiten.49 Einzel- oder Gesamtanalogien scheiden schon deshalb aus, weil die gesetzlichen Regelungen offenbar branchenbezogen sind und weder eine Vorbildfunktion haben noch auch bloß eine Art von Vorreiterrolle tragen. Gegen eine generelle Pflicht zur Etablierung einer ganz bestimmten Compliance-Organisation spricht auch die relative Natur von Organisationspflichten, die einen wesentlichen Teil der Compliance-Pflichten ausmachen: Organisationspflichten werden nur dann akut, wenn und soweit das Unternehmen eine bestimmte „Risikoklasse“ erreicht. Das wird bisweilen vergessen, weil sich die Diskussion über (gute) Compliance oft zu sehr an (börsennotierten) Großunternehmen orientiert.50 Rechtliche Vorgaben für die Pflicht zur Etablierung einer Compliance-Organisation lassen sich allenfalls – und auch das lediglich in sehr beschränktem Maße – aus allgemeinen ordnungswidrigkeitsrechtlichen und zivilrechtlichen Normen wie §§ 130, 9 Abs. 1 OWiG 51 und §§ 831, 31 BGB herleiten.52 Eine Rechtspflicht zur Etablierung einer bestimmten Compliance-Organisation kann sich daher allenfalls ergeben, wenn das betreffende Unternehmen ein hohes Gefahrenpotenzial aufweist.53 Enthält das Recht außerhalb regulierter Bereiche wie den Wertpapierdienstleistungsunternehmen und den Versicherungsunternehmen weder geschrieben noch ungeschrieben eine Pflicht zur Etablierung einer in bestimmter Weise strukturierten Compliance-Organisation, sondern ist ihm allenfalls eine Pflicht zu entnehmen, überhaupt eine „vertretbare“ Form von Compliance-Organisation zu etablieren, so folgt daraus, dass die Art und Weise, wie die Compliance-Organsiation strukturiert ist, weitgehend eine unternehmerische Entscheidung ist und damit durchaus der business judgment rule unterliegen kann, falls das die Entscheidung über die Organisation treffende Vorstandsmitglied entsprechend gut informiert ist.

49 So aber Uwe H. Schneider ZIP 2003, 645, 649; kritisch Bürkle BB 2005, 565, 567; Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 74 ff. sowie Spindler WM 2008, 905, 908 f. 50 Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 68; zu Modellen abgestufter Kontrolldichte für die Korruptionsprävention Hauschka/Greeve BB 2007, 165, 167 ff. 51 Dazu Liese aaO (Fn. 6) S. 17, 19 f. 52 Dazu Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 70 ff. 53 Fleischer CCZ 2008, 1, 2.

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f) Pflicht zur ordnungsgemäßen Unternehmensorganisation Die Grenze für die Anwendung der business judgment rule bildet freilich die von der Rechtsprechung schon lange vor der neueren ComplianceDiskussion geprägte Pflicht zur ordnungsgemäßen Unternehmensorganisation54: Diese haftungsrechtlich relevante Figur dient der Schließung von Haftungslücken, die entstehen können, wenn es zu einer im modernen Großunternehmen selbstverständlich zwingend gebotenen Arbeits- und damit Verantwortlichkeitsteilung kommt. Unternehmensorganisationspflichten sind Rechtspflichten. Verstöße gegen die Unternehmensorganisationspflicht, etwa gegen die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl und Überwachung von Mitarbeitern sowie zur sorgfältigen Strukturierung der Unternehmensorganisation unterliegen nicht der business judgment rule. Jenseits der Rechtspflicht zur Unternehmensorganisation besteht hinsichtlich der sehr allgemein gehaltenen Pflicht zur Compliance-Organsiation aber die Möglichkeit der Anwendung der business judgment rule. Die Einführung von angemessenen Compliance-Systemen kann freilich dazu führen, dass trotz gelegentlich nicht vermeidbarer Gesetzesverstöße die Feststellung eines Organisationsverschuldens der betreffenden Organmitglieder ausgeschlossen ist.55 7. Reichweite konzernbezogener Compliance-Pflichten Zwar steht dem Postulat konzernweiter Compliance-Pflichten56 entgegen, dass nicht der Konzern, sondern die einzelnen konzerngebundenen Unternehmen bzw. deren Organmitglieder Adressaten von Compliance-Pflichten sind. Dennoch können sich Compliance-Pflichten der Vorstandsmitglieder eines herrschenden Unternehmens nicht nur auf die von ihnen geleitete Aktiengesellschaft, sondern auch auf konzernabhängige Tochterunternehmen erstrecken.57 Es mag sein, dass Vorstandsmitglieder der Muttergesellschaft (nota bene: bloß ihr gegenüber!) verpflichtet sind, auf die Einhaltung von gesetzlichen und sonstigen Regeln auch bei Töchtern hinzuwirken. Allerdings gibt es jedenfalls aus der Perspektive des deutschen Konzernrechts keine umfassende Konzernleitungspflicht der Organmitglieder der

54 Dazu allg. Spindler Unternehmensorganisationspflichten, 2001, passim, insbes. S. 689 ff., 760 ff.; zur Beziehung der Compliance zu Unternehmensorganisationspflichten ders. WM 2008, 905 ff. sowie Ringleb aaO (Fn. 38) Rn. 625; zur Rechtsprechung ferner Liese aaO (Fn. 6) S. 17, 20 f. 55 Ringleb aaO (Fn. 38) Rn. 627. 56 Dezidiert Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider ZIP 2007, 2061; auch Uwe H. Schneider NZG 2009, 1321, 1325 f. 57 Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 93 ff.

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Mutter58 und damit häufig auch keine umfassende rechtliche Möglichkeit der Etablierung einer konzernweiten Compliance-Organisation.59 Das zeigt auch Ziffer 4.1.3 des DCGK, nach der der Vorstand lediglich auf die „Beachtung“ der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien durch die Konzernunternehmen im Rahmen der Compliance „hinzuwirken“ hat, nicht aber, wie beim eigenen Unternehmen, für deren „Einhaltung … zu sorgen“ hat.60 Insbesondere im bloß faktischen Konzern ist die konzernweite Durchsetzung von Compliance problematisch.61 Hinzu kommt, dass vor allem bei ausländischen Töchtern die inhaltliche Ausgestaltung der Compliance-Organisation schwierig sein kann.62 Selbst im Vertragskonzern folgt aus § 308 AktG keine umfassende Pflicht zur Konzernleitung, vielmehr räumt diese Norm dem herrschenden Unternehmen nur ein Weisungsrecht ein.63

II. Aufsichtsratsmitglieder 1. Überwachung nur des Vorstandshandelns Auch dem Aufsichtsrat und seinen Mitgliedern obliegen, allerdings nur in beschränktem Umfang, Compliance-Pflichten. Zwar ist der Aufsichtsrat gesellschaftsrechtlich das „geborene“ Überwachungsorgan. Daraus folgt aber nicht, dass der Aufsichtsrat in vollem Ausmaß für die gesamte Überwachung der Regeleinhaltung im Unternehmen – neben dem Vorstand – zuständig wäre. Vielmehr sind die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats und damit unter anderem die Pflicht zur Kontrolle von Regelbefolgung ausschließlich auf das Vorstandshandeln bezogen, nicht aber auf das Handeln oder Unterlassen anderer Akteure im Unternehmen. 2. Beschränkte Compliance-Pflichten Den Aufsichtsrat und seine Mitglieder treffen damit nur indirekt Compliance-Pflichten: Zum einen muss der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungstätigkeit prüfen, ob die Vorstandsmitglieder ihrer Pflicht zur 58 Kort aaO (Fn. 11) Rn. 139 ff.; Spindler WM 2008, 905, 915; Ringleb aaO (Fn. 38) Rn. 616. 59 Spindler in MünchKomm AktG, 3. Aufl., 2008, § 76 Rn. 53; Bürkle in Hauschka (Hrsg.) Corporate Compliance, 2007, § 8 Rn. 39. 60 Zu dieser im Wortlaut des Kodex zum Ausdruck kommenden Differenzierung Ringleb aaO (Fn. 38) Rn. 616. 61 Veil WM 2008, 1093, 1096. 62 Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 95 ff.; Spindler WM 2008, 905, 917. 63 Spindler WM 2008, 905, 915.

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Compliance-Organisation nachkommen, der Aufsichtsrat muss also prüfen, ob sich die Vorstandsmitglieder regelgerecht verhalten und für den Aufbau einer Compliance-Organisation gesorgt haben. Ferner müssen sich die Mitglieder des Aufsichtsrats selbst regelgerecht verhalten. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind selbstverständlich selbst zur Einhaltung gesetzlicher und sonstiger Regeln verpflichtet. Die Regeleinhaltung in dem aus mehreren Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat muss angesichts des auch für dieses Gremium geltenden Kollegialitätsprinzips so gestaltet sein, dass die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder die Rechts- und Regeleinhaltung durch ihre Aufsichtsratskollegen gegenseitig beobachten. Auch im Aufsichtsrat gilt insofern das Prinzip der Gesamtverantwortung. Fraglich ist, inwiefern der Aufsichtsrat ein Mitwirkungsrecht oder gar eine Mitwirkungspflicht beim Aufbau einer konkreten Compliance-Organisation hat. Zwar besteht – wie ausgeführt – keine Rechtspflicht des Vorstands von solchen AG, die keinen bereichsspezifischen Pflichten zur Etablierung einer bestimmten Compliance-Organisation unterliegen, eine bestimmte Compliance-Organisation aufzubauen.64 Jedoch beschränkt sich die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats nicht auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle des Vorstandshandelns, sondern erfasst auch die Zweckmäßigkeit des Vorstandshandelns. Insofern hat der Aufsichtsrat durchaus ein Mitspracherecht (und eine entsprechende Verantwortlichkeit) beim Aufbau einer bestimmten Compliance-Organisation durch den Vorstand,65 allerdings letztlich nur als Kontrollrecht und Beratungsrecht ausgestaltet, da er nach dem deutschen Verständnis des zweigliedrigen Modells kein Co-Management-Organ ist.66 Die maßgeblichen Funktionen der Leitung und der Geschäftsführung des Unternehmens werden vom Vorstand und nicht vom Aufsichtsrat bekleidet. 3. Anwendung der business judgment rule auf das Aufsichtsratshandeln Bei der Überwachung der Compliance-Aktivitäten des Vorstands kann es zu einer Anwendung der business judgment rule auch auf das Aufsichtsratshandeln kommen.67 Zwar sind die Einzelheiten der Anwendung der business judgment rule auf die Tätigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern strittig, es besteht jedoch heute weitgehend Einigkeit, dass eine Anwendung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf das Aufsichtsratshandeln grundsätzlich in Betracht 64

Bachmann Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen – aaO (Fn. 1) S. 65, 80. Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl., 2008, § 111 Rn. 42; in diese Richtung gehend auch M. Winter in FS Hüffer, 2010, S. 1103, 1119 ff. 66 Kort aaO (Fn. 11) vor § 76 Rn. 12 und § 76 Rn. 22; Säcker/C. Rehm DB 2008, 2814, 2817 ff. 67 Dazu monographisch Göppert Die Reichweite der Business Judgment Rule bei unternehmerischen Entscheidungen des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 2009, passim; ferner Hopt/Roth aaO (Fn. 30) § 111 Rn. 275 ff.; Habersack aaO (Fn. 65) § 116 Rn. 40. 65

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kommt.68 Nur setzt das voraus, dass der Aufsichtsrat seinerseits „unternehmerisch“ handelt. Bei einer reinen Rechtmäßigkeitskontrolle des Vorstandshandelns69 scheidet daher eine Anwendung der business judgment rule aus, etwa bei der Beurteilung der Frage, ob der Vorstand sich seinerseits regelwidrig verhalten hat oder der Frage, ob der Vorstand seiner allgemeinen Pflicht zur Unternehmensorganisation nachgekommen ist. Auch lässt sich der durchaus bestehende, allerdings sehr begrenzte Beurteilungs- und Ermessensspielraum bei der Entscheidung, ob der Aufsichtsrat Vorstandsmitglieder wegen Rechtsverstößen in Anspruch nimmt, nicht auf die business judgment rule stützen.70 Geht es hingegen um die konkrete Ausgestaltung der Compliance-Organisation, so besteht, wie dargelegt, ein breiter unternehmerischer Ermessensspielraum des Vorstands. Das hat Auswirkungen auch auf die Anwendbarkeit der business judgment rule auf den Aufsichtsrat: Bei der Zweckmäßigkeitskontrolle des Vorstandshandelns71 durch den Aufsichtsrat handelt der Aufsichtsrat nämlich seinerseits unternehmerisch und unterliegt insofern selbst der business judgment rule. Daher hat der Aufsichtsrat bei der Frage, ob der Aufbau einer bestimmten Compliance-Organisation durch den Vorstand zweckmäßig ist, seinerseits einen unternehmerischen Ermessensspielraum. 4. Aufsichtsratsausschüsse Wesentliche Teile der Aufsichtsratstätigkeit finden in Deutschland in Aufsichtsratsausschüssen statt. Für die Aufsichtsratstätigkeit in Hinblick auf Compliance-Fragen ist dabei insbesondere an den Prüfungsausschuss zu denken. Jedoch ist zu betonen, dass weder die Abschlussprüferrichtlinie 72 noch ihre Umsetzung in das deutsche Recht durch das BilMoG73 bei börsennotierten Aktiengesellschaften zwingend die Einrichtung eines Prüfungsausschusses vorsehen. Der deutsche Gesetzgeber rechtfertigt das damit, dass Erwägungsgrund 24 der Abschlussprüferrichtlinie es zulässt, dass die Funktionen des Prüfungsausschusses durch den Aufsichtsrat als Ganzes wahrgenommen werden.74 Damit folgt der deutsche Gesetzgeber dem Leitbild der Ausübung von Prüfungsausschussfunktionen durch den Gesamtaufsichtsrat.75 68

Habersack aaO (Fn. 65) Rn. 39 m.w.N. Dazu Hopt/Roth aaO (Fn. 30) § 111 Rn. 301 ff. 70 Insofern wie hier (mit allerdings strengerem Ergebnis) J. Koch AG 2009, 93, 94 ff. 71 Dazu Hopt/Roth aaO (Fn. 30) § 111 Rn. 306 ff. sowie Kort aaO (Fn. 11) § 76 Rn. 25. 72 Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 17.5.2006, ABlEG Nr. L 157 vom 9.6.2006, 87 ff. 73 BT-Drucks. 16/12407 sowie BR-Drucks. 270/09. 74 BT-Drucks. 16/10067, S. 92. 75 Dazu Lanfermann/V. Röhricht BB 2009, 887 f. 69

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Hinzu kommt, dass weder die Abschlussprüferrichtlinie76 noch das BilMoG im Zuge der Neufassung von § 107 Abs. 3 AktG dem Prüfungsausschuss Compliance-Aufgaben zuweisen. Vielmehr können dem Prüfungsausschuss lediglich die Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des Internen Kontrollsystems (IKS), des Risikomanagementsystems77 und der Innenrevision sowie der Abschlussprüfung und der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers ganz oder teilweise vom Gesamtaufsichtsrat als Aufgaben zugewiesen werden. Hierbei handelt es sich um eine getreue Umsetzung des Mindestkatalogs des Art. 41 Abs. 2 der Abschlussprüferrichtlinie.78 Compliance-Aufgaben sind zwar mit dem Risikomanagement „verwandt“,79 aber nicht damit identisch oder Bestandteil (Teilmenge) des Risikomanagements.80 Daher implizieren die Abschlussprüferrichtlinie und § 107 Abs. 3 AktG n.F. nicht gleichsam „automatisch“ die Möglichkeit der Übertragung von Compliance-Überwachungsaufgaben auf den Prüfungsausschuss. Jedoch besteht die Möglichkeit, die Compliance-Überwachung (gemeint als Überwachung recht- und zweckmäßigen Vorstandshandelns im Bereich der Compliance) einem Prüfungsausschuss oder einem anderen Aufsichtsratsausschuss zuzuweisen. Festzuhalten bleibt aber, dass sich die Compliance und ihre Organisation nicht bereits derartig „normativ verfestigt“ haben, dass sie als Termini Einzug in das deutsche Aktienrecht gefunden hätten. Etwas anderes gilt für das soft law: So sieht der DCGK als Empfehlung in Ziffer 5.3.2 vor, dass bei börsennotierten Aktiengesellschaften ein Prüfungsausschuss (audit committee) eingerichtet werden soll, der sich „insbesondere“ mit den Fragen der Compliance befasst. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Erfüllung von Compliance-Aufgaben im Rahmen der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats primär dem Gesamt-Aufsichtsrat zugewiesen ist,81 eine Delegation an Aufsichtsratsausschüsse und insbesondere den Prüfungsausschuss aber möglich ist. 5. Kommunikationswege Ein Problem der Kommunikation kann dadurch entstehen, dass nach § 90 AktG nur der Vorstand selbst verpflichtet ist, den Aufsichtsrat mit Informationen zu versorgen. Das kann zur Folge haben, dass der Aufsichtsrat nicht direkt an den Compliance-Officer oder Mitarbeiter der Compliance-Abtei76 77 78 79 80 81

Dazu Sünner CCZ 2008, 56, 59. Dazu Kort ZGR 2010, Heft 2/3. Dazu im einzelnen Lanfermann/V. Röhricht BB 2009, 887, 889 ff. Lutter DB 2009, 775, 776; Kort NZG 2008, 81 f. AA offenbar Rodewald/Unger BB 2007, 1629, 1631. Teilweise aA Lutter in FS Hüffer, 2010, S. 617, 629 f.

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lung herantreten kann. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht allerdings, wenn sich der Vorstand hartnäckig weigert, dem Aufsichtsrat die gebotenen Informationen zu erteilen.82 Umgekehrt ist es selbstverständlich möglich, dass der Vorstand bei der Information des Aufsichtsrats den Compliance-Officer hinzuzieht.

III. Außenhaftung von Organmitgliedern Neben der Innenhaftung der Geschäftsleitungsmitglieder kommt auch eine Außenhaftung in Betracht, die in der Regel deliktischer Natur ist. Fraglich ist hierbei häufig, inwiefern die bei Compliance-Pflichten charakteristischerweise bestehende, aber verletzte Regel Schutzgesetzcharakter trägt. Viele gesetzliche Regelungen oder sonstige Bestimmungen, die die unternehmerische Tätigkeit betreffen, tragen keinen Schutzgesetzcharakter. Auch erwächst aus einem Compliance-relevanten Verstoß gegen die Pflicht, das Unternehmen so zu organisieren, dass Regelverstöße nicht vorkommen, nicht automatisch eine Haftung im Außenverhältnis, da auch diese Pflicht nicht durchgängig drittschützenden Charakter trägt. Wohl aber kann es sein, dass die Compliance-Pflicht, für eine Organisation zu sorgen, die die Regeleinhaltung im Unternehmen gewährleistet, ihrerseits Bestandteil der Pflicht ist, das Unternehmen so zu organisieren, dass keine Schäden auftreten, also zur allgemeinen Unternehmensorganisationspflicht gehört. Aus der Verletzung der Pflicht zur Unternehmensorganisation kann nach der Rechtsprechung des BGH eine Außenhaftung von Organmitgliedern resultieren.83 Folgt man dem, so sind Compliance-relevante Organisationspflichten im Außenverhältnis haftungsrelevant, soweit sie als Teil der allgemeinen Unternehmensorganisationspflicht anzusehen sind.

IV. Selbstanzeigepflicht? Ist der Compliance-Verantwortliche Organmitglied, besteht ggf. eine Pflicht zur Selbstanzeige gegenüber dem Unternehmen bzw. gegenüber dessen hierfür jeweils zuständigen Vertretern.84 Der insbesondere im Strafrecht entwickelte Grundsatz des nemo tenetur gilt nämlich nach neuerer Auffassung für Organmitglieder für deren mögliche zivilrechtliche Haftung nur eingeschränkt: Der Grundsatz der Loyalitätspflicht der Organmitglieder gegenüber ihrer Gesellschaft kann es im Einzelfall gebieten, eine Art „Selbst82 83 84

Spindler WM 2008, 905, 913. BGH NJW 1990, 976, 978. Hopt ZGR 2004, 1, 27 f.

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anzeige“ des eigenen Fehlverhaltens vorzunehmen, deren Unterlassung Verjährungsfristen nicht anlaufen lässt.85 Die Einzelheiten sind sehr umstritten, gänzlich ausschließen lässt sich eine Pflicht zur „Selbstanzeige“ nicht, falls der Compliance-Verantwortliche Organmitglied ist. Die Pflicht zur Selbstanzeige besteht jedoch nicht im Falle eigener strafrechtlicher Konsequenzen.86 Hierfür gilt vielmehr der Grundsatz des nemo tenetur uneingeschränkt.

V. Fazit 1. Compliance ist ureigenste Aufgabe des Vorstands, und zwar als Leitungsaufgabe in Gesamtverantwortung. Hieraus folgt, dass zwar Compliance-Aufgaben im Wege der Geschäftsverteilung im Vorstand einzelnen Vorstandsmitgliedern sowie im Wege der vertikalen Delegation einzelnen Mitarbeitern (z.B. Compliance-Beauftragten) oder auch externen Dritten übertragen werden können, den Vorstand in seiner Gesamtheit aber eine Restverantwortung trifft. 2. Der Grundsatz der Restverantwortung besagt, dass die Vorstandsmitglieder nicht nur die Compliance-Verantwortlichen sorgfältig auswählen, sondern auch sorgfältig überwachen müssen und außerdem das Recht haben müssen, Compliance-Aufgaben wieder an sich zu ziehen. 3. Der Grundsatz der Gesamtverantwortung der Vorstandsmitglieder für die Compliance-Organsiation ist haftungsrechtlich relevant: Nach § 93 AktG können auch die Vorstandsmitglieder haften, die nicht selbst Compliance-Aufgaben wahrnehmen, aber schuldhaft ihre aus der Restverantwortung resultierende Pflicht zur Überwachung anderer Vorstandskollegen verletzt haben. 4. Jedenfalls in nicht spezialgesetzlich regulierten Wirtschaftssektoren besteht ein sehr weitgehender Ermessensspielraum des Vorstands, wie die Compliance-Organisation ausgestaltet werden soll. Jenseits bestimmter absoluter Mindestanforderungen wie der Anforderung, dass überhaupt die Compliance im Unternehmen (wie auch immer) geregelt werden muss, besteht ein Handlungsspielraum des Vorstands. Insbesondere ist der Vorstand nicht zur Etablierung eines bestimmten ComplianceSystems verpflichtet. 5. Daraus ergibt sich eine weitgehende Anwendbarkeit der business judgment rule auf das Handeln des Vorstands in Bezug auf die ComplianceOrgansiation.

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Dazu rechtsvergleichend Schmolke RIW 2008, 365, 371. Weiter gehend aber Schmolke aaO 372 f. (bloßes strafrechtliches Verwertungsverbot).

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6. Bei Rechtsverstößen (z.B. eigenen Verstößen der Vorstandsmitglieder gegen die Legalitätspflicht) ist hingegen die business judgment rule unanwendbar. Das gilt auch für sog. „nützliche“ Pflichtverletzungen. 7. Der Aufsichtsrat überwacht ausschließlich das Vorstandshandeln, nicht aber z.B. die Tätigkeit eines angestellten Compliance-Beauftragten oder der Compliance-Abteilung. Ein umfassendes Recht des Aufsichtsrats zur Überwachung der Compliance-Organsiation besteht daher nicht. 8. Der Vorstand, nicht aber der Compliance-Beauftragte oder die Compliance-Abteilung, hat dem Aufsichtsrat zu berichten. 9. Die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats, die sich auch auf die Zweckmäßigkeitskontrolle des Vorstandshandelns bezieht, kann der business judgment rule unterliegen. 10. Vorstandsmitglieder, die ihre Compliance-Pflichten verletzen, können im Innenverhältnis nach § 93 AktG und im Außenverhältnis etwa bei einer Schutzgesetzverletzung oder einer Verletzung der drittschützenden Unternehmensorganisationspflicht haften. 11. Bei eigenen Compliance-Verstößen trifft Vorstandsmitglieder ggf. eine Pflicht zur Selbstanzeige, allerdings nur außerhalb des strafrechtlich relevanten Bereichs.

Die Entdeckung des Marktes durch die Rechtsprechung bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen Hartmut Krause I. Einleitung Die Entdeckung des Marktes als Kategorie des Zivil- und Bankrechts nimmt im akademischen Werk des Jubilars einen wesentlichen Platz ein. Mit dem revolutionären Schritt „vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht“1, mit der Vorstellung eines zwischen Vertrag und Marktaufsicht angesiedelten Marktrechts und der Herausbildung des Begriffs des Kapitalanlegers jenseits der aktienrechtlichen Kategorien des Aktionärs und des Gläubigers trat er Mitte der 1970er Jahre mit seiner Habilitationsschrift2 und einem Gutachten für den Deutschen Juristentag 3 an die Öffentlichkeit. Mit Hinweisen auf das Informationsgefälle zwischen Emittenten, Banken und Anlegern, auf die in der Mittlerrolle der Banken liegenden Interessenkonflikte und auf die Bedeutung der Marktintegrität für die Volkswirtschaft,4 mit seinen Arbeiten zu den von öffentlichen Investitions- und Desinvestitionsangeboten ausgelösten besonderen Marktsituationen,5 seinen Hinweisen auf die jeweiligen internationalen Bezüge und seinem Sinn für das praktisch Machbare war er nicht nur als Wissenschaftler einer der Wegbereiter des europäischen und deutschen Kapitalmarktrechts.6 Sein Interesse für Märkte und die regulatorischen Rahmenbedingungen, die das Funktionieren von Marktmechanismen gewährleisten, veranlasste ihn dazu, sich u.a. der Regulierung 1

So der Titel des Aufsatzes von Hopt in ZHR 140 (1976) 201; ZHR 141 (1977) 389. Hopt Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken (1975). 3 Hopt Inwieweit empfiehlt sich eine allgemeine gesetzliche Regelung des Anlegerschutzes? Gutachten zum 51. Deutschen Juristentag 1976 in Stuttgart. 4 Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Insider Dealing (1991); Hopt ZGR 1991, 17, 26 f. 5 Hopt Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen (1991) (zur Prospekthaftung). 6 Unter anderem als Mitglied der „Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“, die die Europäische Kommission nach dem Scheitern der Übernahmerichtlinie im Europäischen Parlament im Juli 2001 zur Revitalisierung dieses Harmonisierungsvorhabens zur Hilfe rief; vgl. Bericht über die Abwicklung von Übernahmeangeboten (Brüssel, 10.1.2002). 2

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von Übernahmeangeboten zuzuwenden7 und seine Schüler u.a. zu Reizthemen wie der Gleichbehandlung bei Kontrolltransaktionen, dem Pflichtangebot und der Teilhabe an der Kontrollprämie forschen zu lassen.8 Als der Jubilar mit seiner Vision eines Kapitalmarktrechts an die Öffentlichkeit trat, war der Schutz von Kapitalanlegern bei Strukturmaßnahmen wie dem Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages, bei der Eingliederung und der Verschmelzung bereits aktienrechtlich organisiert. Gläubiger hatten Anspruch auf Sicherheitsleistung (§§ 303, 321, 347 AktG a.F.). Aktionäre hatten u.a. Anspruch auf eine angemessene Abfindung (§§ 305, 320 AktG a.F.), die durch sachverständige Experten ermittelt wurde. Kaum jemand dürfte es damals für denkbar gehalten haben, dass das Bundesverfassungsgericht einmal den Börsenkurs als abfindungsrelevante Größe etablieren9 und ein europäischer Impuls den Squeeze-out von Minderheitsaktionären unter bestimmten Umständen sogar zum Preis eines vorausgegangenen Übernahmeangebots ermöglichen würde (§§ 39a, 39b WpÜG). All dies ist heute Realität. Zuletzt hat das LG Köln einen unter Wettbewerbsbedingungen gezahlten, eine Kontrollprämie einschließenden Vorerwerbspreis sogar als angemessene Abfindung im Rahmen einer aktienrechtlichen Strukturmaßnahme angesehen und den gemäß IDW Standard S1 ermittelten, auf die Aktien umgelegten Unternehmenswert für irrelevant erklärt.10 Diese Entwicklung und einige sich daraus ergebenden gelösten und ungelösten Praxisprobleme sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.

II. Die Entdeckung des Marktes 1. Entschädigung zum vollen wirtschaftlichen Wert Nach dem „Feldmühle“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 196211 muss der im Rahmen einer Strukturmaßnahme ausscheidende Aktionär für den Verlust seiner Rechtsposition „wirtschaftlich voll entschädigt“ werden, d.h. „das erhalten, was seine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist“.12 Zur Bestimmung dieser Abfindung hatte es sich eingebürgert, Wirtschaftsprüfer einzuschalten. Der Börsenkurs der fraglichen Aktien war irrelevant, denn – so der BGH im Jahr 1967 – der Börsen7 Hopt/Wymeersch (Hrsg.), European Takeover Bids (1992); Hopt ZHR 161 (1997) 368; Hopt ZHR 166 (2002) 383; Hopt ZGR 2002, 333. 8 Reul Die Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen (1991); Krause Das obligatorische Übernahmeangebot (1996). 9 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289. 10 LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = Der Konzern 2009, 494. 11 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60 = BVerfGE 14, 263. 12 BVerfG aaO 283 f.

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kurs ergebe sich „aus dem im Augenblick der Kursbildung vorhandenen Verhältnis vom Angebot und Nachfrage, das von der Größe oder Enge des Marktes, von zufallsbedingten Umsätzen, von spekulativen Einflüssen und sonstigen nicht wertbezogenen Faktoren wie politischen Ereignissen, Gerüchten, Informationen, psychologischen Momenten oder einer allgemeinen Tendenz abhängt“.13 Dass der Börsenkurs als Abfindungsmaßstab abzulehnen sei, weil er sich aus Angebot und Nachfrage ergebe, verschlug Ökonomen den Atem.14 Die Gerichte waren von diesem Atemstillstand allerdings nicht sonderlich beeindruckt. Sie folgten dem BGH – mehr als 30 Jahre lang.15 2. Börsenkurs als Untergrenze der angemessenen Abfindung Mit der „DAT/Altana“-Entscheidung des BVerfG vom 27. April 199916 erreichte die Rechtsprechung einen Wendepunkt. Nach dem BVerfG muss die von Art. 14 Abs. 1 GG geforderte „volle“ Entschädigung so bemessen sein, dass die Minderheitsaktionäre jedenfalls nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrags oder der Eingliederung erlangt hätten. Hiernach ist es mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar, im aktienrechtlichen Spruchverfahren eine Barabfindung unterhalb des Börsenkurses festzusetzen.17 Eine Unterschreitung kommt nur dann im Betracht, wenn der Börsenkurs ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt.18 3. Abfindung zum Vorerwerbspreis beim übernahmerechtlichen Squeeze-out Mit der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie19 erhielten Bieter, die nach Durchführung eines Übernahme- oder Pflichtangebotes über 95 % der Stimmrechte in der Zielgesellschaft verfügen, das Recht, die Aktionäre, die das Angebot nicht angenommen haben, auch ohne Beschluss der Hauptver13

BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64 = NJW 1967, 1464. So plastisch Busse von Colbe FS Lutter, 1053, 1058. 15 Zuletzt u.a. OLG Düsseldorf v. 2.8.1994 – 19 W 1/93 AktE = AG 1995, 85, 86 (DAT/Unternehmensvertrag); OLG Düsseldorf v. 2.8.1994 – 19 W 5/93 AktE = AG 1995, 84 (DAT/Eingliederung); OLG Celle v. 31.7.1998 = NZG 1998, 987, 988. Ausnahme: BayObLG v. 29.9.1998 – 3Z BR 159/94 = DB 1998, 2315 (aber nur mangels Erstattung eines Bewertungsgutachtens). 16 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 305, 307. 17 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 308. 18 BVerfG v. 27.4.1999 aaO 309. 19 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG vom 8. Juli 2006, BGBl. I, S. 1426; Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU Nr. L 142, S. 12 (30.4.2004). 14

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sammlung aus der Gesellschaft auszuschließen (§§ 39a, 39b WpÜG).20 Gemäß § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG ist die im Rahmen des Angebots gewährte Gegenleistung als angemessene Abfindung anzusehen, wenn der Bieter aufgrund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat. Beim übernahmerechtlichen Squeeze-out ersetzt dieser „Markttest“ alle betriebswirtschaftlichen Methoden zur Ermittlung der vollen Entschädigung.21 4. Abfindung zum Vorerwerbspreis bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen und beim „Delisting“ Auf dem Weg zur Anerkennung von Marktpreisen – hier: Vorerwerbspreisen – hat das LG Köln mit einem Beschluss vom 24. Juli 2009 zum nächsten großen Schritt angesetzt: Es hat sich mit grundsätzlichen Erwägungen dafür ausgesprochen, aus dem für den Erwerb der Kontrolle gezahlten Kaufpreis unter bestimmten Umständen einen Marktpreis abzuleiten, hinter dem die Abfindung im Rahmen der Strukturmaßnahme nicht zurückbleiben darf. Das Ertragswertverfahren des IDW Standards S122 sei nur ein Hilfsverfahren zur Ermittlung des Verkehrswerts des Unternehmens. Sei dieser – etwa aufgrund einer zeitnahen Anteilsveräußerung – bekannt, bedürfe es grundsätzlich keiner gutachterlichen Ertragswertberechnung.23 Die Entscheidung des LG Köln erging in einem Spruchverfahren nach einem „Delisting“ im Sinne der „Macrotron“-Rechtsprechung des BGH24. Im konkreten Fall hatte die angebotene Abfindung exakt dem Preis je Aktie entsprochen, den der Großaktionär in einem kompetitiven Bieterverfahren etwa ein halbes Jahr vor der Hauptversammlung für den Erwerb einer Kontrollbeteiligung gezahlt (und danach im Rahmen des Pflichtangebots nach WpÜG geboten) hatte. In diesem Preis, der die Aktionäre an der vom Bieter gezahlten Kontrollprämie partizipieren ließ, erblickte das LG Köln den Verkehrswert der Aktien. Damit hat das LG Köln juristisches Neuland betreten. Vorerwerbspreise waren für die Bestimmung der angemessenen Abfindung bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen bislang unmaßgeblich. Das BVerfG hatte gegen diese Praxis nichts einzuwenden.25 Der Preis, den ein Mehrheitsaktionär zu zahlen bereit sei, habe zu dem „wahren“ Wert des Anteilseigentums in der 20 Dazu allgemein Paefgen WM 2007, 767; Deilmann NZG 2007, 721; Heidel/Lochner Der Konzern 2006, 653; Ott WM 2008, 384; Rühland NZG 2006, 401. 21 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 – WpÜG 2/08 = NJW 2009, 375, 378. 22 IDW Standard S1 – Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, Stand: 18.10.2005. 23 LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = Der Konzern 2009, 494, 498. 24 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 = BGHZ 153, 47 (Macrotron); hierzu u.a. Hopt „Zuviel Schutz lähmt den Markt“, Handelsblatt v. 23.4.2003, S. R1. 25 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 306.

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Hand des Minderheitsaktionärs regelmäßig keine Beziehung. In ihm komme der Grenznutzen zum Ausdruck, den der Mehrheitsaktionär aus den erworbenen Aktien ziehen könne. Dieser sei aber vielfach dadurch bestimmt, dass der Mehrheitsaktionär mit Hilfe der erworbenen Aktien ein Stimmenquorum erreiche, das aktien- oder umwandlungsrechtlich für bestimmte gesellschaftsrechtliche Maßnahmen erforderlich sei. Deshalb sei der Mehrheitsaktionär zumeist bereit, für die Aktien, die ihm noch für ein bestimmtes Quorum fehlen, einen „Paketzuschlag“ zu zahlen.26 Demgegenüber sieht das LG Köln das Bewertungsziel im Verkehrswert, der bei bestmöglicher Veräußerung des Unternehmens im Ganzen erzielt werden könnte.27 Im Rahmen des – bei der Unternehmensbewertung anerkannt weiten28 – Schätzungsermessens des Gerichts gemäß § 287 ZPO könne der dem Steuer-29, Pflichtteils-30 und Zugewinnausgleichsrecht31 entlehnte Rechtsgedanke, den Unternehmenswert aus Anteilsverkäufen abzuleiten, die nicht mehr als ein Jahr zurückliegen, auch auf die Unternehmensbewertung im Rahmen der Abfindungssachverhalte nach § 1 SpruchG angewandt werden.32 Grundsätzlich könne aus dem Marktpreis für ein größeres Aktienpaket auf den Verkehrswert des Unternehmens geschlossen werden, wenn (1) der Erwerb auf die Erlangung der Unternehmenskontrolle abzielt, (2) das Aktienpaket die Kontrolle über das Unternehmen tatsächlich ermöglicht und (3) bei der Preisfindung für das Aktienpaket der wahre Wert der Anteile, also der Wert des Unternehmens, zugrunde gelegt worden ist.33 Ein Marktpreis sei gegeben, wenn (1) eine Wettbewerbslage auf Käufer- und Verkäuferseite vorliegt, (2) sich gleichwertige Vertragspartner gegenüberstehen, die in der Lage sind, ihre gegenläufigen Interessen auszugleichen, und (3) Sonderinteressen des Käufers oder Verkäufers, die zu einem Preis abseits eines akzeptablen Verkehrswertspektrums führen, keine Bedeutung haben.34 Wenn sich

26 BVerfG v. 27.4.1999 aaO; kritisch Busse von Colbe in FS Lutter, S. 1053, 1061 f.; für Berücksichtigung von Vorerwerbspreisen bereits Lutter ZGR 1979, 401, 418 (im Zusammenhang mit dem Bezugsrechtsausschluss); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, 5. Auflage (2008) § 305 Rz. 50. 27 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92 = NJW 1993, 2101, 2103; Hüttemann ZHR 162 (1998) 563, 573 ff., 582; Hüttemann ZGR 2001, 454, 467; Piltz Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. (1994) S. 139. 28 BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00 = NZG 2006, 41; Emmerich aaO (Fn. 26) Rz. 41 m.w.N. 29 § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BewG. 30 BGH v. 17.3.1982 – IVa ZR 27/81 = NJW 1982, 2497 ff.; BGH v. 13.3.1991 – IV ZR 52/90 = NJW-RR 1991, 900. 31 BGH v. 20.12.2000 – VII ZR 237/98 = NJW 2001, 793 ff. 32 LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = Der Konzern 2009, 494, 496; für GmbH-Anteile bereits OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96 = NZG 1999, 1222 ff. 33 LG Köln v. 24.7.2009 aaO (Fn. 32) 496. 34 LG Köln v. 24.7.2009 aaO (Fn. 32) 494, 495.

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der Verkehrswert des Unternehmens aus dem Marktgeschehen herleiten lässt, bedürfe es „einer schwierigen, komplexen, kostenträchtigen und mit zahlreichen Unsicherheiten behafteten gutachterlichen Ertragswertberechnung in der Regel nicht“. Das Ertragswertverfahren sei „nur ein Hilfsverfahren“ und „kein Selbstzweck“.35 Ein Marktpreis sei jeder Schätzung des Marktwertes durch Sachverständige überlegen; er sei ein realisierter Wert, nicht ein „theoretischer Laborwert“, der sich einseitig auf höchst unsichere Ertragswertaussichten stütze und Marktaspekte völlig ausblende.36 Einen Vorrang der gutachterlichen Ertragswertberechnung könne es daher nicht geben.

III. Die Berücksichtigung von Börsenkursen und Vorerwerbspreisen in der Praxis Die Berücksichtigung von Börsenkursen und Vorerwerbspreisen in der Rechtsprechung wirft in der Praxis eine Reihe interessanter Fragen auf. Der folgende Abriss versucht – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zu beleuchten, welche Fragen geklärt sind und welche noch einer Antwort harren. 1. Berücksichtigung des Börsenkurses a) Anwendungsbereich Das Gebot, den Börsenkurs bei der Festsetzung der angemessenen Abfindung zu berücksichtigen, gilt nach der Rechtsprechung des BVerfG beim Unternehmensvertrag und bei der Eingliederung.37 Die Rechtsprechung des BGH und der Instanzgerichte hat dies folgerichtig auf andere Desinvestitionsfälle wie den Squeeze-out38 und das Delisting39 übertragen. Grundsätzlich ist der Börsenkurs auch dann zu berücksichtigen, wenn die fragliche Aktie lediglich im Freiverkehr gehandelt wird. Allerdings ist dann ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob ein so liquider Börsenhandel stattfindet, dass die dabei erzielten Börsenpreise den Verkehrswert der Aktien widerspiegeln.40 Hierauf wird noch zurückzukommen sein.41 35

LG Köln v. 24.7.2009 aaO (Fn. 32) 494, 495. LG Köln v. 24.7.2009 aaO (Fn. 32), 494, 496. 37 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 303, BVerfG v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 = AG 2007, 119. 38 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 225/04 = AG 2006, 887, 889; OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 041/05 und 066/05 = AG 2007, 246, 247; OLG Düsseldorf v. 9.9.2009 – 26 W 13/06 = ZIP 2009, 2055; LG Frankfurt v. 2.5.2006 – 3–5 O 160/04 = NZG 2007, 40. 39 LG Köln v. 24.7.2009 aaO (Fn. 32) 494, 500. 40 OLG Düsseldorf v. 13.3.2008 – 26 W 8/07 AktE = AG 2008, 498, 501. 41 Siehe unten III.1.d). 36

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b) Stichtagskurs oder Durchschnittskurs? Gemäß § 305 Abs. 2 Satz 3 AktG und § 320b Abs. 1 Satz 5 AktG muss die Abfindung die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung berücksichtigen; nach § 30 Abs. 1 Satz 1 UmwG gilt Entsprechendes. Hiernach könnte man meinen, dass der Börsenkurs am Tag der Hauptversammlung maßgeblich wäre.42 Dies ist jedoch verfassungsrechtlich nicht geboten43 und war angesichts der Volatilität der Börsenkurse bereits vom BayObLG44 relativiert worden. Nach dem BVerfG können die Gerichte auf einen Durchschnittskurs „im Vorfeld der Bekanntgabe des Unternehmensvertrags“ zurückgreifen. Zwar müsse die angemessene Barabfindung die Verhältnisse der Gesellschaft „im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung“ berücksichtigen. Zu den im Berücksichtigungszeitpunkt maßgeblichen Verhältnissen gehöre aber nicht nur der Tageskurs, sondern auch ein auf diesen Tag bezogener Durchschnittswert.45 Der BGH sah sich aus Gründen der Rechtssicherheit veranlasst, auf einen Durchschnittskurs abzustellen, und hielt einen Zeitraum von drei Monaten für erforderlich, aber auch ausreichend, um Manipulationsrisiken wirksam begegnen zu können.46 In der hieran anschließenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bildete sich die heute ganz herrschende Auffassung heraus, dass der relevante Börsenkurs der nach Umsätzen gewichtete durchschnittliche Börsenkurs der Gesellschaft während der drei Monate vor dem Stichtag ist (analog § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO).47 Folglich kann dieses Problem als gelöst gelten. c) Tag der Hauptversammlung als Ende des Referenzzeitraums? Ungelöst ist hingegen das Problem, welcher Dreimonatszeitraum maßgeblich ist. Der BGH hat auf einen Zeitraum von drei Monaten vor der Hauptversammlung abgestellt. Weil der Referenzkurs auf den Tag der Beschlussfassung der Hauptversammlung zu beziehen sei, müsse er aus den in einem Zeitraum festgestellten Kursen gebildet werden, die in größtmöglicher Nähe

42 So in der Tat OLG Düsseldorf v. 25.5.2000 – 19 W 1/93 AktE = AG 2000, 422 (DAT/Altana). 43 BVerfG v. 27.4.1999 aaO (Fn. 37) 309; dem folgend BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 = BGHZ 147, 108, 117. 44 BayObLG v. 29.9.1998 – 3Z BR 159/94 = AG 1999, 43. 45 BVerfG v. 27.4.1999 aaO (Fn. 37) 289, 309. 46 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 = BGHZ 147, 108, 118; aA OLG Stuttgart v. 4.2.2000 – 4 W 15/98 = AG 2000, 428, 429 (8 Monate). 47 OLG Frankfurt vom 9.1.2003 – AZ 20 W 434/93 = AG 2003, 581 (582); OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 041/05 und 066/05 = AG 2007, 246, 247; anders noch OLG Düsseldorf v. 11.4.2004 – I-19 W 9/03 AktE = AG 2005, 538, 541; weitere Nachweise bei Hüffer AktG, 8. Auflage (2008) § 305 Rz. 24d.

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zu diesem Stichtag liegen.48 Verfassungsrechtlich geboten ist das nicht: Das BVerfG hatte die Gefahr gesehen, dass Minderheitsaktionäre den Börsenkurs während der Einberufungsfrist zur Hauptversammlung auf Kosten des Mehrheitsaktionärs in die Höhe treiben können. Es hatte daher ausdrücklich für zulässig erachtet, auf einen Durchschnittskurs im Vorfeld der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme abzustellen.49 Dementsprechend wurde die Entscheidung des BGH für einen Referenzzeitraum von drei Monaten vor dem Tag der Hauptversammlung im Schrifttum fast einhellig abgelehnt.50 Inzwischen befürworten mehrere Oberlandesgerichte einen Referenzzeitraum von drei Monaten vor dem Tag der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme.51 Zuletzt hat das OLG Düsseldorf die Frage dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.52 Für die Anknüpfung an den Tag der Bekanntgabe sprechen überzeugende Gründe: Bei Erstellung des schriftlichen Berichts an die Hauptversammlung kann der durchschnittliche Börsenkurs in einem an den Tag der Hauptversammlung anknüpfenden Referenzzeitraum wegen der zu beachtenden Einberufungsfrist (§ 123 Abs. 1 AktG) noch nicht feststehen. Im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des Berichts und der Hauptversammlung können die Börsenkurse von interessierter Seite in die Höhe getrieben werden. Hierin liegt eine Missbrauchsgefahr, die nach der Rechtsprechung des BVerfG gerade vermieden werden soll.53 Unabhängig davon wird der Börsenkurs durch die Bekanntgabe der Maßnahme und der zu erwartenden Abfindung nachhaltig beeinflusst.54 Soweit man auf einen Börsenkurs nach Bekanntgabe der Maßnahme abstellt, richtet sich die „angemessene Abfindung“ zirkelschlussartig nach dem Börsenkurs, der sich seinerseits an der angeboten Abfindung orientiert.55 Das kann nicht richtig sein. Angelehnt an § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO, der auf die Bekanntgabe des Über48 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 = BGHZ 147, 108, 118; dem folgend LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = AG 2009, 835, 840. 49 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 309; BVerfG, Beschluss v. 29.11.2006 – 1 BvR 704/03 = NJW 2007, 828, 829 (zur Gefahr des Missbrauchs durch die Muttergesellschaft). 50 Vgl. die Nachweise bei Hüffer AktG, 8. Aufl. (2008) § 305 Rz. 24e. 51 KG v. 16.10.2006 – 2 W 148/01 = ZIP 2007, 75 (zur Verschmelzung); OLG Frankfurt v. 2.11.2006 – 20 W 233/93 = AG 2007, 403, 404; OLG Stuttgart v. 16.2.2007 – 20 W 6/06 = NZG 2007, 302; OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06 = AG 2008, 783; zu dieser Entscheidung Pluskat NZG 2008, 365. 52 OLG Düsseldorf v. 9.9.2009 – 26 W 13/06 = ZIP 2009, 2055. 53 BVerfG, v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 310; BGH, v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 = BGHZ 147, 108. 54 KG v. 16.10.2006 – 2 W 148/01 = ZIP 2007, 75, 77; OLG Stuttgart v. 16.2.2007 – 20 W 6/06 = NZG 2007, 302, 304; OLG Düsseldorf v. 9.9.2009 – 26 W 13/06 = ZIP 2009, 2055, 2057; Weber ZGR 2004, 280, 284 ff.; Hüffer AktG, 8. Aufl. (2008) § 305 Rz. 24e; Großfeld Recht der Unternehmensbewertung, 5. Aufl. (2009) Rz. 1079. 55 OLG Düsseldorf v. 9.9.2009 – 26 W 13/06 = ZIP 2009, 2055, 2057; Pluskat NZG 2008, 365, 366.

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nahme bzw. Pflichtangebots abstellt, erscheint ein Referenzzeitraum von drei Monaten vor der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme besser geeignet, den Börsenwert realistisch abzubilden. Für den Fall, dass die Strukturmaßnahme der Übernahme zeitlich unmittelbar nachfolgt, erwägt das OLG Düsseldorf sogar, auf den gemäß § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO ermittelten gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs abzustellen.56 d) Marktenge Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann die angemessene Abfindung den Börsenkurs unterschreiten, wenn der Börsenkurs ausnahmsweise nicht den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt.57 Dies kann der Fall sein, wenn mindestens 95 % der Aktien unverkäuflich sind;58 jedoch muss hinzukommen, dass über einen erheblichen Zeitraum kein Handel in Aktien der Gesellschaft stattgefunden hat.59 Nach dem BGH ist dies noch nicht der Fall, wenn ein Handel in den Aktien der Zielgesellschaft innerhalb des dreimonatigen Referenzzeitraums in einem Monat an 15 und in den beiden anderen Monaten an je 8 Tagen stattgefunden hat.60 Aufgrund dieser Vorgaben hat die Rechtsprechung der Instanzgerichte eine Marktenge nur in Ausnahmefällen bejaht.61 Teilweise wird dabei – neben der Größe des Streubesitzes und der Zahl der Handelstage, an denen Umsätze stattgefunden haben – auf den Umsatz bezogen auf den Streubesitz abgestellt.62 Eine einheitliche Linie hat sich jedoch noch nicht gebildet. e) Bagatellgrenze Das LG Köln hat eine Barabfindung, die hinter dem gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs knapp zurückblieb, gleichwohl für angemessen gehalten. Es hat dies damit begründet, dass die Ableitung der angemessenen 56

OLG Düsseldorf v. 9.9.2009 aaO 2059; Vetter AG 2002, 176, 188; Krieger BB 2002, 53, 57; kritisch Just/Lieth NZG 2007, 444, 447. 57 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 309. 58 BVerfG v. 27.4.1999 aaO. 59 BVerfG v. 27.4.1999 aaO. 60 BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 = BGHZ 147, 108, 122. 61 Sehr streng OLG München v. 1.7.2006 – 31 Wx 41/05 und 66/05 = AG 2007, 246, 247, wonach zwar Marktenge bei einem „Free float“ von 0,45 % vorliegt, der Börsenkurs aber trotzdem maßgeblich sein kann, wenn während eines beträchtlichen Teil des Referenzzeitraums Geldkurse ausgewiesen und insgesamt 7,6 % des „Free-floats“ (d.h. ca. 0,03 % der Aktien) gehandelt wurden. 62 OLG München v. 11.7.2006 – 31 Wx 041/05 und O 66/05 = AG 2007, 246, 247 (Umsatz von 7,48 % des Streubesitzes; Marktenge aber Börsenkurs trotzdem maßgeblich, da Verkaufsmöglichkeit bestand); LG Frankfurt a.M. v. 17.1.2006 – 3-5 O 74/03 = AG 2006, 757 (Umsatz von 6,8 % des Streubesitzes; keine Marktenge); OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06 = AG 2008, 783 (Umsatz von 2 % des Streubesitzes; Marktenge); großzügiger OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – 26 W 7/06 AktE = AG 2007, 325 (Umsatz von über 23 % des Streubesitzes; Marktenge, allerdings nur 4570 Aktien im Streubesitz).

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Barabfindung anhand des durchschnittlichen Börsenkurses – wie jede Methode der Abfindungsbewertung – nur eine Schätzung darstelle. Es gebe stets eine Bandbreite, innerhalb derer die Abfindung als angemessen bezeichnet werden könne; eine punktgenaue Wertermittlung sei weder möglich noch geboten. Eine Abweichung vom Drei-Monats-Durchschnittskurs vor der Hauptversammlung könne in gewissen Bandbreiten, zumindest im Bereich von 1 % bis 2 %, akzeptiert werden.63 f) Abfindung in Aktien des herrschenden Unternehmens Die angemessene Abfindung muss beim Unternehmensvertrag unter den Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 AktG aus Aktien der herrschenden Gesellschaft oder ihrer Muttergesellschaft bestehen; bei der Eingliederung sind den Aktionären unter den Voraussetzungen des § 320b Abs. 1 Satz 2 AktG eigene Aktien der Hauptgesellschaft zu gewähren. Die Abfindung ist angemessen, wenn die Aktien in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der Gesellschaft Aktien der anderen Gesellschaft zu gewähren wären (§ 305 Abs. 3 Satz 1 AktG, § 320b Abs. 1 Satz 4 AktG). Nach der Rechtsprechung des BVerfG markiert der Börsenwert der abhängigen Gesellschaft grundsätzlich die Untergrenze ihrer Bewertung. Dagegen ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, einen etwa existierenden Börsenwert der herrschenden Gesellschaft als Obergrenze der Bewertung dieser Gesellschaft heranzuziehen, weil das grundrechtlich geschützte Aktieneigentum dem abfindungsberechtigten Aktionär keinen Anspruch darauf vermittelt, Aktien der herrschenden Gesellschaft zu (höchstens) dem Börsenkurs zu erhalten.64 Nach der Rechtsprechung des BGH schließt das aber nicht aus, dass der Börsenwert des herrschenden Unternehmens grundsätzlich seinem Verkehrswert entspricht – er bildet sich unter den gleichen Marktverhältnissen wie der Börsenkurs der beherrschten Gesellschaft.65 Freilich kann der Börsenwert des herrschenden Unternehmens auch von seinem Verkehrswert abweichen. Zum Nachweis genügt allerdings grundsätzlich nicht allein ein Sachverständigengutachten über den Unternehmenswert. Vielmehr müssen Umstände dargelegt und bewiesen werden, aus denen auf die Abweichung des Börsenkurses vom Verkehrswert zu schließen ist. Dies kann etwa die schlechte Verfassung der Kapitalmärkte sein.66 Ein solcher Umstand muss sich aber nicht nur im Börsenkurs des herrschenden Unternehmens, sondern auch in den Kursen der Aktienindizes niedergeschlagen haben.67 Ist der 63 64 65 66 67

LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = Der Konzern 2009, 494, 501. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 310. BGH v. 12.3.2001 – II ZB 15/00 = BGHZ 147, 108, 121. BVerfG v. 27.4.1999 aaO (Fn. 64) 310. BGH v. 12.3.2001 aaO (Fn. 65) 122.

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Börsenwert des herrschenden Unternehmens maßgeblich, ist er nach den gleichen Grundsätzen wie der Börsenwert der beherrschten Gesellschaft zu ermitteln, d.h. über einen dreimonatigen Referenzzeitraum.68 g) Abfindung bei Verschmelzung Ob und inwieweit Börsenkurse bei der Verschmelzung zu berücksichtigen sind, hat das BVerfG bislang nur für den Sonderfall der Verschmelzung einer Tochter- auf eine Muttergesellschaft nach vorausgegangenem Unternehmensvertrag entscheiden müssen.69 Mittlerweile liegen mehrere Entscheidungen der Instanzgerichte vor, in denen die Berücksichtigung des Börsenkurses entscheidungserheblich war. Diese Fälle lassen sich folgendermaßen kategorisieren: Wenn die übertragende Gesellschaft börsennotiert ist und die aufnehmende Gesellschaft nicht, spielt der Börsenwert der übertragenden Gesellschaft keine Rolle. Die Ermittlung eines angemessenen Umtauschverhältnisses erfordert eine Bewertung der Unternehmen nach gleichen Methoden (Grundsatz der Methodengleichheit).70 Folglich ist das Umtauschverhältnis in diesen Fällen aufgrund von Unternehmensbewertungen zu ermitteln. Wenn beide Gesellschaften börsennotiert sind, ist zwischen der Verschmelzung zweier unabhängiger Gesellschaften und der Verschmelzung im Konzern zu unterscheiden: Bei der Verschmelzung unabhängiger Gesellschaften (Verschmelzung unter Gleichen) bildet der Börsenkurs der Aktie eines Verschmelzungspartners nicht zwingend die Untergrenze für den Wert eines Anteils an diesem Rechtsträger als Grundlage der Bestimmung des angemessenen Umtauschverhältnisses.71 Anders als bei Unternehmensverträgen oder dem Ausschluss von Minderheitsaktionären geht es hier nicht um eine erzwungene Desinvestition gegen eine Abfindung, die dem Aktionär das gewähren muss, was er bei freiwilliger Desinvestition am Markt oder in freier Verhandlung als Kaufpreis für seine Aktien erzielt hätte. Bei der Verschmelzung unter Gleichen führt die vom UmwG vorausgesetzte Verhandlung des Verschmelzungsvertrages durch die jeweiligen Vertretungsorgane, deren Ergebnis der Prüfung durch den gerichtlich bestimmten Verschmel68

BGH v. 12.3.2001 aao (Fn. 65) 122. BVerfG v. 30.5.2007 – 1 BvR 1267/06 u. 1 BvR 1280/06 = AG 2007, 697, 698; zur Verschmelzung allgemein BVerfG v. 25.7.2003 – 1 BvR 234/01 = AG 2003, 624, 625. 70 BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00 = AG 2003, 569, 571; OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 = NZG 2003, 588, 597; OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 = AG 2006, 421, 427; aus der Literatur etwa Lutter/Drygala in Lutter, UmwG, 4. Auflage 2009, § 5 Rz. 29; Piltz ZGR 2001, 185, 203 f., 209; Hüttemann ZGR 2001, 454, 464; aA Paschos ZIP 2003, 1017, 1021 f.; Puszkajler BB 2003, 1692, 1694; Weiler/Meyer NZG 2003, 669, 671; für Konzernverschmelzungen auch Martens in FS Röhricht (2005) S. 987, 989 f. 71 BayObLG v. 18.12.2002 – 3Z BR 116/00 = AG 2003, 569, 571; OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 = AG 2006, 420, 427. 69

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zungsprüfer und der qualifizierten Zustimmung beider Hauptversammlungen unterliegt, zu einer erhöhten Gewähr für ein „richtiges“ und damit angemessenes Ergebnis. Wegen der Interessenkongruenz unter den Anteilseignern eines jeden Rechtsträgers bedarf es weder aus einfach- noch aus verfassungsrechtlicher Sicht eines weitergehenden Schutzes von Minderheitsaktionären, wie er gegen Maßnahmen eines herrschenden, von gegengerichteten Interessen geleiteten Mehrheitsaktionärs durch Ansatz eines Mindestwertes in Form des Börsenkurses der Aktien erforderlich wäre.72 Dementsprechend hatte die Rechtsprechung bei der Verschmelzung unter Gleichen keine Veranlassung, ein allein auf der Grundlage von Unternehmensbewertungen und ohne Berücksichtigung von Börsenkursen ermitteltes Umtauschverhältnis als unangemessen anzusehen.73 Für die Verschmelzung der Tochter- auf die Muttergesellschaft (Konzernverschmelzung) hat die Rechtsprechung noch keine einheitliche Linie gefunden. Das OLG Stuttgart will die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses allein auf der Grundlage von Unternehmensbewertungen beurteilen und die Börsenwerte der verschmelzenden Rechtsträger unberücksichtigt lassen.74 Weil das Umtauschverhältnis für Maß und Gehalt aller Anteilsinhaber des verschmolzenen Unternehmens von Bedeutung ist, weil für die Altaktionäre der Muttergesellschaft das Risiko der Wertverwässerung ihrer Beteiligungen besteht75 und weil sich alle Anteilsinhaber auf den grundrechtlichen Schutz des Eigentums berufen können, müsse das Umtauschverhältnis nach allen Seiten angemessen sein (Äquidistanzprinzip).76 Die Umtauschverhältnisse, die sich ergeben, wenn man jeder Aktionärsgruppe eine Meistbegünstigung in dem Sinne gewährt, dass sie sich auf das jeweils günstigere Umtauschverhältnis berufen kann,77 lassen sich nicht zur Deckung bringen. Diese Situa-

72 BayObLG v. 18.12.2002 aaO (Fn. 71); OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 = AG 2006, 420, 422; Lutter/Drygala aaO (Fn. 70) Rz. 24 ff.; Hüttemann ZGR 2001, 454, 465; Paschos ZIP 2003, 1017, 1022 ff.; aA Puszkajler BB 2003, 1692, 1693; Weiler/Meyer NZG 2003, 669. 73 BayObLG v. 18.12.2002 aaO (Fn. 71); OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05 = AG 2006, 420 f., 422. 74 OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06 = AG 2007, 705, 708. 75 Dieses Risiko besteht unabhängig davon, ob für den Aktienumtausch neue Aktien aus Kapitalerhöhung oder eigene alte Aktien der Muttergesellschaft verwendet werden. Werden neue Aktien aus Kapitalerhöhung ausgegeben, besteht zusätzlich das Risiko der überhöhten Verwässerung der Beteiligungsquote. 76 OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06 = AG 2007, 705, 706, 713 f. Hüffer/SchmidtAßmann in Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs (2005) S. 83 ff.; Adolff Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft (2007) S. 449 f., 468. 77 In diesem Sinne (mit Unterschieden im Einzelnen): Reuter DB 2001, 2483 ff.; Puszkajler BB 2003, 1692, 1694; für Konzernverschmelzung auch Paschos ZIP 2003, 1017, 1021 ff.; Martens in FS Röhricht (2005) S. 987, 989).

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tion lasse sich sinnvoll und verfassungsrechtlich unbedenklich nur so auflösen, dass es allein auf die Relation der Unternehmenswerte ankommt.78 Börsenwerte seien hierfür nicht maßgeblich, denn die Verschmelzung sei im Kern keine erzwungene Desinvestition, sondern eine Fortsetzung der Investition und damit auch eines Mitgliedschaftsverhältnisses mit Teilhabe am Unternehmenserfolg, wenn auch auf veränderter Grundlage. Daher sei die Intensität, mit der das verfassungsrechtlich geschützte Aktieneigentum von der Verschmelzung betroffen ist, mit der erzwungenen Desinvestition nicht vergleichbar.79 Demgegenüber hat das LG Frankfurt a.M. in einem Fall der Konzernverschmelzung entschieden, dass das von den beteiligten Unternehmen auf der Grundlage von Unternehmensbewertungen nach der Ertragswertmethode vereinbarte Umtauschverhältnis nicht angemessen und durch das Verhältnis der Börsenwerte zu ersetzen sei, weil nicht festgestellt werden könne, dass ein nach der Ertragswertmethode ermittelter, mit zahlreichen Ungenauigkeiten behafteter Schätzwert eine bessere Erkenntnisquelle sei als der Börsenkurs.80 Diese Begründung überrascht – nicht nur deswegen, weil die Kammer angesichts der Verhandlungen über das Umtauschverhältnis wie unter Gleichen eine lediglich eingeschränkte richterliche Prüfungskompetenz angenommen hatte.81 Dann aber hätte die Kammer von der Richtigkeit des ausgehandelten Umtauschverhältnisses ausgehen müssen und sich nur bei Fehlern in den zugrunde liegenden Unternehmensbewertungen darüber hinwegsetzen dürfen. Statt sich mit eventuellen Fehlern dieser Bewertungen konkret auseinanderzusetzen, führte die Kammer abstrakt und umfangreich verschiedene Schwächen der Ertragswertmethode an und schloss daraus, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens keinen weiteren Erkenntnisgewinn verspreche.82 Auch das überrascht – hatte doch dieselbe Kammer in einer Entscheidung zum übernahmerechtlichen Squeeze-out eine äußerst überschlägige Berechnung nach dem Ertragswertverfahren für ausreichend erachtet, um die Angemessenheitsvermutung nach § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG zu widerlegen.83 Auch wenn man mit der Analyse der Schwächen der Ertragswertmethode sympathisiert, man deswegen grundsätzlich Börsenkurse für maßgeblich hält84 und den Zeitgewinn durch die Entbehrlichkeit 78 Hüffer/Schmidt-Aßmann in Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs (2005) S. 83 ff.; Adolff Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft (2007) S. 468 f., 471 ff. 79 OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06 = AG 2007, 705, 714; Lutter/Drygala in Lutter, UmwG, 4. Aufl. (2009), § 5 UmwG Rz. 27; Adolff Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft (2007) S. 478. 80 LG Frankfurt a.M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 57/06 = AG 2009, 749, 755. 81 LG Frankfurt a.M. v. 13.3.2009 aaO (Fn. 80) 751. 82 LG Frankfurt a.M. v. 13.3.2009 aaO (Fn. 80) 755. 83 LG Frankfurt a.M. v. 5.8.2008 – 3-5 O 15/08 = AG 2008, 790, 791. 84 Busse von Colbe in FS Lutter (2000) S. 1053; Decher ZHR 171 (2007) 126, 140 f.

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der Bestellung eines Sachverständigen im Spruchverfahren begrüßt, hätte das LG Frankfurt a.M. im entschiedenen Fall mit der gelieferten Begründung nicht zu der getroffenen Entscheidung gelangen dürfen. 2. Vorerwerbspreise beim übernahmerechtlichen Squeeze-out a) Unwiderleglichkeit der Angemessenheitsvermutung? Beim übernahmerechtlichen Squeeze-out hatte sich die Rechtsprechung mit der umstrittenen85 Frage zu befassen, ob die Angemessenheitsvermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG widerleglich oder unwiderleglich ist. Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich um eine unwiderlegliche Vermutung.86 Demgegenüber hielt das LG Frankfurt a.M. die Angemessenheitsvermutung für widerleglich.87 Diese Entscheidung wurde jedoch vom OLG Frankfurt aufgehoben.88 Auch wenn das OLG Frankfurt eine gewisse Neigung erkennen ließ, die Angemessenheitsvermutung als unwiderleglich anzusehen,89 konnte es die Frage letztlich offen lassen. Wenn überhaupt sei die Angemessenheitsvermutung nur erschüttern, wenn Umstände vorgelegen hätten, die die Marktkräfte verfälscht haben.90 Eine überschlägige Berechnung des Unternehmenswertes nach dem Ertragswertverfahren sei jedenfalls nicht geeignet, die Angemessenheitsvermutung zu widerlegen.91 Demgegenüber hält das OLG Stuttgart die Angemessenheitsvermutung für unwiderleglich.92 b) „Irrevocable undertakings“ Beim übernahmerechtlichen Squeeze-out kann als geklärt angesehen werden, dass Aktien, die wegen eines „irrevocable undertaking“ in das Angebot eingeliefert werden, bei der Berechnung der Annahmequote des § 39a Abs. 3

85

Für Unwiderleglichkeit Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. (2008) § 39a Rz. 15; Krause BB 2004, 113, 118; Austmann/Mennicke NZG 2004, 846, 851; van Kann/Just DStR 2006, 328, 331; Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. (2008) § 39a Rz. 31 f.; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 319; Meyer WM 2006, 1135, 1142; Diekmann NJW 2007, 17; Wiesner ZIP 2004, 343, 349; für widerlegliche Vermutung dagegen etwa Heidel/ Lochner in KapitalmarktR, 2. Aufl. (2007) § 39a WpÜG, Rz. 34 ff.; Neve NZG 2002, 1144, 1145; Mülbert NZG 2004, 633, 634. 86 RegE Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 22. 87 LG Frankfurt a.M., v. 5.8.2008 – 3-5 O 15/08 = AG 2008, 790, 791. 88 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 – WpÜG 2/08 = NJW 2009, 375. 89 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 aaO (Fn. 88) 377. 90 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 aaO (Fn. 88) 379. 91 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 aaO (Fn. 88) 379 gegen LG Frankfurt a.M. v. 5.8.2008 – 3-5 O 15/08 = AG 2008, 790, 793. 92 OLG Stuttgart v. 5.5.2009 – 20 W 13/08 = AG 2009, 707.

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Satz 3 WpÜG zu berücksichtigen sind.93 Entscheidend ist, dass diese Aktien im Rahmen des formellen Angebotsverfahrens veräußert werden und dem Verkäufer dieselbe Gegenleistung je Aktie zufließt wie den übrigen Aktionären.94 Außerdem ist die Vereinbarung eines „irrevocable undertaking“ durch Großaktionäre ein Indiz für die Angemessenheit der angebotenen Gegenleistung, da ein Großaktionär regelmäßig einen besseren Erkenntnisstand über den Unternehmenswert hat.95 c) Parallel- und Nacherwerb Das LG Frankfurt a.M. hatte sich auch mit dem Fall auseinanderzusetzen, dass der Bieter nach dem Ende der Annahmefrist Aktien der Zielgesellschaft außerhalb des Angebots erwarb und so die 95 %-Schwelle des § 39a Abs. 1 Satz 1 erreichte.96 Unter Verweis auf die Gesetzesbegründung wurde im vielstimmigen Schrifttum überwiegend vertreten, dass das Erreichen der 95 %-Schwelle in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablauf der Angebotsfrist stehen müsse.97 Auch die BaFin teilte diese Ansicht und hielt nur Erwerbe bis zum Ablauf der weiteren Annahmefrist für berücksichtigungsfähig. Wie ein Spötter zutreffend anmerkte, kann man sich im ZweiWochen-Takt von Meinung zu Meinung durch den Kalender bewegen.98 Das LG Frankfurt a.M. ist diesen Literaten zu Recht nicht gefolgt. Das Gesetz gibt nicht vor, auf welcher Grundlage der Antragsteller diese Schwelle bis zur Antragstellung erreicht haben muss.99 Folglich können Bieter die 95 %Schwelle des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG auch noch durch Nacherwerb bis zum Ablauf der Antragsfrist erreichen. 3. Vorerwerbspreise bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen Wenn sich die Auffassung des LG Köln durchsetzen sollte, hätte dies für die Bemessung der angemessenen Abfindung im Rahmen von Strukturmaß93 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 aaO (Fn. 88) 376 und zuletzt erneut LG Frankfurt, v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08 = AG 2009, 421; Paefgen WM 2007, 765, 769; Deilmann NZG 2007, 721, 722; ablehnend soweit ersichtlich nur Johannsen-Roth/Illert ZIP 2006, 2157, 2160. 94 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 aaO (Fn. 88) 376; so auch schon LG Frankfurt a.M. v. 5.8.2008 – 3-5 O 15/08 = AG 2008, 790. 95 OLG Frankfurt v. 9.12.2008 – WpÜG 2/08 = NJW 2009, 375, 376. 96 LG Frankfurt v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08 = AG 2009, 421. 97 Kießling Der übernahmerechtliche Squeeze-out gemäß §§ 3a, 39b WpÜG (2008) S. 50, 52; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. (2008) § 39c Rz. 2; Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Auflage (2008), § 39a Rz. 15; Ott WM 2008, 385, 387; Deilmann NZG 2007, 721, 722; Johannsen-Roth/Illert ZIP 2006, 2157, 2159; Seibt/Heiser AG 2006, 301, 318; Meyer WM 2006, 1135, 1142. 98 Nagel AG 2009, 393, 394. 99 LG Frankfurt v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08 = AG 2009, 421, 422; so auch Paefgen WM 2007, 765, 766 m.w.N.

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nahmen erhebliche Auswirkungen. Am Markt erzielte Kaufpreise hätten eine wesentlich höhere Bedeutung als bisher; die Bedeutung von Ertragswertgutachten nach IDW Standard S1 und anderen Versuchen der Schätzung des Verkehrswerts würde zurückgedrängt. Im Einzelnen: a) Marktpreis Zunächst wäre zu klären, ob ein für ein Aktienpaket erzielter Kaufpreis einen „Marktpreis“ im Sinne des LG Köln darstellt. Hiernach wäre ein Marktpreis gegeben, wenn (1) eine Wettbewerbslage auf Käufer- und Verkäuferseite vorliegt, (2) sich gleichwertige Vertragspartner gegenüberstehen, die in der Lage sind, ihre gegenläufigen Interessen auszugleichen, und (3) Sonderinteressen des Käufers oder Verkäufers, die zu einem Preis abseits eines akzeptablen Verkehrswertspektrums führen, keine Bedeutung haben.100 Nach dem LG Köln kann aus diesem Marktpreis grundsätzlich auf den Verkehrswert des Unternehmens geschlossen werden, wenn (1) der Erwerb auf die Erlangung der Unternehmenskontrolle abzielt, (2) das Aktienpaket die Kontrolle über das Unternehmen tatsächlich ermöglicht und (3) bei der Preisfindung für das Aktienpaket der wahre Wert der Anteile, also der Wert des Unternehmens, zugrunde gelegt worden ist.101 Die im Rahmen eines Übernahmeangebots gebotene Gegenleistung wäre demnach kein Marktpreis, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten – wie möglicherweise ein konkurrierendes Angebot, das einen Bieterwettbewerb auslöst. Ob die Zusage eines maßgeblichen Aktionärs, seine Aktien im Rahmen des Übernahmeangebots zu verkaufen („irrevocable undertaking“), dazu führt, dass die Gegenleistung des Übernahmeangebots einen Marktpreis darstellt, dürfte von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Wenn dieses „irrevocable undertaking“ unter Umständen gegeben wird, die die vorstehend beschriebenen Kriterien erfüllen, wird anzunehmen sein, dass ein Marktpreis vorliegt, aus dem auf den Verkehrswert des Unternehmens geschlossen werden kann. b) Relevanz von Marktpreis und Ertragswert für den Verkehrswert Je nach zeitlicher Staffelung des Beteiligungserwerbs und der Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Strukturmaßnahme wäre dieser Marktpreis bei der Bestimmung der angemessenen Abfindung zu berücksichtigen: Erfolgt die Beschlussfassung der Hauptversammlung innerhalb eines Jahres nach dem Beteiligungserwerb, wäre die Abfindung grundsätzlich anhand des auf die einzelnen Aktien umgelegten Preises des Beteiligungserwerbs zu bemessen; der auf die Aktien umgelegte Ertragswert würde dann 100 101

LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = Der Konzern 2009, 494, 495. LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = Der Konzern 2009, 494, 496.

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keine Rolle spielen. Erfolgt die Beschlussfassung der Hauptversammlung hingegen später als ein Jahr nach dem Beteiligungserwerb und liegen auch sonst keine Marktpreise vor, wäre der Verkehrswert des Unternehmens nach einer geeigneten Methode (z.B. Ertragswertgutachten) zu schätzen und auf die Aktien umzulegen. Wenn sich die Auffassung des LG Köln zum Rangverhältnis zwischen Marktpreisen und Ertragswerten durchsetzt, kann es keine Meistbegünstigung in dem Sinne geben, dass sich die angemessene Abfindung nach dem höheren der beiden Werte richten müsse. Wenn der für den Kontrollerwerb gezahlte Preis je Aktie einen Marktpreis darstellt, wird sich der Mehrheitsaktionär nicht darauf berufen können, dass eine gemäß Ertragswertverfahren ermittelte niedrigere Abfindung angemessen wäre; genauso wenig wird ein Minderheitsaktionär argumentieren können, dass eine gemäß Ertragswertverfahren ermittelte höhere Abfindung angemessen wäre. c) Relevanz des Börsenkurses neben dem Verkehrswert Die Entscheidung des LG Köln ändert nichts daran, dass sich die Relevanz des Börsenkurses für die Angemessenheit der Abfindung nach der „DAT/ Altana“-Entscheidung des BVerfG102 bestimmt. Ist der Börsenkurs höher als der Verkehrswert, darf die Abfindung nicht hinter dem Börsenkurs zurückbleiben. Ist der Verkehrswert höher als der Börsenkurs, bildet der Verkehrswert die Untergrenze der angemessenen Abfindung. d) Erforderlichkeit von Bewertungsgutachten Wenn sich die Auffassung des LG Köln durchsetzt, könnte es beim „Delisting“ möglich werden, ohne Bewertungsgutachten auszukommen: Nach der Rechtsprechung des OLG Celle103 und des OLG Stuttgart104 ist der Hauptversammlungsbeschluss über ein „Delisting“ nicht deswegen anfechtbar, weil den Aktionären bei Einberufung der Hauptversammlung kein Bewertungsgutachten vorgelegt wird.105 Diese Rechtsprechung stützt sich auf die „Macrotron“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, in der es ausdrücklich heißt, dass ein „Delisting“-Bericht nicht erforderlich sei,106 und in der von der gerichtlichen Bestellung eines sachverständigen Prüfers nicht die Rede ist. Allerdings kann es im Spruchverfahren erforderlich werden, das 102

BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 308. OLG Celle v. 7.5.2008 – 9 U 165/07 = AG 2008, 858. 104 OLG Stuttgart v. 15.10. 2008 – 20 U 19/07 = AG 2009, 124. 105 Gegen beide Entscheidungen wurden Rechtsmittel zum BGH eingelegt. Die Revision gegen das Urteil des OLG Celle wurde zwischenzeitlich zurückgenommen; die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG Stuttgart wurde nach Abschluss des Manuskripts zurückgewiesen, BGH v. 7.12.2009 – II ZR 239/08. 106 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01 = BGHZ 153, 47, 59 (Macrotron). 103

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Bewertungsgutachten eines Sachverständigen einzuholen, wenn ein Marktpreis, der den Kriterien des LG Köln genügt, nicht vorliegt. Bei den gesetzlich geregelten Strukturmaßnahmen (Unternehmensvertrag, Eingliederung, „Squeeze-out“, umwandlungsrechtliche Maßnahmen) dürfte es hingegen dabei bleiben, dass Bewertungsgutachten nach IDW Standard S1 eingeholt und der Hauptversammlung vorgelegt werden. Die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften verlangen die Bestellung eines sachverständigen Prüfers, der der Hauptversammlung Bericht zu erstatten hat, und geben im Wesentlichen nur Wirtschaftsprüfern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Zugang zu dieser Rolle.107 Nach Auffassung des Berufsstands besteht die Prüfungstätigkeit in der Überprüfung einer bereits vorliegenden Bewertung anhand des zugrunde liegenden Zahlenmaterials.108 Weil Wirtschaftsprüfer den Standards des IDW zu folgen pflegen, ist zu erwarten, dass diese Bewertungen weiterhin nach IDW Standard S1 vorgenommen werden – paradoxerweise auch dann, wenn ein Marktpreis vorliegt, der nach LG Köln eine Ertragswertbewertung entbehrlich macht. e) Weitere praktische Fragen Wenn sich die Ansicht des LG Köln in der Rechtsprechung durchsetzt, würde dies für die Beteiligten in allen Fällen, in denen auf einen Marktpreis zurückgegriffen werden kann, erhebliche Kosten- und Zeitersparnisse mit sich bringen. Die Kosten eines Sachverständigen sind im Spruchverfahren grundsätzlich von der Antragsgegnerin, d.h. der betroffenen Gesellschaft, zu tragen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 SpruchG). Wenn ein Bewertungsgutachten entbehrlich ist, fallen diese Kosten (oft ein sechsstelliger Euro-Betrag) nicht an. Die Zeitersparnis ist evident – ohne Sachverständigengutachten und langwierigen Streit über die für den Ertragswert relevanten Parameter können Spruchverfahren wesentlich schneller abgeschlossen werden als bisher. Das Spruchverfahren in dem vom LG Köln entschiedenen Fall dauerte in der ersten Instanz lediglich 18 Monate. Am wichtigsten dürfte jedoch die Rechtssicherheit sein, die gewonnen wird, wenn auf einen Vorerwerbspreis abgestellt werden kann. Wenn im Spruchverfahren nicht mehr um die verschiedenen Parameter der Ertragswertermittlung, sondern um die Frage gestritten wird, ob der Erwerb eine Kontrollbeteiligung betraf und der Vorerwerbspreis unter Marktbedingungen zustande kam, wird die Höhe der Abfindung kalkulierbar. Wer seinen Vorerwerb so strukturieren kann, dass der Kaufpreis für die Beteiligung den Rückschluss auf den Verkehrswert des Unternehmens ermöglicht, kann das

107 Vgl. § 293d Abs. 1 Satz 1, § 320 Absatz 3 Satz 3, § 327c Absatz 2 Satz 4 AktG iVm § 319 Abs. 1 bis 4, § 319a Abs. 1, § 321 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 und 2 HGB. 108 Wirtschaftsprüfer-Handbuch II, 12. Auflage (2002) Abschnitt D Rn 24.

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Problem der Unvorhersehbarkeit des Preises „für die letzten 25 %“109 überwinden.

IV. Fazit und Ausblick Seit der „DAT/Altana“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts110 haben die Instanzgerichte den Markt als Bezugsrahmen für die Bestimmung der angemessenen Abfindung bei aktienrechtlichen Strukturmaßnahmen entdeckt. Der Börsenkurs ist heute als abfindungsrelevante Größe fest etabliert. „Marktgetestete“ oder unter Marktbedingungen gebildete Vorerwerbspreise spielen für die Abfindung bei Strukturmaßnahmen erst seit 2006 in der durch europäische Vorgaben erschlossenen Nische des übernahmerechtlichen Squeeze-outs eine Rolle. Ob Vorerwerbspreise auch außerhalb dieser Nische von Bedeutung sind, ist eine Frage, die jüngst vom LG Köln aufgeworfen und unter bestimmten Voraussetzungen erstmals bejaht worden ist.111 Die Berücksichtigung von Börsen- und Vorerwerbspreisen wirft viele Fragen auf. Eine wesentliche, die Praxis bewegende Frage ist die, ob die Entscheidung des LG Köln in der Beschwerdeinstanz Bestand haben wird. Wenn, wie vom LG Köln vorgeschlagen, an Kaufpreise für Kontrollbeteiligungen angeknüpft werden kann, die unter Marktbedingungen zustande gekommen sind, wäre dies für die Beteiligten mit einem erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit verbunden. In diesen Fällen wäre ein gemäß IDW Standard S1 ermittelter, auf die Aktien umgelegter Unternehmenswert nicht länger maßgeblich; das Problem der Unvorhersehbarkeit des Preises „für die letzten 25 %“ wäre jedenfalls in diesen Fällen überwunden. Eine weitere wesentliche Frage hat sich in den referierten Entscheidungen bisher allenfalls angedeutet: Die vom LG Köln vorgenommene Anknüpfung an Kaufpreise für Kontrollbeteiligungen hat zur Folge, dass die abzufindenden Minderheitsaktionäre an der Kontrollprämie partizipieren und genauso wie der verkaufende Großaktionär behandelt werden. Verfassungsrechtlich erforderlich ist das nicht.112 Es ist aber auch nicht verfassungswidrig. So wird etwa bei Übernahme- und Pflichtangeboten nach dem WpÜG die Gleichbehandlung der Aktionäre in Bezug auf die Gegenleistung und damit ihre Teilhabe an der Kontrollprämie durch die Vorschriften über den Mindestpreis und die Maßgeblichkeit der bei Vor-, Parallel- und Nacherwerb gezahlten Preise (§ 31 WpÜG, § 4 WpÜG-AngVO) sichergestellt. Ob diese spezielle Gleichbehandlungspflicht auch bei der Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen zu gelten hat, ist offen. Für Zwecke 109 110 111 112

Decher ZHR 171 (2007) 126, 139 BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289. LG Köln v. 24.7.2009 – 82 O 10/08 = Der Konzern 2009, 494, 499. BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94 = BVerfGE 100, 289, 306.

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Hartmut Krause

der Ermittlung des abfindungsrelevanten Börsenkurses hat das OLG Düsseldorf in seinem Vorlagebeschluss vom 9. September 2009 113 erwogen, statt auf den Durchschnittskurs der drei Monate vor Ankündigung des streitgegenständlichen Squeeze-outs auf den gemäß § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO ermittelten gewichteten durchschnittlichen Börsenkurs abzustellen, wenn dieser in zeitlich engem Zusammenhang mit dem Squeeze-out ermittelt worden ist. Nach § 5 Abs. 1 WpÜG-AngVO muss die Gegenleistung des Übernahmebzw. Pflichtangebots mindestens dem gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs während der drei Monate vor der Ankündigung des Übernahmeangebots gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG bzw. vor der Veröffentlichung des Kontrollerwerbs gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 WpÜG entsprechen. Der bevorstehende Kontrollerwerb ist in diesen Durchschnittskurs nicht eingepreist. Wäre dieser vom OLG Düsseldorf in Erwägung gezogene Durchschnittskurs maßgeblich, würden die abzufindenden Minderheitsaktionäre an der Kontrollprämie nicht partizipieren. Dieser kurze Abriss sollte verdeutlichen, dass Marktpreise bei der Ermittlung der angemessenen Abfindung im Rahmen aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Die Entdeckung des Marktes für Abfindungszwecke wirft allerdings eine Reihe von Grundsatz- und Praxisproblemen auf. Wir dürfen gespannt sein, ob und wie sie gelöst werden.

113

OLG Düsseldorf v. 9.9.2009 – 26 W 13/06 = ZIP 2009, 2055, 2059.

Der Kodex und das Recht Marcus Lutter

Klaus Hopt hat in ganz hohem Maße dazu beigetragen, das Thema Corporate Governance und die wissenschaftliche Diskussion um sie in Deutschland heimisch zu machen.1 Ihm seien diese Zeilen zu den Folgen seiner Anstöße gewidmet.

I. Einführung Der von der Regierungskommission „Corporate Governance Kodex“ erarbeitete, 2002 verabschiedete und seither jährlich aktualisierte „Deutsche Corporate Governance Kodex“ ist nicht Recht. Das ist heute unstreitig.2 Dennoch ist er vielfach rechtlich relevant.3 Das beginnt bei § 161 AktG mit seiner Erklärungspflicht zum Kodex und seiner neu eingeführten Begründungspflicht bei Abweichungen vom Kodex,4 geht weiter mit seinen Wiedergaben des Gesetzes5 und den längst bestehenden Sorgfaltspflichten der Organmitglieder (§§ 93 Abs. 1 Satz 1, 116 AktG) und ist als Grundlage für Haftungen der Organmitglieder noch lange nicht am Ende. 1 Vgl. nur Hopt Corporate Governance und Deutsche Universalbanken in Feddersen/ Hommelhoff/U. H. Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996, S. 243 ff.; Hopt Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa?, ZGR 2000, 779; Hopt Corporate Governance: Aufsichtsrat oder Markt? Dritte Max Hachenburg Gedächtnisvorlesung, 2000, S. 9 ff.; Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (Hrsg.), Comparative Corporate Governance, The State of the Art and Emerging Research, Oxford 1998; Hopt Globalisierung und Corporate Governance in K. Homann/P. Koslowski/C. Lütze (Hrsg.), Wirtschaftsethik der Globalisierung, 2005; Hopt/Wymeersch (Hrsg.), Comparative Corporate Governance, 1997; Hommelhoff/Hopt/von Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 1. Aufl. 2003; 2. Aufl. 2010. 2 BGH v. 16.2.2009, II ZR 185/07, BGHZ 180,9 = ZIP 2009, 460; OLG München v. 6.8.2008, 7 U 5628/07, AG 2009, 294; MünchKomm AktG/Semler 2. Aufl., § 161 Rn. 10; Hüffer AktG, 8. Aufl., § 161 Rn. 3; Ulmer ZHR 166 (2002) 150, 158 ff.; Wymeersch FS Horn, 2006, S. 618, 627 ff. 3 So die schöne Formulierung von Eddy Wymeersch aaO (Fn. 2). 4 Durch Erweiterung von Satz 1 des § 161 Abs. 1 AktG durch Art. 5 des Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, BilMoG) vom 25. Mai 2009, BGBl. I, S. 1102. 5 Der Kodex will insbesondere ausländische Investoren mit der deutschen Corporate Governance vertraut machen. Zu diesem Zweck muss er an vielen Stellen das AktG inhaltlich wiedergeben oder gar zitieren, z.B. Ziff. 5.1.2 Satz 1: „Der Aufsichtsrat bestellt und entlässt die Mitglieder des Vorstands“.

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Marcus Lutter

II. Die Rechtspflichten im Kontext mit der Erklärung nach § 161 AktG 1. Die Erklärungspflicht nach § 161 AktG ist Rechtspflicht jedes Mitglieds von Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Erfüllen sie diese Pflichten nicht, indem sie keine oder keine rechtzeitige Erklärung positiv oder negativ abgeben, so verletzen sie eine ihrer vielen Rechtspflichten.6 Das ist unstreitig.7 2. Das gleiche gilt aber auch, wenn Vorstand und Aufsichtsrat eine falsche Erklärung abgeben. Hat der Aufsichtsrat eine uneingeschränkte Erklärung für die Vergangenheit – wir haben befolgt – und die Zukunft – wir werden befolgen – abgegeben und hat er weder einen Prüfungsausschuss eingerichtet noch die Absicht, es demnächst zu tun, so erklärt er die Unwahrheit.8 Natürlich meint das Gesetz in § 161 AktG nicht irgendeine Erklärung, sondern eine wahre, eine richtige Erklärung.9 Die falsche Erklärung ist mithin wie die Nicht-Erklärung die Verletzung einer Rechtspflicht. 3. Das gleiche gilt aber auch, wenn Vorstand und/oder Aufsichtsrat ihre Meinung unterjährig ändern. Dazu sind sie berechtigt10; denn die Freiheit der Organe, die Empfehlungen des Kodex zu befolgen oder nicht, wird durch die früher anders lautende Erklärung für die Zukunft nicht beseitigt. Doch wird mit dem Gegen-Entschluss eines oder beider Organe die fortdauernd im Internet stehende Erklärung falsch. Falsche Erklärungen aber sind pflichtwidrig. Daher muss die Erklärung umgehend berichtigt werden.11 Geschieht das nicht, handeln Vorstand und Aufsichtsrat pflichtwidrig.12 4. Und wiederum das gleiche gilt, wenn Vorstand oder Aufsichtsrat die von ihnen für die Zukunft akzeptierten Empfehlungen des Kodex einfach nicht einhalten. Im Grunde war das so im Fall des Bundesgerichtshofs, in dem sich der Aufsichtsrat nicht an Ziff. 5.5.3 des Kodex gehalten hat (Offenlegung 6 Zu der Legion von spezifischen Rechtspflichten des Vorstands, aber auch des Aufsichtsrats vgl. U.H. Schneider FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473 sowie ZGR 1996, 225. 7 Vgl. etwa KölnKomm AktG/Lutter 3. Aufl., § 161 Rn. 65; Hüffer aaO (Fn. 2) § 161 Rn. 25; K. Schmidt/Lutter/Spindler Komm. AktG, § 161 Rn. 64; Semler aaO (Fn. 2) § 161 Rn. 197. 8 Übrigens auch der Vorstand, der hinsichtlich der vergangenheitsbezogenen Erklärung weiß, dass es einen Prüfungsausschuss nicht gegeben hat. 9 BGH aaO (Fn. 2); Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Kodex-Komm. 4. Aufl., Rn. 1626; K. Schmidt/Lutter/Spindler Komm. AktG, § 161 Rn. 60; Ulmer (Fn. 2) S. 165, 172; Lutter FS Huber, 2006, S. 871, 881. 10 Seibert BB 2002, 581, 583; Ihrig/Wagner BB 2002, 789; KölnKomm AktG/Lutter 3. Aufl., § 161 Rn. 76 mit weiteren Nachw.; Spindler (Fn. 8) § 161 Rn. 43. 11 Diese früher umstrittene Frage (vgl. nur Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273 einerseits; Lutter aaO (Fn. 10), § 161 AktG Rn. 56 andererseits) ist durch die Entscheidung des BGH vom 16. Februar 2009 (oben Fn. 2) im Sinne der hier vertretenen Auffassung geklärt. 12 BGH aaO (Fn. 2); eingehend dazu Mutter, ZGR 2009, 788.

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von Interessenkonflikten im Bericht an die Hauptversammlung). Der BGH 13 hat das als eine bewusste Abkehr von der eigenen Erklärung verstanden und die fehlende offene Korrektur der Erklärung als pflichtwidrig interpretiert.14 Aber es gilt natürlich auch für die unbewusste Abkehr von der eigenen Kodex-Erklärung oder der Fehlinterpretation des Kodex: Vielleicht hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bank sogar gedacht, es liege gar kein Interessenkonflikt vor. Das Verhalten des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder war dennoch objektiv pflichtwidrig. Und allein das ist maßgebend. Auf ein Verschulden kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.15 5. Rechtsprobleme können sich auch ergeben im Zusammenhang mit der Frage, wann die reguläre Erklärung nach § 161 AktG abzugeben ist. Das Gesetz sagt, die Erklärung müsse „jährlich“ abgegeben werden.16 Wann im Laufe des Jahres die Erklärung abgegeben wird, überlässt das Gesetz also Vorstand und Aufsichtsrat. Zweckmäßig (aber nicht notwendig!)17 ist der Bilanzstichtag18 oder der Tag der Feststellung des Jahresabschlusses.19 Diese Erklärung kann unterjährig beliebig erneut abgegeben werden, muss das aber, wenn Vorstand und Aufsichtsrat eine Änderung gegenüber der letztenErklärung beschlossen haben.20 Im Übrigen muss sie innerhalb von 365 Tagen seit der letzten Erklärung erneut erfolgen21 und im Internet publiziert werden.22 Missverständlich ist die häufige Formulierung, dass die Erklärung „mindestens einmal im Kalenderjahr“ erfolgen müsse.23 Richtig ist, dass Vorstand und Aufsichtsrat den Zeitpunkt beliebig festlegen können. Danach aber sind sie Knechte und müssen längstens nach 365 Tagen eine neue Erklärung abgeben. Wer also zum 1. Februar 2009 erklärt hat, muss die neue Erklärung spätestens 13 BGH aaO (Fn. 2); ebenso BGH v. 21.9.2009, II ZR 174/08, ZIP 2009, 2051 und dazu Goette DStR 2009, 2602, 2606. 14 BGH aaO (Fn. 2), 463 ff. Eingehend zu diesem Urteil E. Vetter NZG 2009, 561 und Mutter ZGR 2009, 788. 15 Aus diesem Grund wird verschiedentlich empfohlen, in erklärungspflichtigen Gesellschaften einen Kodex-Beauftragten zu bestellen, dessen Aufgabe es ist, die Einhaltung des Kodex zu überwachen und so die Organe und ihre Mitglieder vor unbewussten Abweichungen von den Empfehlungen des Kodex zu schützen. Vgl. Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., Rn. 498; Seibt AG 2002, 249, 254. Vgl. dazu auch unten sub 8 und Fn. 41. 16 Eingehend dazu Rosengarten/Sven H. Schneider ZIP 2009, 1837. 17 AA Seibt AG 2002, 249, 257. 18 Lutter ZHR 166 (2002) 523, 528 Fn. 16. 19 So MünchHdb GesR Bd. IV (Aktiengesellschaft)/Hoffmann-Becking 3. Aufl., § 29 Rn. 64. 20 BGH v. 16.2.2009, aaO (Fn. 2). 21 OLG München, ZIP 2008, 742, 743 und die Nachw. unten Fn. 24. 22 Zu den gesellschaftsinternen Voraussetzungen der Erklärung vgl. Lutter FS Huber, 2006, S. 871 ff.; KölnKomm AktG/ders. 3. Aufl, § 161 AktG Rn. 53 ff.; ders. in Ringleb/ Kremer/Lutter/v. Werder, Kodex-Kommentar, 4. Aufl. 2010, Rn. 1515 ff. 23 So etwa Hoffmann-Becking aaO (Fn. 19); zutr. Kodex-Komm./Ringleb 4. Aufl. 2010, Rn. 1578 („zumindest einmal pro Jahr“).

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am 1. Februar 2010 abgeben und veröffentlichen und kann nicht etwa bis zum 31. Dezember 2010 zuwarten.24 Verspätete Erklärungen und verspätete Veröffentlichungen sind Pflichtverletzungen der Organe Vorstand und Aufsichtsrat und ihrer Mitglieder. 6. Handeln Vorstände und Aufsichtsräte pflichtwidrig, so greifen die §§ 93, 116 AktG ein mit der Folge, dass die betreffenden Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder persönlich schadensersatzpflichtig werden, vorausgesetzt, der Gesellschaft ist daraus ein Schaden entstanden. Auch das ist heute unstreitig.25 Das Verschulden wird vermutet,26 während die Pflichtwidrigkeit objektiv feststeht und die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) nicht zur Anwendung kommt, weil es bei der Einhaltung des Gesetzes kein unternehmerisches Ermessen gibt.27 Problematisch ist hier der Schaden der Gesellschaft. Als Minderung ihres Ansehens wird er als immaterieller Schaden oft vorliegen. Der aber ist vom Gesetz nicht gemeint. Ein materieller Schaden aber kommt nur in Betracht, wenn sich etwa die Kreditbedingungen der Gesellschaft aufgrund dieses Geschehens verschlechtert haben. Kann dann wenigstens die Pflichtwidrigkeit durch Klage eines Aktionärs gegen die Gesellschaft oder die betroffenen Organmitglieder festgestellt werden? Auch das ist nicht der Fall, da es nur um die Klärung einer Rechtsfrage ginge, nicht um die eines Rechtsverhältnisses: Durch die (mögliche) Verletzung des Rechts (§ 161 AktG) seitens Vorstand und Aufsichtsrat ist der Aktionär weder in seinem Mitgliedschaftsrecht noch in seinem Mitentscheidungsrecht verletzt.28 Seine Klage hätte daher den Charakter einer Rechtsaufsicht über Vorstand und Aufsichtsrat. Das aber widerspräche der Zuständigkeitsordnung in der AG und würde zu großen praktischen Unzuträglichkeiten führen.29 Wohl aber könnte die Gesellschaft selbst gegen die betroffenen Organmitglieder auf Feststellung der Pflichtwidrigkeit klagen; das aber ist praktisch kaum vorstellbar. 24 OLG München, ZIP 2008, 742, 743; K. Schmidt/Lutter/Spindler Komm. AktG, § 161 Rn. 39; Ihrig ZIP 2009, 853; aA Rosengarten/Sven H. Schneider ZIP 2009, 1837, 1840 mit allen Nachw. 25 Vgl. nur Semler aaO (Fn. 2), § 161 AktG Rn. 184 ff.; K. Schmidt/Lutter/Spindler Komm. AktG § 161 AktG Rn. 64 ff; eingehend dazu Kort in FS K. Schmidt, 2009, S. 945 ff. 26 K. Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer § 93 AktG Rn. 29 mit allen Nachw.; unstr. 27 Lutter ZIP 2007, 841, 843; unstr. 28 In seiner Entscheidung Mangusta II hat der BGH (BGHZ 164, 249 = JZ 2007, 367 m. Anm. Lutter) dem in seinen Mitgliedschaftsrechten (Bezugsrecht) möglicherweise verletzten Aktionär im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO für klagebefugt angesehen. Das ist richtig (Lutter aaO; vgl. auch Wilsing ZGR 2006, 723 ff., 736 ff.), betrifft aber nicht die hier angesprochene Konstellation einer allgemeinen Rechtsverletzung. 29 OLG Stuttgart v. 30.5.2007, NZG 2007, 549 für die Feststellungsklage eines Aufsichtsratsmitglieds. Wie hier Großkomm. AktG/Klaus Hopt 4. Aufl., § 93 Rn. 459 für die hier angesprochene Feststellungsklage eines Aktionärs.

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Ist doch einmal ein materieller Schaden der Gesellschaft entstanden, so leidet die Durchsetzung dieser Ansprüche darunter, dass nur der Vorstand gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats und nur diese gegen die Mitglieder des Vorstands gerichtlich vorgehen können, §§ 78, 112 AktG. In den hier bedachten Fällen werden aber häufig Vorstand und Aufsichtsrat gleichermaßen in die Pflichtverletzung involviert sein; 30 dann ist mit einer Durchsetzung der Ansprüche trotz der klaren Worte des BGH im ARAG-Fall 31 kaum zu rechnen. Und wegen der verbleibenden Unsicherheiten und Risiken – war das Verhalten wirklich kodexwidrig, ist ein Schaden tatsächlich entstanden? – hilft auch die Aktionärsklage nach § 148 AktG wenig oder nicht.32 7. a) Bei dieser Situation – pflichtwidriges Handeln der Organe, aber im Zweifel keine Sanktion – ist es außerordentlich wichtig, dass der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. Februar 200933 einen solchen Verstoß als schwerwiegende Verletzung des Gesetzes wertet und die dennoch erteilte Entlastung durch die Hauptversammlung als anfechtbar versteht.34 Das ist ein großer Schritt hin zur wirklichen und nicht nur verbalen Durchsetzung von § 161 AktG und der Empfehlungen des Kodex in der Praxis.35 b) In diesem Zusammenhang verlangen die Oberlandesgerichte Frankfurt36 und Köln37, dass die Verletzung von Gesetz oder Satzung der Hauptversammlung (besser: den auf der Hauptversammlung anwesenden Aktionären) bekannt oder aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen zumindest erkennbar war. Im Falle des BGH38 war das klar gegeben: Der unzureichende Bericht des Aufsichtsrats lag der Hauptversammlung vor und der Konflikt mit Kirch war allgemein bekannt. Das ist in vielen anderen Fällen nicht der Fall. Welcher Aktionär weiß von Interessenkonflikten durch Ge30

So war es im Fall des BGH-Urteils vom 16.2.2009 (s. oben Fn. 2). BGHZ 135, 244 – ARAG. 32 Im Grunde handelt es sich um das gleiche Problem wie bei der Bankenkrise. Auch dort haben die Aufsichts- und Verwaltungsräte der involvierten Banken die Fehlhandlungen der Vorstände gebilligt und sitzen jetzt mit diesen im gleichen Boot. Vgl. Lutter ZIP 2009, 197 und BB 2009, 786. Das Gesetz ist auf eine solche Situation nicht vorbereitet. 33 S. oben Fn. 2; dazu E. Vetter NZG 2009, 561. Bestätigt durch Urteil v. 21.9.2009, II ZR 174/08, GWR 2009, 367 = ZIP 2009, 2051. 34 Die Frage ist (war) ungewöhnlich stark umstr.; ebenso wie der BGH mit eingehender Begründung und weiteren Nachw. KölnKomm AktG/Lutter 3. Aufl., § 161 Rn. 66 u. 67; Hüffer aaO (Fn. 2) § 161 Rn. 31; K. Schmidt/Lutter/Spindler Komm. AktG, § 161 AktG Rn. 61; Ulmer ZHR 166 (2002) 150, 165 f.; aA MünchKomm AktG/Kubis 2. Aufl., § 120 Rn. 47. 35 Zutr. E. Vetter NZG 2008, 121 in seiner Kritik am Urteil des LG München I v. 22.11.2007, NZG 2008, 150 und dessen gegenteiliger Ansicht; ähnlich wie das LG München I auch das OLG Frankfurt, AG 2007, 672 als Vorinstanz. 36 Urteil v. 16.5.2006, 5 U 109/04, ZIP 2007, 26 und vom 18.12.2007, 5 U 177/06, EWiR 2008, 385 Anm. Kort. 37 Urteil v. 9.7.2009, 18 U 167/08, DStR 2009, 1925. 38 S. oben Fn. 2. 31

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schäfte eines Vorstandsmitglieds oder Aufsichtsratsmitglieds persönlich oder eines ihm nahestehenden Unternehmens mit der Gesellschaft? Im Fall des OLG Köln war diese Situation eklatant: Tochtergesellschaften der AG waren an deren Mehrheitsaktionär verkauft worden und die Aktionäre fürchteten, dass dies zu einem zu niedrigen Preis geschehen war. Auf Nachfrage in der Hauptversammlung erläuterte der Vorstand die Art und Weise der Bewertung, lehnte aber die Vorlage und Einsicht in ein von ihm eingeholtes Bewertungsgutachten ab. Die Aktionäre konnten also nicht wissen, ob Vorstand und Aufsichtsrat korrekt gehandelt hatten oder nicht. So ärgerlich es ist, dass es auf diese Weise zu keiner Überprüfung des Vorgangs kommen konnte, so wird man es den Oberlandesgerichten zugute halten müssen, dass ohne dieses Tatbestandsmerkmal jede behauptete Rechtsverletzung zum Rechtfertigungszwang der Organmitglieder im Anfechtungsverfahren führen würde. Es wäre also eine Art Ausforschungssituation gegeben.39 Das kann man nicht wünschen. 8. Im soeben behandelten Fall (Kirch/Deutsche Bank) hat der BGH 40 ohne nähere Begründung auch die Anfechtung der Entlastung des Vorstands bestätigt. Das überrascht; denn der Vorstand ist weder in § 171 Abs. 2 AktG (Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung) noch in Ziff. 5.5.3 des Kodex angesprochen. Auch geht der Bericht des Aufsichtsrats nicht an ihn, sondern an die Hauptversammlung. Allerdings erhält der Vorstand den Bericht des Aufsichtsrats zur Vorlage an die Hauptversammlung, kann also den Mangel feststellen und den Aufsichtsrat darauf hinweisen. Um aber den hier fehlenden Hinweis als Rechtsverletzung verstehen zu können, müsste der Vorstand zur Prüfung des Berichts des Aufsichtsrats von Rechts wegen verpflichtet sein. Eine solche Rechtspflicht des Vorstands zur „Überwachung“ des Aufsichtsrats aber kann und sollte man nicht annehmen; sie würde das rechtliche Gefüge zwischen Vorstand und Aufsichtsrat belasten und aus der Balance bringen. Das aber bedeutet nicht, dass es nicht zweckmäßig sein kann, wenn Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam einen Mitarbeiter zum Corporate Governance-Beauftragten bestellen mit der Aufgabe zu beobachten, ob die inzwischen über 80 Empfehlungen des Kodex auch tatsächlich von beiden Organen und ihren Mitgliedern eingehalten werden.41 9. Zu den bisher erörterten materiellen Fehlern zwischen dem Tun und der Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat gehört aber auch die Frage, ob die Organe Vorstand und Aufsichtsrat überhaupt von bestimmten Empfehlun-

39 Gegen das Urteil des OLG Köln ist Revision beim BGH eingelegt (II ZR 191/09). Um die Zeit von Klaus Hopts Geburtstag werden wir die Sicht des BGH dazu erfahren. 40 S. oben Fn. 2. 41 Vgl. dazu Ringleb aaO (Fn. 23) Rn. 1602, 1603; Hüffer aaO (Fn. 2) § 161 Rn. 14; Peltzer Deutsche Corporate Governance, Ein Leitfaden, 2. Aufl., Rn. 378 ff.; KölnKomm AktG/Lutter 3. Aufl., § 161 Rn. 89.

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gen – nach entsprechend publizierter Erklärung – abweichen dürfen. So kann man durchaus der Auffassung sein, dass einzelne Empfehlungen des Kodex offene Türen einrennen, weil das dort Empfohlene bereits Inhalt der gesetzlichen Sorgfaltspflicht des betreffenden Organs und seiner Mitglieder ist. So kann man etwa darüber nachdenken, ob die Empfehlung in Ziff. 4.3.4, wonach „jedes Vorstandsmitglied soll Interessenkonflikte dem Aufsichtsrat gegenüber unverzüglich offenlegen und die anderen Vorstandsmitglieder hierüber informieren“ nicht bereits der gesetzlichen Sorgfaltspflicht des Vorstands entspricht und mithin nicht Empfehlung, sondern Referat des – entsprechend interpretierten – Gesetzes ist. Die Frage mag im Allgemeinen auf sich beruhen. Sie gewinnt aber an Relevanz, wenn die Erklärung davon abweichen will. Ist das dann überhaupt möglich? Man wird das tatsächlich annehmen müssen; denn es geht hier nicht um eine explizite Norm, sondern um die Auslegung einer Norm, also der vom Gesetz geforderten Sorgfalt bei der Amtsführung des Vorstands. In diese mischt sich der Kodex vielfach ein. Dann aber hat hier § 161 Vorrang mit seiner Aussage, dass von Empfehlungen abgewichen werden darf. Das muss dann auch dort gelten, wo man – gäbe es die Empfehlung nicht – aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG zum gleichen Ergebnis käme. Kurz: § 161 AktG erlaubt den Organen der Gesellschaft, die Sorgfaltspflichten durch Ablehnung von Empfehlungen zu reduzieren. 10. Das aber führt dann sofort zu der Frage, ob eine oben schon erörterte und nicht publizierte Abweichung vom Kodex nicht nur pflichtwidrig nach § 161 AktG, sondern auch nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG sein kann. Das ist tatsächlich der Fall. Denn die vom Gesetz erlaubte Freizeichnung durch eine publizierte Ablehnung des Kodex hat nicht stattgefunden; dann bleibt es bei den allgemeinen Regeln. Und wenn da die Auslegung ergibt, dass die nicht eingehaltene Empfehlung bereits § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG entspricht, dann war der Verstoß zugleich pflichtwidrig im Sinne dieser Norm.

III. Der Kodex als Gewohnheitsrecht oder Handelsbrauch Der Bundesgerichtshof hat den Kodex in die Rechtssphäre gehoben, indem er die Erklärung nach § 161 AktG und deren aktuelle Richtigkeit zu den Rechtspflichten der Organe einer AG und ihrer Mitglieder zählt. Es könnte aber durchaus sein, dass der Kodex schon längst unvermerkt in dieser Rechtssphäre angekommen ist. Zwei Aspekte bedürfen unter diesem Gesichtspunkt der Betrachtung: sind einige oder alle seine Empfehlungen heute schon Gewohnheitsrecht oder jedenfalls Handelsbrauch? Und: Konkretisie-

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ren diese Empfehlungen nur die vom Gesetz in §§ 93, 116 AktG geforderte Sorgfalt der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat? 1. Die meisten der heute im Kodex enthaltenen Empfehlungen waren schon in seiner Fassung von 2002 enthalten. Und wiederum die meisten von ihnen werden seither von den angesprochenen Unternehmen anerkannt und eingehalten, also seit nunmehr sieben Jahren.42 Man könnte also durchaus auf den Gedanken kommen, jedenfalls in diesen Fällen die Entstehung von Gewohnheitsrecht anzunehmen. Dem aber stehen zwei Aspekte entgegen. Zum einen erlaubt das Gesetz den angesprochenen Organen in § 161 AktG ausdrücklich die Nicht-Einhaltung von Empfehlungen, vorausgesetzt, das wird erklärt und veröffentlicht. Das gedachte Gewohnheitsrecht könnte also nur dispositives Recht sein. Vor allem aber fehlt den Beteiligten, also vor allem den Organmitgliedern der betroffenen Unternehmen, der Rechtsgeltungswille: Sie fühlen sich den Empfehlungen gegenüber frei und nicht durch objektives Recht gebunden und wollen das auch nicht. Die Annahme objektiven, wenn auch dispositiven (Gewohnheits-)Rechts würde im übrigen zum gleichen Ergebnis führen wie die positive, aber nicht eingehaltene Entsprechenserklärung: Auch sie führt zur entsprechenden Rechtsbindung der Organmitglieder und die Nicht-Einhaltung ist pflichtwidrig, nicht anders, als es bei einer Wertung der betreffenden Empfehlung als dispositives Gewohnheitsrecht der Fall wäre. 2. Aktiengesellschaften sind Kaufleute, § 3 Abs. 1 AktG. An diesem Status nehmen ihre Organe teil, wann immer sie sich am Rechtsverkehr beteiligen. Das gilt auch, wenn sie einseitige Erklärungen gegenüber der Öffentlichkeit abgeben, wie das bei den Erklärungen nach § 161 AktG der Fall ist. Damit stellt sich als nächstes die Frage, ob die Empfehlungen Handelsbräuche sind. Handelsbräuche sind nicht Recht, sondern entsprechen der bürgerlichrechtlichen Verkehrssitte (§ 157 BGB), sind handelsrechtliche Verkehrssitte.43 dienen mithin vor allem der Auslegung auslegungsbedürftiger Rechtsgeschäfte44 und sind daher ihrer Art nach auf zweiseitige Handelsgeschäfte hin ausgelegt. Hier aber geht es um einseitige Organ-Erklärungen, die auch nicht weiter auslegungsbedürftig sind. Die Empfehlungen selbst aber sind auf das im Zweifel nicht-rechtsgeschäftliche Verhalten von Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft und seiner Mitglieder gerichtet. Das aber

42 Siehe die seit 2004 regelmäßigen Übersichten von v. Werder/Talaulicar über die positiven und negativen Entsprechenserklärungen der erklärungspflichtigen Gesellschaften; zuletzt v. Werder/Talaulicar DB 2009, 689. 43 Karsten Schmidt Handelsrecht, 5. Aufl., § 1 IX, 3 und Röhricht/von Westphalen/Wagner Komm. zum HGB, 3. Aufl., § 346 Rn. 1; Kort aaO (Fn. 33), S. 956. 44 Baumbach/Hopt HGB, 33. Aufl., § 346 Rn. 39; MünchKomm HGB/Karsten Schmidt § 346 Rn. 29 ff., 61 ff.; Röhricht/von Westphalen/Wagner aaO (Fn. 43) § 346 Rn. 4.

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schließt nicht aus, dass sie zu Handelsbrauch erstarken.45 Man könnte also sagen, dass es seit sieben Jahren handelsrechtliche Übung ist, die Empfehlungen des Kodex zu befolgen. Aber: Diese Übung ist nicht zwingend. Das insoweit zwingende Gesetzesrecht des § 161 AktG erlaubt die Absage von dieser Übung, stellt sie in das Ermessen der Betroffenen. Geschieht das nicht, wird die fragliche Empfehlung anerkannt und dann doch gegen sie verstoßen, dann liegt schon darin die Pflichtwidrigkeit und es bedarf keines Rückgriffs auf einen verletzten Handelsbrauch.

IV. Sind Ablehnungen des Kodex sorgfaltswidrig? Der Kodex behauptet von sich, er und seine Empfehlungen seien „best practice“. Dann also formuliert er, wie „man“ sich als guter Vorstand und guter Aufsichtsrat verhält. Tut ein Organ oder ein Organmitglied das nicht, liegt der Gedanke nahe, das betreffende Verhalten als unsorgfältig im Sinne von §§ 93, 116 AktG zu werten. Auch hier gilt es zu unterscheiden, ob die Erklärung positiv oder negativ erfolgt ist. Im ersteren Falle ist die Abweichung pflichtwidrig (s. oben); auf die Frage, ob das sorgfaltswidrig war, kommt es nicht mehr an. War die Erklärung hingegen negativ, so kommt es auf das Verhältnis des Rechts auf Ablehnung zum Sorgfaltsgebot an. Sicher kann man nicht sagen, die gesetzliche Erlaubnis zur Ablehnung verdränge die Frage nach der Sorgfalt per se. Aber eine Vermutung, dass sich die Organmitglieder nicht gerade deswegen sorgfaltswidrig verhalten haben, weil sie Empfehlungen des Kodex abgelehnt haben, besteht bei dieser Lage des Gesetzes durchaus. Das gilt umso mehr, als die Ablehnung eine unternehmerische Entscheidung der Organe Vorstand und Aufsichtsrat ist, die mithin dem Privileg der Business Judgment Rule unterliegt. Die seit eh und je bestehende Empfehlung des Kodex (Ziff. 3.10) und heute kraft Gesetzes bestehende Pflicht zur Begründung der Ablehnung (§ 161 Abs. 1 Satz 1 AktG) unterstützt diese Betrachtung: Die Ablehnung der Empfehlung und das anschließende Handeln gegen die betreffende Empfehlung ist also im Zweifel nicht sorgfaltswidrig. Das gilt insbesondere dann, wenn die Begründung für die Ablehnung mindestens plausibel ist.

45

Karsten Schmidt Handelsrecht, 5. Aufl., § 1 III, 3b.

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V. Der Kodex als Grundlage für Haftungsansprüche und Feststellungen 1. Verletzen Vorstand oder Aufsichtsrat als Organ oder einzelne ihrer Mitglieder die Einhaltung ihrer Erklärung zum Kodex, so handeln sie pflichtwidrig und haften ihrer Gesellschaft auf Ersatz eines etwa darauf beruhenden Schadens. Das wurde oben schon geklärt. Dennoch wird eine solche Haftung selten der Fall sein: Aus der fehlenden Offenlegung des Interessenkonflikts im Fall der Deutschen Bank46 ist dieser selbst kein Schaden erwachsen. Und anders wird es auch nicht sein, wenn der Aufsichtsrat zwar den Kodex uneingeschränkt akzeptiert, aber dennoch entgegen Ziff. 3.4 die Berichtspflichten des Vorstands nicht näher festlegt oder gar entgegen Ziff. 4.2.1 auf eine Geschäftsordnung für den Vorstand verzichtet. Ist es anders, wenn eine uneingeschränkte Entsprechenserklärung vorliegt und mithin auch die Akzeptanz von Ziff. 4.2.3 Abs. 4 (Abfindungs-Cap), dies dennoch beim Abschluss des Vorstandsvertrages nicht berücksichtigt wird und der Aufsichtsrat dann eine Abfindung gewährt, die das Cap um 1 Mio. Euro übersteigt? Haben sich hier die Mitglieder des Aufsichtsrats der Gesellschaft gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht? Wohl nein. Zwar wurde die Bereitschaft zur Abweichung vom Kodex nicht bekannt gemacht. Das war sicher pflichtwidrig. Aber dadurch ist der Gesellschaft kein Schaden entstanden; bei pflichtgemäßem Verhalten wäre die Zahlung auch erfolgt. Gerade deswegen ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Entlastung so wichtig, weil sie in einem Bereich, in dem die reguläre Sanktion pflichtwidrigen Handelns weitgehend ausfällt, für eine Alternative sorgt. 2. Wenn schon die reguläre Innenhaftung als Sanktion für Kodex-Verstöße weitgehend ausfällt, bleibt die Frage, ob diese Verstöße wenigstens gerichtlich festgestellt werden können; denn das wäre für die betroffenen Organmitglieder jedenfalls eine persönlich höchst unangenehme Sanktion. a) An dem nach § 256 ZPO erforderlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft besteht kein Zweifel,47 auch nicht am Feststellungsinteresse schon zur Vermeidung von Wiederholungen, aber auch zur Klärung der Frage, ob ein wichtiger Grund zur Abberufung besteht, §§ 84 Abs. 3, 103 Abs. 3 AktG.48

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S. oben Fn. 2. Die Mitglieder des Vorstands stehen in einem organschaftlichen und einem vertraglichen Verhältnis zur Gesellschaft (unstr.), die Mitglieder des Aufsichtsrats nur in einem organschaftlichen Amtsverhältnis (str., wie hier Hopt/Roth Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 101 Rn. 12; Semler aaO (Fn. 2) 2. Aufl., § 101 Rn. 156 ff. und Habersack ibid., 3. Aufl., § 101 Rn. 67; Spindler/Stilz/Spindler § 101 Rn. 8; aA KölnKomm AktG/Mertens § 101 Rn. 2; Hüffer aaO (Fn. 2) § 101 Rn. 2. 48 Eingehend dazu Großkomm. AktG/Kort 4. Aufl., § 84 Rn. 134 ff., 482 ff. mit allen Nachw.; K. Schmidt/Lutter/Seibt Komm. AktG, § 84 Rn. 48 ff., 67. 47

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Klagebefugt ist der Aufsichtsrat in Bezug auf die Mitglieder des Vorstands, § 112 AktG, der Vorstand in Bezug auf die Mitglieder des Aufsichtsrats, § 78 AktG. Das aber heißt: Solche Klagen wird es nicht geben, auch weil die beiden Organe wegen der gemeinsamen Erklärung nach § 161 AktG häufig im gleichen Boot sitzen werden.49 b) Diese Sanktion könnte also praktisch nur von einem Außenstehenden geltend gemacht werden, insbesondere einem Aktionär. Diese Möglichkeit wurde bereits oben sub II. 6 abgelehnt; außerdem macht § 148 AktG deutlich, dass allenfalls eine Aktionärsminderheit klagebefugt ist und auch diese nur, wenn es um Schadensersatzansprüche geht, § 147 AktG, nicht aber um die Feststellung von Rechtsverletzungen. 3. Die Feststellungsklage in ihrem Sanktionscharakter ist der Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG verwandt. Denn dort geht es um die Prüfung von „Vorgängen bei der Geschäftsführung“. Damit ist der gesamte Tätigkeitsbereich des Vorstands gemeint,50 so dass darunter auch die Erklärung des Vorstands nach § 161 AktG und sein faktisches Verhalten in diesen Zusammenhang fallen.51 „Vorgänge der Geschäftsführung“ sind aber auch die Erklärungen des Aufsichtsrats nach § 161 AktG und sein entsprechendes Verhalten.52 Auf diese Weise könnte durch die Hauptversammlung mit einem Beschluss nach § 142 AktG die Überprüfung der Einhaltung des Kodex eingeleitet werden. Ersatzweise könnte eine Aktionärsminderheit die Sonderprüfung durch Beschluss des Gerichts nach § 142 Abs. 2 AktG erreichen; denn die dort geforderte „grobe Verletzung des Gesetzes“ dürfte mit der vom Bundesgerichtshof angenommenen „schweren Verletzung des Gesetzes“ identisch sein,53 so dass auch keine weitere Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen wäre.54 4. Die Außenhaftung der Organmitglieder bei Verletzung der von ihnen akzeptierten Empfehlungen ist vom Schadenspotential her sehr viel näher liegend als die Innenhaftung. Sie ist aber auch sehr viel mehr umstritten.55 Meine Position habe ich dazu bereits wiederholt dargetan.56 Das braucht hier 49 So hat der BGH im Urteil Deutsche Bank (s. oben Fn. 2) ohne weiteres Aufsichtsrat und Vorstand die Entlastung aberkannt. 50 Karsten Schmidt/Lutter/Spindler Komm. AktG, § 142 Rn. 14; Hüffer aaO (Fn. 2) § 142 Rn. 4; Großkomm. AktG/Bezzenberger 4. Aufl., § 142 Rn. 11; KölnKomm AktG/ Kronstein/Zöllner 1. Aufl., § 142 Rn. 8; MünchKomm AktG/Schröer 2. Aufl., § 142 Rn. 18. 51 Auch gesellschaftsinterne Vorgänge fallen unter Vorgänge bei der Geschäftsführung; vgl. Bezzenberger und Schröer je aaO. 52 Spindler aaO Rn. 16 mit allen Nachw. in Fn. 75. 53 Vgl. oben Fn. 2. 54 Dazu Spindler aaO Rn. 52; Fleischer NJW 2005, 2325, 2327. 55 Vgl. nur die Auflistung bei Großkomm. AktG/Hopt/Roth 4. Aufl., Nachtrag zu § 93 Rn. 79 Fn. 339. 56 Festschrift für Jean Nicolas Druey, 2002, S. 463 ff. und KölnKomm AktG, 3. Aufl. § 161 Rn. 97 ff.

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nicht wiederholt zu werden.57 Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber des TransPuG von 200258, mit dem § 161 AktG ins Gesetz kam, durchaus mögliche Haftungsfälle sah, aber weder positiv noch negativ eingreifen wollte.59 Und weiter entscheidend ist, dass die Entsprechenserklärung geradezu mustergültig den bürgerlich-rechtlichen Prospektbegriff erfüllt; denn diese Entsprechenserklärung soll und will Anlageentscheidungen beeinflussen und enthält daher für eine rationale solche Entscheidung wesentliche, wenn auch keineswegs alle Informationen. Gelingt es dem Anleger also nachzuweisen, dass er jedenfalls auch wegen der positiven Entsprechenserklärung gekauft hat60 und dass sein Schaden durch die Nicht-Einhaltung der Entsprechenserklärung veranlasst wurde, so ist ihm wenigstens der Ersatz des negativen Interesses sicher:61 Er wird dann so behandelt, als habe das Anlagengeschäft nie stattgefunden, also Hingabe der Anlagetitel gegen Zahlung des damals geleisteten Preises durch den oder die schuldigen Organmitglieder.62

VI. Informationsansprüche der Aktionäre nach § 131 AktG im Kontext des Kodex Im Zusammenhang mit der jährlich notwendigen Entlastung aller Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung nach § 120 AktG können deren Maßnahmen und ihre Gründe nach § 131 AktG von den Aktionären im Einzelnen erfragt werden.63 Das gilt insbesondere für Fragen im Zusammenhang mit der Ablehnung einzelner Empfehlungen des Kodex und ihrer Begründung. Es gilt aber auch für deren Umsetzung. So hat 57 Umfassend jüngst Hanfland Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 161 AktG und dem Deutschen Corporate Governance Kodex, 2007; zur Haftung aus bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung dort S. 283 ff. (zustimmend); ebenso Ulmer ZHR 176 (2002) 150, 169; ablehnend Hüffer aaO (Fn. 2) § 161 AktG Rn. 28 ff.; Schüppen ZIP 2002, 1269, 1273; Bachmann WM 2002, 2137, 2140; kritisch Seibt AG 2002, 249, 257 und Semler aaO (Fn. 2) § 161 Rn. 201 ff.; zurückhaltend Großkomm. AktG/Hopt/Roth Nachtrag zu § 93 Rn. 79. 58 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität vom 19.7.2002, BGBl. I, 2681. 59 Begründung des RegE zum TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 22. 60 Auf dieser Kausalität besteht der BGH, vgl. BGH v. 19.7.2004, BGHZ 160, 134, 143 ff. – Haffa; BGH v. 4.6.2007, ZIP 2007, 1564 = AG 2007, 623 – Comroad V; BGH v. 7.1.2008, ZIP 2008, 407 = BB 2008, 688 – Comroad VI. 61 Das sind die letzten Schalen der einst aus dem Institut der cic entwickelten Haftung; näher Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder Kodex-Komm., 4. Aufl. 2010, Rn. 1634 ff. 62 Auf die Gefahren einer strafrechtlichen Haftung nach § 331 Abs. 1 Nr. 1 HGB wegen falscher Angaben zur Befolgung des Kodex im Lagebericht sei nur hingewiesen; vgl. dazu Tödtmann/Schauer ZIP 2009, 995, 999. 63 Dazu schon Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft, 1974, S. 20 ff.; näher dazu Volhard/Weber NZG 2003, 351 und K. Schmidt/Lutter/Spindler Komm. AktG, § 131 Rn. 44.

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der Kodex seit eh und je wie jetzt auch das Gesetz (§ 93 Abs. 2 S. 3 AktG) beim Abschluss einer D+O-Versicherung einen angemessenen Selbstbehalt der versicherten Organmitglieder verlangt, Ziff. 3.8. Die Höhe des „angemessen“ war hoch umstritten64 und konnte in der Hauptversammlung erfragt werden; das hat sich heute mit der gesetzlichen Anforderung eines Selbstbehalts von mindestens 10 % weitgehend erledigt – aber eben auch nur weitgehend; denn nach wie vor kann gefragt werden, ob das „mindestens 10 %“ in § 93 Abs. 2 AktG überschritten wurde und in welcher Weise die versicherungstechnische Verwirklichung dieses Selbstbehalts geschieht. Darüber hinaus kommen bei der Entlastung und bei Wahlen zum Aufsichtsrat Fragen zur Befähigung65 und zur Unabhängigkeit66 von Aufsichtsratsmitgliedern in Betracht. Beides ist vom Kodex in Ziff. 5.4.2 allgemein empfohlen und beides ist vom Gesetz für allerdings nur ein Mitglied des Aufsichtsrats, den sogenannten Bilanz-Sachverständigen übernommen worden, §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG. Fragen in diesem Zusammenhang sind nicht nur zulässig, sondern geradezu notwendig, um das Konzept des Aufsichtsrats bei seinen Wahlvorschlägen nach § 124 Abs. 3 AktG in Umsetzung der Kodex-Empfehlungen und des Gesetzes zu verstehen.67

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Vgl. Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder Kodex Komm., 3. Aufl., Rn. 523 ff. Für Aufsichtsrats-Mitglieder in Kreditinstituten verlangt das Gesetz seit dem „Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht“ (BGBl. 2009 I, 2305) in § 36 Abs. 3 KWG n.F. expressis verbis: „Die Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans eines Instituts oder einer Finanzholdings-Gesellschaft müssen zuverlässig sein und die zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion sowie zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte, die das Unternehmen betreibt, erforderliche Sachkunde besitzen.“ Darüber hinaus gibt das Gesetz im gleichen neuen Absatz der BaFin die Möglichkeit, die Abberufung eines Aufsichtsrats-Mitglieds zu erwirken, dann, wenn diese Befähigung nicht gegeben ist. 66 Fragen dazu hat das LG Hannover (Beschluss v. 19.8.2009 – 23 O 90/09, GWR 2009, 347) im Hinblick auf Ziff. 5.4.2 des Kodex zu Recht zugelassen. Die Beschwerde dagegen ist beim OLG Celle anhängig unter Az. 9 W 93/09. 67 Zum Erfordernis eines solchen Konzeptes Lutter ZIP 2003, 417; ders., BB 2009, 775; ders. in: Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 321 ff.; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl., Rn. 25. 65

Grundsatz- und Praxisprobleme der Einwirkungen des Art. 14 GG auf das Aktienrecht Peter O. Mülbert I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Feldmühle-Rechtsprechungslinie des BVerfG im Überblick . . . . . . . 2. Die Feldmühle-Anforderungen als Konturierung verhältnismäßiger Inhaltsbzw. Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art. 14 I 1 GG als Bestandsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art. 14 I GG als Gestaltungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eigentumsgrundrechtliche Maßstäbe für Rechteumfang und Eingriff . . . . a) Rechteumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unterbleibende Differenzierung nach Gestaltungsauftrag und Bestandsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Exkurs: Satzungsregeln als Inhalts- bzw. Schrankenbestimmung? . . . . . . III. Einwirkungen des Art. 14 I GG auf das Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umfang der geschützten Aktionärsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Formel „gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum“ . . . . . . . . b) Börsennotierung als Bestandteil der Mitgliedschaft? . . . . . . . . . . . . 2. Eingreifende Inhalts- und Schrankenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . a) Eingriffsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriff nur bei Kompetenzzuweisungen an die Hauptversammlung . . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung anhand der Feldmühle-Anforderungen . . . . . . . . . . . . a) Sachgründe für Gestattung eines Eingriffs in die Mitgliedschaft . . . . . . b) Hauptversammlungszuständigkeit als milderes Mittel? . . . . . . . . . . . c) Volle Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Börsenkurs als Regeluntergrenze der Kompensation im Besonderen . . . (1) Die DAT/Altana-Konzeption: Alternativität der Bewertungsobjekte oder der Bewertungsmethoden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Alternativität der Bewertungsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . (a) Problematische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sonstige Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Börsenkurs als Untergrenze nur bei kombiniertem Eingriff in die Vermögens- und Mitverwaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Börsenkursorientierung bei Beteiligung von zwei börsennotierten Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Methodenbezogene Meistbegünstigung? . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Die DAT/Altana-Regel als widerlegliche Vermutung . . . . . . . . . . e) Wirksamer Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A class of its own – auch dem Recht der Aktiengesellschaft mag man dieses Prädikat zuerkennen wollen. Wie kein zweiter Bereich des Gesellschaftsrechts ist das Organisationsrecht der Aktiengesellschaft mit anderen Rechtsgebieten, insbesondere dem Mitbestimmungs- und dem Kapitalmarktrecht, funktional verschränkt, reflektieren permanente Reformen die anhaltenden Veränderungen in seinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen, ist es durch EuGH und EU-Richtlinien europäisch geprägt und international ausgerichtet (Business Judgement Rule, § 93 I 2 AktG) und steht es etwa unter dem Aspekt der Corporate Governance (Deutscher Corporate Governance Kodex, § 161 AktG) im interdisziplinären Dialog. Hinzu kommt eine ganz außergewöhnlich dichte verfassungsrechtliche Rückbindung, indem das positive Recht, Reformen und die richterliche Entscheidungspraxis intensiv am Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG gemessen werden. Klaus J. Hopt steht mit zahlreichen grundlegenden Beiträgen für grenzüberschreitende Fortentwicklungen des Rechts der Aktiengesellschaft. Dass er seinen exzeptionell vielschichtigen Zugriff auf (Aktien-)Rechtsprobleme jüngst um die verfassungsrechtliche Dimension noch erweitert hat,1 illustriert aufs Schönste sein für ihn so charakteristisches rechtspolitisches und intellektuelles Interesse an neuen Rechtsentwicklungen. Dies mag es rechtfertigen, Grundsatz- und Praxisprobleme 2 der zunehmenden Überformung des Organisationsrechts der Aktiengesellschaft – im Folgenden bündig als Aktienrecht apostrophiert – durch Art. 14 GG kritisch aufzuarbeiten.

I. Einleitung Bei der Ausgestaltung der Aktionärsstellung spielt die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG im auffälligen Unterschied zu den übrigen Gesellschaftsformen seit dem Feldmühle-Urteil des BVerfG 3 eine herausragende Rolle. Dieses Judikat aus dem Jahre 1962 zog erstmals Art. 14 I GG zur Ableitung von verfassungsrechtlichen Anforderungen an solche aktienrechtlichen Regelungen heran, die der Aktionärsmehrheit einen Eingriff in die Rechtsstellung (auch) von dissentierenden Minderheitsaktionären ermöglichen. Die vom BVerfG postulierte Zulässigkeitstrias umfasste erstens das Erfordernis eines sachlichen Grundes für die Zulassung eines Mehrheitseingriffs, zweitens das Gebot einer vollen Kompensation der verlierenden Aktionäre und drittens die Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes (Feldmühle-Anforderungen). 1 Hopt/Fleckner/Kumpan/Steffek Kontrollerlangung über systemrelevante Banken nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetzen (FMStG/FMStErgG), WM 2009, 821, 828 ff. 2 Vorbildhaft Hopt Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapierhandelsgesetz, ZHR 159 (1995), 135 ff.; ders. Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, ZHR 166 (2002), 37 ff. 3 BVerfGE 14, 263 = WM 1962, 877.

Einwirkungen des Art. 14 GG auf das Aktienrecht

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Die Regierungsbegründung des AktG 1965 nahm mit dem Konzept vom Aktionär als wirtschaftlichem Eigentümer 4 zunächst gedanklich Bezug auf diese Ausformung der Eigentumsgarantie. Positiv-rechtlichen Niederschlag fand dieses Judikat erstmals, als der Gesetzgeber des KonTraG die neu eingeführte Regelung zur Abschaffung von Mehrstimmrechten durch Beschluss der Hauptversammlung bzw. durch Unterlassung eines solchen (näher § 5 EGAktG) mit einer Entschädigungspflicht zugunsten der verlierenden Aktionäre verband, und neuerlich bei der Einführung des aktienrechtlichen Sqeeze-Out (§§ 327a ff. AktG). Denn die ursprünglich vorgesehene unwiderlegliche Vermutung der Angemessenheit der Abfindung unter der zweifachen Voraussetzung, dass der Hauptaktionär seine Position auf Grund eines in den letzten sechs Monaten vor der Beschlussfassung der Hauptversammlung abgegebenen Angebots im Sinne des WpÜG erworben hat, welches 90 % der Angebotsadressaten angenommen haben (§ 327b I 3 AktG-E), verwarf der Finanzausschuss unter Verweis auf nachhaltige verfassungsrechtliche Kritik von Seiten des Bundesrats und der Aktionärsschutzvereinigungen.5 Das BVerfG seinerseits bezog sich zunächst in seinen Mitbestimmungsurteilen 6 auf das Feldmühle-Judikat. Seit dem Jahre 1999 haben dann eine Vielzahl von Kammerbeschlüssen 7 den Ansatz des Feldmühle-Urteils fortgesetzt, zum Schutze einer Aktionärsminderheit aus der Eigentumsgarantie inhaltliche Anforderungen an die Gestaltung des Aktienrechts abzuleiten und diese im Wege der verfassungskonformen Auslegung durchzusetzen. Bei dieser jüngeren Entscheidungsserie geht es – abgesehen vom Sonderfall der eigentumsgrundrechtlichen Unbedenklichkeit der in § 131 I 1 AktG vorgenommenen Einschränkung des Auskunftsanspruchs eines Aktionärs 8 – ausnahmslos darum, die ganz überwiegend im Konzern- oder Umwandlungsrecht vorgesehenen Regelungen für Mehrheitseingriffe an den FeldmühleAnforderungen zu messen, wobei die im DAT/Altana-Beschluss9 erfolgte Konkretisierung des Gebots einer „vollen“ Kompensation für den Abfin-

4 Kropff Aktiengesetz, 1965, S. 14; dazu Mülbert Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl., 1996, S. 63 ff. 5 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 54. Für die Kritik s. etwa Heidel/Lochner Betrieb 2001, 2031 ff.; Rühland NZG 2001, 448, 454 f.; Wenger/Kaser/Hecker ZBB 2001, 317, 332. 6 BVerfGE 25, 371 = WM 1969, 651 (lex Rheinstahl); 50, 290 = WM 1979, 389 (Mitbestimmung); 99, 367 = WM 1999, 542 (Montan-Mitbestimmung). 7 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666 (DAT/Altana); BVerfG, WM 1999, 433; 435; 1978 (Hartmann & Braun); 2160 (Scheidemantel II); AG 1999, 217; WM 2000, 136; 1948 (MotoMeter); 2003, 1813; 2007, 73 (SNI/Siemens); 1179; 1329 (Wüstenrot und Württembergische AG); 1520; 2010, 170. 8 BVerfG, WM 1999, 2160. 9 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666.

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dungsanspruch aus § 305 AktG im Sinne von „Börsenkurs als Regeluntergrenze“ sich gerade auch für die Praxis als besonders folgenreich erwies. In der aktuellen rechtspolitischen Diskussion bildet die Feldmühle-Rechtsprechung einen bedeutsamen Eckpunkt, soweit im Rahmen einer nochmals stärker am US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren orientierten neuerlichen Reform des Insolvenzrechts der sog. Debt-Equity-Swap erleichtert werden soll, indem die Möglichkeit einer mehrheitlichen Beschlussfassung eröffnet wird.10 Zuvor schon spielte diese Rechtsprechungslinie eine wichtige Rolle in der Diskussion um die umfangreichen aktien- und übernahmerechtlichen Modifikationen,11 die die Finanzmarktstabilisierungsgesetze (auch) mit dem Ziel einführten, dem Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) die Herbeiführung eines aktienrechtlichen Squeeze-Out-Beschlusses bei der Hypo Real Estate AG zu ermöglichen – womit sich die Bundesrepublik angesichts eines widerspenstigen Aktionariats die Möglichkeit verschaffen wollte, zum Alleinaktionär auch unter Vermeidung einer vom RettungsG nur bis zum 31. Oktober 2009 eröffneten formalen Enteignung der noch verbliebenen Aktionäre aufzusteigen.12 Trotz der zahlreichen neueren Entscheidungen des BVerfG sind Praxis- und sogar Grundsatzprobleme der Einwirkung des Art. 14 GG auf das Aktienrecht bis heute offen.13 Die Praxis quält dabei nicht nur die Frage, inwieweit die DAT/Altana-Regel 14 zur grundsätzlichen Beachtlichkeit des Börsenkurses als Untergrenze einer angemessenen Kompensation in sonstigen Fällen, insbesondere in Verschmelzungsfällen15, ebenfalls Geltung beansprucht, sondern auch die vorgelagerte Frage, in welchen Fällen ein das Feldmühle-Gebot einer vollen Kompensation aktivierender Zugriff auf die Minderheitenposition überhaupt vorliegt. Diese Vorfrage führt zugleich auf verfassungsrechtsdogmatische Grundsatzprobleme der Einwirkung des Art. 14 GG auf das Aktienrecht. Das scheint auch der 1. Senat des BVerfG so zu sehen, der eine Verfassungsbeschwerde zum Widerruf der Börsennotierung auf Antrag des 10

Dazu etwa Eidenmüller/Engert ZIP 2009, 541, 545 ff. Überblick über den „bankaktienrechtlichen Instrumentenkasten“ bei Langenbucher ZGR 2010, 75, 80 ff. 12 Zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die funktional eine Enteignung substituierende zielgerichtete Kombination mehrerer, teils allein zugunsten des SoFFin „zurechtfrisierter“ (Marotze JZ 2009, 763, 769) gesellschaftsrechtlicher Bausteine s. etwa Hopt/ Fleckner/Kumpan/Steffek WM 2009, 821, 828 ff.; Bachmann ZIP 2009, 1249, 1256 (mit Kritik auch an Einzelbestandteilen); Thomas Böckenförde NJW 2009, 2484, 2488; wohl auch Gurlit NZG 2009, 601, 603 f.; aA etwa Langenbucher ZGR 2010, 75, 106 f. 13 Beispiele bei Mülbert in: DJT (Hrsg), Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages, Bd. II/1, 2009, N 51, N 63 ff. 14 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1669 ff. 15 Dazu zuletzt Baums GS Malte Schindhelm, 2009, S. 63 ff.; ferner etwa Adolff ZHR 173 (2009), 67 ff. m.w.N. in Fn. 2; ders. Unternehmensbewertung im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaft, 2007, S. 457 ff. m. umfangreichen N.; Kiem ZGR 2007, 543 ff. 11

Einwirkungen des Art. 14 GG auf das Aktienrecht

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Emittenten (§ 39 II BörsG) zur Entscheidung angenommen hat,16 obgleich der BGH bereits im Jahre 2002 mit dem Macrotron-Urteil eine unmittelbar aus Art. 14 GG abgeleitete Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung für den Rückzug von den regulierten Märkten aller deutschen Börsen (sog. reguläres Delisting) bejahte und mit der Unterbreitung eines „freiwilligen“ Erwerbsangebots an die Aktionäre verknüpfte17. Diese Grundsatz- und Praxisprobleme erörtert das geradezu überbordende jüngere Schrifttum mit starker Fokussierung auf die tatbestandliche Reichweite und den Inhalt der DAT/Altana-Regel „Börsenkurs als Regeluntergrenze der Kompensation“18 sowie auf das reguläre Delisting19.20 Die Implikationen der Feldmühle-Judikatur für das Aktienrecht im Übrigen finden dagegen geringere Aufmerksamkeit. Im Folgenden sind daher, ausgehend von einem Überblick über diese Rechtsprechungslinie, zunächst einige Grundlagen zu verdeutlichen (II.), um sodann die Einwirkungen des Art. 14 GG auf das Aktienrecht systematisch zu entfalten (III.). Dabei wird sich insbesondere auch erweisen, dass das reguläre Delisting jenseits des Art. 14 GG liegt (III.1.b./2.c.) und dass die DAT-/Altana-Regel im Sinne einer widerleglichen Vermutung zur Bewertungsmethodik – für die Angemessenheit einer anhand des Börsenkurses ermittelten Kompensationshöhe spricht eine widerlegliche Vermutung – präzisiert werden sollte (III.3.d.(6)).

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Az. 1 BvR 3142/07. BGHZ 153, 47, 53 ff. = WM 2003, 533; aus der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung etwa OLG Koblenz, AG 2007, 273; KG, ZIP 2007, 2352; 2009, 1116; OLG München, NZG 2008, 755; OLG Stuttgart, WM 2010, 654. 18 Zuletzt etwa Tonner FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1581 ff.; Brandi/Wilhelm NZG 2009, 1408 ff.; zuvor etwa Klöhn Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009, S. 77 ff., 95 ff.; Adolff (Fn. 15), S. 290 ff.; Hüffer/SchmidtAßmann/Weber Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, 2005, passim; Welf Müller in: FS Volker Röhricht, 2005, S. 1015 ff.; Stilz ZGR 2001, 875 ff.; Hüttemann ZGR 2001, 454 ff.; Piltz ZGR 2001, 185 ff. 19 Schon Mülbert ZHR 165 (2001), 104 ff.; Groß ZHR 165 (2001), 141 ff.; zum Macrotron-Urteil des BGH etwa Adolff/Tieves BB 2003, 797 ff.; Krämer/Theiß AG 2003, 225 ff.; Schlitt ZIP 2004, 533 ff.; Wilsing/Kruse WM 2003, 1110 ff.; Ekkenga, ZGR 2003, 878 ff.; Klöhn ZBB 2003, 208 ff.; ferner etwa Habersack in: Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.), Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl., 2008, § 35 Rn. 5 ff. 20 Umfassend Rölike/Tonner in: Rensen/Brink (Hrsg.), Linien des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 199 ff.; mit je grundsätzlichem Zuschnitt etwa Schön in: FS Peter Ulmer, 2003, S. 1359 ff.; Schmidt-Aßmann in: FS Peter Badura, 2004, S. 1009 ff.; Mülbert/Leuschner ZHR 170 (2006), 615 ff. 17

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II. Grundlagen 1. Die Feldmühle-Rechtsprechungslinie des BVerfG im Überblick Das BVerfG qualifiziert die Aktie, also die Mitgliedschaft, seit dem Feldmühle-Urteil als dem Normbereich des Art. 14 I GG unterfallendes „gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum“ 21 und die einen Eingriff der Hauptversammlungsmehrheit zulassenden aktienrechtlichen Vorschriften als Inhaltsbzw. Schrankenbestimmungen im Sinne des Art. 14 I 2 GG 22. Vor diesem Hintergrund gibt es dem Gesetzgeber für die Gestaltung des Aktienrechts neuerdings ganz allgemein auf, dass er die Interessen aller Beteiligten unter Wahrung gleicher Distanz zu allen Aktionären gerecht auszugleichen und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen habe.23 Ins Konkrete gewendet hat das Gericht in ständiger Rechtsprechung die einleitend bereits erwähnten (Feldmühle-)Anforderungen an die Ausgestaltung des Anteilseigentums entwickelt: Zwingendes Aktienrecht darf erstens die Möglichkeit eines Eingriffs in dieses Anteilseigentum durch einen Mehrheitsbeschluss der Mitaktionäre nur eröffnen, wenn hierfür ein im Einzelnen unterschiedlich anspruchsvoll konturierter Sachgrund besteht.24 Zweitens muss ein betroffener Aktionär für das verlorene Anteilseigentum vollen Wertersatz erhalten.25 Für die börsennotierte Gesellschaft präzisiert der DAT/Altana-Beschluss daher das Gebot der vollen Entschädigung dahin, dass mit Blick auf die das Anteilseigentum prägende Verkehrsfähigkeit der Aktie und die hieraus resultierende Dispositionsmöglichkeit des Aktionärs in Gestalt einer freien Deinvestitionsentscheidung eine Entschädigung zumindest zum Börsenkurs dann geboten ist, wenn der Börsenkurs den Verkehrswert der Aktie zutreffend wiedergibt.26 Drittens schließlich müssen der zum Ausscheiden gezwungenen Minderheit wirksame Rechtsbehelfe gegen einen Missbrauch wirtschaft-

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BVerfGE 14, 263, 276 = WM 1962, 877; 50, 290, 342 = WM 1979, 389. BVerfGE 14, 263, 277 = WM 1962, 877; BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 437; 2003, 1813; 2007, 1179, 1180; 1329, 133; 1520, 1521. Zur Abgrenzung zur Enteignung Mülbert/ Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 625. 23 BverfG, WM 2007, 1329, 1330. 24 BVerfG, WM 2007, 1329, 1330; 2010, 170, 172; s. schon BVerfGE 14, 263, 280 ff., insb. 282 = WM 1962, 877; 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668; BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 437; 2000, 1948, 1949. 25 BVerfGE 14, 263, 284 = WM 1962, 877; 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668; BVerfG, WM 1999, 433, 435; 435, 437; 2000, 1948, 1949; 2003, 1813; 2007, 73; 1329, 1330; 1520, 1521; 2010, 170, 172. 26 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668 f.; BVerfG, WM 2007, 1179, 1180; 1520, 1521; s. auch BVerfG, WM 1999, 1979; AG 2000, 136; WM 2007, 73 f. 22

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licher Macht 27 und zur Durchsetzung ihrer berechtigen Vermögensinteressen 28 zur Verfügung gestellt werden. 2. Die Feldmühle-Anforderungen als Konturierung verhältnismäßiger Inhalts- bzw. Schrankenbestimmungen Die Einordnung privatrechtlicher Normen wie etwa § 327a AktG als eine Inhalts- bzw. Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 I 2 GG markiert eine zentrale eigentumsgrundrechtsdogmatische Weichenstellung, an die sich manche begriffliche Unklarheiten und, hierdurch wohl mit bedingt, auch Missverständnisse in der Sache knüpfen. Denn die aktienrechtliche Sichtweise vom Eingriff der Hauptversammlungsmehrheit in die Rechtsposition(en) einer Minderheit findet vordergründig eine terminologische Parallele in der Dogmatik des Art. 14 GG, soweit die Aktualisierung einer Inhaltsund Schrankenbestimmung durch den Gesetzgeber als ein Eingriff in die bestehende Rechtsposition bezeichnet wird 29. In der Sache sind die beiden Vorgänge gleichwohl strikt auseinander zu halten.30 Denn der gesetzgeberische „Eingriff“ im Sinne der Konkretisierung des Art. 14 I 2 GG liegt gerade im Vorfeld des privatrechtlichen Mehrheitseingriffs und ist wegen § 23 V AktG hierfür sogar notwendige Voraussetzung. Im Falle des aktienrechtlichen Squeeze-Out besteht der gesetzgeberische „Eingriff“ in der nachträglichen Einführung des § 327a AktG, der es einem über 95 % des Grundkapitals verfügenden Aktionär überhaupt erlaubt, durch Hauptversammlungsbeschluss die von den übrigen Aktionären gehaltenen Aktien zu erwerben und hierdurch in deren Rechtsstellung einzugreifen, genauer: diese ganz zu entziehen. Demgegenüber stellt der Squeeze-Out als solcher, d.h. die Ausübung des vom Gesetz zur Verfügung gestellten Ausschlussrechts durch Hauptversammlungsbeschluss, einen privaten Akt und somit keinen Grundrechtseingriff dar.31 Dies erhellt zugleich, dass die Feldmühle-Anforderungen letztlich eine Ausprägung des die Grenzen zulässiger Inhalts- bzw. Schrankenbestimmungen markierenden verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots 32 bilden.33 Denn der Feldmühle-Judikatur geht es eben darum, dass eine recht27 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668; ähnlich BVerfG, WM 2007, 1329, 1330; 2010, 170, 172: effektiver Rechtsschutz gegen den Ausschluss. 28 BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 437; 1979, 1981; 2000, 1948, 1951 („hinreichende Schutzbehelfe“); 2003, 1813, 1814. 29 So etwa Axer in: Beck’scher Online-Kommentar, Art. 14 Rn. 70. 30 Mülbert/Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 627 f. 31 Keine eigenständige Bedeutung wird man in diesem Zusammenhang der Handelsregistereintragung beimessen können. 32 BVerfGE 70, 278, 286 f.; 75, 78, 97 ff.; 76, 220, 238 ff.; BVerfG, WM 1999, 2160, 2162. 33 BVerfG, WM 1999, 433, 434; 2007, 1329, 1330.

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mäßige Inhalts- oder Schrankenbestimmung nur vorliegt, wenn erstens die einen Eingriff in die Aktionärsposition erlaubende aktienrechtliche Bestimmung von einem Sachgrund getragen ist, zweitens eine volle Kompensation der betroffenen Aktionäre und drittens effektiver Rechtsschutz gewährleistet ist. Angesichts dieser Zusammenhänge bedeutet es nicht einmal einen latenten Widerspruch, dass die Feldmühle-Anforderungen eine „volle“ Kompensation gebieten, wohingegen Inhalts- oder Schrankenbestimmungen nur in Ausnahmefällen überhaupt ausgleichspflichtig sind und der Ausgleich hier, wenn denn eine Ausgleichspflicht besteht, noch nicht einmal den Anforderungen des Art. 14 III 3 GG (angemessener Ausgleich) genügen muss34. Formal folgt dies schon daraus, dass nicht die gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung als solche ausgleichspflichtig ist, sondern erst der hierdurch ermöglichte Zugriff in die mitgliedschaftliche Rechtsposition der Minderheit. Und in der Sache geht es hiernach nicht um die Entschädigung für ein Gemeinwohl-Sonderopfer, sondern um das Entgelt für einen „Zwangsverkauf“ der Mitgliedschaftsrechte im rechtlich anerkannten Privatinteresse der Mehrheit. Nur im Ergebnis kann daher überzeugen, wenn ein Widerspruch mit quasi gegenläufigem Begründungsansatz deswegen in Abrede gestellt wird, weil in der Feldmühle-Judikatur ungeachtet divergierender Anforderungen an Kompensations- und Rechtschutzniveau die privatrechtsspezifische Ausformung einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung liege.35 3. Art. 14 I 1 GG als Bestandsgarantie Art. 14 I 1 GG in seiner bestandsschützenden Dimension setzt Grenzen für die Zulässigkeit einfach-gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmungen und schließt hierdurch aus, dass der Gesetzgeber bestehende Rechtspositionen von Aktionären und sonstigen Rechteinhabern nachträglich beliebig verkürzen kann.36 Die Eigentumsgarantie enthält insoweit eine Konkretisierung des rechtsstaatlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes für den vermögensrechtlichen Bereich.37 Für diesen Schutz spielt es keine Rolle, ob man die nachträgliche gesetzliche Regelung als Eingriff oder als Konkretisierung 38 34 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, 5. Aufl. 2005, Art. 14 Rn. 249 f.: „Kompensationsfunktion minderer Art“. 35 Klöhn (Fn. 18), S. 95 f.; Bryde in: Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., 2000, Art. 14 Rn. 65; Papier in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, 53. Aufl. 2009, Art. 14 Rn. 344 m. Fn. 1013; Roller NJW 2001, 1003, 1005 f. 36 BVerfGE 20, 351, 355; 24, 367, 389: „Das Grundgesetz gewährleistet das Privateigentum sowohl als Rechtsinstitut wie in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers.“ Näher Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 34), Art. 14 Rn. 86 ff.; Axer in: Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 29), Art. 14 Rn. 17. 37 BVerfGE 31, 275, 293; 36, 281, 293. 38 Kritisch gegenüber dem Begriff des Eingriffs Böhmer NJW 1988, 2561, 2572 f.

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von Inhalt bzw. Schranken bezeichnet, und ebenso wenig kommt es darauf an, ob diese Verkürzung einem privaten Dritten zugute kommt, wie dies etwa bei der Abschaffung von Mehrstimmrechten und Höchststimmrechten durch § 5 EGAktG und bei der Eröffnung des Squeeze-Out (§§ 327a ff. AktG) auch für schon bestehende Gesellschaften der Fall war. 4. Art. 14 I GG als Gestaltungsauftrag Aus der zukunftsgerichteten Wirkdimension des Art. 14 I 2 GG folgen Mindestvorgaben dafür, wie der Gesetzgeber die Rechtsposition eines künftigen Aktionärs auszugestalten hat.39 Über Umfang und Intensität dieser Ausgestaltungsvorgaben besteht freilich auch in der Rechtsprechung des BVerfG wenig Klarheit. Die geläufige Formel, die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Allgemeinwohls müssten einem „gerechten Ausgleich“ zugeführt werden 40, ist wenig aufschlussreich. Aussagekräftiger ist insoweit der – namentlich die jüngere eigentumsverfassungsrechtliche Judikatur prägende – Hinweis auf die Privatnützigkeit als prägendes Element des verfassungsrechtlich garantierten Eigentums und die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.41 Er deutet an, dass Maßstab des Gestaltungsauftrags ein theoretisches Maximum an Befugnissen ist und alle hiervon vorgenommenen Abweichungen rechtfertigungsbedürftig sind. Der Gestaltungsauftrag wäre hiernach als Optimierungsgebot zu verstehen.42 Gegenläufig hat das BVerfG aber auch immer wieder – vor allem in seiner älteren Rechtsprechung – unter dem Stichwort der „Institutsgarantie“ davon gesprochen, Art. 14 GG gewährleiste lediglich „einen Grundbestand 39 Zum Nebeneinander von Bestandsgarantie und Gestaltungsauftrag s. BVerfGE 31, 275, 239; 31, 275, 281 ff. Im Schrifttum wird die objektiv-rechtliche Dimension der Eigentumsgarantie explizit meist nur unter dem Gesichtspunkt der Institutsgarantie angesprochen (s. etwa Papier in: Maunz/Dürig/Herzog (Fn. 35), Art. 14 Rn. 11 ff.; Axer in: Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 29), Art. 14 Rn. 18 f.) und im Übrigen allenfalls – ohne klare Abgrenzung zur Bestandsgarantie – angedeutet (beispielhaft für diese „Vermengung“ Bryde in: Münch/Kunig (Fn. 35), Art. 14 Rn. 63 f. im Zusammenhang mit der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips). Aufschlussreich auch Schmidt-Aßmann in: FS Badura (Fn. 20), S. 1013 ff., wenn er von einer „grundrechtlichen Bedeutungsschicht“ spricht, „die sich nicht über die klassischen abwehrrechtlichen Vorstellung erschließen lässt“. S. auch noch Fn. 45. 40 BVerfGE 25, 112, 117; 31, 229, 241 f.; 100, 226, 240; 110, 1, 28. 41 BVerfGE 100, 226, 240 f.; 87, 114, 138 f., BVerfG, NJW 1999, 414. 42 Im Ergebnis auch Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 34), Art. 14 Rn. 46 f. Zu diesem auf der sog. Prinzipientheorie beruhenden Erklärungsansatz Mülbert/Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 629 f. m.w.N. Vgl. auch Bryde in: Münch/Kunig (Fn. 35), Art. 14 Rn. 63, wonach die vom BVerfG vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung implizit auf den absoluten Eigentumsbegriff des § 903 BGB rekurriere; Cornils Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 252; 279 f.; Sieckmann in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, 2000, Art. 14 Rn. 9; Papier DVBl. 2000, 1398, 1401.

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von Normen, der gegeben sein müsse, um das Recht als ,Privateigentum‘ bezeichnen zu können“ 43. Nimmt man dies beim Wort, wäre der Gesetzgeber jenseits der Erfüllung bestimmter Mindestvorgaben keinen Gestaltungsvorgaben unterworfen. 5. Eigentumsgrundrechtliche Maßstäbe für Rechteumfang und Eingriff Die Einordnung als beschränkende Inhalts- bzw. Schrankenbestimmung setzt voraus, dass die betroffene Rechtsposition ihrem Inhaber ohne die in Rede stehende Vorschrift eine weitergehende Rechtsstellung vermitteln würde. Dies scheint ein zweischrittiges Vorgehen zu implizieren: zunächst die Ermittlung des Umfangs der betroffenen Rechtsposition (Rechteumfang) und sodann die Feststellung, ob die derart konturierte Position durch die in Rede stehende Vorschrift eine Einschränkung erfährt (Eingriff). Beim genaueren Zusehen wird freilich deutlich, dass die beiden Schritte mit den beiden Funktionen des Art. 14 GG in spezifischer Weise korrelieren. Während beim Gestaltungsauftrag der Schwerpunkt auf der Frage liegt, welche Rechtsposition man als Vergleichsmaßstab heranzieht (a), liegt er beim Bestandsschutz auf der Frage, ob die betroffene Rechtsposition durch die Neuregelung eine relevante Einschränkung erfährt (b). a) Rechteumfang Was die Frage nach dem Umfang der betroffenen Rechtsposition anbelangt, knüpft sich der Bestandsschutz an die vom einfachen Gesetzesrecht eingeräumte Rechtsposition. In Rede steht also der Schutz einer nach einfachem Recht bestehenden (Ist-)Position.44 Mit der Wendung von der Normgeprägtheit des Art. 14 GG wird diese Wirkdimension treffend charakterisiert. Beim Gestaltungsauftrag geht es dagegen um die Frage, welcher Umfang bzw. welche Reichweite dieser Rechtsposition zukommen soll. Hierüber kann nur ein spezifisch verfassungsrechtlicher Maßstab, nicht aber einfaches Gesetzesrecht bestimmen, weil ein Gestaltungsauftrag andernfalls nicht denkbar wäre. Von einer Normgeprägtheit des Art. 14 GG lässt sich insoweit nicht reden.45

43 BVerfGE 24, 367, 389; 26, 215, 222; 31, 229, 241; BVerfG, NJW 2001, 1783, 1784. Zu letzterer Kammerentscheidung und ihrem in den Formulierungen traditionellen (Institutsgarantie, „Kernbereich“), in der Sache aber sich der jüngeren Senatsrechtsprechung einfügenden Prinzipienansatz (Abwägung der Prinzipien der prima facie umfassend gedachten Privatnützigkeit und der Sozialbindung) Cornils (Fn. 42), S. 277 ff. 44 BVerfGE 58, 300, 336. 45 Wie hier Cornils (Fn. 42), S. 253 ff. (der die Notwendigkeit, den materiell-grundrechtlichen Eigentumsschutz aus der Verfassung (und nicht dem einfachen Recht!) zu bestimmen, indessen auch auf die Bestandsgarantie bezieht); Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/

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Wie etwa die Rechtsstellung eines Aktionärs im Lichte des Art. 14 GG auszugestalten ist, kann nur ein das Aktienrecht transzendierender Maßstab vorgeben. Die in der Feldmühle-Entscheidung verwendete Formel vom Aktienrecht als „gesellschaftsrechtlich vermitteltes Anteilseigentum“ deutet an, dass das BVerfG insoweit nicht lediglich von einer Institutsgarantie ausgeht, sondern aus einem Vergleich der Rechtsstellung des Aktionärs mit der eines Alleineigentümers eine Art Meta-Aktienrecht ableitet, hinter dem einfaches Recht nicht zurückbleiben darf.46 b) Eingriff Folgt man der Vorstellung eines verfassungsrechtlich determinierten MetaAktienrechts, kommt der Feststellung eines Eingriffs im Zusammenhang mit der Gestaltungsdimension des Art. 14 GG praktisch keine eigenständige Bedeutung zu. Denn mit der Feststellung, dass die vom einfachen Recht vermittelte (Ist-)Rechtsstellung hinter der verfassungsrechtlich „an sich“ gebotenen (Soll-)Rechtsposition zurückbleibt, dass also etwa die Aktionärsstellung dem Leitbild des eigentumsgrundrechtlichen Meta-Aktienrechts nicht genügt, steht zugleich fest, dass die diese Verkürzung bewirkende einfach-gesetzliche Vorschrift in das (Aktien-)Eigentum eingreift.47 Anders liegen die Dinge im Rahmen der Bestandsgarantie. Ob eine nachträglich eingeführte Regelung die Bestandsgarantie aktiviert, hängt entscheidend davon ab, ob nach den Maßstäben des Art. 14 GG überhaupt ein Eingriff in die Aktionärsrechte vorliegt. Insoweit stellen sich eine Reihe von

Starck (Fn. 34), Art. 14 Rn. 29 ff. Die h.L. betont demgegenüber die Normgeprägtheit des Art. 14 GG (Wieland in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2004, Art. 14 Rn. 25 ff., 29; Papier in: Maunz/Dürig/Herzog (Fn. 35), Art. 14 Rn. 307 f. Bryde in: Münch/Kunig (Fn. 35), Art. 14 Rn. 11, 59; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 25., Aufl. 2009, Rn. 900; differenzierend Axer in: Beck’scher Online-Kommentar (Fn. 29), Art. 14 Rn. 9 f.). Ob hiernach der Gesetzgeber bei der zukunftsgerichteten Ausgestaltung des Eigentums tatsächlich allein durch die Institutsgarantie gebunden sein soll, ist damit allerdings noch nicht gesagt (ausdrücklich in diesem Sinn aber Pieroth/Schlink aaO). Teilweise geht man offenbar davon aus, die Annahme weitergehender Beschränkungen wie insbesondere die Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip setze keinen originär verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff voraus (explizit Bryde aaO, Rn. 11; der Sache nach auch Papier aaO, Rn. 307 f.), indes zu Unrecht, weil entsprechende „Soll-Vorstellungen“ unweigerlich zur Konstituierung eines vom einfachen Gesetz losgelösten Eigentumsbegriffs führen. Auch ist eine sinnvolle Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur denkbar, wenn man die Vorstellung eines weitergehenden Rechts zu Grunde legt, in das durch die dahinter zurückbleibende Inhalts- und Schrankenbestimmung eingegriffen wird (das konzediert im Ansatz auch Bryde aaO, Rn. 63 f.). 46 Grundsatzkritik hieran bei Mülbert/Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 635 ff.; zusammenfassend Leuschner, NJW 2007, 3248, 3249. 47 Neben dem Vorhandensein einer beschränkenden Norm kann die Verkürzung freilich auch darauf beruhen, dass eine die Ausübung oder Nutzung des Eigentums überhaupt erst ermöglichende Vorschrift fehlt. Hierzu Cornils (Fn. 42), S. 300, 309 ff.

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Fragen: Liegt ein Eingriff nur vor, wenn einzelne Aktionärsrechte wie etwa im Fall der Abschaffung von Mehrheitsstimmrechten formal verkürzt werden? Oder kann ein Eingriff auch darin bestehen, dass formal unangetastete Aktionärsrechte inhaltlich ausgehöhlt werden? Wenn ja, welche Kriterien bestimmen über das Vorliegen einer relevanten „Aushöhlung“? Kommt es insoweit darauf an, ob das einfache Recht einen Ausgleichmechanismus vorsieht (§ 305 AktG), oder richtet sich die Relevanz allein nach verfassungsrechtlichen Maßstäben (so der Ansatz des BGH im Macrotron-Urteil 48)? Hierauf wird, da der Feldmühle-Judikatur des BVerfG keine klaren Aussagen zu entnehmen sind, noch ausführlicher zurückzukommen sein.49 6. Unterbleibende Differenzierung nach Gestaltungsauftrag und Bestandsgarantie In der Feldmühle-Rechtsprechungslinie des BVerfG ist keine ausdrückliche oder auch nur implizite Differenzierung zwischen Gestaltungsauftrag und Bestandsgarantie zu erkennen.50 Die meisten Entscheidungen betrafen bereits bei Schaffung des AktG 1965 eingeführte Vorschriften,51 in den Mitbestimmungsurteilen 52 sowie im Beschluss zum aktienrechtlichen SqueezeOut 53 standen hingegen nachträglich eingeführte Regelungen zur Überprüfung an. Ob die die Mitgliedschaftsrechte beschränkende Regelung von Anfang an bestand oder erst nachträglich hinzutrat, spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Frage, ob die Gründung oder gar der Anteilserwerb vor oder nach Inkrafttreten der in Rede stehenden Vorschrift bestand. Das Gericht legte bei der Überprüfung vielmehr einen durchweg einheitlichen Verhältnismäßigkeitsmaßstab an.54 Eine eigentumsgrundrechtsdogmatische Erklärung dieser Judikatur ist von zwei entgegen gesetzten Ausgangspunkten her denkbar. Der eine Ansatz erkennt auf eine Dominanz der Bestandsgarantie. Deren Maßstäbe bestimmen über die Vereinbarkeit der aktienrechtlichen Regelungen mit Art. 14 I GG, und zwar unabhängig davon, ob eine ursprüngliche oder eine nachträglich eingeführte Vorschrift in Rede steht. Auch ursprüngliche Einschränkungen 48

BGHZ 153, 47 = WM 2003, 533. Näher unten III.2.a. 50 Anders aber etwa BVerfGE 31, 275, 239; 31, 275, 281 ff. 51 Das Feldmühle-Urteil (BVerfGE 14, 263 = WM 1962, 877) betraf zwar formal das UmwG 1956. Jedoch hatte sich dieses eng an das frühere Umwandlungsrecht (UmwG 1934) angeschlossen, welches bereits seit 1936 eine übertragende Umwandlung kraft qualifizierten Mehrheitsbeschlusses kannte. 52 BVerfGE 25, 371 = WM 1969, 651; 50, 290 = WM 1979, 389; 99, 367 = WM 1999, 542. 53 BVerfG, WM 2007, 1329. 54 Noch keine Berücksichtigung bei Mülbert in: Großkommentar AktG, Bd. 5, 4. Aufl., 1999–2008, Vor §§ 118–147 Rn. 187 ff.; Schön in: FS Ulmer (Fn. 20), S. 1364 f. 49

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werden hiernach so behandelt, als seien sie erst nachträglich eingeführt worden und also an den Maßstäben der Bestandsgarantie zu beurteilen, so dass die Meinungsunterschiede über Umfang und Intensität der zukunftsorientierten Gestaltungsdimension des Art. 14 GG 55 für das Aktienrecht, und für das Gesellschaftsrecht im Übrigen, ohne praktische Konsequenzen bleiben. Zur Begründung hierfür könnte darauf verwiesen werden, dass bei Änderungen oder Reformen des Aktienrechts die Bestandsschutzdimension des Art. 14 2 GG gegenüber der Gestaltungskomponente regelmäßig ganz im Vordergrund steht. Denn der Gesetzgeber differenziert bei Änderungen des Aktienrechts aus Praktikabilitätsgründen nur selten zwischen bestehenden und künftig gegründeten Gesellschaften oder gar zwischen bereits vorhandenen und erst künftig hinzukommenden Aktionären.56 Der gegenteilige Ansatz ginge dahin, dass das BVerfG in seiner Judikatur ganz auf den Gestaltungsauftrag fokussiert, verbunden mit der denkbar strengsten Interpretation seiner Gestaltungsvorgaben im Sinne eines Optimierungsgebots 57, und die Bestandsgarantie außen vor lässt. Zur Begründung ließe sich, dogmatisch stringent, anführen, dass sich von einer Bestandsgarantie nur sprechen lässt, soweit die Rechtsordnung die von einem „Eingriff“ betroffene Vorschrift bereits enthält (abstrakter Normenbestandsschutz), nicht hingegen dann, wenn dies im Wege der als ob-Betrachtung lediglich fingiert wird. Aufgrund der Eigenheiten des Aktien- und sonstigen Gesellschaftsrechts als Organisationsrecht einer auf Dauer angelegten rechtlichen Entität spricht – und zwar ganz unabhängig von der relativen grundrechtsdogmatischen Vorzugswürdigkeit eines der beiden Erklärungsansätze – Vieles für einen einheitlichen (Verhältnismäßigkeits-)Maßstab. Das gesetzliche Organisationsstatut von Gesellschaften ist seiner Funktion nach auf Einheitlichkeit für alle Mitglieder einer Klasse angelegt – notwendige Binnendifferenzierungen sind der individuellen Satzungsgestaltung zugewiesen – und deswegen sollte die eigentumsgrundrechtliche Beurteilung gesellschaftsrechtlicher Regeln allenfalls in Ausnahmefällen unterschiedlich je nachdem ausfallen, ob die Vorschrift bei Gründung der Gesellschaft bereits bestand oder aber nachträglich eingeführt wurde. Erst recht verbietet sich eine unterschiedliche Beurteilung in Abhängigkeit davon, ob eine Person in diesem Zeitpunkt bereits Mitglied der Gesellschaft war oder aber erst später hinzutrat.58

55

Oben II.4. Als eine Ausnahme s. etwa für die Praxis überaus bedeutsamen dauerhaften Befreiung solcher Aktionäre von den Pflichtangebotsregeln (§§ 35 ff. WpÜG), die bereits bei Inkrafttreten des WpÜG einen die Kontrolle i.S.d. § 29 II WpÜG vermittelnden Stimmrechtsanteil hielten (hierzu näher Mülbert in: FS Thomas Raiser, 2005, S. 273 ff.). 57 S. oben II.4. bei Fn. 41 f. 58 AA Hanau NZG 2002, 1040, 1046 f. 56

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7. Exkurs: Satzungsregeln als Inhalts- bzw. Schrankenbestimmung? Nur am Rande hingewiesen sei auf ein weiteres Grundsatzproblem für den Fall, dass eine Satzungsregelung der Mehrheit oder der Verwaltung die Befugnis zum Eingriff in die Aktionärsposition vermittelt, etwa zur Einziehung (§§ 237 AktG) oder im Falle der Vinkulierung (§ 68 II AktG). Zwar handelt es sich hierbei um einen Eingriff auf privatautonom geschaffener Satzungsbasis, der von vornherein dem Normbereich des Art. 14 I GG entzogen zu sein scheint, woraus sich zugleich auch die fehlende Bedeutung des Art. 14 I GG für das sonstige, nicht im gleichen Maße wie das Aktienrecht (§ 23 V AktG) vom Grundsatz der Satzungsstrenge beherrschte Gesellschaftsrecht erklären würde. Jedoch hat das BVerfG in neueren Entscheidungen zu kapitalbildenden Lebensversicherungen die Anwendung des Art. 14 I GG auch auf die vertragliche Begründung von Rechtspositionen ausgeweitet.59 Folgerichtig steht damit auch die Frage im Raum, ob in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag begründete Mehrheitspositionen den Anforderungen des Art. 14 I 2 GG zu genügen haben – auch wenn das BVerfG diese Judikatur aus verfassungsdogmatischen Erwägungen noch einmal im Grundsätzlichen überdenken sollte 60.

III. Einwirkungen des Art. 14 I GG auf das Aktienrecht Die Einwirkungen des Art. 14 I GG auf das Aktienrecht beruhen darauf, so lassen sich die bisherigen Überlegungen verdichtend zusammenfassen, dass zwingende aktienrechtliche Bestimmungen unabhängig vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens darauf überprüft werden, ob hierin eine beschränkende Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 I 2 GG liegt und, bejahendenfalls, ob diese dem in Form der Feldmühle-Anforderungen konkretisierten (Einheits-)Verhältnismäßigkeitsmaßstab 61 entsprechen. Die folgenden Überlegungen reflektieren dieses Prüfungsprogramm. 1. Umfang der geschützten Aktionärsstellung Der sachliche Schutzbereich des Art. 14 I GG umfasst die gesamte vom geltenden Aktienrecht vermittelte mitgliedschaftliche Rechtsstellung des Aktionärs, also alle mitgliedschaftlichen Vermögens- und Mitverwaltungsrechte.

59 BVerfG, NJW 2005, 2363 = WM 2005, 1505 (Bestandsübertragung); 2376 = WM 2005, 1515 (Überschussbeteiligung). 60 Näher Mülbert/Leuschner ZHR 170 (2006), 615, 630 ff., 649 ff. 61 Oben II.6.

Einwirkungen des Art. 14 GG auf das Aktienrecht

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a) Zur Formel „gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum“ Die Feldmühle-Entscheidung hatte allerdings zunächst eine Einschränkung gegenüber dem einfach-gesetzlichen Recht dergestalt formuliert, dass die Aktie „insofern“ gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum sei, als sie neben den Mitgliedschaftsrechten vermögensrechtliche Ansprüche vermittelt.62 Schon das Urteil zum MitbestG 1976 bezog aber auch die Mitverwaltungsrechte in den sachlichen Schutzbereich ein 63 und in zwei Beschlüssen des BVerfG aus dem Jahre 1999 heißt es dann explizit: „Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft …. Aus der mitgliedschaftlichen Stellung erwachsen dem Aktionär sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche“64. Angesichts dessen mag man bezweifeln, dass der Formel vom gesellschaftsrechtlich vermittelten Anteilseigentum heute noch eigenständige Bedeutung zukommt.65 Dass das BVerfG im Feldmühle-Urteil diese Formel überhaupt entwickelte, mag damit zusammenhängen, dass es lediglich die vermögensrechtliche Dimension der Mitgliedschaft in den Schutzbereich des Art. 14 GG einbeziehen wollte. Im Urteil zum MitbestG 1976 diente die Formel dann als Umschreibung dafür, dass die Mitgliedschaft nur begrenzte, je nach Rechtsform unterschiedlich weit reichende Vermögens- und Mitverwaltungsbefugnisse vermittelt. Mit andersartiger Terminologie, aber in der Sache am gesellschaftsrechtlichen Institut der Mitgliedschaft orientiert, konnte das BVerfG in der durch die unternehmerische Mitbestimmung bedingten Abschwächung einzelner Mitverwaltungs- und Vermögensrechte keine unverhältnismäßig gesteigerte Sozialbindung erkennen.66 In der ersten Funktion ist das Konzept des gesellschaftsrechtlich vermittelten Eigentums heute überholt, in der zweiten Funktion entbehrlich, nachdem das BVerfG in der Zwischenzeit das gesellschaftsrechtliche Konzept der Mitgliedschaft sogar der Terminologie nach angenommen hat. b) Börsennotierung als Bestandteil der Mitgliedschaft? Der DAT/Altana-Beschluss könnte sogar eine Ausweitung des sachlichen Schutzbereichs dergestalt gebieten, dass im Falle einer börsennotierten AG der Umstand der Börsennotierung als Bestandteil der mitgliedschaftlichen 62

BVerfGE 14, 263, 278 = WM 1962, 877; ebenso noch BVerfGE 25, 371 = WM 1969,

651. 63

BVerfGE 50, 290, 342 = WM 1979, 389. BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668; BVerfG, WM 1999, 2160, 2161; 2007, 1329, 1330; 1520, 1521. In der Sache ebenso BVerfG, WM 1999, 1979, 1980: „Der Mehrheitsaktionär muß ausgleichen, was dem Minderheitsaktionär an Eigentum im Sinn von Art. 14 Abs. 1 GG verloren geht … . Der Minderheitsaktionär verliert mit dem Unternehmensvertrag Vermögens- und Herrschaftsrechte“. 65 S. aber auch Schön in: FS Ulmer (Fn. 20), S. 1368 ff. 66 BVerfGE 50, 290, 342 ff. = WM 1979, 389. 64

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Stellung anzusehen ist. Das BVerfG spricht darin von der „Verkehrsfähigkeit als Eigenschaft des Aktieneigentums“ und davon, dass das „Aktieneigentum … nicht zuletzt durch seine Verkehrsfähigkeit geprägt [sei] … . … vor allem … die börsennotierte Aktie“.67 Bereits der Zusatz „vor allem für die börsennotierte Aktie“ verdeutlicht freilich, dass die Börsennotierung als solche gerade keinen eigenen Bestandteil des Anteilseigentums bilden soll. Und auch was die Verkehrsfähigkeit anbelangt, hat das BVerfG diese Eigenschaft nur bei den Maßstäben für die von Art. 14 I 2 GG gebotene volle Kompensation erwähnt und für das vorgängige Vorliegen eines Eingriffs darauf abstellt, dass das Gesetz einen Zugriff der Aktionärsmehrheit auf die Mitverwaltungs- und Vermögensrechte eines Minderheitsaktionärs eröffnet.68 Die Verkehrsfähigkeit in rechtlicher Hinsicht ist gleichwohl als eine immanente Komponente der aktienrechtlichen Mitgliedschaft anzuerkennen. Zwingendes Aktienrecht sieht nämlich vorbehaltlich des § 68 II AktG weder eine Zustimmung zur Anteilsübertragung noch besondere Formerfordernisse hierfür vor. Hingegen bildet die Börsennotierung ungeachtet der Legaldefinition des § 3 II AktG aus mitgliedschaftsrechtlicher Perspektive lediglich eine von außen herangetragene Akzidenz und keinen Bestandteil der Mitgliedschaft.69 Ganz in diesem Sinne stellt das BVerfG für den Ausgleichsanspruch aus § 304 AktG der Aktionäre einer unternehmensvertraglich gebundenen Gesellschaft fest, dass bei dessen Bemessung gemäß den DAT/Altana-Regeln grundsätzlich der Börsenkurs zu berücksichtigen sei, ohne hierbei die Börsennotierung auch nur zu erwähnen oder gar zwischen deren Wegfall und deren Fortbestand zu differenzieren.70 Gegen die Einbeziehung der Börsennotierung in das gesellschaftsrechtlich vermittelte Anteilseigentum spricht zudem entscheidend, dass das BVerfG in der Glykol-Entscheidung die tatsächliche Verkehrsfähigkeit von Gegenständen aus dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie gerade ausgeklammert hat. Wörtlich heißt es darin: „Beeinträchtigt war … die tatsächliche Möglichkeit, die Produkte weiterhin zu verkaufen und damit die im Angebot liegende Chance eines gewinnbringenden Absatzes zu realisieren. Während die rechtliche Befugnis, Sachen zum Verkauf anzubieten, zum erworbenen und über Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Bestand zu rechnen ist, gehört die tatsächliche Absatzmöglichkeit nicht zu dem bereits Erworbenen, sondern zur 67 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1669. Ferner BVerfG, WM 2007, 1179, 1180, allerdings ohne Hervorhebung der börsennotierten Aktie. 68 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1669; dazu schon Mülbert ZHR 165 (2001), 104, 115. S. jetzt allerdings auch BVerfG, WM 2007, 1179, 1180, wonach der Abfindungsanspruch nach § 305 AktG „die Einbuße an Verkehrsfähigkeit und die Wertminderung … aus dem Abschluss des Unternehmensvertrages“ kompensiert. 69 Schon Mülbert ZHR 165 (2001), 104, 115; ders. (Fn. 13) N 62. 70 BVerfG, WM 1999, 1978, 1779.

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Erwerbstätigkeit“.71 Für die Aktie im Besonderen hat das Gericht dies noch einmal ausdrücklich mit dem Hinweis bestätigt, dass in der bloßen Bekanntgabe der Absicht zur Vornahme einer Eingliederung (§§ 320 ff. AktG) trotz möglicherweise negativer Folgen für den Börsenkurs kein Eingriff in das Aktieneigentum liege, vor dem Art. 14 I GG schützen will.72 2. Eingreifende Inhalts- und Schrankenbestimmungen a) Eingriffsmaßstab Nach welchem Maßstab sich bemisst, wann eine aktienrechtliche Bestimmung eine eingreifende Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 I GG ist, bleibt in der Feldmühle-Judikatur ohne klare Konturierung. In mehreren Entscheidungen rekurriert das BVerfG letztlich auf die Maßstäbe des Aktienrechts, etwa indem es die Darlegungen des BGH zu den Folgen eines Beherrschungsvertrags für die mitgliedschaftliche Position der Minderheitsaktionäre mit dem Begriff der Auszehrung begründend in Bezug nimmt 73. Aktienrechtliche Bestimmungen, die die formale Verkürzung oder gar Beseitigung der Mitgliedschaft oder jedenfalls einzelner davon umfasster Mitverwaltungs- oder/und Vermögensrechte erlauben, sind in der Tat stets als Eingriff zu werten. Die in § 131 I 1 2. HS AktG enthaltene Einschränkung des mitgliedschaftlichen Auskunftsanspruchs auf „zur ordnungsmäßigen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderliche“ Auskünfte ist offenkundig eine rechtfertigungsbedürftige Inhalts- und Schrankenbestimmung.74 Weniger eindeutig liegen die Dinge bei einer inhaltlichen Aushöhlung oder Auszehrung der Mitgliedschaft. Würde man einen im Lichte des Art. 14 I 2 GG relevanten Eingriff immer nur dann annehmen wollen, wenn auf der Ebene des Aktienrechts die Wahrnehmung einer aktienrechtlichen Befugnis von Vorstand, Hauptversammlung oder auch einem einzelnen Mitaktionär einen Kompensationsanspruch der Minderheit begründet, läge das Vorliegen eines die Bestandsgarantie aktivierenden Eingriffs letztlich ganz in der Hand von Gesetzgeber und Zivilgerichten, und die Bedeutung der Feldmühle-Judikatur würde sich im Wesentlichen in der Detaillierung des eigentumsgrundrechtlichen Gebots der vollen Kompensation erschöpfen. 71

BVerfGE 105, 252, 277 f. BVerfG, WM 2007, 73, 74 f. 73 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668; BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 436, jeweils unter Verweis auf BGHZ 135, 374 = WM 1997, 1288 (Guano). Bündig dann BVerfG, WM 1999, 1978, 1980: Der Minderheitsaktionär verliert mit dem Unternehmensvertrag Vermögens- und Herrschaftsrechte. 74 BVerfG, WM 1999, 2160, 2161 f. 72

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Das BVerfG greift offenkundig weiter, wenn es die Gestattung zum Abschluss eines Beherrschungsvertrags als Eingriff sieht, weil die mitgliedschaftlichen Rechte eines Aktionärs mit dem Abschluss materiell beeinträchtigt („Auszehrung“ 75) werden 76 bzw. der Aktionär eine einem Verlust jedenfalls wirtschaftlich gleichstehende erhebliche Beeinträchtigung hinnehmen muss 77 oder weil ein Minderheitsaktionär hierdurch Vermögensund Herrschaftsrechte verliert 78. Hieße dies freilich, dass nur solche Vorschriften eine beschränkende Inhalts- und Schrankenbestimmung sein können, die das Aktienrecht als zumindest materielle Beschränkung der Mitgliedschaftsposition wertet, ließe sich anhand des Art. 14 I 2 GG nur überprüfen, was das Aktienrecht selbst als Beschränkung erkennt. Bemisst sich das Vorliegen eines relevanten Eingriffs stattdessen anhand spezifisch eigentumsgrundrechtlicher Kriterien, rückt die Frage des hierfür geltenden Maßstabs in den Mittelpunkt. Grundsätzlich engere Kriterien gegenüber dem einfachen Aktienrecht kommen nicht in Betracht. Zu beachten ist allerdings, dass die Auswirkungen auf die Vermögensrechte hierbei in einer Zusammenschau, nicht je für sich zu betrachten sind; bei der Ausgliederung von Vermögenswerten auf eine 100 %ige Tochtergesellschaft werden die Vermögensrechte also nicht verkürzt. Zudem muss die Vorschrift eine (Hauptversammlungs-)Entscheidung vorsehen, die gegenwärtig in Aktionärsrechte eingreift und nicht bloß die Möglichkeit eines künftigen Eingriffs eröffnet; dies wird etwa bei der Bewertung der Holzmütter/GelatineZuständigkeit als eine Inhalts- und Schrankenbestimmung relevant 79. Im Übrigen aber liegt auch in Bestimmungen, die wie etwa § 134 I AktG (Höchststimmrecht) eine Beschränkung allein von Mitverwaltungsrechten erlauben, ein Eingriff. Allerdings sprach das BVerfG im Moto Meter-Beschluss etwas missverständlich 80 davon, dass der Gesetzgeber sich beim Schutz der Minderheitsaktionäre gegen deren zulässige (!) Herausdrängung aus der Gesellschaft auf die vermögensrechtliche Seite von deren Beteiligung konzentrieren dürfe.81 Doch wollte das Gericht damit nicht in Abrede stellen, dass mit der Zulassung der übertragenden Auflösung (sog. Moto MeterMethode) und dem aktienrechtlichen Squeeze-Out (§§ 327a ff. AktG) auch die in den Schutzbereich des Art. 14 I 2 GG einbezogenen Mitverwaltungs-

75

Detaillierung etwa bei Mülbert (Fn. 4), S. 293 ff. So BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 436, jeweils unter Verweis auf BGHZ 135, 374 = WM 1997, 1288 (Guano). 77 So BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668. 78 So BVerfG, WM 1999, 1978, 1980. 79 Dazu auch noch III.2.b. 80 Bei Zulässigkeit eines Zwangsverlusts der Mitgliedschaft kann es keinen Schutz vor dem Verlust der Mitverwaltungsrechte geben. 81 BVerfG, WM 2000, 1948, 1949. 76

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rechte berührt werden. Vielmehr bezog es sich hiermit auf die FeldmühleAnforderungen an einen verhältnismäßigen und also gerechtfertigten Eingriff, zu denen auch das Gebot einer vollen Kompensation gehört. Präzise formuliert das Gericht in jüngerer Zeit denn auch, im Falle eines zulässigen Ausschlusses von Minderheitsaktionären gegen angemessene Abfindung dürfe der Gesetzgeber die Schutzvorkehrungen zugunsten dieser Aktionäre weitgehend auf die Vermögenskomponente konzentrieren.82 Insgesamt bleibt also wohl nur, für das Vorliegen eines Eingriffs im Sinne des Art. 14 I 2 GG von den aktienrechtlichen Wertungen auszugehen und allenfalls für Einzelfälle eine Vorschrift auch unabhängig von einfach-gesetzlichen Wertungen als im Sinne des Art. 14 I 2 GG relevanten Eingriff zu werten. Eine solche Intensivierung bedürfte freilich eines Kontrollmaßstabs, wobei das BVerfG möglicherweise auf die – Alleineigentum implizierende – Figur des wirtschaftlichen Eigentums kraft gesellschaftsrechtlich vermittelten Eigentums rekurrieren könnte. Die Alternative wäre ein „ideales“ MetaAktienrecht, was freilich schon insofern problematisch ist, als eine einzelne einfach-gesetzliche Bestimmung stets funktional abgestimmter Bestandteil eines komplexeren Regelungsgefüges ist und „die“ jeweils ideale Einzelregelung daher gar nicht bestimmt werden kann. Mag es daher bei einem sozusagen normgeprägten aktienrechtsimmanenten Eingriffsmaßstab bewenden, sind gleichwohl zahlreiche Bestimmungen des zwingenden Aktienorganisationsrechts als eine rechtfertigungsbedürftige, weil beschränkende Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 I 2 GG in den Blick zu nehmen. b) Eingriff nur bei Kompetenzzuweisungen an die Hauptversammlung? Der Verwaltung zugewiesene Entscheidungs- und Handlungszuständigkeiten können nach dem bislang Gesagten ebenfalls eine beeinträchtigtende Inhalts- und Schrankenbestimmung sein. Exemplarisch hierfür ist die dem Vorstand in § 131 III AktG eingeräumte Befugnis zur Auskunftsverweigerung. Erwähnt sei ferner die grundsätzliche Zuständigkeit des Vorstands bei der Gruppenbildungs- und Gruppenleitungskontrolle, die der BGH in der Holzmüller 83/Gelatine 84-Judikatur unter dem stärker die Mitverwaltungsals die Vermögensrechte 85 in den Blick nehmenden Aspekt der Mediatisie-

82 BVerfG, WM 2007, 1329, 1330; 2010, 170, 172; ferner schon BayObLG, ZIP 2002, 1765, 1767, wonach die Ermächtigung des § 5 II EGBGB zur Beseitigung von Mehrstimmrechten durch Hauptversammlungsbeschluss eine im Ausgangspunkt kompensationspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung sei. Dazu auch noch unten III.3.c. bei Fn. 114. 83 BGHZ 83, 122 = WM 1983, 388. 84 BGHZ 159, 30 = WM 2004, 1090; BGH, WM 2004, 1085. 85 Allein auf den Schutz vor einer Gefährdung von Vermögensinteressen abstellend vor allem Mülbert (Fn. 4), S. 416 ff.

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rung 86 von Aktionärsrechten aufgegriffen und durch Zubilligung einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit bei Überschreiten bestimmter Größenrelationen eingeschränkt hat. Um dem Aktiengesetzgeber gleichwohl gewisse autonome Gestaltungsspielräume zu bewahren, könnte man daran anknüpfen wollen, dass es dem BVerfG bei den Feldmühle-Anforderungen stets um den Schutz der Minderheitsaktionäre geht und also der Bereich der zwingenden Zuständigkeitszuweisungen an die Verwaltung gar nicht betroffen ist - auch wenn diese Folgerung übergeht, dass die Entscheidungen des BVerfG bislang mit einer Ausnahme (§ 131 I 1 AktG) überhaupt nur Eingriffe einer Hauptversammlungsmehrheit zum Gegenstand hatten. Zudem kann eine solche Einschränkung auch in der Sache nur schwer überzeugen. Der von Art. 14 I 2 GG gewährte Schutz gegen eine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung besteht – aus der Perspektive eines betroffenen (Anteils-)Eigentümers auch nur konsequent – unabhängig davon, wer hiervon Gebrauch machen kann; im Falle zwingenden Aktienrechts also die Hauptversammlungsmehrheit, die Verwaltung, ein einzelner Aktionär 87 oder sogar ein gesellschaftsexterner Dritter 88.89 Zudem würde es eigenartig anmuten, wäre etwa die Regelung zum Ausschluss des Bezugsrechts nur insoweit an Art. 14 I 2 GG zu messen, als das Gesetz die Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung und nicht der Verwaltung zuweist. Zum einen müssten dann bei einer Entscheidung der Hauptver-

86 S. jetzt aber auch LG Frankfurt, WM 2010, 618, 621 (dazu Gubitz/Nikoleyczyk NZG 2010, 539 ff.): Mediatisierung nicht ausschließlicher Grund für ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit. Noch grundsätzlicher wider die These von der Mediatisierung der Aktionärsrechte Hoffmann-Becking ZHR 172 (2008), 231 ff. 87 Dies mag man etwa für die Pflichtangebotsregeln der §§ 35 ff. WpÜG erwägen wollen. Im Falle der Veröffentlichungspflicht des § 35 I WpÜG fehlt es aber schon an der Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs des Art. 14 I GG, weil dieser die faktische Verkehrsfähigkeit nicht erfasst (oben III.1.b.; in diese Richtung auch BVerfG, WM 2007, 73, 74 f.), und ebenso liegt es letztlich im Falle der Angebotspflicht des § 35 II WpÜG (i.E. schon Mülbert/Schneider WM 2003, 2301, 2315; Kremer/Oesterhaus in: Kölner Kommentar zum WpÜG, 2003, Anh. § 31 § 5 WpÜG-AngebotsVO Rn. 2; Jünemann Die angemessene Gegenleistung nach § 31 Abs. 1 WpÜG, 2008, S. 188 f.; aA Zschocke/Rahlf Betrieb 2003, 1375, 1376; 1785; Nietsch Betrieb 2003, 2581, 2587). Davon zu unterscheiden ist die ganz andere Frage, ob die Anforderungen des Art. 14 I GG an eine Feldmühle-konforme Kompensationslösung schon im Rahmen der Mindestpreisregeln für das Angebot (§ 31 i.V.m. § 39 WpÜG) berücksichtigt werden müssen, weil § 39a III 3 WpÜG eine unwiderlegliche Vermutung zur Angemessenheit der Abfindung beim Squeeze-Out statuiert. Dazu noch III.3dc.(2)(a) u. (6). 88 Bei § 311 AktG wäre diese Situation dann gegeben, spräche man dem herrschenden Unternehmen ein Weisungsrecht zu. 89 Dem trägt eine antithetische Unterscheidung von mittelbarer Beteiligung als Schutzgut und Schutz gegen Maßnahmen der Gesellschaftermehrheit (Schön in: FS Ulmer (Fn. 20), S. 1371 ff., 1383 ff.) nicht Rechnung.

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sammlung auf Verlangen des Vorstands gemäß § 111 IV 3 AktG je nach beschließendem Organ unterschiedliche grundrechtliche Maßstäbe zur Anwendung kommen. Zum anderen hätte der Gesetzgeber es in der Hand, durch die Verlagerung von Hauptversammlungszuständigkeiten den mittels der Feldmühle-Anforderungen gewährten eigentumsgrundrechtlichen Aktionärsschutz seinerseits auszuhöhlen. Ins Grundsätzliche gewendet beschränkt sich Art. 14 I GG nicht auf einen harmonisierenden Abgleich von Mehrheitsmacht und Minderheitenschutz. Mit der Einordnung der zwingenden aktienrechtlichen Einwirkungsbefugnissen als einer Inhalts- und Schrankenbestimmung steht vielmehr die Abwehr gesetzlich eingeräumter privatrechtlicher Zugriffsmöglichkeiten im Mittelpunkt. Hierbei ist unerheblich, wer der eingreifende Dritte ist – Mitaktionär, Organe, d.h. Hauptversammlung, Vorstand oder Aufsichtsrat, gesellschaftsexterner Dritter – und auch, ob der Eingreifende seinerseits sich hierbei auf Art. 14 I GG oder Freiheitsgrundrechte (Art. 2 I, 9, 12 GG) berufen kann. Indem das BVerfG so auf den Schutz der Mitgliedschaft vor einer Beeinträchtigung fokussiert, statt Grundrechte abzuwägen, trägt das Gericht zum einen dem Rechtsinstitut „Organ“ zutreffend Rechnung. Das Handeln des Organs als einem rechtlich unselbständigen Element der Binnenorganisation des Rechtsträgers wird nämlich kraft organschaftlicher Zurechnung diesem zugerechnet, nicht den einzelnen Organmitgliedern. Zum anderen erlaubt dies eine übereinstimmende Behandlung aller Zugriffe auf die mitgliedschaftliche Rechtsposition unabhängig davon, ob der Gesetzgeber wie etwa mit § 131 I 1 2. HS AktG oder dem MitbestG 1976 unmittelbar eingreift oder ob er lediglich Privaten eine Zugriffsmöglichkeit eröffnet, etwa durch Einführung des Art. 5 EGBGB. So ließe sich die Abschaffung von Mehrstimmrechten, um letzteren Fall aufzugreifen, kaum unterschiedlich je nachdem beurteilen, ob der Gesetzgeber diese aufhebt (nur Art. 14 GG) oder aber diese zur Disposition der Hauptversammlung stellt (Kollision von Art. 14 I GG?). c) Einzelfälle Von auch praktisch besonderer Bedeutung ist, dass § 186 III AktG als Grundlage für den Ausschluss des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung sich gleich aus zwei Gründen als Inhalts- und Schrankenbestimmung erweist: Der Bezugsanspruch des Aktionärs wird ausgeschlossen und sein Stimmrecht infolge des verringerten Stimmgewichts materiell verkürzt. Gleiches gilt im Ergebnis für § 293 II AktG,90 der beim Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags einen Zustimmungsbeschluss auf Seiten der Obergesellschaft vorschreibt und einer qualifizierten Mehrheit 90 Der Sache nach ebenso etwa Adolff (Fn. 15), S. 449, 453 f.; im Grundsatz auch OLG Stuttgart, AG 2007, 705, 713.

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eine faktische Beeinträchtigung der Mitgliedschaft der Minderheitsaktionäre erlaubt. Denn zum einen hat die Gesellschaft eigene Aktien als Abfindung anzubieten (§ 305 II Nr. 1 AktG), wobei sich die Höhe dieser Abfindung nach dem hypothetischen Umtauschverhältnis bei unterstellter Verschmelzung der beiden Gesellschaften bemisst (§ 305 III 1 AktG), und zum anderen wird die Gesellschaft verlustausgleichspflichtig (§§ 302, 303 AktG). Folgerichtig liegt nicht nur in der Zulassung einer Verschmelzung durch Mehrheitsbeschluss der übertragenden Gesellschaft (§ 65 UmwG) ein Eingriff, sondern auch in der korrespondierenden Regelung (§ 65 UmwG) für die aufnehmende Gesellschaft.91 Letzteres kann im Übrigen auch deswegen nicht anders sein, weil andernfalls die Regeln für die Verschmelzung zweier Gesellschaften durch Neugründung (§ 2 I Nr. 2 UmwG) am Maßstab des Art. 14 I 2 GG in der Sache anders zu beurteilen wären als diejenigen für die übertragende Verschmelzung zweier Gesellschaften durch Aufnahme (§ 2 I Nr. 1 UmwG). Was den Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten gemäß § 39 II BörsG angeht (Delisting), liegt in der diese Maßnahme zulassenden aktienrechtlichen Regelung – und zwar unabhängig von der innergesellschaftlichen Zuständigkeit hierfür – keine Inhalts- und Schrankenbestimmung. Dies gilt selbst für den Fall des regulären Delisting, also des vollständigen Rückzugs vom regulierten Markt an allen deutschen Börsen. Nach den aktienrechtlichen Maßstäben erfahren die mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre keine auch nur faktische Beeinträchtigung, wie der BGH im Macrotron-Urteil selbst anerkennt, der deswegen für eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit unter beherztem Rückgriff auf Art. 14 GG eine aktienrechtlich gar nicht vorhandene Lücke schloss 92. Der DAT/AltanaBeschluss des BVerfG gebietet ebenfalls keine gegenteilige Bewertung. Zum einen betonte das Gericht die Verkehrsfähigkeit, nicht die Börsennotierung als Eigenschaft des Aktieneigentums und zum anderen ging es ihm bei dieser Eigenschaftszuschreibung lediglich um die Maßstäbe für die Bemessung der von Art. 14 I 2 GG gebotenen vollen Kompensation für einen Eingriff.93 Sons-

91

Ebenso Adolff (Fn. 15), S. 449; Stilz in: FS Peter Mailänder, 2006, S. 423, 425. BGHZ 153, 47, 53 ff. = WM 2003, 533; dazu auch Henze in: FS Peter Ulmer, 2003, S. 211, 241 f. In besonderem Maße zweifelhaft erscheint die Sinnhaftigkeit des hiernach erforderlichen Hauptversammlungsbeschlusses, der keine qualifizierte Mehrheit, keine sachliche Rechtfertigung à la Kali und Salz und keinen Vorstandsbericht analog § 186 IV 2 AktG erfordert, wenn man beim Wechsel vom Regulierten Markt in ein anspruchsvolles Freiverkehrssegment das im Macrotron-Urteil geforderte „freiwillige“ Abfindungsangebot an die Aktionäre mit neuerer obergerichtlicher Judikatur (OLG München, NZG 2008, 755: Wechsel in M:access der Börse München; KG, ZIP 2009, 1116: Wechsel in Entry Standard der FWB) für entbehrlich ansieht. 93 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1669. Dazu schon Mülbert ZHR 165 (2001), 104, 115. 92

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tige Gesichtspunkte dafür, dass sich die Zulassung des regulären Delisting durch das Aktienrecht als ein Eingriff im Sinne des Art. 14 I 2 GG qualifiziert, sind ebenfalls nicht ersichtlich.94 Dass die Mitgliedschaft bzw. die einzelnen darin verkörperten Mitverwaltungs- und Vermögensrechte bei einem Verlust der Börsennotierung niedriger bewertet werden, liegt jenseits der im Rahmen des Art. 14 GG beachtlichen Umstände. Dessen sachlicher Schutzbereich beschränkt sich auf die rechtliche Verkehrsfähigkeit und bezieht die faktische Verkehrsfähigkeit gerade nicht ein.95 3. Rechtfertigung anhand der Feldmühle-Anforderungen a) Sachgründe für Gestattung eines Eingriffs in die Mitgliedschaft Für Bestimmungen, die einen Eingriff in die Mitgliedschaft zulassen, muss eine sachlich Rechtfertigung bestehen. Das BVerfG verlangt bisweilen gewichtige Gründe des gemeinen Wohls,96 lässt aber auch einen generell legitimen Zweck 97 und sogar das Interesse an gesellschaftsrechtlicher Flexibilität und einfacher Konzernbildung98 genügen. Dabei ging es jeweils um Vorschriften, die einen mehrheitlichen Zugriff qua Hauptversammlungsbeschluss vorsehen und zumeist eine formale Verkürzung von Aktionärsrechten zur Folge haben. Das aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 99 abgeleitete normbezogene 100 Sachgrunderfordernis bildet damit eine zentrale Vorgabe für die Ausgestaltung aktienrechtlicher Normen, die Konflikte zwischen der Aktionärsmehrheit und einer Minderheit abwägend aufzulösen suchen.

94 So dürfte der Wechsel vom Regulierten Markt an einen organisierten Markt in einem anderen EU-Mitgliedstaat wegen des EU-rechtlichen Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV) ohnehin nicht als reguläres Delisting behandelt werden. Für eine abweichende Beurteilung des transatlantischen Wechsels etwa an die NYSE wären dann keine Sachgründe erkennbar. 95 Oben III.1.b. 96 BVerfGE, 14, 263, 282 = WM 1962, 877; 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668. 97 BVerfG, WM 2007, 1329, 1330; 2010, 170, 172. 98 BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 437. 99 Oben II.2. AA Schön in: FS Ulmer (Fn. 20), S. 1383: Ausfluss der gleichrangigen Berechtigung beider Aktionärsgruppen aus Art. 14 I GG. 100 Von dieser sachlichen Rechtfertigung der Rechtsnorm ist die sachliche Rechtfertigung der auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahme zu unterscheiden. Für Hauptversammlungsbeschlüsse im Besonderen gibt Art. 14 I GG nicht vor, dass das Aktienrecht eine sachliche Rechtfertigung i.S.d. Kali und Salz-Kriterien verlangt (ausdrücklich BVerfG, WM 2000, 1948, 1951). Das lässt sich auch nicht mit dem mit dem Hinweis darauf unterlaufen, dass das BVerfG immerhin einen Schutz gegen den Missbrauch wirtschaftlicher (Mehrheits-)Macht verlange (so Bachmann ZIP 2009, 1249, 1252). Dem Gericht meint hiermit nämlich nur das Vorhandensein von „wirksamen Rechtsbehelfen“ (ausdrücklich BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668) für den Fall, dass die Mehrheit sich über eine gesetzliche Regelung hinwegsetzt.

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Die Feldmühle-Judikatur betrifft allerdings auch Regelungen, bei denen eine lediglich inhaltliche Auszehrung der Aktionärsrechte eintreten kann, und dieses Potential kommt nicht nur Hauptversammlungsentscheidungen, sondern auch Verwaltungsentscheidungen zu. Folglich bedürfen auch die entsprechenden Entscheidungs- und Handlungszuweisungen an Vorstand und Aufsichtsrat eines sachlichen Grundes. Hierfür muss vorbehaltlich der sogleich noch anzusprechenden Zuständigkeitsaufteilung zwischen Verwaltung und Hauptversammlung 101 genügen, dass Vorstand und Aufsichtsrat als gesellschaftszweckgebundene Organe auf die Verwirklichung des Gesellschaftsinteresses bzw. jedenfalls des Unternehmensinteresses ausgerichtet sind. Das gilt umso mehr, als das BVerfG auch für den Fall einer übertragenden Auflösung dem Art. 14 I GG kein Gebot entnehmen wollte, die Hauptversammlung über das Gesellschaftsinteresse hinaus den zusätzlichen minderheitsschützenden Kali und Salz-Beschlussrestriktionen zu unterwerfen.102 Grundsatzkritik an dieser Linie des BVerfG moniert eine Vernachlässigung des Bestandschutzes zugunsten eines reinen Vermögensschutzes.103 In der Tat hat das Gericht mehrfach ausgesprochen, dass der typische Kleinaktionär schon mangels relevanter Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmenspolitik ein auf den Vermögenswert der Aktie beschränktes Anlageinteresse an seiner Beteiligung habe und der Gesetzgeber sich daher auf deren Schutz konzentrieren könne.104 Zugleich erhellt dies freilich, dass das BVerfG der falsche Adressat dieser Kritik ist. Das Gericht macht insoweit – aus Sicht des Privatrechts erfreulicherweise – ernst mit dem Petitum, dass dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum bei der Gestaltung privatrechtlicher Beziehungen zukommt,105 und enthält sich einer eigentumsgrundrechtlichen Überdeterminierung des Aktienrechts.106 Diese Ansätze für die Erhaltung einer gewissen Gestaltungsautonomie des Gesetzgebers sollten nicht ohne Not preisgegeben werden. Mag man auch die die Realitäten moderner Aktienkapitalmärkte reflektierenden Tendenzen in Gesetzgebung und Judikatur 101

Unten III.3.b. BVerfG, WM 2000, 1948, 1951; zustimmend Schön in: FS Ulmer (Fn. 20), S. 1387. 103 Wiedemann in: FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1731, 1732 ff.; Klöhn (Fn. 18), S. 85 ff.; schon Schön in: FS Ulmer (Fn. 20), S. 1388 ff. 104 BVerfG, WM 2000, 1948, 1949 f.; 2007, 1329, 1330; s. auch BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1669. 105 BVerfG, WM 2007, 1329, 1330. 106 Soweit das BVerfG das Vorliegen eines legitimen Regelungszwecks im Falle des aktienrechtlichen Squeeze-Out für den Fall offen lässt, dass ein Aktionär „im Einzelfall ein weitergehendes, anerkennenswertes Interesse an der Beteiligung an einem Unternehmen hat, wie es etwa bei Aktionären aus dem Familienkreis bei Familienunternehmen denkbar ist“ (BVerfG, WM 2007, 1329, 1330), sollte dieser Vorbehalt entfallen. Auch Familienmitglieder und andere nahe stehenden Kleinaktionäre haben die gleichen Minderheitsrechte, zudem ist kein verfassungsrechtlicher Maßstab für die Bemessung eines im Einzelfall bestehenden anerkennenswerten Bestandsinteresses ersichtlich. 102

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zur Abschwächung des mitgliedschaftlichen Bestandsschutzes für rechtspolitisch verfehlt halten,107 sollte man gleichwohl nicht Art. 14 I GG gegen diese Entwicklung ins Feld führen und als Kollateralschaden eine noch sehr viel weitergehende Verengung der Gestaltungsspielräume des Privatrechtsgesetzgebers in Kauf nehmen. b) Hauptversammlungszuständigkeit als milderes Mittel? Handelt es sich bei den Feldmühle-Anforderungen um eine (aktien)gesellschaftsrechtsspezifische Ausprägung des Art. 14 I 2 GG beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,108 könnte dies auch die innergesellschaftliche Zuständigkeitsverteilung beeinflussen, wie der BGH in seinem MacrotronUrteil in der Tat angenommen hat 109. Regelungen, die einen „schweren“ Eingriff in die Mitgliedschaft erlauben, genügen nur bei einer Zuständigkeitszuweisung an die Hauptversammlung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten im Sinne von Holzmüller 110 und Gelatine 111 wären danach von Art. 14 I 2 GG sogar zwingend geboten. Und gegenläufig stünde die Erleichterung des § 62 UmwG, wonach ein Hauptversammlungsbeschluss der aufnehmenden Gesellschaft entbehrlich ist, wenn sie 90 % der übertragend zu verschmelzenden Gesellschaft hält, auf dem Prüfstand der Eigentumsgarantie. Die Feldmühle-Rechtsprechungslinie, und insbesondere auch der DAT/ Altana-Beschluss des BVerfG, liefern allerdings keinen Anlass oder auch nur Anhaltspunkt für eine dahingehende Schärfung der Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Auch wenn sich das BVerfG hierzu nicht äußern musste, weil durchweg eine Zuständigkeit der Hauptversammlung bestand, geht es dem Gericht ausweislich der Feldmühle-Anforderungen – und im Einklang mit der vermögensbezogenen Schutzfunktion des Art. 14 GG – lediglich um die Kompensation bei einem rechtmäßigen Eingriff in die mitgliedschaftliche Position. Der Sache nach begnügt sich das Gericht mit einem dem geltenden Aktienrecht entlehnten einfachen dreistufigen Verhältnismäßigkeitmaßstab, der ein „ideales“ Meta-Aktienrecht als Maßstab der Verhältnismäßigkeitskontrolle entbehrlich macht: verfolgt eine eingreifende Vorschrift einen legitimen Zweck, ist die Verhältnismäßigkeit mit der Anordnung voller Kompensation und der Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes gewahrt. Es läge ganz jenseits dieses Feldmühle-Verhältnismäßigkeitsstandards, die einen Zugriff auf die mitgliedschaftliche Position eines Minderheitsaktionärs erlau-

107 108 109 110 111

S. aber Mülbert in: FS Peter Ulmer, 2003, S. 433 ff. Oben II.2. BGHZ 153, 47, 55 = WM 2003, 533. BGHZ 83, 122 = WM 1983, 388. BGHZ 159, 30 = WM 2004, 1090; BGH, WM 2004, 1085.

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benden Regelungen um gesellschaftsinterne Zuständigkeitszuweisungen zu ergänzen und hierdurch den Zugriff zusätzlich prozedural zu legitimieren. c) Volle Kompensation Das Gebot der vollen Kompensation verlangt einen Ausgleich dessen, „was dem Minderheitsaktionär an Eigentum im Sinn von Art. 14 GG verloren geht“ 112. Dieser scheinbar selbstverständliche Ausgangspunkt bereitet freilich Probleme, wenn der Aktionär nicht eine formale Verkürzung seiner mitgliedschaftlichen Rechte oder gar den vollständigen Verlust seiner Mitgliedschaft erleidet, sondern lediglich eine materielle Auszehrung seiner Aktionärsrechte. Bei einer formalen Beeinträchtigung oder gar dem vollständigen Verlust ist das betroffene Eigentum wohl definiert.113 Schwierigkeiten bereitet im Wesentlichen nur die Berechnung der Kompensationshöhe. Für den Sonderfall, dass lediglich Mitverwaltungsrechte wie insbesondere das Stimmrecht bei der Abschaffung von Mehrstimmrechten gemäß § 5 EGAktG betroffen sind, steht zudem die Frage im Raum, ob ein Aktionär diesen Verlust per se oder jedenfalls für den Fall ohne Ausgleich hinzunehmen hat, dass dem Stimmrecht kein messbarer eigenständiger Vermögenswert zukommt. Macht man ernst mit der Feststellung des BVerfG, dass der Gesetzgeber sich auf den Vermögensschutz konzentrieren könne, darf der Entzug etwa von Stimmrechten beim Fehlen eines gesonderten Vermögenswerts in der Tat entschädigungslos erfolgen.114 Erst recht entbehrlich ist dann eine Kompensation wegen der Einschränkung des mitgliedschaftlichen Auskunftsanspruchs in Form des § 131 I 1 2. HS AktG 115 oder des § 131 III AktG. Erhebliche Schwierigkeiten bereiten dagegen die Fälle einer lediglich materiellen Verkürzung („Auszehrung“) von mitgliedschaftlichen Aktionärsrechten. Das spiegelt sich schon in der Judikatur des BVerfG. Zunächst sprach das Gericht, die aktienkonzernrechtlichen Zusammenhänge zutreffend wiedergebend, davon, dass die verfassungsrechtlich garantierte volle Entschädigung nicht immer allein durch einen angemessenen Ausgleich nach § 304 AktG garantiert werden könne und der Aktionär deswegen die Möglichkeit erhalten müsse, gegen eine angemessene Abfindung auszuscheiden.116 Im DAT/Altana-Beschluss hieß es dann, dass der Ausgleich die Beeinträchti112

BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668; BVerfG, WM 1999, 1978, 1980. Missverständlich aber BVerfG, WM 2007, 1519, 1520, wonach der Aktionär für den Verlust seiner Rechtsposition und (?) die Beeinträchtigung seiner vermögensrechtlichen Stellung wirtschaftlich voll entschädigt werden müsse. 114 BayObLG, ZIP 2002, 1765, 1767 f. für die Beseitigung von Mehrstimmrechten. Dazu etwa Löwe/Thoß ZIP 2002, 2075 ff.; Arnold DStR 2003, 784 ff. 115 S. BVerfG, WM 1999, 2160 ff. 116 BVerfG, WM 1999, 433, 435. 113

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gung der vermögensrechtlichen Stellung kompensiere und die Abfindung es ermögliche, wegen völligem Verlust der Leitungsbefugnisse aus der Gesellschaft auszuscheiden.117 Nochmals wenige Monate später war die Rede davon, dass ein Minderheitsaktionär durch den Abschluss eines Beherrschungsvertrags Vermögens- und Herrschaftsrechte (durch „Auszehrung“ 118) verliere, weswegen er einen Anspruch auf Ausgleich und Abfindung hat, die je für sich gesehen eine „volle“ Entschädigung bewirken müssen.119 In jüngerer Zeit schließlich meinte das Gericht, dass der korrekt bemessene Abfindungsanspruch aus § 305 AktG den außenstehenden Aktionär für die Einbuße an Verkehrsfähigkeit und die Wertminderung kompensiert, die aus dem Abschluss eines Unternehmensvertrags resultiert. Offenkundig stehen diese Passagen in teils unüberbrückbarem Widerspruch. Entweder haben sowohl § 304 AktG als auch § 305 AktG je für sich eine volle Kompensation zu gewährleisten oder § 305 AktG soll den durch § 304 AktG nur unvollständig gewährten Schutz abrunden. Unklar ist sodann, und zwar auch für die zweite Konzeption, warum auch der Ausgleichsanspruch dem Gebot der vollen Kompensation unterliegt, wenn doch bereits der Abfindungsanspruch volle Entschädigung zu leisten hat, und das BVerfG einen legitimen Zweck für das Herausdrängen anerkennt. Im Übrigen könnte der Anspruch aus § 304 AktG für sich genommen ohnehin nie eine volle Entschädigung leisten; möglich wäre dies allenfalls in Kombination mit dem Verlustausgleichsanspruch der Gesellschaft selbst aus § 302 AktG. Nach alledem bleibt nur, das Gebot der vollen Kompensation für die Fälle einer lediglich materiellen Verkürzung („Auszehrung“) der Mitgliedschaftsrechte konsequent anhand des Ausgangspostulats „auszugleichen ist, was als Eigentum im Sinne des Art. 14 I GG entzogen wird“ zu entfalten. Das bedeutet im Einzelnen: Eine Kompensation ist mittels dreier Ausgleichsmechanismen möglich. Zum ersten genügt eine Leistung an die Gesellschaft selbst, wie das BVerfG für den Fall der übertragenden Auflösung zu § 179a AktG implizit anerkannt hat.120 Das Gericht stellte für die Verletzung der Feldmühle-Anforderungen nämlich nicht etwa darauf ab, dass mit der Leistung des Mehrheitsaktionärs an die Gesellschaft gar keine Kompensation der Minderheitsaktionäre erfolge, sondern auf das Fehlen einer effektiven verfahrensrechtlichen Absicherung dieser Aktionäre,121 und damit auf das dritte Element der Feldmühle-Trias. Zweitens kommt ein direkter Ausgleich an die Aktionäre in Betracht, wie 117 118 119 120 121

BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668. BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 436. BVerfG, WM 1999, 1978, 1980. Wie hier auch Klöhn (Fn. 18), S. 107 Fn. 218. BVerfG, WM 2000, 1948, 1951.

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dies § 304 AktG und auch § 243 II 2 AktG vorsehen, und drittens schließlich Abfindungsansprüche. Der Gesetzgeber hat grundsätzlich die Wahl, welchen dieser drei Ausgleichsmechanismen er verwirklichen möchte; nur beim völligen Entzug der Mitgliedschaft ist sachnotwendig ein Abfindungsanspruch vorzusehen. Insbesondere ist eine Kumulation mehrerer Mechanismen von Art. 14 I 2 GG nicht geboten.122 Im Falle der Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts und der Verschmelzung auf Seiten der aufnehmenden Gesellschaft kann es dabei bewenden, dass der Gesellschaft selbst eine Leistung zufließt; ein Anspruch der Aktionäre auf bare Zuzahlung ist von Verfassungs wegen nicht notwendig vorzusehen. Für das Nebeneinander von § 304 AktG und § 305 AktG gilt, dass bei einer Ausrichtung des § 305 AktG am Gebot der vollen Kompensation den Feldmühle-Anforderungen insoweit genügt ist; die zusätzliche Ausrichtung auch des § 304 AktG hieran könnte allenfalls durch ein verfassungsrechtliches Gebot der Folgerichtigkeit 123 bedingt sein, weil der Gesetzgeber den außenstehenden Aktionären eben die Wahl zwischen dem Verbleib in und dem Ausscheiden aus der Gesellschaft eröffnen wollte. Würde § 304 AktG (i.V.m. § 302 AktG) volle Kompensation leisten, wäre umgekehrt nur mit dem Gebot der Folgerichtigkeit zu erklären, dass auch § 305 AktG volle Abfindung leisten muss. Schließlich kann der Gesetzgeber auch mehrere Mechanismen kumulativ derart nebeneinander stellen, dass der Aktionär im Ergebnis eine volle Kompensation erhält, etwa bei der Verschmelzung durch Anspruch auf bare Zuzahlung (§ 15 I UmwG). Beim Fehlen eines volle Kompensation gewährleistenden einfach-gesetzlichen Ausgleichsmechanismus folgt auch aus Art. 14 I 2 GG kein darauf gerichteter verfassungsunmittelbarer Ausgleichsanspruch.124 Insbesondere gibt es auch keinen verfassungsunmittelbaren Abfindungsanspruch à la Macrotron. Sieht das Aktienrecht keinen Feldmühle-konformen Ausgleichsanspruch vor, ist vielmehr die beschränkende Inhalts- und Schrankenbestimmung wegen Verstoßes gegen Art. 14 I 2 GG nichtig, so dass ein Minderheitsaktionär einen hierauf gestützten Eingriff in seine Rechte abwehren kann. Andernfalls würde der Gesetzgeber bei der Wahl zwischen den mehreren in Betracht kommenden Ausgleichsmechanismen und deren Ausgestaltung beschränkt. Im Falle des regulären Delisting etwa bliebe, sähe man darin – unzutreffend 125 – einen Eingriff in das Anteilseigentum, dem Gesetzgeber insbesondere die Wahl, die Gesellschaft selbst oder einen Dritten, etwa den 122

Wie hier auch Klöhn (Fn. 18), S. 109 ff. Breitflächig mit einem solchen Gebot für die Einwirkungen des Art. 14 I GG auf das Aktienrecht operierend Schön in: FS Ulmer (Fn. 20), passim. Dazu, dass das BVerfG dieses Gebot aus Art. 3 I GG entnimmt und hierbei auf die Steuergesetzgebung fokussiert, s. nur BVerfGE 105, 73, 125; 107, 27, 46 f.; 116, 164, 180; 117, 1, 30; 123, 111, 120. 124 Gleichsinnig Klöhn (Fn. 18), S. 105 ff. 125 Oben III.1.b./2.c. a.E. 123

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Großaktionär oder auch mehrere größere Aktionäre, zu einem Erwerbsangebot an die Aktionäre zu verpflichten. Dieses Problem war letztlich wohl auch dem BGH im Macrotron-Urteil bewusst, wenn er ein Pflichtangebot der Gesellschaft oder des Großaktionärs verlangte,126 ohne dessen verfassungsrechtliche oder auch nur einfach-gesetzliche Grundlage zu benennen oder, angesichts der Herleitung einer Hauptversammlungskompetenz unmittelbar aus Art. 14 I GG nahe liegender, benennen zu können. d) Börsenkurs als Regeluntergrenze der Kompensation im Besonderen Praxisrelevante Einzelfragen und sogar die Grundkonzeption der DAT/ Altana-Regel „Börsenkurs als Regeluntergrenze der Kompensation“ sind bis heute umstritten. Sicherheit für die Praxis setzt jedoch Gewissheit im Grundsätzlichen gerade voraus. (1) Die DAT/Altana-Konzeption: Alternativität der Bewertungsobjekte oder der Bewertungsmethoden? Der BGH in seinem DAT/Altana-Urteil 127 und das ganz überwiegende Schrifttum 128 interpretieren die DAT/Altana-Judikatur des BVerfG als eine Aussage zur Bewertungsmethodik. Der Börsenkurs als sozusagen marktanalytisches Verfahren und die fundamentalanalytischen Verfahren, etwa die Ertragswertmethode, sind alternative Bewertungsmethoden, und die Kompensation muss im Falle einer börsennotierten Aktie jedenfalls dem Börsenkurs, also der Bewertung zu Marktkursen, entsprechen. Diese Vorgabe zur Auflösung eines Konflikts zwischen marktorientierten und fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden hat der BGH im genannten DAT/AltanaUrteil in eine methodenbezogene Meistbegünstigungsregel fortentwickelt. Maßgeblich für die Entschädigung des Aktionärs ist die höhere der aus den zwei Methoden abzuleitenden Bewertungen.129 Nach der Gegenposition 130 konzipiert der DAT/Altana-Beschluss des BVerfG die (börsennotierte) Aktie als zweidimensionales Anteilseigentum und, für die Zwecke der Bewertung, als sozusagen quantenphysikalische Überlagerung von zwei unterschiedlichen Bewertungsobjekten: selbständig 126

BGHZ 153, 47, 57 = WM 2003, 533. BGHZ 147, 108, 116 = WM 2001, 856. 128 S. nur Hüffer AktG, 9. Aufl., 2010, § 305 Rn. 24c; Hirte/Hasselbach in: Großkommentar AktG, §§ 300–310, 4. Aufl., 2005, § 305 Rn. 137 ff.; Baums in: GS Schindhelm (Fn. 15), S. 72 f.; jüngst Brandi/Wilhelm NZG 2009, 1408 ff. 129 BGHZ 147, 108, 117 = WM 2001, 856. 130 Zum Folgenden s. vor allem Adolff (Fn. 15), S. 324 ff.; ihm folgend Mülbert in: Hadding/Hopt/Schimansky (Hrsg.), Vermögensverwaltung – Übernahmerecht im Gefolge der EU-Übernahmerichtlinie, Bankrechtstag 2006, 2007, S. 141, 165). Nur im Ansatz auch OLG Stuttgart, WM 2009, 1416, 1425 (mit gegenteiligen Folgerungen). 127

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verkehrsfähiger Vermögensgegenstand und quotaler Anteil am Unternehmen131. Der Börsenkurs bewertet die Aktie als selbständig verkehrsfähiges Wirtschaftsgut; fundamentalanalytische Bewertungsverfahren wie etwa die Ertragswertmethode bestimmen den Unternehmenswert als Schätzwert und, hiervon ausgehend, die Aktie als Verkörperung der anteiligen Unternehmensbeteiligung. Bei Divergenzen kommt eine objektbezogene Meistbegünstigung zum Zuge. Der Aktionär erhält den Gegenwert des höher bewerteten Bewertungsobjekts. (2) Keine Alternativität der Bewertungsobjekte Die Interpretation der DAT/Altana-Judikatur im Sinne einer Alternativität von Bewertungsobjekten hätte nicht nur problematische Konsequenzen (a), sondern stünde bei näherer Analyse geradezu im Widerspruch zu diesen Entscheidungen (b). (a) Problematische Konsequenzen Mit der Annahme zweier alternativer Bewertungsobjekte verträgt es sich zunächst kaum, eine ausgehandelte Bewertungsrelation – das betrifft insbesondere die Verschmelzungswertrelation, wenn man die DAT/Altana-Regel jedenfalls bei der übertragenden börsennotierten Gesellschaft für anwendbar hält 132 – deswegen als angemessen anzusehen, weil auf beiden Seiten voneinander unabhängige Gesellschaften (merger of equals) beteiligt sind.133 Denn die dem Verhandlungsprozess zukommende Richtigkeitsgewähr beschränkt 131 Zu dieser Unterscheidung etwa Mülbert/Schneider WM 2003, 2301, 2310; Hüffer in: FS Walther Hadding, 2004, S. 461, 466 f.; Welf Müller in: FS Röhricht (Fn. 18), S. 1020 ff. 132 BVerfG, WM 2007, 1520, 1521 (Hilfsbegründung des OLG berücksichtige Börsenkurs, so dass Nichberücksichtigung in Hauptbegründung verfassungsrechtlich unbedenklich sei); Lutter/Drygala in: Lutter, UmwG, Bd. 1, 4. Aufl., 2009, § 5 Rn. 28 (im tendenziellen Widerspruch zu Rn. 27); Martens in: FS Volker Röhricht, 2005, S. 987, 989 f.; Weiler/ Meyer NZG 2003, 669, 670; Wilsing/Kruse DStR 2001, 991, 993 f.; Piltz ZGR 2001, 184, 205; Puszkajler BB 2003, 1692, 1693 f.; Paschos ZIP 2003, 1017, 1023 f. (mit Ausnahme für voneinander unabhängige Gesellschaften); wohl auch Baums in: FS Schindhelm (Fn. 15), S. 64 f.; Gehling in: Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl., 2007, § 8 Rn. 26; aA etwa Hüffer/ Schmidt-Aßmann/Weber (Fn. 18), S. 98 ff. m.N.; Hüffer (Fn. 128), § 305 Rn. 24j f.; Hüttemann ZGR 2001, 454, 465; Bungert BB 2003, 699, 700 f., 703 f.; zur Sondersituation der Beteiligung von zwei börsennotierten Gesellschaften s. noch III.3.d.(4). 133 Dafür etwa OLG Stuttgart, AG 2006, 420 ff.; BayObLG, NZG 2003, 483 ff.; Hüffer (Fn. 128), § 305 Rn. 17a; Simon in: Kölner Kommentar zum UmwG, 2009, § 5 Rn. 35 ff.; Brandi/Wilhelm NZG 2009, 1408, 1412; Lutter/Drygala in: Lutter (Fn. 132), § 5 Rn. 27; Lenz/Fuchs/Dausend in: Keßler/Kühnberger, UmwandlungsR, 2009, Anh. 1, Rn. 44 f.; Baums in: FS Schindhelm (Fn. 15), S. 85 ff.; Martens in: FS Röhricht (Fn. 132), S. 1001 ff.; Reuter AG 2007, 881, 889 ff.; Wilsing/Kruse DStR 2001, 991, 995; ferner wohl Habersack AG 2009, 1, 13; s. auch Stilz in: FS Mailänder (Fn. 91), S. 424 ff.; sogar für eine konzerninterne Verschmelzung LG Frankfurt, ZIP 2009, 1322, 1325 (T-Online/Deutsche Telekom); ablehnend jedenfalls auf der Ebene des einfachen Rechts Tonner in: FS Schmidt (Fn. 18), S. 1595 f.

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sich auf die Bewertungsmethodik bezüglich eines Bewertungsobjekts. Unberührt bleibt dagegen der mögliche Einwand, dass zu Lasten der Aktionäre eines der beiden Bewertungsobjekte im Bewertungsergebnis keine zutreffende Berücksichtigung fand. Anders gewendet hindert das Meistbegünstigungsgebot nicht, dass die Verhandlungspartner sich über die jeweiligen Ergebnisse der mehreren Bewertungsmethoden – Börsenkurs und fundamentalanalytische (Ertragswert-)Verfahren – einigen. Damit unvereinbar ist jedoch eine konsensuale Festlegung desjenigen Bewertungsobjekts, das bei der Festlegung der Verschmelzungswertrelation berücksichtigt wird. Im engen Sachzusammenhang hiermit steht die problematische Wirkung der beim übernahmerechtlichen Squeeze-Out bestehenden Vermutung des § 39 III 3 WpÜG, wonach die vom Bieter gebotene Gegenleistung bei einer 90 %-Annahmequote auch als angemessene Abfindung gilt. Diese Vermutungsregel wird unter Berufung auf den Willen des deutschen Gesetzgebers und die Vorgaben der EU-Übernahmerichtlinie weithin als unwiderleglich angesehen.134 Im Gegenzug habe der Gesetzgeber dann aber, so wird unter Hinweis auf die DAT/Altana-Judikatur angemahnt, im Rahmen der Mindestpreisregeln (§ 31 WpÜG) sicherzustellen, dass schon der „angemessene“ Angebotspreis einen etwaigen höheren inneren Wert der Aktie widerspiegelt.135 Der Gegeneinwand, dass aus der 90 %-Annahmequote die Angemessenheit der gebotenen Abfindung auch im Sinne der DAT/Altana-Maßstäbe folge,136 kann nur dann überzeugen, wenn bei der Angemessenheit der Bewertung lediglich alternative Bewertungsmethoden, nicht aber alternative Bewertungsobjekte in Rede stehen. Das Meistbegünstigungsgebot würde ausschließen, dass die Mehrheit über die Auswahl des relevanten Bewertungsobjekts bestimmt. Im Falle der grenzüberschreitenden übertragenden Verschmelzung einer deutschen SE oder einer deutschen AG enthält das europäische Recht keine materiellen Vorgaben dazu, wie die Verschmelzungswertrelation und das hieraus sich ergebende Umtauschverhältnis zu ermitteln sind. Hierbei sollen allein die nach dem Recht des aufnehmenden Rechtsträgers maßgeblichen Bewertungsmethoden137 zur Anwendung kommen;138 andere sprechen immer134 OLG Stuttgart WM 2009, 1416, 1418 ff.; Santelmann in: Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl., 2007, § 39a Rn. 10, 31; Schlitt/Ries/Becker NZG 2008, 700, 701; Meyer WM 2006, 1135, 1142; aA Schüppen/Tretter in: Haarmann/Schüppen (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl., 2008, § 39a Rn. 27; Posdziech WM 2010, 787, 788 ff. m.w.N.; differenzierend Mülbert (Fn. 130), S. 176 f: unwiderleglich beim Pflichtangebot, widerleglich beim Übernahmeangebot; letztlich offen lassend OLG Frankfurt, WM 2009, 703, 705 f. 135 Mülbert (Fn. 130), S. 178 f. 136 S. nur Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/1342, S. 6. 137 Instruktiver Überblick bei Kiem ZGR 2007, 542, 554 ff. 138 Adolff ZHR 173 (2009), 67, 96 ff.; Kallmeyer AG 2007, 472, 474; wohl auch D. Beisel in: Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, 6. Aufl., 2009, 6. Kapitel, Rn. 56; aA Reuter AG 2007 881, 883: Bewertung beider Gesellschaften nach jeweiligem nationalen Recht;

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hin davon, dass dem Gemeinschaftsrecht jedenfalls für einen merger of equals diesbezüglich ein Gebot richterlicher Zurückhaltung zu entnehmen sei 139. Anders liegt es hingegen für den vom deutschen Gesetzgeber aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung im EU-Recht eingeführten Abfindungsanspruch der Aktionäre einer deutschen übertragenden Gesellschaft (§ 7 SEAG, § 122i UmwG). Weil es sich hierbei nicht um eine gemeinschaftsrechtlich determinierte Regelung handelt, muss für die Ermittlung der Abfindungshöhe die DAT/Altana-Regel vom Börsenkurs als Regeluntergrenze der Kompensation zur Anwendung kommen.140 Folglich würde die Beteiligung zugunsten der ausscheidenden Aktionäre höher bewertet. Dies wiederum würde die grenzüberschreitende Verschmelzung weniger attraktiv machen und damit wohl gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrages verstoßen. Diese Problematik entfiele ebenfalls, wäre eine ausgehandelte Verschmelzungswertrelation und das hieraus abgeleitete Umtauschverhältnis trotz DAT/Altana jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen als angemessen anzusehen. (b) Sonstige Einwände Bereits die vorstehend dargelegten Probleme streiten gegen die Konzeption einer Alternativität der Bewertungsobjekte bei börsennotierten Aktien. Die DAT/Altana-Judikatur des BVerfG gebietet insoweit nichts Gegenteiliges. Näheres Zusehen bestätigt vielmehr gerade, dass die Aussagen des Gerichts nur die Ebene der Bewertungsmethodik betreffen. Allerdings betont das BVerfG bei der Präzisierung der für die Ermittlung der angemessenen Kompensation maßgeblichen Gesichtspunkte die Verkehrsfähigkeit als eine Eigenschaft des Aktieneigentums,141 was eher für eine objektbezogene als eine methodenbezogene Aussage zu sprechen scheint. Zudem hält es ausdrücklich fest, dass Art. 14 I GG keine bestimmte Methode der Unternehmensbewertung vorgebe.142 Demgegenüber mag man zunächst einwenden wollen, dass das BVerfG in den Entscheidungen vor DAT/Altana die aktienrechtliche Mitgliedschaft als gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum charakterisierte 143 und dass dies ferner wohl Kiem ZGR 2007, 542, 559 ff., 568, wenn er die Festlegung der Verschmelzungswertrelation zwar als Ermessensentscheidung des Vorstands sieht, aber diesbezügliche Korrekturen kraft Art. 14 I GG für möglich hält; unbestimmt Carsten Schäfer in: Münchener Kommentar zum AktG, Bd. 9/2, 2. Aufl., 2006, Art. 20 SE-VO Rn. 15; Bayer in: Lutter/ Hommelhoff (Hrsg.), SE-Kommentar, 2008, Art. 20 SE-VO Rn. 18; ders. in: Lutter (Fn. 132), § 122c Rn. 15. 139 Habersack AG 2009, 1, 13. 140 S. nur Adolff ZHR 173 (2009), 67, 86 f. 141 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1669 f.; BVerfG, WM 2007, 1179, 1180. 142 BVerfG, WM 2007, 1520, 1522. Weil das Gericht hieraus die Unbedenklichkeit der Ertragswertmethode folgert, meint es möglicherweise auch nur „keine bestimmte fundamentalanalytische Methode“. 143 BVerfGE 50, 290, 342 = WM 1979, 389.

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dem Denkansatz bei der Unternehmensbewertung entspricht, die Mitgliedschaft als quotale Beteiligung am von der Gesellschaft getragenen Unternehmen zu bewerten. Doch relativiert sich dieser Einwand insofern, als die Formel vom gesellschaftsrechtlich vermittelten Anteilseigentum sich in der Zwischenzeit wohl überholt hat. Vor allem aber wurde dem Aktionär mit dieser Figur im konzeptionellen Ausgangspunkt Alleineigentum zuerkannt,144 nicht lediglich eine quotale Beteiligung im Sinne des Denkansatzes der Unternehmensbewertung. Entscheidend ist vielmehr ein anderer Punkt. Der DAT/Altana-Beschluss erlaubt eine Unterschreitung des Börsenkurses für den Fall, dass dieser nicht dem Verkehrswert entspricht, etwa weil nicht nur eine Marktenge bestanden, sondern längere Zeit praktisch überhaupt kein Handel mit den Aktien der Gesellschaft stattgefunden hat.145 Läge dieser Judikatur tatsächlich das Modell von zwei alternativen Bewertungsobjekten – quotale Unternehmensbeteiligung v. selbständig verkehrsfähiges Wirtschaftsgut – zugrunde, wären selbst in einer solchen Ausnahmesituation zwei Bewertungen erforderlich. Denn auch dann wäre ein Auseinanderfallen der Bewertungen für die Aktie als quotalen Anteil am Gesamtunternehmen und als selbständig verkehrsfähiges Wirtschaftsgut nicht ausgeschlossen. Dass das BVerfG eine solche Notwendigkeit nicht einmal erwähnt, lässt daher nur einen Schluss zu: Für das Gericht liegt in der Bewertung zum Börsenkurs lediglich eine alternative Bewertungsmethode, nicht die implizite Anerkennung eines alternativen Bewertungsobjekts. Ganz im Einklang damit steht dann auch, dass das Gericht den Börsenkurs als Untergrenze einer Kompensation sieht, der im Falle einer höheren Fundamentalbewertung vom einfachen Recht auch überschritten werden könne.146 Diese Asymmetrie lässt sich sinnstiftend nur auf der Ebene der Bewertungsmethodik rechtfertigen,147 nicht auf der Basis alternativer Bewertungsobjekte. Stehen mit dem Börsenkurs und den fundamentalanalytischen Bewertungsverfahren unterschiedliche Bewertungsmethoden in Rede, geht es im jeweiligen Einzelfall „nur“ um die Entscheidung, welche der Methoden das sachgerechtere Ergebnis liefert. Dies lässt Spielraum für differenzierte Antworten auf die Frage, welche der Bewertungsmethoden im konkreten Fall als sachangemessen anzusehen ist.148

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S. BVerfGE 50, 290, 342 = WM 1979, 389; krit. hierzu Mülbert (Fn. 4), S. 64 f. BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1670. Nicht ganz präzise sprechen Folgeentscheidungen nur noch von Marktenge, s. BVerfG, WM 2007, 73, 75; ebenso die Zivilgerichte, etwa BGHZ 147, 108, 116 = WM 2001, 856; OLG Düsseldorf, AG 2000, 421, 422. 146 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1670. 147 Dazu noch sogleich III.3.d.(3) a.E. 148 Dazu noch III.3.d.(6). 145

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(3) Börsenkurs als Untergrenze nur bei kombiniertem Eingriff in die Vermögens- und Mitverwaltungsrechte (i) Die DAT/Altana-Judikatur des BVerfG betraf bislang fast ausnahmslos Fallgestaltungen, in denen eine Kompensation der Aktionäre wegen des formalen Entzugs ihrer Mitgliedschaft oder deren wirtschaftlich vergleichbarer Beeinträchtigung in Rede stand. Diese Grundsätze sind aber auch im Übrigen zur Anwendung berufen, wenn das Aktienrecht einen Eingriff in die Mitgliedschaft in toto, also in die Vermögens- und Mitverwaltungsrechte, gestattet. Maßgeblich ist ein über dem fundamentalanalytisch ermittelten Schätzwert liegender Börsenwert kraft Art. 14 I GG – und nicht lediglich kraft eines einfach-gesetzliches Grundsatzes der Methodengleichheit,149 eines einfach-gesetzlichen Meistbegünstigungsgebots 150 oder einer Mischung beider Grundsätze 151 – daher insbesondere auch bei der Angemessenheit des Ausgabebetrags (§ 255 II AktG) im Falle einer Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts, bei der Verschmelzungswertrelation für den Fall der Börsennotierung der übernehmenden Gesellschaft 152 sowie, in der Konsequenz, bei konzernrechtlichen Abfindungstatbeständen für den Fall der Börsennotierung der eingliedernden Gesellschaft bzw. des anderen Vertragsteils eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrags.153 Unerheblich mangels Eingriff in die Mitverwaltungsrechte ist der Börsenkurs dagegen etwa im Falle des § 311 II AktG. (ii) Vorstehende Abgrenzung folgt aus der Grundkonzeption der DAT/ Altana-Judikatur. Deren Ausgangspunkt bildet die vom Aktienrecht mit Billigung des Art. 14 I 2 GG eingeräumte Befugnis der Aktionärsmehrheit, in die Mitgliedschaft einer Minderheit einseitig einzugreifen. Der Zwangseingriff tritt an die Stelle einer Verhandlungslösung und die deswegen unabdingbare Bewertung ist Ergebnis einer bestimmten Bewertungsmethode, nicht eines Verhandlungsprozesses. Fundamentalanalytische Bewertungsmethoden suchen 149 Bei Maßgeblichkeit des höheren Börsenkurses der Ausgangsgesellschaft ist auch nur der Börsenkurs der Zielgesellschaft maßgeblich, und zwar selbst beim Unterschreiten des Ertragswerts; s. nur Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., 2010, § 305 AktG Rn. 48 f. 150 Maßgeblichkeit eines etwaigen höheren Börsenkurses der Zielgesellschaft unabhängig von Börsennotierung der Ausgangsgesellschaft; so wohl Martens in: FS Röhricht (Fn. 132), S. 989 f.; Weiler/Meyer NZG 2003, 669, 671. 151 Meistbegünstigung nur im Falle der Börsennotierung der Ausgangsgesellschaft; s. etwa Koppensteiner in: Kölner Kommentar zum AktG, Bd. 6, 3. Aufl., 2004, § 305 Rn. 110, 114; Krieger in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 3. Aufl., 2007, § 70 Rn. 137; Hüffer (Fn. 128), § 305 Rn. 24h; wohl auch BGHZ 147, 108, 121 = WM 2001, 856. 152 Tonner in: FS Schmidt (Fn. 18), S. 1594; Lutter/Drygala in: Lutter (Fn. 132), § 5 Rn. 28; Martens in: FS Röhricht (Fn. 132), S. 989 f.; Wilsing/Kruse DStR 2001, 991, 993 f.; Piltz ZGR 2001, 184, 205; aA i.E. Adolff (Fn. 15), S. 462 ff.: nur Fundamentalwert. 153 Mülbert (Fn. 13), N 64; Martens in: FS Röhricht (Fn. 132), S. 989 f.

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dabei den quotalen Anteilswert zu ermitteln, also den Anteil des Aktionärs am hypothetischen Liquidationserlös (§ 738 BGB) bzw. den Barwert seiner anteiligen Vermögensrechte; die Mitverwaltungsrechte bleiben mangels messbarem eigenständigem Vermögenswert ohne Berücksichtigung, so dass sich unterschiedliche Stimmrechtsausstattungen auch ohne Rückgriff auf § 53a AktG nicht auf die Höhe der Abfindung auswirken dürfen 154. Demgegenüber wird im Börsenkurs auch abgebildet, wenn die Marktteilnehmer dem Stimmrecht ausnahmsweise, und möglicherweise auch nur zeitlich begrenzt wie etwa bei einem Bieterkampf oder einem Zuerwerb zur Erreichung der 95 %Schwelle des aktienrechtlichen Squeeze-Out, einen eigenständigen Vermögenswert beimessen. Der Börsenkurs erweist sich damit als das überlegene Verfahren zur Bewertung der Mitgliedschaft in toto, nicht notwendig als der „bessere“ Schätzwert für die Bewertung des quotalen Anteilswerts 155. Soweit das Aktienrecht aber einen Eingriff gestattet, der sowohl die Vermögens- als auch die Mitverwaltungsrechte betrifft, wird eine „volle“ Kompensation am ehesten unter Verwendung der Bewertungsmethodik geleistet, die die Mitgliedschaft in toto am präzisesten abbildet, also durch den Börsenkurs.156 (iii) Nicht im Widerspruch hierzu steht, dass das BVerfG für die Maßgeblichkeit des Börsenkurses auf die Möglichkeit einer freiwilligen Deinvestitionsentscheidung des Aktionärs abhebt 157. Bei Lichte besehen liegt hierin zwar nicht der tiefere Grund für die Maßgeblichkeit des Börsenkurses. Denn der Aktionär, der einen Abfindungsanspruch geltend macht, unterlässt gerade eine Deinvestitionsentscheidung und kann aus diesem Umstand nichts ableiten. Wohl aber ist die Möglichkeit einer freiwilligen Deinvestitionsentscheidung deswegen bedeutsam, weil der Börsenkurs nur dann das überlegene Bewertungsverfahren darstellt, wenn der Aktionär seine Mitgliedschaft rechtlich und auch faktisch überhaupt veräußern könnte. Für einen dauerhaft in der Gesellschaft gebundenen Aktionär hätte das Stimmrecht nämlich nie einen von den Vermögensrechten unabhängigen selbständigen Wert. Anders ist dies nur – und dieser Befund hat über alle Gesellschaftsformen hinweg gleichermaßen Gültigkeit –, wenn das Stimmrecht für einen Dritten (auch) unabhängig von den Vermögensrechten von Interesse ist und am Markt daher gesondert bewertet wird.158 154

Hüttemann WPg 2007, 813, 815; für Vorzugsaktien im Besonderen auch Mülbert/ Schneider WM 2003, 2301, 2311 f.; aA die h.M.; s. etwa Hüffer (Fn. 128), § 305 Rn. 24. 155 So aber BGHZ 147, 108, 116 = WM 2001, 856. 156 S. auch Tonner in: FS Schmidt (Fn. 18), S. 1587: Börsenkursorientierung von DAT/ Altana sei Ausdruck dessen, dass Gegenstand der Bewertung die Aktie als selbständig verkehrsfähiges Wirtschaftsgut, nicht als quotaler Anteil am Unternehmen sei. 157 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1669; BVerfG, WM 2007, 73, 74; 1179, 1180; 1520, 1521. 158 Für die Unternehmensbewertung drängen diese Überlegungen auf eine Rekonstituierung des einen Bewertungsobjekts Aktie im Sinne eines verkehrfähigen Bündels mitgliedschaftlicher Rechte und Pflichten.

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(4) Börsenkursorientierung bei Beteiligung von zwei börsennotierten Gesellschaften Bei der Verschmelzung durch Aufnahme unter Beteiligung von zwei börsennotierten Gesellschaften – und entsprechendes gilt auch beim Abschluss eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrags sowie für die Eingliederung unter Beteiligung zweier börsennotierten Gesellschaften – findet nach dem bislang Gesagten für beide Beteiligten jeweils die DAT/AltanaRegel Anwendung, wonach ein über dem fundamentalanalytisch ermittelten Schätzwert liegender Börsenwert anzusetzen ist. Die resultierende Grundrechtekollision will das OLG Stuttgart für die Verschmelzung dahin auflösen, dass die Verschmelzungswertrelation anhand der Fundamentalwerte (Ertragswertverfahren) und ohne Berücksichtigung der Börsenkurse ermittelt wird.159 Dies begegnet freilich schon deswegen Zweifeln, weil die beidseitige Ausblendung des Börsenkurses nur dann ohne Einfluss auf das Umtauschverhältnis bliebe, wenn der Quotient aus wahrem Wert und Börsenkurs auf beiden Seiten, d.h. für beide Gesellschaften, übereinstimmt. Zutreffend erscheint demgegenüber eine Auflösung der Kollision des Art. 14 I GG mittels der Annahme, dass die Aktionäre bei der Ermittlung des Umtauschverhältnisses jeweils hinzunehmen haben, dass als Wert der Gegenleistung diejenige Größe einzustellen ist, die Art. 14 I GG den Aktionären der anderen Gesellschaft zubilligt. Anders gewendet gebietet Art. 14 I GG zugunsten eines Aktionärs nur, dass ein höherer Börsenkurs der von ihm gehaltenen Aktien in das Umtauschverhältnis eingeht, nicht aber, dass das Anteilseigentum der Aktionäre der anderen Gesellschaft und dessen Schutz durch Art. 14 I GG ignoriert wird, indem lediglich der niedrigere innere Wert für die Ermittlung des Umtauschverhältnisses angesetzt wird. Das führt bei beiden Gesellschaften zur Maßgeblichkeit eines etwaigen höheren Börsenwerts,160 es sei denn, es liege ein merger of equals vor 161. (5) Methodenbezogene Meistbegünstigung? Die Zugrundelegung eines gegenüber dem Börsenkurs höheren Fundamentalwerts, etwa aufgrund einer Ertragswertbewertung, erklärt der DAT/ Altana-Beschluss des BVerfG für verfassungsrechtlich nicht geboten, aber unbedenklich.162 Vor diesem Hintergrund postulierte der BGH in seinem 159 OLG Stuttgart, AG 2007, 705, 712 ff.; Adolff (Fn. 15), S. 449 f., 469 ff.; Baums in: FS Schindhelm (Fn. 15), S. 73; aA LG Frankfurt, ZIP 2009, 1322, 1326. Ebenso bei § 305 AktG nur für die Abfindung in Aktien GroßkommAktG/Hirte/Hasselbach (Fn. 128), § 305 Rn. 162. 160 Mülbert (Fn. 13), N 65. 161 Zutreffend Lutter/Drygala in: Lutter (Fn. 132), § 5 Rn. 27 f. Zu dieser Sondersituation sogleich III.3.d.(6) a.E. 162 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1670.

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DAT/Altana-Urteil 163 dann zwar eine methodenbezogene Meistbegünstigung, also die Zugrundelegung des jeweils höheren Ergebnisses der beiden alternativen Bewertungsmethoden.164 Von Art. 14 I GG ist dies gleichwohl nicht geboten,165 wie die folgende Überlegung erhellt: Bei der Börsenbewertung bildet der quotale Unternehmenswert der Aktie die Bewertungsuntergrenze. Liegt der Börsenkurs unter dem „inneren“ Wert auf Ertragswertbasis, dann nicht deswegen, weil der Börsenkurs ein Weniger als die in der Aktie verkörperte anteilige Beteiligung am Unternehmen oder ein Aliud abbilden würde. Denn konzeptionell bildet der quotale Anteil am Unternehmen stets den Mindestinhalt des vom Börsenkurs bewerteten Rechtebündels „Aktie“. Vielmehr geht es in einem solchen Fall darum, dass die marktorientierte (Börsenkurs-)Bewertung und die fundamentalanalytische Bewertung, etwa das Ertragswertverfahren, für den in der Aktie repräsentierten quotalen Unternehmensanteil zu divergierenden Werten führen. Welches dieser Ergebnisse den Vorzug verdient, ist verfassungsrechtlich nicht determiniert. Denn im Bezug auf die anzuwendenden Methoden bei der Bewertung des quotalen Unternehmensanteils ist Art. 14 I GG neutral und macht keine Vorgaben.166 Mit diesem Verständnis der DAT/Altana-Regel „Börsenkurs als Regeluntergrenze“ bleibt dem Gesetzgeber insbesondere auch der rechtspolitisch wünschenswerte 167 Schritt unbenommen, für die Bemessung von Kompensationszahlungen sowie für sonstige Bewertungsfragen als Grundsatz den durchschnittlichen Börsenkurs einer Referenzperiode festzulegen, die mit den Tag der Bekanntgabe der eine Kompensationspflicht begründenden Maßnahme endet, allerdings unter der Einschränkung, dass der Börsenkurs den Mindestanforderungen des § 5 IV WpÜG-AV an einen relevanten Börsenkurs entspricht.168

163

BGHZ 147, 108, 117 = WM 2001, 856. Ausdrücklich BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1670. 165 Ebenso etwa Stilz ZGR 2001, 875, 892; Baums in: FS Schindhelm (Fn. 15), S. 72; aA etwa Mülbert (Fn. 13), N 63 f., allerdings noch ohne Berücksichtigung der nachfolgenden Überlegungen. 166 BVerfG, WM 2007, 1520, 1522. 167 Dazu Mülbert (Fn. 13), N 66 f. (auch zu möglichen Einwänden). 168 Ebenso Bayer Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften?, Gutachten E zum 67. DJT, 2008, E 105 f.; für dahin gehende gesetzliche Satzungsöffnung Mülbert (Fn. 13), N 65 ff. (auf Basis der Interpretation der DAT/ Altana-Regel (BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666) im Sinne einer Alternativität der Bewertungsobjekte); für gesetzliche Positivierung des Gebots einer börsenkursorientierten Kompensation ferner Carsten Schäfer NJW 2008, 2536, 2542; Krieger in: DJT (Fn. 13), N 30 f.; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2008, 534, 544: schon Luttermann NZG 2007, 611, 616 f.; Welf Müller in: FS Röhricht (Fn. 18), S. 1026 ff. 164

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(6) Die DAT/Altana-Regel als widerlegliche Vermutung Nach dem bislang Gesagten liegt im DAT/Altana-Gebot des BVerfG, dass sich die angemessene Kompensation vorbehaltlich besonderer Ausnahmesituationen am Börsenkurs als Untergrenze zu orientieren habe, letztlich als eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Börsenkurs den Wert der Mitgliedschaft zutreffend abbildet. Von Verfassungs wegen bestehen daher keine Bedenken, Abweichungen zwischen dem Börsenkurs und fundamentalanalytischen Bewertungsmethoden auch anhand anderweitiger sachgerechter Vorrangregeln aufzulösen. Dies gilt zunächst für besonders hohe Annahmequoten im Falle eines Erwerbsangebots, über das die Aktionäre auf informierter Grundlage und, soweit überhaupt möglich, ohne wirtschaftlichen Zwang zur Annahme (pressure to tender 169) entscheiden können. Das Verständnis des § 39a III 3 WpÜG als einer unwiderleglichen Vermutung begegnet daher im Lichte des Art. 14 I 2 GG keinen durchgreifenden Bedenken,170 und dasselbe hätte im Übrigen für den nie Gesetz gewordenen § 327b I 3 AktG-E gegolten171. Aus ähnlichen Überlegungen sind bei einem merger of equals die Verschmelzungswertrelation und das hieraus abgeleitete Umtauschverhältnis, die zwischen zwei voneinander unabhängigen Gesellschaften ausgehandelt werden, selbst dann als angemessen anzusehen, wenn bei Zugrundelegung des bzw. der Börsenkurse sich ein abweichendes Verhältnis ergäbe.172 Zumindest tendenziell spricht hierfür auch der Moto Meter-Beschluss des BVerfG. Formal geht es dabei zwar lediglich darum, dass das Erfordernis wirksamer Rechtsbehelfe als das dritte Element der Feldmühle-Anforderungen dann keine gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten gebietet, wenn die eingreifende Gesellschaftermehrheit und die Minderheit gleichgerichtete Interessen verfolgen.173 Doch impliziert dies sachnotwendig, dass dann auch die Kompensation als angemessen angesehen werden kann; andernfalls wäre der Verzicht auf das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes nicht erklärlich. 169

Zu diesem Phänomen etwa Mülbert/Birke WM 2001, 705, 713 ff. Oben III.3.d.(2)(a) m. Fn. 132; aA noch Mülbert ( Fn. 130), S. 178 f. infolge der Interpretation der DAT/Altana-Regel (BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666) im Sinne einer Alternativität der Bewertungsobjekte. 171 Oben I. bei Fn. 5. 172 Oben III.3.d.(2)(a) m. Fn. 131. 173 BVerfG, WM 2000, 1948, 1950. Ob die unwiderlegliche Vermutung des § 39a III 3 WpÜG sich wegen der erforderlichen 90 %-Annahmequote mit Hinweis auf eine angebliche Billigung des Markttestes im Moto Meter-Beschluss rechtfertigen lässt (so etwa Austmann/Mennicke NZG 2004, 846, 850; Schlitt/Ries/Becker NZG 2008, 700, 701), erscheint daher durchaus fraglich. Im Sinne von Moto Meter ist nämlich der fehlende Interessengleichlauf zwischen dem Bieter und den von ihm gegebenenfalls qua Squeeze-Out auszuschließenden Angebotsadressaten relevant, nicht die in der Tat zwischen allen Angebotsadressaten bestehende Interessenhomogenität. 170

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e) Wirksamer Rechtsschutz Wirksamer Rechtsschutz als drittes Element der Feldmühle-Anforderungen gebietet nach dem BVerfG ein Doppeltes: Der Aktionär muss das Vorliegen eines legitimen Zwecks als Eingriffsvoraussetzung 174 und die Angemessenheit der Kompensation 175 überprüfen können. Was die Ausgestaltung des gerichtlichen Kontrollverfahrens angeht, ist das Gericht großzügig. Die Prüfung beider Fragen kann in einem einzigen Verfahren, etwa der Anfechtungsklage, oder aber in zwei getrennten Verfahren – Anfechtungsklage und Spruchverfahren – erfolgen, die materielle Überprüfung der Eingriffsvoraussetzungen lässt sich mittels eines Freigabeverfahrens (§§ 246a, 319 VI, 327e II AktG, § 16 I, II UmwG) kupieren,176 und die Überprüfung der Kompensationshöhe ist sogar ganz entbehrlich, wenn ein effektiver Marktmechanismus eine volle Kompensation gewährleistet (Markttest) 177. Besondere Beachtung in diesem Zusammenhang verdient dabei der SqueezeOut-Beschluss des BVerfG aus dem Jahre 2007, wonach der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehalten sei, ein Verfahren bereitzustellen, das einem „zu Unrecht“ ausgeschlossen Minderheitsaktionär die Wiedererlangung seiner Aktionärsstellung erlaube. Er dürfe sich nämlich bei den Schutzvorkehrungen auf die vermögensrechtliche Seite konzentrieren 178 und diese Fokussierung sei – so das Gericht ohne Begründung – auch bei den Rechtsfolgen im Falle eines unrechtmäßigen Ausschlusses zulässig. Daher genüge es, dem obsiegenden Aktionär lediglich einen Anspruch auf monetären Schadensersatz zuzubilligen (§ 327f S. 2 AktG; ferner §§ 246a IV 1, 319 VI 10 AktG, § 16 III 8 UmwG).179 In der Sache liegt hierin eine Billigung des Konzepts, dass der Registereintragung auch dann Bestandskraft zukommt, wenn das Prozessgericht dem Freigabeantrag aufgrund eines überwiegenden Vollzugsinteresses stattgegeben hat. So befriedigend dies im Ergebnis auch sein mag, so unbefriedigend bleibt freilich die Begründung hierfür. Dass der Minderheitsaktionär bei einem Eingriff in seine Mitgliedschaftsrechte, der auf der Grundlage einer legitime Zwecke verfolgenden Vorschrift erfolgt, lediglich eine vermögensmäßige Kompensation erhält, liegt in der Natur der Sache; der Verlust der zulässigerweise entzogenen Mitverwaltungsrechte lässt sich eben nur finanziell kompensieren. Daraus folgt aber nicht einmal ansatzweise eine Rechtfertigung dafür, diesen Mechanismus auch auf den Fall eines unrechtmäßigen Eingriffs zu erstrecken. Ganz im Gegenteil! 174 BVerfGE 100, 289 = WM 1999, 1666, 1668; ähnlich BVerfG, WM 2007, 1329, 1330; 2010, 170, 172. 175 BVerfG, WM 1999, 433, 434; 435, 437; 1979, 1981; 2000, 1948, 1951; 2003, 1813, 1814. 176 BVerfG, WM 2007, 1329, 1331. 177 BVerfG, WM 2000, 1948, 1950. 178 Oben III.3.a. 179 BVerfG, WM 2007, 1329, 1331 f.

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IV. Schlussbemerkungen Eher Praxis- als Grundsatzprobleme – so lautet der Befund zu den bisherigen Einwirkungen des Art. 14 I GG auf das Aktienrecht. Allerdings ist in der Feldmühle-Judikatur des BVerfG keine Differenzierung zwischen den beiden Funktionen Bestandsgarantie und Gestaltungsauftrag des Art. 14 I GG erkennbar. Jedoch hat das Gericht bei der Kontrolle aktienrechtlicher Vorschriften anhand des Eigentumsgrundrechts bislang nicht über die einfach-gesetzlich angelegten Prinzipien und Maßstäbe hinausgegriffen und dessen Eigenart als eines normgeprägten Grundrechts zumindest im weiteren Sinne gewahrt. Drei Aspekte im Besonderen sind hierfür hervorzuheben: – Ob eine Aktienrechtsnorm einen Eingriff in die mitgliedschaftliche Rechtsposition von Aktionären gestattet und daher als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 I 2 G wirkt, beurteilt das Gericht anhand aktienrechtseigener Maßstäbe. – Das für die Rechtmäßigkeit einer Inhalts- und Schrankenbestimmung zu wahrende verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot konkretisiert das Gericht nicht unter Rekurs auf ein „ideales“ Meta-Aktienrecht, sondern durch einen dem geltenden Aktienrecht entlehnten dreistufigen Standard: Verfolgt eine einen Eingriff gestattende Vorschrift einen legitimen Zweck, ist die Verhältnismäßigkeit mit der Anordnung voller Kompensation und der Bereitstellung wirksamen Rechtsschutzes gewahrt. – Mit der DAT/Altana-Regel vom Börsenkurs als Regeluntergrenze der angemessenen Kompensation wird lediglich eine alternative Bewertungsmethodik in Form der Börsenbewertung etabliert, nicht ein alternatives Bewertungsobjekt in Form der Aktie als einem selbständig verkehrsfähigen Wirtschaftsgut etabliert. Hieraus resultieren zwar erhebliche Praxisprobleme, weil die Unternehmensbewertung bis zu diesem Beschluss auf die Ermittlung des Schätzwerts anhand fundamentalanalytischer Methoden (Stichwort Ertragswertverfahren) fixiert war, aber keine Grundsatzprobleme. Ein gegenteiliger Befund ergäbe sich erst, sollte das BVerfG das Macrotron-Urteil des BGH aufgreifen und für das reguläre Delisting aus Art. 14 I GG eine Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung und die Pflicht zur Vorlage eines Erwerbsangebots an die Aktionäre entnehmen. Der Preis hierfür wäre dann freilich hoch: der Wertungsrahmen des Aktienrechts würde verlassen und die Normgeprägtheit des Art. 14 I GG aufgegeben.

Die Vereinfachung des Europäischen Gesellschaftsrechts: Irrungen und Wirrungen Ein Bericht Hans-Werner Neye I. Einleitung Im Rahmen seiner vielfältigen Aktivitäten widmet sich der Jubilar ganz besonders engagiert immer wieder den Fragen der Fortentwicklung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts. Dabei beschränkt er sich nicht darauf, die Diskussion literarisch zu beleben, sondern scheut auch nicht die in aller Regel zeitaufwendige und arbeitsintensive Mitwirkung in Sachverständigenrunden und Beratungsgremien. Erinnert sei nur an das maßgeblich von Hopt ins Leben gerufene und über Jahre hinweg mitgetragene Forum Europaeum Konzernrecht, das im Jahr 1998 detaillierte Vorschläge für eine Kernbereichsharmonisierung des Rechts der verbundenen Unternehmen publiziert hat.1 Einige Zeit später wurde er als Mitglied der „Gruppe hochrangiger Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“ berufen, die sich 2001 und 2002 im Auftrag des damaligen Binnenmarktkommissars Frits Bolkestein zunächst um das Übernahmerecht bemühte und sodann umfangreiche Empfehlungen für „moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa“ unterbreitete.2 Vor diesem Hintergrund liegt die Annahme nicht fern, dass der hier zu Ehrende auch die jüngsten Brüsseler Reformschritte mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Die durchaus nicht unproblematischen Aspekte dieser Aktivitäten sollen in dem nachfolgenden Beitrag aus einer deutschen Perspektive beleuchtet werden.

1

Vgl. ZGR 1998, 672 ff. Der Abschlussbericht vom 4.11.2002 ist auf der Webseite der Kommission zugänglich unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/report_de.pdf. 2

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II. Die Mitteilung der Kommission von 2007 Im Zusammenhang mit den seit Ende 2006 verstärkten Bemühungen zur Verbesserung der Rechtsetzung 3 und zur Verringerung der Verwaltungslasten4 in der Europäischen Union legte die Europäische Kommission Anfang Juli 2007 eine umfangreiche „Mitteilung über ein vereinfachtes Unternehmensumfeld in den Bereichen Gesellschaftsrecht, Rechnungslegung und Abschlussprüfung“5 vor. Zu möglichen Reformen im Gesellschaftsrecht – wenn auch weniger unter dem Aspekt der Vereinfachung – hatte sie sich zuvor zuletzt in ihrem Aktionsplan von 20036 geäußert, der in der Folgezeit allerdings nur partiell in konkrete Regelungsvorschläge umgesetzt wurde. In der neuen Mitteilung stellte die Kommission zwei in ihrer Wirkung und Reichweite sehr unterschiedliche Optionen zur Diskussion. Dabei ließ sie von vornherein eine deutliche Präferenz für die erste Alternative erkennen. Geprüft werden sollte danach, ob alle derzeit bestehenden Richtlinien noch benötigt würden oder ob der Gesellschaftsrechtsbestand der EU auf die Rechtsakte reduziert werden sollte, die grenzüberschreitende Aspekte regeln. Entbehrlich seien möglicherweise die Dritte und Sechste Richtlinie betr. die Verschmelzung und Spaltung von Aktiengesellschaften, die Zweite Richtlinie zum Kapital der AG sowie die Zwölfte Richtlinie betr. die Einpersonen-GmbH. Zur Begründung wurde angeführt, dass die beiden Umwandlungsrichtlinien keine vollständige Harmonisierung vorsähen. Daher würden keine gleichen Wettbewerbsbedingungen geschaffen, vielmehr seien einige Regelungen zwischen den Mitgliedstaaten nach wie vor unterschiedlich. Gleichzeitig hinderten die im EU-Recht vorgesehenen Mindestanforderungen die Mitgliedstaaten daran, ihre nationalen Gesetze an die sich wandelnden Bedürfnisse anzupassen. Daher stelle sich die Frage, ob die Vorteile dieser Richtlinien tatsächlich die Beschränkungen rechtfertigten, die sie den Unternehmen auferlegen. Ähnliche Überlegungen seien für die Kapitalrichtlinie anzustellen. Über ihr Konzept werde schon seit Jahren diskutiert. In einigen Mitgliedstaaten 3 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“, KOM (2006) 689 endg., veröffentlicht im ABl. C 78 v. 11.4.2007, S. 9 ff. 4 Vgl. Dokument „Berechnung der Verwaltungskosten und Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union“, KOM (2006) 691 endg. 5 Veröffentlicht als Ratsdokument 11771/07 vom 11.7.2007. 6 Mitteilung „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan“, abgedruckt in NZG 2003, Sonderbeilage zu Heft 13. Der Jubilar hat den Aktionsplan ausführlich gewürdigt in ZIP 2003, 461 ff. Vgl. auch die Hinweise bei Neye FS Priester 2007, 543, 547 f.

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seien neue nationale Rechtsformen geschaffen worden, die nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fielen, um die Flexibilität zu schaffen, die der Richtlinie vor allem im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen fehle. Die Zwölfte Richtlinie schließlich enthalte neben Kann-Bestimmungen auch bestimmte Mindestvorschriften für die internen Verfahren solcher Einzelunternehmen. Es frage sich aber, ob derartige Beschränkungen auf EUEbene festgelegt werden müssten. Als Fazit der von ihr angestellten Überlegungen konstatierte die Kommission, die genannten Richtlinien könnten aufgehoben und die Bedingungen für die jeweiligen Bereiche im Sinne einer Flexibilisierung künftig von den Mitgliedstaaten gesetzt werden. Dies entspreche nicht nur dem Gebot einer besseren Rechtsetzung, sondern auch der Notwendigkeit, der Europäischen Union ein strafferes Gesellschaftsrecht für das 21. Jahrhundert an die Hand zu geben, am besten. Erheblich weniger weitreichend sei demgegenüber der Ansatz, sich nur auf einzelne konkrete Vereinfachungsmaßnahmen zugunsten der EU-Unternehmen zu konzentrieren. Die interessierten Kreise wurden gebeten, zu beiden Optionen bis Mitte Oktober 2007 Stellung zu nehmen.

III. Die Reaktionen auf die Mitteilung der Kommission In Deutschland, wo man im Sommer 2007 noch unter dem frischen Eindruck der gerade erst zu Ende gegangenen eigenen Ratspräsidentschaft stand, lösten die Überlegungen, künftig auf Grundpfeiler der Harmonisierung im Bereich des Gesellschaftsrechts, die – nicht zuletzt unter maßgeblicher deutscher Beteiligung – das Ergebnis intensiver Arbeit in den ersten Jahrzehnten nach Gründung der Gemeinschaft waren, verzichten zu wollen, große Verwunderung aus. Auf Unverständnis stieß, dass die „Hüterin des Gemeinschaftsrechts“ dieses Recht für einen wichtigen Bereich plötzlich selbst in Zweifel zog und denjenigen, die mit einer Aufhebung nicht einverstanden sein sollten, ausdrücklich die „Beweislast“ auferlegte, den fortdauernden Nutzen der genannten Richtlinien darzutun. Befremdlich erschien der Vorstoß der Kommission auch noch unter einem anderen Aspekt: Soeben erst hatten die im Rahmen der Osterweiterung 2004 beigetretenen zehn neuen Mitgliedstaaten und die beiden jüngsten Mitglieder Rumänien und Bulgarien (ab Anfang 2007) mit einer großen Kraftanstrengung den Acquis zum Gesellschaftsrecht übernommen, da wurden wesentliche Regelungen in diesem Bereich ausgerechnet von dem Organ, dem die Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes in besonderer Weise anvertraut ist, zur Disposition gestellt.

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Die Bundesregierung ließ die auch ihr gewährte Möglichkeit zur Äußerung nicht ungenutzt. In einer ausführlichen Stellungnahme 7 sprach sie sich nachdrücklich dafür aus, am Bestand des geltenden EU-Gesellschaftsrechts im Grundsatz festzuhalten. Sie wies darauf hin, dass sich die fraglichen Rechtsakte seit langer Zeit bewährt hätten. Den Gründen für eine Harmonisierung (insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Europa und die Schaffung von Rechtssicherheit im Binnenmarkt) sei ganz besondere Bedeutung beizumessen. Eine Beschränkung des Gemeinschaftsrechts auf die Regelung grenzüberschreitender Sachverhalte führe zu dem großen Risiko, dass sich in den übrigen Bereichen das bisher harmonisierte Recht der Mitgliedstaaten wieder auseinander entwickele. Am Ende drohe ein „Flickenteppich“ aus 27 unterschiedlichen Rechtsordnungen. Das liege aber weder im Interesse der europäischen Unternehmen noch ihrer Aktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer. Die Bundesregierung verdeutlichte ihre Position mit weiteren Bemerkungen zu den einzelnen in Frage stehenden Rechtsakten: Durch die Dritte und Sechste Richtlinie seien seit 1978 bzw. 1982 die verfahrensrechtlichen Bestimmungen für die Durchführung von Verschmelzungen und Spaltungen unter Beteiligung von Aktiengesellschaften sowie die Schutzvorschriften für Aktionäre und Gläubiger vereinheitlicht. In vielen Mitgliedstaaten, so auch in Deutschland, seien die Richtlinienbestimmungen darüber hinaus Grundlage und Vorbild zur Schaffung von Umwandlungsrecht für zahlreiche weitere Rechtsformen neben der Aktiengesellschaft gewesen. Die umfassenden Regelungen im deutschen Umwandlungsgesetz von 1995 seien ohne die beiden Richtlinien kaum denkbar. Sogar über die Europäische Union hinaus hätten die Richtlinien erhebliche Auswirkungen gezeigt. So habe nach dem Vorbild des Gemeinschaftsrechts beispielsweise die Schweiz entsprechende Fusions- und Spaltungsregelungen erlassen. Entgegen der Einschätzung der Kommission hätten die Richtlinien keinesfalls nur Bedeutung für rein inländische Sachverhalte. Sie schüfen vielmehr für Unternehmen sowie deren Gesellschafter und Gläubiger auch grenzüberschreitend Rechtssicherheit. So könnten die Gesellschaften in einem Mitgliedstaat heute davon ausgehen, dass sich die Verschmelzung oder Spaltung von Tochterunternehmen in den anderen Mitgliedstaaten im Wesentlichen nach den gleichen Regeln vollziehe wie im eigenen nationalen Recht.

7 Zusätzlich zur Übermittlung der offiziellen deutschen Position richtete die für den Bereich des Gesellschaftsrechts verantwortliche Bundesministerin der Justiz Zypries an den zuständigen Kommissar McCreevy ein persönliches Schreiben, um die bestehenden Bedenken zu unterstreichen.

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Aktionäre und Gläubiger seien in aller Regel nicht nur in dem Staat anzutreffen, in dem die Gesellschaft selbst ansässig sei. Gegenwärtig hätten sie ebenfalls die Sicherheit, auch gegenüber Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat auf die aus dem eigenen Recht bekannten Schutzmechanismen vertrauen zu können. Damit diene die erreichte Rechtsangleichung auch der Investitionssicherheit für Eigen- und Fremdkapital in ganz Europa. Schließlich müsse daran erinnert werden, dass die 2005 verabschiedete und in vielen Mitgliedstaaten (seinerzeit) noch gar nicht umgesetzte Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten vom Europäischen Parlament und vom Rat überhaupt nur beschlossen werden konnte, weil die innerstaatliche Verschmelzung durch die Dritte Richtlinie seit langem harmonisiert sei. Inhaltlich setze die Verschmelzungsrichtlinie nämlich gerade die angeglichenen Regeln der Mitgliedstaaten voraus. In einer Reihe von Punkten werde sogar ausdrücklich auf die Dritte Richtlinie verwiesen. Diese könne daher nicht zur Disposition gestellt werden, ohne dass auch das Funktionieren der Regeln über die grenzüberschreitende Verschmelzung nachhaltig beeinträchtigt würde. In gleicher Weise gelte dies für die Gründung einer Europäischen Gesellschaft (SE) durch Verschmelzung nach den Artikeln 17 ff. der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 und für die Gründung einer Europäischen Genossenschaft (SCE) nach dem Artikel 20 der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003. Was schließlich den Aspekt der Kosten betreffe, so sei zu bedenken, dass es sich bei Verschmelzungen und Spaltungen in aller Regel sowohl um rechtlich komplizierte wie wirtschaftlich bedeutsame Vorgänge handele, bei denen eine rechtssichere Planung und die nachfolgende Durchführung von allergrößter Bedeutung seien. Die dadurch verursachten Kosten stünden im Regelfall in gar keinem Verhältnis zu dem finanziellen Aufwand, der entstehen könnte, wenn Umwandlungen scheitern, weil sie auf der Basis unzureichender Regelungen eingeleitet wurden. In der Mitteilung der Kommission werde im Übrigen überhaupt nicht berücksichtigt, dass beim Wegfall harmonisierter Regeln den Unternehmen voraussichtlich erhebliche Mehrkosten für Information und Rechtsberatung über die Vorschriften anderer Mitgliedstaaten entstünden. Diese Aufwendungen müssten bei einer vergleichenden Betrachtung einbezogen werden. Was die weiteren Rechtsakte angehe, so sei die Zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie erst kürzlich mit erheblichem Aufwand dereguliert worden. Es erscheine nicht sinnvoll, sogleich wieder eine erneute Diskussion über diese Richtlinie zu beginnen. Eine Aufhebung der Zwölften Richtlinie halte man gleichfalls nicht für dringlich. Bemerkenswerterweise stieß auch bei der deutschen Wirtschaft und ihren Spitzenverbänden – und zwar aus ganz ähnlichen Erwägungen, wie sie die

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Bundesregierung vorbrachte – die Idee einer vollständigen Aufhebung gesellschaftsrechtlicher Richtlinien auf erhebliche Bedenken.8 Dass Deutschland mit dieser „Ablehnung auf breiter Front“ im europäischen Vergleich keineswegs allein stand, zeigte sich deutlich, als die Kommission die von insgesamt 18 Regierungen und weit über 100 sonstigen „stakeholdern“ erhaltenen Stellungnahmen ausgewertet hatte und die Ergebnisse im Internet präsentierte:9 Die ganz überwiegende Mehrheit der Befragten hatte sich gegen ihren Vorschlag ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund war es nur folgerichtig, dass auch die zuständigen Minister der Mitgliedstaaten bei der Behandlung der Kommissionsmitteilung im Rat Ende November 2007 der Idee, bestimmte Richtlinien ganz abzuschaffen, eine eindeutige Absage erteilten. Stattdessen sprachen sie sich dafür aus, vor allem für den Bereich des Bilanzrechts und der Abschlussprüfung die Möglichkeit bestimmter Vereinfachungsmaßnahmen zu prüfen.10 Nach dem Rat trat schließlich auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 21. Mai 2008 einer Streichung bewährten Gemeinschaftsrechts entgegen.11 Die Abgeordneten betonten, dass durch die betreffenden Richtlinien eine für die grenzüberschreitende Tätigkeit von Investoren und Gläubigern wichtige Unternehmensvergleichbarkeit geschaffen worden sei. Den von einer Streichung erwarteten Einsparungen müssten die Kosten des Binnenmarktes mit 27 unterschiedlichen Gesellschaftsrechtssystemen gegenübergestellt werden.

IV. Die weitere Entwicklung Nachdem die Kommission damit für den von ihr favorisierten Ansatz Kritik von allen Seiten erhalten hatte, sah sie sich gezwungen, von ihrem ursprünglichen Plan abzurücken, und konzentrierte sich nunmehr auf die zweite Option, die Richtlinien zwar grundsätzlich beizubehalten, aber die Möglichkeit von Änderungen zu prüfen. Als Ergebnis dieser Prüfung präsentierte sie im April 2008 zunächst zwei Vorschläge zur Änderung der Ersten und Elften Richtlinie bzw. der Vierten 8 Die Stellungnahmen des BDI und des DIHK sind – zusammen mit zahlreichen weiteren Kommentaren – auf der Website der Kommission unter http://circa.europa.eu/Public/ irc/markt/markt_consultations/library?l=/company_law/simplifying_environment&vm= detailed&sb=Title zugänglich. 9 Vgl. http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/simplification/consultation_ report_20071219_en.pdf. 10 Vgl. Pressemitteilung 14865/07 zur Tagung des Wettbewerbsrates am 22./23.11.2007, S. 19 ff.; auf der Website des Rates verfügbar unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/ cms_data/docs/pressdata/de/intm/97961.pdf. 11 Vgl. Plenardokument P6_TA(2008)0220 Rn. 2, veröffentlicht im ABl. C 279 E v. 19.11.2009, S. 36 ff.

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und Siebten Richtlinie.12 Mit diesen sollten in einem beschleunigten Verfahren („fast track“) Erleichterungen bei den Offenlegungspflichten eingeführt werden. Nur die Modifikation der Bilanzrichtlinien konnte zügig beraten und beschlossen werden.13 Schon bei dem Vorhaben zur Ersten und Elften Richtlinie zeigten sich Meinungsunterschiede zwischen Rat und Parlament. Das Schicksal dieses Projekts ist daher derzeit noch offen. Erhebliche Probleme gab es schließlich auch bei der Reform der Dritten und Sechsten Richtlinie (Verschmelzung und Spaltung von Aktiengesellschaften), über die nun zu berichten ist. Diese beiden Rechtsakte wurden gleich mehrfach hintereinander geändert. Erste Abänderungen erfolgten – beschränkt auf ganz wenige Punkte – im Rahmen der ebenfalls im „fast track“-Verfahren erlassenen Richtlinie 2007/63 vom 13. November 2007.14 Noch vor Ablauf der Frist für die Umsetzung in den Mitgliedstaaten wurde bereits im darauf folgenden Jahr ein weiterer Änderungsvorschlag vorgelegt, der aber nun erheblich umfangreicher ausfiel.15 Diese zeitliche Abfolge gibt zunächst Anlass zu der Frage, warum die geplanten Änderungen nicht von vornherein zusammengefasst und in einer einzigen Novelle vorgelegt wurden. Auf diese Weise hätte man auch den Gesetzgebungsorganen in den Mitgliedstaaten viel Aufwand ersparen können. Die Vermutung liegt nicht fern, dass bei der Kommission nach dem „kläglichen“ Scheitern ihrer viel weitergehenden Pläne ein großes Bedürfnis gesehen wurde, um jeden Preis rasche Ergebnisse vorzuweisen. Vor allem die Generaldirektion Unternehmen unter Vizepräsident Verheugen setzte hier offenbar – ohne über den nötigen eigenen Sachverstand zu verfügen – die fachlich zuständige Generaldirektion Markt unter erheblichen Handlungsdruck. Dies hatte zur Folge, dass man nicht ein ausgereiftes und inhaltlich 12 Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 68/151/EWG und 89/666/EWG des Rates im Hinblick auf die Veröffentlichungs- und Übersetzungspflichten von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, im Internet zugänglich unter http: //eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2008:0194:FIN:DE:PDF, sowie Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates im Hinblick auf bestimmte Angabepflichten mittlerer Unternehmen sowie die Pflicht zur Erstellung eines konsolidierten Abschlusses, http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2008:0195:FIN:DE:PDF. 13 Richtlinie 2009/49/EG v. 18.6.2009, ABl. L 164 v. 26.6.2009, S. 42 ff. 14 Vgl. ABl. L 300 v. 17.11.2007, S. 47 ff. 15 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen, Ratsdok. 13548/08, veröffentlicht auch als BundesratsDrucks. 718/08.

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sinnvolles Gesamtkonzept ausarbeitete, sondern in kurzfristigem Aktionismus Zuflucht suchte. Abgesehen von der Kritik am Verfahren zeigte sich auch bei der inhaltlichen Prüfung, dass die vorgeschlagenen Änderungen aus deutscher Sicht teilweise doch sehr problematisch erschienen. Keine Schwierigkeiten machte lediglich die Idee, dass die Berichts- und Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit einer Verschmelzung oder Spaltung entbehrlich sein sollten, wenn alle Aktionäre der betroffenen Gesellschaften auf die Einhaltung dieser in ihrem Interesse vorgesehenen Pflichten verzichteten. Der deutsche Gesetzgeber hatte eine solche Regelung bereits bei der grundlegenden Reform des Umwandlungsrechts Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts eingeführt.16 Weitere Änderungen betrafen die Möglichkeit, bestimmte Informationspflichten nicht nur durch Auslegung von Unterlagen in Papierform, sondern im Wege ihrer Bekanntmachung auf der Webseite der Gesellschaft zu erfüllen. Auch hier war die Rechtslage in Deutschland bereits weitgehend auf dem aktuellen Stand. Bei der Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie17 durch das ARUG18 wurde die Internetpublizität zur Erreichung einer einheitlichen Rechtslage über das AktG hinaus auf Umstrukturierungsvorgänge nach dem UmwG ausgedehnt, so dass allenfalls noch kleine Ergänzungen nötig erschienen. Dagegen stellten andere der vorgeschlagenen Modifizierungen einen nachhaltigen Eingriff in das geltende deutsche Recht dar. Konkret ging es um die Änderung der Art. 24 bis 29 der Dritten Richtlinie und des Artikels 20 der Sechsten Richtlinie. Diese Vorschriften räumten bisher den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, bei Umstrukturierungen im Konzern bestimmte Verfahrenserleichterungen vorzusehen. Davon wurde in der Vergangenheit in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. Soweit zulässige Erleichterungen im Gesamtkontext und nach der Systematik des deutschen Gesellschaftsrechts als sinnvoll und vertretbar angesehen werden konnten, wurden sie auch in Deutschland eingeführt. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtslage erschien der Vorschlag der Kommission mehr als überraschend, künftig in allen Fällen die bisher optionalen in zwingende Regelungen umzugestalten. Begründet wurde dies lapidar damit, dass die Mitgliedstaaten die Optionen unterschiedlich ausgenutzt hätten und dadurch das vorhandene Einsparpotential nicht aus-

16

Vgl. § 8 Abs. 3 und § 9 Abs. 3 UmwG. Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften (ABl. L 184 v. 14.7.2007, S. 17). 18 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009 (BGBl. I S. 2479). 17

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geschöpft werde. Möglich erscheine insgesamt eine Kostenersparnis von 153,5 Mio EUR pro Jahr.19 Diese gewaltige Summe sollte sich aus Berechnungen ergeben, die sich auf die Messung der Verwaltungskosten stützten, welche ein aus verschiedenen Beratungsunternehmen gebildetes Konsortium in den Jahren 2007 und 2008 im Auftrag der Kommission vorgenommen hatte.20 Bei näherer Betrachtung war das Zustandekommen des genannten Betrages selbst für Mitarbeiter der Kommission, wie sie im informellen Gespräch einräumen mussten, kaum nachvollziehbar. Auch andere „Erkenntnisse“ des Konsortiums konnten wenig Vertrauen erwecken. So wurden im so genannten Folgenabschätzungsverfahren, das wie inzwischen üblich der Vorlage des Richtlinienvorschlags voranging, zur Umsetzung der Verschmelzungs- und der Spaltungsrichtlinie in verschiedenen Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, sachlich unzutreffende Angaben gemacht.21 Unabhängig von den nachweisbaren Mängeln bei der Erhebung von Basisdaten, auf die sich die Kommission bei ihren Überlegungen stützte, konnte die Begründung ihres Vorschlags auch vom generellen Ansatz her nicht überzeugen. So wird man es gerade als Sinn einer in einem Gemeinschaftsrechtsakt enthaltenen Option ansehen müssen, dass die Mitgliedstaaten frei entscheiden können, ob sie davon Gebrauch machen wollen. Wenn sie dies – aus guten Gründen – unterlassen haben, darf dieser Umstand aber nicht zum Anlass genommen werden, die Wahlmöglichkeit kurzerhand abzuschaffen. Ruft man sich in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass die Kommission wie früher dargelegt die Dritte und Sechste Richtlinie zunächst sogar vollständig als „überflüssig“ beseitigen wollte, erschien der Vorschlag, bestimmte Regelungen nun sogar zu „verschärfen“, gar nicht mehr nachvollziehbar. Aus deutscher Sicht waren insbesondere drei Fragen aus dem Bereich der Konzernverschmelzung äußerst problematisch: Zunächst ging es um die Beteiligung der Hauptversammlung bei einer an einer Verschmelzung als übertragende Gesellschaft beteiligten Tochter. Im deutschen Aktienrecht gilt bekanntlich der Grundsatz, dass Grundlagenentscheidungen formal von der Hauptversammlung zu treffen sind, selbst wenn aufgrund der Beteiligungsverhältnisse eine Mehrheit für den entsprechenden Beschluss bereits feststeht. Dies ist nicht nur bei Umwandlungen der Fall, sondern auch beim Abschluss eines Unternehmensvertrages mit einer 100 %igen Tochtergesellschaft, bei ihrer Eingliederung gem. § 319 19

Vgl. Begründung des Kommissionsvorschlags (Fußnote 15) S. 5 unter 2.2.3. Der Abschlussbericht für den Bereich Gesellschaftsrecht wurde im März 2009 in der Endfassung vorgelegt. 21 Vgl. die im Annex 3 zu Ratsdokument 13548/08 ADD 1 abgedruckte Tabelle. 20

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AktG in eine andere AG sowie beim Squeeze Out. Wenn eine Verschmelzung formal allein vom Vorstand beschlossen werden kann, so stellt dies einen grundlegenden Eingriff in die Kompetenzverteilung zwischen den Organen der Aktiengesellschaft dar. Derart weitreichende Konsequenzen dürften auch von der Rechtsgrundlage des Art. 44 Abs. 2 Bst. g) des EG-Vertrages, auf welche die Änderungsrichtlinie gestützt wurde, nicht mehr gedeckt sein. Sie legitimiert ausdrücklich nur die Koordinierung von Schutzbestimmungen im Interesse der Gesellschafter, nicht aber den Abbau von Kompetenzen der Gesellschafterversammlung. Sehr kritisch erschien sodann der Vorschlag, verfahrensrechtliche Erleichterungen der Verschmelzung auch für den Fall vorzuschreiben, dass die Anteile an einer Tochtergesellschaft nicht von der Mutter selbst, sondern vollständig oder zumindest teilweise von einem Treuhänder o.ä. für Rechnung der Muttergesellschaft gehalten werden. Wie ein Blick in die Entstehungsgeschichte zeigt, wurde diese Regelung 1978 bei den Beratungen über die Dritte Richtlinie lediglich auf Wunsch der Delegationen aus dem Vereinigten Königreich und aus Irland aufgenommen.22 Schon dieser Umstand, der von der Kommission bei der Vorlage der Änderungsrichtlinie weder aufgedeckt noch berücksichtigt wurde, sprach dagegen, die Vorschrift nunmehr zu einer verpflichtenden Regelung für alle Mitgliedstaaten zu machen. Aber auch sachlich erscheint es nach wie vor problematisch, Treuhandverhältnisse, die oft intransparent sind und bei denen Interessenkonflikte nicht ausgeschlossen werden können, dem Fall des Art. 24 der Dritten Richtlinie gleichzustellen, bei dem die Muttergesellschaft für jeden erkennbar selbst und unmittelbar die Anteile an der Tochter hält. Besonders viele Fragen warf schließlich die Änderung des Art. 28 der Dritten Richtlinie auf. Das dort angesprochene Andienungsrecht für Minderheitsaktionäre (als sachliche Voraussetzung für die Nichtanwendung der Art. 9, 10 und 11 der Dritten Richtlinie) ist bei einer Verschmelzung im deutschen Recht derzeit nicht vorgesehen. Aus unserer Sicht bestand bisher auch kein Grund, dies verbindlich einzuführen, da ausreichender Minderheitenschutz auf andere Weise sichergestellt ist. So wird der Aktionär einer übertragenden Gesellschaft zwar durch die Verschmelzung Anteilsinhaber der Übernehmerin, hat aber gemäß § 15 UmwG Anspruch auf Zuzahlung, wenn eine gerichtliche Überprüfung ergibt, dass das Umtauschverhältnis der Aktien nicht angemessen war. Bei börsennotierten Gesellschaften besteht daneben natürlich auch die Möglichkeit des „Austritts“ über den Anteilsverkauf an der 22 Dies erscheint bemerkenswert, weil bis heute in diesen beiden Mitgliedstaaten „echte“ Verschmelzungen praktisch nicht vorkommen, sondern für die Zusammenführung von Unternehmen der Weg über ein Übernahmeangebot bevorzugt wird, so dass die Sonderregelungen selbst in den Ländern, auf die sie abzielten, gar nicht relevant sind.

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Börse. Eine zusätzliche zwingende Ankaufsverpflichtung für die übernehmende Gesellschaft erscheint vor diesem Hintergrund als Überregulierung. Mit dem Anliegen der Änderungsrichtlinie, Vereinfachungen zu schaffen23, nicht vereinbar erscheint, dass solche Vereinfachungen erst Platz greifen können, wenn zuvor umfangreiche neue Regelungen im nationalen Recht eingeführt wurden. Bei den Verhandlungen im Rat stieß der Ansatz der Kommission, aus Optionen zwingendes Recht zu machen, nicht nur auf Seiten der deutschen Delegation, sondern auch bei verschiedenen anderen Mitgliedstaaten24 auf Unverständnis und Kritik. Unter diesen Umständen war die Entstehung einer Sperrminorität gegen die Verabschiedung der Richtlinie nicht ausgeschlossen. Um dieses aus Sicht des Ratsvorsitzes und der Kommission bestehende Risiko abzuwenden, schlug man überraschend einen neuen Weg ein. Die Präsidentschaft präsentierte sehr kurzfristig einen „Kompromissvorschlag“, in dem sich diverse Regelungen, die im ursprünglichen Text von der Kommission bewusst als zwingende Vorschriften konzipiert waren, plötzlich in – neue – Optionen verwandelt hatten. Erkennbares Ziel dieser aus deutscher Perspektive unerfreulichen Strategie war, ganz bestimmte Bedenken einzelner Mitgliedstaaten auszuräumen und diese damit zur Zustimmung zu bewegen. Wie die Schlussphase der Beratungen zeigte, war diese Taktik leider erfolgreich. Die Delegationen Österreichs und Deutschlands zeigten Verständnis für die Bemühungen des Vorsitzes, Hindernisse für die Verabschiedung der Richtlinie aus dem Weg zu räumen, baten aber darum, dass man auch ihren Problemen Rechnung tragen sollte. Beide Länder wiesen darauf hin, dass es dazu nicht einmal der – im Kontext einer Vereinfachungsrichtlinie fragwürdigen – Einführung neuer Optionen bedürfe, sondern dass es genüge, die seit langem bestehenden Regelungen in den Art. 25, 26/29 und 28 der Dritten Richtlinie unverändert zu lassen. Diese Lösung zwinge einerseits Deutschland und Österreich nicht zu problematischen Änderungen im nationalen Recht, hindere umgekehrt andere Mitgliedstaaten aber nicht daran, hier weiterzugehen und von den Optionen umfassend Gebrauch zu machen. Bedauerlicherweise fand dieser Vorschlag weitgehend kein Gehör mehr. Nur für die Treuhandverhältnisse (Art. 26 und 29 der Dritten Richtlinie) gelang es am Ende noch, mit Unterstützung des Europäischen Parlaments als „Mitgesetzgeber“ die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage durchzusetzen. Das aus unserer Sicht gleichwohl unbefriedigende Ergebnis im Übrigen führte zu dem europapolitisch seltenen Fall, dass Deutschland sich bei der 23

Vgl. den zweiten und elften Erwägungsgrund. Zu nennen sind Schweden, Finnland, Portugal, Belgien, Österreich und auch Frankreich (wenn auch erst nach Beendigung seiner Präsidentschaft zum Jahresende 2008). 24

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endgültigen Beschlussfassung im Rat am 27. Juli 2009 nicht nur der Stimme enthielt, sondern genau wie Österreich sogar gegen die Richtlinie stimmte.25 Beide Staaten machten ihre Beweggründe in Protokollerklärungen deutlich und hoben hervor, dass durch Art. 25 der Dritten Richtlinie (und für Deutschland zusätzlich durch Art. 28) erheblicher Änderungsbedarf für den nationalen Gesetzgeber ausgelöst wird, ohne dass nennenswerte Vorteile für die Unternehmen entstehen.26

25 Der beschlossene Text ist als Richtlinie 2009/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Änderung der Richtlinien 77/91/EWG, 78/855/EWG und 82/891/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2005/56/EG hinsichtlich der Berichts- und Dokumentationspflicht bei Verschmelzungen und Spaltungen im ABl. L 259 S. 14 vom 2.10.2009 verkündet worden und am 22.10.2009 in Kraft getreten. 26 Vgl. Ratsdokument 11140/09 ADD 1 REV 2.

Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder und Kommunikation im Aufsichtsrat Hartmut Oetker I. Einleitung Das intensive Streben nach einer Best Corporate Governance seit über einem Jahrzehnt ist auf das Engste mit dem Namen des Jubilars verbunden. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Bühne hat er die Diskussionen engagiert und tatkräftig vorangetrieben. Von zentraler Bedeutung für das effektive Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat ist die Verschwiegenheit der Akteure. Hierin liegt eine der Grundvoraussetzungen für die mit Recht weitreichenden Informationspflichten des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat, der umgekehrt seine Überwachungs- und Beratungsaufgaben nur dann funktionsgerecht wahrnehmen kann, wenn er frühzeitig und umfassend informiert ist. Der Jubilar hat auf diese Interdependenz von Information und Verschwiegenheit wiederholt und mit Nachdruck hingewiesen.1 Wegen der zentralen Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht für die Tätigkeit des Aufsichtsrates hat das Aktiengesetz über § 116 Satz 1 AktG nicht nur die für den Vorstand geltende Bestimmung in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG für entsprechend anwendbar erklärt, sondern deren herausgehobenen Stellenwert in § 116 Satz 2 AktG nochmals bekräftigt und zugleich die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder konkretisiert.2 Adressat der Verschwiegenheitspflicht sind alle Mitglieder des Aufsichtsrates, unabhängig davon, ob diese als Vertreter der Anteilseigner oder der Arbeitnehmer dem Gremium angehören. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat unterliegen in gleicher Weise und in gleichem Ausmaß den Verschwiegenheitspflichten für die Anteilseignervertreter.3 Das gilt im Grundsatz auch im 1

Siehe z.B. Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 215 ff. Zur Konkretisierungs- bzw. Klarstellungsfunktion des § 116 Satz 2 siehe BT-Rechtsausschuss, BT-Drucks. 14/9029, S. 18; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 217; Veil ZHR 172 (2008) 239 (243). 3 BGH 5.6.1975, BGHZ 64, 325 (330 f.); BGH 6.3.1997, BGHZ 135, 48 (57 f.); BAG 23.10.2008, NZG 2009, 669 (671); Hengeler Festschrift für Schilling, 1973, S. 175 (189 ff.); Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 219; G. Hueck RdA 1975, 35 2

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Verhältnis zu den Arbeitnehmern des Unternehmens 4 sowie den dort gebildeten betriebsverfassungsrechtlichen Vertretungen.5 Die in § 79 Abs. 1 Satz 4 BetrVG geregelte Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht für Mitglieder des Betriebsrates im Verhältnis zu den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat 6 findet keine gesetzlich fixierte Entsprechung für die Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.7 Ausnahmen kommen allenfalls in engen Grenzen in Betracht, wenn die Offenbarung der durch die §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 Satz 2 AktG geschützten Tatsachen zur Wahrung des Unternehmensinteresses erforderlich ist.8 Die Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder, über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie über vertrauliche Angaben Stillschweigen zu bewahren, gilt allerdings nicht uneingeschränkt, sondern erfährt zahlreiche Durchbre(37); Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 25 MitbestG Rn. 99; Mertens in KölnerKomm. AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rn. 36; Raiser/Veil MitbestG und DrittelbG, 5. Aufl. 2009, § 25 MitbestG Rn. 124; Säcker/Oetker NJW 1986, 803 (803); v. Stebut Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 137 ff.; aA Kittner ZHR 136 (1972) 208 (218 f.); Köster/Zachert/Müller Aufsichtsratspraxis, 9. Aufl. 2009, Rn. 553; Pfarr MitbestGespr. 1976, 51 (53); kritisch auch Naendrup in GK-MitbestG, Stand: September 1978, § 25 Rn. 194. 4 Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 56; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 223; Kraft in GK-BetrVG, 7. Aufl. 2002, § 76 BetrVG 1952 Rn. 119; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 483; aA Köstler/Zachert/Müller Aufsichtsratspraxis, 9. Aufl. 2009, Rn. 569. 5 BAG 23.10.2008, NZG 2009, 669 (671); OLG Stuttgart 7.11.2006, NZG 2007, 72 (73 f.); Dietz/Richardi BetrVG, 6. Aufl. 1982, § 76 BetrVG 1952 Rn. 164, 166; Eutebach Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, Diss. Köln 1969, S. 30 ff.; Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 56; Hengeler Festschrift für Schilling, 1973, S. 175 (199 ff.); Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 222; G. Hueck RdA 1975, 35 (41 f.); Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 482; Marsch/Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 41; Oetker in ErfKomm., 10. Aufl. 2010, § 116 Rn. 5; ders. in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 25 MitbestG Rn. 25; Raiser in Hachenburg, GmbH-Gesetz, 8. Aufl. 1990, § 52 Rn. 246; Reuter RdA 1988, 280 (285); Stege DB 1977, Beilage Nr. 8, S. 7; Veil ZHR 172 (2008) 239 (242); Veith NJW 1966, 526 (526 f.); Wißmann MünchArbR, 3. Aufl. 2009, § 282 Rn. 16; aA Köstler/Zachert/Müller Aufsichtsratspraxis, 9. Aufl. 2009, Rn. 568; Klinkhammer/Rancke Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, 1978, S. 46 f. (bei Verletzung der Unterrichtungspflichten gegenüber dem Betriebsrat [abl. dazu Hengeler Festschrift für Schilling, 1973, S. 175 [201 f.]; Säcker Informationsrechte der Betriebs- und Aufsichtsratsmitglieder, 1979, S. 47 ff.]); weitergehend Spieker NJW 1965, 1937 (1941), der ein berechtigtes Interesse an der Information ausreichen lässt. 6 Ebenso § 29 Abs. 1 Satz 3 SprAuG, § 39 Abs. 2 Satz 4 EBRG, § 41 Abs. 3 Nr. 3 SEBG. 7 Treffend insoweit auch der Umkehrschluss in BAG 23.10.2008, NZG 2009, 669 (671) sowie Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 222; Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 25 MitbestG Rn. 25; v. Stebut Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 138 f.; aA Fangmann ArbuR 1980, 129 (149 f.). 8 Siehe dazu BGH 5.6.1975, BGHZ 64, 325 (331); Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 55.

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chungen. So ist unter anderem anerkannt, dass die Verschwiegenheitspflicht nicht die Offenbarung von Geheimnissen und vertraulichen Angaben an Mitglieder desselben Organs unterbindet. Die von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geschützten Tatsachen können anderen Organmitgliedern mitgeteilt werden, ohne dass in diesem Verhalten eine Verletzung der aktienrechtlichen Pflicht zur Verschwiegenheit zu sehen ist.9 Das gilt sowohl für den Informationsaustausch innerhalb des Vorstandes10 als auch für die Weitergabe geschützter Tatsachen zwischen Mitgliedern des Aufsichtsrates.11 Für die Mitglieder betriebsverfassungsrechtlicher Organe hält dies § 79 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ausdrücklich fest,12 bringt damit jedoch lediglich einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck, der aus dem Zweck der Verschwiegenheitspflicht folgt.13 Darüber hinaus steht die Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder zur Verschwiegenheit Mitteilungen an den Vorstand der Gesellschaft grundsätzlich nicht entgegen.14 Entsprechendes gilt in umgekehrter Richtung, also für Informa9 So allg. bereits v. Stebut Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht im Aktienrecht, 1972, S. 90 f. 10 Hopt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 202; Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 93 Rn. 8; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 93 Rn. 21; Mertens in KölnerKomm. AktG, 2. Aufl. 1996, § 93 Rn. 78; Spindler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rn. 111; Wiesner MünchHdb. des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 3. Aufl. 2007, § 25 Rn. 41. 11 Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 116 Rn. 27; Eutebach Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, Diss. Köln 1969, S. 28 f.; Fangmann ArbuR 1980, 129 (149); Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 56; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 258; Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (119); Klinkhammer/Rancke Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, 1978, S. 45 f.; Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 25 MitbestG Rn. 106; Köstler/Zachert/Müller Aufsichtsratspraxis, 9. Aufl. 2009, Rn. 567; Lippert Überwachungspflicht, Informationsrecht und gesamtschuldnerische Haftung des Aufsichtsrates nach dem Aktiengesetz 1965, 1976, S. 120; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 463; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 275; Mertens in KölnerKomm. AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rn. 53; Naendrup in GK-MitbestG, Stand: September 1978, § 25 Rn. 203; Paefgen Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, S. 351 f.; Raiser/Veil MitbestG und DrittelbG, 5. Aufl. 2009 § 25 MitbestG Rn. 153; Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 264; Säcker/Oetker NJW 1986, 803 (805); Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 116 Rn. 85; Ulmer/Habersack in Ulmer/ Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. 2006, § 25 MitbestG Rn. 100. 12 Ebenso § 29 Abs. 1 Satz 3 SprAuG, § 39 Abs. 2 Satz 3 EBRG, § 41 Abs. 3 Nr. 1 SEBG. 13 Dazu näher unten III. 14 Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 116 Rn. 27; Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 56; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 254; Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 25 MitbestG Rn. 106; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 463; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 30; Mertens, in KölnerKomm. AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rn. 53; Naendrup in GK-MitbestG, Stand: September 1978, § 25 Rn. 203;

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tionen eines Vorstandsmitgliedes an Mitglieder des Aufsichtsrates.15 Treffend hat der Bundesgerichtshof bereits in seiner älteren Rechtsprechung betont, dass die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft dem Aufsichtsrat gegenüber zu unbedingter Offenheit verpflichtet sind.16 Ohne Einschränkungen hat der Bundesgerichtshof das Bestehen einer Verschwiegenheitspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG auch für die Mitglieder eines mitbestimmten Aufsichtsrates im Verhältnis zu der Gesellschafterversammlung bzw. den Gesellschaftern verneint.17 Lediglich für besondere Fallgestaltungen werden Ausnahmen von dem vorstehenden Grundsatz erwogen. So z.B., wenn Ansprüche der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied geltend gemacht werden 18 oder der Inhalt von Anstellungsverträgen betroffen ist.19 Ob die vorstehend skizzierten Restriktionen der Verschwiegenheitspflicht auch im Verhältnis zwischen den Mitgliedern eines vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschusses und den anderen Aufsichtsratsmitgliedern, die nicht dem Ausschuss angehören, anzuerkennen sind, bedarf indes einer näheren Untersuchung. Spieker hat insoweit bereits frühzeitig und mit Recht darauf hingewiesen, dass diese Problematik umso bedeutender wird, je stärker das Informationsgefälle zwischen Ausschussmitglied und Nichtausschussmitglied ist.20 Gerade wenn sich die Arbeit des Aufsichtsrates vermehrt von dem Plenum in vorbereitende oder beschließende Ausschüsse des Aufsichtsrates verlagert,21 tritt der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern eines Aufsichtsratsausschusses und den ausschussfremden Aufsichtsratsmitgliedern in den Vordergrund. Das gilt für die Vertreter der Anteilseigner im Aufsichtsrat ebenso wie für die Vertreter der Arbeitnehmer, die diesem Organ angehören.

Raiser/Veil MitbestG und DrittelbG, 5. Aufl. 2009, § 25 MitbestG Rn. 153; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 116 Rn. 85. 15 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rn. 155; Hopt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rn. 203; Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 93 Rn. 8; Köstler/Zachert/Müller Aufsichtsratspraxis, 9. Aufl. 2009, Rn. 567; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 93 Rn. 21; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 30; Spindler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rn. 111; Wiesner MünchHdb. des Gesellschaftsrechts Bd. 4, 3. Aufl. 2007, § 25 Rn. 41. 16 BGH 26.3.1956, BGHZ 20, 239 (246). 17 BGH 6.3.1997, BGHZ 135, 48 (56); ebenso z.B. Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 17. Aufl. 2009, § 52 Rn. 25; Raiser in Hachenburg, GmbH-Gesetz, 8. Aufl. 1990, § 52 Rn. 140; U. H. Schneider in Scholz, GmbH-Gesetz, 10. Aufl. 2007, § 52 Rn. 499. 18 So Mertens in KölnerKomm. AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rn. 53 (siehe auch § 93 Rn. 79); zustimmend Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 56; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 255. 19 Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 56. 20 Spieker NJW 1965, 1937 (1941). 21 Siehe statt aller Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 107 Rn. 228 ff.

Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder

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II. Verschwiegenheitspflicht der Ausschussmitglieder gegenüber anderen Aufsichtsratsmitgliedern – Diskussionsstand Ob die Mitglieder eines Aufsichtsratsausschusses gegenüber anderen Aufsichtsratsmitgliedern, die nicht dem Ausschuss angehören, zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, ist nicht abschließend geklärt. Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Problematik bislang nur beiläufig befasst. Allerdings hat das OLG Hamburg in einem Urteil vom 25. Mai 1984 im Kontext der lange Zeit kontrovers diskutierten Zusammensetzung der Aufsichtsratsausschüsse in mitbestimmten Unternehmen die Aussage getroffen, dass das an einer Ausschusssitzung nach § 109 Abs. 2 AktG teilnehmende Aufsichtsratsmitglied auch als Arbeitnehmervertreter die anderen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von den im Ausschuss behandelten Angelegenheiten informieren kann.22 Die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit stehe dem nicht entgegen, da diese nicht im Verhältnis zu anderen Organmitgliedern bestehe.23 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik enthält das Urteil jedoch nicht. Entsprechendes gilt für ein Urteil des LG München I vom 26. Juli 2007 24, das im Zusammenhang mit einem Ausschluss von der Teilnahme an einer Sitzung des Aufsichtsratsausschusses ohne nähere Begründung ausführte, dass gegenüber den übrigen Mitgliedern des Aufsichtsrates eine Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gem. § 116 AktG in Betracht kommen kann.25 Diese soll allerdings nur bestehen, solange das Plenum die Aufgabe nicht in vollem Umfang wieder an sich gezogen oder zumindest eine detaillierte Berichterstattung angefordert habe.26 Diese Aussage des LG München I leidet indes unter dem Makel, dass sich die Gründe weder mit der vorstehenden Entscheidung des OLG Hamburg, noch mit den gegenteiligen Auffassungen im Schrifttum auseinandersetzen. Im Schrifttum sind zwar oftmals knappe Stellungnahmen zu der Problematik anzutreffen, ohne dass sich aber bislang eine einheitliche Linie abzeichnet. Allerdings sprechen sich zahlreiche Vertreter für ein restriktives Verständnis der Verschwiegenheitspflicht aus und erachten die Weitergabe von Geheimnissen und vertraulichen Angaben an nicht dem Ausschuss angehörende Aufsichtsratsmitglieder für möglich, ohne dass diese hierdurch gegen ihre Pflicht zur Verschwiegenheit verstoßen.

22 23 24 25 26

OLG Hamburg 25.05.1984, WM 1984, 965 (970). OLG Hamburg aaO. WM 2007, 1975 ff. LG München I 26.7.2007, WM 2007, 1975 (1977). LG München I aaO.

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Diese Aussage wird entweder generell getroffen 27 oder jedenfalls als Grundsatz anerkannt,28 der lediglich in Ausnahmefällen durchbrochen wird. So wird teilweise eine Verschwiegenheitspflicht für den Sonderfall befürwortet, dass das Teilnahmerecht für die nicht dem Ausschuss angehörenden Mitglieder von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates nach § 109 Abs. 2 AktG ausgeschlossen worden ist.29 Teilweise ist dieser Ansatz indes auch auf ausdrücklichen Widerspruch gestoßen.30 Ansonsten wird eine Pflicht zur Verschwiegenheit allenfalls in besonderen Konstellationen bejaht, so z.B., wenn der Aufsichtsrat die Angelegenheit wegen einer bei einem Aufsichtsratsmitglied bestehenden Interessenkollision auf einen Ausschuss übertragen hat.31 Als weiterer Sachverhalt werden besondere Interessenkollisionen angeführt, wenn Vertreter eines Wettbewerbers dem Aufsichtsrat angehören. Diese könnten von dem Empfang vertraulicher Unterlagen ausgeschlossen werden, wenn andernfalls wesentliche Belange der Gesellschaft gefährdet sind.32 Der Vorsitzende des Aufsichtsrats bzw. derjenige eines Ausschusses könne einen derartigen Ausschluss von der Information jedoch nicht festlegen, vielmehr bedürfe es hierfür stets eines Beschlusses des Aufsichtsrates bzw. des Ausschusses.33 27 So Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (119 f.); Koberski in Wlotzke/Wißmann/ Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 25 MitbestG Rn. 106; Lippert Überwachungspflicht, Informationsrecht und gesamtschuldnerische Haftung des Aufsichtsrates nach dem Aktiengesetz 1965, 1976, S. 120; Paefgen Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, S. 351 f.; Peltzer WM 1982, 996 (997); wohl auch Naendrup in GK-MitbestG, Stand: September 1978, § 25 Rn. 203. 28 So Eutebach Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, Diss. Köln 1969, S. 28 f.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 258; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 463 f.; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 34; Spieker NJW 1965, 1937 (1941); Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 116 Rn. 85; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. 2006, § 25 MitbestG Rn. 101. 29 Hierfür Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. 2006, § 25 MitbestG Rn. 100; im Grundsatz auch Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 265 f.; zurückhaltend in dieser Richtung Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 116 Rn. 85; ferner Lehmann, DB 1979, 2117 (2123 f.). 30 So Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (120 Fn. 41); Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 463; Paefgen Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, S. 351 f. 31 Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 464; im Ansatz auch Spieker NJW 1965, 1937 (1941), der die Verschwiegenheitspflicht jedoch auf alle Mitglieder ausdehnt, die nicht dem Ausschuss angehören; ebenso Eutebach Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, Diss. Köln 1969, S. 29; aA jedoch Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (120 Fn. 41). 32 So Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 34. 33 Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 34.

Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder

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Äußerungen im Schrifttum, wonach die Mitglieder eines Aufsichtsratsausschusses gegenüber den Nichtausschussmitgliedern generell zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, sind – soweit ersichtlich – in dieser Allgemeinheit nicht anzutreffen. Lediglich Rellermeyer hat insofern für ein extensives Verständnis plädiert und sich unabhängig von dem Teilnahmeausschluss nach § 109 Abs. 2 AktG dafür ausgesprochen, jedem einzelnen Aufsichtsratsmitglied die eigenverantwortliche Prüfung zu überlassen, ob eine Information in einem Maße geheimhaltungsbedürftig ist, dass die Weitergabe an das Plenum das Risiko einer Bekanntgabe an Dritte erhöht.34 Damit ist denknotwendig die Berechtigung des einzelnen Mitgliedes des Aufsichtsratsausschusses verbunden, die Unterrichtung anderer Aufsichtsratsmitglieder, die nicht dem Ausschuss angehören, unter Hinweis auf den Geheimnisschutz zu verweigern. Dieser Ansatz hat im Schrifttum jedoch nur vereinzelt Zustimmung erfahren.35 So vertritt Gittermann die Auffassung, der Vorsitzende des Aufsichtsrats habe zwischen dem Gebot der Vertraulichkeit und dem Informationsrecht der nicht dem Ausschuss angehörenden Mitglieder abzuwägen,36 wobei sich aus dem Kontext seiner Ausführungen jedoch ergibt, dass sich dieses Abwägungsgebot auf die Unterrichtung des Plenums über die Tätigkeit des Ausschusses nach § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG bezieht. Bezüglich der Weitergabe von vertraulichen Informationen an ausschussfremde Aufsichtsratsmitglieder befürwortet Gittermann eine Entscheidungskompetenz des Vorsitzenden des Aufsichtsrats, da andernfalls dessen Recht zum Teilnahmeausschluss nach § 109 Abs. 2 unterlaufen werde und ein individueller Informationsvorsprung einzelner Aufsichtsratsmitglieder dem Kollegialitätsprinzip widerspreche.37 Insgesamt handelt es sich bei diesem extensiven Verständnis zur Verschwiegenheitspflicht für Mitglieder eines Aufsichtsratsausschusses im Verhältnis zu den ausschussfremden Aufsichtsratsmitgliedern jedoch um eine Außenseiterposition, der eine deutliche Mehrheit der Autoren gegenübersteht, die im Verhältnis der Ausschussmitglieder zu den anderen Mitgliedern des Aufsichtsrates jedenfalls grundsätzlich keine aktienrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG bzw. § 116 Satz 2 AktG anerkennen.

34

Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 267. So jedoch im Grundsatz durch Gittermann in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 125. 36 Gittermann in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 123. 37 So Gittermann in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 125. 35

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III. Dogmatische Grundlegung für Einschränkungen der Verschwiegenheitspflicht unter Organmitgliedern Angesichts des ohne Einschränkungen formulierten Wortlauts des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG bzw. § 116 Satz 2 AktG und fehlender Vorschriften, die vergleichbar mit § 79 Abs. 1 Satz 3 und 4 BetrVG die Pflicht zur Verschwiegenheit partiell im Interesse einer funktionsadäquaten Arbeit innerhalb und zwischen den Organen der Gesellschaft aufheben,38 kann eine Klärung der vorstehend skizzierten Problematik nur gelingen, wenn das dogmatische Fundament für die verbreitet artikulierte Einschränkung der Verschwiegenheitspflicht freigelegt wird. Die sorgfältige dogmatische Fundierung erweist sich schon deshalb als unerlässlich, weil der häufig anzutreffende Hinweis auf die fundamentale Bedeutung der Verschwiegenheitspflicht für eine funktionsgerechte Kommunikation innerhalb des Organs und zwischen den Organen,39 den Schluss aufdrängt, gegenüber Nichtausschussmitgliedern seien die Ausschussmitglieder hinsichtlich der von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geschützten Tatsachen zum Stillschweigen verpflichtet, da nur so eine vertrauliche Erörterung der Angelegenheit in einem Ausschuss des Aufsichtsrates gewährleistet sei. Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof bereits in seinem Urteil vom 5. Juni 1975 hervorgehoben, dass für die Reichweite der Verschwiegenheitspflicht das objektiv zu bestimmende Bedürfnis der Geheimhaltung im Interesse des Unternehmens entscheidend ist.40 Dementsprechend bezieht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur solche Informationen in den Schutz der Verschwiegenheitspflicht ein, an denen ein objektives Geheimhaltungsinteresse besteht. Gerade auf das Unternehmensinteresse hat sich der Bundesgerichtshof deshalb auch gestützt, um Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht zu legitimieren, wenn die Unterrichtung Dritter dazu dient, „Missverständnisse auszuräumen, Gerüchten entgegenzutreten, Unruhen zu vermeiden oder sonst die Beziehungen und das Bild der Gesellschaft nach innen und nach außen günstig zu beeinflussen“.41 Diese Aussagen des Bundesgerichtshofes deuten bereits darauf hin, dass die Verschwiegenheitspflicht nicht den Willensbildungsprozess innerhalb der Organe und zwischen den Organen der Gesellschaft, sondern das Unternehmen schützen soll.

38

Siehe zum Zweck von § 79 Abs. 1 Satz 3 und 4 BetrVG Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier BetrVG, 25. Aufl. 2010, § 79 Rn. 18; Oetker in GK-BetrVG, 9. Aufl. 2010, § 79 Rn. 34; Preis in Wlotzke/Preis/Kreft, BetrVG, 4. Aufl. 2009, § 79 Rn. 15. 39 So etwa Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rn. 218. 40 BGH 5.6.1975, BGHZ 64, 325 (329). 41 BGH aaO (331).

Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder

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Die teleologische Fundierung der Verschwiegenheitspflicht war in dem vorgenannten Grundsatzurteil vom 5. Juni 1975 indes noch nicht gänzlich eindeutig. Dies beruhte vor allem auf der Aussage des Bundesgerichtshofes, dass ohne eine Verschwiegenheitspflicht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat und eine unbefangene Meinungsäußerung und Meinungsbildung seiner Mitglieder in Frage gestellt sei.42 Allerdings bezog das Gericht dies auf die Übermittlung der Informationen an die Öffentlichkeit und die hieraus resultierenden Rückwirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Organs und bewertete entsprechende Einbußen als Schaden für das Unternehmen.43 Auf die Kommunikation innerhalb des Aufsichtsrates bzw. zwischen den Gesellschaftsorganen ging der Bundesgerichtshof nicht gesondert ein. Wesentlich akzentuierter sind demgegenüber die Ausführungen des Bundesgerichtshofes in dem späteren Urteil vom 6. März 1997 44, da der II. Zivilsenat dort ausdrücklich festhielt, dass Bezugspunkt für die Verschwiegenheitspflicht allein das Interesse des Unternehmens als Ganzes sei, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen nicht an die Öffentlichkeit getragen werden und der Gesellschaft daraus Nachteile entstehen.45 Deshalb bewertete der Bundesgerichtshof es als „schon im Ansatz verfehlt“, den Zweck der Verschwiegenheitspflicht in der ungehinderten Aussprache über alle Angelegenheiten im Aufsichtsrat zu sehen, um damit die Funktionsfähigkeit dieses Gesellschaftsorgans zu sichern.46 Der Bundesgerichtshof verkannte zwar nicht den Stellenwert der Verschwiegenheitspflicht für eine unbefangene Aussprache, sah hierin aber lediglich eine reflexartige Wirkung, die der Gesetzgeber nicht unmittelbar erstrebt habe.47 Insoweit wies der II. Zivilsenat zusätzlich – wenngleich ohne nähere Vertiefung – darauf hin, dass § 107 Abs. 2 AktG hinreichende Möglichkeiten biete, eine als im Interesse eines ungehinderten Meinungsaustausches für erforderlich gehaltene Vertraulichkeit sowohl der Diskussionsbeiträge wie der Ausübung des Stimmrechts herbeizuführen.48 Die Verschwiegenheitspflicht dient deshalb nicht dem Organschutz, sondern dem Unternehmensschutz. Im Lichte dieser teleologischen Fundierung der Verschwiegenheitspflicht liegt es nahe, dass diese nicht die Kommunikation innerhalb der Gesellschaftsorgane sowie zwischen den Organen der Gesellschaft erfassen soll. Bei einer gegenteiligen und dem einschränkungslos formulierten Gesetzeswort-

42 43 44 45 46 47 48

BGH aaO (333). BGH aaO (333). BGH 6.3.1997, BGHZ 135, 48 ff. BGH aaO (57). BGH aaO (56). BGH aaO (57). BGH aaO (57).

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laut verhafteten Sichtweise würde die Verschwiegenheitspflicht eine von ihrem Zweck nicht beabsichtigte überschießende Wirkung entfalten und dysfunktionale Wirkungen für die Binnenverfassung der Gesellschaft auslösen. Um dies zu verhindern, bedarf § 116 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG deshalb einer einschränkenden Auslegung. In der Weitergabe von Informationen, die in den Schutz durch § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG einbezogen sind, an Angehörige desselben Organs oder Angehörige anderer Organe der Gesellschaft, droht der Gesellschaft kein Schaden, und zudem geht der Geheimnischarakter wegen der für alle Organmitglieder gleichermaßen bestehenden Verschwiegenheitspflicht nicht verloren. Liegt somit in der Kommunikation innerhalb des Organs und zwischen den Organen der Gesellschaft bei dem gebotenen teleologischen Normverständnis kein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht, dann gilt dies auch für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern eines Aufsichtsratsausschusses und den Nichtausschussmitgliedern. Gestützt wird dieses Verständnis der Verschwiegenheitspflicht zusätzlich durch den Zweck der Ausschussbildung. Diese soll die Arbeit des Plenums erleichtern, es diesem bei entsprechender Beschlussfassung jedoch nicht verwehren, die im Ausschuss behandelten Angelegenheiten jederzeit wieder an sich zu ziehen und im Plenum zu erörtern. Insbesondere hat das Aktiengesetz die vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschüsse nicht als Gremien mit erhöhter Vertraulichkeit verfasst.49 Angesichts dessen kann die das einzelne Aufsichtsratsmitglied treffende aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, in denen die Rechtfertigung für die vorstehend befürwortete restriktive Auslegung der Verschwiegenheitspflicht nicht in Betracht kommt. Das könnte z.B. der Fall sein, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu besorgen ist, dass die Mitteilung an ausschussfremde Mitglieder des Aufsichtsrates zum Verlust des Geheimnischarakters führen könnte. Abgesehen von derartigen Ausnahmefällen steht die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht der Weitergabe von vertraulichen Tatsachen an nicht dem Ausschuss angehörende Aufsichtsratsmitglieder nicht entgegen, da diese nicht den Zweck verfolgt, den Informationsaustausch innerhalb eines Organs der Gesellschaft zu beschränken. Das gilt auch, wenn die Tätigkeit des Aufsichtsrates auf vorbereitende oder beschließende Ausschüsse verlagert wird. Bestätigt wird die hier befürwortete Auslegung zur Reichweite der Verschwiegenheitspflicht durch das in § 109 Abs. 2 AktG verankerte Recht des einzelnen Aufsichtsratsmitgliedes auf Teilnahme an den Sitzungen der vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschüsse. Durch dessen Ausübung ist das nicht

49 Treffend Säcker Aufsichtsratsausschüsse nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976, 1979, S. 44 sowie bereits Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 109 (120).

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dem Ausschuss angehörende Mitglied jederzeit in der Lage, Kenntnis von Inhalt und Verlauf der Ausschusssitzung zu erlangen. Deshalb würde es einen nicht auflösbaren Wertungswiderspruch bedeuten, wenn das ausschussfremde Mitglied des Aufsichtsrates über die Teilnahme an der Ausschusssitzung die Kenntnis von den nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG bzw. § 116 Satz 2 AktG geschützten Informationen erlangen könnte, deren Mitteilung durch Mitglieder des Ausschusses an nicht dem Ausschuss angehörende Aufsichtsratsmitglieder jedoch gegen die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht verstoßen würde.

IV. Teilnahmeausschluss und Verschwiegenheitspflicht Ungeachtet des vorstehenden allgemeinen Grundsatzes, dass die Pflicht zur Verschwiegenheit über die von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geschützten Informationen einer Offenbarung gegenüber Mitgliedern des Aufsichtsrates, die nicht dem Ausschuss eines Aufsichtsrates angehören, nicht entgegensteht, wird im Schrifttum teilweise eine Ausnahme befürwortet, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrates Nichtausschussmitglieder von der Teilnahme an der Ausschusssitzung gemäß § 109 Abs. 2 AktG ausgeschlossen hat. Obwohl im Grundsatz konstatiert wird, dass innerhalb des Aufsichtsrates keine Pflicht zur Verschwiegenheit besteht, plädiert z.B. Habersack dafür, dass die Weitergabe vertraulicher Informationen an ausschussfremde Aufsichtsratsmitglieder nur mit Zustimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden und im Rahmen einer Sitzung des Plenums erfolgen dürfe.50 Allerdings wird bei diesem Ansatz nicht stets deutlich, ob die Informationsweitergabe an Nichtausschussmitglieder erst dann eingeschränkt ist, wenn das Teilnahmerecht des Nichtausschussmitgliedes von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates tatsächlich ausgeschlossen worden ist 51 oder dies unabhängig von einem konkreten Teilnahmeausschluss gelten soll.52 Die vorstehend herausgearbeitete allgemeine Grundlegung hat indes gezeigt, dass es nicht dem Zweck der Verschwiegenheitspflicht entspricht, die Kommunikation zwischen den Organmitgliedern der Gesellschaft einzuschränken. Diese Aussage schließt es allerdings nicht denknotwendig aus, dass die Weitergabe von Informationen an ausschussfremde Aufsichtsrats50

Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 24; ausdrücklich ablehnend jedoch Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (120 Fn. 41). 51 So Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 56; ebenso Lehmann DB 1979, 2117 (2123). 52 In dieser Richtung Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 24 sowie zuvor Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 266 f.; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 109 Rn. 39; wohl auch Gittermann in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 125.

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mitglieder im Widerspruch zu anderen zwingenden Vorgaben des Aktienrechts steht.53 Diese Differenzierung ist schon deshalb von gravierender Bedeutung, weil der Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit über die von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geschützten Informationen nach § 404 AktG strafbewehrt ist, eine derartige Sanktion bei einer Verletzung anderweitiger aktienrechtlicher Vorschriften indes nicht in Betracht kommt. Selbst wenn der hier befürworteten Auslegung zur aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht gefolgt wird, kann sich aus § 109 Abs. 2 AktG ergeben, dass die Weitergabe von Informationen an ausschussfremde Mitglieder gegen diese Norm verstößt bzw. aus dem Zweck der genannten Vorschrift für die Mitglieder des Ausschusses ein Verbot folgt, ausschussfremden Mitgliedern des Aufsichtsrates über Inhalt und Verlauf der Sitzung des Ausschusses zu berichten. Der Versuch, aus § 109 Abs. 2 AktG eine Pflicht zur Verschwiegenheit gegenüber Nichtausschussmitgliedern abzuleiten, scheint eine Stütze darin zu finden, dass die Informationsrechte dieser Aufsichtsratsmitglieder eingeschränkt sind. So ist allgemein anerkannt, dass das von der Teilnahme an der Ausschusssitzung ausgeschlossene Mitglied keinen Anspruch auf Einsichtnahme in die Sitzungsunterlagen hat.54 Die allgemeine Rechtsposition eines jeden Aufsichtsratsmitgliedes in § 107 Abs. 2 AktG, eine Abschrift von der Sitzungsniederschrift verlangen zu können,55 erfährt deshalb für den Fall eines auf § 109 Abs. 2 AktG gestützten Ausschlusses von der Teilnahme an der Ausschusssitzung eine Durchbrechung. Allerdings sind den ausgeschlossenen Aufsichtsratsmitgliedern nicht jegliche Informationsmöglichkeiten verwehrt. Insbesondere steht ihnen ein Auskunftsrecht über die in der Ausschusssitzung gefassten Beschlüsse zu.56 53 Anders im Ansatz demgegenüber Lehmann DB 1979, 2117 (2124), wonach diejenigen Tatsachen, die der Gesamtaufsichtsrat Dritten ohne Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht offenbaren darf, nicht über einen Teilnahmeausschluss nach § 109 Abs. 2 AktG für geheimhaltungsbedürftig erklärt werden kann. 54 Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 109 Rn. 15; Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 30; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 72; Lippert Überwachungspflicht, Informationsrecht und gesamtschuldnerische Haftung des Aufsichtsrates nach dem Aktiengesetz 1965, 1976, S. 120; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 371; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 766, 785; Mertens in KölnerKomm. AktG, 2. Aufl. 1996, § 109 Rn. 24; mit Einschränkungen auch Brinkschmidt Protokolle des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse, 1992, S. 159 ff. 55 Siehe Brinkschmidt Protokolle des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse, 1992, S. 155 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 107 Rn. 87; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 107 Rn. 193; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 370; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 109 Rn. 36. 56 So Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 72; weitergehend wohl Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 381, der nach Abschluss des entsprechenden Vorgangs im Ausschuss ein Recht auf detaillierte Information gegenüber dem Ausschuss bejaht.

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Wegen dieser normativen Vorgabe lassen sich allein aus der in § 109 Abs. 2 AktG eröffneten Möglichkeit zum Ausschluss von der Teilnahme keine Beschränkungen für die Weitergabe von Informationen über die Ausschusssitzung ableiten. Weder die Kompetenz des Aufsichtsratsvorsitzenden noch der mit dieser Norm verfolgte Zweck liefern hierfür eine tragfähige Stütze.57 Solange das nicht dem Ausschuss angehörende Aufsichtsratsmitglied durch seine Teilnahme an der Sitzung des Ausschusses alle Informationen über Inhalt und Verlauf der Sitzung erlangen kann, sind keine im Interesse des Unternehmens liegenden Gründe ersichtlich, die dem Ausschussmitglied eine Weitergabe der Informationen an nicht teilnehmende Aufsichtsratsmitglieder untersagen könnten.58 Soll ein derartiger Informationsfluss zwischen den Ausschussmitgliedern und den Nichtausschussmitgliedern unterbunden werden, dann kommt hierfür der Ausschluss von der Teilnahme an der Sitzung in Betracht. Dieser kann jedoch ausschließlich von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, nicht hingegen von dem Vorsitzenden des Ausschusses bestimmt werden.59 Klärungsbedürftig ist die Rechtslage bei diesem Verständnis jedoch für den Fall, in dem der Vorsitzende des Aufsichtsrates ein nicht dem Ausschuss angehörendes Mitglied von der Teilnahme an der Sitzung des Ausschusses ausgeschlossen hat. In dieser Konstellation sind die Informationsmöglichkeiten für dieses Aufsichtsratsmitglied eingeschränkt, da mit dem Ausschluss von der Teilnahme zugleich das Informationsrecht nach § 107 Abs. 2 AktG ausgeschlossen ist.60 Ob hieraus allerdings zugleich ein Verbot des Ausschussmitgliedes zur Informationsweitergabe an ausschussfremde Aufsichtsratsmitglieder folgt, lässt sich aus dem Gesetz nicht mit hinreichender Sicherheit beantworten. Lediglich der Rückgriff auf den Normzweck vermag in dieser Hinsicht Abhilfe zu schaffen. Anerkannt ist, dass die Möglichkeit eines Ausschlusses von der Teilnahme an der Ausschusssitzung der Effektivität der Ausschussarbeit dient,61 und zudem die Vertraulichkeit innerhalb des Aufsichtsrates schützt.62 Dement57 Ebenso Lehmann DB 1979, 2117 (2123); aA Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 266 f. sowie Gittermann in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 125; Habersack in Münchkomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 24. 58 Treffend Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (120 Fn. 41). 59 Siehe statt aller Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 61. 60 Siehe Brinkschmidt Protokolle des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse, 1992, S. 155 f.; Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 107 Rn. 87; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 107 Rn. 193; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 370; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 109 Rn. 36. 61 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 5. 62 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 6 sowie Brinkschmidt Protokolle des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse, 1992, S. 160 f.; Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 265 f.

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sprechend wird ein Recht zum Ausschluss von der Teilnahme an der Sitzung des Aufsichtsratsausschusses insbesondere dann bejaht, wenn hierdurch aufgrund einer pflichtgemäßen Ermessensausübung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden eine vertrauliche Beratung innerhalb des Ausschusses gewährleistet werden soll.63 Wird der letztgenannte Zweck in den Vordergrund gerückt, dann würde es diesem widersprechen, wenn die mit dem Teilnahmeausschluss bewirkte Abschottung stets dadurch durchbrochen werden könnte, dass das Ausschussmitglied über Inhalt und Verlauf der Beratungen in dem Ausschuss berichten würde. Der von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates mit dem Teilnahmeausschluss verfolgte Zweck würde hierdurch konterkariert. Deshalb folgt aus dem Zweck des Teilnahmeausschlusses, dass § 109 Abs. 2 AktG indirekt die Informationsweitergabe an das Nichtausschussmitglied untersagt, wenn dieses von der Teilnahme an der Sitzung ausgeschlossen worden ist.64 Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Vorgabe der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht, sondern um eine aus dem Zweck des § 109 Abs. 2 AktG folgende Einschränkung für den Informationsaustausch, die eine Parallele in der einschränkenden Auslegung des § 107 Abs. 2 AktG findet.65 Setzt sich ein Ausschussmitglied hierüber hinweg, so verstößt es zwar nicht gegen seine gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG, wohl aber steht sein Verhalten im Widerspruch zu § 109 Abs. 2 AktG. Wenn aus dem konkret erfolgten Ausschluss von der Teilnahme an der Sitzung eines vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschusses eine Verpflichtung der Ausschussmitglieder folgt, über Inhalt und Verlauf der Sitzung gegenüber dem von der Teilnahme ausgeschlossenen Mitglied des Aufsichtsrates Stillschweigen zu wahren, so ergeben sich umgekehrt auch die Grenzen für die aus § 109 Abs. 2 AktG folgende Pflicht zur Verschwiegenheit aus dem Zweck des Teilnahmeausschlusses. Hieraus folgt zunächst, dass eine Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem ausschussfremden Aufsichtsratsmitglied nur dann in Betracht kommt, wenn der Ausschluss von der Teilnahme

63 So LG München I 26.7.2007, WM 2007, 1975 (1977); Habersack in Münchkomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 27; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 66; Peus Der Aufsichtsratsvorsitzende, 1983, S. 56 f.; Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 236. 64 Ebenso Lehmann DB 1979, 2117 (2123); im Grundsatz auch Spindler in Spindler/ Stilz, AktG, 2007, § 109 Rn. 39; ausdrücklich ablehnend jedoch Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (120 Fn. 41) sowie Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 463. 65 Siehe Brinkschmidt Protokolle des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse, 1992, S. 155 f.; Habersack in Münchkomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 107 Rn. 87; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 107 Rn. 193; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 370; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 109 Rn. 36.

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darauf beruht, eine vertrauliche Beratung im Ausschuss sicherzustellen.66 Ferner erscheint es vom Zweck des Teilnahmeausschlusses nicht geboten zu sein, dass der aus Gründen der Vertraulichkeit erfolgte Ausschluss von der Teilnahme an der Ausschusssitzung auf unbegrenzte Dauer einer Informationsweitergabe an das von der Teilnahme ausgeschlossene Mitglied entgegensteht. Deshalb folgt aus § 109 Abs. 2 AktG in der Regel dann keine Pflicht zum Stillschweigen mehr, wenn der entsprechende Vorgang abgeschlossen ist.67 Schließlich rechtfertigt auch ein tatsächlich erfolgter Ausschluss von der Teilnahme an der Ausschusssitzung eine Beschränkung der Informationsweitergabe nur gegenüber dem ausgeschlossenen Mitglied des Aufsichtsrates.68

V. Kommunikation im Aufsichtsrat und Geschäftsordnungsautonomie Abgesehen von dem Sonderfall des Ausschlusses von der Teilnahme an Sitzungen eines Aufsichtsratsausschusses nach § 109 Abs. 2 AktG könnte eine Schranke für die Kommunikation zwischen Ausschussmitgliedern und solchen Mitgliedern des Aufsichtsrates, die nicht dem Ausschuss angehören, allenfalls durch eine Regelung in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates oder des Ausschusses errichtet werden.69 Diese könnte z.B. die Weitergabe von nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geschützten Informationen entweder generell untersagen oder die Weitergabe unter den Vorbehalt stellen, dass zuvor die Zustimmung des Vorsitzenden des Aufsichtsrates oder des Ausschusses eingeholt wurde. Der Rechtswirksamkeit derartiger Regelungen hat der Bundesgerichtshof allerdings in dem Urteil vom 5. Juni 1975 eine deutliche Absage erteilt. Ob und in welchem Umfang das einzelne Aufsichtsratsmitglied zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, hat der Gesetzgeber abschließend in § 93 Abs. 1 Satz 3

66 Zur Begründungspflicht gegenüber dem von der Teilnahme ausgeschlossenen Aufsichtsratsmitglied siehe Habersack in Münchkomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 25; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 65. 67 In dieser Richtung wohl auch Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 381. 68 So auch Isele Festgabe für Kronstein, 1967, S. 107 (109 Fn. 41); Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rn. 464; aA Eutebach die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft, Diss. Köln 1969, S. 29; Spieker NJW 1965, 1937 (1941). 69 Zur Geschäftsordnungskompetenz der Ausschüsse des Aufsichtsrates siehe Hopt/ Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 107 Rn. 411; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 762; Mertens in KölnerKomm. AktG, 2. Aufl. 1996, § 107 Rn. 163 f.; Rellermeyer Aufsichtsratsausschüsse, 1986, S. 161.

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AktG bzw. § 116 Satz 2 AktG festgelegt.70 Die dort getroffene Regelung kann weder durch die Satzung noch durch die Geschäftsordnung gemildert oder verschärft werden.71 Dies bedeutet mit anderen Worten: Was ohne Verstoß gegen § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG bzw. § 116 Satz 2 AktG offenbart werden darf, kann nicht durch Regelungen in einer Geschäftsordnung des Aufsichtsrates oder eines seiner Ausschüsse untersagt werden. Die Grenzen einer für die innere Ordnung der Aufsichtsratsausschüsse maßgebenden Geschäftsordnung werden deshalb im Hinblick auf die Informationsweitergabe an nicht dem Ausschuss angehörende Aufsichtsratsmitglieder durch die inhaltliche Reichweite der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht bestimmt. Was danach nicht untersagt ist, kann auch nicht durch die Geschäftsordnung des Aufsichtsrates oder eines vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschusses unterbunden werden. Sofern nach den bislang erzielten Ergebnissen die Verschwiegenheitspflicht im Hinblick auf ihren Zweck eine Einschränkung für den Informationsaustausch zwischen Organen und innerhalb der Organe einer Gesellschaft erfährt, kann eine für den Aufsichtsrat bzw. seiner Ausschüsse maßgebende Geschäftsordnung diese Einschränkungen nicht aufheben. Unabhängig davon bleibt im Hinblick auf den Ausschluss von der Teilnahme an Sitzungen des Aufsichtsrates nach § 109 Abs. 2 AktG zu beachten, dass das Recht zur Teilnahme an den Sitzungen eines vom Aufsichtsrat gebildeten Ausschusses nur im Rahmen von § 109 Abs. 2 AktG ausgeschlossen werden darf. Insbesondere kann das Recht auf Teilnahme an der Ausschusssitzung nicht durch die Satzung ausgeschlossen werden.72 Dementsprechend kann auch eine Regelung in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrates oder des Ausschusses eine Informationsweitergabe an ausschussfremde Mitglieder des Aufsichtsrates nur untersagen, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrates diese von der Teilnahme von der Sitzung des Ausschusses ausgeschlossen hat. Unter dieser Voraussetzung könnte eine Geschäftsordnung grundsätzlich konkretisierend festlegen, unter welchen Voraussetzungen Informationen an von der Teilnahme ausgeschlossene Aufsichtsratsmitglieder weitergegeben werden dürfen. Der durch den Zweck des Teilnahmeausschlusses gezogene Rahmen darf hierdurch jedoch nicht überschritten werden.

70

BGH 5.6.1975, BGHZ 64, 325 (326 f.). BGH aaO (327). 72 Habersack in Münchkomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 32; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 75. 71

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VI. Zusammenfassung 1. Die für Aufsichtsratsmitglieder nach § 116 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG bzw. § 116 Satz 2 AktG bestehende Pflicht zur Verschwiegenheit steht dem Informationsaustausch innerhalb des Aufsichtsrates nicht entgegen. Das folgt aus einer dem Zweck der Verschwiegenheitspflicht Rechnung tragenden einschränkenden Auslegung. Die dies ausdrücklich festlegende Bestimmung in § 79 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist deshalb nicht als eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht, sondern als eine dem Zweck der Verschwiegenheitspflicht geschuldete Klarstellung zu bewerten. 2. Die Kommunikation zwischen Mitgliedern eines Aufsichtsratsausschusses und Nichtausschussmitgliedern wird ebenfalls nicht durch die gesetzlich in § 116 Satz 1 AktG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG bzw. § 116 Satz 2 AktG festgelegte Pflicht zur Verschwiegenheit begrenzt. Eine Ausnahme kommt lediglich in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht, wenn z.B. infolge der Mitteilung an ausschussfremde Aufsichtsratsmitglieder der Verlust des Geheimnischarakters zu besorgen ist. Auch in einer für den Aufsichtsrat und seine Ausschüsse maßgebenden Geschäftsordnung kann keine über § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG hinausgehende Pflicht zur Verschwiegenheit begründet werden. 3. Der vorstehend dargelegte Grundsatz erfährt eine Einschränkung durch § 109 Abs. 2 AktG, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrates Nichtausschussmitgliedern die Teilnahme an einer Ausschusssitzung untersagt hat. In diesem Fall verstößt die Weitergabe von Informationen an das von der Teilnahme ausgeschlossene Mitglied zwar nicht gegen die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit, wohl aber gegen den Zweck des Teilnahmeausschlusses und steht deshalb im Widerspruch zu § 109 Abs. 2 AktG. Die bloße Möglichkeit eines Teilnahmeausschlusses reicht hierfür jedoch nicht aus.

Enforcement of corporate governance codes: A legal perspective Alain Pietrancosta

Traditionally, corporate governance issues are rarely approached – solely or even primarily – from a legal point of view. The topic is instead dominated by economic, financial or managerial perspectives. This is justified to the extent that these perspectives have provided both the philosophical foundations of the corporate governance movement and a platform for its growth, not to mention its characteristic empirical elements and modes of expression. Basically, the goal of corporate governance rules is to solve – or at least alleviate – the problem of conflicts of interests within a firm, in a cost effective way. Fundamentally corporate governance rules: address agency problems between companies and their investors, especially between managers and shareholders with a view to protecting weak owners from strong managers (solving commitment problems); deal with conflicts arising among shareholders, especially between large blockholders and dispersed shareholders; and balance the rights and obligations of various stakeholders. From a historical perspective, the law has few claims on the authorship of a governance system that was intentionally developed outside the scope of a legal construct. Indeed, corporate governance standards have traditionally originated in the private sphere, reflecting a compromise between the conflicting economic interests expressed in normative rules whose force stems not from the law but from the “invisible hand”. Interestingly enough, especially coming from the United Kingdom, these governance standards ended up embedded in “codes”, a word and a concept borrowed from the legal sphere. For reasons related to efficiency and legitimacy,1 model corporate governance codes have multiplied throughout the world.2

1 R. V. Aguilera and A. Cuervo-Cazurra Codes of Good Governance Worldwide: What is the Trigger? 2004; on legitimacy, see gen. D. Schiek Private Rule-Making And European Governance – Issues of Legitimacy, European Law Review 2007, 32(4) 443–466. 2 U. Morth (ed) (2004) Soft Law in Governance and Regulation: An Interdisciplinary Analysis; K. Sahlin-Andersson (2004) ‘Emergent Cross-Sectional Soft Regulations: Dynamics at Play in the Global Compact Initiative’. For full texts of corporate governance codes, both in Europe and elsewhere, see http://www.ecgi.org/codes/all_codes.php.

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But besides the practicality a corporate governance code offers and the “aura” or psychological element attached to it, these documents remained mere private proclamations of “best practice” and lacked legal backing. Even a traditional lawyer would admit that this extra-legal characteristic is not without advantage: by-passing national legal and political processes, it offers the possibility for the business to directly address its needs in the most flexible and adaptable way, thus creating the conditions for an accelerated normative convergence. Indeed, corporate governance codes respond to economic needs and demands. First, they respond to a micro economic demand from investors, who seem to be willing to pay a corporate governance premium for wellgoverned companies’ shares.3 The idea behind it is that a well-governed company is likely to behave more efficiently, in a less risky manner, and ultimately to be more profitable.4 Beyond serving investors’ own interests, corporate governance codes satisfy macro-economic imperatives. In words of the World Bank (2005), sound corporate governance can increase a firm’s access to external financing, which can lead to larger investment, higher growth, more job creation and a reduced risk of financial crises.5 The current financial market turmoil has reinforced this idea that good corporate gov3 See P. Coombes, M. Watson Three Surveys on Corporate Governance, McKinsey Quarterly, 2000, Number 4, at 74, 75–76. 4 See among many others, Coombes and Watson (McKinsey) Global Investor Opinion Survey, 2000, 2002; Gompers, Ishii, Metrick Corporate Governance and Equity Prices, Quarterly Journal of Economics, Vol. 118, February 2003, pp. 107; R. Bauer and N. Guenster Good Corporate Governance pays off!, Well governed companies perform better on the stock market, Working Paper, April 2003; Bauer, Guenster and Otten Empirical Evidence on Corporate Governance in Europe: The Effect on Stock Returns, Firm Value and Performance, in Journal of Asset Management, Vol. 5, No 2, pp. 91, 2004; Drobetz, Schillhofer and Zimmermann Corporate Governance and Expected Stock Returns: Evidence from Germany, in European Financial Management, Vol. 10, No. 2, pp. 267, 2004; P. J. McKnight, N. T. Milonas, Nickolaos G. Travlos, and Charlie Weir The Cadbury Code Reforms and Corporate Performance, January 15, 2005; C. Melvin, H. Hirt Corporate Governance and Performance. A brief review and assessment of the evidence for a link between corporate governance and performance, Hermes Pensions Management Ltd, October 2005; G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing?, ECGI, Finance Working Paper N° 142/2007, October 2006; S. Bhagat, B. Bolton Corporate Governance And Firm Performance, Working paper, May 2007; C. Melvin, H.-C. Hirt Corporate Governance and Performance: the Missing Links, in The business case for corporate governance 201 (Ken Rushton ed., 2008); R. Brown and T. Gørgens Corporate Governance And Financial Performance In An Australian Context, Treasury Working Paper, March 2009; The business case for corporate governance, edited by Ken Rushton, Cambridge, 2009; A. Ferrell and M. Cremers Thirty Years of Corporate Governance: Firm Valuation & Stock Returns, Seminar in Law, Economics, and Organization here at Harvard Law School, Oct. 2009. 5 The World Bank Toolkit, Developing Corporate Governance Codes of Best Practice, 2005; S. Claessens Corporate Governance and Development, World Bank Res Obs. 2006.

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ernance is, to quote the OECD, “one of the keys to healthy financial markets” (2008). Because these needs and demands are global in nature and address similar issues, corporate governance codes tend to contain similar provisions.6 The degree of similarity among corporate governance codes is certainly much higher than among company laws and regulations.7 This codification thus corresponds to corporate governance codes’ fundamental standardization function.8 However, the traditional corporate governance landscape is changing. Born and raised without legal constraints, corporate governance now seems to be the victim of its own success. A series of scandals and failures over the past few years have propelled corporate governance to the forefront of the political and media agenda. Confidence in business morals and self-regulation has been severely shaken, spurring public calls for more intrusive regulation. Corporate governance norms started to be perceived as too serious an issue to be entirely left to businessmen. The numerous public responses, as varied as they appear, nonetheless show a general trend towards a “publicization”, “legalization” or “juridification” of corporate governance,9 whether through: input of public authorities on the elaboration of corporate governance codes, the newer ones often having been initiated or greatly encouraged by the government; the incorporation of corporate governance requirements into law and regulation, a codification à l’américaine; or a requirement to publicly declare adherence to a code, à l’anglaise, and now à l’européenne. Although corporate governance can no longer be considered “governance without government”, surprisingly, there is a near-total absence of legal 6 See K. Palepu, T. Khanna and J. Kogan Globalization and Similarities in Corporate Governance: A Cross Country Analysis, Harvard University, Working Paper, May 2003; T. Atkins Can national corporate governance codes sufficiently converge to protect diverse interests within the European Union? Dissertation, LL.M. in European Union Law, December 2003; M. M. Siems Convergence in Corporate Governance: A Leximetric Approach, University of Cambridge, Centre for Business Research, August 6, 2009. 7 See in the EU, J. G. Holly and R. T. Simmelkjaer II 2002 Comparative study of corporate governance codes relevant to the European Union and its member states, Weil, Gotshal & Manges LLP; Modernising Company Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union – A Plan to Move Forward, European Commission, Brussels, May 21, 2003, at 11. 8 See D. Seidl Standard Setting and Following in Corporate Governance: An Observation-Theoretical Study of the Effectiveness of Governance Codes, Volume 14(5): 705–727, 2007 SAGE. 9 See C. A. Riley “The Juridification of Corporate Governance” in J de Lacy (ed) The Reform of UK Company Law (Cavendish 2002); V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing? ECGI, Finance Working Paper N° 142/2007; G.-P. Calliess, M. C. Renner From Soft Law to Hard Code: The Juridification of Global Governance, Ratio Juris, Vol. 22, 2009.

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certainty with respect to the enforcement of corporate governance provisions due to the lack of any specific legislative measures. This absence is disturbing considering the role of enforcement in promoting legal credibility and economic efficiency. If jurisprudence, especially that coming from the French civil tradition, still has a tendency to overlook enforcement problems and mechanisms, since this is considered as being a less noble part of the law, it really needs to revise its position, considering the growing tendency in both economic and legal literature to attach increasing importance to enforcement, whether of contractual agreements 10 or of rules of law 11. If “law matters”, as even economists now tend to admit, it is not only the text of the law, but also its enforcement, that matters. Corporate governance offers a clear illustration of this phenomenon, as evidenced by the recent interest in questions of enforcement of corporate governance rules in the legal and economic literature. This may come as a surprise to lawyers, but it has even been established that, to some extent, the level of enforcement of such rules plays a more important role than the quality of law on the books.12 Indeed, empirical evidence demonstrates the positive economic impact of strict enforcement and vice versa. There is now a wide consensus that poor enforcement of corporate governance codes has an indirect negative impact: because the application of corporate governance rules cannot be relied on in the protection of shareholders’ rights, substitutes develop, which can be less efficient, such as the concentration of ownership, which in turn influences the content and enforcement of corporate governance rules, in a self-perpetuating process. It also undermines other corporate governance mechanisms (hostile takeovers, proxy fights, board activism etc.). Conversely, stringent enforcement would increase the ability of firms to attract external financing and, consequently, the degree of general financial development. This fact probably contributes to the lower cost of equity capital in the US and probably explains – at least in part – the valuation premium that foreign firms benefit from when cross-listing in the US.13

10 Nobel Laureate Douglass North (1991) argued that “how effectively agreements are enforced is the single most important determinant of economic performance”. 11 “Enforcement of the rule of law is a, perhaps the, central functional difference between developed market economies and developing economies”, E. Berglöf, S. Claessens Corporate Governance and Enforcement, World Bank Policy Research Working Paper 3409, September 2004, at. 2. 12 E.g. in explaining the turnover of CEOs, M. L. Defond, M. Hung Investor Protection and Corporate Governance: Evidence from Worldwide CEO Turnover, mimeo, University of Southern California – Leventhal School of Accounting, 2003. 13 See C. Doidge, A. Karolyi and R. Stulz Why Are Foreign Firms Listed in the U.S. Worth More? 71 J. Fin. Econ. 205 (2004); Hail, Luzi and C. Leuz 2006, Cost of Capital Effects of U.S. Cross-Listings, University of Chicago Working Paper.

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But the US experience also shows that, if stringent enforcement is a good thing, excessive enforcement is harmful. In the context of financial crises and corporate scandals, draconian enforcement, when associated with over-regulation, can seriously increase the cost of capital and threaten the competitiveness of a national market place, as seen after the passing of the SarbanesOxley Act.14 What remains under discussion is the relative importance of individual enforcement mechanisms, as there is a long list of them, from “private ordering”, to private law enforcement or public enforcement. Lately, a broad consensus has developed on the need to strengthen private law enforcement (through litigation or arbitration), presented as a potentially effective tool in terms of investor protection and capital market development.15 Yet, the importance of public enforcement through securities commissions has recently been underlined, having long been neglected by economists;16 hence 14 On the debate on the Sarbanes-Oxley Act impact, see Interim Report of The Committee on Capital Markets Regulation, Committee On Capital Markets Regulation, November 30, 2006; H. S. Scott The Need For A New Look At Capital Markets Regulation Post-Enron, J.I.B.L.R. 2006, 21(4), 169–171; H. S. Scott What is the United States doing about the competitiveness of its capital markets, J.I.B.L.R. 2007, 22(9) 487–490; J. C. Coffee Jr. Fear of the U.S. Market, The National Law Journal, Vol. 29, No 15, December 11, 2006 and Law And The Market: The Impact of Enforcement, 156 U. Pa. L. Rev. 229, December, 2007; Sustaining New York’s and the US’s Global Financial Services Leadership, McKinsey, 2007; L. Zingales Is the US Capital Market losing its Competitive Edge? ECGI Finance Series n° 192/2007; How competitive are U.S. Capital markets and U.S. Public companies? Issues of importance and reform for all corporate counsel, 5/07 Metro. Corp. Couns. 1, (col. 2), Metropolitan Corporate Counsel, Volume 15, Number 5, National Edition, May 2007; C. Doidge, G. A. Karolyi, R. M. Stulz Has New York become less competitive in global markets? Evaluating foreign listing choices over time, ECGI Finance Series n° 173/2007 and Why do foreign firms leave U.S. equity markets? An analysis of deregistrations under SEC Exchange Act Rule 12h-6, Dice Centre WP 2008-14, August 2008; K. Litvak Sarbanes-Oxley And The Cross-Listing Premium, 105 Mich. L. Rev. 1857, June 2007; J. C. Coates IV The Goals and Promise of the Sarbanes-Oxley Act, Journal of Economic Perspectives – Volume 21, Number 1 – Winter 2007– p. 91; Capital Market Competitiveness, ECGI vol. 5, Winter 2007. 15 See R. La Porta, F. Lopez De Silanes, A. Shleifer Law and Finance 106 J. Pol. Econ. 1113 (1998), and What Works in Securities Laws? Tuck School of Business at Dartmouth, Working Paper No. 03-22, July 16, 2003; J. R. Hay, A. Shleifer Private Enforcement of Public Laws: A Theory of Legal Reform, 88 Am. Econ. Rev. 398 (1998); G. Ferrarini, P. Giudici Financial Scandals and the Role of Private Enforcement: The Parmalat Case, in J. Armour, J. A. McCahery (eds.), After Enron: Improving Corporate Law And Modernising Securities Regulation In Europe And The US, 159, 194–206 (2006); J. C. Coffee Law and the Market: The Impact of Enforcement, 156 U. Pa. L. Rev. 229–311 (2007); J. Armour, B. Black, B. Cheffins, R. Nolan Private Enforcement of Corporate Law: An Empirical Comparison of the UK and US, European Corporate Governance Institute, Law Working Paper No. 120/2009, Finance Working Paper No. 234/2009. 16 H. E. Jackson, M. J. Roe Public Enforcement of Securities Laws: Preliminary Evidence, SSRN, Working Paper, March 16, 2009; for the UK, K. Cearns, E. Ferran Non-Enforce-

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the growing focus on the capabilities of national securities commissions around the world to fulfil this task, in terms of independence, staff, budget, powers etc.17 However, any controversy should not be exaggerated. The distinctions can be somewhat artificial. Enforcement mechanisms are nonexclusive and should be seen as complementing rather than substituting for one another.18 For instance, the effectiveness of private ordering largely depends on the wider institutional environment: activist movements, such as shareholder lobbying groups, do require some legal backing. While academia emphasises more and more on legal effectiveness rather than legal extensiveness, public authorities dealing with corporate governance codes, rather curiously, seem to have neglected the question of their enforcement. This is all the more surprising given that there is obviously a discrepancy between the letter of these provisions and current practices.19 There is, in other words, a deficit in corporate governance enforcement. The main reason for this deficit is that companies are usually not legally or practically required or incentivized to comply with corporate governance rules; and when they are required to, they often feel free to show little respect for their true meaning and limit themselves to a “box ticking” approach. This enforcement deficit partly explains why, although corporate governance standards appear to be substantively similar, corporate practices continue to differ greatly among companies and, even more so among countries,20 and why apparent compliance with these codes has proved insufficient to prevent major corporate governance failures. Faced with this legislative vacuum, lawyers may be embarrassed or even impotent when they turn to traditional legal techniques. Their embarrassment results from a basic legal proposition: the recourse to enforcement mechanisms is largely determined by the legal status of the relevant rules. There exists a positive correlation between these two elements: the stronger the legal basis for a rule, the stronger the legal instrument for its enforcement. Therefore, when, as is most often the case in corporate governance, rules are not directly enshrined in law, but contained in a “code” which is not ment Led Public Oversight of Financial and Corporate Governance Disclosures and of Auditors, ECGI, Law Working Paper N°. 101/2008, March 2008. 17 J. C. Coffee, Jr. Law and the Market: The Impact of Enforcement, 156 U. Pa. L. Rev. 229, December, 2007. 18 On the interaction effects between the strength of legal protection and the companies’ corporate governance practices, see V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing?, ECGI, Finance Working Paper N° 142/2007, October 2006. 19 See K. Palepu, T. Khanna, J. Kogan Globalization and Similarities in Corporate Governance: A Cross-Country Analysis, Harvard University, Working Paper, May 2003. 20 See K. Palepu, T. Khanna, J. Kogan op. cit.; Tim Atkins Can national corporate governance codes sufficiently converge to protect diverse interests within the European Union? Dissertation, LL.M. in European Union Law, December 2003.

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legally binding but which is referred to by public authorities, regulators or lawmakers, in various, unusual and innovative ways (I), the legal uncertainty that results cannot fail to have an impact on the possible means of public or private enforcement (II).

I. The evolution of the legal status of corporate governance codes: from private to public regulation 1. At country level The question of whether there should be some level of ex-post recognition of corporate governance codes by public or private regulators has received a large array of answers. Predictably, different countries around the world have adopted different approaches to this issue. A lawyer’s mind, by a conditioned reflex, would distinguish two categories of approaches, differentiated by the existence or absence of a legal requirement. As we will see, recourse to law represents the third stage of an evolution which is still underway. a) First stage: No recognition at all Here, the codes have the status of mere recommendations, drawn up by professional associations or academics, without the explicit support of the public authorities or regulators. These codes are self regulatory: implementation of the code is voluntary and based on self proclamation, while its enforcement relies on the assessment of market forces, seen not only in price formation but also in decisions made by business associations,21 investment banks, rating agencies (general or specialized in corporate governance), proxy advisers, the media, public opinion, and so on.22 b) Second stage: Mere official recognition There is a worldwide tendency to provide corporate governance codes with some official recognition. Within this general trend, there are significant variations between the ways this public recognition is provided. Public recognition may come from different entities: market operators of regulated markets (NYSE-Euronext, Nasdaq, LSE); 23 ad hoc commissions (see the Belgian Governance Institute); National securities commissions (SEC, FSA, AMF…); state or federal legislators. 21 E. Wymeersch Enforcement of Corporate Governance Codes, Law Working Paper N° 46/2005, June 2005, at 9. 22 E. Wymeersch op. cit. at 5. 23 See gen. H. Christiansen, A. Koldertsova The Role of Stock Exchanges in Corporate Governance, OECD, Financial Market Trends, vol. 2009-1.

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Furthermore, public recognition may also come in different forms. Five of them can be identified: 1) Factual recognition of compliance: as seen in Germany, where companies who are compliant with certain conduct rules are distinguished by a particular mark on the stock exchange’s price list; 24 or in Turkey, with the establishment of a corporate governance index. 2) Contributions by public authorities or private regulators to the elaboration of corporate governance codes:25 the government in Germany 26, the securities regulators in Belgium (CBFA) 27, Spain (CNMV)28, Portugal (CMVM) 29, Israel (Israel Securities Authority ISA) 30 or Mexico 31; the stock exchange in Italy 32, Luxembourg 33, Cyprus 34, Estonia 35, Latvia 36 or Slovenia 37. 3) Monitoring of companies’ compliance with a code: as in the Netherlands, where a government appointed commission reviews the overall implementation of the Dutch code; 38 or in France, with AMF annual reports of listed companies’ practices. 4) Recommendations on code compliance, whether from market operators or securities commissions: here, we enter a peculiar non-legal zone of secondary recommendations (or soft backed-up recommendations), where an official entity recommends compliance with recommendations. An illustra-

24

E. Wymeersch ibid (fn. 21). See R. V. Aguilera and A. Cuervo-Cazurra Codes of Good Governance Worldwide: What is the Trigger? 2004. 26 Especially the Ministry of Justice, see D. Seidl, P. Sanderson Comply or Explain: The Flexibility of Corporate Governance Codes in Theory and in Practice, Paper for presentation at the 2nd Annual Cambridge Conference on Regulation, Inspection & Improvement. The End of Zero Risk Regulation – Risk Toleration in Regulatory Practice, University of Cambridge, September 12, 2007. 27 See e.g. P. Van Hooghten, X. Maes in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 19. 28 F. Vives in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 191. 29 P. O. Cunha, S. Barata in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 160. 30 A. Zaltman, G. Graus in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 89. 31 D. Martinez Rueda-Chapital, A. Sainz in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 135. 32 E. Giordano, F. Ramos in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 95. 33 P. Reckinger, P. Prussen in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 122. 34 A. Onoufriou in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 43. 35 A. Kask, A. Piik in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 55. 36 The Riga stock exchange has provided “Corporate Governance Principles and Recommendation on Their Implementation”, V. Gencs in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 112. 37 A. Strojin Stampar, A. Melihen in Corporate Governance 2008, Global Legal Group, at 186. 38 E. Wymeersch op. cit. (fn. 21) at 5, 19. 25

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tion of extensive recommendations can be found in France, where the securities commission (AMF) recommended in 2003 that listed companies disclose whether or not they apply the corporate governance standards set forth in the “Bouton report” and the reasons for any non-compliance,39 marking the first appearance of the “comply or explain” principle in France. For an example of a limited recommendation, one could refer to the AMF recommendation issued in November 2008 that listed companies should comply with AFEP-MEDEF recommendations (of October 2008) on executive compensation, on a “comply or explain” basis. 5) Tax breaks: we may soon have to add a fifth type of official recognition through tax law. Indeed, some countries are currently considering offering tax breaks to companies that apply good and sound corporate governance standards. The fact that these two initial stages of corporate governance regulation development do not involve direct legal requirements doesn’t mean, of course, that they exist totally outside the legal sphere. Although self-regulatory, these codes of conduct, guidelines or recommendations do interact with the legal system, through different means or channels: 1) Judicial channels: corporate governance guidelines and practices may serve as an inspiration in the judicial system’s quest for principles in light of which the behaviour of managing agents can be reviewed. As is often the case with soft law, absorption occurs through the interpretation and enforcement of so-called “blank norms”, such as general negligence liability, directors’ liability, specific remedies attached to gross negligence or mismanagement etc. If corporate governance codes are likely to be used by plaintiffs against companies, it will be interesting to see how judges will respond to the use of a code by the management of a company for self-protection purposes. 2) Contractual channels: bilateral agreements (e.g. financing agreements, listing agreements etc.) or even multilateral agreements (adhered to by companies listed on unregulated stock markets) can refer to the provisions of corporate governance codes. Here, enforcement will be limited to the parties to the contract. 3) The inclusion of corporate governance rules in companies’ articles of association. This inclusion allows for enforcement action through internal company rules: e.g. it can serve as a basis for directors or managers’ liability or dismissal, or for the nullity of corporate decisions. 4) Regulatory channel: spontaneous statements of compliance with corporate governance codes by listed companies will fall under the general legal requirement to make accurate statements to the public.

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Cf. COB, Bulletin mensuel janv. 2003.

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c) Third stage: imposition of legal requirements The current trend is to push the public recognition process a little further, using legal mechanisms. And this tendency is unlikely to abate in a context of re-regulation. Two types of legal requirements have been used in this process, by market operators, securities commissions or legislators: 1) Legal requirements – whether in securities law and regulation, corporate law or even labor law – of compliance with certain substantive provisions of codes. These requirements usually take the form of the introduction – whether minimally or extensively – of corporate governance provisions in statutes. The Sarbanes-Oxley Act offers a typical example of the extensive legalization of corporate governance provisions, relating to loans to executives, board composition and functioning, independence of auditors etc.40 More limited illustrations of this phenomenon can be found in recent French 41 and Greek 42 reforms. It is worth noting that no jurisdiction has made an entire corporate governance code mandatory by law. The reason is that corporate governance codes are considered as a process aimed at facilitating the discovery of optimal solutions or, at most, as mere default rules. 2) Legal disclosure requirements – in securities law and regulation or corporate law – of compliance with a corporate governance code. This type of requirement is certainly less intrusive but, for this very reason, potentially more extensive. Sometimes, companies have to disclose their compliance with limited aspects of corporate governance. For example in the US, there is a requirement to disclose whether the company has appointed a financial expert on its audit committee. This is one of the rare applications of the “comply or explain” principle in US corporate governance law. In France, we could mention a former NYSE-Euronext requirement that companies choosing to be listed in certain segments of the market (NextPrime, NextEconomy) – segments that no longer exist – disclose their corporate governance policies. But a legal requirement for companies to disclose their level of compliance with an entire corporate governance code now appears to be the most fashionable method. 40 See A. I. Anand An Analysis of Enabling vs. Mandatory Corporate Governance: Structures Post-Sarbanes-Oxley, 31 Del. J. Corp. L. 229, 2006. 41 France with Law on New Economic Regulations of 2001 (CEO/chairman, number of positions for a single director or CEO), Law on Financial Security of 2003 (on auditors), Law on Economic Modernization of August 2008 (on executive compensation) or Ordinance of December 2008 (on audit committee). 42 With Law 3016/2002 on “Corporate Governance, board remuneration and other issues”.

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– This disclosure can be required by the listing authority. This is the UK model, and was historically the first model to be adopted: not only was the UK model the first to rely on the concept of a corporate governance code but it was also the first to adopt a “comply or explain” approach, whereby a company has to disclose the reasons for its total or partial non-compliance with the code. In the UK, it is the listing authority that requires companies listed on the Main Market (but, it should be noted, not on the Alternative Investment Market) to disclose whether they abide by the corporate governance code i.e. the “Combined Code”. Since the FSA took over from the LSE as the listing authority, the legal nature of the listing conditions has changed from private to public. The UK model is followed in several countries, including Luxembourg, Malta, Estonia 43, Russia, Australia 44, Singapore and Canada 45. – The disclosure can also be required by law, as under the German or Dutch models. Under German and Dutch company law, listed companies have to state that they apply the corporate governance code recommendations or their reasons for not doing so.46 § 161 of the German Company Law (AktG) provides that: “The management board and the supervisory council of stock exchange listed companies declare annually that the “Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex” which has been released by the German Federal Ministry of Justice in the official part of the Electronic Official Journal, has been and is respected and which recommendations have not been or are not followed. This declaration has to be accessible to shareholders on a continuous basis”. In the Netherlands, according to the decree of article 391(4) of the Civil Code, relating to the annual report of listed companies: “The annual report of the companies contains a report about compliance with the principles and best practice provisions, provided for in the code; the report is addressed either to the management or to the supervisory council. If the company has not respected the principles or the best practice pro-

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Rules of the Tallinn Stock Exchange. Where the ASX (Official list) Listing Rules require that companies disclose in their annual report the extent to which they have followed the “Principles of Good Corporate Governance and Best Practice Recommendations” produced by the ASX Corporate Governance Council. 45 Where the Canadian securities regulators enacted National Instrument 58–101 (“Disclosure of Corporate Governance Practice”) which requires Canadian public corporations to disclose their corporate governance practices. 46 E. Wymeersch op. cit. (fn. 21) at 11. 44

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visions, or is intending not to respect these in the current and the following accounting year, it states in the annual report its reason for so doing.” Some technical differences exist between these two national requirements. In the Netherlands, information is contained in the annual report; whereas it also has to be provided on a continuous basis in Germany (on companies’ websites). In the Netherlands, the annual corporate governance declaration has to be submitted to the annual general meeting, which means that any significant changes have to be discussed in the general meeting. German company law only requires companies to produce a “comply or disclose” statement; the “explain” part is located in the corporate governance code itself. Still, they remain fundamentally similar. Disclosure requirements are imposed on management or supervisory boards on a “comply or explain” basis; and the scope of this alternative is limited: derogations can only relate to specific provisions of the code, and not the code itself. This model is now spreading across Europe. It can be seen in: Spain 47, Italy 48, Slovakia 49, Hungary 50, Switzerland 51, Poland 52, Austria 53, Denmark 54, Slovenia 55, and France, through Law (n° 2008-649) of July 3, 2008 (Art. L. 225-37, al. 7 and L. 225-68 C. com.56),57 which introduced the expression “corporate governance” into French company law.

47 The Spanish companies act, as modified by L. 26/2003 of July 17, 2003: description in the annual report of the degree of implementation of the recommendations on corporate governance and where applicable, the explanations in case of non compliance. 48 The Consolidated Financial Act of 1998, recently amended. 49 With the Act on Accounting, of March 23, 2007. 50 With Accounting Law, Business Associations Law of Nov. 10, 2007. 51 With Obligationenrecht, of Jan. 2008. 52 With the Polish Accounting Act, of April 17, 2008. 53 With Corporate Law Adaptation Act 2008, which entered into force on June 1, 2008. 54 With the Accounts Act of June 3, 2008. 55 With the Companies Act (draft June 26, 2008). 56 «Lorsqu’une société se réfère volontairement à un code de gouvernement d’entreprise élaboré par les organisations représentatives des entreprises, le rapport prévu au présent article précise également les dispositions qui ont été écartées et les raisons pour lesquelles elles l’ont été. Se trouve de surcroît précisé le lieu où ce code peut être consulté. Si une société ne se réfère pas à un tel code de gouvernement d’entreprise, ce rapport indique les règles retenues en complément des exigences requises par la loi et explique les raisons pour lesquelles la société a décidé de n’appliquer aucune disposition de ce code de gouvernement d’entreprise». See A. Pietrancosta, J.-B. Poulle Le principe «appliquer ou expliquer», Revue trimestrielle de Droit financier (RTDF) 2009/4 and in Les concepts émergents du droit des affaires, to appear in 2010. 57 See B. Fasterling, J.-C. Duhamel Le Comply or explain : la transparence conformiste en droit des sociétés, Revue Internationale de Droit Economique, 2009/2 – t. XXIII, 2.

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2. At international level At the international level, a line should be drawn, from a legal standpoint, between worldwide and regional interventions. a) Worldwide Worldwide, a few attempts have been made by public organizations to create a benchmark for policy makers, investors, corporations and other stakeholders. This is particularly 58 the case with the “OECD Principles of Corporate Governance” endorsed by OECD Ministers in 1999, revised in 2004,59 and currently under review.60 Interestingly enough, the 2004 revision introduced a new chapter on the structure and quality of the regulatory framework, in order to stress the need for effective enforcement.61 Although influential in practice, due to the limited legal powers held by their promoters, these Principles can only offer non-binding standards and good practices, which can be adapted to the specific circumstances of individual countries and regions. The Principles do not evoke corporate governance codes that do not have the status of law or regulation. They do, nonetheless, recommend that, when such codes “are used as a national standard or as an explicit substitute for legal or regulatory provisions”, a clear specification of their status “in terms of coverage, implementation, compliance and sanctions” should be provided. With respect to sanctions, as previously indicated, there is still a long way to go before states are fully compliant with the Principles. The OECD evaluates the level of compliance with its Principles of Corporate Governance in member countries through pilot studies.62 b) At EU level At the regional level, the changes made in the EU during this decade are enlightening. They start with a negative decision: the rejection of a European corporate governance code. Following a comparative study relating to the corporate governance codes within the European Union, and a report by

58 One could have also mentioned the International Federation of Accountants (IFAC) report on International Good Practice Guidance – Evaluating and Improving Governance in Organizations, February 2009. 59 The text is available on the OECD website. 60 See Corporate Governance and the Financial Crisis: Key Findings and Main Messages, OECD, June 2009. The Financial Stability Forum (FSF) has listed the Principles among the 12 most important standards for a sound financial system. 61 See also OECD work programme on corporate governance and dispute resolution, March 20, 2006. 62 The first one, conducted in 2006, concerned Turkey.

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a high level group of experts, the European Commission decided that a European Corporate Governance Code would not offer any significant added value and would simply create another layer between international principles and national codes. However, the EC refused to rely on a purely national and self-regulatory market approach. In view of the growing integration of European capital markets, it recommended, in its 2003 “Company Law Action Plan”, to adopt a common approach formulating a few essential rules and ensuring adequate coordination of national corporate governance codes.63 Yet, the EC moved rather cautiously at first, by issuing two legally non-binding recommendations (dated December 14, 200464 and February 15, 200565) concerning remunerations of directors and independent directors respectively.66 On the method, the recommendation on independent directors explains that: “in view of the complexity of many of the issues at stake, the adoption of detailed binding rules is not necessarily the most desirable and efficient way of achieving the objectives pursued. Many corporate governance codes adopted in Member States tend to rely on disclosure to encourage compliance, based on the ‘comply or explain’ approach: companies are invited to disclose whether they comply with the code and to explain any material departures from it. This approach enables companies to reflect sector- and enterprise-specific requirements, and the markets to assess the explanations and justifications provided”. Consequently, Member States are “invited to take the steps necessary to introduce at national level a set of provisions based on the principles set out in this Recommendation, to be used by listed companies either on the basis of the ‘comply or explain’ approach or pursuant to legislation”.67 63 See G. F. Maassen, F. A. J. Van den Bosch, H. Volberda The importance of disclosure in corporate governance self-regulation across Europe: a review of the Winter Report and the EU Action Plan, International Journal of Disclosure and Governance, Vol. 1 No 2, pp. 146–59, 2004; K. J. Hopt ‘European Company Law and Corporate Governance: Where does the Action Plan of the European Commission Lead?’ in K. J. Hopt, E. Wymeersch, H. Kanda and H. Baum (eds.), Corporate Governance in Context (Oxford University Press, 2005). 64 Recommendation 2004/913/EC fostering an appropriate regime for the remuneration of directors of listed companies, OJ L 385, 29.12.2004, p. 55. 65 Recommendation 2005/162/EC on the role of non-executive or supervisory directors of listed companies and on the committees of the (supervisory) board, OJ L 52, 25.2.2005, p. 51. 66 These two recommendations were recently complemented, see Commission recommendation complementing Recommendations 2004/913/EC and 2005/162/EC as regards the regime for the remuneration of directors of listed companies, Brussels, 30.4.2009, C(2009) 3177. 67 See the Report on the application by the Member States of the EU of the Commission Recommendation on the role of non-executive or supervisory directors of listed companies and on the committees of the (supervisory) board, Brussels, 13.07.2007, SEC(2007) 1021.

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In a Decision of October 15, 2004, the Commission created a “European Corporate Governance Forum” in order to encourage the coordination and convergence of national codes and the way they are enforced and monitored. However, this soft approach has quickly given way to a somewhat tougher approach, providing legally binding provisions, in particular through: – Directive (2006/43/EC) of May 17, 2006, requiring Member States to require audit committees in “public-interest entities”; – and more importantly, Directive (2006/46/EC) of June 14, 2006, amending the 4th and 7th Company law directives: the 4th Company law directive (Art. 46a; which had to be implemented by September 2008) now states that companies whose securities are admitted to trading on a regulated market have to insert in their annual documents a “Corporate Governance Statement”. This Statement contains information on: the main features of their internal control and risk management systems, information on their anti-takeover protections, the way shareholders can exercise their voting rights (see also Directive 2007/36/CE on shareholders’ rights of July 11, 2007). It should also include references to: – the corporate governance code which the company is subject to; – the corporate governance code that the company chose to voluntarily apply, and/or – all relevant information related to corporate governance practices adopted in addition to national legal requirements. Where a company chooses not to apply a corporate governance code or to depart from certain provisions of a corporate governance code, it should explain its reasons for doing so.68 The Directive noticeably takes inspiration from several systems. Following the UK model, it is based on disclosure, with a “comply or explain” option. Following the German and Dutch models, requirements will mainly come from company law. Although the UK opted for implementation through new FSA requirements,69 other countries using the UK model opted for a change of legal side (e.g. Poland or Slovenia): a change that is not necessarily neutral in terms of international application of the new provisions.70 But unlike the German and Dutch models, a listed company is not forbidden from opting out of a corporate governance code, as long as this code is not entirely legally binding. Moreover, the disclosure requirement is con-

68 The Directive adds that “to the extent to which a company, in accordance with national law, departs from a corporate governance code (…), an explanation by the company as to which parts of the corporate governance code it departs from and the reasons for doing so [must be issued]. Where the company has decided not to apply any provisions of a corporate governance code, it shall explain its reasons for doing so”. 69 DTR 7.2 of FSA Handbook, which came into effect from June 29, 2008. 70 See infra § 19.

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ditional upon the existence in each Member State of a corporate governance code, which is not made mandatory under the Directive. It is possible that some EU countries will continue to resist having a code in order to profit from a potential regulatory arbitrage. There are still doubts as to whether or to what extent the regulatory method promoted at European level 71 will be able to address all the issues raised by corporate governance.

II. An assessment of legal requirements to disclose compliance with corporate governance codes Contrary to the prescriptive approach adopted in the US,72 the EU has thus elected to promote a disclosure-based approach, combining “soft law” and “hard law”: from 2009 (provided the Directive is implemented on time), all EU companies listed on an EU regulated market will be legally required (hard law element) to disclose their level of compliance – and possibly to justify their level of non-compliance – with a legally non-binding code (soft law element 73). The reason for electing this softer system stem from the desire to benefit from the natural advantages of combining soft laws processes and disclosure regulations as compared to hard and substantive regulation: the system enables flexibility and adaptability, allows experimentation, innovation and emulation amongst companies. In other words it is a bottom-up approach which could

71 See Statement of the European Corporate Governance Forum on the comply-orexplain principle, March 6, 2006. 72 See A. I. Anand An Analysis of Enabling vs. Mandatory Corporate Governance: Structures Post-Sarbanes-Oxley, 31 Del. J. Corp. L. 229, 2006. For a more enabling approach for U.S. corporate governance provisions, see: A Special Study Group of the Committee on Federal Regulation of Securities, American Bar Association, Section of Business Law, Special Study on Market Structure, Listing Standards and Corporate Governance, 57 Bus. Law. 1487 (2002); underlining the path dependency factor, J. V. Anderson Regulating corporations the American way: why exhaustive rules and just deserts are the mainstay of U.S. Corporate governance, 57 Duke L.J. 1081, February, 2008. 73 “‘Soft law’ is a very general term, and has been used to refer to a variety of processes. The only common thread among these processes is that while all have normative content they are not formally binding”, D. M. Trubek, P. Cottrell and M. Nance “Soft Law”, “Hard Law” and European Integration: Toward a Theory of Hybridity, April 2005, p. 1. Snyder describes soft law as “rules of conduct which in principle have no legally binding force but which nevertheless may have practical effects.” It has been written that “European corporate governance regulation constitutes a semi-autonomous field, comprised both of hard law and social norms, which are in a constant relation of complementarity, fusion and irritation”: P. Zumbansen “New Governance” in European Corporate Law Regulation as Transnational Legal Pluralism, CLPE Research Paper No. 15/2008.

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help markets evolve towards convergence.74 In particular, the “comply or explain” principle reflects the consensus among market participants that a “one size fits all” approach to corporate governance would be inappropriate.75 That being said, such a system is not without drawbacks and its adoption raises a number of concerns, of both a legal and practical nature, especially in terms of implementation and enforcement.76 1. Legal concerns From a lawyer’s perspective, this hybrid regulatory method is innovative and quite puzzling. It is innovative in the sense that it departs from “traditional” soft law and disclosure regulation. The legal requirement for a company to disclose its level of compliance with private substantive rules establishes a new type of soft law, an upper tier of soft law – a “soft law 2.0” –, which corresponds to a lower degree of softness. It also marks a departure from traditional company law. Up until now, lawyers were more accustomed to dealing with company Law’s stricter “comply or breach”. Note that, from a technical corporate governance perspective, the choice of a “comply or explain” disclosure regime, instead of a more classical set of default rules, is not neutral, since it gives a lesser role to the general meeting of shareholders and a greater one to the board of directors, which seems rather ironic considering the general ambition of corporate governance codes.77 This new regulatory method is puzzling in the sense that its singular postmodern legal approach raises new and difficult technical questions. 74 See K. J. Hopt Common Principles of Corporate Governance in Europe? in J. A. McCahery, P. Moerland, T. Raaijmakers and L. Renneborg (eds.), Corporate Governance Regimes. Convergence and Diversity (Oxford University Press, 2002); K. J. Hopt, P. C. Leyens Board Models in Europe. Recent Developments of Internal Corporate Governance Structures in Germany, the United Kingdom, France and Italy. ECGI Law Working Paper No 18/2004; C. Coglianese, T. J. Healey, E. K. Keating, M. L. Michael The Role of Government in Corporate Governance, November 2004, RWP04-045; K. J. Hopt Comparative Company Law, in (2006) Mathias Reimann & Reinhard Zimmermann eds., Oxford Handbook of Comparative Law 1161–1191. 75 S. R. Arcot and V. G. Bruno One size does not fit all, after all: Evidence from Corporate Governance, SSRN, 2007; A. Steeno Corporate Governance: Economic Analysis of a “Comply or Explain” Approach, 11 Stan. J.L. Bus. & Fin. 386, Spring, 2006; G. S. Dallas, H. Scott Mandating Corporate Behaviour: Can One Set of Rules Fit All? Corporate Governance Law Review, vol. 2, 2006, n° 2, pp. 117–144; S. Bhagat, B. Bolton, R. Romano The Promise and Peril of Corporate Governance Indices, 108 Colum. L. Rev. 1803, December, 2008. 76 See C. Coglianese, T. J. Healey, E. K. Keating, M. L. Michael, op. cit. (fn. 74). 77 I. MacNeil and X. Li “Comply or Explain”: Market Discipline and Non-Compliance with the Combined Code, 14 Corp. Governance 486, 488 n. 11 (2006).

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Some of these questions concern the implementation of the requirement by listed companies: – Can they pick several corporate governance codes and mix their provisions? – Can they pick a foreign corporate governance code? – Do foreign companies fall within the scope of the requirement? As a company law requirement by nature, one should expect its coverage be limited to companies incorporated in the relevant country. This would confirm the provisions of existing corporate governance codes which often refer explicitly or implicitly to national companies. However, as codes apply to listed companies, the question arises as to whether they should also apply to national companies listed exclusively on a foreign market. A nationalistic answer would lead to a negative conflict and no “comply or explain” requirement. The problem worsens where countries, like the UK, choose to implement this disclosure requirement not in their company law but in the stock market listing standards that apply to all listed companies whether national or foreign. Such divergences among EU countries may result in negative (e.g. a British company listed in Germany) or positive conflicts (e.g. a German company listed in the UK) of code application, and consequently risk inducing regulatory arbitrage.78 – How can companies having a specific legal form (e.g. limited partnerships) comply with corporate governance provisions obviously not designed for them? – How can total non-compliance be reasonably explained? – Under what conditions can a company change its corporate governance policy between two annual reports? – What if the corporate governance code is modified during the course of the year? Etc. Even more embarrassing technical questions are related to enforcement. Answers given across various countries to the simple question of what can be done in case of non-compliance, incomplete or misleading compliance by companies are far from being clear and uniform. In fact, legally speaking, this question is not simple but dual faceted, as we are dealing with two sets of possible non-compliance: 1) formal non-compliance: i.e., non-compliance with the legal disclosure requirement; and 2) substantive non-compliance: i.e., non-compliance with the corporate governance statement made by the company.

78 See Report on the application by the Member States of the EU of the Commission Recommendation on the role of non-executive or supervisory directors of listed companies and on the committees of the (supervisory) board, Brussels, 13.07.2007, SEC(2007) 1021, at 6; European Corporate Governance Forum issues statements on director remuneration and cross border issues of corporate governance codes, on March 23, 2009.

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Formal non-compliance should not be treated any differently to other types of omission of information or misinformation with respect to the market. The hypothesis is not theoretical. In its report for 2008, the French AMF indicated that one-third of French listed companies did not fully comply with their corporate governance disclosure requirements.79 Interestingly enough, the AMF’s reaction was simply to write individual letters to the wrongdoers. If no action were taken, a second letter would be sent, warning companies that, in the absence of immediate compliance, they would be included in a list published on the website of the AMF (an illustration of the “name and shame” technique, well-known to the French securities commission). There is a good chance that the same policy will apply to formal noncompliance. Substantive non-compliance is a little more complicated to deal with. The possible legal consequences of a company’s non-compliance with a corporate governance statement are not easy to assess. a) Firstly, an action could be brought on the legal basis of market misinformation: the company does not accurately say what it does! Being required to disclose its corporate governance policy, a company is expected to do so truthfully. Therefore, if a company makes a public statement contradicting its private behaviour and thus misleads the public, it exposes itself to civil, administrative or even criminal consequences (in the form of penalties or judicial orders to correct its public statements).80 When such a disclosure is included in listing requirements, this behaviour may logically lead to the company being refused admission to listing on the stock exchange or, later on, to the company being delisted. However, this second sanction remains theoretical, in particular because in practice it results in unjustified harm to the shareholders and has a negative impact on the business of the stock exchange. In some countries, a court could also grant damages: – to investors, provided that they can prove an individual loss, resulting for instance from having (or having not) sold or bought shares on the basis of the false statement regarding corporate governance;81 79 Rapport AMF, Nov. 27, 2008, at 9. See the figures for Central and Eastern Europe, in E. Berglöf, A. Pajuste, What Do Firms Disclose and Why? Enforcing Corporate Governance and Transparency in Central and Eastern Europe, RTU Riga Business School and SITE, Stockholm School of Economics, May 10, 2005. 80 Directive 2006/46 requires Member states to ensure that board members are “collectively liable” for the content of annual statements; and that “penalties” can be imposed in case of infringements of the national provisions implementing the directive. 81 For French law, see gen., A. Pietrancosta Délits boursiers : la réparation du préjudice subi par l’investisseur, Revue trimestrielle de droit financier, 2007/3, at 1; however, some

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– and even to the company itself, when losses are incurred due to managerial wrongdoing. b) Secondly, a lawsuit could be brought on purely substantive terms. In this situation, a shareholder, a director, the company itself, or a securities commission would reproach a company not for not saying what it does but for not doing what it says it does! E.g. the chairman of the audit committee is not really independent; the golden parachute paid to the former CEO exceeded the limits set in the corporate governance code … Here, the plaintiff would either sue: for damages (either for himself, or more often on behalf of the company); or, more effectively, for the nullification of a company decision adopted contrary to the corporate governance code, or for specific performance of the company’s statement. As always, disclosure rules are easier to enforce than substantive rules. In some countries (like Germany, Belgium or the UK), such lawsuits would probably be dismissed due to the absence of a private right of action for selfregulatory instruments. It remains to be seen whether this approach will stand after implementation of the 2006 directive, which insists on the obligation of Member States to “ensure that the members of the administrative, management and supervisory bodies of the company have collectively the duty to ensure that the annual accounts, the annual report and, when provided separately, the corporate governance statement to be provided pursuant to Article 46a are drawn up and published in accordance with the requirements of this Directive” (Art. 50b), and to “ensure that their laws, regulations and administrative provisions on liability apply to the members of the administrative, management and supervisory bodies referred to in Article 50b, at least towards the company, for breach of the duty referred to in Article 50b” (Art. 50c). In other countries, like France, there is more scope for success, especially for private plaintiffs. The reasoning could be that, although the provision of the corporate governance code that has been breached is not legally binding per se, the company, through its public compliance statement, becomes committed to abide by it (through a combination of disclosure law and the company’s individual consent). Even if the breach of this commitment is insufficient to render a company decision void (company law usually being very restrictive on this matter), it could form the basis of a legal action for damages or specific performance. Listed companies should therefore be prepared to react to such demands, which could force them either to comply with their statements or to change them (if they are allowed to do so!). If the goal is for listed companies to take their corporate governance public the more subjective nature of corporate governance compliance disclosure, B. Fasterling, J.-C. Duhamel Le Comply or explain: la transparence conformiste en droit des sociétés, Revue Internationale de Droit Economique, 2009/2 – t. XXIII, 2, spec. § 43 sq.

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statements seriously, the availability of this judicial course of action could prove useful, provided that appropriate measures are taken against vexatious litigation. 2. Practical concerns The main concern here is whether companies will comply with corporate governance codes even though they are not legally bound to do so; in other words, whether we can rely on market pressure for compliance and enforcement. The law, wishing to adopt a kind of co-regulation and co-enforcement, seems to assume that the punishment for violation of corporate governance codes should be more financial than legal in nature. If this were the case, the role that the law plays in the matter would, although not non-existent, certainly be reduced to creating the right conditions for the market to exert its pressure. Unfortunately, the answer to this question remains controversial as empirical evidence appears ambiguous. However, two elements should be distinguished. The first is the level of compliance with an unbinding corporate governance code. Compliance seems fairly high in developed countries.82 In the UK, although compliance is far from perfect,83 the majority of UK listed companies comply in all substantive respects.84 And the level of compliance increases year on year.85 Compliance levels are also high and increasing in the Netherlands, Switzerland, Belgium 86, France (4th in the international ranking of Heidrick & Struggles) or Germany 87. However, the evidence shows 82 Gregory, Holly J. and Robert T. Simmelkjaer II 2002 Comparative study of corporate governance codes relevant to the European Union and its member states, Weil, Gotshal & Manges LLP; R. V. Aguilera and A. Cuervo-Cazurra Codes of Good Governance Worldwide: What is the Trigger? 2004. 83 FTSE-350 still failing ‘comply or explain’ test on combined code; I. MacNeil and X. Li op. cit. (fn. 77); S. R. Arcot and V. G. Bruno In Letter but not in Spirit: An Analysis of Corporate Governance in the UK, November, 2006. 84 See D. Seidl, P. Sanderson Comply or Explain: The Flexibility of Corporate Governance Codes in Theory and in Practice, Paper for presentation at the 2nd Annual Cambridge Conference on Regulation, Inspection & Improvement. The End of Zero Risk Regulation – Risk Toleration in Regulatory Practice, University of Cambridge, September 12, 2007; S. Arcot, V. Bruno and A. Faure-Grimaud Corporate Governance in the UK: Is the “Comply or Explain” Approach Working? 85 S. R. Arcot and V. G. Bruno In Letter but not in Spirit: An Analysis of Corporate Governance in the UK, November, 2006, available at SSRN: http://ssrn.com/abstract= 819784. 86 In Belgium, 80 % of the provisions of the corporate governance code are fully complied with. 87 A. Von Werder, T. Talaulicar and G. L. Kolat Compliance with the German Corporate Governance Code: an empirical analysis of the compliance statements by German listed companies. Corporate Governance: An International Review. 13 (2) 178, 2005.

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disparities. Compliance scores seem to correlate with: the sensitive nature of some provisions of the codes; the market capitalization of companies, the nature of their business activities, their complexity, the internationalization or dispersion of their ownership,88 and their exposure to public scrutiny. Still, it is difficult to distinguish between right and wrong reasons for noncompliance, especially when the explanations given remain insufficient. As explanations for non-compliance remain crucial, it is worrying to see that, even in the UK, a significant percentage of listed companies opt, illegally, to take a “don’t comply – don’t explain” approach; or limit themselves to standardized and uninformative explanations.89 In Germany, the high number of unexplained deviations from the corporate governance code is also due to the absence of a legal requirement to explain, which should decrease with the implementation of Directive 2006/46. The second element is the impact of compliance on a company’s performance or share price. A positive correlation would definitely create an economic incentive for a company’s managers to comply with corporate governance codes and thus aid their self-enforcement. This is certainly the implicit idea behind the “comply or explain” rule.90 Yet empirical evidence, based on event studies, seems contradictory (at least in developed markets 91).92 88 S. R. Arcot and V. G. Bruno In Letter but not in Spirit: An Analysis of Corporate Governance in the UK, op. cit. (fn. 85); R. J. Gilson Controlling Shareholders and Corporate Governance: Complicating the Comparative Taxonomy, 119 Harv. L. Rev. 1641, April, 2006. For France, see Ernst and Young Survey, La bonne gouvernance apparaît comme un facteur de performance, Les Échos, January 30, 2008 («Dès qu’une entreprise est confrontée à la complexité, à l’internationalisation ou au développement des filiales, la structuration de sa gouvernance se renforce», observe Dominique Pageot, associé chez Ernst & Young. Il constate «une appétence plus forte à la gouvernance dans les secteurs réglementés ou dont le modèle économique est rapide, comme la haute technologie et les médias»); adde on directors’ compensation, G. Ferrarini, N. Moloney, M. C. Ungureanu Understanding Directors’ Pay in Europe: A Comparative and Empirical Analysis, ECGI, Law Working Paper N° 126/2009, June 2009, spec. at 71. 89 S. R. Arcot and V. G. Bruno In Letter but not in Spirit: An Analysis of Corporate Governance in the UK, op. cit. (fn. 85); for Germany, see D. Seidl, P. Sanderson Comply or Explain: The Flexibility of Corporate Governance Codes in Theory and in Practice, Paper for presentation at the 2nd Annual Cambridge Conference on Regulation, Inspection & Improvement. The End of Zero Risk Regulation – Risk Toleration in Regulatory Practice, University of Cambridge, September 12, 2007. 90 See M. Schlippen (2002) To comply or not to comply that’s the question! Existenzfragen des Transparenz- und Publizitätsgesetzes im magischen Dreieck kapitalmarktorientierter Unternehmensführung. Zeitschrift Für Wirtschaftsrecht. 23: 1269–1279. 91 See for India, D. Dharmapala, V. Khanna Corporate Governance, Enforcement, and Firm Value: Evidence from India, Law and Economics Seminar at Harvard Law School, 2008. 92 See S. R. Arcot and V. G. Bruno, One size does not fit all, after all: Evidence from Corporate Governance, op. cit. (fn. 75); R. Kouwenberg Does Voluntary Corporate Governance Code Adoption Increase Firm Value in Emerging Markets? Evidence from Thailand, Mahidol University and Erasmus University Rotterdam, November 30, 2006.

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In the UK, the results, although not always unequivocal,93 appear to be positive.94 A recent study, published in November 2008, indicates that corporate governance is an important determinant of a business’ value and performance in the country. Businesses with more formal governance structures, that is, with greater levels of compliance with the recommendations of the Combined Code (2003), receive a higher market valuation, perform better and have lower investment expenditure.95 There are also grounds for optimism with respect to the impact of the “comply or explain” principle: companies that are not fully compliant with the Combined Code show better results where their explanation for not complying (usually based on the size,96 complexity of the company, nature of risks it faces or the provisions of the code …97) is sufficiently convincing.98 This is reassuring because the explanation option is essential to the flexibility of the system and its efficiency, as seen, for example, in the way it permits SMEs to avoid unnecessary compliance costs.99

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Cf. C. A. Riley The Juridification of Corporate Governance, chapter 8 in J. de Lacy (ed) The Reform of UK Company Law (Cavendish 2002). 94 Padgett, C and Shabbir, A ‘The UK Code of Corporate Governance: Link Between Compliance and Firm Performance’ (November 21, 2005); Dedman, 2000; Peasnell et al., 2000; Dahya et al. (2002). 95 P. J. McKnight, N. T. Milonas, Nickolaos G. Travlos and Charlie Weir The Cadbury Code Reforms and Corporate Performance, January 15, 2005; I. Clacher, E. Doriye and D. Hillier Does Corporate Governance Matter? New Evidence from the United Kingdom, This Draft: November 2008. 96 On evidence that strong corporate governance practices pay off less for small companies, see V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing?, ECGI, Finance Working Paper N° 142/2007. 97 On a critical appreciation of corporate governance rules, see J. R. Macey Corporate Governance, Promises Made, Promises Broken, 2008. 98 I. MacNeil and X. Li “Comply or Explain”: Market Discipline and Non-Compliance with the Combined Code, op. cit. (fn. 77); S. R. Arcot and V. G. Bruno One size does not fit all, after all: Evidence from Corporate Governance, op. cit. (fn. 75); S. Arcot, V. Bruno and A. Faure-Grimaud Corporate Governance in the UK: Is the “Comply or Explain” Approach Working?, LSE. 99 On the evidence that strong corporate governance practices pay off less for SMEs, see V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing?, op. cit. (fn. 96). One way to circumvent the problem would consist of providing a lighter set of corporate governance rules for SMEs listed on securities markets: see in France, the establishment of a MiddleNext corporate governance vademecum at the end of 2009. Adde, J. H. Farrar The Corporate Governance of SMEs and Unlisted Companies, 14 NZBLQ 213, New Zealand Business Law Quarterly, December, 2008; The governance of close corporations and partnerships. US and European perspectives, Edited by J. McCahery, T. Raaijmakers and E. P. M. Vermeulen, Oxford, 2004.

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Unfortunately, such optimism does not extend elsewhere. Evidence from Germany 100, the Netherlands 101, Spain 102, Portugal 103 and Japan indicates that voluntary corporate governance initiatives, relying on self-regulation, do not have an effect on firm value or stock prices. Or, at best, that in the absence of any negative impact on price formation, no positive influence can be seen. It is of course difficult, if not impossible, to establish a causal link or even a strong correlation between corporate governance practices and economic performance.104 Also, a company’s governance policy is not necessarily a major consideration in the overall investment decision, especially in companies with dominant shareholders. Moreover, there is a “difference between strong corporate governance and optimal corporate governance, as stronger corporate governance does not necessary mean better performance and higher valuation because costs may offset the benefits”.105 However, the German and Dutch experience has even led some academics to the conclusion that non-restrictive codes and regulatory disclosure methods are inefficient in civil law countries,106 at least, as long as favourable market forces do not exist.

100 For Germany, see E. Nowak, R. Rott, T. G. Mahr Does self-regulation work in a civil law country? An empirical analysis of the declaration of conformity to the German Corporate Governance Code, August 31, 2004; on the question of executive directors’ remuneration, see C. Andres, E. Theissen Setting a Fox to Keep the Geese – Does the Comply-or-Explain Principle Work?, Journal of Corporate Finance, Vol. 14, 2008, pp. 289. 101 A. De Jong, D. V. Dejong, G. Mertens, C. E. Wasley The role of self-regulation in corporate governance: evidence and implications from The Netherlands, Journal of Corporate Finance, 11 (2005) 473. 102 See E. Fernandez-Rodriguez, S. Gomezanson, A. Cuervo-Garcia The Stock Market Reaction to the Introduction of Best Practices Codes by Spanish Firms, Corporate Governance – An International Review, vol. 12, 2004, n° 1. 103 Alves and Mendes Corporate Governance Policy and Company Performance: The Portuguese Case, Corporate Governance: An International Review 12, 290–301, 2004. 104 See G. Bruno and S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing?, op. cit. (fn. 96). 105 Gillan, S., J. Hartzell and L. Starks 2003 Explaining corporate governance: boards, bylaws, and charter provisions, Working Paper, University of Delaware and University of Texas; V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing?, op. cit. (fn. 96). 106 For Germany, see E. Nowak, R. Rott, T. G. Mahr Does self-regulation work in a civil law country? An empirical analysis of the declaration of conformity to the German Corporate Governance Code, op. cit. (fn. 100); C. Andres, E. Theissen Setting a Fox to Keep the Geese – Does the Comply-or-Explain Principle Work?, op. cit. (fn. 100); for the Netherlands, A. De Jong, D. V. Dejong, G. Mertens, C. E. Wasley The role of self-regulation in corporate governance: evidence and implications from The Netherlands, Journal of Corporate Finance, 11 (2005) 473. Adde Can European Comply or Explain?, KPMG’s Audit Committee Institute Focus, February 2008.

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Leaving aside this rather over-blown legal distinction between common law and civil law countries,107 which is often confused with the economic distinction between widely-dispersed and concentrated equity ownership systems, the evidence suggests that corporate governance codes, putting aside their soundness, especially their ability to provide solutions corresponding to the particular types of problems generated by corporate structures and the corporate structure and environment, require bite to have a positive economic effect.108 Indeed, if announcements of compliance have no positive impact on share prices, it can only mean that investors are not convinced, first, that the application of corporate governance code provisions alone will significantly improve their returns because of the limited impact or the considerable costs of these provisions; or, second, that a company’s public statements of compliance will be properly implemented and enforced. Obviously, the disciplining effect of the system is dependent on various interconnected legal and factual factors. As Voltaire said, “It is good to kill an admiral from time to time to encourage the others.” Two main factors play a critical role in the disciplining effect of the “comply or explain” principle. The first factor is the ability of market participants to effectively check a company’s compliance with corporate governance codes and to evaluate the reliability or credibility of a company’s compliance statements. Even if there is a correlation between a business’ corporate governance practices and its performance (e.g. independence of directors or of board committees 109), the message sent to the market in a compliance statement has to be credible. 107 See B. Grossfeld The Internal Dynamics of the European Community Law, 26 Int’L Law, 125 (1992); G. A. Bermann Comparative Law in the New European Community, 21 Hastings Int’L & Comp. L. Rev. 865 (1998); E. Örücü Family Trees for Legal Systems: Towards a Contemporary Approach, in M. Van Hoecke (ed.), Epistemology and Methodology of Comparative Law, Oxford, Hart, 2004, pp. 359; J. Husa Classification of Legal Families Today – Is it Time For a Memorial Hymn?, Revue internationale de droit compare, 2004.11; K. Pirsl Trends, Developments, and Mutual Influences between United States Corporate Law(s) and European Community Company Law(s), 14 Colum. J. Eur. L. 277, Spring, 2008; M. M. Siems, S. Deakin Comparative Law and Finance: Past, Present and Future Research, Draft July 2009 Journal of Institutional and Theoretical Economics (forthcoming); J. Armour, S. Deakin, P. Lele, M. M. Siems How Do Legal Rules Evolve? Evidence From a Cross-Country Comparison of Shareholder, Creditor and Worker Protection, ECGI Working Paper Series in Law, Working Paper N° 129/2009, July 2009; C. M. Bruner Power and Purpose in the “Anglo-American” Corporation, Washington & Lee Public, Legal Studies Research Paper Series, Working Paper No 2009-08, July 9, 2009; M. M. Siems Convergence in Corporate Governance: A Leximetric Approach, University of Cambridge, Centre for Business Research, August 6, 2009. 108 See E. Nowak, R. Rott, T. G. Mahr Does self-regulation work in a civil law country? An empirical analysis of the declaration of conformity to the German Corporate Governance Code, op. cit. (fn. 100). 109 J. Dahya, O. Dimitrov and J. J. McConnell (2006) Dominant Shareholders, Corporate Boards, and Corporate Value: A Cross-Country Analysis, ECGI Working Paper No 99/

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We know, for a fact, that companies tend to overestimate their own level of compliance, an inclination which has the advantage to exempt them from providing any further public explanation. There is also the risk that if they do not trust the ability of market participants to understand their reasons for non-complying, they will feel compelled to apply the whole code without much discernment and sometimes with a certain degree of hypocrisy.110 We also know that auditors or public authorities, and especially securities commissions, only play a limited role in this area.111 Securities commissions often lack the power, the will or the capabilities to do more than a formal compliance check.112 It seems, however, that public enforcement of corporate governance rules can play an important role via more informal channels (that is not through legal action and by persuasion rather than sanction). In the UK, where an independent regulator (the Financial Reporting Council) plays a crucial role in reviewing corporate governance rules without monitoring or enforcing their implementation by individual boards, the FSA is said to be currently investigating the corporate governance practices of listed companies, in an informal way. In this context, the role of private actors, particularly that of active institutional shareholders 113 and the financial press, remains crucial, as seen in the UK. After all, the liberal, democratic and decentralized side of the “comply or explain” principle derives, at least in theory, from the ability for the market (i.e. the directly-affected private interests) to evaluate the appropriateness of individual corporate governance practices. The second factor relates to the risks of non-compliance, whether in the form of legal consequences in the event of the wrongful non-compliance with 2005, at http://ssrn.com/abstract=887383; V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing?, op. cit. (fn. 96). 110 P. Coombes and Simon Chiu-Yin Wong Why Codes of Governance Work? McKinsey Quarterly, 2000, Number 2, at 43. 111 For its part, the FSA has announced that: it would make no judgment about the accuracy or adequacy of the compliance statement (which is left to the board of the company and for the shareholders); but that, where a company fails to include a corporate governance statement in the required form, it may make use of its powers, including its powers to impose fines against that company (formal check). In Spain, the securities commission has been mandated to follow up on these recommendations, and in the event that the company does not transmit its governance report or where the information is untrue, deficient or misleading, the commission can request specific information to be published. For Germany, see C. Andres, E. Theissen Setting a Fox to Keep the Geese – Does the Comply-or-Explain Principle Work?, op. cit. (fn. 100). 112 E. Wymeersch, op. cit. (fn. 21) p. 17; for the FSA, see K. Cearns, E. Ferran NonEnforcement Led Public Oversight of Financial and Corporate Governance Disclosures and of Auditors, op. cit. (fn. 16). 113 On the corporate governance preferences of institutional investors, see J. A. McCahery, Z. Sautner, L. T. Starks ECGI Working Paper Series in Finance, Working Paper N° 235/2009, February 2009.

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corporate governance statements (although litigation is still scarce in this field); or adverse economic, financial and reputational consequences of non-compliance with codes or statements (whether legal or illegal), through exposure to market judgment, peer pressure, name and shame techniques, media campaigns, or professional ratings.114 The intensity of this pressure will of course depend on: – the need for companies to obtain funds on the financial markets, or the fear of becoming a target on the market for control; – to a great extent, the economic performance of the company: “investors seem willing to accept a company’s judgment as regards substance (the optimal governance structure) when times are good, but are less (or not) willing to accept it when financial performance is poor (i.e. there is reversion to process)”.115 With performance becoming the ultimate test for the efficiency of non-compliant governance structures, the “comply or explain” legal requirement could deteriorate into a “comply or perform” market requirement.116 Finally, one should not underestimate social, political and cultural factors. When large controlling owners become politicians, the countervailing force provided by the government is lost, and the interests of minority shareholders are less likely to be protected. When the rich can influence the course of justice, litigation does not work.117 When enforcing institutions are corrupt, the level of enforcement may be endogenous.118 The importance of the general institutional environment explains why transplanting elements of one country’s legal system into another’s is not generally successful. To some extent, we should also expect this to be true for the “comply or explain” principle, originating in a country which distinguishes itself by its pragmatism, its economic liberalism, its long tradition of self-regulation, its corporate practice and the structure of its capital markets.

114 On the importance of the network effect and mutual observation between the various actors involved in the code regime, see D. Seidl Standard Setting and Following in Corporate Governance: An Observation-Theoretical Study of the Effectiveness of Governance Codes, op. cit. (fn. 8). 115 I. MacNeil and X. Li “Comply or Explain”: Market Discipline and Non-Compliance with the Combined Code, op. cit. (fn. 77). 116 I. MacNeil and X. Li, ibid. 117 E. Glaeser, J. Sheinkman and A. Shleifer Injustice of Inequality, Journal of Monetary Economics: Carnegie-Rochester Series on Public Policy, January 2003. 118 D. Acemoglu and T. Verdier The Choice Between Market Failures and Corruption, March, American Economic Review Papers and Proceedings, volume 90, pp. 194, 2000.

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3. Impact of the current crisis on the sustainability of the “comply or explain” regulatory In 2000, the end of corporate law was announced.119 In 2007, the end of corporate governance law was proposed.120 Recent events could lead us to believe that, if convergence is happening, at least formally, with the proliferation of corporate governance codes around the world, the disappearance of hard law as a source of corporate governance regulation is now, more than ever, off the agenda. For one thing, the conditions necessary for self-enforcement do not appear to be present in all countries, and effective compliance seems to be higher within a legal environment that is not afraid to bear its teeth! Positive incentives could also be considered in order to promote self-enforcement: e.g. the creation of special segments of stock markets or indices 121 or tax breaks for companies which apply sound corporate governance practices. Needless to say that effective enforcement is a key for the success of a disclosure regulation such as the new “comply or explain” procedure,122 and is indeed a prerequisite if this principle is ever to be seen as a credible component of, or even a credible alternative basis for, public company regulation.123 As a traditional characteristic of the common law rather than civil law, “more intensive enforcement efforts are a necessary corollary of the greater flexibility they allow to market participants”.124 Past national experience, that of Germany for example, teaches us that an insufficient level of compliance with a voluntary code often serves as a justification for its replacement by standard law.125 Secondly, the current distrust of self-regulation and self-enforcement resulting from the loss of confidence in the financial markets is paving the way for a re-legitimation of legal intervention,126 and maybe even especially, 119 See H. Hansmann, R. Kraakman The End of History for Corporate Law, Georgetown Law Journal, vol. 89, pp. 439. 120 S. A. Ramirez The End of Corporate Governance Law: Optimizing Regulatory Structures For A Race To The Top, 24 Yale J. on Reg. 313, Summer 2007. 121 See L. A. Bebchuk, A. Hamdani The elusive quest for global governance standards, University of Pennsylvania Law Review (2009) volume 157, issue 5, p. 1263; L. Bebchuk, A. Cohen, A. Ferrell What Matters in Corporate Governance?, Review of Financial Studies, Volume 22, Number 2, February 20, 2009, pp. 783. 122 See gen. J. Lenoble Norme et action, Corporate governance et procéduralisation contextuelle, CPDR, Louvain-la-Neuve, 1999. 123 V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing? op. cit. (fn. 96). 124 J. C. Coffee, Jr. Law and the Market: The Impact of Enforcement, op. cit. (fn. 17). 125 On compensation disclosure, see C. Andres, E. Theissen Setting a Fox to Keep the Geese – Does the Comply-or-Explain Principle Work?, Journal of Corporate Finance, Vol. 14, 2008, pp. 289. 126 See E. Hupkes Regulation, Self-Regulation or Co-Regulation?, J.B.L. 2009, 5, 427–446, 2009; L. Enriques Regulators’ Response to the Current Crisis and the Upcoming

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in the troubled waters of corporate governance.127 Corporate lawyers, who feared that the regulation of listed companies would fall outside the ambit of company law and eventually decay due to the soft regulation of securities, will be reassured.128 For others, it may be a cause for concern.129 Since the optimal level of enforcement remains unknown, it is likely that we will see attacks on self and soft regulation, and demands for a tougher approach to corporate governance. And such demands are already being made, as evidenced by the increased political pressure for stricter controls over executive remuneration in listed companies.130 The best example was given by French President, Nicolas Sarkozy, in his address given in Toulon on September 25, 2008, where he started his first important speech on the financial crisis by saying: “using self-regulation to solve all problems is over” (as if it were ever the case!). He then added, when discussing executive compensation, that if professionals could not set acceptable guidelines, the problem would be solved through legal intervention (so much for the constitutional separation of powers between the legislative and the executive branches!). That being the definition of self-regulation! But the contradiction may be simply superficial when self-regulation of corporate governance appears to be so severely constrained by the government. Reregulation of Financial Markets: One Reluctant Regulator’s View, 30 U. Pa. J. Int’l L. 1147, Summer 2009; S. L. Schwarcz Systemic Risk, The Georgetown Law Journal, Vol. 97:193 (2008). 127 See e.g. L. M. Musikali Why Criminal Sanctions Still Matter In Corporate Governance, I.C.C.L.R. 2009, 20(4) 133, 2009; E. Wymeersch Corporate Governance and Financial Stability, Financial Law Institute, Working Paper Series, WP 2008-11, Gent University, Oct. 2008. 128 On the relationship between capital market regulation and corporate law, see e.g. R. Buxbaum, K. J. Hopt Legal Harmonization and the Business Enterprise. Corporate and Capital Market Law Harmonization Policy in Europe and the U.S.A. (Walter de Gruyter, 1988); E. Wymeersch Company Law in the 21st Century, Université de Gent, oct. 1999; A. Pietrancosta Le droit des sociétés sous l’effet des impératifs financiers et boursiers, éd. Transactive, 2000, et Lulu.com; F. Kübler ‘The Impact of Equity Markets on Business Organization: Some Comparative Observations Regarding Differences in the Evolution of Corporate Structures’, (2001) 2 European Business Organization Law Review [EBOR] 669–683; N. Moloney ‘New Frontiers in EC Capital Markets Law: From Market Construction to Market Regulation’ (2003) 40 Common Market Law Review 809–843; for the U.S., see only R. Romano ‘The Sarbanes-Oxley Act and the Making of Quack Corporate Governance’ (2005) 114 Yale L. J. 1521–1611; E. Wymeersch Corporate Governance and Financial Stability, Financial Law Institute, Working Paper Series, WP 2008–11, Université de Gent, Oct. 2008. 129 See, on the marginal role of corporate governance failures in the current crisis, B. R. Cheffins Did Corporate Governance “Fail” During the 2008 Stock Market Meltdown? The Case of the S&P 500, SSRN, May 2009; or The Turner Review. A regulatory response to the global banking crisis, FSA, March 2009, at 79 seq. 130 For Germany, see C. Andres, E. Theissen Setting a Fox to Keep the Geese – Does the Comply-or-Explain Principle Work?, op. cit. (fn. 100). For France, see the countless proposals for reforms in A. Pietrancosta L’équilibre entre droit des sociétés fermées et droit des sociétés ouvertes, in La crise économique et financière de 2008–2009 : l’entrée dans le XXIe siècle, to be published in 2010.

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An innovative legislative process is thus being established whereby national legislators explicitly set goals for private standards-setters and implicitly set the level of required compliance, warning of intervention in the event of under-achievement – with the imaginable collective action problems (freerider opportunities, prisoners’ dilemmas etc.) between companies. Due to this diminishing acceptance, self-regulation, which has always been used to preempt government intervention,131 may now turn into a government-controlled laboratory for hard legislation.132 If non-binding codes are not a source of law in the formal or positivist sense of the expression, they will increasingly be viewed as a source of legislative inspiration, in a constructivist sort of way.133 In this “governance with the government” context, “comply or explain” will be reduced to “comply or complain” or more likely “comply and complain”! The risk is that the current demand for intrusive regulation, and the illusion that hard law is the best way to solve the crisis and prevent further scandals, are the result of cognitive biases (especially of a confirmation bias) rather than rational legal and economic analysis. Rationality should induce lawyers to give this newborn European “comply or explain” regulatory method a chance,134 as long as it is not empirically proven to be less efficient than substantive regulation,135 in the hope that the current crisis has not already rendered it a stillborn system.

131 See J. W. Maxwell et al. Self-Regulation and Social Welfare: The Political Economy of Corporate, 43 J.L. & Econ. 583, 613 (2000); A. Indira Anand An Analysis of Enabling vs. Mandatory Corporate Governance: Structures Post-Sarbanes-Oxley, 31 Del. J. Corp. L. 229, 2006. 132 P. Coombes and S. Chiu-Yin Wong Why Codes of Governance Work?, op. cit. (fn. 110): “Legislation and government regulations, we believe, should provide a floor: minimum standards for issues such as financial reporting, auditing requirements, and the frequency and content of shareholder meetings. Corporate-governance codes, by contrast, can encourage best practices in these and other areas”. 133 D. M. Trubek, P. Cottrell and M. Nance “Soft Law” “Hard Law” and European Integration: Toward a Theory of Hybridity, April 2005. 134 See EU Commissioner for Competition and the Internal Market Charlie McCreevy’s speech at the ICSA’s EU Summit in Brussels on October 8, 2008, entitled ‘Comply or Explain – making it work across Europe’; adde D. Wright Roundtable on Directors’ Remuneration, European Commission, March 23, 2009; Statement of the European Corporate Governance Forum on Director Remuneration, Brussels, March 24, 2009. 135 The EU Commission has called for an outside study, due at the end of 2009, on the functioning of corporate governance mechanisms in the EU, and in particular the “comply or explain” principle, see European Corporate Governance Forum, Annual Report 2008, May 2009. On the relative incapacity of legal protection to substitute weak corporate governance practices and the economic costs of overregulation where sound corporate governance practices are in place, see V. G. Bruno, S. Claessens Corporate Governance and Regulation: Can There Be Too Much of a Good Thing? op. cit. (fn. 96).

Drag along- und Call-Option-Klauseln in der GmbH-Satzung Hans-Joachim Priester I. Thema Der Titel verrät, worum es hier gehen soll, nämlich die Einpassung von Instrumenten der angelsächsischen Vertragspraxis in das deutsche Gesellschaftsrecht. Die beiden genannten Klauseln bilden einen Ausschnitt aus dem Arsenal der Regelungen für Wagnis-Kapital-Beteiligungen. Dazu hat sich der Typus des Venture-Capital-Vertrages entwickelt. Bei ihm handelt es sich um schuldrechtliche Absprachen zwischen einem Investor und den bisherigen Gesellschaftern, nicht selten den Gründern, eines neu errichteten Unternehmens. Dieser Vertragstyp ist – wie so mancher andere auch 1 – quasi in das deutsche Recht importiert worden. Die Übernahme US-amerikanischer Rechts-Bausteine in deutsche Verträge wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Eine wichtige Konstellation bilden Rechtsbegriffe, für die das Pendant im deutschen Recht unklar ist oder auf Schwierigkeiten stößt. Als Beispiele seien etwa das memorandum of understanding oder die condition precedent genannt. Für ersteres ist unklar, ob es einer deutschen Punktatition gleichkommt. Die letztere ist mit einer aufschiebenden Bedingung nicht ohne weiteres gleichbedeutend, da bei ihrem Eintritt nicht automatisch der dingliche Vollzug in Kraft tritt.2 Bei den nachstehend zu betrachtenden Drag along- und Call option-Klauseln liegt es insofern etwas anders. Sie werden hier nicht derart im Sinne von termini technici gebraucht, dass ihr begriffliches deutsches Gegenstück gesucht wird. Vielmehr werden die Bezeichnungen als „Etikett“ für bestimmte Regelungen in Venture-Capital-Verträgen oder der eben in GmbHSatzungen verwendet. Deren gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit und ihre Grenzen bilden den Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen. Wenn diese in einer Festschrift für Klaus Hopt angestellt werden, so geschieht dies in Verehrung für den großen Brückenbauer zwischen dem deut1

Angeführt seien nur Leasing, Franchising oder Factoring. Dazu und weiteren Beispielen der Angloamerikanisierung der Vertragspraxis Merkt ZHR 171 (2007), 490, 500 ff. Monographisch v. Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008; Beispielsfall Aktienrecht, § 3 S. 63–283. 2

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schen und dem amerikanischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Lehre und Schrifttum.

II. Sachverhalte 1. Drag along Unter dem Stichwort „drag along“ verbergen sich Mitveräußerungspflichten bestimmter Gesellschafter. Sie dienen dem Ausstieg („Exit“) der Finanzinvestoren aus dem Engagement in der Gesellschaft. Diese sind regelmäßig oder zumindest ganz überwiegend nicht an einen längerfristigen strategischen Beteiligung am Unternehmen der Gesellschaft interessiert, sondern daran, ihr Investment nach einem selbst vorgegebenen Zeitraum mit Gewinn zu beenden. Mittel dazu kann einmal der Börsengang des Unternehmens sein, im Jargon „IPO“ 3 genannt, bei der GmbH natürlich erst nach einem entsprechenden Formwechsel in die Rechtsform der Aktiengesellschaft. Möglich ist aber auch, und das interessiert hier, der Verkauf seiner Anteile seitens des Investors an einen Dritten, wiederum im Jargon mit „Trade sale“ bezeichnet. Solchenfalls wird der Erwerber zumeist daran interessiert sein, sämtliche Anteile an der Gesellschaft zu bekommen. Das aber lässt sich nur realisieren, wenn der Investor von seinen Mitgesellschaftern verlangen kann, ihre Anteile gleichfalls zu verkaufen. Die Ausgestaltung solcher Klauseln ist nicht einheitlich. So können insbesondere unterschiedliche Voraussetzungen vorgesehen werden, unter denen der Berechtigte die Mitveräußerung verlangen kann. Dazu lässt sich etwa festlegen, dass der Kaufpreis, bei dem die Mitveräußerung verlangt wird, von einem neutralen Dritten zu überprüfen ist. Regeln lässt sich auch, dass die Verpflichteten umgekehrt ihrerseits das Recht haben, die Anteile des Berechtigten zu übernehmen.4 Das Gegenstück zu derartigen Mitverkaufspflichten bildet das Recht, die eigenen Anteile gleichfalls zu verkaufen, wenn andere Gesellschafter einen Käufer gefunden haben. Man nennt so etwas Take along-Klauseln.5 Sie können sich für die Verpflichteten insofern negativ auswirken, als sie ihre Anteile möglicherweise nicht voll absetzen können, wenn die Käufer nur einen Teil der Anteile an der Gesellschaft übernehmen wollen. Das hier im Mittelpunkt stehende Problem der Hinauskündigung stellt sich bei ihnen aber nicht. Sie sollen deshalb im Folgenden nicht weiter erörtert werden. 3

Initial Public Offering. Wegen der Inhalte solcher Klauseln wird etwa verwiesen auf Seibt in: Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 2008, F. V. 2 § 5–5.2, S. 765; Weitnauer Handbuch Venture Capital, 3. Aufl. 2007, Anh. V, § 25, S. 492. 5 Das Mitveräußerungsrecht kann sowohl Minderheitsgesellschaftern eingeräumt werden, als auch dem Investor; vgl. Baumanns in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 1, 2004, § 28 Rn. 57; Seibt (Fn. 4), F. V. 2 Anm. 8, S. 771. 4

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2. Call option Bei ihr geht es darum, dass der Berechtigte vom Verpflichteten den Verkauf seiner Anteile an und die Übertragung auf sich verlangen kann. Zu definieren ist solchenfalls der Kaufpreis. Er wird in der Regel den Marktwert der Anteile zum Ausgangspunkt nehmen. Möglich ist aber auch, dass es sich um den Betrag handelt, den der Betroffene als Abfindung im Falle seines Ausscheidens aus einem anderen Grunde erhält, insbesondere im Falle der Einziehung. Geregelt sein können auch die Voraussetzungen, unter denen der Berechtigte von diesem Ankaufsrecht Gebrauch machen darf. Denkbar wäre eine zeitliche Limitierung, etwa für einen bestimmten Zeitraum seit Einstieg des Investors. Außerdem könnte das Recht daran gekoppelt werden, dass der Verpflichtete nicht mehr Geschäftsführer der Gesellschaft ist.6 In Betracht kommt ferner eine Anknüpfung an die Nichterreichung bestimmter wirtschaftlicher Ziele der Gesellschaft („Meilensteine“).7

II. Zulässigkeit und ihre Grenzen 1. Maßstab: Hinauskündigung Beiden Klauselgestaltungen ist gemeinsam, dass der Verpflichtete gegebenenfalls gegen seinen Willen aus der Gesellschaft ausscheiden muss. Im Ergebnis hat es der Berechtigte also in der Hand, inwieweit der betroffene Gesellschafter in der Gesellschaft bleibt oder nicht. Solche Befugnisse eines Gesellschafters oder auch einer Gesellschaftergruppe sind inzwischen seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung, nicht zuletzt derjenigen des Bundesgerichtshofes, und im Schrifttum unter dem Stichwort „Hinauskündigung“ ausführlich behandelt worden und Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen gewesen. In der bisherigen Debatte ging es dabei zumindest schwerpunktmäßig um das Recht, einen Gesellschafter aus der Gesellschaft auszuschließen. Hauptfälle waren geschenkte Anteile oder weitere besondere Umstände, die zur Aufnahme des Gesellschafters geführt hatten. In diesen Fällen ging es primär nicht um die vermögensmäßige Gesellschaftsbeteiligung des Verpflichteten, sondern um den Verbleib des Gesellschafters in der Gesellschaft. Insofern liegt es bei Drag along- und Call option-Klauseln in GmbH-Verträgen etwas anders. Hier dreht es sich darum, dass die Anteile auf einen Dritten oder den berechtigten Mitgesellschafter übergehen. 6

Dazu Seibt (Fn. 4), F. V. 2 § 4, S. 763 f. Vgl. Schäfer/Stephan Venture-Capital-Verträge, 2003, S. 33; Weitnauer (Fn. 4), Teil F Rn. 114, S. 289. 7

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Gemeinsam ist beiden Konstellationen das Zwangsausscheiden des Gesellschafters. Es erscheint daher möglich und auch erforderlich, an die in Rede stehenden Klauseln die gleichen Maßstäbe anzulegen, die für die sog. Hinauskündigungsklauseln zur Anwendung kommen.8 2. Entwicklung und Stand der Rechtsprechung a) Stationen Begonnen und lange Zeit dort stattgefunden hat die Judikatur im Recht der Personengesellschaften, konkreter der Kommanditgesellschaften, zunächst allerdings quasi mit umgekehrtem Vorzeichen. Anfangs hatte der BGH nämlich eine Vertragsklausel, wonach ein Kommanditist durch Mehrheitsbeschluss nach freiem Ermessen aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann, noch als zulässig eingestuft. Er sah ein „berechtigtes Interesse“ an solchen Regeln.9 Der Umschwung kam dann 1977. Jetzt hielt der BGH eine nicht an wichtige Gründe gebundene Ausschließungsregelung ohne „sachliche Rechtfertigung“ für „rechtlich bedenklich“. Sie greife in die Gesellschafterstellung ein und wirke sich freiheitsbeschränkend aus.10 Etwas später erklärte das Gericht dann eine auf das freie Ermessen abstellende Ausschlussklausel wegen Verletzung allgemeiner Prinzipien des Gesellschaftsrechts ausdrücklich für nichtig, soweit eine solche Regelung nicht wegen außergewöhnlicher Umstände sachlich gerechtfertigt sei. Zur Begründung hieß es, ein Gesellschafter könne seine Rechte und Pflichten in der Gesellschaft nicht ordnungsgemäß ausüben bzw. erfüllen, wenn über ihn ständig das „Damoklesschwert“ 11 einer grundlosen Ausschließung schwebe.12 Anschließend bestätigte der BGH diese Auffassung, berief sich aber solchenfalls auf einen Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB).13 In der Folge hat der BGH diese Grundsätze auf Publikums-Personengesellschaften 14 und atypische stille Gesellschaften 15 sowie – noch wichtiger – auf die GmbH übertragen, letzteres zuerst im Jahre 1990.16 Inzwischen sind maßgebliche Entscheidungen zur Hinauskündigung gerade auf dem Gebiet

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Wie hier Martinius/Stubert BB 2006, 1977, 1881 f.; Miesen RNotZ 2006, 522, 529. BGH, Urt. v. 16.12.1960, NJW 1961, 504; BGH, Urt. v. 7.5.1973, NJW 1973, 1606. 10 BGH, Urt v. 20.1.1977, BGHZ 68, 212, 215 = NJW 1977, 1292. 11 Dieses Bild stammte von Schilling ZGR 1979, 419, 426. 12 BGH, Urt. v. 13.7.1981, BGHZ 81, 263, 266 ff. = NJW 1981, 2565. 13 BGH, Urt. v. 25.3.1985, BB 1985, 1558 = JZ 1985, 1105 m. abl. Anm. Flume. 14 BGH, Urt. v. 3.5.1982, BGHZ 84, 11; BGH, Urt. v. 21.3.1988, BGHZ 104, 50. 15 BGH, Urt. v. 7.2.1994, BGHZ 125, 74 = ZIP 1994, 455. 16 BGH, Urt. v. 9.7.1990, BGHZ 112, 103, 108 = DB 1990, 1709; dazu Priester EWiR 1990, 1209. 9

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des GmbH-Rechts zu verzeichnen. Sie haben zwar – sogleich vorzustellende – Ausnahmen zum Gegenstand, lassen den Grundsatz aber ausdrücklich unverändert. b) Leitlinien Als Grundsatz und Leitlinie der Rechtsprechung des BGH lässt sich nach heutigem Stande festhalten: Eine Hinauskündigung, die nicht an das Vorliegen eines wichtigen oder jedenfalls sachlichen Grundes anknüpft, ist unzulässig. Anders liegt es nur dann, wenn solche voraussetzungslosen Ausschlussklauseln aufgrund außergewöhnlicher oder besonderer Umstände gerechtfertigt sind. Solchenfalls sind sie statthaft. Für die praktische Anwendung der Judikatur und damit auch für unser Thema muss es also darum gehen, die vom BGH zugelassenen Ausnahmen einer Besichtigung zu unterziehen. Betrachtet man das Gesamtbild, sind unterschiedliche Fallgruppen zu erkennen. Eine Rechtfertigung des Ausschlusses kann sich einmal aus besonderen personellen Momenten im Gesellschaftsverhältnis ergeben. So lag es im Falle der Einräumung einer vom berechtigten Gesellschafter voll finanzierten Gesellschaftsbeteiligung an seine Lebenspartnerin.17 Der BGH sah darin eine lediglich treuhandähnlich eingeräumte Gesellschafterstellung. Auf der gleichen Linie liegt es, wenn das OLG Karlsruhe 18 eine Bestimmung im Gesellschaftsvertrag gebilligt hat, wonach Schwiegerkinder, die ihre Kommanditbeteiligung unentgeltlich vom Ehepartner erhalten haben, bei Scheidung entschädigungslos aus der Gesellschaft ausscheiden. Ein wichtiger Fall der Relevanz persönlicher Beziehungen ist sodann die Einräumung einer Probezeit zum Kennenlernen des neuen Gesellschafters, in der die Möglichkeit einer gedeihlichen Zusammenarbeit, insbesondere unter Freiberuflern, geprüft werden soll.19 Weitere Rechtfertigungsgründe können sich nach der Rechtsprechung aus erbrechtlichen Bezügen ergeben. So wird es als zulässig angesehen, dass ein im Erbwege eingetretener Gesellschafter innerhalb eines angemessen kurzen Zeitraums aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird.20 Jenseits dieser tatbestandsbezogenen Ausschlussmöglichkeit hat der BGH im Anteilserwerb

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BGH (Fn. 16), BGHZ 112, 103, 110 f. OLG Karlsruhe, Urt. v. 12.10.2006, NZG 2007, 423; dazu Wälzholz NZG 2007, 416 ff. Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, Nassall NZG 2008, 851, 852 Fn. 20. 19 BGH, Urt. v. 8.3.2004, ZIP 2004, 903, 905 (Aufnahme in eine bestehende ärztliche Gemeinschaftspraxis); dazu Grunewald DStR 2004, 1750 ff.; Karsten Schmidt NJW 2005, 2801 ff.; BGH, Urt. v. 7.5.2007, DStR 2007, 1216, 1218 ff. (Aufnahme in eine bestehende ärztliche Einzelpraxis). 20 BGH, Urt. v. 19.9.1988, BGHZ 105, 213, 215 f. 18

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durch Erbfolge jedoch keinen Rechtfertigungsgrund für eine freie Hinauskündigung gesehen.21 Demgegenüber soll als Ausfluss der Testierfreiheit allerdings auch eine vom Erblasser testamentarisch angeordnete Hinauskündigungsklausel sachlich gerechtfertigt sein.22 Bedeutsam ist schließlich eine neuere Fallgruppe, die sich dahin charakterisieren lässt, dass die Mitgliedschaft in der Gesellschaft quasi als Annex 23 einer anderen vertraglichen Beziehung erscheint. Hierher gehören die viel erörterten Entscheidungen zu den Managermodellen, zu den Mitarbeitermodellen und zu Kooperationsverträgen. Dabei setzt die Argumentation des BGH trotz einer gleichen Grundlinie in allen drei Fällen unterschiedliche Akzente. Beim Managermodell 24 ging es darum, dass ein Handelsunternehmen seine Filialen in jeweils selbstständigen GmbH organisiert und deren Geschäftsführern eine Minderheitsbeteiligung an der Gesellschaft eingeräumt hatte, die mit der Beendigung der Geschäftsführerstellung an den Mehrheitsgesellschafter zurückzuübertragen war. Der BGH hielt dieses Ausscheiden für sachlich gerechtfertigt, da die GmbH-Beteiligung der Bindung des Geschäftsführers an das Unternehmen, seiner Motivationssteigerung und wegen der Gewinnausschüttungen der Belohnung für geleistete Dienste diene. Ende die Geschäftsführerstellung, müsse der Mehrheitsgesellschafter dann aber die Möglichkeit haben, den Nachfolger im Amt in gleicher Weise zu beteiligen. Ein wenig unterschiedlich sah es beim Mitarbeitermodell 25 aus. Hier war verdienten Mitarbeitern eine Gesellschafterstellung in der GmbH eingeräumt worden, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückzugeben war. Der BGH verneinte in diesem Fall schon die Möglichkeit zu willkürlichem Handeln des Berechtigten, da zu Gunsten des Arbeitnehmers die Regeln des Kündigungsschutzes eingreifen. Noch etwas anders lag die Sache in dem nur kurz zuvor entschiedenen dritten Fall.26 Darin ging es um die Verknüpfung der Gesellschafterstellung 21

BGH (Fn. 12), BGHZ 81, 263, 270. BGH, Urt. v. 19.3.2007, DStR 2007, 914, 915 f. – Grünes Leihhäuser; dazu Marotzke/ Dobler EWiR 2007, 391 f. 23 So ausdrücklich BGH, DB 2005, 2401, 2403 (Managermodell, Fn. 24), im Anschluss an Habersack ZGR 2005, 451, 461 ff.; Kowalski/Bormann GmbHR 2004, 1438, 1440 f.; Bütter/Tonner BB 2005, 283, 284 f.; zum „nebenher laufenden Vertragsverhältnis“ Grunewald in: FS Priester, 2007, S. 123, 126 ff. 24 BGH, Urt. v. 19.9.2005, BGHZ 164, 98 = DB 2005, 2401; dazu zust. etwa Gehrlein BB 2005, 2433 f.; Goette DStR 2006, 139 ff.; Hohaus/Weber NZG 2005, 961 ff.; Sosnitza DStR 2006, 100 ff.; Schneider/Wiechers DB 2005, 2450 ff.; abl. dagegen Binz/Sorg GmbHR 2005, 893 ff. Mit dem Urteil ist der BGH von der Vorinstanz (OLG Frankfurt, Urt. v. 23.6.2004, ZIP 2004, 1801) abgewichen und hat zugleich das OLG Düsseldorf (Urt. v. 16.1.2004, ZIP 2004, 1804) bestätigt. 25 BGH, Urt. v. 19.9.2005, BGHZ 164, 107 = DB 2005, 2401, 2404. 26 BGH, Urt. v. 14.3.2005, DB 2005, 937, 938. 22

Drag along- und Call-Option-Klauseln in der GmbH-Satzung

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mit dem gleichzeitigen Ausscheiden aus einem Kooperationsvertrag nationaler Paketdienste. Dieser Vertrag regelte im wesentlichen die gegenseitigen Rechte und Pflichten, während die Gesellschaft lediglich seiner Koordination diente. Gerade die letzte Rechtsprechungsentwicklung zeigt, dass die vom BGH zugelassenen Ausnahmen vom Grundsatz des Hinauskündigungsverbots keinen Numerus Clausus bilden, sondern einer Erweiterung auf neu ins Visier geratene Tatbestände offen sind. c) Kritische Anmerkungen Die vorstehend skizzierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den Hinauskündigungsklauseln hat nicht nur viel Zustimmung im Schrifttum gefunden,27 sondern ist bekanntlich auch Gegenstand lebhafter Kritik geworden, die sich insbesondere auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit berufen hat.28 Die Inhaltskontrolle der Gesellschaftsverträge sei vielmehr durch eine Ausübungskontrolle im Einzelfall zu ersetzen.29 Eine Auseinandersetzung mit den in dieser Debatte ausgetauschten Argumenten kann nicht Aufgabe dieses Beitrags sein. Einige kritische Bemerkungen sind aber für die weiteren Überlegungen notwendig. Ausgangspunkt muss das Schutzgut der Rechtsprechung sein. Ihre Befürworter sprachen zunächst von einem Schutz der Minderheit,30 was sicher zutreffend ist, jedenfalls realitätsnäher als darin die Anerkennung „rechtsethischer Prinzipien“ zu sehen.31 Legt man die zentrale „Damoklesschwert“These des BGH 32 zu Grunde, scheint es richtiger, von einem Schutz der Gesellschaft als Institution und Einheit 33 oder von einem Schutz des „privatautonom gestalteten Verbandsrechts“ zu sprechen.34 Voraussetzung für eine solche Sichtweise ist aber, dass alle Mitgliedschaften zwar quantitativ unterschiedlich, qualitativ aber gleich sein müssten.35 27 Hopt in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 140 Rn. 30 f.; Lorz in: Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2008, § 140 Rn. 53 ff.; Ulmer/Schäfer in: MünchKomm BGB, 5. Aufl. 2009, § 737 Rn. 19; Lutter in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34 Rn. 27; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, 1980, § 7 III 2 a cc; Heinemann ZHR 155 (1991), 447, 457 ff.; Hennerkes/Binz NJW 1983, 73, 76 ff. 28 Etwa: Bunte ZIP 1983, 8, 15 ff.; Flume DB 1986, 629, 632 ff.; Koller DB 1984, 545 ff.; Kreutz ZGR 1983, 109, 113 f.; Loritz JZ 1986, 1073, 1075 f.; Priester DNotZ 1989 (Sonderheft), 97, 101 ff. 29 In jüngerer Zeit vor allem Benecke ZIP 2005, 1437, 1439 ff.; Böttcher NZG 2005, 992, 995; Drinkuth NZG 2006, 410, 412; Habersack/Verse ZGR 2005, 451, 465; Schockenhoff ZIP 2005, 1009, 1015; früher schon Zöllner in: FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 85, 109 ff. 30 So insbesondere Schilling ZGR 1979, 419, 422. 31 Wie Wiedemann ZGR 1980, 147, 150 ff. sie postuliert hatte. 32 Zuerst BGH (Fn. 12), BGHZ 81, 263, 268. 33 Behr ZGR 1985, 475, 493; ders. ZGR 1990, 370, 375 ff. 34 Ulmer/Schäfer (Fn. 27), § 737 Rn. 19. 35 Das ist offenbar die Sichtweise von Nassall NZG 2008, 851, 854.

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Darüber, ob das wirklich so zu sein hat, ist unter dem Stichwort des „Gesellschafters minderen Rechts“ ausgiebig diskutiert worden.36 Die Gegner einer Zulässigkeit hatten es dadurch leicht, dass dieser Begriff „juristische Beschützerinstinkte“ 37 wecken könnte. Vielleicht sollte man deshalb besser einen neutraleren Ausdruck wählen und etwa von „abgestuften“ Mitgliedschaften sprechen. Die materielle Gleichrangigkeit erscheint nämlich so ausgemacht nicht, kennen wir doch die Möglichkeit, Mitgliedschaften gesellschaftsvertraglich mit Vorzügen auszustatten. Warum sollte da nicht auch das Gegenstück zulässig sein, nämlich Mitgliedschaften mit einem Minus gegenüber dem Standard? Was die hier interessierende Hinauskündigung anlangt, liegt ein entsprechender Vorschlag bereits auf dem Tisch. So hält Karsten Schmidt dafür, Gesellschaftsverträge könnten zulässigerweise „entziehbare Mitgliedschaften“ schaffen.38 Seien Gesellschafter von vornherein nur ein solches Gesellschaftsverhältnis eingegangen, bedürfe ihre Mitgliedschaft des Schutzes durch ein Ausschließungsverbot nicht. Das entspricht zwar nicht der herrschenden Meinung, ist aber richtig. Hinzu kommt ein Übriges: Auch zulässige Hinauskündigungsklauseln unterliegen nach der Rechtsprechung des BGH einer Ausübungskontrolle dahin, ob das Gebrauchmachen von ihnen im Einzelfall als missbräuchlich zu beurteilen ist.39 Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf gesellschafterliche Treuepflichten. Jedenfalls ist zu konstatieren, dass selbst beim Festhalten am Grundsatz eines Verbotes freier Hinauskündigung eine großzügige Handhabung sachlicher Rechtfertigungsgründe für entsprechende Klauseln geboten ist. Sie darf nicht auf die bisher durch den BGH entschiedenen Fallkonstellationen beschränkt bleiben, sondern muss neu auftauchenden Erfordernissen der Vertragsgestaltung Rechnung tragen. Letztlich spricht – um das zu wiederholen – auch der Verlauf Rechtsprechung dafür, dass sich der BGH neuen Sachverhalten nicht verschließen würde. Das gilt umso mehr, als das Gericht schon früh erklärt hat, die Frage nach den Voraussetzungen einer sachlichen Rechtfertigung könne nicht formelhaft, sondern stets nur unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls beantwortet werden.40 36 Diese Lehre wurde begründet von Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Band 1. Teil, Die Personengesellschaft, 1977, § 10 III, § 12 II; ders. NJW 1979, 902 ff.; kritisch dazu vor allem Huber ZGR 1980, 177, 193 ff.; zust. dagegen Altmeppen in: Roth/ Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 34 Rn. 41; ebenso monographisch Partikel Gesellschafter minderen Rechts im Recht der Personenhandelsgesellschaften, 1993, passim. 37 Formulierung von Huber ZGR 1980, 177, 196. 38 Karsten Schmidt in: MünchKomm HGB, 2. Aufl. 2006, § 140 Rn. 103; vorsichtig zust. Lorz (Fn. 27), § 140 Rn. 54. 39 BGH (Fn. 19), ZIP 2004, 903, 905 f. 40 BGH (Fn. 20), BGHZ 105, 213, 217.

Drag along- und Call-Option-Klauseln in der GmbH-Satzung

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3. Subsumtion der Klauseln a) Drag along-Klauseln Betrachtet man die Mitveräußerungspflichten anhand der vorstehend umrissenen Kriterien der BGH-Rechtsprechung, könnte man meinen, gegen ihre Zulässigkeit beständen schon deshalb keine Bedenken, weil es sich bei ihnen gar nicht um Hinauskündigungsklauseln handle. Das Ausscheiden der Betroffenen stehe nämlich nicht im freien Ermessen des Berechtigten. Die Verkaufsentscheidung des Investors hänge vielmehr von objektiven Faktoren ab wie der Marktsituation, der Geschäftsentwicklung und des erzielbaren Preises.41 Dieser Gesichtspunkt ist sicher zutreffend. Gleichwohl liegt die Entscheidung, ob der Investor seine Anteile verkauft, nun einmal bei diesem und nicht bei den zur Mitveräußerung verpflichteten Gründern. Es mag auch sein, dass diese Klauseln nicht auf eine Disziplinierung der Betroffenen zielen – wenn das denn als Charakteristikum der Hinauskündigungsklauseln anzusehen sein sollte. Es bleibt aber dabei, dass die Gesellschafter aufgrund der Entscheidung des Mitgesellschafters gegen ihren Willen ausscheiden müssen. Damit ist freilich über die Zulässigkeit von Drag along-Klauseln noch nicht entschieden. Zu prüfen ist nämlich, ob sie nicht im Sinne der BGHRechtsprechung sachlich gerechtfertigt sind. In seinem Urteil zur Managerbeteiligung hat der BGH ausdrücklich auf das Geschäftsmodell des Berechtigten abgestellt.42 Dieser Gesichtspunkt lässt sich für unsere Frage fruchtbar machen. Ein Finanzinvestor verfolgt – wie dargestellt – in aller Regel mit seiner Beteiligung das Ziel eines kurz- oder jedenfalls mittelfristigen Ausstiegs aus der Gesellschaft unter Realisierung entsprechender Veräußerungsgewinne. Dazu die Gesellschaftsanteile der übrigen Gesellschafter heranziehen zu können, ist – wesentlicher – Teil seines geschäftlichen Konzepts. Entscheidend ist nun, dass sich die verpflichteten Gesellschafter durch die Aufnahme des Finanzinvestors auf dessen Zielsetzung einlassen. Wenn es klappt, also die Gesellschaft hinreichende Gewinne erzielt, erweist sich die Sache durchaus als ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Schließlich dürften die vom Investor eingeschossenen Mittel maßgeblich zum Erfolg beigetragen haben. Das gilt zumindest für die klassische Venture Capital-Konstellation des Zusammenschlusses von Gründern mit Geschäftsidee und Investoren mit entsprechenden finanziellen Mitteln.43 Hinzu kommt, dass der Finanzinvestor mit seiner Beteiligung, die regelmäßig ein Mehrfaches zumindest der Geldmittel seitens der Gründer beträgt, 41

So Martinius/Stubert BB 2006, 1977, 1982 f. BGH, Urt. v. 19.9.2005, DB 2005, 2401, 2403. 43 Die Zulässigkeit von Drag along-Klauseln bejahend auch Weitnauer (Fn. 4), Teil F Rn. 115, S. 289. 42

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ein deutlich größeres Risiko übernimmt. Geht man davon aus, dass ein Erwerber des Unternehmens für 100 % der Anteile einen besseren Kaufpreis zahlt, muss der Investor diesem nicht nur im Erfolgsfalle, sondern auch dann, wenn die Sache schiefgeht, also bei einem Notverkauf, sämtliche Anteile liefern können.44 b) Call option-Klauseln Bei ihnen zeigt sich ein etwas anderes Bild. Zunächst einmal kommt es sehr darauf an, wie diese Klauseln im einzelnen ausgestaltet sind. Besonderes Gewicht liegt dabei auf der vom Berechtigten zu zahlenden Gegenleistung für den Erwerb der Anteile des Verpflichteten. Eine Hinauskündigungsklausel in Gestalt des Drag along wurde vorstehend als sachlich gerechtfertigt angesehen, weil sie einen wichtigen Baustein im Geschäftsmodell des aus ihr berechtigten Investors darstellt. Es fragt sich, ob dies auch für eine Call option-Klausel gilt. Das lässt sich nicht ohne weiteres bejahen. Wenn es dem Investor nur darum gehen sollte, seinen Ausstieg dadurch zu erleichtern, dass er einem dritten Erwerber alle Anteile verschaffen kann, ließe sich das durch ein Drag along-Recht erreichen. Werden derartige Ankaufsregelungen jedoch an die Bedingung geknüpft, dass der Verpflichtete nicht mehr Geschäftsführer ist, dienen sie – dem Managermodell vergleichbar – für den Investor als Instrument, die Geschäftsführerstellung der Gründer und damit deren Engagement für das Unternehmen sicherzustellen. Darin dürfte eine sachliche Rechtfertigung aus dem Geschäftsmodell des Investors zu sehen sein, jedenfalls dann, wenn der Beitrag der Gründer im wesentlichen aus ihrer Geschäftsidee stammt. Deren Verwirklichung soll zumindest in der Anfangsphase von ihnen gewährleistet werden. Die sachliche Rechtfertigung dieser Klauseln wird deshalb befördert, wenn das Ankaufsrecht auf einige Jahre befristet wird, wobei allerdings 10 Jahre deutlich zu lang sein dürften, wenn man die Rechtsprechung des BGH zur Obergrenze für Gesellschafter auf Probe 45 zu Grunde legt. Eine solche Befristung vermeidet, dass die Betroffenen nach längerer Aufbauarbeit für die Gesellschaft aus dieser hinausgedrängt werden können. Bei den Call option-Klauseln stellt sich darüber hinaus die Frage des Entgelts, das der Verpflichtete für seinen Anteil erhält. Es liegt damit anders als bei den Drag along-Rechten, bei denen der Verkaufspreis – Umgehungen einmal ausgeschlossen – im Veräußerungsfalle individuell durch den erwerbenden Dritten bestimmt wird und auch für den Investor bindend ist. Im Falle von Ankaufsrechten müssen daher der Preis, jedenfalls aber der Modus seiner Ermittlung, bereits in der Satzung festgelegt werden. 44 45

Darauf haben Martinius/Stubert BB 2006, 1977, 1983 mit Recht hingewiesen. BGH (Fn. 19), ZIP 2004, 903, 905.

Drag along- und Call-Option-Klauseln in der GmbH-Satzung

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Insoweit ist zu verlangen, dass der Verpflichtete einen angemessenen Preis erhält. Der sollte grundsätzlich an den nach betriebswirtschaftlichen Regeln, etwa den vom Institut der Wirtschaftsprüfer erarbeiteten Grundsätzen der Unternehmensbewertung,46 ermittelten Marktwert der Beteiligung anknüpfen. Dabei kann nach dem Grund für die Beendigung der Geschäftsführerstellung differenziert und etwa bei Abberufung aus wichtigem Grund ein geringeres Entgelt vorgesehen werden.47 Inakzeptabel erscheint dagegen ein Abstellen auf einen deutlich darunterliegenden Wert, etwa gar den Buchwert der Beteiligung, und zwar selbst dann, wenn eine solche Abfindung für andere Fälle des Ausscheidens in der Satzung vorgesehen sein sollte. Nicht zu billigen sind auch voraussetzungslos ausübbare und dazu womöglich noch zeitlich nicht limitierte Call option-Klauseln. Hier wäre dem Berechtigten im Ergebnis für die Hinauskündigung ein freies Ermessen eingeräumt. Daran würde es nichts ändern, wenn dem Verpflichteten der volle wirtschaftliche Wert des Anteils zu vergüten sein sollte. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Hinauskündigungsklausel nämlich nicht darauf an, wie hoch die Gegenleistung bestimmt wird. Selbst wenn diese angemessen ausfällt, soll das einer ansonsten unwirksamen Klausel nicht zur Wirksamkeit verhelfen.48

IV. Einführung durch Satzungsänderung Beteiligt sich der Finanzinvestor bereits an der Gründung der Gesellschaft, kann er dafür sorgen, dass eine Drag along-Klausel oder eine – zulässige – Call option-Klausel bereits in den ursprünglichen Satzungstext Eingang findet. Das gilt erst recht, wenn er die Gesellschaft zunächst allein errichtet und die weiteren – geschäftsführenden – Gesellschafter erst nach Eintragung in das Handelsregister aufnimmt.49 Anders sieht es aus, wenn der Investor in ein bestehendes Unternehmen einsteigt. Solchenfalls kann er natürlich den Weg lediglich schuldrechtlicher Absprachen mit den Gründern bzw. bisherigen Gesellschaftern wählen, in denen er sich die entsprechenden Befugnisse zusichern lässt. Quasi in Parenthese ist hier zu bemerken, dass er den Restriktionen der Rechtsprechung 46

Niedergelegt im Bewertungsstandard IDW – S. 1, zuletzt abgedruckt in WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff. 47 Vgl. Seibt (Fn. 4), F. V. 2 § 4.3.2. bzw. 4.3.3. 48 BGH (Fn. 12), BGHZ 81, 263, 268 f.; bestätigt in BGH (Fn. 16), BGHZ 112, 103, 111; BGH (Fn. 24), BGHZ 164, 98 = DB 2004, 2401, 2403; a.M. etwa Grunewald Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987, S. 220 ff., 233 f.; Esch NJW 1979, 1390, 1391; Hirtz BB 1981, 761, 765; Krämer NJW 1981, 2553, 2555 ff. 49 Wie dies von Kästle/Heuterkes NZG 2005, 289, 994 f. empfohlen wird.

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gegenüber einer Hinauskündigung auf diesem Wege nicht entgeht. Der BGH hat nämlich klar ausgesprochen, dass die von ihm angeordneten Beschränkungen sowohl für gesellschaftsvertragliche als auch lediglich schuldrechtliche Abreden gelten.50 Hier soll es aber – wie im Titel des Beitrags angekündigt – allein um einschlägige Klauseln in der Satzung gehen. Sie haben für den Berechtigten den Vorteil, dass sie als korporative Satzungsbestandteile nicht nur den ihnen zunächst Unterworfenen, sondern auch dessen Rechtsnachfolger in den Anteil binden.51 Ihre Einfügung macht die Einhaltung des Verfahrens der Satzungsänderung erforderlich. Dazu bedarf es nicht nur eines notariell beurkundeten Beschlusses mit einer Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG), sondern – und das ist entscheidend – auch der Zustimmung der von ihr betroffenen Gesellschafter. Durch beide Klauseln wird die freie Veräußerlichkeit der Geschäftsanteile eingeschränkt. Gegen den Willen des Gesellschafters ist so etwas nicht zu bewerkstelligen. Das ergibt sich zwar nicht aus einem „Sonderrecht“ auf freie Übertragbarkeit,52 denn Rechte, die allen Mitgliedern zustehen, sind keine „Sonder“rechte. Auch aus der Vorschrift des § 53 Abs. 3 GmbHG lässt sich das Zustimmungserfordernis nicht unmittelbar herleiten, da es hier nicht um eine Leistungsvermehrung, sondern um eine Rechtsverkürzung geht.53 Die Zustimmung ist jedoch notwendig, weil die freie Veräußerlichkeit ein relativ unentziehbares, also nur mit Zustimmung des Betroffenen entziehbares Mitgliedschaftsrecht darstellt.54 Eine Drag along- und eine Call option-Klausel gehen über bloße Veräußerungsbeschränkungen sogar noch deutlich hinaus. Sie führen, falls der Berechtigte von ihnen Gebrauch macht, zum Verlust der Mitgliedschaft, sei es auch gegen eine wie immer geartete Entschädigung. Heranzuziehen sind deshalb zusätzlich die Grundsätze, die für die nachträgliche Einführung einer Einziehungsmöglichkeit gelten. Auch in einem solchen Falle ist nach zutreffender und ganz überwiegend vertretener Auffassung die Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter erforderlich.55 Eine andere Frage ist, ob ein betroffener Gesellschafter etwa der Einfügung einer derartigen Klausel in die Satzung zustimmen muss. Als Grundlage dafür käme die gesellschafterliche Treuepflicht in Betracht, die auch bei Satzungsänderungen eingreifen kann, sogar dann, wenn es sich wie hier um

50

BGH (Fn. 16), BGHZ 112, 103, 107; bestätigt in BGH (Fn. 24), BGHZ 164, 98. Etwa: Priester DB 1979, 681, 685 f. 52 So früher RG Urt. v. 4.4.1908, RGZ 68, 210, 212. 53 Die Rechtsverkürzung steht der Leistungsvermehrung nicht gleich, Priester/Veil in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 53 Rn. 54. 54 Dazu H. Winter/Seibt in: Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 14 Rn. 35 ff. 55 Priester/Veil (Fn. 53), § 53 Rn. 126 m.w.N. 51

Drag along- und Call-Option-Klauseln in der GmbH-Satzung

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einen Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaft handelt.56 Die Anwendung dieses Instruments ist natürlich auf besonders gelagerte Fälle beschränkt. In Venture Capital-Konstellationen, bei denen unsere Klauseln Verwendung finden, wird ein Finanzinvestor seine Mitwirkung nicht selten von ihrer Aufnahme in die Satzung abhängig machen. Das allein dürfte allerdings nicht ausreichen, von den übrigen Gesellschaftern entsprechende Satzungsänderungen zu verlangen. Hinzu kommen müsste, dass eine Mehrheit der Betroffenen mit den Klauseln einverstanden ist und das Unternehmen jedenfalls gedeihlich nur mit dem Investor fortgeführt werden kann. Dies wiederum ist jedoch von den Umständen des Einzelfalles abhängig.

V. Zusammenfassung Drag along- und Call option-Klauseln sind die Bausteine von Venture Capital-Beteiligungen. Sie verpflichten die betroffenen Gesellschafter, ihre Anteile auf Verlangen des Berechtigten zu veräußern und damit aus der Gesellschaft auszuscheiden. Derartige Regelungen müssen an den Grundsätzen gemessen werden, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für die Zulässigkeit der Hinauskündigung aufgestellt hat. Danach sind Klauseln, die den Berechtigten befugen, Mitgesellschafter nach freiem Ermessen aus der Gesellschaft auszuschließen, grundsätzlich unwirksam. Etwas anderes gilt nur dann, wenn entsprechende Vertragsbestimmungen wegen besonderer, in der Einräumung der Beteiligung liegender Umstände gerechtfertigt sind. Legt man diese Maßstäbe an die vorgenannten Klauseln an, so ergibt sich, dass Mitveräußerungspflichten (drag along) regelmäßig statthaft sind, Übernahmerechte (call option) dagegen allein dann, wenn sie von bestimmten sachlichen Voraussetzungen abhängig, zeitlich limitiert und nur gegen einen angemessenen Preis ausübbar sind. Sollen solche Klauseln nachträglich durch Satzungsänderung eingeführt werden, bedarf es dazu der Zustimmung der von ihnen Betroffenen.

56 Auch Eingriffe in den Kernbereich der Mitgliedschaft sind zulässig, wenn sie im Interesse der Gesellschaft geboten und dem Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sind; BGH, Urt. v. 10.10.1994, DB 1995, 90, 91 f.; dazu Priester EWiR 1995, 73 f. Das kann in besonders gelagerten Ausnahmefällen sogar die Pflicht umfassen, aus der Gesellschaft auszuscheiden, so jüngst BGH Urt. v. 19.10.2009 – „Sanieren oder Ausscheiden“, ZIP 2009, 2289 Tz. 23.

Eine empirische Abschätzung der Aussagekraft von Studien über den Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg Stefan Prigge 1 I. Einleitung 1. Einführung Der folgende Beitrag bietet eine empirisch basierte Abschätzung der Aussagekraft von empirischen Studien, die den Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg untersuchen. Dabei beschränkt sich der Beitrag auf die Forschung auf der Unternehmensebene, von der die CG-Forschung auf der Länderebene unterschieden werden kann. Die Forschung auf Länderebene betrachtet üblicherweise die CG-Charakteristika von Ländern oder Rechtsfamilien. Dagegen untersucht die Forschung auf Unternehmensebene die CG-Charakteristika von Unternehmen innerhalb eines Rechtsrahmens.2 Ein Kennzeichen der empirischen CG-Forschung auf der Unternehmensebene ist die große Spannbreite an Ergebnissen. Für fast jede CG-Komponente findet man Studien mit signifikantem positiven Regressionskoeffizienten wie auch Untersuchungen mit signifikantem negativen Regressionskoeffizienten und ebenfalls Arbeiten, die keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der betrachteten CG-Variablen und dem Unternehmenserfolg feststellen können.3

1 Dieser Beitrag basiert in wesentlichen Teilen auf der Habilitationsschrift (Prigge Corporate-Governance-Strukturen deutscher Unternehmen als System. Eine empirische Untersuchung. Habilitationsschrift Universität Hamburg, 2006) des Verfassers. 2 Zur Unterscheidung von Länderebene und Unternehmensebene als CG-Ebenen Prigge in Baum et al., Perspektiven des Wirtschaftsrechts, FS Hopt, 2008, S. 191–216, 191 f. m.w.N. 3 Denis Review of Financial Economics 2001, 191–212, 208 in ihrem Forschungsüberblick: „However, the existing evidence on many of the individual corporate governance mechanisms fails to establish a convincing link between these mechanisms and firm performance.“ Zur gleichen Einschätzung gelangen auch Coles et al. Journal of Management 2001, 23–50, 24, Becht et al. in: Constantinidis/Harris/Stulz, Handbook of the Economics, Vol. 1A, Corporate Finance, 2003, S. 1–109 und speziell für Deutschland R. H. Schmidt in Krahnen/R. H. Schmidt, The German Financial System, 2004, S. 386–424, 402.

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Stefan Prigge

Für den uneinheitlichen Befund sind viele Ursachen denkbar; einige seien exemplarisch genannt:4 Die Zusammenhänge zwischen CG-Komponenten und Unternehmenserfolg könnten nicht-linear sein. Oder die Zusammenhänge zwischen CG-Komponenten und Unternehmenserfolg sind im Zeitablauf nicht stabil. Die Demsetz-Hypothese 5 ist eine weitere Erklärung für die Uneinheitlichkeit der Forschungsergebnisse. Es ist natürlich auch denkbar, dass es gar keinen Zusammenhang zwischen einer bestimmten CGKomponente und dem Unternehmenserfolg gibt. Auch dann sind ab und zu positive oder negative Signifikanzen zu erwarten. Publikationsanreize in der Wissenschaft könnten dann weiter dazu führen, dass der Anteil von Studien mit signifikanten Ergebnissen in der veröffentlichten Forschung wesentlich größer ist als in den insgesamt betriebenen Analysen. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf eine weitere mögliche Ursache der Ergebnisvielfalt und schätzt ihre Bedeutung empirisch ab. Basis der folgenden Argumentation ist die Beobachtung, dass die CG-Forschung auf der Länderebene und die CG-Forschung auf der Unternehmenseben inkompatiblen Leitbildern folgen.6 Auf der Länderebene werden Wechselwirkungen zwischen den Komponenten einer CG-Struktur unterstellt. Auf der Unternehmensebene werden zwar zum größten Teil dieselben Komponenten untersucht, allerdings werden Wechselwirkungen zwischen den CG-Komponenten meistens ignoriert. In der empirischen Forschung auf der Unternehmensebene hat sich ein Standardforschungsansatz herauskristallisiert. Bøhren und Ødegaard charakterisieren ihn folgendermaßen: “… the economic approach takes the mechanisms as externally given, causation is supposed to run from governance to performance, and … the single-equation regression typically contains one or two mechanisms.” 7 Der Unternehmenserfolg wird auf ein bis zwei CG-Variable und einige Kontrollvariable regressiert. Es handelt sich um Ein- oder bestenfalls um Wenig-CG-Variablen-Ansätze. Typische Variable für den Unternehmenserfolg sind bilanzielle Erfolgsmaße wie Eigen- und Gesamtkapitalrentabilität, Unternehmenswertmaße wie Tobins Q und das

4

Prigge (Fn. 2) S. 209 f. Demsetz Journal of Law and Economics 1983, 375–390; Demsetz/Lehn Journal of Political Economy 1985, 1155–1177; Demsetz/Villalonga Journal of Corporate Finance 2001, 209–233. Die eigentlich auf den Zusammenhang der Aktionärsstruktur mit dem Unternehmenserfolg bezogene Hypothese lässt sich mit gutem Grund auf den Zusammenhang von CG-Komponenten generell mit dem Unternehmenserfolg übertragen. Danach sollte im Gleichgewicht kein Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und CGKomponenten empirisch zu messen sein. 6 Prigge (Fn. 2). 7 Bøhren/Ødegaard in Ali/Gregoriou, International Corporate Governance after Sarbanes-Oxley, 2006, S. 27–64, 34 f. So beschreiben auch Coles et al. (Fn. 3) S. 23 den üblichen Ansatz auf der Unternehmensebene. 5

Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg

1155

Markt-zu-Buchwert-Verhältnis des Eigenkapitals (MBVEK) und die Aktienrendite. Die überwältigende Mehrheit der Analysen wurde mit dem Standardforschungsansatz durchgeführt, obgleich die Verhältnisse auf der Unternehmensebene möglicherweise eher der auf der Länderebene vorherrschenden Systemperspektive entsprechen. Welche Konsequenzen Zusammenhänge zwischen CG-Komponenten für den Standardforschungsansatz haben könnten, sei an folgendem Beispiel erläutert: 8 Unterstellt man einem Großaktionär eine intensive und auch im Interesse der Streubesitzaktionäre liegende Überwachung des Vorstands, dann sollten – so die bekannte These von Berle und Means 9 – Unternehmen im Streubesitz weniger erfolgreich sein.10 Aber in Gesellschaften im Streubesitz könnten andere CG-Komponenten so ausgeprägt sein, dass sie die Interessen des Vorstands an die der Aktionäre annähern: So könnte die Unternehmensleitung durch obligatorischen eigenen Aktienbesitz und durch eine Vergütung, die an den Börsenwert der Aktien gekoppelt ist, in eine aktionärsähnliche Position gesetzt werden. Striktere Ausschüttungsregeln und die Bedrohung durch eine feindliche Übernahme, die bei umfangreicherem Streubesitz spürbarer ist, sind weitere Beispiele für Ausprägungen von CG-Komponenten, die den Spielraum der Unternehmensleitung für Aktionen gegen das Aktionärsinteresse verringern. Partiell betrachtet wären unterschiedliche Anteilsgrößen des Hauptaktionärs mit unterschiedlichen Überwachungsniveaus des Vorstands verbunden, was wiederum messbare Unterschiede im Unternehmenserfolg nach sich ziehen sollte. Aber mögliche Überwachungsdefizite bestimmter Anteilshöhen könnten in der Totalbetrachtung durch die Ausprägungen anderer CG-Komponenten kompensiert werden (Verfügbarkeit anderer CG-Komponenten 11). Ferner könnten Zusammenhänge zwischen CG-Komponenten dazu führen, dass identische Ausprägungen einer CG-Komponente unterschiedliche CG-Wirkungen entfalten. So erscheint es vorstellbar, dass die Überwachungswirkung eines Aktienanteils des Hauptaktionärs in Höhe von 30 % abnimmt, je stärker die Vorstandsvergütung an den Aktienkurs gekoppelt ist, weil beide Komponenten auf dasselbe Problem zielen. Je stärker bereits ein Instrument zur Problemlösung eingesetzt wird, desto geringer dürfte der Beitrag sein, den eine bestimmte Einsatzmenge eines zweiten, substitutiven Gegenmittels leisten kann (Interdependenz zwischen CG-Kom-

8 Prigge (Fn. 2) S. 210 f.; die folgende Erläuterung des Arguments basiert in wesentlichen Teilen auf dem dortigen Text. 9 Berle/Means The Modern Corporation and Private Property, 1939. 10 Der Konflikt zwischen Groß- und Streubesitzaktionären sei für das Beispiel vernachlässigt. 11 Agrawal/Knoeber Journal of Financial and Quantitative Analysis 1996, 377–397.

1156

Stefan Prigge

ponenten 12). Der Standardforschungsansatz könnte in der Regression des Unternehmenserfolgs auf die Anteilshöhe des Hauptaktionärs keinen statistisch signifikanten Zusammenhang feststellen, obwohl eine ökonomisch signifikante Beziehung bestünde. 2. Problemstellung Die empirischen Studien unterscheiden sich meist in vielen, potenziell ergebnis-relevanten Aspekten: in den Stichprobenunternehmen, im Untersuchungszeitraum, im Maß für den Unternehmenserfolg, im Umfang der berücksichtigten CG-Struktur, in den CG-Variablen, die die untersuchten CG-Komponenten abbilden sollen, in den berücksichtigten Kontrollvariablen, in der Methodik. Deshalb sind aus dem Vergleich zwischen den Studien üblicherweise nur oberflächliche Vermutungen über die Ursache der Ergebnisunterschiede möglich. Die vorliegende Untersuchung ist so konstruiert, dass Laborbedingungen hergestellt werden, um den Effekt eines einzelnen Aspekts isoliert betrachten zu können: Welchen Einfluss hat es auf den Zusammenhang zwischen einer CG-Variablen und dem Unternehmenserfolg, ob man neben dieser einen CG-Variablen noch andere Komponenten der CG-Struktur berücksichtigt oder nicht (Verfügbarkeit)?

II. Rahmendaten der Untersuchung13 1. Stichprobe Die Stichprobe umfasst börsennotierte deutsche Gesellschaften, die nicht dem Finanzsektor angehören. Der Untersuchungszeitraum läuft von 1996 bis 1999. Die Stichprobenzusammensetzung ändert sich von Jahr zu Jahr ein wenig, der Stichprobenumfang liegt zwischen 134 und 119. Insgesamt liegen der Untersuchung 518 Unternehmensjahre zugrunde. 2. Untersuchungsansatz Insgesamt 15 CG-Variable gehen in diese Untersuchung ein.14 Sieben von ihnen bilden die Basisspezifikation und bilden schon einen großen Teil der CG-Struktur eines Unternehmens ab. Sie stammen aus den Bereichen Aktien-

12

Bøhren/Ødegaard (Fn. 7). An dieser Stelle können die Rahmendaten der empirischen Untersuchung nur grob skizziert werden. Ausführliche Informationen enthält Prigge (Fn. 1) S. 308–352. 14 Details sind Fn. 16 zu entnehmen. 13

Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg

1157

konzentration, Aktionärstyp (zwei Variable), Ausschüttungen an Aktionäre, Gläubiger, Stimmenanteil Unternehmensleitung und Aufsichtsratsmitbestimmung. Acht weitere CG-Variable werden ebenfalls untersucht, sind aber aus untersuchungstechnischen Gründen nicht Teil der Basisspezifikation. Die acht CG-Variablen repräsentieren sieben weitere Bereiche der CGStruktur: Aktienkonzentration, Abhängigkeitssituation des Unternehmens, Divergenz zwischen Stimmen- und Kapitalanteil, Markt zur Konzentration von Streubesitz, Struktur Vorstand, Struktur Aufsichtsrat, Kreditinstitute (zwei Variable). Ausgangspunkt für die Untersuchung sind zwei unterschiedlich spezifizierte Regressionsanalysen Die eine Spezifikation ist ein Ein-CG-Variablen-Ansatz, der als Regressoren neben den Kontrollvariablen nur die in Rede stehende CG-Variable i enthält. Er wird als multivariater Ein-CGVariablen-Ansatz bezeichnet. (1) Unternehmenserfolg = Konstante + CG-Variable i + Kontrollvariable Daneben gibt es einen Viel-CG-Variablen-Ansatz, der zusätzlich zu den Bestandteilen des multivariaten Ein-CG-Variablen-Ansatzes noch alle CGVariablen der Basisspezifikation enthält, die sich nicht im multivariaten EinCG-Variablen-Ansatz befinden. Dieser Ansatz berücksichtigt die Verfügbarkeit alternativer CG-Elemente. (2) Unternehmenserfolg = Konstante + CG-Variable i + weitere CG-Variable aus der Basisspezifikation + Kontrollvariable Der Unternehmenserfolg wird mit drei verschiedenen Maßen erfasst: einem rein bilanziellen Maß (Gesamtkapitalrentabilität), einem Unternehmenswertmaß (Markt-zu-Buchwert-Verhältnis des Eigenkapitals, MBVEK) und einem Aktienmarktmaß (Aktienrendite). Für jede der 15 CG-Variablen wird ein Ergebnis mit dem multivariaten Ein-CG-Variablen-Ansatz und eines mit dem Viel-CG-Variablen-Ansatz ermittelt. In der ersten Spezifikation ist die in Rede stehende CG-Variable der einzige Regressor mit CG-Bezug, in der zweiten Spezifikation treten die sieben CG-Variablen der Basisspezifikation hinzu, so dass dann im Regressorensatz insgesamt acht CG-Variable enthalten sind.15 Um die Laborbedingungen zu erzeugen, ist es entscheidend, dass sich beide Spezifikationen einzig im Regressorensatz unterscheiden. Dann können ungleiche Ergebnisse eindeutig auf die Unterschiede im Regressorensatz zurückgeführt werden. Bestünden weitere Unterschiede zwischen den Spezifikationen, könnte der Schluss nicht mehr in dieser Absolutheit gezogen wer-

15 Wenn die interessierende CG-Variable Teil der Basisspezifikation ist, enthält der Regressorensatz des Viel-CG-Variablen-Ansatzes entsprechend nur sieben CG-Variable.

1158

Stefan Prigge

den. Die Ceteris-paribus-Bedingung ist bei der Partialbetrachtung der hier interessierenden Frage vollkommen erfüllt: Allein die Regressorensätze sind unterschiedlich. Das Vorgehen sei kurz an einem Beispiel erläutert: Die Bankverbindlichkeitenquote ist eine der beiden Variablen, die den CG-Bereich Kreditinstitute repräsentiert und nicht in der Basisspezifikation enthalten ist. Im multivariaten Ein-CG-Variablen-Ansatz ist die Bankverbindlichkeitenquote die einzige CG-Variable im Regressorensatz, im Viel-CG-Variablen-Ansatz kommen noch die sieben CG-Variablen der Basisspezifikation hinzu. In beiden Konstellationen wird der Zusammenhang zwischen Bankverbindlichkeitenquote und Unternehmenserfolg gemessen. Unterscheidet sich nun das Ergebnis für die Bankverbindlichkeitenquote in den beiden Ansätzen, dann kann das seine Ursache nur in den unterschiedlichen Regressorensätzen haben. Es macht einen Unterschied für die Messung des Zusammenhangs zwischen Bankverbindlichkeitenquote und Unternehmenserfolg, ob man die Verfügbarkeit anderer Komponenten aus der CG-Struktur der Unternehmen berücksichtigt oder nicht. Dabei wird für den Vergleich zwischen den beiden Ergebnissen für eine CG-Variable Unterschied folgendermaßen definiert: Ein wesentlicher Unterschied besteht, wenn für eine CG-Variable nur eine der beiden Spezifikationen zu einer Signifikanz führt oder es in beiden Spezifikationen eine Signifikanz gibt, aber das Vorzeichen des Regressionskoeffizienten wechselt. Der letzte Fall kommt in der Untersuchung nicht vor. Ein Regressionskoeffizient gilt hier als signifikant bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 10 % oder besser. Insgesamt werden drei Erfolgsmaße, 15 CG-Variable und vier einzelne Jahre geprüft. 3. Hypothesen Die zentrale Hypothese lautet: Hypothese 1: Der Zusammenhang einer CG-Komponente mit dem Unternehmenserfolg ist unabhängig von der übrigen CG-Struktur. Die Hypothese ist abzulehnen, wenn sich die Resultate von multivariatem Ein-CG-Variablen-Ansatz und Viel-CG-Variablen-Ansatz wesentlich unterscheiden. Dann wäre die Qualität der Ergebnisse von Ein- und Wenig-CGVariablen-Ansätzen als kritisch einzustufen, weil sie nur einen kleineren Ausschnitt der CG-Struktur berücksichtigen. Hypothese 1 lässt sich auf signifikante Resultate im multivariaten EinCG-Variablen-Ansatz zuspitzen: Hypothese 2: Obwohl der Standardforschungsansatz die CG-Struktur von Unternehmen nicht umfassend berücksichtigt, steht die Verlässlichkeit dort gefundener Signifikanzen nicht in Frage.

Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg

1159

Zur Überprüfung der Aussage kann für signifikante Regressionskoeffizienten im multivariaten Ein-CG-Variablen-Ansatz untersucht werden, wie oft sich ihr Resultat im Mehr-CG-Variablen-Ansatz wesentlich unterscheidet. Dabei fungiert der multivariate Ein-CG-Variablen-Ansatz als Stellvertreter für den Standardforschungsansatz. Allerdings berücksichtigt der Standardforschungsansatz zwar nur einen kleineren Ausschnitt der CGStruktur, aber manchmal durchaus auch mehr als eine CG-Variable. Deshalb ist der Standardforschungsansatz besser als Wenig- denn als Ein-CG-Variablen-Ansatz zu charakterisieren, zumal wenn man bedenkt, dass dort nicht selten noch die Verschuldung, die hier als CG-Bestandteil aufgefasst wird, als Kontrollvariable berücksichtigt wird. Aus diesem Grund ist die multivariate Ein-CG-Variablen-Spezifikation ein nachteiliger Repräsentant des Standardforschungsansatzes Aber der Standardforschungsansatz steht eindeutig näher beim multivariaten Ein- als beim Viel-CG-VariablenAnsatz, will man ihn in die beiden Spezifikationen dieses Beitrags einordnen. Macht man sich mit den erläuterten Einschränkungen die Gleichsetzung von multivariatem Ein-CG-Variablen-Ansatz und Standardforschungsansatz zu Eigen, dann erhält man durch die Kontrastierung einen Anhaltspunkt dafür, wie häufig Signifikanzen in Arbeiten, die dem Standardforschungsansatz folgen, in einer – vermutlich überlegenen – Viel-CGVariablen-Analyse verloren gingen. Daneben könnte auch ein genauerer Blick auf die Erfolgsmaße von Interesse sein: Hypothese 3: Von der Wirkung, die die übrige CG-Struktur auf den Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und einer bestimmten CGKomponente ausübt, sind alle Unternehmenserfolgsmaße gleichermaßen betroffen. Hier ist zu untersuchen, ob sich wesentliche Unterschiede zwischen den Resultaten der beiden Spezifikationen gleichmäßig auf die drei Erfolgsmaße verteilen. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei das MBVEK als enger Verwandter von Tobins Q, dem beliebtesten Maß im Schrifttum. Gleichfalls vielversprechend erscheint es, das Augenmerk auf einzelne CG-Komponenten zu richten: Hypothese 4: Der Einfluss der übrigen CG-Struktur auf den Zusammenhang zwischen Unternehmenserfolg und einer bestimmten CG-Komponente ist für alle CG-Komponenten gleich: Es gibt also nicht einzelne CG-Elemente mit großem autonomen Zusammenhang mit dem Unternehmenserfolg, während die Beziehung mit dem Unternehmenserfolg bei anderen CG-Bestandteilen stärker von der übrigen CG-Struktur abhängt. Anhaltspunkte über die empirische Fundierung der Hypothese kann man gewinnen, indem man vergleicht, ob wesentliche Unterschiede zwischen den Ergebnissen der beiden Spezifikationen in ähnlicher Weise bei allen CGVariablen auftreten.

1160

Stefan Prigge

III. Ergebnisse 1. Generelle Analyse (Hypothesen 1 und 3) Die folgende Tabelle zeigt stark zusammengefasst die Resultate für alle Gegenüberstellungen von multivariatem Ein-CG-Variablen-Ansatz und Mehr-CG-Variablen-Ansatz: Wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Regressionen CG-Variable

15 CG-Variable

Gesamtkapitalrentabilität (branchenadjustiert)

Aktienrendite

absolut prozentual

absolut prozentual

19

31,7 %

6

10,0 %

log. Markt-zuBuchwert-Verhältnis EK (branchenadjustiert) absolut prozentual 10

16,7 %

Summe aller Erfolgsmaße

absolut prozentual 35

19,4 %

Vor der Interpretation sei das Zustandekommen der Tabelle erklärt: Beispielsweise für die Gesamtkapitalrentabilität wird für das Jahr 1996 ihr Zusammenhang mit 15 CG-Variablen in den beiden Regressionsspezifikationen gemessen und verglichen. Gleiches wird für die Jahre 1997 bis 1999 durchgeführt. Insgesamt gibt es für die Gesamtkapitalrentabilität 60 Gegenüberstellungen. In 19 der 60 Gegenüberstellungen, das sind 31,7 %, gab es einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Spezifikationen, d.h. in einer Spezifikation war der Zusammenhang zwischen einer bestimmten CG-Variablen und der Gesamtkapitalrentabilität signifikant, in der anderen nicht. Ebenso wurde für die Aktienrendite und das MBVEK verfahren. Damit beläuft sich die Gesamtzahl der Gegenüberstellungen auf 180; davon wiesen 35 (19,4 %) wesentliche Unterschiede auf. Die Erfolgsmaße sind ungleich von wesentlichen Unterschieden zwischen den beiden Spezifikationen betroffen, was Hypothese 3 widerspricht. Bei der Gesamtkapitalrentabilität besteht in 31,7 % der Fälle (19 Fälle) ein wesentlicher Unterschied. In fast jeder dritten Auswertung findet sich damit ein Ergebnis, das mit Hypothese 1 inkompatibel ist, dass die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung anderer CG-Variabler keinen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis hat. Beim MBVEK sind diese Zahlen wesentlich geringer (16,7 %, zehn Fälle), bei der Aktienrendite nochmals niedriger (10,0 %, sechs Fälle). Die Signifikanz einer CG-Variablen unterscheidet sich zwischen Ein- und Viel-CG-Variablen-Spezifikation, beide jeweils mit Kontrollvariablen, in knapp jedem fünften Fall wesentlich. Als besonders anfällig erweist sich die Gesamtkapitalrentabilität, als außerordentlich robust die Aktienrendite. Zwischen beiden liegt das MBVEK als engster Verwandter von Tobins Q, dem häufigsten Erfolgsmaß im Schrifttum. Da sich beide Spezifikationen nur

Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg

1161

hinsichtlich der einbezogenen CG-Variablen unterscheiden, ist das Ergebnis ein starker Hinweis darauf, dass die Ergebnisse von Regressionsanalysen materiell davon beeinflusst werden können, ob die Verfügbarkeit alternativer CG-Variabler beachtet wird. 2. Anhaltspunkte für die Zuverlässigkeit des Standardforschungsansatzes (Hypothesen 2 und 3) Der vorherige Abschnitt befasste sich mit allen wesentlichen Unterschieden zwischen den beiden Regressionsspezifikationen. Dieser Abschnitt widmet sich einer Teilmenge daraus. In die Betrachtung gehen ausschließlich signifikante Regressionskoeffizienten der multivariaten Ein-CG-Variablen-Regression ein. Nur für sie wird geprüft, ob es beim korrespondierenden Regressionskoeffizienten in der Viel-CG-Variablen-Regression zu einer wesentlichen Änderung kommt, ob also die Signifikanz verschwindet. Die andere Möglichkeit, dass sich ein signifikanter Regressionskoeffizient mit umgekehrtem Vorzeichen ergibt, hat in dieser Untersuchung die Häufigkeit null. Wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Regressionen CG-Variable

15 CG-Variable

Gesamtkapitalrentabilität (branchenadjustiert)

Aktienrendite

absolut prozentual

absolut prozentual

16

50,0 %

4

30,8 %

log. Markt-zuBuchwert-Verhältnis EK (branchenadjustiert) absolut prozentual 6

35,3 %

Summe aller Erfolgsmaße

absolut prozentual 26

41,9 %

Die Tabelle wertet die Daten in der schon von der Tabelle aus dem vorherigen Abschnitt gewohnten Form aus. Der einzige Unterschied in der Berechnung liegt darin, dass die Bezugsgröße der Prozentangaben nicht alle im jeweiligen Zusammenhang betrachteten CG-Variablen sind, sondern nur diejenigen mit Signifikanz in der multivariaten Ein-CG-Variablen-Regression. So sind die Basis der Prozentangabe von 50 % bei der Gesamtkapitalrentabilität nicht alle 60 Gegenüberstellungen (jeweils 15 für die Jahre 1996 bis 1999), sondern die 32 Fälle, in denen in der multivariaten Ein-CG-Variablen-Regression ein signifikanter Zusammenhang zwischen CG-Variabler und Gesamtkapitalrentabilität zu messen ist. In 16 dieser 32 Fälle ist der Regressionskoeffizient in der Viel-CG-Variablen-Regression nicht mehr signifikant. Der Anteil wesentlicher Unterschiede liegt bei 41,9 %, was Hypothese 2 massiv widerspricht. Die Reihenfolge unter den Erfolgsmaßen (Hypothese 3) ändert sich im Vergleich zur vorherigen Auswertung nicht: Die Aktienrendite ist nach wie vor das robusteste Erfolgsmaß vor MBVEK und Gesamtkapitalrentabilität.

1162

Stefan Prigge

Folgt man der gewagten Gleichsetzung von Standardforschungsansatz und multivariater Ein-CG-Variablen-Spezifikation, dann legen die Ergebnisse die Vermutung nahe, dass sich zwei von fünf Signifikanzen (41,9 %) einer CG-Variablen, die mit dem Standardforschungsansatz ermittelt wurden, in einer – plausibleren – Mehr-CG-Variablen-Spezifikation wesentlich verändern würden, was in den bisherigen Untersuchungen bedeutet, dass die Signifikanzen verschwinden. Betrachtet man mit dem MBVEK nur den engsten Verwandten des am häufigsten gebrauchten Erfolgsmaßes Tobins Q, ist der Anteil wesentlicher Änderungen mit einem guten Drittel (35,3 %) nicht sehr viel niedriger. Von diesen Prozentsätzen ist allerdings noch ein Abschlag vorzunehmen, weil der Standardforschungsansatz tatsächlich ein Wenig- und kein Ein-CG-Variablen-Ansatz ist. Über die Höhe dieses Abschlags können seriös keine Schätzungen abgegeben werden. Aber in jedem Fall erbringt auch diese Gegenüberstellung starke Hinweise dafür, dass es einen Unterschied macht, ob man nur eine CG-Variable oder einen größeren Ausschnitt der CG-Struktur in der Untersuchung berücksichtigt. 3. Analyse einzelner Corporate-Governance-Variabler (Hypothesen 4 und 3) Nachdem der Vergleich zwischen den beiden Regressionsspezifikationen immer für die Gesamtheit aller 15 CG-Variabler durchgeführt worden ist, soll nun ein kurzer Blick auf die einzelnen CG-Variablen erfolgen. Die Tabelle zeigt die Resultate in stark komprimierter Form und bedarf der Erläuterung. Die Kürzel K1, K2 und K3 stehen für die drei möglichen Kategorien, wie sich das Resultat aus der multivariaten Ein-CG-VariablenRegression zum Resultat aus der Mehr-CG-Variablen-Regression für eine CG-Variable verhalten kann. K1: Regressionskoeffizient nur in einer der beiden Spezifikationen bei gleichem Vorzeichen signifikant, d.h. wesentlicher Unterschied; K2: Regressionskoeffizient in beiden Spezifikationen bei gleichem Vorzeichen signifikant; K3: Regressionskoeffizient in beiden Spezifikationen nicht signifikant. Die CG-Variablen werden knapp in einer Fußnote erläutert.16 Dazu ist anzumerken, dass das Untersuchungsziel darin besteht, 16 CG-Variable der Basisspezifikation: Stimmen aller Paketaktionäre kumuliert: Summe der Stimmen aller weisungsgebenden Paketaktionäre in %. Stimmenanteil Agent: durchschnittlicher Stimmenanteil des Aktionärstyps Agent auf der letzten Aktionärsebene in %; der Aktionärstyp Agent umfasst die Aktionärstypen Nichtfinanzunternehmen, Beteiligungsunternehmen, Banken, Versicherungen, Staat. Stimmenanteil natürlicher Personen: durchschnittlicher Stimmenanteil des Aktionärstyps natürliche Personen auf der letzten Aktionärsebene; der Aktionärstyp natürliche Personen umfasst die Aktionärstypen individuelle Anleger, Familien, Stimmen-Pools individueller Anleger. Dividendenquote: Dividendenausschüttungssumme/Vereinfachter Cashflow. Zinsdeckung: (Ergebnis gewöhnlicher Geschäftstätigkeit + Zinsen und ähnliche Aufwendungen – Steuern)/Zinsen und ähnliche

1163

Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg Häufigkeiten der Kategorien CG-Variable

Gesamtrentabilität (branchenadjustiert)

Aktienrendite

K1 K2 K3

K1 K2 K3

Stimmenanteile aller Paketaktionäre kumuliert

log. Marktzu-Buchwert-Verhältnis EK (branchenadjustiert) K1 K2 K3

K1 K2 K3

3

1

3

1

1

10

1

4

1

1

4

2

6

1

4

1

3

3

1

8

2

1

1

2

6

4

2

2

0

7

5

4

Stimmenanteil Agent

3

Stimmenanteil natürliche Personen

2

1

1

Dividendenquote

4

1

3

Zinsdeckung

4

1

3

1

2

1

Stimmenanteil Vorstand

2

2

1

Indikatorvariable Mitbestimmung nach MitbestG

1

1

2

1

Ind.var. zweitgr. Aktionär mit Organmitgliedschaft

1

2

1

Ind.var. Unternehmen abhängig (kumuliert) Anteil Stammaktien an allen Aktien

3

4 1

3

Ind.var. Aktionär mit absoluter Stimmenmehrheit

1

log. Vorstandsvergütung pro Kopf

1

3

log. Aufsichtsratsvergütung pro Kopf

3

1

Bankverbindlichkeitenquote

4

Stimmenanteil Finanzunternehmen

1

3

1

3

3

1

8

1

2

3

3

6

3

4

1

3

8

4

4

0

0

12

3

3

0

9

4

0

0

12

3

4

2

1

1

4 1

3

2

1

2

1

1

1

1

2

1

alle Erfolgsmaße

3

2

2

3

6

3

3

5

3

4

2

5

3

4

4

2

0

10

Aufwendungen. Stimmenanteil Vorstand: Stimmenanteile, die genau einem Vorstandsmitglied zugeordnet werden konnten. Indikatorvariable Mitbestimmung nach dem MitbestG: Binärvariable mit dem Wert eins, wenn die Gesellschaft dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt, d.h. 50 % der Aufsichtsratsmitglieder Arbeitnehmervertreter sind. Weitere CG-Variable außerhalb der Basisspezifikation: Indikatorvariable zweitgrößter Aktionär mit Organmitgliedschaft: Binärvariable mit dem Wert eins, wenn der zweitgrößte weisungsgebende Aktionär mit mindestens einem Mitglied von Vorstand oder Aufsichtsrat verbunden ist. Indikatorvariable Unternehmen abhängig (kumuliert): Binärvariable mit dem Wert eins, wenn ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag gemäß § 291 AktG vorliegt, wenn ein Abhängigkeitsbericht gemäß § 312 AktG vorliegt, wenn die Gesellschaft bei einem anderen und damit übergeordneten Unternehmen in den Jahresabschluss einbezogen wird (§ 291 Abs. 1 HGB) oder wenn die Dividende nicht von der Hauptversammlung der Gesellschaft, sondern von einem anderen Unternehmen bestimmt wird. Anteil Stammaktien an allen Aktien: Anteil Stammaktien an allen Aktien in %. Indikatorvariable Aktionär mit absoluter Stimmenmehrheit: Binärvariable mit dem Wert eins, wenn der weisungsgebende Hauptaktionär über die absolute Stimmenmehrheit verfügt. log. Vorstandsvergütung pro Kopf: natürlicher Logarithmus der Vorstandsvergütung pro Kopf. log. Aufsichtsratsvergütung pro Kopf: natürlicher Logarithmus der Aufsichtsratsvergütung

1164

Stefan Prigge

die Aussagekraft von CG-Studien abzuschätzen. Diese Variablen werden häufig in solchen Studien verwendet und sind deshalb hier geeignet. Ob sie tatsächlich geeignet sind, den Sachverhalt, den sie repräsentieren sollen, in adäquater Weise zu messen, ist dafür unerheblich. Zunächst zeigt sich auch in dieser Darstellung, dass Hypothese 3 für viele CG-Variable abzulehnen ist. Folglich wäre eigentlich eine nach Erfolgsmaßen getrennte Diskussion notwendig. Doch dafür ist an dieser Stelle nicht genügend Platz. Gleiches gilt für eine detaillierte Diskussion von Hypothese 4, denn man findet viele Unterschiede zwischen den CG-Variablen, so dass man eigentlich separat für jede CG-Variable nach Erklärungen dafür suchen müsste. Hier müssen generelle Anmerkungen genügen.17 Dazu ist es sinnvoll, sich die Aussage der drei Kategorien vor Augen zu führen. K1 zeigt an, dass der Zusammenhang der betreffenden CG-Variablen mit dem Unternehmenserfolg stark von der übrigen CG-Struktur abhängt. M.a.W., der Zusammenhang ist nicht autonom. Das ist bei einigen CG-Variablen zu beobachten, aber nie durchgehend über alle Erfolgsmaße. So ist die Bankverbindlichkeitenquote als Maß für die Bedeutung von Kreditinstituten als Gläubiger mit fünf von maximal zwölf Einträgen in Kategorie 1 mit am häufigsten vertreten, aber vier der fünf Einträge stammen von einem einzigen Erfolgsmaß, der Gesamtkapitalrentabilität. Das legt die Vermutung nahe, dass der Autonomiegrad des Zusammenhangs stark vom jeweils betrachteten Erfolgsmaß abhängt. Denn die Bankverbindlichkeitenquote weist beim MBVEK auch zwei Einträge in Kategorie 2 auf. Kategorie 2 repräsentiert in gewisser Weise das Gegenteil vom Kategorie 1. Kategorie 2 weist aus, dass der signifikante Zusammenhang zwischen CGVariabler und Unternehmenserfolg unabhängig davon vorliegt, ob die übrige CG-Struktur mit berücksichtigt wird oder nicht. Kategorie 2 deutet also auf einen stark autonomen Zusammenhang hin. Es mögen zwar auch Kreuzeffekte anderer CG-Variabler auf die Beziehung wirken, sie sind aber im Vergleich zum Zusammenhang zwischen CG-Variabler und Unternehmenserfolg nachrangig. Für solche CG-Variable sind auch multivariate Ein- und Wenig-CG-Variablen-Ansätze aussagekräftig, selbst wenn das Denkbild der CG-Forschung auf der Länderebene für die Unternehmensebene zutreffen sollte und Wechselwirkungen zwischen CG-Variablen bestünden. Auch bei Kategorie 2 fällt wieder die Unterschiedlichkeit der Resultate für die drei Erfolgsmaße auf. Aber es gibt mit der Zinsdeckung, die als Maß den Gläubigereinfluss abbildet, eine CG-Variable, die über alle Erfolgsmaße eine hohe Zahl von Einträgen in Kategorie 2 (sieben) und keinen in Kategorie 1 pro Kopf. Bankverbindlichkeitenquote: Verbindlichkeiten ggü. Kreditinstituten/Bilanzsumme. Stimmenanteil Finanzunternehmen: durchschnittlicher Stimmenanteil des Aktionärstyps Finanzunternehmen auf der letzten Aktionärsebene in %. 17 Eine ausführlichere Analyse dieser Hypothese findet sich in Prigge (Fn. 1) S. 315–343.

Zusammenhang zwischen Corporate Governance und Unternehmenserfolg

1165

aufweist. Damit ist die Zinsdeckung die einzige CG-Variable für die konsistent über alle Erfolgsmaße ein stark autonomer Zusammenhang mit den Erfolgsmaßen gemessen werden kann, wenn natürlich auch Unterschiede zwischen den Erfolgsmaßen hinsichtlich der Autonomiestärke zu konstatieren sind. Während die Zinsdeckung über alle Erfolgsmaße in dem Sinne konsistente Resultate liefert, dass nur eine der beiden Kategorien 1 und 2 Einträge aufweist, gibt es andere CG-Variable, bei denen man schon bei einem Erfolgsmaß inkonsistente Ergebnisse misst. Als Beispiel kann die Aufsichtsratsvergütung pro Kopf als Maß für die Anreize des Aufsichtsrats beim Erfolgsmaß MBVEK angeführt werden. In zwei Jahren ist der Zusammenhang zwischen beiden Größen stark autonom, in den beiden anderen Jahren dagegen stark von der übrigen CG-Struktur abhängig. Solche Ergebnisse sprechen gegen Hypothese 4. Bleibt schließlich noch Kategorie 3. Sie repräsentiert solche Fälle, in denen zwischen CG-Variabler und Unternehmenserfolg kein signifikanter Zusammenhang besteht, unabhängig davon, ob die übrige CG-Struktur mit in die Betrachtung einbezogen wird oder nicht. In jedem Jahr über alle Erfolgsmaße ist das bei den Binärvariablen ‚Unternehmen abhängig?‘ und ‚Aktionär mit absoluter Stimmenmehrheit vorhanden?‘ der Fall. Daneben gibt es auch wieder CG-Variable mit inkonsistenten Ergebnissen zwischen den Erfolgsmaßen oder sogar für ein einzelnes Erfolgsmaß.

IV. Zusammenfassung Ein Kennzeichen der empirischen CG-Forschung ist die große Spannbreite an Ergebnissen. Aus dem Vergleich zwischen den Studien kann man keine fundierten Vermutungen über die Ursache der Unterschiede anstellen, da sich die Studien meist in vielen, potenziell ergebnis-relevanten Aspekten unterscheiden. Dazu gehören vor allem die Unternehmen in der Stichprobe, der Untersuchungszeitraum, das Unternehmenserfolgsmaß, der Umfang der berücksichtigten CG-Struktur, die CG-Variablen, die die untersuchten CGKomponenten abbilden sollen, die Kontrollvariablen und die Methodik. Die Untersuchungen in diesem Kapitel sind so konstruiert, dass Laborbedingungen herrschen, um isoliert betrachten zu können, welche Bedeutung dem Umfang der berücksichtigten CG-Struktur zukommt. Die Ceteris-paribusBedingung ist bei den Partialbetrachtungen vollkommen erfüllt. Die Resultate in diesem Beitrag werden alle mit demselben Untersuchungsprinzip erlangt: Die interessierende CG-Variable ist Gegenstand zweier Regressionen, die sich nur in einem Punkt voneinander unterscheiden. Sollten zwischen den beiden Regressionskoeffizienten wesentliche Unterschiede bestehen, müssten sie ihre Ursache in dem Punkt haben, in dem die beiden Regressionen voneinander abweichen. Konkret geht es um die Gegenüber-

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stellung zweier Regressionen, von denen die eine neben den Kontrollvariablen nur die in Rede stehende CG-Variable enthält, während die andere darüber hinaus noch einen großen Ausschnitt der CG-Struktur berücksichtigt. Anknüpfungspunkt dieses Beitrags ist der offenkundige Widerspruch zwischen der CG-Diskussion auf Länderebene und derjenigen auf Unternehmensebene. Auf der Länderebene werden CG-Strukturen als System betrachtet und Wechselwirkungen zwischen CG-Bestandteilen vermutet. Auf der Unternehmensebene wird üblicherweise nur ein kleiner Ausschnitt der CG-Struktur von Unternehmen untersucht und mithin den einzelnen CG-Variablen unterstellt, dass ihr Zusammenhang mit dem Unternehmenserfolg unabhängig von der übrigen CG-Struktur des Unternehmens ist. Folglich findet man dort meist nur Ein-, bestenfalls Wenig-CG-VariablenAnsätze. Diese Ansätze beachten nicht die Verfügbarkeit anderer CG-Komponenten und auch nicht mögliche Wechselwirkungen zwischen ihnen. Die präsentierten Ergebnisse haben zwar viele Facetten, aber in der Generallinie sind sie kompatibel mit der Hypothese, dass die Wirkung einer CG-Variablen auf den Unternehmenserfolg von anderen CG-Variablen abhängen kann. Das ist in 20 % der Fälle gegeben. Darüber hinaus werden ca. 40 % der signifikanten Zusammenhänge zwischen CG-Variabler und Unternehmenserfolg insignifikant, wenn nicht nur die jeweilige CG-Variable, sondern zusätzlich große Teile der CG-Struktur mit in die Untersuchung einbezogen werden. Das weckt Zweifel an der Aussagekraft des Standardforschungsansatzes in der empirischen CG-Forschung. Die Ergebnisse von Ein- und Wenig-CGVariablen-Ansätzen besitzen dann nur eine geringe Qualität. Die Güte der Resultate, die hier mit dem Viel-CG-Variablen-Ansatz erzielt werden, ist überlegen. Aber über das absolute Qualitätsniveau ist damit noch nichts gesagt. Die zahlreichen Unterschiede zwischen den Resultaten von Ein- und Viel-CG-Variablen-Regressionen könnten ihre Ursache darin haben, dass die Verfügbarkeit anderer CG-Elemente oder die Interdependenz zwischen CGBestandteilen eine Rolle spielt. Die Verfügbarkeit könnte möglicherweise durch Viel-CG-Variablen-Ansätze adäquat erfasst werden. Schwieriger liegen die Dinge bei der Interdependenz. Ist sie von Bedeutung, wie es die CGDiskussion auf Länderebene nahe legt, dann ist auch die Ergebnisqualität von Viel-CG-Variablen-Regressionen wie in diesem Beitrag vermutlich nicht besonders hoch. Allenfalls CG-Variable mit großem autonomen Zusammenhang mit dem Unternehmenserfolg – wie in dieser Untersuchung für die Zinsdeckung festgestellt – werden dann mit relativ großer Wahrscheinlichkeit richtig erkannt. Für alles darüber hinaus ist es in der CG-Forschung dringend geboten, verstärkt die Zusammenhänge zwischen CG-Variablen zu untersuchen.18 18 Ausführlicher zur Agenda der CG-Forschung vor diesem Hintergrund Prigge (Fn. 2) S. 214–216.

Mitbestimmungsvereinbarungen im Konzern Thomas Raiser I. Einleitung Nachdem man sich bis etwa zum Jahr 2000 mit dem zwingenden Charakter der deutschen Mitbestimmungsgesetze ab- und zurechtgefunden hatte, wird inzwischen allenthalben eine Flexibilisierung der unternehmerischen Mitbestimmung durch Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen zwischen Unternehmensleitungen, Anteilseignern und Arbeitnehmervertretungen gefordert, die ein Abweichen von diesen Gesetzen ermöglichen. Zuletzt hat ein aus Professoren des Gesellschafts- und Arbeitsrechts zusammengesetzter Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ einen Entwurf zur Reform des Mitbestimmungsgesetzes veröffentlicht, der Vorschläge für die Ergänzungen dieses Gesetzes ausformuliert und begründet, welche die Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen notwendig machen würde.1 Auch dieser Entwurf hat wiederum eine lebhafte wissenschaftliche und politische Debatte ausgelöst, in der die Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen zwar übereinstimmend als wünschenswert und dringlich bezeichnet wird, aber noch keine Einigung über die Reichweite der Öffnung und über die Einzelheiten einer Reform erzielt werden konnte.2 Der Entwurf des Arbeitskreises beschränkt sich auf eine Reform des Mitbestimmungsgesetzes, lässt das Drittelbeteiligungsgesetz und die Montanmitbestimmungsgesetze also unberührt und verzichtet somit auf eine vollständige Neukonzeption der Materie. Sein Vorbild sind die Mitbestimmungsregelungen des europäischen Rechts und der deutschen Ausführungsgesetze dazu für die Europäische Aktiengesellschaft und die Europäische Genossenschaft, für die transnationale Verschmelzung sowie im Entwurf einer Verord1 Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats, ZIP 2009, 885; der Arbeitskreis setzte sich aus den Professoren Bachmann, Baums, Habersack, Henssler, Lutter, Oetker und Ulmer zusammen. 2 Vgl. das Symposium „Verhandelte Mitbestimmung in Deutschland und Europa“ am 7. Juli 2009 an der Universität Würzburg und die daraus hervorgegangenen, in ZIP 2009, 1785 veröffentlichten Thesen der Referenten Hommelhoff, Teichmann, Kraushaar, Hellwig und Behme; ferner die Tagung „Auslaufmodell AG? – Reform der unternehmerischen Mitbestimmung“ am 6. Oktober 2009 in Frankfurt mit Referaten von Habersack, Hanau, Teichmann, Jacobs und Veil sowie einer Podiumsdiskussion mit Hemeling, Hexel, Lutter, Wißmann und Wolf, veröffentlicht in ZIP 2009, Beilage zu Heft 48.

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nung über eine Europäische Privatgesellschaft. Die Einführung der in diesen Vorschriften enthaltenen Regelungen über Mitbestimmungsvereinbarungen ist zugleich ein Hauptgrund für die Initiative, entsprechende Bestimmungen in das deutsche Mitbestimmungsrecht zu übernehmen. Denn man befürchtet, dass andernfalls deutsche Unternehmen in größerer Zahl in eine der europäischen Rechtsformen übergeführt oder auf eine ausländische Tochtergesellschaft verschmolzen werden, um sich auf diesem Weg dem deutschen Mitbestimmungsrecht zu entziehen. Immerhin ist die so aktivierte Forderung nach der Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen nicht neu.3 Auch in der Unternehmenspraxis finden sich, wenngleich vereinzelt, bereits bisher Beispiele dafür, deren Rechtswirksamkeit allerdings in dem Fall, dass es darüber zum Streit kommt, zweifelhaft bleiben musste.4 Zusätzliche Probleme warf seit jeher die Mitbestimmung in Konzernen auf. Denn auf der einen Seite nötigt sie dazu, der Mitbestimmung unterliegende Aufsichtsräte in zahlreichen zu einem Konzern gehörenden Unternehmen zu bilden, die in der Regel unterschiedlich zusammengesetzt und besetzt werden müssen. Auf der anderen Seite blieb sie unvollkommen, wenn das den Konzern leitende Unternehmen in der Rechtsform des Einzelkaufmanns oder der Personengesellschaft geführt wird oder im Ausland angesiedelt ist, denn auf diese Fälle erstrecken sich die Mitbestimmungsgesetze nicht. Zudem können, selbst wenn die Konzernspitze nach deutschem Recht mitbestimmungspflichtig ist, deren ausländische Tochtergesellschaften und die in diesen beschäftigten Arbeitnehmer infolge der begrenzten Reichweite des deutschen Rechts nicht in die Mitbestimmung einbezogen werden. Aus solchen Gründen blieben namentlich die Vorschriften über die Konzernmitbestimmung in §§ 5 MitbestG und 2 DrittelbeteilungsG stets unbefriedigend und umstritten, freilich ohne dass sich eine bessere Lösung abgezeichnet hätte. Eine Öffnung insbesondere dieser Vorschriften für Vereinbarungen, welche den speziellen Strukturen und Bedürfnissen eines Konzerns gerecht 3 Vgl. dazu schon Raiser Privatautonome Mitbestimmungsregelungen, BB 1977, 1461; ferner Bericht der Kommission „Mitbestimmung Modernisieren“ von BDA und BDI, 2004; Beschluss „Teilhaben und Gestalten – Mitbestimmung – auf gleicher Augenhöhe!“ des Bundesvorstands des DGB, 2004; Seibt Privatautonome Mitbestimmungsvereinbarungen: Rechtliche Grundlagen und Praxishinweise, AG 2005, 413; Raiser Unternehmensrecht vor der Hintergrund europarechtlicher Entwicklungen, Gutachten B zum 66. Deutschen Juristentag, 2006, B, S. 67 ff.; Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Regierungskommission zur Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung Biedenkopf, Streeck und Wißmann (sog. zweite Biedenkopfkommission) 2007 und dazu Raiser Gestaltungsfreiheit im Mitbestimmungsrecht, FS Westermann, 2008, S. 1295; Henssler Freiwillige Vereinbarungen über die Unternehmensmitbestimmung, FS Westermann, 2008, S. 1019. 4 Einzelheiten in Ulmer/Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. 2006, § 1 Rn. 16 ff.; Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2008, Vorbem. Rn. 76; Raiser/Veil Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz 5. Aufl. 2009, § 1 Rn. 49 ff.

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werden, musste daher geradezu als Stein der Weisen erscheinen. Auch der Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ wandte folgerichtig der Konzernmitbestimmung seine besondere Aufmerksamkeit zu und formulierte dazu in einem als § 5a in Verbindung mit §§ 33a ff. MitbestG gedachten umfangreichen Text einen eigenen Regelungsvorschlag. Doch zeigt sich bei näherer Betrachtung schnell, dass dieser zahlreiche Probleme offen lässt oder neu aufwirft.5 Daher liegt es nahe, dem Jubilar dieser Festschrift, der sich lebenslang mit dem Organisationsrecht von Großunternehmen beschäftigt hat, dazu einige kritische Gedanken zu widmen.

II. Das geltende Konzernmitbestimmungsrecht Um einerseits den Reformbedarf, andererseits die politischen Chancen einer Reform abschätzen zu können ist zunächst eine differenzierte Würdigung des geltenden Rechts nötig. Die Mitbestimmung findet hauptsächlich im Aufsichtsrat statt. Dass daneben nach § 33 MitbestG ein Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Mitglied des Vorstands zu bestellen ist, kann an dieser Stelle außer Betracht bleiben, denn die Vorschrift ist in der Praxis anerkannt und hat keine nachhaltigen Reformforderungen ausgelöst. Doch ist sie für die Abschätzung des wechselseitigen Gewichts der in einem Unternehmen zusammenwirkenden Kräfte der Anteilseigner, Arbeitnehmer und der Unternehmensleiter wichtig und kann daher auch für die Frage relevant werden, wie weit die den Arbeitsdirektor betreffenden Bestimmungen zum Inhalt von Mitbestimmungsvereinbarungen und damit zum Verhandlungsgegenstand und Interessenausgleich zwischen den Beteiligten gemacht werden können. Der Aufsichtsrat hat nach der Grundkonzeption des Aktiengesetzes den Vorstand zu überwachen, insbesondere in Bezug auf dessen Umgang mit den finanziellen Ressourcen des Unternehmens (§ 111 Abs. 1 und 2 AktG). Sein Einfluss geht aber weit darüber hinaus, da er nach neuerem, in § 90 Abs. 1 AktG und namentlich in Ziffer 3 DCGK zum Ausdruck gekommenen Verständnis auch über die vom Vorstand beabsichtige Geschäftspolitik und insbesondere über grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung, namentlich der Finanz-, Investitions- und Personalplanung, zu unterrichten ist, sich folglich von deren Tragweite ein Bild macht und auf diese Weise bei ihrer Entscheidung mitspricht. Noch stärker wird seine Stellung im Unternehmen bei der Aktiengesellschaft durch die Vorschrift bestimmt, dass er gemäß § 84 AktG und Ziffer 4.2 DCGK die Mitglieder des Vorstands beruft und deren 5 Vgl. dazu schon die Fn. 2 zitierten Referate auf den Tagungen in Würzburg und in Frankfurt; insbesondere Veil Mitbestimmungsvereinbarungen im Konzern ZIP 2009, Beilage zu Heft 48, 26.

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Anstellungsbedingungen, insbesondere ihre Vergütung, aushandelt und festlegt. Da die Bestellung nur für höchstens fünf Jahre zulässig ist, dann aber erneuert werden kann, verleiht ihm diese Zuständigkeit eine beträchtliche, vom Gesetzgeber gewollte Macht im Unternehmen. Sie wird noch verstärkt durch das Recht des Aufsichtsrats, Vorstandsmitglieder vorzeitig abzuberufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 84 Abs. 3 AktG). Für wie schwer wiegend der Gesetzgeber gerade diese Personalkompetenzen des Aufsichtsrats für die Machtbalance im Unternehmen eingeschätzt hat, ist für die Unternehmen mit paritätisch besetztem Aufsichtsrat aus den Sondervorschriften der §§ 31, 27 Abs. 3 MitbestG ersichtlich, nach denen die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder im ersten Wahlgang eine Zweidrittelmehrheit der Aufsichtsratsmitglieder erfordert, also nicht ohne die Zustimmung wenigstens eines Teils der Arbeitnehmervertreter möglich ist. Wird die Zweidrittelmehrheit nicht erreicht, kann eine zweite Abstimmung erst nach einem Vermittlungsverfahren in einem zu diesem Zweck einzuberufenden paritätisch besetzten Aufsichtsratsausschuss stattfinden. Erst wenn es dann noch immer zu einer Stimmengleichheit kommt, billigt das Gesetz dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine zweite Stimme zu, mit der dieser den Ausschlag gibt. Zudem bedarf auch die Wahl des mit einem solchen verstärkten Einfluss ausgestatteten Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 27 Abs. 1 und 2 MitbestG im ersten Wahlgang einer Zweidrittelmehrheit und schreibt das Gesetz für den Fall, dass eine solche nicht erreicht wird, vor, dass im zweiten Wahlgang die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner den Vorsitzenden wählen. Die Vorgeschichte des MitbestG lehrt, dass der durch die genannten Vorschriften bewirkte Einfluss der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer auf die Besetzung der Führungspositionen im Unternehmen geradezu den Schwerpunkt des Mitbestimmungsgesetzes bildet: Die Bestellung der für die Unternehmensleitung und damit auch für die Direktionsbefugnis gegenüber den Arbeitnehmern maßgebenden Personen sollte nicht nur von Seiten der Anteilseigner, sondern auch von Seiten der Arbeitnehmer demokratisch legitimiert werden.6 Die Feststellung ist wichtig, weil sich der Blick in der wissenschaftlichen Kritik des Gesetzes und auch in der aktuellen Reformdiskussion überwiegend auf die Sachkompetenz des Aufsichtsrats richtet und dazu neigt, die Personalkompetenz auszublenden oder doch zu gering zu schätzen. Allerdings konnte das Gesetz diesen Leitgedanken nicht vollständig durchsetzen. Vielmehr musste es bei den Kommanditgesellschaften auf Aktien dabei bleiben, dass die Unternehmensleitung in den Händen der nicht vom Aufsichtsrat bestellten, sondern im Gesellschaftsvertrag berufenen persönlich haftenden Gesellschafter liegt. Praktisch und wirtschaftspolitisch noch 6 Nachweise bei Raiser/Veil Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl. 2009, Einleitung Rn. 25 f. und § 31 Rn. 4.

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wichtiger war die Entscheidung des Gesetzgebers, bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung darauf zu verzichten, die Wahl der Geschäftsführer aus Gründen der Mitbestimmung der Gesellschafterversammlung zu entziehen und in den Aufsichtsrat zu verlagern. Nicht zuletzt verfügen die Aufsichtsratmitglieder der Arbeitnehmer in den Unternehmen, in denen ihnen gemäß §§ 1, 4 DrittelbG nur ein Drittel der Aufsichtsratssitze zusteht, nicht über einen vergleichbaren Einfluss auf die Bestellung der Unternehmensleiter, denn sie können sich gegen die Mehrheit der Anteilsvertreter von vornherein nicht durchsetzen. Alle genannten Vorschriften gelten auch für Unternehmen, welche in einen Konzern einbezogen sind, sofern sie als solche unter das Mitbestimmungsgesetz oder das Drittelbeteilungsgesetz fallen. Dies ist der Grund, weshalb es in Konzernen zu einer Häufung von der Mitbestimmung unterliegenden Aufsichtsräten kommt, die je nach Zahl ihrer Arbeitnehmer unterschiedlich zusammengesetzt sind und in denen die Aufsichtsratsmandate auch von verschiedenen Personen wahrgenommen werden. Auf der Anteilseignerseite gelingt es dem herrschenden Unternehmen erfahrungsgemäß gleichwohl, die Besetzung der Aufsichtsräte weitgehend zu steuern, weil dessen Vorstand in der Anteilseignerversammlung des abhängigen Unternehmens, welche die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner wählt, die Stimmen des herrschenden Unternehmens ausübt und daher die von ihm benannten Kandidaten durchsetzen kann, und weil ein entsprechender Einfluss auch auf Enkelgesellschaften ausgedehnt werden kann. Die dadurch geschaffene Steuerungsmacht ist erwünscht, denn sie ist ein wesentliches Mittel, die einheitliche Leitung eines Konzerns zu organisieren und sicherzustellen. Auf Seiten der Arbeitnehmer ist es der Leitung des herrschenden Unternehmens nicht in gleicher Weise möglich, die Besetzung der Aufsichtsräte in den Tochter- und Enkelgesellschaften zu beeinflussen, denn weder die Nominierung noch die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer fallen in ihre Kompetenz. Zwar bemühen sich die Konzernbetriebsräte und die in den Konzernunternehmen vertretenen Gewerkschaften regelmäßig auf ähnliche Weise, die Aufsichtsratsmandate zu bündeln. Weil in jedem Konzernunternehmen gesondert gewählt wird, ist es jedoch gleichwohl wahrscheinlich, dass nicht dieselben Personen mehrere Mandate erringen und die Zahl der Gewählten daher insgesamt größer ist als auf der Anteilseignerseite. Insbesondere in paritätisch besetzten Aufsichtsräten untergeordneter Konzernunternehmen können die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer die einheitliche Leitung des Konzerns daher behindern oder sogar gefährden. Der Gesetzgeber hat, wie man weiß, gehofft, das Problem dadurch in den Griff zu bekommen, dass er in §§ 5 MitbestG und 2 DrittelbG vorschreibt, die in den abhängigen Konzernunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer auch dem herrschenden Unternehmen zuzurechnen, mit der Folge, dass sich

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dessen Mitbestimmungsstatut nach der Gesamtzahl der in dem Konzern beschäftigten Arbeitnehmer bestimmt und diese bei den Wahlen zu dessen Aufsichtsrat mitwählen.7 Die Konsequenzen dieser Lösung sind indessen ambivalent. Auf der einen Seite siedelt sie die Mitbestimmung folgerichtig an der Stelle an, an der typischerweise für den ganzen Konzern wichtige Entscheidungen gefällt werden. Zugleich verstärkt sie das Gewicht der Mitbestimmung, indem sie ein aus der Sicht der beherrschten Unternehmen zusätzliches Mitbestimmungsgremium schafft, welches infolge der Zurechnung zudem häufig dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt und daher einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat zu bestellen hat, obwohl es für sich allein nicht oder nur nach dem Drittelbeteiligungsgesetz mitbestimmungspflichtig wäre. Die infolgedessen erforderlichen konzernweiten Wahlen der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer erfordern auf der anderen Seite einen außerordentlichen Verwaltungsaufwand und hohe Kosten, und zwar auch dann, wenn das formal herrschende Unternehmen wie bei einer reinen Verwaltungsholding tatsächlich keine Konzernleitungsmacht ausübt. Auch beseitigt sie die Behinderungen der Konzernleitung nicht, welche von der Vielzahl, Inhomogenität und mangelnden Steuerbarkeit der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der Konzernunternehmen ausgehen. Ihre systemwidrige Schwäche liegt jedoch in dem Umstand, dass sie nicht greift, wenn das herrschende Unternehmen in einer nicht mitbestimmungspflichtigen Rechtsform, namentlich als Einzelunternehmen oder Personenhandelsgesellschaft betrieben wird oder ausländischem Recht untersteht, und daher nicht verhindern kann, dass Unternehmen diesen Weg beschreiten, um sich der Mitbestimmung zu entziehen. Um das Loch wenigstens notdürftig zu stopfen, fügte der Gesetzgeber in § 5 Abs. 3 MitbestG bekanntlich als eine Art Verlegenheitslösung die Vorschrift hinzu, dass in solchen Fällen die Konzernmitbestimmung in dem der Konzernspitze am nächsten stehenden Unternehmen einzurichten ist, welches seinerseits mitbestimmungspflichtig ist. Aber diese Vorschrift läuft insoweit leer, als die nicht mitbestimmungspflichtige Konzernspitze ihre Leitungsmacht tatsächlich wahrnimmt, und fügt sich deshalb nicht stimmig in die Grundkonzeption der Konzernmitbestimmung ein. Sucht man im Zug der aktuellen Reformbestrebungen nach einer besseren Lösung, so zeigt sich, dass der Gesetzgeber dazu außer Stande ist, es sei denn, er gibt fundamentale Grundsätze des Rechts der Kapitalgesellschaften und des Mitbestimmungsrechts preis. Würde er zugunsten der Konzernmitbe7 Die systemwidrige und nur historisch erklärliche Diskrepanz zwischen § 5 MitbestG und § 2 DrittelbG, wonach die Zurechnung nach letzterer Vorschrift nur stattfindet, wenn zwischen herrschendem und abhängigem Unternehmen ein Beherrschungsvertrag geschlossen oder das abhängige in das herrschende Unternehmen eingegliedert wurde, kann hier außer Betracht bleiben.

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stimmung einen Verzicht auf die Mitbestimmung in den beherrschten Konzernunternehmen ins Auge fassen, fielen die Entscheidungen, die dort gefällt werden, aus ihrem Anwendungsbereich heraus. Insbesondere könnten die Arbeitnehmer ihr wichtigstes Recht nicht mehr wahrnehmen, an der Wahl der Vorstandsmitglieder der abhängigen Gesellschaften teilzunehmen. Konsequent wäre dann nur, auf die Einrichtung von Aufsichtsräten in abhängigen Konzernunternehmen ganz zu verzichten und deren verbleibende Aufgaben gleichfalls auf die Konzernspitze zu verlagern. Doch würde dieses einen kaum denkbaren und jedenfalls wenig realistischen und sachgerechten Bruch mit fundamentalen Prinzipien des geltenden Gesellschafts- und Konzernrechts fordern. Weniger einschneidend wäre die Übernahme der häufig erhobenen Forderung, die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte in abhängigen Konzernunternehmen selbst dann aufzugeben und auf eine Drittelbeteiligung zurückzuführen, wenn diese nach ihrer eigenen Arbeitnehmerzahl unter das Mitbestimmungsgesetz fallen. Die Lösung wäre zwar geeignet, die Reibungen zwischen unternehmensbezogener und Konzernmitbestimmung zu vermindern. Sie würde aber nur um den Preis einer Verkürzung des wichtigsten Mitbestimmungsrechts möglich sein, die Aufsichtsräte der abhängigen Konzernunternehmen paritätisch mit von den Arbeitnehmern gewählten Mitgliedern zu besetzen, und implizierte deshalb einen Bruch mit dem Grundgedanken des Mitbestimmungsgesetzes. Weiter müsste die Konzernmitbestimmung auch auf Konzerne erstreckt werden, die von einem Einzelunternehmer oder einer Personengesellschaft geführt werden, was durch Gesetz schon wegen der verfassungsrechtlichen Zweifel an der Zulässigkeit einer solchen Vorschrift bedenklich wäre, vor allem aber einen Bruch mit den handels- und gesellschaftsrechtlichen Prinzipien voraussetzte, dass einzelkaufmännische Unternehmen und Personengesellschaften keinen Aufsichtsrat benötigen und, insbesondere wegen der persönlichen Haftung der Inhaber und Gesellschafter, nicht der Mitbestimmung unterliegen können. Schließlich ist eine befriedigende gesetzliche Regelung der Mitbestimmung auch in den Fällen unmöglich, in denen die Konzernobergesellschaft im Ausland ansässige und nach ausländischem Recht verfasst ist, denn der Zugriff auf diese ist dem deutschen Gesetzgeber verschlossen.

III. Konzernmitbestimmungsvereinbarungen Ist nach alledem eine stimmige und befriedigende Regelung der Konzernmitbestimmung durch eine Reform der zwingenden Vorschriften des Gesetzes nicht möglich, bleiben nur vertragliche Vereinbarungen. Solche haben zugleich den Vorteil, bei den Mitbestimmungsregelungen je nach den Umständen jedes einzelnen Konzerns variieren zu können. Demgemäß konzentrieren sich alle Reformvorschläge auf eine solche Lösung. Auch der Gesetz-

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entwurf des Arbeitkreises „Unternehmerische Mitbestimmung“ 8, dem sich die folgenden Ausführungen zuwenden, strebt eine entsprechende Öffnung des Gesetzes an. Nach dem vorgeschlagenen § 5a dieses Entwurfs soll von der Konzernmitbestimmung nach § 5 MitbestG durch Vereinbarung zwischen dem herrschenden Unternehmen und dem ihm zugeordneten besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer abgewichen werden können. Ein neuer § 33a MitbestG zählt beispielhaft eine Reihe von Punkten auf, die Gegenstand einer Mitbestimmungsvereinbarung sein können. Allerdings schließt der Entwurf in § 5a Abs. 1 Satz 2 den Fall einer Ausdehnung der Mitbestimmung auf einzelkaufmännische Unternehmen, Personengesellschaften und andere nicht dem Mitbestimmungsgesetz unterstehende Gesellschaften sogleich wieder aus. Der Arbeitskreis beruft sich dazu auf eine verfassungsrechtliche Unzulässigkeit. Auch beschränkt sich der Entwurf auf den Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes, verzichtet also darauf, eine gleichartige Regelung für die unter das Drittelbeteiligungsgesetz fallenden Unternehmen vorzusehen. Im Übrigen hebt der Entwurf im vorgeschlagenen § 5a Abs. 2 zwei mögliche Gegenstände einer Konzernmitbestimmungsvereinbarung besonders hervor. Nach Nr. 1, die in § 33 Abs. 3 Nr. 2 wiederholt wird, sollen die Vertragsparteien durch Mitbestimmungsvereinbarung dasjenige herrschende Unternehmen festlegen können, in dessen Aufsichtsrat die Konzernmitbestimmung der Arbeitnehmer der abhängigen Unternehmen angesiedelt wird. Eine solche Vorschrift setzt voraus, dass dafür mehrere Unternehmen in Betracht kommen, in denen gesetzliche Mitbestimmungsrechte bestehen können. Sie meint ausweislich der Entwurfsbegründung 9 den Fall, dass sich in der Konzernhierarchie eine reine Holdinggesellschaft findet, die keine eigenen Leitungsfunktionen ausübt, und antizipiert einen Verzicht auf die Konzernmitbestimmung in dieser zugunsten der Ansiedelung in einem anderen Konzernunternehmen. Ob Entsprechendes auch für den Fall gelten soll, dass zwei oder mehr Unternehmen einen Konzern gemeinsam leiten, bleibt offen. Gemäß § 5a Abs. 2 Nr. 2 sollen Konzernvereinbarungen eine mehrfache Konzernmitbestimmung ausschließen können, wenn zwei oder mehr höherstufige Konzernunternehmen die Konzernleitung unter sich aufteilen, das heißt in dem problematischen Fall des Konzerns im Konzern. Gerade für diesen Fall bietet sich in der Tat eine Klärung durch einverständliche Regelung an und wurde auch schon früher gefordert und praktiziert. Jedoch rechnet der Arbeitskreis anscheinend auch insoweit ausschließlich damit, dass die Repräsentanten der Arbeitnehmer in einem Mitbestimmungsvertrag auf ein ihnen kraft Gesetzes in beiden zustehendes Mitbestimmungsrecht verzichten. 8 9

Siehe Fn. 1. ZIP 2009, 886.

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Ein dritter, im Entwurf in § 5a Abs. 3 aufgegriffener Fall kommt hinzu. Nach dieser Vorschrift soll ein auf der Ebene der Konzernspitze vereinbarter Mitbestimmungsvertrag, durch den die Arbeitnehmer eines abhängigen Unternehmens von der Konzernmitbestimmung ausgeschlossen werden, nur wirksam werden, wenn das besondere Verhandlungsgremium des betroffenen abhängigen Unternehmens oder, falls das Unternehmen nicht unter das MitbestG fällt, seine Belegschaft selbst durch Mehrheitsbeschluss zustimmen. Die Vorschrift ist die notwendige Konsequenz des Gedankens, dass konzernweit wirkende Mitbestimmungsvereinbarungen an der Konzernspitze ausgehandelt werden müssen, die Arbeitnehmer der abhängigen Konzerngesellschaften dann aber gemäß dem Verbot von Verträgen zu Lasten Dritten nicht als solche binden können. Auch diese Vorschrift impliziert also einen Verzicht auf gesetzliche Mitbestimmungsrechte. Doch bleibt angesichts der Formulierung des Textes offen, ob sich der Verzicht nur auf die Ausübung des – aktiven und passiven – Wahlrechts beziehen soll oder auch auf die Berechnung der für das Mitbestimmungsstatut des herrschenden Unternehmens maßgeblichen Arbeitnehmerzahl. Im Übrigen lassen weder der Text noch die Begründung des Entwurfs erkennen, in welchen Fällen die Verfasser einen derartigen Verzicht auf Mitbestimmungsrechte für eine realistische Option halten, auf welche die Arbeitnehmerseite in einem Konzernmitbestimmungsvertrag sinnvoller Weise eingeht. Gedacht werden kann an kleine Konzernunternehmen, deren Arbeitnehmer an der Mitbestimmung nicht besonders interessiert sind und die auch keine Chance haben, selbst einen Sitz im Aufsichtsrat zu erringen oder auch nur die Aufsichtsratswahl ernstlich zu beeinflussen. Die Auswirkungen dieser Vorschriften sollen hier nicht weiter untersucht werden.10 Auch eine Kritik an dem Umstand, dass der Entwurf nur Mitbestimmungsverzichte der Arbeitnehmerseite besonders erwähnt, ist nicht beabsichtigt. Der Tatbestand erklärt sich aus der aufgrund der Verzichte erwarteten Einsparungen bei den kostspieligen Aufsichtsratswahlen, aus der Verminderung möglicherweise lästiger Aufsichtsratsmitglieder und beschwerlicher Verfahren des Aufsichtsrats. Stattdessen ist es das Ziel der folgenden Überlegungen das Augenmerk darauf zu richten, welche Umstände und Interessen die Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften jenseits der soeben erwähnten Minimalfälle veranlassen können, sich auf Vereinbarungen einzulassen, welche den Verzicht auf ihnen kraft Gesetzes zukommende Mitbestimmungsrechte zum Inhalt haben, anstatt an dem Gesetz festzuhalten, das nach dem Entwurf weiter gilt, wenn Verhandlungen über eine davon abweichende Vereinbarungen nicht zustande kommen oder scheitern. Denn falls die Arbeitnehmervertreter angesichts dieser Rechtslage keinen Vorteil

10

Vgl. dazu die in Fn. 2 zitierten Tagungsbeiträge.

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im Abschluss einer Mitbestimmungsvereinbarung sehen, haben sie keinen Grund, sich auf einschlägige Verhandlungen einzulassen, werden dafür bestimmte Vorschriften vielmehr leer laufen und einen Schlag ins Wasser bedeuten. Möglicherweise würden sie sogar kontraproduktiv wirken, indem sie den Gewerkschaften Argumente liefern, sich der Öffnung der Gesetze für Mitbestimmungsvereinbarungen aus Furcht, eine solche werde ihnen nur Nachteile bringen, generell zu verweigern. Dass die darauf abzielenden Kräfte in den Gewerkschaften stark sind, lässt sich nach deren Äußerungen und Haltung in der zurückliegenden Zeit kaum verkennen.11 Wenn manche Befürworter der Öffnung demgegenüber vorhersagen zu können glauben, die Öffnung werde durch den Druck des europäischen Gesellschaftsrechts und durch die Konkurrenz ausländischer Gesellschaftsformen erzwungen, welche keine oder minder weit reichende Mitbestimmungsrechte gewähren, weil nur so eine Abwanderung wichtiger Unternehmen aus Deutschland zu vermeiden sei 12, so könnte eine solche Vermutung leicht trügen. Denn jedenfalls bisher handelt es sich um wenige Einzelfälle 13, bei denen zudem häufig auch andere Gründe mitgespielt haben, weshalb ausreichende Indizien für die Stichhaltigkeit einer solchen Prognose fehlen. Bei realistischer Betrachtung werden Mitbestimmungsvereinbarungen nur zustande kommen, wenn die Vorzüge und Nachteile für beide Seiten ausgewogen sind, mit anderen Worten, wenn dem Verzicht auf gesetzliche Mitbestimmungsrechte ein diesen ausgleichender Zuwachs an anderer Stelle gegenübersteht. In der Praxis müssen Zugeständnisse an die Arbeitnehmer nicht anders als Mitbestimmungsverzichte vorwiegend die konkreten Umstände jedes einzelnen Konzerns widerspiegeln. Sie setzen schon aus diesem Grund dispositives Recht voraus. Auch dann noch fordert das Zustandekommen einer die Mitbestimmung regelnden Vereinbarung insbesondere in einem Konzern den Verständigungswillen und die Gestaltungskraft der von dem Vertragsschluss betroffenen Anteilseigner und Arbeitnehmer und ihrer Verhandlungsführer. All dieses verlangt eine möglichst weit reichende Öffnung und Flexibilität des geltenden Rechts, damit Anteilseigner, Arbeitnehmer und Unternehmensleiter im Zeichen und in den Grenzen des sie alle verpflichtenden Unternehmensinteresses einen weiten Spielraum für die konsensfähige Ausbalancierung ihrer partikularen Interessen haben. 11 Siehe zuletzt Hexel in der Podiumsdiskussion bei der Fn. 2 zitierten Tagung, ZIP 2009, Beilage zu Heft 48, 36. 12 In diese Richtung weisen auch die einleitende Begründung des Entwurfs (ZIP 2009, 885) sowie der Titel der zu dessen Vorstellung durchgeführten Tagung „Auslaufmodell AG?“ (s. Fn. 2). 13 Vgl. die auf der Tagung von Gewerkschaftsseite vorgelegte Statistik, wonach nur 8 der insgesamt 64 in Deutschland ansässigen Europäischen Gesellschaften vor der Umwandlung in eine SE der paritätischen Mitbestimmung unterlagen und diese als SE aufrechterhalten haben.

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Solche Anforderungen sind angesichts des geltenden Gesellschafts- und Mitbestimmungsrechts mit ihren als zwingend konzipierten und verfestigten Strukturen nur schwer zu erfüllen. Doch trägt ihnen der Entwurf des Arbeitskreises noch weniger Rechnung als möglich und geboten ist. Zunächst muss eine Öffnung des zwingenden Rechts für Mitbestimmungsvereinbarungen im Gegensatz zu der Beschränkung des Entwurfs auf das Mitbestimmungsgesetz auch das Drittelbeteiligungsgesetz einbeziehen. Denn Unternehmen, welche unter dieses Gesetz fallen, finden sich wohl in jedem Konzern. Ohne ihre Einbeziehung muss jeder Versuch einer einverständlichen konzernweiten Regelung bruchstückhaft bleiben. Die Öffnung darf sich weiter nicht darauf beschränken, eine Minderung oder einen Verzicht auf gesetzliche Mitbestimmungsrechte ins Auge zu fassen. Vielmehr muss sie auch zu einer Intensivierung der Mitbestimmung führen können, zum Beispiel zur Vereinbarung einer paritätischen oder sogar dem Montanmitbestimmungsrecht entsprechenden Mitbestimmung in Unternehmen, deren Aufsichtsräte nach dem Gesetz nur zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt sind. Auch die Zulassung eines Verzichts auf das Zweitstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden nach §§ 29 und 31 MitbestG kann erwogen werden. Nur so kann es gerade in einem Konzern mit einer Vielzahl von abhängigen Unternehmen gelingen, Mitbestimmungsverzichte in einem Konzernunternehmen durch Gewinne an anderer Stelle aufzuwiegen. Aus dem gleichen Grund sollte weiter daran gedacht werden, mit Arbeitnehmervertretern – ggf. paritätisch – besetzte Aufsichtsräte oder ähnliche Mitbestimmungsorgane auch in einzelkaufmännischen Unternehmen und in Personengesellschaften zuzulassen, jedenfalls sofern diese die Leitung eines Konzerns in Händen halten. Denn nur unter solchen Umständen kann erwartet werden, dass die Arbeitnehmervertreter bereit sind, um einer straffen, funktionsgerechten und Kosten sparenden Konzernorganisation willen in eine Minderung von Mitbestimmungsrechten einzuwilligen, die ihnen an anderer Stelle im Konzern zustehen. Da solche Vereinbarungen nicht ohne die Billigung der Anteilseignerversammlung bzw. des Eigentümers und bei Personengesellschaften mindestens aller unbeschränkt persönlich haftenden Gesellschafter getroffen werden können, würde ihre Gestattung auch der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie nicht widersprechen. Denn auch insoweit gilt: volenti non fit iniuria. Selbst wenn man annimmt, Eigentümer und persönlich haftende Gesellschafter werden sich kaum jemals auf eine derartige Vereinbarung einlassen 14, besteht kein Grund, sie wie § 5a Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs förmlich für ausgeschlossen zu erklären.

14

Veil aaO (Fn. 2) 33.

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In anderen Punkten erweist sich der Entwurf als weniger restriktiv. Namentlich lässt er gemäß der Aufzählung in § 33 Abs. 3 Nr. 3 bis 6 zu, in einer Mitbestimmungsvereinbarung die Gesamtzahl der Mitglieder des Aufsichtsrats, den Anteil der auf die Arbeitnehmer entfallenden Mitglieder eines Aufsichtsratsausschusses, die Arten von Geschäften, welche der Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 111 AktG Abs. 4 Satz 2 AktG bedürfen, sowie die Rechte der von den Arbeitnehmern gewählten Aufsichtsratsmitglieder festzulegen. Die Liste ist bemerkenswert, weil sie Kompetenzen aufzählt, die nach verbreiteter Meinung zwingend den dafür kraft Gesetzes zuständigen Unternehmensorganen vorbehalten bleiben müssen, die Entscheidung über die Gesamtzahl der Aufsichtsratsmitglieder also der Anteilseignerversammlung, die anderen Punkte dem Aufsichtsrat selbst, nachdem er sich konstituiert hat. Insoweit sieht der Arbeitskreis, wie wichtig es um der Funktionsfähigkeit von Mitbestimmungsvereinbarungen willen ist, den Verhandlungspartnern genügend Stoff an die Hand zu geben, über den sie verhandeln und einen Ausgleich ihrer Einflussmöglichkeiten erzielen können, der eine rechtsverbindliche Vereinbarung ermöglicht. Gleichwohl lohnt sich aus dem gleichen Grund auch an dieser Stelle darüber nachzudenken, ob der Gesetzgeber nicht noch einige Schritte weiter gehen sollte. Was spricht dagegen, sich in einer Mitbestimmungsvereinbarung nicht nur über die Besetzung von Aufsichtsratsausschüssen zu verständigen, sondern auch über ihre Bildung? Die Organisationsautonomie des Aufsichtsrats bleibt jedenfalls auch in diesem Fall gewahrt, sofern ihn die Vereinbarung nicht daran hindert, weitere Ausschüsse einzusetzen, wenn es zur effektiven Wahrnehmung seiner Aufgaben notwendig oder doch wünschenswert erscheint. Weiter: soll eine Vereinbarung nicht möglich sein, wonach in einem unter das Drittelbeteiligungsgesetz fallenden Unternehmen auch ohne gesetzliche Grundlage ein Arbeitsdirektor zu bestellen ist, und dessen Kompetenzen auszuformulieren? Wenn es, wie oben ausgeführt, richtig ist, dass die maßgebliche Mitwirkung an der Bestellung der Vorstandsmitglieder den Kern der Mitbestimmung bildet, drängt sich sogar die weitere Frage auf, ob es zugelassen werden kann, einen von Seiten der Anteilseigner oder der Unternehmensleitung gewünschten Verzicht auf die Mitbestimmung in einem abhängigen Konzernunternehmen dadurch aufzuwiegen, dass den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens ein Einfluss auf die Besetzung des Vorstands des abhängigen Unternehmens zugestanden wird, zum Beispiel ein Recht zum Veto gegenüber einem von der Anteilseignerseite in Aussicht genommenen Bewerber, namentlich gegenüber einem in Aussicht genommenen Arbeitsdirektor. Gewiss lässt sich kaum vorhersehen, ob die Anteilseigner sich je auf eine solche Vereinbarung einlassen werden. Aber gerade in einem Konzern kann es einer erwünschten und grundsätzlich von allen Seiten gebilligten Vereinfachung der Mitbestimmungsstrukturen die-

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nen, wenn in einem untergeordneten Konzernunternehmen auf die Mitbestimmung verzichtet wird und als Ausgleich für den damit verknüpften Wegfall der Beteiligung an der Vorstandsbestellung stattdessen ein Vetorecht vereinbart werden kann, welches die im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens amtierenden Arbeitnehmervertreter ausüben. Selbstverständlich würde eine solche Vereinbarung der Bestätigung durch eine in dem abhängigen Unternehmen abgeschlossene Mitbestimmungsvereinbarung oder der Zustimmung der in dem abhängigen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer gemäß § 5a Abs. 3 des Entwurfs bedürfen. Die Beispiele erschöpfen die in Betracht zu ziehenden Fallgestaltungen nicht. Doch umreißen sie den Spielraum, der für Mitbestimmungsvereinbarungen genutzt werden kann, wenn ihn der Gesetzgeber dafür frei gibt. Der Freiraum sollte, das ist das Fazit der vorstehenden Überlegungen, möglichst groß sein. Auch insoweit befindet sich der Entwurf des Arbeitkreises daher auf dem richtigen Weg, wenn er, ungeachtet seiner oben wiedergegebenen Einschränkungen, die möglichen Gegenstände einer Mitbestimmungsvereinbarung in § 33 Abs. 3 nicht abschließend aufzählt, sondern nur als besonders hervorgehobene Beispiele versteht. Je freier die Beteiligten sind, ihre Beziehungen selbst zu gestalten, desto stärker kann sich die Dynamik von Mitbestimmungsvereinbarungen entwickeln. Welche Gestaltungsformen sich dann als brauchbar und hilfreich erweisen und von welchen Möglichkeiten die Sozialpartner Gebrauch machen werden, kann die Zukunft lehren. Doch dürfte es klug sein, der Praxis dabei keine unnötigen Fesseln anzulegen.

IV. Auslandssachverhalte 1. Ausländische Konzerntöchter Viel diskutierte und bislang ganz ungelöste Probleme werfen die Auslandssachverhalte auf, die hier bisher ausgeklammert blieben. Nach den geltenden Mitbestimmungsgesetzen sind die in ausländischen Tochtergesellschaften eines Konzerns beschäftigten Arbeitnehmer von den Aufsichtsratswahlen in der deutschen Konzernmutter ausgeschlossen, und sie werden bei der Berechnung der für das anzuwendende Mitbestimmungsstatut maßgeblichen Arbeitnehmerzahl auch nicht mitgerechnet.15 Diese Begrenzung auf die in deutschen Unternehmen tätigen Arbeitnehmer wird infolge der Globalisierung der Märkte und der dadurch ausgelösten Politik der meisten großen Unternehmen, Tochtergesellschaften im Ausland aufzubauen, verbreitet als

15 Vgl. statt aller Raiser/Veil Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 5. Aufl. 2009, § 1 Rn 19 f., § 5 Rn. 28 ff.

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nicht mehr zeitgemäß betrachtet.16 Da der deutsche Gesetzgeber indessen, wie unter II ausgeführt, in das für die ausländischen Tochtergesellschaften geltende nationale Recht nicht eingreifen kann, ist eine Änderung dieser Rechtslage durch eine Reform allein der deutschen Mitbestimmungsgesetze nicht möglich. Stattdessen richten sich wiederum alle Hoffnungen darauf, auch für solche Fälle mit Hilfe von Mitbestimmungsvereinbarungen zu akzeptablen Lösungen zu gelangen. Der Arbeitskreis schließt sich in seinem Gesetzentwurf entschieden der Forderung an, die in ausländischen Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer in die Konzernmitbestimmung einzubeziehen. Zu Recht hat er auch keine Bedenken gegen die rechtliche Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen, sofern sie das ausländische Recht nicht ausdrücklich verbietet.17 Jedoch sieht er sich genötigt, einerseits zwischen in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum angesiedelten Tochterunternehmen und andererseits solchen Töchtern zu unterscheiden, die nach dem Recht anderer Staaten verfasst sind. Im ersten Fall soll sich eine Konzernmitbestimmungsvereinbarung gemäß § 33b Abs. 1 des Entwurfs ohne weiteres auf abhängige Konzernunternehmen mit Sitz im Ausland erstrecken, sofern das herrschende deutsche Unternehmen nach § 5 MitbestG konzernmitbestimmungspflichtig ist. Insoweit fehlt in dem Entwurf wiederum nur eine Parallelvorschrift für die unter das Drittelbeteiligungsgesetz fallenden herrschenden Unternehmen. Hinsichtlich der in Drittstaaten beheimateten Tochtergesellschaften begnügt sich der Entwurf dagegen mit der Aussage, die Vereinbarung könne sich auf sie erstrecken. Die Differenzierung ist unvermeidlich, denn innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums müssen Unternehmen in allen Mitgliedstaaten gleich behandelt werden, während es bei Tochtergesellschaften in anderen Ländern möglich bleiben muss, je nach den Verhältnissen des Landes Unterschiede zu machen.18 Die Erstreckung bezieht sich nach dem Entwurf primär auf die Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums, welche der Gesetzgeber anordnen muss, weil eine andere Rechtsgrundlage vor dem Abschluss eines Mitbestimmungsvertrags noch nicht vorliegt. Auch ist es Aufgabe des Gesetzgebers, im Vorfeld der Wahlen für die Einhaltung demokratischer Wahlgrundsätze zu sorgen. In diesem Punkt folgt der Entwurf in § 33d den 16 So schon der 1998 erschienene Bericht „Mitbestimmung und neue Unternehmenskulturen“ der von der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung berufenen „Kommission Mitbestimmung“, S. 106 f.; ferner Bericht der Kommission Mitbestimmung des BDA und BDI, 2004, S. 50; Stellungnahme des DGB dazu, S. 14; Raiser Juristentagsgutachten (Fn. 3) S. 92 ff.; Bericht der wissenschaftlichen Mitglieder der Regierungskommission zur „Modernisierung der Deutschen Unternehmensmitbestimmung“ (2. Biedenkopf-Kommission) 2007, S. 35 ff. Ferner zahlreiche Äußerungen aus der Wissenschaft. 17 § 33b des Entwurfs und Begründung dazu, ZIP 2009, 887, 894. 18 Vgl. dazu schon Raiser Juristentagsgutachten (Fußn. 3) S. 92 ff.

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für die europäische Gesellschaft und für die transnationale Verschmelzung geltenden Vorschriften der § 5 Abs. 1 SEBG und 7 Abs. 1 MgVG: jeder in einem Mitgliedstaat gelegene Betrieb und jedes Konzernunternehmen entsendet Delegierte in das besondere Verhandlungsgremium. Deren Anzahl richtet sich nach dem Anteil der Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens an der Gesamtzahl der in dem Konzern beschäftigten Arbeitnehmer. Werden auch Betriebe und Tochtergesellschaften in Drittstaaten einbezogen, wird man auch diesen eine nach den gleichen Regeln bestimmte Zahl von Delegierten zubilligen müsse. Darüber hinaus verlangt § 33e Abs. 2 des Entwurfs, dass dabei Männer und Frauen nach ihrem Zahlenverhältnis in dem Konzern berufen werden. Außerdem soll jedes dritte Mitglied ein Vertreter der Gewerkschaften sein, jedes siebte ein Vertreter der leitenden Angestellten. Es ist vorherzusehen, dass die Komplexität dieser Vorschriften in der Praxis mancherlei Probleme hervorrufen wird. Wie die zu besetzenden Aufsichtsratsmandate auf Vertreter in- und ausländischer Konzernunternehmen sowie auf Männer und Frauen, reguläre Arbeitnehmer, leitende Angestellte und Vertreter der Gewerkschaften aufzuteilen sind, überlässt der Entwurf in § 33a Abs. 3 Nr. 1 folgerichtig der Mitbestimmungsvereinbarung selbst. Doch liegt es nahe, dass sich die Verhandlungspartner dabei an der gesetzlichen Sitzverteilung orientieren. Gemäß § 7 Abs. 1 des Entwurfs soll sich diese nach der Größe des Aufsichtsrats richten, welche der Entwurf nur zum Teil für eine Mitbestimmungsvereinbarung freigibt. In kleinen und mittelgroßen Konzernen, die in der Regel mehr als 2.000, aber weniger als 10.000 Arbeitnehmer beschäftigen, in denen das herrschende Unternehmen also schon unter das MitbestG fällt, soll sich dessen Aufsichtsrat zwingend aus je sechs Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer und auf deren Seite aus vier Arbeitnehmern des Unternehmens und zwei Gewerkschaftsvertretern zusammensetzen. Ab 10.000 Arbeitnehmern sieht der Entwurf eine Regelbesetzung mit je sieben Anteils- und Arbeitnehmervertretern vor, unter diesen fünf Arbeitnehmer des Unternehmens und zwei Gewerkschaftsvertreter. Doch soll die Satzung in solchen Fällen eine Besetzung mit je acht oder zehn Vertretern bestimmen können. Bei insgesamt zwanzig Mitgliedern sollen dann auf die Arbeitnehmerseite sieben Arbeitnehmer des Unternehmens und drei Gewerkschaftsvertreter entfallen. Eine von diesen Vorgaben abweichende Einigung in einem Konzernmitbestimmungsvertrag lässt der Entwurf zwar zu. Jedoch erscheint sie bei realistischer Betrachtung wegen der Leitbildfunktion des Gesetzes als eher unwahrscheinlich. Immerhin ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Gewerkschaften mit zwei statt der ihnen zustehenden drei Sitze im Aufsichtsrat begnügen oder umgekehrt, dass ihnen die Arbeitnehmer einen Sitz abtreten. Festlegungen zur Beteiligung der leitenden Angestellten und über die Verteilung der Aufsichtsratssitze zwischen in- und ausländischen Arbeitnehmervertretern enthält der Entwurf nicht, vielmehr verweist er in § 33a Abs. 3 Nr. 1

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insoweit ausdrücklich auf die Vereinbarung. Kommt eine solche nicht zustande, bleibt bezüglich der leitenden Angestellten der Rückgriff auf die Garantie mindestens eines Aufsichtsratssitzes zu deren Gunsten nach § 15 MitbestG. Man wird erwarten dürfen, dass die Vorschrift deshalb auch als richtungweisendes Vorbild für eine Vereinbarung dient. Was die Verteilung der zur Verfügung stehenden Aufsichtsratsmandate auf die in- und ausländischen Arbeitnehmer angeht, dürfte die Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums für eine sachgemäße Lösung sorgen. Als Vorbild kann insoweit das Zahlenverhältnis zwischen beiden Gruppen und die bevorzugte Berücksichtigung der größten zum Konzern gehörenden Tochterunternehmen dienen. Die von der Arbeitsgruppe ausgearbeitete Regelung markiert einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Realisierung der von allen Seiten für notwendig gehaltenen Integration ausländischer Tochtergesellschaften und der in ihnen beschäftigten Arbeitnehmer in die Konzernmitbestimmung. Indem sie von den deutschen Arbeitnehmern und Gewerkschaften verlangt, die Sitze sowohl im besonderen Verhandlungsgremium als auch im Aufsichtsrat mit aus dem Ausland stammenden Mitgliedern zu teilen, impliziert sie jedoch eine Minderung des diesen bisher zukommenden Einflusses auf die Mitbestimmung. Zweifellos ist dies folgerichtig, macht man mit der gleichberechtigten Beteiligung im Ausland beschäftigter Arbeitnehmer Ernst. Gleichwohl signalisierte der DBG alsbald Einwände gegen die Regelung mit dem Argument, es gebe keinen Grund, den Einfluss der deutschen Arbeitnehmer und Gewerkschaften auf die Mitbestimmung künftig mit ausländischen Arbeitnehmervertretern zu teilen, weil diese der Mitbestimmung weniger zugeneigt und in ihrer Praktizierung unerfahren sind und deshalb auch über eine geringere Durchsetzungsfähigkeit und -bereitschaft verfügen.19 Auch insoweit macht sich also die Sorge bemerkbar, die Öffnung des geltenden Mitbestimmungsrechts für davon abweichende Vereinbarungen werde nicht nur den Einfluss der deutschen Mitbestimmungsträger, sondern auch der Mitbestimmung als Institution des deutschen Rechts mindern. Macht sich der Gesetzgeber daran, die Öffnung zu verwirklichen, wird er sich mit solchen Einwänden auseinandersetzen müssen. Er kann versuchen, als Kompromiss einen Abstrich von der vollen Gleichberechtigung im Ausland beschäftigter Arbeitnehmer und ihrer Vertreter vorzusehen oder die Gleichberechtigung gegen den Widerstand der deutschen Beteiligten durchzusetzen. Unverkennbar handelt es sich um ein ernstes Problem.

19 Diskurspapier Nr. 23 des DGB zu Mitbestimmungsvereinbarungen und Größe des Aufsichtsrats vom September 2009 unter Ziffer 2.7 (abrufbar unter www.dgb-bestellservice.de).

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2. Ausländisches herrschendes Unternehmen Die Unterwerfung eines nach ausländischem Recht verfassten herrschenden Unternehmens unter die deutsche Konzernmitbestimmung durch Gesetz stößt, wie schon oben erwähnt, wegen der auf das Inland beschränkten Regelungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Lediglich soweit die formal ausländische Konzernspitze ihren faktischen Sitz und Tätigkeitsschwerpunkt im Inland hat, lässt sich die Ansicht vertreten, hinsichtlich der Mitbestimmung könne sie der nationale Gesetzgeber dem deutschen Recht unterwerfen.20 Ob sich diese Beurteilung durchsetzen wird, hängt von einem diesbezüglichen Urteil des Europäischen Gerichtshofs ab und muss daher, solange ein solches nicht vorliegt, Spekulation bleiben. Doch kann der Fall leicht relevant werden, denn infolge der durch den EGV gewährten und vom EuGH nachhaltig betonten Niederlassungsfreiheit der Unternehmen in der Europäischen Union liegt es nahe, sich der deutschen Konzernmitbestimmung durch die Wahl einer ausländischen Rechtsform für das die Konzernleitung wahrnehmende herrschende Unternehmen zu entziehen, obwohl dieses seinen tatsächlichen Sitz in Deutschland behält. Die Fragen brauchen hier nicht vertieft zu werden. Mit der Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen verbindet sich auch die Hoffnung, ausländische Konzernmütter auf sachgerechte Weise in die Konzernmitbestimmung einbeziehen zu können, sofern deren Anteilseigner bereit sind, sich darauf einzulassen, und das fremde Recht solche Vereinbarungen nicht verbietet. Offenkundig setzt eine einverständliche Regelung, die nicht erzwungen werden kann, auch in diesem Fall voraus, dass die Anteilseigner ein Interesse daran haben. Am nächsten liegt eine Einigung, wenn auch der Staat, nach dessen Recht das Unternehmen verfasst ist, eine Mitbestimmung kennt und deren Ausgestaltung übernommen werden kann, denn dann erleiden die Anteilseigner keinen Nachteil. Denkbar sind weiter Fälle, in denen ein deutscher Mehrheitsgesellschafter darauf hinwirkt. Kommt eine Mitbestimmungsvereinbarung mit einem nach ausländischem Recht verfassten herrschenden Unternehmen danach in Frage, sollte der deutsche Gesetzgeber bei einer Reform der Vorschriften über die Konzernmitbestimmung auch diesen Fall ins Augen fassen, das Gesetz ausdrücklich dafür öffnen und bedenken, welche Spezialvorschriften dafür erforderlich sind. Auch aus diesem Grund engt das in § 5a Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs des Arbeitkreises „Unternehmerische Mitbestimmung“ vorgesehene Verbot, Konzernmitbestimmungsvereinbarungen auf andere als die vom MitbestG er20 Vgl. statt aller Kisker Unternehmensmitbestimmung bei Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland, 2007, S. 171 ff.; Weiss/Seifert Der europarechtliche Rahmen für ein „Mitbestimmungserstreckungsgesetz“, ZGR 2009, 542.

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fassten Kapitalgesellschaften und Genossenschaften zu erstrecken, nicht funktionsgerecht und unnötig ein. Allerdings wird die Öffnung des Gesetzes für flexible Gestaltungsformen auch den Fall berücksichtigen müssen, dass das herrschende Unternehmen nach „seinem“ Recht die Trennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nicht kennt, sondern monistisch verfasst ist, und die paritätische Besetzung des Aufsichtsrats nach deutschem Recht nicht gleichgewichtig auf einen einheitlichen board of directors übertragen werden kann. Folgerichtig muss demnach auch eine Mitbestimmungsvereinbarung ermöglicht werden, welche einer solchen Struktur der Unternehmensleitung gerecht wird. Für den Fall, dass eine wirksame Vereinbarung zustande kommt, sollte dann deren Vorrang von der Notlösung des § 5 Abs. 3 MitbestG klargestellt werden.

V. Schlussbemerkungen Der Einsicht, dass die durchgehend zwingenden Vorschriften insbesondere des Mitbestimmungsgesetzes den deutschen Großunternehmen und Konzernen ein zu enges und starres Korsett anlegen und daher nicht mehr zeitgemäß sind, kann inzwischen als anerkannt gelten. Insofern ist die Initiative des Arbeitkreises „Unternehmerische Mitbestimmung“, die dafür erforderlichen Regelungen zu durchdenken und einen ausformulierten Gesetzentwurf dazu vorzulegen, hoch zu loben. Der Arbeitkreis versucht mit dem Anliegen wirklich Ernst zu machen. Allerdings ist sein Ansatz, die Reform auf das Mitbestimmungsgesetz zu beschränken, zu eng, um ein angesichts der Komplexität und Vielgestaltigkeit des Projekts ausreichendes rechtliches Gerüst für die Öffnung der Gesetze zu schaffen. Vor allem bewegt sich der Ansatz aber zu einseitig in rein juristischen Bahnen. Dagegen berücksichtigt er die politische Dimension der Mitbestimmung zu wenig, welche erwarten lässt, dass Mitbestimmungsvereinbarungen nur zustande kommen werden, wenn sowohl die Anteilseigner als auch die Arbeitnehmer und Gewerkschaften darin Vorteile sehen, wenn also mit anderen Worten jeder Minderung von Mitbestimmungsrechten auch ein als gleichwertig angesehener Gewinn gegenübersteht. Dabei wird sich die Frage, welche Regelungen als gleichwertig betrachtet werden, vor allem an dem für die Arbeitnehmerseite wichtigsten Mitbestimmungsrecht der Beteiligung an der Wahl der Unternehmensleiter entscheiden. Der Verlauf der politischen Reformdebatte der vergangenen Jahre bietet eindrucksvolles Anschauungsmaterial für das Gewicht dieser Dimension. Mit nur geringer Vergröberung lässt sich feststellen, dass sich bisher sowohl die Arbeitgeberverbände als auch die Gewerkschaften zwar zur Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen bekannten, aber jeweils nur insoweit, als sie sich davon einseitige Vorteile versprachen. Die Arbeitgeber behaupten

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negative wirtschaftliche Auswirkungen der Parität in den Aufsichtsräten und fordern deren Reduktion auf eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer. Die Gewerkschaften rühmen die Parität als Erfolgsmodell und verlangen deren Ausdehnung auf andere als die unter das Mitbestimmungsgesetz fallenden Unternehmen. Nach allem Anschein ziehen beide Seiten, wenn es Ernst wird, das Festhalten an der gegenwärtigen Rechtslage mit ihren zwingenden Vorschriften der Öffnung für Vereinbarungen vor. Daran sind, wie man weiß, bisher alle Reformanläufe gescheitert. Es ist zu befürchten, dass auch der Entwurf des Arbeitkreises dasselbe Schicksal erleiden wird. 2006 sprach sich Bundeskanzlerin Merkel noch nachhaltig zugunsten der Reform aus.21 Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD von 2005 enthielt des Passus, man werde das Gesetz ändern, sofern sich die Sozialpartner darauf verständigen.22 Dazu kam es nicht. 2009 wird die unternehmerische Mitbestimmung im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP nicht einmal mehr erwähnt.23

21 Mündlich auf dem von der Hans-Böckler-Stiftung veranstalteten Kongress „Dreißig Jahre Mitbestimmungsgesetz“. 22 Ziffer 2.7.4 des Koalitionsvertrags von 2005. 23 Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode Ziffer 3.2.

Capital and Establishment – Never the Twain shall Meet? Jonathan Rickford Abstract The rights under European law of companies, their managers and investors to organise and operate their activities throughout Europe free of Member State (and indeed perhaps certain private sector) restrictions depend very largely, if not entirely, on the fundamental Internal Market freedoms of Establishment and Capital. These freedoms have by their substantive definition different scope; they also have different incidents in terms of territorial and personal applicability and in terms of the conditions and exceptions which limit their scope. Yet, apparently, both freedoms are often applicable to the same cases. Do they in fact apply simultaneously (or “in parallel,” or “concurrently”), and, if so, how are their differences to be reconciled? Or are they mutually exclusive, in which case what are the criteria which set the boundary? Or do they run in parallel in some cases and mutually exclusively in others? European legislation appears to point towards a parallel solution with some detailed modifications. The jurisprudence, however, seems to be moving, mainly under the influence of developing tax law, in the direction of exclusivity, based on some troublesome definitions. This paper analyses the current law and argues in favour of the former solution. At the heart of the European Communities project lies the internal market objective.1 This seeks, by conferring fundamental freedoms on various beneficiaries, which enable them to engage, throughout the territory of the union, 1 Treaty Establishing the European Communities (“the Treaty”, “EC Treaty” or “EC”) articles 3(1)(c), 14. See now article 3 of the post-Lisbon Treaty on European Union and article 26 of the Treaty on Functioning of the European Union (“TFEU”) – consolidated versions of both Treaties published by the Council of the EU, Document 6655/1/08, Brussels, 30 April 2008. For convenience this paper usually refers to the EC articles, which are the relevant ones in the majority of the case law. The establishment and capital chapters are re-enacted by TFEU articles 49–55 and 63–66. The important change for our purposes is article 55, TFEU – see below. The pre-Amsterdam version of the EC is referred to here as the European Economic Community Treaty or “EEC”.

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in various transactions with a cross-frontier element, to secure the general welfare by the efficient matching of resources and persons with demand. The relevant freedoms are free movement of goods, persons (including free movement of workers (employees) and of establishment (businesses)), services and capital/payments. But the real cross-frontier transactions in question do not fall neatly into these categories: many, indeed probably the great majority, more or less directly involve more than one freedom. For example, a business decision to establish or acquire a company or branch in a different Member State (“MS”) is likely to involve financial transfers for investment in land and/or other resources with a view to a return (capital), the transfer of goods and employees and the provision of services from the home to the host state, and vice versa. Such a transaction may also involve more than one freedom beneficiary.2 For example, the capital involved may be invested and the related rights exercised, and the goods imported or exported, by the business concerned, or wholly or partly by others. Even a simple export of goods is likely to lead to cross-frontier agency relationships, banking and advertising services, and of course payments. By the same token, MS legislation affecting such transactions is likely to impact on more than one freedom, and more than one beneficiary, both in each individual case and, if one is considering the legislation as a whole in its overall impact (which needs to be considered when the total effect of legislation is under Commission challenge), then the implications there are wider still. Where more than one freedom is involved in a transaction, or affected or governed by such a MS law, the issue inevitably arises as to how the transaction is to be categorised, or characterised. Which freedom (or freedoms) is (or are) to be regarded as exercised or claimed to be exercised in such cases? Do the freedoms operate “in parallel” (or “concurrently”) so that each of the freedoms involved is to be respected? Or are there boundaries, so that where one freedom operates another does not? Or are there some cases where there is concurrence between any two (or indeed more) freedoms, but others where there are boundaries – so that there can be said to be a “limited concurrence” or “overlap” between the freedoms?

2 In some cases the same freedom may involve more than one kind of beneficiary – consider the facts of case 212/97 Centros Ltd v Erhvervs-og Selskabsstrerelsen [1999] ECR I-1459 – arguably the establishment of Centros involved exercise of the establishment freedom both by the company’s founders and by the company itself, though whether the foundation of the company and the establishment thereafter of its foreign branch are to be regarded as separate transactions is debatable. For the establishment rights of shareholders and article 294 EC see below.

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The purpose of this paper is to explore this question from a company lawyer’s perspective in the area of the relationship between freedom of establishment and free movement of capital. Are these two freedoms concurrent, or mutually exclusive (in which case how is the boundary defined?), or if some combination of the two, then how are the overlap and the boundaries of the overlap defined? The scope of any overlap or limited concurrency will as a matter of logic be defined in part by the scope or extent of the freedoms – if one freedom does not by definition extend into an area in which another freedom does extend there can of course be no concurrency or overlap to that extent. But where the scopes overlap there may be exclusion rules which make one freedom prevail to the exclusion of the other – in the gaming metaphor one freedom can be said to “trump” another. So the discussion needs to consider both the definition of the freedoms and the nature of any such excluding or trumping rule. This complex problem has important implications for the availability of the freedoms as they accrue to community nationals. It is also of critical importance because of the particular territorial and personal extent of the capital freedom,3 which by definition extends beyond EU nationals and inter-MS transactions, to non-nationals and to transactions (in both directions) between MS and third countries. The wider the applicability of the capital freedom, the more the rights of such third country beneficiaries and the scope of such liberalised transactions will be extended. Furthermore different freedoms may have different beneficiaries in other respects, some of whom may be excluded where one freedom excludes another. Not only does this matter give rise to vitally important legal issues for business decision makers; it also, because of its policy sensitivity, is likely to influence the direction of legal development, jurisprudential and legislative, at both the Community and MS level as it responds to the pressures of policy. The capital/establishment boundary problem has also generated a wealth of obscure case law; this is characterised by the European Court of Justice’s (“ECJ’s”) typical circumspection and economy of decision making in a sensitive field, by strong differences of opinion between the court and its advocates general and by apparent changes of direction in the case law. The issues are therefore important, complex and difficult. This paper approaches these issues in the following way: – First the Community legislation is examined and the nature and extent of the relevant freedoms identified in their commercial context; – This leads to preliminary conclusions as to the shape of the possible answers; 3

Article 56 EC; see below.

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– The approach of the ECJ in other boundary/overlap areas is then considered; – This leads to a critical review of the case law, much of it very recent, on the establishment/capital question itself; – Finally some conclusions and a proposal are offered.

I. Community legislation Both the establishment and the capital freedoms are of course directly effective, conferring directly applicable rights, enforceable in domestic courts, on the relevant beneficiaries of the freedoms.4 Examination of the legislation in detail will enable us to identify both the defined scope of the freedoms (including any general exceptions), and thus the potential for overlaps, and any special mutual exclusionary, or “trumping”, provisions derogating from that scope at the legislative level. 1. Establishment The establishment right is defined by articles 43–48 of the Treaty.5 a) General provisions Article 43 provides: “Within the framework of the provisions set out below, restrictions on the freedom of establishment of nationals of a MS in the territory of another MS shall be prohibited. Such prohibition shall also apply to restrictions on the setting-up of agencies, branches or subsidiaries by nationals of any MS established in the territory of any MS. Freedom of establishment shall include the right to take up and pursue activities as self-employed persons and to set up and manage undertakings, in particular companies or firms within the meaning of the second paragraph of Article 48, under the conditions laid down for its own nationals by the law of the country where such establishment is effected, subject to the provisions of the chapter relating to capital.” Article 48 extends the benefits of article 43 to certain companies and firms, by providing that if they satisfy certain conditions, of which the first and most important is that they shall be “formed in accordance with the law of a 4

Cases 2/74 Reyners v Belgium, C-222/97 Trummer and Mayer. Re-enacted in articles 49–54 TFEU. There is an important change in the scope of the TFEU establishment chapter resulting from inclusion of the re-enacted article 294 EC as article 55 TFEU – see below. 5

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MS”, they are to be treated for that purpose as if they were natural persons who are nationals.6 This article applies also to the freedom to provide services (which also accrues otherwise only to MS nationals established in a MS).7 Article 48 does not however apply to goods or capital.8 Articles 44 and 47 provide for harmonising legislation “in order to attain freedom of establishment”. The scope of these articles illustrates the range of the establishment freedom. In particular article 44(2)(e) enables acquisition of land and buildings and 44(2)(g) enables co-ordination of the safeguards for members and others required by MS of article 48 companies or firms. Such legislation has been adopted to harmonise protection of members, creditors and in some cases employees and to facilitate engagement in cross-frontier transactions by such companies and, indirectly, those controlling them.9 Articles 45 and 46 make exceptions from the establishment freedom for activities connected with exercise of official authority and for MS provisions providing for special treatment of foreign nationals on public policy, public security and public health grounds. As is well known these are to be construed strictly. It is important to bear these exceptions in mind because here again the provisions on capital are different, making wider exclusions (see below). So freedom of establishment includes the right of a MS national (including an eligible company) to found and manage 10 a business (including such a company) de novo in another MS, and the right of such a person already established in a MS (not necessarily his own) to establish a branch, agency or subsidiary of the business in another MS and to manage the relevant business thereafter. The firm, or branch, or agency, is entitled on a continuing basis to national treatment in the host state, but this does not exhaust the freedom – it is merely included in it. As the ECJ has put it in broad terms, “freedom of establishment is intended to allow a community national to participate on a stable and continuing basis in the economic life of a MS other than his state of origin, and to profit therefrom”.11 6 The additional condition is that they have “their registered office, central administration or principal place of business within the Community” – this remains controversial but the controversy is not material for this paper. The article 48 definition also determines the kinds of companies and firms which there is a right to set up etc. 7 Articles 49 and 55 EC (articles 56 and 62 TFEU). Article 49 paragraph 2 allows subordinate legislation to extend the chapter to non-nationals established in a MS, but not to third countries. 8 The eligibility of corporate beneficiaries does not of course arise for workers, who are individuals. 9 E.g. 2nd Company Law Directive 77/91/EEC; Directives on Takeover Bids (2004/25 EC) and Cross-Border Mergers (2005/56 EC). 10 This is clearly analogous to the “taking up and pursuing of self employed activities” by a sole trader. 11 Cases C-55/94 Gebhard v Consiglio dell’Ordine degli Avocati e Procuratori di Milano, para 20, and C-196/04 Cadbury Schweppes plc v Commissioners of Inland Revenue [2006] ECR I-7995, para 53.

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b) Special exclusion for permitted capital restrictions In its final words article 43 subjects its 12 prohibitive effect on restrictions on establishment to “the provisions of the chapter relating to capital”. I am not aware of any authority on these words. They are on their face problematic because the Capital chapter prohibits restrictions on free capital movements subject only to certain exceptions – it does not enable restrictions on the establishment (or even, strictly speaking, on the capital) freedom. But the intention appears to be that, if an establishment transaction is restricted by or under MS law, which would otherwise be liberalised by article 43, but it is permitted (or strictly speaking not prohibited) to be restricted, under the capital chapter, then that national restriction is unaffected by article 43. To put the point another way, by subjecting itself to the capital chapter article 43 removes from the scope of article 43 prohibition any restriction permitted by virtue of that capital chapter. We may immediately note that apparently in principle an establishment restriction may also be a capital restriction. 2. Capital Articles 56 to 58 EC 13 define the Capital right. Article 56(1)14 provides: “Within the framework of the provisions set out in this chapter, all restrictions on the movement of capital between MSs and between MSs and third countries shall be prohibited.” As already noted, movements of capital are liberalised for the benefit of anyone, whether or not a national or equivalent company under article 48, and not only between MS but also between MS and third countries, i.e. both into and out of Community territory. Remarkably, although the freedom is one of the four constituting the “internal market”, its extent is not merely “internal”. “Capital” is not defined. Presumably the normal dictionary definition is the starting point, that is to say that capital means an accumulation of assets acquired for a return or an “accumulation of wealth deployed productively”.15 However the ECJ has held on numerous occasions that the nomen12 Strictly speaking only the second paragraph is covered; this seems to be a drafting error – the proviso must surely apply to the whole prohibition, and presumably to article 294 EC (article 55 TFEU). 13 Articles 63–66 TFEU. 14 Artcle 56(2) – freedom of (sc. current) payments – is beyond the scope of this paper. 15 Oxford English Dictionary Oxford University Press 1973. Also “trading stock, on which profits or dividends are calculated” – however article 56 is not limited to commercial transactions – see Musicologia case (investment, and management and enjoyment thereof,

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clature on movements of capital in the list in Annex 1 to the Council Directive of 24 June 198816 (which made provision for the implementation of article 67 of the EEC Treaty – the predecessor of article 56 – which did not itself have direct effect) “still has the same indicative value for defining the notion of capital movements”.17 Reliance on this Directive is open to criticism: it is not evident how such secondary legislation can define, or even dispositively indicate, the scope of a primary Treaty provision on which it depends for its own scope; it interprets, or rather indicates the effect of, a provision which has been repealed; and, while the ECJ has asserted that “Article 56 essentially reproduces”18 that provision (article 1 of the Directive which conferred the directly applicable right under old article 67), that is not in fact the case; that article conferred the capital movement right only in respect of movements “between persons resident in MSs”.19 So the provision is being invoked in aid of a provision which is materially broader in scope than the Directive’s original purpose. However there can be little doubt that the list is now authoritative for interpreting article 56; it has been relied on repeatedly by the ECJ for that purpose.20 Be that as it may, the list sets out a lengthy and complex, but not exhaustive,21 series of capital movements to be included in the right. These include (quoting selectively for our purposes): – (under Head I) “Direct Investments”,22 which include – “Establishment and extension of branches or new undertakings belonging solely to the person providing the capital and the acquisition in full of existing undertakings”;23 “participation in new or existing undertakings with a view to establishing or maintaining lasting economic links” 24 and “Long-term loans with a view to by charity), case C-386/04 Centro di Musicologia Walter Stauffer v Finanzamt Muenchen and Directive on Capital, below, art 6(3) – temporary exclusion of investment in secondary residences. See too ibid., Annex 1 Head II and relevant notes. 16 Council Directive 88/361/EEC for the Implementation of Article 67 of the [EEC] Treaty. OJ L178, 08.07.1988, 5. 17 Case C-222/97 Trummer and Mayer, above, para 21, Case C-452 Fidium Finanz AG v Bundesanstalt fuer Finanzdienstleistungsaufsicht [2006] ECR I-9521, para 41. 18 Fidium Finanz ibid. 19 Provision was made in article 7(1) of the Directive for only a MS best endeavours obligation in relation to capital movements with third countries. 20 Case C-112/05 Commission v Germany, paragraph 18 and cases there cited. 21 Annex I, Preamble, and Head XIII F, which includes, finally, “miscellaneous”. 22 Under head I – this means “investments of all kinds.. which serve to establish or to maintain lasting or direct links between the person providing the capital and the … undertaking to which the capital is made available … to carry on an economic activity. This concept must therefore be understood in its widest sense” – see Explanatory Notes to Annex I. 23 These include “legally independent undertakings (wholly owned subsidiaries) and branches” – ibid. 24 In the case of companies limited by shares there is participation by way of direct investment where “the block [sic]” “of shares … enables the shareholder, either pursuant to

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establishing [such links]”; and direct investments by non-residents and by residents abroad (this clearly may include direct investment in land); “Investments in real estate not included [above]”; and (under Head III) “shares, other participating securities and bonds not included under [direct investments]” and “acquisition by residents of foreign securities … and … by non-residents of domestic securities … dealt in …” and …“not dealt in on a stock exchange”. The list also makes it clear that not only the transactions listed but also “all the operations necessary for the purpose of capital movements” 25 are covered. So under Head I, Direct Investments, capital movements liberalised under article 56 include the capitalisation of new and existing companies and firms by full acquisition or by the acquisition of a block of shares which gives either effective participation in management of the company or in its control. Other forms of participation are included under Head III (often called “portfolio investment”); this covers inter alia the acquisition of shares (whether listed or not) which do not confer such participation or control powers. Articles 57 to 60 contain the exclusions. These include, as for establishment, measures justified on grounds of public policy and public security,26 but go further in three respects. First, there are additional exclusions apparently designed to accommodate the special economic, regulatory and political sensitivities of capital movements. Article 58(1)(a) and (b) make special exclusions for tax laws, including those which discriminate by residence or place of investment,27 for prudential regulation of financial institutions and for monitoring of capital movements. Articles 59 and 60 make exceptions on economic and international policy grounds. Second, article 57 makes special exclusions for certain third country movements. Paragraph (1) provides that “article 56 shall be without prejudice to the application to third countries of any restrictions which exist on 31 December 1993 … in respect of the movement of capital to or from third countries involving direct investment – including in real estate – establishment,28 the provision of financial services or the admission of securities to laws or otherwise, to participate effectively in the management of the company or in its control” – ibid. 25 Annex I, Preamble. Subsequent management of the investment, including payment and receipt of rents and dividends are also included – see Centro do Musicologia, above and the tax cases considered below. 26 Article 58(1)(b). 27 Very narrowly construed in recent cases referred to below. 28 The question arises whether the separate mention of direct investment and establishment implies that these concepts are mutually exclusive. The Directive definitions imply the contrary and the separate mention is necessary because the two concepts are not coterminous – see below.

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capital markets”. Article 57(2) enables subordinate community legislation to be made on the same matters. Thus existing 29 legislation may remain in place restricting third country investment in these fields (including regulation of establishment), but new legislation for the same purpose requires Council action. The references to establishment in this paragraph are clearly not to establishment in the strict article 43 sense because what is in issue here is a transaction involving a third country and article 43 is of course limited to intra-community transactions. However this amounts to an exclusion from article 56 of a transaction where establishment law can be said to prevail – the law in question being that such restrictions on establishment are permitted in spite of the fact that they also restrict capital. Establishment trumps capital in this special sense. Third, article 58(2) provides that the provisions of the Chapter are to be “without prejudice to the applicability of restrictions on the right of establishment which are compatible with this Treaty”.30 It is argued below that this provision holds the key to resolving the difficulties addressed by this paper. Article 58(3) deprives national measures which would otherwise have the benefit of the exceptions in article 58(1) and (2) of such protection if they “constitute a means of arbitrary discrimination or disguised restriction on the free movement of capital …”. Both articles 57 and 58(2) have obvious relevance to the capital/establishment boundary question and are discussed in detail below. But we may note here that Article 57 addresses the third country problem. Article 58(2) has no explicit limit on its territorial impact. Whether on the other hand it is limited to intra-community capital movements, and MS nationals’ rights, depends on the meaning of the ambiguous “restrictions on the right of establishment compatible with this Treaty”. Establishment again trumps capital here. 3. Scope of the Freedoms – Exit and Entry It is explicitly stated in Article 56 (“between MSs”) that both the MS of the investor, or origin, and MS of investment or destination are governed by the freedom. This is confirmed by the case law.31 No doubt where a third country is concerned the relevant MS will be so governed whether as origin or destination.

29 Or replacement legislation with substantially no more restrictive effect – see case C-157/05 Winfried L Holböck v Finanzamt Salzburg-Land, 41, 42. 30 Compare the closing words of article 43 which are argued above to have a corresponding effect to exclude transactions permitted under the capital chapter from article 43. 31 Eg Baars, Lenz, cited below (origin); Musicologia, above, and Golden Shares cases cited below, (destination).

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Article 43 is explicit only as to destination but this is merely inclusive and the jurisprudence is well established that the home state may not restrict or impede outward establishment.32 4. Scope of the Freedoms – Serial and Bilateral Consequences Clearly the freedoms need to be effectively exercised. A restriction which impedes their full enjoyment must also be regarded as prohibited. The freedoms are serial in the sense that one thing necessarily leads to another and such consequences must necessarily be allowed to follow without restriction for the proper enjoyment of the freedom. They also involve bilateral relations – an investment involves both an investor and in many cases an investee. Establishing a business involves external contractual relations and internal agency and membership ones. a) Seriality Thus article 43 recognises that it is not sufficient to liberalise the setting up of a business or branch – its management thereafter is also liberalised. Freedom of establishment of a company extends to the freedom of those managing or controlling it to engage it in transactions.33 “The right to establishment covers all measures which permit or even merely facilitate access to another MS and pursuit of an economic activity in that MS” 34 and “all measures which prohibit, impede or render less attractive that freedom must be regarded as restrictions”.35 Similarly for capital, the Capital Directive includes within liberalised capital movements “all operations necessary for the purpose”.36 National capitalisation (creditor protection) and information requirements imposed on a company have also been held to restrict its establishment rights

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C-124/95 R v HM Treasury and Commissioners for Inland Revenue (ex p. Daily Mail) [1997] ECR I-81, C-210/06 Cartesio Oktato es Szolgaltato bt (but with certain exceptions as to the status of the company – not discussed here), C-446/03 Marks and Spencer plc v Halsey [2005] ECR 6325, Cadbury Schweppes plc, above, C-446/04, Test Claimants in the Franked Investment Income Group Ligation v Commissioners for Inland Revenue (“FII case”), and C-201/05 Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation v Commissioners of Inland Revenue (“CFC case”). 33 Case C-411/03 SEVIC Systems AG v Amtsgericht Neuwied. 34 The ECJ in case 411/03 SEVIC Systems AG v Amtsgericht Neuwied, para 18 – in casu a decision to merge with a company formed in another MS. 35 C-442/02 Caixa Bank France v Ministère de l’Économie des Finances et de l’Industrie et al. (decided 5.10.2004) at paragraph 11 – in casu prohibition on interest bearing current bank accounts impedes establishment (capital raising) by French subsidiary of Spanish Bank. 36 Annex I, preamble.

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and, apparently, the rights of its founders to establish it.37 The founders of a company exercise the establishment freedom; but thereafter the company itself also exercises the freedom. Similarly for Capital, discriminatory inheritance taxes on foreign property infringe the freedom.38 Moreover discriminatory taxes on profits or dividends may infringe either, or perhaps both – see below – of the freedoms of capital and establishment.39 In the case of both Establishment and Capital the freedom extends to enjoyment of the consequences of the original transaction. This is important in determining the extent of each freedom and in particular the extent of any possible mutual overlap. b) Bilaterality A slightly different point is that in many cases establishment and capital transactions are bilateral. In such cases where capital is concerned the interest of the investor in investing is matched by that of the investee in raising funds. Both parties are apparently entitled to exercise the right.40 Somewhat similarly with establishment, once a company is established it needs to enjoy a mutual relationship with both its shareholders (often but not always its founders) and creditors and indeed potential shareholders and creditors, such as market participants and takeover bidders. But are these relationships merely serial, or also bilateral, in the sense that such shareholders and creditors are also entitled to assert establishment rights? So far as shareholders are concerned, their collective power to exercise control is clearly closely associated with management and is analogous to the position of founders. There can be little doubt that shareholders collectively exercise a power of establishment in respect of their company. But each shareholder may well not have power to control management in her own right. (Note however that this is also true of founders.) Each shareholder participates in such power and the extent of such participation will depend on many factors, including the size of the block held, the extent of its enfranchisement, the distribution of shareholdings and the nature of the transaction in question – in some circumstances even a small holding may have critical marginal importance. Even non-voting shares have limited control rights in many circumstances under many legal systems, because in particular of minority protections and special rules on strategic decision making. It is 37 Centros, above, case C-167/01 Kamer van de Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam v Inspire Art Ltd [2003] ECR I-10155. 38 Case C-43/07 Arens-Sikken v Staatssecretaris van Financien. 39 E.g. CFC and FII cases. As to both see the discussion of “parallelism” below. 40 Recognised in case 315/02 Anneliese Lenz v Finanzlandesdirektion fuer Tirol, 21, and in Capital Directive Annex I, above.

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tempting perhaps (and as we shall see the ECJ has on occasion succumbed to the temptation) to assert that whether a shareholder exercises the establishment freedom depends on the size of his block or perhaps on his intentions as an investor. But both the intentions and the significance of a holding may change from time to time and if the law is interested not only in control but also in potential control, rigid distinctions based on size or intentions will fail to accommodate the inherent potential of any shareholding, which is part of its value and substance.41 To what extent does the Treaty law give guidance on this question of the bilateral extent of establishment? As we have seen article 44(2)(g) provides inter alia for harmonised shareholder protections. The rights conferred are surely to be exercisable not only by companies and their founders and controllers as rights of establishment of the company and its managers, but also by individual shareholders. Similarly with the directive on takeover bids, it is surely intended that individual shareholders should have remedies if key protections in their favour, such as mandatory bids, information rights and board neutrality, are in default. No limits are imposed on such protections by reference to the degree of control exercised, or even in many cases whether the shares are enfranchised 42. This Directive also surely requires rights to be conferred on bidders, regardless of whether they already hold shares or what the size of the block they hold may be.43 Finally article 294 of the EC Treaty requires MS to provide equality of treatment with their own nationals to nationals of other MS participating in the capital of companies or firms within the meaning of article 48 – i.e. MS must give national treatment to other MS nationals as participants in “their” companies (companies validly founded there). This provision was not part of the EC Establishment chapter, but it represented the same problems of overlap with the capital chapter as if it had been. Moreover in the Lisbon Treaty it is included in that chapter, thus subsuming within the freedom this special right of shareholders to equal treatment.44 The article makes

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See too case C-97/96, Verbanddeutscher Daihatsu Haendler eV v Daihatsu Deutschland GmbH [1997] ECR I-6843. 42 Directive 2004/25/EC of 21.04.2004 on takeover bids (“13th Directive”) OJ L142/12 30.4.2004 applies (as a minimum) only to voting shares; it is very arguably defective in that regard. 43 See too case 79/85 Segers v Bedrijfsvereniging voor Bank en Verzekeringsweszen [1986] ECR I-6017 at 15 (interests of employees in establishment). 44 Treaty on the Functioning of the European Union, consolidated version, Council of the EU, Brussels 30 April 2008 6655/1/08 (“TFEU”) article 55. The meaning of national in this article would now clearly include article 48 companies and firms – a difficult lacuna in article 294. A problem remains with the closing words of article 43 (above, subjecting the prohibition to the capital chapter) which need to apply to new article 55 TFEU – a missed consequential amendment.

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no distinction between kinds of shareholding or size of holding – all “participants” are protected. There is therefore a very strong argument (which is however sorely tested by the ECJ jurisprudence discussed below) that all kinds of shareholder are protected by the establishment chapter. It is perhaps more doubtful whether creditors are similarly protected. Shareholders do have a share in the management powers which are the essence of article 43. Creditors’ control, or management, powers are much more remote in law, being restricted normally to special contractual provisions or protections in insolvency situations. Whether “participation in capital” under article 294 extends to creditors is very doubtful. While certain creditors are recognised as “direct” investors under the Capital Directive 45, it seems best to conclude that creditors are not entitled in their own right to the benefit of articles 43 and 294. While harmonisation directives may well require remedies to be conferred on creditors, this is probably best regarded as a mere consequence of the need to harmonise the conditions of establishment of companies to the necessary extent, rather than as conferring remedies on creditors in their own right as beneficiaries of the Freedom. Or is this distinction perhaps too refined? 46

II. Preliminary conclusions from the Community Legislation What conclusions can be drawn from the legislation, before we consider the case law? 1. No complete mutual exclusion First it is surely indisputable that the two freedoms are not completely mutually exclusive. There is overlap. This is clear first, from the provision made for trumping or mutual exclusion which would not be necessary if the two freedoms were distinct in this sense and second, from the definitions of the freedoms themselves which renders some transactions exercises of both freedoms (such as founding a company, or exercising control over a company on a long term basis). But second, it is equally indisputable that the ground covered by the two freedoms is not the same. They are not coterminous.

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Annex I, above. See again the Daihatsu case, above.

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a) Statutory Recognition of Overlap First, there is express provision governing overlaps. As we have seen the closing words of article 43 subject that prohibition to the capital chapter. Whatever this means precisely, it is clear that cases to which article 43 applies may also be subject to article 56. Again articles 57 and 58(2) disapply article 56 in certain cases “involving establishment” or “restrictions on the right of establishment”. (The precise effect of these exclusions is best considered once we have considered the case law but it may be helpful to note at once the logical point that there is no circularity, because the provisions which trump are exceptions or permissions. Both provisions extend the rights of MSs). So in some circumstances article 56 trumps article 43 and in others article 43 trumps 56. b) Identity of some Capital and Establishment Transactions Second, the very definitions of Establishment and Capital demonstrate that the same transaction may not only involve, but actually constitute an exercise of, both freedoms. The most obvious examples are the initial capitalisation (an article 56 capital movement) and the foundation (an article 43 exercise of freedom of establishment) of a company or firm, or branch of an enterprise. These two processes are merely two ways of looking at the same transaction. The motives involved are the same – the disposition of assets with a view to achieving a return through their ongoing management. We perhaps tend to think of investment as being motivated by the return and establishment by the desire to manage; but the return, or profit, is as much integral to establishment for a commercial purpose 47 as it is to capital; and the need for ongoing management to ensure the exploitation of the investment is as much integral to this kind of capitalisation as it is to establishment. The very definition of direct investment under the Directive, with its emphasis on the ongoing relationship between investor and investee, underlines the point. The management powers and protections attached to an investment are critical components of its overall value. 2. No Coterminality While some capital and establishment transactions are identical however, the scope of the two freedoms is not the same. There are clearly some “capital but not establishment” cases, and perhaps also some “establishment but not capital” cases.

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See article 48 and Cadbury above.

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a) “Capital but not establishment” Some areas of capital are clearly not establishment. We have already noted that investment in shares may be establishment in some cases, and arguably is in all; but investment in debt is probably not, at least where no ongoing relationship of control or influence, such as to “go to” management, is involved. There are also of course many other areas of investment which have nothing to do with establishment such as investment in land for non-commercial purposes and in Government bonds. Moreover some capital cases which clearly involve establishment in fact, will not fall within the Community establishment freedom because of that freedom’s territorial scope. Capital transactions between MSs and third countries which involve establishment in fact will not fall within the Community establishment freedom. This is a special “capital but not establishment” case. b) “Establishment but not capital”? It is less clear whether any areas of establishment are not capital. It seems very arguable that all establishment will have as an essential component the disposition of resources with a view to a return and will therefore involve as an essential component a capital transaction. If this is correct then the area of overlap between the two freedoms embraces the whole of establishment but only part of capital. There thus appears to be a very significant area of overlap, with ill-defined edges, between the two freedoms. If in such areas of overlap the two freedoms are to be recognised as fully operative then a range of consequences follow – most obviously the territorial restrictions of establishment will be trumped by the wider scope of capital and the wider exclusions from capital will be trumped by the breadth of establishment, subject in both cases to the effect of the statutory exclusion or “trumping” provisions. There is an obvious policy pressure to avoid these consequences, which is reflected in the approaches adopted in the case law. It is convenient to examine this jurisprudence first in the context of other boundary issues, where the problem of overlap is less extreme, before considering the very difficult area of the capital/establishment boundary.

III. Other Boundaries – the ECJ’s approach 1. Goods and Services In many cases services are involved in the exercise of another freedom. The Treaty addresses this in part by adopting a general rule that the services freedom is residual, in the sense that it applies only “in so far as [the services]

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are not governed by the provisions relating to freedom of movement for goods, capital and persons”.48 But this is far from clear – how can services be “governed by” provisions relating to the other freedoms? The ECJ indeed appears to have ruled at an early stage that this exclusion only applies where the services in question are actually governed by the restriction which applies to another freedom and thus not merely when another freedom is involved.49 Accordingly in a number of cases the ECJ has held that a restriction which applies to the provision of services falls to be considered in parallel as a restriction on goods, or vice versa. In the 1974 case of the prosecution of Sacchi 50 the defendant was prosecuted for operating a private “television (TV) relay station” – i.e. premises from which TV transmissions were made available, via cable, to the public on TV sets. This infringed the Italian state monopoly on the operation of TV and the TV transmission of commercial advertising. Italian law was held potentially to infringe both freedom of services (supply of television signals) and free movement of goods (“products used for diffusion of television signals”). In the Gourmet International case 51 a ban on the advertising of alcoholic beverages in Sweden, imposed as part of the Swedish policy of controlling such products, was similarly held to infringe free movement of goods (such beverages) and services (advertising thereof). It seems clear on the facts that the main object, or purpose, of Swedish policy was to restrict the supply of alcohol; but the court had no hesitation in considering separately in relation to services the restriction on advertising. In another TV service case, Canal Satélite Digital,52 Spanish law requiring prior authorisation and registration of digital TV service (“conditional access service”) providers, together with authorisation and registration of the satellite TV reception equipment they supplied for the purpose, was held to be an infringement of both freedoms.53 The Court recognised that in some cases where the two freedoms were both restricted “the Court will in principle examine it in relation to one only … where one of them is entirely secondary in relation to the other and may be considered together with it” 48

Article 50, paragraph 1. Case C-423/98 Albore. Case 155/73, Sacchi, paragraph 6. Also Case C-452/04 Fidium Finanz, discussed below, at paragraphs 31–32: “Article 50 first paragraph relates to the definition and does not establish any order of priority”. 50 Ibid. 51 C-405/98 Konsumentombudsmannen v Gourmet International Products AB, decided 8.3.2001. 52 Case C-390/99 Canal Satélite Digital v Administracion General del Estado, decided 22.1.2002. 53 Ibid paragraph 29. The equipment was made in the UK and Belgium. CSD’s origin is unclear. 49

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[emphasis added]. “In the field of telecommunications it is difficult to determine generally which should take priority” because in some cases the service and in others the equipment component of the transaction might be “more important”.54 In this case the Court concluded that on the facts it was impossible to regard the goods and services components of the regulated transactions as more important – it made no enquiry as to the purpose of the national restrictions. This was a general challenge to the Spanish law. It is not clear whether if it had involved a challenge to a particular supply the Court would have required a factual analysis of which component was dominant. In the Omega Spielhallen case 55 the Court applied the “entirely secondary” test to exclude consideration of free movement of goods. The defendant had been prohibited under German law from offering a laser “shoot out” game in his games hall on humanitarian public policy grounds (“playing at killing”). The game’s format had been franchised, and the equipment supplied, by a UK company (Pulsar). The ECJ decided the case on services grounds alone, holding the impact on import of goods “entirely secondary”, as limited to equipment specifically designed for the game and the restriction on goods being “an unavoidable consequence of the restriction imposed with regard to supplies of services by Pulsar”. Although purporting to be an application of the Canal Satélite “secondary” (factual) test, it is not evident why the equipment component in Omega was regarded as less important than, and merely consequential on, the service component in the Pulsar supply (each was after all needed for the other), unless perhaps the Court was influenced by the dominant purpose of the German law – to prevent access to inhumane games. But if there had been a separate supplier of the equipment, would he have been denied a remedy under the goods chapter? As we shall see the purpose of the national restriction has been relied on in the more recent cases, but that has its own problems. However it should be noted that the Court held only that there was “no need to make an independent examination” on free movement of goods”,56 leaving open the possibility that, even where one freedom was “entirely secondary” to, and merely “an unavoidable consequence”, of, another the former might still need examination in some cases. On the facts the restriction of services was held justifiable and no doubt the result on goods would have been the same. So the result would have been no different in that sense.

54 Ibid. paragraphs 31, 32. “Supply of equipment is sometimes more important than the installation or other services connected therewith. In other circumstances ... it is … providing know-how or other services … which are dominant, whilst delivery of the apparatus or … systems … is only accessory”. 55 C-36/02 [2004] ECR I-9609. 56 Paragraph 27, following Stix-Hackl AG.

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Such an outcome will not arise where capital movement from or to a third country is involved and it is appropriate to turn to this more difficult area with the leading case involving freedom of services and free movement of capital. But before doing so we may note that the goods and services cases are based on parallelism with some arguably fragile authority for exclusion of consideration of a freedom on “secondary” grounds. 2. Capital and Services In Fidium Finanz 57 a Swiss finance company sought to offer consumer credit on a services basis 58 in Germany without the licence required there for such credit business, invoking the territorial scope of article 56 as liberalising such a capital transaction. There is no doubt that the loans in question fell within article 56.59 The German court asked nevertheless whether they were covered solely by the freedom to provide services under article 49 which is limited like establishment to MS nationals engaging in inter-MS transactions. The ECJ focussed on the purpose of the German legislation which it held to be the supervision of the offering of financial services.60 It held that reduction in cross-border financial traffic was “merely an unavoidable consequence of the restriction on services” 61 and continued in the following paragraph: “It is apparent that … the predominant consideration is freedom to provide services rather than the free movement of capital. Since the rules in dispute impede access to the German financial market for companies established in non-member countries, they affect primarily the freedom to provide services. Given that the restrictive effects of those rules on the free movement of capital are merely an inevitable consequence of the restriction … on … services, it is not necessary to consider whether the rules are compatible with Article 56.” This reasoning is not easy to follow: First, the German rules prevented the lending of money to German residents. Such lending was the very service regulated. It can no more be said that the restriction of the lending was consequential on the restriction on the 57

Case C-452/04, Fidium Finanz AG v Bundesanstalt fuer Finanzdienstleistungsaufsicht [2006] ECR I-9521, decided 3.10.2006. 58 Fidium provided loans directly over the internet and used local agents, but had no establishment in Germany. 59 Paragraph 41–43, citing Capital Directive, above, Annex 1, head VIII (financial loans and credits). 60 Paragraph 45, 46. “The purpose of the rules is to supervise provision of such services” and to “prevent operators which do not have the qualities required … from access to the German financial market”. 61 Paragraph 48.

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service than vice versa. Second, MS legislation falls to be assessed for compatibility with the Treaty by reference to its effects on the common market, not by reference to the intentions of the national legislator (which are in any case likely to be difficult to determine with certainty).62 A restriction on exercise of a freedom is not removed from the scope of the freedom by a purpose to achieve some other objective, such as consumer protection or financial stability (the objectives of financial regulation), unless there is specific statutory provision for this,63 although such a purpose may justify the restriction.64 Third, the Treaty itself envisages the purpose of prudential regulation falling within the capital chapter and makes a special exception for it, subject to certain conditions.65 It would appear to follow that the fact that a law has as its purpose the prudential regulation of services, or any other regulatory objective, does not take it outside the chapter. Fourth, it was clearly necessary to decide whether the claimant could invoke article 56 and it must, presumably, have been implicit in the Court’s ruling that it could not invoke it.66 In short, the result in Fidium is convincing as a matter of policy – a third country national ought not to be able to invoke the capital freedom in order to provide credit services within the Community while escaping the regime applicable to community nationals. But the ECJ’s reasoning is arguably contrived, contrary to principle and incomplete.

IV. The Establishment/Capital Boundary – case law It is difficult to differentiate for regulatory or other purposes between the service of providing credit and the capital transaction embodied in the lending of the money. The argument above suggests that the drawing of such a distinction where the freedoms in question are establishment and capital is even 62 Trite law – but consider cases such as 7/68 Commission v Italy [1968] ECR 423 (art treasures), 8/74 Procureur du Roi v Dassonville [1974] ECR 837, at paragraph 5 (“capable of hindering, directly or indirectly actually or potentially intra Community trade …”), C 137/00 Queen v Competition Commission ex p Milk Marque (citing C-65/75, Tasca and 88/75 SADAM) (effects of marketing regulation on CAP) and article 81 EC (object or effect of a cartel to prevent, etc., competition within the common market). 63 See article 58(1)(b) EC considered below. 64 As proportionate consumer protection would have done in Cassis de Dijon, case C-120/78, Rewe Zentrale v Bundesmonopolverwaltung Fuer Brandtwein [1979] ECR 649. 65 Article 58(1)(b) and (3). 66 Remarkably, the ruling turns solely on the point that the national rules “affect primarily the exercise of freedom to provide services within article 49” and “a company established in a non-member state cannot rely on those provisions”. Although applicability of article 56 is expressly raised in the question put the ruling is silent. But the negative answer was surely implicit.

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more difficult, even impossible: the establishment of a business, and its ongoing management and control for commercial purposes, is indistinguishable from its initial capitalisation and the ongoing securing of a return on that investment. Because many of the incidents of the two freedoms are the same 67 it is often only necessary to decide on one of them in such cases. If one freedom is breached there is no need to look at the other; if one breach is justified the other will be also. The early cases are examples of this approach. They nonetheless begin to illustrate some of the difficulties of overlap and exclusion which had to be addressed later. 1. Early cases – Control vs “Deterrence” of investors The leading early case on the establishment/capital boundary is Baars: 68 the Netherlands wealth tax exempted Dutch tax-payers from tax on “substantial holdings” (defined as holdings of at least one third and more than 7 % of the nominal value of the paid up capital) 69 in Dutch companies, but not foreign ones. The Dutch taxpayer challenged an assessment to tax on such a substantial holding in an Irish company. The Dutch court asked whether this was contrary to (1) article 52 EEC (43 EC) and/or (2) article 73b EEC (56 EC). In response Alber AG opined that “the border” between “simple investment” and “actual establishment” “should probably be set where a shareholder ceases to confine himself to provision of capital in support of a business … and begins to become involved himself in the conducting of the business … beyond simply exercising his voting rights, and to participate in a way which will enable him to exercise real influence” 70 [emphasis added]. On the facts the case was clearly one of establishment because Baars held all the shares. The Dutch law was discriminatory and there was a clear infringement of establishment rights. On the second question, on capital, Alber AG recognised that there was no need to answer given the conclusion on establishment. He nevertheless (in spite of his reference to a “border”, above) argued that establishment and capital could be applied in parallel: “the fact that freedom of establishment is in point does not preclude the simultaneous application of the rules on capital movements”;71 contrary to the position on establishment “the size of 67

Gebhard, above. C-251/98 Baars v Inspecteur der Belastingdienst [2000] ECR I-2787, decided 13.4.2000. 69 Id paragraph 8. The cumulative 1/3 and 7 % tests seem obscure, but nothing turns on this. 70 Paragraph 33. 71 Paragraph 48. 68

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the shareholding is immaterial,” but “if the holding reaches a size which enables the investor to exercise a decisive influence over the undertaking’s decision making, the right of establishment will supplement free movement of capital” and “the investment would be protected by the EC Treaty under two separate heads” [emphasis added].72 Alber AG thus took the view that whatever the size of the investment what became article 56 EC applied, but there was limited overlap, with article 43 EC applying as well where decisive influence over decision making was possible. Because the Dutch law gave preferential treatment to investment in the Netherlands and was an obstacle to investment in another MS it was discriminatory and also infringed the capital freedom.73 Thus Alber AG took the view that where establishment and capital overlapped neither trumped the other – there was “pure parallelism” – see below. The ECJ decided the case solely on establishment. The Court noted that on the facts the taxpayer held all the shares. “Article 52 [43 EC] includes the right to set up and manage undertakings” … “So [a national] who has a holding … which gives … definite influence over the company’s decisions and allows him to determine its activities is exercising his right of establishment” [emphasis added – hereinafter referred to as the “strict Baars control test”].74 It was self-evidently always the case that such influence and power were conferred wherever there was a 100 % holding.75 This was a holding that freedom of establishment applied on the facts on the basis of a very high level of control. The exact meaning of the test is not entirely clear: if a shareholder is able to “determine a company’s activities” what is added by a further requirement that he have a “definite influence over its decisions”? – unless perhaps the “and” is disjunctive and either such influence or such determinative power would suffice, but this seems an unlikely interpretation. It is not clear that the Court decided that such strict control (whatever its precise meaning) was necessary, as opposed to merely sufficient, for establishment to apply. The Court noted that the Dutch law’s “substantial holding” level set at one third and 7% of capital “does not necessarily imply control or management” … “which are factors connected with the exercise of the right of establishment” and therefore did not necessarily affect freedom of establishment.76 But this was clearly obiter, and the test applied is both weaker and vaguer than the strict control test (“control or management” are “factors connected with” exercise of the right of establishment). An insistence 72 73 74 75 76

Paragraph 50. Paragraphs 54, 57, 61. Paragraph 22. Paragraph 26. Paragraph 20.

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that the strict control test must always apply would be inconsistent with the analysis of the freedom I have offered above. The view that “control or management” are “factors connected with the exercise of the freedom” would however be entirely consistent with it and would even embrace (at something of a stretch) article 294 and its inclusion in the establishment chapter under article 55, TFEU. The Court definitely did not decide that the applicability of this strict test, and consequently of the establishment freedom, excluded application of the capital freedom. It simply stated that, in view of the answer to the first question on establishment, it was not necessary to reply to the second, on capital. Nevertheless within 7 months of the Baars decision, in Ueberseering 77 (the well-known case on migration of a company’s main establishment to a “real seat” host state) the Court stated “as a general rule the acquisition by one or more natural persons residing in a Member State of shares in a company incorporated and established in another Member State is covered by the Treaty provisions on the free movement of capital, provided that the shareholding does not confer on those natural persons definite influence over the company’s decisions and does not allow them to determine its activities. By contrast where the acquisition involves all the shares in a company having its registered office in another MS and the shareholding confers a definite influence over the company’s decisions and allows the shareholders to determine its activities, it is the Treaty provisions on freedom of establishment which apply (see, to that effect, Case C-251/98 Baars [2000] ECR I-2787, paragraphs 21 and 22).” While the Court did not actually state that in the latter case freedom of capital did not apply, that may well be regarded as implicit. In numerous subsequent cases, including the latest Golden Share case,78 but not earlier ones , Baars has been applied not only as an authority that establishment requires strict Baars control, but also that where establishment applies on this basis capital does not. 2. The Capital/Establishment Boundary – 4 categories of case The cases fall into 4 main categories a) Where capital has been applied but establishment not because it was unnecessary to examine it and/or it was “merely a consequential” consideration b) Where establishment has been applied but capital not because it was unnecessary to examine it and/or merely a “consequential consideration” 77 78

Case C-208/00 Ueberseering BV v Nordic Construction GmbH [2002] ECR I-9919. C-326/07 Commission v Italy, decided 26.3.2009.

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c) Where establishment and capital have been applied in parallel and d) Where establishment has been applied alone because capital has been excluded on that account – i.e. on the ground that establishment applies. These are now considered in turn: a) Where capital was applied, but establishment not, because it was unnecessary to examine it and/or it was merely a “consequential” consideration In a number of earlier cases on Golden Shares79 where MS legislation imposed discretionary caps on substantial shareholdings at levels which might, or might not, have conferred control but also reserved powers to MS authorities which clearly related to control (e.g. on major disposals,80 on board appointments, or on strategic decisions 81) the Court made the decision on the basis of free movement of capital, determined by reference to the effects of the national measures – i.e. whether they deterred, or were liable or likely to deter, investors from other MS – and not their purpose, which was avowedly regulatory. It then took the view that it was not necessary to decide the establishment issue on the ground that any restrictions on establishment were “a direct consequence of the obstacles to capital …, to which they are inextricably linked”.82 This approach was inconsistent with the Ueberseering view (ie the view argued to be implicit above) of Baars – i.e. that where establishment applied this excluded capital – in the sense that the Court saw no need to determine the establishment issue in order to determine whether that was the case. It also involved rejection by the Court of Colomer AG’s view expressed forcibly in Commission v UK and Spain 83 and again in Commission v Germany 84 and still held in 2009,85 that these cases were best regarded as establishment cases and not capital at all, on the ground that the MS purpose was to “control the corporate will” by “influencing either the organisation of

79 C-483/99 Commission v France, C-367/98 Commission v Portugal [2002] ECR I – 4781, C-463/00, Commission v Spain, C-98/01 Commission v UK, C-282/04 Commission v Netherlands. 80 E.g. Commission v France, Belgium, and Portugal, Commission v UK, Commission v Netherlands, above. 81 Commission v Germany, above. 82 C-483/99 Commission v France paragraph 55, C-367/98 Commission v Portugal para 56, C-463/00 Commission v Spain, 86, C-98/01 Commission v UK and C-282/04 Commission v Netherlands [2006] ECR I-9141, 43. And see most recently Case C-377/07 Finanzamt Speyer Gemenheim v STEKO Industriemontage GmbH, decided 22.1.09, 24. 83 C-463/00, point 36. 84 C-112/05, points 58–59. 85 C-326/07 Commission v Italy, decided 26.3.2009, Opinion at paragraph 44.

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shareholdings or specific management decisions – matters which went to management or control”.86 The Court’s decision in these cases was not wholly inconsistent with Colomer’s views: it merely decided that the powers in question deterred investors, including apparently narrowing the market by reducing or eliminating the prospect of hostile takeovers. This was indeed obviously the case. It was not inconsistent with Colomer’s argument, which must have been based on a view of the scope of establishment considerably wider than the narrow view of Baars. This argument, rightly in my view, clearly regarded the concern of establishment as going beyond concern with control blocks as such and considered the potential for the pattern of considerably smaller holdings to influence control. At any rate these Golden Share decisions clearly involved restrictions on cases within the strict Baars test. They were decided on the basis of capital nevertheless. b) Where establishment applied but capital not – because it was unnecessary to examine it, and/or merely a “consequential consideration” Baars is a clear example of a case where the Court believed that article 56 did not need examination given the decision on Article 43, but where on a close reading of the case it is evident that the Court reached no view on capital. In other cases the Court has ruled that capital consequences were “merely consequential” and therefore did not merit independent examination. Thus in two cases UK tax legislation on “controlled foreign companies” (“CFCs”) was held contrary to article 43. The UK rules imposed a charge based on the profits of certain defined foreign subsidiaries directly payable by the UK parent in certain conditions, a charge not imposed in respect of domestic subsidiaries. (The definition and conditions were set to identify artificial tax avoidance entities.) In Cadbury Shweppes 87 the subsidiary was Irish and the Court held that article 43 was in point, applying the strict Baars control test as “settled case law” and citing Baars,88 and that article 43 was breached (subject to justification). It declined to consider article 56: “Any restrictive effects on … services and capital” … “are an unavoidable consequence of any restriction on freedom of establishment and do not justify, in any event, independent examination”.89 This does not seem (though the words “in any event” raise a question) to have been a ruling that

86

Ibid. C-196/04 Cadbury Schweppes plc and Cadbury Schwepppes Overseas Ltd v Commissioners of Inland Revenue, decided 12.9.2006. 88 Id Paragraph 31. 89 Id paragraph 33. 87

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article 56 did not apply but merely that the issue did not merit examination on the facts.90 It could indeed have made no difference to the outcome. However in the Group litigation on the same subject 91 not only MS subsidiaries but also third country subsidiaries were in issue. As to the former the Court adopted the same line as in Cadbury.92 But on the latter since article 43 did not apply (because of its territorial limitations) examination of article 56 could not be regarded as unnecessary. That article was the only route to a remedy. The ruling is not easy to follow but appears to be that, because the effects on free movement of capital of measures found in breach of article 43 (CFCs) are only consequential, there is no need to consider them here either – i.e. their mere consequentiality is sufficient to exclude any remedy based on them, even where no article 43 remedy is available.93 The case thus seems to be applying the strict Baars control test so as to apply article 43 to the exclusion of article 56 even in cases where article 43 does not itself apply. The “not meriting examination” view has become a mandatory exclusion of availability of article 56, even where on the face of it the issue does merit independent examination. This use of Baars affirmatively to exclude application of article 56 therefore seems to correspond to the much clearer rulings in A and B 94 and Commission v Italy (2009),95 but it is convenient before considering this most recent line of cases to examine those which are apparently not consistent and involve examination of establishment and capital in parallel or apply capital even though establishment is clearly (and admittedly) in point.

90 The decision on the first question in case C-524/04 Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation v Commissioners of Inland Revenue decided 13.3.2007 is to the same effect – article 43 applies – effects on services and capital an unavoidable consequence and not justifiable to examine those freedoms – see paragraph 34. 91 C-201/05 Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation v Commissioners of Inland Revenue, decided 23.4.2008. Only questions 3–5, on taxation on MS CFCs, on 3rd country CFCs, and on possible article 57 exemption of the latter, are discussed here. Questions 1 and 2 on discriminatory taxes on dividends (applicable regardless of holding size) are dealt with below. 92 Id paragraph 73. 93 Paragraph 89 – no need to answer the 4th question for measures which article 56 precludes followed by an examination only of the dividend restrictions (which applied to non-controlled companies) and paragraph 106 – article 56 effects of measures contrary to article 43 to be regarded as the “unavoidable consequence” of such obstacle to establishment and not to be examined for purpose of considering articles 56 and 58 [sic] (citing Cadbury Shweppes and Fidium Finance). 94 Case 102/05 Skatterverket v A and B decided 10.5.2007. 95 C-326/07 decided 26.3.2009.

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c) Where establishment and capital have been applied in parallel, or a decision has been taken on one even though the other was clearly in question True parallelism involves a clear holding that article 56 applies even in a case where article 43 applies (as well, of course, as the converse). These cases fall into two classes: – where both freedoms are applied to the same facts (“true parallelism”) and – where the MS law in question was capable of applying both to cases involving establishment and cases which did not and both freedoms have been held applicable to the law (possible “pseudo-parallelism”). This second class of case may not be an example of true parallelism, because such a holding may merely amount to one that where on the facts establishment applies it does so to the exclusion of capital and only where it does not does capital apply. In other words a MS law may infringe both articles but it may only be capable of infringing one of them in any particular case, because establishment excludes capital, or conceivably the converse. aa) True Parallelism – Establishment and Capital freedoms applied to same facts Commission v Spain 96 appears to be the closest that the ECJ (as opposed to its Advocates General) has come to endorsing true parallelism The Spanish law required government approval for acquisition of shareholdings of 10 % or more in certain energy sector enterprises, and for any acquisition from them of certain of their assets. The Commission argued that this infringed both article 43 and 56. It was only on grounds of procedural economy that 43 had not been considered in the early Golden Share cases (see above).97 The Court appears to have agreed, finding a breach of both articles. First it held that article 56 applied. Relying on the Capital Directive definition it emphasised that article 56 includes direct investments – i.e. all kinds of investments “which serve to create durable and direct relations between the provider of the funds and the enterprise invested in” … This “presupposes the shares held give a possibility of participating directly in management or controlling the company”.98 The court had often ruled that measures which were “liable to impede or limit acquisition of shares” or “likely to dissuade investors from other MS” were article 56 restrictions. The Court relied on 96

C-207/07 decided 17.7.2008. Id paragraph 18. However it went on to say that anyway an acquisition of more than 10 % did not always give definite influence on decision making and that therefore both articles applied – ibid. 98 Id paragraph 32 and 33 (author’s translation of French text). 97

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the cases of Holböck 99 and Commission v Germany (VW case) 100 for this position. The Court’s reliance on the control component in the definition of capital and on the “liable to deter” test (which applies just as much in cases involving restriction of control stakes as it does others) suggests that the Court was adopting a true parallel position and applying article 56 to Establishment cases. However this is far from clear and the ECJ adopted the strict Baars control test for article 43. Nor do the two cases relied on by the ECJ fully substantiate the Courts putative reliance on true parallelism. aaa) True Parallelism and Holböck In Holböck an Austrian taxpayer challenged an Austrian law which taxed dividends on third country company shareholdings (regardless of their size) less favourably than those on domestic company holdings. On the facts he had an indirect controlling holding (2/3 of share-capital) in a Swiss company. Article 43 did not apply (for obvious reasons) and was not invoked though France and the Netherlands argued that the Austrian legislation could only be considered in terms of freedom of establishment. But the Court pointed out that because the legislation applied regardless of the size of the holdings it “may fall within the scope of both” article 43 and 56. But it ruled that article 43 did not apply because it did not apply to establishment in a non MS and article 56 did not apply because the case was excluded from the capital chapter by article 57(1), in accordance with the requirements of that article – because this was a direct investment and the Austrian law dated in substance from before 31 December 1993.101 This was clearly an establishment type case and if article 56 had not applied in such cases then it would not have been necessary to decide whether article 57 excluded it. So on that basis this was a clear case of pure parallelism – the fact that establishment was in issue did not exclude article 56.102 Moreover in the analogous case of Lenz,103 which involved the same legislation as it related to investment in another MS, the decision was taken on the basis of capital with no consideration of establishment. However it is not entirely clear that Holböck really is authority for articles 43 and 56 running in parallel in an establishment type case. The Court reached the view that both articles were applicable because the legislation, unlike that in Cadbury Schweppes where it was intended to apply only where the shareholdings enabled strict Baars control, applied irrespective of the size of 99

C-157/05 W. L. Holböck v Finanzamt Salzburg-Land. C-112/05, Commission v Germany. 101 See the criteria for the exclusion in article 57(1), described above. 102 This view was adopted by Henderson J in the UK FII Group Litigation case – see below. 103 C-315/02 decided 15.7.2004. 100

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the holding in question.104 It is, perhaps, conceivable that the Court believed that where legislation covered both kinds of case (control and non-control cases) article 56 applied even in the control cases, even though it did not where the legislation covered only such control cases; but that seems very unlikely. Such an analysis is open to the obvious objection that if the Austrian law had been split into two separate laws, with one law covering non-control and the other control type cases, then, absurdly, the article 56 remedy would have been removed from cases within the control type law by the mere formality of dividing the law. Moreover, while it is true that article 57 could only have been relevant if article 56 applied in establishment type cases, the Court did not say that it was relevant; it carefully said that “even if [emphasis added] a national who holds 2/3 of the share capital were justified in invoking free movement of capital then the legislation would be caught by article 57(1)”. The Court thus reserved its position on the question.105 However it also quite clearly regarded control type direct investment, as defined in the Directive, as within the capital chapter and held that the reference to direct investment in article 57(1) was to be defined by reference to the directive. bbb) True parallelism and Commission v Germany (“VW”) The second case relied on by the Court in Commission v Spain was, as we have seen, the VW case. In that case the Commission attacked provisions of the German VW law which imposed a shareholding cap at 20 %, allowed government nomination of directors and enhanced minority powers to block strategic resolutions. The Commission’s objections were based on both articles 43 and 56, but it failed properly to advance a case on 43. The German law had an evident establishment flavour – it was quite explicitly recognised as designed to block takeovers 106 (as was indeed notoriously the case). Nevertheless the case was decided on article 56 and seems therefore to be an obvious recent support for the proposition that restrictions on establishment may also be restrictions on capital. The Court explicitly recognised article 43 was in point, citing the narrow Baars test and noting that “the provisions in dispute address at least in part the situation of a shareholder seeking to exercise a controlling influence over the undertaking”. It seems inconceivable that the Court could have decided the highly controversial VW case as it did (with its implications for the third country

104

Paragraphs 23 and 24. Lenz, above, is no real guide as the point was not considered and the investments may well have been pure portfolio ones. 106 Case 112/05 at 77–80. 105

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territorial scope of the necessary remedy) if it took the view that the applicability of article 43 would exclude article 56.107 But nevertheless strictly speaking the case is not an authority for true parallelism108. Two further cases are worthy of note in this connection. In Caixa Bank 109 the Court held that a French law prohibiting the provision of interest bearing current accounts was an infringement of article 43 in relation to a wholly owned subsidiary of a Spanish bank. The Court expressly stated that the restriction was “a serious obstacle to foreign parent companies pursuing their activities via a subsidiary” which “entails a hindrance … in raising capital from the public”. This hindrance of capital-raising was recognised to be the core activity restricted – capital raising was recognised as in itself an establishment activity.110 In SEVIC Systems AG v Amtsgericht Neuwied 111 Tizzano AG took the view that a law denying the right of a German company to absorb by merger a Luxembourg one was not only a breach of article 43 but also of article 56 on the ground that “mergers clearly fall within the scope of article 56” and “it is clear that mergers constitute movements of capital”.112 The learned Advocate General clearly believed that the two freedoms ran concurrently in this case, but the Court found it unnecessary to consider article 56, no doubt because an adverse holding on article 43 was sufficient to resolve the question. bb) MS law restricts both freedoms – “pseudo-parallelism”? In a number of tax cases laws favouring dividends distributed by domestic companies over those distributed by foreign companies have been held to infringe both articles 43 and 56. In the FII and CFC Group Litigation cases the UK laws in question applied in some cases to dividends distributed by controlled companies, in others to those on holdings of at least 10 % and in others regardless of the size of the holdings. The Court took the view that where the strict Baars test

107 In cases C-463 and 464/04 Federconsumatori et al. v Comune di Milano a law designed to secure to public authorities the power to nominate a board majority (which clearly pertained to establishment/ control) was held to infringe article 56 as likely to deter investors – analogous to VW, but article 43 was not mentioned. 108 In Case C-302/97 Konle the ECJ proceeded on the basis that an Austrian law discriminating against foreign acquisition of land fell within both freedoms, but decided the case solely on establishment finding no need to consider capital – the converse case to VW. 109 C-442/02 Caixa Bank France v Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie et al. (decided 5.10.2004). 110 The activity might well have been regarded as a service too. Neither the service nor the capital movement crossed a frontier, but the controlling parent company in Spain felt the benefit. 111 Case C-411/03 [2005] ECR I-2507. 112 Opinion at paragraphs 6, 75, 76.

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was satisfied article 43 applied, where the law related to a 10 % or more holding then article 56 113 also applied and, apparently, in relation to holdings of less than 10 % article 56 alone applied. At one point in the CFC judgement the Court added that in the more than 10 % case where the Baars test applied then article 56 did not,114 but this qualification was omitted from the summary 115 and the ruling. In the FII case the equivalent reasoning omits the qualification altogether and the summary applies both articles 43 and 56 to the greater than 10 % cases 116 and 56 alone to the lesser ones.117 Both judgements assume, wrongly in my view, that a holding of less than 10 % can never relate to establishment.118 Both clearly imply, again wrongly in my view, for similar reasons, that only where the strict Baars test is satisfied does article 43 apply. Because of the inconsistency between the two cases and the internal inconsistency in the CFC case it is not clear whether the Court took the view that where establishment applied (sc. on the strict Baars ground) it followed that capital did not. In the subsequent litigation on the FII case in the English High Court Henderson J 119 concluded that it did not so follow and, purporting to follow Holböck (which as we have seen is actually inconclusive on the issue), applied articles 43 and 56 in true parallel to a strict Baars test control case. However for the logical reasons mentioned above this seems unsatisfactory as a basis for understanding the Court’s reasoning (whatever its inherent merits). The better view seems to be that both articles apply to the UK law, but on the basis of the Court’s analysis they are to be applied distributively according to the nature of the case – article 43 to Baars control type cases, and article 56 to others. So there is no true parallelism here. But Henderson J rejected this argument, as we have noted, at least in respect of 3rd country holdings.120 The case law as examined under these 3 heads can scarcely be described as conclusive or settled and indeed the distinctions between the 3 heads are hardly bright-line ones. However a trend at least can be discerned in favour of the view that establishment trumps capital.

113

See CFC case paragraph 43, following FII case paragraphs 72–73. At paragraph 39. 115 At paragraph 43. 116 Paragraphs 72 and 73. 117 Paragraph 74. 118 See the discussion of the scope of the freedom above. 119 [2008] EWHC 2893 (Ch) at paragraphs 74 to 85, holding that a claimant company could rely on article 56 in relation to holdings in its third country subsidiaries. 120 However he held that article 57(1) applied – paragraph 108–109. 114

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d) Where establishment has been applied and capital has been excluded on that account In 2 recent cases A and B 121 and Commission v Italy (2009) 122 the Court does indeed seem to have adopted that position. aa) A and B The A and B case concerned the Swedish law tax law for close companies, which made an allowance against tax on dividends reflecting the employment costs of the company and its subsidiaries. However such an allowance was only made in respect, in substance, of employees located in Sweden or other MSs, but not those in third countries. The applicants were shareholders in such a company, each holding 1.7 % of the shares. They claimed an allowance against tax on their dividends in respect of employees of a branch, established in Russia, of a wholly owned subsidiary of the company. The Commission and the Netherlands argued, as the Court put it,123 that the Swedish law “affects the establishment of a branch and consequently falls solely within the field of freedom of establishment”. The court went on to argue that “since an examination from the angle of freedom of establishment would make it superfluous to conduct a separate examination … on … capital, it is necessary to consider first whether it comes within … establishment”.124 It then had no difficulty in finding that establishment entails for companies within article 48 the right to exercise their activity in the host MS through a subsidiary, branch, or agency and that the MS of origin was prohibited from hindering this.125 The national measure “has the principal effect of making the establishment of a branch by a Swedish company in a non-member country less attractive” and “[in] discouraging the creation of branches the measure fundamentally affects freedom of establishment and therefore comes solely within the scope of the Treaty provisions relating to that freedom” … “If that measure has restrictive effects on … capital, such effects must be seen as an unavoidable consequence of any restriction on … establishment and do not justify an examination of that measure in the light of articles 56 to 58.” … “consequently there is no need to examine the measure … in the light of Treaty provisions … on … capital” [emphasis added].126 The national measure

121 122 123 124 125 126

C-102/05 Skatterverket v A and B decided 10.5.2007. C-326/07 decided 26.3.2009. Paragraph 21. Paragraph 22. Paragraphs 23 and 24. Paragraphs 25–28.

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“fundamentally affects freedom of establishment within article 43 et seq.” and “those articles may not be relied upon in a situation involving establishment in a non-member country”. So the Court concluded quite explicitly that since establishment was “fundamentally” in point the provision should be considered “solely” from that perspective, even though the Treaty rules on establishment did not apply, and that no consideration should be given to capital. It is not evident why the establishment considerations were “fundamental” but the capital ones not. Discouraging the creation of branches involves making the return realisable less attractive – both an establishment and an investment matter. If a subsidiary had been in issue the interest of that subsidiary in raising funds from its parent would have been a legitimate claim under the capital chapter.127 The A and B case was decided by reasoned order as a case where the same point had already been decided.128 But the cases relied on (Cadbury Schweppes, Fidium Finanz, and the Thin Cap case) are not authority for the proposition that, where establishment applies to the conditions of operation of a subsidiary company or branch, capital not only need not be considered where article 43 applies but also shall not be considered even where it does not.129 The Advocate General’s Opinion has not been published. There must therefore be some doubt about the authority of this case. bb) Commission v Italy (2009) However Commission v Italy (2009) is more conclusive. This is a Golden Share type case in which articles 43 and 56 were held to apply according to the nature of the particular provisions of national law. The Italian law enabled the public authority to exercise discretionary powers under the articles of various privatised companies (a) to block accumulations of shareholding bearing 5 % or more of the voting rights; (b) to block shareholder agreements to exercise 5 %130 or more of the voting rights; (c) to veto certain strategic transactions (such as merger, dissolution and migration); and (d) to appoint a non-voting director.131 The Commission challenged these provisions under article 56, but added that a challenge could equally be based on 43, while Italy, citing Cadbury Schweppes, argued that the matter was to be considered exclusively as a matter of establishment.132 Colomer AG reiterated his view that “the natural 127

See the discussion of capital bilaterality above. Article 104(3) of the ECJ Rules of Procedure. 129 See the consideration of the three cases above. 130 There was also a ministerial power to reduce these 5 % levels. 131 Case 324/07 paragraph 4. A separate decree of 2004 prescribed criteria for operation of the powers, which the ECJ found inappropriate (i.e. insufficiently linked to the power) and disproportionate – not our concern here. 132 Paragraphs 11, 22. 128

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and most suitable context for evaluating … “golden shares” is freedom of establishment”. “Such powers make the right to freedom of establishment less attractive either directly where they impinge on access to share capital, or indirectly where they reduce its allure by restricting the powers of the board relating to the ownership or management of the company” … “the resulting restriction on the free movement of capital is incidental rather than inevitable” … “this is the case as regards measures which affect the composition of membership, but … is even more true as regards measures restricting company resolutions” of the (c) type.133 Colomer noted the critical importance of the territorial issue – i.e. the “high degree of practical relevance in … that capital applies also between MSs and non-member countries … so that even if a the power of veto were held contrary to article 43 it would still be effective against shareholders of non member countries”. “But a finding that the power contravened article 56, despite the secondary nature of the movement of money … which is precondition to the acquisition of a controlling shareholding, would leave the way open for non-Community shareholders to [exercise their powers so as to] carry through the dissolution [of the company free of the veto power]”.134 So Colomer AG adopted the view that article 43 was applicable because of the impact on shareholders of these powers in terms of their interference with powers of company management and the consequent impact on the attractiveness (or “allure”) of a holding in the company concerned and he appears to have taken this view regardless of the size or nature of the shareholding affected. But he was particularly concerned about the impact of a holding of breach of article 56 on the ability of 3rd country shareholders to override the veto power. However in the latter part of his opinion, considering justification of the Italian decree which laid down criteria for exercise of the powers, Colomer AG seems to accept that article 56 alone applies to the (a) and (b) (5 % cap) restrictions and 43 to (c) (the veto power), arguing in the case of the latter that under the case law “in order to ascertain whether a provision falls under one freedom or another it is necessary to look at the subject-matter of that provision”, that national laws governing a holding of capital “which gives definite influence over a company’s decisions and permits involvement in its activities are covered by freedom of establishment” 135 [emphasis added – note the laxity of the influence/control criterion in comparison with Baars].

133 134

Opinion, paragraphs 44, 45. Paragraph 47. To my mind money is existential in such cases rather than second-

ary. 135 Opinion, paragraphs 62, 66, 78, 79 (citing Baars, X and Y and Cadbury Schweppes, but see below).

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The Court did not follow Colomer either in his early argument that article 43 alone applied or in his later approach applying 56 alone to the (a) and (b) (5 %+ holding) powers and 43 alone to the (c) veto power. It held that the (a) and (b) type blocking powers “may” infringe both article 43 and article 56, but that the paragraph (c) veto power infringed only article 43. First on the question of the applicability of one freedom or another “the purpose of the legislation concerned must be taken into consideration” 136. Holdings allowing the holder to exercise narrow Baars type control powers (ie allowing the holders “to exert a definite influence on the company’s decisions and to determine it activities”) were within the ambit of freedom of establishment137. Direct investments – i.e. those “which serve to establish or maintain lasting and direct links with the undertaking” enabling the investor “to participate effectively in management or control” – fell within article 56.138 National legislation not intended to apply only to shareholding enabling strict Baars style control but which applies irrespective of size “may fall within the ambit of both article 43 and article 56” [emphasis added].139 So a distinction needed to be drawn between the paragraph (a) and (b) 5 % powers and the paragraph (c) veto power. As to (a) and (b) it was clear on the facts that the 5 % holdings had to enable effective participation in management, which was covered by article 56. But even at the 5 % level it was conceivable that in companies with large numbers of shareholders there might be narrow Baars type control powers; furthermore the percentages were minima and greater holdings give an obvious power of control. So it was necessary to examine those powers in the light of both article 43 and 56.140 As for the paragraph (c) veto power, since that “clearly relates to decisions within the scope of management and therefore concerns only shareholders capable of exerting definite influence, the power must be examined in the light of article 43” … “Even if the effects of those criteria are restrictive of … capital those effects would be the unavoidable consequence of any restriction on freedom of establishment and would not warrant independent examination in the light of article 56” … so the “veto must be examined solely from the point of view of article 43” 141 [emphasis added]. So the powers were to be considered in the light of article 56 and/or 43 according to the character of the shareholding in issue by reference to the size 136

Paragraph 33, citing Holböck, which in turn cites Fidium, Cadbury and the FII case. Paragraph 34. 138 Paragraph 35. This is not an assertion that other investments do not. It emerges later in the judgement that only such direct investments are in fact in point – see below. 139 the Italian contention based on Cadbury Schweppes that only article 43 applied was rejected. 140 Paragraph 38. 141 Paragraph 39. 137

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of the holding and the ownership structure – dispersion, etc. It is reasonably clear that the Court took the view that article 43 applied, and 56 did not, where the Baars test was satisfied, and that article 56 applied, and 43 did not, where the Baars test was not satisfied, even though on the facts the character of shareholding targeted by the Italian provisions was limited to “direct” investment – i.e. conferring powers to participate effectively in management. In the case of the veto power, because the decisions in question were ones for a high majority, article 43 alone applied and consequential effects of the veto power on investment were to be disregarded. But it should be noted that the test applied by the Court for application of article 43 to the veto power was not the Baars test applied to the 5 % powers, but only a “definite influence” requirement.142 cc) Exclusive application of article 43 – extended MS immunity in 3rd country cases Finally on this case, it is worth noting the territorial effect which would follow from Colomer AG’s final Opinion and the somewhat wider effect of the judgement. As Colomer AG recorded in his “Epilogue” the concern of the Italian Government was with 3rd country investors (“extra-Community investor groups”) 143 exercising strategic powers – eg to dissolve the business. The fear is of predatory operators based in 3rd countries. As we have seen, the Opinion concludes that article 56 alone applies to the powers in (a) and (b) (the 5 % powers) and 43 alone to (c) (the veto power over strategic decisions). Thus the Community law invalidity of the national provision would accrue to third country claimants (and in respect of third country transactions) in relation to (a) and (b), but not (c). The Court’s judgement, by holding that article 43 applies to the exclusion of 56 also to the (a) and (b) powers where the Baars strict control test is satisfied, extends the immunity of national measures from external challenge also into the (a) and (b) field to that extent. But of course if the Court had adopted the AG’s initial view, that article 43 alone applied to all three classes of powers, there would have been no invalidity of national measures for such 3rd country cases at all.

142 143

Compare paragraph 38 of the judgement with 39. Opinion paragraph 91 – no doubt the demonised hedge funds are in mind.

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V. Conclusions and proposal 1. Conclusions Is this summary of the Commission v Italy case a safe, satisfactory and stable basis for resolution of the issues in this field? It is submitted that it is not for the following reasons: 1. The decision is far from clear – in particular as we have noted on the (a) and (b) powers the strict Baars control test is applied to determine when article 43 applies and article 56 not with all the consequences which follow. On the (c) powers on the other hand only a “definite influence” is required to have this effect. Assuming that this distinction is deliberate it seems impossible to find any justification for it, leaving in limbo a reasoned approach to defining this vital boundary.144 2. Whichever test is applied the distinction between, in particular, “direct” investment (which gives “lasting economic links” and “enables the investor to participate effectively in management or control”) 145 and establishment (whether based on the strict Baars control power test or some laxer version mentioned above) is very refined and hard to administer in practice, if discernible at all. Such refined and speculative reflections on the degree of control or influence which is operative or likely to be operative in any case are, it is submitted, not a sound basis for important policy distinctions. 3. The narrow view which sets the bounds of article 43 by reference to the strict Baars control test are not reconcilable with the Treaty, the subordinate legislation (such as the Takeover Bids Directive) nor with the general case law on establishment. If it is generally adopted on other areas it will, it is submitted, unduly curtail the scope of freedom of establishment which is a fundamental guarantee for business activity by a wide range of participants. 4. The view that where establishment is in play it always trumps capital is not consistent with articles 57 and 58, which clearly envisage that, subject to defined exceptions, the capital freedom can operate in the establishment field. 5. Adoption of a narrow Baars view for the bounds of establishment leads to a correspondingly narrow area for establishment to derogate from capital to the extent that it is concluded that establishment indeed trumps capital. This produces a wide, and it is submitted undesirable range of rights for 3rd country related claims under article 56 in areas of influence falling short of the high levels of control required by Baars.

144 Colomer AG adopts a different formula again – i.e. whether the holding “gives definite influence over the company’s decisions and permits involvement in its activities” (purporting to apply Baars, X and Y and Cadbury Schweppes) – paragraph 79 of the Opinion. 145 See Commission v Germany above at paragraph 18 and cases cited.

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6. The purpose doctrine enunciated in Commission v Italy is, if applied narrowly, not consistent with articles 56–58, which clearly envisage measures adopted for purposes other than restraining capital transactions falling within the chapter (such as prudential regulation), and not consistent with principle, as argued above. The majority of the cases adduced to assert such a purpose test are in fact decided on the effects of the national measures.146 Whether a measure deters investors or is likely to do so is the correct test for applicability of the capital freedom, assuming that that freedom is (as must surely be the case) a Treaty objective in its own right. 7. There are major difficulties with arguments that the effects on one freedom are “purely consequential” on the effects of the infringement of another. A realist may conclude that where establishment is in play the Court may be expected to find effects on capital movements always to be thus consequential, in order to narrow third country related remedies. As argued above, in many circumstances the two freedoms are concomitant, even identical, and it is not possible to discern causal links in either direction of one on the other.147 While there may be cases where the impact of a national measure on one freedom may be so trivial that it does not deserve consideration it is submitted that none of the cases considered in this paper are examples where the impact on investors was trivial or de minimis in this sense. 2. Proposal Hard cases make bad law. There is a real danger of the Court’s understandable desire to reduce the scope of the capital freedom for territorial reasons leading to a distortion of the freedoms. I would suggest that it is better to accept the natural meaning of the Treaty legislation that the freedoms normally operate in parallel when the transaction in issue is capable of being characterised as an exercise of both freedoms and that the generous and flexible view of the scope of Establishment which emerges from the earlier cases should continue to be adopted. But this does not mean that the capital freedom is a means of evading necessary and established restrictions on freedom of establishment. Article 58(2) makes it clear that “the provisions of [the capital chapter] are without prejudice to the applicability of restrictions on the right of establishment which are compatible with this Treaty”. Establishment here must include establishment involving 3rd countries and not be limited by the territorial scope of 146 See Cadbury Schweppes at 31–33; A and B 25–27, FII 36, Thin Cap 26–34, CFC 72, 73 Class 4 ACT case 37–38, Fidium Finanz 34 and 44 (all cited above). 147 Colomer AG in the Italy case asserts at paragraph 81 that because the transfer of funds will have occurred earlier than the interference with their enjoyment this reduces the link with capital to “the level of a schoolboy hypothesis” – I claim the loom of youth!

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article 43, for two reasons: first, it would be absurd if the provision applied as between MSs but did not apply as against third countries (giving less scope to MSs to regulate the latter); and second, it is clear from article 57(1) and (2) that establishment in this chapter has that wider sense 148 and applies to foreign establishment – see A and B, above. It has been argued elsewhere that this view of article 58(2) is open to objection on the ground that it deprives article 57 as it applies to establishment of all meaning, because that article enables MSs in limited circumstances to adopt restrictions contrary to article 56 involving establishment. On consideration it is evident that this view is mistaken: article 57 removes the national measures entirely from the chapter; article 58(2) does not where it is shown that the invocation of establishment constitutes arbitrary discrimination or a disguised restriction on capital – see article 58(3). A proper application of article 58(2) will allow MSs to restrict investment involving 3rd countries on legitimate establishment grounds and where this is not arbitrarily discriminatory nor really a disguised restriction on capital.149

148

See too the reasoning in the A and B case. What of the problem of Fidium and the overlap between Capital and Services? This problem is acute where the service in question is (again) a capital transaction – the answer is that the relevant policy justification is prudential regulation which is excluded under article 58(1). Consideration needs also to be given to possible special justifications where the transaction restricted involves a third country. I am grateful to Dr Alexander Schall of Hamburg University for comments on an earlier draft of this paper; its faults remain my own. 149

Schatten des Rechts Contract Governance und Governance der Vertragsverhandlungen bei der SE-Mitbestimmung Karl Riesenhuber

Klaus J. Hopt hat das Gesellschafts- und Unternehmensrecht in seiner Arbeit als Ganzes in einem weit gespannten System des Wirtschaftsrechts verstanden, zu dem neben dem Kapitalmarktrecht und dem Handelsrecht auch das Mitbestimmungsrecht gehört. In einer Zeit, die noch von erhitzten Mitbestimmungsdiskussionen geprägt war, führen Hopts Beiträge 1 durch nüchterne, rechtsvergleichend fundierte Analyse und Bewertung von Grundformen der Mitbestimmungsmodelle sowie durch eine juristisch-ökonomische Erörterung der Funktionsprobleme weiter. Hopt leitet aus der Beobachtung der mitgliedstaatlichen Disparitäten und der politischen-sozialen Grundlagen weitsichtig ab, dass sich die Mitbestimmungsfrage für die Societas Europaea (SE) in den achtziger Jahren nicht wird lösen lassen. Mit Rücksicht auf die Funktionsprobleme spricht er sich zum einen für einen Wettbewerb der Regelungsmodelle aus, zum anderen dafür, das Mitbestimmungsregime nicht auf eine gesetzliche Lösung zu verengen, sondern für eine freiwillige Lösung offenzuhalten. Damit hat Hopt frühzeitig den Weg zu einer Regulierung der Mitbestimmung mit den Mitteln des Vertragsrechts gewiesen: zu einer Form der Contract Governance.2

1 Siehe vor allem Hopt Grundprobleme der Mitbestimmung in Europa – Eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme und Einschätzung der Vorschläge zur Rechtsangleichung der Arbeitnehmermitbestimmung in den Europäischen Gemeinschaften, ZfA 1982, 207–235; ders. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – Auswirkungen der Mitbestimmung auf corporate governance und wirtschaftliche Integration in Europa, in Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling (1995) S. 475–509; ders. Labor Representation on Corporate Boards: Impacts and Problems for Corporate Governance and Economic Integration in Europe, IRLE 14 (1994) 203–214. 2 Zum Panorama der Contract Governance Riesenhuber/Möslein Contract Governance – Skizze einer Forschungsperspektive, in Riesenhuber (Hrsg.), Perspektiven des Europäischen Schuldvertragsrechts (2008) S. 1–41; dies. Contract Governance – A Draft Research Agenda, ERCL 2009, 248–289. Zentrale Aspekte erörtert schon Fleischer Gesetz und Vertrag als alternative Problemlösungsmodelle im Gesellschaftsrecht, ZHR 168 (2004) 673–707.

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Diesen Weg hat der Europäische Gesetzgeber, dem Vorschlag des DavignonBerichts 3 folgend, im Folgenden in der Tat beschritten.4 Nachdem zuerst die Europäische Betriebsrat-Richtlinie 5 eine Verhandlungslösung vorsah, hat sich diese auch für die Mitbestimmung in der SE 6 und in der Europäischen Genossenschaft 7 sowie zur Lösung der Mitbestimmungsfragen bei der Internationalen Verschmelzung 8 als tragfähig erwiesen. Auch die Vorschläge für Regelungen zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung (Vorentwurf 1997) und für das Statut einer Europäischen Privatgesellschaft (Societas Europaea Privata, SPE; KOM[2008] 296 endg.) fußen auf einer Verhandlungslösung der Mitbestimmung und damit einer Form der Contract Governance. Contract Governance wirft in der Sache neue Fragen auf, zugleich eröffnet sie neue Perspektiven.

I. Contract Governance und Schatten des Rechts 1. Contract Governance als Regulierung mit den Mitteln des Vertragsrechts Als Contract Governance kann man das Generalthema von Regulierung und Vertrag überschreiben. Bei näherer Hinsicht lassen sich verschiedene Aspekte unterscheiden, auch wenn diese sich teilweise überlappen oder unter unterschiedlichem Blickwinkel zusammengehören.9 So ist mit Contract Governance zuerst die Frage bezeichnet, welcher Regelgeber das Vertragsrecht setzen soll, eine Frage, die mit Rücksicht auf die internationale und europäische Rechtsangleichung nach oben und mit Rücksicht auf private Regelsetzer wie die Commission on a European Contract Law, die lex mercatoria und die Bedeutung auch regionaler (Handels-)Sitten und Bräuche nach unten offener geworden ist: Governance des Vertragsrechts. Man kann damit zweitens den institutionellen Ordnungsrahmen für private Transaktionen bezeichnen, also vor allem das herkömmlich nationalstaatliche Vertragsrecht mit seinen erleichternden und ermöglichenden Funktionen: Governance des Vertrags. Weiterhin kann man drittens im Hinblick auf die vereinbarte Governance der Rechtsbeziehungen, wie sie vor allem in Langzeitverträgen und Netzwerken von Bedeutung ist, darüber hinaus aber auch den einfachen Austauschvertrag (spot contract) betreffen kann, unter den Begriff der Con3 Abschlussbericht der Sachverständigengruppe „European Systems of Workers Involvement“ (Davignon Bericht), BR-Drucks. 572/97. 4 Zum Folgenden m.w.N. Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht (2009) §§ 26–32. 5 Ursprünglich Richtlinie 94/45/EG, jetzt Richtlinie 2009/38/EG; EBR-Richtlinie, EBRRL. 6 Richtlinie 2001/86/EG; SE-Richtlinie, SE-RL. 7 Richtlinie 2003/72/EG. 8 Richtlinie 2005/56/EG; IVRL. 9 Riesenhuber/Möslein (Fn. 2) S. 14–39.

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tract Governance fassen: Governance durch Vertrag.10 Hier stellt sich zuerst die Wahl zwischen Unternehmen und Vertrag,11 im Vertrag die Wahl zwischen verschiedenen Steuerungsinstrumenten. Wenn es an dieser Stelle um das Europäische Mitbestimmungsrecht am Beispiel vor allem des Mitbestimmungsregimes für die Europäische Aktiengesellschaft geht, so steht ein vierter Aspekt im Vordergrund. Bei der Rechtsetzung waren nicht so sehr die Wahl des richtigen Regelsetzers, Gemeinschaft oder Mitgliedstaaten, oder die ermöglichende Funktion des Vertragsrechts umstritten, sondern Regulierungsziele und -mittel. Kennzeichnend für die verabschiedete Regelung ist, dass Regulierungsziele unter Verwendung des Vertragsrechts als Regulierungsinstrument verfolgt werden: Governance mit den Mitteln des Vertragsrechts. 2. Contract Governance als alexandrinisches Schwert im politischen Einigungsprozess Die Wahl des Vertragsrechts als Regulierungsinstruments dürfte in erster Linie der politischen Einigung geschuldet sein, die sich über einen Zeitraum von dreißig Jahren nicht erzielen ließ („dreißigjähriger Krieg“; „Wunder von Nizza“).12 Soweit man die Wahl und Ausgestaltung der Mitbestimmung den Betroffenen überlässt, verschiebt sich die Legitimation auf sie und entlastet damit den Gesetzgeber. Insbesondere die Systementscheidung erfolgt nun nicht mehr zentral. Weder wird, wie das anfänglich geplant war, ein bestimmter Mitbestimmungstypus (der sich im nationalen Recht herausgebildet hat) für die SE vorgeschrieben 13 noch die Auswahl auf eine beschränkte Zahl von (schwer zu vergleichenden) Mitbestimmungstypen beschränkt.14 10 Contract Governance in diesem Sinne ist ein Zentralbereich der sog. privaten Ordnung (private ordering), die freilich auch durch andere rechtliche oder außerrechtliche Mechanismen hergestellt werden kann; Eisenberg Private Ordering through Negotiation – Dispute-Settlement and Rulemaking, Harv.L.Rev. 89 (1976) 637–681; Bachmann Private Ordnung (2006). 11 Das ist eines der zentralen Themen Williamsons, s. nur Williamson Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications (1975). 12 Zur Entstehungsgeschichte von SE-Verordnung und SE-Richtlinie nur Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht (2004) Rn. 1006–1010, 1053; Riesenhuber (Fn. 4) § 29 Rn. 1–4, jeweils m.w.N. Das Bild des gordischen Knotens verwendet bereits Windbichler Der gordische Mitbestimmungsknoten und das Vereinbarungsschwert – Regulierung durch Hilfe zur Selbstregulierung?, in Jürgens/Sadowski/Schuppert/Weiss (Hrsg.), Perspektiven der Corporate Governance – Bestimmungsfaktoren unternehmerischer Entscheidungsprozesse und Mitwirkung der Arbeitnehmer (2007) S. 282–304. 13 Vorschlag einer Verordnung des Rates für das Statut für Europäische Aktiengesellschaften vom 30.6.1970, KOM(70) 600 endg., ABl. 1970 C 124/1. 14 So noch Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des SE-Statuts hinsichtlich der Stellung der Arbeitnehmer, KOM(1989) 268 endg., ABl. 1989 C 263/69; Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des SE-Statuts hinsichtlich der Stellung der Arbeitnehmer vom 6.5.1991, ABl. C 138/8.

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Auch in der Sache sprechen gute Gründe für die Regulierung mit den Mitteln des Vertragsrechts.15 So weit die Regelungsspielräume reichen, eröffnet die privatautonome Gestaltung ein Entdeckungsverfahren und einen Wettbewerb.16 Privatautonomie entlastet nicht nur den Gesetzgeber, sondern ist auch ein Wert an sich. 3. Perspektive der Contract Governance: Verhandlungen und Vertrag als Regelungsgegenstand Der Wechsel zur Contract Governance entlastet freilich nicht nur, sondern wirft eigene Regelungsfragen auf. Dabei geht es zuerst um Aspekte der sogenannten Governance des Vertrags,17 also um die ermöglichende und erleichternde Funktion des Vertragsrechts. Am Anfang steht die Frage, wer einen solchen Mitbestimmungsvertrag überhaupt schließen kann.18 Augenfällig ist vor allem, dass die Arbeitnehmerseite nicht ohne weiteres ausreichend organisiert ist, um Verträge zu schließen, aufgrund der – im Normalfall gegebenen – Internationalität der SE-Gründung auch nicht durch die mitgliedstaatlichen Arbeitnehmervertreter. Aber auch wer die Gegenseite ist – die Anteilseigner?, die an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften? – und wer sie vertritt – die Hauptversammlung? die (welche?) Leitungsorgane –, liegt nicht ohne weiteres auf der Hand.19 Bei den Vertragsverhandlungen ist der Informationsasymmetrie Rechnung zu tragen.20 Während Form und Mindestinhalte eher regulierenden Aspekte haben (z.B. im Hinblick auf den für die Eintragung der SE erforderlichen Nachweis und die Sicherung eines Mindestmaßes der Mitbestimmung), gehört die Durchsetzung der Vereinbarung zu den allgemein-vertragsrechtlichen Fragen. All das sind freilich nur Folgefragen, die sich aus dem Wechsel von gesetzlicher Regulierung zur Contract Governance ergeben. Ist das Vertragsrecht nur Mittel zur Erreichung dahinterliegender Regulierungszwecke, so ist die Hauptfrage für den Gesetzgeber, wie er diese erreichen kann. Für den Gesetzgeber der SE-Richtlinie ging es in erster Linie darum, bei der Verwei-

15 S. nur Fleischer Der Einfluss der Societas Europaea auf die Dogmatik des deutschen Gesellschaftsrechts, AcP 204 (2004) 502, 534 f.; Windbichler (Fn. 12) S. 287–289. 16 V. Hayek Wettbewerb als Entdeckungsverfahren (1968), neu abgedruckt in Streit (Hrsg.), Friedrich A. v. Hayek – Rechtsordnung und Handelsordnung (2003) S. 132–149. S.a. Möslein in diesem Band, S. 2861 ff. („Dispositive Regelbildung als Entdeckungsverfahren“). 17 S. oben, I.1. 18 S. noch III.2. 19 Dazu – u.a. unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance krit. – Windbichler (Fn. 12) S. 293. 20 Das erwies sich schon beim Europäischen Betriebsrat als ein Kernproblem; näher Riesenhuber (Fn. 4) § 28 Rn. 47 ff.

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sung auf das Vertragsrecht dennoch die (vorbestehende) Mitbestimmung in einem Mindestmaß zu sichern. Gleichzeitig war es geboten, für einen angemessenen Interessenausgleich zu sorgen und namentlich zu verhindern, dass aus der Verhandlungssituation Verschleppungs- oder Blockademöglichkeiten (ex ante-Opportunismus) 21 bestehen (es geht schließlich um die Fortführung eines Unternehmens!). Steht in der juristischen Diskussion die ermöglichende und erleichternde Funktion des Vertragsrechts herkömmlich im Vordergrund, so hat doch seine regulierende Funktion in den vergangenen Jahren verstärkte Aufmerksamkeit gefunden. Tatsächlich enthält das Vertragsrecht ein ganzes Arsenal von Instrumenten bereit, die für regulierende Zwecke genutzt werden können. Hier ist nicht nur an zwingende Inhaltsvorgaben zu denken, sondern ebenso an prozedurale Regeln und besonders auch das dispositive Recht.22 4. Verhandeln und Schatten des Rechts Für die Parteien bilden diese Regeln den Hintergrund ihrer Vertragsverhandlungen, in Anlehnung an einen bekannten Beitrag 23 spricht man auch vom Verhandeln im Schatten des Rechts.24 Mnookin und Kornhauser erörtern, wie das Scheidungsrecht, seine vermögens- und sorgerechtlichen Aspekte, nicht allein, ja, nicht einmal primär als Konfliktlösungssystem fungieren, sondern vor allem als ein Rahmen, innerhalb dessen die sich trennenden Eheleute ihre Rechte und Pflichten einvernehmlich ordnen können. “We see the primary function of contemporary divorce law not as imposing order from above, but rather as providing a framework within 21 Williamson The Modern Corporation: Origins, Evolution, Attributes, J.Econ.Lit. 19 (1981) 1537, 1545 (“Opportunism effectively extends the usual assumption of self-interest seeking to make allowance for self-interest seeking with guile.”); ders. The Economic Institutions of Capitalism (1985) S. 43–67; Richter/Furubotn Institutionenökonomik (3. Aufl. 2003) S. 5, 144 f. (fokussiert auf Opportunismus infolge von Informationsasymmetrie). 22 Eingehend Möslein in diesem Band, S. 2861 ff.; ferner Bachmann Optionsmodelle im Privatrecht, JZ 2008, 11–20. 23 Mnookin/Kornhauser Bargaining in the Shadow of the Law: The Case of Divorce, Yale L.J. 88 (1979) 950–997. Zum Einfluss des Rechts auf Verhandlungen auch Eisenberg Harv.L.Rev. 89 (1976) 637–681. Aus der jüngeren Governance-Forschung (freilich im Hinblick auf den „kooperativen Staat“, also Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen Staat und Bürgern) Börzel Der „Schatten der Hierarchie“ – Ein Governance-Paradox?, in Schuppert (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt (2008) S. 118–131; Töller Kooperation im Schatten der Hierarchie – Dilemmata des Verhandelns zwischen Staat und Wirtschaft, ebd. S. 282–312. Mit Blick auf das „transnationale Recht“ jüngst Calliess/Renner Transnationalizing Private Law – The Public and the Private Dimensions of Transnational Commercial Law, GLJ 10 (2009) 1341–1355. 24 Fleischer AcP 204 (2004) 502, 534 f.; Riesenhuber (Fn. 4) § 29 Rn. 15.

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which divorcing couples can themselves determine their postdissolution rights and responsibilities. This process by which parties to a marriage are empowered to create their own legally enforceable commitments is a form of ‘private ordering’. … Divorcing parents do not bargain over the division of family wealth and custodial prerogatives in a vacuum; they bargain in the shadow of the law. The legal rules governing alimony, child support, marital property, and custody give each parent certain claims based on what each would get if the case went to trial. In other words, the outcome that the law will impose if no agreement is reached gives each parent certain bargaining chips – an endowment of sorts.” 25 Daraus ergibt sich eine veränderte Perspektive auf das Recht. Ansprüche sind dann Verhandlungspositionen (endowments, entitlements), dogmatische Grenzen können sich, möglicherweise abhängig von der Kommensurabilität (z.B. Geldwert), auflösen, außerrechtliche Interessen können in die Verhandlung und Lösung mit eingebracht werden, rechtliche Regeln können Raum für strategisches Verhalten liefern, abhängig von der Vorhersehbarkeit der gesetzlichen Lösung kann sich die Risikoneigung der Parteien auf die Verhandlungen und deren Ergebnis auswirken. Am Beispiel des Scheidungsrechts entwickelt, haben diese Überlegungen doch weiterreichende Bedeutung. “The perspective certainly has implications far broader than family law. Individuals in a wide variety of contexts bargain in the shadow of the law. Few automobile accident claims are ever tried; most are settled out of court. Criminal prosecutions are typically resolved by a plea bargain. Most administrative proceedings result in consent agreements rather than trials. In each of these contexts, the preferences of the parties, the entitlements created by law, transaction costs, attitudes toward risk, and strategic behavior will substantially affect the negotiated outcomes.” 26 Über die von Mnookin und Kornhauser vornehmlich in den Blick genommene Konfliktlösung lassen sich ihre Erwägungen auch für Verhandlungen mit Regelungsziel fruchtbar machen, um die es bei der Arbeitnehmerbeteiligung geht.27 Wo es, wie hier, um Steuerung geht, ist der Einfluss des Rechts auch bei rulemaking-negotiations groß.28 25

Mnookin/Kornhauser Yale L.J. 88 (1979) 950 und 968. Mnookin/Kornhauser Yale L.J. 88 (1979) 950, 998. Galanter Justice in Many Rooms: Courts, Privat Ordering, and Indigenous Law, J.Leg.Pluralism 19 (1981) 1–47. 27 Eisenberg Harv.L.Rev. 89 (1976) 637–681, unterscheidet zwischen dispute-negotiation und rulemaking-negotiation (bei letzterer wiederum nach Abhängigkeit der Parteien); ein Kontinuum sieht Galanter J.Leg.Pluralism 19 (1981) 1, 8 f. 28 Vgl. Eisenberg Harv.L.Rev. 89 (1976) 637, 675 (zum National Labor Relations Act). 26

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Die Rede vom bargaining in the shadow of the law ist freilich nicht sehr klar. Schon das Bild ist nicht ganz deutlich.29 Gemeint ist wohl der Schatten, den eine „Bedrohung“ vorauswirft, nicht der kühlende und schützende Schatten. So kann man die Rechtsregeln durchaus verstehen, nämlich wenn man die privatautonome Regelung als interessengerechter (und deshalb weniger „bedrohlich“) ansieht. Schatten ändern sich mit Bewegung und mit dem Licht und wirken oft anders als der Gegenstand, der den Schatten wirft (s. nur Platons Höhlengleichnis und Daddy Long-Legs). Auch insoweit ist das Bild aber nicht verfehlt, sondern ein durchaus treffender Ausdruck für die mit der Rechtsanwendung (in unterschiedlichem Maß) verbundenen Unsicherheiten. Bei dem Recht, das seine Schatten auf die Verhandlungen wirft, dürften Mnookin und Kornhauser an alle Arten von Rechtsvorschriften gedacht haben, gerade auch oder sogar vor allen Dingen zwingendes materielles Recht.30 Tatsächlich handelt es sich bei dem von ihnen erörterten Scheidungsrecht möglicherweise primär nicht um einen Fall der Contract Governance, sondern der Public Governance, unter deren Dach sich eine Verhandlungslösung (bargaining) etabliert hat, vom regulierenden Staat vielleicht eher geduldet oder in Kauf genommen als erwünscht. Die Verbindung führt dann zu einem „Governance Mix“. Ähnlich liegen die Dinge auch in anderen Fällen des Verhandelns im Schatten des Rechts, in denen der Vertrag als Steuerungsinstrument gewählt wird. Schatten des Rechts werfen hier freilich nicht nur, oft nicht einmal in erster Linie zwingende Regeln, sondern auch dispositives Recht oder prozedurale Regelungen, die den Verhandlungsprozess betreffen.31 Regelmäßig greifen die verschiedenen Instrumente in einander, oft sind sie untrennbar mit einander verbunden. Vergleichbar mit dem dispositiven Recht, wenn auch von diesem in wesentlicher Hinsicht verschieden (vgl. Art. 4 Abs. 3 SE-RL), sind auch Auffangregeln, wie sie das europäische Recht der Arbeitnehmermitwirkung vorsieht. In allen diesen Fällen sind Vertrag und Wettbewerb die zentralen Steuerungsmittel und geht es also tatsächlich um 29

Zur Schatten-Metapher auch Töller (Fn. 23) S. 282 f. Vgl. den Hinweis Mnookin/Kornhauser Yale L.J. 88 (1979) 950, 954: “Some divorcing spouses worked things out for themselves and then (with their lawyers’ help) staged a carefully rehearsed and jointly produced play for the court.”. 31 Korobkin Negotiation – Theory and Strategy (2. Aufl. 2009) S. 51 ff. Im deutschen Schrifttum über Verhandlung und Vertragsgestaltung wird der Einfluss des Rechts auf die Verhandlungen nur wenig erörtert, zumeist nur der Einfluss des zwingenden Rechts; z.B. Däubler Verhandeln und Gestalten (2003) Rn. 93–95, 122–250; Haft Verhandeln – Die Alternative zum Rechtsstreit (1992); Junker/Kamanbrou Vertragsgestaltung (2. Aufl. 2007) § 2; Meins Die Vertragsverhandlung (1993); E. Rehbinder Vertragsgestaltung (2. Aufl 1993) S. 61–79, 80–89; ferner (schwerpunktmäßig zur Vertragsgestaltung) Rittershaus/Teichmann Anwaltliche Vertragsgestaltung Rn. 62–75; den Beitrag von Mnookin/Kornhauser aufgreifend aber Breidenbach Mediation – Struktur, Chancen und Risiken von Vermittlung im Konflikt (1995) S. 101–112. 30

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eine Contract Governance. Dient das Vertragsrecht dabei der Steuerung, so bedeutet Contract Governance freilich keine uneingeschränkte Herrschaft des Vertrags. Im Gegenteil ist das Verhandlungs- und Vertragssystem in diesen Fällen wohl notwendig von hierarchischen Steuerungsinstrumenten (dem gesetzlichen Befehl) komplementiert.32

II. Schatten des Rechts I: Materielle Regeln, insbesondere die Auffanglösung 1. Die Auffanglösung zur Verhinderung von Verhandlungsverschleppung Spricht man im Schrifttum zur SE-Mitbestimmung vom Verhandeln im Schatten des Rechts, so bezieht sich dies meist auf die Auffanglösung, die Schatten auf die Verhandlungen wirft. Sie kommt – etwas vereinfacht – zur Anwendung, wenn (1) die Parteien des Verhandlungsverfahrens dies vereinbaren oder (2) die Verhandlungen nicht innerhalb der Verhandlungsfrist von sechs Monaten zu einer Einigung geführt haben, die beteiligten Gesellschaften aber der Anwendung der Auffanglösung zugestimmt haben, um die Eintragung der SE weiter zu betreiben; i.e. Art. 7 SE-RL.33 Die erste Variante ist nur eine weitere Bestätigung der Autonomie der Parteien, die schon Art. 4 Abs. 2 SE-RL voraussetzt. Die Hauptfunktion der Auffanglösung besteht demnach darin, die Fortsetzung der SE-Gründung auch für den Fall zu ermöglichen, dass sich die Parteien nicht auf eine Mitbestimmungsvereinbarung einigen. Damit nimmt die Auffanglösung in Verbindung mit der – nur einvernehmlich zu verlängernden – Verhandlungsfrist dem besonderen Verhandlungsgremium die Möglichkeit, die Verhandlungen über Gebühr zu verschleppen; sie engt den Spielraum für ex ante-Opportunismus bzw. strategische Verhalten ein. Zugleich wirft die Regelung freilich die Frage auf, warum die Verhandlungsfrist von sechs Monaten eingehalten werden muss. Wenn es im Zweifel ohnehin auf die Auffanglösung hinausläuft, könnte man den beteiligten Unternehmen auch gleich die Möglichkeit eröffnen, darauf zuzugreifen. In

32 Börzel (Fn. 23) S. 123–127, spricht von einer „Verschachtelung von Regelungsstrukturen“ und bezeichnet – freilich in anderem Zusammenhang – die „Hierarchie als eine Voraussetzung für nicht-hierarchische Koordination in Verhandlungssystemen“. S.a. Williamson (Fn. 21: Economic Institutions) S. 168 (“To be sure, pure private ordering is extreme. As Robert Mnookin and Lewis Kornhauser put it, private ordering invariably operates in ‘the shadow of the law’.”); Richter/Furubotn (Fn. 21) S. 177 f. 33 Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b) Sps. 1 SE-RL formuliert freilich umgekehrt (aus der Sicht des gesetzlichen Regelungsmodells), dass die zuständigen Organe der beteiligten Gesellschaften der Auffanglösung und damit der Fortsetzung des Eintragungsverfahrens zustimmen.

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der Tat hat sich die Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen34 für dieses Modell entschieden, Art. 16 Abs. 4 lit. a) IVRL. Diese Abkürzungsmöglichkeit wird vielfach gelobt, weil auf diese Weise ein aufwendiges, kosten- und zeitintensives Verfahren vermieden werden kann. Das kann man in der Tat begrüßen. Zu bedenken ist allerdings, dass hinter beiden Regelungen ganz unterschiedliche Mitbestimmungsmodelle stehen.35 Das der SERichtlinie ist stärker kooperations- und konsensorientiert und hebt damit die Chancen der vereinbarten Mitbestimmung stärker hervor. Sie werden freilich auch beim Modell der Verschmelzungsrichtlinie nicht vollständig beseitigt, besteht doch auch hier die Möglichkeit, später Anderes zu vereinbaren. 2. Die Auffanglösung als Mindeststandard Die Auffanglösung begrenzt aber nicht nur die Möglichkeit strategischen Verhaltens, sondern wirkt als Rückfalloption zugleich als eine Art Mindeststandard. Ist auch Verschleppung nur in Grenzen der Verhandlungsfrist eine Option für das besondere Verhandlungsgremium, so bestimmt doch inhaltlich die Auffanglösung seine Erwartungen. Die Auffanglösung ist damit Verhandlungsposition (endowment, entitlement) des besonderen Verhandlungsgremiums. Da die Auffanglösung zudem klar strukturiert ist und in fest bestimmten Fällen zur Anwendung kommt, sind mit dieser Verhandlungsposition nur begrenzte Risiken verbunden. Die Risikoneigungen der Parteien dürften daher nur geringen Einfluss auf die Verhandlungen haben. Scheitern die Verhandlungen, so kommt die Auffanglösung allein dann nicht zur Anwendung, wenn die beteiligten Gesellschaften daraufhin von der Gründung der SE absehen. Zugeständnisse der Arbeitnehmerseite, die hinter dem Standard der Auffanglösung zurückbleiben, sind daher ohne Weiteres nicht zu erwarten. Das besondere Verhandlungsgremium dürfte auch nicht besorgen, dass die Verhandlungen wegen seines Beharrens auf den Standards der Auffanglösung scheitern und dafür der Arbeitnehmerseite 36 die Schuld gegeben wird.37 Es erscheint kaum vorstellbar, dass die beteiligten Gesellschaften die SE-Gründung an diesem Punkt scheitern lassen. Ist die Auffanglösung praktisch ein Mindeststandard, so werden die beteiligten Gesellschaften ihr Umstrukturierungsvorhaben von Anfang an auf der Grundlage der Auffanglösung „kalkuliert“ haben.

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Richtlinie 2005/56/EG, IVRL. S. noch unten, IV. 36 Zu bedenken ist neben den Erwägungen im nachfolgenden Text auch, dass das besondere Verhandlungsgremium als „Verantwortlicher“ mit dem Scheitern der Verhandlungen nicht mehr existiert und sich auch deswegen nicht für Schuldzuweisungen eignet. 37 Darin sehen einen Verhandlungsanreiz Heinze/Seifert/Teichmann BB-Forum: Verhandlungssache: Arbeitnehmerbeteiligung in der SE, BB 2005, 2524, 2525. 35

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3. Die Auffanglösung – „Klebrigkeit“ und Fairness Stellt sich die Verhandlungslösung demnach als Mindeststandard dar, so deuten Untersuchungen zum dispositiven Recht darauf hin, dass die Parteien die Auffanglösung oft genug als „Normallösung“ beibehalten werden. Darauf könnte zuerst ihr default-Charakter hinwirken, also die Tatsache, dass sie mangels anderer Vereinbarung zum Tragen kommt. Man spricht von einer „Klebrigkeit“ (stickiness) von default rules (dispositives Recht, aber auch darüber hinaus „Normallösungen“), die nicht nur auf Trägheit der Parteien (inertia), sondern auch auf deren Festhalten am Ist-Zustand (status quo-bias) und weiteren Gründen beruht.38 Ob die Auffanglösung eine solche Beharrungstendenz entfaltet, dürfte freilich auch davon abhängen, ob die Parteien sie als angemessen und fair wahrnehmen. So gibt es Anzeichen aus der verhaltensökonomischen Forschung, dass Fairness-Erwägungen, Fairness-Erwartungen und Antizipation der Fairness-Erwartungen der Gegenseite das Verhandlungsverhalten der Parteien auch dort prägt, wo keine Ansprüche bestehen.39 Ob freilich die Auffanglösung als ein „angemessener Referenzpunkt“ eine Beharrungstendenz entfalten kann, erscheint unsicher und bedarf näherer (experimenteller oder empirischer) Überprüfung. Für Verträge, die bei Nachverhandlungen als Referenzpunkt wirken können, wurde kürzlich gezeigt, dass diese Wirkung nicht ebenso eintritt, wenn der ursprüngliche Vertrag nicht aus einer kompetitiven Verhandlungssituation heraus zustandegekommen ist.40 Entsprechend könnte auch für das dispositive Recht (die Auffanglösung) die Beharrungstendenz davon abhängen, ob sie von den Parteien als angemessen wahrgenommen wird. In der Literatur wird die Auffanglösung kritisiert, weil sie (etwas vereinfacht) das höchste Mitbestimmungsniveau der beteiligten Gesellschaf38 Korobkin (Fn. 31) S. 74 ff.; ders. The Status Quo Bias and Contract Default Rules, Cornell L.Rev. 608 (1997) 608–687; ders. Inertia and Preference in Contract Negotiation: The Psychological Power of Default Rules and Form Terms, Vanderbilt L.Rev. 51 (1998) 1583–1651; Ben-Shahar/Pottow The Stickiness of Default Rules, Fla.St.U.L.Rev. 33 (2006) 651–682. Zur spieltheoretischen Begründung von focal points grundlegend Schelling The Strategy of Conflict (1960, Neudruck 1980). 39 Eingehend Magen Fairness, Eigennutz und die Rolle des Rechts – Eine Analyse auf der Grundlage der Verhaltensökonomik, in Engel/Englerth/Lüdemann/Spiecker gen. Döhmann (Hrsg.), Recht und Verhalten (2007) S. 261–360. Zum sog. Ultimatum Spiel Jolls/Sunstein/Thaler A Behavioral Approach to Law and Economics, Stanford L.Rev. 50 (1998) 1471, 1489–1497 = dies. in Sunstein (Hrsg.), Behavioral Law & Economics (2000) S. 21–26; Englerth Behavioral Economics – eine kritische Einführung, in Engel/Englerth/Lüdemann/Spiecker genannt Döhmann (Hrsg.), Recht und Verhalten (2007) S. 70–75. 40 Fehr/Hart/Zehnder Contracts, Reference Points, and Competition – Behavioral Effects of the Fundamental Transformation, JEEA 7 (2009) 561–572; Hart/Moore Contracts as Reference Points, Q.J.Econ. 123 (2008) 1–48. Vgl. auch Akerlof Labor Contracts as Parital Gift Exchange, Q.J.Econ. 97 (1982) 543, 556.

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ten perpetuiert und damit (wo eine deutsche Gesellschaft beteiligt ist) ggf. die – rechtsvergleichend singuläre – paritätische Mitbestimmung zum Mindeststandard (soeben, 2.) macht.41 Als Auffanglösung hält man überwiegend eine Drittelbeteiligung für wünschenswert,42 die Davignon-Gruppe hatte vorgeschlagen, den Arbeitnehmern 1/5 der Posten, mindestens aber zwei der Aufsichtsratsmandate zu reservieren.43 Die Kritik richtet sich freilich weniger gegen ein bestimmtes Mitbestimmungsmodell (Ergebnis), sondern gegen die den Anreizmechanismus (Verfahren). Auch der Europäische Gesetzgeber hat mit der Verabschiedung der Richtlinie nicht etwa die Angemessenheit einer bestimmten Lösung hervorgehoben, sondern sich angesichts disparater mitgliedstaatlicher Regelungen auf ein Verfahrensmodell zurückgezogen und die sachliche Rechtfertigung damit den Mitgliedstaaten überlassen. Die damit tragende mitgliedstaatliche Begründung des (jeweils höchsten) Mitbestimmungsniveaus dürfte aber bei der (regelmäßig gegebenen) internationalen Gründung der SE nur eingeschränkt geeignet sein, die Angemessenheit der Lösung zu begründen. Damit kann man bezweifeln, ob sich die Auffangregelung als majoritarian default rule 44 dahin erklären, dass sie die Einigung redlicher Verhandlungspartner widerspiegele, und daher als angemessene Regelung eine Beharrungstendenz entfaltet. 4. Maß der Mitbestimmung und Standardisierung als Verhandlungsanreize Hat demnach die Arbeitnehmerseite wenig Anreiz, von dem Maß der Mitbestimmung nach der Auffanglösung abzugehen, erweist diese sich vor allem als Verhandlungsanreiz für die an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften. Soweit die über die Auffanglösung perpetuierte Mitbestimmung ihren Interessen nicht entspricht, haben sie einen Anreiz, über mögliche Zugeständnisse nachzudenken, um eine Modifizierung zu erreichen. 41 Rebhahn Unternehmensmitbestimmung in Deutschland – ein Sonderweg im Rechtsvergleich, in Rieble (Hrsg.), Zukunft der Unternehmensmitbestimmung (2004) S. 42–85; Junker Mitbestimmung im europäischen Vergleich, in Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik Trier/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche – Jahrbuch 2006/I – Mitbestimmung im Unternehmen S. 71–81. 42 Fleischer AcP 204 (2004) 502, 534 f. („kardinaler Konstruktionsfehler“); ders. ZHR 168, 673, 695; Riesenhuber (Fn. 4) § 29 Rn. 16; Windbichler (Fn. 12) S. 290. Ein „freiheitliches Modell der Unternehmensmitbestimmung“ unter Verzicht auf eine Auffanglösung vorschlagend (Verhandlungslösung mit Drittelbeteiligung als Auffangregel als zweitbester Weg) Donges/Eekhoff/Franz/Fuest/Möschel/Neumann (Kronberger Kreis), Unternehmensmitbestimmung ohne Zwang (2007) S. 50–55. 43 Davignon-Bericht (Fn. 3) BR-Drucks. 572/97, S. 18 (Rn. 83). 44 Craswell Contract Law: General Theories, in Bouckaert/De Geest (Hrsg.), Encyclopedia of Law and Economics (2000), auch zugänglich unter http://users.ugent.be/ ~gdegeest/4000book.pdf; Schäfer/Ott (Fn. 21) S. 426–428.

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Indes hat die Auffanglösung durchaus auch Verhandlungsanreize für die Arbeitnehmerseite. Diese liegen nach unseren Vorüberlegungen freilich nicht im Maß der Mitbestimmung, sondern in der Standardisierung. Trifft die Prämisse der Verhandlungslösung zu, dass maßgeschneiderte Lösungen den Interessen beider Parteien besser gerecht werden als standardisierte (gesetzliche) Lösungen und dass die Verhandlungen, das System von Vertrag und Wettbewerb, innovative Lösungen zutage fördern können, so hat die Arbeitnehmerseite Anlass, die eigene Interessenlage zu prüfen und in den Verhandlungen zu artikulieren. Hier ist auch die – schon von Mnookin und Kornhauser – hervorgehobene Einsicht zu berücksichtigen, dass für die Parteien, zumal in der Verhandlungssituation, nicht die dogmatische Einordnung einzelner Regeln – z.B. als Betriebsverfassungs- oder Mitbestimmungsrecht, als kollektives oder individuelles Arbeitsrecht, ja, als rechtlich geschütztes oder nicht geschütztes Interesse usf. – entscheidend ist.45 Zu den grundlegenden Einsichten der Verhandlungslehre gehört, dass Interessen nicht Positionen im Vordergrund stehen sollten.46 Auch die durch das Recht, z.B. durch die Auffanglösung begründeten Verhandlungspositionen werden daher bei kunstgerechter Verhandlung zwar nicht unberücksichtigt bleiben, doch wird man die Interessen nicht den Positionen opfern wollen. Dann kann man Mitbestimmungsrechte etwa gegen Informationsrechte, die Verstärkung der Rolle von Gewerkschaftsvertretern, weitergehende Freistellungs- oder Schulungsansprüche oder Rechte zur Zuziehung von Sachverständigen verhandeln. – Hat die Arbeitgeberseite die größeren Verhandlungsanreize (und -lasten), so liegt ihre Aufgabe darin, aus dem Schatten des Rechts und seiner Positionen herauszutreten.

III. Schatten des Rechts II: Das Verhandlungsverfahren Die Auffanglösung steht tatsächlich dem Bild entsprechend gleichsam hinter den Verhandlungen, schon zeitlich kommt sie erst zum Zuge, wenn die Verhandlungsfrist von mindestens sechs Monaten abgelaufen ist. Die Vorschriften über das Verhandlungsverfahren greifen demgegenüber ganz unmittelbar in die Verhandlungen ein, so dass man sie mit diesem Kriterium von den im Hintergrund stehenden Regeln trennen könnte. Allerdings zeigt schon die Verhandlungsfrist, wie materielle Regeln und Verfahrensvorschriften ineinandergreifen und in vielem nicht zu trennen sind.

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Mnookin/Kornhauser Yale L.J. 88 (1979) 950, 959–566. Fisher/Ury/Patton Das Harvard-Konzept (22. Aufl. 2004) S. 71–90: „Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen“; Breidenbach (Fn. 30) S. 69–76. S.a. Eisenberg Harv.L.Rev. 89 (1976) 637, 653–660. 46

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1. Initiierung Am Anfang des Verhandlungsverfahrens steht die Verfahrenseinleitung. Für die Verhandlungen kann sie als Initiativrecht oder auch als Initiativlast eine Rolle spielen. Bei (potentiell) disparaten Interessen beider Seiten, wie sie z.B. von der Europäischer Betriebsrat-Richtlinie vorauszusetzen waren, spricht viel dafür, auch beiden ein Initiativrecht einzuräumen. Gruppeninteressen innerhalb einer Seite (z.B. leitende Angestellte) können durch eigene Initiativrechte oder durch (ggf. gruppenspezifische) Quoren, durch Repräsentationserfordernisse oder Vetorechte berücksichtigt werden.47 Quoren können zugleich ein geeignetes Mittel sein, um der Ausnutzung des Initiativrechts für strategisches Verhalten (in einem Mindestmaß) vorzubeugen, nämlich als Drohpotential im Hinblick auf die erzwingbaren Ergebnisse oder die ausgelösten Kosten.48 Bei der SE-Gründung spielen diese Erwägungen freilich keine Rolle: Die Initiative erfolgt nicht selbständig, sondern nur anlassabhängig bei Gründung der SE. Da eine Mitbestimmungsregelung Voraussetzung für die Eintragung (und damit Gründung) der SE ist (Art. 12 Abs. 2 SE-VO), haben die an der Gründung beteiligten Gesellschaften ausreichenden Anreiz, das Verhandlungsverfahren zügig und reibungslos einzuleiten. Offengelassen hat der Richtliniengeber die Problematik der Neuverhandlung bei strukturellen Änderungen in der SE, die lediglich in Begründungserwägung 18 S. 3 SE-RL angesprochen ist, nicht aber im verfügenden Teil der Richtlinie.49 In unseren Kategorien der Steuerung 50 hat der Gesetzgeber diesen Gesichtspunkt nicht in die Governance mit den Mitteln des Vertragsrechts einbezogen, sondern der Governance durch Vertrag überlassen, nämlich der Regelung in der Mitbestimmungsvereinbarung (s. noch unten, 4.). 2. Organisation der Verhandlungspartner Die Organisation der Verhandlungspartner ist zuerst eine Frage des Vertragsrechts in seiner ermöglichenden und erleichternden Funktion (Governance des Vertrags 51). Wenn der Organisation der Arbeitnehmer im besonderen Verhandlungsgremium eine doppelte Repräsentation entscheidend zugrunde liegt, nämlich nach den Mitgliedstaaten und nach der relativen Arbeitnehmerzahl, so liegt das nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Repräsentation nahe, sondern kommen darin auch die mit dem Verhandlungs47 Kraushaar Verhandelte Mitbestimmung und das Problem der Arbeitnehmerpluralität, AG 2008, 809–816. 48 Kraushaar AG 2008, 809–816. 49 Zu der damit verbundenen Auslegungsproblematik Riesenhuber Die Auslegung, in ders. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, § 11 Rn. 36 f. 50 S. oben, I.1. 51 S. oben, I.1.

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modell verfolgten Regulierungsziele zum Ausdruck. Innovative Lösungen kann man besonders dann erwarten, wenn die Mitbestimmungserfahrungen (gerade auch:) der Arbeitnehmer verschiedener Mitgliedstaaten in die Erwägungen des besonderen Verhandlungsgremiums und dann in die Verhandlungen mit den Vertretern der beteiligten Gesellschaften einfließen. Eine auch vom Gesetzgeber als naheliegend angesehene Möglichkeit ist freilich, dass sich bei dieser Organisation nicht das höchste Mitbestimmungsniveau der Ausgangsgesellschaften durchsetzt, zumal wenn ein erheblicher Anteil der Vertreter im besonderen Verhandlungsgremium von einer anderen Mitbestimmungstradition kommen. 3. Regulierung der Entscheidungsfindung – Übereilungsschutz durch Quoren Das Regulierungsziel des Europäischen Gesetzgebers, das (höchste) vorbestehende Mitbestimmungsniveau zu sichern, findet in der Auffanglösung darin Ausdruck, dass bei Gründung durch Umwandlung die bisherige Mitbestimmung in allen Komponenten sinngemäß fortzuschreiben ist, bei anderen Gründungsformen bemisst sich die Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan nach dem höchsten maßgeblichen Anteil in den beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE; Anhang Teil 3 lit. a) und b) SE-RL. Für den Umwandlungsfall enthält zudem Art. 4 Abs. 4 SE-RL eine besonders strenge Inhaltskontrolle der Mitbestimmungsvereinbarung: In Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung muss danach „zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“. Bei anderen Gründungsformen hat der Gesetzgeber die Mitbestimmungssicherung im Hinblick auf die Vereinbarung nicht mit den Mitteln der Inhaltskontrolle verfolgt, sondern durch Vorgaben für die Entscheidungsfindung im besonderen Verhandlungsgremium. Erfordern seine Beschlüsse sonst nur eine absolute Mehrheit, so ist ein „dreifaches Quorum“ erforderlich von (1) zwei Dritteln der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, (2) die mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer vertreten, (3) und zwar Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten, Art. 3 Abs. 4 S. 3 SE-RL (ähnlich nach Art. 3 Abs. 6 SE-RL für Nichtaufnahme und Abbruch der Verhandlungen). Das gilt freilich nur dann, wenn ein bestimmter Mindestanteil der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften bislang der Mitbestimmung unterliegt, nämlich bei der Gründung durch Verschmelzung mindestens 25 %, bei der Gründung der SE als Holding oder Tochtergesellschaft mindestens 50 %. In diesen Fällen ist der Gedanke der Mitbestimmungssicherung weniger eindeutig. Das gilt schon im Prinzipiellen: Nimmt man die Vereinbarungslösung und die Autonomie der Parteien ernst, so muss sie ganz selbstver-

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ständlich auch eine Reduzierung (auch: auf Null) ermöglichen. Hier kann sich die Effizienz der Mitbestimmung am Markt erweisen.52 Auch die unterschiedlichen – etwa durch die mitgliedstaatlichen Traditionen geprägten – Präferenzen der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften verdienen Berücksichtigung. Mit Rücksicht darauf ist die Regulierung durch Organisations- bzw. Verfahrensregeln der treffende Weg. Die Festlegung von Grenzen enthält dabei freilich stets ein dezisionistisches Element. Hier verdient insbesondere der Mindestanteil von 25 % im Fall der Gründung durch Verschmelzung weitere Aufmerksamkeit: Schon wenn nur ein Viertel der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften der Mitbestimmung unterliegt, löst das das erhöhte Beschlussquorum aus. Damit ist der Schutz der bislang einer Mitbestimmung unterliegenden Arbeitnehmer zu Lasten der Autonomie der übrigen ausgesprochen stark gewichtet. 4. Regulierung der Vereinbarungsinhalte – menus matter Den Inhalt der Mitbestimmungsvereinbarung hat der Gesetzgeber, wie Art. 4 SE-RL in Absatz 1 andeutet und in Absatz 2 voraussetzt, der Autonomie der Parteien überlassen, im Grundsatz herrscht Privatautonomie: Vertragsfreiheit mit ihren Bestandteilen der Abschluss- und der Inhaltsfreiheit. Auch hier enthält die Richtlinie indes Steuerungsmittel. Bereits oben 53 haben wir die Steuerungswirkung der Auffanglösung angesprochen. Allerdings hat die Auffangregelung nicht die Funktion dispositiven Rechts, im Gegenteil ist ausdrücklich klargestellt, dass sie „nicht für diese Vereinbarung“ gilt, Art. 4 Abs. 3 SE-RL. Ungeachtet dessen liegt eine gewisse Sogwirkung nahe, auch im Hinblick auf die zu regelnden Einzelfragen. Mangels anderer Vorbilder ist die Auffangregelung der naheliegende Orientierungspunkt und Referenzrahmen für die Parteien. Jedenfalls teilweise sind ihre Vorschriften so strukturiert, dass die Parteien sie – neben oder in Verbindung mit mitgliedstaatlichen Regelungen – als ein Muster verwenden können. Eine ähnliche Regulierungswirkung dürfte sich aus Art. 4 Abs. 2 SE-RL ergeben. Danach „werden“ in der Vereinbarung näher bestimmte Inhalte festgelegt. Ungeachtet der Formulierung handelt es sich zwar nicht um Pflichtoder Mindestinhalte; denn die Parteien können auf ganze Teilbereiche, z.B. die „Betriebsverfassung“ oder die Mitbestimmung, insgesamt verzichten. Ähnlich wie beim sogenannten Regelungsauftrag 54 nimmt der Gesetzgeber 52 Dazu einerseits Donges/Eekhoff/Franz/Fuest/Möschel/Neumann (Fn. 42) S. 25–38; andererseits Thannisch Die Effizienz der Mitbestimmung in ökonomischer Betrachtung, AuR 2006, 81–86; FitzRoy/Kraft Co-determination, Efficiency and Productivity, British Journal of Industrial Relations (BJIR) 42 (2005) 233–247; s.a. Windbichler (Fn. 12) S. 282 f. 53 Siehe II.3. 54 Baier Der Regelungsauftrag als Gesetzgebungsinstrument im Gesellschaftsrecht (2002); Fleischer ZHR 168 (2004) 673, 696 f. (auch zu Anregungsnormen).

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aber auch durch die Aufzählung von Regelinhalten auf die Verhandlungen Einfluss. Man kann erwarten, dass die Parteien diese Regelinhalte in der einen oder anderen Weise „abarbeiten“ werden. Für die beteiligten Gesellschaften ist das schon deswegen von Bedeutung, weil sie die reibungslose Eintragung sicherstellen wollen; das besondere Verhandlungsgremium hat den Anreiz, alle für die Arbeitnehmer bedeutsamen Fragen abzudecken. Die dahinterstehende Regulierungstechnik hat Ian Ayres mit dem Hinweis, menus matter, gekennzeichnet: 55 Was auf der Speisekarte steht, hat einen Einfluss auf die Auswahl. Das gilt nicht nur in der – bei der Speisekarte zumeist selbstverständlichen – abschließenden Aufzählung von Auswahloptionen, sondern auch darüber hinaus. Auch die Reihenfolge und die Art der Darbietung (z.B. mit Kalorienangaben oder dem bei Tabakwaren vorgeschriebenen Hinweis auf die Gesundheitsschädlichkeit) beeinflussen die Entscheidung. Die Neuregelung der EBR-Richtlinie verdeutlicht Möglichkeiten und Grenzen des Regulierungsmechanismus. Das dortige Verhandlungsmodell diente als Vorbild für die SE-Mitbestimmung, und auch die Vorschrift über die Inhalte (Art. 4 Abs. 2 SE-RL) geht auf ein Vorbild in Art. 6 Abs. 2 EBRRL zurück. Mit der Reform von 2009 hat der Europäische Gesetzgeber auch diese Vorschrift überarbeitet, nämlich um weitere Inhalte ergänzt. Nach Art. 6 Abs. 2 lit. g) EBRRL soll die Vereinbarung auch Vorschriften enthalten über „das Datum des Inkrafttretens der Vereinbarung und ihre Laufzeit, die Modalitäten für die Änderung oder Kündigung der Vereinbarung und gegebenenfalls die Fälle, in denen eine Neuaushandlung erfolgen sollte, und das bei ihrer Neuaushandlung anzuwendende Verfahren, gegebenenfalls auch bei Änderungen der Struktur des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe“ (Neuregelungen 2009 kursiv gesetzt). So wie wir es bei der SE-Richtlinie bereits gesehen haben,56 hatte der Gesetzgeber auch bei der EBR-Richtlinie den Neuverhandlungspflichten, insbesondere dem Problem der nachträglichen Strukturänderung ursprünglich geringere Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. f) EBRRL 1994) und weitgehend der vertraglichen Vereinbarung der Parteien (Governance des Vertrags) überlassen. Indes hatte die Kommission die Regelung insoweit als unzureichend empfunden.57 Mit der Aufnahme als Regelinhalt hat der Gesetz-

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Ayres Menus Matter, U.Chi.L.Rev. 73 (2006) 3–15. S. oben, III.1. a.E. 57 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über den Stand der Anwendung der Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22.9.1994), KOM(2000) 188 endg. S. 6. Vorschlag für eine Richt56

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geber primär an der Regulierung mit den Mitteln des Vertragsrechts (Contract Governance) und dem sanften Regulierungsinstrument des „Menüs“ festgehalten. Ergänzt wird diese Vorschrift allerdings durch den ebenfalls neu eingefügten Art. 13 EBRRL, der für den Fall von Strukturänderungen ein Initiativrecht der Arbeitnehmer (Quorum: 100 Arbeitnehmer) oder ihrer Vertreter (jeweils: in mindestens zwei Unternehmen oder Betrieben in mindestens zwei Mitgliedstaaten) vorsieht: Auch dann kommt es zu Neuverhandlungen. Die Sogwirkung des Menüangebots wird hier mithin durch die Drohwirkung der gesetzlichen Regelung ergänzt 58 – Halbschatten und Kernschatten des Rechts.

IV. Mehr Licht Der Europäische Gesetzgeber hat mit gehörigem Mut Verhandlungen und Vertrag in die Regulierung der Arbeitnehmermitwirkung eingeführt, bei der Ausgestaltung aber doch Angst vor der eigenen Courage bekommen. Perpetuiert die Auffanglösung das höchste Mitbestimmungsniveau der Ausgangsgesellschaften und anerkennt sie dies als angemessenen Interessenausgleich, so beschränkt sich der Verhandlungsanreiz für das besondere Verhandlungsgremium weitgehend; ein Verhandlungsanreiz ergibt sich nicht mehr aus dem Maß der Mitbestimmung, sondern nur aus ihrer Standardisierung. Für die beteiligten Gesellschaften auf der anderen Seite ist die Auffanglösung deswegen als Fall der penalty default rule gekennzeichnet worden. Damit bezeichnet man dispositive Regeln, die für eine oder beide Parteien nachteilig (bestrafend) sind und insoweit einen Anreiz für abweichende Vereinbarungen schaffen.59 In der Tat haben die beteiligten Gesellschaften einen Verhandlungsanreiz. Doch dürfte die Aussicht, im Vereinbarungswege zu einer gegenüber der Auffanglösung günstigeren Mitbestimmung zu kommen, nicht besonders günstig sein. Aus der penalty default rule wird eine Strafvorschrift. linie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, KOM(2008) 419 endg. S. 11 (Rn. 41). 58 Eine regelungstechnisch interessante Variante wählt der Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats, ZIP 2009, 885 ff. in § 33a seines Vorschlags. Danach gehören die Tatbestände, bei deren Vorliegen die Verhandlungen wieder aufzunehmen sind, zu den Pflichtinhalten des Absatz 2 der Vorschrift, nicht zu den fakultativen Inhalten von Absatz 3; dahinter steht die bewusste Wahl einer Contract Governance (s. Begründung S. 892). 59 Grundlegend Ayres/Gertner Filling Gaps in Incomplete Contracts: An Economic Theory of Default Rules, Yale L. J. 99 (1989) 87–130.

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Karl Riesenhuber

„Nur wenn inhaltlich akzeptable Ergebnisse erzielt werden können“, so wird in der Governance Forschung hervorgehoben, „kommt es zum Abschluss eines Kooperationsergebnisses (Vereinbarung).“ 60 „Der Schatten der Hierarchie“ – und wir können ergänzen: Auch der hier erörterte Schatten des Rechts und der Auffanglösung – „bleibt damit eine wichtige Voraussetzung für die Herausbildung nicht-hierarchischer Governance-Formen. Er darf allerdings weder zu lang noch zu kurz sein, um nicht selbst zu einem Kooperationshindernis zu werden.“ 61 Ob der Schatten der Auffanglösung der SERichtlinie diesen Anforderungen entspricht, kann man bezweifeln. In der Wissenschaft wird die Perpetuierung der höchsten Mitbestimmung der Ausgangsgesellschaften als verfehlt kritisiert.62 Aus der Praxis ist bezeichnend, dass die Mitbestimmungslösung der SE für die beteiligten Gesellschaften vor allem, wenn nicht ausschließlich in dem Fall einen positiven Anreiz bedeutet, dass sie in ihrer bloß sichernden Funktion zum Tragen kommt: Für mittelständische Unternehmen, die noch der Drittelbeteiligung unterliegen, aber möglicherweise in näherer Zukunft die Grenze zur quasi-paritätischen Mitbestimmung des Mitbestimmungsgesetzes überschreiten. Sie können die Mitbestimmung mit Hilfe der Auffanglösung auf dem Niveau der Drittelbeteiligung einfrieren („Schutz vor paritätischer Mitbestimmung“).63 So wird auch der Beifall verständlich, den man der Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen dafür zollt, dass die beteiligten Gesellschaften hier das Verhandlungsverfahren abkürzen und unmittelbar die Auffanglösung wählen können:64 Steht die Vermeidung der paritätischen Mitbestimmung im Vordergrund, nicht die gemeinsame Suche nach interessengerechten, maßgeschneiderten Lösungen, dann sprechen die Zeit- und Kostenersparnis für einen zielstrebigen Zugriff auf die Auffanglösung. Auch hier sind – auf der Grundlage der gesetzgeberischen Zielsetzung – Fehlanreize am Werke. Sie rühren zum einen daher, dass der Gesetzgeber der SE-Richtlinie, fokussiert auf die „Flucht aus der Mitbestimmung“, die Möglichkeit einer „Flucht vor der drohenden Mitbestimmung“ nicht bedacht hat. Zum anderen finden sie ihren Grund aber in der weitgehenden Mitbestimmung des deutschen Rechts 65 und, wiederum, in der Perpetuierung des höchsten Mitbestimmungsniveaus. 60

Töller (Fn. 23) S. 283. Börzel (Fn. 23) S. 128. 62 Siehe oben, II.3. 63 Rieble Schutz vor paritätischer Mitbestimmung, BB 2006, 2018–2023; Henssler Bewegung in der deutschen Unternehmensmitbestimmung – Reformdruck durch Internationalisierung der Wirtschaft, RdA 2005, 330, 333 f.; jetzt auch Becker/Oelmüller Die SE für den Mittelstand – Theorie und Praxis der SE-Gründung (2009). 64 Siehe oben, II.1. a.E.; Brandes Mitbestimmungsvermeidung mittels grenzüberschreitender Verschmelzung, ZIP 2008, 2193–2199. 65 S. die Nachweise oben, Fn. 41. 61

Schatten des Rechts

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Damit hat der Gesetzgeber die Chancen der Contract Governance in erheblichem Maß vergeben. Bieten Vertrag und Wettbewerb Entdeckungschancen, so ist umgekehrt eine weitgehende Vorprägung des Verhandlungsergebnisses die Anmaßung von Wissen.66 Über kurz oder lang wird der Europäische Gesetzgeber die Mitbestimmungslösung neu justieren, so wie er das kürzlich bei der EBR-Richtlinie getan hat.67 Man kann erwarten, dass sich dabei manche dafür aussprechen werden, die in Deutschland freudig entdeckte Möglichkeit, die paritätische Mitbestimmung zu vermeiden, zu versperren. Unter dem Gesichtspunkt der Contract Governance, der Möglichkeiten von Vertrag und Wettbewerb, erscheint indes eine umgekehrte Tendenz eher wünschenswert: Der Gesetzgeber sollte dem Licht der Freiheit mehr Raum geben und den Schatten des Rechts, hier der Auffanglösung, auf ein Maß verkürzen, das beiden Parteien größere Verhandlungsanreize gibt. Das ist in der Tat auch die Perspektive, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion in Deutschland abzeichnet. Unter dem Wettbewerbsdruck der SE-Gründung sucht man jetzt auch für die deutsche Aktiengesellschaft das Verhandlungsmodell fruchtbar zu machen.68

66 Zu ersterem v. Hayek (Fn. 16); zum zweiten Gesichtspunkt etwa ders. Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus (1996). 67 Vgl. Mitteilung der Kommission vom 30.9.2008 zur Überprüfung der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, KOM(2008) 591 endg. 68 Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ ZIP 2009, 885–899. Dazu jetzt die Stellungnahmen von Hommelhoff, Teichmann, Kraushaar, Hellwig/Behme, Muthorst ZIP 2009, 1785 ff.

Die SE – ein europäisches Zukunftsmodell Rüdiger von Rosen

Klaus J. Hopt ist einer der Großen seiner Zunft. Er hat sich im Gesellschafts-, Kapitalmarkt-, Handels-, Bank- und Wirtschaftsrecht mit unzähligen Artikeln, Beiträgen, Büchern und Kommentaren sein eigenes Denkmal erarbeitet. Aber nicht nur als Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, sondern auch als Mitglied in zahlreichen Kommissionen, Räten und Ausschüssen stand er mit seinem Fachwissen und seiner Kompetenz der Wissenschaft und Praxis zur Verfügung. So auch im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Aktieninstituts, in dem er seit dessen Gründung im Jahr 1995 aktiv mitgewirkt hat. Für sein Engagement und die Unterstützung der Arbeit des Deutschen Aktieninstituts gebührt ihm großer Dank. Sein besonderes Interesse auch an europäischen Themen kommt in den verschiedenen Aktivitäten zum Ausdruck, die er in den vielen Jahren, in denen er sich mit diesen Fragen beschäftigt hat, entwickelte. So sei nur beispielhaft erwähnt, dass er Mitglied der High Level Group of Company Law Experts war, die die Europäische Kommission in Fragen der Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts beraten hat. 2004 rief er die Zeitschrift European Company and Financial Law Review ins Leben. 2009 gehörte Klaus J. Hopt einer wissenschaftlichen Kommission an, die die beiden Anwaltskanzleien beraten hat, die von der Europäischen Kommission mit der Evaluierung des SE-Status betraut worden waren. Diese Berufung in die wissenschaftliche Kommission kommt nicht von ungefähr. War es doch Klaus J. Hopt, der die Societas Europaea (SE) als das Flaggschiff des europäischen Gesellschaftsrechts bezeichnet hat.1 Er wollte damit die herausgehobene Stellung der Europa-AG im Verbund der europäischen gesellschaftsrechtlichen Richtlinien deutlich machen. Als Hopt diese Aussage 1998 traf, war allerdings der Flottenverband der europäischen Gesellschaftsrechtsformen noch ziemlich unterentwickelt. Außer der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) gab es keine weiteren europäischen Unternehmenskooperationsformen, deren Flaggschiff die SE hätte sein können. Selbst die SE hatte damals noch keinen endgültigen Rechtsrahmen und das, obwohl ihre Rechtsform bereits seit den fünfziger Jahren diskutiert wurde. 1

Hopt Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 1998, S. 96, 99.

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I. Geschichte und Rechtsrahmen 1970 legte die Europäische Kommission ihren ersten Vorschlag zu einem SE-Statut vor. Dieser war äußerst detailliert und sollte dem Anspruch gerecht werden, möglichst umfassend alle mit einer europäischen Aktiengesellschaft verbundenen Rechtsprobleme zu lösen. So schloss der über 400 Artikel starke Entwurf sogar das Konzern- und Betriebsverfassungsrecht mit ein. Diese gaben dem Ganzen einen eher deutschen Anstrich und riefen bei den anderen EU-Mitgliedstaaten nicht unerheblichen Widerstand gegenüber dem Entwurf hervor. Man wollte weder das in dem Statut niedergelegte dualistische System von Vorstand und Aufsichtsrat übernehmen, noch mittels der Bestimmungen zur unternehmerischen Mitbestimmung die deutsche Mitbestimmung im europäischen Ausland importieren. Kritik kam aber damals auch aus Deutschland, wo die deutsche Ministerialbürokratie fürchtete, dass die vorgelegten Bestimmungen dem Wechsel deutscher Unternehmen in die europäische Rechtsform Vorschub leisten würden, da sie im Vergleich zu den rigiden deutschen aktienrechtlichen Bestimmungen deutlich flexibler waren.2 Es folgte eine zermürbende Diskussion über mehr als dreißig Jahre, die erst mit dem Kompromiss von Nizza 2000 ein Ende fand und schließlich 2001 in der Verabschiedung des SE-Statuts 3 mündete, das dann im Oktober 2004 in Kraft trat. In dieser Zeit ist der ursprüngliche Entwurf mehrfach überarbeitet worden. Die ursprünglich ca. 400 Artikel wurden dabei auf nur noch 70 komprimiert. Die Euphorie, alles einheitlich europäisch zu regeln, war verflogen. Stattdessen wurde ein europäischer Rechtsrahmen festgelegt, der vor allem das Thema der Gründung einer SE regelt, in vielen anderen gesellschaftsrechtlichen Bereichen dagegen keinerlei Regelungen trifft und stattdessen bei entsprechenden Rechtsfragen in das jeweilige Recht des Mitgliedstaates verweist, in dem die SE gegründet wird. Die Folge davon war bzw. ist, dass man nicht ein einheitliches europäisches Flaggschiff geschaffen hat, sondern stattdessen einen einheitlichen Schiffsrumpf, der je nach Mitgliedsstaat mit der einen oder anderen Takelage versehen ist. Und so überrascht es auch nicht, dass die SE, als nun ihr Statut endlich vorlag, nicht nur mit Begeisterung aufgenommen wurde. Zwar war man

2 Hommelhoff Die Societats Europaea – Eine juristische Bestandsaufnahme, in Die Societas Europaea, Dokumentation der Seminare vom 30. März 2006 und vom 24. April 2007, Rüdiger von Rosen (Hrsg.), Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 20, S. 23. 3 Verordnung Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 294/1 vom 10. November 2001.

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erleichtert, dass es schließlich doch noch zu einem Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Societas Europaea gekommen und damit eine Lösung für die nach mehr Mobilität strebenden europäischen Unternehmen gefunden worden war. Doch gab es auch einige Kritik an der als eher kleinlich empfundenen Lösung, bei der Streitfragen ausgeklammert und stattdessen ins nationale Recht verwiesen wurden.4 Als Tiger losgesprungen und als Bettvorleger gelandet, war sicher ein Bild, das manchem Kritiker mit Blick auf die SE in den Sinn kam. Diese Kritik ist jedoch insofern zu relativieren, als dass in den dreißig Jahren, die seit dem ersten Kommissionsentwurf bis zum endgültigen Statut vergangen sind, die Kommission nicht untätig war und das Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten durch verschiedene Richtlinien harmonisiert hat.5 Die nationalen Rechtsgrundlagen haben sich auf diese Weise angenähert und damit den Weg für eine schlankere, eine „Rumpf-SE“ zumindest erleichtert. Trotz dieser Rechtsannäherung in den Mitgliedstaaten lässt sich aber nicht bestreiten, dass es sich bei den Vorschriften zur SE um ein komplexes Normengebilde handelt. Neben der SE-Verordnung, der europäischen Richtlinie betreffend die Beteiligung der Arbeitnehmer 6 und den entsprechenden nationalen Umsetzungsgesetzen sind die jeweiligen SE-Unternehmenssatzungen und das jeweilige nationale Aktienrecht zu beachten. Auch gibt es nur vier Gründungsformen nämlich die Verschmelzung, die sogenannte Umwandlung, die nach deutscher Terminologie einem Formwechsel entspricht, die Gründung einer Holding-SE und die einer Tochter-SE. Wichtig bei all diesen Gründungsformen ist, dass der von den Regelungen geforderte Mehrstaatlichkeitsbezug gewahrt bleibt, d.h. dass zumindest zwei Unternehmen in unterschiedlichen Mitgliedstaaten in die SE-Gründung einbezogen sind bzw. mindestens seit zwei Jahren eine europäische Tochter des sich umwandelnden Unternehmens existiert. Vor allem für die Unternehmen, die sich als erste entschlossen, eine SE zu gründen, handelte es sich um einen Weg in eine terra incognita. Bestehende Lücken in den zugrundeliegenden Normen, die durch Praxis und Rechtspre-

4 Schwarz Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2001, S. 1847; Wiesner Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2001, S. 397. 5 So auch: Blanquet How and Why to Establish a European Company Statute (SE) – The SE, a Community Instrument for Cross-Border Cooperation between Firms, in Die Europa-AG – Eine Perspektive für deutsche Unternehmen?, Dokumentation des Seminars vom 31. Oktober 2002, Rüdiger von Rosen (Hrsg.), Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 21, S. 30, S. 31. 6 Richtlinie Nr. 2001/86/EG des Rates zur Ergänzung des Statut der Europäischen Gesellschaft in Bezug auf die Beteiligung der Arbeitnehmer vom 8. Oktober 2001, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 294/1 vom 10. November 2001.

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chung erst noch gefüllt werden mussten, bedeuteten einen erheblichen Unsicherheitsfaktor für die Unternehmen.7 Trotz dieser Unsicherheit und des nicht gerade einfachen Normengefüges haben sich nach und nach immer mehr europäische Unternehmen entschlossen, die Rechtsform der SE zu wählen. So sind nach den Ergebnissen des European Trade Union Institutes (ETUI) bislang europaweit 431 SEs gegründet worden, 19 SEs sind aktuell in Planung.8 Wenn man dies mit den über 11.300 börsennotierten Unternehmen in Europa, davon knapp tausend in Deutschland, vergleicht, erscheint die Zahl natürlich eher gering. Doch die Zahl der Gesellschaften, die sich für eine Umwandlung in eine europäische Aktiengesellschaft interessieren oder sich bereits umgewandelt haben, wächst. Im Januar 2008 gab es gerade einmal 127 SEs,9 im Vergleich dazu zeigen die 431 existierenden SEs im September 2009 schon eine beachtliche Entwicklung. Vor allem in Deutschland ist die Rechtsform der SE erfolgreich. Nicht nur kleine Gesellschaften gründen sich als SE oder wandeln sich in eine solche um. Neben der Allianz, BASF, Fresenius, Porsche und SGL Carbon hat sich im Mai 2009 mit MAN ein weiterer großer Konzern in eine SE umgewandelt. Dabei konnte MAN an den Erfahrungen seiner Tochter MAN Diesel SE partizipieren, die zu einem der Vorreiter bei der SE-Umwandlung gehörte und bereits seit August 2006 als SE firmiert. Aber auch Mittelständler nutzen zunehmend die neue Rechtsform.10 Bei der Aufzählung dieser bekannten Unternehmen, die jetzt als SE firmieren, gewinnt man den Eindruck, dass es sich bei der SE schon heute um ein erfolgreiches Modell handelt. Allerdings muss man eine Einschränkung machen: Während in Deutschland die SE eine Alternative zur Aktiengesellschaft geworden ist, kann man den gleichen Enthusiasmus nicht in den anderen großen europäischen Ländern finden. In dem ETUI Factsheet sind 108 etablierte SEs mit Sitz in Deutschland zu finden, d.h. also nahezu ein Viertel aller registrierten SEs in Europa stammen aus Deutschland. Dagegen gibt es nur 16 französische und 19 englische SEs. Neben den Deutschen sind vor allem die Tschechen aktive SE-Gründer, wobei sie allerdings vor allem Vorratsgesellschaften ins Leben rufen.11 In Bezug auf die Bevölkerungsgröße liegen Liechtenstein, Luxemburg und Zypern an der Spitze, was wohl vor

7 Waclawik Die SE – Vorbereitung und Planung für die erfolgreiche Umwandlung, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 132, 134. 8 http://ecdb.worker-participation.eu, European Company Factsheets, Stand September 2009. 9 Bayer „Going European“ continues – die Zahl der SE steigt weiter, AG Report 3/2008, R31. 10 Jahn „Die Europa AG“ macht unerwartet Karriere, FAZ vom 12. Januar 2009, S. 13. 11 Ebenda.

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allem durch den Zuzug ausländischer Unternehmen begründet ist.12 Aber auch in den anderen kleineren Mitgliedstaaten sind bereits SEs registriert worden. Dagegen gibt es nur eine spanische und noch überhaupt keine italienische SE. Es stellt sich also die Frage, weshalb in Deutschland verhältnismäßig viele SEs gegründet werden, während in anderen europäischen Mitgliedstaaten die Unternehmen eher zögerlich die neue Rechtsform wählen? Und wenn wir in Deutschland von der SE als einem Zukunftsmodell sprechen, gilt dieses gleichermaßen auch für Europa?

II. Motive für die SE-Gründung Als das SE-Statut 2001 verabschiedet wurde, ging man davon aus, dass man damit den Unternehmen in Europa eine Möglichkeit eröffnet hatte, grenzüberschreitend mobil zu werden. Die Verschmelzung von Unternehmen über die Grenze und die Möglichkeit der SE ihren Sitz in andere Mitgliedstaaten zu verlegen, ohne von einer Auflösung bedroht zu sein, wurden als die Schlüsselaspekte angesehen, die der SE zum Durchbruch verhelfen würden.13 Eine in Deutschland durchgeführte empirische Untersuchung bei drei Viertel der bis Juni 2008 gegründeten SEs ergab, dass neben dem „Image SE“ vor allem die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Mitbestimmung, Corporate Governance Aspekte und die Wahl des Leitungssystems (monistisch/dualistisch) den Ausschlag gegeben haben, sich für die Rechtsform der SE zu entscheiden.14 Die Möglichkeit der Sitzverlegung sowie eine geplante Fusion waren dagegen eher weniger relevant.15 Statt also, wie ursprünglich gedacht, als Vehikel für Unternehmensverschmelzungen zu dienen, hat sich eine andere Gründungsform der SE in den Vordergrund geschoben, die erst in letzter Minute noch in den Numerus Clausus der Gründungsformen aufgenommen wurde: Die Umwandlung bzw. der Formwechsel.16 Außer der Allianz haben alle DAX-Unternehmen, die sich für die SE entschieden haben, den Weg der Umwandlung beschritten. Die Gründe für den Schritt in die SE sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. 12 Eidenmüller/Engert/Hornuf Die Societas Europaea: Empirische Bestandsaufnahme und Entwicklungslinien einer neuen Rechtsform, AG 2008, S. 721, 725. 13 Blanquet How and Why to Establish a European Company Statute (SE) – The SE, a Community Instrument for Cross-Border Cooperation between Firms, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 21, S. 30, 31. 14 Eidenmüller Warum unterstellen sich Unternehmen europäischem Recht? Finanzplatz, Nr. 5, September 2009, S. 20. 15 Ebenda. 16 Neye Die geplante Einführung der Societas Europaea in das deutsche Gesellschaftsrecht, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 21, S. 63, 66.

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1. Image SE Wie schon dargelegt, ist die Bedeutung des „Image SE“ bei der Nennung der Motive für einen Wechsel in die SE an erster Stelle genannt worden. Was aber bedeutet „Image SE“? Das Kürzel SE hinter der Firmenbezeichnung erlaubt es den Unternehmen sich von ihren nationalen Wurzeln zu lösen und eine internationale Rechtsform zu wählen, die dem europäischen Anspruch eines zusammenwachsenden Binnenmarktes entsprechen soll. Die Unternehmen können so ihre internationale Ausrichtung nach außen hin manifestieren.17 Der Vorstandsvorsitzende der BASF Jürgen Hambrecht hat es so formuliert: “Die Europäische Gesellschaft ist die zeitgemäße Rechtsform für ein global tätiges Unternehmen mit Heimatmarkt Europa“.18 Gleichzeitig versprechen sich die Unternehmen von dem Wechsel in die SE, dass sich im Zusammenhang mit der Einbindung der europäischen Arbeitnehmer in die Unternehmensmitbestimmung eine internationale Unternehmenskultur im Unternehmen herausbildet. 2. Corporate Governance Neben dem europäischen/internationalen Image, das die SE vermittelt, spielen die Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Corporate Governance eine besonders wichtige Rolle – zumindest in Deutschland. Die Möglichkeit mit Hilfe der SE die Verkleinerung des Aufsichtsrats zu erreichen oder auch nur den Status quo eines kleinen Aufsichtsrates zu behalten, spielt eine gewichtige Rolle in den Umwandlungsüberlegungen der größeren Unternehmen. Die in Deutschland nach dem Mitbestimmungsgesetz bei größeren Gesellschaften vorgeschriebenen Aufsichtsratsgremien mit 16 bzw. 20 Mitgliedern gelten allgemein als zu groß, um effektiv den Vorstand zu beraten und zu überwachen.19 Auf die SE ist aber das deutsche Mitbestimmungsgesetz nicht anwendbar. Stattdessen wird in der Satzung der SE festgelegt, wie viele Mitglieder der Aufsichtsrat hat. Damit liegt die Entscheidung bei der Hauptversammlung, also den Aktionären. Sicherzustellen ist nur, dass die Arbeitnehmer in der Gewichtung im Aufsichtsrat der SE vertreten sind, in der sie im Aufsichtsrat der AG vertreten waren. Nicht die Zahl der Köpfe muss also gewahrt bleiben, sondern der Proporz. Herrschte vorher Mitbestimmungsparität, so gilt dies auch für den SE-Aufsichtsrat. 17 Götz Praxisbeispiel: Die Umwandlung der Fresenius AG in eine SE, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 148, 149; Höhfeld Praxisbeispiel MAN Diesel SE, in Studien des Deutschen Aktieninstitutes, Heft 38, S. 159, 160. 18 Hambrecht zitiert in BASF wird Europa-AG, Süddeutsche Zeitung vom 28. Februar 2007, S. 23. 19 Marsch-Barner Was spricht für eine Gründung einer SE?, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 90, 96; Koehler „Die Aktienmärkte sind im Prinzip die einzigen noch vollliquiden Märkte“ Finanzplatz, Nr. 2, März 2009, S. 4, S. 9.

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Die von der Allianz als erstem Unternehmen durchgeführte Verkleinerung des Aufsichtsrats auf 12 Mitglieder hat eine große Anhängerschaft gefunden. Alle DAX-Unternehmen, die heute als SE firmieren, haben einen zwölfköpfigen Aufsichtsrat. Darüber hinaus gibt es aber noch weitere Abweichungen vom deutschen Aktienrecht, die den Unternehmen einen gewissen Gestaltungsspielraum eröffnen. So kann dem Vorstandsvorsitzenden ein Vetorecht eingeräumt werden.20 Dies ist in der deutschen AG nicht möglich, weil der Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Mitglied der Geschäftsleitung gilt. In der SE hingegen ist die Position des Arbeitsdirektors nicht vorgesehen, stattdessen gibt es „nur“ eine Vorstandszuständigkeit für „Arbeit und Soziales“. Des Weiteren ist es in der SE möglich, einem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden im Falle der Abwesenheit des Aufsichtsratsvorsitzenden ein Stichentscheidsrecht einzuräumen, wenn er ein Anteilseignervertreter ist. Für die Bestellung des Aufsichtsrats gilt grundsätzlich die einfache Mehrheit, bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Damit werden mehrere Wahlgänge und die Einberufung von Vermittlungsausschüssen, die in deutschen AGs durchaus auch als Drohpotenzial genutzt werden,21 hinfällig. 3. Gestaltung der Mitbestimmung Neben den genannten Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Corporate Governance ist die Vereinbarungsautonomie in Bezug auf die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer als weiteres starkes Motiv für die Umwandlung in eine SE zu nennen. Wie schon erwähnt, war die Mitbestimmungsfrage einer der Punkte, die die Verabschiedung eines SE-Statuts lange blockiert haben. Bei der Verabschiedung des SE-Statuts wurde der gefundene Kompromiss denn auch als ein Pferdefuß für die SE-Gründung betrachtet. Trotzdem musste zugestanden werden, dass die Regelung im Vergleich mit den nationalen deutschen Vorschriften – zumindest in der Theorie – durchaus flexibler ist, da sie den Vorrang der Verhandlungslösung festlegt, d.h. die an der Gründung der SE beteiligten Unternehmen sind verpflichtet, mit den Arbeitnehmern ein Mitbestimmungsstatut auszuhandeln, durch das die Mitbestimmung reduziert bis abgeschafft werden könnte. Dies gilt allerdings nicht für den Formwechsel. Maßgeschneiderte Mitbestimmungslösungen für die einzelnen Unternehmen sind somit möglich.22 20 So z.B. Allianz; Hemeling Umwandlung der Allianz AG in die Allianz SE, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 38, 42. 21 Hemeling Umwandlung der Allianz AG in die Allianz SE, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 38, 42. 22 Müller-Bonanni „Porsche macht Mitbestimmung mit SE zukunftsfähig“, Börsenzeitung vom 21. November 2007, S. 2.

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Eingeschränkt wird die Verhandlungslösung allerdings durch die sogenannte Auffangregelung, die für den Fall des Scheiterns einer Einigung von Gesellschaftsvertretern und Arbeitnehmervertretern in Bezug auf die Mitbestimmungsvereinbarung eingreift. Sie sieht bei dem Formwechsel in die SE vor, dass, wenn in einer der Gesellschaften Mitbestimmung geherrscht hat, nach Scheitern der Verhandlungen über das Mitbestimmungsstatut die Mitbestimmung sich in der SE entsprechend fortsetzt. Bei den anderen Gründungsvarianten ist das Greifen der Auffanglösung an das Erreichen bestimmter Mitbestimmungsschwellenwerte geknüpft, damit sich der höchste Mitbestimmungsstandard in der SE durchsetzen kann. Die Einberufung des Besonderen Verhandlungsgremiums (BVG) stellt die Unternehmen vor große rechtliche, sprachliche und logistische Herausforderungen, da alle europäischen Arbeitnehmer in den Prozess einbezogen werden müssen.23 Obwohl die Mitbestimmungsregelung in der SE komplex und aufwendig ist, liegt das Motiv Mitbestimmung bei der Befragung der Unternehmen in deren Gunst weit oben, so dass man sich fragen muss, warum das so ist. Vor allem liegt dies wohl daran, dass Unternehmen, die sich in der „Gefahr“ befinden, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder auch dem Mitbestimmungsgesetz zu unterfallen, bei einer Umwandlung in eine SE vor Erreichen der kritischen Schwellenwerte, zukünftig nicht mehr von den genannten Gesetzen erfasst werden. Der Status quo der Mitbestimmung zum Zeitpunkt der Umwandlung wird also vorbehaltlich einer strukturellen Änderung im Sinne von § 18 Abs. 3 SE-Beteiligungsgesetz „eingefroren“. So hat denn auch mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen in der genannten empirischen Untersuchung als wesentlichen Grund für den Wechsel in die SE die Abmilderung bzw. Vermeidung der Mitbestimmung genannt.24 Aber auch in anderen europäischen Ländern, die einer Mitbestimmung unterliegen, werden signifikant mehr SEs gegründet als in europäischen Ländern ohne Mitbestimmungsregelungen.25 Allerdings wird die Tatsache, dass die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat zukünftig nicht nur von deutschen, sondern auch von anderen europäischen Arbeitnehmern vertreten wird, von den Unternehmen als positiv bewertet. Die Europäisierung der Arbeitnehmerbank erhöht die Legitimation der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und kann damit zu einem Wandel des

23 Götz Praxisbeispiel: Die Umwandlung der Fresenius AG in eine SE, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 148, 152 f.; Höhfeld Praxisbeispiel MAN Diesel SE, in Studien des Deutschen Aktieninstitutes, Heft 38, S. 159, 161 ff. 24 Eidenmüller/Engert/Hornuf Warum unterstellen sich Unternehmen europäischem Recht? Finanzplatz, Nr. 5, September 2009, S. 20. 25 Ebenda.

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Selbstverständnisses der Gesellschaft beitragen.26 Dies muss als großer Fortschritt angesehen werden und dürfte die Attraktivität der SE in Zukunft weiter steigern. 4. Möglichkeit der Sitzverlegung Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH ist in Bezug auf die Sitzverlegung in den vergangen Jahren bereits Einiges in Bewegung geraten. So muss nach der Überseering-Entscheidung des EuGH 27 von den Mitgliedstaaten akzeptiert werden, dass Unternehmen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates ordnungsgemäß gegründet wurden, ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können. Dies gilt allerdings nur für den Zuzug in einen anderen Mitgliedstaat. Nach der SE-Verordnung ist die Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zulässig. Allerdings müssen sich beide dann zusammen in einem Mitgliedstaat befinden. Nachdem die geplante Sitzverlegungsrichtlinie der EU auf Eis gelegt wurde, ist somit die Sitzverlegung eines Unternehmens von einem europäischen Staat in einen anderen nur über den Weg einer SE möglich. Bis 2009 haben bereits zwanzig Unternehmen ihren Sitz ins europäische Ausland verlagert,28 doch ist dies für Unternehmen mit einer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit eher keine Alternative. Für große Unternehmen wird es in der Regel zu viel Aufwand sein und kleine Unternehmen können sich schlecht von ihrer Kundenbasis trennen. Als Motiv für die Sitzverlegung werden vor allem steuerliche Gründe genannt.29 5. Unternehmensstruktur Ein weiteres Motiv für die Umwandlung in eine SE in Deutschland ist die Möglichkeit bei der Führungsstruktur eines Unternehmens zwischen einem dualistischen und einem monistischen, d.h. einem zwei- bzw. eingliedrigen Leitungssystem zu wählen. Während es bisher in Deutschland nur die Möglichkeit gab, Vorstand und Aufsichtsrat zu trennen, ist es zukünftig in der SE möglich, einen Verwaltungsrat zu bilden, in dem die Funktionen von Vorstand und Aufsichtsrat vereinigt werden. In diesen Verwaltungsrat werden

26 Marsch-Barner Was spricht für die Gründung einer SE?, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 90, 100. 27 EuGH BB 2002, S. 2302 ff. 28 Eidenmüller/Engert/Hornuf Warum unterstellen sich Unternehmen europäischem Recht?, Finanzplatz, Nr. 5, September 2009, S. 20, 21. 29 Eidenmüller/Engert/Hornuf Die Societas Europaea: Empirische Bestandsaufnahme und Entwicklungslinien einer neuen Rechtsform, AG 2008, S. 721 ff., 725.

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sowohl geschäfts- als auch nichtgeschäftsführende Direktoren berufen. Die geschäftsführenden Direktoren haben dabei eine ähnliche Stellung wie die Vorstandsmitglieder nach deutschem Recht, sind aber im Innenverhältnis den Weisungen des Verwaltungsrates unterworfen. Ohne darauf eingehen zu wollen, ob und wenn ja welches der beiden Modelle vorzugswürdig ist, kann man davon auszugehen, dass in Deutschland von dem monistischen System in der Regel dann kein Gebrauch gemacht werden wird, wenn es sich um paritätisch mitbestimmte Unternehmen handelt. Bei einem Scheitern der Verhandlungslösung und dem Eingreifen der Auffangregelung würde nämlich die paritätische Mitbestimmung für ein entsprechendes Mitbestimmungsverhältnis im Verwaltungsrat sorgen, was wohl von den wenigsten Unternehmen gewünscht wäre. Von Interesse kann allerdings die Wahl des monistischen Systems z.B. für ausländische Konzerne sein, deren Gesellschaften üblicherweise monistisch strukturiert sind und die gern auch die deutschen Töchter unter derselben Führungsstruktur organisieren möchten.30 Aber auch Familiengesellschaften in Deutschland können ein Interesse an der neuen Führungsstruktur haben, da der Vertreter der Mehrheit zugleich Vorsitzender des Verwaltungsrates und der Geschäftsführung sein kann.31 Das Interesse an einem monistischen Leitungssystem scheint jedenfalls gegeben zu sein. Im Januar 2008 waren bereits 60,3 % der deutschen SE monistisch verfasst.32 Aber auch in anderen Mitgliedstaaten wählen Unternehmen für ihre SE das monistische System. Aus einer monistischen Rechtsordnung kommend hat sich allerdings noch keine SE für das dualistische Modell entschieden33. 6. Verschmelzung Prominentes Beispiel einer SE-Verschmelzung in Deutschland ist die Allianz, die sich im Rahmen des Zusammenschlusses mit der italienischen Riunione Adriatica di Sicurta S.A. zu diesem Weg entschloss. Dabei war nicht „die besondere Attraktivität der Rechtsform SE“ 34 entscheidend, sondern der Zeitfaktor spielte für die Allianz eine große Rolle. Da die Ver30 Marsch-Barner Was spricht für die Gründung einer SE?, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 90, 94. 31 Z.B. Drotleff Praxisbeispiel: Mensch und Maschine Software SE, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 173, 175. 32 Bayer „Going European“ continues – die Zahl der SE steigt weiter, AG Report 3/2008, R32. 33 Eidenmüller/Engert/Hornuf Warum unterstellen sich Unternehmen europäischem Recht?, Finanzplatz, Nr. 5, September 2009, S. 20, 21. 34 Hemeling Umwandlung der Allianz AG in die Allianz SE, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 38.

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schmelzungsrichtlinie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verabschiedet war, konnte die Allianz nur die SE wählen, um eine grenzüberschreitende Verschmelzung mit einer damit einhergehenden Vereinfachung der Gesellschaftsstruktur zu erreichen. Obwohl man bei Verabschiedung des SE-Statuts vor allem die grenzüberschreitende Verschmelzung als Motiv für den Wechsel in die SE im Blick hatte, lässt sich heute feststellen, dass die Verschmelzung, zumindest bis jetzt, eine eher nachgeordnete Rolle dabei gespielt hat, warum sich Unternehmen für die SE entschieden haben. Nachdem allerdings die Verschmelzungsrichtlinie 2005 verabschiedet und 2007 umgesetzt wurde, können deutsche Unternehmen, die grenzüberschreitend fusionieren wollen, dies auch im Rahmen des Umwandlungsgesetzes tun. Die Attraktivität der Verschmelzung mittels einer SE ist damit deutlich geschmälert worden.

III. Gründe, die einer SE-Gründung entgegenstehen können Wenn man sich über die Zukunftsfähigkeit der SE Gedanken gemacht, reicht es natürlich nicht, nur die Motive, die für eine SE-Gründung sprechen, zu diskutieren. Auch wenn an der einen oder anderen Stelle schon angedeutet wurde, mit welchen Schwierigkeiten SE-Gründer zu kämpfen haben, soll an dieser Stelle noch einmal auf den Punkt gebracht werden, was Unternehmen von einer SE-Gründung abschrecken könnte. Zu nennen wäre zunächst einmal das fehlende einheitliche Statut. Die Verweisungen des SE-Statuts ins nationale Recht schwächen die Chancen der SE, sich als europäische Rechtsform durchzusetzen.35 Wenn man bedenkt, dass schätzungsweite nur 10 Prozent des Normengefüges der SE auf europäischem Recht beruhen,36 zeigt sich, wie sehr die verschiedenen SEs von ihrem jeweiligen Heimatrecht dominiert werden bzw. dass die SE im Grunde eine nationalstaatlich geprägte Rechtsform ist. Abgesehen von der fehlenden einheitlichen und umfassenden Rechtsgrundlage erschwert auch die Komplexität der Rechtsform mit ihren verschiedenen Normschichten den Zugang potentiell interessierter Unternehmen.37 Dies gilt auch für den gefundenen Kompromiss in Bezug auf die Mitbestimmung, der sowohl hinsichtlich des festgelegten Bestellungsverfahrens als 35 Lenoir The Societas Europaea or SE – The new European Company, HEC Paris, July 2007, S. 107. 36 Hemeling Umwandlung der Allianz AG in die Allianz SE, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 38, 41. 37 Requillart Interest of the SE for the PSA Peugeot Citroen Group. Summary of Advantages/Disadvantages, in Lenoir The Societas Europaea or SE – The new European Company, HEC Paris, July 2007, S. 177

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auch des vorgegebenen Ergebnisses beim Scheitern der Verhandlungen zu Kritik führt. So zwingt die Auffanglösung Unternehmen mit einer ganz anderen Mitbestimmungstradition eine Form der Mitbestimmung auf, die unter Umständen schlecht zu der herrschenden Unternehmenskultur passt.38 Auch das Verfahren der Auswahl eines Besonderen Verhandlungsgremiums und die damit verbundene zeitliche Verzögerung bis zur Eintragung der SE ist für die Unternehmen eine große Herausforderung. Ein weiterer Aspekt, der am SE-Statut kritisiert wird und das mögliche Interesse der Unternehmen an der SE zu reduzieren vermag, ist die Tatsache, dass es hinsichtlich der Gründungsformen einen Numerus Clausus gibt und eine Gründung ex nihilo wegen des Gebots der Mehrstaatlichkeit nicht möglich ist.39 Hier muss allerdings gesagt werden, dass Unternehmen, die an einer SE-Gründung wirklich interessiert sind, durch den Einsatz von Vorratsbzw. Scheinauslandsgesellschaften das Kriterium der Mehrstaatlichkeit bei der Gründung leicht umgehen können.40 Der „Umweg“ über Vorrats- und Scheinauslandsgesellschaften erhöht allerdings die Kosten für die Gründung einer SE. Letztlich sollte an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass selbst die Möglichkeit der Sitzverlagerung nicht die Anziehungswirkung auf die Unternehmen ausübt, die man sich in einem einheitlichen Binnenmarkt erwünscht hätte. Die Festlegung in Artikel 7 des SE-Statuts, dass die SE nur Registersitz und Verwaltungssitz gemeinsam verlegen kann, beeinträchtige, so wird vertreten,41 die unternehmerische Flexibilität und benachteilige die SE im Vergleich zu den nationalen Unternehmen.

IV. Fazit und Ausblick Sicherlich überrascht, dass es das Motiv „Image SE“ zum Spitzenreiter unter den Gründen für die neue Rechtsform gebracht hat, obwohl es sich ja „nur“ um einen „soft factor“ handelt. Auf der anderen Seite leuchtet es durchaus ein, dass der Schritt in eine SE vor allem deswegen gegangen wird, weil man sowohl nach außen, also gegenüber den Kunden und Investoren, als auch nach innen, gegenüber den Arbeitnehmern, europäischer/internationaler

38 Lenoir The Societas Europaea or SE – The new European Company, HEC Paris, July 2007, S. 99. 39 Lenoir The Societas Europaea or SE – The new European Company, HEC Paris, July 2007, S. 100. 40 Weller Die Reform der SE-Verordnung, Finanzplatz, Nr. 5, September 2009, S. 10, 11. 41 Hemeling Contribution of Allianz SE, in Lenoir The Societas Europaea or SE – The new European Company, HEC Paris, July 2007, S. 165, 166. Weller Die Reform der SEVerordnung, Finanzplatz, Nr. 5, September 2009, S. 10, 12.

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auftreten kann. Die Unternehmen lösen sich damit von ihrem nationalen Heimatmarkt und können sich neu positionieren, indem sie ein europäisches Marketing betreiben und europäische Produkte entwerfen, die nicht mehr auf den nationalen Heimatmarkt, sondern auf den europäischen Binnenmarkt zugeschnitten sind. Natürlich können auch Unternehmen in nationalstaatlichem Rechtskleid entsprechend vorgehen, doch die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der europäischen Aufstellung des Unternehmens wird durch die Ergänzung des Firmennamens um das Kürzel SE noch erhöht. Auch für den Umgang im Unternehmen und die eigene Unternehmenskultur ist der Weg in die SE ein deutliches Zeichen des Willens der Integration der Arbeitnehmer europaweit. Obwohl die in dem SE-Statut getroffenen Mitbestimmungsregelungen auch einen gewissen abschreckenden Charakter vor allem in den Ländern ohne ausgeprägte Mitbestimmungstradition entfalten, zeigen sie doch auch Wege auf, wie man in einem Unternehmen im Dialog mit den Arbeitnehmern konstruktive Lösungen für Mitbestimmungsfragen finden kann. Allerdings sei an dieser Stelle bemerkt, dass es dabei durchaus überlegenswert wäre, die Auffanglösung insofern zu verändern, als dass man sie auf eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer begrenzt.42 Dies würde die Verhandlungsbereitschaft der Arbeitnehmer weiter erhöhen, weil sie nicht mit einem gesicherten Höchstmaß an Mitbestimmung in die Verhandlungen gehen könnten. Neben der Internationalisierung der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat wird auch die Identifikationsmöglichkeit mit dem Unternehmen für die Arbeitnehmer leichter, die nicht aus dem Stammland des Unternehmens kommen. Dies gilt vor allem auch in Fällen, in denen zwei Unternehmen fusionieren. Statt sich auf eine nationale Rechtsform festlegen zu müssen, was bei dem in der Rechtsform „unterlegenen“ Unternehmen zu Unmut führen kann, kann man die SE als Kompromiss wählen. Auch außerhalb von Fusionen kann die Wahl der SE für grenzüberschreitend tätige Unternehmen aus finanzieller Sicht ein Kostenvorteil sein, da statt eines Netzes von Tochter- und Holdinggesellschaften die SE mit rechtlich unselbständigen Niederlassungen handeln kann. Damit entfallen Kosten für das Aufstellen der Bilanzen, Bilanzprüfungen und der Publikation bei den jeweiligen Tochter- und Holdinggesellschaften.43 Alle dargelegten Motive spielen eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung, ob sich Unternehmen in eine SE umwandeln sollen. Keinen der genannten Aspekte wird man isoliert betrachten können und für jedes Unternehmen wird ein anderes Zusammenspiel von Gründen den Ausschlag geben. Deutlich wird jedoch, dass einige der genannten Gründe vor allem für 42 Auch Habersack Wieviel Mitbestimmung braucht die SE?, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 101, 112. 43 Lutter in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 2008, Einl. SE-VO, Rn. 40.

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deutsche Unternehmen eine Rolle spielen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass diese über ihre Motive für den SE-Wechsel befragt wurden. Zum anderen aber wohl auch damit, dass die SE deutschen Unternehmen mehr Wahlfreiheit und damit die Möglichkeit gibt, sich von dem rigideren deutschen Aktienrecht zu lösen bzw. dem deutschen Mitbestimmungsrecht auszuweichen. Wenn man die deutschen Bedenken von 1970 („Flucht in die SE“ 44) mit der aktuellen Diskussion über die „Flucht aus der AG“ 45 vergleicht, zeigt sich, dass bei der SE aus deutscher Sicht tatsächlich so gravierende Vorteile zu erkennen sind, dass ein gewisser Trend hin zur Europa-AG zu beobachten ist. Bezeichnend ist, dass der Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“ mit einem Entwurf an die Öffentlichkeit gegangen ist, in dem die Reform des Mitbestimmungsgesetzes gefordert wird, damit auch deutschen Unternehmen die Möglichkeit offen steht, ihre Aufsichtsräte zu verkleinern.46 Auch in den Koalitionsverhandlungen der neuen Bundesregierung ist das Thema Verkleinerung deutscher Aufsichträte angekommen.47 Die deutsche Mitbestimmungsdiskussion ist dank der SE endlich in Bewegung geraten, was in den letzten Jahren kaum vorstellbar war. Sollten die Reformvorschläge tatsächlich umgesetzt werden, wäre es natürlich äußerst interessant zu beobachten, ob die SE für die deutschen Unternehmen dann tatsächlich an Anziehungskraft verlieren würde. Zwar fiele ein gewichtiges Motiv weg, doch bin ich der Ansicht, dass damit die SE als europäisches Modell für die Zukunft keineswegs ausgedient hätte, weder in Deutschland noch in den anderen europäischen Mitgliedstaaten. Die Bedeutung einer European Corporate Identity wird in den kommenden Jahren, in denen Europa nach der Finanz- und Wirtschaftskrise enger zusammenwachsen wird, weiter zunehmen. Die SE ist die dem entsprechende Rechtsform. Unternehmen, die sich in Europa und der Welt gut positionieren wollen, werden weltweit mit der Marke SE – made in Europe – hausieren gehen. Das gilt natürlich für Unternehmen in kleineren Mitgliedstaaten, aber eben auch für solche aus den großen. Vielleicht wird die Attraktivität der SE auch im Rahmen des gerade laufenden Evaluierungsverfahrens weiter erhöht, indem Aspekte wie z.B. der kriti44 Hommelhoff Die Societats Europaea – Eine juristische Bestandsaufnahme, in Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 38, S. 20, S. 23. 45 Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“: Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2009, S. 885. 46 Arbeitskreis „Unternehmerische Mitbestimmung“: Entwurf einer Regelung zur Mitbestimmungsvereinbarung sowie zur Größe des mitbestimmten Aufsichtsrats, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2009, S. 885. 47 http://www.news.de/wirtschaft/855028335/kuenftige-koalition-will-kleinereaufsichtsraete/1/.

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sierte Numerus Clausus bei den Gründungsformen aufgegriffen und das Gebot der Mehrstaatlichkeit bei der SE-Gründung abgeschafft werden. Auch bei reinen Inlandssachverhalten würde die SE zukünftig dann als Rechtsform zur Verfügung stehen.48 Allerdings sollte man in diesem Zusammenhang immer berücksichtigen, dass das Vorliegen der Mehrstaatlichkeit bzw. des grenzüberschreitenden Bezugs für ein Eingreifen bzw. Handeln der Europäischen Organe Grundvoraussetzung ist. Verzichten wir in diesem Zusammenhang auf den entsprechenden Bezug, wird sich die Machtfülle der Europäischen Organe auch in anderen Bereichen weiter ausweiten. In Bezug auf die SE lässt sich festhalten, dass ihr möglicherweise von ihrer kleinen Schwester der Societas Privata Europaea, die im Europäischen Parlament diskutiert wird, in gewissen Umfang Konkurrenz erwachsen wird. Aber bis es soweit ist, ist und bleibt die SE das gesellschaftsrechtliche Zukunftsmodell Europas. Wenn wir Klaus J. Hopt eine Dekade später erneut ehren werden, dürfte sich die Akzeptanz von SE und SPE weiter verbessert haben.

48 Siehe Forderung Arbeitskreis Aktien und Kapitalmarktrecht: Die 8 wichtigsten Änderungsvorschläge der SE-VO, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2009, 698.

Besondere Regeln für geschlossene und börsennotierte Gesellschaften Überlegungen aus Anlass des 67. Deutschen Juristentages 2008 Markus Roth I. Einführung Der 67. Deutsche Juristentag hat im Jahre 2008 unter dem Vorsitz und auf Anregung des Jubilars in der Abteilung Wirtschaftsrecht die Frage besonderer Regeln für börsennotierte und geschlossene Gesellschaften behandelt.1 Das Thema der Abteilung fand bereits im Vorfeld des Erfurter Juristentages reges Interesse,2 das auch weiter anhält 3 und über das deutsche Recht hinaus die europäische Ebene erreicht hat.4 Betrachtet man die Leitfrage des Juristentags funktional, so ist jedenfalls das Kapitalgesellschaftsrecht insgesamt betroffen. Während in Deutschland geschlossene Gesellschaften seit 1892 zunehmend in der Form der GmbH gegründet werden,5 haben England und die USA (Delaware) grundsätzlich an der Regelung der Kapitalgesellschaft in einem Gesetz festgehalten.6 Allerdings hat etwa Delaware mit der LLC eine alternative Gesellschaftsform geschaffen, bei der auf den Grundsatz der Fremdorganschaft verzichtet wird.7 Delaware kennt wie England zudem die Partnerschaft mit beschränkter Haftung (limited liability partnership, LLP); 1 Stellvertreter war Dr. Ulrich Koch, Gutachter Prof. Dr. Walter Bayer, Jena, Referenten der Abteilung waren der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG, Dr. Reto Francioni, Frankfurt/Main, der ehemalige Vorsitzende der belgischen Börsenaufsicht und jetzige Chairman des Committee of European Securities Regulators (CESR) Prof. Dr. Eddy Wymeersch, Gent, Prof. Dr. Peter O. Mülbert, Mainz sowie RA Prof. Dr. Gerd Krieger, Düsseldorf. Der Verfasser war Schriftführer der Abteilung Wirtschaftsrecht. 2 Arbeitskreis Beschlussmängelrecht AG 2008, 617; Hemeling ZHR 172 (2008) 379 (beide zum Beschlussmängelrecht); Krieger AnwBl. 2008, 606; Richter ZHR 172 (2008) 419; Markus Roth AnwBl. 2008, 580; C. Schäfer NJW 2008, 2536; Spindler AG 2008, 598; Windbichler JZ 2008, 840. 3 Goll/Schwörer ZRP 2008, 245; Habersack AG 2009, 1; Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2151 f. 4 Jessica Schmidt EBOR 9 (2008) 637; Wymeersch ECFR 2009, 71. 5 Zum Effekt der kleinen AG 1994 unten II.1. 6 Dazu Merkt/Göthel US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Auflage 2006 und Gower/Davies Principles of modern company law, 8th ed. 2008. 7 Del. Code 18-402.

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in Deutschland mag man die Stimmbindungs-GbR 8 von Mitgliedern der nach außen auftretenden Kapitalgesellschaft als funktionales Äquivalent ansehen. Die Rechtsentwicklung in den USA ist auch insofern interessant, als Japan, das zunächst die deutsche GmbH rezipierte, sich von diesem Modell nunmehr wieder verabschiedet hat.9 Der weitere Verlauf der Diskussion wird zeigen, ob der 67. Deutsche Juristentag 2008 in Erfurt wie der 34. Deutsche Juristentag in Köln im Jahre 1926 langfristig 10 zu einer grundlegenden Reform der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft 11 sowie des Kapitalgesellschaftsrechts insgesamt führt: das Thema des Erfurter Juristentages könnte zu einer der Neufassung des Aktienrechts im Aktiengesetz von 1937 an Tragweite entsprechenden Reform führen.12 Insbesondere wegen des großen Einflusses internationalen 13 und vor allem auch US-amerikanischen Rechtsdenkens 14 sowie der Wirtschaft 15 blieb das Aktiengesetz 1937 nach dem Weltkrieg sowie bei der großen Reform 1965 in seinen Grundstrukturen unangetastet. Ob das den fortgeltenden Vorschriften zugrunde liegende Leitbild auf börsennotierte wie nichtbörsennotierte Gesellschaften passt, erscheint aber fraglich. Dies gilt – entsprechend dem spezifischen Interesse von Klaus J. Hopt am Kapitalmarktrecht 16 – vor allem für die börsennotierte Gesellschaft. Eine umfassende Darstellung möglicher besonderer Regeln für geschlossene und für börsennotierte Gesellschaften verbietet sich an dieser Stelle. Ausgehend vom faktischen Befund des Bedarfs jedenfalls für weitere Reformüberlegungen (unten II.) sollen ausgewählte Einzelprobleme behandelt wer-

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Hierzu Wertenbruch NZG 2009, 645. Prägnant das Editorial von Kübler ZHR 170 (2006) 213: „Gesellschaftsrecht – Das Land des Lächelns zeigt die Zähne“. 10 Anders als in den 1920er Jahren laufen keine parallelen Arbeiten des Justizministeriums an einer Aktienreform, dazu Schlegelberger Probleme des Aktienrechts, mit einer Erwiderung von Arthur Nussbaum, 1926. 11 Abgelehnt wurde eine Übernahme des board-Modells bereits vom 34. DJT, Köln 1926. 12 Dazu schon Markus Roth AnwBl 2008, 580, 585, so dann auch Bayer in den Verhandlungen des 67. DJT in Erfurt 2008, Diskussion, N 122. 13 In den ersten Jahren lag der rechtsvergleichende Schwerpunkt des damaligen KaiserWilhelm-Instituts auf dem Aktienrecht. Die spätere Aktienrechtsreform vorbereitend wurden in der nunmehrigen RabelsZ, der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Länderberichte veröffentlicht, die in den ersten vier Bänden (1927–1930) die „Aktienrechtsreform“ als eigene Kategorie im Inhaltsverzeichnis führte. 14 Dazu von Hein Die Rezeption des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, S. 126–191, vgl schon vorbereitend der 33. DJT 1924 und der 34. DJT in Köln 1926. 15 Vom Durchsetzen des Standpunkts der Unternehmer bei den Beratungen sprechend Bähr in Bähr/Banken (Hrsg.), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, S. 35, 47. 16 Grundlegend Hopt Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975. 9

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den. Vor dem Hintergrund des Œuvres von Klaus J. Hopt, das international insbesondere mit der Corporate Governance verbunden ist,17 wird schwerpunktmäßig die börsennotierte Gesellschaft behandelt und zunächst auf die Zukunft der Organisationsverfassung in der Aktiengesellschaft eingegangen (III.). Weiter wird erörtert, ob die Regeln zur Kapitalausstattung der Aktiengesellschaft am Aktionärs- oder am Mitgliederschutz auszurichten sind (IV.), sowie ob Verbesserungsmöglichkeiten beim aktienrechtlichen Verfahren bestehen (V.). Die zunehmende Ausdifferenzierung bereits de lege lata stellt die Frage nach den Perspektiven für eine Fortentwicklung des Rechts für börsennotierte Gesellschaften etwa hin zu einem Börsengesellschaftsrecht.18

II. Rechtlicher und rechtstatsächlicher status quo der deutschen Aktiengesellschaft 1. Inter-, supra- und intranationaler Wettbewerb der Gesellschaftsformen Der hauptsächlich für die GmbH diskutierte Wettbewerb der Rechtsordnungen betrifft auch die Aktiengesellschaft. Praktisch wurde der Wettbewerb der Aktiengesellschaft mit ausländischen Rechtsformen bislang insbesondere in als zukunftsträchtig angesehenen Branchen, hier sind neben Pharma (Hoechst), der Flugzeugbau (Airbus) sowie insbesondere die Dienstleistungsbranche (Air Berlin, Tui Travel, Thomas Cook) zu nennen. Während in den älteren genannten Fällen neu gegründete französische bzw. niederländische Gesellschaften die Anteile übernahmen, wählten die Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche in den neueren genannten Fällen jeweils die Rechtsform der englischen public limited corporation (plc). Die hier getroffene Auswahl zeigt auch, dass ein echter Wettbewerb der nationalen Gesellschaftsrechte insbesondere im Zeitpunkt eines internationalen Unternehmenszusammenschlusses eingreift. Nur Air Berlin wählte ohne internationale Fusion eine ausländische Rechtsform und ist als plc an der Frankfurter Börse notiert. Zum internationalen Wettbewerb tritt der Wettbewerb mit supranationalen Gesellschaftsrechtsformen. Als mit der deutschen Aktiengesellschaft im Wettbewerb stehende supranationale Gesellschaftsform zu nennen ist bislang die Europäische (Aktien-)Gesellschaft (SE). Die SE wurde bereits von 20 börsennotierten Gesellschaften gewählt und ist nach der AG die häufigste Rechtsform in deutschen Aktienindizes.19 17 Verwiesen sei nur auf die jüngst erschienene 2. Auflage der Anatomy of Corporate Law, Oxford 2009. 18 Merkt ZGR 2007, 532, 540. 19 Markus Roth EBOR 2010, 51 ff. Zur Gesamtzahl von Europäischen Gesellschaften (SE) Eidenmüller/Engert/Hornuf EBOR 2009, 1 ff. und Bayer/Hoffmann/Schmidt AGReport 2008, 127 f., zu aktiven SE Keller/Werner WSI-Mitteilungen 2009, 416.

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Im Wettbewerb steht die Rechtsform Aktiengesellschaft ferner innerstaatlich mit der GmbH, aber auch mit Stiftungen und Personengesellschaften ohne persönlich haftenden Gesellschafter. Für Familiengesellschaften ist die Rechtsform der Aktiengesellschaft – auch im internationalen Vergleich – schon traditionell wenig attraktiv. Zudem beginnt der durch die Einführung der kleinen AG gesetzte Schub für die Rechtsform AG zu verpuffen. Ausweislich der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank ist seit dem Höchststand vom August 2005 mit damals 16.147 Aktiengesellschaften die Anzahl der Aktiengesellschaften kontinuierlich zurückgegangen auf im Oktober 2009 nurmehr 13.546 Gesellschaften.20 Diesem Rückgang um über 16 Prozent steht ein Anstieg der Anzahl börsennotierter Gesellschaften um etwa 20 Prozent gegenüber. Die Zahl deutscher Aktiengesellschaften, deren Aktien an deutschen Börsen gehandelt werden, vom Dezember 2005 bis November 2008 von 978 auf 1.180.21 Dies geht auf die gestiegene Attraktivität des Freiverkehrs zurück.22 Bezieht man, wie vom Deutschen Juristentag vorgeschlagen, die im Freiverkehr mit Willen der Gesellschaft gehandelten Gesellschaften mit ein,23 so hat sich der Anteil börsennotierter Gesellschaften signifikant erhöht. 2. Im Wettbewerb stehende Regelungsgegenstände und regulatorisches Umfeld Insbesondere die zwingende Organisationsverfassung der deutschen Aktiengesellschaft steht auf dem Prüfstand. Die zwingende Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz sowie dem Montanmitbestimmungs- und Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz sowie das AktG 1965 sehen zwingend einen Aufsichtsrat vor. Ein Aufsichtsrat entspricht zwar dem traditionellen deutschen Aktienrecht seit 1861. Dieser war aber lange praktisch als Verwaltungsrat ausgestaltet und mit der Oberleitung der Gesellschaft betraut.24 Erst durch das Aktiengesetz 1937 wurde der Aufsichtsrat von der Führung der Geschäfte ausgeschlossen. International ist die Organisationsverfassung flexibler und eine unternehmerische Mitbestimmung – soweit überhaupt vorgesehen – weniger weitgehend. So wird nicht nur die unternehmerische Mitbestimmung als Grund für die Umwandlung einer deutschen AG in eine deutsche SE genannt, es wählen mitbestim-

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Deutsche Bundesbank Kapitalmarktstatistik, Dezember 2009, S. 46. Zuletzt leicht gesunken auf 1.147, Deutsche Börse Cash Market: Monthly Statistics – December 2009, p 40. 22 Dazu Francioni Referat auf dem Deutschen Juristentag in Erfurt 2008, N 13, 15 ff. 23 Beschluss 3:46:17:14. 24 Hierzu mit weiteren Nachweisen GroßkommAktG/Hopt/Roth § 95 Rn. 5 und 7 ff. sowie § 111 Rn. 556 ff. 21

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mungsfreie kleine und mittlere Unternehmen auch häufig einen Verwaltungsrat.25 Neben der Organisationsverfassung steht die Finanzierung der Gesellschaft, die als eines der Zukunftsthemen des Gesellschaftsrechts gehandelt wird, im internationalen Wettbewerb.26 Auf europäischer Ebene wird seit langem über eine Reform der nur für Aktiengesellschaften geltenden 2. Richtlinie (Kapitalrichtlinie) diskutiert.27 Die deutsche Diskussion über die Kapitalanforderungen für Aktiengesellschaften fand demgegenüber ihren Ausgangspunkt in der Centros-Entscheidung des EuGH und konzentrierte sich auf die GmbH.28 Insoweit ist mit dem MoMiG und der Einführung der Unternehmergesellschaft auch ein erstes Ergebnis zu verzeichnen. Für die Aktiengesellschaft steht eine entsprechende Diskussion in Deutschland noch aus, hierfür soll mit einem historischen Rekurs ein Beitrag geleistet werden. Weiterer entscheidender Standortfaktor für die Rechtsform der deutschen Aktiengesellschaft ist das Verfahrensrecht. Gegenstand ausführlicher Diskussion auf dem Juristentag war das Beschlussmängelrecht hier wird eine grundlegende Reform für nötig gehalten. Allgemeiner stellt sich die Frage der Verkürzung des Instanzenzugs sowie der Herausbildung einer Spezialgerichtsbarkeit. International sind vor allem in den USA eine Spezialgerichtsbarkeit und ein kürzerer Instanzenzug bekannt. 3. Differenzierung der Gesellschaftstypen Die Differenzierung der Gesellschaftstypen erfolgt international nicht einheitlich. Die englische plc, die häufig als Äquivalent der deutschen Aktiengesellschaft angesehen wird, zeichnet sich durch das öffentliche Angebot von Aktien oder Schuldverschreibungen aus 29 und stellt eine Zwischenform der geschlossenen (private) und der börsennotierten (listed) Gesellschaft (company) dar. In England, aber auch in den USA (Delaware), Japan, China und Indien ist das Kapitalgesellschaftsrecht weiter in einem einzigen Gesetzbuch geregelt. Wie nach dem englischen Companies Act 2006 setzt auch in Delaware und Indien die Einordnung als close corporation den Verzicht auf ein öffentliches Anbieten der Wertpapiere der Gesellschaft voraus, darüber hinaus wird die Zahl der Mitglieder nach oben begrenzt.30 Demgegenüber unter25

Dazu noch unten III.3. Fleischer ZGR 2007, 500, 506. 27 Simpler Legislation for the Internal Market (SLIM) SEC(1998) 1994, dazu etwa Ferran Principles of Corporate Finance Law, Oxford 2008. 28 Darüber hinausgehend nun Schall Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009. 29 Insoweit von der private company abgrenzend Section 755 Companies Act 2006. 30 Delaware: nicht mehr als 30 Mitglieder, Section 342 (a) (1) Delaware General Corporation Law; Indien: nicht mehr als 50 Mitglieder, Section 2 zzp (ii) Companies Bill 2009. 26

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scheiden insbesondere kontinentaleuropäische Länder weiterhin zwischen Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung.31 Rechtsvergleichend aufgearbeitet hat deren rechtstatsächliche Verteilung Eddy Wymeersch in einer seinem Referat auf dem Deutschen Juristentag zugrunde liegenden Studie:32 Danach lassen mehrere europäische Jurisdiktionen zwischen der Rechtsform der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung einen echten Wettbewerb zu.33 Der demgegenüber von Walter Bayer in seinem Gutachten geforderte Abstand zur GmbH 34 könnte durch eine weitere Verpersonalisierung des GmbH-Rechts nach englischem und US-amerikanischem Vorbild erfolgen. Rechtsvergleichende Studien zum Recht der geschlossenen Gesellschaft nach dem Vorbild von Walter Hallstein 35 hat Holger Fleischer beim Stabwechsel im Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht angekündigt.36 Eine wissenschaftliche Durchdringung des modernen Rechts der geschlossenen Gesellschaft hat die Haftungsbeschränkungen für Personengesellschaften mit einzubeziehen 37 und dürfte mittelbar auch der börsennotierten Gesellschaft neue (Reform-)Möglichkeiten eröffnen. Angeknüpft werden kann hier an die modernen Entwicklungen im US-amerikanischen Recht sowie im englischen Recht mit der limited liability partnership.38 Eine geschlossene oder „private“ Aktiengesellschaft war zudem nicht nur in vielen europäischen Staaten der Ursprung der dort eingeführten GmbH.39 Die Schaffung einer beschränkt haftenden Gesellschaft mit erleichterten Gründungsvoraussetzungen war auch der Grund für das Betreiben der GmbH durch die deutsche Industrie nach der Verschärfung der Gründungsprüfung in den 1880er Jahren.40 Ein bereits zwei Jahre nach Inkrafttreten des Aktiengesetzes von 1884 ausgearbeiteter erster Gesetzgebungsvorschlag sah explizit eine Geschäftsführung durch die Gesellschafter vor, Gründungsvoraussetzung sollte unter anderem das Aufbringen von 25.000 Reichsmark 31

Zur Aufgabe in Japan oben Fußnote 9. Wymeersch ECFR 2009, 71. 33 In Luxemburg sind danach 43,72 %, in Belgien 44,44 % und in der Schweiz 64,87 % der Kapitalgesellschaften Aktiengesellschaften, Wymeersch ECFR 2009, 71, 73. 34 Gutachten E zum 67. Deutschen Juristentag in Erfurt 2008, E 120 f. 35 Hallstein RabelsZ 12 (1938/1939) 341: Grundlage war ein Vortrag im Ausschuss zur GmbH-Reform der Akademie für Deutsches Recht. 36 Fleischer Stabwechsel, Ansprachen aus Anlass des Wechsels im Direktorium, 9. September 2009, S. 32 f. 37 Zur Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft schon Wertenbruch Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 122 ff., 211 ff. 38 Dazu rechtsvergleichend Siems International & Comparative Law Quarterly 58 (2009) 767. 39 Hallstein RabelsZ 12 (1938/1939) 341, 348. 40 Curt Fischer Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1948, S. 1 ff. 32

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sein.41 Eine solche explizite personalistische Ausrichtung sah auch der Reichstagsabgeordnete Oechelhäuser vor, der die Schaffung der GmbH maßgeblich betrieben hatte.42 Entwickelt sich das GmbH-Recht stärker hin zu einer personalistischen Grundstruktur, wäre auch für die geschlossene Aktiengesellschaft eine grundlegende Reform möglich.43 Hier besteht jedenfalls weiterer Forschungsbedarf. Die im heutigen Recht fortwirkenden Grundannahmen des Aktiengesetzes 1937 führten zum Heraufsetzen des Mindestkapitals sowie zum Ausschluss der Hauptversammlung von der Geschäftsführung.44 International zu erwähnen sind die Kapitalerleichterungen für „einfache“ Aktiengesellschaften, aber auch die Stärkung der Hauptversammlung als Kontrollinstanz.45 Falls eine der Weimarer Debatte entsprechende Reform erwogen werden sollte, ist der englische Companies Act 2006 als ausländisches Vorbild in Betracht zu ziehen,46 der mit seinen mehr als 1.300 Paragraphen auch in deutscher Sprache in Kommentarform zugänglich gemacht wird.47 Dabei könnte dann jeweils abgeklopft werden, ob eine Norm (für alle Formen von Aktiengesellschaften!) zwingendes Recht darstellen sollte: in der Sache durchaus erwägenswert hatte Spindler im Vorfeld des Deutschen Juristentages eine Lockerung der Satzungsstrenge gefordert.48

41 Robert Esser II Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Berlin 1886 (Gesetzesvorschlag Seiten 33–47). Esser verweist in der Einleitung explizit auf die Beratungen des Aktiengesetzes 1884 im Reichstag, aaO, S. 7 (Bemerkungen des Abgeordneten Oechelhäuser in der ersten Beratung am 24. März 1884). 42 Oechelhäuser Denkschrift zur GmbH an die preußischen Handelskammern und Korporationen, in: Schriften des Vereins zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen, Nr. 25, S. 51 ff. 43 So die Stoßrichtung des Gutachtens von Bayer Gutachten E zum 67. Deutschen Juristentag in Erfurt 2008. 44 Insoweit explizit auf die nationalsozialistische Auffassung abstellend die Amtliche Begründung, abgedruckt bei Klausing Aktiengesetz 1937, S. 2. 45 Zur société anonyme simplifié Wymeersch ECFR 2009, 71, 77, für die börsennotierte Gesellschaft eine Einbeziehung der Hauptversammlung nun explizit zulassend das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31.7.2009, BGBl I 2509; Vorbild war hier das englische Recht. 46 Zum Einfluss ausländischen Rechts auf das deutsche Aktienrecht nur die rechtsvergleichenden Ausführungen im Aktienrechtsentwurf von 1884, abgedruckt bei Schubert/ Hommelhoff (Hrsg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 522–559 (Anlage A des Entwurfs) sowie die vom Reichsjustizministerium und vom Institut für ausländisches Privatrecht gemeinsam herausgegebene Habilitationsschrift von Hallstein Die Aktienrechte der Gegenwart, Gesetze und Entwürfe in rechtsvergleichender Darstellung, 1931. 47 Schall (Hrsg.), Companies Act 2006, bei Drucklegung noch im Erscheinen. 48 Spindler AG 2008, 598, 600 ff.

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III. Organisation der Aktiengesellschaft 1. Die Entwicklung der Organisationsverfassung im deutschen Aktienrecht Die Organisationsverfassung deutscher Aktiengesellschaften war bis in das Dritte Reich hinein relativ flexibel. Zwar sah das deutsche Aktienrecht bereits seit den ADHGB einen Aufsichtsrat und keinen Verwaltungsrat vor.49 Es konnte dieser Aufsichtsrat aber als Verwaltungsrat ausgestaltet werden, was zur Zeit der Weimarer Republik die Regel war.50 Bereits das ADHGB 1884 stellte ausdrücklich klar, dass dem Aufsichtsrat weitere Aufgaben übertragen werden können.51 Ein solches aufgrund der Inkompatibilität von Vorstands- und Aufsichtsratsamt seit 1884 nur mit nicht geschäftsführenden Mitgliedern besetztes Kontrollgremium wirkt sogar äußerst modern. Flexibel war neben der Ausgestaltung des Aufsichtsrats die Bestellung des Vorstands. Das Handelsgesetzbuch 52 überließ es der Regelung durch den Gesellschaftsvertrag, wie der Vorstand zu bestellen war.53 Sah die Satzung eine Bestellung durch den Aufsichtsrat vor, so wurde dennoch angenommen, dass die Hauptversammlung die Vorstandsmitglieder abberufen konnte.54 Die heute bekannte Corporate Governance deutscher Aktiengesellschaften beruht maßgeblich auf dem Aktiengesetz 1937, das eine Ausgestaltung des Aufsichtsrats als Verwaltungsrat 55 sowie eine Bestellung des Vorstands durch die Hauptversammlung unterband sowie für den Widerruf der Bestellung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern einen wichtigen Grund forderte. Alle diese heute als typisch angesehenen Merkmale des deutschen Aktienrechts beruhen auf dem Führerprinzip, dessen Rezeption aus dem USamerikanischen Recht 56 freilich auch dazu diente, die Aktiengesellschaft als Rechtsform während des Dritten Reiches zu erhalten.57 Teilweise wurde sogar vorgeschlagen, das bis dahin auch in Deutschland anerkannte Prin49 Dazu Hopt Ideelle und wirtschaftliche Grundlagen der Aktien-, Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert, in Coing/Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation im Privatrecht, Band 5, Geld und Banken, 1980, S. 128, 152 ff.; ders in Horn/Kocka (Hrsg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 227, 231 f. 50 Staub/Pinner HGB14 § 246 Anm. 10. 51 Ausdrücklich von der Zulassung der Funktion eines Verwaltungsrats sprechend der Aktienrechtsentwurf von 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff (Hrsg.), Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 460. 52 Das Aktienrecht war in den §§ 178–319 des HGB 1897 geregelt. 53 § 182 Abs. 2 Nr. 4 HGB 1897. 54 Staub/Pinner HGB14 § 231 Anm 16. 55 Dazu GroßkommAktG/Hopt/Roth § 111 Rn. 563 ff. 56 Zahn Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934. 57 Kapitalgesellschaften „noch“ als notwendig ansehend Bachmann in Schubert, AkDR, Aktienrecht, S. 39.

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zipal-Agenten-Verhältnis von den Aktionären (der Hauptversammlung) als dem Prinzipal und dem Vorstand (den Verwaltungsorganen) als dem Agenten umzukehren. So sprach insbesondere Zahn von einem Führer/GeführtenVerhältnis, mit dem Vorstand als Führer und den Aktionären als den Geführten.58 Die von ihm für den Freiraum des Vorstand angeführten US-amerikanischen Gerichtsentscheidungen hatten indes das Prinzipal/Agenten-Verhältnis wie traditionell in Deutschland im Verhältnis der Aktionäre zu den directors gesehen,59 oder, dogmatisch wohl näher an den US-amerikanischen Vorstellungen, ein Treugeber/Treuhänder-Verhältnis angenommen.60 Das Aktiengesetz 1965 verzichtet bislang auf eine vollständige Rückbesinnung auf die traditionelle deutsche Corporate Governance. So hatte der Referentenentwurf jedenfalls noch eine Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Festsetzung des Jahresabschlusses und die Gewinnverwendung vorgesehen.61 2. Die Organisationsverfassung börsennotierter Gesellschaften Die zwingende Organisationsverfassung des Aktiengesetzes nach dem Vorbild des AktG 1937 hat nicht nur aus der Perspektive des internationalen Privatrechts betrachtet ihr Fundament verloren.62 Auch die interdisziplinäre Corporate Governance-Forschung und die international herausgearbeiteten Grundsätze guter Corporate Governance müssen sich hinter dem deutschen Aktien- und Mitbestimmungsrecht der letzten 75 Jahre nicht verstecken.63 Dies gilt insbesondere nach der in Aussicht genommenen Weiterentwicklung der englischen Corporate Governance infolge der Finanzmarktkrise. Vorgesehen wird hier insbesondere die Schaffung eines speziellen risk committee jedenfalls bei Banken und anderen Finanzdienstleistern.64 Erweitert wird so

58

Zahn Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934, S. 95. Lamb v. Lehmann et al, Supreme Court of Ohio, 143 Northeastern Reporter 276, 278 (April 1, 1924) spricht von den Aktionären als Prinzipal, von den directors als Agenten. 60 Manson v. Curtis Court of Appeals of New York, 119 Northeastern Reporter 559, 562 (April 23, 1918, 119). 61 Gegen diese zwingende Regelung zutreffend Kronstein/Claussen Publizität und Gewinnverteilung im neuen Aktienrecht, 1960. 62 So mit Blick auf den Übergang von der Sitz- zur Gründungstheorie dezidiert von Hein Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 616. 63 Verwiesen sei nur auf die von Klaus J. Hopt mit herausgegebenen Bände Hopt/Kanda/ Roe/Wymeersch/Prigge (eds), Comparative Corporate Governance, Oxford 1998; Hopt/ Wymeersch (eds), Capital Markets and Company Law, Oxford 2003; Ferranini/Hopt/ Winter/Wymeersch (eds), Reforming Company Law and Takeover Law in Europe, Oxford 2004; Hopt/Wymeersch/Kanda/Baum (eds), Corporate Governance in Context, Oxford 2005. 64 Walker Review, A review of corporate governance in UK banks and other financial industry entities, Final recommendations, 26 November 2008, recommendations 23–27. 59

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das „amalgam“ des Aufsichtsrats, das bislang aus dem audit committee (Prüfungsausschuss), dem nomination committee (Nominierungsausschuss) sowie dem remuneration committee (Vergütungsausschuss) bestand.65 Dringlich ist eine Öffnung der deutschen Organisationsverfassung vor dem Hintergrund der Funktion der Aktie als Anlageklasse zur Altersvorsorge.66 Zwar ist eine Anlage zur privaten, nichtstaatlichen Altersvorsorge in Aktien in Deutschland bislang eher ungewöhnlich. International ist die Aktie aber in der individuellen und insbesondere in der betrieblichen Altersvorsorge stark verbreitet. Die Corporate Governance ist vor allem aufgrund des Einflusses institutioneller Investoren ein Thema börsennotierter Gesellschaften 67 und die Beachtung von länderspezifischen Kodizes entweder als zwingende Voraussetzung einer Börsenzulassung oder Gegenstand eines comply or explain-Ansatzes. Aufgrund des mit § 161 AktG in Deutschland gewählten comply or explain-Ansatzes besteht die Möglichkeit des Kapitalmarktes, Abweichungen abzustrafen, es wirken die Grundsätze guter Corporate Governance aber auch als fleet in being.

3. Die Wahl zwischen monistischem und dualistischem System Abermals nicht durchringen konnte sich der Deutsche Juristentag zu einer Einführung des Verwaltungsrats bei deutschen Aktiengesellschaften.68 Die bereits seit langem geforderte 69 Wahlmöglichkeit wurde von der Praxis zwar als hilfreich („nice to have“), aber eben dann doch nicht als dringlich angesehen. Auch wurde in der Diskussion auf die Möglichkeit der Wahl einer monistischen SE verwiesen.70 Dem ist mit Habersack jedenfalls für paritätisch mitbestimmte Gesellschaften zu widersprechen,71 da nach dem SEBeteiligungsgesetz von einer dann paritätischen Besetzung des Verwaltungsrats ausgegangen wird.72 Alle großen börsennotierten Gesellschaften mussten 65 Von einem amalgum sprach die 1. Auflage der Anatomy of Corporate Law, Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock Oxford 2004, p. 40. 66 Dazu Markus Roth Private Altersvorsorge: Betriebsrentenrecht und individuelle Vorsorge, 2009. 67 Auch in Deutschland spielen (ausländische) Institutionen privater Vorsorge mittlerweile eine beherrschende Rolle für die Corporate Governance börsennotierter Unternehmen. 68 Abgelehnt wurde eine Übernahme des board-Modells bereits vom 34. DJT, Köln 1926. 69 Hopt Dritte Max Hachenburg Gedächtnisvorlesung, S. 9, 29; Stellungnahme des Deutschen Notarvereins zum Fragenkatalog der Regierungskommission Corporate Governance, NZG 2001, 185, 189; Cromme in Cromme (Hrsg.), Corporate Governance Report 2003, S. 20, 30; Fleischer AcP 204 (2004) 502, 522 ff. 70 Junker 67. Deutscher Juristentag in Erfurt, 2008, Diskussion, N 220. 71 Habersack AG 2009, 1, 7 f. 72 Köstler ZGR 2003, 800, 803 f.

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so die dualistische SE wählen. Generell zeigt der hohe Anteil von Verwaltungsräten bei Europäischen Gesellschaften die Attraktivität des Verwaltungsrats auch für deutsche Aktiengesellschaften.73 Zutreffend sollte insbesondere für die börsennotierte Gesellschaft die Wahlmöglichkeit zwischen dem monistischen (Verwaltungsrats-) und dem dualistischen (Aufsichtsrats-)System vorgesehen werden.74 Gerade für börsennotierte Gesellschaften ist ein Verwaltungsrat attraktiv. Im weltweiten Wettbewerb um Kapital kann es vorteilhaft sein, ein den Kapitalgebern bekanntes Corporate Governance-Modell im Unternehmen implementieren zu können. Bei Wahl des Verwaltungsrats sollten Nominierungs-, Prüfungs- und Vergütungsausschuss idealerweise nur aus unabhängigen Mitgliedern bestehen, beim Nominierungsausschuss mag auch der Verwaltungsratsvorsitzende eingebunden werden, für den in England neu zu schaffenden Risikoausschuss wird eine jedenfalls mehrheitlich unabhängige Besetzung und ein unabhängiger Ausschussvorsitzender verlangt.75 Abstriche von einer rein unabhängigen Besetzung der Ausschüsse mögen in mitbestimmten Gesellschaften gemacht werden, es sind aber eigenständige Regeln für die unternehmerische Mitbestimmung im Verwaltungsrat zu entwickeln. In Frankreich können für börsennotierte Gesellschaften größere Verwaltungsräte mit einer größeren Anzahl (nicht: einem größeren Anteil) von Arbeitnehmervertretern vorgesehen werden.76 4. Die Kompetenzverteilung zwischen Aktionären und Verwaltungsorganen In der börsennotierten Gesellschaft haben die Aktionäre nunmehr die Möglichkeit, zur Vorstandsvergütung Stellung zu nehmen.77 Mit der Beteiligung der Hauptversammlung an der Vergütungsentscheidung wird – der internationalen Tendenz entsprechend – ein wesentliches Petitum von Marcus Lutter aufgegriffen, das dieser auch in der Diskussion auf dem Juristentag geäußert hatte.78 Zurückgedrängt wird so der Einfluss US-amerikanischen 73 Nach Bayer/Schmidt AG-Report 2008, 31, 32 zum 10.1.2008 mit 60,3 % deutlich mehr als die Hälfte der deutschen SE, europäische Zahlen auch bei Eidenmüller/Engert/ Hornuf AG 2008, 721, 728 und dens. EBOR 10 (2009) 1, 25. 74 Hopt in FS Westermann 2008, S. 1039, 1051. Jedenfalls für börsennotierte und offene Gesellschaften die High Level Group Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, III.4.1.a, S. 63, jedenfalls für die nichtbörsennotierte Gesellschaft Bayer Gutachten E 113. 75 Walker Review, A review of corporate governance in UK banks and other financial industry entities, Final recommendations, 26 November 2008, 6.15. 76 Art L 225-27 Code Commerce. 77 § 120 Abs. 4 AktG i.d.F. des VorstAG. 78 Lutter 67. Deutscher Juristentag in Erfurt, 2008, Diskussion, N 124, kritisch Friedrich Merz DRiZ 2009, 166.

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Rechts auf das deutsche Aktienrecht,79 wurde doch bei Aktiengesellschaften entsprechend europäischer Tradition 80 die Hauptversammlung als höchstes Organ und die Mitglieder der Verwaltungsorgane als Agenten und nicht als Treuhänder der Aktionäre angesehen. Höhepunkt des Einflusses US-amerikanischen Aktienrechts war dabei – auf den ersten Blick erstaunlich – das Aktiengesetz von 1937,81 das aber generell stark rechtsvergleichend vorbereitet wurde.82 Angezeigt erscheint eine Flexibilisierung der Organisationsverfassung, wie sie auch traditionell im deutschen Recht vorherrschte. De lege ferenda in die Kompetenz der Verwaltung gestellt werden könnten Kapitalerhöhungen sowie die Entscheidung über die Gewinnverwendung.83 Historisch war in der Weimarer Republik das Stimmrecht der Aktionäre häufig gegenständlich beschränkt, nach Nußbaum in der Hälfte der Fälle auf die Besetzung des Aufsichtsrats, die Satzungsänderung und die Auflösung der Gesellschaft.84 So könnte in Anlehnung an die USA und Japan die zwingende Hauptversammlungskompetenz für Kapitalmaßnahmen entfallen und die Verwaltung der Gesellschaft durch die Satzung ermächtigt werden können, Kapitalmaßnahmen auch ohne Beteiligung der Hauptversammlung vorzunehmen. In den USA ist nach Section 6.21 Revised Model Business Corporation Act (RMCA) der board of directors für die Emission von Aktien zuständig, wenn nicht die articles of incorporation etwas anderes vorsehen. Ein Bezugsrecht besteht in den USA nach dem Revised Model Business Corporation Act grundsätzlich nicht, kann aber in der Satzung vorgesehen werden. In Japan gelten vergleichbare Regelungen. Von der 2. Richtlinie bereits gedeckt wäre eine Zustimmung der HV mit einer Zweidrittelmehrheit. In Frankreich können für börsennotierte Gesellschaften keine strengeren Anforderungen für Kapitalerhöhungen in der Satzung vorgesehen werden. Dies betrifft das Quorum für die Beschlussfähigkeit der Hauptversammlung. Von der SLIM-Gruppe sowie der High Level Group vorgeschlagen und bislang nicht umgesetzt ist der Ausschluss des 79 Dazu umfassend von Hein Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008. 80 In Frankreich: mandataire der Aktionäre im Code Commerce, in England: aus dem Contract. 81 Vgl. schon Markus Roth AG 2004, 1, 4. 82 Eindrucksvoll das gemeinsame Vorwort des Reichsjustizministeriums sowie des Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in der Habilitationsschrift des Ersten Präsidenten der EWG-Kommission, Walter Hallstein (Die Aktienrechte der Gegenwart), unter Verweis auf die in der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht erschienenen Berichte über die Aktienrechte Dänemarks, Englands, Frankreichs, Liechtensteins, der Niederlande, Persiens, der Schweiz, Spaniens, Ungarns und der Vereinigten Staaten. 83 Art. 25 der Kapitalrichtlinie sieht eine Zuständigkeit der HV vor. 84 So Nußbaum in seiner Erwiderung auf Schlegelberger in Schlegelberger, Probleme des Aktienrechts, Leipzig, 1926, S. 24 unter Verweis auf eine entsprechende Reichstatistik.

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Bezugsrechts ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 29 der II. Richtlinie. Konkretisierungen zum Minderheitenschutz können aktienrechtlich oder durch kapitalmarktrechtliche Instrumente erfolgen.

IV. Kapitalaufbringung als Mitglieder- oder Gläubigerschutz? 1. Der Export des deutschen status quo in der Kapitalrichtlinie Noch in den 1960er Jahren kannte kein anderes damaliges Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ein nennenswertes Mindestkapital für Aktiengesellschaften.85 Neben Deutschland sah nur Italien ein Mindestkapital vor.86 Die Lira 1.000.000 entsprachen nach der Bundesbank-Statistik in den 1960er Jahren mit DM 6.000 bis DM 7.000 allerdings nur einem Bruchteil der deutschen Summe von damals DM 100.000. In den anderen damaligen Mitgliedstaaten wurde, wie Deutschland bis zum Inkrafttreten des AktG 1937, nur ein indirektes Mindestkapital verlangt.87 Bedeutsam ist deshalb, wie das Mindestkapital in das deutsche Aktiengesetz kam: nach der Hyperinflation und sodann als Mittel zum Erhalt der Aktiengesellschaft als Rechtsform unter Inkaufnahme der Reduktion ihrer Anzahl.88 Eingeführt wurde ein Grundkapital für Aktiengesellschaften in Deutschland für Neugründungen nach der Hyperinflation in der Weimarer Zeit mit der Goldbilanzverordnung vom 28. Dezember 1923.89 In Deutschland wurde das Mindestkapital erst durch das Aktiengesetz 1937 Voraussetzung für alle Aktiengesellschaften. Der erste Bericht, den der damalige Vorstandsvorsitzende der Münchener Rückversicherungs Aktiengesellschaft, Wilhelm Kißkalt, als Vorsitzender des Aktienrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht erstattete, stellte deutlich auf die Bedeutung der Aktiengesellschaft für die deutsche Wirtschaft ab, beschränkte die Notwendigkeit der Rechtsform Aktiengesellschaft aber auf „große“ Gesell-

85 Lutter Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktienund GmbH-Rechten der EWG, Eine Untersuchung zur Ausfüllung von Artikel 54 Absatz 3 lit. g des Vertrages über die Errichtung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1964, S. 57 ff. 86 Lutter aaO, S. 57 ff. 87 Nach Lutter aaO, S. 58 f.: in Frankreich 700 französische Franc, in Luxemburg 350 luxemburgische Franc, in den Niederlanden 100 Gulden, Belgien kannte weder einen Mindestnennbetrag noch eine Mindesteinlage auf das Kapital. 88 Explizit auf den Erhalt der Rechtsform Aktiengesellschaft unter Beschränkung auf Großunternehmen hinweisend die Allgemeine Begründung zum Aktiengesetz 1937, abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S. 1. 89 § 17 der Verordnung über Goldbilanzen vom 28.12.1923, RGBl. I 1253 sah für neu gegründete Aktiengesellschaften ein Grundkapital von mindestens 50.000 Goldmark, für neu gegründete GmbH ein Stammkapital von mindestens 5.000 Goldmark vor.

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schaften.90 Nach dem von ihm zitierten Statistischen Jahrbuch des Deutschen Reiches bestanden 1932 insgesamt 9.634 Aktiengesellschaften, davon 1.252 oder 13 Prozent mit einem Grundkapital zwischen 5.000 und 50.000 Reichsmark, 1.221 oder 12,7 Prozent mit einem Grundkapital zwischen 50.000 und 100.000 Reichsmark und 3.159 oder 32,8 Prozent mit einem Grundkapital zwischen 100.000 und 500.000 Reichsmark.91 Die vorgeschlagene und im Aktiengesetz von 1937 verwirklichte Heraufsetzung des Grundkapitals auf 500.000 Reichsmark versprach so die Anzahl der Aktiengesellschaften zu halbieren.92 Die Zahl an Aktiengesellschaften von vor 1937 sollte jedenfalls erst im 21. Jahrhundert wieder erreicht werden. Die Anzahl deutscher Aktiengesellschaften ist im kontinentaleuropäischen Vergleich noch heute ungewöhnlich niedrig.93 2. Savigny und internationale Alternativen Im Rahmen der aktuellen Debatte der Corporate Finance bislang zu wenig beachtet,94 hatte Savigny das Konzessionsprinzip des preußischen Aktienrechts von 1843 keineswegs mit dem Gläubigerschutz begründet: Die Gefahren seien auf Seiten der leichtgläubigen Aktionäre, die durch Spekulanten verleitet werden könnten, ihre Kapitalien zu opfern.95 Savigny sah so den Aktionärsschutz als den wesentlichen Grund dafür an, die damaligen „Aktienvereine“ der landesherrlichen Konzession zur Erlangung der Rechte einer

90 Kißkalt ZakDR 1 (1934) 20 ff., explizit eine Abschaffung der Rechtsform der Aktiengesellschaft ablehnend ders im Zweiten Bericht des Aktienrechtsausschusses ZakDR 2 (1935) 247. 91 Molitor Die ausländische Regelung der G.m.b.H. und die deutsche Reform, 1927, S. 31, nennt im internationalen Vergleich zwar für die GmbH regelmäßig ein Mindestkapital (das außer in Österreich nirgendwo die Hälfte des deutschen Betrages erreiche); Hallstein Die Aktienrechte der Gegenwart, 1931, S. 83, nennt bei der Aktiengesellschaft neben den Verlierern des Ersten Weltkrieges (Deutschland, Österreich, Ungarn) nur Schweden, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und „Sowjetrußland“. 92 Eine Reduktion um fast die Hälfte von 1931 bis 1939 (5.353 gegenüber 10.437) zeigt Bähr in Bähr/Banken (Hrsg.), Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus, 2006, S. 35, 55. 93 Vgl die Zahlen bei Wymeersch ECFR 2009, 71, 73, wonach außer den Niederlanden alle untersuchten Länder einen höheren Anteil von Aktiengesellschaften an allen Kapitalgesellschaften haben, auch die Niederlande haben in Relation zur Wirtschaftskraft und den Einwohnern des Landes mehr Aktiengesellschaften. 94 Nun aber Schall Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009, S. 292, Fußnote 54. 95 Protokoll der Sitzungen des königlichen Staatsrats zur Beratung des Entwurfs eines Aktiengesetzes, Ausführungen des Ministers (Staatsminister von Savigny), abgedruckt bei Baums (Hrsg.), Gesetz über die Aktiengesellschaften für die Königlich Preussischen Staaten vom 9. November 1943, 1981, S. 171.

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moralischen (cum grano salis: juristischen 96) Person zu unterwerfen.97 Seit der Aufhebung des Konzessionssystems, aber auch aufgrund der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts können Gesellschaften nun ohne wesentliche Hindernisse und ohne staatliche Genehmigung am Rechtsverkehr teilnehmen. Generell kann eine Haftungsbeschränkung durch die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen bei der juristischen Person oder eine stille Gesellschaft mit vermögenslosen Personen erfolgen. Savigny verstand die französische société anonyme als Gesellschaft, die nur aus stillen Gesellschaftern besteht.98 Entsprechend seinen in der deutschen Diskussion weitgehend unbeachteten Ausführungen wurde ein Mindestkapital als Gläubigerschutzinstrument in den USA nicht eingeführt und in Japan wieder abgeschafft. 3. Die Reform des Mindestkapitals der 2. Richtlinie (Kapitalrichtlinie) Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Kapitalerfordernisses besteht auch aus deutscher Sicht Bedarf für die Prüfung einer Revision der 2. Richtlinie. Bei den geschlossenen Gesellschaften wurde das Kapitalerfordernis zwischenzeitlich weitgehend aufgegeben,99 so dass auch ein Verweis auf einen „Abstand“ von Aktiengesellschaften und geschlossenen Gesellschaften vorbehaltenen Rechtsformen mit beschränkter Haftung mittlerweile entfällt. Weiter dürften die internationalen Anleger die deutsche Kapitalaufbringung kaum honorieren, in der Weimarer Republik war der Bedarf an ausländischem Kapital der Grund für die Forderung einer Angleichung an internationale Standards.100 Versteht man die Kapitalaufbringung mit Savigny und der ganz überwiegenden modernen internationalen Praxis unter Aktionärsschutzgesichtspunkten, so sind auch die Fragen der Kapitalherabsetzung anders als bisher zu beantworten. Ohnehin können die Kapitalanforderungen für Kapitalgesellschaften nicht mehr unabhängig von den internationalen Rechnungslegungsstandards betrachtet werden, die durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz teilweise im HGB rezepiert wurden.101

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Dazu näher Baums in Baums (Hrsg.), Gesetz über die Aktiengesellschaften für die Königlich Preussischen Staaten vom 9. November 1943, 1981, S. 20 ff. 97 Savigny zitiert nach Baums (oben Fußnote 95) S. 171. 98 Savigny zitiert nach Baums (oben Fußnote 95) S. 170 f. 99 Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock Antomy of Corporate Law, 2nd ed. Oxford 2009, p. 131. 100 Prägnant etwa der Verband der Bücherrevisioren Zur Reform des Aktienrechts, Stellungnahme des BDB zu den Fragebogen des Reichsjustizministeriums, Leipzig, 1930, S. 9; zur Verwirklichung der Vorschläge aus der Weimarer Zeit im Aktiengesetz 1937 von Hein Die Rezeption des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 187 ff. 101 Zum BilMoG Baumbach/Hopt/Merkt.

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V. Verfahrensregelungen 1. Reform des Beschlussmängelrechts Im Fokus der aktuellen Reformdiskussion steht das Beschlussmängelrecht.102 Über die im Aktionärsrichtlinie-Umsetzungsgesetz (ARUG) 103 zwischenzeitlich verwirklichte Reform des Anfechtungsrechts hinausgehend hat der Deutsche Juristentag vorgeschlagen, bei börsennotierten Gesellschaften für eine Anfechtungsklage eine qualifizierte Aktionärsminderheit von einem Prozent des Nennkapitals bzw. 100.000 Euro Nennbetrag zu verlangen.104 Vor allem aber wird eine Reform des Beschlussmängelrechts im Grundsätzlichen angemahnt.105 Diese grundsätzliche Reform soll in der nächsten Legislaturperiode in Angriff genommen werden.106 Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer solchen Reform ergab sich für die Einführung eines umgekehrten Freigabeverfahrens eine leicht größere Mehrheit als für die Ersetzung des Freigabeverfahrens durch ein Zwischenverfahren.107 Beim umgekehrten Freigabeverfahren sollen Anfechtungsklagen die Registereintragung nur blockieren, wenn ein Gericht die Registersperre anordnet. Als Zwischenverfahren bezeichnet wird eine beschleunigte Eintragungsfreigabe im Hauptverfahren. Mit großer Mehrheit angenommen wurden weiter die Vorschläge, dass nur noch gravierende, besonders schwere Mängel zur Nichtigkeitsfolge führen sollen 108 und, im ARUG schon umgesetzt, dass für Beschlussmängelklagen das Oberlandesgericht als Eingangsinstanz vorgesehen werden soll.109 Die Vorschläge des Deutschen Juristentags gehen teilweise auf den Arbeitskreis Beschlussmängelrecht,110 teilweise auf das Referat von Gerd Krieger 111 zurück. Weitere Reformalternativen zeigt das – ebenfalls auf dem Aktiengesetz von 1937 beruhende – österreichische Recht auf.112 Nach österreichi102 Aus 2008 etwa Assmann AG 2008, 208; Baums/Drinhausen ZIP 2008, 145; Poelzig/Meixner AG 2008, 196; Niemeier ZIP 2008, 1148; Vetter AG 2008, 177; zuvor die zweite Studie von Baums zu den Beschlussmängelklagen, Baums/Keinath/Gajek ZIP 2007, 1629; zuvor Baums/Vogel/Tacheva ZIP 2000, 1649. 103 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom 30.7.2009, BGBl. I 2479. 104 Beschluss Nr. 15: 47:28:4. 105 Beschluss Nr. 16.a: 65:3:10. 106 Seibert/Florstedt ZIP 2008, 2145, 2151 f. 107 Beschluss Nr. 16.b und 16.c: 52:15:10 und 43:22:13. 108 Beschluss Nr. 16.d: 62:8:9. 109 Beschluss Nr. 17: 63:4:13. 110 Arbeitskreis Beschlussmängelrecht AG 2008, 617 (Mitglieder: Volker Butzke, Mathias Habersack, Peter Hemeling, Roger Kiem, Peter O. Mülbert, Ulrich Noack, Carsten Schäfer, Eberhard Stilz, Jochen Vetter), dazu auch das Editorial von Hemeling ZHR 172 (2008) 379. 111 Krieger Referat auf dem Deutschen Juristentag in Erfurt 2008, N 39. 112 Dazu Hirner Die rechtsmissbräuchliche Anfechtungsklage in rechtsvergleichender Perspektive, Diss. Insbruck, 2008.

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schem Vorbild ist das Vorsehen einer Sicherheitsleistung zu erwägen, wenn der Gesellschaft durch eine vorsätzlich oder grob fahrlässig unbegründet erhobene Klage der Gesellschaft ein Ersatzanspruch zustehen könnte.113 Dies könnte insbesondere bei den bisherigen Berufsklägern den Anreiz für Klageerhebungen vermindern, da gerade diese mit Sicherheitsleistungen zu rechnen hätten. Weiter kennt Österreich eine Registersperre für Anfechtungsklagen nur bei Verschmelzungen, Spaltungen und übertragenden Umwandlungen.114 2. Beschränkung des Instanzenzugs und Spezialgerichtsbarkeit In Weiterung des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, den im ARUG umgesetzten Vorschlägen des Deutschen Juristentags sowie des Bundesrats zur Reform des Beschlussmängelrechts 115 stellt sich schließlich die Frage, ob bei börsennotierten Gesellschaften nicht grundsätzlich die freie Wahl eines Oberlandesgerichts als Eingangsinstanz zugelassen werden sollte.116 Praktisch würde damit ein Gegengewicht zur im Gutachten von Bayer vorgeschlagenen Schiedsfähigkeit von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten nichtbörsennotierter Gesellschaften 117 geschaffen. Eine solche Gestaltung ließe sich rechtsvergleichend stützen. Im Wettbewerb der Rechtsordnungen in den USA spielen die professionelle Besetzung der Gerichte in Delaware sowie die Verfahrensdauer eine nicht zu unterschätzende Rolle.118 Börsennotierte Gesellschaften sind in besonderem Maße auf schnelle Entscheidungen angewiesen. Diesem Interesse ist wegen ihrer großen volkswirtschaftlichen Bedeutung und der zunehmenden Bedeutung börsennotierter Gesellschaften als Anlageobjekt in der privaten Altersvorsorge besonderes Gewicht beizumessen. Dringend aufzugreifen ist deshalb die mit der deutlichsten Mehrheit aller konkreten Änderungsvorschläge vom Deutschen Juristentag vorgeschlagene Einführung eines zweistufigen Instanzenzuges.119 Möglich wäre dies in Form einer Wahl des Oberlandesgerichts als Eingangsinstanz, aber auch in Form einer Sprungrevision vom Landgericht zum Bundesgerichtshof. Durch die Einführung eines nurmehr zweistufigen Instanzenzugs wird die Herausbil113 § 194 Abs. 4 i.V.m. § 198 Abs. 2 öAktG (entspricht § 199 Abs. 4 i.V.m. § 200 Abs. 2 AktG 1937). 114 Doralt/Nowotny/Kalss/Diregger Kommentar zum Aktiengesetz, Wien, § 196 Rn. 63. 115 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung erstinstanzlicher Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts in aktienrechtlichen Streitigkeiten, BR-Drucks. 901/07 (Beschluss). 116 Markus Roth AnwBl. 2008, 580, 584. 117 Dazu oben III.6. 118 Dazu von Hein Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 479 ff. 119 Beschluss Nr. 8: 65:3:12.

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dung einer Spezialgerichtsbarkeit ermöglicht und bei attraktiver Gestaltung des Gebührenrechts ein Wettbewerb um diese besonders bedeutsamen Gerichtsverfahren initiiert werden. Bei entsprechender personeller Ausstattung könnte dies wiederum zu einer signifikanten Verkürzung der Verfahrensdauer führen.

VI. Fazit und Ausblick Sowohl für die geschlossene als auch für die börsennotierte Gesellschaft empfehlen sich besondere Regeln. Dies gilt sowohl für die Corporate Governance als auch für die Corporate Finance. Ein Mindestkapital als Voraussetzung der Errichtung einer Kapitalgesellschaft kann allenfalls für geschlossene Gesellschaften verlangt werden. Bei einem öffentlichen Angebot tritt der Anlegerschutz in den Vordergrund, bei einem öffentlichen Angebot von Aktien der Aktionärsschutz. Dringend zu flexibilisieren ist weiter die Organisationsverfassung der deutschen Aktiengesellschaft. Dies nicht nur durch die Einführung einer Wahlmöglichkeit zwischen einem Verwaltungsrats- und einem Aufsichtsratssystem, sondern auch durch eine größere Satzungsfreiheit hinsichtlich der Stellung der Hauptversammlung. Defizite bei der Rechtsdurchsetzung mahnen schließlich zu einer Reform des aktienrechtlichen Verfahrens, insbesondere für börsennotierte Gesellschaften.

Structural Analysis of Corporate Law A developing country perspective Calixto Salomão Filho I. Introduction The academic world, like the real world (or perhaps more so), has its idiosyncrasies. Perhaps the most dangerous of these is that academia, like the real world, is subject to trendiness. It is a trendiness that, at times, unlike superficial consumer desires, is not transitory, but lasts for many years. Like the consumer world, this trendiness is sometimes characterized by a rigid adherence to standards without concern for the objectives or even coherence of the standard. In the academic world like in the consumer world, any person who bursts on the scene or who gains currency with a theory is quickly followed. In the academic world, it is many times the case that the intention of the original author of an idea is incorrectly perceived, and only that which is easily learned or subject to development is latched onto and used. In large measure, this is what has happened with the law and economics movement. The exclusive fixation on the pursuit of economic results leads to insufficient results and in many cases to little applicable relevance, at least with respect to economic realities such as those of most developing countries. Let us take the example of corporate law. Therein, the law and economics influenced preoccupation has been translated for at least two decades in exclusive consideration for forms that maximize business efficiency. In truth, most academic efforts regarding this question have concerned the famous transactional costs (a term originally coined seventy years ago by Ronald Coase 1) and variations surrounding this theme.2 The consequence is a cor1

R. Coase The nature of the firm, in Economica 4 (November 1937), p. 386. Note that many ideas which are still today disseminated, such as those that attempt to explain social organizations from the perspective of agency costs or from models based upon structures for the appropriation of knowledge, are nothing more than variations on the theme of transaction costs applied to internal relations within a company. It is interesting to observe however that if some of the Coasian ideals regarding transaction costs elimination would be coherently followed some solutions would be much different from those sustained by the law and economics main stream literature in corporate – see infra chapter III, 1, a. 2

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porate law fixated exclusively on the discovery of corporate forms that stimulate business and administrative efficiency,3 regardless of the definition of efficiency that is adopted (diminution of supervisory costs, stimulation of the appropriation of knowledge, etc.).4 Two results therefore occur. On the one hand, there is a corporate law (in academic paralysis) in which the models developed have value that is mostly descriptive. The second consequence, perhaps a result of the first, is a corporate reality in which the law is not sufficient to go beyond a discussion of the principle of corporate efficiency and, as such, is much less able to create legal incentives to prevent important instances of corporate fraud (which have multiplied as a business reality). This scenario is striking by its precipitous legal preoccupation in relation to corporate organizations. To understand corporate law as something which is capable of influencing reality and not as a construct that reproduces economic standards of efficiency or technology, implies that the study must be aimed in very diverse directions. This implies that we must question whether structural changes can or must be introduced in corporations because they fulfill diverse economic objectives (of which the production of profit and technology are only a few elements). This also implies that truly interdisciplinary research has to be undertaken that does take into account not only various external and determinative factors from the economic point of view (such as profits and technological production), but also sociological and anthropological research into group behavior, which is to say, truly interdisciplinary research. In the end, if it is group behavior that is at issue (and this is the case regarding the internal relationships of a corporation), we have to imagine that sciences which are concerned with group behavior must be considered. Business organizations, which are by nature group-oriented, are because of their influence in society 3 See H. Demsetz The Structure of Ownership and the Theory of the Firm, in J. L. & Econ. 26 (1983), p. 375 et seq. (arguing that efficiency considerations shape corporate structures); L. E. Ribstein Efficiency, Regulation and Competition: A Comment on Easterbrook & Fischel’s Economic Structure of Corporate Law, in Nw. U. L. Rev. 87 (1992), p. 254 (arguing that efficiency should be the principal normative criterion of corporate law); F. H. Easterbrook, D. R. Fischel Close Corporations and Agency Costs, in Stan. L. Rev. 38 (1986), p. 271 et seq.; R. J. Haft The Effect of Insider Trading Rules on the Internal Efficiency of the Large Corporation, in Mich. L. Rev. 80 (1982) p. 1051 et seq.; and Ronald J. Gilson Corporate Governance and Economic Efficiency: When do Institutions Matter?, in Wash. U. L. Q. 74 (1996), p. 324 et seq. (examining the connection between corporate governance and economic efficiency). For a critical view of the efficiency objectives in the securities market, see L. A. Stout The Unimportance of Being Efficient: an Economic Analysis of Stock Market Pricing and Securities Regulation, in Mich. L. Rev. 87 (1988), p. 613 et seq. 4 See J. L. Coleman Efficiency, Utility, and Wealth Maximization, in Hofstra L. Rev. 8 (1980), p. 509 et seq., for a review of efficiency concepts used by law and economics scholars.

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particularly in need of this type of study. In particular, rules about cooperative behavior stimuli are well adapted to explain and discipline the aggregative nature of corporations and their influence on social relations.5 In truth, cooperative behavior and the fulfillment of ethical rules among shareholders is something that is absolutely inherent to the idea of the corporation. Its fulfillment is not, however, spontaneous. The reason for this is found in the existence of power structures that are apt to prevent such behavior and stimulate practices that are guided by self-interest.

II. Power and corporate structure It is fundamental, therefore, at the beginning of any study of corporate structures, to perform an analysis of power structures on the reality of a corporation.6 Such a study has two functions. On the one hand, it identifies the influence of such power structures in the substitution of law (and of ethical practices) for hierarchical relationships. On the other hand, it will demonstrate how this structure of relationships (based upon a hierarchy and not legal standards) is capable of hindering cooperative behavior and creating incentives for behaviors that are motivated by self-interest. 1. Power vs. law in corporate structures The first statement, already explored elsewhere, is that in situations where power is heavily concentrated, the tendency to abuse such power (and thus the failure to respect behavioral norms) is natural. This observation is not 5 See, e.g., C. Salomão Filho Direito societário e Novo Mercado, in O Novo Direito Societário, 3ª edição, São Paulo, Malheiros, 2006, p. 51 et seq. 6 The power is considered a central theme of the corporate law and its allocation is a matter of great concern in corporate law and governance at present. See, for example, L. A. Bebchuk The Case for Increasing Shareholder Power, in Harv. L. Rev. 118 (2005), p. 833 et seq. (discussing the allocation of power in the corporations); S. M. Bainbridge Director Primacy and Shareholder Disempowerment, in Harv. L. Rev. 119 (2006), p. 1735 et seq. (attacking the idea of increasing shareholder power, this article is a response to the aforementioned Bebchuck’s article); L. A. Stout The Mythical Benefits of Shareholder Control, in Va. L. Rev. 93 (2007), p. 789 et seq.; S. Cools The Real Difference in Corporate Law between the United States and Continental Europe: Distribution of Powers, in Del. J. Corp. L. 30 (2005), p. 697 et seq. (suggesting that power distribution is what differs American corporations from those located in Continental Europe); and R. M. Garms Shareholder By-law Amendments and the Poison Pill: The Market for Corporate Control and Economic Efficiency, in J. Corp. L. 24 (1999), p. 433 et seq. (discussing the allocation of corporate power between shareholders and directors in what concerns to the adoption and redemption of poison pills).

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new. It is a question of fact that, as is well recognized by economic theory, the rationalization of the actions of economic agents with market power naturally leads them to abuses. This fact, which again is recognized by microeconomic theory, justified the introduction within antitrust law of structural rules in order to contain the very existence of power within markets.7 From the logical point of view, the sole justification for the existence of these rules is that, in their absence, traditional norms of behavior are not capable of disciplining the actions of businesses with economic power. This is the case because the frequency of such abuses modifies behavioral standards of the actor whereby abusive behavior becomes normal. Such abuse ceases to be the exception and is transformed into the norm. In such a hypothesis, the correction of the behavioral standard by behavioral norms is totally inefficient for the simple reason that such norms regulate specific actions, being incapable of disciplining (or sanctioning) a continuous activity or standard of behavior. This statement is capable of producing effects in all branches of law. It is difficult to imagine that the legal system, based primarily in behavioral norms and dominated by economic agents whose raison d’être is abuse, can function satisfactorily. Inside or outside the corporation, to allow the unlimited use of concentrated power results in the behavioral standard becoming the abuse of laws. As the law, grounded in behavioral norms, is not capable of adequately disciplining such relationships, the corporation is henceforth organized upon the basis of power. Hierarchy substitutes for law. 2. Consequences of the prevalence of hierarchal relations over legal relations Although the existence of dangers consequent to abuse of corporate power is not the object of great doubt in the scholarly literature, there is little consensus about the best instruments to prevent abuses. Especially there is not much support to the idea that the elimination of concentrated shareholder power would be a solution. Actually, some scholars see in the concentration of power within a corporation, and in particular, with regard to corporate control, a method of reducing agency costs (supervisory costs) and in this way, an improvement in corporate performance.8 7 See, e.g., C. Salomão Filho Direito Concorrencial – as estruturas, 3.ª ed., São Paulo, Malheiros, 2007. 8 See M. C. Jensen W. Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs, and Ownership Structure, in J. Finan. Econ., v. 3, n. 4, 1976, pp. 305–360, available at http://papers.ssrn.com/abstract=94043; M. C. Jensen Eclipse of the Public Corporation, Harvard Bus. Rev., 1989 (revised 1997), available at http://papers.ssrn.com/abstract= 146149; M. J. Barclay, C. G. Holderness Private Benefits from Control of Public Corporations, in J. Finan. Econ. 25, 1989, pp. 371–395; E. Berglöf, E. von Thadden The Changing Corporate Governance Paradigm: Implications for Transition and Developing Countries,

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It is not easy to argue this position from a purely theoretical perspective. The principal reason is the impossibility of the measurement and comparison of “costs of supervision” and its effects on the “efficient” functioning of the corporation with the “costs of abuse and conflict” on the part of the shareholder or group of shareholders having absolute control of the corporation. The solution to this impasse does not appear to be in any definitive decision about control structures that are either concentrated or diluted. Even when considering the question in theoretical terms,9 this definition has limited practical utility. In the majority of cases, the definition by one corporate structure or another has historical roots in the respective economies. This is what occurred in the United States with the deconcentration of shareholders, and inversely in Germany and Brazil, with the concentration of shareholders. As such, if changes in shareholder behavior are to occur, greater creativity is necessary. Structural solutions are necessary to allow a change in the standard relationship among shareholders that can induce a change in patterns of behavior of shareholders. It is here that the first change in perspective may be observed. It is a question of comparing the concentrated power, whatever form it may take – of the director or the controlling shareholder – with structures that permit or stimulate the common (cooperative) pursuit of legal and ethical rules by all shareholders and directors of the company. From this hearing, problems such as agency costs and conflicts of interest of the controlling shareholder, instead of having opposite roots, present common origins to be addressed by laws. Both have a common connection to a problem of power – uncontrolled, unchecked power of the director in the first instance (very common in the U.S.) and uncontrolled power of the controlling shareholder in the second case (very common in Brazil). Of course, it is difficult to define a legal structure that is able to deal with the reality of power. An interesting path to follow appears to be research of interpersonal relationships within the corporation. In work relevant to the subject of power, K. Dowding demonstrates that, in fact, seen from the perspective of game theory, power resides much more within the structure of individual relationships than in different bargaining power between the parties. This structure ends up determining the behavior of the individual

Conference Paper, Annual World Bank Conference on Development Economics, 1999, available at http://ssrn.com/abstract=183708; C. G. Holderness, A Survey of Blockholders and Corporate Control, in Fed. Reserve Bank New York Econ. Pol. Rev, v. 9, n. 1, April 2003, pp. 51–64, available at http://www.newyorkfed.org/research/epr/03v09n1/0304hold. pdf. 9 The author of the present work has a definitive, previously expressed position found in the chapter entitled, “Dilution of control” in Novo direito societário, 3ª edição, São Paulo, Malheiros, 2006, p. 63, et seq.

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(such as in the prisoners’ dilemma).10 It is therefore evidently good news, as it confirms the idea that was just put forward, in the sense that structural changes in the relations between individuals are viable forms for the limitation of corporate power and abuses by those having power. How to go about creating a construct of corporate rules that stimulate the cooperative and ethical behavior of shareholders and directors, including those having power, is the subject treated in the following section. Such construct is not an easy one. In the absence of legal incentives, cooperation is difficult to achieve in situations where power is concentrated (either in the hands of the controlling shareholder or the board). The situation becomes yet more complex when we observe that factors traditionally deemed to be incentives for cooperation 11 are all the more absent, especially in public companies. Small numbers of participants (shareholders), ample and systematic information about each other behavior, and reciprocal dependence, all factors capable of naturally inducing cooperative behavior, are normally absent in most of large corporate organizations.

III. Instruments for the pursuit of cooperative behavior among shareholders 1. Internal instruments: pursuit of a solution to conflicts of interest To achieve cooperation through legal instruments that are internal to the corporation in the presence of an environment that has the natural propensity, for the reasons outlined above, to feature individualistic behavior of the various shareholders requires, from a logical perspective, the identification of means of separating personal interests from those of the corporation. It happens that the problem of conflicts of interest is not always resolved through a rule of conflict. Incidentally, as the comparative experience has suggested, this is not the most efficient formula, only being used when the

10 See K. Dowding Power, Buckingham, Open University Press, 1996, p. 42. In truth, the statement deserves explanation. For Dowding, as the dilemma of the prisoner demonstrates, humans in certain circumstances direct their own behavior in accordance with the behavior expected by the other individual. In this respect, two elements are important. On the one hand is the past, which is to say, the reputation created by the individual to cooperate or not. On the second hand is the structure of the game. In so-called zero-sum games, there is no alternative except individualistic strategic behavior, as it is always better than any alternative chosen. As such, the alternative is to structure organizations in such a way that games are not zero-sum and do not create a reputation for selfish behavior. As will be seen, rules governing conflicts of interest, when intelligently applied, favorably influence both elements (reputation and structure of the game). 11 See R. M. Axelrod The Evolution of Cooperation, New York, Basic Books, 1984.

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alternative form is considered juridically or politically unviable. The alternative and most coherent form is the organic or structural solution. To put into place an organic or structural solution signifies the attempt to resolve in corporate entities the problem of conflicts, either through the incorporation in the entity of all of the agents who have an interest or suffer consequences in the presence of a conflict, or through the creation of independent entities within the corporation that are immune from the influence of parties that can be in situation of potential conflict.12 As will be seen, obviously this does not signify the total elimination of the application of the conflict rule, but does significantly reduce its scope. The solution through the conflict rule has an objective/function completely diverse. It becomes a true organizational rule of the corporation in those systems of economic or corporate reality that are more concentrated in which it is juridically or politically unviable to introduce organizational solutions to the conflict of interest problem – due to the influence of interest groups representing controlling shareholder that prevent legislative changes in that direction (that has been the case in Brazil for years). a) The structural solution to the problem of conflicts of interest In order to understand the meaning and reach of the structural or organizational solution, it is in the first place necessary to question their justifications, both economic and legal. In the economic field, the most basic justification for the structural or organizational solution is found in the very conception of the business or corporation. The dominant conception of the corporation in the economic field is found in the research of Coase about the nature of the firm. For the author, the principal function of the corporation is to eliminate the uncertainties and conflicts that arise from relationships in the market. The corporation thus appears as a means to bring an organizational solution to conflicts between economic agents in the market. A reduction of transaction costs occurs to the extent that such conflicts can be reduced. It is true that Coase’s theory, by virtue of its strong neoclassic influence, is little concerned with the representation inside the corporation of all affected interests.13 However, by considering that the true meaning of the corporation 12 Such a solution is quite close in its effects to what K. Hopt calls “proceduralization in fuzzy decision-making contexts”, a solution by which the decision that should be taken by board members in a conflict of interest position is deferred to another body, not in (potential) conflict – K. Hopt Legal Duties and Ethical Behavior of Board Members and Professionals, Lecture on the University of São Paulo Law School on September 18th, 2007, in RDM 144 (2006), p. 117. 13 In truth, Coase’s theory is concerned only with eliminating the conflict between productive agents (basically, producers, suppliers, distributors) and other agents who are vertically related. But exactly because it is integrative, there is sustenance for the legal theory

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is conflict resolution, and by forcing such conflicts to be resolved internally, the theory unquestionably provides consolidated basis for internal resolution of conflicts. The definition of which interested parties are to be considered is much more complex. This is a question that has afflicted legal doctrine for decades. In a general way, it can be said that, in every organizational and participatory solution, the choice to participate by the group depends upon the historical moment of the evolution of the economic and social system. In Germany in the 1960’s, the tension between capital and labor had centered on the enormous “transactional costs” between these two factors, which facilitated greatly the introduction and approval of the Mitbestimmungsgesetze. In other countries and other moments in history, there can be other interests affected by the corporation whose social relevance and influence on the destiny of the company can be to such a point as to require its representation in the interior of corporate organs. It must be noted that such interests are many and variable, for example, imagine the interests of consumers and minority shareholders. With regard to the first, the introduction of the consumer ombudsman to directorates has demonstrated itself to be particularly effective precisely in those corporations that need to have an immediate understanding of the problems and failings identified by consumers. As for minority shareholders, the situation is even clearer. In those cases where its strategic relevance is great, having stock interests that are quasiproportional or at the very least having a veto power is guaranteed by a shareholders’ agreement. The search for organizational solutions of participation of relevant groups is thus more common than may appear and only helps reveal the importance of the formation of consensus and cooperation around common objectives. It occurs that the organizational solution has only shown itself to be possible in cases or in historical moments of parity (or near-parity) of bargaining power of the groups involved. The examples cited above are of workers in Germany in the 1960’s and strategic minorities. In the case of bargaining disparity, cooperation is no less important, but is much more difficult to be obtained through organizational solutions. In these cases, it is frequently necessary to apply the conflict of interest rule.

that seeks to see in the juridical entity groups of integrated interests by an organization. It is, therefore, the justification for the integration of interests (elimination of conflicts) and not its form (creation of an organization) that brings the economic theory of Coase close to the modern theory of the business.

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b) The conflict of interest rule The second possible solution to the problem of the conflict of interest is application of the conflict of interest rule. It is in theory a less traumatic solution, as it involves fewer structural changes. It is exactly because of this that it is extremely difficult to implement well. Its coherent application requires a clear and courageous definition of the hypotheses of conflict. In order to clearly define a conflict of interest rule thusly elevated, the first task is to identify and define the hypotheses that can generate risks to the corporation and the level of risk presented. This does not require that we work on the definition of corporate interest. The difficulties regarding the definition of the interest of the company are well known, which makes the application of a rule based on the comparison of someone’s behavior with the interest of the company absolutely uncertain. But not only this is true. A demonstration of the lack of utility of a discussion centered on corporate interest is the always-failed attempts to identify the disciplines of conflicts of interest and ultra-vires acts.14 The second logical alternative would be to define the rule of conflict in connection with a general fiduciary duty to manage the assets of third parties.15 The problem is that such a solution, while more coherent, represents true capitis diminutio of the rule of conflict that ends up being transformed into a weak rule, exactly because it was understood that the issue will be resolved via the imposition of fiduciary duties. In fact, the reality requires exactly the opposite. The discrepancy between the legal and factual positions of the various actors in a legal entity (controlling shareholders and board members, on the one hand, and minority shareholders and other interest groups on the other) requires that a rule of conflict does not adopt a criterion de minimis of incidence. The reason is as follows: The rule should be written in view of preventing the conflicting conduct of that actor who can most harm society and not that person who can least cause harm. Corporate law must therefore be guided by a general principal of

14 In Italian cases, cases of conflict of interest involving managers are frequently resolved based upon the discipline of ultra-vires acts. The danger of equating the two concepts is that a paradoxical result may be reached in which an action may be deemed unrelated to the purposes of the company just because it constitutes a conflict of interest, or be even considered an action related to the corporate purposes just because it is not related to the interest of a director or a third party, even involving activities that are incompatible with the pursuit of the corporate purposes. In this regard, see L. Enriques Il conflitto di interessi di amministratori di societá per azioni, Milano, Giuffrè, 2.000, pp. 453 et seq. 15 See L. Enriques Il conflito d’interessi degli amministratori di società per azioni, supra note 14, p. 187.

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the prevention of conflicting behavior and not by an unprincipled series of fiduciary duties. These latter rules, much more than principles in themselves, are criteria for the application of the rule of conflict. From this conclusion flow important applied consequences. Their principle can thus be formulated as follows: if the rule of conflict has value in itself, it is thus from there that the behavior of board members and shareholders must be controlled. The traditional classification between formal and material hypotheses of conflicts of interest must therefore be revisited, and not in order to be denied, but in order to be transformed in differences between situations in which the real danger of incorrect behaviour is verified, and situations in which this does not occur. In the first case of conflict, which from here forward will be named “potential” or “formal”, it is not necessary to investigate whether it is harmful to the company. There will exist a formal conflict each time that, a priori, the actor having to decide (controlling shareholder or director) will have a direct and personal interest in the decision to be taken. Included in the concept of “direct interest” is each instance in which the shareholder or director will have a countervailing right or will in any way have a greater personal interest in something other than the corporation. The other characteristic for the potential conflict of interest rule is that it should apply only to controlling shareholders and not to minority or individual shareholders not having this power.16 Being such the case, controlling shareholders or directors shall be prohibited to vote in the meeting that will decide the issue in which he/she is in a potential conflict of interest situation. This solution, clearly stated in article 115 of Brazilian Corporate Law has found little echo in Brazilian Courts which, since the enactment of the law more than 30 years ago (1976), have refused to apply properly such provision. The substantial or current conflict of interest must on the contrary be applied in a uniform manner to all shareholders and board members. It is the general rule of conflict applicable every time a potential conflict of interest hypothesis does not occur. In truth it can be reduced to the criteria of fault. The criteria today are abstract fault defined by the logic of the marketplace. It 16 It could be argued that the second requirement (application just to controlling shareholders) is not in line with a principle of equal treatment between shareholders. Again here, however, the reality of power seems to prevail and allow as a practical measure to restrict the formal conflict of interest rule just to those shareholders that can be decisive for the approval of the act or transaction. It is interesting to note that these two requirements are present in American scholarly writings in a work that, in line with Anglo-Saxon pragmatism (at times susceptible of criticism), proposed a practical approach to conflict issues (in this sense, see R. Clark Corporate Law, New York, Aspen Law and Business, 1986, p. 147).

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is understood that market transactions (provided that the market is competitive and not monopolized) furnish criteria much more secure for determination of the reasonableness of a transaction (because it is quite infrequent that there is a hypothesis of prior behavior of the director working for his own business). As such, previous transactions of the company or similar transactions in the marketplace are generally mentioned as a means for making the determination. 2. External instruments It would be very naive to suppose that the solution to the problem of conflict, even if it were perfect in theory (which is obviously only a theoretical hypothesis), could ensure the perfect cooperation of parties around the corporate interest and the fulfillment of ethical and legal rules of corporate conduct. In truth, the elimination of the problem of conflict is only a partial response to that need. Especially in economic realities like those of developing countries where corporate power is deeply concentrated, it is not easy at all to substitute a cooperative and ethical behavior by shareholders for a strategic and individualistic one. Not only internal rules but also outside stimuli are necessary in order for cooperative behavior to be achieved. As such, there exists a theoretical scheme with its respective practical example, which must be explored. a) Corporate control and information asymmetry In truth, from an external standpoint, the serious structural problem to be solved in any corporation and especially with respect to public companies is the issue of information asymmetry. It is serious because information asymmetry predates the corporate association. In countries like Brazil, the power of the controlling shareholder over the annual meeting and management bodies is such that a single idea that he may have constitutes privileged information even before he presents it to the bodies that are responsible for its approval. The controlling shareholder knows that he will be able to secure approval and, as a result, can be availed of it even before it is presented for corporate approval. Something very similar can be said with respect to the CEO of large diluted corporations. How is it possible to control the subjectivity of the controlling shareholder and CEO of large corporations? Without a doubt, to increase prohibitions or add items to the list of instances in which information must be disclosed to the market is a possibility, but such are clearly insufficient for the real world in which information is structurally asymmetric. Transported to the capital markets, Akerlof’s reasoning would allow one to say that this structural reality would

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lead to the disappearance of investors (where disappearance of the market is predicted in the case of lemons).17 In the model developed by the famous Nobel Prize winner, the existence of asymmetrical information between sellers and buyers of used cars causes the former to fail to identify the “lemons” (as they have less information than the sellers with respect to the vehicles’ conditions). This causes the price of good and bad quality cars (lemons) to be substantially the same, driving the good quality vehicles out of the market and leaving only the lemons. This trend towards an adverse selection occurs as a result of lack of information flows. In capital markets, something very similar to this happens, especially through corporate transactions involving controlling and non-controlling shareholders. The information asymmetry between the company’s insiders (controlling shareholders and directors) and outsiders (minority shareholders and investors) is enormous. Especially with respect to economic and financial information (essentially the most important type of information), this difference is noticeable mainly in the event of a corporate transaction (merger, spin-off, etc.). Allowing the suppression of information tends to lead to a market that is composed of only bad quality corporations – bad quality with respect to the corporate governance practices adopted – because the investor or minority shareholder, who has to decide whether to divest his ownership interest in the company or not, cannot differentiate the good ones from the bad ones, leading to the disappearance of the good companies from the market. The solution to this problem considered by economics of information scholars is interesting and relates to the use of the technique called “screening” or incentive to promote quality 18. It is necessary to admit that this technique is hard to be implemented. While adverse selection results in individual and immediate benefits (as is the case of a company that merges into another for a price that is lower than the company’s real value), screening results in social and long term benefits. This is the case of the improvement in ethical standards that benefits everyone only after it is expanded to the entire market (until such time, it is always possible to revert back to adverse selection). Thus, one of the ways to promote screening and discourage adverse selection is exactly through quality certification by independent bodies. This is made by constant preparation of economic projections and their testing and certification by independent market analysts. 17 S. G. Akerloff The market for lemons: quality uncertainty and the market mechanism, in Quart. J. Econ. 89 (1970), p. 488 et seq. 18 J. Stiglitz Information and capital markets, NBER Working Papers, Working Paper n. 678, National Bureau of Economic Research, May 1981.

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This is not, however, the most efficient way to promote screening. This is so for several reasons. The first is because the idea of using independent market analysts can be useful to guarantee that there is a correct flow of information and no adverse selection regarding financial data of the corporation. It is however evidently insufficient as a means to guarantee that the promotion of quality (screening) is used as a tool to improve legal and ethical practices within public corporations. The goal is to make sure that such practices and cooperation surrounding them replace hierarchical and power structures within public corporations. In order to do so, screening must be applied to such practices, which is to say, investors need to be able to, in the most direct and practical fashion, compare the qualities of corporations and value those that adopt higher corporate governance standards. It just so happens that the “certification” process carried out by market analysts is most of the time merely a financial certification that has no tie to the legal and ethical spheres of the corporation. However, that is not all. Even in cases where the analysis carried out in the certification process encompasses legal and ethical aspects of corporate governance, the results are not sufficient. After all, from a theoretical standpoint, comparison, and not information concentration, is the best way to make sure that information is disseminated to and understood by each individual. That being the case, there is no better way of screening than that which results from the comparison of different types of corporate governance practices. Analysts or independent certification bodies must not possess the totality of the information available. The real access to information or its real “discovery” (to use the famous ordoliberal expression) must occur by means of comparison, which in turn only happens when there is competition for information. It is necessary, then, that the competition among corporations for investors be not exclusively based upon the comparison of rates of return but also on the comparison of internal rules and corporate governance practices that serve as guarantees of investors’ rights. The “Novo Mercado” segment of the Bovespa Exchange in Brazil was created based upon such a philosophy. That is why it seems useful at this point to analyze its rules and its fate. b) A screening example: the “Novo Mercado” segment of the Bovespa Exchange in Brazil aa) The goals of the “Novo Mercado” segment The basic idea behind the “Novo Mercado” was precisely to create differentiated standards of legal and corporate governance requirements that would allow investors to choose the combination that would best suit them with regard to financial soundness and legal rights.

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That is the reason why three different governance levels, or segments, were created: Level 1, Level 2 and “Novo Mercado”. “Level 1” was for the public companies that had a consolidated position in the Brazilian market (the socalled “blue chips” of Brazil’s capital markets) and its goal was to make a soft transition to a higher level of legal requirements, focusing on strengthening the disclosure of information. “Level 2” and the “Novo Mercado”, in turn, aimed at introducing structural changes in public companies, as further described below. The idea was to encompass new entrants (new companies that wanted to go public) which were not as financially and economically strong as the already established players and, as a result, would need to adopt higher standards of corporate governance practices. It is thus possible to note that the intention was to create new “products” for investors which combined different measures of financial soundness and differentiated corporate governance practices. It was exactly this mix and the possibility of competing for legal and ethical standards that allowed the promotion of good ethical and legal standards. As stated, from a theoretical standpoint, there is no better screening than that made by means of comparison (of different types of corporate governance practices). This is exactly what the “Novo Mercado” brought about, by including good corporate governance practices among the criteria for comparison. bb) Fundamentals and legal principles of the “Novo Mercado” The strengthening of ethical standards in corporations has been attempted several times since the enactment of Brazil’s Corporations Law in 1976. Legislative results, influenced by pressure groups formed by controlling shareholders of public companies, have always been below expectations. The repeated failure in resolving this problem by changes in the corporate statute motivated the search for non-institutional solutions. In an interesting movement (as it went against a historical and natural trend) there was a shift from an institutional to a contractual solution. Once the institutional bodies are paralyzed, it is up to private parties to implement those principles of ethics and cooperation that they are convinced are necessary for survival. Survival was a real concern for Brazilian Stock Exchange at the beginning of this century. In the year 2000 Bovespa reached trade levels below the minimum necessary to survive. Bovespa then proposed to listed companies that they sign contracts with Bovespa that would allow them to enter new levels of trading (Level I, Level II and Novo Mercado). Such contracts contained a series of new standards of corporate behavior that were aimed at attracting back investors to Brazilian Capital Market.

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The “Novo Mercado” proposal rests upon three main principles.19 The first is, without question, full disclosure. The requirements of information disclosure go well beyond those set forth in Brazilian Corporate Law. The second foundation is the reinforcement of appraisal rights awarded to minority shareholders. On the third basis a real original element can be seen. This element can be found in the so-called structural protections, which modify the internal structure of the company. They are not directly inspired by the cooperative principle, but without a doubt assist in its pursuit by weakening or allowing the weakening of the power of the controlling shareholder. There are two types of such protections. The first one is achieved by providing for the existence of exclusively common shares, which causes full control to become more expensive, as it forces the controlling shareholder to spend more in order to maintain control of the company. It then becomes more difficult to have a company that is in fact owned by a single person. The second one arises from the requirement that all conflicts arising out of the “Novo Mercado” be resolved by means of arbitration. The idea here is that the expertise of the arbitral tribunal allows discussion of the merits of decisions taken in meetings (an area not yet touched by the judiciary in Brazil), and by so doing, the tribunal will give new and effective interpretation to, for example, provisions regarding conflict of interest. As seen above the elimination of conflict of interest is an important step to induce cooperative behavior between shareholders. cc) Results and perspectives The results of the “Novo Mercado” so far are very expressive. In 2006 and 2007 almost all IPO’s made in Bovespa took place in one of the Novo Mercado segments. This is an important demonstration of the positive selection effects created by the screening of positive corporate governance standards by companies listed in the Novo Mercado.20 On the other hand, Brazilian Stock Exchange has seen an important growth in the last years. Novo Mercado and the new and higher ethical standards therein established stand out as one of the main explanations for such growth. 19

For more details about the Novo Mercado Regulation, s. C. Salomão Filho Direito Societário e Novo Mercado, supra note 5, p. 51 et seq. 20 There are striking numbers regarding this growth. At the end of 2007 of the 404 corporations listed in Bovespa, 156 were listed in one of the Novo Mercado Segments (92 in the Novo Mercado, 20 in Level 2 and 44 in Level 1). These 156 companies represented 56.69 % of the total market value of companies listed, 65.52 % of the total trading value in the year 2.007 and 73.66 % of the total number of share transactions made in 2.007 (source Bovespa – see. www.bovespa.com.br in 11.01.2008). The more than proportional participation of Novo Mercado corporations in these financial data (compared to the number of Novo Mercado Companies) reveals the attraction to investors caused by the higher ethical and legal standards that were introduced, i.e the results of the positive screening.

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It is however clearly premature to make categorical statements regarding the future of the “Novo Mercado”. Although at present it appears to be a consolidated experience, it is important to avoid the trap in which its advantages are the creators of its own difficulties. Focusing on the screening of ethical practices is the key, but it shall not obscure the need to have only companies that feature minimal financial soundness enter the market. To allow that, in times of economic growth, new companies based upon economically questionable projects be listed indiscriminately in the “Novo Mercado”, may, no matter how high the corporate governance standards adopted, give rise to a speculative bubble similar to those faced by countries that created differentiated market segments based exclusively in the specificity of the economic activity developed by the listed companies (such as the new technology segment of NASDAQ and the German Neuer Markt). From another standpoint, in the same manner that this paper criticizes the fact that an exclusive focus on results may result in adverse selection with respect to governance practices, an exclusive focus on governance practices may give rise to adverse selection with respect to financial performance. Both results are inconvenient.

IV. Conclusions The goal of the present paper was to broaden the perspectives of corporate law. From the standpoint of a country, Brazil, that has colonial origins, a history of economic development and a corporate reality that differs from those of America and Europe, different problems arise and bring with them particular perspectives toward solutions. Thus, the issue of the concentration of corporate power and the dysfunction caused by it in the operation of the corporation require legal structures that are able to play a transformative part. A transformative part is that which will allow the prevalence of the law in the organization of corporate relationships. For this purpose, it seemed appropriate to discuss internal and external mechanisms of structural intervention. An example of an internal mechanism of structural intervention is the discussion of the manner, both organizational and legal, to resolve conflicts of interest that occur within the corporation. As for the external mechanisms, the main issue identified (which also results from the concentration of corporate powers) was information asymmetry among shareholders and investors. It was noted that screening techniques that are based upon the comparison of good internal ethical practices are largely effective tools. The current success of the “Novo Mercado” of Bovespa appears to indicate that such is the case.

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The resulting picture appears, therefore, somewhat different from the scholarly mainstream. Structural adaptations that allow cooperation around ethical practices appear to substitute for the eternal debate around efficiency as the core corporate value. It is important to stress that such adaptations are legal and not consequent to economic transformations in the capital markets. Actually Brazilian Companies, including the Novo Mercado ones, are still highly concentrated.21 What is different is the legal structural environment in which they find themselves. Such a transformation based on legal instruments is relevant. It reveals the existence of an interesting path, for the generality of corporate systems around the world. Such path, based on legal rules and commonly accepted

21 The concentrated ownership structure of Brazilian companies is well known and recognized by empirical researches (see A. L. Carvalhal-da-Silva, R. P. C. Leal Corporate Governance, Market Valuation and Dividend Policy in Brazil, 2003, available at http:// papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=477302 (showing that 90 % of the companies have one controlling shareholder that owns more than 50 % of the voting capital, and that 87 % of the companies’ voting capital are detained by the 5 largest shareholders); E. Schiehll, I. O. dos Santos, Ownership Structure and Composition of Boards of Directors: Evidence on Brazilian Publicly-traded Companies, in RAUSP 39 (2004), pp. 373–384 (indicating that 70 % of the companies have a majority shareholder, meaning that the ownership structure of companies listed in Bovespa is highly concentrated); R. P. C. Leal, A. L. Carvalhal-da-Silva Corporate Governance and Value in Brazil (and in Chile), 2005, available at http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=726261 (arguing that in 75 % of the companies, the controlling shareholders own more than 50 % of the voting shares); D. M. Aldrighi, A. V. M. de Oliveira The Influence of Ownership and Control Structures on the Firm Performance: Evidence from Brazil, 2007, available at http://papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=972615 (showing that 77.3 % of the listed companies have a controlling shareholder, and also arguing that high concentration of control leads to value expropriation by controlling shareholders). Even a paper prima facie directed at demonstrat ing the existence of dispersed ownership in Brazil ends up helping to prove the opposite (E. Gorga Changing the Paradigm of Stock Ownership from Concentrated towards Dispersed Ownership: Evidence from Brazil and Consequences for Emerging Countries, in Nw. J. Int’l L. & Bus. 29 (2009), pp. 439 et seq.). The research shows that even in the Novo Mercado, (formed mainly of companies that needed the stock exchange and capital markets to finance themselves – which is not the case of most “blue chip companies” in Brazil – and should therefore be more willing to disperse ownership) although sixty-five out of ninetytwo listed companies seem to lack a controlling shareholder (“the largest shareholder owns, on average, 26.23 % of the shares”), this number drops to forty-five when the effects of shareholders’ agreements are considered. This is only 48.8 % of the total of the Novo Mercado and much less if we consider all listed companies. Actually if we consider all listed companies the number of companies with dispersed ownership would not be very different from the number found in the 2007 research mentioned above. Therefore what has probably happened is that most companies taking part in the standard Brazilian securities market that had already dispersed ownership or were willing to dilute their control migrated to the Novo Mercado. The change introduced by the Novo Mercado is therefore not in the Brazilian economic reality but in its legal and ethical environment.

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legal and ethical principles (and not economic goals), seems not only to be an important instrument for the development of capital markets but also an effective way of preventing or at least reducing the impact of financial and capital markets crisis, specially those originating from lack of information and from non cooperative, free rider behavior.

Gesellschaftsrechtliche Implikationen bei der Durchsetzung einer menschenrechtskonformen Geschäftspolitik im Konzern Carsten Schäfer I. Einführung Eine für Gesellschaftsrechtler eher ungewöhnliche Fragestellung wird derzeit unter Nichtregierungsorganisationen lebhaft diskutiert: Können deutsche „Konzerne“ darauf verpflichtet werden, in ihren Tochtergesellschaften, zumal den ausländischen, eine menschenrechtskonforme Geschäftspolitik durchzusetzen? Oder müssen sie wenigstens Bericht darüber erstatten, mit wem sie Geschäfte machen und inwiefern sie hierbei ethische Standards einhalten? Der Verfasser vermutet, dass eine Erörterung dieser Fragen auch den verehrten Jubilar interessieren und daher als Geschenk willkommen sein könnte, zumal er zu Themen wie Ethik und (Wirtschafts-)Recht, Corporate Governance und Verantwortlichkeit immer wieder gewichtig publiziert hat. Das Thema mag auch deshalb reizvoll sein, weil es in der gegenwärtigen gesellschaftsrechtlichen Diskussion nur ganz ansatzweise eine Rolle gespielt hat; es liegt gewissermaßen quer zu den klassischen Fragestellungen. Freilich scheint sich dies gegenwärtig zu ändern, blickt man auf das umfassendere Thema der „Corporate Social Responsibility“ (CSR), von dem Mülbert unlängst konstatiert hat, es handele sich um einen „neuen globalen Megatrend“ 1. Dennoch gilt: Wer aus Sicht des Gesellschaftsrechts konkrete Fragen formuliert und Antworten sucht, muss diese aus allgemeinen Grundsätzen ableiten, und auch dies kann hier nur in einer Art erstem Zugriff gelingen. Anzusetzen ist dabei beim Status des geltenden Rechts zur Verbindlichkeit menschenrechtsbezogener Handlungsmaximen; denn dieser wirkt sich selbstverständlich auch auf die gesellschaftsrechtliche Beurteilung aus; dies kann

1 Mülbert AG 2009, 766, 767 mit Hinweisen auf jährliche CSR-Berichte großer Unternehmen, auf das ecosense – Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft e.V., auf das gemeinsame Internetportal von BDI und BDA www.csrgermany.de und sein europäisches Pendant www.csreurope.org.

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im hier gesteckten Rahmen allerdings nur sehr kursorisch erfolgen. Zweitens ist der Frage nachzugehen, wie das Gesellschaftsrecht Weisungen der Konzernobergesellschaft gegenüber ihren Tochtergesellschaften behandelt, und zwar speziell in Bezug auf die Durchsetzung einer ethischen Unternehmenspolitik. Drittens ist auf die Frage einzugehen, ob die Konzernspitze haftet, wenn (ausländische) Tochterunternehmen gegen Ortsrecht verstoßen, das Menschenrechte für verbindlich erklärt. Viertens ist auf Berichtspflichten der Unternehmen im Zusammenhang mit dem Jahresabschluss hinzuweisen und dabei namentlich auf die Frage, ob schon nach geltendem Recht durch die Konzernspitze Rechenschaft über die Einhaltung von Menschenrechten in Drittstaaten zu geben ist. Schließlich sei fünftens ein kurzer Ausblick auf mögliche Ansätze zur Änderung des geltenden Rechts gewagt.

II. Ausgangssituation im geltenden Recht 1. Internationale Ebene Wie es um die Verbindlichkeit ethischer bzw. sozialer Standards gegenüber Unternehmen steht, verdeutlicht folgende exemplarische Meldung auf „tagesschau.de“ vom 4.2.2009: Das Südwind-Institut hatte bereits im Frühjahr 2007 eine Studie über Aldi-Zulieferer im Textilbereich veröffentlicht, die zu ähnlichen Ergebnissen kam [nämlich dass bei chinesischen Zulieferern von Aktionsware menschenunwürdige Arbeitsbedingungen herrschten, Anm. Verf.]. Aldi hatte daraufhin in Broschüren darauf hingewiesen, Mitglied der Business Social Compliance Initiative (BSCI) zu sein, in der sich zahlreiche europäische Handelsunternehmen für die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Standards bei ihren Zulieferern verpflichten. Südwind allerdings kritisiert, dass es sich bei BSCI um eine Initiative handele, die lediglich auf Selbstverpflichtungen der Industrie basiere. Die Organisation verlangt von den Handelsunternehmen, sich stattdessen bindenden Regeln zu unterwerfen, wie sie vom EU-Parlament gefordert werden. In der Tat, das mag ernüchtern, bestehen auf internationaler Ebene derzeit keine verbindlichen Regeln bezüglich der Einhaltung von Menschenrechten und Sozialstandards durch private Unternehmen. Nach gegenwärtig ganz vorherrschendem Verständnis sind Private rechtlich auch nicht unmittelbar an die EMRK oder Normen anderer Menschenrechtsabkommen gebunden. Unter dem Aspekt der EMRK – dem dogmatisch wohl ausgefeiltesten internationalen System des Menschenrechtsschutzes – wird das Thema einer Drittwirkung der Menschenrechte vielmehr im Grundsatz ähnlich beurteilt wie im deutschen Verfassungsrecht in Bezug auf die Grundrechte, welche grund-

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sätzlich nur indirekt über die zivilrechtlichen Generalklauseln auf Privatrechtsverhältnisse ausstrahlen.2 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat bislang noch niemals einen Privaten als unmittelbar durch die Menschenrechte gebunden angesehen, und er wäre wegen seiner Verfahrensordnung derzeit auch gar nicht in der Lage, eine solche Geltung im Sinne einer materiellen Drittwirkung durchzusetzen. Allerdings hat der EGMR, insbesondere zu Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatund Familienlebens) und zum Eigentumsschutz seit den 1990er Jahren in einzelnen Fällen Schutzpflichten des (Mitglied-)Staates anerkannt,3 was das BVerfG in Bezug auf Grundrechte bekanntlich ebenfalls seit langem postuliert, wenngleich unter deutlicherer Trennung dieser Ausstrahlungs- von der Abwehrfunktion der Grundrechte.4 Man wird also zwar erwarten können, dass der EGMR die Mitgliedstaaten für verpflichtet ansehen würde, zumindest krasse Menschenrechtsverletzungen durch Private auf ihrem jeweiligen Territorium zu unterbinden;5 doch folgt daraus weder eine unmittelbare Anwendbarkeit unter den Privaten – und somit auch keine Haftung privater Unternehmen – noch ist dieses Thema wegen des durch zahlreiche Einzelgesetze im Inland ausgeprägten Schutzes letztlich von erheblicher praktischer Relevanz (sogleich unter 2.). Vor diesem Hintergrund erscheint es einleuchtend, dass auf europäischer Ebene Bemühungen zu verzeichnen sind, besondere, auf Unternehmen gemünzte Verpflichtungsnormen zu schaffen. Zu erwähnen sind vor allem die in einer Entschließung vom 13.3.2007 6 formulierten Bestrebungen des Europäischen Parlaments, die Einhaltung 7 der ILO Kernarbeitsnormen und sonstiger Sozial- und Umweltvereinbarungen durch sämtliche in der Europäischen Union ansässige Unternehmen sicherzustellen und eine unmittelbare Klagemöglichkeit 8 für Opfer auch aus Drittstaaten vor den Gerichten der Mitgliedstaaten einzurichten. In die gleiche Richtung gehen Vorschläge des ECCJ.9 Die Entschließung des Parlaments ist indessen von der hierfür zu-

2 BVerfGE 7, 198 (Lüth-Urteil); dazu auch Canaris Grundrechte und Privatrecht – eine Zwischenbilanz, 1998. 3 Z.B. EGMR 19.2.1998, Guerra v. Italy, Nr. 14967/89, Z. 58; EGMR 7.8.2003, Hatton v. UK, Nr. 36022/97, Z. 97; näher Rebhahn AcP 210 (2010) unter I. 3 und IV. 2c. 4 BVerfGE 103, 89; 114, 1. Dazu eingehend Ruffert JZ 2009, 390 ff. 5 Eingehend zur Ausstrahlungswirkung der EMRK-Rechte Rebhahn AcP 210 (2010) unter I. 3., II. 2, IV. 2c. 6 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. März 2007 zu der sozialen Verantwortung von Unternehmen: eine neue Partnerschaft (2006/2133 (INI)). 7 Entschließung (Fn. 6) Nr. 49. 8 Entschließung (Fn. 6) Nr. 32. 9 ECCJ (Hrsg.) Fair Law: Building on the business an human rights framework of UN SRSG John Ruggie – Legal proposals to improve corporate accountability for environmental and human rights abuses within EU law (2009 – nicht endgültig).

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ständigen Kommission bislang nicht umgesetzt worden und hat wohl auch keine großen Umsetzungschancen. Statt einer verpflichtenden Lösung setzen nämlich bislang sowohl die Europäische Kommission als auch UN und OECD unter dem Oberbegriff einer „Corporate Social Responsibility“ auf die freiwillige Einhaltung von Sozialstandards durch transnational tätige Unternehmen und haben hierzu, ebenso wie viele Nichtregierungsorganisationen und Interessenvertretungen, Kataloge mit Verhaltensregeln veröffentlicht, die jedoch einstweilen nur unverbindliche Empfehlungen beinhalten. Daneben existiert eine Reihe allgemeiner Diskussionspapiere. Hierzu zählt etwa „Global Compact“, ein 10-Punkte-Katalog für soziale Standards in international agierenden Unternehmen auf Initiative von Kofi Annan 10. Konkreter ausgestaltet sind die „Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik“ 11 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“. In Bezug auf letztere existieren sogar nationale Anlaufstellen, bei denen im Fall von Verstößen Beschwerden gegen die beteiligten Unternehmen vorgebracht werden können. Die Beschwerdestelle prüft die Angaben und leitet gegebenenfalls ein Vermittlungsverfahren ein, bei dessen Scheitern die Kontaktstelle eine öffentliche Erklärung abgibt und eine Empfehlung zur Anwendung der Leitsätze ausspricht. Darüber hinausgehende Sanktionsmechanismen gibt es nicht. Überdies haben zahlreiche Unternehmen eigene Kataloge mit Ethik- und Verhaltensregeln 12 („Company Policies“, „Code of conducts“) entwickelt, vor allem solche der Konsumgüterbranche, die typischerweise besonders anfällig für Negativberichterstattung und Boykottaufrufe sind. In diesen Zusammenhang fällt auch die im zitierten Bericht erwähnte BSCI. Ist somit insgesamt derzeit zu konstatieren, dass vorhandene Menschenrechtskataloge im Verhältnis zu privaten Unternehmen keine unmittelbare Wirkung haben, so betrifft dies selbstverständlich nur die Charta-Normen selbst. Hat also ein Staat zur Verhinderung von Menschenrechtsverstößen entsprechende unmittelbar an Privatpersonen gerichtete Verbotsnormen in

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Vorgestellt am 31.1.1999. Verabschiedet im November 1977, derzeitige Fassung 11/2000. Zuletzt abgerufen am 6.1.2010: IKEA: “IWAY-Standard” – http://www.ikea.com/ms/de_DE/about_ikea/our_responsibility/ iway/index.html PUMA: “SAFE – Handbook of social standards” – http://safe.puma.com/us/en/category/pumasafe/ Hennes & Mauritz: “Verhaltenskodex” – http://www.hm.com/de/unternehmerischeverantwortung_responsability.nhtml

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seine nationale Rechtsordnung inkorporiert, z.B. ein ausdrückliches Kinderarbeitsverbot erlassen, so ist selbstverständlich jedes (Tochter-)Unternehmen im fraglichen Staat an diese Rechtsnorm gebunden, und auch das Management einer im Inland belegenen Konzernmuttergesellschaft hat prinzipiell dafür zu sorgen, dass diese Bestimmungen durch ihre (ausländischen) Tochtergesellschaften eingehalten werden. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass ein Verstoß gegen diese Organpflicht auch zu Ansprüchen der Betroffenen unmittelbar gegen die Konzernspitze führt. Dies ist nach gegenwärtiger Rechtslage vielmehr nicht der Fall; denkbar sind lediglich Ansprüche der Muttergesellschaft gegen ihr Organmitglied, sofern dieser ein Schaden entstanden ist. Demgegenüber können sich die Betroffenen – nach dem jeweiligen Ortsrecht – ausschließlich an das Tochterunternehmen selbst halten (näher unter IV.).

2. Menschenrechts- und Umweltschutz auf nationaler Ebene in Deutschland In Deutschland tätige Unternehmen werden auf nationaler Ebene durch eine Vielzahl von Einzelvorschriften auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards verpflichtet. So wird etwa die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz durch das Arbeitsschutzgesetz gewährleistet. Besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmern widmen sich spezielle Gesetze wie das Jugendarbeitsschutzgesetz, das Mutterschutzgesetz oder das Altersteilzeitgesetz. Ferner sind unternehmerische und betriebliche Mitbestimmung von Arbeitnehmern geregelt (MitbestimmungsG, DrittelbeteiligungsG und BetrVG). Die möglichen Sanktionen bei Verstößen reichen von der bloßen Rechtsunwirksamkeit bestimmter Handlungen (bspw. Kündigungen) über zivilrechtliche Schadensersatzansprüche bis hin zu Bußgeldern und Geldoder Freiheitsstrafen für die Handelnden. Ökologische Standards werden zudem durch eine ganze Reihe von Bundes- und Landesgesetzen errichtet (bspw. BImSchG, Wasserhaushaltsgesetz etc.), ihre Beachtung durch Umweltbehörden überwacht. Fast alle dieser öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Sozial- und Umweltstandards im Inland gewährleisten, unterliegen aber naturgemäß dem Territorialitätsprinzip, das ihren Geltungsbereich auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Von unmittelbar geltenden gemeinschaftsrechtlichen Rechtsverordnungen abgesehen, gelten deshalb außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes in aller Regel die Rechtsvorschriften des Aufenthaltsstaates. Weil, wie gesehen, auch keine verbindlichen völkerrechtlichen Vereinbarungen existieren, werden die einzuhaltenden Sozial- und Umweltstandards allein durch das Recht desjenigen Staates bestimmt, in dem die Auslandstochtergesellschaft ihren (tatsächlichen) Sitz hat.

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III. Konzernrechtliche Einwirkungsmöglichkeiten auf Tochtergesellschaften 1. Einführung und Fragestellung Wie ist es nun um die gesellschaftsrechtlichen Bedingungen für die Durchsetzung ethischer Regeln auf Konzernebene bestellt? Wie gesehen, stellt sich die Frage aufgrund der lex lata zunächst dann, wenn die Konzernspitze solche Regeln durchsetzen möchte, etwa weil sie sich einer freiwilligen Initiative zur Durchsetzung angeschlossen hat oder sonst mit gutem Beispiel vorangehen will. Aber das Thema ist natürlich auch dann relevant, wenn solche Pflichten auf nationaler oder europäischer Ebene eingeführt werden sollten (dazu noch unter VI.), weil es Aufschluss darüber gibt, ob sie gegenüber Konzerngesellschaften sodann auch durchgesetzt werden könnten. Wohlgemerkt: Diese Fragestellung betrifft nur die Einhaltung derjenigen Menschenrechtsnormen, die im jeweiligen Sitzstaat des Tochterunternehmens nicht allgemein verbindlich sind. Eine ganz andere Frage ist dagegen, wie es sich mit Verstößen von Tochterunternehmen gegen das im jeweiligen Sitzstaat geltende Ortsrecht verhält. Dass die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaften mit dem Ziel überwachen darf, die Einhaltung des dort geltenden Schutzrechts zu gewährleisten, ist zunächst ebenso unbestritten wie unbestreitbar – es handelt sich um eine echte (konzernweite) Compliance-Aufgabe. Das bedeutet aber nicht, dass sich mit derartigen Rechtsverstößen auch eine Konzernhaftung der Muttergesellschaft verbindet – eine solche Haftung besteht nach geltendem Recht grundsätzlich nicht, worauf unter IV. noch einmal zurückzukommen ist. Gleichwohl gilt cum grano salis: Auch wenn sie hierzu nicht verpflichtet sind, können transnationale Unternehmen auf freiwilliger Basis in ihren Konzerngesellschaften eigene Sozial- und Umweltstandards etablieren oder entsprechende vorgefertigte Kataloge übernehmen. Gerade in der Konsumgüterbranche, wo negative mediale Berichterstattung 13 oder Boykottaufrufe 14 durch Nichtregierungsorganisationen in mehreren Fällen schon eine (vorübergehende) nachteilige Veränderung des Konsumentenverhaltens zur Folge hatten, bemühen sich Unternehmen seit den 90er Jahren 15 verstärkt, in der Öffentlichkeit als verantwortungsbewusste, ökologische, soziale und damit moralisch „saubere“ Marktteilnehmer wahrgenommen zu werden. Ein Instrument hierfür ist die Einführung einheitlicher, konzernweiter Verhaltensrichtlinien. 13 Otto-Versand (Berichterstattung über Kinderarbeit im Magazin Stern 11.2.2007); Esprit (Berichterstattung über Kinderarbeit im Magazin Stern 5.6.2007); GAP (Berichterstattung über Kinderarbeit in The Observer 28.10.2007). 14 In Deutschland bspw. Shell (Brent Spar) 1995, Elektrolux 2006, Nokia 2008. 15 Buntenbroich Menschenrechte und Unternehmen, Diss. Köln 2005, S. 19.

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Für die eigene Gesellschaft kann der Vorstand einer Aktiengesellschaft solche Regeln, auch ohne entsprechende Satzungsklausel,16 ebenso einführen (§ 76 Abs. 1 AktG) wie die Geschäftsführer einer GmbH (§ 43 GmbHG). Dies gilt jedenfalls, wenn man der herrschenden Vorstellung eines interessenpluralistischen Unternehmensinteresses folgt,17 in das auch Interessen der Arbeitnehmer und Gemeinwohlbelange Eingang finden, sofern das Minimalziel der dauerhaften Rentabilität und der Bestandserhaltung des Unternehmens gewahrt bleibt. Auch wer einer solchen Konzeption kritisch gegenübersteht, wird aber kaum bestreiten, dass die Leitungsorgane einer Gesellschaft zumindest berechtigt sind, für die Durchsetzung von Menschenrechtsstandards innerhalb ihres Unternehmens zu sorgen, was für deutsche Gesellschaften wegen des Zustands des einfachen Rechts (s. unter II. 2.) ohnehin eine recht theoretische Frage bleibt. Im Übrigen bleibt jedenfalls die Handlungsbefugnis im Rahmen der business judgement rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG).18 Sollen derlei Regeln aber auch auf andere Konzerngesellschaften erstreckt werden, müssen die konzernrechtlichen Schranken beachtet werden, welche die rechtliche Selbständigkeit der Tochtergesellschaft im Interesse ihrer Gesellschafter und Gläubiger schützen. Befinden sich die Tochtergesellschaften im Ausland, wird diese Frage durch das dort geltende Gesellschaftsrecht geklärt. Eine generelle Aussage über Einwirkungsmöglichkeiten kann folglich nicht getroffen werden. Betrachtet man jedoch die Lösung des insofern als streng geltenden deutschen Rechts, wird immerhin eine – vorsichtig verallgemeinerbare – Tendenz erkennbar. Um die auftretenden Rechtsfragen besser zu veranschaulichen seien sie an folgendem Beispielsfall erläutert: Vorstand X der Muttergesellschaft „veranlasst“ den Vorstand Y eines Tochterunternehmens mittels Konzernrichtlinie, nur mit solchen Zulieferern Verträge zu schließen, die sich an bestimmte Sozialstandards halten. Y kauft daraufhin keine Ware bei Z, der Kinderarbeit durchführt und deswegen erheblich billiger anbieten kann, sondern bei W, bei dem alle Arbeitskräfte über 16 Jahre alt sind und nicht länger als 8 Stunden am Tag bei ordentlicher Bezahlung arbeiten müssen. Z hätte die Waren im gleichen Qualitätsstandard um 1 Mio. EUR billiger anbieten können als W. Gesellschaftsrechtlich stellen sich hier folgende Fragen: Kann X die Maßnahme gegenüber Y durchsetzen? Macht sich Y, also der Tochtervorstand, schadensersatzpflichtig gegenüber seiner Gesellschaft, wenn er dem Ansin-

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Zur Zulässigkeit einer „CSR-Klausel“ in der Satzung Mülbert AG 2009, 766, 772. Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 76 Rn. 12, 12b mwN; kritischer hierzu aber Mülbert AG 2009, 766, 770 f.; ders. ZGR 1997, 129, 147 ff.; vgl. auch Fleischer NZG 2009, 801, 802 f. zur Frage, ob aus § 87 Abs. 1 AktG die Verpflichtung zur ökologischen Unternehmensführung hergeleitet werden kann. 18 Dazu näher Mülbert AG 2009, 766, 773 (Barwert der Zahlungsüberschüsse müsse die Opportunitätskosten einer CSR-Investition voraussichtlich übersteigen). 17

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nen folgt, und haftet auch die Muttergesellschaft bzw. deren Vorstand der Tochtergesellschaft für den Schaden? Es liegt dabei prima vista nahe, als Schaden den Betrag zu nehmen, um den das Tochterunternehmen „zu teuer“ eingekauft hat. Die Antwort hängt wegen der Prämisse rechtlicher Selbständigkeit aller Tochterunternehmen wesentlich von dem auf die Tochtergesellschaft anwendbaren Recht ab, also davon, in welcher Rechtsform sie geführt wird. Schon aus der Sicht des deutschen Rechts ist daher zu unterscheiden: 2. GmbH Handelt es sich bei der Tochtergesellschaft um eine GmbH, so bereitet die Durchsetzung einer bestimmten Geschäftspolitik keine größeren Probleme, weil die Geschäftsführer unbeschränkt den Weisungen ihrer Gesellschafter unterworfen sind; die Mutter kann daher sowohl abstrakt-generelle als auch konkrete Weisungen erteilen 19 (§ 37 Abs. 1 GmbHG), einen renitenten Geschäftsführer kann sie jederzeit abberufen (§§ 38 Abs. 1, 43 Abs. 1 GmbHG). Außerdem steht der Mutter ein umfassendes Auskunftsrecht über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu (§ 51a GmbHG). Die Konzernrichtlinie aus unserem Beispiel war daher für den Geschäftsführer verbindlich. Handelt es sich allerdings nicht um eine 100 %-Tochtergesellschaft, könnte sich aus einer solchen Weisung eventuell eine Schadensersatzpflicht der Mutter ergeben. Insofern gilt Ähnliches wie im faktischen Aktienkonzern, auf den sogleich einzugehen ist. 3. Aktiengesellschaft a) Bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages Schwieriger ist die Lage, wenn es sich bei der Tochter um eine Aktiengesellschaft handelt. Hier steht dem Vorstand der Muttergesellschaft eine vergleichbare Einwirkungsmöglichkeit nur dann zu, wenn beide Gesellschaften durch einen Beherrschungsvertrag verbunden sind (§ 291 AktG). Er räumt dem Vorstand der Mutter ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber dem Tochtervorstand ein (§ 308 Abs. 2 AktG) und hebt somit dessen Recht zur selbständigen Leitung der Gesellschaft auf. Wegen der Durchsetzung von Weisungen gilt dann das gleiche wie bei der GmbH – sie sind sowohl in konkreter wie auch in abstrakt-genereller Form möglich.20 Irrelevant ist, ob der Tochter durch solche Weisungen ein Schaden entsteht. Denn der Beherrschungsvertrag hat zur zwingenden Folge, dass die Muttergesellschaft ohnehin sämtliche Verluste der Tochter ausgleichen muss (§ 302 AktG). Die 19 20

S. hierzu Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 37 Rn. 20. Spindler/Stilz/Veil AktG, 1. Aufl. 2007, § 308 Rn. 18.

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Mutter kann deshalb zweifellos auch Sozial- und Umweltstandards bei ihrer Tochter durchsetzen. Und aufgrund des Beherrschungsvertrages ist sie überdies berechtigt, sämtliche erforderlichen Informationen darüber beim Vorstand der Tochter einzuholen, inwiefern das Tochterunternehmen den Anweisungen der Muttergesellschaft nachgekommen ist. b) Faktischer Konzern Anders stellt sich die Lage im Ausgangspunkt im faktischen Aktienkonzern dar, also bei Fehlen eines Beherrschungsvertrages. Diese Rechtslage hat insofern Referenzstatus auch für das Verhältnis zu ausländischen Töchtern, weil Beherrschungsverträge nur gegenüber Gesellschaften in Frage kommen, die deutschem Recht unterliegen.21 Der Vorstand der Tochter bleibt hier zwingend weisungsfrei; Weisungen, eine bestimmte Geschäftspolitik einzuholen, können also nicht rechtsverbindlich erteilt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn die Muttergesellschaft sämtliche Aktien der Tochter hält. Erst recht kann die Muttergesellschaft nicht den Abschluss einzelner Geschäfte durch die Tochtergesellschaft verhindern. Gleichwohl verfügt die Muttergesellschaft selbstverständlich über wirksame Mittel, den Vorstand der Tochter faktisch zur Beachtung ihrer Weisungen anzuregen. Erwähnt sei nur die über den Aufsichtsrat auszuübende Personalkompetenz, die einen widersetzlichen Vorstand recht schnell sein Amt kosten kann. Das Gesetz rechnet also durchaus mit der Durchsetzung rechtlich unverbindlicher Weisungen und duldet solche Einflussnahmen auch (§§ 311, 317 AktG), sofern die entstehenden Nachteile bis zum Ende desselben Jahres von der Mutter ausgeglichen werden. Von zentraler Bedeutung ist daher der Nachteilsbegriff; denn es lässt sich schwer vorstellen, dass die Mutter zu einer Maßnahme verpflichtet sein (oder werden) könnte, die rechtswidrig ist und sie zum Nachteilsausgleich verpflichtet. Allgemein wird unter einem „Nachteil“ jede nachteilige Veränderung der Vermögens- oder Ertragslage der Gesellschaft verstanden.22 Dass die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards für die Tochter nachteilig sein kann, verdeutlicht das erwähnte Beispiel: Der Vertrag mit einem den Richtlinien entsprechenden Zulieferer ist deutlich teurer. Und auch andere Kosten können der Tochter entstehen, etwa wenn sie ihren eigenen Arbeitnehmern höhere Löhne bezahlt oder sich teure Sicherheitseinrichtungen leistet. Ob dies aber einen Nachteil auch im Rechtssinne bedeutet, für den die Mutter ersatzpflichtig ist, ist damit noch nicht gesagt. Denn der Nachteilsbegriff wird mit der Frage verknüpft, ob der Vorstand der abhängigen Gesellschaft auch von sich aus eine entsprechende Maß21 22

BGH NZG 2005, 214, 215; Hüffer AktG (Fn. 17) § 291 Rn. 5. Hüffer AktG (Fn. 17) § 311 Rn. 25.

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nahme durchführen könnte, ohne sich gegenüber seiner Gesellschaft (nach § 93 AktG) schadensersatzpflichtig zu machen, unabhängiges Handeln unterstellt.23 Es kommt im Beispiel also auf die Frage an, ob Y – etwa aus Gründen des besseren Images – auf den heiklen, aber billigeren Vertrag hätte verzichten und mit dem teureren Anbieter W kontrahieren können, ohne deshalb seine Pflichten zu verletzen. Auch wenn dies nicht eindeutig ist, sprechen die besseren Gründe gegen eine Haftung der Muttergesellschaft und ihres Vorstands, wenn sie die beschriebene Politik durchsetzen. Veranlasst nämlich die Muttergesellschaft den Vorstand der Tochtergesellschaft zu einem Verhalten, das dieser ohne Pflichtverstoß gem. § 93 AktG aus eigener Initiative vornehmen dürfte, so liegt kein Nachteil vor.24 Und der Verzicht auf einen Zulieferer, bei dem Kinderarbeit geleistet wird, dürfte trotz der damit verbundenen hohen Kosten noch vom Geschäftsleiterermessen des Vorstands einer unabhängigen Gesellschaft, namentlich von der business judgement rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG) gedeckt sein. In der Literatur wird jedenfalls regelmäßig betont, dass der Vorstand Maßnahmen zur Imageförderung auch dann unternehmen darf, wenn keine unmittelbaren finanziellen Vorteile zu erwarten sind,25 sofern die erwartbaren mittel- und langfristigen positiven Effekte den unmittelbar eintretenden Verlust überwiegen.26 Solche Regeln sind meist auf SponsoringMaßnahmen der Gesellschaft gemünzt, gelten hier aber entsprechend. Dabei liegt es besonders dann nahe, dass eine solche Unternehmenspolitik zugleich dem (finanziellen) Wohl der Gesellschaft dient, wenn sie den Verkaufserfolg im Inland fördert bzw., umgekehrt, zu erwartende Boykottaufrufe wirksam verhindert. Das liegt bei der Verfolgung grundlegender Menschenrechtsstandards allemal nahe, zumal die negative Publicity bei notorisch gewordenen Verstößen kaum von der Hand zu weisen ist. Folgt man dem, so liegt im Ergebnis kein Nachteil i.S.d. § 311 AktG vor. Ausnahmen lassen sich allenfalls vorstellen, wenn die Tochtergesellschaft durch die Inanspruchnahme des teureren Zulieferers überhaupt nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren könnte (z.B. wegen des Marktumfelds, wenn es sich um einen Hersteller von Discount-Textilien oder dergleichen handelt). In solch einem Falle handelt der Vorstand nicht mehr zum Wohle der Gesellschaft. Bedeutet somit der imagefördernde Verzicht auf günstige, aber heikle Einkaufsmöglichkeiten schon per se keinen Nachteil, so kann es auf die Quanti23

Vgl. z.B. Fleischer Handbuch des Vorstandsrechts, 1. Aufl. 2006, § 18 Rn. 76. MünchKommAktG/Kropff, 2. Aufl. 2000, § 311 Rn. 140. 25 Vgl. z.B. Fleischer Handbuch des Vorstandsrechts (Fn. 23) § 1 Rn. 36 und § 7 Rn. 15; MünchKommAktG/Spindler, 3. Aufl. 2008, § 93 Rn. 61; jeweils mit Bezug auf Spenden, Sponsoring usw. 26 Zurückhaltender Mülbert AG 2009, 766, 773 f., der unter dem Aspekt eines Handelns zum Wohl der Gesellschaft stets einen finanziell messbaren Effekt der „CSR-Maßnahme“ verlangt. 24

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fizierbarkeit der Kosten im Ergebnis nicht ankommen.27 Die Standards könnten m.a.W. auch dann durchgesetzt werden, wenn sich die hieraus entstehenden Nachteile nicht so eindeutig beziffern ließen, wie im Beispiel. Zwar gilt allgemein, dass nicht quantifizierbare Nachteile niemals veranlasst werden dürfen. Auf die Frage, ob überhaupt ein Nachteil entsteht, wirkt sich dieser Rechtssatz aber nicht aus. Hat eine Veranlassung mit anderen Worten Kosten zur Folge, die zwar nicht quantifizierbar sind, im Falle ihrer Bezifferbarkeit aber keinen Nachteil darstellten, so kann aus der fehlenden Quantifizierbarkeit noch nicht die Nachteiligkeit abgeleitet werden. Dieser rechtliche Befund scheint auch der internationalen Konzernpraxis zu entsprechen. Zu beobachten ist jedenfalls, dass viele Unternehmen derzeit schon über Ethikrichtlinien und sonstige Verhaltenskodizes verfügen, die offenbar von der Konzernleitung als Grundlage einer weltweiten Unternehmenskultur einheitlich für ihre Auslandstöchter durchgesetzt werden. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei noch hinzufügt: Alles dies gilt selbstverständlich erst recht, wenn etwa die Kinderarbeit im Sitzstaat der Tochter durch entsprechende Arbeitsschutzgesetze verboten ist; denn dann ist der Vorstand der Tochtergesellschaft zweifellos verpflichtet, dieses die Tochter bindende Verbot zu beachten, was vom Mutterunternehmen zu überwachen ist (s. unter IV.). 4. Fazit Die bisherigen Ergebnisse lassen sich damit wie folgt zusammenfassen: Das deutsche Gesellschafts- und Konzernrecht steht der konzernweiten Durchsetzung einer sozial bzw. ethisch begründeten Konzernpolitik aufgeschlossen gegenüber. Besonders unproblematisch ist dies, wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um eine GmbH oder vertraglich konzernierte Aktiengesellschaft handelt. Aber auch für den faktischen Konzern lässt sich mit guten Gründen vertreten, dass die Verfolgung solcher Standards auch dann keinen Nachteil darstellt, wenn sie mit höheren Kosten für die Tochtergesellschaft verbunden ist. Diesen Befund wird man cum grano salis auch im Sinne einer Tendenzaussage in Bezug auf internationale Konzernverbindungen werten können. Wird also die Durchsetzung ethischer Standards von der Konzernspitze gewünscht, so lässt das Konzernrecht ihre konzernweite Durchsetzung durchaus zu. Eine andere – nicht gesellschaftsrechtliche – Frage ist es allerdings, ob eine deutsche Konzernmuttergesellschaft auch mit Wirkung für ihre ausländischen Tochtergesellschaften durch eine im deutschen oder europäischen Recht begründete Rechtspflicht hierzu angehalten werden könnte. Das erscheint prinzipiell möglich, sofern keine unmittel-

27

Enger wohl Mülbert (Fn. 26).

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baren Durchgriffsrechte gegenüber den Tochtergesellschaften begründet werden (vgl. unter VI.). Im Übrigen darf die Muttergesellschaft selbstverständlich dafür sorgen, dass die Tochtergesellschaften im jeweiligen Sitzstaat geltende Gesetze (etwa zum Verbot der Kinderarbeit) beachten (sogleich unter IV.).

IV. Konzernhaftung für Rechtsverletzungen durch Tochterunternehmen? Dass die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaften mit dem Ziel überwachen darf, die Einhaltung des dort geltenden Schutzrechts zu gewährleisten, wurde schon betont (oben III. 1.). Ebenso eindeutig ist, dass ein Tochterunternehmen, das gegen Ortsrecht verstößt, etwa gegen Arbeitsschutznormen zur Verhinderung von Kinderarbeit, für Schäden an Leib oder Leben gemäß den im Sitzstaat geltenden Regeln des Vertrags- und/oder Deliktsrechts haftet. Hieraus resultiert aber in aller Regel keine Haftung der Konzernspitze. Denn die Muttergesellschaft hat keine Pflicht (gegenüber Dritten bzw. der Allgemeinheit), die Einhaltung dieser Standards in ihren Tochtergesellschaften effektiv zu überwachen. Die unmittelbare Außenhaftung der Muttergesellschaft für Rechtsverletzungen ihrer Tochterunternehmen ist dem (deutschen) Konzernrecht unbekannt und auch international derzeit kein Thema.28 Das Aktiengesetz kennt sie nur ausnahmsweise, namentlich im Vertragskonzern in den §§ 309 Abs. 4 S. 3, 310 Abs. 4 AktG für die Erteilung und Befolgung unzulässiger Weisungen sowie im faktischen Konzern gem. §§ 317 Abs. 3, 4; 318 Abs. 4 AktG für eine Nachteilszufügung ohne rechtzeitigen Ausgleich. Das Fehlen einer unmittelbaren Haftung „des Konzerns“ ist kein Zufall, sondern Manifestation der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Konzernunternehmen bzw. der fehlenden Rechtssubjektqualität des Konzerns als solchen. Dies gilt im Prinzip unabhängig davon, ob sich die Gesellschaften im In- oder Ausland befinden, das anwendbare Statut ist aber naturgemäß noch schwieriger zu ermitteln, wenn es sich um die Beurteilung einer ausländischen Rechtsform handelt, für die das Gesellschaftsrecht am Sitz der Gesellschaft gilt.

28 Überblick bei Emmerich/Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. 2008, § 302 Rn. 4 ff., auch mit rechtsvergleichenden Hinweisen. Eben deshalb postuliert der ECCJ (s. www.corporatejustice.org) im Rahmen seiner “Legal proposals to improve corporate accountability for environmental and human rights abuses within EU law” (nicht abschließend) die Einführung einer “Direct Liability of Parent Companies” für Menschenrechtsverletzungen ihrer ausländischen Tochtergesellschaften; dazu noch unter VI.

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V. Berichtspflichten in Bezug auf soziale und ökologische Faktoren 1. Lagebericht und Konzernlagebericht Ein weiterer Punkt zur Durchsetzung einer menschenrechtskonformen Unternehmenspolitik können einschlägige Berichtspflichten sein. Indessen kennt das geltende Recht keine spezifischen Berichtspflichten hinsichtlich der Wahrung von Menschenrechten im Konzern. Zwar müssen seit 2005 große Kapitalgesellschaften 29 in ihrem Lagebericht und Konzernlagebericht (§ 315 Abs. 1 S. 4 i.V.m. S. 3 HGB) auch auf ökologische und soziale Belange eingehen (§ 289 Abs. 3 HGB). Dies gilt allerdings von vornherein nur, soweit diese „nichtfinanziellen Leistungsindikatoren“ für das Verständnis des Geschäftsverlaufs einschließlich des Geschäftsergebnisses oder der Lage von Bedeutung sind. Ziel dieser durch eine europäische Richtlinie angestoßenen Bestimmung 30 ist es, Informationsgehalt und Vergleichbarkeit des Lageberichts zu verbessern und hierbei insbesondere ökologische und soziale Bezüge der Geschäftstätigkeit stärker als bisher einzubeziehen.31 Seitens der Kommission wurde zur Ausgestaltung dieser Berichtspflicht eine Empfehlung veröffentlicht.32 Demnach ist vor allem über für das Unternehmen bedeutsame Umweltschutzaspekte und die entsprechende Reaktionen der Geschäftsführung zu berichten, ferner über die allgemeine Umweltstrategie der Gesellschaft und die beschlossenen Umweltschutzprogramme, über die auf wesentlichen Gebieten des Umweltschutzes erzielten Fortschritte, darüber, wie das Unternehmen sicher stellt, dass Umweltvorschriften eingehalten werden, über die umweltbezogene Unternehmensdaten wie Energie-, Material- und Wasserverbrauch, Emissionen und Abfallentsorgung. Im Übrigen umfasst die „Sozialberichterstattung“ nach dem entsprechenden IDW-Standard (IDW RS HFA 1 Anlage A.7. in Ergänzung zu § 285 S. 1 Nr. 7 HGB) Angaben zur Arbeitnehmerschaft, worunter auch Entlohnungssysteme, betriebliche Sozialleistungen sowie der Gesundheits- und Arbeits-

29 Das sind nach § 267 Abs. 3 HGB solche Kapitalgesellschaften, die zwei der folgenden Kriterien erfüllen: Bilanzsumme über 4,015 Mio EUR, mehr als 8,030 Mio EUR Umsatzerlöse, mehr als 250 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt. Kapitalgesellschaften sind AG, KGaA, GmbH und solche KG bzw. OHG, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet (§ 264a HGB). 30 Art. 46 Abs. 1 lit. b 2. Hs und Abs. 4 der Bilanzrichtlinie i.d.F. der Modernisierungsrichtlinie vom 18.6.2003, RL 2003/51/EG ABlEG 2003, I.178-16. 31 Begr RegE BilReG BR-Drs. 326/04, 62. 32 Empfehlung der Kommission vom 30.5.2001 zur Berücksichtigung von Umweltaspekten in Jahresabschluss und Lagebericht von Unternehmen: Ausweis, Bewertung und Offenlegung (L 156/33).

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schutz gerechnet werden.33 Es geht also jeweils von vorneherein allein um die Verhältnisse im Konzern selbst, nicht etwa auch bei Zulieferern. Eine spezifische Berichtspflicht hinsichtlich der Wahrung von Menschenrechten im Konzern ist überdies nicht auszumachen. 2. Anhang Das HGB (§ 285 S. 1 Nr. 3) statuiert für mittelgroße und große Kapitalgesellschaften (§ 288 HGB) die Pflicht, im Anhang sog. „sonstige finanzielle Verpflichtungen“ anzugeben, die nicht in der Bilanz erscheinen, soweit diese Angabe für die Beurteilung der Finanzlage von Bedeutung ist. Eine Legaldefinition dieses Begriffs enthält das Gesetz nicht, der Wortwahl ist jedoch der Charakter eines Auffangtatbestandes zu entnehmen, weshalb eine weite Auslegung geboten ist und deshalb insbesondere auch erforderlich werdende Umweltschutzmaßnahmen hierunter gefasst werden,34 mithin sämtliche der Verhinderung und Entsorgung von Abfall, Abluft, Abwasser etc. dienende Tätigkeiten. Vorausgesetzt wird aber eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, welche die Maßnahme zukünftig erforderlich machen wird. Zukünftige Umweltschutzmaßnahmen auf freiwilliger Basis sind hier nicht einzureihen, da ihnen kein Verpflichtungscharakter zukommt.35 Auch diese Berichtspflicht ist somit für das Thema letztlich unergiebig. Nichts anderes gilt schließlich auch für den durch das BilMoG 2009 eingefügten § 289a HGB, der Art. 46a der Richtlinie 2006/46/EG transformiert und bestimmt, dass börsennotierte Aktiengesellschaften in den Lagebericht eine Erklärung zur Unternehmensführung aufzunehmen haben. Diese soll außer der schon jetzt vorgeschriebenen Erklärung zum Corporate Governance Kodex (§ 161 AktG) auch Angaben zu „Unternehmensführungspraktiken“ enthalten, die im Unternehmen bzw. Konzern angewandt werden und die über die Einhaltung rechtlich ohnehin verpflichtender Standards hinausgehen. Außerdem soll die Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat sowie deren Ausschüsse beschrieben werden. Die Berichtspflicht ist also sehr wenig konkret. Ob sie speziell die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards in Tochtergesellschaften erfasst, muss eher bezweifelt werden. Andererseits ist es gewiss möglich, dass Unternehmen freiwillig in ihren Bericht über Geschäftspraktiken solche Aspekte aufnehmen. Eine klare Pflicht zur spezifischen Sozial- und Umweltberichterstattung findet sich aber weiterhin allein in der oben genannten Entschließung 36 des Europäischen Parlaments; erst deren Umsetzung würde somit etwas Substantielles ändern. 33 34 35 36

Beck’scher Bilanz Kommentar/Ellrott 6. Aufl. 2006, § 289 Rn. 104. Beck’scher Bilanz Kommentar/Ellrott (Fn. 33) § 285 Rn. 22. Beck’scher Bilanz Kommentar/Ellrott (Fn. 33) § 285 Rn. 43. Entschließung (Fn. 6) Rn. 27.

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VI. Ansatzpunkte für Reformvorhaben Wollte man de lege ferenda etwas an diesem Befund ändern, so gerät zunächst der Ansatz in den Blick, eine Pflicht des herrschenden Unternehmens zur konzernweiten Durchsetzung bestimmter Menschenrechtsstandards zu begründen und an deren Verletzung eine eigene unmittelbare Haftung des Mutterunternehmens zu knüpfen. Eine indirekte Haftung wegen Verletzung von Organpflichten dürfte demgegenüber von vornherein kaum in Betracht kommen; denn sie vermöchte theoretisch zwar zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ihre Manager führen (§ 93 Abs. 2 AktG; § 43 Abs. 2 GmbHG). Doch ist zweifelhaft, ob der Gesellschaft überhaupt ein messbarer Schaden entstehen würde, wenn sie sich nicht an die Standards hielte. Eine unmittelbare Außenhaftung ist überdies systemwahrend insofern, als sie an eine eigene Pflichtverletzung des herrschenden Unternehmens anknüpft, zumal es nicht prinzipiell problematisch ist, im Inland eine Rechtsnorm in Geltung zu setzen, die an Auslandssachverhalte anknüpft, sofern ausschließlich Rechtsfolgen im Verhältnis zu inländischen Rechtssubjekten begründet werden. Dies zeigt etwa die Rechtsentwicklung bei Bestechungsdelikten gegenüber ausländischen Amtsträgern.37 Noch 1985 hatte der Bundesgerichtshof entschieden,38 dass von einem deutschen Unternehmen nicht erwartet werden könne, auf derartige Maßnahmen zu verzichten und das Geschäftsfeld weniger gewissenhaften Konkurrenten zu überlassen, wenn staatliche Aufträge in dem jeweiligen Staat überhaupt nur durch Schmiergeldzahlungen zu erlangen seien. Seither hat sich die Rechtslage aufgrund des OECD-Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997 deutlich geändert. Dieses wurde 1998 in deutsches Strafrecht derart umgesetzt, dass selbst im Ausland begangene Bestechungshandlungen gegenüber ausländischen Amtsträgern im Inland strafbar sind. Dies hat zur Folge, dass in solchen Fällen zugleich zivilrechtliche Sorgfaltspflichten (§ 93 AktG, § 43 GmbHG) gegenüber dem Unternehmen verletzt werden. Einzelne rechtspolitische Vorschläge gehen allerdings über eine derartige Haftung des herrschenden Unternehmens noch deutlich hinaus, insofern eine Art Durchgriffshaftung der Muttergesellschaft unter Zurechnung jedweden Verhaltens ihrer (ausländischen) Tochterunternehmen postuliert wird.39 Auch dem Europäischen Parlament schwebt offenbar ein eigenes Klagerecht möglicher Opfer (auch aus Drittstaaten) unmittelbar gegen die Muttergesellschaft vor: Sofern diese infolge unterbliebener Umsetzung von Sozialstandards 37

Spindler/Stilz/Fleischer AktG, 1. Aufl. 2007, § 93 Rn. 26. BGHZ 94, 268, 271. 39 So ECCJ (Fn. 9) Vorschlag 1, der auf eine vollständige, d.h. verschuldensunabhängige Zurechnung des Tochter-Verhaltens hinausläuft. 38

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einen messbaren Schaden erlitten haben, sollen sie ihn unmittelbar gegen die Konzernobergesellschaften vor einem Gericht der Mitgliedsstaaten geltend machen können.40 Indessen wäre eine verschuldensunabhängige Konzernhaftung, mit welcher dem Mutterunternehmen Rechtsverletzungen der Töchter ohne eigenes Verschulden zugerechnet würden, systemsprengend und sollte nicht ernsthaft erwogen werden, selbst wenn man sie auf die Bereiche des Menschenrechts- und Umweltschutzes begrenzte. Systemkonform umsetzbar wäre vielmehr allein die Schaffung eigener gesetzlicher Verkehrssicherungspflichten der Muttergesellschaft zur Durchsetzung konkreter Schutznormen auch in ausländischen Tochtergesellschaften, und zwar unter gleichzeitiger Gewährleistung des Anwendungsbereichs des deutschen Deliktsrechts. In diesem Falle würde die Muttergesellschaft ausschließlich für eigene Rechtsverletzungen haften, könnte sich also damit entlasten, dass sie in ihrem Bereich alle Maßnahmen ergriffen habe, um die Durchsetzung gegenüber Tochterunternehmen sicherzustellen. Auch dies kann aus Gründen des Wettbewerbs aber nur dann erwogen werden, wenn die Einführung spezifischer Verkehrssicherungspflichten zumindest europaweit gelingt. Das europäische Recht könnte also einen verpflichtenden Katalog konzernweit zu beachtender ethischer oder sozialer Standards einführen. Alternativ käme nach dem Vorbild des Deutschen Corporate Governance Kodex auch in Betracht, einen – auf freiwillige Beachtung zielenden – „Sozial-Kodex“ zu erlassen, zu dem die Unternehmen jährlich eine Erklärung abzugeben hätten, ob sie sich daran halten oder – ggf. warum – nicht. Alles dies kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Festzuhalten ist aber, dass die Begründung einer Pflicht der Muttergesellschaft zur konzernweiten Durchsetzung bestimmter Sozialstandards in transnationalen Unternehmen vielleicht kein Ausdruck rechtspolitischer Klugheit ist, rechtskonstruktiv aber durchaus vorstellbar ist, sofern sie auf europäischer Ebene angesiedelt wäre. In das gegenwärtige Rechtssystem zu integrieren wäre aber nur die gesetzliche Formulierung spezifischer – und haftungsbewehrter – Verkehrssicherungspflichten, die zu einer verschuldensabhängigen Haftung des Mutterunternehmens führt. Eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht des herrschenden Unternehmens für Verfehlungen seiner Tochtergesellschaft sollte demgegenüber nicht ernsthaft erwogen werden. Ohne größere Systemverwerfungen denkbar wäre zudem die Einführung bestimmter – menschenrechtsbezogener – Berichtspflichten entsprechend der o.g. Empfehlung des Europaparlaments.41

40 41

Entschließung (Fn. 6) Nr. 32. Oben Fn. 6; vgl. auch Vorschlag Nr. 3 der ECCJ (Fn. 9).

Vollmachtlose Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern Ralph Schmitt

Nach § 78 Abs. 1 S. 1 AktG wird für eine Aktiengesellschaft der Vorstand als organschaftlicher Vertreter tätig. Dieser Grundsatz erfährt in § 112 S. 1 AktG eine wichtige Durchbrechung: Gegenüber einem Vorstandsmitglied wird die Aktiengesellschaft gerichtlich und außergerichtlich ausschließlich durch ihren Aufsichtsrat vertreten. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch gegenüber ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern. § 112 AktG soll eine unvoreingenommene, von sachfremden Erwägungen unbeeinflusste Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern sicherstellen. Es kommt nicht darauf an, ob die unbefangene Vertretung der Gesellschaft tatsächlich in Gefahr ist oder die Gesellschaft im konkreten Einzelfall auch vom Vorstand angemessen vertreten werden könnte. Vielmehr wird im Interesse der Rechtssicherheit auf eine typisierende Betrachtungsweise abgestellt.1

I. Urteil des OLG Schleswig vom 29.11.2007 Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hatte 2007 über einen solchen Fall zu entscheiden.2 Der Kläger, ehemaliges Vorstandsmitglied der beklagten AG, verlangte mit seiner Klage von der Gesellschaft Zahlung der Vorstandsvergütung für Dezember 2005 bis September 2006. Der Anstellungsvertrag war für die Zeit vom 1.12.2004 bis zum 30.11.2006 fest abgeschlossen. Durch Beschluss des Aufsichtsrats der Beklagten vom 24.11.2005 wurde der Kläger mit Wirkung zum 30.11.2005 als Vorstandsmitglied abberufen und mit sofortiger Wirkung freigestellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts, denen das Berufungsgericht folgte, vereinbarte der Kläger am

1 Siehe nur BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796; Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 (153 f.); Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348; Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 (2214). 2 OLG Schleswig, Urt. v. 29.11.2007 – 5 U 21/07, BeckRS 2008, 15617 = FD-HGR 2008, 269758 m. Anm. Ziemons.

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Abend des 24.11.2005 mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden mündlich 3, dass das Dienstverhältnis einverständlich zum 31.3.2006 enden sollte. Der Aufsichtsrat der Beklagten genehmigte den Aufhebungsvertrag erst durch Beschluss vom 26.4.2006. Das Landgericht gab der Klage für die Vergütungsansprüche bis März 2006 statt; im Übrigen könne der Kläger keine Rechte aus dem Anstellungsvertrag mehr geltend machen, da dieser zum 31.3.2006 aufgelöst worden sei. Das Berufungsgericht verurteilte die Beklagte auch zur Zahlung der Vergütung für die Monate April bis September 2006. Die Aufhebungsvereinbarung sei nicht wirksam abgeschlossen worden: Die Einigung habe – ohne vorherigen Beschluss des Aufsichtsrats – nur zwischen dem Kläger und dem Aufsichtsratsvorsitzenden als Vertreter ohne Vertretungsmacht stattgefunden, und die nach einer Auffassung gemäß § 177 BGB mögliche Genehmigung durch den Aufsichtsrat sei verspätet erfolgt, weil sie erst zu einer Zeit erteilt wurde, als das Dienstverhältnis bereits beendet sein sollte. Der von der Beklagten gegen die weitergehende Verurteilung durch das Berufungsgericht angerufene Bundesgerichtshof hatte keine Gelegenheit, zu diesen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Der II. Zivilsenat ließ die Revision gegen das Urteil des OLG Schleswig zwar zu. Das Rechtsmittel hatte auch Erfolg. Die Klage wurde aber (soweit der Rechtsstreit vor den BGH gelangt war) bereits als unzulässig abgewiesen. Die Vorinstanzen hatten übersehen, dass die beklagte Aktiengesellschaft nicht ordnungsgemäß vertreten war. Die Klage richtete sich gegen die AG „vertreten durch den Vorstand“ und war an den Vorstand, nicht jedoch an den nach § 112 AktG allein vertretungsberechtigten Aufsichtsrat zugestellt worden. Der Vertretungsmangel war auch nicht geheilt.4 Auf die im Urteil des OLG Schleswig zur Vertretung der AG aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen kam es somit für die Revisionsentscheidung nicht mehr an. Ihnen soll im Folgenden nachgegangen werden.

II. Anwendbarkeit der §§ 177 ff. BGB auf vollmachtloses Handeln für die AG gegenüber Vorstandsmitgliedern Wird im Namen der Aktiengesellschaft ohne vorherigen Beschluss des Aufsichtsrats mit einem (amtierenden oder ausgeschiedenen) Vorstandsmitglied ein Vertrag 5 geschlossen, stellt sich die Frage, ob der Aufsichtsrat das Ge3 Ob § 623 BGB auf Dienstverträge mit Vorstandsmitgliedern direkt oder analog Anwendung findet (was das OLG Schleswig mit der h.M. verneint), wird im Folgenden nicht erörtert. 4 BGH, Urt. v. 16.02.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 (718). 5 Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft ist gemäß § 180 BGB Vertretung ohne Vertretungsmacht grundsätzlich unzulässig; ausnahmsweise finden die Vorschriften über Verträge entsprechende Anwendung.

Vollmachtlose Vertretung der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern

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schäft an sich ziehen und gemäß § 177 Abs. 1 BGB genehmigen kann, weil der für die Gesellschaft Handelnde als Vertreter ohne Vertretungsmacht anzusehen ist. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und in der Literatur ist umstritten, ob die Zuweisung des Vertretungsrechts an den Aufsichtsrat in § 112 AktG ein gesetzliches Verbot der entgegen der Zuweisung abgeschlossenen Rechtsgeschäfte beinhaltet oder ob es sich bei § 112 AktG allein um eine Vertretungsregelung handelt. Ersteres würde zur Nichtigkeit gemäß § 134 BGB führen. Letzteres hätte zur Folge, dass ein gegen § 112 AktG verstoßendes Handeln nach § 177 Abs. 1 BGB vom Aufsichtsrat genehmigt werden könnte. Der Bundesgerichtshof hat die Frage noch in jüngerer Zeit ausdrücklich offengelassen.6 Früheren Entscheidungen liegt aber offenbar die Ansicht zugrunde, der Aufsichtsrat könne das vollmachtlose Handeln seines Vorsitzenden bei Abschluss, Änderung oder Aufhebung des Anstellungsvertrages mit einem Vorstandsmitglied genehmigen.7 1. Bürgerlich-rechtliche Perspektive Aus der Sicht des bürgerlichen Rechts unterliegt die Anwendbarkeit der §§ 177 ff. BGB keinen ernsthaften Zweifeln. Nach § 112 AktG ist allein der Aufsichtsrat gegenüber Vorstandsmitgliedern zur Vertretung der Gesellschaft befugt. Die Vorschrift enthält, ebenso wie § 78 AktG für den Vorstand, eine Regelung der organschaftlichen Vertretungsmacht,8 und § 177 BGB ist nicht nur auf die gewillkürte, sondern auch auf die gesetzliche und organschaftliche Vertretung anwendbar.9 Trotz der Formulierung, dass der Vorstand bzw. Aufsichtsrat die Gesellschaft vertritt, geht es in §§ 78, 112 AktG nicht um eine Festlegung der ausschließlich als Vertreter in Betracht kommenden Personen. Die organschaftliche Vertretungsmacht ist zwar nicht übertragbar.10 Der Vorstand kann aber Vollmachten erteilen; eine Unternehmenspraxis ohne Einsatz rechtsgeschäftlich bestellter Vertreter (insbesondere Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte) wäre auch kaum vorstellbar. Weiterhin ist für § 78 AktG anerkannt, dass das Vertretungsorgan vollmachtloses

6 Urt. v. 7.7.1993 – VIII ZR 2/92, WM 1993, 1630 (1631); Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348 (349); Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 (1115). 7 Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 (285 f., 290 f.); Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341 (345); für die Vertretung durch einen unzulänglich besetzten Aufsichtsratsausschuss Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294 (295 f.). 8 Hüffer AktG, 8. Aufl. (2008) § 78 Rn. 1, 3, § 112 Rn. 4; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 112 Rn. 4. 9 Palandt/Ellenberger BGB, 69. Aufl. (2010) § 177 Rn. 1; Habermeier in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. (2007) § 177 Rn. 9; MünchKomm/Schramm BGB, 5. Aufl. (2006) § 177 Rn. 4; Staudinger/Schilken BGB, 2004, § 177 Rn. 3. 10 BGH, Urt. v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61 (65); Urt. v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72 (76).

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Handeln genehmigen kann.11 Im Rahmen des § 112 AktG kann die Anwendbarkeit der §§ 177 ff. BGB (vorbehaltlich der unter 2. zu behandelnden Einwände aus dem Kompetenzgefüge der AG) nicht anders beurteilt werden. Die AG ist bei Annahme bloß schwebender Unwirksamkeit wie jeder andere vollmachtlos Vertretene ausreichend dadurch geschützt, dass der Aufsichtsrat die nach § 177 Abs. 1 BGB erforderliche Genehmigung versagen kann. Die Genehmigungsmöglichkeit wird allerdings dadurch begrenzt, dass § 112 AktG, § 177 BGB eine Vertretungssituation voraussetzen. Daran fehlt es bei körperschaftlichen Organisationsakten, die in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats fallen (vgl. § 84 Abs. 1 und 3 AktG: Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern).12 Die Entscheidung nach § 177 Abs. 1 BGB über die Genehmigung oder ihre Verweigerung trifft der Aufsichtsrat als Gesamtorgan (oder ein nach § 107 Abs. 3 AktG gebildeter Aufsichtsratsausschuss) gemäß § 108 AktG durch ausdrücklich zu fassenden Beschluss.13 Die Genehmigung oder ihre Verweigerung ist dem Vertreter oder dem Vorstandsmitglied als Vertragspartner gegenüber zu erklären (§§ 182 Abs. 1, 177 Abs. 2 BGB). Dabei kann sich der Aufsichtsrat eines Erklärungsvertreters oder Erklärungsboten bedienen.14 Bis zur Genehmigung des Vertrages kann der Geschäftsgegner nach § 178 BGB zum Widerruf berechtigt sein. Liegt ein genehmigungsfähiger Vertragsschluss durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht vor, kann diesen bei Verweigerung der Genehmigung durch den Aufsichtsrat eine eigene Haftung nach § 179 Abs. 1 BGB treffen. Allerdings wird regelmäßig der Ausschlussgrund des § 179 Abs. 3 S. 1 BGB erfüllt sein. Der Vertreter haftet nicht, wenn der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste. Einem amtierenden, aber auch einem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied als Vertragspartner dürfte zumindest fahrlässige Unkenntnis (vgl. § 122 Abs. 2 BGB) vorzuwerfen sein, wenn er die Regelung und den Anwendungsbereich des § 112 AktG nicht kennt.15 Er ist insoweit nicht schutzwürdig. Anders kann es liegen, wenn der vollmachtlose Vertreter der Wahrheit zuwider einen seine Willenserklärung

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Hüffer (Fn. 8) § 78 Rn. 9; MünchKomm/Spindler AktG, 3. Aufl. (2008) § 78 Rn. 100. Genehmigungsfähig ist aber die vollmachtlose Kundgabe der Bestellung bzw. ihres Widerrufs. Zum Sonderfall der vereinbarten Beendigung der Organstellung vgl. BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, NJW 1981, 757 (759); OLG Karlsruhe, WM 1996, 161 (167). 13 BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 (285 f.); Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 (2214); Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. (2006) § 112 Rn. 108; Hüffer (Fn. 8) § 108 Rn. 4, § 112 Rn. 4; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber (Fn. 8) § 112 Rn. 4, 11. 14 Dazu nur Bürgers/Israel in Bürgers/Körber (Fn. 8) § 112 Rn. 5 f.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 112 Rn. 14. 15 Vgl. BGH, Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348 (350). 12

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legitimierenden Aufsichtsratsbeschluss vorspiegelt oder gegenüber der Witwe eines Vorstandsmitglieds auftritt.16 2. Aktienrechtliche Perspektive Gegen die Anwendung der §§ 177 ff. BGB wird aus gesellschaftsrechtlicher Sicht vorgebracht, bei § 112 AktG handele es sich um eine zwingende Kompetenzzuweisung für die Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern; ein gegen § 112 AktG verstoßendes Rechtsgeschäft sei deshalb nach § 134 BGB nichtig.17 Verbreitet wird allerdings differenziert: Eine Genehmigung nach § 177 BGB durch nachfolgende Beschlussfassung des Aufsichtsrats soll dann möglich sein, wenn der vollmachtlose Vertreter Mitglied, insbesondere wie im Fall des OLG Schleswig Vorsitzender des Aufsichtsrats ist, nicht aber, wenn es sich um ein Vorstandsmitglied handelt.18 Nach einer dritten Meinung soll § 177 BGB unterschiedslos Anwendung finden.19 Diese Auffassung ist vorzugswürdig: a) Die Anwendung von § 134 BGB wäre nur veranlasst, wenn § 112 AktG den Inhalt oder die Vornahme eines Rechtsgeschäfts untersagen würde.20 Das ist nicht der Fall. Gegen die Wertung des § 112 AktG als gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB spricht, dass § 112 AktG eine Regelung der Vertretungsmacht darstellt und Rechtsgeschäfte, die ein Vertreter ohne Vertretungsmacht vornimmt, nicht als solche verboten, sondern mangels Rechtsmacht (schwebend) unwirksam sind.21 Aufgrund der gesetzlichen Anordnung der Geneh-

16 Zur Anwendbarkeit von § 112 AktG auf Ansprüche aus einer Versorgungszusage BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 (2214). 17 OLG Hamburg, WM 1986, 972 (974); OLG Stuttgart, AG 1993, 85 (86); MünchKomm/Semler AktG, 2. Aufl. (2004) § 112 Rn. 70 ff.; Stein AG 1999, 28 (36 ff.); Fischer GS Gruson, S. 151 (160 ff.). 18 OLG Karlsruhe, WM 1996, 161 (164 f.); Kölner Komm/Mertens AktG, 2. Aufl. (1996) § 78 Rn. 9, 20, § 112 Rn. 5 (großzügiger ders. FS Lutter, S. 523 [530 ff.]); Hopt/Roth in Großkomm (Fn. 13) § 112 Rn. 108 ff.; Hüffer (Fn. 8) § 112 Rn. 7; Drygala in K. Schmidt/ Lutter (Fn. 14) § 112 Rn. 19; Fonk WiB 1996, 433 f.; differenzierend auch Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 112 Rn. 44 f.; Schmits AG 1992, 149 (155). 19 OLG Celle, AG 2003, 433; OLG München, ZIP 2008, 220 (222); MünchKomm/ Habersack (Fn. 11) § 112 Rn. 32; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber (Fn. 8) § 112 Rn. 10; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. (2008) Rn. 433; W. Werner ZGR 1989, 369 (392 ff.); Leuering FS Kollhosser II, S. 361 (372 f.); Nägele/Böhm BB 2005, 2197 (2199 f.); Pluskat/Baßler Der Konzern 2006, 403 (406 f.); R. Werner Der Konzern 2008, 639 (643 f.). 20 Vgl. Staudinger/Sack BGB, 2003, § 134 Rn. 30. Beispielsweise soll ein Verstoß gegen das Vertretungsverbot für Schenkungen (§§ 1641, 1804, 1908 i Abs. 2 S. 1 BGB) nach h.M. ohne Genehmigungsmöglichkeit zur Nichtigkeit des Geschäfts führen; MünchKomm/ Huber BGB, 5. Aufl. (2008) § 1641 Rn. 7 f.; MünchKomm/Wagenitz § 1804 Rn. 11 f. 21 OLG Celle, AG 2003, 433; Palandt/Ellenberger (Fn. 9) § 134 Rn. 5; Nägele/Böhm BB 2005, 2197 (2199).

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migungsbedürftigkeit besteht eine spezielle Regelung, die für eine Anwendung von § 134 BGB keinen Raum lässt.22 b) Der Zweck des § 112 AktG, eine unbefangene, von Interessenkollisionen nach Möglichkeit freie Vertretung der Gesellschaft sicherzustellen, verlangt nicht, einem Vorstandsmitglied gegenüber vorgenommene Rechtsgeschäfte, die nicht auf einem vorherigen Beschluss des Aufsichtsrats beruhen, ohne Genehmigungsmöglichkeit als nichtig anzusehen. Aufgrund des sich aus § 177 Abs. 1 BGB ergebenden Genehmigungserfordernisses ist der Vertragsinhalt, sofern die Genehmigung durch den Aufsichtsrat erteilt wird, nicht Ausdruck eines eigenen, unkontrollierten Entscheidungsspielraums des vollmachtlosen Vertreters. Das Genehmigungserfordernis behält vielmehr dem Aufsichtsrat die volle Überprüfung des Rechtsgeschäfts und die Letztentscheidung über das Wirksamwerden des Geschäfts vor. Die erforderliche Willensbildung des Aufsichtsrats findet nachgelagert, bei der Beschlussfassung über die Genehmigung, statt. Der Schutzzweck des § 112 AktG, Interessenkonflikte durch Einschaltung des Aufsichtsrats zu minimieren, wird damit ebenso gut wie bei einer vorherigen Befassung des Aufsichtsrats erreicht. Auch bei einem Insichgeschäft i.S.d. § 181 BGB, der gleichfalls dem Schutz des Vertretenen vor Interessenkollisionen dient, ist das Rechtsgeschäft nach allgemeiner Meinung nicht nichtig, sondern gemäß §§ 177 ff. BGB schwebend unwirksam und einer Genehmigung durch den Vertretenen zugänglich.23 Auch in der Sache wäre die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB unangemessen. Die schwebende Unwirksamkeit gemäß § 177 BGB erlaubt es dem Aufsichtsrat, das Geschäft durch Genehmigung an sich zu ziehen, wenn es für die AG günstig ist, oder aber durch Verweigerung der Genehmigung zu missbilligen. Für eine Vertretung ohne Vertretungsmacht kann es gute Gründe geben: Der Aufsichtsratsvorsitzende mag im Alleingang den Anstellungsvertrag mit einem abberufenen Vorstandsmitglied aufgehoben haben, weil eine vorherige Befassung des Gesamtorgans Aufsichtsrat wegen der Eilbedürftigkeit der Sache nicht möglich war. Ein als vollmachtloser Vertreter handelnder Vorstandskollege kann im Einzelfall, vielleicht gerade aufgrund persönlicher Vertrautheit, mit dem ausscheidenden Vorstandsmitglied einen interessengerechten Aufhebungsvertrag aushandeln und abschließen. § 112 AktG setzt nicht voraus, dass die vom Gesetzgeber unterstellte Befangenheit, die abstrakt gegen die Vertretung der AG durch einen Mitvorstand spricht, im konkreten Fall besteht und sich im Inhalt des Rechtsgeschäfts niederschlägt. Es sind deshalb keine Sachgründe erkennbar, dem Aufsichtsrat die Möglichkeit einer nachträglichen Genehmigung zu versagen und ihn auf den umständ22

MünchKomm/Armbrüster (Fn. 9) § 134 Rn. 7. Palandt/Ellenberger (Fn. 9) § 181 Rn. 15; MünchKomm/Schramm (Fn. 9) § 181 Rn. 41. 23

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licheren Weg einer Neuvornahme des Geschäfts zu verweisen, zumal dann die Gefahr bestünde, dass das ausscheidende Vorstandsmitglied nach dem Erstabschluss seine Meinung ändert und sich einem erneuten Vertragsschluss verweigert. In einem solchen Fall würde die Ablehnung der Genehmigungsfähigkeit nicht die Aktiengesellschaft schützen, sondern dem Vorstandsmitglied eine Vertragsreue ermöglichen und einen zufälligen Vorteil verschaffen. Gegen die Genehmigungsmöglichkeit wird eingewandt, der vollmachtlose Vertreter – insbesondere wenn es sich um ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied handele – nehme unzulässigerweise die Entscheidung des Aufsichtsrats vorweg, weil dieser den Vertreter nicht bloßstellen wolle und deshalb nicht mehr frei und ergebnisoffen entscheiden könne.24 Diese These ist jedoch nicht plausibler als die gegenteilige Vermutung, der Aufsichtsrat werde möglicherweise die Genehmigung verweigern, um den seine Kompetenzen überschreitenden Vertreter in die Schranken zu weisen.25 Jedenfalls lässt sich bei normativer Betrachtung die These von der „Schutzbedürftigkeit“ des Aufsichtsrats nicht mit § 112 AktG vereinbaren. Der Vorschrift liegt gerade die Erwartung des Gesetzgebers zugrunde, der Aufsichtsrat sei zu einer unvoreingenommenen Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern in der Lage. Diese Unbefangenheit ist konsequenterweise auch dann zu erwarten und einzufordern, wenn über eine Genehmigung nach § 177 BGB zu entscheiden ist. Schließlich darf nicht vernachlässigt werden, dass das Handeln der unternehmensangehörigen Beteiligten – eines ohne Vertretungsmacht agierenden Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds sowie der die Genehmigung aussprechenden oder versagenden Aufsichtsratsmitglieder – durch das Risiko einer Haftung nach §§ 93, 116 AktG beeinflusst wird.26 c) Die Anwendbarkeit von § 177 BGB wird zum Teil davon abhängig gemacht, dass aus dem Aufsichtsrat heraus gehandelt worden ist. Bei Vertretung der AG durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder werde lediglich die innere Ordnung des Aufsichtsrats nicht beachtet, so dass § 177 BGB angewendet werde könne. Die Vertretung durch eine nicht dem Aufsichtsrat angehörende Person sei hingegen wegen des Verstoßes gegen die Zuständigkeit des Aufsichtsrats als Organ grundsätzlich ohne Genehmigungsmöglichkeit nach § 134 BGB unwirksam.27 Außerdem wird darauf abgestellt, dass ein Vorstandsmitglied wegen seiner potentiellen Befangenheit als vollmachtloser Vertreter ausscheiden müsse.28 24

MünchKomm/Semler (Fn. 17) § 112 Rn. 74, 80 f.; Stein AG 1999, 28 (37 f.). Einen Fall der Genehmigungsverweigerung behandelt BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 (1115). 26 Demgegenüber dürfte von § 179 BGB keine wesentliche verhaltenssteuernde Wirkung ausgehen, dazu oben 1. a.E. 27 Hopt/Roth in Großkomm (Fn. 13) § 112 Rn. 108 ff. 28 Hüffer (Fn. 8) § 112 Rn. 7; Drygala in K. Schmidt/Lutter (Fn. 14) § 112 Rn. 19. 25

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Diese Differenzierungen erscheinen letztlich nicht überzeugend. Dem Risiko, dass eine etwaige Befangenheit auf den Inhalt des Rechtsgeschäfts durchschlägt, wird hinreichend durch die Möglichkeit der Genehmigungsverweigerung begegnet. Im Übrigen wird in allen Fällen der vollmachtlosen Vertretung die Zuständigkeit des Aufsichtsrats als Organ zunächst (bis zu einer späteren Beschlussfassung) übergangen. Ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied, das anstelle des Aufsichtsrats handelt, ist für den Vertragsschluss mit einem Vorstandsmitglied nicht „weniger unzuständig“ als dessen Vorstandskollege. Beide Fälle unterscheiden sich hinsichtlich des Fehlens der Rechtsmacht (Vertretungsbefugnis) nicht. Sie sollten daher gleich behandelt werden, nach der hier vertretenen Auffassung durch Anwendung von § 177 BGB. An der Kompetenzverteilung innerhalb der Aktiengesellschaft ändert selbst die vollmachtlose Vertretung durch ein Vorstandsmitglied nichts. Die zwingende Zuweisung der organschaftlichen Vertretungsbefugnis an den Aufsichtsrat wird nicht tangiert, sondern setzt sich im Genehmigungserfordernis des § 177 BGB fort. Es findet auch keine unzulässige Delegation der organschaftlichen Willensbildung und Entscheidung statt. Der Aufsichtsrat nimmt mit der Beschlussfassung über die Genehmigung seine Kompetenzen weiterhin selbst wahr.29 Die Aufsichtsratsmitglieder verstoßen somit auch nicht gegen ihre Pflicht zur höchstpersönlichen Aufgabenerfüllung (§ 111 Abs. 5 AktG).30 d) Dass die Genehmigungsmöglichkeit gemäß § 177 BGB der Nichtigkeitssanktion des § 134 BGB vorzuziehen ist, zeigt auch der Vergleich mit den Rechtsfragen, die sich bei einer Bevollmächtigung durch den Aufsichtsrat stellen. Der Aufsichtsrat kann sich zwar bei der Willensbildung nicht vertreten lassen.31 Es besteht jedoch Einigkeit, dass der Vollzug des vom Aufsichtsrat gebildeten Willens einem anderen überlassen werden kann. Als Erklärungsvertreter kommen Aufsichtsratsmitglieder einschließlich des Vorsitzenden, aber auch Dritte in Betracht, während Vorstandsmitglieder nach h.M. nur als Erklärungsboten fungieren können.32 Auch wenn in Einzelheiten Streit besteht, lässt sich als Leitlinie erkennen, dass nach Sinn und Zweck des § 112 AktG die Willensbildung dem Aufsichtsrat vorbehalten bleiben muss. 29 Vgl. OLG Karlsruhe, WM 1996, 161 (165); aA Kölner Komm/Mertens (Fn. 18) § 78 Rn. 9, 20, § 112 Rn. 5. 30 AA MünchKomm/Semler (Fn. 17) § 112 Rn. 73. 31 BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 (285); Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 (1115); MünchKomm/Habersack (Fn. 11) § 112 Rn. 23. 32 Dazu Fn. 14 sowie BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 327 (334 ff.); Kölner Komm/Mertens (Fn. 18) § 112 Rn. 27 ff., 30; Hopt/Roth in Großkomm (Fn. 13) § 112 Rn. 82 ff.; MünchKomm/Semler (Fn. 17) § 112 Rn. 49 ff.; MünchKomm/Habersack (Fn. 11) § 112 Rn. 26 f.

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Diesem Postulat wird aber auch bei vollmachtloser Vertretung genügt, weil das Wirksamwerden des Geschäfts nach § 177 BGB von der Genehmigung des Aufsichtsrats abhängt. Der Vertreter ohne Vertretungsmacht hat zwar zunächst einen eigenen Geschäftswillen gebildet und eine eigene Erklärung abgegeben. Diese Eigenmächtigkeit wird aber durch die Genehmigung des Aufsichtsrats wieder „eingefangen“, wenn sich dieser das Ergebnis der Willensbildung durch die Genehmigung zu eigen macht. Es besteht wertungsmäßig kein Unterschied, ob der Aufsichtsrat vorab seinen Willen konkret bildet (durch Beschluss sowie Erteilung einer Erklärungsvollmacht oder Beauftragung eines Boten) oder nachträglich einem bestimmten Vertreterhandeln zustimmt. Der Weisungsgebundenheit des Erklärungsvertreters (ebenso wie der Fremdbestimmtheit des Boten) entspricht die Abhängigkeit des vollmachtlosen Vertreters von der Genehmigung durch den Aufsichtsrat als Vertretungsorgan. e) Außerdem lässt der Bundesgerichtshof für den Fall der gerichtlichen Vertretung der Aktiengesellschaft eine Genehmigung in ständiger Rechtsprechung zu. Das betrifft Prozesshandlungen, die der Vorstand unter Verletzung von § 112 AktG vorgenommen hat. Der Vertretungsmangel kann dadurch geheilt werden, dass der Aufsichtsrat nachträglich als gesetzlicher Vertreter in den Prozess eintritt und die bisherige Prozessführung des Vorstands als nicht vertretungsberechtigten Vertreters genehmigt.33 Im Falle außergerichtlichen Handelns können die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 112 AktG nicht anders beurteilt werden.34 f) Die §§ 89, 114, 115 AktG sehen zwar, im Unterschied zu § 112 AktG, eine Zustimmung durch den Aufsichtsrat ausdrücklich vor. Das erlaubt aber nicht den Umkehrschluss, im Anwendungsbereich des § 112 AktG scheide bei vollmachtloser Vertretung gegenüber einem Vorstandsmitglied eine Genehmigung durch den Aufsichtsrat aus.35 Die Genehmigungsmöglichkeit folgt bei § 112 AktG aus § 177 BGB als allgemeiner Bestimmung des Vertretungsrechts und bedarf daher keiner Wiederholung. Demgegenüber betreffen die §§ 89, 114, 115 AktG nicht die Vertretung der AG, so dass § 177 BGB keine Anwendung findet und eigenständige Regelungen geschaffen werden mussten: § 89 AktG verbietet der AG die Gewährung von Krediten an Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte oder ihnen nahestehende Personen ohne Beschluss bzw. Einwilligung des Aufsichtsrats; § 89 Abs. 5 AktG er-

33 Siehe nur BGH, Urt. v. 13.2.1989 – II ZR 209/88, NJW 1989, 2055 f.; Urt. v. 8.9.1997 – II ZR 55/96, WM 1998, 308 (309); Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, ZIP 1999, 1669 (1670); Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 (718). 34 OLG Celle, AG 2003, 433; Hüffer (Fn. 8) § 112 Rn. 7; MünchKomm/Habersack (Fn. 11) § 112 Rn. 32; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber (Fn. 8) § 112 Rn. 10; aA Hopt/Roth in Großkomm (Fn. 13) § 112 Rn. 107. 35 So aber MünchKomm/Semler (Fn. 17) § 112 Rn. 74.

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möglicht eine nachträgliche Zustimmung. Diese Erfordernisse sollen sicherstellen, dass die inhaltlichen Vorgaben für die Kreditgewährung (vgl. § 89 Abs. 1 S. 2 und 3 AktG) beachtet werden. Die Vertretungsbefugnis für den Abschluss des Kreditvertrages ergibt sich aber nicht aus § 89 AktG, sondern bei Krediten an ein Vorstandsmitglied aus § 112 AktG, im Übrigen aus § 78 AktG. Die §§ 114, 115 AktG regeln den Abschluss bestimmter Verträge zwischen einem Aufsichtsratsmitglied und der AG. Auch diese Normen ordnen nicht die Vertretung durch den Aufsichtsrat an; insoweit bleibt es bei der Zuständigkeit des Vorstands. Sie sehen lediglich einen Zustimmungs- bzw. Einwilligungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats vor. g) Folgt man der hier vertretenen Auffassung und wendet § 177 Abs. 1 BGB unterschiedslos auf die vollmachtlose Vertretung der AG gegenüber einem Vorstandsmitglied an, kommen als Personen, die anstelle des Aufsichtsrats tätig werden, in Betracht: der Aufsichtsratsvorsitzende, ein einfaches Aufsichtsratsmitglied, ein Aufsichtsratsausschuss ohne Vertretungsmacht, ein Vorstandsmitglied 36 oder ein Angestellter der AG, aber auch ein unternehmensfremder Dritter (z.B. ein Rechtsanwalt, der für den Aufsichtsrat Verhandlungen mit dem Vorstandsmitglied führt, oder ein Mitarbeiter der Muttergesellschaft einer konzernangehörigen AG).

III. Rückwirkung der nach § 177 Abs. 1 BGB erteilten Genehmigung 1. Grundsätzliche Rechtsfolge gemäß § 184 Abs. 1 BGB Genehmigt der Aufsichtsrat nach § 177 Abs. 1 BGB den von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossenen Vertrag, wird das Rechtsgeschäft wirksam. Gemäß § 184 Abs. 1 BGB wirkt die Genehmigung grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück. § 184 Abs. 1 BGB liegt die Annahme zugrunde, dass die Parteien des zustimmungsbedürftigen Geschäfts regelmäßig die Gültigkeit des Geschäfts ab dem Zeitpunkt seiner Vornahme wollen.37 Der Vertretene kann das Rechtsgeschäft zudem nur mit dem Inhalt genehmigen, mit dem der Vertreter es vorgenommen hat,38 und zum Inhalt eines Rechtsgeschäfts gehört auch die Bestimmung des Zeitraums, auf den sich seine Wirkungen beziehen sollen.39 36 Zu dem Sonderfall, dass das Vorstandsmitglied als vollmachtloser Vertreter der AG einen Vertrag mit sich selbst im eigenen Namen schließt, vgl. MünchKomm/Spindler (Fn. 11) § 78 Rn. 111; Fischer GS Gruson, S. 151 (152). § 112 AktG ist insoweit die speziellere Norm gegenüber § 181 BGB. 37 Bub in Bamberger/Roth (Fn. 9) § 184 Rn. 1; Staudinger/Gursky (Fn. 9) § 184 Rn. 31. 38 MünchKomm/Schramm (Fn. 9) § 177 Rn. 43 f., § 184 Rn. 10; Palandt/Ellenberger (Fn. 9) Einf. v. § 182 Rn. 4. 39 Schippers DNotZ 1997, 683 (691).

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Das Recht des Vertretenen, einem in seinem Namen abgeschlossenen Rechtsgeschäft nachträglich zuzustimmen, ist von Gesetzes wegen nicht befristet. Die Genehmigung kann daher grundsätzlich zeitlich unbegrenzt ausgesprochen werden.40 Eine Frist für die Genehmigung kann allerdings in dem genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäft vereinbart werden. Der Vertragspartner hat es außerdem in der Hand, die mit dem Schwebezustand verbundene Unsicherheit zu beseitigen, indem er den Vertretenen nach § 177 Abs. 2 BGB zur Genehmigung innerhalb der gesetzlichen Zweiwochenfrist auffordert 41 oder den Vertrag nach § 178 BGB widerruft. 2. Besonderheiten bei Aufhebungsverträgen? In dem eingangs (unter I.) geschilderten Fall, über den das OLG Schleswig zu entscheiden hatte, bedurfte der Aufhebungsvertrag nach § 177 Abs. 1 BGB der Genehmigung durch den Aufsichtsrat, weil der Aufsichtsratsvorsitzende als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hatte. Die Genehmigung wurde auch erteilt. Das OLG Schleswig vertrat jedoch die Auffassung, sie habe nicht ex tunc die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages herbeigeführt. Die Genehmigung sei zu spät erfolgt und habe keine Rückwirkung entfalten können, da der Aufsichtsrat den Beschluss erst zu einer Zeit (26.4.2006) fasste, als das Dienstverhältnis bereits beendet sein sollte (31.3.2006). Dieser Argumentation ist nicht zu folgen. Es besteht keine Veranlassung, von der Grundregel des § 184 Abs. 1 BGB abzuweichen: a) Aus § 184 Abs. 1 Halbs. 2 BGB folgt, dass die Parteien des zustimmungsbedürftigen Geschäfts die Rückwirkung durch Vereinbarung – auch konkludent – ausschließen können.42 Eine solche Vereinbarung liegt jedoch bei einem Aufhebungsvertrag wie dem hier dargestellten nicht vor. Das Ziel der Parteien, den Vertrag zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzuheben, kann allein durch die Anerkennung der Rückwirkung der Genehmigung erreicht werden. Die Rückwirkung ist erforderlich, um den Regelungscharakter des Aufhebungsvertrages zu wahren und dem Parteiwillen Rechnung zu tragen. Die Auffassung des OLG Schleswig hätte die nicht hinnehmbare Konsequenz, dass ein Aufhebungsvertrag, der nach seinem Inhalt sofort wirksam werden soll, nie genehmigt werden könnte, da die Genehmigung immer erst nach dem intendierten Eintritt der Gestaltungswirkung erfolgen könnte. b) Der Bundesgerichtshof schränkt zwar die Rückwirkung nach § 184 Abs. 1 BGB bei fristbezogenen Genehmigungen ein. Zum einen muss, wenn das zu genehmigende Rechtsgeschäft nur innerhalb einer bestimmten Frist vorgenommen werden kann, auch die Genehmigung innerhalb dieser Frist 40 41 42

MünchKomm/Schramm (Fn. 9) § 184 Rn. 7; Staudinger/Gursky (Fn. 9) § 184 Rn. 16. BGH, Urt. v. 25.10.2000 – VIII ZR 326/99, NJW 2001, 365 (366). Bub in Bamberger/Roth (Fn. 9) § 184 Rn. 10.

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erfolgen.43 Zum anderen geht es um Fälle, in denen das zu genehmigende Rechtsgeschäft eine Frist, deren fruchtlosem Ablauf Gestaltungswirkung zukommt, in Lauf setzen soll.44 Bei einem Aufhebungsvertrag ist hingegen die Genehmigungsfähigkeit einer Vereinbarung zu beurteilen, die weder in ihren Voraussetzungen fristgebunden ist noch eine Fristsetzung zum Inhalt hat, sondern unter Umständen erst nach Ablauf einer Frist ihre Rechtswirkungen (die Vertragsaufhebung) entfalten soll. c) Der Ausschluss einer rückwirkenden Genehmigung ergibt sich auch nicht aus dem Gegenstand des zu genehmigenden Geschäfts. Die Aufhebung eines Vertrages stellt ein Verfügungsgeschäft dar, da das Schuldverhältnis im Ganzen und die (zukünftigen) beiderseitigen Ansprüche erlöschen.45 Auch Verfügungsgeschäfte können indes durch Genehmigung rückwirkend wirksam werden.46 Grundsätzlich gilt für einen Aufhebungsvertrag selbst dann nichts anderes, wenn der vereinbarte Zeitpunkt der Vertragsbeendigung überschritten wird, ohne dass bereits die Genehmigung erteilt ist. Während der Fortdauer der Schwebezeit bleiben zwar die Leistungspflichten aus dem aufzuhebenden Vertrag (zunächst) in Kraft. Erfolgt aber später die Genehmigung, wird nach allgemeinem Zivilrecht der Rückwirkung der Genehmigung und dem von den Parteien gewollten Vertragsende durch die Rückgewähr der danach erbrachten Leistungen nach §§ 346 ff. BGB Rechnung getragen.47 Beim weiteren Tätigwerden eines Vorstandsmitglieds für die AG während der Schwebezeit würden stattdessen die Grundsätze über fehlerhafte Anstellungsverhältnisse 48 Anwendung finden. Um das zu vermeiden, liegt es nahe, der Genehmigung keine Rückwirkung beizulegen, wenn (und solange) das Anstellungsverhältnis über den vereinbarten Beendigungszeitpunkt hinaus tatsächlich fortgesetzt wird. Dementsprechend ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag rückwirkend zu dem vereinbarten Termin auflösen können, wenn es bereits außer Vollzug gesetzt worden ist.49 43 Z.B. Ausübung eines fristgebundenen Vorkaufsrechts, BGH, Urt. v. 15.6.1960 – V ZR 191/58, BGHZ 32, 375 (382 f.); Annahme bei Bestimmung einer Annahmefrist, BGH, Urt. v. 13.7.1973 – V ZR 16/73, NJW 1973, 1789 (1790); Kündigung bei Geltung des § 626 Abs. 2 BGB, BAG, Urt. v. 26.3.1986 – 7 AZR 585/84, NJW 1987, 1038 (1039); dazu MünchKomm/Schramm (Fn. 9) § 177 Rn. 45, § 180 Rn. 12. 44 Zur Nachfristsetzung gemäß § 326 BGB a.F. BGH, Urt. v. 29.5.1991 – VIII ZR 214/90, BGHZ 114, 360 (366); Urt. v. 22.10.1999 – V ZR 401/98, BGHZ 143, 41 (46). 45 MünchKomm/Emmerich BGB, 5. Aufl. (2007) § 311 Rn. 34. 46 MünchKomm/Schramm (Fn. 9) § 184 Rn. 15. 47 Vgl. MünchKomm/Emmerich (Fn. 45) § 311 Rn. 34. 48 Dazu BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 (286 ff.). 49 BAG, Urt. v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, ZIP 1999, 320 (323); zur rückwirkenden Genehmigung eines Aufhebungsvertrages nach § 177 BGB BAG, Urt. v. 24.8.2006 – 8 AZR 574/05, NZA 2007, 328 (330).

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Im Fall des OLG Schleswig gab es aufgrund der Freistellung des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds keinen Rückabwicklungsbedarf. Es blieb daher bei der gesetzlichen Folge des § 184 Abs. 1 BGB, dass mit der Genehmigung die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrages ex tunc eintrat.

IV. Zusammenfassung Nach § 112 AktG vertritt der Aufsichtsrat die Aktiengesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern. Wird ohne vorherigen Beschluss des Aufsichtsrats durch einen vollmachtlosen Vertreter mit einem Vorstandsmitglied ein Vertrag (insbesondere über die Begründung, Änderung oder Beendigung des Anstellungsverhältnisses) geschlossen, kann der Aufsichtsrat diesen Vertrag nach § 177 Abs. 1 BGB durch nachträgliche Beschlussfassung genehmigen. Der Genehmigung kommt nach § 184 Abs. 1 BGB Rückwirkung zu. Das gilt für einen Aufhebungsvertrag (jedenfalls bei einem außer Vollzug gesetzten Anstellungsverhältnis) auch dann, wenn die Genehmigung erst nach dem Zeitpunkt erfolgt, in dem nach dem Inhalt des Vertrages die Beendigungswirkung eintreten soll.

Die reformierte Namensaktie Lücken in der Transparenz des Aktienregisters bei Kapuzenaktionären Uwe H. Schneider I. „Wandlungen des Aktienrechts“ Zu den „Wandlungen des Aktienrechts“1 gehören nicht nur die sich fortbildenden normativen Erwartungen und Anforderungen an ein modernes Aktienrecht, sondern auch die Änderungen in der Praxis, sprich des gelebten Rechts. Betrachtet man die Entwicklungen auf diese Weise, so gehört der Siegeszug der Namensaktie zu den wirklich großen „Wandlungen des gelebten Rechts“. Aus § 10 AktG folgt zwar, dass es den Aktionären überlassen ist, ob von einer Aktiengesellschaft Inhaber- oder Namensaktien ausgegeben werden. Üblich waren aber lange Zeit nur Inhaberaktien. Das hat sich geändert. Die Namensaktie hat sich in der Praxis zunehmend durchgesetzt, ohne allerdings die Inhaberaktie vollständig zu verdrängen. Nahezu die Hälfte der DAX 30 – Unternehmen hat inzwischen auf Namensaktien umgestellt. Deutschland folgt damit einer internationalen Entwicklung. Die Gründe sind vielfältig: Zum einen erleichtert die Namensaktie im elektronischen Zeitalter die Kommunikation der Gesellschaft mit den Aktionären.2 Ermöglicht wurde das durch die Implementierung eines elektronischen Austauschs von Aktionärs- und Bestandsdaten zwischen den Depotbanken, dem Zentralverwahrer in Deutschland, nämlich der Clearstream AG und den Aktienregistern. Um die elektronische Kommunikation auch zu ermöglichen, heißt es dazu in § 4 Abs. 2 Satz 3 der Satzung der Siemens AG i.d.F. vom März 2009: „Die Gesellschaft ist berechtigt, den eingetragenen Aktionären mit deren Zustimmung Informationen im Wege der Datenfernübertragung zu übermitteln“. Möglich ist eine solche Übermittlung nur, wenn man die Namen der Aktionäre und auch ihre Emailanschrift kennt. Das ist aber nur die eine Seite.

1 So der Titel der eindrucksvollen Antrittsvorlesung von Habersack, abgedr. in AG 2009, 1. 2 Noack, DB 1999, 1306; Noack, DB 2001, 27; zuletzt Noack, NZG 2008, 721.

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Zum anderen haben nicht nur überfallmäßig organisierte Beteiligungskäufe und spektakuläre Übernahmen sondern auch „neue Investoren“, die gemeinhin als Hedge Fonds bezeichnet werden, den Blick dafür geschärft, wie bedeutsam es für die Gesellschaften ist, ihre Aktionäre zu kennen. Die gesellschaftsrechtlichen und die kapitalmarktrechtlichen Offenlegungspflichten reichen dafür nicht aus; denn die Schwellen für die kapitalmarktrechtlichen Offenlegungspflichten liegen reichlich hoch. Zudem zeigt die Erfahrung, dass die Berater der Aufkäufer trotz aller Bemühungen des Gesetzgebers immer wieder neue Möglichkeiten finden, um die kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten zu vermeiden. Exemplarisch waren die Vorgänge schon kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes am 18. August 2008. Das Ziel des Gesetzes war es, mehr Transparenz zur Schaffung einer ausreichenden Informationsbasis für die Akteure in den Markt zu bringen. Und Ziel des Gesetzes war es, die Umgehungs- und Vermeidungsstrategien der Aufkäufer in den Griff zu bekommen. Das misslang aber. Der Gesetzgeber wurde an der Nase herumgeführt. Nur wenige Tage nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften frohlockte Schaeffler gegenüber der Öffentlichkeit mit dem Hinweis, es sei gelungen, Zugriff auf rund 36 Prozent der Aktien an Continental zu bekommen 3. An anderer Stelle 4 wurde bereits gezeigt, dass dieser Vorgang meldepflichtig war. Die BaFin ist dem jedoch nicht gefolgt. Unabhängig davon weiß jeder Kenner der Szene, dass die Praxis andere Vermeidungsstrategien kennt, bereithält und bei Gelegenheit zur Anwendung bringt. Da ist die Einführung von Namensaktien eine weitere Möglichkeit, um frühzeitig das Anschleichen von Aufkäufern aufzudecken – jedenfalls für die Gesellschaft.

II. Die Fragestellung Wer freilich glaubte, Gesellschaften mit Namensaktien seien allein schon aufgrund der Eintragungen im Aktienregister in vollem Umfang über die Identität ihrer Aktionäre und die Höhe ihrer Beteiligungen unterrichtet, hatte sich geirrt. Nicht wenige Aktionäre ließen sich nämlich in das Aktienregister nicht eintragen. Und häufig kam es vor, dass ausländischen Aktionären von ihren Depotbanken keine Möglichkeit angeboten wurde, sich in das Aktienregister eintragen zu lassen. Vielmehr wurden an deren Stelle die in der Verwahrkette an oberster Stelle stehenden – meist internationalen – Verwahrbanken eingetragen. Aufgrund des hohen Anteils ausländischer 3

Siehe dazu bei Habersack, AG 2008, 817. Die Einzelheiten sind streitig. S. Uwe H. Schneider/Brouwer, AG 2008, 557, 562; Schanz, DB 2008, 1899; Weber/Meckbach, BB 2008, 2022; aA Fleischer/Schmolke, ZIP 2008, 1501; s. zuletzt auch Baums/Sauter, ZHR 173 (2009), 454. 4

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Aktionäre, zumindest bei den DAX-Gesellschaften, war jedenfalls in der Zeit vor Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes deutlich über 50 Prozent, bei einigen Gesellschaften zwischen 70 und 80 Prozent, des jeweiligen Grundkapitals auf den Namen von Depotbanken im Aktienregister verbucht. Die Folge war, dass für den Vorstand und den Aufsichtsrat der Gesellschaft nicht erkennbar war, wer sich im Hintergrund als der wahre Aktionär verbarg. Das widersprach aber dem Sinn und Zweck des Aktienregisters. Anzunehmen ist, dass es auch dem Willen der Aktionäre widersprach. Es widersprach, allgemein formuliert, der gewünschten Transparenz. Im Blick hierauf wurden durch das Risikobegrenzungsgesetz 5 die einschlägigen Bestimmungen im Aktiengesetz geändert. Zugleich wurde den Gesellschaften ermöglicht, bestimmte damit zusammenhängende Fragen in der Satzung zu regeln. Im Folgenden sollen die durch das Risikobegrenzungsgesetz vorgenommenen Änderungen auf den Prüfstand gestellt, beleuchtet und daraufhin untersucht werden, ob Lücken in der Transparenz verblieben sind. Zugleich ist über erste Erfahrungen in der Praxis mit den einschlägigen Satzungsgestaltungen zu berichten und diese sind zu analysieren. Der Beitrag knüpft damit an eine schon früher vorgelegte Untersuchung 6 an. Gewidmet sind diese Überlegungen Klaus Hopt, der sich mit besonderem Engagement für die Entwicklung des Aktien- und Kapitalmarktrechts eingesetzt hat, dem Transparenz im Kapitalmarkt ein besonderes Anliegen ist und der wie kein anderer die deutsche Rechtswissenschaft in der internationalen Diskussion vertreten hat und vertritt.

III. Die Rechtslage vor den Änderungen des Aktiengesetzes durch das Risikobegrenzungsgesetz 1. Keine Eintragungspflicht des Inhabers der Aktien Namensaktien sind nach § 67 Abs. 1 Satz 1 AktG unter Angabe des Namens, Geburtsdatums und der Adresse des Inhabers sowie der Stückzahl oder der Aktiennummer in das Aktienregister der Gesellschaft einzutragen. Inhaber der Aktie ist, wem die Aktie „gehört“. Wie das zu verstehen ist, wem die Aktien „gehören“, bleibt hier noch offen; denn verstehen kann man dies als den zivilrechtlichen Eigentümer der Aktie oder als denjenigen, dem wirtschaftlich die Beteiligungsrechte zustehen. An dieser Stelle ist entscheidend: Im Verhältnis zur Gesellschaft gilt als Aktionär nur, wer im Aktienregister eingetragen ist. Mitgliedschaftsrechte kann somit nur derjenige wahrnehmen, 5 6

V. 12.8.2008, BGBl. I S. 1666. Uwe H. Schneider/Müller-von Pilchau, AG 2007, 181.

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der als Aktionär im Aktienregister verzeichnet ist. Also ist der wahre Aktionär, der versäumt hat, sich eintragen zu lassen oder für den an seiner Stelle ein anderer eingetragen ist, unmittelbar weder stimm- noch dividendenberechtigt. Das bedeutete jedoch nicht, dass das Aktienregister der Gesellschaft vor den Änderungen durch das Risikobegrenzungsgesetz die „sichere Identifikation des Aktionärs“ 7 ermöglichte und insbesondere darüber informierte, ob der Registeraktionär auch der wahre Aktionär war. Dafür gab es zwei Gründe. Der Inhaber der Aktie war zum einen nicht verpflichtet, dem Aktienregister die notwendigen Angaben zur Eintragung ins Aktienregister zu übermitteln. Für den Inhaber der Namensaktie bestand kein Eintragungszwang.8 2. Eintragungsfähige Personen anstelle des wahren Aktionärs Hinzu kam ein weiterer Grund. Es konnten nämlich zum anderen vor Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes auch Personen ins Aktienregister aufgenommen werden, die nicht der wahre Aktionär – oder wie es in der Begründung zum Risikobegrenzungsgesetz heißt, die nicht der „eigentliche Aktieninhaber“ 9 waren. Eintragungsfähig waren nämlich auch erstens ein Legitimationsaktionär, zweitens auf Verlangen der Gesellschaft ein depotführendes Institut und drittens ein Vollrechtstreuhänder. Viertens war es Praxis, dass Publikums- und Spezialfonds anstelle der Miteigentümer eingetragen wurden. a) Legitimationsaktionär ist derjenige, der vom Aktionär ermächtigt wird, die Stimmrechte im eigenen Namen auszuüben, § 129 Abs. 3 AktG. Eingetragen wurde ein solcher Legitimationsaktionär unter seinem Namen. Seine Eintragungsfähigkeit folgte aus § 129 Abs. 3 Satz 2 AktG und aus § 135 Abs. 7 AktG a.F. b) Die Eintragungsfähigkeit von depotführenden Banken folgte aus § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG a.F. Gemeint sind bei einer Verwahrkette die ersten für den Inhaber der Aktie tätigen Banken. Zur Ausübung des Stimmrechts sind sie nur mit entsprechender Ermächtigung ihres Depotkunden befugt. Ohne eine solche Ermächtigung nehmen die depotführenden Banken lediglich die Stelle eines „Platzhalters“ für Namensaktien im Aktienregister ein. Dies hatte wenig erfreuliche Folgen. Für den Auslandsbesitz charakteristisch ist die Mehrstufigkeit der Verwahrkette. Damit einher geht die fehlende Bereitschaft der Depotbanken in der Verwahrkette, ihre Depotkunden zur Eintragung in die jeweiligen Aktienregister zu bringen. Verbunden war dies mit der fehlenden Eintragungspflicht des wahren Aktionärs. Dies hatte 7

So aber: BegRegE NaStraG, BT-Drucks. 14/4051, S. 10. H.M. Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 67 Rz. 11; Uwe H. Schneider/Müller-von Pilchau, AG 2007, 181, 184. 9 BegrRegE Risikobegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 16/7438, S. 14. 8

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zur Folge, dass insbesondere für ausländische Aktionäre nur die Depotbanken und Verwahrer, die in der Verwahrkette an erster Stelle standen, in die Aktienregister eingetragen wurden. c) Und schließlich waren eintragungsfähig auch Vollrechtstreuhänder, die zwar die Stellung eines Aktionärs haben, die aber Aktien schuldrechtlich für Rechung eines Dritten halten. d) Bei Investmentvermögen sind zwar – je nach Konstruktion des Fonds – die Investoren Miteigentümer der in Frage stehenden Gegenstände, also gegebenenfalls Miteigentümer der Aktien. Also müsste nach der allgemeinen Regel jeder Miteigentümer eingetragen werden. Die Praxis folgte dem aus Gründen der Praktikabilität allerdings nicht. Vielmehr wurden die einzelnen Fonds unter Hinweis auf § 69 Abs. 1 AktG eingetragen. Kritisch diskutiert wurde dies nicht; denn § 69 Abs. 1 AktG hat andere Fälle im Blick. Nur nach einem methodischen Kraftakt könnte man die Ansicht vertreten, dass der Rechtsgedanke des § 69 Abs. 1 AktG nicht nur ermöglicht und verlangt, dass mehrere Berechtigte die Rechte nur durch einen gemeinsamen Vertreter ausüben müssen, sondern, dass auch der gemeinsame Vertreter einzutragen ist. e) Und schließlich sind eintragungsfähig Vollrechtstreuhänder, die die Stellung eines Aktionärs haben. 3. Keine Offenlegung bei Mitteilungen und kein Auskunftsrecht Die Eintragung der Aktionäre erfolgt auf Mitteilung des Inhabers der Aktien. Der Inhaber musste bisher aber nicht offen legen, ob er selbst Mitglied der Gesellschaft war und ob er die Aktien auf eigene oder auf fremde Rechnung hielt. Das Gesetz kannte auch kein Auskunftsrecht der Gesellschaft gegenüber dem Registeraktionär, ob die Aktien ihm gehörten und ob er die Aktien auf eigene Rechnung hielt. 4. Zwischenergebnis Das Ergebnis war ganz und gar unbefriedigend. Mit viel Mühe und Kosten wurde zwar ein Aktienregister geführt. Auch wurde in der Regel von der Depotbank, die sich als Registeraktionär anstelle des Aktieninhabers eintragen ließ, der Gesellschaft mitgeteilt, dass es sich um Fremdbesitz handelt. Dies geschah deshalb, weil im Rahmen des elektronischen Datenaustauschs zwischen Depotbanken und Aktienregistern über Clearstream, die Angabe, ob es sich um Fremdbesitz handelt, eine Pflichtangabe ist. Einen aktienrechtlichen Anspruch auf diese zur Aktienregisterführung notwendige Mitteilung, ob die zur Eintragung gemeldeten Aktien für fremde Rechnung gehalten werden, hatte aber die Gesellschaft nicht. Auch vom Aktieninhaber, also dem wahren Aktionär, erhielt sie diese Information nicht. Als nicht eingetragener Aktionär hatte dieser ohnehin kein Recht auf Einsicht in das Aktienregister.

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IV. Die Rechtslage nach den Änderungen des Aktiengesetzes durch das Risikobegrenzungsgesetz Diese Lücken in der Transparenz des Aktienregisters sollten durch das Risikobegrenzungsgesetz geschlossen werden. Dazu wurde das Aktiengesetz in mehrfacher Weise geändert. 1. Eintragungspflicht des Inhabers der Aktien Die erste Änderung bezieht sich auf die Eintragungspflicht des Inhabers der Aktien. Hatte der Inhaber der Aktien bisher die Möglichkeit, auf die Mitteilung von der Übertragung der Aktie an die Gesellschaft zu verzichten, so sieht § 67 Abs. 1 Satz 2 AktG nunmehr vor, dass der Inhaber der Aktie verpflichtet ist, der Gesellschaft den Namen, das Geburtsdatum, die Adresse des Inhabers sowie die Stückzahl oder die Aktiennummer der Gesellschaft mitzuteilen. Um dies umzusetzen, sind nach § 67 Abs. 4 Satz 1 AktG die Kreditinstitute, die bei der Übertragung oder Verwahrung von Namensaktien mitwirken, verpflichtet, der Gesellschaft die für die Führung des Registers erforderlichen Angaben zu machen. Diese Mitteilungspflicht soll es der Gesellschaft unter anderem ermöglichen, ihr noch näher darzustellendes Recht auf Auskunft geltend zu machen. Es handelt sich dabei um einen gesetzlichen Anspruch der Gesellschaft gegenüber den depotführenden Kreditinstituten,10 unabhängig davon, ob die Gesellschaft eine vertragliche Beziehung zu dem betreffenden Institut hat oder nicht. In der Regel fehlt es an einer solchen vertraglichen Bindung. Ungeklärt ist, ob ein solcher Anspruch auch gegenüber Kreditinstituten mit Sitz im Ausland besteht. 2. Eintragungsfähige Personen anstelle des wahren Aktionärs An dem Umstand, dass auch Personen eintragungsfähig sind, obgleich die Aktien einem anderen gehören oder die Aktien von ihnen auf Rechnung eines Dritten gehalten werden, hat sich durch das Risikobegrenzungsgesetz nichts geändert. Eintragungsfähig sind daher weiterhin bestimmte „Kapuzenaktionäre“ nämlich Vollrechtstreuhänder, Legitimationsaktionäre und – auf Verlangen der Gesellschaft – depotführende Kreditinstitute, § 67 Abs. 4 Satz 5 AktG. Einen Anspruch auf Eintragung haben allerdings nur Vollrechtstreuhänder und Legitimationsaktionäre. Hinzu kam abweichend vom Regelfall die Möglichkeit der Eintragung einer Verwaltungsgesellschaft eines Investmentvermögens. Das gilt aber nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen. Im Einzelnen ist vielmehr zu unterscheiden. 10 Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 67 Rz. 27; Lutter/Drygala in KölnerKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 67 Rz. 109; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 67 Rz. 21.

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a) Investmentvermögen mit natürlichen Personen als Anleger § 67 Abs. 1 Satz 4 AktG unterscheidet zwei Fälle. Zum einen geht es um Aktien, die zu einem Investmentvermögen gehören, dessen Anteile nicht ausschließlich von Anlegern gehalten werden, die nicht natürliche Personen sind. Positiv formuliert heißt das, dass mindestens einer der Anleger eine natürliche Person ist. Das können Publikums-Sondervermögen sein, und zwar im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 2 InvG. Zum anderen geht es um Aktien, die zu einem Investmentvermögen gehören, dessen Anteile ausschließlich von Anlegern gehalten werden, die nicht natürliche Personen sind. Dabei handelt es sich in der Regel um Spezial-Sondervermögen. Das sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 InvG solche Sondervermögen, deren Anteile aufgrund schriftlicher Vereinbarungen mit der Kapitalanlagegesellschaft ausschließlich von Anlegern gehalten werden, die nicht natürliche Personen sind. Geregelt wird in § 67 Abs. 1 Satz 4 AktG nur der erste Fall. Und dabei ist wiederum zu unterscheiden. Einzutragen ist hiernach das rechtlich verselbständigte Investmentvermögen, also die Investmentaktiengesellschaft. Ist das Investmentvermögen dagegen nicht rechtlich verselbständigt, d.h. es handelt sich um ein Sondervermögen, so ist die Verwaltungsgesellschaft (= Kapitalanlagegesellschaft) einzutragen. Dies gilt unabhängig davon, ob in den Vertragsbedingungen die Treuhandlösung oder die Miteigentumslösung festgelegt ist. Und es gilt unabhängig von etwaigen Regelungen in der Satzung der Aktiengesellschaft. Die Aktien der Fondsinhaber „gelten“ nämlich in diesem Fall als Aktien der Verwaltungsgesellschaft. Das macht auch Sinn; denn die Verwaltungsgesellschaft kennt die Anteilsinhaber ganz oder zumindest zum Teil nicht; denn die Anteilsscheine können rechtsgeschäftlich oder von Todes wegen auf einen neuen Inhaber übergegangen sein, ohne dass dies notwendigerweise der Verwaltungsgesellschaft mitgeteilt wurde. b) Investmentvermögen ohne natürliche Personen als Anleger Werden dagegen die Anteile nur von Anlegern gehalten, die nicht natürliche Personen sind, gelten die allgemeinen Regeln. § 67 Abs. 1 Satz 4 AktG regelt diesen Fall nicht. Das bedeutet: Ist das Sondervermögen rechtlich verselbständigt, so ist dieses Sondervermögen einzutragen. Ist es aber nicht rechtlich verselbständigt und sind alle Miteigentümer juristische Personen, handelt es sich entweder um ein Spezial-Sondervermögen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 InvG oder um ein Publikums-Sondervermögen, an dem nur juristische Personen beteiligt sind. In diesem Fall ist nicht die Verwaltungsgesellschaft zu registrieren. Vielmehr sind alle Miteigentümer einzutragen.11

11 Ebenso Lutter/Drygala in KölnerKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 67 Rz. 28; aA zum alten Recht Bayer in MünchKomm. AktG, 3 Aufl. 2008, § 67 Rz. 23.

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Die Eintragung des Fonds anstelle der Miteigentümer, was wohl die Praxis zu sein scheint, ersetzt dies nicht. Nachzudenken ist, was dies für Folgen hat. Dem wird an anderer Stelle nachgegangen. Der Ansicht, dass unter den gegebenen Voraussetzungen die Miteigentümer ins Aktienregister einzutragen sind, könnte man entgegenhalten, dass auch in diesem Fall die Verwaltungsgesellschaft die Anleger u.U. gar nicht kennt. Das ist aber für den wichtigsten Fall nicht zutreffend. Handelt es sich nämlich um einen Spezialfonds, so hat die Kapitalanlagegesellschaft nach § 92 InvG in einer schriftlichen Vereinbarung mit den Anlegern sicherzustellen, dass die Anteile nur mit Zustimmung der Kapitalanlagegesellschaft von den Anlegern übertragen werden dürfen. Problematisch ist die Lage allein bei einem Publikumsfonds, an dem nur juristische Personen beteiligt sind. In diesem Ausnahmefall kann es ausnahmsweise vorkommen, dass die Verwaltungsgesellschaft nicht alle Anteilsinhaber kennt. Dann muss sie um dem Eintragungserfordernis gerecht zu werden, sich um die entsprechenden Informationen kümmern. Diese unterschiedlichen Regeln zur Eintragung von Investmentvermögen werden in der Lehre 12 begrüßt. Insbesondere die Eintragung der Verwaltungsgesellschaft, wenn das Investmentvermögen über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, sei „sehr vernünftig“. Das überzeugt ganz und gar nicht, denn es eröffnet Umgehungspraktiken mit dem Ziel, den wahren Aktionär zu verbergen, Tür und Tor. Durch die bloße Aufnahme einer natürlichen Person in einen Fonds können sich nämlich die Miteigentümer hinter der Eintragung der Verwaltungsgesellschaft verbergen. Und ob wenigstens auf Nachfrage offenzulegen ist, ist streitig. Dem wird entgegen gehalten, eine solche Vorgehensweise etwa eines einzelnen anschleichenden Anlegers entspräche nicht der Praxis. Das mag zutreffen. Doch kann sich dies jederzeit ändern, wenn an anderer Stelle die Transparenzlöcher gestopft werden z.B. ausdrücklich geregelt wird, dass Cash Settled Equity Swaps zwingend aufgrund der §§ 21 ff. WpHG zur Offenlegung führen.13 3. Satzungsmäßige Schwellenwerte für die Eintragung von Legitimationsaktionären und Depotbanken In der Regel, soll heißen, wenn in der Satzung nichts anderes vorgesehen ist, können Legitimationsaktionäre und depotführende Banken auch weiterhin in unbegrenztem Umfang ins Aktienregister aufgenommen werden. (1) Durch eine Ergänzung von § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG wurde aber vorgesehen, dass in der Satzung einer Gesellschaft, die Namensaktien ausgegeben hat, geregelt werden kann, dass die Eintragung „im eigenen Namen für 12 13

Lutter/Drygala in KölnerKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 67 Rz. 28. Zum Stand der Diskussion siehe Uwe H. Schneider/Anzinger, ZIP 2009, 1.

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Aktien, die einem anderen gehören“ nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein soll. Das bezieht sich – und darüber besteht Einigkeit – zunächst einmal auf Legitimationsaktionäre und Depotbanken. Die Frage, ob satzungsmäßige Eintragungsbegrenzungen auch für Vollrechtstreuhänder und Verwaltungsgesellschaften von Investmentvermögen zulässig sind, wird zunächst noch zurückgestellt.14 Für Legitimationsaktionäre und Depotbanken sind jedenfalls entsprechende Satzungsbestimmungen sowohl bei börsennotierten als auch bei nicht börsennotierten Gesellschaften möglich. (2) In Betracht kommt hiernach eine Satzungsregelung, dass ein Legitimationsaktionär oder eine Depotbank nur bis zu einer bestimmten Höhe eintragungsfähig sind.15 Das folgt aus § 67 Abs. 2 Satz 2 AktG („satzungsmäßige Höchstgrenze“). Erfahrungen hat man mit solchen Satzungsgestaltungen in der Schweiz. So findet sich etwa in Art. 5 Abs. 3 der Statuten der Novartis AG Basel, i.d.F. v. 24. Februar 2009 folgende Bestimmung: „Der Verwaltungsrat kann Nominees bis maximal 0,5 Prozent des im Handelsregister eingetragenen Namenaktienkapitals mit Stimmrecht im Aktienbuch eintragen. Über diese Limite hinaus kann er Namenaktien von Nominees mit Stimmrecht im Aktienbuch eintragen, sofern der betreffende Nominee die Namen, Adressen und Aktienbestände derjenigen Personen bekannt gibt, für deren Rechnung er 0,5 Prozent oder mehr des im Handelsregister eingetragenen Namenaktienkapital hält. Als Nominees im Sinne dieser Bestimmung gelten Personen, die im Eintragungsgesuch nicht ausdrücklich erklären, die Aktien für eigene Rechnung zu halten und mit denen der Verwaltungsrat eine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen hat.“ Die Satzungsgestaltung verpflichtet die Gesellschaft, die Aktionäre zu befragen und im Zweifel der Frage nachzugehen, ob der Aktionär die Aktie auf eigene oder fremde Rechnung hält. Sie bewirkt, dass der Aktionär im eigenen Interesse Auskunft gibt; denn andernfalls wird er nicht eingetragen. Zugleich wird auf diese Weise die Eintragungsbeschränkung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 ergänzt; denn hiernach kann keine Person für mehr als 2 Prozent des im Handelsregister eingetragenen Namenaktienkapitals mit Stimmrecht eingetragen werden. Vorgesehen ist damit eine im Schweizer Recht zulässige Stimmrechtsbeschränkung. Auch in Deutschland finden sich bereits entsprechende Gestaltungen. Dabei wird im Interesse der Praktikabilität nach dem Umfang der Beteiligung unterschieden. So heißt es jetzt in § 3a der Satzung der Allianz SE: „Die Eintragung in das Aktienregister im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören, ist zulässig unter folgenden Voraussetzungen: – bei einer Eintragung bis zu 0,2 Prozent des satzungsmäßigen Grundkapitals je Eingetragenem ohne Weiteres;

14 15

Siehe dazu unten unter III. 4. und 5. So BegRegE RisikobegrenzungsG, BT-Drucks. 16/7438, S. 13.

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– bei einer Eintragung von mehr als 0,2 Prozent des satzungsmäßigen Grundkapitals bis einschließlich 3 Prozent des satzungsmäßigen Grundkapitals je Eingetragenem ist für den 0,2 Prozent des satzungsmäßigen Grundkapitals übersteigenden Teil der Aktien die Eintragung zulässig, soweit der Gesellschaft gegenüber die Daten gem. § 67 Abs. 1 Satz 1 AktG für diejenigen Personen offengelegt werden, für die der Eingetragene jeweils mehr als 0,2 Prozent des satzungsmäßigen Grundkapitals hält; – die Eintragung ist höchstens bis zu einer Höchstgrenze von 3 Prozent des satzungsmäßigen Grundkapitals je Eingetragenem zulässig. Einen anderen Weg geht die „MünchenerRück“. Dort heißt es in der Satzung: „Solange und soweit die Eintragung eines Aktionärs im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören, die Höchstgrenze von 2 Prozent des satzungsmäßigen Grundkapitals überschreiten, bestehen aus der Eintragung keine Stimmrechte.“ Teilweise wird die Ansicht vertreten, solche Satzungsbestimmungen hätten keine Bedeutung;16 denn der Vorstand könne die Eintragung eines Legitimationsaktionärs auch ohne entsprechende Satzungsbestimmungen verweigern; denn er könne von der Eintragung absehen, wenn der Mitteilende sich weigere, Auskunft darüber zu geben, auf wessen Rechnung er die Aktien halte. Dem ist entgegen zu halten, dass bei Überschreiten eines Schwellenwertes die Eintragung auch dann verweigert werden kann, wenn der Mitteilende Auskunft gibt. Und die kluge Satzungsregelung der MünchenerRück hat die Folge, dass das Stimmrecht auch dann entfällt, wenn der Registeraktionär verschwiegen hat, dass die Aktie einem anderen gehört. (3) Streitig ist, ob in der Satzung auch vorgesehen werden kann, dass Legitimationsaktionäre und Depotbanken überhaupt nicht eintragungsfähig sind.17 Entgegen einer an anderer Stelle vertretenen Ansicht 18 widerspricht dies nicht Art. 13 Abs. 2 der EU-Aktionärsrechterichtlinie.19 Art. 13 Abs. 2 der EU-Aktionärsrechterichtlinie verbietet nur weitergehende Publizitätsanforderungen für den Klienten, also den Registeraktionär, der für Rechnung eines Dritten tätig wird. Unzulässig ist aber nicht, die Eintragung von Legitimationsaktionären auszuschließen. Gegen entsprechende Satzungsbestimmungen bestehen daher keine Bedenken. Sie sind vom Wortlaut, der Entstehungsgeschichte der Norm und dem Sinn des § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG gedeckt.

16

Noack, NZG 2008, 721, 722. Für Zulässigkeit: BegRegE RisikobegrenzungsG, BT-Drucks. 16/7438, S. 14; Noack, NZG 2008, 721. 18 Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Handelsrechtsausschuss vom Dezember 2007 zum Risikobegrenzungsgesetz, S. 14, abrufbar unter: www.anwaltverein.de. 19 Richtlinie 2007/36/EG v. 11.07.07, ABl. Nr. L 184, S. 17. 17

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4. Fonds und Verwaltungsgesellschaften Bedenkt man, dass bei Investmentvermögen die Eintragung einer Verwaltungsgesellschaft ausreichend sein soll, und zwar unabhängig davon, wie viele Aktien sich in dem Investmentvermögen befinden, vorausgesetzt dass mindestens eine natürliche Person beteiligt ist, so würde man erwarten, dass in der Satzung eine Eintragungsbeschränkung vorgesehen werden kann. Das aber wird angezweifelt; denn eintragungsbeschränkende Satzungsbestimmungen sollen nach § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG nur zulässig sein für „Eintragungen im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören“. Unter den genannten Voraussetzungen gelten aber, so wird vorgetragen, die Aktien des Investmentvermögens als Aktien der Verwaltungsgesellschaft.20 Es liege somit angesichts dieser Fiktion kein Fall vor, dass die Aktien einem anderen gehören. Das überzeugt nicht; denn eine einschränkende Auslegung von § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG widerspricht dem Sinn und Zweck solcher Satzungsbestimmungen. Die Aktien gehören zum Investmentvermögen. Nur im Blick auf die Eintragung gelten sie als Aktien der Verwaltungsgesellschaft. Damit sollen aber eintragungsbeschränkende Satzungsbestimmungen nicht ausgeschlossen werden. Das Gegenteil ist der Fall. In der Satzung kann vorgesehen werden, dass die Eintragung von Verwaltungsgesellschaften eines Investmentvermögens ausgeschlossen oder begrenzt sein soll. 5. Satzungsmäßige Schwellenwerte für die Eintragung von Treuhandaktionären? Art. 685b Abs. 3 und § 685 Abs. 2 des schweizerischen Obligationenrechts sehen ausdrücklich vor, dass schweizerische Aktiengesellschaften die Eintragung ins Aktienbuch verweigern können, wenn der Erwerber auf Verlangen der Gesellschaft nicht ausdrücklich erklärt, dass er die Aktien im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erworben hat und hält. Hierauf beruhen die bereits zitierten Bestimmungen in den Statuten der Novartis AG. Sie handeln von Nominees, die ihre Aktien nicht auf eigene Rechnung halten. Als „Nominees“ werden dabei Personen definiert, die im Eintragungsgesuch nicht ausdrücklich erklären, die Aktien für eigene Rechnung zu halten. Für Rechnung gehalten sind hiernach auch Aktien, die aufgrund einer schuldrechtlichen Vereinbarung im eigenen Namen auf fremde Rechnung gehalten werden. Erfasst werden demnach von den Eintragungsbeschränkungen der Novartis AG auch Vollrechtstreuhänder. Ob solche Satzungsbestimmungen für Vollrechtstreuhänder auch nach deutschem Recht zulässig sind, ist demgegenüber zweifelhaft; denn § 67 Abs. 1 20

So Lutter/Drygala in KölnerKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 67 Rz. 28.

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Satz 3 AktG bezieht sich dem Wortlaut nach auf „Eintragungen im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören“. Beim Vollrechtstreuhänder erfolgt demgegenüber die Eintragung auf den Namen des Treuhänders. Die Frage ist, ob sie einem anderen „gehören“. Der Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins 21 hat im Blick auf diese Zweifel vorgeschlagen klarzustellen, dass auch Vollrechtstreuhänder zur Offenlegung verpflichtet werden können. In der Begründung zur Änderung des § 67 heißt es demgegenüber: „Treuhandverhältnisse oder andere schuldrechtliche Vereinbarungen, die derjenige, dem die Aktien „gehören“, zu Dritten unterhält, sind von der Vorschrift nicht erfasst“. Das würde bedeuten, dass Vollrechtstreuhänder ohne Möglichkeit einer satzungsmäßigen Höchstgrenze eintragungsfähig sind. Überzeugend ist das Ergebnis nicht; denn damit sind Vermeidungsstrategien möglich, der Sinn und Zweck von Namensaktien wird unterlaufen. 6. Die Offenlegung gegenüber der Gesellschaft Vom Auskunftsrecht der Gesellschaft ist die Offenlegungspflicht des Inhabers der Aktien zu unterscheiden, wenn die Gesellschaft nicht nachgefragt hat. Das schweizerische Recht ermöglicht der Gesellschaft die Eintragung des Erwerbers von Aktien, solange zu verweigern, bis der Aktionär ausdrücklich erklärt hat, dass er die Aktien im eigenen Namen und für eigene Rechnung hält. Die Folge ist, dass der Aktionär, solange er sich nicht erklärt hat, bei nicht börsennotierten Aktien nicht eingetragen wird und deshalb weder sein Stimmrecht noch sein Gewinnbezugsrecht noch sonstige Rechte geltend machen kann. Bei börsennotierten Aktien wird ein solcher von der Gesellschaft (noch) nicht anerkannter Erwerber zwar als Aktionär ohne Stimmrecht in das Aktienregister eingetragen. Bei der Ausübung der übrigen Aktionärsrechte ist der Erwerber aber nicht eingeschränkt. Demgegenüber war bislang zum deutschen Recht wohl h.M. – jedenfalls soweit die Frage überhaupt diskutiert wurde – dass die Gesellschaft von einem Aktionär, der im Aktienregister eingetragen werden wollte oder eingetragen war, nicht verlangen konnte, zu erklären, ob er die Aktien auf eigene oder fremde Rechnung hielt und wer gegebenenfalls der wahre Aktionär ist. Das hat sich geändert. Durch das Risikobegrenzungsgesetz wurde nunmehr § 67 AktG ergänzt. Dabei ist zwischen der Offenlegung im Rahmen der Mitteilung und der nachträglichen Pflicht zur Auskunft zu unterscheiden. Im Einzelnen: Der Registeraktionär muss im Rahmen der Mitteilung nicht ungefragt offen legen, ob er die Aktien im eigenen oder fremden Namen hält. Eine solche Offenlegungspflicht, also eine Offenlegung auch ohne Verlangen 21 Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Handelsrechtsausschuss vom Dezember 2007 zum Risikobegrenzungsgesetz, S. 12, abrufbar unter: www.anwaltverein.de.; vgl. auch Gätsch in: Festschrift für Volker Beuthin, München 2009, S. 133, 138.

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der Gesellschaft, kann aber in der Satzung verankert werden. Das folgt aus § 67 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. AktG, eine Regelung, die von einer satzungsmäßigen Pflicht zur Offenlegung spricht für den Fall, dass die Aktien einem anderen gehören. So lautet z.B. § 3 Abs. 3 der Satzung der MünchenerRück: „Die Inhaber der Aktien sind verpflichtet, der Gesellschaft die für die Aktienregistereintragung gesetzlich geforderten Angaben mitzuteilen. Mitzuteilen ist ferner, in wieweit die Aktien demjenigen, der als Inhaber im Aktienregister eingetragen werden soll, auch gehören …“ Unabhängig hiervon hat der Emittent ein Auskunftsrecht. Der Eingetragene hat auf Verlangen der Gesellschaft dieser mitzuteilen, inwieweit ihm die Aktien, als deren Inhaber er im Aktienregister eingetragen ist, auch gehören, § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG. Ob die Gesellschaft von diesem Recht auf Auskunft Gebrauch macht, steht in ihrem Ermessen. Das ist aber anders, sie muss ihr Auskunftsrecht ausüben, wenn satzungsmäßige Eintragungsbeschränkungen in Gefahr stehen, verletzt zu werden. Zugleich wiederholt sich die Frage, für welche Registeraktionäre eine satzungsmäßige Offenlegungspflicht vorgesehen werden kann und gegen welche Registeraktionäre ein solches Auskunftsrecht besteht. Betrifft dies nur Legitimationsaktionäre und depotführende Banken oder betrifft dies auch Vollrechtstreuhänder und Verwaltungsgesellschaften von Investmentvermögen? Folgt man der zuvor vertretenen Ansicht, muss grundsätzlich auch die Verwaltungsgesellschaft eines Investmentvermögens, das über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, die Anleger benennen. Schon oben war darauf hingewiesen worden, dass die Fiktion des § 67 Abs. 1 Satz 4 AktG nur für die Eintragung gilt. Das Auskunftsrecht soll aber nicht ausgeschlossen werden. Eine andere Auslegung widerspräche dem Sinn und Zweck des Auskunftsrechts. Nur für Vollrechtstreuhänder besteht kein entsprechender Anspruch. Und was gilt wenn sich nach der Eintragung die Zuordnung der Aktien geändert hat? Hat ein Kreditinstitut zunächst Aktien auf eigene Rechnung gehalten, hat sich dies aber in der Folge geändert, hält es die Aktien auf fremde Rechnung, so muss dies der Eingetragene der Gesellschaft nicht ausdrücklich mitteilen; denn er muss nur nach Geltendmachung des Auskunftsrecht offen legen, ob er die Aktien auf eigene Rechnung hält. Hat allerdings der Eingetragene bereits Auskunft gegeben, so hat er diese in der Folge zu berichtigen. Das gilt zumal dann, wenn eine Satzungsregelung besteht, die eine Auskunftspflicht auch bei nachträglicher Änderung der Zuordnung eines Aktienbesitzes vorsieht. 7. Die Offenlegung in der Verwahrkette In der Praxis zeigt sich allerdings, dass die Verwahrung vielfach in einer Kette von verbundenen Verwahrern erfolgt. Der Registeraktionär kann in diesem Fall unter Umständen aus tatsächlichen Gründen nur den ersten Ver-

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wahrer nennen, also den Verwahrer, mit dem er unmittelbar verbunden ist. Er ist aber jedenfalls zunächst nicht in der Lage, die gesamte Verwahrkette offen zu legen. Dieses Problem soll die etwas obskure Vorschrift in § 67 Abs. 4 Satz 3 AktG lösen, dass nämlich der Auskunftsanspruch entsprechend für denjenigen gilt, „dessen Daten nach Satz 2 oder diesem Satz übermittelt werden“. Gemeint ist wohl, dass der Registeraktionär auch die Stellen zu nennen hat, die in der Verwahrkette für Rechnung eines Dritten halten. In der Regierungsbegründung zum Risikobegrenzungsgesetz zu § 67 Abs. 4 AktG heißt es zur Erläuterung: „Dieser Auskunftsanspruch setzt sich also über die gesamte Verwahrkette bis zum „eigentlichen Aktieninhaber“ fort …“. Dies könnte bedeuten, dass jede Depotbank in der Verwahrkette nur die ihr zur Verfügung stehenden Daten mitzuteilen hat, also die Angaben zur nächst darunter liegenden Verwahrstufe. Es läge dann an der Gesellschaft, bei mehrstufigen Verwahrketten sich von Offenlegung zu Offenlegung bis zum wahren Aktionär „durchzufragen“. Sinnvoll ist ein solches Depotbank-Hopping nicht; denn die erste Depotbank ist in der Regel näher dran, die erforderliche Auskunft in der Verwahrkette einzuholen.22

V. Registercompliance Zu den Pflichten des Vorstands, die ihm gegenüber der Gesellschaft obliegen, gehört es, das Aktienregister unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und der Bestimmungen in der Satzung zu führen. Und zu seinen Pflichten gehört es zu prüfen, ob Personen, die das Stimmrecht wahrnehmen wollen oder die die Dividende in Anspruch nehmen, im Verhältnis zur Gesellschaft berechtigt sind. Daher hat der Vorstand unter anderem auch der Frage nachzugehen, ob die Eintragung ins Aktienregister ordnungsgemäß erfolgt ist und ob Stimmrechte nach § 67 Abs. 2 Satz 2 AktG ruhen. Dagegen dürfte der Vorstand in der Regel nicht verpflichtet sein, das Auskunftsrecht gegenüber Legitimationsaktionären und Depotbanken auszuüben.23 Bestehen jedoch Zweifel an der Berechtigung des Registeraktionärs, so hat der Vorstand das zu überprüfen. Ist aber in der Satzung vorgesehen, dass Legitimationsaktionäre und Depotbanken nur bis zu einem bestimmten Schwellenwert eintragungsfähig sind, so muss der Vorstand sein Auskunftsrecht ausüben, wenn er Anhaltspunkte dafür hat, dass ein eingetragenes Kreditinstitut Aktien nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung hält und der Schwellenwert überschritten wird.

22 Siehe auch dazu schon: Uwe H. Schneider, BB Erste Seite 2007, Heft 51; aA Lutter/ Drygala in KölnerKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 67 Rz. 120. 23 BegRegE Risikobegrenzungsgesetz, BT-Drucks. 16/7438, S. 14.

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VI. Rechtsfolgen bei Verletzung der Offenlegungsund Auskunftspflichten Nicht ausdrücklich geregelt ist, welche Rechtsfolgen bei einer Verletzung der Eintragungspflicht eintreten. In den Katalog der Ordnungswidrigkeiten in § 405 AktG ist eine Verletzung der Pflichten des Aktieninhabers zur Mitteilung seiner Daten nach § 67 Abs. 1 Satz 2 AktG – leider – nicht aufgenommen. Somit bleiben der Gesellschaft allein Ansprüche wegen Verletzung der aktienrechtlichen Mitteilungspflicht auf Schadensersatz. So könnte die Gesellschaft geltend machen, dass sie erhebliche Mittel dafür eingesetzt hat, nicht eingetragene Aktionäre ausfindig zu machen. Realistisch ist die Durchsetzung solcher Ansprüche nicht. Aufgenommen in den Katalog der Ordnungswidrigkeiten, nämlich in § 405 AktG, wurde aber die Verletzung der Auskunftspflicht nach § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG. Der Eingetragene begeht eine Ordnungswidrigkeit, wenn er der Gesellschaft auf ihr Verlangen nicht mitteilt, ob ihm die Aktien, als deren Inhaber er im Aktienregister eingetragen ist, auch gehören. Dagegen fehlt in § 405 AktG eine Sanktion, wenn ein Registeraktionär eingetragen wird, ohne darauf hinzuweisen, dass er eine satzungsmäßige Höchstgrenze überschreitet. Ohne entsprechende Sanktion bleibt auch, wenn der Registeraktionär eine satzungsmäßige Pflicht zur Offenlegung verletzt. Für die zuletzt genannten Fälle wurde jedoch in § 67 Abs. 2 Satz 2 AktG ein Stimmrechtsverlust vorgesehen. Bedeutsam wird freilich ein solcher Stimmrechtsverlust erst und nur in der Hauptversammlung. Anders formuliert: Bis zur nächsten Hauptversammlung wirkt sich der Stimmverlust nicht aus.

VII. Ergebnis Das Ergebnis dieser Untersuchung ist wenig überzeugend. Die Praxis verlangt eine sichere Identifikation des Aktionärs. Der Gesetzgeber hat dieses Ziel nicht erreicht. Er war sich der Unzulänglichkeit auch bewusst; denn in der Regierungsbegründung zum Risikobegrenzungsgesetz heißt es, das gesetzliche Leitbild sei nur ein „möglichst“ vollständiges Aktienregister. Warum ist man normativ so bescheiden? Insbesondere die Einschaltung von Vollrechtstreuhändern ermöglichen dem verdeckt handelnden Aktionär, sich der Offenlegung zu entziehen.

Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Gesellschaftsrecht Wolfgang Schön I. Einführung Im Jahre 1998 lud Klaus Hopt den Verfasser dieses Beitrags ein, am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht die traditionsreiche Vorlesung zu Ehren von Ernst Rabel zu halten. Diese ehrenvolle Aufforderung führte den Vortragsgast erstmals in die Räume eines Max-Planck-Instituts und wies ihm damit den Weg in seine berufliche Zukunft. Zugleich begründete sie eine herzliche Freundschaft mit dem Einladenden, die in nunmehr zwölf Jahren stetig gewachsen ist. Was läge also näher, als in einer Festschrift für Klaus Hopt den Gegenstand des früheren Vortrags noch einmal aufzugreifen? Unter der Überschrift „Das Bild des Gesellschafters im Europäischen Gesellschaftsrecht“ hatte der Verfasser es unternommen, Grundzüge einer dogmatischen Ordnung des Europäischen Primär- und Sekundärrechts auf dem Gebiet der Kapitalgesellschaften zu skizzieren.1 Ausgangspunkt war die Annahme, dass die Zielsetzungen der wirtschaftlichen Grundfreiheiten sowie das Regelungsgefüge der Angleichungs-Richtlinien und der Verordnungen über supranationale Rechtsformen sich als ein (wenn auch fragmentarisches) „Sinnganzes“ verstehen lassen, dessen Leitgedanken in den gemeinschaftsrechtlich geregelten Sachbereichen juristische Konsequenzen zeitigen könnten.2 Materielle Kernprinzipien – etwa der Gleichbehandlung, der angemessenen Information, des effektiven Rechtsschutzes oder der persönlichen Haftung – sollten auch im Europäischen Gesellschaftsrecht identifiziert und zur Geltung gebracht werden können.3

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RabelsZ 64 (2000), 1 ff. Siehe auch Grundmann in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2004, S. 159 ff., 175 ff.; zur vergleichbaren Thematik im Europäischen Privatrecht siehe einerseits Rittner JZ 1995, 849 ff., 853; andererseits Basedow AcP 200 (2000), 445 ff., 485 ff. 3 Einzelheiten aaO (Fn. 1), S. 14 ff.; zu den ökonomischen Funktionszielen der Binnenmarktgesetzgebung im Gesellschaftsrecht siehe Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, § 2 (S. 15 ff.), § 31 Rz. 1122 (S. 517 ff., 525 ff.); Teichmann ZGR 2002, 383 ff., 402 ff.; Müller-Graff EWS 2009, 489 ff. 2

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Dieser ausgreifende Ansatz ist nicht nur im Schrifttum auf Widerstand gestoßen.4 Auch in Gesetzgebung und Rechtsprechung lassen sich in den vergangenen Jahren eher gegenläufige Tendenzen wahrnehmen. – Auf dem Gebiet des Europäischen Sekundärrechts wurden die „allgemeinen Grundsätze des Gesellschaftsrechts“ vor allem bei der Frage nach der Ausfüllung von Lücken im Recht der Europäischen Aktiengesellschaft diskutiert. Entgegen frühen Vorentwürfen zu Art. 7 Abs. 1 SE-VO aus den Jahren 1970 und 1989 wurde in den späteren Entwürfen seit 1991 sowie in der endgültigen Fassung der SE-VO aus dem Jahre 2002 darauf verzichtet, Fehlstellen im SE-Statut mit einem Verweis auf „allgemeine Grundsätze“ zu füllen.5 Nach Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO ist stattdessen die mitgliedstaatliche Gesetzgebung (Ausführungsgesetzgebung zur SE, aber auch das allgemeine Aktienrecht) heranzuziehen. In gleicher Weise wurde bei der Verordnung zur Einführung der Europäischen Genossenschaft verfahren (Art. 8 Abs. 1 lit. c SCE-VO).6 Diese restriktive Haltung zeigt sich schließlich auch in dem aktuellen Projekt einer Europäischen Privatgesellschaft:7 Der gegenwärtig diskutierte Kommissionsentwurf einer Verordnung über die SPE aus dem Jahre 2008 verzichtet vollständig auf eine Bezugnahme auf allgemeine Rechtsgrundsätze und entscheidet sich für eine Gesellschafterpflicht zur Satzungsregelung und eine subsidiäre Verweisung auf das nationale GmbH-Recht.8 Damit scheint die Rechtsfigur der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ im Bereich der supranationalen Rechtsformen keine Rolle zu spielen.9 – In der gemeinschaftsrechtlichen Judikatur sieht es auf den ersten Blick nicht besser aus. Der Europäische Gerichtshof war im vergangenen Jahr in dem aus Luxemburg stammenden Verfahren Audiolux mit der Frage befasst, ob sich (außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs der Übernahme-Richtlinie) Aktionäre in der Situation einer Unternehmensübernahme auf einen „allgemeinen Grundsatz“ der Gleichbehandlung berufen und daher eine Beteiligung an der „Kontrollprämie“ des Mehrheitsgesell-

4 Siehe etwa Habersack Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2006, § 4 Rn. 5 Fn. 23; näher Bachmann ZGR 2001, 351 ff., 373 ff. 5 Zur Entstehungsgeschichte siehe Hommelhoff/Teichmann in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), SE-Kommentar, 2007, Art. 9 SE-VO Rn. 12 ff. 6 Näher Wulfers GPR 2006, 106 ff. 7 Zur früheren Diskussion um den Lückenschluss im Recht der EPG siehe Hatje in: Hommelhoff/Helms, Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001, S. 247 ff. 8 Art. 4 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut einer Europäischen Privatgesellschaft, KOM (2008) 396; zustimmend Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht NZG 2006, 897 ff., 898 Tz. 5; siehe auch Drury 9 EBOR (2008), 125 ff., 130 f. 9 Kritisch zu diesem Verzicht auf das Konzept der Vollregelung von supranationalen Gesellschaftsformen zuletzt Schürnbrand in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 273 ff.

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schafters verlangen können. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 15. Oktober 200910 auf der Grundlage ausführlicher Schlussanträge 11 der Generalanwältin Trstenjak die Existenz eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Gleichbehandlung von Aktionären im Europäischen Gesellschaftsrecht abgelehnt. Die scheinbar geschlossene Front gegen die Anerkennung „allgemeiner Rechtsgrundsätze“ zeigt jedoch Brüche, wenn man sie näher inspiziert. So ist im Regelungsfeld der supranationalen Rechtsformen durchaus strittig, ob die Engführung des Art. 9 SE-VO wirklich als ein strenges „Analogieverbot“ 12 zu verstehen ist oder doch eine prinzipiengeleitete Rechtsanwendung erlaubt.13 Und auch die Kernaussagen des Urteils Audiolux verlieren an Schärfe, wenn man bedenkt, dass hier lediglich die Existenz eines im Primärrecht verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes außerhalb der harmonisierten Rechtsbereiche verneint wurde, nicht jedoch die Frage der Existenz grundlegender Rechtsprinzipien innerhalb von sekundärrechtlich präjudizierten Regelungsbereichen ernsthaft diskutiert wurde. Schließlich lassen sich in der Rechtsprechung immer wieder Beispiele für die Anwendung übergreifender Prinzipien identifizieren; beispielhaft genannt sei das allgemeine Verbot des „Rechtsmissbrauchs“, dessen Geltung der Europäische Gerichtshof sowohl bei der Anwendung der Angleichungsrichtlinien auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts als auch im Rahmen der Wirkkraft der Grundfreiheiten aktualisiert hat.14 Dies zeigt, dass eine differenzierende Betrachtung erforderlich ist, um Inhalt und Tragweite „allgemeiner Rechtsgrundsätze“ für das Europäische Gesellschaftsrecht näher zu charakterisieren. Dabei muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Entwicklung und Bestimmung solcher allgemeiner Rechtsgrundsätze nicht lediglich eine methodische Herausforderung gemeinschaftsrechtlicher „Dogmatik“ darstellt. Die Diskussion um diese Grundsätze ist vielmehr maßgeblich durch das Bestreben geprägt, der gesetzgeberischen Souveränität der Mitgliedstaaten Schutz gegenüber einer ausgreifenden europäischen Legislative und Judikative zu verschaffen: Je mehr allgemeine Grundsätze im Europäischen Gesellschaftsrecht Anerkennung finden, desto geringer werden die Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten in diesem Bereich. Auch dafür steht das Verfahren Audiolux, in dem die Kläger faktisch 10 Rs. C-101/08 (Audiolux SA), ZIP 2009, 2241 ff.; zustimmend Habersack/Tröger, NZG 2010, S. 1 ff.; Parleani, Revue des Sociétés, 2010, S. 48 ff.; Mucciarelli, ECFR 2010, 158 ff. 11 Schlussanträge v. 30.6.2009, Rs. C-101/08 (Audiolux SA), ZIP 2009, 1613 ff. 12 Ausführlich Caspers FS Ulmer, 2003, S. 51 ff. 13 Siehe etwa Caspers aaO (Fn. 12), S. 56 ff.; ders. in: Spindler/Stilz (Hrsg.), AktG, 2007, Art. 9 SE-VO Rn. 10 f.; Hommelhoff/Teichmann in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), SE-Kommentar, Art. 9 SE-VO (§ 1 SEAG) Rn. 50 f.; Schäfer in: MünchKomm-AktG, Bd. 9/2, 2. Aufl. 2006, Art. 9 SE-VO Rn. 15 ff.; Wulfers aaO (Fn. 6), 111 ff. 14 Fleischer JZ 2003, 865 ff.; Schön FS Wiedemann, 2002, S. 1271 ff.

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die Vorwirkung einer späteren Regelung der europäischen Take-Over-Richtlinie ohne eine entsprechende Grundlage im Sekundärrecht verlangten. Explizit weigerten sich die Generalanwältin und der Gerichtshof, hier mit Hilfe allgemeiner Rechtsgrundsätze das „institutionelle Gleichgewicht“ zwischen dem Gerichtshof und dem Gemeinschaftsgesetzgeber einerseits sowie zwischen der Europäischen Rechtsordnung und der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten zu gefährden.15

II. Begriffliches Eine Prüfung der Existenz „allgemeiner Rechtsgrundsätze“ im Europäischen Gesellschaftsrecht bedarf zunächst einer Klärung der zugrunde liegenden Begrifflichkeit.16 1. Der allgemeine Charakter der Rechtsgrundsätze Grammatisch betrachtet stellen sowohl in den Entwürfen zur SE-VO als auch im Urteil Audiolux die jeweiligen englischen und die französischen Sprachfassungen dem deutschen Begriff der „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ die Termini der general principles oder der principes généraux gleich.17 Der in dieser Wortwahl enthaltene Verweis auf eine inhaltliche Breite der Grundsätze sowie die Betonung ihres grundlegenden Charakter lässt zunächst den Schluss zu, dass es sich um Sollenssätze handelt, die nicht als spezifische Vorschriften zu Einzelfragen konzipiert sind, sondern als allgemein gehaltene Aussagen, die in einer Vielzahl von unterschiedlichen Situationen Bedeutung erlangen können. Sie sind daher typischerweise nicht in einer einzelnen Vorschrift niedergelegt, sondern stehen als Grundgedanke hinter und/oder neben einer ganzen Anzahl von spezifischen Regelungen. Dieser allgemeine Charakter von Rechtsgrundsätzen muss vor allem deshalb betont werden, weil im Bereich des Europäischen Privatrechts der Begriff der „Prinzipien“ in den letzten Jahren einen geradezu inflationären Gebrauch gefunden hat. Die im rechtsvergleichenden Überblick erarbeiteten Principles of European Contract Law oder die aus dem Sekundärrecht der EU destillierten Acquis Principles 18 weisen – nicht zuletzt in ihrer Zusam15 Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 103 ff.; Habersack/Tröger aaO (Fn. 10), 4; Parleani aaO (Fn. 10), 50; Mucciarelli aaO (Fn. 10), 166. 16 Grundlegend Metzger Extra Legem, Intra Ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, 2009, S. 11 ff. 17 Zur divergierenden Terminologie in der Rechtsprechung des EuGH siehe die Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 67. 18 Research Group on the Existing EC Private Law, Bd. 1 (Contract I), 2007, Bd. 2 (Contract II), 2009.

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menführung im Draft Common Frame of Reference 19 – eine außerordentlich detaillierte Struktur auf. In Fachkreisen ist daher ihre Bezeichnung als „Prinzipien“ bereits kritisiert und alternativ die Redeweise von „Grundregeln“ vorgeschlagen worden;20 daraus erhellt, dass diese corpora im Privatrecht in ihrer Spezifizität deutlich über das Konzept „allgemeiner Rechtsgrundsätze“ hinausgehen. In jüngeren Fassungen werden daher bereits die grundsätzlichen „fundamental principles“ von spezifischen „model rules“ abgegrenzt, um den grundsätzlichen Wesenszug deutlich zu machen.21 Die Betonung der „Allgemeinheit“ dieser Grundsätze darf andererseits nicht dazu verführen, diesen Prinzipien letztlich ihre konkrete Wirkung zu versagen. So haben im Verfahren Audiolux sowohl die Kommission als auch die Generalanwältin das von den Klägern berufene Prinzip der Gleichbehandlung der Aktionäre im Europäischen Gesellschaftsrecht einerseits als zu „spezifisch“ eingeordnet, um als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt zu werden, andererseits dessen inhaltliche Offenheit und fehlende Eindeutigkeit in den Rechtsfolgen bemängelt.22 Dies ist widersprüchlich: Allgemeine Grundsätze im Recht zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie ein hohes Maß an Generalität mit tatsächlicher rechtlicher Wirkkraft verbinden. Dass ihnen (bzw. den Gerichten) im Einzelfall eine Konkretisierung abverlangt werden muss, ändert nichts an ihrem juristischen Geltungsanspruch. 2. Prinzipien versus Regeln Mit der (in den ausländischen Sprachfassungen deutlicheren) Bezugnahme auf den „prinzipiellen“ Charakter der Grundsätze wird zugleich eine Terminologie aufgegriffen, die in den Schriften von Dworkin anhand des Gegensatzes von rules und principles ausdifferenziert worden ist.23 Während rules einen klaren Syllogismus aus Tatbestand und Rechtsfolge anordnen, sind principles eher auf eine graduelle Verwirklichung gerichtet, auf eine Optimierung des jeweiligen Einzelprinzips im Zusammenspiel mehrerer grund-

19 Study Group on a European Civil Code/Research Group on EC Private Law (Acquis Group) Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law: Draft Common Frame of Reference (DCFR), 2009. 20 Zimmermann Die Europäisierung des Privatrechts und die Rechtsvergleichung, 2006, S. 36. 21 Schulte-Nölke/Zoll Structures and Values of the Acquis Principles: New Features and their possible Use for Political Purposes, in: Research Group on the Existing EC Private Law, Bd. 2 (Contract II), 2009, S. XXIII ff., XXXI ff.; Draft Common Frame of Reference, aaO (Fn. 19), Introduction, Tz. 10 ff. 22 Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11) Rn. 98; Urteil v. 15.10.2009, aaO (Fn. 10), Rn. 57 f. 23 Dworkin Taking Rights Seriously, 1977/78, S. 22 ff.; näher Metzger aaO (Fn. 16), S. 14 ff.

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sätzlicher Aussagen. In ähnlicher Weise wird man auch von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Europäischen Gesellschaftsrecht sagen können, dass sie keine klare Ja/Nein-Anordnung treffen, sondern vielmehr situationsbezogen verwirklicht und dabei mit anderen Grundsätzen in praktische Konkordanz gebracht werden müssen. Diese Absage an einen eindeutigen Syllogismus darf aber wiederum nicht mit mangelnder normativer Relevanz verwechselt werden. Beispielhaft ist die Diskussion zum europäischen und internationalen Bilanzrecht, in welcher der rules-orientierte Ansatz der kleinteiligen US-GAAP dem breiter angelegten principles-orientierten Ansatz der IAS/IFRS gegenübergestellt wird, ohne dass einem der beiden Regelwerke dabei ein höherer Grad an Rechtsverbindlichkeit zugeschrieben würde.24 Unterschiedlich sind vielmehr der Grad der Detaillierung (spezifische vs. allgemeine Aussagen) und die Technik der Rechtsfolgen (eindeutige vs. abgestufte/wertende Konsequenzen). Auch allgemeine Rechtsgrundsätze besitzen rechtliche Relevanz. Dass der offene Charakter dieser Rechtsgrundsätze und ihrer Rechtsfolgen in einen Konflikt zu den Anforderungen der Rechtssicherheit treten kann,25 sollte ihrer Existenz und Wirkkraft nicht grundsätzlich entgegenstehen. 3. Wirkungen von allgemeinen Rechtsgrundsätzen Die rechtliche Relevanz dieser allgemeinen Rechtsgrundsätze kann sich in verschiedener Weise manifestieren:26 – Eine erste Wirkung allgemeiner Rechtsgrundsätze kann in ihrer Bedeutung für die Auslegung von Einzelvorschriften liegen.27 Wenn und soweit diese Einzelvorschriften sich als Ausprägung eines allgemeinen Prinzips verstehen lassen, wird die teleologische Interpretation der Norm durch diesen allgemeinen Rechtsgrundsatz gesteuert. Vielfach sind Einzelvorschriften auch darauf angelegt, zwischen widerstreitenden Prinzipien zu vermitteln (etwa zwischen materialer Gerechtigkeit und formaler Rechtssicherheit). Dann können Rechtsprinzipien helfen, den zugrunde liegenden Interessengegensatz zu identifizieren und im Einzelfall zu aktualisieren. Rechtsprinzipien prägen in diesen Fällen die ratio legis, wie sie auch in den Präambeln von Richtlinien und den Materialien von Rechtsakten zum Ausdruck kommen. – Eine zweite Wirkung allgemeiner Rechtsgrundsätze kann darin liegen, außerhalb der vom Wortlaut primärrechtlicher und sekundärrechtlicher 24 Siehe etwa Bratton Enron, Sarbanes-Oxley and Accounting: Rules versus Principles versus Rents, 48 Villanova Law Review (2003), 1023 ff. 25 Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 111 ff.; Parleani aaO (Fn. 10), 48 f. 26 Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 68. 27 Wulfers aaO (Fn. 6), 109.

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Normen erfassten Tatbestände Rechtsfolgen zu zeitigen. Dies kann einerseits durch die Legitimation von Einzelanalogien erfolgen (wenn nämlich eine einzelne europäische Norm als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens verstanden und entsprechend über ihren Wortlaut hinaus erweitert werden kann). Es kann sich andererseits um Fälle handeln, in denen für eine Anknüpfung an konkrete Vorschriften des europäischen Primärrechts oder des Sekundärrechts kein explizites Normenmaterial zur Verfügung steht und das generelle Rechtsprinzip gleichsam „selbständig“ zur Konfliktlösung berufen ist. Die beiden letztgenannten Fälle – die Einzelanalogie und die Konfliktlösung auf der Grundlage eines allgemeinen Prinzips – greifen nicht nur über den Wortlaut der begrenzten Texte des Europäischen Gesellschaftsrechts hinaus; sie greifen zugleich in die Regelungsmacht des nationalen Gesetzgebers ein. Daher stoßen diese Erstreckungen auf größeren Widerstand als der selbstverständliche Vorgang, Einzelnormen des Europäischen Gesellschaftsrechts (und die korrespondierende Umsetzungsgesetzgebung) im Rahmen ihres Wortsinns teleologisch zu interpretieren. Diese Erweiterung der rechtlichen Wirkkraft über den konkreten Normtext hinaus wirft die Frage auf, welchen rechtlichen Geltungsgrund und welchen inhaltlichen Erkenntnisgrund die zur Anwendung geführten Rechtsgrundsätze besitzen können.

III. Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Primärrecht 1. Rechtsquellen und Erkenntnisquellen a) Die Rechtsprechung des EuGH zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Voraussetzung für die bindende Wirkung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Europäischen Gesellschaftsrecht ist ihre Verankerung in einer gemeinschaftsrechtlich anerkannten Rechtsquelle.28 Voraussetzung für ihre inhaltliche Bedeutsamkeit ist die Möglichkeit ihrer „Erkenntnis“, d.h. der inhaltlichen Feststellung und Formung grundlegender Prinzipien für diesen Sachbereich. Beide Fragen – die nach den Rechtsquellen und die nach den Erkenntnisquellen – sind im Europäischen Recht eng verknüpft mit der Frage nach der Kompetenz zur Rechtssetzung im Verhältnis des Gerichtshofs zu den übrigen Europäischen Institutionen und im Verhältnis der Europäischen

28 Metzger aaO (Fn. 16), S. 385 ff.; zu den Defiziten in der rechtlichen Geltungskraft allgemeiner Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht siehe Basedow aaO (Fn. 2), 461 ff.; Herresthal Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006, S. 26 f., 90 ff.

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Union zu ihren Mitgliedstaaten. Dafür ist zwischen dem Primärrecht und dem Sekundärrecht zu differenzieren. Breite Anerkennung genießen in der Praxis der Europäischen Union bestimmte allgemeine Grundsätze des Europäischen Primärrechts.29 Diese Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs über Jahrzehnte entfaltet worden. Dazu gehören Grundsätze, die spezifisch mit der rechtlichen Gestalt der Europäischen Union verbunden sind (etwa die Anerkennung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, der Grundsatz des effet utile oder das Postulat der Effektivität und Gleichbehandlung in der Durchsetzung europäisch verbürgter Rechte). Dazu rechnen aber auch solche Prinzipien, die auf breiter Front in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten angelegt sind und gleichsinnig auf der Ebene des Unionsrechts akzeptiert werden (die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit, des Schutzes legitimer Erwartungen oder auch bestimmte Grundrechte). Gemeinsam ist diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Rechtsquelle: das europäische Primärrecht, das weder durch sekundärrechtliche Gesetzgebung noch durch Gesetzgebung der Mitgliedstaaten in Frage gestellt werden kann. Nicht einheitlich ist die Erkenntnisquelle für diese allgemeinen Rechtsgrundsätze, die nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs einerseits im Sinnganzen der Europäischen Verträge, andererseits in den gemeinsamen (verfassungsrechtlichen) Traditionen der Mitgliedstaaten gefunden werden kann.30 b) Das Verfahren Audiolux Das Verfahren Audiolux war von vornherein durch die Problematik gekennzeichnet, dass die klagenden Aktionäre sich für die Rechtsquelle ihres Anspruchs auf einen allgemeinen Grundsatz des Primärrechts beriefen, die Erkenntnisquelle für diesen allgemeinen Grundsatz jedoch weder im Kontext der Europäischen Verträge noch in den gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten finden konnten, sondern aus einer Zusammenschau von Vorschriften des Europäischen Sekundärrechts auf dem Gebiet des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts entwickelten. In diesem Vortrag war die schwer haltbare Behauptung angelegt, dass ein verfassungsgleicher Grundsatz des Primärrechts auf der Grundlage und nach Maßgabe konkreter gesetzgeberischer Akte im Sekundärrecht konstituiert werden könne. Zu Recht 29 Siehe nur die umfassenden Monographien von: Tridimas The General Principles of EU Law, 2. Aufl. 2006; Groussot General Principles of Community Law, 2006, sowie die Tagungsbände von: Bernitz/Nergelius (Hrsg.), General Principles of European Community Law, 2000; Bernitz/Nergelius/Cardner General Principles of EC Law in a Process of Development, 2008; aus der Sicht des Europäischen Privatrechts Metzger aaO (Fn. 16), S. 325 ff. 30 Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 69.

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bemerkte in dem Verfahren vor dem Gerichtshof daher zunächst die Europäische Kommission,31 dass auch mehrere Rechtsakte des Sekundärrechts (Richtlinien, Verordnungen, Empfehlungen) in ihrer Zusammenschau nicht in der Lage sind, einen Grundsatz auf der Ebene des Primärrechts zu konstituieren. Die Generalanwältin 32 und der Gerichtshof 33 waren immerhin dazu bereit, sekundärrechtliche Akte auf ihre Tauglichkeit als „Indizien“ für einen primärrechtlichen Rechtsgrundsatz der Gleichbehandlung von Aktionären untersuchen. Im Ergebnis stellten aber beide fest, dass die Wirkungen der jeweiligen sekundärrechtlichen Normen nicht über ihren jeweiligen spezifischen Anwendungsbereich hinausweisen konnten. Dem Gedanken der Gleichbehandlung der Aktionäre konnte schließlich – so die Generalanwältin – auch keine klare Verankerung in einer gemeinsamen Tradition der Mitgliedstaaten zuerkannt werden.34 Dies gilt erst recht, wenn durch diesen Grundsatz nicht die jeweiligen Unternehmensleiter, sondern außen stehende Investoren zur Gleichbehandlung verpflichtet werden sollen.35 Gerade der Umstand, dass die konkrete Frage nach der Gleichbehandlung von Aktionären in einer Take-Over-Situation vor Erlass der 13. Richtlinie in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union höchst unterschiedlich beantwortet wurde, lässt die Generalanwältin einen solchen Grundsatz verneinen.36 Aus dem Blickwinkel der Kompetenz-Konkurrenz zwischen dem Gerichtshof und dem Europäischen Gesetzgeber einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits ist dem Urteil im Ergebnis gerade wegen der quasi-verfassungsrechtlichen Wirkungen allgemeiner Rechtsgrundsätze auf der Ebene des Europäischen Primärrechts zuzustimmen. Der Gerichtshof setzt sich hiermit explizit von seiner eigenen arbeitsrechtlichen Judikatur in der Rechtsache Mangold ab, in welcher der Gerichtshof einen primärrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung für Arbeitnehmer festgestellt und namentlich ein Verbot der Altersdiskriminierung zur Anwendung geführt hatte.37 Diese ausgreifende Judikatur ist auf heftige politische und wissenschaftliche Gegenreaktionen gestoßen.38 Die große Zurückhaltung, die der Gerichtshof nunmehr im Urteil Audiolux gegenüber der Annahme von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Europäischen Gesellschafts31

Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 50. Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 81 ff. 33 Urteil v. 15.10.2009, aaO (Fn. 10), Rn. 34. 34 Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 84 ff. 35 Wilsing/Paul EWiR, § 35 WpÜG 1/09, 755 f., 756; ausführlich Mucciarelli aaO (Fn. 10), 162 ff. 36 Schlussanträge v. 30.6.2009, aaO (Fn. 11), Rn. 92 f.; Habersack/Tröger aaO (Fn. 10), 4 ff.; Parleani aaO (Fn. 10), 49 f. 37 EuGH v. 22.11.2005, Rs. C-144/05 (Mangold), ZIP 2005, 2171 ff. Rn. 75. 38 Gerken/Rieble/Roth/Stein/Streinz „Mangold“ als ausbrechender Rechtsakt, 2009; Metzger aaO (Fn. 16), S. 343 ff., 380 ff. 32

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recht formuliert hat, ist wohl auch als Reaktion auf diese Kritik zu verstehen. Der Gerichtshof macht nunmehr überzeugend klar, dass die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlung im „Verfassungsrang“ nicht ohne konkrete Entscheidungen des (europäischen) Gesetzgebers durchgesetzt werden könne.39 Es muss allerdings festgehalten werden, dass die Verneinung eines allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung von Aktionären im Range des Europäischen Primärrechts nicht ausschließt, dass ein solcher Rechtsgrundsatz im Range des Europäischen Sekundärrechts existiert. Ein solcher Rechtsgrundsatz vermag dann allerdings in der Hierarchie der Normen nur auf dem Niveau und in den Bereichsgrenzen des Europäischen Sekundärrechts Wirkung zu entfalten und unterliegt entsprechenden Modifikationen durch den Gemeinschaftsgesetzgeber. Daher muss dieses begrifflich und juristisch scharf von der im Audiolux-Verfahren behandelten Thematik differenziert werden. 2. Fallgruppen primärrechtlicher Rechtsgrundsätze Nach der Entscheidung des EuGH im Fall Audiolux scheint die Annahme fern zu liegen, dass das Primärrecht allgemeine Rechtsgrundsätze erzeugt, die für die Lösung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten eine Rolle spielen können. Dennoch bestehen einzelne Anknüpfungspunkte, die das „Verfassungsrecht“ der Europäischen Union für das Europäische Gesellschaftsrecht in Stellung bringen. – Ein erster Anknüpfungspunkt besteht darin, dass die allgemeinen Prinzipien des Europarechts, die der Gerichtshof bereichsübergreifend entwickelt und durchgesetzt hat, auch im Gesellschaftsrecht Respekt beanspruchen können.40 Dies gilt nicht nur für formale Prinzipien, etwa den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts vor nationalem Recht oder die Auslegung europäischer Vorschriften nach dem effet utile. Eine wichtige Rolle spielt z.B. der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, den der Gerichtshof für materiell-rechtliche Positionen entwickelt hat, die im Unionsrecht begründet sind. Daher müssen z.B. die Aktionärsrechte, die in den Angleichungsrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft, namentlich in den Richtlinien über Kapitalmaßnahmen, Verschmelzungen und Spaltungen, niedergelegt sind, im nationalen Prozessrecht durch effektive Rechtsbehelfe abgesichert werden.41 Ein nationales Aktienrecht, dessen materielle (europäisch vorgeprägte) Vorgaben prozessual weitgehend leer laufen, wäre mit diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht vereinbar. Weiterhin hat der Gerichtshof in vielen Entscheidungen sowohl für den 39 40 41

Urteil v. 15.10.2009, aaO (Fn. 10), Rn. 63. Wulfers aaO (Fn. 6), 106 f. Schön aaO (Fn. 1), 29 ff.

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Bereich der Niederlassungsfreiheit als auch für die Richtlinien zum Gesellschaftsrecht anerkannt, dass die Wahrnehmung von europarechtlich begründeten Rechtspositionen im Unionsrecht unter den Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs gestellt ist. Auch dieser Vorbehalt kann als allgemeiner Grundsatz des Europäischen (Gesellschafts-)Rechts verstanden werden. – Eine weitere primärrechtliche Vorprägung des Europäischen Gesellschaftsrechts ist in den Grundfreiheiten der Europäischen Verträge angelegt. Dass sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch die Kapitalverkehrsfreiheit unmittelbare Wirkungen gegenüber mitgliedstaatlichem und europäischem Gesellschaftsrecht zeitigen können, ist allgemein bekannt.42 Dabei ist zu beachten, dass die Grundfreiheiten nicht nur darauf angelegt sind, diskriminierende oder sonst beschränkende Regelungen des mitgliedstaatlichen Rechts zu verdrängen. Zusätzlich bieten die Grundfreiheiten eine wesentliche Interpretationsgrundlage der Sekundärrechtsakte, namentlich der Angleichungs-Richtlinien, deren Zielsetzung nach Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV darin besteht, zwischen der Handlungsfreiheit der Gesellschaften (und ihrer Anteilseigner) sowie dem Schutz von Drittinteressen zu vermitteln. Dabei hat der Gerichtshof auch klargestellt, dass die Mitgliedstaaten Drittinteressen, denen bereits der europäische Gesetzgeber Rechnung getragen hat, nicht in höherem Umfang zum Nachteil der Grundfreiheiten in Anschlag bringen können.43 Insoweit „verstärken“ die Grundfreiheiten die Wirkkraft des Europäischen Sekundärrechts und versehen die in diesen Angleichungsrichtlinien niedergelegten Zielsetzungen und Konfliktlösungen gleichsam „akzessorisch“ mit einer primärrechtlichen Wirkung. – Hinzu treten können auch die europäischen Grundrechte, zu denen einerseits nach Art. 6 Abs. 1 EUV die in der Europäischen Grundrechtscharta verbürgten Rechte gehören und andererseits die in der EMRK sowie den „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten“ niedergelegten Grundrechte, die nach Art. 6 Abs. 3 EUV „als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts“ sind. Beispielhaft ist der allgemeine Gleichheitssatz, der in diesen Regelwerken mehrfach anerkannt wird. Dass der Gerichtshof es in Audiolux abgelehnt hat, aus diesem allgemeinen Gleichheitssatz ein strenges Gebot der Gleichbehandlung von Aktionären zu folgern, hindert nicht seine Entfaltung in anderen Situationen. So war der Gerichtshof jüngst in der Rechtssache Gaz de France aufgerufen, über die Erstreckung der günstigen Wirkungen der steuerlichen MutterTochter-RL aus dem Jahre 1990 für traditionelle Kapitalgesellschaften in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf neue Gesellschaftsformen (hier: die in Frankreich 1994 eingeführte société par actions simplifiée) zu befinden.44 42 43 44

Zuletzt EuGH v. 16.12.2008, Rs. C-210/06 (Cartesio), ZIP 2009, 24 ff. EuGH v. 30.9.2003, Rs. C-167/01 (Inspire Art), EuGHE 2003, I-10155 ff. Rn. 65 ff. EuGH v. 1.10.2009, Rs. C-247/08 (Gaz de France), IStR 2009, 774 ff.

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Das Problem lag darin, dass die Mutter-Tochter-RL einen enumerativen Katalog von begünstigten Gesellschaftsformen enthält, der spätere nationale Gesetzgebung schlicht nicht berücksichtigt. Der Gerichtshof 45 versagte sich in seinem Urteil sowohl einer extensiven Interpretation oder Analogie der Richtlinie als auch einer Erstreckung der Richtlinienwirkungen auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit oder der Kapitalverkehrsfreiheit. Der Generalanwalt 46 betonte dazu ausdrücklich, dass eine erweiternde europäische Gesetzgebung nicht durch Auslegung oder Analogie ersetzt werden könne. Bemerkenswert erscheint, dass der allgemeine Gleichheitssatz schlicht keine Erwähnung in den Schlussanträgen oder Urteilsgründen findet. Spätestens unter Geltung des neuen Art. 6 EUV wird man den Blick erweitern und das Sekundärrecht daran messen müssen, ob der allgemeine Gleichheitssatz ein primärrechtliches Gebot der Gleichbehandlung von (als Kapitalgesellschaften verfassten) Rechtsformen enthält, das nur aus sachlichen Gründen durchbrochen werden darf.47 – Vor dem Hintergrund, dass allgemeine Rechtsgrundsätze im Bereich des Primärrechts auch den Gemeinschaftsgesetzgeber binden und daher eine „quasi-verfassungsrechtliche“ Bedeutung besitzen, ist allerdings große Vorsicht bei der Entwicklung weitergehender general principles zum Europäischen Gesellschaftsrecht geboten. Dies bestätigt auch der Vergleich mit dem deutschen Verfassungsrecht, das zwar in bestimmten grundrechtlich (namentlich durch Art. 3, 9 und 14 GG) erfassten Situationen dem gesellschaftsrechtlichen Gesetzgeber Schranken setzt, aber im Übrigen keine spezifisch gesellschaftsrechtlichen Prinzipien in Verfassungsrang erhebt.48 Dass auch die (Verfassungs-)Traditionen der Mitgliedstaaten hier keine Anknüpfungspunkte (oberhalb des einfachen Gesetzesrechts) bieten, versteht sich angesichts der Vielfalt der rechtlichen Traditionen und wirtschaftlichen Zielsetzungen von selbst.

III. Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Sekundärrecht 1. Rechtsquellen und Erkenntnisquellen Auch auf der Ebene des Europäischen Sekundärrechts (Richtlinien, Verordnungen) ist zwischen der Rechtsquelle als Grundlage der bindenden Wirkung eines Rechtsgrundsatzes und der Erkenntnisquelle als Hintergrund seiner inhaltlichen Feststellung zu unterscheiden. Besonders klar hatte Art. 7 45

EuGH v. 1.10.2009, aaO (Fn. 44), Rn. 25 ff. Schlussanträge v. 25.6.2009, Rs. C-247/08 (Gaz de France), Rn. 27 ff. 47 Zu den Wirkungen der europäischen Grundrechte auf das europäische Steuerrecht siehe ausführlich Englisch in: Schön/Beck (Hrsg.), Zukunftsfragen des deutschen Steuerrechts, 2009, S. 39 ff. (zum Gleichheitssatz S. 56 ff.). 48 Schön FS Ulmer, 2003, S. 1359 ff. 46

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Abs. 1 des Vorentwurfs einer SE-VO aus dem Jahre 1970 diese Differenzierung zum Ausdruck gebracht. Nach Buchstabe a) dieser Vorschrift sollten Lücken im SE-Statut durch die allgemeinen Grundsätze geschlossen werden, die dem SE-Statut zugrunde liegen; bieten diese keine Lösung, sollten nach Buchstabe b) dieser Vorschrift die den mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechten zugrunde liegenden Grundsätze herangezogen werden. Rechtsquelle der Bindungswirkung der allgemeinen Rechtsgrundsätze sollte jeweils die SE-VO selbst, also ein Rechtsakt des Europäischen Sekundärrechts, sein. Erkenntnisquelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze wären in erster Linie das SEStatut und in zweiter Linie die gemeinsame Rechtstradition der Mitgliedstaaten gewesen. Dies wurde in der Nachfolgefassung aus dem Jahre 1989 dahin verkürzt, dass nur noch die Grundsätze der SE-VO selbst als Erkenntnisquelle dienen durften. In jeder späteren (und in der verabschiedeten) Fassung fehlt auch diese Verweisung. Mit der Verankerung der Rechtsquelle (und damit auch des Umfangs der Bindungswirkung) im sekundären Unionsrecht unterscheidet sich dies fundamental von den oben genannten Fällen einer primärrechtlichen Verankerung, wie sie der Gerichtshof in Mangold und Audiolux diskutiert hat.49 Daraus folgt, dass die restriktive Haltung des Gerichtshofs in Audiolux nicht notwendig auf die Ermittlung von Rechtsgrundsätzen auf der Ebene des Sekundärrechts durchschlagen muss. Denn ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im Range des Sekundärrechts würde einerseits keine weitergehende Wirkung gegenüber den Mitgliedstaaten entfalten als das Sekundärrecht selbst (dies kann z.B. bei der Notwendigkeit mitgliedstaatlicher Umsetzungsgesetzgebung eine Rolle spielen) und es würde andererseits den Unionsgesetzgeber nicht daran hindern, im Sekundärrecht angelegte Rechtsgrundsätze durch „einfache“ europäische Gesetzgebung zu modifizieren. Abgesehen von dem nicht verabschiedeten Art. 7 Abs. 1 SE-VO-Entwurf 1970/1989 finden sich im europäischen Richtlinien- und Verordnungsrecht allerdings keine expliziten Verweise auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ des Gesellschaftsrechts. Die zentrale Frage auf der Ebene des Sekundärrechts ist somit darauf gerichtet, ob und in welchem Umfang auch bei Fehlen einer solchen expliziten Verweisung allgemeinen Rechtsprinzipien Inhalt und Geltung verschafft werden kann. Diese Problematik besitzt mehrere Dimensionen: Die Entwicklung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes muss methodisch begründet werden, sie muss mit den Kompetenzregeln des EU-Rechts in Einklang stehen und sie muss schließlich mit der Technik des jeweiligen Regelungsinstruments (Verordnung, Richtlinie, Empfehlung) abgestimmt werden.

49

Wulfers aaO (Fn. 6), 109; anders wohl Habersack/Tröger aaO (Fn. 10), welche die Argumente in Audiolux mutatis mutandis auf das Sekundärrecht übertragen wollen; dem ist für den konkreten Fall, nicht aber generell beizupflichten.

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2. Methodische Grundlagen a) Gesamt- und Einzelanalogie In methodischer Hinsicht ist die Herleitung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Europäischen Sekundärrecht in erster Linie durch eine Einzel- oder Gesamtanalogie zum positiven Recht in den Vorschriften der europäischen Richtlinien oder Verordnungen zu suchen.50 Die Technik der Analogiebildung steht im Europäischen Recht nicht grundsätzlich in Zweifel. Sie entspricht der allgemeinen Befugnis der Gerichte zur Rechtsfortbildung, die nicht nur in den Mitgliedstaaten der Union anerkannt ist, sondern auch dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen seiner Aufgabe zur Wahrung des Rechts übertragen worden ist (Art. 19 Abs. 1 EUV; bisher Art. 220 EG).51 Soweit sekundärrechtliche Vorschriften einen verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken zum Ausdruck bringen, bietet es sich daher an, diesen Rechtsgedanken auch über den konkret angesprochenen Einzelfall hinaus zur Anwendung zu bringen. Dennoch stellen sich bei den verschiedenen Regelungsformen des Europäischen Sekundärrechts unterschiedliche Schwierigkeiten ein, die im Folgenden diskutiert werden. b) Methodik und Regelungsinstrument aa) Richtlinien Auf dem Feld der Richtlinien ist die wesentliche methodische Problematik darin begründet, dass diese Direktiven nicht auf unmittelbare Wirkung angelegt sind, sondern die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber anweisen, die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen dem Richtlinienbefehl anzupassen. Damit besitzt eine Richtlinie von vornherein einen fragmentarischen Charakter, der die Frage nach der Zulässigkeit der Analogiebildung aufwirft. Mit anderen Worten: Es stellt sich jeweils die Frage, ob außerhalb des Wortlauts der Richtlinien überhaupt eine ausfüllungsbedürftige „Lücke“ besteht, denn im konkreten Einzelfall ist ja in jedem Fall das nationale Recht berufen, eine Lösung des individuellen Konflikts anzubieten.52

50 Wulfers aaO (Fn. 6), 107; Tridimas aaO (Fn. 29), S. 5; zum Induktionsschluss als Grundlage der Ermittlung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen näher Metzger aaO (Fn. 16), S. 47 ff. 51 Everling JZ 2000, 217 ff., 218 ff.; Pechstein/Drechsler in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2004, S. 91 ff., 111 ff. (Primärrecht); Neuner in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2004, S. 231 ff., 234 f. (Sekundärrecht); Hager Rechtsmethoden in Europa, 2009, S. 258 ff.; Metzger aaO (Fn. 16), S. 395 ff.; monographisch Ukrow Richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH, 1995, S. 91 ff.; kritisch vor dem Hintergrund der begrenzten EU-Kompetenzen Buerstedde Juristische Methodik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006, S. 144 ff.; zum Gesellschaftsrecht Teichmann aaO (Fn. 3), 406 ff. 52 Zur Diskussion siehe Metzger aaO (Fn. 16), S. 399 f.

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Zugleich ist mit dem Instrument der Richtlinie vielfach die Vorstellung verbunden, dass der Richtliniengeber lediglich politische Zielsetzungen und allgemeine Regelungspläne formuliere, während es die Aufgabe des nationalen Gesetzgebers sei, die punktuellen Richtlinienvorgaben in das nationale Rechtssystem zu überführen und damit die Anschlussfähigkeit im mitgliedstaatlichen Kontext zu wahren. Auch vor diesem Hintergrund könnte man den Standpunkt einnehmen, dass dem Systemgedanken erst auf der Ebene des mitgliedstaatlichen Rechts (gegebenenfalls durch Analogiebildung auf dieser unteren Normenebene), nicht aber schon auf der Ebene der Richtlinien entsprochen werden könne.53 Zuzugeben ist zunächst, dass das Europäische Recht häufig keinen Anspruch auf die vollständige Regelung eines Sachgebiets erhebt und namentlich die in Art. 5 EUV niedergelegten Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung sowie der Subsidiarität einer Maximalharmonisierung entgegenstehen können.54 Daher muss akzeptiert werden, dass Richtlinienregeln keiner analogen Anwendung (oder der Herausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze) in Bereichen zugänglich sind, die der europäische Gesetzgeber dem Grunde nach nicht geregelt hat oder sogar nach den Kompetenzregeln der europäischen Verträge nicht regeln darf.55 Beispielhaft ist die Sonderung zwischen solchen Richtlinien, die nur für die Aktiengesellschaft verabschiedet worden sind (etwa die Kapital-RL, die Verschmelzungs-RL und die Spaltungs-RL) und Richtlinien, die auch für die GmbH gelten (etwa die Publizitäts-RL oder die Bilanzrichtlinien). Weder die Grenzen der Handlungsermächtigungen der Europäischen Organe noch ein fehlender politischer Einigungswille auf Gemeinschaftsebene können hier für die GmbH durch Analogiebildungen oder die Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze aus den Angleichungsrichtlinien zu den Aktiengesellschaften überwunden werden. Dennoch vermag sich innerhalb des Regelungsbereichs der Richtlinie ein „System“ zu entfalten, dessen Zwecksetzung aus der Präambel und den Materialien des Rechtsakts erschlossen und dessen sachlicher Gehalt aus den einzelnen Vorschriften der Richtlinie „induktiv“ herauspräpariert werden kann. Der Europäische Gerichtshof misst den teleologischen Grundlagen des Unionsrechts überragende Bedeutung bei der Auslegung der europäischen

53 Herresthal in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 113 ff., 141 ff. und 156 f.: keine „konkretisierende“ Fortbildung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den EuGH; zur gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung des nationalen Rechts siehe ausführlich Herresthal aaO (Fn. 28), S. 233 ff. 54 Für die Kompetenz zur Vollharmonisierung siehe aber Roth in: Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 13 ff. 55 Neuner aaO (Fn. 51), S. 241 f.

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Rechtsakte zu.56 Diese teleologische Systematik der Richtlinien ist auf dem Gebiet des Europäischen Gesellschaftsrechts spezifisch darin angelegt, dass nach Art. 55 Abs. 2 lit. g AEUV diese Richtlinien die „Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 59 Abs. 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritten vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“. Damit wird vorausgesetzt, dass die europäischen Richtlinien im Spannungsfeld zwischen der Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte im Gesellschaftsrecht einerseits und den Schutzinteressen Dritter andererseits eine materielle Abwägung treffen, deren Ergebnis dann in einzelnen Richtlinienvorschriften niedergelegt wird. Diese Kompromisslinie zwischen Handlungsfreiheit und Drittschutz bietet typischerweise das rechtspolitische Fundament einer Richtlinie und vermag daher sowohl die teleologische Auslegung als auch die analoge Fortentwicklung des Richtlinienwortlauts zu prägen.57 Soweit diese Zielrichtung zugleich die Notwendigkeit einer europäischen einheitlichen Regelung einschließt, muss die Rechtsfortbildung auf der Ebene des europäischen Richtlinienrechts stattfinden.58 Eine solche Fortbildung der gesetzlichen Grundlagen auf der Ebene des Sekundärrechts kann sich in einzelnen Fällen aus der Sicht des Europarechts nicht nur als zulässig, sondern geradezu als notwendig erweisen, um das Regelungsziel der Richtlinie zu verwirklichen. Dies wird besonders deutlich, wenn die nationale Gesetzgebung im Sachgebiet der Richtlinie „gesperrt“ ist. Hier geht es um zwei Fallgestaltungen: – Beispielhaft ist zunächst der Fall, dass für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr ein bestimmtes „Allgemeininteresse“ durch den europäischen Gesetzgeber „vergemeinschaftet“ worden ist, so dass ein nationaler Gesetzgeber sich für weitergehende Behinderungen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Unternehmen nicht ebenfalls auf dieses „Allgemeininteresse“ berufen darf. So stellte im Fall „Inspire Art“ der Europäische Gerichtshof fest, dass es dem niederländischen Gesetzgeber untersagt ist, inländische Niederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften mit Publizitätspflichten zu belegen, die über die Vorgaben der europäischen Zweigniederlassungs-RL hinausgehen.59 Dies wirft im Gegenzug die Frage auf, ob man die europäisch angeordneten Publizitätspflichten rechtsfortbildend erweitern kann, wenn dies erforderlich ist, um den Zielsetzungen der 56 Schulze Einführung, in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, 1999, S. 9 ff., 14. 57 Kritisch zur Auslegungspraxis des EuGH auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts Hommelhoff in: Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts, 1999, S. 29 ff., 32 ff. 58 Bleckmann ZGR 1992, 364 ff., 367 ff. 59 EuGH v. 30.9.2003, aaO (Fn. 43), Rn. 65 ff.; OLG Frankfurt, ZIP 2006, 333 ff.; Habersack aaO (Fn. 4), § 5 Rn. 47.

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Richtlinie, insbesondere dem Schutz des mitgliedstaatlichen Rechtsverkehrs zu genügen. Dies muss ermöglicht werden, will man nicht Gefahr laufen, dass ein sachlich begründetes Anliegen weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene aufgegriffen werden kann. – Nicht anders stellt sich die Lage bei Richtlinien dar, die im Interesse der Handlungsfreiheit von Unternehmen kraft sekundärrechtlicher Anordnung „Höchstgrenzen“ für nationale Regulierung aufstellen, z.B. im Bereich von Kapitalmaßnahmen, Verschmelzungen oder Spaltungen.60 Wenn mit diesen „Höchstgrenzen“ ein Verbot an den nationalen Gesetzgeber zu weitergehenden Schutzmaßnahmen verbunden ist, kann nur durch eine dynamische Rechtsfortbildung auf europäischer Ebene die Befugnis des nationalen Rechts zu weitergehenden Schutzregeln angepasst werden. Es muss in jedem Fall vermieden werden, dass die Richtlinienregelung einerseits den nationalen Gesetzgeber sperrt und andererseits auf europäischer Ebene nicht über ihren Wortlaut hinaus zweckgerecht fortgebildet werden kann.61 Andererseits hat der sekundärrechtliche Charakter allgemeiner Rechtsgrundsätze zur Folge, dass diese nicht in der Lage sind, spezifische normative Vorgaben in den Richtlinientexten zu überspielen. So hat der Gerichtshof in „Kommission ./. Spanien“ zu Recht festgehalten, dass die konkreten Schutzinstrumente für den Bezugsrechtsausschluss in Art. 29 Kapital-RL nicht durch eine pauschale Anwendung des Gleichbehandlungsgebots in Art. 42 Kapital-RL erweitert werden können.62 Insofern gelten für die Rechtsfortbildung im Sekundärrecht dieselben Regeln wie allgemein im Recht. Namentlich stehen die allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht höher in der Hierarchie, sondern gehorchen dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Schließlich muss bei der konkreten Anwendung dieser allgemeinen Rechtsgrundsätze beachtet werden, dass sie in ähnlicher Weise einer „Umsetzung“ in das nationale Recht bedürfen wie der im expliziten Richtlinientext angelegte Normbefehl. Dabei wird man nicht den nationalen Gesetzgeber in erster Linie für berufen halten, diese Umsetzungsleistung zu erbringen; vielmehr dürfte es Aufgabe der nationalen Gerichte sein, im Rahmen ihrer eigenen Kompetenz zur Fortbildung des nationalen Gesellschaftsrechts den auf europäischer Ebene ermittelten Rechtsgrundsätzen des europäischen Gesellschaftsrechts zum Durchbruch zu verhelfen. Denn ein auf der Ebene des Richtlinienrechts entwickelter (und nicht bereits im Primärrecht verankerter) Rechtsgrundsatz kann keine unmittelbare Geltung beanspruchen, wenn nicht dasselbe für seine Rechtsgeltungsquelle – nämlich die Richtlinie – gilt. 60 Habersack aaO (Fn. 4), § 3 Rn. 55 ff.; ausführlich Drinkuth, Die Kapitalrichtlinie – Mindest- oder Höchstnorm?, 1998, S. 58 ff. 61 Ähnlich für das Europäische Privatrecht Ulmer JZ 1992, 1 ff., 6. 62 EuGH v. 18.12.2008, Rs. C-338/06 (Kommission ./. Spanien), NZG 2009, 187 ff., Rn. 23 ff., 32.

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bb) Verordnungen Den Verordnungen ist wegen ihrer unmittelbaren Wirkung und dem typischerweise auf Vollständigkeit angelegten Charakter ihrer Regelungsdichte noch stärker als bei Richtlinien die Möglichkeit einer Fortbildung durch Einzelanalogie und Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze zu eigen. Das spezifische Problem bei den Verordnungen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts – d.h. den Verordnungen zur Einführung supranationaler Rechtsformen – ist eher darin zu finden, dass sie zur Ausfüllung von Fehlstellen ausdrücklich auf das nationale Gesellschaftsrecht verweisen und damit scheinbar ein „Analogieverbot“ konstatieren. Dies wird in Art. 9 Abs. 1 SE-VO besonders nachhaltig darin zum Ausdruck gebracht, dass der Verweis auf das nationale Recht nicht nur dann geboten ist, wenn ein Sachbereich überhaupt nicht in der Verordnung geregelt ist, sondern auch dann, wenn ein Sachbereich „teilweise“ in der Verordnung behandelt worden ist. Die Verordnungen scheinen damit – entgegen ihrem grundsätzlichen Anspruch auf Verwirklichung einer genuin europäischen Rechtsform – einen eng begrenzten, punktuell verfassten Regelungsanspruch zu besitzen. Einer derart einseitigen Sicht steht jedoch die in Art. 68 Abs. 1 SE-VO sowie in Art. 78 SCE-VO niedergelegte Verpflichtung der Mitgliedstaaten entgegen, die Wirksamkeit der Verordnung durch geeignete Vorkehrungen zu unterstützen.63 Dies darf nicht lediglich als Hinweis auf die Notwendigkeit zur ergänzenden Einführungs- und Ausführungsgesetzgebung verstanden werden, sondern konkretisiert zugleich das in Art. 4 Abs. 3 EUV enthaltene allgemeine Loyalitätsgebot für die Mitgliedstaaten gegenüber den Zielen und Rechtsakten der Europäischen Union. Im Einzelnen lassen sich die folgenden problematischen Situationen voneinander abgrenzen: – Eine erste Frage ist demgegenüber darauf gerichtet, ob Art. 9 Abs. 1 SE-VO den Analogieschluss oder die Heranziehung allgemeiner Rechtsgrundsätze generell verbietet oder nur für diejenigen Konstellationen ausschließt, in denen der Gemeinschaftsgesetzgeber bewusst keine Regelung getroffen hat. Gewichtige Stimmen im Schrifttum möchten nur für „planmäßige“ Lücken die prinzipiengeleitete Fortbildung der SE-VO ausschließen.64 Das erscheint zutreffend, wenn man bedenkt, dass die SE-VO (sowie die übrigen Verordnungen auf dem Gebiet supranationaler Rechtsformen) einerseits das Ideal einer möglichst einheitlichen Ausgestaltung dieser Gesellschaftstypen nicht völlig aufgegeben haben und andererseits diese Ausgestaltung von teleologischen Prinzipien geleitet worden ist, deren über-

63

Wulfers aaO (Fn. 6), 111. Casper aaO (Fn. 13), Art. 9 SE-VO Rn. 10; Hommelhoff/Teichmann aaO (Fn. 13), Art. 9 SE-VO (§ 1 SEAG) Rn. 51; Schäfer aaO (Fn. 13), Art. 9 SE-VO Rn. 15, 17; Teichmann aaO (Fn. 3), 408 f.; Wulfers aaO (Fn. 6), 108. 64

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greifende Wirkkraft durch eine vorschnelle Zuflucht zum nationalen Recht in Frage gestellt werden könnte. Andernfalls würde man den Mitgliedstaaten unterstellen, dass sie den Rekurs auf das mitgliedstaatliche Recht nicht nur für diejenigen Situationen anordnen wollten, für deren Bewältigung sich im Gesetzgebungsverfahren kein politischer Kompromiss finden ließ, sondern dass sie den einheitlichen Rechtsrahmen der supranationalen Gesellschaften bewusst fragmentarisch und punktuell ausgestalten wollten. Damit würde eine zweckorientierte und europaweit einheitliche Fortbildung des Verordnungsrechts auch für solche Fälle ausgeschlossen, in denen ein politischer Konflikt überhaupt nicht besteht – eine insgesamt destruktive und auch rechtspolitisch nicht überzeugende Lösung. – Schaut man näher hin, ist weiterhin eine Situation nicht ausgeschlossen, in denen die Verordnung zwar bewusst eine Lücke lässt und die einschlägige Sachregelung im nationalen Gesellschaftsrecht zur Lösung berufen ist, diese Lösung aber inhaltlich mit der inneren Teleologie der Verordnung konfligiert. Muss das Europarecht diesen Eingriff des nationalen Rechts mit Rücksicht auf Art. 9 Abs. 1 SE-OV hinnehmen? M.E. darf dies nicht geboten sein, will man nicht den Regelungszweck der Verordnung gefährden. Vielmehr verlangt der „effet utile“-Gedanke des europäischen Rechts: Allgemeine Rechtsgrundsätze können zwar bei „planmäßigen Lücken“ nicht für sich gesehen die den Mitgliedstaaten überlassenen Freiräume ausfüllen, sie müssen aber herangezogen werden, um die Übereinstimmung des zur Konfliktlösung berufenen nationalen Rechts mit den Prinzipien der Verordnung zu gewährleisten.65 Beispielhaft ist der Gedanke des effektiven Rechtsschutzes, der kraft Europarechts auch dann in Stellung gebracht werden muss, wenn die konkrete Ausgestaltung von Aktionärsklagen der mitgliedstaatlichen Gesetzgebung anvertraut ist. Im Regelfall wird dies unproblematisch sein: Der nationale Gesetzgeber wird die „Detailarbeit“ innerhalb des von der Verordnung gesetzten Rahmens ungestört leisten können. Wenn er aber teleologische Grundentscheidungen der Verordnung verletzt, ohne offen mit deren Normtext in Konflikt zu geraten, muss den europäischen Grundprinzipien der Vorrang eingeräumt werden. Der konkrete nationale Normbefehl darf dann nicht befolgt werden; statt dessen muss – auf der Ebene der nationalen Rechtsordnung, aber in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien der Verordnung – eine andere Lösung oder Regelung gefunden werden. – Schließlich muss beachtet werden, dass das in Bezug genommene nationale Gesellschaftsrecht in vielen Bereichen durch europäische Richtlinien vorgeformt ist.66 Wenn und soweit diese Richtlinien allgemeine Grundsätze

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Wulfers aaO (Fn. 6), 111. Wulfers aaO (Fn. 6), 107.

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enthalten, die nach den oben geschilderten Regeln Geltung auch bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Gesellschaftsrechts beanspruche können, werden die in den europäischen Richtlinien enthaltenen Rechtsgrundsätze gleichsam „über die Bande“ des nationalen Gesellschaftsrechts wieder in das Gemeinschaftsrecht, nämlich den Sachbereich der supranationalen Rechtsformen zurückgespielt.

IV. Schluss Die vorstehenden Ausführungen haben zum Ziel, der Rechtsfigur „allgemeiner Rechtsgrundsätze“ im europäischen Gesellschaftsrecht trotz gegenläufiger Tendenzen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung der Europäischen Union zu stärkerer Anerkennung zu verhelfen. Die hierfür maßgebliche Weichenstellung liegt in der Differenzierung zwischen Rechtsprinzipien auf der Ebene des Primärrechts, die auf europäischer Ebene mit Verfassungsrang ausgestattet sind und unmittelbare Wirkung beanspruchen dürfen, und Rechtsprinzipien auf der Ebene des Sekundärrechts, die den Geltungsrang, die inhaltlichen Grenzen und die beschränkten Rechtswirkungen der zugrunde liegenden Richtlinien und Verordnungen teilen. Vor dem Hintergrund dieser Distinktion erscheint es möglich, gerade im Sekundärrecht zweckgeleitete Grundsätze zu etablieren, ohne einerseits einem agnostischen Pointilismus des europäischen Gesellschaftsrecht Vorschub zu leisten oder andererseits die wohlausgewogene Balance zwischen den europäischen Organen einerseits sowie der Union und den Mitgliedstaaten andererseits zu gefährden. Der Verfasser sieht lebhaften Diskussionen mit dem Jubilar über Inhalt und Reichweite konkreter Rechtsgrundsätze im Europäischen Gesellschaftsrecht mit Freude entgegen.

Interessenkonflikte im Aufsichtsrat Christoph H. Seibt I. Einführung Die Frage nach der rechtlichen Behandlung von Interessenkonflikten nimmt im wissenschaftlichen Œuvre des Jubilars Klaus J. Hopt eine wichtige Rolle ein. Seine Abhandlungen und Kommentierungen1 haben sehr früh auf die wesentliche Rolle der Lösung von Interessenkonflikten in den Unternehmensorganen für eine effiziente Corporate Governance hingewiesen, und die von ihm entwickelten Thesen haben die Rechtsentwicklung und Unternehmenspraxis wesentlich beeinflusst. Trotz alledem soll mit diesem Beitrag ein erneuter Detailblick auf die Rechtsfragen gewagt werden, bei Vorliegen welcher Umstände ein bedeutsamer Interessenkonflikt in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds vorliegt, welche konkreten Rechtsfolgen sich hieraus für das Organmitglied ergeben und wem die Entscheidungskompetenz hierüber zukommt. Die Neubetrachtung dieses Themenkomplexes erscheint deshalb lohnenswert, weil sich die Analyse der zu Interessenkonflikten führenden Umstände und die Lösung zu ihrer Bewältigung in ein Modell effizienter Aufsichtsratstätigkeit einpassen muss und sich die Art sowie die Detailtiefe der Aufsichtsratstätigkeit und die Anforderungen an die Organmitglieder in den letzten Jahren wesentlich verändert haben. Die Vermeidung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat muss eine deutlich herausragendere Rolle in einem Aufsichtsrat haben, der nicht nur „Ehrenamt“ und als Interessenvertreter der Aktionäre (und nach Einführung der Unternehmensmitbestimmung: auch als Interessenvertreter der Arbeitnehmer) beschränkte Beratungs- und Überwachungsaufgaben wahrnimmt, sondern im (Neben-)Beruf mit Zugriff auf unternehmensinterne sowie bedeutsame externe Ressourcen die Unternehmensstrategie mit entwickelt, ihre Umsetzung überwacht und zwingend mitunternehmerische Entscheidungen im Interesse des Unternehmens und sämtlicher Stakeholder trifft. In diesem neuen Koordinatensystem der Aufsichtsratsfunktion stellen sich verschärfte Anforderungen an die Zusammensetzung des Aufsichtsrates, die mit den Stichworten Organgröße, 1 Z.B. Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 53 ff. und § 116 Rn. 188 f.; Hopt ZGR 2004, 1 ff.; Hopt ZGR 2002, 333 ff.; Hopt in FS P. Doralt, 2004, S. 213 ff.

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Professionalität und Fachkenntnisse, Unabhängigkeit, Diversity und Ressourceneinsatz skizziert werden können, sowie an die Binnenorganisation der Gremienarbeit (hierzu Grafik). Für beide Felder ist die Identifikation und Bewältigung von Interessenkonflikten von besonderer Bedeutung, um den gestiegenen Aufgaben und Kompetenzen gerecht zu werden. Grafik: Koordinatensystem und Wechselwirkungen der Aufsichtsratstätigkeit Qualifikation/Anforderungen (z.B. Berücksichtigung potentieller Interessenkonflikte)

Größe/ Zusammensetzung

Zeiteinsatz

Aufgaben und Kompetenzen (ⳎVerantwortung/ Haftung)

Sachlicher Ressourceneinsatz (Beratung, Informationsquellen)

Binnenorganisation/ Verfahrensregeln zur Willensbildung (z.B. Bewältigung von Interessenkonflikten)

Da das Aufsichtsratsmandat nicht als Haupt-, sondern als Nebentätigkeit ausgestaltet ist und Aufsichtsratsmitglieder somit in der Regel neben ihrer organschaftlichen Pflichtenbindung gegenüber der Gesellschaft noch weiteren Pflichtenbindungen unterliegen bzw. anderweitige Interessen haben, können sich mannigfache Konflikte zwischen dem Unternehmensinteresse und den sonstigen Pflichtenbindungen oder Interessen der Aufsichtsratsmitglieder ergeben.2 Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang häufig zwischen Interessenkonflikten einerseits und Pflichtenkollisionen andererseits unterschieden:3 Bei Interessenkonflikten liegt ein Konflikt zwischen dem Unter2 Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 100 Rn. 51; Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 116 Rn. 4 f. 3 Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 100 Rn. 61; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 96; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 926 f.

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nehmensinteresse und den Eigeninteressen des Aufsichtsratsmitglieds vor, während eine Pflichtenkollision voraussetzt, dass die Pflicht zur Wahrnehmung des Unternehmensinteresses mit der Pflicht zu einem abweichenden Verhalten aus einem anderen Rechtsverhältnis (Drittinteresse) kollidiert. Da sich die rechtliche Beurteilung von Interessen- und Pflichtenkollisionen kategorial nicht unterscheidet,4 wird in diesem Beitrag für beide Konfliktsituationen einheitlich und vereinfachend der Begriff des Interessenkonflikts verwendet. Zeichen dieser dogmatischen Umbruchphase ist die über die letzten Jahre zu beobachtende erhebliche Zunahme von unternehmensinternen Diskussionen und auch öffentlich geführten Streitigkeiten über das Vorliegen von dauernd vorliegenden oder temporären Interessenkonflikten, die einer Ausübung der Aufsichtsratstätigkeit vollständig oder jedenfalls bezogen auf bestimmte Sachverhalte entgegenstehen. Aus der Vielzahl, in der Öffentlichkeit diskutierten Fälle illustrieren die nachfolgenden Praxissachverhalte die Spannbreite der Thematik: Frank Bsirske/Lufthansa (2003 und 2008): Frank Bsirske, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa AG, rief im Dezember 2002 in seiner Funktion als Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di zu umfangreichen Warnstreiks des öffentlichen Dienstes an den Flughäfen Frankfurt a.M. und München auf. Die Streiks führten bei der Lufthansa AG nach Medienangaben zu Schäden aufgrund von Umsatzeinbußen von etwa EUR 100 Mio. Auf der Hauptversammlung der Lufthansa AG 2003 wurde Frank Bsirske daraufhin mit 68,3 % der Aktionärsstimmen die Entlastung verweigert und vorgeworfen, dass er seinen Interessenkonflikt zu Lasten der Gesellschaft und ihrer Aktionäre entschieden habe.5 Ähnliche Vorwürfe gegen Frank Bsirske – verbunden mit Rücktrittsforderungen – kamen auch im Juli 2008 auf, als die Gewerkschaft ver.di die Lufthansa AG bestreikte.6 – Auch im Tarifstreit der Telekom AG mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Juni 2007 wurde dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Telekom AG, Lothar Schröder, wegen seiner Bestimmung zum Verhandlungsführer von ver.di der Vorwurf eines Interessenkonfliktes gemacht.7 4

Ebenso Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 100 Rn. 61. Hierzu FAZ v. 20.6.2003, S. 17, 20 (Kommentar: „Lufthansa-Aktionäre verweigern Bsirske die Entlastung“); Pressemitteilung der DSW v. 18.6.2003 („Schlappe für Bsirske auf der Lufthansa-Hauptversammlung“), abrufbar unter www.dsw-info.de/Schlappe-fuerBsirske-auf-der.186.0.html; vgl auch Hopt ZGR 2004, 1, 4; Möllers NZG 2003, 697. 6 Hierzu Die Welt v. 28.7.2008 („Lufthansa-Streik verpufft, kaum Flüge gestrichen“), abrufbar unter www.welt.de/wirtschaft/article2254508/Lufthansa-Streik-verpufft-kaumFluege-gestrichen.html. 7 Hierzu Süddeutsche Zeitung v. 15.6.2007 („Verdi bestreitet Interessenkonflikt“), abrufbar unter www.sueddeutsche.de/wirtschaft/436/347273/text/print.html. – Lutter (FAZ v. 13.6.2007, S. 25 [„Verdi-Vorkämpfer muss abtreten“]) warf Schröder die Verletzung seiner Pflicht als Aufsichtsratsmitglied vor und attestierte ihm ein hohes Risiko, deswegen auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. 5

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Michael Sommer/Postbank und Margrit Wendt/Deutsche Post World Net (2005): Im Zusammenhang mit der Akquisition des von der Gewerkschaftsholding BGAG gehaltenen Finanzdienstleistungsunternehmens BHW Holding AG durch die Postbank AG im Jahre 2005 stellte Michael Sommer, damaliger stellvertretender Vorsitzender des deutschen Gewerkschaftsbundes und Aufsichtsratsmitglied der Postbank AG, sein Mandat in der Zeit vom 14. Oktober bis zum 24. November 2005 aufgrund eines möglichen Interessenkonfliktes (Verkäufernähe) ruhend.8 So verhielt sich auch Margrit Wendt, Vertreterin von ver.di und Mitglied des Aufsichtsrats der PostbankMuttergesellschaft Deutsche Post World Net AG, in der Sitzung des Aufsichtsrates der Deutschen Post World Net AG vom 24. Oktober 2005.9 Ferdinand Piëch/MAN (2007) bzw. Porsche (2008): Mit Hauptversammlungsbeschluss vom 10. Mai 2007 wurde Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender der VW AG, von den Aktionären in den Aufsichtsrat der MAN AG mit (lediglich) 73,26 % der Stimmen gewählt, wobei dem VW-Aufsichtsratsvorsitzenden ein Interessenkonflikt sowie eine mutmaßliche Vereinbarung mit Arbeitnehmervertretern für den Fall eines Zusammenschlusses von MAN mit Scania bezogen auf die Lkw-Aktivitäten von VW vorgeworfen wurde.10 Die von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) gegen den Hauptversammlungsbeschluss u.a. wegen Fehlens der Amtsfähigkeit (dauernder Interessenkonflikt) angestrengte Anfechtungsklage blieb sowohl vor dem LG München11 als auch in der Berufung vor dem OLG München12 erfolglos. – Im Zuge der geplanten Komplettübernahme der Volkswagen AG durch die Porsche AG wurden sowohl die Bestellungen der Porsche-Vorstände Wendelin Wiedeking und Holger Härter in den VW-Aufsichtsrat als auch das Doppelmandat von Ferdinand Piëch als VW-Aufsichtsratsvorsitzender und Porsche-Aufsichtsratsmitglied als auch später bei einzelnen Beschlussgegenständen die Rolle der Gewerkschaftsvertreter im VW-Aufsichtsrat kritisch gesehen.13 Schaeffler/Continental (2009): Im Zuge des Übernahmeverfahrens Schaeffler/Continental kam es bei der gerichtlichen Bestellung und späteren Auf8

Postbank AG Bericht des Aufsichtsrats 2005 (Geschäftsbericht), S. 67. Deutsche Post World Net AG Bericht des Aufsichtsrats 2005 (Geschäftsbericht), S. 10. 10 Hierzu manager magazin v. 10.5.2007 („Piëch ist Chef des Aufsichtsrats“), abrufbar unter www.manager-magain.de/unternehmen/artikel/0,2828,482207,00.html. 11 LG München, Urteil v. 22.11.2007 – 5 HK O 10615/07, NZG 2008, 150; siehe auch Vetter NZG 2008, 121 ff. 12 OLG München, Urteil v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, NZG 2009, 508. 13 FAZ v. 11.10.2005, S. 26 („Ein krasser Fall von Interessenkollision“); kritisch auch Baums in manager magazin v. 5.10.2005 („Der doppelte Piëch“), abrufbar unter www. manager-magain.de/unternehmen/artikel/0,2828,377985,00.html; Süddeutsche Zeitung v. 12.9.2008 („Der Doppelstratege“), abrufbar unter www.sueddeutsche.de/wirtschaft/436/ 347273/text/print.html; manager-magazin v. 22.7.2009 („Vier Doppelstrategen“), abrufbar unter www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,637656,00.html. 9

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sichtsratswahl von Rechtsanwalt Rolf Koerfer zu Gerichtsverfahren 14 und danach im Zusammenhang mit der Abstimmung des Aufsichtsrats der Continental AG über eine Kapitalerhöhung zu Pressediskussionen über Interessenkonflikte der Schaeffler-Vertreter im Continental-Aufsichtsrat.15 Willi Berchtold/Infineon (2010): Nach Bekanntgabe eines Gegenantrags von Aktionären zur Wahl von Willi Berchtold zum Aufsichtsrat der Infineon AG und dessen öffentlicher Kandidatur für die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden wurde insbesondere von Unternehmen der Automobilbranche – unterstützt u.a. durch Stellungnahmen von Marcus Lutter und Mathias Habersack – auf drohende Interessenkonflikte hingewiesen, die dadurch entstehen können, dass Willi Berchtold Finanzvorstand von ZF Friedrichshafen und Aufsichtsratsvorsitzender der Bundesdruckerei ist, beides bedeutsame Kunden der Infineon AG. Hieraufhin erklärte Willi Berchtold, dass er bei Wahl in den Aufsichtsrat sein Amt als Vorstand der ZF Friedrichshafen AG niederlegen werde.16 Diese teilweise breit in der Medienöffentlichkeit diskutierten Fälle sollen allerdings nicht den Blick dafür verstellen, dass es bei diesem Themenkreis nicht nur um ganz außergewöhnliche Sondersituationen geht. Eine Analyse der Aufsichtsratsberichte der DAX 30-, MDAX- und TecDAX-Unternehmen für die Geschäftsjahre 2007 und 200817 ergibt, dass in 23 Fällen (über 10 % der Gesamtgruppe) von tatsächlich aufgetretenen Interessenkonflikten berichtet wurde. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass Aktionärsschutzvereinigungen und Vertreter institutioneller Investoren in Redebeiträgen vor der Hauptversammlung nach entstandenen Interessenkonflikten und ihrer Behandlung fragen.18 14 Z.B. LG Hannover, Beschluss v. 12.3.2009 – 21 T 2/09, ZIP 2009, 761; hierzu Knapp DStR 2010, 56, 48 f.; LG Hannover, Urteil v. 17.3.2010 – 23 O 124/09, ZIP 2010, 833 – n. rkr. 15 Hierzu Handelsblatt v. 29.7.2009 („Schaeffler steckt im Interessenkonflikt“) mit zitierter Stellungnahme von Roth, der dort zu dem Ergebnis gelangt, dass viele Argumente für einen Interessenkonflikt der Schaeffler-Vertreter im Conti-Aufsichtsrat sprechen. 16 Handelsblatt v. 22.1.2010, S. 2/3 („Berchtold blitzt bei Kunden von Infineon ab“); Handelsblatt v. 27.1.2010, S. 23 („Berchtold beugt sich dem Druck der Infineon-Kunden. Der Finanzvorstand von ZF will sein Amt aufgeben, falls er in den Aufsichtsrat des Chipherstellers gewählt wird – und baut damit einem Interessenkonflikt vor“); FTD v. 27.1.2010, S. 3 („ZF Friedrichshafen kommt Finanzvorstand abhanden – (…) Berchtold würde mit diesem Verhalten zudem gegen Vorgaben des Corporate-Governance-Kodexes verstoßen“); Börsen-Zeitung v. 27.1.2010, S. 1 („Berchtold gibt alles für den Infineon-AR“). 17 Nach Ziff. 5.5.3 S. 1 Deutscher Corporate Governance Kodex soll der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren. Diese Empfehlung wurde nach Selbstangabe von 100 % der DAX 30- und 96,7 % der MDAX-Unternehmen im Geschäftsjahr 2008 bzw. von 100 % der DAX 30- und 93,9 % der MDAX-Unternehmen im Geschäftsjahr 2009 befolgt; vgl von Werder/ Talaulicar DB 2008, 825, 828; dies. DB 2009, 689, 693. 18 Z.B. Redebeitrag Dr. Roland Rott (Governance for Owners, London), Hauptversammlung der Siemens AG am 24.1.2008 (abrufbar unter www.governanceforowners.

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Aber auch die Gruppe der sog. kritischen Aktionäre hat die Rüge fehlerhafter Behandlung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat (und/oder Vorstand) bzw. ihre unvollständige Offenlegung in der Hauptversammlung in ihr Standardrepertoire für Anfechtungsklagen aufgenommen. Die kürzlich veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 21.9.2009 (II ZR 174/08) 19, in der das Gericht einer Anfechtungsklage gegen den Entlastungsbeschluss des Aufsichtsrats der Axel Springer Verlag AG wegen hinreichend gewichtiger fehlerhafter Entsprechenserklärung i.S.v. § 161 AktG und damit relevanter Informationspflichtverletzung stattgab (fehlende Offenlegung eines Interessenkonfliktes beim Aufsichtsratsmitglied Brian M. Powers (Managing Director Hellman & Friedman LLC) bei der seinerzeit geplanten Übernahme der ProSiebenSat.1 Media AG, an der Hellman & Friedman LLC beteiligt und bei der Brian M. Powers ebenfalls Aufsichtsrat war), ist Ausweis hiervon und wird die Bedeutung dieses Themenkomplexes noch steigern. Der Beitrag wird in einem ersten Abschnitt die Relevanz der Identifikation und der Bewältigung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat sowie ihre rechtliche Grundlegung analysieren (sub II.). Hiernach wird ein fünfstufiger Reaktionsmechanismus vorgestellt, der entsprechend Intensität und Dauer des jeweiligen Interessenkonflikts eine angemessene Reaktion vorgibt, nämlich (geordnet nach der Eingriffsintensität beim Aufsichtsratsmitglied): (i) Offenlegung des Interessenkonflikts; (ii) Pflicht zur Stimmenthaltung bzw. Stimmverbot; (iii) Ausschluss von der Sitzungsteilnahme und von bestimmten Informationen; (iv) Ruhenlassen des Mandats; (v) Amtsniederlegung. Die zu einer Stimmenthaltungspflicht bzw. zu einem Stimmverbot führenden Umstände werden in Fallgruppen näher konkretisiert (sub III.1). Schließlich werden die Entscheidungskompetenz für die Maßnahmen zur Bewältigung der Interessenkonflikte (sub III.2) und die Möglichkeiten institutioneller Absicherung (z.B. Ausschussbildung, typisierende Vorklärung in Geschäftsordnung) dargestellt (sub III.3).

com/images/_upload/_pdf/12_comment_14_1.pdf) sowie Redebeiträge von Christan Strenger u.a., Hauptversammlung der Continental AG am 23.4.2009 (berichtet in Handelsblatt v. 24.4.2009, S. 12 [„Nicht ohne Maria“]) und von „kritischen Aktionären“, Hauptversammlung der Continental AG am 28.4.2010 (berichtet in Handelsblatt v. 29.4.2010, S. 27 [„Contis Weg aus dem Schuldenschlamassel – Doch Großaktionärin Schaeffler erntet heftige Kritik“]). 19 NZG 2009, 1270; hierzu Goette GWR 2009, 459; Peltzer NZG 2009, 1336 f.; vgl. auch FTD v. 28.1.2010, S. 8 („wie ich dir, so du mir“ – Interessenkonflikte in deutschen Aufsichtsräten).

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II. Bedeutung und rechtliche Grundlegung der Regeln zur Bewältigung von Interessenkonflikten 1. Bedeutung der Rechtsregeln zur Bewältigung von Interessenkonflikten Mit dem Bestehen von Interessenkonflikten in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds gehen drei Risiken für das Unternehmensinteresse einher, zu deren Minimierung die Regelungen zur Bewältigung von Interessenkonflikten eingesetzt werden sollen: (1) Zuvorderst sollen die Regeln zur Bewältigung von Interessenkonflikten eine effiziente, unabhängige sowie am Unternehmensinteresse und an der konkreten Unternehmensstrategie ausgerichtete Willensbildung im Aufsichtsrat gewährleisten. Nur bei Transparenz eines potentiellen Konflikts zwischen dem Unternehmensinteresse einerseits und Eigen- bzw. Drittinteressen in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds andererseits kann eine offene, sachorientierte und am Unternehmensinteresse ausgerichtete Diskussionskultur bestehen, eine „Vertrauenskultur“, in der alle Diskussionsteilnehmer sich wechselseitig ernst nehmen und darauf vertrauen, dass die Willensbildung und Entscheidung ausschließlich am Unternehmensinteresse ausgerichtet wird. Eine solche Vertrauenskultur setzt die persönliche Bereitschaft voraus, die eigenen Interessen- und Pflichtenbindungen offen zu legen und bei einer bestimmten Gefährdungsintensität von der Teilnahme an einer Willensbildung abzusehen. Bestehende Unsicherheiten im Hinblick auf von Eigen- bzw. Drittinteressen orientierten Diskussionsbeiträgen führen in jedem Fall zur Verzögerung im Willensbildungsprozess und können insbesondere bei konsensorientierter Diskussionsführung zu inhaltlich ungemessenen Entscheidungen führen. Deshalb sind auch bereits potentielle Interessenkonflikte offenzulegen. Nur in dem Verständnis, dass alle Organmitglieder sich diesen Regeln unterwerfen und insoweit bereit sind, die legitimen Informationsansprüche der anderen Organmitglieder zu erfüllen, kann eine effiziente, unabhängige und am Unternehmensinteresse ausgerichtete Willensbildung im Aufsichtsrat gelingen. Dies wiederum ist Voraussetzung für eine möglichst hohe Richtigkeitsgewähr der Gremienentscheidung und damit für den Erfolg der Unternehmensführung. (2) In Verlängerung des Risikos einer ineffizienten, zeitlich verzögerten und inhaltlich unangemessenen, da nicht am Unternehmensinteresse ausgerichteten Willensbildung steht die mit Interessenkonflikten in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds einhergehende Gefahr, dass Vermögensverschiebungen oder Nachteile zulasten des Unternehmens eintreten. Insofern stehen die Regeln zur Offenlegung und Bewältigung von Interessenkonflikten flankierend neben den weiteren Ausprägungen der Treuepflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, nämlich der positiven Förderpflicht und dem negativen Schädigungsverbot, der strengen Vertraulichkeitspflicht (auch gegenüber

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anderen Pflichtendestinatären und dem Wahlkörper 20) sowie dem – allerdings wegen der Nebenamtkonzeption sehr eingeschränkten – Wettbewerbsverbot 21, und daneben der Sorgfaltspflicht nach §§ 116, 93 AktG sowie dem sich an Dritte richtenden Schädigungsverbot nach § 117 AktG. (3) Die konsistente Einhaltung der Regeln über die Identifikation und die Behandlung von Interessenkonflikten, ihre Dokumentation und ihre in einem angemessenen Rahmen stattfindende Überprüfung bzw. Überprüfbarkeit sind schließlich Voraussetzung für das Vertrauen der Stakeholder des Unternehmens in die effiziente Corporate Governance und die Integrität der Organmitglieder des Unternehmens. Das Vertrauen in eine effiziente Corporate Governance sowie in die Integrität der Organmitglieder des Unternehmens findet ökonomisch seinen Niederschlag in niedrigeren Kapitalaufnahmekosten (z.B. höhere Aktienkursbewertung, verbessertes BankenRating und verbesserte Vertragsbedingungen durch Verzicht auf Risikoabschläge seitens der Vertragsgegner). 2. Rechtliche Grundlegung der Regeln zur Bewältigung von Interessenkonflikten Eine ausdrückliche Rechtsregel zur Identifikation und Bewältigung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat findet sich im Aktiengesetz nicht. Sie sind vielmehr aus allgemeinen Rechtsprinzipien herzuleiten, namentlich der Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder, der Verpflichtung zur Handlungsausrichtung am Unternehmensinteresse, dem Verbot des Richtens in eigenen Angelegenheiten und schließlich der Maxime effizienten (und am Unternehmensinteresse ausgerichteten) Organhandelns. Dabei sind die (aktien-)gesetzlich ausdrücklich getroffenen Wertungsentscheidungen für die persönliche Amtsfähigkeit (§ 100 Abs. 2, § 105 Abs. 1 AktG) sowie von Handlungs- und Stimmverboten (§ 34 BGB, § 136 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GmbHG, § 25 Abs. 5 WoEigG) zu berücksichtigen. Es ist inzwischen Gemeingut anzunehmen, dass die Aufsichtsratsmitglieder einer Treuepflicht (duty of loyalty) zur Gesellschaft mit dem Inhalt unterliegen, der Gesellschaft loyal zu dienen und im Rahmen der treuhänderischen und fremdnützigen Beziehung alles zu unterlassen, was sich nachteilig auf das Unternehmen auswirken kann, und eigene Interessen hinter diejenigen 20 Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rn. 55; Hopt/Roth in GroßKomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 116 Rn. 246; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rn. 51; Lutter Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, S. 151 ff.; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 257; aA für das Verhältnis der Arbeitnehmervertreter zu Betriebsrat und Belegschaft Kittner ZHR 136 (1972), 208, 214 ff., 240 ff.; Spieken NJW 1965, 1941 f.; Nagel BB 1979, 1799, 1803. 21 Vgl. Hopt/Roth in GroßKomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 116 Rn. 193 m.w.N.

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der Gesellschaft zurückzustellen.22 Diese organschaftliche Treuepflicht verpflichtet jedes Organmitglied dazu, mit den anderen Mitgliedern des Organs sowie den anderen Organen der Gesellschaft effektiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.23 Hierzu gehört auch, dass die Organmitglieder aktuelle oder potentielle Interessenkonflikte unverzüglich offenzulegen haben. Weiter gehört es zur Erfüllung der Treuepflicht, Interessenkonflikte soweit als möglich zu vermeiden und im Konfliktfall die Interessen der Gesellschaft den etwaig kollidierenden Eigen- bzw. Fremdinteressen vorzuziehen. Diese Verpflichtungen zur Offenlegung sowie zum Pflichtenvorrang sind jeweils im Deutschen Corporate Governance Kodex als berichtspflichtige Empfehlungen niedergelegt.24 Rechtsbegründende und gleichzeitig rechtsbeschränkende Grundlage der organschaftlichen Treuepflicht ist nach zutreffender Vorstellung zweierlei: Zum einen und wohlfahrtsökonomisch betrachtet folgt die Treuepflicht des Organmitglieds aus seiner besonderen Verfügungsmacht über fremde Vermögensinteressen und stellt den notwendigen Gleichlauf zwischen Einflussmöglichkeit einerseits und Verantwortung andererseits sicher. Zum anderen entspricht es einem überzeugenden sozialethischen Verständnis, dass die Übernahme eines treuhänderischen fremdnützigen Amtes auch tatsächlich fremdnützig ausgerichtet wird. Beide durchaus miteinander verbundenen Begründungsmaximen implizieren für Aufsichtsratsmitglieder de lege lata keine absoluten Folgepflichten, sondern erlauben eine Relativierung im Hinblick auf das vom Gesetz und den typisierenden Stakeholdern zugrunde gelegte persönliche Anforderungsprofil (Nebenberuf im Gegensatz zum Hauptberuf Vorstand) und zu den sachgegenständlich begrenzten Tätigkeitsfeldern des Aufsichtsrates (im Gegensatz zum umfassenden Pflichtrecht des Vorstandes zur Unternehmensleitung und zur Geschäftsführung). Die Pflicht zur Offenlegung aktueller oder potenzieller Interessenkonflikte und zur Bewältigung etwaiger Interessenkonflikte durch Verfolgung des Unternehmensinteresses (Pflichtenvorrang) folgt jedenfalls in Teilbereichen auch aus der Sorgfaltspflicht (duty of care) der Aufsichtsratsmitglieder (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG), die diese verpflichten, in Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten und im Rahmen eines bestimmten unternehmerischen Ermessensspielraums mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters unter Ausrichtung am Unternehmensinteresse vorzugehen. Denn bereits das Aufrechterhalten des bloßen Anscheins von Interessenkonflikten bei der Amtsausübung kann zu Reputationsnachteilen und Schäden durch entgangene Geschäfts22 So z.B. Hopt in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.1.1999, § 93 Rn. 145; Mertens/ Cahn in KölnKomm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 57; Möllers in Hdb Corporate Governance, 2. Aufl. 2010, S. 423, 431. 23 Vgl Möllers in Hdb Corporate Governance, 2. Aufl. 2010, S. 423, 431. 24 Pflicht zur Offenlegung: Ziff. 4.3.4 Satz 1, 5.5.2 und 5.5.3 Satz 1 DCGK; Pflichtenvorrang: Ziff. 4.3.3 und 5.5.1 DCGK.

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chancen und die Berücksichtigung von Risikoabschlägen, z.B. bei Kundenverträgen, bzw. von Risikoaufschlägen, z.B. bei Lieferantenverträgen, führen.25 Für bestimmte, „erhebliche“ Interessenkonflikte enthalten die gesetzlichen Regelungen in § 34 BGB, § 136 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG sowie § 25 Abs. 5 WoEigG als Konkretisierung der organschaftlichen Treuepflicht ein Stimmverbot zulasten des Organmitglieds, in dessen Person mit dem Unternehmensinteresse kollidierende eigene oder relevante Fremdinteressen betroffen sind. In diesen einzelgesetzlichen Regelungen wird der Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Angelegenheit sein darf, für die Fälle der Vornahme eines Rechtsgeschäfts zwischen dem Rechtsträger und dem Mitglied sowie der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen diesen kodifiziert. Der in den Einzelgesetzen zum Ausdruck kommende Grundsatz kann unter Anwendung in der Rechtswissenschaft anerkannter Argumentationsmethoden, nämlich insbesondere dem argumentum a maiore ad minus sowie dem argumentum a fortiori für die Bewältigung anderer Interessenkonfliktlagen herangezogen werden (näher sub III.1.2). Wohlfahrtsökonomisch streitet auch die Maxime effizienten Organhandels für die Offenlegung, die angemessene Bewältigung von Interessenkonflikten und ihre Dokumentation. Dabei ist die Subsumption dieser wohlfahrtsökonomischen Maxime auf bestimmte Sachverhalte von den Aufsichtsratstätigkeiten und dem Anforderungsprofil der Aufsichtsratsmitglieder abhängig (wie bei der Treuepflicht).

III. Bewältigung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat 1. Fünfstufige Reaktionsleiter (Pentalogisches Reaktionssystem) Die Bewältigung eines Interessenkonflikts in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds kann nicht schematisch erfolgen, sondern hat unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu geschehen,26 und muss gleichzeitig die angemessene Reaktionserwartung der Stakeholder des Unternehmens beachten. Die Ausrichtung an den Einzelfallumständen einerseits und den typisierten und objektivierten Erwartungen an die Bewältigung eines Interessenkonflikts durch die Stakeholder des Unternehmens andererseits führt dazu, die Bewältigung von Konfliktsituationen anhand einer fünfstufigen Reaktionsleiter vorzunehmen, wobei die Auswahl der konkreten Maßnahme auf dieser Stufenleiter entscheidend abhängt von 25

Hierzu Nachweise in Fn. 16 zum Fall Berchtold/Infineon. Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 897 ff.; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 102; Semler/Stengel NZG 2003, 1, 3. 26

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(1) der Qualität und Intensität der jeweils konfligierenden Interessen sowie der Intensität und der Dauer des konkreten Interessenkonflikts, (2) dem prognostizierten Störpotenzial für die Effizienz der Gremienarbeit, der Funktion des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds (z.B. tendenziell Eingreifen einer höheren Reaktionsstufe beim Vorsitzenden des Aufsichtsrats), der konkreten Aufsichtsratstätigkeit und deren Bedeutung sowie insgesamt die Auswirkungen auf die Unternehmensinteressen (einschließlich der Beeinträchtigungen durch Reaktionen von Stakeholdern) und (3) dem Umstand, ob weitere Maßnahmen zur Konfliktbewältigung in der Sphäre des Aufsichtsratsmitglieds (z.B. Ruhenlassen oder Aufgabe von Funktionen in Wettbewerbsunternehmen sowie gesicherter Ausschluss vom dortigen Informations- und Entscheidungssystem) 27 oder ausnahmsweise durch Regelung zwischen Gesellschaft und Aufsichtsratsmitglied 28 vorgenommen wurden bzw. werden können. (4) Bei alledem ist auch die Realstruktur der Gesellschaft, also insbesondere der Umfang und die Zusammensetzung des Anteilseignerkreises sowie der Umfang und die Kohärenz der Stakeholder zu berücksichtigen, d.h. je offener die Stakeholder-Kreise und je diverser deren Interessenlagen sind, umso mehr ist der Bewältigung von Interessenkonflikten durch die Wahl einer tendenziell höheren Reaktionsstufe Beachtung zu schenken. 1.1 Stufe 1: Offenlegung des Interessenkonflikts Die niedrigste Reaktionsstufe bei einem (potentiellen) Interessenkonflikt besteht in seiner Offenlegung gegenüber sämtlichen Mitgliedern des jeweiligen Gremiums der Willensbildung (Gesamtgremium oder Ausschuss), bei gleichzeitigem Teilnahmerecht an der Willensbildung und Beschlussfassung im Gremium unter Außerachtlassung von etwaigen kollidierenden Eigen- oder Drittinteressen (d.h. absoluter Vorrang des Unternehmensinteresses). Dabei ist es 27 Ähnlich, aber vereinfachend Möllers ZIP 2006, 1615, 1619; Marsch-Barner in Semler/ v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 102. – Aus der Praxis: Aareal Bank AG Bericht des Aufsichtsrats 2007 (Geschäftsbericht), S. 103 (Niederlegung des Amts als Non-Executive Director der DEPFA Bank plc. nach deren Fusion mit der Hypo Real Estate-Gruppe); MAN SE Bericht des Aufsichtsrats 2007 (Geschäftsbericht), S. 13 f. („Ein Aufsichtsratsmitglied hat mitgeteilt, dass es zur Vermeidung potentieller Interessenkonflikte seine Zuständigkeit als Bankvorstand für mögliche Geschäftsbeziehungen mit der MAN Aktiengesellschaft abgegeben hat“); Ankündigung des Wahlbewerbers Willi Berchtold (Finanzvorstand ZF Friedrichshafen AG), sein Vorstandsamt bei Wahl in den Aufsichtsrat der Infineon AG niederzulegen, nachdem Wettbewerber der ZF Friedrichshafen die Wahl wegen potenzieller Interessenkonflikte kritisierten; hierzu Handelsblatt v. 27.1.2010, S. 23; FTD v. 27.1.2010, S. 3; Börsen-Zeitung v. 27.1.2010, S. 1. 28 Hierauf abstellend LG Hannover, Beschluss v. 12.3.2009 – 21 T 2/09, ZIP 2009, 761 im Fall Koerfer/Continental AG (Bestehen einer Investorenvereinbarung); bestätigt durch LG Hannover, Urteil v. 17.3.2010 – 23 O 124/09, ZIP 2010, 833, 837.

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nicht erforderlich, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied vor jeder erneuten Befassung mit einem Sachgegenstand auf konfligierende Eigen- oder Drittinteressen in seiner Person hinweist, wenn er hierauf bereits früher im angemessenen Umfang und genügender Detailtiefe aufmerksam gemacht hat und erwartet werden kann, dass die übrigen Gremienmitglieder bei sorgfältiger Amtsausübung hiervon noch Kenntnis haben. Umgekehrt entlastet eine allgemeine Medienberichterstattung über (vermeintliche) Eigen- bzw. Drittinteressen das betreffende Aufsichtsratsmitglied nicht von einer Offenlegung im Gremium. Diese für intensitätsschwache und temporäre Interessenkonflikte geeignete Reaktion beruht auf der Überlegung, dass die bloße Transparenz von etwa konfligierenden Eigen- bzw. Drittinteressen in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds, und zwar gekoppelt mit der Verpflichtung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds, diese konfligierenden Interessen bei der Willensbildung und Beschlussfassung außer Acht zu lassen, zu einer hierauf gerichteten vertikalen Selbstkontrolle im Gremium und zum Ausschluss von Interessen führt, die dem Unternehmensinteresse zuwider laufen (können). Sie wird die regelmäßige Reaktionsform bei Bestehen eines Interessenkonflikts sein, zumal dies der gesetzgeberischen Wertung in anderen Bereichen des Kapitalmarktrechts entspricht: So sind Aufsichtsräte einer Gesellschaft bei Abgabe von öffentlichen Kaufangeboten zu einer Stellungnahme verpflichtet, in der, soweit sie Inhaber von Wertpapieren der Gesellschaft sind, sie ihre „Absicht [zu erklären haben], das Angebot anzunehmen“ (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 WpÜG) sowie sonstige mögliche Interessenkonflikte offenlegen müssen.29 Auch im Bereich der fremdnützigen Beratung durch Finanzdienstleistungsunternehmen werden aktuelle oder potenzielle Konflikte mit Eigen- bzw. Drittinteressen durch Offenlegung geregelt, z.B. in Finanzanalysen (§ 34b Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG i.V.m. § 5 FinAnV) 30 und im Verhältnis von Wertpapierdienstleistungsunternehmen und deren Kunden (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 WpHG i.V.m. § 13 Abs. 4 S. 1 WpDVerOV).31 Die Dokumentation und Berichterstattung gegenüber der Hauptversammlung im Aufsichtsratsbericht kann bei solchen (potentiellen) Interessenkonflikten in allgemeiner, abstrakter Form gehalten sein. 1.2 Stufe 2: Pflicht zur Stimmenthaltung bzw. Stimmverbot Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 34 BGB, § 136 Abs. 1 AktG, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG sowie § 25 Abs. 5 WEG ein Stimmverbot zur Lösung bestimmter, bedeutsamer Interessenkonflikte angeordnet, nämlich 29 Vgl Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/U. H. Schneider, WpÜG 2005, § 27 Rn. 37 und 58; Schwennicke in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 27 Rn. 21; vgl auch Hopt in FS Lutter, 2008, S. 1361, 1381. 30 Hierzu z.B. Koller in Assmann/U. H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 34b Rn. 18 ff. 31 Hierzu z.B. Koller in Assmann/U. H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 31 Rn. 10.

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– für den Fall der Vornahme eines Rechtsgeschäfts zwischen der Gesellschaft und dem Organmitglied sowie – für den Fall der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft und dem Organmitglied. Diese Regelungen gelten im Wege einer Gesamtanalogie auch für das Verhältnis zwischen einem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft: Daher darf das betreffende Aufsichtsratsmitglied sein Stimmrecht nicht ausüben bzw. hat sich jedenfalls zwingend der Stimme zu enthalten,32 wenn der Aufsichtsrat über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts zwischen der Gesellschaft und ihm beschließen soll (z.B. auf der Grundlage von § 114 oder § 115 AktG).33 In der Praxis geht es vor allem um Beratungsverträge34, Mietverträge über betriebsnotwendige Grundstücke und Liefer- bzw. Produktabnahmeverträge. Dieses Stimmverbot gilt auch im Hinblick auf einseitige Erklärungen (z.B. Kündigungen) oder tatsächliche Verfahrenshandlungen (z.B. Informationsübermittlungen) im Rahmen eines Rechtsgeschäfts. Bei diesen Fällen ist zu berücksichtigen, dass es sich materiell um ein Insichgeschäft handelt, über das das betroffene Aufsichtsratsmitglied wegen persönlicher Betroffenheit vom Abschluss des Rechtsgeschäfts nicht mit abstimmen darf. Auch in den Fällen, in denen im Aufsichtsrat über die Einleitung oder die Erledigung eines Rechtsstreits zwischen einem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft Beschluss gefasst werden soll, greift demnach ein Stimmverbot bzw. die Verpflichtung zur Stimmenthaltung beim persönlich betroffenen Aufsichtsratsmitglied ein.35 Unter der Annahme einer regel32 Nach zutr. Entscheidung in BGH, Urteil v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, AG 2007, 484, 485 (Rn. 13) führt auch der Stimmrechtsausschluss eines von drei Aufsichtsratsmitgliedern nicht zur Beschlussunfähigkeit des Organs, wenn das betreffende Aufsichtsratsmitglied zur Vermeidung einer Beschlussunfähigkeit an der Beschlussfassung „teilnimmt“ i.S.v. § 108 Abs. 2 S. 2 und 3 AktG, sich dann aber der Stimme enthält; vgl. auch Priester AG 2007, 190 ff. 33 So BGH, Urteil v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, NZG 2007, 516, 517; Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 54; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 29; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1974, § 108 Rn. 29; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 49; Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 108 Rn. 9; Hoffmann-Becking in MünchHdb AG, 3. Aufl. 2007, § 31 Rn. 66; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 728; Hopt ZGR 2004, 1, 32; Dreher JZ 1990, 896, 900 f.; Semler/Stengel NZG 2003, 1, 3; Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandanten in Aktiengesellschaften, 2002, S. 138; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 115 ff.; aA nur Behr AG 1984, 281, 285 f. 34 Hierzu aus der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur z.B. BGH, Urteil v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, NZG 2007, 103 ff.; BGH, Urteil v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, AG 2007, 484 ff.; Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171 ff.; v. Schenck DStR 2007, 395 ff.; Weiss BB 2007, 1853 ff. 35 BayObLG, Beschluss v. 28.3.2003 – 3 Z BR 199/02, NZG 2003, 691, 692; Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 54; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 29; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG,

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mäßig vergleichbaren Interessenkollisionslage trifft ein Aufsichtsratsmitglied ein Stimmverbot bzw. die Verpflichtung zur Stimmenthaltung auch in den Fällen, – in denen der Aufsichtsrat über ein Rechtsgeschäft oder eine einseitige Maßnahme in einem Rechtsverhältnis mit einem vom Aufsichtsratsmitglied beherrschten oder maßgeblich beeinflussten Unternehmen oder über einen Rechtsstreit mit einem solchen Unternehmen entscheiden muss;36 – in denen das Aufsichtsratsmitglied zugleich vertretungsberechtigtes Organmitglied eines anderen Unternehmens (bzw. einer Institution wie einer Aktionärsschutzvereinigung 37) oder ein Funktionsträger mit vergleichbarer Einflussmöglichkeit (z.B. Generalbevollmächtigter; im Einzelfall auch Geschäftsleiter einer Private Equity-Beratungsgesellschaft im Hinblick auf den von ihr beratenden Fonds) ist, das mit der Gesellschaft einen Vertrag abschließen, diesen ändern oder beenden möchte oder gegen das von der Aktiengesellschaft ein Rechtsstreit eingeleitet, bestimmte Verfahrensmaßnahmen getroffen bzw. erledigt werden soll (jeweils einschließlich der umgekehrten Sachverhalte) und daher oder wegen anderer Umstände eine überwiegende Interessenidentität zwischen dem Organmitglied oder Funktionsträger und dem anderen Unternehmen vorliegt;38 1974, § 108 Rn. 29; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 49; Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 108 Rn. 9; Hoffmann-Becking in MünchHdb AG, 3. Aufl. 2007, § 31 Rn. 66; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 728; Hopt ZGR 2004, 1, 32; Dreher JZ 1990, 896, 900 f.; Semler/Stengel NZG 2003, 1, 3; Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in der Aktiengesellschaft, 2002, S. 138; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 114 f.; aA nur Behr AG 1984, 281, 285 f. 36 Ebenso Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 54; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 30; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 728; Hopt ZGR 2004, 1, 32; Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in Aktiengesellschaften, 2002, S. 141; in der Tendenz auch Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 51. – Aus der Praxis: MAN SE Bericht des Aufsichtsrats 2008 (Geschäftsbericht), S. 30 („Zur Vermeidung von potentiellen Interessenkonflikten haben sich die Herren Prof. Dr. Piëch und Stadler bei Entscheidungen zur Akquisition der brasilianischen VW Truck & Bus Unternehmen von VW der Stimme enthalten; Herr Stadler hat an den entsprechenden Beratungen und Beschlussfassungen nicht teilgenommen“). 37 Aus der Praxis: Deutsche Telekom AG Bericht des Aufsichtsrats 2008 (Geschäftsbericht), S. 32 (DSW-Hauptgeschäftsführer Ulrich Hocker im Hinblick insbesondere auf das Spruchverfahren im Zusammenhang mit der Verschmelzung der T-Online International AG auf die Deutsche Telekom AG sowie im Verfahren im Zusammenhang mit Prospekthaftungsansprüchen); ebenso Deutsche Telekom AG Bericht des Aufsichtsrats 2007 (Geschäftsbericht), S. 12. 38 Im Grundsatz ebenso Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 130; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 51; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 728; weitergehend (nämlich sogar ohne Erfordernis einer überwiegenden oder vollständigen Interessenidentität zwischen Organmitglied und anderen Unternehmen) Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand

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– in denen der Aufsichtsrat über Rechtsgeschäft oder eine einseitige Maßnahme im Rahmen eines Rechtsverhältnisses mit einem Entsendungsberechtigten i.S.v. § 101 Abs. 2 AktG oder die Einleitung, Verfahrensmaßnahme oder Erledigung einer Rechtsstreitigkeit mit einem solchen Entsendungsberechtigten beschließt, und zwar im Hinblick auf das von diesem Entsendungsberechtigten entsandte Aufsichtsratsmitglied; wegen der jederzeitigen Abberufungsmöglichkeit des Aufsichtsratsmitglieds durch den Entsendungsberechtigten liegt hier nämlich eine besonders starke Interessenbindung vor und auch die Gefahr für den Willensbildungsprozess im Gremium und die Kommunikation zu den Stakeholdern des Unternehmens ist hier im besonderen Maße gegeben.39 Die personelle Nähe (insbesondere Ehe und Verwandtschaft) des Aufsichtsratsmitglieds zur Gegenseite des Unternehmens führt – auch unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertung von Art. 6 GG – noch nicht alleine zu einer, ein Stimmverbot auslösenden Konfliktlage 40 (löst indes regelmäßig die Offenlegungspflicht aus). In allen Fallgestaltungen gilt allerdings aus teleologischen Gründen eine Ausnahme im Hinblick auf die Eingehung solcher Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft einerseits und dem Aufsichtsratsmitglied, einem von dem Aufsichtsratsmitglied beherrschten Unternehmen oder einem in sonstiger Weise dem Aufsichtsratsmitglied nahestehenden Unternehmen andererseits, wenn es sich um mehrseitige Rechtsgeschäfte handelt, bei denen diese beiden Seiten interessengleichgerichtete Parallelerklärungen abgeben.41 So unterliegt z.B. ein Großaktionär und Aufsichtsratsmitglied bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrates über ein sog. Equity Term Sheet oder Underwriting Agreement zwischen der Gesellschaft und dem Großaktionär einerseits und den Konsortialbanken andererseits keinem Stimmverbot, wenn der Großaktionär hier lediglich Parallelerklärungen gegenüber den Konsortialbanken (z.B. Marktschutzvereinbarung, Gewährleistungen über bestimmte Umstände) abgibt. Bei kooperationsrechtlichen Rechtsgeschäften ist zutreffenderweise zu unterscheiden: Bei gremieninternen kooperationsrechtlichen Rechtsgeschäf-

1.10.2005, § 108 Rn. 54; Dreher JZ 1990, 896, 902; Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in der Aktiengesellschaft, 2002, S. 140; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 139. 39 Zutreffend Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 57; Hopt ZGR 2004, 1, 33; dagegen (kein Stimmrechtsverbot) BGH, Urteil v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, NJW 1962, 864, 866; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 31; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1974, § 108 Rn. 29; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 52. 40 Zutr. Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 51 m.w.N. 41 Zur Parallelwertung bei § 181 BGB siehe Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2009, § 181 Rn. 9 ff.; Schilken in Staudinger BGB, 2004, § 181 Rn. 6 und 30 ff.; Schramm in MünchKomm BGB, 5. Aufl. 2006, § 181 Rn. 43.

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ten, also insbesondere bei der Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden oder eines seiner Stellvertreter oder bei der Wahl zum Mitglied eines Ausschusses oder dessen Vorsitzenden, besteht kein Stimmverbot.42 Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein erheblicher und dauernder Interessenkonflikt vorliegt, der zur Amtsniederlegung verpflichtet, da dann ja das Organamt selbst in Frage steht. Deshalb – weil es sich materiell um ein Richten in eigener Sache handelt – unterliegt ein Aufsichtsratsmitglied einem Stimmverbot bei der Beschlussfassung über die eigene Abwahl, Abberufung aus wichtigem Grund oder ähnliche nachteilige Maßnahmen der Rechtsausübungseinschränkung.43 In ähnlicher Weise – es geht auch hier wegen des gremienüberschreitenden Charakters materiell um ein Richten in eigener Sache – besteht auch bei der Beschlussfassung über die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds in den Vorstand der Gesellschaft ein Stimmverbot,44 und zwar unabhängig davon, ob es sich nur um eine temporäre Entsendung in den Vorstand entsprechend § 105 Abs. 2 AktG handelt oder um einen ordentlichen Bestellungsbeschluss mit einer Amtszeit von über einem Jahr. Auch in anderen Fällen, in denen ein wesentlicher Interessenkonflikt vorliegt, der nicht im Abschluss eines Rechtsgeschäfts oder der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits mit dem Aufsichtsratsmitglied bzw. einem diesem nahestehenden Unternehmen besteht, kommt ein Stimmverbot infrage;45 es gibt insoweit keinen numerus clausus der gesetzlich vorgeprägten 42 Ebenso Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 56; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 32; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1974, § 108 Rn. 29; Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 108 Rn. 9; Hoffmann-Becking in MünchHdb AG, 3. Aufl. 2007, § 31 Rn. 66; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 728 und 905; Marsch/Barner in Semler/ v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 105 f.; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 120 ff. 43 Ebenso Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 55; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 32; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 49; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 728; Hopt ZGR 2004, 1, 32; Semler/Stengel NZG 2003, 1,3; Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in der Aktiengesellschaft, 2002, S. 138; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 114 f.; aA noch Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1974, § 103 Rn. 34. 44 Ebenso Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 56; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 32; Ulmer NJW 1982, 2288, 2289 ff.; aA Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 49; Hoffmann-Becking in MünchHdb AG, 3. Aufl. 2007, § 31 Rn. 66; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 728 und 905; Wilhelm NJW 1983, 912 ff.; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 121 f. 45 Zutr. Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 60; Hopt ZGR 2004, 1, 33; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 900 ff.; Möllers ZIP 2006, 1615, 1619; Semler/Stengel NZG 2003, 1, 6 ff.; aA Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 30 und 32; Mertens in KölnKomm AktG,

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Verbotstatbestände. Allerdings muss es sich dabei um Sachverhalte handeln, die unter Anlegung der Rechtsprinzipien, die der Bewältigung von Interessenkonflikten eben zugrunde liegen, also die Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder, die Handlungsausrichtung auf das Unternehmensinteresse und die Maxime effizienten und vom Unternehmensinteresse geleiteten Organhandels, ein besonders hohes Gefährdungspotential für das Unternehmensinteresse haben. Unter Berücksichtigung dieser Grundlegungen und der fünfstufigen Reaktionsleiter ist – in Anlehnung an eine Formulierung von Klaus J. Hopt und Markus Roth – ein wesentlicher, ein Stimmverbot auslösender Interessenkonflikt dann anzunehmen, wenn (i) bei typisierender, abstrakter Betrachtungsweise (indes unter Berücksichtigung der Realstruktur der Gesellschaft) eine unbefangene und ausschließlich am Unternehmensinteresse ausgerichtete Willensbildung beim betreffenden Aufsichtsratsmitglied nicht mehr erwartet werden kann, da das in seiner Person ebenfalls bestehende Eigen- bzw. Fremdinteresse in der konkreten Situation bei eben typisierender, abstrakter Betrachtungsweise überwiegt und (ii) die bloße Offenlegung des Interessenkonflikts weder für das Ziel einer effizienten Gremienarbeit noch bei typisierter Sicht der Stakeholder des Unternehmens ausreichend wäre;46 dabei ist insbesondere auch die Bedeutung der betroffenen Aufsichtsratstätigkeit für die Unternehmensführung in dem Sinne zu berücksichtigen, dass ein Stimmverbot je eher eintritt, je bedeutungsvoller die Aufsichtsratstätigkeit und die sachgegenständliche Frage ist. Die mit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und einer Herleitung aus allgemeinen Rechtsprinzipien zwangsläufig sich ergebende Rechtsunsicherheit 47 ist in der Unternehmenspraxis durch in der Wissenschaft vorbereitete Fallgruppenbildung einerseits und konkretisierende Aufsichtsrats2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 49; Dreher JZ 1990, 896, 901; Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in Aktiengesellschaften, 2002, S. 130 f.; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 123 und 139 f. 46 Ähnlich Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 60 f. („Weiter wird man in Anlehnung an die zur Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat entwickelte Rechtsprechung aufgrund typisierender, abstrakter Betrachtungsweise ein Stimmverbot annehmen können, wenn eine unbefangene Willensbildung beim betreffenden Aufsichtsratsmitglied nicht mehr erwartet werden kann [Rn. 60]. Eine unbefangene Willenbildung scheidet jedoch nicht schon ohne weiteres bei Vorliegen eines nur mittelbaren Interessenkonflikts aus. Notwendig ist eine gewisse Schwere der Interessenkollision, weiter sind die sich gegenüberstehenden Interessen hinsichtlich ihres Gewichts für das betreffende Aufsichtsratsmitglied zu bewerten. Überwiegt aber bei typisierender, abstrakter Betrachtung in der konkreten Situation das mit den Gesellschaftsinteressen konfligierende Interesse, muss Befangenheit mit der Folge eines Stimmrechtsausschlusses angenommen werden [Rn. 61].“). 47 So die Einwände von Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in der Aktiengesellschaft, 2002, S. 131; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 140; Möllers in Hdb Corporate Governance, 2. Aufl. 2010, S. 423, 434 f.

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beschlüsse andererseits (hierzu sub Ziff. 3.2) beherrschbar. Der darüber hinaus teilweise vorgebrachte Einwand, die Annahme eines Stimmverbotes über die von § 34 BGB erfassten Fälle hinaus führe zu einer „Störung der Quasi-Parität zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern“48 verkennt, dass die Grundsätze zur Bewältigung von Interessenkonflikten einschließlich der Annahme von Stimmverboten für sämtliche Organmitglieder, also sowohl für Anteilseigner- als auch für Arbeitnehmervertreter gelten, und auch die Unternehmenspraxis auf kein faktisches, strukturelles Ungleichgewicht hinweist. Zur Illustration solch wesentlicher Interessenkonflikte, die regelmäßig auch ein Stimmrechtsverbot (in Einzelfällen sogar weitergehende Maßnahmen der Stufen 3 bis 5) rechtfertigen, dient die Aufführung folgender Umstände, die zu Fallgruppen zusammengefasst sind: – Gewährleistung der Gegnerfreiheit beim Wahlkörper: Bei der Willensbildung und der Beschlussfassung über die Einrichtung eines Nominierungsausschusses und der Wahl seiner Mitglieder sind nur die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat stimmberechtigt.49 Dies ergibt sich aus einer Verlängerung von § 124 Abs. 3 S. 4 AktG und allgemein aus dem Grundsatz der Gegnerfreiheit beim Wahlkörper. – Arbeitsrechtliche Gegnerfreiheit: Bei der Willensbildung und Beschlussfassung über konkrete Maßnahmen zur Abwehr von Streikfolgen unterliegen diejenigen Arbeitnehmervertreter einem Stimmverbot (sowie den Maßnahmen der Stufe 3), die z.B. als Gewerkschaftsvertreter auf die Streiktaktik ein nicht unwesentlichen Einfluss haben (können).50 – Wettbewerb um bedeutsame Vermögensposition, Geschäftschance oder Führungskraft: Steht einer Aufsichtsratsmitglied bzw. eine ihm nahestehende Person im Wettbewerb mit dem Unternehmen um eine wirtschaftlich bedeutsame Vermögensposition, also insbesondere ein Unternehmen oder eine Beteiligung, Patente, Lizenzen, Verfahrens-Know-how oder andere immaterielle Rechte sowie wesentliche Kundenaufträge, so unterliegt das betreffende Aufsichtsratsmitglied bei der Beschlussfassung über das Vertragsangebot bzw. den Vertragsabschluss einem Stimmverbot (sowie regelmäßig den weiteren Maßnahmen der Stufe 3).51 Das Gleiche gilt im Falle 48 Krebs Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmandaten in der Aktiengesellschaft, 2002, S. 131; Viciano Gofferje Unabhängigkeit als persönliche Voraussetzung für Aufsichtsratsmitglieder, 2008, S. 140. 49 Vgl Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 107 Rn. 332; Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 124 Rn. 17; Werner in GroßKomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.2.1993, § 124 Rn. 73; Meder ZIP 2007, 1538, 1540 f.; Schiessl AG 2002, 593, 599. 50 Zum Lufthansa/Bsirske-Fall Hanau/Wackerbarth Unternehmensmitbestimmung und Koalitionsfreiheit, Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, 2004, passim. 51 Aus der Praxis: ProSiebenSat. 1 Media AG Bericht des Aufsichtsrats 2008 (Geschäftsbericht), S. 20; EnBW AG Bericht des Aufsichtsrats 2007 (Geschäftsbericht), S. 23.

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einer konkreten Wettbewerbssituation betreffend eine Führungskraft, z.B. bei der Bestellung einer Person als Vorstand, die bislang Geschäftsleiter in dem von einem bestimmten Aufsichtsratsmitglied vertretenen Unternehmen ist oder auch dort konkret für eine Bestellung in Aussicht genommen ist 52; trotz des Stimmrechtsverbots wird eine sachliche Personalinformation durch das betroffene Mitglied hilfreich und geboten sein. – Maßnahmen der Eigenkapitalbeschaffung, insbesondere Fall der sanierungsnahen Refinanzierung: Aufsichtsratsmitglieder, die ebenfalls Aktionäre der Gesellschaft sind oder solchen Aktionären in besonderem Maße nahestehen, können bei Hinzutreten weiterer Umstände einem Stimmverbot bei der Beschlussfassung über Eigenkapitalmaßnahmen unterliegen, wenn diese aus dringenden Gründen des Unternehmensinteresses (z.B. Bestandssicherung) einen Bezugsrechtsausschluss der Aktionäre vorsehen oder zwar ein Bezugsrecht der Aktionäre besteht, der betroffene Aktionär aber offenkundig keine ausreichenden Finanzmittel zur Wahrnehmung der Bezugsrechte und damit Aufrechterhaltung seiner Beteiligungsquote hat.53 Das ergibt sich auch aus einem Erst-Recht-Schluss der BGH-Rechtsprechung zu den Treuepflichten von Gesellschaftern bei sanierungsnahen Kapitalerhöhungen („Girmes“ 54 und „Sanieren oder Ausscheiden“ 55), demzufolge bereits Gesellschafter zur Mitwirkung an der Bestandssicherung der Gesellschaft (z.B. durch bestimmte Stimmabgaben bei Beschlussvorschlägen) verpflichtet sind, sofern schützenswürdige Belange des betroffenen Gesellschafters nicht entgegenstehen. Ein Stimmverbot kann aber auch eingreifen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied (oder eine ihm nahestehende Person) bei der Eigenkapitalmaßnahme mit Bezugsrechtsausschluss gerade zur Zeichnung von Aktien zugelassen werden soll.56

52 Zur prospektiven Bestellung von Siemens-Vorstand Heinrich Hirsinger als Vorstandsvorsitzender von Thyssen-Krupp und die Rolle von Gerhard Cromme als AR-Vorsitzender beider Unternehmen: FTD online v. 4.5.2010 („Crommes Ich-AG“), abrufbar unter http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/:agenda-crommes-ich-ag/50110036; Handelsblatt online v. 4.5.2010 („Thyssen-Krupp wirbt neuen Chef von Siemens ab“), abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/_b=2573991. 53 Zum Schaeffler/Continental-Fall vgl Handelsblatt v. 29.7.2009, S. 16 („Schaeffler steckt in einem Interessenkonflikt“) mit zitierter Stellungnahme von Roth. 54 BGH, Urteil v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136; hierzu im Gesamtzusammenhang z.B. Fleischer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 539 Rn. 45 ff. 55 BGH, Urteil v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, NZG 2009, 1347 m. Bespr Klaus-R. Wagner NZG 2009, 1378. 56 Aus der Praxis: Conergy AG Bericht des Aufsichtsrats 2007 (Geschäftsbericht), S. 10 („Wegen der beabsichtigten Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder Dieter Ammer, Andreas Rüter und Alexander Rauschenbusch an der Barkapitalerhöhung Anfang November 2007 und eines damit verbundenen möglichen Interessenkonflikts haben sich die vorgenannten Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen des Zustimmungsabschlusses zur Durchführung dieser Kapitalmaßnahme der Stimme enthalten“).

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– Übernahmesituationen: Ein Stimmverbot (sowie regelmäßig die weiteren Maßnahmen der Stufe 3) trifft in Übernahmesituationen ein Aufsichtsratsmitglied der Zielgesellschaft, das zugleich Vertretungsorgan oder wesentlicher Funktionsträger mit vergleichbarer Einflussmöglichkeit (z.B. in Einzelfällen Geschäftsleiter einer Private Equity-Beratungsgesellschaft bei Private Equity-Fonds) der Bietergesellschaft ist. Dies gilt nicht nur, wenn absehbar zwischen der Bietergesellschaft und der Zielgesellschaft eine Investorenvereinbarung 57 oder eine Zusammenschlussvereinbarung (Business Combination Agreement) 58 abgeschlossen wird, sondern auch, wenn Rechtsverhältnisse nur zwischen der Bietergesellschaft und den Aktionären der Zielgesellschaft durch Annahme des öffentlichen Kaufangebots begründet werden.59 Dies gilt selbstverständlich in besonderem Maße, wenn konkurrierende Übernahmeangebote bestehen, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit abgegeben oder von der Geschäftsleitung der Zielgesellschaft angestrebt werden. Aus den gleichen Wertungsüberlegungen heraus unterliegt auch dasjenige Aufsichtsratsmitglied der Zielgesellschaft einem Stimmverbot (regelmäßig auch den weiteren Maßnahmen der Stufe 3), das selbst bzw. durch ein ihm nahestehendes Unternehmen die Bietergesellschaft in wesentlichem Umfang bei der Übernahme in Finanzaspekten oder rechtlich berät oder das Übernahmeangebot der Bietergesellschaft in wesentlichem Umfang finanziert.60 So hat z.B. das Aufsichtsratsmitglied der Schering AG Hermann-Josef Lamberti, Vorstand der Deutschen Bank AG, wegen der Übernahmeberatung und Kreditfinanzierung des Bieters Merck durch die Deutsche Bank AG sein Aufsichtsratsmandat zunächst ruhen gelassen und dann sein Amt niedergelegt.61 1.3 Stufe 3: Kein Teilnahme- und Informationsrecht

Im Regelfall werden die Umstände, die wesentliche und zu einem Stimmverbot führende Interessenkonflikte begründen, auch dazu führen, dass das betreffende Aufsichtsratsmitglied an der Willensbildung im Aufsichtsrat bzw. im zuständigen Ausschuss nicht teilnehmen und auch keine Informatio57

Hierzu Seibt/Wunsch Der Konzern 2009, 195 ff.; Kiem AG 2009, 301 ff. Hierzu Seibt in Seibt, Formularbuch Mergers & Acquistions, 2008, K.II.2 (S. 1044 ff.). 59 Für „feindliche Übernahmen“ ebenso Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 920 f.; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 155; vgl auch Möllers ZIP 2006, 1615, 1619 (Amtsniederlegung). 60 Ebenso Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 103 Rn. 97 und § 108 Rn. 60 f.; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 924, Semler/Stengel NZG 2003, 1, 6 ff.; Möllers ZIP 2006, 1615, 1618. 61 Hierzu Handelsblatt v. 17.3.2006, S. 16 („Schering-Aufsichtsrat vor einer Neuordnung“); Bekanntmachung der Schering AG gem. § 106 AktG im elektronischen Bundesanzeiger v. 24.3.2006. 58

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nen über den Beschlussgegenstand (sei es vorab in Form von Unterlagen zum betreffenden Tagesordnungspunkt, sei es nachträglich durch Übermittlung der entsprechenden Passagen in der Sitzungsniederschrift) erhalten darf. Dies ist allerdings nicht in jedem Fall zwingend; es kann z.B. angemessen sein, die Sitzungsniederschriften auch dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied vollständig zu übermitteln, wenn der behandelte Sachverhalt zuvor abgeschlossen ist. 1.4 Stufe 4: Ruhenlassen der Organmitgliedschaft In Fällen gravierender und nicht nur sachgegenständlich begrenzte Umstände betreffende, sondern umgekehrt zwar temporärer aber umfassender Interessenkonflikte kommt das Ruhenlassen der Aufsichtsratsmitgliedschaft in Betracht. Es muss sich also um einen gravierenden Interessenkonflikt handeln, der jedoch insbesondere aufgrund seines temporären Charakters eine Wiederaufnahme des Mandats und eine spätere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem betroffenen Aufsichtsratsmitglied nach objektivierter Betrachtungsweise nicht unmöglich erscheinen lässt.62 Die konkrete Gefährdung von wichtigen Belangen der Gesellschaft durch Preisgabe geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen alleine rechtfertigt allerdings nicht das Ruhenlassen des Aufsichtsratsmandats,63 vielmehr kommen hierfür Maßnahmen der Stufen 2 und 3 in Betracht. Diese Reaktionsmöglichkeit wird vor allem dann gewählt werden müssen, wenn sich die Gesellschaft in einer zeitlich begrenzten Sondersituation, die für den Bestand des Unternehmens oder seine Zukunftsstrategie von maßgeblicher Bedeutung ist, befindet, z.B. in einer Übernahmesituation, in einer Phase der strategischen Umstrukturierung oder der sanierungsnahen Refinanzierung. 1.5 Stufe 5: Amtsniederlegung Wesentliche und nicht nur vorübergehende, dh dauernde Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds verpflichten dieses, sein Amt niederzulegen.64 Bei der Bewertung der Wesentlichkeit und Dauerhaftigkeit des Interessenkonflikts ist die Wertung zu berücksichtigen, die der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Amtsbegründung an die persönlichen Voraussetzungen gestellt hat (vgl. §§ 100, 105 Abs. 1 AktG). Insbesondere ist hierbei zu berücksichtigen, dass eine Person von der Übernahme des Aufsichtsrats62 Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 100 Rn. 169 f.; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 10; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 901. 63 So aber Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 109 Rn. 20; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 109 Rn. 10. 64 Vgl z.B. OLG Schleswig, Beschluss v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, NZG 2004, 669, 670 – Mobilcom; vgl auch Ziff. 5.5.3 Satz 2 DCGK.

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amtes im Regelfall nicht bereits ausgeschlossen ist, wenn er ein Großaktionär oder ein Wettbewerber im Kerngeschäftsfeld der Gesellschaft ist bzw. solchen Personen nahesteht. Denn in diesen Fällen könnte bezogen auf bestimmte Sachgegenstände die Maßnahmen auf Stufen 2 und 3 in Bezug auf das betreffende Aufsichtsratsmitglied getroffen werden. Es bleiben damit vor allem die Fälle, in denen eine sinnvolle Aufsichtsichtsratstätigkeit des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds bei objektivierter Betrachtung ausgeschlossen erscheint, also eine Begrenzung durch Maßnahmen der Stufen 2 und 3 den überwiegenden Teil der Aufsichtsratstätigkeit betrifft. Es muss sich also um eine außergewöhnliche Konfliktlage handeln, die zu einem so weit gehenden Ausfall als tätiges Organmitglied führt, dass die betreffende Person für die Gesellschaft untragbar ist oder es dem Aufsichtsratsmitglied eben dauerhaft unmöglich ist, seine wesentlichen Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen.65 Denn ansonsten ist die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats gefährdet,66 und die Situation gleicht der eines unvollständig besetzten Aufsichtsrates, bei dem ja die gesetzliche Verpflichtung zur gerichtlichen Bestellung (§ 104 AktG) bzw. Nachwahl durch die Hauptversammlung besteht. Allerdings ist die Amtsniederlegung als fünfte Stufe der Reaktionsmöglichkeiten ultima ratio der Konfliktbewältigung.67 Dies kommt insbesondere bei Hauptkunden/Hauptlieferanten-Situationen oder in Fällen erheblicher Wettbewerbsverhältnisse in dem Kerngeschäftsfeld in Betracht: So hatte beispielsweise der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der REpower AG, Prof. Fritz Vahrenholt, nach Eintritt in konkrete Verhandlungen mit RWE Innogy, deren CEO Vahrenholt ist, niedergelegt, da nach dem Abschluss des Vertrages über die Lieferung von bis zu 250 Offshore-Windenergieanlagen, dem größten in der Geschichte der Windindustrie, eine erhebliche wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen REpower AG einerseits und RWE Innogy andererseits besteht.68 Und wegen der Aufnahme einer Organtätigkeit bei einem wesentlichen Wettbewerbsunternehmen auf dem für Pharmahersteller wichtigen Markt für therapeutische Antikörper (Molecular Partners AG) hatte z.B. das Aufsichtsratsmitglied Prof. Dr. Andreas Plückthun sein Aufsichtsratsmandat bei der morphosys AG niedergelegt.69 65 Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 103 Rn. 96 f.; Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 100 Rn. 72; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 900; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 102; Hopt ZGR 2004, 1, 34; Dreher JZ 1990, 896, 902; Möllers ZIP 2006, 1615, 1619. 66 Vgl. Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 100 Rn. 72. 67 Vgl. auch Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 900; Dreher JZ 1990, 896, 902. 68 Hierzu Pressemitteilung der REpower AG v. 25.6.2008, abrufbar unter: www.repower. de/presse/mkPDF/index.php?id=1859. 69 Hierzu morphosys AG Bericht des Aufsichtsrats 2007 (Geschäftsbericht), S. 134; zur Wettbewerbssituation morphosys AG Konzernlagebericht 2008 (Geschäftsbericht), S. 16.

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2. Entscheidungskompetenz In der Unternehmenspraxis wird häufig bei Auftreten eines (potentiellen) Interessenkonfliktes keine Anordnung des Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. kein Beschluss des Aufsichtsrats zur Bestimmung der Konfliktbewältigung getroffen, sondern das betreffende Aufsichtsratsmitglied verzichtet von sich aus auf die Informationsversorgung, die Teilnahme an bestimmten Gremiensitzungen sowie die Abgabe seiner Stimme.70 Dies ist zulässig und führt zu einer verbindlichen Rechtebeschränkung zu Lasten des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds. Nach zutreffender Auffassung kann ansonsten die Rechteeinschränkung des Aufsichtsratsmitglieds durch vorläufige Anordnung des Aufsichtsratsvorsitzenden sowie – verdrängend – durch Aufsichtsratsbeschluss erfolgen, für den die allgemeinen Grundsätze und Verfahrensvorschriften gelten: 2.1 Entscheidungskompetenz über Stimmverbot Nach weit verbreiteter Ansicht soll über die Vorfrage des Vorliegens eines wesentlichen Interessenkonflikts und das sich dann hieraus ergebende Stimmverbot der Aufsichtsratsvorsitzende in seiner Funktion als Versammlungsleiter und nicht etwa der Aufsichtsrat als Kollegialorgan entscheiden.71 Ein 70 Aus der Praxis: Deutsche Telekom AG Bericht des Aufsichtsrats 2008 (Geschäftsbericht), S. 32 („Um von Vornherein auszuschließen, dass es im Zusammenhang mit einem von der DSW gegen die Deutsche Telekom AG geführten bzw. unterstützten Verfahrens zu einem Interessenkonflikts kommen könnte, erklärte Herr Hocker gegenüber dem Aufsichtsrat, dass er als Mitglied des Aufsichtsrats darauf verzichtet, Berichte oder Informationen zu erhalten, an Beschlüssen mitzuwirken und an Aufsichtsrats- und Ausschusssitzungen teilzunehmen, sobald Sachverhalte betroffen seien, bei denen die DSW Interessen gegen die Deutsche Telekom AG vertrete oder unterstütze. Ferner erklärte Herr Hocker, dass er sich bei Bedarf im Einzelfall mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden über den Umgang mit einem etwaigen Interessenkonflikt abstimmen werde“) (Ebensolche Erklärungen von Prof. Dr. von Schimmelmann wegen Mitgliedschaft im Board of Directors bei Accenture); EnBW AG Bericht des Aufsichtsrats 2007 (Geschäftsbericht), S. 23 („Um die Entstehung eines vorübergehenden Interessenkonfliktes im Verlauf dieser Bieterverfahren von Vornherein auszuschließen, erklärte das Aufsichtsratsmitglied [Prof. Joachim Bitterlich, Executive Vice President Veolia] gegenüber dem Aufsichtsrat, dass er als Aufsichtsratsmitglied darauf verzichte, zu diesen Themen an den Aufsichtsratssitzungen teilzunehmen oder an Aufsichtsratsbeschlüssen sowie deren Vorbereitung mitzuwirken und dazu Beschlussvorlagen, Berichte sowie die entsprechenden Teile der Sitzungsniederschriften zu erhalten, solange Veolia an den Bieterverfahren beteiligt ist. Dementsprechend wurde dann auch verfahren. Außerdem erklärte er, dass er sich bei Bedarf mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden jeweils über den Umgang mit einem etwaigen konkreten Interessenkonflikt abstimmen werde“). 71 So Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 33; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 54; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 108 Rn. 12; Siebel/v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 5 Rn. 97.

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gleichwohl vom Aufsichtsrat gefasster Beschluss über das Vorliegen eines wesentlichen Interessenkonflikts und eines sich hieraus ergebenden Stimmverbots eines Aufsichtsratsmitglieds ist nach dieser Ansicht für den Aufsichtsratsvorsitzenden unverbindlich, da es allein um die dem Versammlungsleiter obliegende vorläufige Entscheidung einer Rechtsfrage gehe.72 Lässt der Aufsichtsratsvorsitzende ein Aufsichtsratsmitglied unter Verstoß eines an sich angezeigten Stimmverbots wegen Interessenkonflikts zur Abstimmung zu, so soll die Stimmabgabe dieses Mitglieds dennoch wegen des Rechtsverstoßes nichtig sein; der Beschluss sei fehlerhaft, wenn das Beschlussergebnis auf der Mitwirkung des an sich vom Stimmrechts ausgeschlossenen Mitglieds beruht.73 Nach der insbesondere von Klaus J. Hopt und Markus Roth vertretenen Gegenansicht handelt es sich bei der Entscheidung über die Stimmberechtigung bzw. das Vorliegen eines Stimmverbots in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds um eine bloße Verfahrenshandlung des Aufsichtsratsvorsitzenden, die der Aufsichtsrat durch Mehrheitsbeschluss abändern kann.74 Diese Ansicht überzeugt, da es sich bei sämtlichen Entscheidungen von Maßnahmen zur Bewältigung von Interessenskonflikten (Stufen 2 bis 5) um Rechtsfragen handelt, die zwar für das einzelne Organmitglied rechtseingreifender Natur sind, vom Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. vom Aufsichtsratsplenum aber auch nur mit vorläufigem Regelungsgehalt getroffen werden können; letztlich entscheidet nämlich das Gericht. Es ist dabei nicht einsichtig, warum solche vorläufigen Verfahrensmaßnahmen lediglich vom Aufsichtsratsvorsitzenden gefasst werden könnten. Da es im Kern um Maßnahmen zur Sicherstellung einer effizienten Gremienarbeit und zur Beibehaltung einer vertrauensvollen Diskussionskultur im Aufsichtsrat geht, muss auch das Aufsichtsratsplenum darüber entscheidungsbefugt bleiben. Im Hinblick auf die Frage eines Sitzungsausschlusses sieht die überwiegende Literaturauffassung dann auch – aus hiesiger Sicht an sich wertungswidersprüchlich – eine Entscheidungskompetenz des Aufsichtsratsplenums vor (siehe sub III.2.2). 2.2 Entscheidungskompetenz über Sitzungsausschluss Bei der Frage nach der Entscheidungskompetenz über den Sitzungsausschluss des Aufsichtsratsmitglieds wegen Gefährdung von Unternehmensinteressen entscheidet nach überwiegender Auffassung der Aufsichtsrat als 72 Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 33; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 54. 73 Habersack in MünchKomm AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rn. 33; Mertens in KölnKomm AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rn. 54. 74 Hopt/Roth in Großkomm AktG, 4. Aufl. Stand 1.10.2005, § 108 Rn. 66 und § 107 Rn. 94; Peus Der Aufsichtsratsvorsitzende, 1983, S. 65 ff., 73 ff., 114 f. und 128; wohl auch Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 27 Rn. 39.

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Gesamtgremium durch Beschluss.75 Dies wird hier damit begründet, dass die Entscheidung die gesetzlichen Teilnahmerechte eines Aufsichtsratsmitglieds aus § 109 AktG beschränkt und daher nicht allein dem Aufsichtsratvorsitzenden oder einem Ausschuss zur Entscheidung überlassen werden könne.76 Das ist zutreffend und passt sich in das hier vorgeschlagene Modell einer einheitlichen Entscheidungskompetenz zugunsten des Aufsichtsrats als Gesamtgremium ein. Gleiches gilt im Übrigen für die Entscheidung über den Ausschluss von bestimmten Informationen. 2.3 Entscheidungskompetenz über Ruhenlassen des Aufsichtsratsmandats bzw. über die Amtsniederlegung Die Amtsniederlegung führt zur Beendigung des Aufsichtsratsamts und ist die Folge einer einseitigen, empfangsbedürftigen Erklärung des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber dem Vorstand, mit dem eindeutigen Inhalt, dass das Organamt mit Wirkung pro futuro endet. Die Entscheidungskompetenz liegt also alleine beim Aufsichtsratsmitglied. Liegen an sich die Voraussetzungen für eine Maßnahme zur Bewältigung eines Interessenkonflikts auf Stufe 4 oder Stufe 5 vor, nimmt das betreffende Aufsichtsratsmitglied allerdings eine entsprechende Klärung nicht vor, so kann der Aufsichtsrat nur die gerichtliche Abberufung des Mitglieds aus wichtigem Grund gem. § 103 Abs. 3 AktG betreiben;77 über eine solche Antragstellung beschließt der Aufsichtsrat nach § 103 Abs. 3 Satz 2 AktG mit einfacher Mehrheit. Demgegenüber kann das Ruhenlassen des Aufsichtsratsamts sowohl die Folge einer einseitigen, empfangsbedürftigen Erklärung des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber dem Vorstand sein, und zwar mit dem eindeutigen Inhalt, dass das Aufsichtsratsmitglied auf die Ausübung der organschaftlichen Rechte temporär verzichtet,78 aber auch Folge einer rechtseingreifenden Entscheidung des Aufsichtsrats. Im letzteren Fall gelten die gleichen Regeln wie bei den Organisationsbeschlüssen zum Stimmrechtsverbot und zum Sitzungsausschluss (sub Ziff. 2.1 und 2.2).

75

Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 109 Rn. 2; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 699; Semler/Stengel NZG 2003, 1, 4; aA Baumbach/Hueck AktG, 13. Aufl. 1968, § 109 Rn. 4. 76 Hüffer AktG, 8. Aufl. 2008, § 109 Rn. 2; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rn. 699; Semler/Stengel NZG 2003, 1, 4. 77 Hopt ZGR 2002, 333, 372; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshdb für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rn. 166, 145; Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 4. Aufl. 2002, Rn. 772 f.; Semler/Stengel NZG 2003, 1, 5 f. 78 Für Praxisfälle vgl. Nachweise in Fn. 69. – Zur ähnlichen Suspendierung eines Vorstands Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 84 Rn. 59.

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3. Institutionelle Absicherung für die Bewältigung von Interessenkonflikten 3.1 Auswahl von Aufsichtsratsmitgliedern Zu den Best Practices bei der Suche nach geeigneten Aufsichtsratsmitgliedern gehört auch die Beschäftigung des Aufsichtsrats bzw. des Nominierungsausschusses mit dem in der Person des Aufsichtsratskandidaten begründeten Risiko potentieller Interessenkonflikte 79. Hierzu wird der Aufsichtsrat bzw. der Nominierungsausschuss den Kandidaten im Regelfall auch befragen. In Sondersituationen kann es sich auch anbieten, von Kandidaten eine Pflichtenvorrangserklärung einzuholen, mit der dieser dem Aufsichtsrat der Gesellschaft gegenüber erklärt, potentielle Interessenkonflikte unverzüglich offenzulegen, in jedem Fall dem Unternehmensinteresse absoluten Vorrang vor Eigen- bzw. Fremdinteressen zu geben und darauf zu verzichten, in Fällen entsprechender Anordnung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. eines entsprechenden Beschlusses auf den Erhalt kritischer Informationen, die Teilnahme an kritischen Sitzungen sowie auf das Stimmrecht zu verzichten,80 um dadurch Bedenken bestimmter Stakeholder entgegenzuwirken. 3.2 Regelung in der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat Es ist ein Element guter Corporate Governance, wenn die Unternehmensorgane Vorstand und Aufsichtsrat jeweils in ihren Geschäftsordnungen, also im vorhinein fallgruppenhafte Konturierungen von Umständen, die zu Interessenkonflikten führen können, sowie hierauf bezogene Offenlegungspflichten und Reaktionsmaßnahmen festschreiben.81 Weiterhin könnte in der Geschäftsordnung geregelt werden, dass der Aufsichtsrat bzw. dessen Nominierungsausschuss bei der Suche nach geeigneten Aufsichtsratskandidaten die Wahrscheinlichkeit potentieller Interessenkonflikte berücksichtigen und dementsprechend hierauf bezogene, hinreichende Untersuchungen anstellen soll. Gehören dem Aufsichtsrat Mitglieder an, die aufgrund besonderer Umstände bei bestimmten Sachgegenständen einem Interessenkonflikt unter79

Vgl. auch Ziff. 5.4.1 Satz 2 DCGK. Siehe hierzu auch Nachweise in Fn. 8, 9 und 69. 81 Beispiel für eine allgemeine Regelung in der Geschäftsordnung für den Vorstand der Deutsche Bank AG als „Entsendungsunternehmen“, Ziff. VII.4: „Der Mandatsträger hat sich bei der Wahrnehmung seines Mandats um die Vermeidung von Interessenkonflikten zu bemühen. Er hat insbesondere bereits bei der Übernahme eines Mandats darauf zu achten, dass aus dessen Ausübung möglichst keine Interessenkonflikte entstehen können. Ergeben sich bei der Wahrnehmung eines Mandats unvermeidbare Interessenkonflikte, so hat sich der Mandatsträger unter Wahrung der Interessen der Gesellschaft einer Teilnahme an den Beratungen und Abstimmungen über Angelegenheiten, die seine Befangenheit begründen, zu enthalten oder sein Mandat niederzulegen“ (abrufbar unter www.db.com/ir/de/download/ go_vorstand_28_07_2009.pdf). 80

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liegen, liegt es nahe, einen besonderen Aufsichtsratsausschuss einzurichten, dem das betroffene Aufsichtsratsmitglied nicht angehört und diese Sachfragen behandelt. Dies ist insbesondere angängig für Aufsichtsratsmitglieder, die selbst in einem wesentlichen Wettbewerbsverhältnis zur Gesellschaft stehen oder einem solchen Wettbewerbsunternehmen nahestehen sowie solche, die selbst Großaktionär sind oder einem solchen nahestehen. So hat die Volkswagen AG einen Ausschuss für die Zustimmung zu Geschäften mit der Porsche Automobil Holding SE (einschließlich abhängiger Unternehmen) errichtet.82 Auch in einem anderen Fall ist für wettbewerblich relevante Umstände ein besonderer Aufsichtsratsausschuss vorgesehen gewesen, in dem über „(i) den wesentlichen Aus- und Abbau von wettbewerbsrelevanten Kapazitäten, (ii) Kapazitätsauslastungen und die tatsächliche Produktion, soweit wettbewerbsrelevante Bereiche betroffen sind, (iii) vertrauliche Informationen zum Bereich Forschung und Entwicklung (FE), insbesondere hinsichtlich Investitionen in dem Bereich FE, soweit die wettbewerbsrelevanten Bereiche betroffen sind, (iv) vertrauliche Preise einzelner wettbewerbsrelevanter Produkte, (v) vertrauliche Absatzzahlen einzelner wettbewerbsrelevanter Produkte, (vi) den Abschluss von Verträgen mit den Wettbewerbsunternehmen und ihren verbundenen Unternehmen sowie (vii) den Abschluss oder die Änderung von Verträgen mit Vertragspartnern der Gesellschaft, soweit diese in wettbewerbsrelevanter Weise zugleich auch Vertragspartner des Wettbewerbsunternehmens (bzw. der mit ihr verbundenen Unternehmen) sind bzw. sein könnten“ berichtet und entschieden wird. Auf diese Weise ist nicht nur einzelfallbezogen, sondern „institutionell“ sichergestellt, dass ein Interessenkonflikt bei der Willensbildung und Beschlussfassung nicht auftritt. Er ist insbesondere auch geeignet, bei Stakeholdern der Gesellschaft Vertrauen in die Effizienz der Aufsichtsratsarbeit und der Corporate Governance herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten. 3.3 Dokumentation der Konfliktbewältigung und Berichterstattung an die Hauptversammlung Schließlich sollte aus Dokumentationszwecken in den entsprechenden Niederschriften über die Sitzungen oder Beschlussfassungen des Aufsichtsrats bzw. seiner Ausschüsse festgehalten werden, ob im Hinblick auf einen Tagesordnungspunkt ein (potentieller) Interessenkonflikt in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds bestand und in welcher Weise dieser bewältigt wurde. Auf dieser Grundlage kann dann der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung erstellt 83 und zudem die Evaluation der Aufsichtsratstätigkeit 82

Volkswagen AG Bericht des Aufsichtsrats 2008 (Geschäftsbericht), S. 6 f. Vgl. Ziff. 5.5.3 Satz 1 DCGK („Der Aufsichtsrat soll in seinem Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren“). 83

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durchgeführt werden.84 Im Zuge des Berichtsentwurfs bzw. der Organevaluation kann dann auch überprüft werden, ob die Regelungen in der Geschäftsordnung (sub 3.2) ausreichend sind und welche Folgen sich für die zukünftige Zusammensetzung des Gremiums ergeben.

84 Vgl. Ziff. 5.6 DCGK („Der Aufsichtsrat soll regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen“); hierzu Seibt DB 2003, 2107; v. Werder in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, 3. Aufl. 2008, Rn. 1152.

Gedanken zur Bedeutung des Unternehmenszwecks Johannes Semler Vorbemerkung „So etwas tut man nicht!“ Dies denkt man heute oft, wenn man neue Unternehmensnachrichten liest. Aber genügt es, wenn man beispielsweise sagt: „Ich würde mich schämen, wenn ich eine vertraglich zugesicherte Tantieme abfordern würde, deren Auszahlung wirtschaftlich nur möglich ist, weil im Unternehmen gleichzeitig eine Vielzahl von Arbeitsplätzen abgebaut wird?“ Oder bestehen in einem solchen Fall auch rechtliche Schranken, die eine rechtmäßig handelnde Verwaltung beachten muss? Muss es richtig heißen: „So etwas darf man nicht?“ Darf eine rechtmäßig handelnde Verwaltung ihrem Handeln beliebige Unternehmensziele und einen beliebigen Unternehmenszweck zu Grunde legen? Oder gibt es Dinge, die bei allen Handlungen der Verwaltung etwa wie eine Art ordre public des Aktienrechts zu beachten sind? Vor einigen Jahrzehnten ist die These vom „shareholder value“ verstärkt zu einem Mittelpunkt der Diskussion geworden.1 Das Interesse des Aktionärs wurde zum alleinigen Ziel unternehmerischen Handelns und die Verfolgung der Aktionärsinteressen zum ausschließlichen Unternehmenszweck entwickelt. Eine hohe Umsatzrendite wurde zum Idol tantiemesüchtiger Manager. Die Eigenkapitalrendite wurde statistisch hochgejubelt. Escamoteure realisierten ihre Ziele gelegentlich durch Taschenspieler-Tricks. Vom ungesunden, weil zu hohen Leverage, mit dessen Hilfe die hohe Eigenkapital-Renditeziffer erreicht worden war, wurde nicht gesprochen. Andere Unternehmen versuchten durch verstärkte Rationalisierung gleiche Renditen zu erzielen. Die Gefährdung des Bestands eines Unternehmens durch eine zu geringe Eigenkapitalquote wurde nicht gesehen oder doch in Kauf genommen. Der Rausch statistisch hoher Ertragsziffern ließ vorsichtiges unter1 Vgl. Spindler Gutachten im Auftrag der Hans Böckler Stiftung v. 12. Oktober 2008, S. 10 ff. (31. August 2009). Eingehend Kuhner Unternehmensinteresse vs. Shareholder Value als Leitmaxime kapitalmarktorientierter Aktiengesellschaften, ZGR 2004, 244, 260; v. Werder Shareholder Value – Ansatz als (einzige) Richtschnur des Vorstandshandelns?, ZGR 1998, 69, 77.

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nehmerisches Denken zum überholten Merkmal vergangenheitsorientierten Denkens werden. Die künstlich überhöhten Ziffern wurden zur Berechnung vermeintlich verdienter Boni herangezogen. Ist ein solches Verhalten wirklich nur eine Frage des Anstands? 2

I. Zweck und Ziele unternehmerischen Wirtschaftens in der sozialen Marktwirtschaft Wenn wir diesem Problem weiter nachgehen, müssen wir zunächst einige allgemeine Fragen aufwerfen. Diese Fragen und die Antworten darauf sind in den letzten Jahren fast in Vergessenheit geraten.3 Erst neuerdings ist mit einer Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex die Bedeutung des Unternehmensinteresses wieder in den Vordergrund gesellschaftsrechtlicher Überlegungen gerückt worden.4 Was sind das Ziel und der Zweck unternehmerischen Wirtschaftens in der sozialen Marktwirtschaft? 1. Maxime der Gewinnerzielung Einigkeit sollte darüber bestehen, dass jede Aktiengesellschaft das Ziel der Gewinnerzielung zu verfolgen hat.5 Jedes Unternehmen bedarf regelmäßiger jährlicher Gewinne. Nur so kann ein Unternehmen die notwendigen Neuentwicklungen finanzieren, sich nötige Modernisierungen und Erweiterungen leisten und unternehmensbedingte Risiken ausreichend abfedern. Nur ein gewinnerzielendes Unternehmen kann seine Belegschaft angemessen entlohnen und sichere Arbeitsplätze bereitstellen. Und schließlich kann nur ein gewinnerzielendes Unternehmen seiner Stellung in der Gesellschaft gerecht werden.6 Das Gebot der Gewinnerzielung fordert das Erwirtschaften eines angemessenen Gewinns. Angemessen ist ein Gewinn, der nach Deckung der laufenden Kosten der Unternehmenstätigkeit das investierte Kapital marktgerecht verzinst und die Bildung von Rücklagen ermöglicht, 2 Dazu auch Loescher Keep that Moral Compass Close at Hand, Michigan State University, Dec. 8. 2007. 3 Ausnahme: Kuhner Unternehmensinteresse vs. Shareholder Value als Leitmaxime kapitalmarktorientierter Aktiengesellschaften, ZGR 2004, 244. 4 Vgl. Hecker Die aktuellen Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, BB 2009, 1654 f. Gründliche Analyse der Überlegungen zum Unternehmensinteresse bei Fleischer in Spindler/Stilz, 2007, § 76 AktG Rn. 24. 5 Zur Frage der Unternehmensziele Grossmann Unternehmensziele im Aktienrecht, 1980, S. 16 ff.; Raiser Unternehmensziele und Unternehmensbegriff, ZHR 144 (1980) 206, 219; Kuhner (Fn. 3) ZGR 2004, 244, 246. 6 Vgl. hierzu Kuhner (Fn. 3) ZGR 2004, 244, 249.

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mit denen die allgemeinen Risiken der unternehmerischen Tätigkeit dieses Unternehmens abgedeckt werden. Unangemessen ist ein Gewinn, der mit dem Ziel einer Gewinnmaximierung die Interessen anderer zu berücksichtigender Interessenträger gewichtig beeinträchtigt. Angemessene Gewinne widersprechen nicht dem Unternehmensinteresse, unangemessene sehr wohl. 2. Die Bedeutung des Unternehmensinteresses für die Zielbildung und die Zwecksetzung einer Aktiengesellschaft In einer Aktiengesellschaft bestimmt der Vorstand die Grundsätze der Geschäftspolitik (§ 76 Abs. 1 AktG). Dabei hat er sich vom Unternehmensinteresse leiten zu lassen. Dies haben das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen betont.7 Bis zur Aktienrechtsreform 1965 waren die Träger des Unternehmensinteresses im Gesetz ausdrücklich genannt. § 70 Abs. 1 AktG1937 legte fest, dass „die Gesellschaft das Unternehmen unter Berücksichtigung des Wohls seiner Arbeitnehmer, der Aktionäre und der Allgemeinheit zu betreiben“ habe.8 Der mit dem Entwurf des neuen Aktiengesetzes befasste Ausschuss des Bundestags hatte überlegt, ob diese Vorschrift im neuen AktG 1965 in einem besonderen § 75a übernommen werden solle. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die Notwendigkeit eines entsprechenden Verhaltens ohnehin als geltendes Recht anzusehen sei. Es verstehe sich von selbst, dass die Gesellschaft nicht über die Interessen ihrer Arbeitnehmer hinweggehen dürfe.9 Ein Zwang zur Beachtung des Unternehmensinteresses und damit der Interessen verschiedener Interessenträger muss auch ohne besondere Gesetzesbestimmung als geltendes Recht angesehen werden.10 Allerdings ist die praktische Beachtung dieses Rechtsgrundsatzes nicht so einfach. Die Inter-

7 Vgl. dazu die Entscheidungen des BVerfG, BverfGE 50, 290; und des BGH, BGHZ 64, 325, 329, 331. Dazu im Schrifttum: Jürgenmeyer Das Unternehmensinteresse, 1984; Junge FS v. Caemmerer, 1978, S. 547; Raisch FS Hefermehl, 1976, S. 347; Semler Leitung und Überwachung, 2. Aufl. 1996, Rz. 51; dazu auch Brinckmann Das Unternehmensinteresse 1983, S. 230; ders. AG 1982, 122; Schmidt-Leithoff Die Verantwortung der Unternehmensleitung, 1989, S. 62 ff.; kritisch: Fleischer in Spindler/Stilz AktG Rn. 21 ff.; Hüffer 8. Aufl. 2008, § 76 Rz. 17; Groh Shareholder Value und Aktienrecht DB 2000, 2153; Kort in Großkomm AktG 4. Aufl. 2003, § 76 Rz. 46. Kuhner (Fn. 3) ZGR 2004, 244, 247; Zöllner Unternehmensinnenrecht. Gibt es das? AG 2003, 2. 8 Kropff AktG, 1965, § 76 Ausschussbericht (S. 97). Zur Zeit wird eine entsprechende Ergänzung des Gesetzes erneut gefordert, vgl. DGB-Vorschläge für ein gesetzliches Maßnahmenbündel zur Regulierung der Vorstandsvergütung, Beschluss des DGB-Bundesvorstands v. 3. Juni 2008. 9 Kropff AktG (Fn. 7) § 76 Ausschussbericht (S. 98). 10 Vgl. dazu Gutachten Spindler (Fn. 1) S. II, S. 4 ff. Differenzierend v. Werder (Fn. 1) ZGR 1998, 69, 77.

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essen der verschiedenen Interessenträger können (und dürfen) nicht in gleicher Weise berücksichtigt werden. Im unternehmerischen Sprachgebrauch hat man sich die Umschreibung des Unternehmensinteresses vielfach leicht gemacht. Vereinfachend wird gesagt, dass die Verwaltung nicht isoliert das „Shareholder-Interesse“, sondern das „Stakeholder-Interesse“ zu berücksichtigen habe. Was darunter zu verstehen ist, wird verschwiegen. Allenfalls wird noch aufgezählt, wer als Stakeholder anzusehen ist.11 a) Die Interessen der Anteilseigner Die Interessen der Anteilseigner sind für das Ziel der Geschäftspolitik bestimmend. Ihre Interessen sind die Triebfeder unternehmerischen Handelns.12 Unternehmensziele, die den Interessen der Aktionäre zuwider laufen oder auch nur nicht gerecht werden, darf der Vorstand nicht ansteuern. Träger des Anteilseignerinteresses sind alle Aktionäre, gleichgültig ob Stammaktionäre oder Vorzugsaktionäre.13 Auf die Art der Verkörperung der Aktionärsrechte kommt es nicht an. Inhaberaktien und Namensaktien stehen sich völlig gleich. Der Wohnsitz der Aktionäre ist unbeachtlich. Auch die Interessen „werdender Aktionäre“ (Inhaber von Bezugsrechten) sind zu beachten. Aktiengesellschaften, die an einer Börse zum Handel zugelassen sind, müssen auch die Interessen potentieller Aktionäre in die Maximen des Unternehmensinteresses einbeziehen. Der Kreis der Aktionäre erweitert sich zum Kreis der Anleger. b) Die Interessen der Arbeitnehmer Die Interessen der Arbeitnehmer dürfen nicht das Hauptziel der Geschäftspolitik bestimmen. Allerdings darf das Interesse der Aktionäre nicht so festgesetzt werden, dass die Interessen der Arbeitnehmer gezielt beeinträchtigt werden. Aktionärsinteressen dürfen nicht uneingeschränkt auf Kosten der Arbeitnehmer durchgesetzt werden. Mitarbeiter sind mehr als bloße

11 Eine eingehende Analyse finden wir bei Schmidt-Leithoff Die Verantwortung der Unternehmensleitung, 1989, S. 45 ff. Ausführlich auch Fleischer Hdb des Vorstandsrechts, 2006, § 1 Rn. 26 ff.; Kessler Die Leitungsmacht des Vorstands einer Aktiengesellschaft, AG 1995, 61, 62; ders. Interessen- und Kompetenzkonflikte in einer Aktiengesellschaft aus juristischer und betriebswirtschaftlicher Sicht, AG 1993, 252, 259. 12 Den Aktionärsinteressen gebührt kein Vorrang innerhalb einer wie auch immer gearteten Interessenhierarchie (so aber Fleischer Hdb. des Vorstandsrechts (Fn. 11) § 1 Rn. 26 ff. und ihm folgend Seibt in Schmidt/Lutter AktG § 76 Rn. 12). Die Interessen der Anteilseigner unterscheiden sich von den Interessen anderer Interessenträger durch ihren Inhalt, nicht durch ihr Gewicht, vgl. dazu Kuebler/Assmann Gesellschaftsrecht 6. Aufl. 2006, S. 177. 13 Auf die im Konzern entstehenden besonderen Fragen kann in diesem Aufsatz nicht eingegangen werden.

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Kostenfaktoren. Die Mitbestimmungsgesetze zeigen, dass das deutsche Recht der Beachtung von Arbeitnehmerinteressen eine besondere Bedeutung beimisst. Das Bestehen dieser Mitbestimmungsgesetze befreit die Verwaltungsorgane einer Aktiengesellschaft und deren Mitglieder nicht von der Pflicht, bei ihren Entscheidungen von sich aus Arbeitnehmerinteressen im gebotenen Umfang zu beachten. Wenn bei einer Entscheidung des Aufsichtsrats die Arbeitnehmervertreter die Arbeitnehmerinteressen unzureichend wahrnehmen, bleibt es Aufgabe aller Aufsichtsratsmitglieder, dem Arbeitnehmerinteresse Geltung zu verschaffen. Die Wahlberechtigung der Mitbestimmungsgesetze kann dazu verleiten, rechtswidrig die Interessen nicht wahlberechtigter Arbeitnehmer zu übersehen. Die Interessen aller Arbeitnehmer im Inland und im Ausland sind zu befolgen. Ihre Wahlberechtigung nach den Gesetzen zur unternehmerischen Mitbestimmung hat bei dieser Interessenwahrung keine Bedeutung. Auch Beschäftigte des Unternehmens mit Geschäftsansässigkeit in Brasilien oder China haben berücksichtigungsbedürftige Interessen. Auf die Art der Rechtsbeziehung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer kommt es nicht an. Lohnempfänger und Gehaltsempfänger haben gleichermaßen schutzbedürftige Interessen. c) Die Interessen der Allgemeinheit Interessen der Allgemeinheit dürfen in einer im Privateigentum stehenden Aktiengesellschaft kein Hauptziel der Geschäftstätigkeit sein. Die Allgemeinheit hat ein Schutzinteresse. Sie ist daran interessiert, dass jede Aktiengesellschaft alle sie betreffenden Vorschriften des geltenden Rechts beachtet. Bei unklarer Gesetzeslage ist es einer Gesellschaft aber nicht verwehrt, ihrer Geschäftspolitik eine für ihre Entwicklung günstige Auslegung der Gesetze zu Grunde zulegen, auch wenn darunter die Interessen der Allgemeinheit leiden. Ob es hier Grenzen gibt, ist im Einzelfall zu untersuchen. d) Zur Gewinnerzielungsmaxime im Interessenwiderstreit Bei der Feststellung, ob schutzbedürftige Interessen geschädigt werden, ist besondere Sorgfalt geboten. Maßnahmen, die der Erhaltung angemessener Gewinne dienen, sind nicht Maßnahmen im Aktionärsinteresse. Die Erzielung angemessener Gewinne liegt auch im Interesse der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit. Erst das Anstreben von unangemessenen Gewinnen kann durch die dazu erforderlichen Maßnahmen die Interessen der Arbeitnehmer verletzen. 3. Schutzinteressen der Interessenträger Die Notwendigkeit einer Beachtung von Schutzinteressen einzelner Interessenträger mag Anlass zu innerbetrieblichen und sogar zu rechtlichen Auseinandersetzungen geben.

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Die Verlegung der eine Steuerpflicht begründenden Grundlagen in eine für das Unternehmen günstige Steuerlandschaft ist nicht zu beanstanden, wenn die Besteuerungsgrundlagen nur zu einem geringeren Teil im bisher für die Besteuerung zuständigen Staat belegen sind. Anders mag es zu beurteilen sein, wenn die Besteuerungsgrundlagen nahezu ausschließlich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland entstehen und sich die Verlagerung der Besteuerungsgrundlagen als Steuerflucht darstellt. Ähnliches wird für die Beachtung der Mitbestimmungsnormen gelten. Von einem Unternehmen, dessen Arbeitnehmer überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt werden, sollten die Grundsätze der für ein solches Unternehmen vorgesehenen oder vereinbarten Mitbestimmung auf Unternehmensebene weiter beachtet werden, auch wenn einzelne Gesetze eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ möglich machen. Anders hingegen ist es zu beurteilen, wenn die Mehrheit der Arbeitnehmer eines Unternehmens nicht in Deutschland geschäftsansässig ist. Es ist nicht die Aufgabe einer deutschen Aktiengesellschaft, die Grundsätze der in Deutschland geltenden Mitbestimmung auf Unternehmensebene überall dort zu verbreiten, wo dieses Unternehmen Menschen als Arbeitnehmer beschäftigt. Gegen Organisationsmodelle, die eine Beibehaltung der deutschen Mitbestimmung vermeiden, bestehen in solchen Fällen keine Bedenken.

III. Das Unternehmensinteresse als Verhaltensmaxime Die Organe einer Aktiengesellschaft brauchen gewiss nicht bei allem ihrem Tun und Lassen ständig das Unternehmensinteresse 14 als Leitungsmaxime vor sich zu sehen. Aber bei besonderen geschäftlichen Vorgängen ist es geboten, auf die Bedeutung des Unternehmensinteresses zu achten. Welche Vorgänge kommen hier in Betracht? 1. Keine Bindung der Aktionäre an das Unternehmensinteresse Keine Rücksicht auf das Unternehmensinteresse brauchen die Aktionäre zu nehmen, wenn sie in der Hauptversammlung über einen von ihnen selbst oder über einen von der Verwaltung gestellten Antrag abstimmen. Es mag Ausnahmesituationen geben, in denen dies anders gesehen werden muss.

14 Im Folgenden wird – ohne auf die Diskussion über Gesellschaftsinteresse oder Unternehmensinteresse einzugehen – ausschließlich vom Unternehmensinteresse gesprochen. Erfasst werden soll damit der gesamte Einflussbereich, zu dessen Leitung der Vorstand einer Aktiengesellschaft berufen ist. Vgl. zu diesen Fragen Schmidt-Leithoff (Fn. 11) 2. Kapitel, D.

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Für Großaktionäre gibt es Treupflichten besonderer Art. Im Normalfall können die Aktionäre aber so stimmen, wie es ihrem Interesse entspricht.15 Allerdings stellt sich die Frage, ob ein Verwaltungsorgan einen von der Hauptversammlung unter Missachtung des Unternehmensinteresses gefassten Beschluss für nichtig zu erklären oder anzufechten hat. Dies könnte der Fall sein, wenn ein das Unternehmensinteresse verletzender Beschluss als gesetzwidrig anzusehen ist. In Betracht könnten eine Nichtigkeit nach § 241 Nr. 3 oder eine Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 1 AktG kommen. Keiner der beiden Vernichtungsgründe dürfte einschlägig sein. Der Zwang zur Beachtung des Unternehmensinteresses gilt nur im Rahmen der Leitungsvorschrift des § 76 Abs. 1 AktG für die Leitung des Unternehmens und statuiert keine allgemeine Verhaltensvorschrift für Aktiengesellschaften. Die in § 76 Abs. 1 AktG festgestellte Leitungsaufgabe ist vom Vorstand zu erfüllen. Wenn der Aufsichtsrat Geschäftsführungsangelegenheiten behandelt oder mitbehandelt, gilt die Bindung an das Unternehmensinteresse auch für ihn. Einer besonderen Überlegung bedarf die „Vorschlagsverantwortung“ 16. Dürfen die Verwaltungsorgane einer Aktiengesellschaft der Hauptversammlung Beschlüsse vorschlagen, die gegen das Unternehmensinteresse verstoßen? Auf der einen Seite ist die Hauptversammlung ein Zusammentreffen der nicht an das Unternehmensinteresse gebundenen Anteilseigner. Sie dürfen ihre Entscheidungen allein im Hinblick auf ihr eigenes Interesse fällen. Diese Einsicht können die vorschlagsberechtigten Organe durchaus zur Leitschnur ihres eigenen Handelns machen. Auf der anderen Seite haben die Organmitglieder bei ihren geschäftsleitenden Entscheidungen § 76 Abs. 1 AktG und damit das Unternehmensinteresse zu beachten. Dürfen Organmitglieder dies im Rahmen ihrer Vorschlagsverantwortung unberücksichtigt lassen? Ich meine ja. Sie sollen ja gerade keinen Vorschlag für eine Geschäftsleitungsmaßnahme machen. Sie sollen mit ihrem Vorschlag das Verhalten der Anteilseigner, also eines nicht dem Unternehmensinteresse unterworfenen Organs beeinflussen. Und hierbei wäre es wohl widersinnig, wenn der Vorschlag eine handlungsfremde Maxime zugrunde legen würde und nicht diejenige, die für das Verhalten des Vorschlagempfängers gilt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Verwaltungsorgane bei der ihnen gesetzlich obliegenden Vorschlagspflicht (§ 124 Abs. 3 AktG) uneingeschränkt Vorschläge machen dürfen, die dem Unternehmensinteresse zuwider laufen (z.B. Vorschlag von ungeeigneten Personen zur Wahl in den Aufsichtsrat auf Wunsch einer Aktionärsgruppe). Gesetzesvorschriften sind immer zu beachten.

15 Zu den Treupflichtschranken des § 254 AktG Habersack in FS Schmidt 2009, S. 523, 531. Verwiesen sei auf § 117 Abs. 2 AktG sowie das entsprechende Schrifttum, vgl. mit weiteren Nachweisen Kropff in MünchnKomm, 2. Aufl. 2004, § 117 AktG Rz. 54 ff. 16 Habersack in FS Schmidt 2009, S. 523, 542, 544.

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2. Bindung der Verwaltungsorgane an das Unternehmensinteresse Das Unternehmensinteresse ist stets zu beachten, wenn eines der Verwaltungsorgane eine Entscheidung für das Unternehmen trifft.17 Der Aufsichtsrat hat allerdings eine doppelte Funktion: Er muss seine eigene (Mit)-Leitungsentscheidung im Unternehmensinteresse treffen und zugleich die Entscheidung des Vorstands überwachen. Dabei stellt sich die Frage, ob eine Entscheidung über diese Frage eine „unternehmerische Entscheidung“ i.S.d. § 93 Abs.1 Satz 2 AktG ist. Zwei Fragen zu sind unterscheiden: Zum einen ist festzustellen, ob bei der anstehenden Entscheidung das Unternehmensinteresse überhaupt von Bedeutung ist, und zum anderen ist bei Bejahung der ersten Frage das Unternehmensinteresse festzustellen. Die erste Frage ist eine reine Rechtsfrage. Sie kann richtig oder falsch beantwortet werden, aber nicht nach einem so oder so zu definierenden Ermessen. Bei der zweiten Frage handelt es sich um eine Ermessenentscheidung. Hier können sich Vorstand und Aufsichtsrat durchaus auf die Grundsätze berufen, die für unternehmerische Entscheidungen gelten. a) Festlegung der langfristigen Ziele des Unternehmens Vorstand und Aufsichtsrat legen gemeinsam die langfristigen Ziele des Unternehmens und seine grundlegende strategische Ausrichtung fest.18 Beide Organe sind dabei an das Unternehmensinteresse gebunden. Jedes Organ darf und muss dieses Interesse selbst ermitteln und auslegen. b) Zwang zur Beachtung des Unternehmensinteresses bei Zustimmungsvorbehalten Das Unternehmensinteresse ist stets zu beachten, wenn eine Entscheidung dem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats unterliegt. Wenn das zuständige Organ durch Festsetzung eines Zustimmungsvorbehalts zugunsten des Aufsichtsrats bestimmte Arten von Geschäftsführungsangelegenheiten einer Mitentscheidungs-Kompetenz des Aufsichtsrats unterwirft, legt es zugleich fest, dass die Handlungsmaxime für Vorstand und Aufsichtsrat bei dieser Art von Geschäftsleitungsmaßnahmen das Unternehmensinteresse sein muss. Die Entscheidung darf sich nicht allein auf das Aktionärsinteresse stützen. Formal folgt dies schon daraus, dass die Arbeitnehmervertreter an der Entscheidung mitwirken. Es würde dem Grundgedanken der Mitbestimmung auf Unternehmensebene widersprechen, wenn die Festlegung eines Zustimmungsvorbehalts die Arbeitnehmervertreter zwingen würde, sich allein dem Aktionärsinteresse zu unterwerfen. 17 18

DCGK 4.1.1 (Vorstand) und 5.5.1 (Aufsichtsrat). Vgl. hierzu DCGK 3.2.

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c) Beachtung des Unternehmensinteresses langfristiger Folgewirkung bei kurzfristigen Maßnahmen Weder Organmitglieder der Anteilseigner noch solche der Arbeitnehmer dürfen bei der Behandlung allgemeiner unternehmerischer Fragen kurzfristige Maßnahmen treffen, ohne die langfristigen Folgen zu prüfen.19 Kurzfristige Erfolge haben häufig zur Folge, dass die langfristige Entwicklung durch die Realisierung kurzfristiger Erfolge negativ beeinflusst wird. Das Unternehmensinteresse gebietet bei allen kurzfristigen Maßnahmen die sorgfältige Beachtung ihrer langfristigen Folgen. Erfolgreiche Unternehmen verfolgen ein nachhaltiges, ethisch fundiertes Interesse.20 Sie vermeiden die Honorierung kurzfristiger Erfolge. Dieses langfristige Ziel und die Möglichkeit seiner Realisierung darf auch bei der Entscheidung über kurzfristige Maßnahmen nie aus den Augen verloren werden. 3. Bindung des Aufsichtsrats an das Unternehmensinteresse bei der Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands Der Aufsichtsrat hat bei seiner Überwachung das Unternehmensinteresse zu beachten.21 Er muss feststellen, ob der Vorstand bei seiner Geschäftsführung im Unternehmensinteresse handelt. Das Unternehmensinteresse ist im Regelfall von jedem Organ selbständig zu ermitteln. Bei Überwachungs-Entscheidungen des Aufsichtsrats hat der Aufsichtsrat allerdings die Aufgabe, festzustellen, – ob bei der Entscheidung das Unternehmensinteresse überhaupt von Bedeutung ist? – ob das Unternehmensinteresse vom Vorstand beachtet worden ist und ob der Vorstand seine Entscheidung aufgrund ausreichender Information getroffen hat? – ob bei der Ermittlung des Unternehmensinteresses die Grundsätze der Ordnungsmäßigkeit und der Rechtmäßigkeit beachtet wurden und ob nicht unvertretbar gegen die Grundsätze der Zweckmäßigkeit und der Wirtschaftlichkeit verstoßen worden ist, ggf. ob den Grundsätzen für eine unternehmerische Entscheidung gefolgt worden ist. Die erste Frage ist eine Rechtsfrage. Sie ist vom Aufsichtsrat unter Beachtung von Gesetz und Recht zu beantworten. Für die Ausübung eines wie 19

Vgl. Dazu VorstAG Nr. 1a mit Änderung des § 87 Abs. 1 AktG. Loescher (Fn 2): “It’s been my experience for the last 30 years doing business in Spain, the U.S., Japan and now in Germany. In every case, I found, the most successful businesses are also the most ethical businesses”. Dazu auch Uwe H. Schneider/Peltzer Für mehr gesunden Menschenverstand im im Bankgeschäft – 10 Thesen, Börsenzeitung 19. November 2008; Mittelstraß Wirtschaft und Ethos, FAZ 9. Oktober 2009. 21 Hierzu Kling Die Binnenhaftung des Aufsichtsratsmitglieds in der Aktiengesellschaft, DZWIR 2005, 45, 46. 20

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auch immer gearteten Ermessens ist kein Raum. Die zweite Frage gehört in den Bereich der Tatsachenfeststellung. Auch hier ist für die Ausübung unternehmerischen Ermessens kein Raum. Insbesondere darf die für unternehmerische Entscheidungen geltende Regelung, nach der die Entscheidung „auf der Grundlage angemessener Information“ (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG) zu treffen ist, hier nicht herangezogen werden. Der Aufsichtsrat muss feststellen, ob der Vorstand sich vor seiner Entscheidung ausreichend (und nicht nur angemessen) informiert hat und dann das Unternehmensinteresse beachtet hat oder nicht. Und auch die dritte Frage ist keine unternehmerische Entscheidung. Sie ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Aufsichtsrats als Rechtsfrage nach den für die Rechtsfindung geltenden Grundsätzen zu beantworten. 4. Bindung des Aufsichtsrats (und mittelbar des Vorstands) an das Unternehmensinteresse bei der Bestellung und Anstellung von Vorstandsmitgliedern 22 a) Bestellung Das Unternehmensinteresse ist zu beachten, wenn der Aufsichtsrat ein neues Vorstandsmitglied bestellt oder über die erneute Bestellung eines vorhandenen Vorstandsmitglieds berät. Bei der Erstbestellung eines Vorstandsmitglieds von außen neigen die Arbeitnehmervertreter gelegentlich dazu, die Betriebsräte des Unternehmens, dem der Kandidat bisher angehört hat, zur Person des in Aussicht genommenen neuen Vorstandsmitglieds zu befragen. Dies ist, wenn nicht der Aufsichtsrat durch Beschluss eine solche Befragung zugelassen hat, unzulässig. Eine Berufung auf das Unternehmensinteresse vermag die Bestimmung der §§ 93 Abs. 1 S. 3, 116 AktG über die Verschwiegenheitspflicht nicht außer Kraft zu setzen. Dies gilt ebenso für Anteilseignervertreter. Auch sie sind an die Verschwiegenheitspflicht gebunden und dürfen Rückfragen bei anderen Unternehmen nur mit Zustimmung des Aufsichtsratsplenums halten. Die Dauer der Bestellung ist von Gesetzes wegen auf fünf Jahre begrenzt (§ 84 Abs. 1 S. 1 AktG). Der Deutsche Kodex empfiehlt für Erstbestellungen maximal eine Bestellung auf drei Jahre (DCGK 5.1.2). Dies ist auch im Unternehmensinteresse sachgerecht. Bei erneuten Bestellungen sollte allerdings im Unternehmensinteresse die gesetzlich mögliche Bestellungszeit gewählt werden. Eine sachgerechte Geschäftspolitik bedarf der Nachhaltigkeit. Diese ist eher gesichert, wenn die verantwortlichen Vorstandsmitglieder für einen vollen Zeitraum von fünf Jahren bestellt werden. 22 Sowohl zu den Fragen der Bestellung als auch zu denen der Anstellung Fonk in Semler/v. Schenck Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 9.

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b) Anstellung Der Aufsichtsrat muss das Unternehmensinteresse beachten, wenn er mit dem bestellten Vorstandsmitglied oder einem schon bisher bestellten Vorstandsmitglied über den neuen Anstellungsvertrag verhandelt 23. Das Gesetz sieht vor, dass auch ein Anstellungsvertrag nicht auf eine längere Zeit als eine von fünf Jahren abgeschlossen werden kann (§ 84 Abs: 1 S. 5, 1. HS. AktG). Allerdings ist eine Vereinbarung zulässig, nach der ein bisher bestehender Anstellungsvertrag fortgelten soll, wenn die Bestellung verlängert wird (§ 84 Abs. 1 S. 5, 2. HS AktG). Von dieser Möglichkeit sollte in der Praxis tunlichst kein Gebrauch gemacht werden. Wenn der Aufsichtsrat schon bei der Erstbestellung eine automatische Verlängerungsklausel vereinbart, muss er die Neubestellung vom Einverständnis des Vorstandsmitglieds mit einer etwa notwendigen Vertragsänderung abhängig machen. Wenn der Aufsichtsrat die von ihm als notwendig angesehenen Vertragsänderungen nicht durchsetzt und dem Unternehmen dadurch ein Schaden entsteht, haftet der Aufsichtsrat wegen Sorgfaltspflichtverletzung auf Schadenersatz (§§ 116, 93 Abs. 2 AktG). 5. Die Bedeutung des Unternehmensinteresses bei einzelnen Vertragsbedingungen a) Sicherung der Eigenverantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder Das duale Führungssystem der deutschen Aktiengesellschaft geht von der Eigenverantwortlichkeit der Organe aus. Vorstand und Aufsichtsrat sollen eigenverantwortlich und unabhängig voneinander agieren 24. Dies kann nur funktionieren, wenn auch die Mitglieder der Organe unabhängig voneinander eigenverantwortlich handeln können. Die Sicherung der Eigenverantwortlichkeit ist daher eine wesentliche Bedingung bei der Beachtung des Unternehmensinteresses. Es gilt, diese Sicherung der Unabhängigkeit zu bewahren, auch wenn das Tagesgeschrei Regelungen vorschlägt, die negative Auswüchse eigenverantwortlichen Handelns verhindern sollen. Einige Beispiele mögen die Auswirkungen des Unternehmensinteresses auf die Bedingungen von Anstellungsverträgen und ihre Bedeutung erkennen lassen. b) Grundfragen der Gestaltung von Anstellungsverträgen für Vorstandsmitglieder Die Ausgestaltung von Anstellungsverträgen ist – soweit nicht gesetzliche Vorgaben zu beachten sind 25 – eine Angelegenheit der Vertragspartner Aktiengesellschaft und Vorstandsmitglied. Die Gesellschaft wird dabei durch den 23 24 25

Vfl. Dazu Bauer/Arnold AGB-Kontrolle von Vorstandsverträgen, ZIP 2006, 2337. Vgl. Semler/Spindler MünchnKomm vor § 76 AktG Rn. 53 f. Zu verweisen ist insbesondere auf das am 5. August 2009 in Kraft getretene VorstAG.

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Aufsichtsrat vertreten. Dieser hat auf die Beachtung des Unternehmensinteresses zu achten. Auch unvorhergesehene Entwicklungen müssen auf der Grundlage entsprechender Vertragsbedingungen aufgefangen werden können. Es empfiehlt sich, in jedem Anstellungsvertrag einen Höchstbetrag für die für ein Jahr gewährten Bezüge einschl. Altersversorgung festzusetzen („Cap“) 26. Eine Revisionsmöglichkeit nach Durchführung von Maßnahmen zum Nachteil der Belegschaft sollte vorgesehen werden. Dies hat bis heute wohl kein Aufsichtsrat beachtet. Aber schon bei Abschluss des Anstellungsvertrages muss daran gedacht werden, dass Revisionsmöglichkeiten für erfolgsabhängige Bezüge möglich sein müssen, wenn die prämierten Erfolge nur durch Zufügung schwerer Nachteile bei der Belegschaft möglich geworden sind. Das Unternehmensinteresse verbietet es, hohe Erfolgsprämien auszuzahlen, wenn kausal umfassende betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Sie mögen nötig und wirtschaftlich gerechtfertigt sein, verbieten aber Erfolgszahlungen an Organmitglieder (Ausnahmen z.B. bei Sanierungsaufträgen bestätigen die Regel). Das vertragschließende Vorstandsmitglied ist in seiner Interessenwahrung nicht frei. Es hat unbeschadet der bestehenden Interessenkollision auf das Unternehmensinteresse zu achten. Eine rücksichtslose Verfolgung seiner eigenen Interessen ohne Rücksicht auf das Unternehmensinteresse ist ihm verwehrt.27 In Extremfällen kann ein solches Verhalten zu Schadenersatzpflichten führen. Dieser Schadenersatz kann in einer Herabsetzung der von ihm kontrahierten Ansprüche bestehen. aa) Laufzeit des Anstellungsvertrages Ein Anstellungsvertrag darf nur für längstens fünf Jahre abgeschlossen werden. Allerdings ist eine Bestimmung zulässig, wonach sich der Anstellungsvertrag bei einer Verlängerung der Bestellung automatisch bis zu deren Ablauf verlängert. bb) Gesamtvergütung Der Aufsichtrat konnte bis zum Inkrafttreten des VorstAG seine Befugnis zum Abschluss von Anstellungsverträgen mit Vorstandsmitgliedern einem Ausschuss übertragen. Heute müssen die Gesamtbezüge vom Plenum des Aufsichtsrats gebilligt werden. Die Gesamtbezüge umfassen auch sämtliche als Vorsorge für eine Altersversorgung zu qualifizierenden Leistungen. 26

Vgl. VorstAG Nr. 1a mit Änderung von § 87 AktG. Vgl. eingehend Johannes Semler in liber amicorum Happ, 2006, S. 277 ff. Wohl ebenso mit drei unterschiedlichen Begründungen (Betrachtung von § 87 Abs. 1 AktG als Verbotsgesetz § 134 BGB, Verletzung der Sorgfaltspflicht § 93 Abs. 2 AktG; Missbrauch der Vertretungsmacht nach § 112 AktG) Fleischer in Spindler/Stilz § 87 AktG Rn. 29. 27

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Das Ausmaß der aktiven Bezüge wird heute durchweg mit großer Sorgfalt definiert. Alles, was ein aktives Vorstandsmitglied von der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar erhält, gehört zu den Vorstandsbezügen, wenn die Leistung der Gesellschaft nicht im Einzelfall die Gegenleistung für eine vom Vorstandsmitglied rechtlich zulässig erbrachte Leistung an die Gesellschaft darstellt oder als Arbeitsmittel zu qualifizieren ist (Büroräume, Sekretärin, Dienstwagen, Fahrer). Streitig mag (noch) die Rechtsnatur der Beiträge zu einer D&O Versicherung sein. Das Unternehmensinteresse vermag die Kostenübernahme durch die Gesellschaft im Allgemeinen zu rechtfertigen, da die Versicherung einen Schaden der Gesellschaft deckt. Anders sieht es aus, wenn der Abschluss der Versicherung erfolgt, weil ein Organmitglied die Amtsübernahme vom Abschluss einer solchen Versicherung abhängig macht. Dann erfolgt der Abschluss der Versicherung nicht im Unternehmensinteresse, sondern im Interesse des betreffenden Organmitglieds. Die Versicherungsprämie gehört zu seinen Bezügen. Schwieriger ist die Bemessung des Umfangs der als Altersversorgung zu qualifizierenden Leistungen. Ausgangspunkt aller Überlegungen muss die rechtliche Feststellung sein, dass ein Vorstandsmitglied nach Beendigung der Bestellung von rechts wegen keinerlei Aufgaben für die Gesellschaft zu erfüllen und daher auch keinen Vergütungs- oder Aufwands-Entschädigungsanspruch gegenüber der Gesellschaft hat. Unentgeltliche Bereitstellung von Büro-Faszilitäten oder von Fahrzeugen an ein früheres Vorstandsmitglied – gleichgültig ob Sachleistung oder Personenüberlassung – können rechtlich immer nur Teil der Altersversorgung sein. Dies bedingt, dass im Zeitpunkt der Beendigung aktiver Tätigkeit der Wert aller in der Zukunft zu erbringenden Leistungen vom Unternehmen in der Bilanz durch Passivposten bereitgestellt sein muss. Nach diesem Zeitpunkt fehlt für eine finanzielle Belastung der Gesellschaft mit Aufwendungen für eine solche Belastung jedwede Rechtsgrundlage.28 Eine Ausnahme gilt für eine angemessene Anpassung der Höhe zugesagter Leistungen an die Folgen einer Geldentwertung.29 Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen ist ein zur Zahlung einer Altersrente verpflichteter Schuldner zugleich verpflichtet, die Höhe der von ihm geschuldeten Rente bei Geldentwertung anzupassen. Die Verpflichtung zur Anpassung einer Rente an die Geldentwertung findet ihre Obergrenze in der prozentualen Steigerung der Realeinkünfte der amtierenden Vorstandsmitglieder. Unvereinbar mit dem Unternehmensinteresse sind gelegentlich anzutreffende Zusagen auf Rentenanpassung im Ausmaß des Anstiegs der Bezüge aktiver Vorstandsmitglieder des Unternehmens, für das der Rentenempfänger früher tätig war. Für 28 Dies gilt unbeschadet etwaiger steuerlicher Regelungen, die u.U. eine solche Vorsorge mit steuerlicher Wirkung verhindern. 29 Vgl. dazu Fonk in Semler/v. Schenck (Fn. 22) § 9 Rn. 256 ff.

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eine solche vertragliche Zusage fehlt die allgemeine Rechtsgrundlage, soweit die Anpassung über eine angemessene Anpassung der Versorgungsbezüge hinausgeht. Ihnen steht keine Leistung des Rentners gegenüber. Sie widersprechen dem Gesetz und dem Unternehmensinteresse und sind unzulässig. Der die Bezüge gewährende Aufsichtsrat und die solche Bezüge entgegennehmenden Vorstandsmitglieder schulden der Gesellschaft den dadurch verursachten Schaden. cc) Erfolgsabhängige Vergütungen Erfolgsabhängige Vergütungen und deren Anreizwirkung sind im Grundsatz mit dem Unternehmensinteresse vereinbar und bei richtiger Ausgestaltung sogar erstrebenswert. Allerdings darf sich dabei nicht der Anspruch auf die Honorierung kurzfristiger Erfolge ergeben, wenn diese unter Missachtung der langfristigen Interessen des Unternehmens erzielt werden. dd) Folgen der Beendigung von Anstellungsverträgen Bei der vertraglichen Gestaltung des Ausscheidens von Vorstandsmitgliedern aus dem Dienstverhältnis wird das Unternehmensinteresse häufig nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt. Ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren des im deutschen Aktienrecht geltenden Vorstands/Aufsichtsratssystems ist die Unabhängigkeit der beiden Organe. Voraussetzung dafür ist die Eigenverantwortlichkeit der Organmitglieder. Vorstandsmitglieder, die vom Aufsichtsrat abhängig sind, und Aufsichtsratsmitglieder, die vom Vorstand abhängig sind, können die ihnen aktienrechtlich zugewiesenen Pflichten nicht oder jedenfalls nicht ordnungsmäßig erfüllen. Deswegen hat der Gesetzgeber für Vorstandsmitglieder grundsätzlich eine Bestellungszeit von fünf Jahren vorgesehen (§ 84 Abs. 1 S. 1 AktG). Auch hat er vorgesehen, dass die vorzeitige Abberufung eines ordnungsmäßig bestellten Vorstandsmitglieds nur aus wichtigem Grund erfolgen kann (§ 84 Abs. 3 S. 1 AktG). Ähnliches gilt für Aufsichtsratsmitglieder durch das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit für einen Abberufungsbeschluss der Hauptversammlung (sofern die Satzung nichts anderes bestimmt, § 103b Abs. 1 AktG). Wichtig ist es aber auch, dass ein Vorstandsmitglied seine Eigenverantwortlichkeit bis zum letzten Tag seiner Bestellzeit bewahren kann. Deswegen werden von zahlreichen, vor allem von sehr großen Gesellschaften nach Ablauf der ersten Amtszeit und nach Bewährung als Mitglied des Vorstands häufig „Übergangsgelder“ versprochen. Ein Vorstandsmitglied soll ohne Rücksicht auf das bevorstehende Auslaufen seines Dienstvertrags bereit bleiben, seine unternehmerischen Auffassungen auch gegen die Meinung des Aufsichtsrats (und u.U. die Meinung seiner Kollegen) zu vertreten, wenn er mit der Konsequenz rechnen muss, dass seine Bestellung und sein Dienst-

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vertrag wegen seiner abweichenden unternehmerischen Meinung nicht verlängert werden. Er soll nicht aus Sorge um seine finanzielle Zukunft gezwungen sein, eine seinen Kollegen und den Aufsichtsratsmitgliedern genehme unternehmerische Auffassung zu vertreten, die er für falsch hält. Ein solches Übergangsgeld beschränkt sich auf einen Teil seiner Festbezüge und wird oft nur für eine beschränkte Zeit gewährt. Die von der Kodexkommission empfohlene Laufzeitbegrenzung auf zwei Jahre (DCGK 4.2.3 Abs. 4) entspricht nicht den Erfordernissen der Eigenverantwortlichkeit und kann dem Unternehmensinteresse widersprechen. Andererseits verstößt es nicht gegen das Unternehmensinteresse, wenn ein vorzeitig abberufenes Vorstandsmitglied seine rechtmäßig vereinbarten Bezüge bis zum Ende der Vertragslaufzeit ausgezahlt erhält. Das Gesetz sagt ausdrücklich im Zusammenhang mit der Bestimmung über eine vorzeitige Abberufung: „Für die Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag gelten die allgemeinen Vorschriften“ (§ 84 Abs. 3 S. 5 AktG). Das Gesetz verbietet jedoch keineswegs vertragliche Regelungen, nach denen die Auszahlung vertraglicher Ansprüche bei vorzeitigem Ende der Bestellungszeit auf z.B. maximal zwei Jahre begrenzt wird. Derartige Regelungen haben sich bewährt und sind auch üblich, wenn ein neu bestelltes Vorstandsmitglied für seine Erstbestellung eine Laufzeit von fünf Jahren fordert. Besondere Überlegungen fordert die Zusage von erfolgsabhängigen Vergütungen (Tantiemen). Es entspricht durchaus dem Unternehmensinteresse, wenn ein Vorstandsmitglied nach Beendigung seiner Bestellung zwar die vertraglich zugesicherte Festvergütung weiter erhält, von der Gewährung einer erfolgsabhängigen Vergütung aber abgesehen wird. Das betreffende Vorstandsmitglied hat zu dem der Erfolgsvergütung zugrunde gelegten Erfolg selbst nicht mehr beigetragen. Andererseits ist es nicht unzulässig, im Dienstvertrag vorzusehen, dass ein Vorstandsmitglied für die Jahre nach Ablauf seiner Bestellung in Unternehmen mit langfristiger Leistungsabwicklung noch Teile der Erfolgsvergütung erhält. Das VorstAG enthält eingehende Regelungen für Vergütungen dieser Art. Sachleistungen (Bürofaszilitäten, Dienstwagen u.dgl.) sollten nur für die Dauer der Bestellung des Vorstandsmitglieds und nicht für die Laufzeit des Anstellungsvertrags gewährt werden. Dem Unternehmensinteresse sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass diese Leistungen ausdrücklich „für die Zeit der Bestellung zum Mitglied des Vorstands“ zugesagt werden. 6. Folgerungen aus einer Missachtung des Unternehmensinteresses Wer das Unternehmensinteresse nicht beachtet, wo es von rechts wegen zu beachten ist, verletzt die ihm obliegende Sorgfaltspflicht (§§ 116, 93 Abs. 1 AktG). Er ist zum Ersatz eines aus diesem Verhalten herrührenden Schadens verpflichtet, wenn er nicht nachweisen kann, dass er die erforderliche Sorg-

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falt beachtet hat. Dabei kann ihn u.U. die für unternehmerische Entscheidungen geltende Sonderregel entlasten (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG). Vereinbarungen zwischen Parteien, die beide dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind, können nichtig sein, wenn sie das Unternehmensinteresse verletzen oder unbeachtet lassen.30

30 § 134 BGB; „Das Verbot braucht im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen zu sein“ Heinrichs in Palandt § 134 Rn. 3.

Prämien und Leistungen an Vorstandsmitglieder bei Unternehmenstransaktionen Gerald Spindler A. Einleitung Der Jubilar war und ist einer der Pioniere in Deutschland, die nicht müde wurden, die Bedeutung des Kapitalmarktrechts für das Gesellschaftsrecht in ihrer Wechselseitigkeit hervorzuheben. Der Weg des deutschen und europäischen Kapitalmarktrechts ist untrennbar mit dem Namen Klaus Hopts verbunden. Es wäre müßig an dieser Stelle, einschlägige Beiträge, Funktionen und Ehrungen für den Jubilar hervorzuheben – jeder, der auch nur ansatzweise mit dem Aktiengesellschafts- und dem Kapitalmarktrecht je zu tun hatte, kennt die Bedeutung seiner Arbeiten. Daher ist zu hoffen, dass sein geschätztes Interesse auch einem der zahlreichen Probleme gilt, die durch die an sich wünschenswerte Beteiligung institutioneller Investoren, insbesondere Private Equity an Aktiengesellschaften, aber auch GmbHs 1, hervorgerufen werden, nämlich der Beteiligung des Managements der Zielgesellschaft bereits im Vorfeld an dem wirtschaftlichen Erfolg der Übernahme. In der Praxis ist nicht selten zu beobachten, dass im Zuge der Übernahme einer Gesellschaft durch eine Beteiligungsgesellschaft bzw. durch deren eigens aus diesem Anlass gegründeten Akquisitionsgesellschaften (Special Purpose Vehicles (SPVs)) hohe Zahlungen an die Manager der Zielgesellschaft erfolgen,2 um die Anreize zu erhöhen, den Wert der Zielgesellschaft bis zum Ausstieg des Finanzinvestors so weit wie nur möglich zu steigern. Noch verbreiteter scheint die Beteiligung der Manager der Zielgesellschaft an der Akquisitionsgesellschaft mit einer Minderheitsbeteiligung (in der Regel offenbar bis zu 10 %) zu sein,3 insoweit vergleichbar der bekannten Ausgabe von Stock Options an Vorstandsmitglieder. Darüber hinaus wird vertraglich die Vertei-

1 Näher dazu Schmidt/Spindler Finanzinvestoren aus ökonomischer und juristischer Perspektive, 2008, Kap. A. II Rn. 8 ff. sowie Kap. D. I. 1. Rn. 2, 4 ff. 2 Wie etwa im Fall der britischen Automobile Association (deren CEO Boni in Höhe von geschätzten £ 20 Mio. erhielt) und der dänischen ISS Group, referiert bei Hedge Funds and Private Equity – A critical analysis, PES 2007, S. 190, 211. 3 Eingehend Traugott/Grün AG 2007, 761, 762; Hohaus/Weber BB 2008, 2358, 2359; Hohaus/Weber DStR 2008, 104, je m.w.N.

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lung des Gewinns so vereinbart, dass vorab die Finanzinvestoren mit einer bestimmten Verzinsung bedient werden, was aber dem Management zusätzliche Anreize vermitteln soll, den Wert der Beteiligung zu steigern.4 Aber auch die Veräußerung von Anteilspaketen an einen Dritten wird häufig unter Beteiligung des Vorstandes stattfinden, da der Erwerber oft auf einer Due Diligence besteht, die ohne Mitwirkung des Vorstands nicht durchgeführt werden kann; die dann für das Anteilspaket erzielbaren Prämien sollen häufig mit dem Vorstand geteilt werden, um entsprechende Anreize zu setzen.5 Die Vergütungen oder die Beteiligung können sowohl bereits vor der Transaktion als auch danach mit dem beherrschenden Gesellschafter bzw. Finanzinvestor vereinbart werden. Vor der Transaktion dienen die Zahlungen dazu, sich der Unterstützung des Managements der Zielgesellschaft zu vergewissern, nach der Transaktion (bzw. davor durch entsprechende Versprechungen und Vereinbarungen) die Ausrichtung auf die Interessen des Investors zu sichern. Weitere Rollen spielen die Rechtsform, ob AG oder GmbH, und die Börsennotierung der Zielgesellschaft.

B. Zahlungen im Vorfeld einer Transaktion Im Vorfeld einer Transaktion, insbesondere einer Übernahme kann einem Investor daran gelegen sein, das Management der Zielgesellschaft „wohlgesonnen“ zu stimmen, um eine Übernahme zu erleichtern und von vornherein die spätere Integration bzw. Wertsteigerung zu sichern. Solchen Zahlungen oder Leistungen stoßen allerdings auf erhebliche rechtliche Hürden – und dies zu Recht:

I. Zahlungen an den Vorstand einer AG 1. Börsennotierte AG Handelt es sich um eine börsennotierte AG, fällt der Blick von vornherein auf die kapitalmarktrechtlichen Verbote des WpÜG: a) Kapitalmarktrechtliche Verbote (1) Grundlagen Eine speziell auf den hier zu behandelnden Fall der Zahlung im Vorfeld einer Übernahme gemünzte Vorschrift enthält § 33d WpÜG, der ohne ent4 Vgl. Traugott/Grün AG 2007, 761, 762; zu den einzelnen rechtlichen Rahmenbedingungen der gängigen Investorenvereinbarungen s. Kiem AG 2009, 301, 304, 305 ff.; zu den umwandlungsrechtlichen Fragen Drygala FS K. Schmidt, 2009, S. 269, 271 ff. 5 Hierzu besonders Kirchner/Iversen NZG 2009, 921, 923 ff.

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sprechende europarechtliche Vorbilder in der Takeover-Richtlinie ist.6 Diese Norm untersagt es dem Bieter, im Zusammenhang mit dem Angebot den Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern einer Zielgesellschaft ungerechtfertigte,7 d.h. nicht im Gesellschafts- oder Aktionärsinteresse stehende,8 Vorteile zu gewähren oder zu versprechen. Der Gesetzgeber wollte damit der Gefahr vorbeugen, dass der Bieter durch Vorteilsversprechen für Organmitglieder der Zielgesellschaft diese zu einem bestimmten Verhalten veranlasst, das nicht mit den Interessen der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre übereinstimmt.9 Denn Unabhängigkeit und Objektivität von Vorstand und Aufsichtsrat insbesondere bei ihrer Stellungnahme nach § 27 WpÜG, aber auch im Zuge des sonstigen Übernahmeverfahrens, sollten gewahrt bleiben.10 Die Verfolgung dieser Ziele erfolgt allerdings nicht absolut im Sinne eines strengen, für jede Zahlung geltenden Verbots: Ähnlich der im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen eher weichen Formulierung der Neutralitätspflicht in § 33 I S. 1 WpÜG verbietet § 33d WpÜG lediglich Leistungen des Bieters an die Organmitglieder der Zielgesellschaft, wenn die Interessen der Gesellschaft und der Anteilseigner verletzt werden. Nur die Gewährung ungerechtfertigter Vorteile soll nach dem Willen des Gesetzgebers erfasst werden.11 Wie schwierig die Abgrenzung sein kann, zeigt das vom Gesetzgeber selbst herangezogene Beispiel für einen sachlich nachvollziehbaren Vorteil bei einem Inaussichtstellen der Weiterbeschäftigung für das Vorstandsmitglied der Zielgesellschaft. Dies soll darin begründet sein, dass die Qualität des Managements einen wesentlichen Faktor für die Bedeutung des Unternehmens darstelle und unter Umständen die Übernahme insgesamt oder der gebotene Preis nur vertretbar sei, wenn einzelne oder alle Organmitglieder der Zielgesellschaft im Amt blieben.12 Dennoch ist gegenüber einer exten-

6 EU Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004, ABl. L 142, S. 12 ff. 7 Dies impliziert, dass es auch gerechtfertigte Vorteilsgewährungen geben muss, die aber nur theoretisch denkbar sind, da es sich immer um Zahlungen an die einzelnen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder und nicht an die Gesellschaft im Zusammenhang mit dem Angebot handelt und ein Gesellschaftsinteresse damit meist ausscheidet. Unabhängig von ihrer Zulässigkeit sind diese Zahlungen aber jedenfalls gemäß § 11 II S. 3 Nr. 3 WpÜG offen zu legen. 8 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7043, S. 59; Krause NJW 2002, 705, 713; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger § 33d WpÜG Rn. 5; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Schneider § 33 WpÜG Rn. 336; Hirte in KölnKommWpÜG § 33 Rn. 190. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59. 10 Allg. M., Hirte in KölnKommWpÜG § 33 Rn. 4; Schlitt in MünchKommAktG § 33 WpÜG Rn. 291; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Schneider § 33 WpÜG Rn. 324; Röh in Haarmann/Schüppen § 33d Rn. 2. 11 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59; zu den Rechtfertigungsvoraussetzungen s. Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 752; Hohaus/Weber BB 2008, 2358, 2359. 12 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59.

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siven Auslegung dieser Ausnahme bei § 33d WpÜG Zurückhaltung geboten: Denn jedwede Zahlung oder Versprechen ist geeignet, die Neutralität der Organmitglieder und damit den Übernahmevorgang zu beeinflussen. Je eher man daher Zahlungen durch den Bieter an die Organmitglieder als im Interesse der Gesellschaft ansieht, desto mehr verliert das Verbot und die Sicherung der Neutralität an Gehalt. Eine korrespondierende Untersagung der Vorteilsannahme enthält § 33d WpÜG allerdings merkwürdigerweise nicht. Hier können allenfalls Sanktionen aufgrund von Verstößen gegen §§ 93, 116 AktG sowie strafrechtliche Verbote weiterhelfen.13 (2) Beteiligungen von Organmitgliedern und Vergütungen ebendieser durch Investoren Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade Versprechen von Finanzinvestoren an Organmitglieder im Rahmen einer Übernahme zur Beteiligung an den Special Purpose Vehicles (den Akquisitionsgesellschaften) als den Interessen der Zielgesellschaft und ihren Anteilseignern dienlich angesehen werden. Denn damit würden möglichen Interessendivergenzen zwischen dem Finanzinvestor und dem Management entgegengewirkt und für die Dauer der Beteiligung des Finanzinvestors das Know-how und die Mitarbeit des Managements sichergestellt. Auch die Pflicht zur Angabe der Gewährung von Geldleistungen nach § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 WpÜG wird diesbezüglich unterstützend herangezogen.14 Obwohl auf den ersten Blick diese Zielsetzung geradezu als das Paradebeispiel dessen erscheint, was der Gesetzgeber selber hervorgehoben hat, ergeben sich bei näherer Betrachtung doch erhebliche Zweifel. Ausgeschieden werden kann zunächst der Fall, dass die Organmitglieder nur Zahlungen erhalten, die nicht in einem Zusammenhang mit ihrem Verbleib in der Zielgesellschaft verknüpft sind; denn hier ist die Verbindung zu einem „Anfüttern“ der Organmitgliedern offensichtlich, die der Übernahme möglichst keine Hürden in den Weg legen sollen. Gleiches gilt dann aber auch für Beteiligungen des Managements an der Akquisitionsgesellschaft, wenn diese Beteiligungen sofort nach Übernahme wieder liquidiert werden können – anders ausgedrückt, können Beteiligungen (wenn überhaupt) nur dann als sachlich gerechtfertigt angesehen werden, wenn der Verbleib der Organmitglieder in der Zielgesellschaft zumindest über eine längere Zeit gesichert ist. Andern13 So auch Röh in Haarmann/Schüppen § 33d Rn. 2; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger § 33d Rn. 2, Fn. 3; Hirte in KölnKommWpÜG § 33 Rn. 184; Schlitt in MünchKommAktG § 33 WpÜG Rn. 293; Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler § 33 Rn. 121; Hopt FS Lutter, 2000, S. 1361, 1379; ders. ZHR 166 (2002), 383, 429; ausführlich dazu unten unter B.I.2.b). 14 Traugott/Grün AG 2007, 761, 763; Hohaus/Weber BB 2008, 2358, 2359; Hohaus/ Weber DStR 2008, 104; Drygala FS K. Schmidt, 2009, S. 269, 279 ff.

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falls würde es sich um eine reine Umgehungsstrategie handeln. Die Erfassung solcher Umgehungen zeigt aber auch bereits die grundsätzliche Problematik auf: Denn nach der Übernahme ist es beiden Parteien, dem Finanzinvestor wie dem Management möglich, die Vereinbarungen einvernehmlich zu ändern und doch zu einer Liquidierung der Beteiligung zu gelangen – hier wird man nicht ohne den Rekurs auf subjektive Momente etwa wie im Bereich der verdeckten Sacheinlage auskommen können. Von diesen Fällen scheint sich jedoch die Beteiligung des Managements an der Zielgesellschaft, sofern sie auf eine gewisse Dauer erfolgt, deutlich abzuheben, da der Gleichlauf von Interessen des Managements mit dem beherrschenden Aktionär offenbar nur wünschenswert sein kann. Hierin liegt jedoch eine gefährliche Gleichsetzung der Interessenlage der Akquisitionsgesellschaft als beherrschendem Unternehmen mit denjenigen der übernommenen AG und seiner (Minderheits-)Aktionäre: Wie noch im Rahmen der Situation nach der Übernahme zu vertiefen sein wird, kann der Rückgriff bzw. eine Gleichschaltung mit den Interessen des herrschenden Unternehmens ohne weiteres nur im Vertragskonzern erfolgen, nicht aber im faktischen Konzern. Ohne entsprechende Sicherungsmechanismen wie der Verlustausgleichspflicht nach § 302 I AktG kann das herrschende Unternehmen nicht ohne weiteres seine bzw. die Interessen des Konzerns an die Stelle der abhängigen AG setzen. Dies kann auch nicht mit dem Hinweis auf die Gesetzesbegründung und die Publizitätspflicht nach § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 WpÜG überspielt werden 15; denn der Gesetzgeber spricht nur von dem Inaussichtstellen der Verlängerung des Anstellungsvertrages.16 Dass aber auch die Vergütung des Organmitglieds durch den Investor bzw. Bieter zulässig sein soll, lässt sich der Begründung nicht entnehmen – und hätte auch einen überraschenden Eingriff in eine keineswegs abgeschlossene Diskussion zur Drittvergütung dargestellt. Dies gilt mutatis mutandis für die Publizitätspflicht, die nur die Transparenz regeln soll und keine Wertungen über die Zulässigkeit bestimmter Vergütungsmodelle enthält. Selbst wenn man Transparenzmodelle für ausreichend hält, da der Adressat der Publizitäts- bzw. Transparenzpflicht selbst darüber entscheiden könne, ob er den Schutz genießen wolle,17 setzt dies voraus, dass der Schutz überhaupt dispositiv ist; anders gewendet: der Aktionär der Zielgesellschaft kann allenfalls missbilligend die Beeinflussung der Organe durch den Bieter zur Kenntnis nehmen, ändern kann er an der Einflussnahme aber nichts, allenfalls das Angebot des Bieters ablehnen. Aber auch die teilweise anzutreffende zusätzliche rechtsökonomische Begründung, dass doch aus agency-theoretischen

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So aber in der Tendenz Drygala FS K. Schmidt, 2009, S. 269, 279 ff. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59. In diese Richtung vor allem Drygala FS K. Schmidt, 2009, S. 269, 279 ff.

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Gesichtspunkten eine Vergütung durch die Aktionäre sinnvoll sei, da damit der agent (Vorstand) besser an die Interessen der principals (Aktionäre) rückgekoppelt wäre,18 greift zu kurz. Denn damit wird auch unter rechtsökonomischen Aspekten unzulässigerweise der Mehrheitsaktionär/Finanzinvestor praktisch als der „principal“ angesetzt, dessen Anreizstrukturen aber nur idealerweise mit denjenigen anderer Aktionäre übereinstimmen müssen – geschweige denn mit der AG als eines „nexus of contracts“.19 Stimmt daher schon nicht die Prämisse, dass es nur im Interesse der Zielgesellschaft sein könne, wenn das Management an der Akquisitionsgesellschaft beteiligt sei, sind auch an der weiteren impliziten Annahme, dass nur die Unternehmenswertsteigerung (Shareholder Value) im Interesse der Akquisitionsgesellschaft und auch der Zielgesellschaft liegen könne, Zweifel anzumelden. Zum einen ist die reine Orientierung auf einen wie auch immer zu bemessenden Shareholder Value keineswegs gesichert – erst recht wenn dieser nur kurzfristig interpretiert wird, wie die Finanzmarktkrise gelehrt hat –, zum anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Akquisitionsgesellschaft zwar eine kurzfristige Unternehmenswertsteigerung realisiert, langfristig das Unternehmen der Zielgesellschaft aber durch den erhöhten Leverage bzw. Verschuldensgrad an Wert verliert. Zwar ist nicht zu leugnen, dass ein Finanzinvestor gerade ein Interesse daran hat, das gekaufte Unternehmen möglichst mit Gewinn wieder zu veräußern, z.B. nach einer Restrukturierung; doch darf auch nicht verkannt werden, dass es in der Praxis auch gegenteilige Fälle gibt, in denen es dem Investor offensichtlich daran gelegen war, möglichst schnell durch außerordentliche Gewinne und entsprechende Ausschüttungen seinen Return on Investment zu realisieren, ohne auf die langfristige Prosperität des Unternehmens zu achten. Zudem werden durch die SPVs die Initiatoren der Geschäftsmodelle haftungsmäßig meist abgeschottet.20 Alle diese Momente werden aber erst ex post überprüfbar sein – ex ante und damit für die Frage der Zulässigkeit einer Zahlung bei Übernahme kann dagegen nur der Vertrag und das Versprechen an die Organmitglieder zur Prüfung herangezogen werden. Hier wird es maßgeblich auf die noch zu vertiefende Frage ankommen, ob der Gleichlauf der Interessen zwischen Finanzinvestor und Organmitglied mit Hilfe von Beteiligungen und/oder unmittelbaren Vergütungen realisiert werden darf. Insoweit wird das Kapitalmarktrecht letztlich durch die gesellschaftsrechtlichen Wertungen determiniert. 18 So Hohaus/Weber DStR 2008, 104, 105, Weber Transaktionsboni für Vorstandsmitglieder: Zwischen Gewinnchance und Interessenkonflikt, 2006, S. 80 ff. 19 Näher dazu Schmidt/Spindler FG Kübler, 1997, S. 515 ff.; Spindler in MünchKommAktG § 76 Rn. 63 ff. m.w.N. 20 Eingehend zur Organisationsstruktur dieser speziellen Zweckgesellschaften Schmidt/ Spindler Finanzinvestoren aus ökonomischer und juristischer Perspektive, 2008, Kap. B.III. Rn. 35 ff.

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(3) Sanktionen Die Folge eines Verstoßes gegen § 33d WpÜG ist die Nichtigkeit des Versprechens oder der Vergütung gemäß § 134 BGB,21 so dass das Erlangte gemäß § 812 I 1 Alt. 1 BGB zurückgefordert werden kann und muss.22 Hieran ändert auch § 817 BGB nichts, da § 33d WpÜG das Verpflichtungs- wie das Erfüllungsgeschäft verbietet. Demgegenüber stellt die Verletzung der Norm keine Ordnungswidrigkeit dar, § 60 WpÜG ist insofern abschließend;23 auch die Frage der Schutzgesetzeigenschaft des § 33d WpÜG ist nach wie vor umstritten.24 Allerdings kann eine mittelbare Sanktion aus der gesetzlichen Pflicht des § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 WpÜG, dass alle an die Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft gewährten oder in Aussicht gestellten Vorteile in den Angebotsunterlagen anzugeben sind, abgeleitet werden. Potentielle Interessenkonflikte des Managements können hiermit für die Adressaten des Angebots insbesondere im Rahmen der abzugebenden Stellungnahme nach § 27 WpÜG sichtbar gemacht werden.25 Aus diesem Grund ist die Angabepflicht unabhängig davon zu sehen inwiefern die Vorteilsgewährung i.S.d. § 33d WpÜG zulässig ist 26. Gerade auch von der Norm nicht gedeckte Leistungen sind anzugeben. Unterbleibt diese Offenlegung so kommt aufgrund der daraus folgenden Unrichtigkeit der Angebotsunterlagen bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nicht nur eine Haftung aus § 12 WpÜG mit der Rechtsfolge der Möglichkeit der Rückgängigmachung der Transaktion als Schadensersatzbegehren, sondern zudem noch die Haftung aus § 60 Abs. 1 Nr. 1a WpÜG zum Tragen. Dennoch ist angesichts der sonst zunehmend strengen Haltung der Rechtsordnung gegenüber Zahlungen zur Beeinflussung von Agenten (bzw. Beratern, Organmitgliedern etc.) die relativ milde Sanktionierung des § 33d WpÜG rechtspolitisch eher verwunderlich. Eine schärfere Sanktion an dieser Stelle träfe explizit die kollusiv zusammenwirkenden Beteiligten im Vorfeld einer Unternehmensübernahme. 21 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7043, S. 59; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Schneider § 33 Rn. 340; Grunewald in Baums/Thoma § 33d Rn. 33; Hirte in KölnKommWpÜG § 33 Rn. 190. 22 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 59, abgedr. in ZIP 2001, 1262, 1287; vgl. auch Hirte in KölnKommWpÜG § 33 Rn. 190; Grunewald in Baums/Thoma § 33d Rn. 33; Krause/Plötzsch in Assmann/Pötzsch/Schneider § 33 Rn. 340. 23 Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Schneider § 33 Rn. 340; Röh in Haarmann/ Schüppen § 33d Rn. 15; diesen Umstand kritisch bewertend Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 752. 24 Näher Spindler FS Schwark, 2009, S. 641 ff. m.w.N. 25 So auch die Zielrichtung des Gesetzgebers vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 41, 59. 26 Genau gegenteilige Interpretation dagegen bei Drygala FS K. Schmidt, 2009 S. 269, 279 ff.

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b) Corporate Governance Kodex Für börsennotierte Gesellschaften kommen zudem neben den kapitalmarktrechtlichen Verboten die Empfehlungen des Corporate Governance Kodex in Betracht, die mittelbar über § 161 AktG das Verhalten der Organe beeinflussen können. Allerdings zeigt sich schnell, dass der Kodex hier keine Besonderheiten enthält: Das Verbot der Vorteilsannahme aus Ziff. 4.3.2. des Deutschen Corporate Governance Kodex nimmt die Empfehlungen der OECD zur Bekämpfung der internationalen Korruption vom 23. Mai 1997 auf,27 die ihrerseits in das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption 28 Eingang in das Recht gefunden haben.29 Da aber § 299 StGB nur den Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb betrifft, ist fraglich, ob der Kodex über dieses Verbot hinaus geht. Ob der Kodex an dieser Stelle im Sinne des Verbots der allgemeinen Vorteilsannahme aufgrund von Treuepflichten zu interpretieren ist, bedarf noch der weiteren Klärung. 2. Nicht börsennotierte AG Bei einer nicht-börsennotierten AG greift naturgemäß nicht das kapitalmarktrechtliche Verbot des § 33d WpÜG. In Betracht kommen daher nur allgemeine gesellschaftsrechtliche Schranken sowie strafrechtliche Verbote: a) Gesellschaftsrechtliche Verbote Ein allgemeines aktienrechtliches Verbot von Zahlung oder Versprechen der Aktionäre an die Organmitglieder kennt das AktG nicht ausdrücklich, was allerdings noch nichts über deren Zulässigkeit besagt und im Rahmen der Vergütungen und Vereinbarungen für die Zeit nach der Übernahme vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Vorstands (§ 76 AktG) wiederum noch zu diskutieren sein wird.30 Wohl sieht aber § 117 AktG ein allgemeines Verbot der Beeinflussung der Organmitglieder zum Schaden der AG vor, quasi als Schutz im Vorfeld des Konzernrechts.31 Dennoch ergeben sich gewichtige Unterschiede zu § 33d WpÜG: Zum einen erfasst § 117 AktG nur die Bestimmung eines Organmitglieds zu einer konkreten Schädigung der AG,32 also im Prinzip keine abstrakt wirkenden Anreize, sich im Interesse eines bestimmten Aktionärs zu verhalten;

27

Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder 4.3.2 DCGK Rn. 804. Ges. v. 13.8.1997, BGBl. I 2038. 29 Heine in Schönke/Schröder § 299 StGB Rn. 1. 30 S. hierzu die Ausführen unter C. 31 Näher dazu Spindler in MünchKommAktG § 117 Rn. 1 ff; Kort in GroßkommAktG § 117 Rn. 1, 5 ff. 32 Spindler in MünchKommAktG § 117 Rn. 16. 28

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gerade die strukturellen Nachteile und Gefährdungslagen, die sich für eine abhängige AG ergeben können, werden daher nicht von § 117 AktG erfasst, sondern nur von den konzernrechtlichen Tatbeständen.33 Versprechen im Rahmen einer Übernahme werden daher (noch) nicht von § 117 AktG sanktioniert; erst wenn es zu konkreten Schädigungen der AG gekommen ist, kann § 117 AktG eingreifen. Zum anderen bedarf es bei § 117 AktG des konkreten Nachweises, dass die Beeinflussung und das dadurch verursachte Handeln der Organmitglieder zu einem Schaden der AG führten. § 33d WpÜG dagegen verlangt umgekehrt positiv den Nachweis, dass die Zahlung bzw. das Versprechen im Interesse der AG lag. Hierin liegt ein gewichtiger Unterschied, da gerade die Business Judgement Rule 34 und die Berücksichtigung anderer Interessen als derjenigen der Anteilseigner dazu führen können, dass der Spielraum für das Verwaltungshandeln weit gezogen wird. Schließlich ist es keineswegs sicher, dass unterstützende Maßnahmen der Organe im Zuge einer Übernahme aktienrechtlich untersagt sind; ob es eine strikte aktienrechtliche Neutralitätspflicht gibt, ist nach wie vor offen.35 Selbst wenn man aktienrechtlich eine Neutralitätspflicht des Vorstandes annimmt,36 liegt nicht in jeder Paketbildung ein Schaden der Gesellschaft. Denn das Interesse der Gesellschaft kann durchaus für eine Paketbildung sprechen, zum Beispiel wenn die Gesellschaft im Interesse berechenbarer Mehrheitsverhältnisse den Rückhalt eines Großaktionärs braucht.37 In der Paketbildung als solcher ist daher kein Schaden im Sinne von § 117 AktG zu sehen.38 Das gilt auch, wenn sie zur Einbeziehung in einen Konzern führt. Denn in der Konzernbildung als solcher kann im Hinblick auf die gesetzlichen Sicherungen für die Gesellschaft und die Aktionäre (§§ 292 ff.; 311 ff. AktG) noch kein Schaden für die Gesellschaft und ihre Aktionäre gesehen werden.39 Nur auf Grund besonderer Umstände kann die Paketbildung einen solchen Schaden beinhalten, etwa der Paketverkauf an einen Konkurrenten, der dann als Aufsichtsratsmitglied durch Insiderwissen Wettbewerbsvorteile hätte, Auf33 Spindler in MünchKommAktG § 117 Rn. 16; Bayer in MünchKommAktG § 17 Rn. 21 ff.; Kort in GroßKommAktG § 117 Rn. 48 ff.; Hommelhoff/Witt in K. Schmidt/Lutter § 117 Rn. 2. 34 Zu deren Anwendung im Rahmen von § 117: Spindler in MünchKommAktG § 117 Rn. 33 ff. 35 Z.B. Ebenroth DB 1991, 1105, 1107 ff., 1158; Assmann/Badura/Bozenhardt/Peltzer ZGR Sonderheft 9 1990, 101 ff. 36 Näher Spindler in MünchKommAktG § 76 Rn. 31 ff. m.w.N. 37 Spindler in MünchKommAktG § 117 Rn. 28; Kort in GroßkommAktG § 117 Rn. 141. 38 Im Ergebnis übereinstimmend, jedoch über mangelnde Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit begründet Schall in Spindler/Stilz § 117 AktG Rn. 20; s. auch Voigt Haftung aus Einfluss auf die Aktiengesellschaft, 2004, S. 242. 39 Mertens in KölnKommAktG, 2. Auflage, 1996, § 117 Rn. 19; ders. FS Lange, 1992, S. 561, 564 f.; Kort in GroßkommAktG § 117 Rn. 141.

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tragsverluste als Folge des Großaktionärswechsels oder Nachteile bei der Kreditaufnahme durch Einbeziehung in einen Konzern. In der anders gelagerten Fallkonstellation, in dem bei Weiterveräußerung der Aktien, die aufgrund Beeinflussung verkauft wurden, durch einen jetzt erst möglichen Paketaufschlag ein erheblicher Wertanstieg erreicht wird, liegt kein Schaden der Gesellschaft. Abzustellen ist darauf, ob die AG selbst diesen Gewinn hätte erzielen können.40 b) Rechtsformübergreifende strafrechtliche Verbote Denkbar wäre schließlich, dass strafrechtliche Verbote Zahlungen und Versprechungen im Rahmen von Übernahmen einschränken. Allerdings erweist sich schnell, dass das Strafrecht hier recht wenig zu bieten hat. Eine Haftung aus § 264a StGB kommt jedenfalls von vornherein nur bei einer börsennotierten Gesellschaft in Betracht bei einer Verletzung der Offenlegungspflicht aus § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 WpÜG.41 Zudem können die fehlerhaften Angaben in den Angebotsunterlagen nur dann den Tatbestand des § 264a StGB verwirklichen, wenn die Gegenleistung in Wertpapieren der Bietergesellschaft liegt, da nur dann der Vertrieb von Wertpapieren betroffen sein kann.42 Auch § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) verfängt nicht, der als Sonderdelikt nur von Angestellten oder Beauftragten eines wirtschaftlichen Betriebes zum Nachteil des Geschäftsherrn begangen werden kann. Zwar unterfallen auch Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder dem Adressatenkreis des § 299 StGB;43 doch zielt die Strafnorm auf den Schutz des freien und lauteren Wettbewerbs ab. Die Erfassung von Übernahmesituationen erscheint in diesem Zusammenhang mehr als fraglich,44 auch wenn Wertpapiere durchaus Waren und Maßnahmen des Vorstands und Aufsichtsrats und damit eine Bevorzugung im Einzelfall darstellen können 45, zumal der Gesetzgeber bei der Schaffung übernahmerechtlicher Sanktionstatbestände in den §§ 59 ff. WpÜG von einer ausdrücklichen Strafbarkeit abgesehen hat. Die §§ 331 ff. StGB wiederum stellen reine Amtsdelikte dar und können insofern nur von Amtsträgern begangen werden. 40 OLG Düsseldorf AG 1991, 106, 109; Kort in GroßkommAktG § 117 Rn. 143; Schall in Spindler/Stilz § 117 AktG Rn. 19; Hüffer § 117 AktG Rn. 5. 41 Thoma in Baums/Thoma § 12 WpÜG Rn. 79; Möllers in KölnKommWpÜG § 12 Rn. 152. 42 Möllers in KölnKommWpÜG § 12 Rn. 152. 43 Heine in Schönke/Schröder § 299 StGB Rn. 7; Lackner/Kühl § 299 StGB Rn. 2; Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 753; für Vorstandsmitglieder vgl. Heine in Schönke/Schröder § 299 StGB Rn. 8; Lackner/Kühl § 299 StGB Rn. 2. 44 Ebenso Schüppen FS Tiedemann 2008, S. 749, 753. 45 Für eine Anwendbarkeit aber Mossmayer wistra 2004, 401, 406 f.; hiergegen aber Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 753 der den Erwerb eines Unternehmens oder von Unternehmensteilen nicht unter den Tatbestand des § 299 StGB als subsumierbar erachtet.

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In Betracht kommt daher allenfalls der Straftatbestand der Untreue, der fast schon als wirtschaftsstrafrechtlicher Generaltatbestand bezeichnet werden kann und daher auch zu Recht erhebliche Kritik auf sich zieht.46 Ein im Aktienrecht verankerter Straftatbestand der „Organuntreue“ (§ 294 AktG 1934) wurde schließlich im Zuge der Aktienrechtsreform von 1965 gestrichen. Vorstände und Geschäftsführer, die weder Amtsträger noch abhängig Beschäftigte sind, können also heute nur über den weiten Untreuetatbestand des § 266 StGB erreicht werden. Allerdings ist hier der Verstoß gegen eine aktienrechtliche Pflicht notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung einer Strafbarkeit.47 Das folgt bereits daraus, dass § 266 StGB ein Vermögensdelikt ist und daher vom Schutzzweck der Norm nur das Gesellschaftsvermögen und nicht etwa auch das Vertrauen in die Redlichkeit des Rechtsund Wirtschaftsverkehrs erfasst ist.48 Wird das Gesellschaftsvermögen infolge der Zahlungsannahme durch das Organmitglied nicht verletzt, scheidet § 266 StGB folglich aus. Auch die Rechtsprechung will selbst bei erwiesener Zahlung noch keinen Schaden der Gesellschaft annehmen.49 Darüber hinaus sind für die Untreue neben der Pflichtverletzung weitere Faktoren notwendig um die Strafbarkeit zu begründen, etwa eine Überschreitung der Vertretungs- und Verfügungsbefugnisse im Verhältnis zur Gesellschaft, so dass der Missbrauchstatbestand (§ 266 I StGB 1. Alt.) erfüllt sein kann 50 oder die Verletzung einer gesellschaftsrechtlichen Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft (Treuebruch, § 266 I StGB 2. Alt.).51 Schon allein aus diesen Gründen greift § 266 StGB in fast allen Fällen der Zahlungsversprechen oder Anreizsetzung für Organmitglieder durch den Bieter im Rahmen einer Übernahme nicht ein, denn eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens wird allenfalls erst nach der erfolgten Übernahme eintreten, Schädigungen der Anteilseigner werden nicht über die Organuntreue nach § 266 StGB erfasst.

46 S. die Beiträge in Kempf/Lüderssen/Volk Die Handlungsfreiheit des Unternehmers – wirtschaftliche Perspektiven, strafrechtliche und ethische Schranken, 2009. 47 BGH Urt. v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187, 197; Kubiciel NStZ 2005, 353, 357 f.; Fleischer DB 2006, 542, 545; vgl. auch Tiedemann FS Weber, 2004, S. 319, 323 zur strafrechtlichen Diskussion inwieweit eine gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung immer auch zu einer Strafbarkeit i.S.v. § 266 StGB Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 760 ff. 48 Schünemann NStZ 2006, 196, 199; Taschke FS Lüderssen, 2002, S. 663, 669 f.; Seier in Achenbach/Ransiek Hdb. WirtschaftsstrafR, 2004, S. 340. 49 BGH Urt. v. 15.3.2001 – 5 StR 454/00, BGHSt 46, 310 ff. 50 Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter § 43 Rn. 213. 51 BGH Urt. v. 12.1.1956 – 3 StR 626/54, BGHSt 9, 203, 216; BGH Urt. v. 29.5.1987 – 3 StR 242/86, BGHSt 34, 379, 385; Maurer GmbHR 2004, 1549.

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C. Anreize nach der Übernahme Die geschilderten Anreize für Vorstandsmitglieder, die Interessen der Akquisitionsgesellschaft möglichst zu wahren, wirken gerade bei deren Beteiligung an der Akquisitionsgesellschaft nicht nur bei der Übernahme, sondern auch danach. Dies gilt erst recht für sog. Exit-Prämien, mit denen der Vorstand dazu angehalten werden soll, für den (geplanten) Ausstieg des Finanzinvestors einen möglichst hohen Marktwert für das Unternehmen zu erzielen – und über die Exit-Prämie hieran beteiligt zu werden.52 Oft werden auch Vergütungsleistungen durch eine beratende Private-Equity-Gesellschaft in Form sog. erfolgsabhängiger Carried Interest-Zahlungen gezahlt.53 Dabei erfolgt im Rahmen eines Carried Interest-Plans eine Beteiligung an den Erträgen der Beteiligungsgesellschaft,54 deren Gesellschafter der sog. Professional ist.55 In ähnlicher Form werden Prämien an den Vorstand im Zuge der Veräußerung von Anteilspaketen erwogen.56 Derartige Anreize (Vergütungen, Beteiligungen, Zahlungen) unterliegen verschiedenen rechtlichen Einschränkungen, wobei die eigentliche Drittanstellung zu unterscheiden ist von den durch Dritte geleisteten Zahlungen. Schließlich können auch Zahlungen der Gesellschaft (Vergütungsmodelle) an Indizes gekoppelt werden, die auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Dritten (Finanzinvestors) Bezug nehmen.

I. Drittanstellungsverträge Der Vorstand ist nach deutschem Aktienrecht unabhängig und verpflichtet, die AG in deren Gesellschaftsinteresse zu leiten, § 76 AktG. Er kann nicht Diener zweier Herren sein, was sich aber bei einem Drittanstellungsvertrag aufgrund seiner schuldrechtlichen Pflichten aus dem Anstellungsvertrag unweigerlich ergäbe.57 Selbst bei Beherrschungsverträgen ist die 52

Zu den Gestaltungsformen s. Traugott/Grün AG 2007, 761, 766 ff. S. dazu Hohenstatt/Stamer BB 2006, 2413 ff.; Hohaus/Weber BB 2006, 2089, 2092 f.; zur Gewährung von Transaktionsboni durch einen Aktionär s. Hohaus/Weber DStR 2008, 104 ff. 54 Typischerweise bis zu 20 %, s. Hedge Funds and Private Equity – A critical analysis, PES 2007, S. 244. 55 Näher Menzer GmbHR 2001, 950 ff. 56 Kirchner/Iversen NZG 2009, 921, 923 ff. 57 Ebenso Mertens/Cahn in KölnKommAktG § 84 Rn. 56; Kort in GroßKommAktG § 84 Rn. 319; Baums Der Geschäftsleitervertrag 1987, S. 73 f.; Thüsing in Fleischer Hdb. Vorstandsrecht § 4 Rn. 68 ff.; für nicht Konzern verbundene Gesellschaften ebenso Henssler RdA 1992, 289, 301; offen Hüffer § 84 AktG Rn. 14, der der Praxis rät, davon abzusehen; ähnlich Lutter/Krieger Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats Rn. 431; unentschieden Fleischer in Spindler/Stilz § 84 AktG Rn. 39; für Zulässigkeit dagegen Wiesner in 53

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Zulässigkeit solcher Verträge mit einer anderen Konzerngesellschaft nicht zweifelsfrei, da trotz § 308 Abs. 2 AktG der Vorstand Existenz bedrohende oder rechtswidrige Weisungen abwehren muss 58 und in diesen Fällen wiederum in Konflikt mit seinen Pflichten aus dem Anstellungsvertrag geraten könnte.59 Aus dem Umstand, dass der Aufsichtsrat den Vorstand auch von seinem Wettbewerbsverbot befreien kann, § 88 Abs. 1 AktG, könnte zwar gefolgert werden, dass dann auch ein Drittanstellungsvertrag zumindest parallel zu dem Anstellungsvertrag der Gesellschaft möglich sein müsste. Doch würde damit unterstellt, dass eine Befreiung vom Wettbewerbsverbot jederzeit und für alle Konstellationen zulässig wäre – was nicht zutrifft, da es sich ebenfalls um eine vom Aufsichtsrat unter Berücksichtigung der Interessen der Gesellschaft nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffende Entscheidung handelt.60 Hierbei hat der Aufsichtsrat die vom Vorstand zu übernehmende Funktion, Dauer und Intensität der anderweitigen Tätigkeit zu berücksichtigen. In jedem Fall wäre jedoch eine Befreiung vom Wettbewerbsverbot, die zu einer Beeinflussung der Unabhängigkeit des Vorstandes und seiner Wahrung der Interessen der Gesellschaft führen würde, unzulässig und pflichtwidrig.61 Demgemäß kann aus der Tatsache, dass der Vorstand vom Wettbewerbsverbot befreit werden kann, nicht von vornherein darauf geschlossen werden, dass der Aufsichtsrat den Vorstand praktisch von § 76 AktG dispensieren könnte – ein solcher Dispens, der aus dem Wettbewerbsverbot hergeleitet würde, vertrüge sich auch kaum mit den vom AktG vorgesehenen zwingenden Organkompetenzen und -pflichten. Es wäre kaum verständlich, warum der Satzung (und den Gesellschaftern) verwehrt ist, die Unabhängigkeit zu lockern, wohl aber der Aufsichtsrat hierzu in der Lage wäre. Allenfalls für konzernrechtliche Konstellationen und Doppelmandate mag dies angesichts der konzernrechtlichen Schutzmechanismen anders zu gewichten sein, was hier nicht weiter vertieft werden kann. MünchHdbAG § 21 Rn. 2 ff.; Martens FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 437, 442; Seibt in K. Schmidt/Lutter § 84 AktG Rn. 26; Krieger Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 186 f. 58 Ausführlich Altmeppen in MünchKommAktG, 2. Aufl., 2000, § 308 Rn. 140 ff.; Hüffer § 308 AktG Rn. 22; Koppensteiner in KölnKommAktG § 308 Rn. 70; Krieger in MünchHdbAG § 70 Rn. 147 ff., 156; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter § 308 AktG Rn. 37, 39 f.; Emmerich in Emmerich/Habersack § 308 AktG Rn. 52 ff., 66. 59 Anders offenbar Koppensteiner in KölnKommAktG § 308 Rn. 50 f. 60 Spindler in MünchKommAktG § 88 Rn. 25; Mertens/Cahn in KölnKommAktG § 88 Rn. 8; so auch Hohaus/Weber DStR 2008, 104, 108 die eine Einwilligung nur dann als wirksam erachten wenn dieser Entscheidung die unabdingbare organschaftliche Treuepflicht nicht entgegensteht. 61 Mertens/Cahn in KölnKommAktG § 88 Rn. 2, 8; Hohaus/Weber DStR 2008, 104, 108; ähnlich: Seibt in K. Schmidt/Lutter § 88 AktG Rn. 1 ff.: § 88 AktG konkretisiert die Treuebindung der Vorstandsmitglieder zur AG; Oltmanns in Heidel § 88 AktG Rn. 6: Einwilligung des Aufsichtsrats findet ihre Grenze in der unabdingbaren Pflicht des Vorstandsmitglieds zur gewissenhaften Geschäftsführung.

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Aus den zwingenden Organkompetenzen ergibt sich zudem ein weiteres Argument gegen einen Drittanstellungsvertrag: Denn allein der Aufsichtsrat der AG hat die Kompetenz, den Anstellungsvertrag mit dessen Vorstand abzuschließen, und nicht ein Dritter, auch nicht eine andere Konzerngesellschaft.62 Die Kompetenzordnung zur Anstellung wird weder im Vertragsnoch (erst recht) im faktischen Konzern der Obergesellschaft oder einem beherrschenden Aktionär (Finanzinvestor, SPV-Gesellschaft) übertragen. Nur der Aufsichtsrat ist nach § 112 AktG berufen, seine Gesellschaft beim Abschluss des Anstellungsvertrages zu vertreten, nicht eine andere Konzerngesellschaft. Während für den GmbH-Geschäftsführer infolge dessen Weisungsgebundenheit ein solcher Vertrag mit einem Dritten weitgehend zulässig ist,63 kann für die AG der Vorstand nicht durch einen Dritten angestellt werden, auch nicht zusätzlich zu einem mit der Gesellschaft schon bestehenden Vertrag.

II. Zahlungen und Vergütungen durch Dritte Während bei einem Drittanstellungsvertrag sich unmittelbar schuldrechtliche Pflichten des Vorstandsmitglieds gegenüber dem Dritten ergeben, könnte dies für Zahlungen, Vergütungen oder Prämien durch Dritte anders zu beurteilen sein, fehlt es hier doch an der unmittelbaren rechtlichen Pflicht für den Vorstand.64 Andererseits liegt es auf der Hand, dass die Geschäftsleiter sich tendenziell durch solche Zahlungen von dem Interesse des Dritten bzw. zahlenden Aktionärs leiten lassen und an der gesellschaftlichen Verfassung vorbei dessen Interesse dem Gesellschaftsinteresse überordnen. Mit den offenbar bei Private-Equity-Transaktionen oftmals vorgesehenen Beteiligungen des Managements der Zielgesellschaft an den Akquisitionsgesellschaften wird aber gerade ein Effekt erreicht, der an die bis vor einigen Jahren gängigen variablen Vergütungsmodelle der Aktienoptionspläne bezogen auf Aktien der Muttergesellschaft erinnert. Während bei den Aktienoptionsplänen allerdings dem Vorstandsmitglied immerhin noch die Option eingeräumt wird die Aktie dann tatsächlich zu beziehen oder nicht, wird bei den geschilderten 62 S. dazu Fonk in Semler/v.Schenck Arbeitshdb. für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rn. 219. 63 BGH Urt. v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, BGHZ 75, 209, 210; BGH Urt. v. 4.11.1964 – VIII ZR 46/63, WM 1964, 1320; BAG Urt. v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NJW 1998, 260, 261; BAG Urt. v. 24.8.1972 – 2 AZR 437/71, AP BGB § 611 Nr. 2 Gemischter Vertrag = BB 1973, 91; BAG Urt. v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, BAGE 104, 358 ff. = ZIP 2003, 1010, 1014; Fleck ZHR 145 (1985), 387, 388 f.; U. H. Schneider GmbHR 1993, 10, 13 f.; ders. in Scholz § 35 GmbHG Rn. 191; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter § 35 GmbHG Rn. 168; Noack in Baumbach/Hueck § 35 GmbHG Rn. 165. 64 So im Ansatz Traugott/Grün AG 2007, 761, 766.

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Transaktionen von vornherein das Management an den wirtschaftlichen Erfolg der Akquisitionsgesellschaft gebunden. Die damit einhergehende Ausrichtung der Interessen des Vorstands der AG auf die Interessen der Akquisitionsgesellschaft wird damit mehr als deutlich – und ist auch gerade erwünscht.65 Diskutiert wird die Zahlung bzw. Vergütung des Vorstands durch Dritte im Wesentlichen in Konzernkonstellationen. Sedes materiae ist hier die Neuregelung des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG, der eine bedingte Kapitalerhöhung „zur Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens“ zulässt, woraus sich offenbar unmittelbar die Rückbindung des Vorstands an Vergütungen durch eine andere Konzerngesellschaft ergibt.66 Dann wäre auch der Schritt nicht weit, die Vergütung an nicht verbundene Unternehmen zu koppeln, andernfalls danach zu fragen, welche Unterschiede zwischen einem beherrschenden, aber nicht unternehmerisch tätigen Aktionär und einem konzernbeherrschenden Anteilseigner hinsichtlich der Gefährdung der Unabhängigkeit des Vorstandes bestehen. Während für den Vertragskonzern,67 bei dem aufgrund des Vorrangs des Konzerninteresses ohne weiteres auch die unmittelbare Ausrichtung der Vergütung des Vorstands auf die Interessen anderer Konzerngesellschaften, somit auch die direkte Vergütung (im Sinne von Zahlungen durch eine andere Gesellschaft), möglich ist, ist die Lage bei der unabhängigen AG und bei dem faktischen Konzern anders. Indes ist schon die Gesetzgebungsgeschichte zu § 192 Abs. 2 AktG ambivalent: So spricht die Begründung zum Regierungsentwurf davon, dass „Doppelbezüge von Vorständen, die zugleich gesetzliche Vertreter in Töchtern sind, tunlichst zu meiden sind …“. Auch soll „mit Blick auf die außenstehenden Eigentümer sorgfältig zu prüfen sein, ob eine einseitige Motivation von deren Organen und Führungskräften auf die Wertentwicklung bei der Mutter zu rechtfertigen ist.“ 68 Diese einschränkenden Bemerkungen des Gesetzgebers sind allerdings mit dem sehr weiten Wortlaut der Norm schlecht in Einklang zu bringen. Für den faktischen Konzern muss indes entscheidend sein, ob eine Intensivierung der Einflussnahme der herrschenden Gesellschaft trotz der bekannten Defizite des Schutzsystems der §§ 311 ff. AktG 69 hingenommen werden soll, welches

65 66

Vgl. Traugott/Grün AG 2007, 761, 762 f. So etwa Habersack FS Raiser, 2005, S. 111, 118 f.; Martens FS Ulmer, 2003, S. 399,

416 f. 67

S. dazu Spindler FS K. Schmidt, 2009, S. 1529, 1536. Begr. RegE, BT-Drucks. 13/9712 S. 23 f. 69 Zur generellen Kritik an den §§ 311 AktG: Großfeldt Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, 1968, S. 218 f.; Kronstein FS Geßler, 1979, S. 219, 222; Koppensteiner ZGR 1973, 1, 11 f.; ders. in KölnKommAktG Vorb. § 311 Rn. 21. 68

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notwendige Folge einer Ausrichtung der Vergütung auf die herrschende Gesellschaft wäre. Gerade der auf den Nachteilsausgleich für jede einzelne Maßnahme abzielende Schutz des § 311 AktG verbietet es, zusätzliche Anreize für den Vorstand der abhängigen AG zu schaffen, sich von vornherein noch stärker als zuvor an den Interessen der herrschenden Gesellschaft zu orientieren.70 Wendet man sich in diesem Zusammenhang den Private-Equity-Transaktionen zu, die über eine Special-Purpose-Vehicle-Gesellschaft die Zielgesellschaft akquirieren, ändert sich die Sachlage nochmals: Denn diese Gesellschaften sind oftmals allein zu dem Zweck gegründet worden, um die AG (bzw. GmbH) als Zielgesellschaft zu übernehmen. Sie haben in der Regel keine weiteren Beteiligungen – auch wenn dem ersten Anschein nach gerade das Gegenteil der Fall ist, da die Private-Equity-Gesellschaften zahlreiche Unternehmen aufkaufen, restrukturieren und wieder veräußern. Tatsächlich „beteiligen“ sich die Private-Equity-Gesellschaften jedoch nur als Management und „Berater“ an den SPVs, selten jedoch als dauerhafte Eigenkapitalgeber, das nötige Eigenkapital wird über Fonds und Anlagen bereitgestellt.71 Dementsprechend können die konzernrechtlichen Vorschriften mangels anderweitiger unternehmerischer Tätigkeit (§§ 15, 17 AktG) oftmals nicht auf die SPVs angewandt werden, es handelt sich „nur“ um beherrschende Aktionäre bzw. Gesellschafter.72 Bestehen aber schon Bedenken gegenüber einer Verstärkung des Einflusses eines unternehmerisch tätigen beherrschenden Aktionärs qua Vergütung des Vorstands, gilt dies erst recht für Vergütungszahlungen (oder Beteiligungen etc.) eines „nur“ beherrschenden Aktionärs. Selbst wenn man § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG zur Rechtfertigung von solchen Zahlungen heranziehen will, greift diese Norm doch nur für Beteiligungen an „verbundenen“ Unternehmen ein, nicht jedoch ohne Konzernzusammenhang. Der Vorstand ist zwar berechtigt, die Aktionärsinteressen im Sinne eines „shareholder value“ zu verfolgen;73 er darf aber nicht die Partikularinteressen eines einzelnen Aktionärs gegenüber den anderen Aktionären bevorzugen, selbst wenn dieser Großaktionär ist – dies gebietet schon der Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 53a AktG, aber auch die Unabhängigkeit des Vorstandes nach § 76 AktG. Der Gedanke der Loyalität gegenüber der eigenen Gesellschaft und der Vermeidung von Interessenkonflikten schlägt sich schließlich auch in den 70

Näher Spindler FS K. Schmidt, 2009, S. 1529, 1536 ff. Näher dazu Schmidt/Spindler Finanzinvestoren aus ökonomischer und juristischer Perspektive, 2008, Kap. A. III Rn. 35 ff. 72 Schmidt/Spindler Finanzinvestoren aus ökonomischer und juristischer Perspektive, 2008, Kap. D. I Rn. 65 f. 73 Dazu (und zur Diskussion) Spindler in MünchKommAktG § 76 Rn. 76 ff.; jüngst wieder Mülbert AG 2009, 766 zur corporate social responsibility. 71

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Ziff. 4.3.2. ff. des Deutschen Corporate Governance Kodex nieder, ebenso in § 93 I S. 2 AktG. So untersagt Ziff. 4.3.2. Vorstandsmitgliedern im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit weder für sich noch für andere Personen von Dritten Zuwendungen oder sonstige Vorteile zu fordern oder anzunehmen bzw. Dritten ungerechtfertigte Vorteile zu gewähren. Zwar kann diese Empfehlung nur im Lichte des § 299 StGB gesehen werden; doch rekurriert sie auch auf die allgemeine Treuepflicht des Vorstandes und hat so einen weiteren Anwendungskreis als das engere Verbot des § 299 StGB. Zudem statuieren Ziff. 4.3.3. sowie 4.3.4., dass Vorstandsmitglieder allein dem Unternehmensinteresse verpflichtetet sind und Interessenskonflikte dem Aufsichtsrat gegenüber unverzüglich offenzulegen haben. Auch für § 93 I S. 2 AktG ist im Rahmen der Business Judgement Rule anerkannt, dass der Vorstand keinen Interessenkonflikten unterliegen darf – was letztlich auch durch das Wettbewerbsverbot nach § 88 Abs. 1 AktG zum Ausdruck kommt.74 Unternehmerische Entscheidungen, die durch einen Interessenkonflikt beeinflusst werden, können nicht mehr in den Genuss der Haftungsprivilegierung der Sorgfaltspflichten kommen, da gerade die nur auf das Unternehmen ausgerichtete Entscheidungsfindung eine der wesentlichen Voraussetzungen für die von § 93 AktG geforderte Sorgfalt ist. Gerade diese „Neutralität“ und Unvoreingenommenheit wird durch eine – wenn auch nur mittelbare – Ausrichtung auf die Interessen eines bestimmten Gesellschafters durchbrochen. Zwar wird eingewandt, dass die Drittvergütung keineswegs zur einseitigen Bevorzugung der Interessen des Dritten führen müsse, da die Vergütung so ausgestaltet werden könne, dass sie allein an dem Interesse der AG oder deren wirtschaftlichen Erfolg anknüpfe, etwa den Börsenkurs. Gerade auf diesen könne aber der Vorstand zulässigerweise verpflichtet werden.75 Damit wird allerdings ein entscheidender Aspekt ausgeblendet. Die Frage nämlich, wer für die Festlegung der Vergütungskriterien und für die Operationalisierung des Unternehmensinteresses zuständig ist. Primär obliegt diese Aufgabe dem Aufsichtsrat. Er hat im Rahmen der Festlegung des Vergütungssystems nach § 87 AktG, auf die langfristige Rentabilität des Unternehmens hinzuwirken und durch die Vorgabe entsprechender Parameter möglichst sicherzustellen. Wollte man es Dritten überlassen, im Rahmen ihrer Zahlungsversprechen eigenständig Bemessungsgrundsätze zu formulieren, bedeutet dies letztlich nichts anderes, als den Einfluss des Aufsichtsrats und seine Entscheidungsfreiheit im Rahmen des von § 87 AktG gewährten Korridors an Zielvorgaben erheblich einzuschränken. Dies bedeutet nicht, dass der Vorstand nicht auch auf den „shareholder value“ ausgerichtet werden dürfe – sofern dies nicht nach der Reform des § 87 AktG rein kurzfristig erfolgt. Ent74

Zum Ganzen s. Spindler in MünchKommAktG § 93 Rn. 54 ff. m.w.N. So im Wesentlichen Traugott/Grün AG 2007, 761, 767; ähnlich Kirchner/Iversen NZG 2009, 921, 924. 75

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scheidend ist aber, wem die Kompetenz zur Festlegung der Ziele zukommt – und diese liegt allein beim Aufsichtsrat, und nicht bei einem Dritten.76 Dem kann auch nicht dadurch begegnet werden, dass der Aufsichtsrat die Vergütung durch den Dritten ebenfalls beschließen würde; denn es ändert nichts daran, dass allein der Dritte die rechtliche Macht hat, die Bedingungen der Vergütung zu ändern und festzulegen. Nur dann, wenn man dem Aufsichtsrat jederzeit das Recht zugestehen würde, durch sein Veto die Drittvergütung zu Fall zu bringen, wäre es möglich den nötigen Einfluss auf die Formulierung der Vergütungsziele sicherstellen. Auch kann nicht allein auf die Verantwortung des Aufsichtsrats abgestellt werden, der den Vorstand im Unternehmensinteresse zu überwachen habe, oder auf die Haftung des Vorstandes 77 – mit dieser Begründung wäre (überspitzt formuliert) auch die Verpflichtung des Vorstands auf ein rechtswidriges Handeln durch einen Dritten zulässig, es bliebe ja dem Aufsichtsrat unbenommen, den Vorstand ordnungsgemäß zu überwachen und ihn gegebenenfalls abzuberufen. Anders gewendet geht es um den nötigen institutionellen Schutz der Unabhängigkeit und der Kompetenzordnung in der AG. Hinzu kommt, dass der Vorstand gerade aufgrund des breit gefassten Unternehmensinteresses über einen gewissen Konkretisierungsspielraum nach der Konzeption des deutschen AktG verfügt 78 – dieser würde ihm genommen, wenn er von vornherein durch Vergütungssysteme von Dritten bestimmten Interessenvorgaben unterworfen wäre. Wie schon oben erwähnt, wäre es kaum einsichtig, warum es dem Satzungsgeber verwehrt ist (und der Hauptversammlung), selbst Grundelemente des Vergütungssystems festzulegen,79 dies aber Dritten außerhalb jeder Kompetenzordnung ohne weiteres möglich sein sollte. Ob dies rechtspolitisch sinnvoll ist, den Gesellschaftern diese Entscheidungsoptionen zu nehmen, steht auf einem anderen Blatt und hängt mit der generellen Debatte über die Satzungsfreiheit in der Aktiengesellschaft zusammen.80 Schließlich soll aus dem Vorstandsvergütungsoffenlegungsgesetz und den neu eingeführten §§ 285 Satz 1 Nr. 9a) und 314 I Nr. 6a) HGB, die vorsehen, dass Leistungen, die dem einzelnen Vorstandsmitglied von einem Dritten im Hinblick auf seine Tätigkeit zugesagt oder gewährt wurden, im Anhang des Jahresabschlusses bzw. Konzernabschlusses anzugeben sind, folgen, dass auch 76 Daher für eine Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats zu Drittvergütungen Bauer/ Arnold DB 2006, 260, 265; noch kritischer Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 754, 755; gegen eine grundsätzliche Unzulässigkeit hingegen Hohaus/Weber DStR 2008, 104, 105. 77 So aber Traugott/Grün AG 2007, 761, 768. 78 S. dazu Spindler in MünchKommAktG § 76 Rn. 69 ff.; zu dem Begriff des Unternehmensinteresses auch Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 756. 79 Dazu jüngst (zum Say-on-pay im neuen § 120 IV AktG) Vetter ZIP 2009, 2136, 2143; Fleischer/Bedkowski AG 2009, 677. 80 S. dazu Spindler AG 1998, 53.

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der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen sei, dass Drittvergütungen, insbesondere von Aktionären der Gesellschaft, nicht unzulässig seien.81 Allerdings hatte der Gesetzgeber damit keineswegs eine grundsätzliche Aussage zur Zulässigkeit von Drittvergütungen verbunden; vielmehr stand die mit der Veröffentlichung der Leistungen einhergehende Transparenz im Vordergrund.82 Damit bestehen nicht nur gegenüber Drittanstellungsverträgen, sondern auch gegenüber Drittvergütungen und -zahlungen erhebliche Bedenken.

III. Vergütungen der Gesellschaft in Abhängigkeit des wirtschaftlichen Erfolgs bei Dritten Auf den ersten Blick vergleichbare Probleme ergeben sich, wenn das Organmitglied zwar von der Gesellschaft bezahlt wird, die Vergütung aber von Indizes abhängt, die auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Dritten (Finanzinvestor, Exit-Wert etc.) abstellen. Doch ergibt sich hier ein entscheidender Unterschied: Bei den unmittelbaren Zahlungen durch einen Dritten oder der Beteiligung an einem Dritten (stock options, Beteiligungen an SPV etc.) hängt die Zahlung bzw. Vergütung allein von dem Dritten oder dem Schicksal der Beteiligung ab. Bestimmt sich aber die von der Gesellschaft übernommene Vergütung nach Indizes, die sich auf Dritte beziehen, bleibt es zunächst dabei, dass die Gesellschaft die Zahlung vorzunehmen hat – obwohl der „Erfolg“ des Vorstands nicht der Gesellschaft selbst, sondern einem Dritten zu Gute kommt. Auch könnte nicht – wie zuvor – eingewandt werden, dass die Kompetenzen des Aufsichtsrats der AG unterminiert werden, da er es ist, der diese Parameter für die Vergütung festzulegen hat, so dass der Dritte selbst nicht unmittelbar die Zahlungen und Vergütungen bestimmen kann. Dennoch ergibt sich ein fundamentaler Konflikt mit § 87 AktG (der Angemessenheit der Vergütung), erst recht nach dessen Neufassung durch das VorstAG, der die Vereinbarkeit solcher Vergütungsstrukturen zweifelhaft erscheinen lässt. Die Neufassung des § 87 AktG betont noch mehr als dies schon zuvor unter der alten Rechtslage der Fall war 83 die Ausrichtung des 81 So argumentierend auch Hohaus/Weber DStR 2008, 104, 105; Bauer/Arnold DB 2006, 260, 265 f.; zust. Traugott/Grün AG 2007, 761, 768; Kirchner/Iversen NZG 2009, 921, 923 f. 82 Vergleiche hierzu die Begründung in dem Gesetzesentwurf zum Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz vom 31.5.2005, BT-Drucks. 15/5577, S. 6 und S. 7; wie hier deutlich Schüppen FS Tiedemann, 2008, S. 749, 755; zu dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz im Allgemeinen vgl. Spindler NZG 2005, 689; Fleischer DB 2005, 1611; Thüsing ZIP 2005, 1389; Leuering/Simon NZG 2005, 945; zuvor Baums ZIP 2004, 1877. 83 Zur vorherigen Rechtslage und Ausrichtung auf die längerfristige Rentabilität des Unternehmens im Rahmen des Vergütungssystems s. Spindler in MünchKommAktG § 87

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Vergütungssystems auf eine langfristige Rentabilität des Unternehmens, oder in den Worten des Gesetzgebers: auf eine „nachhaltige Unternehmensentwicklung“ – allerdings beschränkt auf börsennotierte Gesellschaften. Dennoch ist auch hier, angesichts der erheblichen Probleme, die nachhaltige Unternehmensentwicklung zu operationalisieren,84 der Aufsichtsrat relativ frei, im Rahmen des – allerdings ebenfalls diffusen Unternehmensinteresses – Prioritäten zu setzen.85 Ob dem Aufsichtsrat hier ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich des unbestimmten Rechtsbegriffs eingeräumt werden kann (in Analogie zu § 93 Abs. 1 S. 2 AktG), ist bislang wenig diskutiert, aber anzunehmen.86 Vor allem hinsichtlich der variablen Vergütungsbestandteile muss der Aufsichtsrat die nachhaltige Unternehmensentwicklung als Leitbild des Systems und der Anreize berücksichtigen; reine Fixvergütungen werden damit nicht untersagt.87 Das Gesetz erfasst aber auch andere Vergütungsformen, die nicht von vornherein in einer festen Geldsumme fixiert sind, etwa stock options, Gewinnbeteiligungen oder sonstige von Indikatoren abhängige Vergütungen. Die Vergütung kann auch aus einer Mischung kurz- und langfristiger Anreize bestehen, solange die langfristige Komponente überwiegt.88 Alle Kriterien sind jedoch auf die Entwicklung des Unternehmens bzw. der AG ausgerichtet – und nicht auf die „Performance“ eines Dritten. Der Vorstand soll über die Vergütung Anreize erhalten, den Wert und die Überlebensfähigkeit der AG zu steigern und zu bewahren, was sich letztlich auch in § 91 Abs. 2 AktG niederschlägt – nicht aber den Wert des Unternehmens eines Dritten zu steigern. Allenfalls dann, wenn der Index oder der Parameter im Vergütungssystem, der auf Daten eines Dritten zurückgreift, die Leistung des Vorstands gegenüber seiner eigenen AG reflektiert, könnte darüber nachRn. 38, 41; Fleischer in Spindler/Stilz § 87 Rn. 16, 18 f.; Kort in GroßkommAktG § 87 Rn. 93, 197; LG Düsseldorf Urt. v. 22.7.2004 – XIV 5/03, NJW 2004, 3275, 3278 f.; Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder 4.2.3 DCGK Rn. 725 f., 732 ff.; Hohaus/Weber DB 2009, 1515, 1517; Thüsing AG 2009, 517, 519 f. hält dies allerdings für eine Verstärkung. 84 S. dazu Spindler NJOZ 2009, 3282, 3284 f. 85 Zutr. Thüsing AG 2009, 517, 520. Allerdings entsteht hier ein bislang kaum wahrgenommener Konflikt zwischen der gemeinhin dem Vorstand eingeräumten Priorität bei der Definition des Unternehmensinteresses und dem Aufsichtsrat. 86 Spindler in MünchKommAktG § 87 Rn. 20; Fleischer in Spindler/Stilz § 87 Rn. 15; allgemein dazu Spindler FS Canaris, 2007, S. 403; im Ergebnis ähnlich Hohenstatt ZIP 2009, 1349, 1354 f.; van Kann/Keiluweit DStR 2009, 1587, 1588; Nikolay NJW 2009, 2640, 2642. 87 Hohenstatt ZIP 2009, 1349, 1350; Fleischer NZG 2009, 801, 803; Thüsing AG 2009, 517, 519; s. schon die Kritik in der Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschuss NZG 2009, 612, 613 Tz. 7 zum FrakE. 88 Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/13433, S. 16, der damit der Kritik der Praxis Rechnung trägt; Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschuss NZG 2009, 612, 613 Tz. 5, 8; im Ergebnis auch Hohenstatt ZIP 2009, 1349, 1351; Fleischer NZG 2009, 801, 803; Hohaus/Weber DB 2009, 1515, 1517; van Kann/Keiluweit DStR 2009, 1587, 1588; Lingemann BB 2009, 1918, 1919 nennt ein Verhältnis von 40 % fix, 20 % variabel langfristig und 20 % variabel kurzfristig, 20 % aktienbasierte Vergütung für nicht zu beanstanden.

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gedacht werden, diese Indizes als zulässig zu erachten. Selbst in diesen Fällen ergibt sich jedoch sofort die Frage, warum nicht unmittelbar an den Erfolg des eigenen Unternehmens geknüpfte Parameter gewählt werden. Dies schließt nicht aus, etwa den Börsenkurs der AG als Basis für eine Vergütung zu wählen, sofern eine mehrjährige Komponente gewählt wird und kein Zeitpunkt, der auf den geplanten Ausstieg eines bestimmten Aktionärs zurückgreift. Zu berücksichtigen ist aber, dass § 87 AktG zu Recht zum Teil an der Börsennotierung der Gesellschaft anknüpft; denn bei einer nicht börsennotierten Gesellschaft haben typischerweise die Anteilseigner einen direkteren Einfluss auf das Geschehen im Aufsichtsrat, so dass keine Notwendigkeit besteht, hier noch weiter rechtlich regulierend einzugreifen.89 Allerdings führt dies nicht dazu, dass § 87 AktG für nicht-börsennotierte Gesellschaften keine Geltung beanspruchen würde; hier genießt der Aufsichtsrat vielmehr einen wesentlichen größeren Spielraum bei der Festlegung des Vergütungssystems. Dies ändert indes nichts daran, dass die Vergütung auf Kriterien auszurichten ist, die unmittelbar mit dem wirtschaftlichen Erfolg und der Lage der AG verbunden sein müssen – § 87 AktG steht auch weiterhin nicht zur Disposition des Satzungsgebers. Besondere Probleme werfen in diesem Rahmen die sog. Exit-Prämien auf, also Zahlungen, die von der AG (und nicht dem Investor) an den Vorstand bei erfolgreichem Ausstieg des Finanzinvestors gezahlt werden.90 Abgesehen davon, dass hier wiederum an dem wirtschaftlichen Erfolg eines Dritten angeknüpft würde, ergeben sich aus der Mannesmann-Entscheidung des BGH 91 zu nachträglichen Anerkennungsprämien („appreciation awards“) zusätzliche Bedenken gegenüber solchen Prämien. Ohne entsprechende Klauseln in einem Anstellungsvertrag, die ihrerseits bereits zweifelhaft sind, ist eine solche nachträgliche Vergütung auch deshalb fragwürdig, da der Zahlung keine Leistung des Vorstands in der Zukunft gegenübersteht.92 Allenfalls vor dem Hintergrund, dass die AG auf dem Markt für Vorstandsmitglieder ohne derartige Zahlungen nachweisbar auf Probleme stoßen würde, könnte ein solches Vorgehen gerechtfertigt werden.93 Zulässig wäre indes eine Vergütungsklausel, die eine (ggf. gestufte) Prämienzahlung in Abhängigkeit von der Steigerung des Unternehmenswertes vorsieht;94 denn hier wird

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Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/13433, S. 16. Dazu Traugott/Grün AG 2007, 761, 763 ff. 91 BGH Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, AG 2006, 110, 112 – Mannesmann; hierzu auch ausführlich Spindler ZIP 2006, 349. 92 Auch Traugott/Grün AG 2007, 761, 764 f. räumen dies ein. 93 Näher dazu Spindler ZIP 2006, 349, 351 ff.; Spindler in MünchKommAktG § 87 Rn. 65 ff. 94 So der Vorschlag von Traugott/Grün AG 2007, 761, 765 f. 90

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weder allein auf einen bestimmten Aktionär abgestellt noch ist dieses Vergütungselement entkoppelt von dem wirtschaftlichen Erfolg der AG selbst. Sofern für den Unternehmenswert allerdings auf die konkrete Transaktion (und deren Preis) eines bestimmten Aktionärs abgestellt wird (Finanzinvestor),95 ergibt sich wiederum eine Ausrichtung der Vergütung und damit der Interessenverfolgung auf einen Gesellschafter statt auf die Gesellschaft und die Anteilseigner insgesamt.

IV. Change of Control Vom wirtschaftlichen Ergebnis her vergleichbar einer Prämie, die bei bestimmten Transaktionen gezahlt wird, ist die sog. Change-of-Control-Klausel: Wechselt die Kontrolle in einer Aktiengesellschaft etwa durch Einstieg eines neuen Mehrheitsaktionärs bzw. bei Ausscheiden des alten Mehrheitsaktionärs (Finanzinvestor), führt dies nicht selten auch zu einem Wechsel an der Spitze eines Unternehmens. Gerade auch bei Beteiligungsgesellschaften werden die Geschicke des Zielunternehmens in die Hände investorennaher Vorstände gelegt. Change-of-Control-Klauseln im Anstellungsvertrag des jeweiligen Vorstandsmitglieds ermöglichen in diesen Fällen die Tätigkeitsbeendigung der bisherigen Geschäftsführung und geben einen Anspruch auf eine Abfindung.96 Derartige Klauseln sind nur zulässig, wenn sie grundsätzlich dem restlichen Anspruch des Vorstandsmitglieds auf Vergütung entsprechen und durch entsprechende Interessen der AG gerechtfertigt sind. Die Abfindung muss ebenso wie die Gesamtvergütung angemessen sein.97 Ziff. 4.2.3. des Deutschen Corporate Governance Kodex empfiehlt dazu (nicht im Sinne einer Comply-or-Explain-Pflicht nach § 161 AktG), dass solche Leistungen 150 % des Abfindungs-Caps nicht übersteigen sollen. Zahlungen bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit ohne wichtigen Grund sollen zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten (AbfindungsCap).98 Zwingend ist dies jedoch nicht, da alle Einzelfallumstände herangezogen werden müssen, etwa auch der Zeitpunkt: Sofern sich ein Über-

95

So aber Traugott/Grün AG 2007, 761, 766. Zur vertraglichen Ausgestaltung und dem Leistungsinhalt der Klauseln s. Bauer/ Arnold DB 2006, 260, 263 ff. Dreher AG 2002, 214, 215; Mielke/Nguyen-Viet DB 2004, 2515; Krause AG 2002, 133; Kort in GroßkommAktG § 87 Rn. 359; Fleischer in Spindler/Stilz § 87 AktG Rn. 27. 97 Dreher AG 2002, 214, 216 f.; Hüffer § 87 AktG Rn. 5; Kort in GroßkommAktG § 87 Rn. 363; Fleischer in Spindler/Stilz § 87 AktG Rn. 27; Spindler in MünchKommAktG § 87 Rn. 82. 98 So möglicherweise im Fall der britischen Automobile Association, dessen CEO bei einer Unternehmensveräußerung weitere Zahlungen erhalten würde (s. Fn. 2). 96

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nahmeversuch bereits konkret abzeichnet, ist die Vereinbarung einer Changeof-Control-Klausel grundsätzlich unzulässig.99

D. GmbH-Geschäftsführer Zahlreiche Private-Equity-Transaktionen vollziehen sich allerdings nicht mit börsennotierten oder nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften, sondern mit GmbHs. Aufgrund der völlig anders gearteten Stellung der Geschäftsführung gegenüber den Gesellschaftern im Vergleich zum Vorstand einer AG ergeben sich hier jedoch andere Fragen, wobei die Rechtslage bei der mitbestimmten GmbH nicht vertieft werden kann. Im Hinblick auf die Weisungsabhängigkeit der GmbH-Gesellschafter kommt hier etwa ein Drittanstellungsvertrag 100 mit einem Gesellschafter oder Drittvergütungen wesentlich eher in Betracht als bei der AG, da das Gesellschafsinteresse primär durch die Gesellschafter bestimmt und festgelegt wird.101 Es wäre schwer einzusehen, warum ein Mehrheitsgesellschafter in jeder kleinsten Geschäftsangelegenheit einen GmbH-Geschäftsführer verbindliche Weisungen erteilen kann, nicht aber der Geschäftsführer Zahlungen bzw. Vergütungen vom Gesellschafter empfangen dürfte. Die Grenze der Zulässigkeit solcher Einflüsse liegt daher weniger auf der Ebene der Organpflichten und -kompetenzen der Geschäftsführung als bei den Treuepflichten des Mehrheitsgesellschafters und dem Schutz der Minderheitsgesellschafter. Dies gilt auch für die Übernahmesituation: Auch wenn ein Manager der GmbH Zahlungen im Rahmen einer beabsichtigten Übernahme erhält, steht doch der Verkauf der Mehrheitsbeteiligung durch einen Gesellschafter im Vordergrund, so dass nur Treuepflichten im Hinblick auf eine Schädigung der Minderheitsgesellschafter (bzw. der GmbH) in Betracht kommen. Eine solche Schädigung kann durch den Abzug von Kapital in Betracht kommen, der den Leverage des Unternehmens bis hin zur Existenzgefährdung erhöht.

99 Kort in GroßkommAktG § 87 Rn. 366 (zumindest partiell unzulässig); ders. AG 2006, 106, 108; Fleischer in Spindler/Stilz § 87 Rn. 27. 100 Für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Vertrages zwischen GmbH Geschäftsführer und einem Dritten s. BGH Urt. v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, BGHZ 75, 209, 210; BGH Urt. v. 4.11.1964 – VIII ZR 46/63, WM 1964, 1320; BAG Urt. v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NJW 1998, 260, 261; BAG Urt. v. 24.8.1972 – 2 AZR 437/71, AP BGB § 611 Nr. 2 Gemischter Vertrag = BB 1973, 91; BAG Urt. v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, BAGE 104, 358 ff. = ZIP 2003, 1010, 1014; Fleck ZHR 145 (1985), 387, 388 f.; U. H.Schneider GmbHR 1993, 10, 13 f.; ders. in Scholz § 35 GmbHG Rn. 191; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter § 35 GmbHG Rn. 168; Noack in Baumbach/Hueck § 35 GmbHG Rn. 165. 101 So auch Bauer/Arnold DB 2006, 260, 265.

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E. Fazit Lässt man das geschilderte Kaleidoskop der Zahlungen, Vergütungen und Anreizsysteme für Organmitglieder und ihre rechtlichen Schranken Revue passieren, zeigt sich, dass an sich das aktienrechtliche System weitgehend auf die Sicherung der Unabhängigkeit des Vorstandes ausgerichtet ist und folgerichtig Vergütungssysteme auf den wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft Bezug nehmen müssen und sich gerade nicht an einem Mehrheitsgesellschafter bzw. einem Bieter orientieren dürfen. Dennoch ergeben sich erhebliche Unsicherheiten in der Behandlung von finanziellen Anreizen, welche wie dargestellt in verschiedensten Formen auftreten können. Rechtspolitisch fragwürdig ist in diesem Rahmen die schwache Sanktionierung von Zahlungen im Bereich des WpÜG, die durch einen neuen Tatbestand aufgefangen werden sollte. Letztlich sind aber alle diese Fragen in den größeren, erst in jüngerer Zeit vermehrt aufgearbeiteten Komplex der konzernweiten Vergütung und Anreizsetzung eingebettet, der noch für zahlreiche Diskussionen sorgen dürfte.

Liability for Breach of Trust in Corporate Groups Ünal Teki˙ nalp I. Introduction 1. The section of the Turkish Commercial Code Draft (“Draft”) 1 that sets forth general provisions concerning commercial companies (Draft arts 124– 210) contains a subsection (Draft arts 195–209) pertaining to corporate groups (“groups”) in which there is an article which says that when certain conditions are fulfilled, a group’s mother company may be held liable for the obligations of a daughter company even though the mother company did not itself actually give any assurances or guarantees or engage in any undertakings. The substance of this article (art 209), whose subtitle is “Liability arising from trust” 2 is as follows: In situations where the reputation that a corporate group has built up in public or among consumers has reached such a level as to inspire confidence, the controlling company is responsible for the trust that is inspired by the use of that reputation. This article was placed in the Draft as a result of debate among experts on the justice ministry commission (“Commission”) that prepared the Draft. To my knowledge, it is the first time that a provision governing liability for breach of trust in corporate groups (“a corporate group’s liability”) has been embodied in the text of a law in the world and for that reason it has drawn the

1 This essay is based on provisions governing corporate groups in the version of the Turkish Commercial Code Draft that has been submitted to the Grand National Assembly of Turkey (“TBMM”). So far only article 77 of the Draft has been enacted into law. The Draft of the Turkish Commercial Code and the Report of the Justice Commission Nr. 10324. TBMM, S Nr. 96. (This is the publication being referred to when mention is made in this essay of “Explanatory Notes”. These explanatory notes consist of texts written by the Experts Commission explaining the reasons and aims of the provisions of the Draft. For detailed information about the Draft and the Commission that prepared it, see Ünal Tekinalp Die jüngsten Entwicklungen im türkischen Handels- und Gesellschaftsrecht, in Roland von Büren/Susan Emmenegger/Thomas Koller (Hrsg.), Rezeption und Autonomie: 80 Jahre türkisches ZGB, journées turco-suisses 2006, Berne 2007, 148 and 149. 2 Subtitles are considered to be part of the text of the law and must be taken into account in interpretations under art 1534. (This is similar to the stipulation in Turkish Commercial Code art 1474.).

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attention of a number of academicians.3 In the public debate over the Draft in Turkey, particular attention has been given to this article (especially by interested parties, commercial and industrial professional associations, and non-governmental organizations) and it has provoked considerable discussion. The rule has been the subject of monographs and doctoral theses both already written 4 and currently planned. 2. This provision of the Draft takes, as its point of departure, the trust (“qualified trust”) that is created by the level of reputation that a group has reached in the community; however it also incorporates a number of innovations: it lays down the rule that qualified trust is only a precondition for a group’s liability and stipulates that this same trust is engendered only when use of it is made for the benefit of a daughter company, in which case the liability arising from that trust is incurred by the mother company. I shall be attempting to examine and assess the systematics and components of this provision in this Festschrift being published for my dear friend Professor Klaus J. Hopt, a preeminent name in the field of commercial, company, obligation, and bank law. It gives me pleasure to discuss, here in the context of a scholarly publication dedicated to such a distinguished academic, the Turkish approach to a problem that is of such currency in continental law as well as the subject of high court rulings, heated debate, and intensive doctrinal activities.

II. The applicability and nature of Draft Article 209 1. Applicability 1. Article 209 of the Draft (art 209) does not deal with the concept of “trust liability” in a broad sense, that being a matter of concern to civil law in general and to obligation law (contractual and delictual) in particular. Instead it focuses exclusively on “group’s liability” (the key word in German doctrine being Konzernvertrauenshaftung). For this reason, art 209’s applicability is quite narrow in scope compared to that of trust liability. In terms of both its spirit and its wording, the article is not amenable either to broad interpretation or to extension into other areas of civil law (especially contract law). 3 See Jean Nicolas Druey Der Entwurf für ein türkisches Konzernrecht in rechtsvergleichender Sicht, in Ülgen/Kaya/Okutan Nilsson (ed.), Bilgi Toplumunda Hukuk, Ünal Tekinalp’e Armag˘an, C. I, I˙stanbul, 2003, s. 323 and elsewhere, (Druey FS Tekinalp); Gül Okutan-Nilsson The Law of Group of Companies Under the Draft Turkish Commercial Code, in von Büren/Emmenegger Koller (Hrsg.), Rezeption und Autonomie 80 Jahre türkischen ZGB, Journees turco-suisses 2006, 2007, p. 199–204; Ünal Tekinalp Turkish Concepts and Approaches in Corporate Group Law, in Heldrich/Prölss/Koller and others (Hrsg.), (Tekinalp FS Canaris), München 2007, p. 870–872. 4 Gül Okutan Nilsson Türk Ticaret Kanunu Tasarısına Göre S¸irketler Toplulug˘u Hukuku, I˙stanbul 2009 (Okutan Nilsson, S¸irketler Toplulug˘u Hukuku).

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2. Despite its presence in a law that governs all commercial concerns and its adherence to the fundamental tenets and main doctrines of obligation law, art 209 is intimately bound to the “group” concept not just because of its inclusion in a subsection dealing only with corporate groups but also from the standpoint of the components pertaining to trust liability that it contains. 2. Theoretical foundations 1. Without prejudice to the statements above, art 209 is not purely a rule of company law. Although it does contains elements relevant to groups, the article is erected fundamentally on civil law doctrines and theories applicable to obligation law.5 Trust in liability is subject essentially to the principles and rules governing culpa in contrahendo liability.6 The Draft also bases a corporate group liability on the same foundations.7 2. Like trust liability, group liability also becomes a source of responsibility in situations where no (written) contractual relationship may exist and it is not possible to apply tort-applicable rules due to the absence of required conditions. The Swiss Federal Court has ruled on several occasions 8 that trust may be a source of liability in situations where the preconditions for liability obtain even though the conditions themselves may not. This is clearly the case in Turkish doctrine as well.9 3. Some outstanding features of article 209 of the Draft The first and most outstanding feature of art 209 is that the concept of “trust” has been supplanted by that of “qualified trust”,10 the latter of which has been made a precondition for “group liability”.11 The second feature is that the approach taken by the Draft is not based mainly on subjective ana-

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See Rehbinder Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, München 1966, 109; Beate Brechbühl, Haftung aus erwecktem Konzernvertrauen, Bern 1988, 57. 6 Karl Larenz Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 14. Auflage, München 1987, 107 et seq. Claus Wilhelm Canaris Die Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, München 1871, 491 et seq. In Swiss law: Ingeborg Schwenzer Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 4. Auflage, Bern 2006, N. 5202. Turkish doctrine is along the same lines. See Rona Serozan Haksız Fiil ve Haksız Zenginles¸me Sorumluluklarının Açıklarını Sözles¸me Sorumlulug˘u ile Kapatma Eg˘ilimi, Prof. Dr. Yavuz Alangoya I˙çin Armag˘an, I˙stanbul 2007, 722 et seq; H. R. Demirciog˘lu Güven Esası Uyarınca Sözles¸me Görüs¸melerindeki Kusurlu Davranıs¸tan Dog˘an Sorumluluk, Ankara 2009, 161 et seq. 7 Tekinalp FS, 872; Okutan Nilsson, § 14 II. 8 See BGE 120 II 331, 5a ve BGE 124 III 303, 6a. 9 Og˘uztürk Güven Sorumlulug˘u, I˙stanbul 2008, 268. 10 See III., 3. 11 See IV., 2.

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lyses and appraisals, which is the situation embodied in the concept of das erweckte Vertrauen (“aroused trust”) that is accepted as the concept giving birth to group liability in Swiss doctrine. In order for a mother company to be held liable, there must be concrete elements entailing such liability 12 and qualified trust must have been used in that context.13 While there does not appear to be a need for any “special legal relationship”, which is a requirement for the Swiss Federal Court,14 this is not really a feature of art 209 because the existence of such a relationship is a conclusion that one reaches in the overall concept of the Draft. Finally art 209 makes it a requirement that the existence or non-existence of the qualified trust that is a precondition for a mother company’s being held liable be examined by the court itself when it is considering a case.

III. The influence of the Swiss Federal Court on Art 209 1. The rulings of the Swiss Federal Court have been influential not just in Switzerland 15 but in Germany 16 as well as is evidenced both by the Wibru Holding AG/Swissair Beteiligungen AG ruling 17 (which generated incomparably more excitement than any other and which provoked arguments both for and against) as well as by a number of other rulings 18 pertaining to Konzernvertrauen. By the same token they may be said to have also influenced the development of the concept that ed to art 209. These rulings (particularly Musikvertrieb AG/Motor-Columbus) provided the inspiration (indeed the motivation) for the rule which the Commission preparing the government draft came up with and which holds that in cases involving company groups, 12

Canaris note 6, 491. See IV., 4. 14 See 5., a). 15 One possible selected list of literature, systematic books, and doctoral theses dealing with the Swissair ruling in Swiss doctrine consists of: Roland von Büren Der Konzern, Schweizerisches Privatrecht VIII/6, 2. Auflage, Basel 2005, 187 et seq; Roland von Büren Der Konzern – Rechtliche Aspekte eines wirtschaftlichen Phänomens, Basel, Genf, München 2005, 187–197; Beat Brechbühl Haftung aus erwecktem Konzernvertrauen Diss., Bern 1998; Kuzmic Haftung aus Konzernvertrauen – Die Aussenhaftung des Konzerns im Schweizerischen Privatrecht, Diss., Zürich 1998; Armstutz/Watter Entscheidung AJP 1995, 508; von Druey Rechtsprechung, Konzernrecht, SZW 1995, S. 97 et seq; Gonzenbach Senkrecht oder Bauchlandung? Unvertraute Vertrauenshaftung aus „Konzernvertrauenrecht“ 1995, 129. 16 Lutter Haftung aus Konzernhaftung in Schön (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbekeuk, Köln 1997, 229 and elsewhere; Emmerich/Habersack Konzernrecht, 8. Auflage, München 2005, § 20, IV, 1. 17 BGE 120 II 331 et seq. (Wibru Holding AG/Swissair Beteiligungen AG). 18 BGE 123 III 231 (Services Financiers & Management SA/Omni Holding AG in Nachlassliquidation); BGE 124 III 297 (Musikvertrieb AG/Motor-Columbus). 13

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outside parties that enter into a relationship with one of the daughter-companies of the group should not automatically be in a position to hold the mother company (or an intermediary holding company) liable on the basis of the group liability doctrine. Doctrinal considerations and debate in Switzerland were helpful to the Commission on this subject while criticism leveled at court rulings provided the Commission particularly with guidance setting out the specific conditions required for trust liability to exist in the context of company groups. 2. In both its Swissair and Musikvertrieb rulings, the Swiss Federal Court made it explicitly clear that not each and every fact may justify having recourse to mother company liability or legitimize such liability and that they should not create the “trust” or even give way to the expectations which are embodied in the concept of “trust liability”. Trust liability in the context of groups of companies should be bound by concrete and precise reasons for liability. Of course this issue may be governed by means of the explicit guarantees or similar undertakings on the part of the mother company or some other group company but in such cases, the legal framework for resolving the issue would be that of contractual law. As has already been noted however, recourse must be had to the doctrine governing liability arising from trust in situations where there is no contract or the rules governing tort liability are inapplicable. If a contract exists then there is no need for either doctrine or legislation. 3. Another of the objectives of the Draft is to dissociate trust liability, which is a matter that is of concern to liabilities in general in the context of company groups and whose ramifications may be quite extensive, from the particulars of individual cases and to bind it instead to explicit legal requirements.

IV. Why the Draft contains a provision concerning trust liability Trust liability, still an issue which is being debated, has only recently become the subject of case law and in fact falls within the scope of the law of obligations. In that respect its inclusion in a commercial law – even among general provisions governing companies – may be regarded with some misgivings. There were three views that prevailed among the drafters of art 209. First of all debate and criticism notwithstanding, the principle of trust liability in the general sense is a fact of life which has gained general recognition in both doctrine and case law and which is becoming increasingly more entrenched. This view is bolstered by the quick succession of rulings handed down by the Swiss Federal Court, all of which were rooted in the same fundamental principle. For this reason, the level of substantiveness that trust liability has achieved today makes it worthy of legislative action however

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simple or modest a step that action may be. Failure to take this step could lead to different doctrinal approaches arising from quite disparate views. This could have an impact on courts’ rulings, which in turn might become the source of overly narrow or overly broad constructions in countries where such practices do not already exist. Furthermore when court decisions are based solely on the particulars of individual cases, there is always a risk of details getting in the way of essentials. Secondly, such an inclusion would neither stop or even hinder future legal developments in this area: on the contrary, it could channel them, lead to more precise definitions of the fundamental principle itself and of the principles subordinate to it, and help open up new avenues of thinking. Finally, company groups represent one of the foremost areas in which trust liability is an issue. As such, its inclusion in a commercial law governing that area as a whole for the first time will lead to beneficial results.

V. Requirements for the existence of trust liability in the context of company groups For group liability to exist under art 209 of the Draft, five conditions must be satisfied in the matter under dispute. The first is that there must exist a group of companies conforming to the model in the Draft. The second is that this group must have a publicly recognized reputation. The third is that this same reputation must have achieved a level such as to inspire confidence in the community or among consumers – which is to say that a state of “qualified trust” must exist in the matter at hand. The fourth is that the group of companies must have made use of the reputation that has been transformed into qualified trust with respect to outside (third) parties. The fifth is that one or more of these third parties must have suffered a loss as a result of this use. 1. Existence of a group of companies in the relationship 1. For group liability to exist, at least one of the parties in the relationship must be a corporate group in the sense provided under article 195 of the Draft. Although the Draft itself does not define what a “corporate group” is, it does explicitly set forth the de facto and contractual criteria required for any assertions as to the existence of such a group. It does so in the context of “the principle of control” 19 without however making any mention of the Ünal Tekinalp Türk Ticaret Kanunu Tasarısının S¸irketler Toplulug˘una I˙ lis¸kin Düzenlemesinde Kontrol I˙ lkesi, Prof. Dr. Hüseyin Hatemi’ye Armag˘an, C. 2, I˙stanbul 2009, 1543 et seq. (Tekinalp FS Hatemi). 19

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principle of “common management” (einheitliche Führung), which is the defining element of a Konzern in German law. Another feature of the Draft concerning groups of companies is its explicit stipulation that such a group must consist of “commercial companies” (ticari s¸irketler): “undertakings” (tes¸ebbüsler) may be included in a group of companies but only under the exceptional conditions that are provided for in the law.20 The result of this acceptance of the principle of control but rejection of the concept of common management combined with the requirement that a group consist only of commercial companies is a rather circumscribed concept of “company group”. While it might seem that this narrow group concept would constrict trust liability in the context of corporate groups and severely limit the concept’s usefulness, in fact it is quite easy to determine whether or not a group exists in the sense provided for under the Draft in a particular case because the “principle of control” attributes the control of one company by another to the existence of rigorously defined means for achieving such control and in the presence of several or even of one of those means, the group is deemed to exist as a result of assumptions that cannot be disproved.21 This in turn is crucial to the implementation of art 209. On the other hand, even if the conditions of the German “common management” principle 22 are satisfied, a group would not be deemed to exist insofar as implementation of art 209 is concerned. 2. A second feature of the Draft from the standpoint of groups is that the “de facto corporate group” is placed at the heart of the concept and that is the only type of group that is explicitly governed by the law. Insofar as the implementation of art 209 is concerned however this is not important because the Draft also recognizes the concept of “contractual corporate group” even though it does not otherwise address it.23 Thus if a contractual group exists in a relationship, art 209 will still apply. In Turkey, agreements establishing contractual corporate groups must be duly registered and announced (Draft art 198.3) but the mere fact that such registration has not taken place does not preclude the applicability of the Draft’s corporate group-related provisions nor does it prevent implementation of art 209. A group of companies cannot evade its responsibilities by not fulfilling its registration and announcement obligations though it will have to suffer the legal consequences of not doing so. 3. In situations where an agreement governing a contractual corporate group in Turkey incorporates a foreign element – which is to say, if Turkish law may not be applicable because one or more of the parties to the agree20

For a detailed explanation see Tekinalp FS Canaris, note 3, 856–7. Tekinalp FS Hatemi, note 19, 1548. 22 Tekinalp FS Hatemi, note 19, 1544 et seq. 23 For detailed explanations and for the justifications of the solution that the Draft opted for see Tekinalp FS Canaris, note 3, 858. 21

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ment is a foreign national or due to choice of law or to conflict of laws – the governing contract must still be registered with a commercial registrar in Turkey. This registration requirement is intended to protect the interests of third parties and is a consequence of the principle of disclosure and in that respect it is in the nature of an overriding mandatory rule on account of article 6 of Turkish Private International Law.24 Art 209 is applicable even in situations where the mother or daughter company is a foreign national and suits may be initiated against the foreign mother company in Turkey as well. This is because the last paragraph of Draft art 195/1 says, after defining “mother company” and “daughter company”, that the Draft’s rules concerning groups of companies are applicable if even one of the group’s companies is headquartered in Turkey. This same rule is repeated in art 195/5. In other words, Turkish courts may have jurisdiction (under Civil Procedures Code art 9) insofar as a foreign mother company is concerned if a daughter company is based in Turkey. This is because a suit in which the mother company is the ultimate target may be initiated against the daughter company.25 2. Prerequisites for liability: The group must have a reputation that inspires confidence in a community or among consumers a) The concept of “reputation” aa) Even if there is a group relationship that fully conforms to the model provided for in the Draft, art 209 will not be applicable unless the group also fulfills the reputational requirements set forth in the same article. In other words, the mere existence of a group of companies does not engender group liability nor does it make the mother company accountable for it. The legal thinking that underlies this rule of the Draft is the following: If a group does not have a public reputation at all or if that reputation is not one that inspires confidence in a community or among consumers, then there can be no group liability. A group of companies which is unknown to the community or to consumers, or a group of companies which is known but has never inspired confidence, or a group of companies about whose payment habits, business activities, financial resources, or ability to generate funds there is little or no widespread knowledge is simply a group of companies and as such it cannot be the target of any group liability action. To suppose it to be otherwise would be incompatible with the very concept of “trust”. As is quite rightly pointed out in doctrine, the reason for limiting the scope of the provision in 24 For further information see Gülören Tekinalp Milletlerarası Özel Hukuk, Bag˘lama Kuralları, 10. Bası, I˙stanbul, 2009, 55 et seq, 361 and elsewhere; also Gülören Tekinalp The 2007 Turkish Code Concerning Private International Law and International Civil Procedure, Yearbook of Private International Law, Vol. IX (2007). 25 See V., 1.

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this way is the notion of providing a justiciable way to protect the interests of third parties only vis-à-vis corporate groups that have achieved a certain reputation in a community.26 Indeed in the Government Justification authored by the Commission it says “Not every group of companies falls within the scope of this provision. In order for a group to fall within the scope of this provision, its reputation must have reached a level where it inspires confidence in a community or among consumers. This in turn is to be determined according to the case at hand.” 27 bb) The group reputation that the Draft is looking for is not limited strictly to the strength of its trademark, or to its financial standing, or to its credit-worthiness, or to its payment ethics, or to its commitment to fulfilling its obligations properly and on time. It is instead the generally favorable opinion engendered in the communal mind by the combination of all such factors. The implications of this opinion are that the community recognizes a group of companies and has confidence in each of the group’s constituents and in the group as a whole, that daughter companies are under the supervision and control of the group, that the group operates according to the principles of corporate governance, and that its financial statements are prepared and audited according to generally accepted standards. The Draft defines the element of justiciability in group liability as a reputation that has transformed into trust. An established conviction that a collection of companies is a trustworthy group is a prerequisite for group liability. cc) When third parties who are elements of a community or are consumers who trust a group intend to contact or enter into relationships with a daughter company of that group, their intention should be based on their confidence not just in the daughter company but in the group as a whole and, by extension, in the mother company as well. The mother company’s statements should mean something for a third party even if they are not explicit guarantees. Fulfillment of this prerequisite might take the form of the group’s approval of a relationship that is to be entered into, a supportive presence in the relationship, or in any sense comforting assurances concerning the relationship that alleviate any doubts or worries about the relationship that may have existed in the third party’s mind. The sense of trust created in the communal mind by a group of companies’ reputation is absolutely essential for the rule of art 209 to be applicable.

26 Okutan Nilsson S¸irketler Toplulug˘u Hukuku, 487. In footnote 1357 in the same place, the author takes a somewhat critical approach to this prerequisite. Okutan Nilsson also indicates that mention is made of “Kreditwürdigkeit” as a criterion in Swiss law and cites Brechbühl (p. 55) on this. 27 Explanatory Notes, 114.

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b) The concept of “community” Although the Draft uses the word toplum (generally rendered as “community” in this essay) in connection with groups of companies as a somewhat generalized term, it does not necessarily mean all of society or every class of individual. Neither should it be interpreted as specific target groups (for example banks, lending institutions etc) that may have their own views and opinions about a particular group of companies. As a concept, toplum is one that appears quite frequently in Turkish case law. Expressions such as toplumda olus¸an genel kanaat [“the general opinion arising in the community”] and toplumda (veya halkta) bıraktıg˘ı genel izlenim [“the general impression created in the community (or among the public)”] appear frequently in Turkish law in everything from competition law to the laws governing trade names, trademarks, and designs. It is used repeatedly in both case law and in doctrine. In group liability law, toplum has exactly the same meaning and implications: the general opinion which is held about the group and which may easily be ascertained; the impression that the group has made on the public at large; the common judgment that has grown up about the group. c) The functions of the concept of “consumer” In addition to the word “community” (toplum), the Draft also employs the phrase veya tüketiciye güven veren [“or inspires confidence in the consumer”]. The word “consumer” (tüketici) was used taking into consideration the different attributes that it may express under specific conditions. Some groups of companies deal directly with the consumer by virtue of the business activities to which they devote themselves. For such groups, the opinions that these consumers have about the group become important. For example if companies that are active in such business lines as foods, clothing, textiles, or tourism also have daughter companies that are engaged in a variety of endeavors such as supermarkets, shopping centers, department stores, hotels or similar accommodation facilities, holiday villages, vehicle leasing, travel agency, etc the opinions of these target groups (shoppers, tourists, etc) about the mother company become important as the consumers of the goods and services provided by the daughter companies. The concepts of “community” and “consumer” are used in the law not cumulatively, but rather as alternatives to each other. 3. Qualified trust a) “Qualified trust” is a trust based on widely held opinions that have grown up in a community or among consumers about a group when that group’s reputation reaches a level where it inspires confidence in the community or among consumers. As may be understood from this, qualified trust is

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related both to the group’s quality and to the extent and level of the confidence held in it. This trust is not in a particular person, nor is it due to a particular relationship, nor is it inspired by various actions or statements; neither is it specific to a particular relationship or limited to a particular context. In fact it is not individual at all, but is general.28 Generality is the primary feature of qualified trust. b) This general trust exists not only as a generally held opinion but may also affect two-party relationships in many different ways during contract negotiations – indeed it may even be an element of those relationships. In this context, qualified trust may be taken into account by a third party that is a business partner of a daughter company. However the fact that a third party has taken qualified trust into account does not mean that qualified trust has been used.29 Qualified trust is used by a mother company when a third party demands security of a daughter company on account of its financial standing or because of the nature of some business or when the third party does not regard the security offered as being sufficient: under some conditions, statements made by the mother company may also have the effect of personel security such as a guarantee or lien. A feature of qualified trust is that it is “usable” and we shall be discussing this subject in some detail immediately below. For the moment what needs to be emphasized is this: the term “use” has a special meaning here. A corporate

28 This general trust is quite different from the “general trust” that Bucher refers to in his study of trust liability. Bucher calls the liability arising from the confidence inspired by a place in which a store or supermarket owner or a fair or similar event organizer displays wares a liability arising from a sense of “general trust” (Generalvertrauen). The author says that such owners/organizers are liable for losses that shoppers sustain in places where goods are displayed – literally “offered to society”. This is because such places are trusted due to the confidence they inspire in the public mind for reasons that are external to those places and this is what the author means by “general trust” (Generalvertrauen). According to Bucher, there already exists a sense of trust in the public at large on account of external phenomena and a person who is held liable for this trust is charged with a special responsibility for the “general trust” that already has been created simply for commercial and professional reasons. As an example of “general trust” Bucher cites the famous Reichsgericht 1911 Linoleumteppich ruling (RGZ 78, 239 and elsewhere.). The “general trust” referred to in the Draft is created trust and not “trust that already exists in the public at large on account of external phenomena”. Its creation in any case took years and, as was stated above, it is the outcome of many positive factors. Eugen Bucher Die Obligations-Entstehungsgründe ausserhalb von Verträgen und Delikten, in Özer Seliçi et. al (ed.), Prof. Dr. Necip Kocayusufpas¸aog˘lu I˙çin Armag˘an, Ankara 2004, 43. The author’s opinion is made even clearer in the following excerpt taken from footnote 32 in the same place: Verallgemeinernd dürfte gelten, dass Gewerbetreibende (neben Ladeninhabern auch Wirte, Veranstalter von Ausstellungen usw.), die das Publikum in ihre Räume bitten, einen Bereich eigener Verantwortung schaffen, in dem sie Gewährleistung für Abwesenheit spezifischer (d.h. in ihrem Betrieb wurzelnden) Gefahren tragen. 29 See V., 4.

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group uses its reputation all the time: when it engages in marketing and sales, when it negotiates financing, when it enters into a business relationship, etc. A corporate group’s reputation may continuously attract customers to the group and in this way the trust that it inspires grows and gains strength. In the sense of the Draft however, “use” means that the mother company is taking advantage of qualified trust deliberately and purposefully in order to achieve something such as drumming up business, obtaining credit, signing/ executing a contract etc for a daughter company. The precondition that trust must be “qualified” facilitates its use. 4. The use of qualified trust a) Group liability becomes a legitimate concern only if it arises from material conditions. A perceived absence of materiality is the reason most frequently cited in criticism of Swiss Federal Court rulings on this subject. The mere fact that a company is a member of a group should not be grounds for holding the group’s mother company responsible for the debts and performance obligations of that company, even if the group’s public reputation is such as to inspire confidence. Similarly the fact that a daughter company expresses its membership in a group of companies in any way whatsoever (for example using the group’s name in its letterhead, indicating its membership in any way in its advertising, or even specifically mentioning such membership to another party during contract negotiations) need not constitute grounds for agreeing that the daughter company inspired trust in its business partner, or for regarding it as having provoked certain expectations, or for holding the mother company liable for any of this. There is no legitimate basis for having recourse to assertions as to liability on the part of the mother company on such grounds as a sense of trust was perceived, or trust was inspired in a business partner, or expectations arising from inspired trust failed to materialize, or some third party was disappointed, etc. b) A daughter company’s referencing its membership in a groups of companies in its letterhead stationery, in invoices and similar documents, in brochures, in annual reports and so on is simply a statement of that membership and not grounds for liability. In the Draft’s system, an assertion to the contrary by a daughter company’s business partners is unacceptable as grounds for any group liability claims. The Swiss Federal Court’s 16 April 1998 ruling in the Musikvertrieb AG/Motor-Columbus AG case was quite explicit and to the point on this matter. In that ruling the court held that the business partner of a daughter company was responsible for analyzing and coming to a conclusion about that company’s own financial standing and market reputation. The risks involved in any failure, on the grounds of any self-perceived sense of trust, to properly examine and assess the ability or inability of the daughter company to make payments or to fulfill obligations

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could not be encumbered onto the mother company. On the other hand the mother company might be deemed to have incurred a liability if, through its own actions or statements, it inspired a sense of trust in the mind of the daughter company’s business partner with respect to the mother company and/or to the daughter company based on the business partner’s own life experience.30 c) In order for a mother company to incur a liability vis-à-vis a creditor of a daughter company, the mother company must make a declaration of intent which supports the daughter company with respect to the daughter company’s business partner, which opens the way for entering into the contract, and which “provides comfort” to such a third party or, at the very least, it must engage in acts and evince attitudes which one, on the basis of life experiences, imply such as statement. There is no requirement that such a statement of intent be in the form of a guarantee agreement or a surety declaration. If the mother company simply declares that the group employs generally accepted accounting standards or reveals how and by what means daughter companies are audited by the group, that would serve as legitimate grounds for group liability when combined with qualified trust in the sense provided for in the Draft. The Draft refers to a mother company’s declarations of intent or actions that could be interpreted as declarations of intent based on one’s life experience in a particular instance as “use of qualified trust” but it does not otherwise define that concept nor does it even provide an example to go by. The word “use” (kullanma) could be interpreted as an effort on the part of the mother company to take advantage of the company group reputation that is embodied in itself in order to give comfort to a daughter company’s business partner on the matter of the latter’s risk-related concerns. d) The Draft takes as its point of departure the idea that notions of trust which are difficult to prove (such as the “aroused trust” relationship that emerges particularly during contract negotiations and dominates Swiss doctrine), which are based rather more on assessments and inferences, or which stem from reactive perceptions are incapable of legitimizing liability.31 For this reason, the Draft is particularly amenable to our including explicit – and preferably written – statements (such as a “letter of comfort” (Patronaterklärung)) made by the mother company, an intermediary holding com-

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BGE 124 III, 303 and 304. This view is explicitly stated in von Büren’s assessments of the Federal Court’s ruling in the Musikvertriebs AG/Motor-Columbus case. (BGE 124 III 297 and elsewhere.) (Roland von Büren Haftungsgrundlagen im Konzern, SZW 1999, 56 and elsewhere. See also Jean Nicolas Druey Misstrauen in die Vertrauenshaftung? Nochmals zum „Konzernvertrauen“, SZW 2001, 190 et seq). 31

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pany, or a sister company within the scope of “material use of qualified trust”. In other words such letters, whose legal force has long been disputed, in a sense become binding through the Draft. e) The third feature of the Draft is that it will give legal force and functionality, in the context if company group relationships, to letters which are written by a mother company, an intermediary holding company, or a sister company and which give comfort or more. f) It is a fact of business life that letters are written by a mother company (or by some other company or individual in such a position) which, more often than not, neither give guarantees nor encumber the authors with any specific obligations vis-à-vis the recipient – indeed pains are taken to avoid doing so – but which contain a variety of statements in favor of a daughter company that is applying for credit. Such letters may be sent to banks, financial institutions, factoring/leasing companies, and daughter company business partners. They usually start out with general expressions of satisfaction on the order of “We are pleased to learn that our daughter company, X, has applied to you for credit.” Sometimes they include supportive expressions implying feelings of confidence or assurance such as “this company abides by the principles of our corporate group”, “our daughter company enjoys our full confidence and support”, “our daughter company is in possession of the means to repay its loan obligations and its management has both the knowledge and experience necessary to generate the required funding”. Such statements go by such names as “letter of comfort” and “letter of awareness”; sometimes they are referred to as a “letter of intent” (which is really a different concept) or even as a “gentleman’s agreement”. There is a similar letter called Patronatserklärung (literally “patronage declaration”) in German and Swiss law, where a distinction is also made between “soft” (die weiche Patronatserklärung) and “hard” (die harte Patronatserklärung) depending on the kinds of assurances that the letters give. Letters in the latter group are sometimes treated as binding because of their quasi-contractual substance. “Hard” patronage declarations, which are capable of placing the mother company under an obligation, resemble the relationships sometimes referred to in English as “guarantee agreements” and “contracts in favor of a third party”. They are also similar to the Schuldbeitritt (collateral promise suretyship/ cumulative assumption of debts) relationship, which is not governed in Swiss or Turkish law but is clearly recognized in doctrine.32

32 Selected literature in Germany: Karl Larenz/Claus Wilhelm Canaris Lehrbuch des Schuldrechts, Band II, Halbband, 2, Besonderer Teil, 13. Auflage, München 1994, § 64 V; Schröder ZGR 1982, 555 et seq. Selected literature in Switzerland: Müllhaupt SAG 50, 109 et seq; Schnyder SJZ 1990, 57 et seq; Nobel Patronatserklärungen und ähnliche Erscheinungen im nationalen Recht, in Wiegand (Hrsg.), Personalsicherheiten, Berner Bankrechtstag 1997, 55 et seq.

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g) In Turkish law, “letters of comfort” and the like may also be issued by holding companies in support of their daughter subsidiaries. In practice, an English phrase such as “letter of comfort” is used for these instruments rather than a specific Turkish term. For example when dealing with this subject Tandog˘an wrote in 1987: “Letters (letter of awareness, letter of intent) that a holding company gives to a third-party creditor stating that it is aware of the obligations that one of its daughter companies has towards a third party and that it will oversee the daughter company’s performance of those obligations are rather more in the nature of an assurance aimed at securing the moral and/or economic involvement of the third party, unless of course they incorporate a specific promise on the part of the holding company to compensate for any failure by the daughter company to perform. If the holding company does assume a compensatory liability in such a letter, the instrument may be regarded as a surety or guaranty contract depending on whether the liability is secondary or primary in nature.” 33 h) Although letters of this sort may be considered independently of any corporate group relationship, the fact is that they are not issued by individuals but rather by a mother company, a holding company, or a sister company and they are issued because a company group relationship exists. For this reason, such letters must be considered in the context of such a relationship and along with elements that originate in the relationship. This is exactly what the Draft does. i) One of the issues that the Draft explicitly deals with is the matter of who is liable to whom. Liability is incurred by whoever makes use of the qualified trust arising from a reputation. The person he is liable to is the person whom that trust was intended to influence. If trust perceptions were to be based on such subjective and arbitrary criteria as disappointed expectations, the parties to whom one might be liable would by no means be certain. That would in turn make a separate issue out of who has the right to bring suit and result in further litigation. Similarly the view that liability is incurred by the company group leads us nowhere because corporate groups are not corporate entities and thus cannot be sued. In the Draft, the “mother company” (ana ¸sirket) is the one that is considered to be encumbered by any liability. The reason the Draft recognizes the mother company as the one with the liability is that in most cases it is the mother company that uses qualified trust. In a particular instance the one using such trust might be someone else: for example a comfort letter might be written by an intermediary holding company or by a sister company. In such cases that company might be held liable unless of course it could be shown that the interHaluk Tandog˘an Borçlar Hukuku, Özel Borç I˙lis¸kileri, C. 2, 3. bası, Ankara 1987, 840. “Letter of awareness” and “letter of intent” are the actual phrases that the author injects into the Turkish text. 33

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vention of another company was a planned and deliberate attempt at obfuscation, in which case recourse would again be had to the mother company. The issue of a mother company or other group company is liable to is not explicitly dealt with in art 209; however the Draft does say that the power to assert a claim of liability on the grounds of use of qualified trust lies with the person who was the target of that use. 5. The use of qualified trust must have caused a loss a) In order to bring suit under article 209 of the Draft, a business partner of a daughter company must have suffered an actual loss in the relationship that he entered into with the daughter company on account of the use of qualified trust and, moreover, that loss must be attributable to the daughter company. The mere risk of a loss is not sufficient grounds for bringing suit under art 209. b) Liability for breach of trust in corporate groups is essentially subject to culpa in contrahendo principles and for that reason the conditions required by that concept must also exist. c) Article 209 of the Draft is not a general provision about trust liability but rather a special one that governs this concept in the context of corporate groups. For this reason, the condition (which emerges in Swiss Federal Court rulings with regard to all types of confidence liability) that there be a “special legal relationship” (die rechtliche Sonderverbindung) 34 between the injuring and injured parties does not always fully coincide with art 209.35 6. Holding the mother company liable Article 209 of the Draft imposes the liability on the mother company. The question of what is to be understood by the term “mother company” might become an issue. The mother company might be a stock corporation which controls all of the other companies in a group. But article 209/5 of the Draft simply says ¸sirketler toplulug˘unun hakimi [“which controls the group of companies”], which means that it could just as easily be some other form of company (such as a general partnership), a non-company corporate entity, or even a real person. Could an intermediary holding company be a “mother company” from the standpoint of this liability? Draft art 195 recognizes intermediary holding companies (as well as holding companies) as potential controlling companies even when they are not joint-stock companies. This is 34 BGE 120 II 336; 128 III 327, Kramer/Berner Kommentar, VI01, 2, 1a, Artikel 19–22 OR, Bern 1991, Art. 22 N. 8; Walter Vertrauenshaftung im Umfeld des Vertrages, ZBJV 132, 1996, 182 et seq; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Band I, 8. Auflage, Zürich, Basel Genf 2003, N. 982 f. 35 Tekinalp FS Canaris, note 3, 871.

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apparent in the wordings of arts 1, 4, and 5 of art 195. Rather than having recourse to a narrowly-defined legal concept such as a “top company” that controls all of the other members of a corporate group, the Draft uses the more generally applicable terms ¸sirketler toplulug˘unun hakimi and hakim tes¸ebbüs [“controlling enterprise”].

VI. International law 1. The jurisdiction of Turkish courts Under article 40 of the 2007 “Turkish Code Concerning Private International Law and International Civil Procedure” (TPI art 40), the international jurisdiction of Turkish courts is to be determined by the rules of domestic law governing local jurisdiction. The Draft contains no special provisions governing jurisdiction as it applies to art 209. To be sure, one might suppose that the rule of Draft art 202/1 (c) (which says that situations where control is illegally exercised, a shareholder may initiate a buy-out suit against the controlling company and that both shareholders and creditors may initiate suits in a court of the place where the controlled company’s headquarters are located if the headquarters of the controlling enterprise are located outside Turkey) could be applied by analogy. However in my opinion this rule is an exceptional one on the one hand while, on the other, it is not really possible to draw analogies in matters where jurisdiction is concerned. However under article 9 of the Turkish Code of Procedure a creditor of a daughter company may bring suit in Turkey against a mother company whose headquarters are located outside Turkey. When the daughter company’s creditor initiates suit in Turkey against the daughter company (whose headquarters are in Turkey), the Turkish court will necessarily have jurisdiction over the mother company due to the joinder of parties principle. In the event, it is inconceivable that such a suit could be initiated exclusively against a mother company without the daughter company’s also being a target. 2. Application of Draft provisions concerning groups to the mother company a) Under art 195/5, the provisions of articles 195–209 (and others) of the Draft apply to corporate groups even if the headquarters or residence of the corporate group’s highest controlling entity is located outside Turkey. Similarly under art 195/1 (b), the provisions of the Draft concerning corporate groups will apply if the headquarters of either the controlling (mother) company or controlled (daughter) company are located in Turkey. The essential difference between these two provisions is that art 195/1 (b) is concerned solely

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with commercial concerns whereas art 195/5 is designed to be broader in scope and to be applicable to the much more general category of “undertakings”. b) Both of the Draft provisions referred to above are conflict of laws rules. However they are specific in nature rather than being general. The aim of both of these provisions is to protect the interests of a daughter company’s creditors and of non-group shareholders and other stakeholders. For this reason, the provisions are grounded in the principle of legitimacy.

Selbst-Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen? Zur Verknüpfung „privater“ und „staatlicher“ Corporate Codes of Conduct Gunther Teubner

I. Corporate Codes als Keimzellen transnationaler Unternehmensverfassungen? Transnationale Unternehmen waren in den letzten Jahren in eine Reihe von Skandalen involviert, welche die Weltöffentlichkeit erschütterten. Ökologische Katastrophen wie Exxon Valdez, Shell in Nigeria, inhumane Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, die Verfolgung von gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern, die desaströse Preispolitik der Pharma-Unternehmen in der Aids-Krise in Südafrika, die „complicity“ von transnationalen Unternehmen in Korruptionsaffären und Menschenrechtsverletzungen durch politische Regimes haben das öffentliche Bewusstsein für die negativen Folgen der Transnationalisierung von Wirtschaftsunternehmen geschärft. Zugleich haben sie eine Fülle von politischen Initiativen zu ihrer Regulierung durch zwingende Rechtsnormen ausgelöst.1 Doch der massive Widerstand transnationaler Unternehmen gegen nationalstaatliche und überstaatliche Regulierungen ebenso wie die Schwierigkeiten, über langwierige internationale Staatenvereinbarungen effektive Regulierungen zustande zu bringen, ließen viele der Initiativen scheitern.2 Bemerkenswert ist jedoch ein Resultat dieses Scheiterns. Statt der angestrebten verbindlichen staatlichen Regulierungen breitete sich geradezu massenhaft eine andersartige Spezies von transnationalen Normierungen auf dem Globus aus – Corporate Codes of Conduct, „freiwillige“ Verhaltenscodices für transnationale Unternehmen.3 1 Zum Zusammenhang von Skandalen und Regulierungsinitiativen Walter Mattli und Ngaire Woods (2009) „In Whose Benefit? Explaining Regulatory Change in Global Politics“, in Walter Mattli und Ngaire Woods (Hrsg.) The Politics of Global Regulation, Princeton: Princeton University Press, 1–43. 2 Zum Scheitern der Regulierungsversuche der UN John Gerard Ruggie (2007) „Business and Human Rights: The Evolving International Agenda“, 101 American Journal of International Law, 819–840. 3 Grundsätzlich zur Transnationalisierung der Unternehmensverfassung Klaus Hopt (2005) „Globalisierung der Corporate Governance“, in Karl Hohmann, Peter Koslowki und

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Diese gibt es heute in vielfältigen Formen, vorherrschend sind jedoch zwei Grundvarianten. Auf der einen Seite formuliert die Staatenwelt – durch völkerrechtliche Vereinbarungen oder durch Normen internationaler Organisationen – Verhaltenscodizes für transnationale Unternehmen (kurz und ungenau: „staatliche“ Codes), in denen sie transnationalen Unternehmen allgemeine Leitlinien für Arbeitsbedingungen, Produktqualität, Umweltschutz, Verbraucherschutz und Menschenrechte empfiehlt. Hier sind besonders der UN Draft Code on Transnational Corporations, die UN Draft Norms on Business and Human Rights, die OECD Guidelines for Multinational Enterprises und die ILO Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy zu nennen.4 Auf der anderen Seite zwingen die massive öffentliche Kritik, die über die Medien weltweit verbreitet wird, ebenso wie die offensiven Aktionen von Protestbewegungen und zivilgesellschaftlichen non-governmental organizations (NGOs) zahlreiche transnationale Unternehmen dazu, dass sie selbst „freiwillig“ Corporate Codes normieren, in denen sie öffentlichkeitswirksame Selbstverpflichtungserklärungen in den genannten Problembereichen abgeben und ihre interne Durchsetzung versprechen (wieder kurz und ungenau: „private“ Codes).5 Wie die Wirkungen dieser zwei Arten von Corporate Codes in den Bereichen Arbeit, Produkte, Umwelt und Menschenrechte einzuschätzen sind, bleibt ambivalent. In vielen Fällen bleiben die „staatlichen“ Corporate Codes folgenlose Empfehlungen. Und die Selbstverpflichtungen in den „privaten“ Codes sind häufig nur strategische Versuche, staatlicher Regulierung durch unverbindliche Absichtserklärungen zuvorzukommen, oder bloße Publicrelations-Strategien ohne effektive Verhaltensänderung.6 Das war zu erwarChristoph Lütge (Hrsg.) Wirtschaftsethik der Globalisierung, Tübingen: Mohr Siebeck, 81–102. Zur Entwicklung in Deutschland ders. (2005) „Corporate Governance in Germany – Recent Developments in German Company Law and the Corporate Governance Code“, in Michael Stathopoulos, Kostas Beys, Philippos Doris und Ioannis Karakostas (Hrsg.) Festschrift für Apostolos Georgiades, München: Beck, 657–669. 4 Dazu im Detail Sean D. Murphy (2005) „Taking Multinational Corporate Codes of Conduct to the Next Level“, 43 Columbia Journal of Transnational Law, 389–431. 5 Dazu im Detail Kenneth Abbott und Duncan Snidal (2009) „Strengthening International Regulation Through Transnational New Governance: Overcoming the Orchestration Deficit“, 42 Vanderbilt Journal of Transnational Law, 501–571. 6 Zur Kritik der Corporate Codes Tim Bartley (2007) „Institutional Emergence in an Era of Globalization: The Rise of Transnational Private Regulation of Labor and Environmental Conditions“, 113 American Journal of Sociology, 297–351, 327 f.; Deborah Doane (2005) „The Myth of CSR: The Problem with Assuming that Companies can Do Well While also Doing Good Is that Markets Really Don’t Work that Way“, Stanford Social Innovation Review, abrufbar unter: http://www.ssireview.org/articles/entry/the_myth_of_csr/; Harry Arthurs (2002) „Private Ordering and Workers’ Rights in the Global Economy: Corporate Codes of Conduct as a Regime of Labour Market Regulation“, in Joanne Conaghan, Richard Michael Fischl und Karl Klare (Hrsg.) Labour Law in an Era of Globalization: Transformative Practices and Possibilities, Oxford: Oxford University Press, 471–488.

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ten und regt heute niemanden mehr auf. Man registriert: Bloß symbolische Rechtssetzung gibt es jetzt also auch in der Welt des private ordering.7 Aufhorchen aber lassen empirische Studien, die in einigen Fällen nachwiesen, dass die Codes reale Veränderungen herbeiführten, also die Arbeitsbedingungen verbesserten, den Umweltschutz steigerten und menschenrechtliche Standards durchsetzten.8 Aufhorchen lässt besonders, dass die Studien nicht nur die Erfolge dokumentieren, sondern soziale und rechtliche Bedingungen angeben, die erfüllt sein müssen, wenn die Codes erfolgreich sein sollen.9 Permanentes Monitoring durch NGOs oder bindende Verträge mit zivilgesellschaftlichen Zertifizierungsorganisationen dürften zu den wichtigsten Erfolgsbedingungen gehören.10 Was ist das Besondere an der Verflechtung privater und staatlicher Corporate Codes? Meine These ist: In diesem Zusammenspiel verwirklichen sich nicht nur Tendenzen einer Juridifizierung, sondern einer Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen. Die Corporate Codes bilden die Anfänge spezifisch transnationaler Unternehmensverfassungen – verstanden als Verfassungen im strengen Sinne. Wie andernorts näher ausgeführt liegt dem ein Verfassungsbegriff zugrunde, der sich nicht auf Fundamentalnormen des Nationalstaates beschränkt, sondern der voraussetzt, dass unter bestimmten historischen Bedingungen auch nicht-staatliche gesellschaftliche Ordnungen autonome Konstitutionalisierungsprozesse entwickeln.11 Die weitergehende 7 Dass auch das wegen seiner Effizienz vielgepriesene private ordering am regulatorischen Trilemma leidet, zeigt Gralf-Peter Calliess (2009) „Die Steuerungskrise – jetzt auch im Privatrecht?“, in Gralf-Peter Callies, Andreas Fischer-Lescano, Dan Wielsch und Peer Zumbansen (Hrsg.) Soziologische Jurisprudenz: Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, Berlin De Gruyter, 465–479, 475 ff. 8 Vor allem Martin Herberg (2007) Globalisierung und private Selbstregulierung: Umweltschutz in multinationalen Unternehmen, Frankfurt: Campus; siehe auch die empirischen Beiträge in Olaf Dilling, Martin Herberg und Gerd Winter (Hrsg.) (2008) Responsible Business: Self-Governance and Law in Transnational Economic Transactions, Oxford: Hart. 9 Richard Locke, Fei Quin und Alberto Brause (2006) „Does Monitoring Improve Labour Standards? Lessons from Nike“, Corporate Social Responsibility Initiative, Working Paper 24. John F. Kennedy School of Government, Harvard University, 37 f. geben als Bedingungen an: Unternehmensgröße, Häufigkeit der Qualitätskontrollen der Zentrale, Ausweitung des Codes auf Zulieferer und Vertrieb, Einflussstärke nationaler Rechtsinstitutionen. 10 Aber auch hier muss differenziert werden: Annegret Flohr, Lothar Riethe, Sandra Schwindenhammer und Klaus Dieter Wolf (2009) The Role of Business in Global Governance. Corporations as Norm-entrepreneurs, Basingstoke: Palgrave; Michael A. Santoro (2003) „Beyond Codes of Conduct and Monitoring: An Organizational Integrity Approach to Global Labour Practices“, 25 Human Rights Quarterly, 407–424. 11 Zum Konzept des „societal constitutionalism“ in sozialtheoretischer Sicht: David Sciulli (1992) Theory of Societal Constitutionalism, Cambridge: Cambridge University Press, 21 ff.; ders. (2001) Corporate Power in Civil Society: An Application of Societal Constitutionalism, New York: New York University Press, 131 ff.; Gunther Teubner

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Annahme ist, dass sich im Prozess der Globalisierung der Schwerpunkt der Konstitutionalisierung vom politischen System auf unterschiedliche gesellschaftliche Sektoren verlagert, die parallel zu den politischen Verfassungsnormen zivilgesellschaftliche Verfassungsnormen erzeugen.12 Ich suche die These mit den folgenden Argumenten zu begründen, die zeigen sollen, dass die Corporate Codes Funktionen, Strukturen und Institutionen genuiner Verfassungen aufweisen: 1. Sofern die „staatlichen“ und „privaten“ Corporate Codes fundamentale Prinzipien einer Sozialordnung verrechtlichen und zugleich Regeln zu ihrer Selbstlimitierung aufstellen, erfüllen sie zentrale Verfassungsfunktionen. 2. In den Merkmalen doppelter Reflexivität und binärer Meta-Codierung bilden die Codes genuine Verfassungsstrukturen aus. 3. Als Verfassungsinstitutionen bilden die beiden Codes keine Hierarchie von staatlichem Verfassungsrecht und privatem Organisationsverfassungsrecht, sondern eine ultrazyklische Verknüpfung qualitativ unterschiedlicher Netzwerke konstitutioneller Normen.

II. Verfassungsfunktionen: Konstitutive und limitative Regeln Die Corporate Codes nehmen an zwei gegenläufigen Konstitutionalisierungsschüben der Weltmärkte teil. In einer Weiterentwicklung von Karl Polanyis Ideen zur Transformation der Moderne kann man geradezu von einer Doppelbewegung eines transnationalen Konstitutionalismus sprechen.13 Auch in der unternehmensverfassungsrechtlichen Entwicklung wird die Expansion rein ökonomischer Orientierungen von Gegenbewegungen begleitet, die den „Schutzmantel der kulturspezifischen Institutionen“ rekonstruieren. 1. Konstituierung von Unternehmensautonomie Den ersten Schub identifizieren neo-materialistische Kritiker eines „Neuen Konstitutionalismus“ ebenso wie ordoliberale Verfechter einer Weltwirtschafts(2003) „Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie“, 63 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1–28. 12 Zum transnationalen Konstitutionalismus Neil Walker (2002) „The Idea of Constitutional Pluralism“, 65 Modern Law Review, 317–359, 317 ff.; Christian Walter (2001) „Constitutionalizing (Inter)national Governance: Possibilities for and Limits to the Development of an International Constitutional Law“, 44 German Yearbook of International Law, 170–201, 170 ff.; Andreas Fischer-Lescano (2005) Globalverfassung: Die Geltungsbegründung der Menschenrechte, Weilerswist: Velbrück, 247 ff. 13 Karl Polanyi (1995 [1944]) The Great Transformation: Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt: Suhrkamp, 182 ff.

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verfassung, natürlich mit diametral entgegengesetzten Bewertungen.14 Im Washington Consensus der letzten dreißig Jahre wurde dieser erste Konstitutionalisierungsschub der Weltmärkte politisch vorangetrieben. Er löste nicht nur einzelne politische Regulierungen aus, sondern die Normierung wirtschaftsverfassungsrechtlicher Prinzipien. Diese zielten darauf ab, global agierenden Unternehmen unbeschränkte Handlungsspielräume zu verschaffen, also Regierungsbeteiligungen an Unternehmen abzuschaffen, den Handelsprotektionismus zu bekämpfen und Wirtschaftsunternehmen von politischen Regulierungen zu befreien. So bildeten der Internationale Währungsfonds und die Weltbank Regimeverfassungen aus, deren Leitprinzip es ist, die nationalen Kapitalmärkte zu öffnen. Die Verfassungen der World Trade Organization (WTO) ebenso wie der EG-Binnenmarkt, das North American Free Trade Agreement (NAFTA), das Mercado Común del Cono Sur (MERCOSUR) oder die Asia Pacific Economic Cooperation (APEC) zielen auf eine konstitutionelle Absicherung der Freiheit des Welthandels und der Förderung von Direktinvestitionen. Die lex mercatoria hat oberhalb ihrer vertragsrechtlichen Normen eine Schicht von konstitutionellen Normen herausgebildet, die Eigentum, Vertragsfreiheit, Wettbewerb und Menschenrechte als transnational public policy weltweit positivieren. Internationale Standardisierungsorganisationen zielen darauf, nationale Standards dadurch weltweit zu vereinheitlichen, dass sie öffentlichrechtliche und private Rechtssetzung miteinander verbinden. Und integraler Bestandteil dieser Konstitutionalisierungstendenzen der globalen Ökonomie ist die corporate governance multinationaler Unternehmen, deren Prinzipien hohe Unternehmensautonomie, Kapitalmarktorientierung gesellschaftsrechtlicher Normen und die Etablierung des shareholder values sind. Diese „neo-liberale“ Konstitutionalisierungswelle ist durch ihre konstitutive Funktion gekennzeichnet, also die Ausrichtung darauf, transnationalen Unternehmen hohe Autonomie zu verschaffen.15 Sie ist auf das Problem fixiert, dass der weltweiten Ausbreitung von Unternehmensaktivitäten die segmentäre Binnendifferenzierung der Welt in nationalstaatliche Einheiten im Wege steht. Verantwortlich dafür gemacht werden in erster Linie die Politik und das Recht der Nationalstaaten, deren „Produktionsregimes“ die Unternehmensregulierung auf den nationalen Rahmen beschränken.16 Der 14 Zum Neuen Konstitutionalismus David Schneiderman (2008) Constitutionalizing Economic Globalization: Investment Rules and Democracy’s Promise, Cambridge: Cambridge University Press, 23 ff. Zur ordoliberalen Weltwirtschaftsverfassung Peter Behrens (2000) „Weltwirtschaftsverfassung“, 19 Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 5–27. 15 Zur neuen Unternehmensverfassung der global corporate governance Larry Catá Backer (2006) „The Autonomous Global Enterprise: On the Role of Organizational Law Beyond Asset Partitioning and Legal Personality“, 41 Tulane Law Journal, 101–131. 16 Zu unterschiedlichen Produktionsregimes als stabile Konfigurationen von Wirtschaft, Politik und Recht Peter A. Hall und David Soskice (Hrsg.) (2005) Varieties of Capitalism: The Institutional Foundations of Comparative Advantage, Oxford: Oxford University Press.

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Abbau solcher nationalstaatlicher Produktionsregimes ist vorrangiges Ziel. Die neu entstehenden globalen Unternehmensverfassungen zielen damit auf zweierlei: die engen strukturellen Kopplungen transnationaler Unternehmen an nationalstaatliche Politik und Recht aufzubrechen und rechtsstaatliche Strukturen insoweit aufzubauen, als es für eine weltweite Vernetzung ihrer funktionsspezifischen Kommunikationen erforderlich ist. Konstitutive Verfassungsnormen dieser Art dienen dazu, die Eigendynamik der Wirtschaftsunternehmen auf der globalen Ebene freizusetzen. 2. Erzwungene Selbstbeschränkungen Auf die Dauer aber ist es nicht durchzuhalten, dass ein gesellschaftlicher Konstitutionalismus sich dermaßen einseitig „neo-liberal“ auf seine konstitutive Funktion beschränkt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die freigesetzten systemischen Energien neben ihren positiven Effekten solch negative Folgen auslösen, dass die hier auftretenden gesellschaftlichen Konflikte eine drastische Korrektur der globalen Konstitutionalisierung erzwingen. Denn der politisch durchgesetzte Wegfall nationaler Produktionsregimes hat zur Folge, dass in den globalen Funktionssystemen destruktive Dynamiken freigesetzt werden, in denen die einseitige Funktionsmaximierung eines gesellschaftlichen Sektors mit anderen gesellschaftlichen Dynamiken kollidiert.17 Die globalisierten Märkte und Unternehmen belasten nun, ohne durch nationalstaatliche Gegenprogramme ernsthaft behindert zu werden, sich selbst, die Gesellschaft und die Umwelt mit gravierenden „Folgeproblemen ihrer eigenen Ausdifferenzierung, Spezialisierung und Hochleistungsorientierung“.18 In solchen Prozessen eines „dynamischen Ungleichgewichts“ zwischen den gegenläufigen Entwicklungen von Autonomisierung und Limitierung der Eigendynamik von Teilsystemen ist dann der Umschlagpunkt erreicht. Jetzt ist eine Neuorientierung der Verfassungspolitik, mit der horizontale Freiheitsgefährdungen zu verhindern sind, unerlässlich.19 Im zweiten Konstitutionalisierungsschub ist statt der konstitutiven jetzt die limitative Funktion von Verfassungsnormen gefragt. Corporate Codes nehmen an dieser zweiten Konstitutionalisierungswelle teil, sofern sie Beschränkungen der Unternehmensaktivitäten im Namen einer öffentlichen Verantwortung der 17 Zu diesen Zusammenhängen empirisch und theoretisch vorzüglich Wolfgang Streeck (2009) Re-Forming Capitalism: Institutional Change in the German Political Economy, Oxford: Oxford University Press. 18 Niklas Luhmann (1997) Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt: Suhrkamp, 802. 19 Ino Augsberg, Tobias Gostomzyk und Lars Viellechner (2009) Denken in Netzwerken: Zur Rechts- und Gesellschaftstheorie Karl-Heinz Ladeurs, Tübingen: Mohr & Siebeck, 82 ff.; Karl-Heinz Ladeur und Lars Viellechner (2008) „Die transnationale Expansion staatlicher Grundrechte: Zur Konstitutionalisierung globaler Privatrechtsregimes“, 46 Archiv des Völkerrechts, 42–73.

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Unternehmen normieren. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit den Mitteln des private ordering und staatlicher Verhaltensempfehlungen den Primat des shareholder values zugunsten einer stakeholder-Orientierung zu brechen und die limitativen Funktionen der Unternehmensverfassung in den Bereichen Arbeit, Produktqualität, Umwelt und Menschenrechte zu verwirklichen suchen.20

III. Verfassungsstrukturen: Doppelte Reflexivität und binäre Meta-Codierung Die transnationalen Corporate Codes erfüllen Verfassungsfunktionen im doppelten Sinne: Sie setzen konstitutive Regeln für die Autonomie transnationaler Unternehmen und – heute verstärkt – limitative Regeln gegen deren sozialschädliche Tendenzen. Bilden sie aber auch Verfassungsstrukturen im engeren Sinne aus? Dies bestreiten Verfassungsrechtler, die genuine Verfassungsphänomene nur im Nationalstaat anerkennen und entsprechend einem transnationalen und erst recht einem gesellschaftlichen Konstitutionalismus mit Skepsis begegnen.21 Was unter dem Titel Konstitutionalisierung in öffentlichen oder in privaten Ordnungen der Globalität laufe, sei nur eine teils völkerrechtliche teils privatautonome Juridifizierung gesellschaftlicher Bereiche, nicht aber eine Bildung von Verfassungen. Dem wird hier entgegengehalten: Als eigenständige Verfassungen sind die Corporate Codes dann zu kennzeichnen, wenn sie die verfassungstypischen Merkmale doppelter Reflexivität und binärer Meta-Codierung herausbilden. 1. Strukturelle Kopplung reflexiver Mechanismen In der Tat würden die Codes keine Unternehmensverfassung begründen, wenn sie nur primäre Normen setzten, die Verhalten der Unternehmen in den Bereichen Arbeit, Umwelt und Menschenrechte regeln. Ebenso wäre es bloße Juridifizierung, wenn sie nur konfliktlösende Normen in unternehmensinternen Streitigkeiten produzierten oder nur regulative Normen zum

20 Zur limitativen Verfassungsfunktion der Corporate Codes: Abott und Snidal (Fn. 5); Peer Zumbansen (2007) „Varieties of Capitalism and the Learning Firm: Corporate Governance and Labor in the Context of Contemporary Developments in European and German Company Law“, 3 CLPE Law Research Institute Research Paper Series, 1–40; Sol Picciotto (2003) „Rights, Responsibilities and Regulation of International Business“, 42 Columbia Journal of Transnational Law, 131–152, 139. 21 Dieter Grimm (2009) „Gesellschaftlicher Konstitutionalismus: Eine Kompensation für den Bedeutungsschwund der Staatsverfassung?“, in Matthias Herdegen, Hans Hugo Klein, Hans-Jürgen Papier und Rupert Scholz (Hrsg.) Staatsrecht und Politik. Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, München: Beck, 67–81.

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Erreichen unternehmenspolitischer Ziele. Kritisch wird es erst, wenn sie sekundäre Normen vorschreiben, welche die Identifizierung, Setzung, Änderung, Kompetenz zum Erlass und zur Delegation von primären Normen betreffen.22 Die Corporate Codes weisen typisch eine Normenhierarchie von drei verschiedenen Ebenen auf, in der sich in der Tat das Zusammenspiel von primären und sekundären Normen beobachten lässt. Die obere Ebene enthält die Prinzipien der Unternehmensverfassung, die mittlere Ebene normiert Durchsetzung und Überwachung, die untere Ebene enthält die konkreten Verhaltensanweisungen.23 Auf der oberen und mittleren Ebenen der Corporate Codes finden sich eine Fülle solcher sekundären Normen. Diese geraten in die Nähe von konstitutionellen Normen im strengen Sinne, da sie als höherrangige Meta-Normen eine Reflexivität des unternehmensinternen Rechts herstellen. Aber sekundäre Normen als solche machen noch keine Verfassung. Erst der eigentümliche Doppelcharakter der Corporate Codes, der hier als doppelte Reflexivität von Rechtsnormen und Sozialstrukturen gekennzeichnet wird, verwandelt ihre sekundäre Normen in konstitutionelle Normen. Wenn das Recht über seine verhaltenssteuernde, streitschlichtende, regulierende und rahmensetzende Funktion hinaus eine tragende Rolle bei der Selbstkonstituierung einer Sozialordnung übernimmt, erzeugt es Verfassungsrecht. Eine Unternehmensverfassung im strengen Sinne entsteht nur dann, wenn eine strukturelle Kopplung besonderer Art zwischen Unternehmensorganisation und Recht zustande kommt.24 Ausreichend ist noch nicht die Kopplung über primäre Normen, entscheidend ist die strukturelle Kopplung zweier reflexiver Prozesse. Transnationale Unternehmensverfassungen verkoppeln strukturell reflexive Prozesse in der Wirtschaftsorganisation mit reflexiven Rechtsprozessen, mit anderen Worten: sie verknüpfen fundamentale Rationalitätsprinzipien der Organisation mit sekundären Rechtsnormierungen.25 Eine autonome, nicht-staatliche, nicht-politische, also im eigentlichen Sinne zivilgesellschaftliche Konstitutionalisierung findet in den Codes der transnationalen Unternehmen statt, weil sie reflexive Sozialprozesse, die das Ver22 Primäre und sekundäre Normen im Sinne von Herbert L. A. Hart (1961) The Concept of Law, Oxford: Clarendon, 77 ff. 23 Herberg (Fn. 8). 24 Dies ist eine Generalisierung und Respezifizierung des systemtheoretischen Konzepts der politischen Verfassung, wie sie Luhmann entwickelt hat, Niklas Luhmann (1990) „Verfassung als evolutionäre Errungenschaft“, 9 Rechtshistorisches Journal, 176–220. 25 Näher zur Autokonstitutionalisierung privater Regimes Teubner (Fn. 11); Andreas Fischer-Lescano und Gunther Teubner (2006) Regime-Kollisionen: Zur Fragmentierung des globalen Rechts, Frankfurt: Suhrkamp, 53 ff. mit weiteren Nachweisen. Doppelte Reflexivität wird inzwischen auch als Kriterium für die laufende Konstitutionalisierung des global administrative law benutzt, Kuo Ming-Sung (2009) „Between Fragmentation and Unity: The Uneasy Relationship Between Global Administrative Law and Global Constitutionalism“, 10 San Diego International Law Journal, 439–467.

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hältnis der Unternehmen zu ihren Umwelten betreffen, dadurch juridifizieren, dass sie mit ihrerseits reflexiven Rechtsprozessen, also Normierungen der Normierungen verknüpft werden. Unter dieser Bedingung macht es Sinn, von Elementen einer genuinen Verfassung in den Corporate Codes transnationaler Unternehmen zu reden. Gemäß ihrer Funktion der autonomen Verrechtlichung von globalen Wirtschaftsorganisationen weisen die Codes dann auch die typischen Bestandteile einer Verfassung auf: Bestimmungen über die Einrichtung und Ausübung der organisatorischen Entscheidungsprozesse (Organisations- und Verfahrensregeln der Unternehmung) und Normierung der Systemgrenzen über individuelle Freiheiten und über gesellschaftliche Autonomien (Grundrechte von Individuen und Institutionen gegenüber dem Unternehmen). Auf diese Bedingungen sind besonders die Normen der oberen Ebene der Corporate Codes ausgerichtet. Sie betreffen die fundamentalen Entscheidungsprozesse der transnationalen Unternehmen, die sich mit dem Verhältnis der Organisation zu ihren menschlichen und natürlichen Umwelten befassen, also insbesondere das Verhältnis zu den Arbeitnehmern, deren fundamentale Rechte von der Organisation respektiert werden. Die „Leitlinien“ auf der oberen Normenebene sind in der Tat genuine Verfassungsnormen der transnationalen Unternehmen. Ihrer Struktur nach sind sie nicht einfache Verhaltensnormen wie die Regeln und Standards auf der unteren Ebene, auch nicht nur sekundäre Verfahrensnormen wie die Regeln der mittleren Ebene, sondern explizit höherrangige Normen der Unternehmensverfassung, die als allgemeine Prinzipien formuliert sind und die einerseits als Startpunkte der unternehmensinternen Normgenerierung, andererseits als Maßstäbe der internen und externen Normenkontrolle dienen. Dieser reflexive Prozess erfordert gewisse institutionelle Vorkehrungen, besonders die Herausbildung von Verfahrensrollen, die für die Setzung, Modifizierung, Interpretation und Implementation der primären Normierungen zuständig sind. Es ist also besonders die Herausbildung der mittleren Unternehmensebene der internen Kontroll- und Implementationsorgane, die zwischen den abstrakten Unternehmensgrundsätzen und den konkreten Unternehmensentscheidungen vermittelt.26 Die privaten Codes schaffen damit nicht nur autonomes Recht als private ordering, sie konstituieren zugleich eigenständig ihre konstitutionellen Grundlagen, ohne dass sie auf die normative Ermächtigung durch die staatlichen Codes angewiesen sind – sie bilden buchstäblich Verfassungen ohne Staat. Mit einem gewissen Erstaunen registriert entsprechend der Verfassungsrechtler Gerd Winter die Ergebnisse eines von ihm geleiteten empirischen Forschungsprojekts über transnationale Corporate Codes:

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Herberg (Fn. 8).

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„In some respects, the quasi-legal orders of world society themselves show constitutional characteristics. In addition to different social and ecological standards and to existing mechanisms of control and implementation, superior norms develop that define where the decision making power should be located, how violations should be handled, and how third parties should be included. By analogy to state constitutions, private regulations embody mechanisms of self-restraint to reduce intrusions on other actors and other domains. Is world society thus about to develop functional equivalents to the classical constitutional state, and will the latter gradually become marginal?“ 27 2. Binäre Meta-Codierung der Unternehmensverfassung Um der inneren Struktur solcher doppelten Reflexivität auf die Spur zu kommen, wird man an dieser Stelle über das bisherige Verständnis von Verfassungen als strukturellen Kopplungen von Recht und Sozialsystem noch hinausgehen müssen. Denn der Endpunkt einer solchen Konstitutionalisierung transnationaler Unternehmen ist dann erreicht, wenn sich eine eigentümliche binäre Meta-Codierung herausbildet und wenn sich unternehmensinterne Prozesse explizit daran orientieren. Diese Meta-Codierung oszilliert zwischen den auf die Verfassung des Unternehmens bezogenen Werten „code-gerecht“/„code-widrig“.28 Um eine Meta-Codierung handelt es sich deshalb, weil ein solcher Verfassungscode die bereits bestehende binäre Codierung der unternehmensinternen Rechtsnormen der zusätzlichen Prüfung, ob sie den unternehmensverfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen, unterwirft. Hier entsteht also die für alle Verfassungen – für politische Staatsverfassungen, für Sozialverfassungen oder Organisationsverfassungen – typische Hierarchie zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht. Dem Rechtscode (rechtmäßig/rechtswidrig) wird der Verfassungscode (verfassungsmäßig/verfassungswidrig) übergeordnet. Der Witz der Meta-Codierung aber liegt nun darin, dass sie nicht nur dem Rechtscode übergeordnet ist, sondern zugleich dem Wirtschaftscode, dass sie also alle ökonomisch binär codierten Operationen der Unternehmung der Reflexion aussetzt, ob sie den Grund27 Olaf Dilling, Martin Herberg und Gerd Winter (2008) „Introduction: Private Accountability in a Globalising World“, in Olaf Dilling, Martin Herberg und Gerd Winter (Hrsg.) Responsible Business: Self-Governance and Law in Transnational Economic Transactions, Oxford: Hart, 1–14, 8. 28 Eine terminologische Verwirrung ist an dieser Stelle beinahe unvermeidlich. „Code“ hat zwei unterschiedliche Bedeutungen. Die eine geht auf Codex und Kodifizierung zurück und erzeugt „Corporate Code of Conduct“, „Verhaltenskodex“ etc. Die andere ist binäre Codierung, also die Ausrichtung eines Handlungssystems auf eine „distinction directrice“, etwa Recht/Unrecht, moralisch/unmoralisch etc. In den corporate codes fließen beide Bedeutungen zusammen, müssen aber analytisch auseinandergehalten werden.

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sätzen einer öffentlichen Verantwortung der Unternehmung entsprechen oder nicht. Diese Meta-Codierung ist also ein Hybrid. Sie dient als fiktive Einheitsformel für zwei ganz unterschiedliche Verfassungskontrollen in der Unternehmung. Sie ist einerseits den rechtlichen, andererseits den ökonomischen Codierungen hierarchisch übergeordnet. Daher nimmt sie unterschiedliche Bedeutungen an, je nachdem, ob sie den ökonomischen Code oder den Rechtscode kontrolliert. In den wirtschaftlichen Zusammenhängen dient sie der Reflexion der gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens und sucht nach Strategien für umweltverträgliches wirtschaftliches Handeln. Im Zusammenhang des unternehmensinternen Rechts führt sie die Trennung von einfachem Recht und Verfassungsrecht ein und kontrolliert einfache Rechtsakte daraufhin, ob sie den im Unternehmensverfassungsrecht festgelegten Werten und Prinzipien entspricht. Obwohl der Verfassungscode sich vordergründig als Einheitsformel präsentiert, ist er je nach Handlungszusammenhang entweder wirtschaftlicher Meta-Code oder rechtlicher Meta-Code. Das hängt damit zusammen, dass die Unternehmensverfassung als strukturelle Kopplung zweier wechselseitig geschlossener Sozialsysteme, Ökonomie und Recht im Unternehmen, selbst kein einheitliches Sozialsystem bildet. Beide Systeme verschmelzen nicht in der Unternehmensverfassung, sondern bleiben ihrem jeweiligen Operationszusammenhang verhaftet. Das ist der Grund dafür, dass die Differenz codegerecht/code-widrig nur eine gemeinsame Dachformel für je unterschiedliche Sinnoperationen ist, die je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Die Meta-Codierung veranlasst den re-entry von Grundprinzipien der Wirtschaftsorganisation in das Recht als Verfassungsprinzipien und umgekehrt den re-entry von Recht in die Unternehmensorganisation.29

IV. Verfassungsinstitutionen: Ultrazyklische Verknüpfung privater und staatlicher Corporate Codes Lassen sich in dieser Weise Verfassungsfunktionen und -strukturen aufweisen, so bereitet es doch beträchtliche Schwierigkeiten, die institutionelle Struktur der Corporate Codes theoretisch genauer zu erfassen. Manche 29 Dieser Zusammenhang von struktureller Kopplung und hybrider Meta-Codierung lässt sich deutlicher noch in den entwickelten politischen Verfassungen der Moderne beobachten. Auch dort wirkt die Differenz verfassungsmäßig/verfassungswidrig als binärer Metacode zweier ihrerseits binär codierter Systeme, des Rechts und der Politik, ohne dass aber über den Metacode die Verfassung zu einem einzigen System verschmelzen würde. Solche Meta-Codierungen tauchen (implizit oder explizit) dann auch im gesellschaftlichen Konstitutionalismus in den strukturellen Kopplungen des Rechts mit verschiedenen Sozialsystemen auf.

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Autoren beschreiben sie als die „new sovereignty“ transnationaler Unternehmen und betonen damit deren uneingeschränkte Selbstregulierung.30 Dies wird jedoch der eigentümlichen Verknüpfung der privaten Codes mit den öffentlichen Codes der Staatenwelt und den vielfältigen normativen Abhängigkeiten mit den Unternehmensumwelten nicht gerecht. Denn die heute relevanten Corporate Codes entstehen aus der konflikthaften Interaktion dreier Akteursgruppen – überstaatliche Institutionen, zivilgesellschaftliche Gruppen und transnationale Unternehmen – deren Beziehung zueinander aber ungeklärt ist.31 1. Inversion nationalstaatlicher Hierarchien Diese Beziehung versuchen andere Autoren als „governance triangles“ zu modellieren.32 Dies aber ist ebenso wenig geeignet, die gesellschaftliche Einbettung der Codes zu erfassen. Das Modell suggeriert fälschlich, dass hier ein transnationales Äquivalent des staatlich organisierten neo-korporatistischen Dreiecks der europäischen Sozialstaaten entsteht. Dann erscheinen die Corporate Codes nur noch als globale Varianten der nationalstaatlichen Unternehmensverfassungen – Staatsbeteiligungen, Aufsichtsratmitbestimmung, betriebliche Mitbestimmung, Tarifautonomie – die aus der organisierten Kooperation von Staat, Kapital und Arbeit hervorgegangen sind.33 Gegenüber den Unternehmensverfassungen der Nationalstaaten ist man hier jedoch mit einer ganz andersartigen Konstellation konfrontiert. Auch das Modell der „multi-level-governance“ ist für das eigenartige Zusammenspiel der beiden transnationalen Code-Typen wenig passend.34 Zwar lassen sich nationalstaatliche Unternehmensverfassungen durchaus als ein Mehrebenen-Arrangement von staatlichen Verfassungsnormen, gesetzlichen und richterrechtlichen Regeln und organisationsinternem private 30 Diese Kennzeichnung dient dann auch gleich der Kritik, dass „self-policing“ nicht funktionieren kann, z.B. Mahmood Monshipouri, Claude E. Jr. Welch und Evan T. Kennedy (2003) „Multinational Corporations and the Ethics of Global Responsibility: Problems and Possibilities“, 25 Human Rights Quarterly, 965–989, 989. 31 Die Trilateralität betont Adelle Blackett (2004) „Codes of Corporate Conduct and the Labour Regulatory State in Developing Countries“, in John J. Kirton und Michael J. Trebilcock (Hrsg.) Hard Choices, Soft Law: Voluntary Standards in Global Trade, Environment and Social Governance, Aldershot: Ashgate, 121–133, 129. 32 So Abbott und Snidal (Fn. 5), 512 ff. 33 Zu dieser Parallele Tonia Novitz und Phil Syrpis (2006) „Assessing Legitimate Structures for the Making of Transnational Labour Law: The Durability of Corporatism“, 35 Industrial Law Journal, 367–394. 34 Dazu Sol Picciotto (2008) „Constitutionalizing Multilevel Governance?“, 6 International Journal of Constitutional Law, 457–479; Ian Bache und Matthew Flinders (2004) „Themes and Issues in Multilevel Governance“, in Ian Bache und Matthew Flinders (Hrsg.) Multi-level Governance, Oxford: Oxford University Press, 1–14.

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ordering verstehen. Auch bietet es ein angemessenes Modell für die neuartigen Formen des Regierens, die in der Europäischen Union und in der Welthandelsorganisation entstehen. Aber seine Übertragung auf die globalen Unternehmensverfassungen ist verfehlt. Außer der nur formalen Ähnlichkeit, dass Rechtsregeln auf verschiedenen staatlichen und privaten Ebenen erlassen werden, weisen die Corporate Codes gerade nicht die Merkmale auf, die für „Multi-level-governance“ typisch sind. Weder sind die staatlichen Codes den privaten in einer Normenhierarchie übergeordnet, noch existieren hier quasi-föderale Beziehungen. Die andersartigen Bedingungen des Transnationalen ebenso wie die Resultate der ersten Konstitutionalisierungswelle, insbesondere die hochgetriebene Autonomie der transnationalen Unternehmen, haben gegenüber den nationalstaatlichen Unternehmensverfassungen die Beziehungen zwischen staatlichen und privaten Kollektivakteuren fundamental verändert. In den drastischen Worten eines Beobachters: „Contract replaces law; networks of relationships replace a political community; interest replaces territory; the regulated becomes the regulator.“ 35 In den nationalstaatlichen Unternehmensverfassungen Europas fand die Verknüpfung von staatlichen und privaten Normen bekanntlich in drei hierarchischen Formationen statt. Die Unternehmensverfassung beruhte auf dem klaren Primat des Staates in Form von verfassungsrechtlichen und einzelgesetzlichen Normierungen. Der Staat organisierte per Gesetz neokorporatistische Formen der Kooperation von Kapital, Arbeit und Staat durch Mitbestimmungsregeln im Aufsichtsrat, durch Entscheidungsrechte des Betriebsrats und durch die Normen des Tarifsystems. Das staatliche Privat- und Gesellschaftsrecht erließ Haftungsregeln und ordnete die Ausrichtung des Unternehmensinteresses auf verschiedene stakeholder-Interessen und das Gemeinwohl an. In den Problembereichen Arbeitsschutz, Produktqualität und Umweltschutz schrieb der Staat drastische Beschränkungen der Unternehmensaktivitäten vor. Die privaten Normierungen der Unternehmen dagegen waren staatlichem Recht klar untergeordnet; sie blieben auf die Autonomieräume begrenzt, die staatliche Normierungen ihnen ließen. Diese nationalstaatliche Normenhierarchie lässt sich im Begriffspaar hard law/soft law fassen. Der Staat erlässt hard law im Gesellschaftsrecht, Mitbestimmungsrecht und Regulierungsrecht in Form von verbindlichen und sanktionsbewehrten Normen. Unternehmensinterne Normen sind dagegen nur eine Spielart von soft law, weil sie als Ausdruck der Privatautonomie nicht als genuine Rechtsnormen anerkannt sind, weil ihre Verbindlichkeit und Durchsetzung von staatlicher Anerkennung abhängt und weil sie der

35 Larry Catá Backer (2008) „Multinational Corporations as Objects and Sources of Transnational Regulation“, 14 ILSA Journal of International & Comparative Law, 1–26, 26.

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Kontrolle staatlicher Gerichte unterworfen sind, als deren Resultat sie häufig aufgehoben oder verändert werden. Gegenüber dieser traditionellen Hierarchie sind nun in den transnationalen Codes einschneidende Veränderungen zu beobachten, die sich den traditionellen Kategorien nicht fügen. „Von den klassischen Rechtsbegriffen aus – wenn man zum Beispiel Recht als sanktionierten Befehl staatlicher Organe begreift – lässt sich die Veränderung der Art, wie Recht ist, was es ist, kaum fassen. Rechtsbegriffe der Rechtswissenschaft, die auf ein Entweder/ Oder der Geltung zugeschnitten sind, eignen sich nicht dazu, sublime Verschiebungen in der Art, wie Recht seine Funktion erfüllt und als Sinn erlebt wird, aufzudecken.“ 36 In den Codes ist geradezu eine Inversion der Hierarchie zwischen staatlichem Recht und private ordering zu beobachten. Eine dramatische Umkehrung findet besonders in der hard-law/soft-law-Qualität der staatlichen und der privaten Corporate Codes statt: Jetzt weisen gerade die Staatsnormen nur noch die Qualität von „soft law“ auf, während das bloße private ordering der transnationalen Unternehmen zu neuen Formen des „hard law“ erstarkt. Die völkerrechtlichen Normen, die etwa die UNO in den Codes of Conduct für transnationale Unternehmen in Kraft gesetzt haben, sind nicht mit den verbindlichen Normen vergleichbar, wie sie nationalstaatliche Parlamente und Verfassungsgerichte für die Unternehmensverfassung erlassen. Zwar war ursprünglich in den „Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations“ von 2003 geplant, dass eine supranationale Regulierungsinstanz mit völkerrechtlich verbindlichen und sanktionsbewehrten Normen das Verhalten der transnationalen Unternehmen unmittelbar regelt.37 Doch der massive Widerstand einflussreicher Nationalstaaten und der Interessenvertretungen der Unternehmen markierte die Wende. Die zuletzt verabschiedete Fassung enthielt nur noch „soft law“: unverbindliche Empfehlungen, deren Umsetzung nicht mit Rechtssanktionen erzwungen werden kann.38 Die unternehmensinternen Codes wiederum sind zwar bloßes nicht-staatliches „private ordering“, aber sie sind geltendes Recht mit hoher Verbindlichkeit und effektiven Sanktionen. Ihren genuinen Rechtscharakter bestreitet zwar die Privatrechtsdogmatik immer noch vehement, da sie auf der staatlichen Ableitung normativer Geltungsansprüche besteht und private 36

Niklas Luhmann (1987) Rechtssoziologie, Opladen: Westdeutscher Verlag, 341. U.N. Economic and Social Council [ECOSOC], Sub-Committee on the Promotion and Protection of Human Rights, Economic, Social and Cultural Rights: Draft Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/12 (May 30, 2003). 38 Dazu mit klugen Beobachtungen Larry Catá Backer (2005) „Multinational Corporations, Transnational Law: The United Nation’s Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations as Harbinger of Corporate Responsibility in International Law“, 37 Columbia Human Rights Law Review, 101–192. 37

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ordering nicht als Recht anerkennt.39 Und erst allmählich erstarken ökonomisch und soziologisch inspirierte Rechtskonzepte, die den privaten Normordnungen transnationaler Akteure – unter bestimmten Bedingungen – Rechtscharakter zusprechen.40 Die unternehmensinternen Codes sind für die Akteure unmittelbar verbindlich und sie sind mit wirksamen Sanktionen ausgestattet, die von eigens dafür eingerichteten compliance department vollzogen werden.41 Dadurch schotten sich die unternehmensinternen Organisationsregeln von den staatlichen Regelwerken ab. Im direkten Gegensatz zu der üblichen normhierarchischen Beziehung zwischen staatlichen und privaten Normen fungieren die staatlichen Codes nicht als Ermächtigungsgrundlage für die Geltung der privaten Codes der transnationalen Unternehmen. Sie beziehen ihre Geltung aus einer eigenständigen Verbindung primärer und sekundärer Normen in der Welt des private ordering. Sie bilden ein nicht-staatliches geschlossenes System normativer Geltung, das selbst hierarchisch aufgebaut ist. Wie oben schon gesagt enthält die obere Ebene die Prinzipien der Unternehmensverfassung, die mittlere Ebene normiert Durchsetzung und Überwachung, die untere Ebene enthält die konkreten Verhaltensanweisungen. Ihre Geltungsgrundlage erzeugen sie also selbst in eigenen konstitutionellen Normierungen, die die unternehmensinternen Normen, die Verhalten nach dem Rechtscode beurteilen, selbst einem Verfahren unterwerfen, in dem sie nach dem Verfassungscode beurteilt werden. 2. Hyperzyklus und Ultrazyklus Allerdings greift auch die Vorstellung der Inversion einer Hierarchie noch zu kurz. Zutreffend erfasst sie den klaren faktischen und normativen Primat der privaten vor den staatlichen Codes. Aber dieser Primat ist nicht hierarchischer Natur. Schon eher angemessen ist die Differenz zweier wechselseitig geschlossener Rechtsordnungen. Die staatlichen Normen werden nicht etwa den privaten Normen untergeordnet, vielmehr werden sie aus dem Inneren der Normsetzung in die Unternehmensumwelt verbannt. Die Vorstellung eines einheitlichen Rechtsraumes für staatliche und private Normie39 Die traditionelle Doktrin des private ordering unterzieht einer scharfsinnigen Kritik Johannes Köndgen (2006) „Privatisierung des Rechts: Private Governance zwischen Deregulierung und Rekonstitutionalisierung“, 206 Archiv für die civilistische Praxis, 477–525, 479 ff. 40 Köndgen (Fn. 39), 508 ff.; Gralf-Peter Callies (2006) Grenzüberschreitende Verbraucherverträge: Rechtssicherheit und Gerechtigkeit auf dem elektronischen Weltmarktplatz, Tübingen: Mohr Siebeck, 182 ff.; Erich Schanze (2005) „International Standards: Functions and Links to Law“, in Peter Nobel (Hrsg.) International Standards and the Law, Bern: Staempfli, 83–103; Gunther Teubner (1996) „Globale Bukowina: Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus“, 15 Rechtshistorisches Journal, 255–290, 267 ff. 41 Herberg (Fn. 8).

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rungen wird damit obsolet. Es entstehen zwei unabhängige Rechtsräume, ein autonomes privat geordnetes zwingendes Binnenrecht der Unternehmen und ein staatlich geregeltes Ensemble normativer Verhaltensempfehlungen. Die genauere Bestimmung dieser wechselseitig geschlossenen Rechtsräume ist nicht einfach. Jedenfalls handelt es sich nicht um Systeme im strengen Sinne, die sich durch operative Schließung bilden. Ihre Schließung beruht gerade nicht auf der Unterschiedlichkeit ihrer Operationen, denn beide CodeOrdnungen werden durch Rechtsoperationen gebildet. Vielmehr entsteht ihre wechselseitige strukturelle Schließung durch strikte Geltungsbeschränkung auf den jeweiligen Bereich und durch ihre unterschiedliche Qualität als zwingende Normierung und bloße normative Empfehlung.42 Auf diese Weise bilden die privaten und die staatlichen Codes zwei wechselseitig gegeneinander geschlossene Rechtsordnungen, zwischen denen kein Geltungstransfer stattfindet. Es wäre ein weiteres Missverständnis, die Grenzen zwischen privatem Code-Zentrum und staatlicher Code-Peripherie als Grenzen zwischen formalen Organisationen – transnationaler Wirtschaftsunternehmen einerseits und internationaler Organisationen andererseits – zu bestimmen. Vielmehr bilden sich beide Rechtsräume in der Form weitläufiger Normverflechtungen unterschiedlicher Kollektivakteure, was dann das gesamte Normengefüge als Verhältnis zweier unterschiedlicher geschlossener Netzwerke verstehen lässt. Auf der einen Seite haben die unternehmensinternen Codes längst die Grenzen der Einzelunternehmen überschritten. Sie gelten inzwischen auch für Unternehmensverflechtungen in Konzernen und über nationale Grenzen hinaus für Unternehmenszentralen und ihre Tochterunternehmen, die in vielen Fällen Tausende von Einzelunternehmen umfassen. Schließlich wurden unter dem Druck der Öffentlichkeit und zivilgesellschaftlicher Organisationen ihre Geltung auch noch über die Konzerngrenzen ausgedehnt. Über vertragliche Verpflichtungen binden die Konzerne sowohl ihre Zulieferunternehmen als auch die Absatzketten an die Standards ihrer Corporate Codes und benutzen den Vertragsmechanismus auch dazu, schlagkräftige Überwachungs- und Sanktionssysteme einzuführen.43 Auf der anderen Seite finden sich Vernetzungen im Rechtsraum des soft law der Staaten42 In der Sprache der Systemtheorie: Binnendifferenzierungen des globalen Rechtssystems entstehen nicht etwa daraus, dass sich neuartige Rechtsoperationen bilden, die sich verketten und damit eine operative Schließung erzeugen. Stattdessen entstehen unterschiedliche Rechtsordnungen durch strukturelle Schließungen der prinzipiell gleichartigen Rechtsoperationen über ganz unterschiedliche Grenzmarkierungen, etwa territorialer, funktionaler, jurisdiktionaler oder rechtsdogmatischer Art. Man muss also strikt zwischen unterschiedlichen Formen der Schließung unterscheiden, welche dann auch unterschiedliche Formen der Öffnung nach sich ziehen. Vorläufige Überlegungen dazu Gunther Teubner (1991) „L’ouvert s’appuye sur le fermé: Offene Fragen zur Offenheit geschlossener Systeme“, 31 Sozialforschung, 287–291. 43 Dazu die aufschlussreiche Fallstudie zu GAP bei Backer (Fn. 35) 10 ff.

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welt. Hier sind mannigfache Querverbindungen zwischen den Corporate Codes der ILO, der OECD, der UNO und der EU entstanden.44 Das Verhältnis der beiden geschlossenen Code-Netzwerke zueinander schließlich fügt sich mit Sicherheit nicht mehr dem traditionellen Verhältnis von privaten und staatlichen Unternehmensverfassungsnormen. Häufig versucht man deshalb, dies Verhältnis zwischen beiden Code-Netzwerken seinerseits als ein einziges großes Netzwerk oder gar als Netzwerk der Netzwerke, als Meta-Netzwerk, zwischen staatlichen und privaten Akteuren zu verstehen.45 Das ist nicht falsch, lässt aber gerade relevante Unterschiede verschwinden. Genauer erfasst man das Verhältnis der Netzwerke mit der Differenz von Hyperzyklus und Ultrazyklus.46 Ein Hyperzyklus wird dann aufgebaut, wenn innerhalb eines geschlossenen Netzwerks Operationskreisläufe bestehen, die ihrerseits zirkulär miteinander verknüpft sind. Ein Ultrazyklus entsteht dagegen dann, wenn zwischen geschlossenen Netzwerken ein Kreislauf von wechselseitigen Irritationen aufgebaut wird. Innerhalb der privaten Corporate Codes sind die Vernetzungen hyperzyklischer Natur. Denn zwischen den zirkulären Rechtsoperationen, die innerhalb des Netzwerks verschiedener formaler Organisationen, also der TNCs, ihrer Zulieferer und ihrer Vertriebsorganisationen aneinander anschließen, werden interorganisatorische Direktanschlüsse aufgebaut. Das heißt, dass die Geltungsoperationen des private ordering über innerorganisatorisches Recht und über verbindliche interorganisatorische Verträge unmittelbar aneinander anschließen. Innerhalb dieses Netzes privater Rechtsoperationen wird die Geltung verbindlicher Normen transferiert und werden bei Normbrüchen Sanktionen angeordnet. So entsteht durch hyperzyklische Verknüpfungen der TNCCodes und der anderer Wirtschaftsunternehmen ein geschlossener Geltungsraum des private ordering. Gänzlich anders aber werden diese untereinander vernetzten privaten Codes mit den staatlichen Codes verknüpft. Für diese Art der Verknüpfung ist nicht das Modell des Hyperzyklus, sondern das des Ultrazyklus zutreffend. Zwar erfüllen auch die staatlichen Codes die Funktion, bestimmte, politisch erwünschte Aufgaben und Pflichten zu definieren und auf diesem Wege Grenzen zwischen erlaubten und nicht erlaubten Handlungen zu etablieren. Aber im Unterschied zu den firmen-eigenen Codices, die einen hohen Grad an Rechtsverbindlichkeit erzeugen, handelt es sich bei den staat44

Dazu im Detail Murphy (Fn. 4). Abott und Snidal (Fn. 5), 525 f. 46 Zu den Unterschieden zwischen beiden Gunther Teubner (1999) „Eigensinnige Produktionsregimes: Zur Koevolution von Wirtschaft und Recht in den varieties of capitalism“, 5 Soziale Systeme, 7–25, 12 ff.; ders. (1987) „Hyperzyklus in Recht und Organisation: Zum Verhältnis von Selbstbeobachtung, Selbstkonstitution und Autopoiese“, in Hans Haferkamp und Michael Schmid (Hrsg.) Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung: Beiträge zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt: Suhrkamp, 89–128. 45

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lichen Leitlinien nur um pure Verhaltensappelle und informelle Empfehlungen. Auch sie sind geltendes Recht, aber in einer paradoxen Form: geltendes Recht ohne Anspruch auf Verbindlichkeit und ohne Rechtssanktionen.47 Das bedeutet, dass die privaten Codes, die sich als selbstreferentiell geschlossene Geltungskreisläufe präsentieren, nicht nur in ihrer Geltung von den staatlichen Codes völlig unabhängig sind, sondern auch, dass die staatlichen Codes in ihren Normierungen nicht einmal an die privaten Normierungen anschließen können. Sie nehmen, weil außerhalb des Geltungsbereichs, an der Einheit der unternehmensinternen Codes nicht teil. Sie können nur von außen appellieren, anregen, motivieren, nötigen, nicht aber Geltung anordnen oder Geltung aussetzen. Sie sind nur externe Irritationen für den inneren Geltungskreislauf der privaten Codes. Die Codes der UNO, der ILO, der OECD und der EU sind bloße Verfassungsimpulse, die – gewiss einflussreiche – internationale Organisationen in Richtung der transnationalen Unternehmen aussenden. Ob sie sich dort zu verbindlichen konstitutionellen Normen verdichten, wird aber nicht von Instanzen der Staatenwelt, sondern in den Binnenprozessen privater Organisationen entschieden. 3. Lern-Pressionen: interne Änderungen aufgrund externen Zwangs Wenn sich nun unter bestimmten Bedingungen Wechselwirkungen zwischen den Codes einspielen, dann bildet sich ein Ultrazyklus, ein Perturbationskreislauf zwischen den staatlichen und den private Codes, heraus. In den üblichen Formulierungen der Vernetzung von privaten und staatlichen soft-law-regimes wird der fundamentale Unterschied, der zwischen dem Hyperzyklus der Geltungsoperationen des private ordering und dem Ultrazyklus von staatlichen und privaten Codes besteht, verdeckt. Das aber sollte nicht dazu verleiten, die Ultrazyklen als bloße Polit-Kosmetik abzutun, als bloßen Außenlärm der Staatenwelt, durch den sich die unternehmensinternen Codices nicht beeindrucken lassen. Ruggie betont dies besonders für den Global Compact: „Activist groups and some mainstream NGOs fear that because the UNGC is not a code of conduct, with explicit performance standards and compliance monitoring, the Compact gives companies a free ride. But … the Compact is a mechanism intended to engage companies in the promotion of UN goals, not to regulate them. Regulation is a perfectly valid objective, but it is not the only one that counts …“ 48 47 Den paradoxen Charakter des soft law als geltendes Formalrecht betont auch Orly Lobel (2004) „The Renew Deal: The Fall of Regulation and the Rise of Governance in Contemporary Legal Thought“, 89 Minnesota Law Review, 342–470, 389. 48 John Gerald Ruggie (2003) „Taking Embedded Liberalism Global: The Corporate Connection“, NYU IILJ Working Paper 2003/2, 23, n. 64.

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Aber was zählt? Worauf es ankommt, sind Lern-Pressionen, d.h. externe Zwänge zu lernender Anpassung, die auf die transnationalen Unternehmen ausgeübt werden. Beide Elemente müssen vorhanden sein, um ein Zusammenwirken der staatlichen und der privaten Codes zu ermöglichen: Änderung kognitiver Strukturen und ein darauf gerichteter Zwang. Andernfalls kommt es nicht zu ultrazyklischen Verknüpfungen und die staatlichen Codes bleiben folgenlose Außenimpulse. Hier macht sich die oben angesprochene spezielle Art der wechselseitigen Schließung der beiden Netzwerke bemerkbar. Sie erfordert eine ihrerseits spezielle Art der wechselseitigen Öffnung. „L’ouvert s’appuye sur le fermé“. Ein Geltungstransfer zwischen ihnen ist ausgeschlossen, stattdessen werden Lern-Pressionen, also andere Mechanismen der wechselseitigen Öffnung aufgebaut. An dieser Stelle wird eine der wichtigsten Wandlungen der Rechtsstruktur sichtbar, die sich im Übergang zur Weltgesellschaft vollziehen. Luhmann hat diesen Wandel folgendermaßen gekennzeichnet: „dass auf der Ebene der sich konsolidierenden Weltgesellschaft nicht mehr Normen (in Gestalt von Werten, Vorschriften, Zwecken) die Vorauswahl des Erkennenden steuern, sondern dass umgekehrt das Problem lernender Anpassung den strukturellen Primat gewinnt und die strukturellen Bedingungen der Lernfähigkeit aller Teilsysteme abgestützt werden müssen.“ 49 Das bedeutet, dass im Verhältnis der beiden Code-Ordnungen nicht einfach im Medium des Rechts kommuniziert wird, also die Geltung normativer Erwartungen durch Rechtsoperationen von einem Code zu anderen transferiert wird. Stattdessen werden über nicht-rechtliche Medien – über Expertenwissen, über politische und gesellschaftliche Macht und über monetäre Anreize und Sanktionen – Lernprozesse der unternehmensinternen Rechtscodes angestoßen, ja geradezu erzwungen.50 Kognitiver Primat heißt nicht etwa, dass die Corporate Codes ihre rechtsnormative Qualität verlieren und nur noch als kognitive Erwartungen fungieren. Denormativiert werden nur die Beziehungen zwischen ihnen, weil sie auf kognitive Mechanismen umstellen; die Codes selbst bleiben normative Ordnungen. Worin besteht das erste Element der Lern-Pressionen – das kognitive Lernen? Die staatlichen Codes bilden für die privaten Codes nur „templates“, 49 Niklas Luhmann (1975) „Die Weltgesellschaft“, in Niklas Luhmann (Hrsg.) Soziologische Aufklärung Band 2: Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Opladen: Westdeutscher Verlag, 51–71, 63. 50 Eindringlich zu den hier involvierten Lernprozessen am Beispiel der europäischen Initiativen zur Unternehmensverantwortung Marc Amstutz und Vagios Karavas (2009) „Weltrecht: Ein Derridasches Monster“, in Gralf-Peter Callies, Andreas Fischer-Lescano, Dan Wielsch und Peer Zumbansen (Hrsg.) Soziologische Jurisprudenz: Festschrift für Gunther Teubner zum 65. Geburtstag, Berlin: De Gruyter, 646–672, 655 ff.

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Verhaltensmodelle, Prinzipien, best practices, Empfehlungen. Die ultrazyklische Verknüpfung beider Codes löst Lernprozesse aus, die gerade nicht als Geltungstransfers innerhalb einer autonomen Rechtsordnung stattfinden, sondern über die Grenzen autonomer Ordnungen hinweg verlaufen und deren Besonderheit darin bestehen, dass sich die beteiligten Ordnungen nicht zu einer einheitlichen Rechtsordnung mit gemeinsamen Rechtsoperationen zusammenschließen, sondern erst über komplizierte kognitive Prozesse an ihre eigenen Bedingungen adaptiert werden.51 Gerade ihre Trennung ermöglicht einen kognitiven Mehrwert, der immer dann erzeugt wird, wenn die Funken der Perturbation über die Grenzen zwischen den beteiligten Codes springen und dort zu normativen Innovationen führen können. Der Ultrazyklus beseitigt gerade nicht ihre Autonomie, um einen Kreislauf gleichartiger Rechtsakte aufzubauen, sondern nützt sie in einem Perturbationskreislauf zur Produktion jeweils neuen Normen, des hard law in den unternehmensinternen Codes und des soft law in den Codes der Staatenwelt. Der besondere Lerneffekt besteht darin, dass die staatlichen Codes Normen ausbilden, an denen die Unternehmen ablesen können, welche gesellschaftlichen Erwartungen an sie gestellt werden, ohne dass sie diese eins zu eins übernehmen müssen. Die staatlichen Codes kompensieren den Tunnelblick, den die privaten Codes ausgebildet haben und provozieren eine Orientierung an einer transnational public policy. Hier geben die staatlichen Codes ähnliche konstitutionelle Lernanstöße wie die Normerwartungen, die Protestbewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen an die ökologische Orientierung von Unternehmen stellen. Worin besteht das zweite Element – der Zwang? Rechtssanktionen spielen in diesem Prozess der Lernpressionen keine entscheidende Rolle. Nicht Rechtssanktionen sind dafür verantwortlich, dass die Unternehmen die staatlichen Codes als Lernanstöße nehmen, um eigene Codes für ihre Sonderbedingungen zu entwickeln. Stattdessen wirken außerrechtliche Mechanismen. Zuallererst nötigen interorganisatorische Machtprozesse – einseitiger Druck und politischer Tausch – die Unternehmen dazu, ihre Codes zu entwickeln. Dass dieser Außendruck eine unabdingbare Bedingung dafür ist, dass Corporate Codes überhaupt eine Wirkung entfalten, kann nicht stark genug betont werden.52 Nach den bisherigen Erfahrungen haben die dazu erforderlichen Machtressourcen Nationalstaaten wie internationale Organisationen der Staatenwelt generiert, jedoch nur zu einem gewissen Ausmaß. Als sehr viel stärker haben sich bisher die Machtpressionen der Protestbewe51

Murphy (Fn. 4). Abbott und Snidal (Fn. 5), 506 resümieren: „These norms are ,voluntary‘ in the sense that they are not legally required; however, firms often adhere because of pressure from NGOs, customer requirements, industry association rules, and other forces that render them mandatory in practice.“ 52

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gungen, der NGOs, der Gewerkschaften, der Non-profit-Organisationen und der öffentlichen Meinung erwiesen. Den letzten Ausschlag geben häufig ökonomische Sanktionen: die Sensibilität der Verbraucher, von deren Kaufverhalten die Unternehmen abhängig sind, und die bestimmter Anlegergruppen, die mit ihrem Anlageverhalten auf die Unternehmen wirtschaftlichen Druck ausüben.53 Ob nach der Finanzkrise die Staatenwelt eine effektive Führungsrolle im externen Druck auf die Unternehmen übernehmen werden, bleibt abzuwarten. Die neuesten Nachrichten stimmen da eher skeptisch. Hinter der Metapher der „voluntary codes“ verbirgt sich also alles andere als Freiwilligkeit. Transnationale Unternehmen erlassen ihre Codes weder aus Einsicht in die Gemeinwohlanforderung noch aus Motiven der Unternehmensethik. „Freiwillig“ fügen sie sich nur, wenn von außen massive LernPressionen ausgeübt werden. Der Lernprozess verläuft nicht im Rechtssystem von Code zu Code über Geltungstransfer, sondern erst auf Umwegen über andere Funktionssysteme. Es ist nicht hinreichend, dies so beschreiben, als werden hier Rechtssanktionen durch soziale Sanktionen ersetzt. Damit unterschlägt man die einschneidenden Konsequenzen, die solch umweghafte Lernpressionen haben. In den beschriebenen ultrazyklischen „Übersetzungsprozessen“ werden vielmehr Systemgrenzen überschritten, entsteht ein Perturbationskreislauf zwischen Rechtsakten, Pressionen politischer und gesellschaftlicher Macht, Erkenntnisoperationen von epistemic communities und ökonomischen Sanktionen. Die ursprünglichen Normgehalte werden drastisch verändert, wenn das soft law der staatlichen Codes „übersetzt“ wird in die Sprache des Expertenwissens, das Modelle entwirft und Monitoring organisiert, in die interorganisatorische Macht von politischen Verhandlungen zwischen internationalen Organisationen, NGOs und transnationalen Unternehmen, in die der Reputationsmechanismen der Öffentlichkeit und in die der monetären Anreize und Sanktionen – und wenn es schließlich in die Rechtssprache des hard law der unternehmensinternen Codes „rückübersetzt“ wird. Diese indirekte Art der Verknüpfung der beiden Codes macht deutlich, dass eine Autokonstitutionalisierung der Unternehmen nicht aufgrund intrinsischer Motive der Freiwilligkeit, aber auch nicht über die Sanktionsmechanismen des Rechts, sondern nur aufgrund umweghafter externer Lern-Pressionen zustande kommt.

53 Eine detaillierte Analyse des Zusammenhangs von externem Druck und interner Unternehmensstruktur bei Jennifer Howard-Grenville, Jennifer Nash und Cary Coglianese (2008) „Constructing the License to Operate: Internal Factors and Their Influence on Corporate Environmental Decisions“, 30 Law and Policy, 73–107.

Zur Signalstärke der Entsprechenserklärung Axel v. Werder A. Regulierungsphilosophie des Kodex Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK), eingeführt am 26. Februar 2002 und von der Regierungskommission mehrfach überarbeitet,1 enthält in seiner aktuellen Fassung vom 18. Juni 2009 insgesamt 82 Empfehlungen und 16 Anregungen 2 zur Unternehmensleitung und -überwachung. Weder die Empfehlungen noch die Anregungen des Kodex sind für die Unternehmen im Sinne eines Gesetzes verbindlich. Die Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter deutscher Gesellschaften 3 müssen nur – aber auch immerhin – gem. § 161 Abs. 1 AktG jährlich erklären, welchen Empfehlungen entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Der Kodex folgt damit der international verbreiteten Regelungsphilosophie des comply or explain. Er belässt den Unternehmen mit der Zulässigkeit von Kodexabweichungen Spielräume für die Ausgestaltung ihrer jeweiligen Corporate Governance, damit sie ihren spezifischen Besonderheiten Rechnung tragen können. Auf der anderen Seite wird mit der Entsprechenserklärung dafür gesorgt, dass die Aktionäre und anderen Stakeholder sich ein Bild von den jeweils gewählten Governancemodalitäten machen können. Sofern Abweichungen vom Kodex diese Adressaten nicht überzeugen, können sie eine der beiden grundsätzlichen Reaktionsmöglichkeiten voice und exit, die unzufriedenen Transaktionspartnern zur Verfügung stehen,4 wählen. Je nach Interessenlagen und Einflussmöglichkeiten können sie danach entweder (z.B. über die Hauptversammlung) auf eine Änderung des Governanceverhaltens dringen oder ihre Beziehung zu dem Unternehmen (z.B. durch Veräußerung ihrer Anteile) beenden.

1

Siehe näher Ringleb in Kodex-Kommentar 2010, Rn. 148 ff. Siehe näher v. Werder in Kodex-Kommentar 2010, Rn. 121, 125 sowie zur genauen Anzahl und Abgrenzung der Empfehlungen und Anregungen Anhang 1, S. 367 ff. 3 Im Folgenden sind mit den börsennotierten Gesellschaften implizit auch die anderen Gesellschaften gemeint, die unter den durch das BilMoG eingeführten Bedingungen zukünftig ebenfalls zur Abgabe einer Entsprechenserklärung verpflichtet sind. Siehe zum Adressatenkreis des Kodex eingehender v. Werder aaO (Fn. 2) Rn. 128 ff. 4 Siehe Hirschman Exit, voice and Loyalty, 1972. 2

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Mit dieser Kombination aus Gestaltungsflexibilität in der Sache und Herstellung von Transparenz setzt das Regelwerk dezidiert auf die Marktkräfte, die in dem herausragenden wissenschaftlichen Werk von Klaus Hopt einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Wie kaum ein anderer Jurist hat der Jubilar sich ökonomischen Zusammenhängen geöffnet und wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse für seine Überlegungen fruchtbar gemacht.5 Klaus Hopt hat damit Pionierarbeit in der interdisziplinären Forschung geleistet, deren Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Dabei ist den Arbeiten von Hopt – anders als bei manchen ‚reinen‘ Ökonomen – eine naive Marktgläubigkeit völlig fremd.6 Ganz im Sinne solch differenzierter Analysen der regulatorischen Randbedingungen gelungener Marktprozesse gibt die Steuerungsphilosophie des Kodex Anlass, dem Aussagegehalt der Entsprechenserklärung näher auf den Grund zu gehen. Zum einen haben die vorliegenden empirischen Studien bislang keine belastbaren Befunde zu der These hervorgebracht, dass die qua Entsprechenserklärung kommunizierte Befolgung (oder Ablehnung) von Kodexempfehlungen entsprechend positive (bzw. negative) Reaktionen des Kapitalmarktes auslöst. Die Ergebnisse der einschlägigen Erhebungen sind vielmehr uneinheitlich und nicht selten auch widersprüchlich.7 Zum anderen wirft die gravierende Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre naturgemäß (auch) die Frage auf, inwieweit die weltweite „Corporate Governance-Bewegung“ 8, in welche der Kodex einzuordnen ist, die Effizienz der Leitung und Überwachung von Unternehmen tatsächlich verbessert hat.9 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, welcher Informationswert der Entsprechenserklärung für den (Kapital-) Markt tatsächlich zukommt. Da und soweit die Signalstärke der Erklärung merklich eingeschränkt ist, wird abschließend diskutiert, welche Implikationen sich hieraus für die Kommunikationspolitik der Unternehmen, die Kodexforschung sowie die Arbeit der Kodexkommission selbst ergeben. 5

Siehe hierzu exemplarisch nur Hopt JZ 1975, 341 ff.; ders. Max Hachenburg Gedächtnisvorlesung 2000, S. 19 f.; ders. Braunschweigerische Wissenschaftliche Gesellschaft Jahrbuch 2000, S. 167 f. 6 Siehe Hopt ZIP 1998, 98 f.; ders. in Handbuch Corporate Governance 2010, S. 49. 7 Vgl. etwa Drobetz/Schillhofer/Zimmermann European Financial Management 2004, 267 ff.; Nowak/Rott/Mahr ZGR 2005, 252 ff.; Bassen et al. DBW 2006, 375 ff.; Goncharov/Werner/Zimmermann Corporate Governance: An International Review 2006, 432 ff. 8 Siehe Hommelhoff ZGR 2001, 238; Arlt et al. GesRZ 2002, 64. 9 In diesem Sinne kritisch auch der Bundespräsident, Horst Köhler, in seiner Einschätzung der hohen Akzeptanzwerte des DCGK: „Doch was hat diese hohe Akzeptanz tatsächlich bewirkt? Sie hat ganz offensichtlich nicht verhindert, dass Vorständen ‚Rundum-Sorglospakete‘ gewährt wurden, und wenn man sich die aktuelle Auswertung der Kommission ansieht, dann ist auffällig, dass die Zustimmungsraten zu den Empfehlungen dort besonders gering sind, wo echte Verhaltensänderungen gefragt sind, zum Beispiel bei der Managerhaftung und bei der Begrenzung von Abfindungen.“ (Rede zur Verleihung des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik am 27.5.2008).

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Zur Signalstärke der Entsprechenserklärung

B. Informationsgehalt der Entsprechenserklärung I. Akzeptanz des Kodex Der Informationsgehalt von Entsprechenserklärungen ist im Grunde nur dann von Interesse, wenn der Kodex von den Unternehmen nicht ohnehin weitgehend abgelehnt, sondern in nennenswertem Maße befolgt wird. Diese Voraussetzung ist nach den Erhebungen zur Kodexakzeptanz, die das Berlin Center of Corporate Governance (BCCG) im Auftrag der Regierungskommission seit 2003 jährlich durchführt, zweifelsohne erfüllt. Wie Abbildung 1 aus100 %

80 %

94,7 %

80,4 %

96,3 % 81,6 %

95,3 % 81,9 %

95,7 % 82,9 %

94,9 % 83,8 %

96,3 %

94,9 % 83,9 %

85,8 %

60 %

40 %

20 %

0% 2004

2005

72

72

2006 2007 2008 Jahr des Kodex Reports 82 81 80 Zahl der Kodexempfehlungen

Befolgungsquote gesamt

2009

2010

84

82

Befolgungsquote DAX

Abbildung 1: Befolgungsquoten der Kodexempfehlungen im Zeitablauf

weist, erfahren die Empfehlungen 10 des Kodex insgesamt von Beginn an eine sehr positive Resonanz in der Praxis.11 Dabei steigt die Akzeptanz tendenziell mit der Unternehmensgröße bzw. dem Börsensegment an, dem die Gesellschaften zugeordnet sind. So liegen die Befolgungsquoten im DAX noch deutlich über denjenigen für die Gesamtstichprobe, die auch für sich genommen schon eine beachtliche Zustimmung zum Kodex signalisieren. Da

10 Wenngleich die Erhebungen zum Kodex Report neben den Empfehlungen auch die Anregungen einbeziehen, konzentrieren sich die nachstehenden Ausführungen auf die Kodexempfehlungen, da nur diese Soll-Bestimmungen Gegenstand der hier verhandelten Entsprechenserklärung sind. 11 Siehe zu den Befunden des Kodex Reports jüngst v. Werder/Talaulicar DB 2010, 853 ff. m.N. zu den früheren Untersuchungen.

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diese Befunde als repräsentativ für die nach § 161 AktG erklärten Entsprechungen mit dem Kodex gelten dürfen,12 lässt sich zunächst konstatieren, dass die Unternehmen auf der Ebene ihrer Governancekommunikation eine erste deutliche Botschaft vermitteln. Sie senden mit ihren Entsprechenserklärungen zumindest das Signal, dass sie die Empfehlungen des Kodex nicht rundweg ablehnen, sondern in dem erklärten (weitgehenden) Ausmaß als Standards guter Unternehmensführung anerkennen. Welcher Informationswert diesen Signalen tatsächlich zukommt, ist allerdings noch näher zu untersuchen. Dabei bietet es sich an, zwischen dem Informationswert der Entsprechenserklärung insgesamt und dem Informationswert der Aussagen (in der Entsprechenserklärung) zum Umgang mit den einzelnen Empfehlungen zu differenzieren.

II. Genereller Informationswert der Entsprechenserklärung Der generelle Informationswert der Entsprechenserklärung hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht lückenlos erörtert werden können. Mit dem Zeithorizont der Erklärung und der Kontrolle im Rahmen der Abschlussprüfung sollen im Folgenden zwei zentrale Einflussfaktoren näher untersucht werden.13 1. Zeithorizont der Erklärung Die durch das TransPuG eingeführte Entsprechenserklärung soll nicht nur über die Befolgung der Kodexempfehlungen in der Vergangenheit informieren.14 Sie hat vielmehr nach heute h.M. neben dem retrospektiven auch einen prospektiven Teil.15 Die Erklärung bindet damit Vorstand und Aufsichtsrat auch für die Zukunft, soweit sie keine konkreten Angaben über künftige Kodexabweichungen enthält.16 Zu beachten ist allerdings, dass eine Entspre-

12 Die Zustimmung zu den Empfehlungen und Anregungen des Kodex wird für den Kodex Report mit Hilfe eines Fragebogens erhoben. Die diesbezüglich durchgeführten Analysen des Antwortverhaltens zeigen, dass die Angaben der Gesellschaften hier in aller Regel mit den Entsprechenserklärungen übereinstimmen und bei Differenzen eher restriktiver ausfallen. Siehe näher v. Werder/Talaulicar aaO (Fn. 11) 853. 13 Ausgeklammert werden damit aus Gründen des Umfangs u.a. die Auswirkungen der rechtlichen Sanktionen unrichtiger Angaben auf den Informationsgehalt von Entsprechenserklärungen. 14 So schon die RegBegr zu Art. 1 Nr. 16 TransPuG. 15 Siehe für viele Lutter in Kodex-Kommentar 2010, Rn. 1522 ff.; Ringleb aaO (Fn. 1) Rn. 1571 ff. m.w.N. 16 Ebenso Lutter in Kölner Kommentar 2006, § 161 Rn. 76 m.w.N. sowie Ringleb aaO (Fn. 1) Rn. 1572. AA Hüffer AktG 2008, § 161 Rn. 20; Marsch-Barner in Börsennotierte AG 2005, § 2 Rn. 63.

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chenserklärung jederzeit – und damit auch unterjährig – abgeändert werden kann.17 Werden solche Modifikationen in geeigneter Form 18 bekannt gemacht, entfällt ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe die Bindungswirkung der Erklärung.19 Mit dieser Möglichkeit, von einer bisherigen Entsprechenserklärung rechtlich wirksam Abstand nehmen zu können, wird der Informationsgehalt des prospektiven Erklärungsteils zweifelsohne beträchtlich entwertet. Die Aktionäre und anderen Stakeholder können nicht darauf vertrauen, dass die erklärten Governancemodalitäten dauerhaft praktiziert werden, sondern nur bis zu einer eventuellen Änderung der Entsprechenserklärung. Diese Einschränkung der Aussagekraft der Erklärung ist naturgemäß vor allem für diejenigen Adressaten relevant, die – wie beispielsweise Kapitalmarktteilnehmer – ihre Entscheidungen vor allem auf der Basis von Erwartungswerten treffen. Der begrenzte Informationswert des prospektiven Teils der Entsprechenserklärung ist bereits bei den Empfehlungen von Bedeutung, deren bisherige Handhabung in der Vergangenheit (mehr oder weniger zuverlässig 20) beobachtet werden konnte.21 Er fällt aber noch viel stärker bei denjenigen Empfehlungen ins Gewicht, die sich auf diskontinuierliche und möglicherweise erst weit in der Zukunft eintretende Sachverhalte beziehen. Solche „Vorratserklärungen“ kommen z.B. bei den Empfehlungen zu den Altersgrenzen für Vorstand und Aufsichtsrat in Betracht, wenn die aktuellen Organmitglieder noch vergleichsweise jung sind. Ein weiteres prominentes Beispiel markiert die umstrittene – und 2009 schließlich in Anpassung an das VorstAG modifizierte – Empfehlung, dass die Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes durch Vorstandsmitglieder, die auf Vorschlag der Aktionäre vor Ablauf von zwei Jahren nach Ende ihrer Bestellung in den Aufsichtsrat wechseln, „eine der Hauptversammlung zu begründende Ausnahme sein“ soll (Tz. 5.4.4 Satz 2 DCGK). Eine Erklärung der Befolgung dieser Empfehlung hat offensichtlich nur einen vergleichsweise geringen Informationswert, da Neubesetzungen des Aufsichtsratsvorsitzes vergleichsweise selten erfolgen. Infolgedessen kann

17 Siehe Semler in MünchKommAktG 2003, § 161 Rn. 54; Lutter aaO (Fn. 16) § 161 Rn. 36; ders. aaO (Fn. 15) Rn. 1629; Hüffer aaO (Fn. 16) § 161 Rn. 20; OLG München, BB 2009, 233. 18 Bei im Sinne von § 15 WpHG kursrelevanten Modifikationen ist insbesondere an eine diesbezügliche Ad-hoc-Mitteilung zu denken, siehe näher schon die RegBegr zu Art. 1 Nr. 16 TransPuG sowie Marsch-Barner aaO (Fn. 16) § 2 Rn. 66; Lutter aaO (Fn. 15) Rn. 1630 Fn. 145; Ringleb aaO (Fn. 1) Rn. 1572 Fn. 84. 19 Siehe Gelhausen/Hönsch AG 2003, 367; Lutter aaO (Fn. 16) § 161 Rn. 76; ders. aaO (Fn. 15) Rn. 1629; Ringleb aaO (Fn. 1) Rn. 1572. 20 Siehe hierzu unter III. 21 Ein Beispiel bilden die Empfehlungen in Tz. 7.1.2 Satz 4 DCGK zum sog. fast close von Konzernabschluss und Zwischenberichten. Siehe hierzu auch sogleich in Abschnitt B. III. 1.

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sich normalerweise erst nach vielen Jahren herauskristallisieren, ob die Übernahme dieser Position durch ehemalige Vorstandsmitglieder noch innerhalb der cooling off-Periode tatsächlich eine seltene Ausnahme in dem betreffenden Unternehmen ist oder letztlich doch die Regel. 2. Kontrolle im Rahmen der Abschlussprüfung Informationen, die ein Unternehmen über seine eigenen Governancegepflogenheiten publiziert, können tendenziell umso eher das Vertrauen von Märkten in die Zweckmäßigkeit und Integrität der Unternehmensführung stärken, wenn die Zuverlässigkeit der Angaben durch unabhängige Dritte überprüft worden ist. Vor diesem Hintergrund ist zu konstatieren, dass die geltenden Vorschriften zur Abschlussprüfung den Informationswert der Entsprechenserklärung zumindest nicht steigern. Sie sind vielmehr eher geeignet, durch Schaffung einer weiteren „Erwartungslücke“ 22 Marktteilnehmer zu verunsichern, da im Zuge der Abschlussprüfung lediglich die Existenz, nicht aber auch die Richtigkeit dieser Erklärung kontrolliert werden muss. Gesellschaften im Geltungsbereich des Kodex haben nach § 285 Nr. 16 HGB im Anhang zum Jahresabschluss anzugeben, dass die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG abgegeben und wo sie den Aktionären zugänglich gemacht worden ist.23 Gegenstand der Abschlussprüfung ist in diesem Zusammenhang allein die Feststellung, ob die Informationen in dieser Anhangangabe zutreffen oder nicht.24 Der Inhalt der Entsprechenserklärung selbst hingegen und damit die Frage, inwieweit die dortigen Bekundungen über die Kodexbefolgung der Realität entsprechen, liegen außerhalb des gesetzlichen Aufgabenbereichs des Abschlussprüfers.25 Nur wenn der Prüfer im Rahmen seiner Abschlussprüfung auf Hinweise stößt, die inhaltliche Fehler in der Entsprechenserklärung erkennen lassen, hat er im Rahmen der Redepflicht nach § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB im Prüfungsbericht bzw. gemäß einer nach Tz. 7.2.3 Abs. 2 DCGK getroffenen Vereinbarung dem Aufsichtsrat über

22 So für die Abschlussprüfung allgemein für viele Forster WPg 1994, 789 ff.; Wolz WPK-Mitteilungen 1998, 122 ff.; Orth Abschlussprüfung und Corporate Governance, 2000, S. 29 ff.; Bahr Vertrauen in Wirtschaftsprüfer, 2003; Strieder BB 2009, 1005. 23 Analog für Konzerne § 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB. 24 So auch Ruhnke AG 2003, 373; Orth/Wader in Pfitzer/Oser/Orth, Deutscher Corporate Governance Kodex, 2. Aufl. 2005, S. 318 f.; Strieder in DCGK 2005, S. 162; Ringleb aaO (Fn. 1) Rn. 48 f. 25 Siehe schon die RegBegr zu Art. 2 Nr. 1b TransPuG sowie für viele Becker/Busch in Internationale Rechnungslegung 2004, 391 f.; Marsch-Barner aaO (Fn. 16) § 2 Rn. 69 f.; Link Abschlussprüfung und Geschäftsrisiko 2006, S. 162; Hüffer aaO (Fn. 16) § 161 Rn. 32; IDW PS 345.22, WPg 2009, sowie jetzt auch explizit § 317 Abs. 2 Satz 3 HGB für die durch das BilMoG eingeführte Erklärung zur Unternehmensführung: „Die Angaben nach § 289a sind nicht in die Prüfung einzubeziehen.“

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seine Feststellungen zu berichten.26 Im Übrigen kann der Abschlussprüfer sein Testat nach § 322 Abs. 4 HGB nur einschränken, wenn überhaupt keine Entsprechenserklärung abgegeben oder zugänglich gemacht worden ist. Einem erteilten – auch uneingeschränkten – Testat kann demzufolge mit Blick auf die Entsprechenserklärung nur ein sehr begrenzter signalling effect zugesprochen werden.

III. Empfehlungsspezifischer Informationswert der Entsprechenserklärung Neben den Faktoren, welche die Signalstärke der Entsprechenserklärung insgesamt beeinflussen und damit für alle Empfehlungen gleichermaßen wirken, hängt die Aussagekraft von Informationen zur Befolgung des Kodex auch von Charakteristiken der einzelnen Empfehlungen ab. Mit der Präzision der jeweiligen Kodexbestimmung und der Überprüfbarkeit ihrer konkreten Umsetzung durch externe Dritte werden im Folgenden zwei wichtige Eigenschaften, die Empfehlungen insoweit aufweisen können, näher untersucht. 1. Präzision der Kodexbestimmungen Nach der Präzision der Vorgaben lassen sich die Empfehlungen des Kodex – wie im Übrigen die Anregungen auch – in (mehr oder weniger) harte und weiche Vorschriften einteilen. Harte Kodexbestimmungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Vorgaben eindeutig formuliert sind und hinsichtlich der Art ihrer Umsetzung den Unternehmen in der Praxis keinen nennenswerten Spielraum belassen. Die Befolgung solcher Empfehlungen beruht somit letztlich nur auf einer digitalen (Ja/Nein-)Entscheidung. Zu den in diesem Sinne harten Kodexbestimmungen zählen beispielsweise die Empfehlungen, wonach Wahlen zum Aufsichtsrat als Einzelwahl durchgeführt werden sollen (Tz. 5.4.3 Satz 1 DCGK), ein Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds bis zur nächsten Hauptversammlung befristet sein soll (Tz. 5.4.3 Satz 2 DCGK) und Kandidatenvorschläge für den Aufsichtsratsvorsitz den Aktionären bekannt gegeben werden sollen (Tz. 5.4.3 Satz 1 DCGK). Eindeutig sind ferner beispielsweise auch die beiden Bestimmungen in Tz. 7.1.2 Satz 4 DCGK, dass der Konzernabschluss binnen 90 Tagen nach Geschäftsjahresende und die Zwischenberichte binnen 45 Tagen nach Ende des Berichtszeitraums öffentlich zugänglich sein soll(en). Sofern Unternehmen darlegen, dass sie diesen und anderen, vergleichbar präzisen Empfeh26 Vgl. RegBegr zu Art. 2 Nr. 1b TransPuG; Ruhnke aaO (Fn. 24) 374. Link aaO (Fn. 25) S. 164; IDW PS 345.33, WPg 2009.

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lungen Folge leisten, können die Adressaten der Entsprechenserklärung (bei wahrheitsgemäßer Erklärung) nicht ernsthaft in Zweifel sein, wie die Unternehmen ihre Corporate Governance in den fraglichen Punkten ausformen. Der Entsprechenserklärung kann folglich insoweit ein hoher Informationswert beigemessen werden. Im Unterschied zu den harten Governancestandards belassen weiche Kodexbestimmungen den Unternehmensführungen mehr oder weniger weit reichende Optionen bei der konkreten Implementierung. Diese Gestaltungsmöglichkeiten können auf verschiedenen Ursachen beruhen, zu denen namentlich die Verwendung unbestimmter Begriffe, die Konditionierung von Vorgaben und die explizite Einräumung eines Ermessensspielraumes zählen. Zahlreiche interpretationsbedürftige Begriffe enthalten beispielsweise die – in ihrer Bedeutung für eine gute Corporate Governance zentralen – Empfehlungen zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Danach soll bei „Vorschlägen zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern darauf geachtet werden, dass dem Aufsichtsrat jederzeit Mitglieder angehören, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen. Dabei soll auch auf die internationale Tätigkeit des Unternehmens, auf potenzielle Interessenkonflikte und eine festzulegende Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder sowie auf Vielfalt (Diversity) geachtet werden.“ (Tz. 5.4.1 DCGK). Es bedarf keiner näheren Begründung, dass bereits die Formulierung, wonach auf die genannten Qualifikationsaspekte „geachtet“ werden soll, einen „Begriff mit verschwommenen Rändern“ 27 darstellt, der z.B. hinsichtlich der Intensität und Ernsthaftigkeit der Suche nach entsprechend ausgewiesenen Personen sehr unterschiedlich ausgelegt werden kann. Ferner liegt es auf der Hand, dass auch die Anforderungen als solche interpretationsoffen sind, da die erforderlichen Kenntnisse etc. nicht näher präzisiert werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei hervorgehoben, dass die Verwendung unbestimmter Begriffe keineswegs von vornherein einen Mangel des Kodex begründet. Aus Sicht der angestrebten Gestaltungsflexibilität für die Unternehmen wird es vielmehr nicht selten zu begrüßen sein, wenn Kodexbestimmungen nicht bis ins Detail präzisiert werden, zumal auch gesetzliche Vorschriften nur selten ohne auslegungsbedürftige Formulierungen auskommen. Mit Blick auf die hier thematisierte Aussagekraft der Entsprechenserklärung lässt sich allerdings zweifelsohne konstatieren, dass ihr Informationswert tendenziell umso niedriger ausfällt, je weicher die betreffenden Empfehlungen formuliert sind. Konditionierte Kodexbestimmungen lassen sich nur bei Erfüllung bestimmter Bedingungen befolgen. Zu diesen Voraussetzungen können z.B. das Vorliegen bestimmter Sachverhalte, aber auch die Umsetzung anderer

27

Wittgenstein Philosophische Untersuchungen 1970, § 71.

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Empfehlungen (oder Anregungen) des Kodex zählen. Beispiele für den ersten Fall bilden etwa die Empfehlungen, dass auch in einer D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat ein Selbstbehalt vereinbart werden soll (Tz. 3.8 Abs. 3 DCKG), dass der Aufsichtsrat bei Hinzuziehung eines externen Vergütungsexperten auf dessen Unabhängigkeit vom Vorstand bzw. Unternehmen achten (Tz. 4.2.2 Abs. 3 DCGK) und dass eine Zusage für Leistungen aus Anlass der vorzeitigen Beendigung der Vorstandstätigkeit infolge eines Kontrollwechsels (Change of Control) 150 % des Abfindungs-Caps nicht übersteigen soll (Tz. 4.2.3 Abs. 5 DCGK). Die sachgerechte Umsetzung dieser Empfehlungen setzt offenkundig voraus, dass in dem betreffenden Unternehmen überhaupt eine D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat abgeschlossen wird,28 dass der Aufsichtsrat einen externen Vergütungsberater hinzuzieht und dass CoC-Klauseln existieren. Interdependenzen zwischen Kodexbestimmungen 29 liegen z.B. zwischen den beiden Empfehlungen vor, variable Bestandteile der Vergütung wie etwa aktien- oder kennzahlenbasierte Vergütungselemente auf anspruchsvolle, relevante Vergleichsparameter zu beziehen (Tz. 4.2.3 Abs. 3 Satz 2 DCGK) und eine nachträgliche Änderung der Erfolgsziele oder Vergleichsparameter auszuschließen (Tz. 4.2.3 Abs. 3 Satz 3 DCGK). Die zweite Empfehlung kann ein Unternehmen überhaupt nur dann sinnvoll umsetzen, wenn auch die erste Empfehlung befolgt wird, indem die variablen Vergütungsbestandsteile entsprechend auf die genannten Vergleichsparameter bezogen werden. Der Informationswert der Entsprechenserklärung ist erkennbar eingeschränkt, sofern ohne weitere Erläuterungen lediglich angegeben wird, dass konditionierten Empfehlungen nicht gefolgt wird. Die Adressaten bleiben dann über die Governancemodalitäten und ihre Motive letztlich im Unklaren. Einerseits kann die mangelnde Entsprechung bedeuten, dass die Ideen der betreffenden Empfehlungen als solche abgelehnt werden und beispielsweise die existierenden D&O-Versicherungen für den Aufsichtsrat keinen Selbstbehalt vorsehen, die CoC-Klauseln im Unternehmen höhere Abfindungen erlauben und eine nachträgliche Änderung der Erfolgsziele oder Vergleichsparameter für variable Vergütungselemente nicht ausgeschlossen ist. Auf der anderen Seite können die Abweichungen vom Kodex in solchen Fällen aber auch schlicht darauf beruhen, dass die entsprechenden Voraussetzungen ihrer Befolgung nicht erfüllt sind, da das Unternehmen keine D&OVersicherungen für den Aufsichtsrat abschließt, keine CoC-Klauseln in die Vorstandsverträge aufnimmt und gar keine variablen Vergütungsbestandteile gewährt. Am Beispiel der konditionierten Empfehlungen wird somit auch 28 Für den Abschluss der Versicherung selbst gibt es hingegen keine explizite Empfehlung des Kodex. Siehe auch Ringleb aaO (Fn. 1) Rn. 508. 29 Siehe allgemein zum Phänomen der Entsprechensinterdependenzen v. Werder/Talaulicar/Kolat DB 2003, 1858; v. Werder/Talaulicar aaO (Fn. 11) 856.

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deutlich, dass mögliche Abschwächungen der Signalstärke der Entsprechenserklärung keineswegs zwangsläufig eine zu positive Einschätzung der Governancesituation eines Unternehmens durch die adressierten Dritten implizieren. Bei flüchtiger Betrachtung der Entsprechenserklärung kann vielmehr auch der Eindruck entstehen, dass sich ein Unternehmen in beachtlichem Maße dem Kodex verweigert, obwohl die Kodexabweichungen bei Lichte besehen lediglich darauf zurückzuführen sind, dass die Anwendungsbedingungen der Empfehlungen in dem betreffenden Unternehmen nicht vorliegen. Einzelne Bestimmungen des Kodex überlassen schließlich ihre konkrete Umsetzung gelegentlich auch explizit dem Ermessen des betreffenden Organs. Zu den wichtigsten Governancestandards dieser Kategorie zählt die Empfehlung zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern in Tz. 5.4.2 Satz 1 DCGK: „Um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen, soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehören.“ Die deutliche Reduzierung des Informationswerts, den die Entsprechenserklärung bei solchen Empfehlungen aufweist, ist offenkundig und lässt sich durchaus auch empirisch belegen. Nach den Befunden des Kodex Reports stößt die Unabhängigkeitsempfehlung als solche bei den Unternehmen auf große Zustimmung. So liegt die durchschnittliche Akzeptanz in der Gesamtstichprobe 2010 bei 98,3% und im DAX sogar bei 100 %.30 Bemerkenswert ist allerdings die große Spannweite der tatsächlichen Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder, die nach den Angaben der Unternehmen beispielsweise im Kreis der DAX-Gesellschaften von 4 bis 21 reicht. Diese Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Auffassungen in der Praxis über den Unabhängigkeitsbegriff und zur angemessenen Anzahl unabhängiger Mitglieder in Aufsichtsräten noch erheblich auseinander liegen.31 Sie machen damit auch offenkundig, dass die reine Angabe über die Befolgung oder Ablehnung einer Kodexbestimmung bei geringer Präzision der Vorschrift nur eine sehr eingeschränkte Aussagekraft hat. 2. Überprüfbarkeit der Umsetzung Neben der Präzision der Kodexbestimmungen beeinflusst auch die Überprüfbarkeit ihrer Umsetzung im Unternehmen durch externe Dritte die Signalstärke der Entsprechenserklärung. Diese Überprüfbarkeit hängt davon ab, ob entsprechende Informationen in öffentlich zugänglichen Quellen 30

Siehe v. Werder/Talaulicar aaO (Fn. 11) 857, Tab. 4. So ist zu beachten, dass in mitbestimmten Aufsichtsräten zwar alle Mitglieder persönlich integer, aber nicht unabhängig im technischen Sinne sein können. Siehe zum Unabhängigkeitsbegriff eingehend v. Werder/Wieczorek DB 2007, 299 ff. 31

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überhaupt vorhanden sind und mit welchem Aufwand die Ausschöpfung dieser Informationsquellen für die Adressaten der Entsprechenserklärung verbunden ist. Dabei kommen als Informationsquellen – neben der Entsprechenserklärung selbst – z.B. die übrigen direkten Instrumente der Corporate Governance-Publizität in Betracht wie etwa der Geschäftsbericht, der Corporate Governance Bericht 32, der Vergütungsbericht 33 und künftig auch die Erklärung zur Unternehmensführung 34. Zu denken ist aber auch an andere Quellen wie z.B. die Rechnungslegung im Sinne des Financial Reporting 35, Ad-hoc-Mitteilungen sowie sonstige Veröffentlichungen. Der Aufwand der Überprüfung bestimmt sich nach den Kosten und der Dauer der erforderlichen Recherchen. Er fällt der Tendenz nach niedriger aus, wenn die betreffenden Informationen auf den Internetseiten der Unternehmen (übersichtlich 36) zugänglich sind und nicht z.B. nur durch Einsicht in das (immerhin elektronische) Unternehmensregister. Hinsichtlich der Implikationen der externen Überprüfbarkeit für den Informationswert der Entsprechenserklärung ist zwischen den harten und den weichen Kodexstandards zu differenzieren. Bei harten Bestimmungen liegt die Art ihrer Befolgung (im Kern) fest. Die Möglichkeit einer externen Überprüfung erlaubt insofern daher nur – aber auch immerhin – eine Kontrolle, ob die Angaben in den Entsprechenserklärungen (zumindest in ihrem retrospektiven Teil) tatsächlich zutreffen. So lässt sich beispielsweise jährlich bzw. unterjährig mehrmals testen, ob die Empfehlungen zum Fast Close von Konzernabschluss und Zwischenberichten (Tz. 7.1.2 Satz 4 DCGK) 37 tatsächlich befolgt werden. Die Umsetzung harter Kodexbestimmungen ist zwar mehrheitlich, aber nicht stets extern überprüfbar. Ein Beispiel für eine solche Ausnahme bildet die Empfehlung zur Fair Disclosure, wonach die Gesellschaft sämtliche neuen Tatsachen, die Finanzanalysten und vergleichbaren Adressaten mitgeteilt worden sind, den Aktionären unverzüglich zur Verfügung stellen soll (Tz. 6.3 Satz 2 DCGK). Selbst wenn man unterstellt, dass der Kreis der Informationen, auf welche sich diese Empfehlung bezieht, hinreichend präzise formuliert ist, können externe Dritte meist nur schwer nachprüfen, welche Tatsachen Finanzanalysten und vergleichbaren Adressaten (z.B. in one-on-ones) zur Kenntnis gegeben worden sind. 32

Siehe Tz. 3.10 DCGK und hierzu v. Werder aaO (Fn. 2) Rn. 534 ff. Siehe Tz. 4.2.5 DCGK und hierzu v. Werder aaO (Fn. 2) Rn. 783 ff. 34 Siehe § 289a HGB und hierzu Paetzmann ZCG 2009; Melcher/Mattheus DB 2009 Beilage 5; Kuthe/Geiser NZG 2008; Withus AG-Report 2009; v. Werder aaO (Fn. 2) Rn. 536 ff. 35 Vgl. beispielsweise die nach § 285 bzw. § 314 HGB erforderlichen Angaben im Anhang bzw. Konzernanhang zur Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung, zur Mitgliedschaft der Organmitglieder in anderen Kontrollgremien und zur Tätigkeit und Vergütung des Abschlussprüfers. 36 So auch die Empfehlung in Tz. 6.8 Satz 2 des DCGK. 37 Siehe nochmals oben, S. 7. 33

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Im Falle weicher Bestimmungen hingegen beschränkt sich die Funktion der externen Überprüfbarkeit nicht nur auf die Abklärung des diesbezüglichen Wahrheitsgehalts der Entsprechenserklärung. Hier können vielmehr die durch die geringere Präzision der Bestimmungen bedingten Einschränkungen des Informationsgehalts der Erklärung abgebaut werden, da und soweit sich die konkreten Modalitäten der Umsetzung und damit die Art der Ausschöpfung des diesbezüglichen Gestaltungsspielraums durch die zusätzlichen Informationen in Erfahrung bringen lassen. Die Implikationen der Präzision für die Signalstärke der Entsprechenserklärung werden bei weichen Kodexstandards durch die externe Überprüfbarkeit somit moderiert, indem sie (bei gegebener Überprüfbarkeit) abgeschwächt oder aber (bei fehlender Überprüfbarkeit) noch verstärkt werden. Welche Informationen zur Umsetzung von Kodexbestimmungen den Adressaten der Entsprechenserklärung tatsächlich zur Verfügung stehen, richtet sich zum einen nach den gesetzlichen Publizitätspflichten der Unternehmen und zum anderen nach ihrer individuellen Kommunikationspolitik. Infolgedessen lassen sich obligatorisch und fakultativ extern überprüfbare Bestimmungen unterscheiden. Da es den Unternehmen unbenommen ist, auf freiwilliger Basis auch höchst detaillierte Angaben zu ihren Governancegepflogenheiten zu machen, können die Kodexbestimmungen bei einer allgemeingültigen, unternehmensunabhängigen Analyse nur danach eingeteilt werden, ob sie obligatorisch extern überprüfbar sind oder nicht. Beispiele extern überprüfbarer Empfehlungen in diesem Sinne stellen etwa die Bestimmungen zur Ausgestaltung der Vergütungen von Vorstand und Aufsichtsrat dar, über deren Implementierung aufgrund der durch das VorstOG eingeführten Offenlegungspflichten nach §§ 285 Satz 1 Nr. 9 Buchstabe a) HGB; 314 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe a) zu berichten ist. Wenngleich die hiernach von den Unternehmen publizierten Informationen eine nicht unerhebliche Auswertungsarbeit verlangen und in der (bisherigen) Praxis keine vollständige Transparenz der Vergütungen herstellen,38 tragen sie doch in nicht unerheblichem Maße dazu bei, den Informationsgehalt bloßer Angaben über die Befolgung der vergütungsbezogenen Empfehlungen in der Entsprechenserklärung zu ergänzen.

C. Implikationen der Aussagekraft der Entsprechenserklärung Die durchgeführte Analyse des Informationswerts der Entsprechenserklärung hat ergeben, dass die Signalstärke dieses Instruments der Governancepublizität sowohl von generellen Faktoren abhängt als auch von spezifischen Charakteristika der einzelnen Kodexbestimmungen. Während vor allem der 38

Siehe näher Evers in Handbuch Corporate Governance 2009, S. 383 f.

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Zeitbezug der Darlegungen zur Entsprechung und ihre stark eingeschränkte Kontrolle im Rahmen der Abschlussprüfung den Aussagegehalt der Erklärung insgesamt reduzieren, richten sich die Auswirkungen der Präzision der Kodexbestimmungen und der externen Überprüfbarkeit ihrer konkreten Umsetzung nach den diesbezüglichen Eigenschaften der einzelnen Empfehlungen. Schon eine überschlägige Durchsicht des Kodex lässt unschwer erkennen, dass die große Mehrheit seiner Soll-Vorschriften als weiche Standards im Sinne der hier eingeführten Kategorisierung der Kodexbestimmungen einzustufen ist. Ferner ist es nicht selten kaum oder nur mit erheblichem Aufwand möglich, die praktische Durchführung empfohlener Governancemaßnahmen von der Warte eines externen Dritten aus zu erkennen. Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass der Entsprechenserklärung als solcher nur eine begrenzte Aussagekraft zugesprochen werden kann. Dieser Tatbestand stellt – was noch einmal ausdrücklich wiederholt sei 39 – keineswegs von vornherein die generelle, auf dem Prinzip des comply or explain basierende Regulierungsphilosophie des Kodex in Frage. Die Erkenntnis, dass die Entsprechenserklärung als solche nur einen eingeschränkten signalling effect bewirkt, hat allerdings wichtige Implikationen zur Folge, die sich in den drei Bereichen der Kommunikationspolitik der Unternehmen, des Designs der künftigen Kodexforschung und der weiteren Arbeit der Kodexkommission verorten lassen.

I. Implikationen für die Kommunikationspolitik Für die Unternehmenspraxis folgt aus der durchgeführten Untersuchung der Signalstärke der Entsprechenserklärung, dass die Abgabe einer Erklärung, die den gesetzlichen Anforderungen nur gerade (noch) genügt, kaum als Ausdruck einer zielführenden Kommunikationspolitik gelten kann. In Anbetracht des herausgearbeiteten, begrenzten Aussagegehalts einer solchen Erklärung liegt es vielmehr grundsätzlich im wohlverstandenen Interesse eines Unternehmens, den Adressaten ergänzende Informationen zur Verfügung zu stellen. Dabei bieten sich vor allem zwei kommunikationspolitische Stoßrichtungen an. Zum einen ist mit Blick auf den Zeithorizont der Entsprechenserklärung zu bedenken, dass Ad-hoc-Revidierungen zukunftsbezogener Aussagen einen erheblichen Vertrauensschaden bei den Adressaten bewirken können. Wird beispielsweise die Befolgung der Empfehlung zur Berücksichtigung von Altersgrenzen für Vorstand und Aufsichtsrat im Sinne einer „Vorratserklärung“ 40 zunächst zwar pro forma bekannt gemacht, diese Erklärung später 39 40

Siehe oben, S. 8. Siehe nochmals S. 5.

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bei Bedarf aber umstandslos geändert, so wird die Vertrauenswürdigkeit der Governancekommunikation des Unternehmens insgesamt hiervon kaum unberührt bleiben. Um solchen dysfunktionalen Konsequenzen zu begegnen, erscheint es daher empfehlenswert zu sein, in ergänzenden Erläuterungen die Adressaten explizit darüber zu informieren, dass Abweichungen in Zukunft durchaus möglich sind, wenn Vorstand und Aufsichtsrat die empfohlenen Maßnahmen nur vorläufig durchführen und gegebenenfalls anders verfahren, falls sich die Situation ändert.41 Auf diese Weise wird zumindest zum Ausdruck gebracht, dass die betreffenden Maßnahmen nach Auffassung der jeweiligen Führungsorgane nicht zum Kernbestand zweckmäßiger Governancemodalitäten zählen. Zum anderen und insbesondere bietet es sich an, im Fall weich(er) formulierter Empfehlungen die Art ihrer Umsetzung so konkret zu erläutern, dass sich die Adressaten ein hinreichend genaues Bild von der Governancerealität des Unternehmens machen können. So können beispielsweise die eingeführten Regelungen zur Altersgrenze dargelegt, die schon absolvierten und noch geplanten Schritte zur Steigerung der Diversity in Vorstand und Aufsichtsrat beschrieben und die Anzahl der unabhängigen Aufsichtsratsmitglieder genannt werden. Die Vermittlung solcher Zusatzinformationen wird zwar einen gewissen zusätzlichen Kommunikationsaufwand verursachen und ist auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung des Unternehmens sorgfältig zu dosieren. Nur auf diese Weise lässt sich aber die Abgabe der Entsprechenserklärung von einer Pflichtübung in eine proaktive Governancepublizität transformieren, die jenseits des eingeschränkten Aussagegehalts der gesetzlich vorgeschriebenen Erklärung eine größere Transparenz über die Governancegepflogenheiten des Unternehmens herstellt.42 Zur Platzierung entsprechender Informationen kommen grundsätzlich die Entsprechenserklärung selbst sowie der vom Kodex empfohlene Corporate Governance Bericht 43 und die durch das BilMoG neu eingeführte Erklärung zur Unternehmensführung gem. § 289a HGB in Betracht. Wenngleich das strukturelle Verhältnis zwischen diesen Publizitätsinstrumenten nicht eindeutig fixiert ist, liegt es nahe, die Erklärung zur Unternehmensführung in die beiden Abschnitte der Entsprechenserklärung (§ 289a Abs. 2 Nr. 1 HGB) 41 Selbstredend sind spätere tatsächliche Kodexabweichungen zuvor in geeigneter Form als Änderungen der Entsprechenserklärung bekannt zu machen. Die hier vorgeschlagenen Erläuterungen sind daher auch von den in der Literatur kontrovers diskutierten Disclaimern zu unterscheiden, welche die künftige Bindungswirkung der Entsprechenserklärung von vornherein aufheben sollen. Siehe hierzu Lutter aaO (Fn. 15) Rn. 1524; Schüppen in Transparenz- und Publizitätsgesetz 2003, S. 58; Semler aaO (Fn. 17) § 161 Rn. 236. 42 Siehe zur zentralen Bedeutung des Transparenzgedankens als Leitidee guter Corporate Governance Ringleb aaO (Fn. 1) Rn. 20. 43 Siehe Tz. 3.10 DCGK sowie dazu v. Werder aaO (Fn. 2) Rn. 537 ff. Eingeschlossen ist speziell für Vergütungsthemen auch der Vergütungsbericht i.S.v. Tz. 4.2.5 DCGK.

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und des Corporate Governance Berichts zu unterteilen, der seinerseits die Pflichtangaben nach § 289a Abs. 2 Nr. 2 und 3 HGB sowie ggf. ergänzende Ausführungen enthält.44 Um die Entsprechenserklärung übersichtlich zu halten, bietet es sich vor diesem Hintergrund an, namentlich die Detailinformationen zur konkreten Umsetzung interpretationsoffener Kodexbestimmungen im Corporate Governance Bericht zu kommunizieren.

II. Implikationen für die Kodexforschung Für die künftige Forschung zum Kodex ergibt sich aus dem begrenzten Aussagegehalt der Entsprechenserklärung eine Reihe von Konsequenzen, die im Folgenden exemplarisch anhand von drei Implikationen näher erörtert werden sollen. Die erste nahe liegende Konsequenz des eingeschränkten Informationswerts der Entsprechenserklärung für die Kodexforschung besteht in der Notwendigkeit, dem tatsächlichen Governanceverhalten der Unternehmen in Zukunft verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen.45 Da die Befolgung zahlreicher Kodexempfehlungen – wie oben gezeigt wurde – beachtliche Gestaltungsspielräume belässt, können die Governancerealitäten der Unternehmen streng genommen nur in Kenntnis der jeweiligen Ausübung dieser Optionen eingeschätzt werden. Infolgedessen ist künftig eine umfassendere, systematische Ausschöpfung aller Informationsquellen erforderlich, die einen externen Zugang zu den praktizierten Governancegepflogenheiten der Unternehmen erlauben und bereits im Zusammenhang mit der Überprüfbarkeit der Kodexumsetzung durch Dritte 46 sowie der Kommunikationspolitik der Unternehmen 47 angesprochen worden sind. Erst auf der Basis solcher Zusatzinformationen lässt sich zutreffend(er) abschätzen, inwieweit der Kodex nicht nur als Instrument der Selbstregulierung hohe Akzeptanz genießt,48 sondern in den Unternehmen auch tatsächlich „gelebt“ wird. Die zweite Implikation betrifft die Untersuchung der Frage, inwieweit gute Corporate Governance den Unternehmenserfolg tatsächlich positiv beeinflusst. Diese Fragestellung ist aus gestaltungsorientierter (Mikro-) wie auch regulatorischer (Makro-)Perspektive offenkundig zentral, lässt sich bislang allerdings nicht zuverlässig auf wissenschaftlicher Grundlage beantwor44 Siehe näher v. Werder aaO (Fn. 2) Rn. 539 f. sowie auch Kuthe/Geiser aaO (Fn. 34) 175; Tödtmann/Schauer ZIP 2009, 998. 45 Siehe zur Bedeutung des tatsächlichen Governanceverhaltens auch schon v. Werder DB 2002, 810; v. Werder/Talaulicar ZfbF 2003 Sonderheft 50, 22 f.; dies. aaO (Fn. 11) 861; Theisen/Raßhofer DB 2007, 1317 f. 46 Siehe Abschnitt B. III. 2 (S. 7 ff.). 47 Siehe Abschnitt C. I. (S. 13 ff.). 48 Siehe nochmals Abschnitt B. I. (S. 3 ff.).

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ten. In der Literatur finden sich zwar auch für den Geltungsbereich des DCGK einige empirische Beiträge, welche diesem Wirkungszusammenhang nachgehen. Die Befunde dieser Studien sind jedoch gemischt und teils auch widersprüchlich.49 Neben der Verwendung diverser und divergierender Erfolgsmaße mag die Uneinheitlichkeit der bisherigen Forschungsergebnisse nicht zuletzt im methodischen Design dieser Erhebungen begründet sein. Die Studien untersuchen im Kern die Kapitalmarktreaktionen, die gute bzw. weniger gute Corporate Governance-Verhältnisse der Unternehmen auslösen. Dabei wird für die Messung der Governancesituation in den Unternehmen häufig auch auf die Angaben in den Entsprechenserklärungen zurückgegriffen.50 Sofern der Informationswert dieser Erklärungen aber – wie oben gezeigt wurde – begrenzt ist, kann letztlich auch ihr signalling effect auf die Adressaten tendenziell nur schwach sein. Diffuse Reaktionen des Kapitalmarktes können unter diesen Bedingungen dann letztlich nicht überraschen. Infolgedessen erscheint es fruchtbarer zu sein, künftige Untersuchungen zu den Erfolgswirkungen guter Corporate Governance stärker durch Erkenntnisse über die tatsächliche Governancerealität zu fundieren.51 Die im voran stehenden Abschnitt vorgeschlagene Intensivierung der Rechtstatsachenforschung auf dem Gebiet der Corporate Governance kann hierfür den Input bereitstellen. In Anbetracht der beachtlichen Unterschiede der einzelnen Kodexbestimmungen hinsichtlich ihrer Präzision und externen Überprüfbarkeit kann es sich schließlich auch anbieten, die bislang oft aggregierten Governanceanalysen, die beispielsweise auf die Implementierung des Kodex insgesamt abstellen, durch gezieltere Studien zu ergänzen. Differenziert man die betrachteten Empfehlungen bzw. Komplexe thematisch verwandter Empfehlungen nach ihrer Präzision und/oder externen Überprüfbarkeit, so lassen sich beispielsweise die interessanten Forschungsfragen verfolgen, ob sich diese Unterschiede in verschiedenartigen Mustern der Befolgung und in divergierenden Erfolgswirkungen niederschlagen.

III. Implikationen für die Kodexkommission Die im vorliegenden Beitrag herausgearbeiteten Faktoren, welche der Aussagekraft der Entsprechenserklärung generelle oder empfehlungsspezifische Grenzen setzen, bieten durchaus auch eine Reihe von Ansatzpunkten für die 49

Siehe Fn. 7. So konzentrieren sich Goncharov/Werner/Zimmermann (aaO Fn. 7, 432 ff.) vorrangig auf die Entsprechenserklärungen. 51 Vgl. z.B. Bassen et al. (aaO Fn. 7, 375 ff.), die neben der Entsprechenserklärung auch Geschäftsberichte und andere öffentlich zugängliche Informationen auswerten. 50

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zukünftige Arbeit der Regierungskommission. Bei der Analyse möglicher Implikationen für die Kommission ist allerdings grundsätzlich zu bedenken, dass der Kodex das geltende Recht nur ausfüllen, nicht aber modifizieren kann. Unter Berücksichtigung der hieraus resultierenden Restriktionen sollen im Folgenden drei potentielle Handlungsmöglichkeiten der Kommission aufgezeigt werden. Die generelle Beeinträchtigung des zukunftsbezogenen Informationswerts der Entsprechenserklärung 52 lässt sich auf der Ebene der Kommission nicht prinzipiell beheben, da die Möglichkeit zur jederzeitigen Änderung der Erklärung der herrschenden Auslegung von § 161 AktG entspricht. Sie liegt im Übrigen auch in der Natur der mit dem Kodex angestrebten Gestaltungsflexibilität. Die Kommission könnte daher allenfalls daran denken, auch insofern den Transparenzgedanken noch weiter zu stärken und eine Empfehlung an die Unternehmen auszusprechen, ihre bisherigen Fälle nachträglicher Abweichungen vom Kodex (z.B. in einem gesonderten Abschnitt des Corporate Governance Berichts) dauerhaft zu dokumentieren. Mit Blick auf die fehlende materielle Kontrolle der Entsprechenserklärung im Rahmen der gesetzlichen Abschlussprüfung 53 käme eine Ergänzung der bisherigen Empfehlung in Tz. 7.2.3 Abs. 2 DCGK in Betracht. Danach soll der Aufsichtsrat mit dem Abschlussprüfer bislang (lediglich) vereinbaren, dass der Prüfer ihn unterrichtet, wenn er bei Durchführung seiner regulären Prüfungsaktivitäten Tatsachen feststellt, die eine Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung ergeben. Diese Kodexbestimmung könnte offensichtlich zu der Empfehlung erweitert werden, auch die inhaltliche Prüfung der Erklärung zu vereinbaren. Angesichts der kontroversen Diskussion einer solchen Inhaltskontrolle der Entsprechenserklärung in der Vergangenheit 54 erscheint es allerdings (zumindest gegenwärtig noch) fraglich, inwieweit eine solche Lösung als best practice 55 konsensfähig wäre. Die Präzision der Kodexbestimmungen als eine der beiden empfehlungsspezifischen Determinanten des Aussagegehalts der Entsprechenserklärung liegt naturgemäß prinzipiell in der Hand der Regierungskommission und bietet damit einen besonders wichtigen und unmittelbaren Ansatzpunkt (auch) zur Optimierung des Informationswerts der Erklärung. Hier gilt es zum einen jeweils abzuwägen zwischen der erwünschten Gestaltungsflexibilität der Unternehmen bei der Ausformung ihrer Corporate Governance und der Herstellung von Transparenz über die gewählten Governancemodali-

52

Siehe Abschnitt B. II. 1. Siehe Abschnitt B. II. 2. 54 Dafür z.B. Hopt Beiheft ZHR 2002, 54 f.; Ulmer ZHR (166) 2002, 175 ff. AA Baums Bericht der Regierungskommission 2001, Rn. 12, sowie dazu auch nochmals oben, S. 6 f. 55 Zum best practice-Charakter der Kodexempfehlungen näher v. Werder aaO (Fn. 2) Rn. 84. 53

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Axel v. Werder

täten für die Bezugsgruppen. Infolgedessen kann nur eine Diskussion im Detail fundierteren Aufschluss darüber geben, an welchen Stellen der Kodex eventuell noch etwas präziser gefasst werden sollte. Zum anderen kann in diesem Zusammenhang aber auch (z.B. in Verlautbarungen der Kommission) unterstrichen werden, dass der Corporate Governance Bericht ein probates Instrument bietet, um unternehmensindividuell die konkrete Umsetzung solcher Empfehlungen zu kommunizieren, bei denen die Kommission mit guten Gründen bewusst einen bestimmten Gestaltungsspielraum belassen hat. Auf diese Weise wird zugleich die externe Überprüfbarkeit der Einhaltung und Umsetzung des Kodex durch Dritte 56 tendenziell gefördert.

D. Zusammenfassung Mit der in § 161 AktG normierten Entsprechenserklärung müssen die vom Deutschen Corporate Governance Kodex erfassten Gesellschaften jährlich darlegen, ob und inwieweit sie den Empfehlungen des Kodex zur Unternehmensführung folgen. Auf diese Weise sollen die Anteilseigner und anderen Stakeholder über die jeweilige Governancesituation der Unternehmen informiert und so in die Lage versetzt werden, ihre unternehmensbezogenen Entscheidungen (z.B. über den Erwerb von Aktien) auch in Kenntnis der Führungsmodalitäten treffen zu können. Diese Informationsfunktion kann die Entsprechenserklärung erkennbar umso eher erfüllen, je höher ihre Aussagekraft einzuschätzen ist. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass sowohl allgemeine Konstruktionselemente der Entsprechenserklärung als auch Merkmale der einzelnen Kodexempfehlungen die Signalstärke der Erklärung begrenzen können und tatsächlich begrenzen. Da eine Entsprechenserklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft geändert werden kann, ist ihr Prognosewert generell deutlich eingeschränkt. Hinzu kommt, dass die Erklärung im Zuge der gesetzlichen Abschlussprüfung nicht systematisch auf ihre inhaltliche Richtigkeit hin kontrolliert wird, so dass die Zuverlässigkeit der Angaben von Vorstand und Aufsichtrat nicht durch unabhängige Dritte bestätigt werden muss. Weitere Grenzen der Aussagekraft der Entsprechenserklärung ergeben sich dann und insoweit, als die Empfehlungen selbst wenig präzise formuliert sind und/oder ihre Umsetzung nur schwer oder gar nicht mittels extern zugänglicher Informationen überprüfbar ist. Die aufgezeigten Grenzen des signalling effects der Entsprechenserklärung bedeuten keineswegs einen per se grundlegenden Schwachpunkt der vom Kodex gewählten Regulierungsphilosophie mit ihrer Kombination von Flexi-

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Siehe Abschnitt B. III. 2.

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bilität für die Unternehmen und Transparenz für ihre (Eigen- und Fremdkapital-, Arbeits- etc.)Marktpartner. Die Vor- und Nachteile dieser Philosophie wären vielmehr insgesamt gegeneinander abzuwägen, was den Rahmen des vorliegenden Beitrags allerdings bei weitem sprengen würde. Dabei wäre z.B. in Rechnung zu stellen, dass gesetzliche Vorschriften häufig ebenfalls auf die Verwendung unbestimmter Begriffe angewiesen sind und auch bei vorliegenden Testaten nicht immer im Sinne des Gesetzgebers praktiziert wurden und werden. Die hier durchgeführte Untersuchung weist jedoch darauf hin, dass der Informationswert der Entsprechenserklärung nicht pauschal veranschlagt werden darf, sondern differenziert betrachtet werden muss. Hieraus ergeben sich wichtige Implikationen auf den drei Feldern der Governancekommunikation der Unternehmen, der künftigen Kodexforschung wie auch der Kommissionsarbeit selbst.

Mehrheitsbeschlüsse und Gesellschafterschutz in Personengesellschaften Herbert Wiedemann

Der Jubilar wählte sich als Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit das Aktien- und Kapitalmarktrecht und legte mit seiner Habilitationsschrift zum Anlegerschutz bereits einen gewichtigen Baustein zu der in der Nachkriegszeit noch unterentwickelten Marktordnung. Da das Kapitalmarktrecht in der Folge weitgehend von Rechtsakten der europäischen Gemeinschaft bestimmt wurde und diese sich ihrerseits am großen Vorbild des USamerikanischen Wertpapierrechts orientierten, führte der Weg Klaus J. Hopt weit in die Rechtsvergleichung und in die internationale Zusammenarbeit und beides machte ihn zu einem der außenpolitischen Sprecher des deutschen Gesellschaftsrechts. Das wird in dieser Festschrift vielfach gewürdigt, erschöpft aber die Tatkraft des Jubilars keineswegs: in einer Reihe von Neuauflagen des von Baumbach begründeten Kurzkommentars zum HGB gelang es ihm, den Kommentar zum „Palandt“ des Handelsrechts zu machen, und damit Wesentliches zu den Personengesellschaften, zum Bilanz- und Bankrecht beizusteuern. Deshalb darf hier ein Beitrag zum Personengesellschaftsrecht gewählt werden. In Rechtsprechung und Rechtslehre wird die Personengesellschaft zunehmend von den Kapitalgesellschaften überschattet. Wieweit das einem Schwund in der wirtschaftlichen Bedeutung entspricht oder darauf beruht, dass Streitigkeiten in geschlossenen Gesellschaften verstärkt vor Schiedsgerichten geschlichtet werden, ist schwer zu beurteilen. Die seltener gewordenen höchstrichterlichen Judikate finden nach wie vor viel Aufmerksamkeit. Dies gilt auch für das sogenannte Otto-Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, das hier in seiner zentralen Aussage zur Mehrheitszuständigkeit der Gesellschafterversammlung in der Kommanditgesellschaft nochmals aufgerollt werden soll.

I. Einführung 1. Rückblick auf die Rechtsentwicklung In der Tradition des europäischen Rechts der Personengesellschaften gehen § 709 BGB und § 119 HGB vom Grundsatz einstimmiger Beschlüsse der Gesellschaftergesamtheit aus, wenn über außergewöhnliche Geschäftsvor-

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fälle oder Angelegenheiten der Gesellschaft selbst (i.e. Vertrags- und Strukturänderungen) zu entscheiden ist. Der Grundsatz der Einstimmigkeit vereinfacht das Verfahren, vermindert die Gefahr von Beschlussmängelstreitigkeiten und bekräftigt das für die Zusammenarbeit unabdingbare Vertrauensverhältnis. Da es aber gleichzeitig wichtige Entscheidungen verhindern oder jedenfalls verzögern kann, überlassen es die einschlägigen Gesetzesbestimmungen den Gesellschaftern, eine abweichende Organisation zu vereinbaren. Ob der Gesellschaftsvertrag umfassend alle Geschäfts- und Gesellschaftsangelegenheiten der Mehrheit überantworten kann oder ob dabei wenigstens gewisse Voraussetzungen zusätzlich zu beachten sind, dazu gibt es in der deutschen Rechtsprechung eine nun fast hundertjährige Entwicklung. Die Ergebnisse sind in der Rechtslehre teils übernommen, teils weiterentwickelt, aber auch deutlich kritisiert worden.1 Die historische Quelle des Richterrechts liegt in einem Urteil des Reichsgerichts im Jahre 1917,2 das eindeutig dem Schutz des einzelnen Gesellschafters vor mehrheitlichen Beitragserhöhungen diente. Der damalige II. Zivilsenat erklärte wegweisend, eine schrankenlose Unterwerfung der Minderheit unter die Herrschaft der Mehrheit könne von der Rechtsordnung nicht gebilligt werden; das im voraus abgegebene Einverständnis mit einer Beitragserhöhung müsse nach Art und Umfang fest umrissen sein. Der Bundesgerichtshof setzte diese Rechtsprechung bereits 1952 fort 3, brachte aber mit dem Hinweis auf ganz ungewöhnliche Beschlussgegenstände unvermerkt einen neuen Maßstab in die Debatte ein. Die noch heute bedeutsame Passage des Urteils lautet: „Dieser Rechtsprechung [des Reichsgerichts] liegt der zutreffende Gesichtspunkt zugrunde, daß eine unbeschränkte Unterwerfung der Minderheit unter den Willen der Mehrheit, soweit sie sich im Rahmen des rechtlich Erlaubten (§ 138 BGB) hält, einer besonders sorgfältigen Prüfung in der Richtung bedarf, ob auch wirklich der erklärte Wille der Gesellschafter bei der Vielgestaltigkeit und der weittragenden Bedeutung der in Betracht kommenden Beschlußgegenstände jeden dieser Gegenstände erfaßt hat. Es entspricht dieser Auffassung, wenn daraus die Rechtslehre die Folgerung gezogen hat, daß die in einem Gesellschaftsvertrag allgemein zugelassene Änderung des Vertrages durch Mehrheitsbeschluß sich nicht ohne weiteres auf solche Vertragsänderungen bezieht, deren Vornahme durch Mehrheitsbeschluß ganz ungewöhnlich ist, oder für die eine besondere gesetzliche

1 Dazu Baumbach/Hopt (33. Aufl. 2008) § 119 HGB, Rn. 33 ff.; Goette in Festschrift für Walter Sigle (2000) S. 145; Heinrichs Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (2006) S. 70 ff., 152 ff.; MünchKomm-Ulmer/Schäfer (5. Aufl. 2009) § 709 BGB, Rn. 87 ff.; Karsten Schmidt ZHR 158 (1994) 205; ders. ZGR 2008, 1, 8 ff., 16 ff. 2 RGZ 91, S. 165, 166 (KG). 3 BGHZ 8, S. 35 (KG) = LM Nr. 1 zu § 119 HGB (Anm. Robert Fischer).

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Vorschrift ausdrücklich Einstimmigkeit verlangt (Hueck aaO § 11 IV, 2); es muß sich also stets aus dem Gesellschaftsvertrag zweifelsfrei ergeben, daß die Zulässigkeit des Mehrheitsbeschlusses auch gerade für die im Einzelfall in Betracht kommende Maßregel gelten soll (Weipert aaO § 119 Bem 10). Inwieweit dabei eine gegenständliche Festlegung der im einzelnen einem Mehrheitsbeschluß unterworfenen Beschlußgegenstände erforderlich ist (so Flechtheim bei Düringer-Hachenburg aaO § 119 Bem 3), ist im einzelnen eine Frage der Auslegung und kann im allgemeinen nicht von vornherein bestimmt werden. Das Reichsgericht (RGZ 151, 326/327) hat demgemäß auch angenommen, daß eine ausdrückliche Bestimmung über die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses für jeden einzelnen Beschlußgegenstand nicht erforderlich sei, da auch in diesem Zusammenhang so wie für den Abschluß des Gesellschaftsvertrages überhaupt jeder irgendwie erkennbar erklärte Vertragswille der Beteiligten ausreichend sei. Immer ist es aber für die Zulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses nötig, daß ein dahingehender Vertragswille für jeden einzelnen jeweils in Betracht kommenden Beschlußgegenstand nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages unter Berücksichtigung aller Umstände, die insoweit für die Auslegung heranzuziehen sind, als erklärt feststellbar ist.“ Bereits 1956 erwies sich das Bestimmtheitsgebot als zwar notwendige, aber nicht ausreichende Schranke für Mehrheitsbeschlüsse. In seinem berühmt gewordenen Kernbereichs-Urteil 4 erbrachte der II. Zivilsenat seinen eigenen Beitrag zur Rechtsentwicklung, um Personengesellschafter gegen Eingriffe in ihre Rechtsposition auch dann zu schützen, wenn die Zuständigkeit der Gesellschaftermehrheit oder des Mehrheitsgesellschafters im Vertrag eindeutig begründet ist. Die Entscheidung hat – obwohl formal weniger gelungen und inhaltlich eher zurückhaltend gestaltet – den Grundstein für eine moderne Schutzlehre der Mitgliedschaftsrechte gelegt und dies über die personalistischen Gesellschaften hinaus auch für Körperschaften. Rückblickend hätte sich der Senat auf einzelne gesetzliche Vorschriften wie § 707 BGB oder § 53 Abs. 3 GmbHG stützen können; für eine Rechtsfindung durch eine Abstraktion von den verschiedenen Gesellschaftsformen war die Zeit aber wohl noch nicht gekommen. Mit dem Kernbereichs-Urteil beginnt eine zweispurige Rechtsprechung zum Gesellschafterschutz, die das Verhältnis zwischen Bestimmtheits-/Transparenzgebot und Schutz-/Angemessenheitsprüfung bewusst offen lässt,5 und es beginnt eine breite juristische Diskussion dazu, ob beide Strömungen nebeneinander verfolgt oder besser vereinheit-

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BGHZ 20, S. 363 (KG) = LM Nr. 7 zu § 161 HGB (Anm. Robert Fischer). BGH, NJW 1985, 974 (PublKG): Aufhebung der Verzinsungspflicht von Kapitaleinlagen; BGH, NJW 1995, 195 (KG): Einschränkung des Informationsrechts; BGHZ 132, S. 263 (KG): Feststellung der Jahresbilanz. 5

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licht werden sollen.6 Der erste Vorschlag drängt auf Verselbständigung beider Gedankengänge, der zweite auf Verschmelzung zugunsten der Kernbereichslehre. Der Bundesgerichtshof hat in der sog. Otto-Entscheidung in BGHZ 170, S. 283 7 die erste Lösung gewählt und damit neue Eckpunkte gesetzt. Der Senat benutzt die Gelegenheit, das bisherige Verständnis des Bestimmtheitsgrundsatzes zu vertiefen und seinen Rechtscharakter als Ermächtigung ins Bewusstsein zu rufen. Die dafür maßgebende Passage lautet: BGHZ 170, S. 283, Rn. 9, 10: „Verfehlt ist indessen das Verständnis, eine Mehrheitsklausel müsse stets die betroffenen Beschlussgegenstände minutiös auflisten. Das würde den Bestimmtheitsgrundsatz, der eine Verankerung der Mehrheitsmacht im Gesellschaftsvertrag nur als Eingangsvoraussetzung für die Gültigkeit einer Mehrheitsentscheidung verlangt, zu einer Förmelei denaturieren. (vgl. auch MünchKommBGB/Ulmer 4. Aufl. § 709 Rdn. 87, 88 m.w. Nachw.). Es genügt vielmehr, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag – sei es auch durch dessen Auslegung – eindeutig ergibt, dass der in Frage stehende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. (vgl. Senat, BGHZ 8, 35, 42; 85, 350, 356; K. Schmidt, GesR 4, Aufl. § 16 II, S. 454). Mit dieser Maßgabe ist an dem Bestimmtheitsgrundsatz, dessen Erforderlichkeit als Instrument des Minderheitenschutzes neben der sog. „Kernbereichslehre“ der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung zum Teil offen gelassen hat (BGHZ 71, 53, 57 f.; 85, 350, 356; 132, 263, 268; Sen.Urt. v. 10. Oktober 1994 aaO), festzuhalten. Ohnehin reicht die Eindeutigkeit einer vertraglichen Regelung – und selbst eine ausdrückliche Spezifizierung im Gesellschaftsvertrag – nicht in allen Fällen aus, um eine Mehrheitsentscheidung zu legitimieren. Diese unterliegt vielmehr auf einer zweiten Stufe einer inhaltlichen Wirksamkeitsprüfung (vgl. Goette, Festschrift Sigle, S. 145, 156 ff.; derselbe in Ebenroth/ Boujong/Joost, HGB § 119 Rdn. 59; zust. Baumbach/Hopt, HGB 32. Aufl. § 119 Rdn. 39), wie sie auch von der sog. „Kernbereichslehre“ mit z.T. unterschiedlichen Akzenten gefordert wird (vgl. dazu Staub/Ulmer, HGB 4. Aufl. § 119 Rdn. 40 ff.; MünchKommBGB/Ulmer 4. Aufl. § 709 Rdn. 91 ff.; K. Schmidt aaO § 16 II 2, III 3, S. 252 ff.)“ Der Senat bekräftigt die Weitergeltung des Bestimmtheitsgebotes, ändert indes eine Deutung des Rechtscharakters und veranlasst damit eine Neubestim-

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Dazu insbes. MünchKomm-Ulmer/Schäfer (5. Aufl. 2009) § 709 BGB, Rn. 84 ff. BGHZ 170, S. 283 (GmbH & Co. KG); vorbereitet von Goette in Festschrift für Walter Sigle (2000) S. 145, 156 ff.; Karsten Schmidt ZHR 158 (1994) 205; besprochen u.a. von Holler DB 2008, 2067; Priester DStR 2008, 1386; Reuter in Festschrift für Karsten Schmidt (2009) S. 1357; Karsten Schmidt ZGR 2008, 1; Wertenbruch ZIP 2007, 798; H. P. Westermann ZIP 2007, 2289. Vgl. dazu auch Schön in Festschrift für Heinrich Beisse (1997) S. 471. 7

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mung des Geltungsbereichs von Klarstellung und Schutzlehre. Nach einem kurzen Blick in die Rechtsvergleichung (dazu 2.) ist die zukünftige systematische Einordnung näher zu besprechen. 2. Ausblick auf die Rechtsvergleichung Der kontinentaleuropäische wie der anglo-amerikanische Rechtskreis sehen für ihre jeweilige Personengesellschaft einstimmige Beschlüsse der Gesellschaftergesamtheit vor – ein schönes Beispiel für ein einheitliches Rechtsempfinden in der alten und neuen Welt.8 Die Einstimmigkeit wird den Gesellschaftern oder Partnern jedoch nicht aufgezwungen, sie können ihre Organisation innerhalb gewisser Grenzen abweichend gestalten. Für diese Grenzziehung, die das deutsche Personengesellschaftsrecht nur vereinzelt anspricht, gibt die Rechtsvergleichung wertvolle Hinweise. Dreierlei ist bemerkenswert: Normen, die einzelne Beschlussgegenstände mehrheitsfest erklären; Vorschriften, die den haftungstragenden Gesellschaftern ein unentziehbares Stimmrecht gewährleisten; und Verfahrensregeln, die allen Gesellschaftern mit der Einführung von Mehrheitsbeschlüssen ein Mindestmaß an fairer Vorbereitung und Durchführung solcher Beschlüsse garantieren sollen. – Im englischen und US-amerikanischen Recht sind fundamentale Änderungen des Gesellschaftsvertrages zwingend der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter vorbehalten; – das französische Recht verbürgt den persönlich haftenden Gesellschaftern in der Kommanditgesellschaft ein von Mehrheitsentscheidungen unabhängiges Stimmrecht; – außerdem wird ansatzweise die Einhaltung eines korrekten Beschlussverfahrens mit der Einführung von Mehrheitsbeschlüssen verknüpft. Ein Muster mehrheitsfester Beschlussgegenstände bietet der englische Partnership Act 1890 in 24. (8). Danach kann bei Meinungsverschiedenheiten über Fragen der normalen Geschäftsangelegenheiten (ordinary business) mit Mehrheit beschlossen werden; Änderungen hinsichtlich der Natur der Gesellschaft jedoch die Zustimmung aller Partner voraussetzt. Die Vorschrift wird bis heute streng ausgelegt. Repräsentativ dafür ist die Aussage von Lord Lindley: “no majority, however large, can lawfully engage the partnership in such matters against the will of even one dissentient partner. Each partner is entitled to say to the others, ‘I became a partner in a concern formed for a

8 Frankreich Code civil (1978) Art. 1852 und Code de Commerce (2003) Art. L. 221-6; Italien Codice civile Art. 2252 Einfache Gesellschaft, OHG; England Partnership Act 1890 24. (8); US Revised Uniform Partnership Act (1997) Article 4 Section 401 (j); vgl. auch Art. 17 Abs. 2 EWIV VO.

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definite purpose, and upon terms which were agreed upon by all of us, and you have no right, without my consent, to engage me in any other concern, nor to hold me to any other terms, nor to get rid of me, if I decline to assent to a variation in the agreement by which you are bound to me and I to you.’ Nor is it at all material that the new business is extremely profitable.” 9 Im modernen Schrifttum wird der Katalog zustimmungsbedürftiger Beschlussgegenstände noch erweitert.10 Die neu geschaffene limited liability partnership (LLP) wird vom Gesetzgeber an das Recht der limited company angelehnt.11 Vergleichbar ist die Rechtslage im US Revised Uniform Partnership Act 1997. Gemäß Article 4 Section 401 (j) können Beschlüsse in normalen Geschäftsangelegenheiten mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Beschlüsse außerhalb dieses Bereiches und Änderungen des Gesellschaftsvertrages erfordern die Zustimmung aller Partner. Im Kommentar dazu wird erläutert, die Einstimmigkeit der Beschlüsse in außergewöhnlichen Angelegenheiten (matters outside the ordinary course of the partnership business) solle zwingend gelten und die Rechtsprechung folgt dem regelmäßig.12 In der Sache gilt dasselbe für die in den Einzelstaaten geregelte registered limited liability partnership, wenn sie, wie in Texas, im Gesetz zur Regelung der limited partnership Letzterer gleichgestellt wird.13 Der Code civile gewährt den Gesellschaftern der société civile Vertragsfreiheit; hilfsweise ist für Beschlüsse außerhalb der Geschäftsführung Einstimmigkeit erforderlich. Im Code de commerce Art. L. 221-6 ist für die société en nom collectif dasselbe, aber in umgekehrter Reihenfolge, vorgesehen. Allerdings verlangt der code in Art. L. 222-9 Einstimmigkeit für die Änderung der Nationalität und in Art. L. 222-8 für die Abtretung von Geschäftsanteilen, im Übrigen verdient die Zwei-Klassen-Abstimmung in der Kommanditgesellschaft besonderes Interesse. Für alle Beschlüsse außerhalb der Geschäftsführung ordnet Art. L. 222-9 c. com. für die Beschlussfassung an, dass die persönlich haftenden Gesellschafter alle, und die zahlen- und kapitalmäßige Mehrheit der Kommanditisten zustimmen. Da die Vorschrift ersichtlich dem Schutz des oder der persönlich haftenden Gesellschafter dient,

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Lindley and Banks On Partnership (18th ed. 2002) p. 467. Prime/Scanlan The law of partnership (1995) Chapter 8, p. 169. 11 Vgl. näher zum Charakter des Limited Liability Partnership Act (2000) Schnittker/ Bank Die LLP in der Praxis (2007) Rn. 27 f. 12 Paciaroni v. Crane, 408 A.2d 946 (Del. Ch. 1979): Einstimmigkeit im Liquidationsstadium; Thomas v. Marvin E. Jewell & Co., 232 Neb. 261, 440 N.W.2d 437 (1989): rechtswidrige Auflösung der Partnership. 13 Siehe Art. 6132b-1.01. (11) des Texas Revised Limited Partnership Act in der bis zum 1.1.2010 geltenden Fassung. 10

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wird sie wohl im Statut nicht aufgehoben werden können; ausdrücklich sieht das Gesetz allerdings nur das Verbot einer weiteren Verschärfung vor. Das Gemeinschaftsrecht verlangt in Art. 17 Abs. 2 EWIV VO zwingende Einstimmigkeit für einzelne Beschlussgegenstände und in Art. 17 Abs. 4 die Anhörung aller Mitglieder auf Verlangen eines Geschäftsführers oder eines Mitglieds.

II. Kollektive Willensbildung 1. Systematische Einordnung Die jüngste Entwicklung bekräftigt die organisationsrechtliche Ausrichtung der Personengesellschaft, die das vertragsrechtliche Denken mehr und mehr zurückdrängt. Die Zuständigkeit der Gesellschaftermehrheit für Gesellschaftsangelegenheiten ist ein typisches Beispiel eines Organisationsmodells ebenso wie die Verselbständigung der Personengesellschaft als Rechtsträger oder der Mitgliedschaft als übertragbares subjektives Recht. Der neue Ansatz veranlasst nicht nur geringfügige Korrekturen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit noch verbleibenden Grundsatzfragen. Ist es überhaupt Aufgabe einer Kompetenzverteilung, den notwendigen Gesellschafterschutz zu gewährleisten, nachdem die Durchsetzung des Belastungsverbots, das die Rechtsprechung auflöste, mittlerweile in die Kernbereichslehre abgewandert ist,14 und die Gesetze von wenigen Ausnahmen in § 43 Abs. 2 Satz 2, § 217 Abs. 1 Satz 3 UmwG und Art. 17 EWIV VO, scheinbar unbeschränkte Vertragsfreiheit vorsehen? Genügt es da nicht, den Interessen der einzelnen Gesellschafter durch eine inhaltliche Vertragskontrolle Rechnung zu tragen, zumal nachdem die Formularbücher der Praxis möglichst alle Fälle von einfachen, ungewöhnlichen und ganz ungewöhnlichen Grundlagengeschäften katalogmäßig anbieten und der Bestimmtheitsgrundsatz damit seine Warnfunktion eingebüßt hat. Die erste Frage droht den Sinn von Verfahrensnormen zu verfehlen, wenn ihre Aufgabe darauf beschränkt wäre, eine stabile Ordnung zu schaffen. Abreden zur Einberufung und Durchführung von Gesellschafterversammlungen und erst recht Bestimmungen zur Zuständigkeit der Gesellschaftsorgane dienen auch dem Schutz der Gesellschafter, und zwar dem Schutz aller Gesellschafter. Abstimmungserfordernisse wie z.B. die Anwesenheit eines

14 Vgl. zum zwingenden Belastungsverbot in § 707 BGB als mitgliedschaftliches Grundrecht BGH, WM 2005, 1608; BGH, WM 2006, 577; BGH, DStR 2007, 1263 (alle GbR); dazu zuletzt Schäfer in VGR/Gesellschaftsrecht in der Diskussion (2007) S. 137, 140 ff.; Karsten Schmidt ZGR 2008, 1, 19 ff.; Wiedemann in Festschrift für Hans-Joachim Priester (2007) S. 857.

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Quorums oder die Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit verfolgen – vergleichbar manchen prozessualen Vorschriften – sogar in erster Linie eine materielle Aufgabe. Von Minderheitsschutz sollte man in diesem Zusammenhang nicht sprechen, weil die Beteiligten beim Vertragsschluss oder bei der Vertragsänderung nach dem gesetzlichen Leitbild der Personengesellschaften davon ausgehen, regelmäßig der beschlusstragenden Mehrheit selbst anzugehören. Den bisherigen Ausführungen lässt sich entgegenhalten, der Schutz einzelner Gesellschafter werde auch von der Kernbereichslehre wahrgenommen, weil die Beschlusskontrolle auch Verfahrensfehler berücksichtige. Das vernachlässigt jedoch die unterschiedlichen Rechtsfolgen. Eine Verletzung der Zuständigkeit und damit der Vertragsgrundlage braucht der überstimmte Gesellschafter lediglich mit dem Hinweis auf die Einstimmigkeitsregel der Gesetze zu begründen; die Schutzzwecklehre verlangt demgegenüber die Darlegung und den Beweis, dass in eine individuelle Rechtsposition des Gesellschafters eingegriffen oder gegen die Treuepflicht der abstimmenden Mehrheit verstoßen wurde. Im Streitfall verschafft der Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot dem Kläger also eine günstigere Ausgangslage. Das Bestimmtheitsgebot stieß außerdem auf Ablehnung, weil es seine Warnfunktion mit der Handhabung der Praxis verloren habe. Im Schrifttum seien inzwischen alle Vertrags- und Strukturänderungen katalogmäßig aufgezählt, so dass sie von den Gesellschaftern und ihren Rechtsberatern nur übernommen zu werden brauchen,15 um Mehrheitsbeschlüsse zu legitimieren. Solche Verschleißerscheinungen sind auch mit der Durchführung anderer Ordnungsvorschriften unvermeidbar. Die unerwünschten Auswirkungen lassen sich abmildern, wenn der Gesellschaftsvertrag Gruppen bildet, für die jeweils Einstimmigkeit (z.B. bei Änderung des Unternehmensgegenstandes oder des Geschäftssitzes) oder qualifizierte Mehrheiten für Strukturänderungen und schließlich einfache Mehrheiten für sonstige Vertragsanpassungen erforderlich sein sollen. Das schärft die Aufmerksamkeit der an die Gesellschaftsordnung gebundenen Personen. Im Übrigen nimmt die Rechtsordnung solche Effizienzverluste im Interesse der Rechtsklarheit bei Transparenzgeboten in Kauf. Die positive Stellungnahme des Bundesgerichtshofs in dem Otto-Urteil zur Aufrechterhaltung des Bestimmtheitsgebotes überzeugt. 2. Folgerungen Die Verortung im Beschlussverfahren trägt zum inhaltlichen Verständnis des Bestimmtheitsgebotes bei und fördert gleichzeitig die Rechtsentwicklung im Personengesellschaftsrecht. 15 Vgl. nur die Hinweise bei Goette in Festschrift für Walter Sigle (2000) S. 152 f.; Heinrichs Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (2007) S. 100 f.

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Die in § 709 BGB und § 119 Abs. 2 HGB vom Gesetzgeber noch nicht vorgesehenen Anforderungen an die Eindeutigkeit einer Mehrheitszuständigkeit lässt sich normtheoretisch oder rechtsgeschäftlich erklären. Der normative Charakter des Statuts verlangt für die Zuständigkeitsverteilung Eindeutigkeit und Widerspruchsfreiheit – das genügt für die Legitimation von Mehrheitsbeschlüssen in Angelegenheiten der Geschäftsführung, regelmäßig jedoch nicht für eine pauschale Ermächtigung der Mehrheit zu Vertrags- und Strukturänderungen. Mit einer rechtsgeschäftlichen Deutung der Mehrheit verlangt man mehr, aber womöglich zu viel. Die unbeschränkte Unterwerfung unter den Mehrheitswillen aus dem Vorhandensein einer dahin gehenden Vertragsbestimmung zu erschließen, wäre fiktiv. Aber selbst die Aufzählung einzelner Beschlussgegenstände würde für eine echte Unterwerfungserklärung nicht immer ausreichen, weil die antizipierende Willenserklärung Voraussehbarkeit von Art und Umfang der Vertragsänderung erfordert. Ob die bestehende nationale Personengesellschaft später einmal in eine neue europäische Gesellschaftsform oder auch nur in eine nationale Kapitalgesellschaft umgewandelt werden soll, kann für diese wie für zahlreiche andere Vertragsänderungen im voraus nicht „bestimmt“ werden. Die Gegenüberstellung zeigt, dass das Bestimmtheitsgebot ein Mindestmaß an Klarstellung verlangt, der konkrete Bestimmtheitsgrad sich indes nur aus Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung ergibt. Für die Begründung einer Mehrheitszuständigkeit in Gesellschaftsangelegenheiten reicht es deshalb nicht aus, wenn die Gesellschafter stillschweigend oder in langjähriger Übung von der Mehrheitszuständigkeit ausgegangen sind. In der Beratungspraxis empfiehlt sich nach wie vor die Aufzählung wichtiger Beschlussgegenstände verbunden mit einem Hinweis darauf, ob es sich um Regelbeispiele oder eine abschließende Auflistung handeln soll. Der neue Ansatz gliedert das Bestimmtheitsgebot in die Regeln eines korrekten Beschlussverfahrens ein und gibt damit den Blick auf weitere Sachfragen frei, die bisher wenig erörtert sind. Eine erste Frage geht dahin, ob wirklich alle Gesellschaftsangelegenheiten einem schlichten Mehrheitsentscheid überantwortet werden können, und wenn dies zu verneinen ist, welche Beschlussgegenstände möglicherweise der Einstimmigkeit und welcher einer qualifizierten Mehrheit vorbehalten sind. Außerdem möchte man wissen, ob es noch weitere Verfahrensregeln gibt, die dem Schutz aller Gesellschafter vor und bei der Beschlussfassung dienen. Das lässt sich mit folgenden Hinweisen bejahen: Die Änderung des Gesellschaftszweckes und des Unternehmensgegenstandes bedarf in einer personalistischen Gemeinschaft stets der Einstimmigkeit; die unbeschränkte Freigabe in den Gesetzesbestimmungen ist insofern restriktiv auszulegen. Einen Anhalt bietet § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB für die Zweckänderung, einen gewissen Rückhalt für die Änderung des Unternehmensgegenstandes Art. 17 Abs. 2 lit. a EWIV VO. Weitere Beschlussgegen-

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stände können zu den mehrheitsfesten Maßnahmen rechnen, wenn sie Identitätsmerkmale des Zusammenschlusses berühren, wie z.B. den Namen einer Berufssozietät oder den Sitz eines Gewerbebetriebes („Beck am Rathauseck“). Wieweit andere „Fundamentaldaten“ nur mit Zustimmung aller Gesellschafter geändert werden können, richtet sich nach dem jeweiligen Zuschnitt der personalistisch gestalteten Gemeinschaft. Ähnlich offen ist die Rechtsentwicklung hinsichtlich der Wahlfreiheit zwischen qualifizierter und einfacher Mehrheitszuständigkeit. §§ 43 Abs. 2 Satz 2, 217 Abs. 1 Satz 3 UmwG, Art. 17 EWIV VO sehen ausdrücklich eine Dreiviertelmehrheit für die Umwandlung vor – Ausnahme- oder Regeltatbestand? 16 Eine Sonderbehandlung verlangen jedenfalls die Publikumspersonengesellschaften.17 Bei Publikums-/Personengesellschaften, die ihre Beteiligungen an nicht miteinander verbundene Personen oder in der Öffentlichkeit anbieten, müssen Sonderregeln gelten. Es wäre nicht sachgerecht, von einer großen Zahl anonymer Gesellschafter über § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus einstimmige Beschlüsse vorzusehen, aber es erscheint dringend erforderlich, wesentliche Vertragsänderungen an die Voraussetzung einer qualifizierten Beteiligungsmehrheit zu knüpfen. Das Recht der Personengesellschaften kann schließlich dahin entwickelt werden, von den Gesellschaftern nicht nur eine eindeutige Bestimmung der Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen zu fordern, sondern auch die Einhaltung grundlegender Verfahrensregeln. Dazu gehört das Recht jedes einzelnen Mitglieds die Einberufung einer Gesellschafterversammlung oder – abgeschwächt – wenigstens die Anhörung aller Gesellschafter in einer Gesellschaftsangelegenheit zu verlangen; vgl. Art. 17 Abs. 4 EWIV VO. Dazu kommen Regularien zur Einberufung und Durchführung der Gesellschafterversammlung und zur Beschlussfassung, wobei es sich – dies sei betont – um Mindestanforderungen in einer auch im Übrigen formalisierten Gemeinschaft handelt.18 Wenn der Gesellschaftsvertrag schweigt, lassen sich entsprechenden Verfahrensregeln aus der die Gesellschafter untereinander verbindenden Treuepflicht herleiten.

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Dazu bereits Wiedemann Gesellschaftsrecht, Bd. 2 (2004) § 6 II. 2., S. 542. Dazu ausführlich Baumbach/Hopt (33. Aufl. 2008) Anhang a nach § 177 HGB, Rn. 69a. 18 Vgl. zu Mindestanforderungen rechtsstaatlicher Art in einem Schiedsverfahren jetzt BGH, ZIP 2009, 1003 (GmbH); Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, NZG 2009, 1296, 1297. 17

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III. Individueller Mitgliedschaftsschutz 1. Systematische Einordnung Zum Schutz der einzelnen Personengesellschafter entwickelte die Rechtsprechung in BGHZ 20, S. 363 (KG) neben dem Bestimmtheitsgebot ein an die Gesellschaftermehrheit gerichtetes Verbot, in die Rechtsstellung anderer Mitgesellschafter nicht ohne deren Zustimmung einzugreifen. Die alsbald als „Kernbereichslehre“ anerkannte und weitverbreitete Rechtsfigur sollte den Schutz des einzelnen Gesellschafters in denjenigen Fällen garantieren, in denen der Vertrag einwandfrei die Zuständigkeit der Stimmen- oder Kapitalmehrheit vorsieht. In der Folgezeit wurde dieses Rangverhältnis weitgehend beibehalten, die Kernbereichslehre neben dem Bestimmtheitsgrundsatz als Grenze der Mehrheitsherrschaft eingeordnet und ihr Verhältnis zueinander in Rechtsprechung und Rechtslehre ausgeleuchtet. Dabei blieb zunächst unbemerkt, dass die Kernbereichslehre mit ihrem Verbot rechtswidriger Eingriffe in Mitgliedschaftsrechte über die Problematik zulässiger Mehrheitsklauseln hinausreicht oder hinausreichen kann; die Rechtsposition des einzelnen Gesellschafters kann mit anderen Worten auch auf der Grundlage eindeutiger Zuständigkeitsbegründung verletzt werden. Der II. Zivilsenat überschritt diese Grenze mit der Einbeziehung unverzichtbarer Mitgliedschaftsrechte in den Kernbereich.19 Spätestens dann wurde es notwendig, einen Wechsel der Perspektive vorzunehmen und die Kernbereichs- in eine allgemeine Schutzlehre der Mitgliedschaft weiterzuentwickeln. Frühzeitig hatte Karsten Schmidt 20 auf den andersartigen Charakter des Beteiligungsschutzes hingewiesen und das Otto-Urteil 21 ist dem auf der Basis weiterer Vorarbeiten gefolgt.22 Auf dieser Grundlage gibt es zwischen den Voraussetzungen eines wirksamen Mehrheitsbeschlusses und den Tatbeständen eines unzulässigen Eingriffs in mitgliedschaftliche Rechtspositionen kein Stufen- oder Rangverhältnis; die jeweiligen Rechtssätze finden nebeneinander Anwendung.23 Stehen beide Rechtsbehelfe zur Verfügung, wird es für den betroffenen Gesellschafter freilich günstiger sein, sich zuförderst auf den Mangel der Zuständigkeit zu berufen.

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BGH, NJW 1995, 373, 374 (KG). Karsten Schmidt ZHR 158 (1994) 205, 228; ders. ZGR 2008, 1, 17. 21 BGHZ 170, S. 283. 22 Vgl. Goette in Festschrift für Walter Sigle (2000) S. 145, 153 f. 23 Im Ergebnis ebenso BGH, NJW 1995, 373 (KG); BGHZ 132, S. 263 (GmbH & Co. KG); Heinrichs Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (2007) S. 216 ff. m.w.N. 20

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2. Folgerungen Ein abschließendes Wort ist der Schutzlehre ihrem Geltungsbereich, ihrem Inhalt und den Rechtsfolgen einer Verletzung gewidmet. Von Minderheitsschutz im strengen Wortsinn kann man auch hier nicht sprechen, weil es sich nicht um Abwehrrechte einer festen Minderheitsgruppe, sondern um die Verteidigung jedes einzelnen Gesellschafters gegenüber Maßnahmen der Mitgesellschafter oder der Geschäftsführung handelt. Der Geltungsbereich der Schutzlehre umfasst nicht die Mitgliedschaft als Ganzes,24 sondern nur einzelne Bestandteile der Rechtsposition eines Gesellschafters, die Zugehörigkeit einer Person zu einem Verband stellt zwar nach heute überwiegender Ansicht ein absolutes Recht im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB dar, sie genießt jedoch keinen absoluten Bestandsschutz gegenüber Ausschlusskündigungen oder andere Verlusttatbestände. Die daran anschließenden Abfindungsansprüche scheiden ihrerseits als Rechtsfolge eines Eingriffs in die Mitgliedschaft aus. Einigkeit besteht wohl auch darin, dass es sich um unmittelbare Eingriffe, also um Verkürzung von Rechten oder Erhöhung von Pflichten handeln muss und Vertrags- und Strukturänderungen, die sich nur mittelbar auf die individuelle Beteiligung auswirken, außer Betracht bleiben. Eine Überprüfung von Gesellschafterbeschlüssen gestatten die allgemeinen Rechtsbehelfe, also die Berufung auf die Treuepflicht, das Sachlichkeitsgebot und den Gleichbehandlungsgrundsatz.25 Die Grenzziehung kann freilich überspielt werden, wenn man in der Mitgliedschaft ein Recht jedes Gesellschafters auf korrekte Amtsführung der Gesellschaftsorgane insbesondere der Gesellschafterversammlung entdeckt.26 Inhaltlich wird zwischen unentziehbaren und unverzichtbaren Beteiligungsrechten unterschieden; nur die ersteren können mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters aufgegeben oder wenigstens eingeschränkt werden.27 Sachlich stellt man den Eingriffsverboten die Belastungsverbote an die Seite: gegen seinen Willen kann niemand zu höheren Beiträgen verpflichtet werden, auch nicht mit qualifizierter Mehrheit. Für die Eingriffstatbestände fehlt dagegen bislang ein einheitlicher Bewertungsmaßstab 28 und die Rechtsprechung schwankt.29 Einig24 Zu weit gehend Heinrichs Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (2007) S. 117 ff. 25 Vgl. dazu Wiedemann WM 2009, 1, 3 ff. 26 BGHZ 83, S. 122: Holzmüller; weitergeführt in BGHZ 159, S. 30: Gelatine I; dazu Fleischer DStR 2009, 1204; Reichert AG 2005, 150, 154. 27 Zum Ausschluss von Abwehrrechten bei Pflicht zur Zustimmung BGH, NJW 2007, 917; BGH, ZIP 2008, 1818. 28 Vgl. die Aufzählung von unentziehbaren Rechtspositionen bei Goette in Festschrift für Walter Sigle (2000) S. 145, 154; MünchKomm-Ulmer/Schäfer (5. Aufl. 2009) § 709 BGB, Rn. 90; Karsten Schmidt ZGR 2008, 1, 18, 19. 29 Vgl. zur Mitwirkungsbefugnis des Kommanditisten bei der Feststellung des Jahresabschlusses BGHZ 132, S. 263 und BGHZ 170, S. 283 (beide GmbH & Co. KG).

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keit besteht darüber, dass alle Geschäftsführungsangelegenheiten, und zwar auch diejenigen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Gewerbes nach § 116 Abs. 2 HGB hinausgehen, der vertraglichen Mehrheitszuständigkeit zugänglich gemacht werden können; den Gegenpol bilden das zwingende Kündigungsrecht nach § 723 Abs. 3 BGB und ihm gleichstehende Grundrechte. Dazwischen liegen mehrheitsfeste Bestandsgarantien im Sektor der Teilnahmebefugnisse und der Informations- und Kontrollrechte, die sich trotz der Suggestivkraft des Wortes „Kernbereich“ letztlich nur im Einzelfall feststellen lassen. Die Bewertung beruht teils auf vertraglichen Abreden (Vorrechte), teils auf Freiheitsschutz (Austrittsrecht), anderweit auf Institutionenschutz (Auskunftsrecht). Jeder Personengesellschafter kann sich gegen Eingriffe in seine Mitgliedschaftsrechte mit einer individuellen Klage verteidigen und von den übrigen Gesellschaftern verlangen, dass seine Rechtspositionen anerkannt und etwaige Einbußen wiedergutgemacht werden. Dabei wird man in Zukunft noch deutlicher unterscheiden müssen, ob es sich um Eingriffe in den Inhalt der Mitgliedschaft, also in das Stammrecht selbst handelt oder ob nur die Ausübung oder Mitwirkung in seiner Ausformung beschnitten werden. Einschränkungen der konkreten Teilnahmerechte (z.B. Mitwirkung bei der Bilanzfeststellung) sind für den Gesellschafter eher zumutbar als ein Entzug des einschlägigen Mitgliedschaftsrechtes. Gemeinhin wird diese Abwehrmöglichkeit 30 als Einzelklagebefugnis der actio pro socio gegenübergestellt, mit der ein Mitglied Schädigungen der Gesellschaft selbst in Prozessstandschaft zu ihren Gunsten einklagen kann.31 Die individuelle Klage kann wie die im Kollektivinteresse erhobene Klage als Leistungs-, Feststellungs- oder Gestaltungsklage eingereicht werden, je nachdem, welcher Verletzungstatbestand gerügt werden soll. Verletzungen des Kernbereichs der Mitgliedschaft werden dementsprechend mit einer Feststellungsklage geahndet, die inzidenter über die richtige Auslegung des Gesellschaftsvertrages befindet.

30 Dazu Karsten Schmidt Gesellschaftsrecht (4. Aufl. 2002) § 21 V 3., S. 648 ff.: Abwehrklage. 31 Dieselbe Unterscheidung begegnet im französischen Recht (action individuelle/action ut singuli) und im US-amerikanischen Recht (direct suit/derivative suit). Beispiele zur individuellen Verteidigung von Gesellschafterrechten geben für das französische Recht Ripert/ Roblot Traité de Droit Commercial (18e édition 2002) Rn. 1766; Grelon ECFR 2009, 205 und für das amerikanische Recht Clark Corporate Law (1986) § 15.9, 662.

Sunlight for a Healthy Body Corporate Christine Windbichler* I. Introduction One of my favorite Corporate Governance books is “The Anatomy of Corporate Law”.1 But what is “Anatomy”? When little Joe was asked that question by his kindergarten teacher he answered: “Anatomy is something everybody has but it looks much better in women.” In Comparative Corporate Governance, we look at something all corporate governance regimes have but that, nevertheless, in some jurisdictions looks better than in others. Like other team-work of Klaus Hopt with outstanding experts, the “Anatomy” combines scholarship and understanding on a truly international level and presents a hands-on example of functional comparative law proudly striding past theoretical criticism of comparative law as method and/or discipline.2 Law appears first and foremost as a local and particular element. Comparative law used to be an academic endeavor collecting curiosities and pigeonholing provenances of countless cases, rules, and statutes. Twining 3 mischievously called the prevalent comparative legal literature “Country and Western”, i.e. based not only on nations but predominantly on Western industrialized nations. Be that as it may, comparative Corporate Governanceanalysis lends itself easily to applied comparative law. The interpenetration of capital markets, cross-border corporate activities, multiple listings, clash and harmonization of regulation turns a pure national approach to corporate and capital market law into a pitfall. Klaus Hopt always supported the broader perspective in many ways; one of them is the thriving second edition of the * An earlier version of this paper was presented at the Center for International & Comparative Law’s Global Law Workshop, Duke University Law School, in spring 2009. I am deeply indebted to Ralph Michaels, the students, and the colleagues participating in the Workshop for their valuable feedback. 1 Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock The Anatomy of Corporate Law – A Comparative and Functional Approach, 1st ed. 2004. 2 E.g. Michaels in Reimann/Zimmermann (eds.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, p. 339; Hopt in Reimann/Zimmermann (eds.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, p. 1161; Reimann The Progress and Failure of Comparative Law in the Second Half of the Twentieth Century, 50 Am. J. Comp. L. 671, 683, 685 et seq.; Watson Legal Transplants. An Approach to Comparative Law, 1974, reprinted 1993, p. 10 et seq. 3 Twining Globalization and legal theory, 2000, p. 177/178, 184 et seq.

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“Anatomy”.4 He took part in this groundbreaking project and contributed substantially, especially on control transactions and the general outlook on Corporate Governance.5 The book is pleasantly frugal in its assumptions. The bare bones are five characteristics of the corporation: legal personality, limited liability, transferable shares, delegated management with a board structure, and investor ownership; the workings of these fundamental elements are condensed in a hypothesis of three agency problems.6 Legal strategies to deal with the basic agency problems are developed and discussed along the lines of efficiency and efficacy.7 Information or disclosure do not feature here as a specific strategy but are mentioned, however, in the book time and again.8 In the chapter on investor protection, mandatory disclosure is pointed out as the paradigmatic entry strategy.9 Corporate scandals from Enron to the Financial Crisis produced calls for more transparency of companies, banks, auditors, financial products, and business practices. Information, disclosure, and transparency seem to be the current catch phrases found all over the world. Here, the famous adage of Justice Brandeis comes to mind: “Publicity is justly commended as a remedy for social and industrial diseases. Sunlight is said to be the best of disinfectants; electric light the most efficient policeman.” 10 We are all familiar with extensive disclosure requirements, starting with a host of SEC-filings and not ending with statements on the impact of an investment on the habitat of the common shrew.11 In EU legislation, the so called information regime 12 takes 4 Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock The Anatomy of Corporate Law – A Comparative and Functional Approach, 2nd ed. 2009; see also Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (eds.), Comparative Corporate Governance. The State of the Art and Emerging Research, 1998; Hopt/Wymeersch/Kanda/Baum (eds.), Corporate governance in Context. Corporations, States and Markets in Europe, Japan, and the US, 2005. 5 Davies/Hopt in Anatomy (n. 4) chapter 8; Davies/Enriques/Hertig/Hopt/Kraakman in Anatomy (n. 4) chapter 10. 6 Armour/Hansmann/Kraakman in Anatomy (n. 4) chapters 1 and 2; Davies/Enriques/ Hertig/Hopt/Kraakman in Anatomy (n. 4) p. 305. 7 Armour/Hansmann/Kraakman in Anatomy (n. 4) p. 37 et seq. 8 Enriques/Hansmann/Kraakman in Anatomy (n. 4) p. 81: “While mandatory disclosure is not itself one of the legal strategies that we defined in Chapter 2, it plays a critical supporting role in the functioning of all legal strategies, and in all aspects of corporate law …”. 9 Hertig/Kraakman/Rock in Anatomy (n. 4) p. 277 et seq. 10 L. D. Brandeis Other People’s Money – and How Bankers Use it (1914) p. 62. 11 For an enquiry into disclosure as tool for environmental protection see Karkkainen Information as Environmental Regulation: TRI and Performance Benchmarking, Precursor to a New Paradigm? 89 Geo. L.J. 257 (2000–2001). 12 A comprehensive overview from a European perspective is provided by Grohmann Das Informationsmodell im europäischen Gesellschaftsrecht, 2006; see also Merkt European Company Law Reform: Struggling for a More Liberal Approach, ECFR 2004, 3. The terms

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prevalence over straightforward merit regulation being the less intrusive strategy. In a prominent line of cases, the European Court of Justice in general has been favoring information regulation over more restrictive substantive controls.13 Especially in the field of corporate law, the EU does not pursue a goal of harmonization or even uniformity of law but relies on transparency, mutual acceptance, and competition of legal systems.14 Only certain areas considered indispensable for the protection of investors and creditors are governed by Directives and Regulations. On comparison, some jurisdictions are more inclined towards an information model and others tend more towards substantive regulation. In Corporate Governance, principal-agent problems are prevalent, and principal-agent problems typically arise from asymmetric information. Therefore, mandatory information may be the suitable instrument to turn the asymmetry into a level playing field.15 In the following paper I will look at information regimes as a corporate governance strategy. Taken all together, I will argue that information is not a panacea to all Corporate Governance problems; disclosure is not a goal by and in itself but serves a variety of purposes and has a wide range of effects that require further exploration.

II. The Use and Development of an Information Regime in Corporate Governance The most general and, as a phenomenon if not in all particulars, ubiquitous application of an information regime is the publication of financial reports of listed companies. I will not enter into the jargon jungle of accounting standards, valuation problems, and other mysteries but focus on the interpenetration of disclosure and internal Corporate Governance. 1. Example: Executive Remuneration Michael S. Ovitz received a severance package of 130 Mio $ after less than 15 months of service as president of Walt Disney Corp. Subsequent shareholders’ suits brought about interesting insights into the technicalities of “information” and “disclosure” are used in this paper without scrupulous distinction; I am well aware that in the literature specifically dealing with information the terminology is more rigorously defined. 13 Merkt European Company Law Reform: Struggling for a More Liberal Approach, 1 ECFR 3, 16 (2004). 14 Windbichler/Krolop in Riesenhuber (ed.), Europäische Methodenlehre. Handbuch für Ausbildung und Praxis, 2nd ed. 2010, § 19 Rn. 13. 15 Mahoney Mandatory Disclosure as a Solution to Agency Problems, 62 U.Chi.L.Rev. 1047 (1995).

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derivative litigation.16 In the aftermath of this and other famous cases, the SEC undertook specific efforts to regulate executive compensation requiring more detailed disclosure of compensation packages. Public and, most recently, legislative outrage over bonuses and excessive remuneration is not based on rumors and speculation but, in most cases, information from public sources. Nell Minow, a prominent expert on Corporate Governance and executive pay, and founder of the “Corporate Library”, a huge database which aggregates and analyzes public information about thousands of companies, praised the General Electric pay package for Jack Welch as exemplary, until, in 2006, the divorce proceedings of the former General Electric CEO revealed his retirement benefits.17 They included Metropolitan Opera, Red Sox, Knicks, and Yankees tickets, a luxury apartment in New York City overlooking Central Park, dry cleaning, flowers, wine, a cook, cars, country club memberships, the use of a GE corporate jet, security systems, cell-phones, and even vitamins.18 2. Disclosure as an Answer Divorce proceedings are not exactly the information regime I have in mind here. Originally, the Federal Securities Act of 1933 and the Federal Securities and Exchange Act of 1934 introduced extensive periodic reporting requirements that focused predominantly on financial statements. The main target was counteracting failures of the securities markets attributed to lack of information. The market is supposed to translate information into prices, and the more information is available the more the price will be “right” or efficient. Securities regulation is, depending on the jurisdiction, a well developed field of its own. Corporate law is closely related to and overlapping with capital market law. Capital markets represent an important element of external control, i.e. external Corporate Governance.19 Management remuneration, though, is first and foremost an internal concern of a company. It may be considered the epitome of the agency conflict

16 Brehm v. Eisner, Del. Supr., 746 A.2nd 244 (2000); Gevurtz Disney in a Comparative Light, 55 Am.J.Comp.L. 453, 478 et seq. (2007). 17 Owen The World of Business, “The Pay Problem,” The New Yorker, October 12, 2009, p. 58 et seq. 18 Rushe The Sunday Times, Dec. 1, 2002, http://business.timesonline.co.uk/tol/business/article838787.ece; Murray/Emmea Silverman/Hymovitz Wall Street Journal Nov. 27, 2002, http://online.wsj.com/article/0,,SB1038347809827912908.djm,00.html; see also Martin The House of Mouse and Beyond: Assessing the SEC’s Efforts to Regulate Executive Compensation, 32 Del. J. Corp. L. 481 (2007) p. 485 n. 12, quoting Nocera New York Times, Jan. 14, 2006. 19 Hertig/Kraakman/Rock in Anatomy (n. 4), p. 275 et seq.; Schön The Concept of the Shareholder in European Company Law, 1 EBOR 3, 28 (2000).

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between shareholders, directors, and executives. Company law deals with such conflicts dividing up decision making powers between board, committees, supervisory board, and shareholders’ meeting, and restrains discretion imposing fiduciary duties, duties of care, skill and diligence,20 setting standards of proportionality and adequacy,21 or prohibiting self-dealing transactions completely.22 Communication between the various bodies within the corporation is necessary to make the governance regime work and, therefore, is supported by information rights. Shareholders’ rights would be worthless without information.23 The example of management remuneration may shed more light on expected and actual workings of disclosure requirements. Excessive executive remuneration has been criticized for a long time, especially in the U.S.24 Compensation of more than five hundred times the average worker’s salary25 is, for many people, just not plausible. Cultural diversity, e.g. the tolerance as to social differences and differences in wealth varying from country to country, does not explain the phenomenon sufficiently. Management’s pay attracted additional attention when banks started receiving government aid in 2008 in order to stabilize themselves and fight the Financial Crisis. As a reaction, national rescue programs, stimulus packages, stabilization laws, and bailout acts included caps on executive pay.26 Deriving its regulatory power from the 1933 Securities Act27 and the 1934 Securities Exchange Act,28 the SEC adopted in 1992 regulations concerning executive compensation. In the wake of several scandals, including the turmoil about Ovitz’s severance package and Jack Welch’s perks, the SEC amended the disclosure requirements in 2006.29

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Cf. UK Companies Act Sec. 170 et seq. Cf. § 87 (1) AktG. 22 Enriques/Hertig/Rock in Anatomy (n. 4) p. 153, 169 et seq.; Sec. 402 Sarbanes Oxley Act prohibits loans of the company to directors or executive officers; though technically capital market law, the provision shows one of the many corporate governance strategies employed. 23 Davies/Hopt in Anatomy (n. 4) p. 249 et seq.; Schön (n. 19) p. 29. 24 Bebchuk/Fried Pay without Performance. The Unfulfilled Promise of Executive Compensation, 2004. 25 Cheffins The Metamorphosis of “Germany Inc.”: The Case of Executive Pay, 49 Am.J.Comp.L. 497, 514, at 515 (2001). 26 E.g. in Germany: Bundesministerium der Finanzen, Verordnung zur Durchführung des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes (Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung – FMStFV) vom 20. Oktober 2008, § 5 subsec. 2 Nr. 3 and 4, eBAnz AT123 2008 V1 [www.ebundesanzeiger.de]. 27 15 U.S.C. § 77a (1988). 28 15 U.S.C. § 78a (1988). 29 SEC Release No. 33-8765, 17 CFR 228, 229, 71 Fed.Reg. 78,338 (Dec. 22, 2006); SEC Release No. 33-8732A, 71 Fed.Reg. 53,158 (Aug. 29, 2006); Martin (n. 18) p. 481. 21

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Other jurisdictions experienced a similar move towards disclosure as executive remuneration became more and more controversial. In Germany, for instance, the excesses are, to a large extent, an imported problem.30 Stock options were virtually unknown, so-called naked warrants were introduced only in 1998;31 the ratio of fixed salary to variable pay at that time was roughly 70:30, not the other way around. The 4th EC Directive requires disclosure in the notes on the accounts of “the amount of the emoluments granted in respect of the financial year to the members of the administrative, managerial and supervisory bodies, with an indication of the total for each category”.32 The Commission Recommendation on the remuneration of directors of listed companies 33 puts forward individualized disclosure. German law stayed in line with the minimum standard of the 4th Directive until 2005. The German Code of Corporate Governance advised individualized disclosure.34 In 2005, German law made individualized disclosure mandatory.35 The Corporate Governance Code was adjusted to the new legal situation; now the recommendation is that “Disclosure shall be made in a compensation report which as part of the Corporate Governance Report describes the compensation system for Management Board members in a generally understandable way”.36 A thorough overhaul of accounting law in 2009 refined the disclosure requirements including now an explanation of the basic traits of the remuneration system.37 The common trajectory is the passage from figures to structure, from a remuneration statement to an independent remuneration report. The newer laws and recommendations want the information broken down into elements of fixed income, variable components, insurance premiums, retirement benefits etc. and the main parameters for bonus schemes and other performance related elements.

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Gevurtz (n. 16) p. 478 et seq. § 192 (2) Nr. 3. AktG; Windbichler Gesellschaftsrecht, 22nd ed. 2009, § 32 Rn. 28. 32 Art. 43 Abs. 1 (12) Fourth Council Directive of 25 July 1978 on the annual accounts of certain types of companies, 78/660/EEC, OJ L 222/22, 14.8.1978, last amended by Directive 2006/43/EC of 17 June 2006, OJ L 157/87, 9.6.2006. 33 Commission Recommendation of 14 December 2004 fostering an appropriate regime for the remuneration of directors of listed companies, 2004/913/EC, OJ L 385/55. 34 Again, there is a significant cultural difference to note: German and other European societies tended to be and still are much more secretive than Americans. Income and wealth in Dollar or Euro amounts are not proper topics for civil conversation. An individual’s salary is considered personal data heavily protected from disclosure by law. 35 Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen (VorStOG) vom 3.8.2005 BGBl. I, 2265; die Pflichtangaben im Anhang nach § 285 HGB werden ergänzt. 36 German Corporate Governance Code (2008) 4.2.5. 37 §§ 285 No. 9, 289 (2) No. 5 HGB as amended by Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts – BilMoG – vom 25.5.2009, BGBl. I, 1102. 31

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Obviously, the German legislator did not trust the information strategy and reverted to substantive legislation. The reformulated German Stock Corporation Law lists a whole gamut of principles (open to further specification) and additional procedural rules for the establishment of the managing board’s pay.38

III. The Disclosure Process and its Side Effects 1. Internal Ex-Ante Effects a) Information Gathering As we know from financial reporting, the process starts with recordkeeping and a more or less elaborate system of recording transactions and events, keeping track of inventory etc. The simple fact that all this has to be done has an impact on the organization of business operations. This is reflected clearly in jurisdictions that require book-keeping even for businesses in sole proprietorship and unincorporated partnerships.39 Even without an external audit and disclosure, this process spells out the selfinformation mechanism of (internal) reporting. The process of internal information gathering is a back-office operating function and governance tool. It brings important matters into focus and increases sensitivity to a realistic assessment of the state of affairs. Disclosure requirements loom large on the horizon and foster awareness towards the material to be disclosed. One of the reasons reported why German DAX-Companies were rather slow in adopting the German Corporate Governance Code’s recommendation to report compensation of the management board’s members in individualized form was that the compensation packages were highly complex and sometimes confusing,40 sometimes overgrown in various versions, and fraught with uncertainty of what to disclose.41 The recommendation and later the law were intended as incentives to rewrite and streamline the compensation packages.42 38 § 87 (1) AktG as amended by Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31.7.2009, BGBl. I, 2509. 39 E.g. § 241 HGB German Commercial Code. Here, a strong cultural difference between continental European commercial law and the American tradition is evident. Mandatory book-keeping has a long-standing tradition in the Commercial Codes; the invention of double-entry accounting goes back to the Italian renaissance. 40 Sometimes, it seems, on purpose, see Peltzer FS Lutter, 2000, p. 571. 41 German Corporate Governance Code (2003 version) 4.2.4.; v. Werder/Talaulicar Kodex Report 2008: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2008, 825; v. Werder/Talaulicar Kodex Report 2007, DB 2007, 869; v. Werder/Talaulicar Kodex Report 2006, DB 2006, 849. 42 A similar argument can be made for general pension plans and health benefits: without strict accounting standards using actuarial methods and subsequent disclosure, benefits

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A striking example for an expected impact of disclosure on pure internal processes is sec. 406 of the Sarbanes Oxley Act. It requires companies to disclose whether they have adopted a code of ethics that applies to the registrant’s principal executive officer, principal financial officer, principal accounting officer or controller. If the company has not adopted such a code of ethics, it has to explain why it has not done so. The company’s board may think that such guidelines are just speechifying and totally superfluous. The pressure, however, to adopt a code of ethics is obvious and comes close to a substantive rule.43 The same applies to internal risk management and other features of management and good Corporate Governance that are state of the art and common practice but not explicitly required by law.44 The fact that such management elements have to be commented on in the notes on the annual accounts and are subject to the scrutiny of the statutory auditor makes it practically impossible for a company to resign itself to the statement that it doesn’t have and doesn’t need an internal system of risk management. b) Documentation and Standardization Information is only suitable for disclosure purposes if proper documentation is available, and documentation involves at least a minimal amount of standardization. Reports written exclusively for internal use may be organized in an ad-hoc manner designed for a certain project or problem. Not so when mandatory reporting is imminent: a prominent driving force of how and when internal documentation evolves is the disclosure requirement. The very general language of “true and fair view”, “full disclosure”, “correct and complete books and records”45 is wide open to interpretation. In the realm of financial statements, generally accepted accounting principles provide finely

were granted in good faith but without responsible planning. A German example is the demise of AEG; more recently, the American automobile industry struggles with the cost of pensions and healthcare for its (retired) workers. 43 O’Kelley/Thompson Corporations and Other Business Associations, 4th ed. 2003, p. 828 (No. 5): “The line between disclosure and substance is further blurred by the extent to which disclosure is a thinly disguised regulation of substance. Consider, for example, §406 of the Sarbanes Oxley Act of 2002, which requires a company to disclose ‘whether or not and if not, the reasons therefore, such issuer has adopted a code of ethics for senior financial officers.’ Many practicioners will tell you such disclosure is closer to a command that you violate at your own peril.”; see also Newberg Corporate Codes of Ethics, Mandatory Disclosure, and the Market for Ethical Conduct, 29 Vt.L.Rev. 253 (2004–2005). 44 § 91 (2) AktG asks only for an early warning system for risks that are life-threatening to the company; risk management as understood by management science is a much broader concept. The legal implications turn on the duty of care in organizing the business operations. 45 New York Business Corporation Law § 624 (a) (“Each corporation shall keep correct and complete books and records of account …”).

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chiseled rules of diverse provenance and legal character to specify the details. Governance reporting is not necessarily the same world. The 1992 SEC Regulation on disclosure of executive remuneration was criticized by the SEC itself as “highly formatted and rigid”;46 the more recent version includes more items and requires “Compensation Discussion & Analysis (CD&A)” that points out material factors underlying compensation politics and decisions.47 In order to comply with the SEC Guidelines the board of directors or the compensation committee has to document a discussion of the relationship of corporate performance to executive compensation. The new German accounting law also requires a much more nuanced way of reporting than the old Commercial Code did. These obligations compel the supervisory board or the compensation committee to enhance documentation and standardization. In a well-managed company, self-information and performance assessment, rigid control of where the money comes from and where it goes are timehonored business routine. Each company might develop its own best practice. Disclosure requirements, however, generally lead to standardization. Addressees of the imparted information, no matter whether individuals or institutional investors, creditors, or rating agencies, rely on standardization; otherwise, processing and comparing disclosed material would be close to impossible. Only a consistent design allows comparison with competitors’ data. Even completely voluntary disclosures like compliance with human rights or environmental best practices are standardized.48 On the other hand, rigid schedules are an incentive to search for loop-holes. The SEC reverted to an additional catch-all provision like “all other compensation” and verbal explanations. That does not resolve all the issues of standardization: definitions, relevant time-frames etc. c) Impact on Substance In cases of fraud, disclosure will leave the underlying facts untouched and just cover up the mess. This is not our perspective; let’s look at the normal, everyday scenario. Companies will arrange their documentation process around the required tables and schedules resulting very well in an implicit impact on substance. Former SEC chairman Cox is quoted as saying that he hoped “that when people are forced to undress in public, they’ll pay more 46

Martin (n. 18) p. 492. Martin (n. 18) p. 508. 48 Examples are the UN Global Compact or standards required for access to certain indexes; www.unglobalcompact.org, initiated by Kofi Annan; www.sustainabilityindexes.com; www.ftse4good.com. Windbichler Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in Th. Möllers (ed.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, p. 19. 47

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attention to their figures.” 49 A request for airing clothes may also be an incentive not to have skeletons in the closet. A first effect may be an internal review of facts and policy. Self-assessment as a governance tool is gaining momentum. Examples are provisions in the UK Combined Code that ask the board of directors itself to identify its independent members, and to undertake a formal and rigorous annual evaluation of its own performance.50 Form and structure of disclosure requirements have an impact on the substance as well. To stay within the example of executive remuneration, a compensation committee most likely will have a very close look at how certain perquisites will look in the CD&A and shape them accordingly. If such effects are desirable or unwanted is another question. First and foremost, I would like to point out the mechanism. Stock option plans, for instance, were introduced without close scrutiny as to their cost and effects, sometimes driven by superficial tax considerations. Disclosure requirements may have added to the demise of stock options as the sorcerer’s stone ensuring the alignment of management’s interests with shareholders’ interests,51 no matter how reliable the valuation methods are. Transactions are often enough undertaken, shaped, or abandoned according to their potential recognition in the financial statements. To ensure that a project and its representation in the balance sheet will pass muster at the external audit, auditors are routinely consulted. However, sec. 201 SOX prohibits public accounting firms to provide non-audit service to issuers they audit; the line between the two is far from bright. Financial reporting and external auditing are scarcely an ex-post controlling tool but cut deeply into the very governance of the corporation. The comply-or-explain approach to non-binding codes of best practice is openly accepted as soft enforcement of such codes.52 The flip-side is a loss in

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Martin (n. 18) p. 512; Labaton NYTimes Apr. 9, 2006. FRC Combined Code (UK) item A.3.1: “The board should identify in the annual report each non-executive director it considers to be independent. The board should determine whether the director is independent … The board should state its reasons if it determines that a director is independent notwithstanding the existence of relationships or circumstances which may appear relevant to its determination …”; and item A.6.: “The board should undertake a formal and rigorous annual evaluation of its own performance and that of its committees and individual directors.” Cf. also German Code of Corporate Governance item 5.6: “The Supervisory Board shall examine the efficiency of its activities on a regular basis.” 51 Coffee A Theory of Corporate Scandals: Why the United States and Europe Differ, in Norton/Rickford/Kleineman (eds.), Corporate governance Post-Enron, 2006, p. 3, 9–11 recounting studies on the correlation of restating financial statements, revenue recognition problems and equity remuneration. 52 Hertig/Kraakman/Rock in Anatomy (n. 4) p. 296. 50

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flexibility and chances for market-driven development of new varieties in governance structures, one of the very reasons soft law is favored over merit regulation.53 2. Addressees and Their Actions Sunlight or electric light helps companies to keep their house tidy; the House of Mouse might not have been squeaky clean, though. The prevalent perception of disclosure requirements is that light is shed for the benefit of external addressees. These are usually shareholders and/or the general public, i.e. current or potential investors.54 Law and best practice struggle with specific distinctions between addressees. Information aimed at shareholders, originally an internal affair of the company as an association, is distributed via a variety of channels taking into account the dispersed ownership structure of the listed corporation and turns into market information.55 Justice Brandeis as well as the SEC never believed in publicity alone, and light as such may neither disinfect nor police. The occurrence of “Pay Without Performance” 56 seems to be a case of dysfunctional governance in broad daylight. The implicit expectation of the information regime is that the recipients act one way or another upon their knowledge. The aggregate of actions of informed participants constitutes a working capital market. This, at least, is the basic institutional tenet of an economic perspective on the information regime and may still contribute to an abbreviated notion that distribution of information is always beneficial, at least as long as the cost is not prohibiting.57 Be that as it may, it is an open question as to who could possibly be able to process the sheer abundance of available data. The problem is well known and additional markets have sprouted around it. Advisory firms act as intermediaries between investors and companies. The demand for information, 53 Windbichler Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in Th. Möllers (ed.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, p. 19. 54 In a staff report of the SEC on Mark-To-Market Accounting, to meet the needs of investors is named the primary purpose of accounting standards; general-purpose financial reporting has secondary uses that may be of additional utility to others, such as prudential oversight (emphasis added) Exec. Summary Recommendation no. 6, http://www.sec.gov/ news/studies/2008/marktomarket123008.pdf. 55 The turn in understanding of the shareholder as member of an association to investor – prominently advanced by Klaus Hopt – marks the development of German corporate law during the last decades; cf. Fleischer ZIP 2006, 451, 453 et seq.; Fleischer Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht als wissenschaftliche Disziplin, in Engel/Schön (eds.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, 2007, p. 50; for the European approach Schön (n. 19) p. 27 et seq. 56 See Bebchuk/Fried n. 24. 57 Hertig/Kraakman/Rock in Anatomy (n. 4) p. 293 et seq. with further references to the discussion of the cost imposed by the Sarbanes-Oxley Act.

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however, does not necessarily match the supply 58 and may create a supply of quack information.59 The rating business draws to a large extent on published information from the past;60 the validity as forecast is an altogether different matter. Not only the quantity but the quality of corporate disclosures as well fosters professional go-betweens. To stay with my current example: executive remuneration is highly complex, the valuation of stock options being only one element of the package. The German Corporate Governance Code recommends the description of the compensation system “in a generally understandable way”.61 Does that mean that the language and form of presentation should be more user-friendly? Or is it a barely hidden hint that the system itself should be simplified for the sake of transparency? Beyond the impact of disclosure on the substance shown above we see here another crucial problem of the information model. Some facts or analyses may be too complex to be palatable for the intended addressee.62 The addressee may blame it on the language but she will not always be right.63 The “plain English” requirement in some SEC Forms64 walks the tightrope by limiting itself to front and back pages and summaries. Corporate law takes up the same problem when it comes to communication with shareholders. German corporate law cases and literature notably deal with the type of the recipient shareholder, how much sophistication can be assumed, and whether professional intermediaries should be taken into account. Once information is properly organized and processed, action can be taken. Choices investors are confronted with are not only the Wall-StreetRule, buying and selling securities, but also how to vote proxies, e.g. on executive pay, and other membership-based actions.65 Depending on the jurisdiction, a shareholder’s suit may be available or a motion to ask for a

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In auditing, this phenomenon is known as the “expectation gap”. Cf. Romano The Sarbanes-Oxley Act and the Making of Quack Corporate Governance, http://ssrn.com/abstract=596101, criticizing the substantive approach over disclosure as misguided. 60 Focusing on rating agency misbehavior Schwarcz Private Ordering of Public Markets: The Rating Agency Paradox, Univ. of Ill. L. Rev. Vol. 2002, No. 1 = http://ssrn.com/ abstract=267273 or doi:10.2139/ssrn.267273. 61 GCGC No. 4.2.5, http://www.corporate-governance-code.de/eng/kodex/1.html. 62 Cf. Schwarcz Rethinking the Disclosure Pradigm in a World of Complexity, 2004 Univ. of Ill. L.Rev. 1, focusing on structured transactions. 63 Cf. the interdisciplinary research project of the Berlin-Brandenburg Academy of Science on law and language, Lerch (ed.), Sprache des Rechts, 3 Vol. 2004–2005. 64 E.g. Regulation S-K Items 501(c) and 503(c) with Rule 421(d): short sentences, everyday language, active voice, tabular presentation of complex material, no legal jargon, no multiple negatives (concerning prospectuses). 65 § 120 (4) AktG as amended by Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31.7.2009, BGBl. I, 2509. 59

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special audit. Basically, all shareholders’ rights turn on access to information. Comparative law shows path-dependent differences; in some countries, procedural law provides for (additional) access to information through discovery, in others, specific information rights and the reversal of burden of proof are part of corporate law. For listed companies, capital market law and listing rules are a prominent source of information rights. Dissimilarities notwithstanding, disclosure seems to be geared towards action of the addressee including market behavior reflecting a company’s loss in reputation. Whether mobilization of public outrage is part of the information regime I will leave untouched. 3. Enforcement and Sanctions An information regime has to address how to enforce mandatory disclosure and how to ensure reliability of disclosures. The external audit is a prominent device to validate financi