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German Pages 234
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 189
Öffentliche Auftragsvergabe und culpa in contrahendo Von Jürgen Adam
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
JÜRGEN ADAM
Öffentliche Auftragsvergabe und culpa in contrahendo
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 189
Öffentliche Auftragsvergabe und culpa in contrahendo
Von Jürgen Adam
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 25 Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-11756-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Sommersemester 2004 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Oktober 2004 berücksichtigt. In ihren wesentlichen Teilen ist diese Dissertation während meiner zweijährigen Zeit als wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Wirtschaftsrecht in Freiburg entstanden; Herr Professor Dr. Uwe Blaurock, Direktor der Abteilung I, hat die Arbeit betreut. Hierfür sowie für die immer angenehme und interessante Zusammenarbeit danke ich ihm herzlich. Herr Professor Dr. Günter Hager hat dankenswerterweise das Zweitgutachten übernommen. Als Kollegen und Freunde haben Gert Brandner, Georg Kauffeld und Joachim Schelm wesentlichen Anteil am Entstehen dieser Arbeit gehabt. Die gemeinsam verbrachte Zeit am Institut ist bereits an anderer Stelle eingehend gewürdigt worden*. Hinzufügen möchte ich hier meinen persönlichen Dank an die Genannten – für ständige Gesprächsbereitschaft (auch über so abwegige Gebiete wie das Öffentliche Recht), Anregungen und Kritik (letzteres anerkanntermaßen das Spezialgebiet von Joachim), sowie für die einmalige Arbeitsatmosphäre am Lehrstuhl. In diesen Dank einschließen möchte ich Frau Ingrid Kniest, die sich immer weit über ihre dienstlichen Obliegenheiten hinaus für das Institut engagiert hat. Meinen Eltern möchte ich für alle Unterstützung danken, die sie mir während der langen Zeit von Studium, Promotion und Referendariat in immaterieller wie in materieller Form gewährt haben. Ihre Hilfe hat auch den Druck der Dissertation in der vorliegenden Form erst möglich gemacht. Am meisten von den Freuden und Leiden des Entstehungsprozesses hat meine Frau Simone mitbekommen (und mitertragen). Für Ermunterung, Rückhalt und zeitweilige Vollpension sei ihr herzlich gedankt! Freiburg, im November 2004
Jürgen Adam
* Vgl. Gert Brandner, Die überschießende Umsetzung von Richtlinien (2003), S. VII, sowie Jürgen Adam / Gert Brandner / Georg Kauffeld, Rechtswissenschaft und Kaffeehauskultur: Festschrift für Joachim Schelm (2004).
Inhaltsverzeichnis
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1 Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
18
I. Vom Hoflieferantentum zum Submissionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
II. Das Submissionswesen im deutschen Kaiserreich von 1871 bis 1918 . . . . . . . . . . . . . . .
23
1. Der Fiskus, die Reichsverfassung und das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2. „Dem Handwerk hilft kein Reichsstatut, wenn Submission es macht kaputt“ . . . .
25
a) Die Frage nach dem angemessenen Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
b) Gleichberechtigung der Vertragspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
c) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
d) Wirtschafts-, Handels- und Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
3. Der Entwurf für ein Reichssubmissionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
III. Der Reichsverdingungsausschuss und sein Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
1. „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
2. Die Verdingungsordnung für Bauleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
3. Verdingungswesen und NS-Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
IV. Auftragsvergabe nach VOB / A und VOL / A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
1. Verfahren nach der VOB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
2. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
8
Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
43
I. Die „Entdeckung“ der culpa in contrahendo und die Entstehung des BGB . . . . . . . . . .
43
1. „Schadensersatz für nichtige oder nicht zur Perfection gelangte Verträge“ . . . . . .
44
2. Das BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
3. Verschulden beim Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
1. Vereinheitlichung der Rechtsgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
a) Analoge Anwendung der gesetzlichen Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
b) Verschulden beim Vertragsschluss: Vom Gegenbegriff zum Oberbegriff . . . .
56
2. Weitere Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
a) Verschulden bei unwirksamem Vertragsschluss jenseits der klassischen cic
61
b) Aufklärungspflichten zum Schutze absolut geschützter Rechtsgüter . . . . . . . .
62
3. Vom Verschulden bei Vertragsschluss zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
III. Verschulden bei Vertragsschluss und cic im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Kapitel 3 Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
76
I. Internationale Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
1. GATT, WTO und GPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
2. Auftragsvergabe auf dem Gemeinsamen Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
a) Die Vorschriften des EG-Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
b) Durchsetzung des europäischen Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
c) Die Richtlinien zur Koordinierung der Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
d) Durchsetzung der Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 e) Das Legislativpaket 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Inhaltsverzeichnis
9
II. Grundrechte und öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Geltung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Unmittelbare Fiskalgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Mittelbare Fiskalgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Vorgaben für das Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Durchsetzung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Die Position der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Entwicklung des nationalen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Verdingungsordnungen, haushaltsrechtliche Lösung, Vergaberechtsänderungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Auftragsvergabe nach öffentlichem Haushaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 (1) Deliktische Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Kartellrechtliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 (3) Ansprüche aus dem UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (4) Vertragliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (5) Ansprüche aus culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Auftragsvergabe nach dem GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Kapitel 4 Weiterentwicklung der Lehre von der culpa in contrahendo
154
I. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Aufklärung über den Vertragsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Aufklärung über Abschluss- und Wirksamkeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . 157
10
Inhaltsverzeichnis 2. Erhaltungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Sicheres Inaussichtstellen eines Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4. Öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Gegenstandbezogene Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Abschlussbezogene Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Die Pflicht zur Einhaltung der Vergabebestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Die Rechtsprechung des BGH bis 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Umsetzung durch die Instanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (3) Entwicklung seit 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
II. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Cic und Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Cic und Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3. Cic und Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Cic und Venire contra factum proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 5. Cic und öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Haftung auf das positive Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 a) Gleichbehandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Positive Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Gemeinsame Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 d) Grenzen der Haftung auf das positive Interesse – Ausschreibungen Privater
199
2. Haftung auf das negative Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Schadensersatz wegen Verletzung primärer Erklärungsunterlassungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Schadensersatz als Inhalt einer primären Dispositionsgarantie . . . . . . . . . . . . . 201 c) Rechtsfolgen der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Ausschreibungen Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Inhaltsverzeichnis
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IV. Auswirkungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1. Die gesetzliche Regelung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . 204 2. Cic-Haftung bei Verstoß gegen Vergabebestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
____________________ Für die Abkürzungen – soweit sie nicht im Text erklärt oder allgemein gebräuchlich sind – wird verwiesen auf Hildebert Kirchner / Cornelie Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl. (2003). Unter BGB a. F. ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis 31. 12. 2001 geltenden Fassung zu verstehen.
Einleitung Am 30. Juli 1992 schreibt das Land Hessen den Neubau eines Dienstgebäudes für das Landwirtschaftsministerium in Wiesbaden aus. Mehrere Unternehmen interessieren sich für das Projekt, bitten um Zusendung der einschlägigen Unterlagen und beginnen, Angebote zu erstellen, um sie dem Land zu unterbreiten1. Ihnen ist bekannt, dass das für die Durchführung der Ausschreibung zuständige Staatsbauamt die Vorschriften der Verdingungsordnung für Bauleistungen zu befolgen hat, die unter anderem vorsehen, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot zu erteilen ist und dass eine Beendigung der Ausschreibung ohne Vertragsschluss nur in begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommt2. Mit diesem Wissen und im Vertrauen auf die reale Chance, einen lukrativen Bauauftrag zu erhalten, gehen die Unternehmen an die mit erheblichen Unkosten verbundene Ausarbeitung ihrer Angebote. Nicht bekannt ist den Interessenten, dass für den Neubau seitens des Landtages weder Haushaltsmittel bereitgestellt noch Verpflichtungsermächtigungen erteilt worden sind. In der Folge kommt, was in Zeiten knapper Kassen häufiger geschieht3: Am 22. September 1992 beschließt die hessische Landesregierung, auf Grund einer unerwarteten Deckungslücke im Landeshaushalt Mittel für den Neubau nicht in den Entwurf des nächsten Haushalts aufzunehmen. Auch davon erfahren die Ausschreibungsteilnehmer jedoch zunächst nichts; vielmehr werden die auf die Ausschreibung hin eingegangenen Gebote vom Land entgegengenommen und am 30. September 1992 eröffnet. Die W. & F. AG hat, wie sich herausstellt, das preisgünstigste Angebot vorgelegt. Damit kann sie sich nach den der Ausschreibung zu Grunde liegenden Regeln begründete Hoffnungen machen, als Vertragspartner ausgewählt zu werden4. Statt der erhofften Mitteilung über den Zuschlag erhält sie jedoch am 27. Oktober ein Schreiben des Staatsbauamtes Wiesbaden, in dem ihr eröffnet wird, die AusSachverhalt nach BGH X ZR 48 / 97, BGHZ 139, 259 (8. 9. 1998). §§ 25, 26 VOB / A; vgl. im Einzelnen unten Kapitel 3: III. 2. a) . 3 Vgl. „Acht Länder mit verfassungswidrigen Haushalten“, FAZ v. 20. 11. 2002, S. 1, 2: Hessen verzichtet wegen Einnahmeausfällen auf den Neubau eines Plenargebäudes für den Landtag. 4 Entscheidend ist im allgemeinen zwar nicht der Preis allein, sondern das beste PreisLeistungs-Verhältnis. Insbesondere bei relativ genau vorgegebenen Leistungen ist jedoch oftmals das billigste auch das wirtschaftlich günstigste Angebot. Vgl. hierzu wiederum Kapitel 3: III. 2. a) . 1 2
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Einleitung
schreibung werde aufgehoben, da haushaltsrechtliche Gründe der Durchführung des Bauvorhabens entgegenstünden. Unzufrieden mit diesem Ergebnis verklagt die W. & F. AG das Land Hessen auf Zahlung von knapp 800.000 DM. Diesen Betrag (ihr „positives Interesse“), so trägt sie vor, hätte sie als Gewinn erwirtschaftet, wäre der Auftrag – wie erwartet – tatsächlich an sie vergeben worden. Hilfsweise beantragt die Klägerin, das Land Hessen möge ihr die Kosten erstatten, die durch die sinnlose Erstellung ihres Angebots entstanden seien („negatives Interesse“): Immerhin gut 150.000 DM. Vor dem Landgericht Wiesbaden scheitert die Klägerin. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilt das Land zum Ersatz der nutzlosen Aufwendungen5, weist die Klage auf den entgangenen Gewinn jedoch ab. Diese Entscheidung wird vom Bundesgerichtshof bestätigt. Im Ergebnis also bleibt es für die Klägerin dabei, dass ihr ein erheblicher Gewinn entgangen ist. Das beklagte Land andererseits hat noch bis in die Anschlussrevision hinein die vollständige Abweisung der Klage gefordert6. Von daher sind vermutlich beide Parteien unzufrieden, und schon das spricht vielleicht dafür, dass dieser Präzedenzfall richtig entschieden worden ist. Mit dem Rechtsgefühl jedenfalls dürfte das Urteil des BGH in Einklang stehen: Die Folgen der zweifellos vermeidbaren verfrühten Ausschreibung hat das Land zu tragen, und mehr, so scheint es, kann auch die Klägerin kaum verlangen. Betrachtet man aber die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in ähnlichen Fällen, so fällt auf, dass (aus Sicht der Klägerin) relativ geringfügige Abwandlungen des Sachverhaltes dem Klageantrag auf Ersatz des entgangenen Gewinns zum Erfolg verholfen hätten. Hätte etwa das Land zwar genügend Geld gehabt und den Auftrag vergeben, dabei aber die Klägerin aus sachwidrigen Gründen übergangen und den Vertrag mit einem anderen Bieter abgeschlossen, wäre eine Klage auf das positive Interesse nach ständiger und am Tag der Entscheidung des Ausgangsfalls noch einmal bestätigter Rechtsprechung des BGH ohne weiteres erfolgreich gewesen (Abwandlung 1)7. Mehr noch: Das gleiche hätte gegolten, wenn das Land im Ausgangsfall nachträglich unverhofft zu Geld gekommen wäre, eine neue Ausschreibung durchgeführt und dem in diesem Verfahren günstigsten Bieter den Auftrag schließlich erteilt hätte (Abwandlung 2)8. Zumindest aus Sicht der Klägerin vermögen diese Differenzierungen nicht unmittelbar zu überzeugen. Im Ausgangs5 Insoweit erging ein Grundurteil. Bezüglich der Frage, ob die Aufwendungen tatsächlich so hoch waren wie behauptet, wurde das Verfahren ans Landgericht zurückverwiesen, siehe BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 1), 260. 6 BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 1), 260. 7 Siehe BGH X ZR 109 / 96, BGHZ 139, 273 (8. 9. 1998). 8 Siehe BGH X ZR 99 / 96, NJW 1998, 3640, 3644 (8. 9. 1998) (ebenfalls vom gleichen Tag wie die Entscheidung im Ausgangsfall; siehe auch BGHZ 139, 280 ff., wo allerdings die hier zitierten Teile der Urteilsbegründung leider nicht abgedruckt sind).
Einleitung
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fall wie in den beiden Abwandlungen sind ihre begründeten Aussichten auf Abschluss und Durchführung des Vertrages enttäuscht worden. Warum sollten die Rechtsfolgen unterschiedlich sein? Ein erster Blick auf die Begründungen der einschlägigen Urteile beantwortet diese Fragen nicht in überzeugender Weise und wirft gleichzeitig neue Fragen auf. Als Grundlage der klägerischen Ansprüche zieht der BGH in allen Fällen die Rechtsfigur der culpa in contrahendo (cic) heran. Nach den allgemeinen Grundsätzen dieses Rechtinstituts bekommen Bieter Schäden ersetzt, wenn und soweit diese auf die Verletzung vorvertraglicher Pflichten durch den Auftraggeber zurückgehen. Zu den vorvertraglichen Pflichten der öffentlichen Hand gehört es laut Bundesgerichtshof, bei Ausschreibungen die Vorschriften des öffentlichen Vergaberechts über die Verfahrensgestaltung einzuhalten9. Abweichungen von diesen Vorgaben finden sich nach Ansicht des BGH sowohl im Ausgangsfall10 und der Abwandlung 2 (Verstoß gegen die Aufhebungsvorschriften) als auch in Fällen, die der Abwandlung 1 entsprechen (Verstoß gegen die Auswahlvorschriften). Im Falle der fehlerhaften Zuschlagserteilung (Abwandlung 2) folgert das Gericht weiter: Bei pflichtgemäßem Verhalten des Auftraggebers hätte der übergangene Bieter den Auftrag erhalten und somit einen Gewinn gemacht, den er nun entsprechend § 249 BGB einklagen kann11. Nach diesem Modell ist es allerdings kaum zu erklären, warum die W. & F. AG im Ausgangsfall mit dem Ersatz ihrer Aufwendungen vorlieb nehmen muss. Wenn eine Pflicht zur Einhaltung der Vergabevorschriften besteht, und wenn diese Vergabevorschriften eine Aufhebung in der fraglichen Situation nicht erlauben – und beides ist, folgt man dem BGH, der Fall12 –, wieso ist dann nur das negative Interesse zu ersetzen? In der Abwandlung 1 (pflichtwidrige Zuschlagserteilung) liegt zwischen dem Tatbestand der Pflichtverletzung und dem Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses ein ganz entscheidender, vom BGH jedoch nicht einmal erwähnter Schritt. Wenn nämlich der Auftraggeber eine Pflicht verletzt hat, den Kläger zu beauftragen, dann folgt aus § 249 BGB zunächst ein Anspruch auf Naturalrestitution, also auf Beendigung des möglicherweise mit einem anderen Bieter geschlossenen Vertrages und auf Vertragsschluss mit dem Kläger. Geldersatz kommt nur unter den Voraussetzungen des § 251 BGB in Betracht. Dass Naturalrestitution in Fällen der fehlerhaften Zuschlagserteilung prinzipiell unmöglich sei, kann man angesichts vielfach bestehender Kündigungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand kaum sagen. Müsste das Institut der cic also dem fälschlicherBGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 1), 261; BGH X ZR 109 / 96 (o. Fn. 7), 275. BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 1), 262, 265, 267. 11 BGH X ZR 109 / 96 (o. Fn. 7), 275 f. 12 Siehe Fn. 10. 9
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weise unterlegenen Bieter nicht die Möglichkeit geben, den Vertragsschluss einzuklagen? Weiterhin stellt sich zusätzlich die Frage, welche Ansprüche die Bieter geltend machen können, die nicht das günstigste Angebot abgegeben haben. Auch sie haben Aufwendungen gehabt, und auch ihre Erwartungen sind jedenfalls in Situationen wie denen des Ausgangsfalls enttäuscht worden. Warum ist das Land im Ausgangsfall dennoch nur von der W. & F. AG verklagt worden? Und schließlich: Wie wäre die Haftungssituation, wenn nicht ein Land, sondern ein privates Unternehmen die Ausschreibung durchgeführt hätte? All diese Fragen zeigen, dass es Gründe gibt, sich mit der Haftung öffentlicher Auftraggeber wegen der Verletzung von Vergabebestimmungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo näher zu befassen. Einen zusätzlichen Anlass stellt das zum 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts13 dar. Mit dessen § 311 (Absätze 2 und 3) hat das Institut der culpa in contrahendo erstmals eine gesetzliche Grundlage gefunden14. Die Neuregelung ist scharf dafür kritisiert worden, dass sie sich auf eine Leerformel „ohne jeden Regelungsgehalt“ beschränke15; im Großen und Ganzen habe sie etwa soviel Sinn, „als ob gesagt wäre: ,Unter Umständen kann auch eine Haftung aus culpa in contrahendo in Betracht kommen‘ “16; der Praxis biete sie nur eine „Blankettermächtigung zu weiterer Rechtsfortbildung“17. Wie immer man zu dieser Kritik im Einzelnen stehen mag – richtig ist jedenfalls, dass die neue Generalklausel nach dem Willen des Gesetzgebers im Rückgriff auf die bisherige Rechtsprechung und Lehre angewandt werden soll und anders auch praktisch kaum handhabbar wäre. Die vorliegende Arbeit stellt die Entwicklung der cic-Haftung öffentlicher Auftraggeber im Kontext der allgemeinen Entwicklung des öffentlichen Auftragswesens einerseits und der cic-Dogmatik andererseits dar. Beide Aspekte – das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe wie das Recht der culpa in contrahendo – bieten jeweils genug Stoff für mehrere Bücher. Die Untersuchung ist daher ohne Zweifel selektiv und wird nicht jeder dogmatischen Feinheit gerecht. Wenn es ihr Gesetz v. 26. 11. 2001, BGBl. I, S. 3138. Siehe nur Othmar Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. (2004), § 311 (Stadler), Rn. 34. 15 Ulrich Huber, Das geplante Recht der Leistungsstörungen, in: Wolfgang Ernst / Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 31, 37. 16 Huber (o. Fn. 15), S. 37. 17 Barbara Dauner-Lieb, Kodifikation von Richterrecht, in: Wolfgang Ernst / Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 305, 317. 13 14
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dennoch gelingt, ein wenig Licht in das „Halbdunkel vorvertraglicher Rechtsbeziehungen“18 auf dem wirtschaftlich bedeutenden Feld der öffentlichen Auftragsvergabe19 zu bringen, so ist ihr Ziel erreicht.
Uwe Blaurock, Der Letter of Intent, ZHR 147 (1983), 334, 339. Zum erheblichen finanziellen Volumen der öffentlichen Beschaffungstätigkeit siehe nur etwa die (heute vermutlich bereits deutlich überstiegenen) Zahlen bei Michael Schenk, Das neue Vergaberecht (2001), S. 23: Jährliches Gesamtvolumen öffentlicher Aufträge in der EU – ca. 720 Mrd. A, d. h. 15% des Bruttoinlandproduktes der EU; jährliches Volumen der Aufträge von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland – ca. 400 Mrd. DM (gut 200 Mrd. A); Anteil öffentlicher Beschaffung am Gesamtumsatz der Informationstechnik-Branche in Europa – 60%; entsprechender Anteil in der Baubranche – 30%. Vgl. zu den deutschen Zahlen auch Stefan Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, 2. Aufl. (2001), S. 2 Fn. 8. Für Zahlen aus Frankreich siehe etwa Marc Bungenberg, Neues französisches Vergaberecht, WuW 2001, 1208. Über bedeutende Einzelfälle (Planung der Großflughafens Berlin – finanzielles Volumen ca. 6 Mrd. DM; Ausrüstung der britischen Polizei mit einem Radiokommunikations-System – finanzielles Volumen ca. 1,5 – 2 Mrd. Pfund) berichtet Jürgen Schwarze, Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, EuZW 2000, 133. 18 19
2 Adam
Kapitel 1
Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens Das heutige Recht der Vergabe öffentlicher Aufträge ist maßgeblich durch Entwicklungen im 19. Jahrhundert geprägt. Seitdem ist das Ausschreibungsverfahren die bevorzugte Methode staatlicher Behörden zur Beschaffung von Waren und Dienstleistungen. Allerdings führt erst eine jahrzehntelange Auseinandersetzung um die in jener Zeit als „Submissionswesen“ oder „Verdingungswesen“ bezeichnete Praxis der Auftragsvergabe zu der Schaffung einheitlicher und allgemein akzeptierter Vergaberegeln in Deutschland. Die Debatte schwelt während des Bestehens des Kaiserreichs praktisch durchgängig, doch erst zu Zeiten der Weimarer Republik setzt sich ein bis heute fortwirkendes Modell durch: Ein Gremium aus Interessenvertretern verschiedener Seiten, der „Reichsverdingungsausschuss“, erarbeitet „Verdingungsordnungen“ als Modellvorschriften für die Vergabe staatlicher Aufträge, die sodann von Reich, Ländern und Gemeinden zur Verwendung vorgeschrieben werden können und großflächig auch tatsächlich eingeführt werden1.
I. Vom Hoflieferantentum zum Submissionsverfahren Das Prinzip der öffentlichen Ausschreibung, nämlich die gegenseitige Unterbietung möglicher Anbieter zum Vorteil eines (insbesondere öffentlichen) Nachfragers, lässt sich bis in antike Zeiten zurückverfolgen2. Auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ist es sporadisch festzustellen. Zur Anwendung kommt in diesen frühen Fällen allerdings kein schriftliches Verfahren, sondern die Lizitation, eine mündliche Versteigerung, bei der der Mindestbietende den Zuschlag erhält. Vergeben werden auf diese Weise vor allem öffentliche Bauleistungen, beispielsweise Straßen- und Festungsbauarbeiten3. Im 18. Jahrhundert findet solches 1 Zum Thema dieses Kapitels siehe generell Werner Schubert, Zur Entstehung der VOB (Teile A und B) von 1926, in: Walter Pastor (Hrsg.), Festschrift für Hermann Korbion (1986), S. 389 ff. 2 F. C. Huber, Das Submissionswesen (1885), S. 3 (Fn. *); Ludwig Elster u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Band 7 (1926), Artikel „Submissionswesen“ (Rößle), S. 1158; Jan Byok / Wolfgang Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht (2000), Einführung (Kokott), Rn. 2 ff., jeweils m. w. N.
I. Vom Hoflieferantentum zum Submissionsverfahren
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Vorgehen, auch unter ausländischen Einflüssen4, immer mehr Anklang in Deutschland. Insbesondere in Preußen: Dort kommt es der Sparsamkeit König Friedrich Wilhelms I. entgegen, und so hält er die „Bau-Directores nebst denen Bau-Inspectores“ der preußischen Kriegs- und Domänenkammer an, „so viel thunlich, mit ein und anderem Entrepreneur überhaupt, auch dem Befinden nach mit denen Handwerks-Leuten, insbesondere, Verdinge zu machen“5. Nur noch notfalls sollen Arbeiten noch durch die Pächter königlicher Domänen selber durchgeführt werden, und auch das ist davon abhängig, dass die Pächter „bey angestellter Licitation die wenigst annehmenden“6 sind. Friedrich II. folgt hier dem Vorbild seines Vaters und ordnet 1751 an, dass beim Einkauf von Baumaterial wie bei der Auswahl von Auftragnehmern in Bauangelegenheiten dem „landesüblichen wohlfeilsten Preiß“ bzw. „dem wenigst fordernden“ der Vorzug zu geben sei7. Über die Vorteile einer solchen Vorgehensweise sind sich die Veranstalter vermutlich zu allen Zeiten im klaren: Es lassen sich erhebliche Einsparungen erzielen, indem der Bauherr sich das Interesse der Anbieter an dem Auftrag gezielt zunutze macht, anstatt die Arbeiten in Eigenregie durchzuführen oder einen Unternehmer freihändig zu beauftragen. Der ungehinderten Nutzung dieser Vorteile stehen jedoch insbesondere in den deutschen Staaten der frühen Neuzeit erhebliche Hindernisse entgegen, die in erster Linie aus der feudal-ständischen Gesellschaftsordnung resultieren. So können die regierenden Monarchen auf Frondienste und Hoflieferanten zurückgreifen, um dringende öffentliche Arbeiten zu erledigen8. In den Städten steht das in Zünften organisierte Handwerk dem Konkurrenzprinzip feindselig gegenüber9. Dennoch setzt sich das Unterbietungsverfahren ab dem Ende des 17. Jahrhunderts zunehmend durch10.
3 Siehe Elster (o. Fn. 2), S. 1158. Anschaulich und ausführlich zur Errichtung von Festungsbauten in Mannheim im Jahr 1699 Max Dörner, Kommunale Submissionspolitik (1908), S. 7 ff. 4 Dazu Marie Heller, Das Submissionswesen in Deutschland (1907), S. 3. 5 Bau-Reglement vor die Churmärkische Kriegs- und Domänien-Cammer, wie es bey Führung des Baues und Rechnung bey denen Aembtern zu halten (vom 10. 2. 1724), zitiert nach Heller (o. Fn. 4), S. 4. 6 Akta und Bau-Reglement, Wonach bey denen Domainen und anderen Königl. Gebäuden, insbesondere denen Königl. Mühlen in Cleve, auch Meursischen und Märkischen verfahren werden soll (vom 10. 12. 1727), zitiert nach Heller (o. Fn. 4), S. 5. 7 Heller (o. Fn. 4), S. 5. 8 J. Conrad, L. Elster u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Band 6 (1894), Artikel „Submissionswesen“ (Lexis), S. 141; Huber (o. Fn. 2), S. 5. 9 Dörner (o. Fn. 3), S. 14 f.; Huber (o. Fn. 2), S. 4. Es gab allerdings wohl auch durchaus Fälle von Kompromissen, etwa wenn eine Hamburgische Bauhofs-Ordnung vom 5. 4. 1617 anordnet, dass „alles, was von neuem gemacht oder gerepariret werden muß, so weit thunlich und füglich, mit erfahrenen Maurer- und Zimmer-Meistern, auch andern Ämtern verdinget werden soll“ (zitiert nach Heller (o. Fn. 4), S. 2). 10 Vgl. Schubert (o. Fn. 1), S. 391.
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
Im frühen 19. Jahrhundert gehen die deutschen Staats- und Gemeindeverwaltungen flächendeckend, planmäßig und gezielt dazu über, mindestbietende Unternehmer mit der Erbringung von Warenlieferungen oder Dienstleistungen zu beauftragen. Zunächst herrscht noch das Lizitationsverfahren vor. So beschließen Senat und Bürgerschaft in Hamburg im Jahre 1814, in Zukunft „alle Lieferungen für öffentliche Rechnung und alle öffentlichen Arbeiten und Bauten, deren Kosten über 300 M. betragen, . . . öffentlich an den Mindestnehmenden zu verlicitiren“11. In Preußen wird durch § 19 der Oberrechnungskammer-Instruktion vom 18. Dezember 1824 angeordnet, dass Verträge, die für Rechnung des Staates geschlossen werden, im Lizitationsverfahren zu vergeben sind, wenn keine Ausnahmen eingreifen12. Neben die Lizitation tritt das so genannte Submissionsverfahren, bei dem die Unternehmer ihre Gebote schriftlich einreichen13. Zum Vorbild wird insofern insbesondere die französische Verwaltungspraxis14, die über die napoleonische Verwaltung in den Gebieten des späteren Rheinbundes unmittelbar Einzug hält15. Eine bayerische Instruktion von 1833 etwa bestimmt, dass öffentliche Bauten „in der Regel öffentlich an die Mindestnehmenden zu verakkordieren sind“16, und zwar entweder im Wege einer öffentlichen mündlichen Versteigerung (Lizitation) oder „durch schriftliche Anerbietungen (,Soumissions‘) zuverlässiger von dem k. Baubeamten hiezu aufgeforderten Gewerbeleute“17. In Mannheim beschließt der Stadtrat 1827: „Die Begebung von Arbeiten ist in der Weise zu bewirken, daß die zur Übernahme Lusttragenden im Wege der gewöhnlichen öffentlichen Verkündigung auf einen bestimmten Tag eingeladen, ihnen die Übernahme-Bedingungen verkündet und sie alsdann angewiesen werden, ihre abgeben wollenden Gebote in einer achttägigen Frist schriftlich und verschlossen einzureichen“18. Ab dem Jahr 1850 verdrängt das Submissionsverfahren die Lizitation vollständig19. Abgeschlossen werden beide Vergabeverfahren durch die Erteilung des Zuschlags an den Mindestbietenden. Rechtlich wird darin der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages verstanden20. Vertragspartner des ausgewählten Lieferanten Zitiert nach Heller (o. Fn. 4), S. 4. Huber (o. Fn. 2), S. 6. 13 Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 141. 14 Colbert wandte das Verfahren im großen Stil bei der Verwaltung der französischen Staatsdomänen an; siehe Huber (o. Fn. 2), S. 4; Heller (o. Fn. 4), S. 2. Zur Entwicklung des französischen Submissionswesens im 19. Jahrhundert Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 141. 15 Detaillierte Aktenauszüge der Mittwochsrentkammer in Köln über eine schriftliche Ausschreibung im Jahr 1806 (unter französischer Verwaltung) bei Emil Beutinger, Das Submissionswesen, (1915), S. 14 f. 16 Siegbert Feuchtwanger, Staatliche Submissionspolitik in Bayern (1910), S. 30 f. 17 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 34. 18 Mannheimer Stadtratsprotokoll 1827 Nr. 555, zitiert nach Dörner (o. Fn. 3), S. 16. 19 Vgl. Schubert (o. Fn. 1), S. 391 f. 20 Elster (o. Fn. 2), S. 1163. 11 12
I. Vom Hoflieferantentum zum Submissionsverfahren
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wird im Falle der staatlichen Auftragsvergabe der Fiskus, d. h. der Staat21 in seiner Eigenschaft als Privatrechtssubjekt22. Die Gründe für den Aufschwung des Ausschreibungsverfahrens liegen in erster Linie in der allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Deutschlands im frühen 19. Jahrhundert23. Die Industrialisierung, der damit verbundene wirtschaftliche Aufschwung und der Bevölkerungszuwachs im 19. Jahrhundert lassen die staatliche Nachfrage insbesondere nach Leistungen zum Auf- und Ausbau der Infrastruktur stark ansteigen. Ein besonders wichtiger Faktor wird hier der Eisenbahnbau24. Dem verstärkten Bedarf stehen zwar nicht unbedingt knappere Mittel, aber eine verstärkte haushaltsrechtliche Verantwortlichkeit der Staatsverwaltungen gegenüber. Die in allen deutschen Staaten entstehenden Parlamente bedrohen die Machtstellung des Monarchen noch nicht entscheidend, aber gerade ihr Recht zur Budgetkontrolle wird schnell fühlbar. Der Forderung, wirtschaftlich mit staatlichen Geldern umzugehen, können die zuständigen Beamten hervorragend entsprechen, indem sie die vom Staat zu zahlenden Preise durch Lizitation und Submission so weit wie möglich herunterhandeln25. Unter den Aspekten der Deckung gesteigerten Bedarfs und der Erzielung minimaler Preise sind diese Verfahren sowohl der Durchführung entsprechender Arbeiten in staatlicher Eigenregie als auch der freihändigen Auftragsvergabe weit überlegen26. Ihre Nachteile – Umständlichkeit und mangelnde Flexibilität – fallen für eine bürokratische Staatsverwaltung, wie sie sich gerade im 19. Jahrhundert entwickelt, kaum ins Gewicht. Gleichzeitig entspricht die allgemeine Einführung des Lizitations- und vor allem des Submissionsverfahrens in weitem Maße dem Interesse der Anbieter. Öffentli21 Der Fiskus als juristische Person des Privatrechts wurde unterscheiden vom Staat als juristische Person des Völkerrechts und öffentlichen Rechts; zu letzterem vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 2 (1992), S. 106 ff. Allgemein zum Begriff des Fiskus als juristische Person des Privatrechts und seiner Bedeutung Adalbert Erler / Ekkehard Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Band I (1971), Artikel „Fiskus“ (G. Neusser), Sp. 1135 ff.; Fritz Rittner, Öffentliches Auftragswesen und Privatrecht, ZHR 152 (1988), 318 ff.; speziell zur tatsächlichen dogmatischen und praktischen Entwicklung der Unterscheidung in Preußen und zur nachträglichen Verbrämung durch die Fiskustheorie Otto Mayers siehe Wolfgang Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842 (1962). 22 Im Falle der Gemeinden sowie anderer Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts wurde ein Unterschied zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Persönlichkeit nicht gemacht; vgl. Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. (1948), S. 24. 23 Grundlegend dazu Wilhelm Michael Kirsch, Probleme des deutschen Verdingungswesens (1936), S. 17 ff. Zustimmend Schubert (o. Fn. 1), S. 391. 24 Vgl. Huber (o. Fn. 2), S. 1: „Namentlich sind es die öffentlichen Bauten, die Militärund Eisenbahnbedürfnisse, welche in den letzten Jahrzehnten riesige Summen dem Submissionsverfahren anvertrauet haben.“ 25 Kirsch (o. Fn. 23), S. 19 f. Zu den intensiven parlamentarischen Debatten über das Beschaffungswesen Anfang des 19. Jahrhunderts in Bayern siehe Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 11 ff. 26 Kirsch (o. Fn. 23), S. 20.
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
che Aufträge sind eine wichtige und begehrte Einnahmequelle für Handwerker und Unternehmer. Die Überzeugung, dass der Staat anders als private Nachfrager bei seinem Einkaufsverhalten politische Rücksichten nehmen müsse, ist bereits zu diesem Zeitpunkt weit verbreitet. Die strikte Einhaltung der Verfahrensvorschriften gilt als bestmögliche Garantie der Chancengleichheit und als probates Mittel gegen Parteilichkeit, Korruption27 und „Kameraderie“ 28; so sind es gerade die Gewerbetreibenden, die um das Jahr 1850 die allgemeine Einführung der Submission energisch fordern und zu ihrer Durchsetzung maßgeblich beitragen29. Dabei ziehen die Anbieter die schriftliche Submission gerade auch der mündlichen Lizitation vor: Das schriftliche Verfahren erlaubt eine gründlichere und durchdachtere Vorbereitung der Angebote. Insbesondere wirtschaftlich unerfahrene Bieter werden nämlich durch das Lizitationsverfahren „in der Erregung des Versteigerungskampfes“ regelmäßig „zu völlig unüberlegten, übermäßig niedrigen und daher auch verlustbringenden Angeboten“ verleitet, und selbst „dem kühl und leidenschaftslos rechnenden Geschäftsmann“ wird es „außerordentlich erschwert, in der Hast der Versteigerung richtig kalkulierte Angebote zu erstellen“30. Das Submissionsverfahren erweist sich hier zunächst als zweifellos überlegen31, wenn es auch im Laufe der Zeit ähnliche Probleme hervorbringt (dazu sogleich). Die genannten Gründe sind nicht nur für die Durchsetzung des Submissionsverfahrens verantwortlich, sie erklären zugleich, wieso diese Verfahren von Anfang an in erster Linie bei der Beschaffung durch staatliche bzw. öffentliche Stellen zur Anwendung kommen. Für private Nachfragezwecke ist die Methode der Ausschreibung (zumindest bei entsprechender Bedeutung des Vorhabens) durchaus geeignet, und sie wird in Anlehnung an das staatliche Vorbild gerade bei Bauvorhaben im 19. Jahrhundert auch tatsächlich angewandt, um günstige Preise zu erzielen32. Einige Vorteile aber zählen für Private kaum, namentlich die Kontrollierbarkeit durch (parlamentarische) Gremien und die Garantie von Chancengleichheit und Unparteilichkeit. Wo diese Aspekte mehr Gewicht mehr haben, insbesondere bei staatsnahen privaten Trägern von Leistungen der „Daseinsvorsorge“ wie konzessionierten privaten Eisenbahnen, ist die öffentliche Ausschreibung wiederum besonders verbreitet und wird auch politisch eingefordert33.
Vgl. Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 141. Huber (o. Fn. 2), S. 5. 29 Schubert (o. Fn. 1), S. 393; Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 142. Vgl. auch Huber (o. Fn. 2), S. VI. 30 Dörner (o. Fn. 3), S. 15 f. 31 Huber (o. Fn. 2), S. V. 32 Siehe nur Huber (o. Fn. 2), S. 6. 33 Vgl. Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 100. 27 28
II. Das Submissionswesen im deutschen Kaiserreich von 1871 bis 1918
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II. Das Submissionswesen im deutschen Kaiserreich von 1871 bis 1918 Resultat der bisher geschilderten Entwicklung ist auf Seiten der Auftraggeber wie der Auftragnehmer die „Hoffnung, mit der Einführung der Submission eine dauernd befriedigende Verkehrsmethode gefunden zu haben“. Die Hoffnung erfüllt sich nicht34. Es zeigen sich nämlich alsbald nicht nur einige kaum bezweifelbare technische Mängel und Probleme der neuen Verfahrensweise. Vor allem wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allzu deutlich, dass die Frage nach den Beschaffungsmodalitäten des Staates keine bloß fiskalisch-technische Angelegenheit ist, sondern allgemein-politische Bedeutung hat. Die Submission wird erkannt als „die Personifikation der freien und allgemeinen Konkurrenz“, als Resultat der „früheren und heutigen Kämpfe um die Gewerbefreiheit“35, und als solche hat sie nicht nur Freunde36. Sie wird auf Jahrzehnte zum Zankapfel verschiedener Interessengruppen. Ebenso wenig wie bei den früheren Entwicklungen handelt es sich bei diesen Debatten um nationale Besonderheiten; in England und Frankreich etwa finden ganz ähnliche Diskussionen statt37. Ein eigentümliches Problem des Deutschen Reiches aber ist sein föderaler Aufbau, der es ausgesprochen schwierig macht, die von der Industrie dringend geforderte einheitliche Regelung der Vergabeverfahrens von Reich, Bundesstaaten und Gemeinden38 zu schaffen.
1. Der Fiskus, die Reichsverfassung und das BGB Das Reich nämlich hat von seiner Gründung an nur begrenzte Gesetzgebungszuständigkeiten; im Übrigen verbleibt die Zuständigkeit bei den Bundesstaaten. Ein Kompetenztitel bezüglich des Vergabe- und Submissionswesens findet sich in der Reichsverfassung zu keiner Zeit. Wenn sich das Reichsrecht dennoch auch in diesem Bereich auswirkt, liegt das entscheidend daran, dass Rechtsprechung und Rechtswissenschaft die Beschaffungstätigkeit des Staates einhellig dem Privatrecht unterstellen39.
Dörner (o. Fn. 3), S. 17. Huber (o. Fn. 2), S. X. 36 Siehe etwa nach Huber (o. Fn. 2), S. 12 f. 37 Huber (o. Fn. 2), S. 18 38 Huber (o. Fn. 2) schreibt bereits 1885, dass die „Aufstellung einheitlicher für sämmtliche Verwaltungszwecke gleichmässig bindender und schliesslich im ganzen deutschen Reiche giltiger Normen nicht bloss einem vorhandenen Bedürfniss“ entspreche, sondern auch „eine blosse Konsequenz aus der nothwendigen Unifizirung, Kodifizirung und Conzentration des Submissionswesens“ sei (S. XVII). 39 Vgl. Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Band 4 (1914), S. 330 ff. (insbesondere zum Reichsfiskus). 34 35
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
Zunächst nämlich endet deswegen mit dem Erlass der Zivilprozessordnung (auf Grund der Reichskompetenz für das Gerichtsverfassungs- und Prozessrecht) die Souveränität der Bundesstaaten bezüglich des Rechtsschutzes im Submissionswesen. § 4 des Einführungsgesetzes zur ZPO verwehrt es den Ländern allgemein und so auch im Falle der Auftragsvergabe40, durch Gesetz den Rechtsweg deswegen auszuschließen, weil der Fiskus Partei ist. Nachdem in die Verfassung auch eine Reichskompetenz für das bürgerliche Recht aufgenommen worden ist und der Reichsgesetzgeber davon Gebrauch gemacht hat, unterliegt das Submissionsverfahren ab dem 1. 1. 1900 dem Vertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches. Gleichzeitig tritt das Privatrecht der Bundesstaaten außer Kraft. Keine der vielen Ausnahme- und Übergangsvorschriften des Einführungsgesetzes zum BGB betrifft das Submissionswesen, so dass hier die neuen Vorschriften von Anfang an voll zur Geltung kommen. Und dennoch ändert sich in der Praxis nicht viel, eine nennenswerte Vereinheitlichung des Submissionsverfahrens bringt das BGB nicht hervor. Grund dafür ist, dass das BGB dem Gedanken der Vertragsfreiheit einen hohen Stellenwert einräumt und den Adressaten des Privatrechts sowohl bei der Ausgestaltung der Vertragsverhandlungen als auch bezüglich möglicher Vertragsinhalte erhebliche Spielräume lässt. Diese Vertragsfreiheit kommt allen Privatrechtssubjekten zugute und damit auch dem Reichsfiskus, den fisci der Bundesstaaten, den Gemeinden und anderen staatlichen Körperschaften und Anstalten41. Die bestehenden Vorschriften zum Submissionswesen lassen sich daher als Ausübung der Vertragsfreiheit praktisch unverändert festzuhalten42. Die Bundesstaaten und Gemeinden regeln den Ablauf ihrer Vergabeverfahren autonom, und zwar durchgängig im Wege innerdienstlicher Verwaltungsvorschriften. Preußen, das ein eigenes Ministerium für öffentliche Arbeiten einrichtet, übernimmt mit seinem „Cirkular-Erlass“ vom 17. Juli 1885 „betreffend die Vergebung von Leistungen und Lieferungen (revidirte Submissionsordnung)“43 sicherlich eine Vorbildfunktion, doch eine förmliche Abstimmung der öffentlichen Auftraggeber 40 Dazu L. Gaupp, Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, 2. Aufl. (1892), Anm. zu § 4 EGZPO. 41 Die Vertragsfreiheit der Gemeinden ist etc. kann allerdings durch bundesstaatliches Organisationsrecht (Gemeinderecht) weiter begrenzt sein; vgl. etwa Dörner (o. Fn. 3), S. 20 ff. zu den Vertretungs- und Verfahrensvorschriften der Badischen Städteordnung. 42 Gustav Freudenstein, Die Reform des Submissionswesens bei baulichen Verdingungen etc. (1884), S. 11, 153 ff. – Zur Zuständigkeit für rechtsgeschäftliches Handeln und zur Vollmacht im Falle des Reiches Laband (o. Fn. 39), Band 2, 1911, S. 188 f.; im Falle der Gemeinden Dörner (o. Fn. 3), S. 20 ff. (Badische Städteordnung). 43 Abgedruckt bei Huber (o. Fn. 2), S. 449 ff. Kurze überblicksmäßige Erläuterung bei Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 144 ff. Zur Anwendung in der Praxis interessant ist die Bekanntmachung der Vergabebedingungen durch den „preußischen Regierungs-Präsidenten zu Cöln“ von 1889, abgedruckt bei Walter Jagenburg, 100 Jahre „Kölner VOB“, BauR 1989, 17 ff.
II. Das Submissionswesen im deutschen Kaiserreich von 1871 bis 1918
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zur Vereinheitlichung der Verfahrensabläufe findet nicht statt, so dass trotz gewisser grundsätzlicher Gemeinsamkeiten eine Vielzahl von unterschiedlichen Vorschriften existiert44. Für die Reformbemühungen stellt sich also das Problem, dass jede Neuerung an vielen verschiedenen Orten und unter verschiedenen Rahmenbedingungen vorgeschlagen und durchgesetzt werden muss. 2. „Dem Handwerk hilft kein Reichsstatut, wenn Submission es macht kaputt“ Dieser Satz, Motto einer Nürnberger Ausstellung von 188245, führt in den Kern der politischen Auseinandersetzungen um das Submissionswesen, die bis auf Kriegsjahre (1914 – 1918) praktisch andauern, so lange das Kaiserreich besteht. Die potentiellen Auftragnehmer und hier besonders die Handwerker fordern immer wieder eine grundlegende Reform oder gar die völlige Abschaffung des Submissionsverfahrens. Dahinter steht handfeste Interessenpolitik, und so fallen die Urteile, auch in der Wissenschaft, mitunter harsch und polemisch aus46. a) Die Frage nach dem angemessenen Preis Am Beginn der Auseinandersetzungen steht ein Problem, das aus den Tagen der Lizitation bekannt und ist und das durch den Wechsel zum schriftlichen Verfahren gerade vermieden werden sollte: Das Problem der übertriebenen Unterbietung, die durch das „Recht des Billigsten auf den Zuschlag“47 herausgefordert wird. Zunächst ist es in den Augen der Auftraggeber natürlich ein Erfolg, wenn die Preise durch harten Wettbewerb unter den Anbietern massiv sinken. Dieser Erfolg relativiert sich jedoch dadurch, dass die günstigen Preise in zunehmendem 44 Vergaberegelungen aus verschiedenen Teilen Deutschlands sind abgedruckt bei Huber (o. Fn. 2), S. 418 ff. Siehe weiterhin Dörner (o. Fn. 3) zu den Mannheimer kommunalen Submissionsbestimmungen vom 13. 4. 1889; Feuchtwanger (o. Fn. 16), zu verschiedenen bayerische Bestimmungen von 1800 bis 1910; Richard Rothacker, Das Verdingungswesen und seine Heilung (1919), S. 164 ff., zu Beschaffungsbestimmungen der preußischen HeeresBauverwaltung; Elster (o. Fn. 2), S. 1160 ff. zur badischen Verdingungsordnung von Juli 1924. 45 Zitiert nach nach Huber (o. Fn. 2), S. 8. 46 Einige Beispiele: Huber (o. Fn. 2), S. 8, zitiert zeitgenössische Bezeichnungen des Submissionsverfahrens als „Ermuthigung der schlechten Arbeit“ (Deutscher Reichstag, 1876) und „wirtschaftliches Mordsystem“. Das in Baden praktizierte Verfahren, nach dem die Verwaltung einen ausführlichen Kostenvoranschlag angab und die Bieter den von ihnen geforderten Preis in Prozent des Voranschlags nannten, wurde 1883 in einer öffentlichen Verhandlung als „eine wirtschaftlich durchaus verfehlte Einrichtung“ bezeichnet, und die Mannheimer Handelskammer befand 1882 zu ebendieser Methode, sie sei „ein tiefgreifender Krebsschaden“ (Dörner (o. Fn. 3), S. 17 f.). Freudenstein (o. Fn. 42), S. 12 ff., urteilt: „Submission ist Wucher und als solcher verwerflich“. 47 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 46 f.
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
Maße auf Kosten der Qualität gehen. „Schlechte Zahlung liefert schlechte Arbeit“48, was nicht nur hohe Kosten für Neuanschaffungen und Reparaturen bedeutet, sondern mitunter auch ganz fatale Folgen haben kann. So führt die Öffentlichkeit ein schweres Eisenbahnunglück in Hugstetten (Breisgau) auf die mangelhafte Ausführung der Bahnbauarbeiten, diese auf das Submissionsverfahren zurück49. Verbesserungsvorschläge zielen hier in erster Linie auf eine schärfere Kontrolle der Qualität50 – angefangen im Vergabeverfahren, wo nur nachweislich qualifizierte Anbieter in Betracht kommen sollen, bis hin zur Phase der Gewährleistung nach Durchführung des Auftrags. Der preußische Cirkular-Erlass von 1885 reagiert durch folgende Bestimmungen über die Zuschlagserteilung51: „Die niedrigste Geldforderung als solche ist bei der Zuschlagserteilung keineswegs vorzugsweise zu berücksichtigen. Der Zuschlag darf nur auf ein in jeder Beziehung annehmbares, die tüchtige und rechtzeitige Ausführung der betreffenden Arbeit oder Lieferung gewährleistendes Gebot erteilt werden. Ausgeschlossen von der Berücksichtigung sind solche Angebote: ... c. welche eine in einem offenbaren Missverhältnis zu der betreffenden Leistung oder Lieferung stehende Preisforderung enthalten, so dass nach dem geforderten Preise an und für sich eine tüchtige Ausführung nicht erwartet werden kann. Nur ausnahmsweise darf in dem letzteren Falle (zu c) der Zuschlag ertheilt werden, sofern der Bewerber als zuverlässig und leistungsfähig bekannt ist, und ausreichende Gründe für die Abgabe des ausnahmsweise niedrigsten Gebotes beigebracht sind oder auf Befragen beigebracht werden. Im Uebrigen ist bei öffentlichen Ausschreibungen der Zuschlag demjenigen der drei Mindestfordernden zu ertheilen, dessen Angebot unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände als das annehmbarste zu erachten ist.“
Der Grundsatz, das Preis-Leistungs-Verhältnis und nicht den Preis allein zum Maßstab der Zuschlagserteilung zu erheben, erweist sich als praktisch brauchbarste Methode52. Weiter gehende Vorschläge, etwa, den Zuschlag auf das zweit- oder drittniedrigste Gebot53, das dem durchschnittlich gebotenen Preis am nächsten kommende Gebot54 oder zu einem durch Sachverständige zu ermittelnden „angeHuber (o. Fn. 2), S. 20. Freudenstein (o. Fn. 42), S. 65; Schubert (o. Fn. 1), S. 389. 50 Dazu Dörner (o. Fn. 3), S. 69 ff.; Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 143. 51 Abschnitt II Nr. 7. 52 So verlangt die bayerische Verordnung vom 2. 4. 1903 grundsätzlich öffentliche Ausschreibung mit Zuschlag an den Mindestfordernden, aber „nicht mechanisch nach rein quantitativen Gesichtspunkten“ (Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 127). Zum technischen Verfahren bei der Preisberechnung und beim Vergleich der Angebote im Einzelnen findet sich reichhaltiges empirisches Material bei Beutinger (o. Fn. 15), S. 60 ff. 53 Vgl. Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 66; Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 143: Forderung, das geringste Gebot grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. 48 49
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messenen Preis“ zu erteilen, werden zwar teilweise erprobt, setzen sich aber nicht durch. Ähnliches gilt für die Anregung, das Verfahren der „engeren Submission“ verstärkt einzusetzen55, bei dem an der Ausschreibung von vornherein nur bestimmte, qualifizierte Unternehmen zur Abgabe von Angeboten aufgefordert werden56.
b) Gleichberechtigung der Vertragspartner Seriösen Auftragnehmern aber wird das Leben nicht nur durch schwarze Schafe aus den eigenen Reihen schwer gemacht. Sie haben zudem unter der Übermacht der Behörden zu leiden, die letztere dank ihrer Vertragsfreiheit während der Vergabeverfahrens wie während der Vertragsdurchführung bewahren können. Es fängt damit an, dass die Bieter nach Abgabe eines Gebotes an dieses gebunden sind, während der Fiskus bis zum Zeitpunkt der Vertragsschlusses das Verfahren ohne jede Folgen für hinfällig erklären kann: „Der Staat hat ein Recht des Rücktritts ohne Grund, der Bieter nicht einmal mit Grund. Er hat nur ein bedingtes Rechts auf den Zuschlag, eine unbedingte Pflicht den Zuschlag anzunehmen, wenn er einmal geboten.“57 Manchmal nutzen Behörden die Ausschreibung auf Kosten der Bieter als bequeme Weise der Markterkundung und annullieren das Verfahren ohne Angabe von Gründen, wenn dieser Zweck erreicht ist58: Die Bieter bleiben dann auf ihren mitunter beträchtlichen Kosten sitzen, und „[w]ie beträchtlich diese Kosten sind, ist beispielsweise daraus ersichtlich, daß die Ausarbeitung der Projekte und Detailzeichnungen bei einer Submission für Lokomotiven 10000 bis 30000 M. erfordert.“59 Die Bieter hingegen können sich ihres Gebotes auch dann nicht entledigen, wenn sie beispielsweise nach Abgabe feststellen, dass sie sich verrechnet haben. Die Folgen können bei Abweichungen nach oben leicht dazu führen, dass aus einem an sich besonders günstigen, aussichtsreichen Angebot ein völlig chancenloses wird60, und bei Abweichungen nach unten den Bieter ungewollt in einen nachteiligen Vertrag ziehen. 54 Zu den praktischen Erfahrungen damit in Mannheim Dörner (o. Fn. 3), S. 48 ff.: Im Ergebnis doch als preissteigernd befunden. 55 Dafür Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 143; kritisch Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 67. 56 Vgl. etwa die bayerische Verordnung vom 2. 4. 1903: Engere Submission nur in Ausnahmefällen (Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 130). 57 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 48. 58 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 81 f. 59 Heller (o. Fn. 4), S. 38. 60 Vgl. Heller (o. Fn. 4), S. 42: „Daß solche Zufälligkeiten [gemeint sind Kalkulationsirrtümer] oft schwerwiegende Folgen haben können, geht aus einem Vorkommnis beim Ausschreiben für den Freihafen in Bremen hervor. Unter den Submittenten für diesen befand sich auch eine sehr renommierte Firma, die schon viel für das Deutsche Reich über See gearbeitet
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Ist ein Bieter erfolgreich, so finden sich im Vertrag regelmäßig Rechte der Behörde, den Umfang der zu erbringenden Leistung auch nach Vertragsabschluss einseitig zu verändern, während Bestimmungen zur angemessenen Angleichung der Gegenleistung eher die Ausnahme sind61. Dies macht dem Bieter „eine sichere Kalkulation fast unmöglich“62. Insgesamt ist von Gleichberechtigung wenig zu spüren, und Feuchtwanger konstatiert entsprechend: „So wurde denn aus der privatrechtlichen Beziehung eine mehr verwaltungsrechtliche“ 63 – auch wenn das formell zu keinem Zeitpunkt zutrifft. Hier schafft immerhin in Preußen der CirkularErlass von 1885 Abhilfe64: „Von dem Vorbehalt einer einseitigen Vermehrung oder Verminderung der verdungenen Lieferungen und Leistungen unter Beibehaltung der bedungenen Preis-Einheitssätze ist Abstand zu nehmen“. c) Rechtsschutz Verwandt mit dem Problem der behördlichen Übermacht ist das des Rechtsschutz für die Bieter. Es wurde bereits erwähnt, dass gegen den Fiskus die Anrufung der ordentlichen Gerichte prinzipiell möglich ist und ab In-Kraft-Treten der ZPO auch nicht mehr durch gliedstaatliches Rechts ausgeschlossen werden kann. Auch hier nutzen die Behörden jedoch ihre Möglichkeit zur vertraglichen Gestaltung. Regelmäßig müssen sich die Bieter verpflichten, im Falle von Streitigkeiten die Aufsichtsbehörde entscheiden zu lassen65. Klauseln, nach denen die Bieter im Weiteren auf jedes gerichtliche Verfahren verzichten und die Entscheidung der Aufsichtbehörde als abschließend hinnehmen müssen66, sind zwar die Ausnahme und werden von den Zivilgerichten auch nicht als wirksam betrachtet67. Vertragsbestimmungen, nach denen die aufsichtsbehördliche Entscheidung nach Ablauf einer bestimmten Frist als anerkannt gilt, sind aber möglich und verbreitet und führen dazu, dass dieser Ausspruch ganz ähnliche Wirkungen wie ein Verwaltungsakt hat – eine Klage nach Ablauf der Frist vor dem ordentlichen Gericht ist zwar nicht unzulässig, aber angesichts des vertraglichen Anerkenntnisses per se unbegründet68.
hat. Infolge einer der erwähnten Zufälligkeiten forderte sie das Doppelte der beabsichtigten Summe. Sie bekam, dieses Rechenfehlers wegen, den Zuschlag nicht, obgleich sie eigentlich die Mindestfordernde war.“ 61 Zu einseitigen Rechten der Behörde und zum Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 49 f.; Heller (o. Fn. 4),. 36; zu „Schablonenhaftigkeit“ und „pedantischer Härte“ auf Seiten der vergebenden Beamten Huber (o. Fn. 2), S. 7. 62 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 82. 63 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 6. 64 Abschnitt IV Nr. 3. 65 Etwa nach der bayerischen Verordnung von 1864, siehe Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 53. 66 Heller (o. Fn. 4), erwähnt auf S. 36 § 30 der noch im Jahr 1907 geltenden Mainzer Submissionsbestimmungen, nach denen der Unternehmer ausdrücklich „auf jedes gerichtliche Verfahren verzichten muß“. 67 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 53 zu Bayern 1864.
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Immerhin hat die Pflicht zur Anrufung der Aufsichtsbehörde gerade bei den bedeutenden Bauaufträgen ein Ziel, das wohl auch manche Zivilkammer heute von Herzen unterstützen würde: Die Verhinderung aufwendiger, technisch komplizierter Bauprozesse69. Und auch wenn man geneigt sein mag, die Aufsichtsbehörden als parteilich zu betrachten, sind die Auftragnehmer in vielen Fällen mit den Entscheidungen gar nicht unzufrieden70. Für das weitere Verfahren wird dann zunehmend die Zuständigkeit von Schiedsgerichten vereinbart71, was nach den Bestimmungen der ZPO möglich ist und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte weitgehend ausschließt72. So etwa in Preußen73: „Für die Entscheidung über etwaige den Inhalt oder die Ausführung des Vertrages betreffende Meinungsverschiedenheiten ist die Bildung eines Schiedsgerichts zu vereinbaren. Ueber eine Ergänzung des Schiedsgerichts für den Fall, dass ausser den erwähnten Schiedsrichtern Stimmengleichheit sich ergeben sollte, ist ausdrücklich Bestimmung zu treffen.“74
Zwar sorgen die Besetzungsmodalitäten mitunter für Streit75, aber es wird doch allgemein als Vorteil anerkannt, dass das Schiedsgericht mit sachkundigen Spezialisten besetzt werden kann76. 68 Vgl. die Bestimmungen der preußischen Heeres-Bauverwaltung bei Rothacker (o. Fn. 44), S. 209: Erst entscheidet die Aufsichtsbehörde förmlich und stellt die Entscheidung dem Unternehmer zu, wobei der Unternehmer tunlichst anzuhören ist. Sodann ist Klage bei den ordentlichen Gerichten möglich; sie darf nicht vertraglich gänzlich ausgeschlossen werden, allerdings gilt die Entscheidung der Aufsichtsbehörde als anerkannt, wenn nicht innerhalb einer Frist von vier Wochen geklagt wird. Zuständig ist ausschließlich das Gericht am Sitz der Behörde. Siehe auch S. 164 zu Rothackers Quellen. 69 Huber (o. Fn. 2), S. 269. 70 Huber (o. Fn. 2), S. 268 ff. Vgl. auch Feuchtwanger (o. Fn. 16),. 53. 71 Heller (o. Fn. 4), konstatiert auf S. 36: „Überhaupt gibt es unter den erwähnten 50 [von ihr untersuchten] Städten nur 4, . . . welche dem Unternehmer die Wahl lassen, ob er im Falle von Streitigkeiten bei dem zu diesem Zwecke einberufenen Schiedsgericht, oder bei dem zuständigen ordentlichen Gericht Recht nehmen will. Alle übrigen binden ihn an das Schiedsgericht.“ 72 Zur Entwicklung in Bayern Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 53 (Verdingungsordnung von 1864); S. 133 f. (Verdingungsordnung von 1903): Soweit „gerichtliche Entscheidung nicht völlig ausgeschlossen ist, kann der Beschwerdeführer binnen einer 14tägigen Frist nach der ministeriellen Entscheidung Klage beim ordentlichen Gericht erheben. Ein Schiedsgericht kann nur durch Schiedsvertrag zur Entscheidung berufen werden. . . . Eine Aufhebung des Schiedsspruchs aus den in § 1041 CPO. erwähnten Gründen findet nicht statt.“ 73 Cirkular-Erlass von 1885, Abschnitt IV Nr. 6. 74 Vgl. weiterhin Beutinger (o. Fn. 15), S. 169 ff. mit Abdruck eines Erlasses des preußischen Arbeitsministeriums zur Frage der Schiedsgerichte von 1912. 75 Huber (o. Fn. 2), S. 271. 76 So beispielsweise von Huber (o. Fn. 2), S. 270. – Zu den staatlichen oder halbstaatlichen, oft von Handwerkskammern etc. initiierten „Submissionsämtern“ als Vermittlungsstellen siehe etwa Rothacker (o. Fn. 44), S. 47 f., 150; Beutinger (o. Fn. 15), S. 197 ff.
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Bessert sich jedoch in puncto Rechtsschutz die Lage der erfolgreichen Bieter mit der Zeit, so hilft dies erfolglosen Bewerbern um einen Auftrag wenig. Diese scheitern nicht an Ausschlussbestimmungen (schließlich schließen sie ja gar keinen Vertrag mit der Behörde, der eine solche Klausel enthalten könnte), sondern schlicht am Mangel von geeigneten Anspruchsgrundlagen. Man redet zwar von einem „Recht des Billigsten auf den Zuschlag“ aber dieses ist „normativ nicht ausdrücklich ausgesprochen“77 mit der Folge, dass ein „Rechtsanspruch . . . auf Erteilung oder Versagung des Zuschlags oder auf Schadensersatz . . . nicht gegeben“ ist78. Selbst der nichtförmliche Rechtsbehelf der Beschwerde steht nur ausnahmsweise zur Verfügung. In Bayern findet gegen „den von den Unterbehörden ausgesprochenen Ausschluß [von Bietern] bei der allgemeinen Submission und mündlichen Absteigerung . . . innerhalb eines präklusiven Termins von 8 Tagen Beschwerde an die Kgl. Kreisregierung statt, deren Ausspruch endgültig ist.“79 Gegen den Ausschluss bei engeren Submissionen und freihändigen Vergebungen gibt es aber keine Beschwerdemöglichkeit, „trotzdem gerade bei diesen Vergebungsarten die meisten Parteilichkeiten und Willkürlichkeiten vorkommen“80. Ist ein Zuschlag erteilt, kann die Aufsichtsbehörde den Vertrag sowieso nicht mehr ohne weiteres aus der Welt schaffen. „Nichts könnte bezeichnender sein dafür, wie wenig das Recht auf Zuschlag als eine Gerechtigkeitsgarantie im Interesse der Unternehmer gedacht ist, wie sehr als fiskalisch nützliches Unterbietungsstimulans“81. d) Wirtschafts-, Handels- und Sozialpolitik Im Zusammenhang mit den Klagen über individuelle Ungerechtigkeiten weist die Gruppe der potentiellen Auftragnehmer auch immer wieder darauf hin, dass die Folgen einer kurzsichtigen fiskalischen Gestaltung der Vergabeverfahren und Verträge über den Einzelfall hinaus reichen: Der Preiskampf treibe seriöse Firmen in den Ruin, insbesondere kleine Gewerbebetriebe und Handwerker könnten ihre Betriebe so nicht auf Dauer aufrecht erhalten82 – so kommt es zu Äußerungen wie der Überschrift auf S. 25. Gerade die Handwerker bekämpfen vielfach nicht nur Auswüchse fehlenden Qualitätsbewusstseins und mangelnder Fairness, sondern wenden sich auch grundsätzlich gegen das Prinzip der freien Konkurrenz um Angebot und Nachfrage, weil sie um ihre Selbständigkeit fürchten83. Insbesondere Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 46 f. Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 129, zur bayerischen Verdingungsordnung von 1903. 79 Aus der bayerischen Verordnung vom 7. September 1864, RBl. 1169, 1280; zitiert nach Feuchtwanger (o. Fn. 10), S. 47. 80 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 47. 81 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 47. 82 Huber (o. Fn. 2), S. 7. f. 83 Kritisch Conrad / Elster (o. Fn. 8), S. 143. 77 78
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bekämpfen sie die „Generalentreprise“ 84, die Beauftragung von Generalunternehmern mit Großprojekten, wobei Kleinbetriebe erst als Subunternehmer zum Zuge kommen85. Immer wieder verlangen sie aber auch die „gänzliche oder wenigstens . . . teilweise Beseitigung der Konkurrenz bei öffentlichen Vergebungen“, weil Submission „eine das Handwerk schädigende und daher verwerfliche Einrichtung“86 sei. Weniger einschneidende Forderungen gehen beispielsweise dahin, mit kleineren Arbeiten freihändig vorzugsweise Handwerker zu beauftragen87. In Preußen gilt seit 188588: „Umfangreichere Ausschreibungen sind derart zu zerlegen, dass auch kleineren Gewerbetreibenden und Handwerkern die Betheiligung an der Bewerbung ermöglicht wird.“
Teilweise greifen die Unternehmen auch zur Selbsthilfe und bilden, ganz im Zuge der Zeit, Kartelle, die den Wettbewerb durch Preisabsprachen unterlaufen. Die Regierungen in Deutschland finden dieser Tendenz gegenüber allgemein zu keiner recht klaren Linie89 und dulden auch die Ausschreibungskartelle mehr oder weniger90, obwohl diese geeignet sind, den öffentlichen Haushalten kräftig zu schaden. Allerdings sind die Kartelle nicht immer erfolgreich; gelingt es ihnen nicht, alle Beteiligten einzubinden, machen sie es den Außenseitern um so leichter, den Zuschlag zu erhalten91.
84 Etwa nach den bayerischen Vorschriften von 1864: uneingeschränkt zulässig, siehe Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 48 f. 85 Scharf dagegen etwa Freudenstein (o. Fn. 42), S. XIX etc. (konkret bemerkenswerterweise gegen eine Generalvergabe in Frankfurt a. M. an die Firma Ph. Holzmann & Co.; im Jahr 1999 ist die Insolvenz wiederum dieses Unternehmens Anlass für Forderungen an die öffentliche Hand, den direkten Vertragsschluss mit Handwerkern der Vergabe an Generalunternehmer vorzuziehen – vgl. „Schleyer fordert Schutz des Handwerks“, FAZ v. 23. 11. 1999, S. 17). Ein früher Fall findet sich bei Heller (o. Fn. 4), S. 11 ff.: Im Jahr 1768 beschwerten sich sämtliche Bauhandwerker der Stadt Frankfurt a. M. gegen die Beauftragung eines Generalunternehmers mit dem Bau des Zoll- und Wachthauses auf der Mainbrücke zunächst beim Frankfurter Rat und dann sogar beim Kaiser. 86 Dörner (o. Fn. 3), S. 29. 87 Dörner (o. Fn. 3), S. 42 ff. 88 Cirkular-Erlass, Abschnitt II Nr. 1. 89 Ganz anders etwa die Vereinigten Staaten von Amerika, wo 1890 der Sherman Act erlassen wird, der die Kartellbildung in § 1 unter Strafe stellt. 90 Dazu etwa Beutinger (o. Fn. 15), S. 51 ff. und 104 ff. – Die kaiserliche Antwort auf die Beschwerde der Frankfurter Handwerker von 1768 (o. Fn. 85) schlägt den Handwerkern rundheraus vor, ein Preiskartell zu bilden, und weist so die Beschwerdeführer ironischerweise „selbst auf das Mittel“ hin, durch das die kaiserlichen. „Vorschriften umgangen werden können“ (Heller (o. Fn. 4), S. 13). 91 Vgl. Dörner (o. Fn. 3), S. 28, der eine Anzeige der Ernst Heinrich Gneist ElektrizitätsAktien-Gesellschaft vom Anfang des 20. Jahrhundert abdruckt. Bei einer Submission der Elektrizitätswerkes Frankfurt a. M. konnte die anzeigende Firma den Auftrag als einziges Außenseiterunternehmen leicht erhalten, nachdem die weiteren vier (kartellierten) Teilnehmer Gebote abgegeben hatten, deren Preise zwischen 163 und 175% (!) des Gebotes der Gneist AG rangiert hatten.
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Eine verwandte Fragestellung betrifft die Bevorzugung inländischer oder ortsansässiger Bieter. Im Zuge einer allgemein zunehmenden Neigung zum Protektionismus schließen öffentliche Auftraggeber im deutschen Reich vielfach ausländische Anbieter und Waren aus92 und gehen dabei recht weit: „Durch Aufnahme einer Provenienzklausel in die Kontrakte [mit den erfolgreichen Bietern] kann der Staat sich das Recht wahren, . . . eventuell . . . ganz bestimmte Lieferanten vorzuschreiben, dies nach denselben wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten, nach denen der Staat selbst seine eigenen Lieferanten aussucht, d. h. mit Ausschluß der ausländischen und Bevorzugung notleidender“93. Viele Auftraggeber bevorzugen auch unter den inländischen Bietern solche, die aus dem eigenen Bundesstaate oder gar (im Falle der Gemeinden) aus der eigenen Ortschaft kommen – obwohl § 3 der Reichsverfassung die Diskriminierung zwischen Einheimischen und auswärtigen Gewerbetreibenden durch Bundesstaaten und Gemeinden verbietet94. Nur Preußen schließt sich dieser Praxis trotz entsprechender Wünsche der eigenen Industrie nie in vollem Umfang an95. Dort gilt lediglich96: „Bei der Vergebung von Bauarbeiten sind im Falle gleicher Preisstellung die am Orte der Ausführung oder in der Nähe desselben wohnenden Gewerbetreibenden vorzugsweise zu berücksichtigen.“
Schließlich wird auch die sozialpolitische Dimension der staatlichen Auftragsvergabe zum Thema. Schon ein Leipziger Gewerbekammerbericht von 1883 / 84 sieht die „im vorjährigen Bericht enthaltene Andeutung, dass Submittenten ihre niedrigen Angebote zuweilen durch ungebührliches Herabdrücken der Arbeitslöhne auszugleichen versuchen, . . . in jüngster Zeit bei einem größeren Bau bestätigt.“97 Besonders auffällig wird die von manchen Unternehmen zum Zwecke der Lohnersparnis betriebene „Lehrlingszüchterei“ 98. Bald verlangen Arbeiter etwa in Mannheim, in die Verträge des Staates mit seinen Lieferanten Lohnklauseln einzufügen, „um einer Überwälzung von Submissionsverlusten auf die Arbeiter und einer Verwendung von minderwertigen ausländischen Arbeitskräften vorzubeugen“ und den Zuschlag nur an tariftreue Firmen zu erteilen99. In einem Staat, der 92 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 131 zur bayerischen Verordnung von 1903: „Zur Vergebung an Ausländer . . . ist die ministerielle Genehmigung erforderlich.“ 93 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 113. 94 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 131 zur bayerischen Verordnung von 1903: „Es werden stufenweise einander vorgezogen im Falle annähernd gleichwertigen Angebots: Der Ortsansässige dem Einheimischen, der Einheimische (d. i. Bayer) dem Inländer (d. i. nicht bayerischen Deutschen), der Inländer dem Ausländer (nicht Deutschen)“. 95 Beutinger (o. Fn. 15), S. 57 ff. 96 Cirkular-Erlass von 1885, Abschnitt II Nr. 7. 97 Zitiert nach nach Huber (o. Fn. 2), S. 10. 98 Huber (o. Fn. 2), S. 10. 99 Dörner (o. Fn. 3), S. 85 f. Zur Forderung, inländische Arbeitskräfte zu bevorzugen, siehe auch Kirsch (o. Fn. 23), S. 69.
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seiner sozialen Verantwortung durch Einführung einer Sozialversicherung gerecht zu werden versucht und in dem öffentliche Auftraggeber in anderen Zusammenhängen an der Gestaltung von Tarifabschlüssen mitwirken100, stoßen diese Forderungen durchaus auf Gehör. Es gibt zwar auch Bedenken, in die Vertragsfreiheit der Unternehmer einzugreifen (etwa, wenn geäußert wird, die Finanzverwaltung könne „nicht das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anders statuieren als die Gewerbeordnung“101), und gegen den „völligen Ausschluß ausländischer Arbeiter“ spricht die Überlegung, dass dann ausländische Staaten sich zum Nachteil der inländischen Arbeiter veranlasst fühlen könnten, entsprechend zu verfahren102. Doch zeigen sich gewisse Erfolge, wenn beispielsweise in Bayern 1903 und in Preußen 1905 Vorschriften eingeführt werden, nach denen Angebote von Unternehmen auszuschließen sind, von denen bekannt ist, dass sie überdurchschnittliche Arbeitszeiten verlangen oder unterdurchschnittliche Löhne zahlen103. Teilweise kommen die Auftraggeber auch der Forderung nach Tariftreueklauseln nach104. Umgekehrt versuchen die Arbeitgeber, sich vertraglich für den Fall von Streiks Fristverlängerungen zu sichern und so ihre Position gegenüber den Arbeitnehmern zu stärken105.
3. Der Entwurf für ein Reichssubmissionsgesetz Als schließlich der Ruf nach einer reichseinheitlichen Regelung des Vergabeverfahrens immer lauter wird106, stellt sich die Frage, ob das Reich ein entsprechendes Gesetz überhaupt erlassen kann. Zwar wird allseits anerkannt, dass die Reichskompetenz für bürgerliches Recht es ermöglicht, Bestimmungen über den Inhalt der Beschaffungsverträge zu treffen. Was aber das Vergabeverfahren angeht, so wird dessen Regelung vielfach als Frage des Verwaltungsrechts betrachtet, für das ausschließlich die Bundesstaaten zuständig sind. 1905 verneint das preußische Justizministerium die Zuständigkeit des Reiches ausdrücklich107. Auf der anderen Seite stehen Stimmen, die argumentieren, dass es sich auch hier um eine Frage des Bürgerlichen Rechts, nämlich der Einschränkung der Vertragsfreiheit, handele108. 100 Dörner (o. Fn. 3), S. 86. Zur (insbesondere parlamentarischen) Diskussion in Bayern Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 113 ff. 101 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 120. 102 Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 123 f. 103 Kirsch (o. Fn. 23), S. 69. 104 Dörner (o. Fn. 3), S. 86; Feuchtwanger (o. Fn. 16), S. 113 ff. 105 Dörner (o. Fn. 3), S. 83 f. 106 Beutinger (o. Fn. 15), S. 205. 107 Beutinger (o. Fn. 15), S. 206. 108 Zu diesen Fragen siehe insbesondere das bei Beutinger (o. Fn. 15), S. 206 ff. ausführliche referierte Gutachten des Rechtsanwalts am Kammergericht Bernstein.
3 Adam
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
Schließlich erarbeitet die Submissionszentrale des Hansa-Bundes für Gewerbe, Handel und Industrie (einer privaten Vereinigung Gewerbetreibender) 1911 einen kompletten Entwurf für ein Reichssubmissionsgesetz109. 1913 beschließt der Reichstag, einen Abgeordnetenantrag auf Schaffung eines solchen Gesetzes einer Kommission zu überweisen; diese macht den Entwurf des Hansa-Bundes zur Grundlage ihrer Arbeit und legt schließlich einen eigenen, allerdings maßgeblich auf den Vorarbeiten beruhenden Entwurf110 dem Reichstag zur Diskussion und Verabschiedung vor111. Grundsätzlich soll danach „unbeschränkte Verdingung“, d. h. öffentliche Ausschreibung, stattfinden, beschränkte Verdingung (die frühere „engere Submission“) und freihändige Vergebung sind nur ausnahmsweise gestattet (§§ 1 – 6). Der Auftraggeber hat frühzeitig eine exakte Leistungsbeschreibung vorzulegen (§ 10). Auf handwerkliche Interessen ist durch Aufteilung der Aufträge in fachgebundene Einzellose Rücksicht zu nehmen (§ 18a); die Vergabe an einen Generalunternehmer ist nur in begründeten Ausnahmefällen gestattet (§ 21). Die Beschränkung des Verfahrens auf ortsansässige Bewerber ist zulässig, die auf Angehörige eines Bundesstaates nicht (§ 19). Ausländische Bieter sind auszuschließen, wenn sie aus Staaten stammen, die ihrerseits deutsche Unternehmen von der Auftragsvergabe ausschließen (§ 40 lit. a). § 37 folgt bezüglich der Kriterien bei der Zuschlagserteilung weitgehend dem preußischen Vorbild von 1885 (siehe oben). In den Vertrag sind die mittlerweile üblichen Schutzvorschriften zugunsten von Arbeitern aufzunehmen; umgekehrt darf dem Auftragnehmer wegen Streiks Fristverlängerung u. a. nur gewährt werden, wenn er diese Vorschriften einhält (§§ 40 lit. c-k, 56). Für die Entscheidung von Streitigkeiten ist grundsätzlich die Einsetzung eines Schiedsgerichts nach den Vorschriften der ZPO zu vereinbaren (§§ 57 ff.). Der Beginn des ersten Weltkrieges verhindert, dass der Entwurf des Reichssubmissionsgesetzes im Plenum des Reichstages noch behandelt wird112. Erst nachdem sich die Kriegswirren gelegt haben, der Kaiser abgedankt hat und die Republik ausgerufen worden ist, steht das Submissionswesen wieder auf der parlamentarischen Tagesordnung.
III. Der Reichsverdingungsausschuss und sein Werk In die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus fällt das Aufkommen der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) und der VerdingungsRothacker (o. Fn. 44), S. 52. Entwurf eines Reichs-Gesetzes betreffend das öffentliche Verdingungswesen in der von der 15. Kommission des Reichstags festgestellten Fassung, abgedruckt bei Beutinger (o. Fn. 15), S. 213 ff. 111 Rothacker (o. Fn. 44), S. 52. 112 Schubert (o. Fn. 1), S. 396. 109 110
III. Der Reichsverdingungsausschuss und sein Werk
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ordnung für Lieferungen und Leistungen, ausgenommen Bauleistungen (VOL), deren jeweiliger Teil A ausführliche Vergabevorschriften enthält und die bis heute das öffentliche Vergaberecht maßgeblich bestimmen. 1. „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“ Nach dem Krieg hat Deutschland eine neue Verfassung, aber analog dem in der Überschrift zitierten berühmten Diktum Otto Mayers113 bewegt sich das staatliche Beschaffungswesen in den gewohnten rechtlichen Bahnen – auch wenn es gerade nicht als eigentlich verwaltungsrechtliche Materie betrachtet wird. Ganz im Gegenteil scheiden Rechtswissenschaft und Praxis die „fiskalischen Hilfsgeschäfte“ (nicht zuletzt unter dem Eindruck der Fiskustheorie Mayers) strikt von der öffentlichrechtlichen Betätigung des Staates. So schreibt Walter Jellinek sehr hübsch zu der „in Formen des Privatrechts vor sich gehende[n] Verwaltung“, sie folge rechtlich gänzlich eigenen Regeln; es könne etwa „leicht geschehen, daß ein Offizier eine Division befehligt, aber nicht imstande ist, ein fiskalisches Hufeisen zu veräußern“. Von der neuen Verfassung ist das staatliche Beschaffungswesen jedenfalls eher noch weniger betroffen als das eigentliche Verwaltungsrecht. Bei fiskalischem Handeln des Staates bleiben die ordentlichen Gerichte für eventuelle Klagen zuständig114. Auch die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Reich und Ländern entspricht dem vorherigen Zustand, soweit die öffentliche Auftragsvergabe betroffen ist. Das Bürgerliche Gesetzbuch gilt weiterhin und bildet den Rahmen, innerhalb dessen die Behörden das Verfahren für den Vertragsschluss gestalten und Vertragsbedingungen vorgeben können. Vor allem aber ist die fiskalische Verwaltung nach einhelliger Ansicht „frei von den Schranken“ der in der Reichsverfassung enthaltenen Grundrechte, und das heißt insbesondere auch: Frei vom Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 109 Abs. 1 S. 1 WRV). So wie der Fiskus bei „Ansiedelungen auf fiskalischen Grundstücken . . . Unterschiede machen und in der einen Gegend z. B. die Protestanten, in der anderen die Katholiken bevorzugen“115 darf, ist er auch bei der Auswahl seiner Vertragspartner grundrechtlich nicht gebunden. 2. Die Verdingungsordnung für Bauleistungen Der neue Reichstag nimmt die Debatte über das Submissionswesen dort wieder auf, wo sie der alte kriegsbedingt unterbrochen hat. Ein auf direkte reichsgesetzliche Regelung des Submissionswesens zielender Antrag der Deutsch-Nationalen Partei wird jetzt jedoch abgelehnt. Das Zentrum setzt stattdessen durch, dass das 113 114 115
3*
Deutches Verwaltungsrecht, 3. Aufl. (1924), S. VI. Jellinek (o. Fn. 22), S. 24 f. Jellinek (o. Fn. 22), S. 25.
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
Parlament das Reichsschatzministerium ersucht, einen Ausschuss von Sachverständigen aus Regierungsressorts, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen einzuberufen, um „für die Vergebungen von Lieferungen und Leistungen einheitliche Grundsätze für Reich und Länder zu schaffen“116. Nach einigem Kompetenzgerangel innerhalb der Ministerialbürokratie wird die Zuständigkeit der Sachverständigen zunächst auf das „handwerkliche baugewerbliche Verdingungswesen“ beschränkt. Unter der Bezeichnung „Reichsverdingungsausschuss“ (RVA) tagt die Kommission, anfangs noch ohne Vertreter von Ländern und Kommunen, erstmals am 13. Dezember 1921. Sie setzt alsbald einen Arbeitsausschuss ein, der wiederum mit der Klärung grundlegender Fragen zunächst einen Unterausschuss beauftragt117. Im Laufe der Zeit bezieht der Ausschuss auch die Ländervertreter in seine Arbeit ein. Diese beharren immer wieder energisch darauf, dass die verbindliche Anordnung von Vergaberegelungen als ureigenstes Hoheitsrecht den Ländern für ihren Bereich überlassen werden müsse und das Werk des RVA daher lediglich Modellcharakter haben könne118. Am 6. Mai 1926 schließlich billigt die Vollversammlung des RVA als Ergebnis jahrelanger Arbeit die „Verdingungsordnung für Bauleistungen“ (VOB)119, ein Regelwerk aus drei Teilen: Teil A enthält Vergabevorschriften, Teil B die Vertragsbedingungen, die zur Ergänzung und Überlagerung der §§ 631 ff. BGB von den vergebenden Behörden und den erfolgreichen Bietern vereinbart werden sollen, und Teil C technische Vorschriften, die bereits 1925 separat herausgegeben worden sind120. Mit der Verabschiedung durch den Reichsverdingungsausschuss ist die VOB121 weder Gesetz noch Rechtsverordnung, sondern lediglich ein Modell, das von den Parteien angewandt werden kann. Sie setzt sich jedoch schnell durch. Den meisten Reichs-, Landes- und Kommunalbehörden wird die Anwendung der Verdingungsordnungen innerhalb kurzer Zeit durch Verwaltungsvorschrift zur Pflicht gemacht122. Zudem werden die einzelnen Teile durch den deutschen Normenausschuss als DIN-Normen übernommen123, was ihnen zusätzliche Autorität verleiht. 116 Schubert (o. Fn. 1), S. 396, unter Zitat von: Verhandlungen des Reichstags, I. Wahlperiode, Bd. 365, S. 1088, 1173. 117 Schubert (o. Fn. 1), S. 396 f. 118 Schubert (o. Fn. 1), S. 398 f., 403. Auch die Vertreter des Städtetags sahen dies ähnlich (S. 403). 119 Schubert (o. Fn. 1), S. 403. Zur Arbeit des RVA ausführlich S. 397 ff.; Überblick bei Kirsch (o. Fn. 23), S. 71 ff. 120 Kirsch (o. Fn. 23), S. 83. 121 Für den Originaltext siehe etwa Bruno Eplinius, Der Bauvertrag (1940) – ein früher Kommentar zur VOB, der größtenteils noch auf der Originalfassung beruht und diese auch dort noch mitteilt, wo bereits Änderungen vorgenommen wurden. 122 Den Anfang macht das Reichsfinanzministerium mit einem Erlass vom 11. 8. 1926. Übersicht über die einzelnen Erlasse bei Kirsch (o. Fn. 23), S. 88 ff. 123 Gudrun Lampe-Helbig, Die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) und der Bauvertrag, in: Walter Pastor (Hrsg.), Festschrift für Hermann Korbion (1986), S. 249, 250.
III. Der Reichsverdingungsausschuss und sein Werk
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3. Verdingungswesen und NS-Staat Die VOB übersteht die Zeit des Nationalsozialismus relativ unbehelligt124. In die Zeit des Nationalsozialismus fällt die Fertigstellung der Verdingungsordnung für Lieferungen und Leistungen, ausgenommen Bauleistungen (VOL). Sie gilt für die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen außerhalb des Baubereichs und hat zwei Teile (VOL / A und VOL / B; einen der VOB / C vergleichbaren Teil mit technischen Vorschriften gibt es nicht). Der Inhalt der VOL / A entspricht in den wesentlichen Grundzügen dem der VOB / A125. Im Anschluss an die VOB und unter enger Anlehnung an diese entstanden, wird die VOL 1936 durch den Reichsverdingungsausschuss verabschiedet126 und sodann vom federführenden Reichsfinanzministerium für seinen Zuständigkeitsbereich verbindlich eingeführt, anderen Behörden zur Anwendung empfohlen127. Dass die Etablierung der Verdingungsordnungen in die Zeit des totalitären Regimes fällt, wirft einen gewissen Schatten auf den Erfolg des Reichsverdingungsausschusses, dem es im Falle der VOB sicher gelungen ist, einen tragfähigen Kompromiss sowohl zwischen Unternehmer- und Behördeninteressen als auch zwischen Reich, Ländern und Gemeinden zu finden, indem er praxistaugliche Modellregeln vorlegt und die verbindliche Anordnung den einzelnen Gemeinwesen überlässt128. Denn dass mit dem Erlass der VOB und der VOL die Dauerdiskussion 124 Zu Maßnahmen der Nationalsozialisten siehe Kirsch (o. Fn. 23), S. 176 ff. Im Wesentlichen wird nur eine bedeutende Änderung vorgenommen. Im Zuge allgemeiner Bestrebungen, den Abschluss von Schiedsgerichtsvereinbarungen durch die öffentliche Hand zu untersagen, wird § 18 der VOB / B dahingehend geändert, dass (nach fakultativer Anrufung der Aufsichtsbehörde, deren Spruch allerdings nach Ablauf einer Klagefrist als vertraglich anerkannt gilt), grundsätzlich der ordentliche Rechtsweg zu beschreiten ist. Entsprechend wird § 15 VOB / A (siehe oben) durch Erlass des Reichsfinanzministeriums 1934 aufgehoben. Der Grund dafür ist wohl vor allem im Misstrauen des totalitären Staates gegen Schiedsgerichte generell zu sehen. Vgl. hierzu Eplinius (o. Fn. 121), S. 37 f., S. 216 ff., insbes. S. 38: „Damit ist der vor der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus ständig fortschreitenden Flucht aus dem ordentlichen Gericht Einhalt geboten worden, und es ist zu wünschen, daß das Schiedsgerichtsverfahren auch auf dem Gebiete der nicht behördlichen Bauaufträge grundsätzlich zurückgedrängt wird. Die Gründe hierfür liegen nicht nur in der Notwendigkeit die Autorität der Staatlichen Gerichte zu erhalten, sondern werden auch durch die Belange der beteiligten Parteien gerechtfertigt.“ 125 Der Originaltext findet sich etwa bei Walter Daub / Hans Eberstein, Kommentar zur VOL / A, 3. Aufl. (1985), S. 545 ff. Es sei noch bemerkt, dass die VOL, dem Zuge der Zeit entsprechend (siehe oben), von vornherein auf Schiedsgerichte verzichtet. 126 Daub / Eberstein (o. Fn. 125), Einführung Rn. 3. 127 Erlass vom 25. 3. 1936, O 6100 Bh I – 12 / 36 I Bau, siehe die amtliche Vorbemerkung, abgedruckt bei Daub / Eberstein (o. Fn. 125), S. 546. Die spätere VOL / B ist vom Reichsfinanzministerium für seinen Zuständigkeitsbereich bereits mit Wirkung zum 1. November 1932 eingeführt worden (Kirsch (o. Fn. 23), S. 105; Daub / Eberstein (o. Fn. 125), Einführung Rn. 9). 128 So die Würdigung insbesondere der VOB bei Schubert (o. Fn. 1), S. 409. Allerdings sind gerade aus heutiger Sicht mit dem „Ausschussmodell“ auch durchaus Nachteile verbun-
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
über das „Verdingungswesen“129 endet, ist eine Entwicklung, die durch Gleichschaltung und Zentralisierung durchaus erleichtert wird. Föderalistische Rücksichtnahmen sind während der Arbeit an der VOL und bei ihrer Inkraftsetzung nicht mehr erforderlich.
IV. Auftragsvergabe nach VOB / A und VOL / A Ergebnis der bislang beschriebenen Entwicklung ist, dass Aufträge der öffentlichen Hand in ganz Deutschland nach den Vorschriften der VOB / A und der VOL / A vergeben werden sollen. Während die VOB die Vergabe von Bauleistungen („Bauarbeiten oder Lieferungen von Baustoffen oder Bauteilen, die zur Herstellung oder Instandsetzung eines Bauwerkes dienen“130) zum Gegenstand hat, betrifft die VOL „Lieferungen und Leistungen, die nicht unter die Verdingungsordnung für Bauleistungen – VOB fallen“131. Am Anfang beider Regelwerke bestimmt der jeweilige § 2 programmatisch132: „Bauleistungen [bzw. Leistungen] sind an sachkundige und leistungsfähige Bewerber zu angemessenen Preisen zu vergeben; hierbei soll der Wettbewerb die Regel bilden. Ungesunde Begleiterscheinungen sollen bekämpft werden.“
Die diesem Zwecke dienenden Verfahrensregelungen der VOB / A und der VOL / A gleichen sich im Wesentlichen, so dass die folgende Darstellung sich der besseren Übersichtlichkeit halber ausschließlich an der VOB orientiert. 1. Verfahren nach der VOB Öffentliche Auftraggeber im Anwendungsbereich dürfen im Anwendungsbereich der VOB Verträge regelmäßig nur unter Beobachtung eines förmlichen den. Der Ausschuss setzt von vornherein auf Konsens unter Experten anstatt auf einen offenen parlamentarischen Diskurs. Am Ende steht keine repräsentative Mehrheitsentscheidung, sondern ein allzu breites Einvernehmen unter Interessenvertretern. Die politische Debatte um das richtige Maß an Konkurrenz, um den Schutz von Handwerkern und Kleinunternehmen, um protektionistische Maßnahmen und um den Schutz von Arbeitnehmern wird nicht durch eine offene Entscheidung für ein klares Konzept beendet, sondern erstickt in einem Kompromiss, der allen Beteiligten entgegenkommt. Die Beibehaltung der traditionellen Regelungstechnik (interne Verwaltungsvorschriften anstatt von Gesetzen) entzieht die Materie dauerhaft nicht nur der parlamentarischen Diskussion, sondern auch effektiver gerichtlicher Kontrolle. 129 Abänderungsvorschläge werden zwar noch gemacht, beziehen sich aber eher auf Einzelpunkte; siehe Kirsch (o. Fn. 23), S. 91 ff., 106 f. 130 § 1 VOB / A. 131 § 1 VOL / A. 132 Für Einzelheiten siehe etwa Bruno Eplinius, Der Bauvertrag, 1940 – ein früher Kommentar zur VOB, der größtenteils noch auf der Originalfassung beruht und diese auch dort noch mitteilt, wo bereits Änderungen vorgenommen wurden.
IV. Auftragsvergabe nach VOB / A und VOL / A
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Verfahrens abschließen. Das folgt aus § 3 VOB / A, nach dem die „freihändige Vergebung“ („Übertragung einer Leistung nach freiem Ermessen des Auftraggebers ohne förmliche Ausschreibung“) nur in äußerst begrenzten Sonderfällen stattfinden darf133. Ansonsten haben förmliche Ausschreibungsverfahren stattzufinden. Grundsätzlich ist öffentlich auszuschreiben, beschränkte Ausschreibungen sollen nur in relativ wenigen Fällen durchgeführt werden. § 4 verlangt grundsätzlich, Aufträge soweit möglich in Fach- und Teillose aufzuteilen und erlaubt die Vergabe an Generalunternehmer nur, wenn dafür besondere Gründe bestehen und der Generalunternehmer selber verpflichtet wird, bei der „Weitervergebung“ selber die VOB / A anzuwenden. Der Verfahrensablauf bei Ausschreibungen ist sodann wie folgt geregelt: Die Anschaffungsvorhaben sind in Tages- oder Fachzeitungen bekannt zu machen, und zwar mit allen Angaben, „die für den Entschluss zur Beteiligung wichtig sind“ (§ 17). Nach § 16 Abs. 2 soll (aus konjunkturpolitischen Gründen) möglichst zur Ausführung im Winter ausgeschrieben werden, was im Winter ausgeführt werden kann. Für die Ausarbeitung der Angebote sind den Bietern ausreichende Fristen einzuräumen (§ 18). Der Eröffnungstermin ist nicht öffentlich abzuhalten, aber die Anwesenheit der Bieter ist gestattet; es ist eine Niederschrift über die wesentlichen Punkte aufzunehmen (§ 22). Nach Eröffnung der Gebote ist der Zuschlag „möglichst bald, in der Regel innerhalb von 12 Werktagen“ zu erteilen (§ 19 Nr. 1, § 28 Nr. 1); für die Dauer dieser Frist ist die Bindung der Bieter an die Gebote vorzusehen (§ 19 Nr. 2). Mit Zuschlagserteilung ohne Abänderungen besteht folglich ein Vertrag (so – deklaratorisch – § 28 Abs. 2), und zwar auch dann, wenn spätere Beurkundung vorgesehen ist (§ 28 Abs. 3, § 29). Bei Zuschlagserteilung unter Änderungswünschen ist Annahme durch den Bieter erforderlich (§ 28 Abs. 2). § 9 verlangt vom Auftraggeber, die geforderte Leistung „eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, daß alle Bewerber sie im gleichen Sinne verstehen müssen“. „Dem Unternehmer soll kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände oder Ereignisse, auf die er keinen Einfluß hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen kann.“ Nach Möglichkeit ist ein detailliertes Leistungsverzeichnis anzufertigen (§ 9 Nr. 2 ff.). Im Zusammenhang damit heißt es in § 15: „Sind bei Ausführungen von längerer Dauer wesentliche Änderungen der Preisermittlungsgrundlagen zu erwarten, deren Ausmaß ungewiß und unberechenbar ist, so kann eine angemessene Änderung der Vertragspreise in den Ausschreibungsunterlagen vorgesehen werden.“ Diese Vorschriften haben einen doppelten Zweck. Einerseits dienen sie dem Schutz des schließlich erfolgreichen Bieters vor Überraschungen. Andererseits schützen sie den fairen Wettbewerb unter den Bietern: Es soll sich schließlich kein Bieter nur deswegen durchsetzen, weil er zu unvorsichtigeren Schätzungen neigt als seine Konkurrenten.
133 Insbesondere dann, wenn es um Bagatellfälle geht oder die Leistung vorab nicht eindeutig beschrieben werden kann.
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
Die materiellen Anforderungen an die Auswahl des Vertragspartners unterscheiden sich je nach der gewählten Verfahrensart. § 8 bestimmt für öffentliche Ausschreibungen: Die Unterlagen sind „an alle inländischen Bewerber abzugeben, die sich gewerbsmäßig mit der Ausführung von Leistungen der ausgeschriebenen Art befassen. Bei unbekannten Bewerbern kann ein entsprechender Nachweis gefordert werden. Der Wettbewerb soll nicht auf Angehörige einzelner Länder, Provinzen oder Gemeinden des Deutschen Reiches beschränkt werden; ausnahmsweise ist in besonderen Fällen die Beschränkung der öffentlichen Ausschreibung auf die in einem bestimmten Bezirk ansässigen Unternehmen zulässig.“
Die Beteiligung ausländischer Unternehmen ist danach nicht untersagt, muss aber auch nicht zugelassen werden. Was die Auswahl unter den eingegangenen Geboten betrifft, so ist in zwei Stufen vorzugehen. Zuerst werden die Angebote sozusagen absolut beurteilt, d. h. gesondert nach ihren jeweiligen Eigenschaften. Ausgeschlossen werden hierbei beispielsweise formal unzureichende Angebote und Angebote solcher Bieter, die „mit anderen Bietern zum Nachteil des Auftraggebers eine gegen die guten Sitten verstoßende Abrede zur Erzielung eines unangemessen hohen Preises getroffen haben (§ 138 BGB.)“ (§ 23). Weiterhin wird geprüft, ob die Gebote von Bietern mit ausreichender Qualifikation, d. h. der erforderlichen Erfahrung, Sachkenntnis, Leistungsfähigkeit und Liquidität stammen (§ 25 Nr. 1). „Angebote, deren Preise in offenbarem Mißverhältnis zur Leistung stehen, sollen ausgeschlossen und nur solche Angebote berücksichtigt werden, deren Preise bei einwandfreier Ausführung für den Bieter auskömmlich erscheinen“ (§ 25 Nr. 3). Es folgt eine relative Prüfung, nämlich der direkte Vergleich: „Unter den hiernach verbleibenden Bietern soll der Zuschlag auf das Angebot erteilt werden, das unter Berücksichtigung aller wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkte als das annehmbarste erscheint.“134
Unter Handwerkern sind Meister sowie ausbildende Betriebe zu bevorzugen, kleine selbständige Gewerbetreibende können bei kleinen Aufträgen bevorzugt werden (§ 25 Nr. 4, 5). Im Falle von beschränkten Ausschreibungen genießt die Behörde weitgehende Freiheit bei der Auswahl des Teilnehmerkreises. Hier sagt § 8 Nr. 2 lediglich, es „sollen im allgemeinen 3 bis 6 Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden“. Ist freihändige Vergebung zulässig, so ist auch die Auswahlfreiheit der Behörde kaum eingeschränkt: Bereits § 3 lit. c definiert dieses Vorgehen ja gerade als Übertragung der Leistung „nach freiem Ermessen“ des Auftraggebers, und § 8 Nr. 3 schränkt dieses Ermessen nur sehr geringfügig ein, wenn es heißt, der Auftraggeber solle „unter den selbständigen, zuverlässigen und leistungsfähigen Gewerbetreibenden möglichst wechseln“. 134
§ 25 Nr. 3 VOB / A.
IV. Auftragsvergabe nach VOB / A und VOL / A
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Kehrseite der Pflicht, bei ernsthaften Beschaffungsplänen eine Ausschreibung durchzuführen, ist die Pflicht, Ausschreibungen nicht durchzuführen, wenn ernsthafte Beschaffungspläne nicht bestehen. Damit sollen die Bieter vor unnötigen Aufwendungen und vor Fehlplanungen geschützt werden, vor allem angesichts der Tatsache, dass für die Bearbeitung der Angebote nach § 20 Nr. 3 keine Vergütung gewährt wird. Zum Schutz der Bieter darf folglich für andere Zwecke als die unmittelbare Durchführung des Vorhabens, beispielsweise für „Ertragsberechnungen oder andere einseitige Belange des Ausschreibenden“, keine Ausschreibung durchgeführt werden (§ 16 Nr. 1.). Bei zulässigem Zweck soll die Ausschreibung erst dann vorgenommen werden, wenn alle Ausschreibungsunterlagen fertiggestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Durchführung begonnen werden kann (§ 16 Nr. 1). § 26 bekräftigt diese Grundsätze, indem er die Aufhebung der Ausschreibung nur aus bestimmten Gründen zulässt, nämlich „wenn kein den Bedingungen entsprechendes Gebot vorliegt, wenn sich die Grundlagen der Ausschreibung wesentlich geändert haben oder wenn andere schwerwiegende Gründe bestehen.“ § 26 scheint zu implizieren, dass ein einmal ausgeschriebener Auftrag auch tatsächlich vergeben werden muss, es sei denn, es greift ein Aufhebungsgrund ein. Zweifel sind aber deswegen angebracht, weil für einen derartigen Kontrahierungszwang an sich kein sachliches Bedürfnis besteht. § 26 hat zunächst die Aufgabe, eine Umgehung der strengen Auswahlvorschriften bei Ausschreibungen zu verhindern. Insofern ist nicht zu sehen, wieso die Verdingungsordnungen jemals eine Aufhebung verhindern sollten, wenn nur die Behörde vom Vertragsschluss ernsthaft und endgültig und jedem Bewerber gegenüber vom Vertragsschluss Abstand nehmen will. Auch wenn man annimmt, dass § 26 die Bieter zusätzlich zu § 16 davor schützen will, ihre Vorleistungen (die Bearbeitung der Angebote) umsonst erbracht zu haben, würde es übers Ziel hinausschießen, einen Kontrahierungszwang anzuordnen. Zeitgenössische Kommentatoren verstehen die Vorschrift nach ihrem Wortlaut dennoch durchaus so, dass ein Vertrag geschlossen werden muss, wenn einmal ausgeschrieben ist und Aufhebungsgründen nicht bestehen. Allzu große Relevanz wird der Frage aber nicht beigemessen, denn: „Eine Rechtsverpflichtung wird durch die Vorschrift nicht begründet, weil vor dem Zuschlag eine rechtliche Verpflichtung des Ausschreibenden [zur Beachtung der VOB / A] im allgemeinen nicht besteht“135.
2. Rechtsschutz In der Tat sind die Bieter weitgehend auf den guten Willen der Auftraggeber angewiesen, wenn es um die Durchsetzung der neuen Vergabebestimmungen in der Praxis geht. Während nämlich die VOB / B (und ebenso die VOL / B) Vertrags135
Eplinius (o. Fn. 132), S. 64.
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Kap. 1: Ursprünge des öffentlichen Auftragswesens
bestandteil werden und so vertragliche Ansprüche auf ihre Einhaltung begründet werden136, hat die VOB / A „auch dann, wenn die Parteien sich grundsätzlich zur VOB bekennen und ihre Durchführung beschließen, nur programmatische Bedeutung, aber keine Rechtswirkungen“137. Insbesondere sind die Verdingungsordnungen bzw. die Verwaltungsvorschriften, die ihre Anwendung vorschreiben, keine Rechtsnormen i. S. d. Art. 2 EGBGB, so dass Verstöße dagegen weder Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB begründen noch etwa die Nichtigkeit des Vertrages nach § 134 zur Folge haben können. Und so resümiert Kirsch138: „Bei einem Verstoß beispielsweise gegen die Vorschrift, daß Angebote, deren Preise in offenbarem Mißverhältnis zur Leistung stehen, ausgeschlossen . . . werden sollen, . . . kann von den Submittenten, die sich durch Bevorzugung des Mindestfordernden benachteiligt fühlen, kein Anspruch auf Schadensersatz geltend gemacht werden. Das ist nur dann möglich, wenn in dem Vorgehen der Behörde ein Verstoß gegen die guten Sitten zu erblicken ist. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß bei Annahme der VOB. die bei der Vergebung nach Treu und Glauben zu beobachtenden Verpflichtungen sich verstärken, so daß der Tatbestand eines Schadensersatzanspruches gemäß § 826 BGB. gegenüber einer bauvergebenden Stelle, welche die VOB. zur Grundlage ihres Handelns erhoben hat, eher und leichter erfüllt sein wird.“
In der Praxis wird § 826 in dieser Weise jedoch (soweit feststellbar) nicht angewandt. Die Möglichkeit, in der Ausschreibung durch den Auftraggeber und der Beteiligung der Bieter den Abschluss eines Vorvertrages zu sehen, der die Beachtung der einschlägigen Verdingungsordnung zur Vertragspflicht erheben könnte, wird (soweit ersichtlich) nicht einmal diskutiert. Als einziger rechtlicher Ansatzpunkt, um Verstöße gegen die Vergabevorschriften zu ahnden, bleibt damit die Rechtsfigur der cic übrig. Sie wird zwar in der Tat auch von zeitgenössischen Autoren in diesem Sinne erwähnt, jedoch mit einem äußerst beschränkten Anwendungsgebiet: Nämlich als Grundlage von Ansprüchen erfolgreicher Bieter, wenn der Auftraggeber gegen die Vorschriften über die Leistungsbeschreibung verstoßen hat139. Wie es zu dieser Einschätzung kommt und inwieweit nach der reichsgerichtlichen Rechtsprechung auch erfolglose Bieter Schadensersatzansprüche aus cic geltend machen können, ist Gegenstand des nächsten Kapitels.
136 Kirsch (o. Fn. 23), S. 85. Zur Durchsetzung: § 15 VOB / A weist bereits (deklaratorisch) darauf hin, dass nach § 18 VOB / B für Streitigkeiten das Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen ist. 137 Kirsch (o. Fn. 23), S. 85; vgl. auch bereits die Vorbemerkung des Reichsfinanzministeriums zur VOL / A (o. Fn.). 138 S. 86. 139 Vgl. Eplinius (o. Fn. 121), S. 26.
Kapitel 2
Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo Der Begriff „culpa in contrahendo“ verbindet sich seit jeher mit dem Namen Rudolf v. Jherings. Jhering kann in der Tat beanspruchen, den Begriff geprägt und die rechtswissenschaftliche Aufmerksamkeit erstmals auf die spezifischen Probleme der Schädigung im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen gelenkt zu haben. Seine bahnbrechende Arbeit aus dem Jahr 18611 aber behandelt nur einen kleinen Teil all jener Fälle, in denen das Rechtsinstitut der cic im Laufe der Zeit Anwendung finden wird, und verfolgt einen dogmatischen Ansatz, der sich letzten Endes nicht durchsetzt. Bei der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuches hat seine Lehre maßgeblichen Einfluss, schlägt sich im Ergebnis aber lediglich in vereinzelten Haftungstatbeständen ohne sichtbaren Zusammenhang nieder. Es ist das Reichsgericht, das der cic im Laufe der Kasuistik mehrerer Jahrzehnte die dogmatischen Konturen verleiht, die diesem Rechtsinstitut dauerhaft zu eigen werden und ihm seine anhaltend hohe praktische Bedeutung sichern. Die einzelfallorientierte Entscheidungspraxis wird vom zeitgenössischen Schrifttum begleitet und unterstützt, erweist sich aber von Anfang an allen wissenschaftlichen Versuchen der Systematisierung und Kodifizierung als schwer zugänglich2.
I. Die „Entdeckung“ der culpa in contrahendo und die Entstehung des BGB Ausgangspunkt für die Rechtsprechung des Reichsgerichts jedoch sind Jherings Ausführungen und die Art und Weise, in der sich seine Gedanken im Text des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 wiederfinden.
1 Rudolf v. Jhering, Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen, Jherings Jahrbücher 4 (1861), S. 1. 2 Eine Darstellung der Entwicklung des Rechtsinstituts der cic kann auf vielfältige Vorarbeiten zurückgreifen. Die Ausführungen im vorliegenden Kapitel stützen sich besonders auf die hervorragende Darstellung von Michael Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten (1980), S. 97 – 133.
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
1. „Schadensersatz für nichtige oder nicht zur Perfection gelangte Verträge“ Betrachtet man Jherings berühmten Aufsatz, so wird schon aus dem (hier in der Überschrift) zitierten Untertitel ersichtlich, worum es Jhering im Zusammenhang mit der culpa in contrahendo (ausschließlich) geht. Am Beginn steht die Frage, ob derjenige, der beim Vertragsschluss einem wesentlichen Irrtum unterliegt (so dass der Vertrag nach gemeinem Recht nichtig ist), „dem Gegner auf Ersatz des durch seine Schuld ihm verursachten Schadens haftet?“ Als Beispiel dient folgender Fall: Jemand verschreibt sich und bestellt deshalb 100 Zentner statt 100 Pfund einer Ware. Der „Vertragspartner“ verpackt und versendet 100 Zentner; als die Ware den Besteller erreicht, kommt der Irrtum heraus. Da der Vertrag nichtig (nach dem BGB: anfechtbar) ist, erhält der Versender selbstverständlich seine Ware zurück; aber „wer trägt die nutzlos aufgewandten Verpackungs- und Versendungskosten“3? Vergleichbare Fragen stellen sich nach Jherings Ausführungen im weiteren Verlauf der Abhandlung in anderen Fällen der „Unzuverlässigkeit des contractlichen Willens“ (in denen die objektiv scheinbar abgegebene Erklärung nicht oder nicht mehr dem wirklichen Willen des Erklärenden entspricht; neben dem Irrtum beispielsweise die Fälle der Scherzerklärung oder der Rücknahme einer öffentlichen Auslobung) sowie dann, wenn der Vertragsschluss an der „Unfähigkeit des Subjekts“ (mangelnde Geschäftsfähigkeit einer Partei) oder „Unfähigkeit des Objekts“ (Unmöglichkeit: Der Verkäufer kann dem Käufer das Eigentum an der verkauften Sache aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht übertragen) scheitert4. Es geht in allen Fällen um den Ersatz von Vermögensschäden, deren zunächst rein äußerliche Besonderheit darin liegt, dass sie anlässlich eines Vertragsschlusses entstehen. Wichtiger aber ist: Es handelt sich um Vermögensschäden, die durch die (nachträgliche) Frustration von Aufwendungen entstehen. Eine gewollte Vermögensminderung (Verpackung und Versand erfolgen bewusst und freiwillig) erweist sich im Augenblick des Ausbleibens der erwarteten Kompensation durch eine Vermögensmehrung (Erwerb eines wirksamen vertraglichen Anspruchs) als Schaden. Der Bedarf für eine Klage auf (Vermögens-) Schadensersatz tritt also nur auf, weil das Recht die Anerkennung der vertraglichen Verpflichtung versagt. Umgekehrt gilt, dass in diesen Fällen aus Sicht des Geschädigten in solchen Fällen die Lösung genau so gut oder sogar noch besser darin bestehen könnte, ihm die erwartete Vermögensmehrung zu gewähren, d. h. dem Vertrag volle Wirksamkeit zuzusprechen. Dagegen sprechen natürlich unter Umständen die Interessen des Schädigers. Letztlich handelt es sich hier insgesamt um eine Abwägungsfrage, deren Beantwortung von Jhering jedoch im Einklang mit der zu seiner Zeit herrschenden 3 4
v. Jhering (o. Fn. 1), S. 1 f. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 48 ff.
I. Die „Entdeckung“ der culpa in contrahendo und Entstehung des BGB
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Willenstheorie insofern vorausgesetzt wird, als vertragliche Erfüllungsansprüche ausgeschlossen sein sollen5. Folglich besteht ein Interesse wenigstens am Ersatz etwaiger Vermögensschäden. Billigkeit und Rechtsgefühl sprechen nach Jhering eindeutig für die Gewährung eines entsprechenden Anspruchs. Jherings eigentümliches Problem besteht nun darin, eine dogmatisch befriedigende Konstruktion für diesen Anspruch zu finden. Nach dem gemeinen Recht der Zeit scheinen weder vertragliche Ansprüche in Betracht zu kommen (mangels Wirksamkeit des Vertrags nämlich), noch außervertragliche. Eine actio de dolo, ein Anspruch also wegen vorsätzlicher Vermögensschädigung (dem heutigen § 826 BGB vergleichbar) scheitert dann, wenn der Schädiger selbst nicht weiß, dass seine Erklärung keinen wirksamen Vertragsschluss herbeiführen kann (im Falle des Irrtums selbstverständlich). Eine Klage auf der Grundlage der lex Aquilia setzt (wie heutige Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB) voraus, dass konkrete Rechtsgüter wie Eigentum etc. beschädigt werden, was typischerweise nicht der Fall ist6. Jhering hält dieses Ergebnis für unbillig und praktisch trostlos, denn „der culpose Theil geht frei aus, der unschuldige wird Opfer der fremden Culpa!“7 Das könne nicht das letzte Wort sein: „Man muß in seinem Glauben an das römische Recht jede Regung des gesunden Rechtsgefühls in sich unterdrückt haben, wenn man sich dabei zu beruhigen vermag . . .“8. Konstruktiv gibt es für Jhering zwei Lösungsmöglichkeiten, nämlich die Anerkennung außervertraglicher Ersatzansprüche wegen „reiner Vermögensschäden“ auch bei fehlendem Vorsatz – oder die Anerkennung vertraglicher Ersatzansprüche trotz unwirksamen Vertrages. Eine außervertragliche Lösung scheint Jhering deshalb nicht angebracht, weil sie uferlos wäre: Man könne etwa nicht „[j]emanden, der aus Gefälligkeit die neusten Course . . . mittheilt und sich dabei versieht, für die Folgen seiner culpa verantwortlich“ machen9. Er meint jedoch, einen vertraglichen Anspruch sogar aus einigen römischen Quellen herleiten zu können. In erster Linie ist es aber wohl doch seine eigene Idee10, was er als Ergebnis der Auslegung präsentiert: Dass auch Verträge, die in dem Sinne unwirksam sind, dass sie keine Erfüllungsansprüche beVgl. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 2. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 3. Vgl. kurz und prägnant zur actio doli und zur actio legis Aquiliae in den Fällen der cic Heinz Hildebrandt, Erklärungshaftung (1931), S. 38. 7 v. Jhering (o. Fn. 1), S. 2. 8 So v. Jhering (o. Fn. 1), S. 4 f. zu einem vergleichbaren Fall. 9 v. Jhering (o. Fn. 1), S. 7. 10 Zur Fragwürdigkeit der Jheringschen Quellenexegese in diesem Punkt vgl. etwa Dieter Medicus, Zur Entstehungsgeschichte der culpa in contrahendo, in: Hans-Peter Benöhr / Karl Hackl, Iuris Professio. Festgabe für Max Kaser zum 80. Geburtstag (1986), S. 169, 181; ferner die Nachweise bei Bohrer (o. Fn. 2), S. 98, Fn. 9. Eingehend zu diesem Punkt Byoung Jo Choe, Culpa in contrahendo bei Rudolf von Jhering (1988). 5 6
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
gründen, „gewisse Wirkungen“11 hervorbringen. Diese Wirkungen äußern sich in Pflichten zum Ersatz bestimmter Vermögensschäden12, Schäden nämlich, die einer der Verhandlungspartner erlitten hat, wenn und soweit er auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hat. Dafür hat der andere Teil einzustehen, wenn er das Wirksamkeitshindernis hätte kennen müssen und deshalb den schädigenden Vertragsschluss gar nicht erst hätte vornehmen dürfen. Dem Verpflichteten wird vorgeworfen: „Du hättest den Vertrag gar nicht abschließen sollen, denn Du hättest das Hinderniß desselben kennen müssen, durch Deine Unkenntniß ist der Gegner in Schaden gekommen.“13 Im Abschluss trotz „Kennenmüssens“ liegt die culpa. Was man kennen muss, bestimmt Jhering nach einem objektiven und großzügigen Maßstab. Irrtümer etwa muss man bemerken, einen Unterschied zwischen entschuldbaren und unentschuldbaren Fällen will Jhering nicht machen: In jedem Fall soll Schadensersatz geschuldet sein. Wer eine res extra commercium verkauft, hätte die Unverkäuflichkeit kennen müssen, auch wenn er die Sache nie zu Gesicht bekommen hat. Denn unter Gesichtspunkten der Billigkeit könne es doch nicht zweifelhaft sein, ob „er oder der Käufer unter den Folgen seiner Unkenntnis leiden soll“. Nicht einmal einen individuellen Exkulpationsbeweis will Jhering zulassen14. Dass damit das Merkmal der culpa entgegen seiner im römischen Recht üblichen Funktion nicht mehr der individuellen Zurechnung von Verhalten dient, ist Jhering durchaus klar. Von culpa möchte er dennoch sprechen, weil er deren Wesen darin sieht, dass eine Haftung auf vorwerfbares Verhalten zurückgeführt wird. Es fehle „keineswegs an Beispielen, daß die römischen Juristen nach Art unseres Falls eine schlechthin aus der Natur des Verhältnisses abgeleitete, mithin von dem individuellen Verhalten des Schuldigen völlig unabhängige Haftung auf culpa desselben zurückführen“15. Und so lautet Jherings Ergebnis16: „Das Gebot der contractlichen diligentia gilt wie für gewordene, so auch für werdende Contractsverhältnisse, eine Verletzung derselben begründet hier, wie dort die Contractsklage auf Schadensersatz. Die culpa in contrahendo ist nichts, als die contractliche culpa in einer besonderen Richtung. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: 1. rücksichtlich ihrer systematischen Stellung. Sie findet ihren rechten Platz bei der Lehre von der culpa in Contractsverhältnissen, bei der Lehre vom Abschluß der Contracte ist höchstens auf sie zu verweisen. 2. rücksichtlich der Grades der zu prästirenden culpa. Derselbe Grad, der während der Dauer des Contractsverhältnisses zu prästiren ist, ist es auch bei der Begründung, denn 11 12 13 14 15 16
v. Jhering (o. Fn. 1), S. 29. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 32. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 34. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 34 ff. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 36 f. v. Jhering (o. Fn. 1), S. 52 f.
I. Die „Entdeckung“ der culpa in contrahendo und Entstehung des BGB
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dieselben der Natur des bestimmten Contracts entlehnten Gründe, welche dort über denselben entscheiden, bestehen auch hier. 3. rücksichtlich der Personen, welche die culpa zu prästiren haben. Es sind dies lediglich die Contrahenten selbst, nicht dritte Personen, welche beim Abschluß des Contracts mitwirken, und erstere auch nur unter der Voraussetzung, daß ihnen eine culpa dieser bestimmten Art zugerechnet werden kann.“
Der nichtige Vertrag ist bei Jhering also eigentlich nicht mehr nichtig, sondern „minderwirksam“. Er unterscheidet sich vom nicht vorhandenen Vertrag dadurch, dass er gewisse Rechtswirkungen hervorbringt, vom (voll) wirksamen Vertrag dadurch, dass eine Klage auf Erfüllung bzw. das Erfüllungsinteresse nicht möglich ist, dass lediglich das „negative Interesse“ verlangt werden kann: Der Geschädigte wird gestellt, als habe er sich auf den unwirksamen Vertragsschluss nicht eingelassen. Regelmäßig wird dieses negative Interesse weit unter dem Erfüllungsinteresse liegen; es kann aber auch die Höhe des letzteren erreichen, vor allem dann, wenn der Geschädigte sich im Vertrauen auf den Vertrag anderweitige Gewinnchancen entgehen lässt17. Es ist nicht ganz einfach, Jherings Konstruktion eines nichtigen, aber doch mit gewissen Wirkungen ausgestatteten Vertrages richtig zu würdigen. Auf der einen Seite mag man versucht sein, die Idee für in sich widersprüchlich und realitätsfremd zu erklären. Auf der anderen Seite ist sein Ergebnis praktisch ausgesprochen brauchbar und handhabbar. Widersprüchlich scheint es, wenn die Haftung einerseits ihren Geltungsgrund in einem Vertrag finden, andererseits die Schadensersatzpflicht Folge der Verletzung einer primären Pflicht sein soll, die (zum unwirksamen Vertragsschluss erst führende) Erklärung ihrer Fehlerhaftigkeit wegen nicht abzugeben: Entweder besteht bereits vor Vertragsabschluss eine Pflicht, diesen zu unterlassen; dann besteht die Pflicht nicht auf Grund des Vertrages, und auch die sekundäre Schadensersatzpflicht auf den Vertrag zu stützen erschiene falsch. Oder die Pflicht entsteht erst aus dem Vertrag: Dann kann sie schlecht den Inhalt haben, das (zudem bereits geschehene) Verhalten zu unterlassen, das erst zu ihrer Entstehung geführt hat18. Realitätsfremd mutet es an, die Schadensersatzpflicht auf den Vertrag zurückzuführen und so in eine Verbindung mit dem Parteiwillen zu bringen. Die Parteien wollen Leistungspflichten vereinbaren; erkennt das Gesetz etwa im Falle des Irrtums die Vereinbarung nicht an, weil es keine wirkliche Willensübereinstimmung gibt, so erscheint es widersinnig, die Erfüllungspflicht durch eine Ersatzpflicht zu substituieren, an die mit Sicherheit weder die eine noch die andere Partei gedacht hat. Nun ist es natürlich möglich, an der Tatsache des Vertragsschlusses auch gewisse objektive Pflichten festzumachen, die unabhängig vom Willen der Parteien v. Jhering (o. Fn. 1), S. 20 ff. Entsprechend erscheint Jherings Konstruktion einer vertraglichen Haftung aus dem eigentlich nichtigen Vertrag vielen zeitgenössischen Autoren als fragwürdig. Dafür etwa Vgl. Bohrer (o. Fn. 2), S. 100 f. mit umfassenden Nachweisen. 17 18
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
eintreten. Es spricht sogar einiges dafür, dass das von Jhering betonte „Gebot contractlicher diligentia“ auch bei wirksamen Verträgen mit dem Parteiwillen wenig zu tun hat. Dann aber ist der Vertragsschluss nur noch ein Tatbestandsmerkmal der Haftung, und diese findet nicht mehr im übereinstimmenden Parteiwillen ihren tragenden Grund – so dass man sich fragen muss, was den nun der tragende Grund der Haftung ist und warum diese ausgerechnet einen (wirksamen oder auch unwirksamen) Vertragsschluss voraussetzt. Damit ist man letztlich bei der Frage, ob eine außervertragliche Lösung nicht doch ehrlicher gewesen wäre, also eine Art actio de negligentiae für die Fälle der fahrlässigen Vermögensschädigung; immerhin geht ja auch Jhering davon aus, dass Fälle des vorsätzlichen Abschlusses eines nichtigen Vertrages mit Hilfe der außervertraglichen actio de dolo behandelt werden können. Der nichtvertraglichen Variante steht jedoch als schwer wiegendes Argument das Problem der sachgerechten Eingrenzung einer solchen Haftung entgegen.
2. Das BGB Jherings Untersuchung ruft eine lebhafte Diskussion hervor und hat erheblichen Einfluss bei der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Cum grano salis kann man feststellen, dass das zentrale Anliegen Jherings im Ergebnis von Anfang an fast ungeteilte Zustimmung erhält19: Die grundsätzliche Anerkennung einer Ersatzpflicht dessen, dem die Nichtigkeit eines Vertragsschlusses zuzurechnen ist. Umstritten ist naturgemäß, wie weit diese Haftung gehen soll. Hauptsächlich stellt sich hier die Frage, in welchen Fällen die Nichtigkeit in haftungsbegründender Weise zugerechnet werden soll; daneben und im Zusammenhang damit steht das Problem der Berücksichtigung eigener zurechenbarer Verursachung auf Seiten des Geschädigten. Das BGB geht die Frage der culpa in contrahendo pragmatisch an, indem es für einzelne der von Jhering aufgeführten Fälle Haftungstatbestände normiert. Im Entwurf der ersten Lesung finden sich ausdrücklich als Fälle der cic erwähnt die späteren §§ 122, 307 und 30920. Ihr endgültiger Wortlaut hat folgende Gestalt: „§ 122. (1) Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder auf Grund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat.
Vgl. dazu die Nachweise unter Fn. 18. Bohrer (o. Fn. 2), (o. Fn. 10), S. 101; ebenda S. 103 zu dem hier nicht weiter interessierenden Sonderfall des § 694. 19 20
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(2) Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen mußte). § 30721. Wer bei der Schließung eines Vertrags, der auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist, die Unmöglichkeit der Leistung kennt oder kennen muß, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere Teil dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere Teil an der Gültigkeit des Vertrages hat. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der andere Teil die Unmöglichkeit kennt oder kennen muß. § 30922. Verstößt ein Vertrag gegen ein gesetzliches Verbot, so finden die Vorschriften der §§ 307, 308 entsprechende Anwendung.“
Im Hintergrund steht die Überzeugung, das Ergebnis der neugeschaffenen Tatbestände – die Haftung auf das negative Vertragsinteresse, begrenzt durch das Erfüllungsinteresse, unter Ausschluss jeglicher Haftung bei eigener Fahrlässigkeit des Geschädigten – entspreche in den jeweils geregelten Fällen einem billigen und gerechten Interessenausgleich23. Die Frage nach der dogmatisch-systematischen Begründung, vor allem die Frage, ob die nun normierte Haftung „auf einen Eingriff in den fremden Rechtskreis, mithin auf eine unerlaubte Handlung oder auf die Verletzung einer rechtsgeschäftlichen Pflicht zurückzuführen“, betrachten die Motive zwar explizit als „Konstruktionsfrage, deren Lösung der Wissenschaft überlassen werden kann“24. Eines aber ist ihnen klar: Dass nämlich „anderweite unbeabsichtigte Wirkungen, welche an ein nichtiges Rechtsgeschäft sich knüpfen, nicht durch das Rechtsgeschäft, sondern durch einen im äußeren Akt sich findenden besonderen Thatbestand – culpa in contrahendo (§§ 97 III, 99 III) usw. – erzeugt werden“25. Mit anderen Worten: Das Rechtsgeschäft mag als Tatbestandsmerkmal der Haftung notwendig sein oder nicht (das soll die Wissenschaft klären); keinesfalls aber ist die Haftung eine rechtsgeschäftliche in dem Sinne, das sie auf dem Parteiwillen beruhen würde. Der Wissenschaft nun machen es die Gesetzesverfasser nicht gerade leicht, indem sie Haftungstatbestände mit unterschiedlichen Strukturen schaffen. Die §§ 307, 309 haben Fahrlässigkeit des Verpflichteten als Haftungsvoraussetzung, während dieses Tatbestandsmerkmal in § 122 fehlt, was bis heute immer wieder Anlass zu 21 Aufgehoben durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26. 11. 2001, BGBl. I, S. 3138. 22 Aufgehoben durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (o. Fn. 21). 23 Grundlage der Haftung soll sein das „ ,allgemein anerkannte Verkehrsbedürfnis‘, im Falle eines nichtigen Vertrages die Nachteile zu ersetzen, ,welche ohne die Abgabe der Erklärung nicht eingetreten sein würden‘ “; die Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse wird betrachtet als „Gebot materieller Gerechtigkeit“; siehe i. E. Bohrer (o. Fn. 2), S. 102 m. w. N. 24 Vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band I (1888), S. 195, Band II (1888), S. 179, 745, zitiert nach Bohrer (o. Fn. 2), S. 102 Fn. 38. 25 Motive (o. Fn. 24) I, S. 217, zitiert nach Bohrer (o. Fn. 2), S. 101.
4 Adam
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der Feststellung gibt, § 122 folge nicht dem Verschuldens-, sondern dem Veranlassungsprinzip und sei überhaupt kein Fall der cic26. Richtig ist die Aussage, § 122 erfordere kein Verschulden, nur in einem sehr oberflächlichen Sinne. Was § 122 in der Tat nicht verlangt, ist eine gesonderte Prüfung des Vertretenmüssens entsprechend § 276 BGB. Damit ist aber längst nicht gesagt, § 122 beruhe nicht auf dem Gedanken des Verschuldens. § 276 folgt schließlich einem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff, den man ganz plausibel dahingehend konkretisieren kann, dass die Abgabe einer fehlerhaften Willenserklärung eben immer gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstößt27. Ob man sich nun einer solchen Wertung (immerhin im Einklang mit Rudolf von Jhering!28) anschließen möchte oder nicht – § 122 hat sich dafür entschieden, anders als die §§ 307 und 309, die die Herausbildung des Sorgfaltsmaßstabes an die Rechtsprechung delegieren29. Hier liegt der maßgebliche Unterschied zwischen den Normen; auf ein gemeinsames Prinzip, das der culpa im Jheringschen Sinne einer zuzurechnenden Pflichtverletzung, berufen sich die Motive in allen Fällen. Bestätigung findet dieses Ergebnis übrigens in den einheitlichen Grundsätzen der drei Normen zur Mitverursachung: Hier verlangt auch § 122 eine eigene Fahrlässigkeitsprüfung, weil ein derartig eindeutiger Zurechnungsgrund, wie ihn die Abgabe einer irrtumsbehafteten Willenserklärung darstellt, fehlt. Einheitlich weichen die Normen in der Rechtsfolge von dem Grundsatz des § 254 BGB ab, indem sie bei mitwirkendem Verschulden den Ersatzanspruch ganz ausschließen anstatt ihn nur verhältnismäßig zu reduzieren. Eine wirklich überzeugende Erklärung für diese (zweifellos praktisch gut zu handhabende) Abweichung findet sich nicht. Interessant ist noch die Entstehungsgeschichte des § 179 Abs. 2, der im Ergebnis den bisher behandelten Vorschriften stark ähnelt (und im Zusammenhang mit § 179 Abs. 1 betrachtet werden muss): „§ 179. (1) Wer als Vertreter einen Vertrag geschlossen hat, ist, sofern er nicht seine Vertretungsmacht nachweist, dem anderen Teil nach dessen Wahl zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert.
26 Vgl. etwa Kurt Rebmann u. a. (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1, 4. Aufl. (2001), § 122 (Kramer), Rn. 2. Umfassende Nachweise bei Bohrer (o. Fn. 2), S. 188, Fn. 307. Historisch betrachtet ist die Behauptung, § 122 sei kein Fall der cic, jedenfalls falsch; vgl. das Zitat vor Fn. 25 , das sich auf den späteren § 122 BGB bezieht (siehe Bohrer S. 101, insbes. Fn. 35). Ob die Behauptung, § 122 sei kein Fall der cic, nach der später entwickelten allgemeinen Dogmatik zutrifft, ist eine andere Frage. 27 Hätte etwa § 122 Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit gefordert und die Rechtsprechung das Fahrlässigkeitserfordernis in diesem Sinne ausgelegt, wäre das Ergebnis mit dem des bis heute bestehenden § 122 exakt deckungsgleich gewesen – aber niemand hätte bestritten, dass § 122 BGB ein ganz typischer Fall der Verschuldenshaftung sei. 28 O. Fn. 14 und zugehöriger Text. 29 Siehe auch Bohrer (o. Fn. 2), S. 102 Fn. 41 zu der Auseinandersetzung der Kommission mit Jherings weitem Verschuldensbegriff.
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(2) Hat der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt, so ist er nur zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welchen der andere Teil dadurch erleidet, daß er auf die Vertretungsmacht vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere an der Wirksamkeit des Vertrags hat. (3) Der Vertreter haftet nicht, wenn der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen mußte. Der Vertreter haftet auch dann nicht, wenn er in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, es sei denn, dass er mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat.“
Ursprünglich hatte man überlegt, den vollmachtlosen Vertreter grundsätzlich nach cic-Grundsätzen auf das negative Interesse haften zu lassen, dann aber davon abgesehen, da so „dem Verkehrsinteresse . . . nicht genügend Rechnung getragen“ würde, und sich für eine durchgängige Erfüllungshaftung entschieden. Erst in der Revisionslesung kam man dann aus Gründen der ausgleichenden Gerechtigkeit zu einer differenzierende Lösung, ohne allerdings auf die cic erneut explizit Bezug zu nehmen30. Diese Entwicklung demonstriert, wie das Bedürfnis nach einer Haftung aus cic (im ursprünglichen Sinne) von der Position des Gesetzes zur Wirksamkeit fehlerhafter Rechtsgeschäfte abhängt. Sie kann zudem dazu dienen, bereits jetzt auf ein Problem hinzuweisen, das die Wissenschaft später beschäftigen wird. Die Haftungstatbestände des § 179 sind offenbar verwandt und unterscheiden sich nur hinsichtlich des subjektiven Tatbestands (Abs. 1 verlangt Vorsatz, Abs. 2 kennt kein subjektives Erfordernis und ersetzt zudem die nach § 276 übliche Einzelfallprüfung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit wie § 122 durch die Zurechnung von Gesetzes wegen). Versteht man aber § 179 Abs. 2 in Jherings Sinne als Haftung wegen der Verletzung einer („rechtsgeschäftlichen“ oder gesetzlichen, das ist nach wie vor offen) Unterlassungspflicht, in dessen Folge der andere Teil gestellt wird, als sei die Pflichtverletzung nicht geschehen, dann will § 179 Abs. 1 dazu nicht mehr recht passen: Aus der vorsätzlichen Pflichtverletzung dürfte ja an sich keine andere Rechtsfolge resultieren. Eine harmonische Erklärung liefert hier erst die Theorie der Vertrauenshaftung31.
3. Verschulden beim Vertragsschluss Voraussetzung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung ist schließlich in vieler Hinsicht ein Werk, das zwar erst 1910 erscheint, dessen Wurzeln aber in einer früheren Schrift des Autors von 1896 liegen: Franz Leonhards „Verschulden beim Vertragsschlusse“32. Vom Titel her wird es der heutige Leser sogleich mit dem Ge30 Bohrer (o. Fn. 2), S. 102 f., insbes. Fn. 42, unter Verweis auf Motive (o. Fn. 24) I, S. 243 f. sowie Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerliches Gesetzbuches, Band I (1897), S. 319 ff. 31 Vgl. unten Kapitel 4: II. 3.
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
danken der cic in Verbindung bringen. Leonhard allerdings versteht unter „seinem“ Haftungstatbestand eine durchaus andere Erscheinung als die cic33. Leonhard geht es um die Haftung nicht etwa für Vermögensschäden, die im Zuge unwirksamer Vertragsabschlüsse auftreten, sondern um Schäden, die gerade auf der Wirksamkeit des Vertrages beruhen und etwa darin bestehen, dass eine Seite den Vertrag in Unkenntnis bestimmter Eigenschaften des Vertragsgegenstandes abschließt und daher mit einer Verbindlichkeit belastet ist, die sie in Kenntnis aller Tatsachen nicht eingegangen wäre. Letztlich geht es auch ihm darum, das Vermögen des Geschädigten zu schützen. Auf einen Vergleich der Vermögenslagen vor und nach dem Vertragsschluss kommt es zwar primär nicht an, pflichtwidrig kann also prinzipiell auch die Verleitung zu einem objektiv bereichernden, subjektiv aber ungewollten Vertrag sein. In dem Falle allerdings reduziert sich der Schadensersatzanspruch auf Null, so dass im Ergebnis doch nur das Vermögen geschützt wird. Eine gewisse Parallele zu Jherings Ausgangsfrage besteht: Die Rechtsordnung bietet auch hier eine Lösung, wenn der Geschädigte Opfer einer vorsätzlichen Täuschung geworden ist. Allerdings wird zu Leonhards Zeiten dieser Fall des Schadensersatzanspruches wegen Arglist als vertraglich, nicht als deliktisch eingestuft34. Ähnlich wie Jhering es im Falle der unwirksamen Verträge gemacht hat, möchte Leonhard nun in seinen Fällen eine Haftung des Verhandlungspartners bejahen, wenn ihm Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, wenn er also den Geschädigten über die entscheidenden Eigenschaften hätte informieren müssen35. Leonhard konstruiert zu diesem Zwecke eine spezifische „wirkliche Pflicht zur Sorgfalt schon beim Vertragsschlusse“36, nach der ein Vertragspartner den andern nicht nur nicht vorsätzlich irreführen darf (Fall der Arglist), sondern ihn auch über alle Umstände zu informieren hat, deren Bedeutung für den andern ihm bekannt ist oder bekannt sein müsste37. Weiterer Inhalt dieser vertraglichen Pflicht ist auch die Rücksichtnahme auf die deliktisch geschützten Rechtsgüter des Vertragspartners38. Die Pflicht setzt nach Leonhard einen wirksamen Vertragsschluss voraus39, obwohl damit ein Verhalten, das überhaupt erst pflichtenbegründend wirkt, gleichzei32 Bei dem früheren Werk handelt es sich um die Dissertation Franz Leonhards, Die Haftung des Verkäufers für sein Verschulden beim Vertragsschlusses (1896) (noch zum gemeinen Recht). 33 Franz Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse (1910), S. 2, S. 58. 34 Leonhard (o. Fn. 33), S. 44 f. 35 Erfasst sind damit dann auch die Fälle des vorsätzlichen Unterlassens (die nicht ohne weiteres unter den Begriff der Arglist fallen). 36 Leonhard (o. Fn. 33), S. 48. 37 Leonhard (o. Fn. 33), S. 11 ff. 38 Leonhard (o. Fn. 33), S. 17. 39 Leonhard (o. Fn. 33), S. 58.
II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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tig die Pflichtverletzung darstellen soll40 (eine weitere Parallele zu Jhering); er bezeichnet es ausdrücklich als „nicht richtig, aus bloßen Vorverhandlungen, die nicht zum Ziele führen, eine Haftung abzuleiten“ 41. Dass das Eingreifen dieser Pflicht auf dem Parteiwillen beruhe, behauptet Leonhard allerdings nicht, so dass auch Leonhards Haftung für Verschulden beim Vertragsschluss auf Pflichten beruht, die zwar einen Vertragsschluss (diesmal einen wirksamen!) voraussetzen, sich aber nicht aus dem Vertragsinhalt (der Vereinbarung der Parteien) ergeben.
II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Die Rechtsprechung des Reichsgerichts entwickelt sich über einen Zeitraum von knapp vier Jahrzehnten langsam von Fall zu Fall. Wenn im Folgenden von verschiedenen Phasen der Entwicklung gesprochen wird, ist das natürlich eine nachträgliche Konstruktion; doch erleichtert diese Systematisierung die Darstellung und fördert deren Verständlichkeit. Die vorgenommene Einteilung geht von der Lehre der culpa in contrahendo aus, wie sie durch das BGB auf der Grundlage von Jherings Untersuchung und im Einklang mit der herrschenden Lehrmeinung der Zeit rezipiert worden ist: Culpa in contrahendo ist danach die Haftung eines Verhandlungspartners gegenüber dem andern in Fällen, in denen ihm die Nichtigkeit des Vertragsschlusses als Pflichtverletzung zuzurechnen ist, wobei der Ursprung der Pflicht immer noch ungeklärt ist. Als gesetzlich geregelte Fälle stellen sich in erster Linie die §§ 122, 179 Abs. 2, 307 und 309 dar. Ansprüche bei wirksamen Verträgen lassen sich aus der cic nicht begründen.
1. Vereinheitlichung der Rechtsgedanken In der ersten Phase folgt das Reichsgericht diesem Ausgangspunkt zwar noch und begreift als Anwendungsfälle der culpa in contrahendo zuvörderst die gesetzlichen Tatbestände und daneben einige im Laufe der Zeit anerkannten Analogien [Abschnitt a)]. Parallel dazu aber beginnt das Gericht, eine allgemeine Haftung für Verschulden beim Vertragsschluss im Sinne Leonhards anzuerkennen; im Zuge dieser Entwicklung stellt es Parallelen zwischen der cic-Haftung und dem neuen Rechtsinstitut fest. Bald wird „Verschulden beim Vertragsschluss“ zum Oberbegriff für cic und Verschulden beim wirksamen Vertragsschluss [Abschnitt b)], schließlich werden die Ausdrücke „cic“ und „Verschulden beim Vertragsschluss“ synonym verwandt. 40 Vgl. Bohrer (o. Fn. 2), S. 119 m. w. N.; siehe auch (zu dem verwandten Problem der „Vorwirkung“ in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung) Leonhard (o. Fn. 33), S. 21 f. 41 Leonhard (o. Fn. 33), S. 58.
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
a) Analoge Anwendung der gesetzlichen Tatbestände Zunächst weigert sich das Reichsgericht, die Haftung für cic über die gesetzlich geregelten oder gar über die von Jhering behandelten Fälle hinaus anzuerkennen. Das zeigt sich im Urteil v. 29. 11. 190942: Die Klägerin verhandelt mit dem Beklagten über den Verkauf eines ihr gehörenden Grundstücks, das mit einer bald fälligen Hypothek über 75.000 Mark belastet ist. Der Beklagte will das Grundstück nur kaufen, wenn es der Klägerin gelingt, die Fälligkeit der Hypothek um drei Jahre zu prolongieren. Die Klägerin bemüht sich darum, erfährt aber, dass die Prolongation sehr teuer werde (10.000 Mark) und erklärt dem Beklagten, sie selber habe gar kein Interesse an der Prolongation und sei daher wenig interessiert, diese noch selber vorzunehmen. Daraufhin entgegnet der Beklagte: „Machen Sie mir die Hypothek auf drei Jahre fest, dann kaufe ich das Grundstück . . . Wenn ich Ihnen sage, ich kaufe das Grundstück, dann tue ich es auch, ich bin doch ein ernstlicher Käufer“. Die Klägerin gibt nach und prolongiert die Hypothek, nur um vom Beklagten plötzlich hingehalten und dann mit einem plötzlichen Sinneswandel konfrontiert zu werden. Nun verlangt sie Schadensersatz für die nutzlosen Aufwendungen43 aus culpa in contrahendo und aus § 826 BGB. Ein Fall der cic ist nach Jherings Theorie nicht gegeben, da ja ein (unwirksamer) Vertragsschluss nie stattgefunden hat und somit keine Grundlage für „mindere“ Vertragswirkungen gegeben ist. Von daher können die gesetzlich geregelten Fälle der Jheringschen cic (§§ 122, 179 Abs. 2 etc.) schon gar nicht weiterhelfen. Allerdings ist die Interessenlage derjenigen von Jherings Ausgangsfällen ganz ähnlich, und nach Maßstäben der Gerechtigkeit und Billigkeit, der eigentlichen inneren Rechtfertigung der cic bei Jhering, hatte die Klägerin sicherlich Schadensersatz verdient. Das Reichsgericht aber gibt sich ganz positivistisch: Eine Haftung „wegen schuldhaften Verhaltens bei Verhandlungen zum Zwecke eines Vertragsschlusses (culpa in contrahendo)“ könne nach dem BGB (man darf wohl ergänzen: abseits der speziell geregelten Fälle) „nur aus dem Gesichtspunkte der Verpflichtung zum Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Betracht“ kommen44. Die Voraussetzungen insbesondere des § 826 sieht das RG „vom Berufungsrichter ohne Rechtsirrtum verneint“, so dass die Klägerin nichts bekommt – außer einer gerichtlichen Belehrung, sie hätte sich eben vertraglich absichern müssen, bevor sie die Prolongation durchführte45. Anders entscheidet das Gericht kurze Zeit später im „Weinsteinsäure-Fall“46, der allerdings der Analogie auch besser zugänglich ist. Klägerin und Beklagte meinen hier, sich über den Verkauf von 100 kg Weinsteinsäure geeinigt zu haben, als 42 43 44 45 46
RG V 539 / 08, LZ 1910, Sp. 80 (29. 11. 1909). Sachverhalt leicht vereinfacht. RG V 539 / 08 (o. Fn. 42), Sp. 81. RG V 539 / 08 (o. Fn. 42), Sp. 82. RG I 307 / 21, RGZ 104, 265 (5. 4. 1922).
II. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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sich anhand einer nachträglichen schriftlichen Bestätigung herausstellt, dass beide Parteien verkaufen wollten. Die Klägerin verkauft ihren Posten anderweitig zu einem geringeren als dem vermeintlich vereinbarten Preis und fordert nun die Differenz, also ihr Erfüllungsinteresse, als Schadensersatz. Das Reichsgericht legt die tatsächlich abgegebenen Erklärungen aus und kommt zu dem Schluss, beide hätten aus Sicht eines objektiven Dritten auf den Verkauf abgezielt; deshalb liege ein Einigungsmangel vor, und vertragliche Ansprüche seien nicht gegeben. Es komme jedoch ein Schadensersatzanspruch auf den Vertrauensschaden (das negative Interesse) aus culpa in contrahendo in Betracht, analog den gesetzlich geregelten Fällen der §§ 122, 179, 307 und 30947. Den Analogieschluss hält das Gericht nun für gerechtfertigt, weil die Interessenlage in den gesetzlich geregelten Fällen derjenigen in der zu entscheidenden Konstellation entspreche: Es sei in jedem Falle billig, den Erklärenden als denjenigen, „der den Anlaß zu dem [nichtigen] Rechtsgeschäfte gegeben habe“, für Vermögensschäden des anderen einstehen zu lassen – zumindest dann, wenn (wie im konkreten Fall) Fahrlässigkeit im Spiel sei48. Das Erfüllungsinteresse zu ersetzen hingegen sei aus Billigkeitsgründen nicht geboten und werde auch von der Analogie nicht getragen. Die Rechtsprechung zur analogen Anwendung der gesetzlichen cic-Normen wird fortgesetzt und konsolidiert. Ist im Weinsteinsäure-Fall eine Gesamtanalogie herangezogen worden, so bietet sich im bald zu entscheidenden Fall des unwirksamen Vertragsabschlusses durch die Liquidatoren einer Gewerkschaft Gothaischen Rechts49 eine einfachere Lösung. Zwar kann § 179 nicht direkt angewandt werden, weil eine wirksame Vertretung der Gewerkschaft durch die Liquidatoren nicht etwa an deren fehlender Bevollmächtigung scheitert, sondern an der fehlenden Befugnis der Gewerkschaft, das in Frage stehende Geschäft abzuschließen. Sachlich einschlägig ist aber, wie das Reichsgericht befindet, der § 179 zu Grunde liegende „Rechtsgedanke . . . , daß derjenige, der im geschäftlichen Verkehr als Vertreter eines Anderen einem Dritten gegenübertritt, . . . wegen der durch sein Auftreten entstandenen Gefährdung des Dritten haftbar sein muß, sei es für das Erfüllungs- oder wenigstens für das negative Vertragsinteresse (sog. culpa in contrahendo . . . )“50. Mangels Vorsatzes kommt nur eine Analogie zu § 179 Abs. 2 in Betracht. Diese Erweiterung der Haftung für culpa in contrahendo ist angesichts des vollzogenen, aber unwirksamen Vertragsschlusses ganz der ursprünglichen Konzeption Jherings verpflichtet. 47 RG I 307 / 21 (o. Fn. 46), S. 267. Das RG schreibt weiter, es sei „allgemein anerkannt“, dass Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo dann in Betracht kämen, wenn ein Vertrag zustande gekommen ist. Das ist das Ergebnis der unter b) beschriebenen Entwicklung. 48 RG I 307 / 21 (o. Fn. 46), S. 268. Es heißt explizit: „Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß zu einer Erörterung, ob dasselbe zu gelten haben würde, wenn Fahrlässigkeit nicht gegeben ist.“ 49 RG V 21 / 22, RGZ 106, 68 (16. 12. 1922). 50 RG V 21 / 22 (o. Fn. 49), S. 73.
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b) Verschulden beim Vertragsschluss: Vom Gegenbegriff zum Oberbegriff In einem Urteil vom 31. 5. 190551 behilft sich das Reichsgericht in einem Fall, der von Leonhard nach den Grundsätzen des Verschuldens beim Vertragsschluss behandelt würde, anderweitig. Ein Bankier hat Vorzugsaktien empfohlen und verkauft, die sich als weniger gewinnbringend erweisen als vom Käufer erwartet. Der Käufer verlangt Schadensersatz. Das RG diskutiert zwei rechtliche Ansatzpunkte. Zunächst prüft es (im Sinne der Ausführungen Leonhards, die freilich, soweit es um das BGB geht, erst späteren Datums sind), ob den Bankier beim Vertragsschluss eine Aufklärungspflicht bezüglich der Verhältnisse der Aktiengesellschaft trifft. Dies aber verneint das Gericht, nicht etwa, weil eine solche Pflicht objektiv nicht denkbar wäre, sondern weil es (anders als nach Leonhards Lehre) subjektiv Vorsatz für erforderlich hält. Wäre die Bank selber davon ausgegangen, eine „statutenmäßige“ Dividende von 5% werde sich nicht erzielen lassen, hätte eine Aufklärungspflicht bestanden. Da der Verkäufer aber gutgläubig ist, muss er eventuelle Ansatzpunkte für Bedenken nicht mitteilen. Sodann kommt das Gericht zu eigentlich vertraglichen Ansprüchen. Hier bejaht es eine Pflicht, für die Richtigkeit der Empfehlung einzustehen, und zwar als Nebenpflicht, die sich auf Grund der konkreten Umstände aus dem Kaufvertrag ergebe. Da es nicht um Mängel oder zugesicherte Eigenschaften der Aktien selber gehe, sei die Verjährungsvorschrift des § 477 nicht anzuwenden. Von dem Grundsatz, dass eine vorvertragliche und damit vertragsunabhängige Pflicht zur Aufklärung nur in Bezug auf solche vertragswesentlichen Umstände bestehen soll, die dem Verpflichteten bekannt seien, dass also umgekehrt betrachtet der Verpflichtete nur im Falle arglistigen Verschweigens haftet, geht das Reichsgericht im „Luisinlicht“-Fall ab, entschieden im Jahre 191252. Die Klägerin hat dem Beklagten unter anderem das ausschließliche Recht zum Vertrieb des „Luisinlichts“ eingeräumt, dabei aber verschwiegen, dass seitens einer Konkurrentin der Klägerin Patentansprüche geltend gemacht werden, die darauf abzielen, die Vermarktung des Lichts zu untersagen. Die Klägerin ist nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen allerdings auch fest davon überzeugt gewesen, dass sie gegenüber ihrer Konkurrentin im Recht sei; als letztere also nach Abschluss der Vertrages ihre Ansprüche durchsetzt und dem Beklagten damit die Nutzung seines Vertriebsrechts verunmöglicht, haftet die Klägerin nach der Logik des Bankauskunft-Falles wegen der nur fahrlässig unterbliebenen Aufklärung über den Patentrechtsstreit nicht. Jetzt aber entscheidet das Reichsgericht anders. Die Klägerin sei bereits mit Beginn der Vertragsverhandlungen zur Aufklärung ver51 52
RG I 671 / 04, JW 1905, 502 (31. 5. 1905). RG III 342 / 343 / 11, JW 1912, 743 (26. 4. 1912).
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pflichtet gewesen, und zwar nach den Maßstäben von Treu und Glauben sowie § 276 BGB; der Vertragsschluss und das dadurch entstehende Vertrauensverhältnis habe diese Verpflichtung weiterbestehen lassen, nicht etwa begründet, da Verhandlungen und Vertragabschluss ein „einheitliches Ganzes“ bildeten. Mit dieser Entscheidung sieht sich das RG vollständig auf dem Boden des Gesetzes, einer Analogie meint es nicht zu bedürfen: Das BGB habe nämlich die Frage des Verschuldens beim Zustandekommen von Verträgen im Gegensatz zur Frage des Verschuldens beim Nichtzustandekommen nicht geregelt. Im zuletzt genannten Fall, dem der culpa in contrahendo, sei die Haftung bewusst auf wenige Ausnahmefälle beschränkt worden; eine solche Beschränkung finde sich bezüglich der hier in Frage stehenden Haftung jedoch nicht, und daher sei sie entsprechend der Untersuchungen von Franz Leonhard in Übereinstimmung mit dem vor InKraft-Treten des BGB geltenden Partikular- und gemeinen Recht zu bejahen53. Die erweiterte Aufklärungspflicht bei Vertragsverhandlungen wird alsbald zum Maßstab auch und gerade für das Verhalten des Fiskus bei öffentlichen Ausschreibungen. In einem nicht veröffentlichten Urteil vom 20. Februar 1914 stellt das Reichsgericht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Luisinlicht-Falles fest, der Fiskus sei verpflichtet, „bei dem Ausschreiben der zu vergebenden Arbeiten die Bewerber über die Umstände aufzuklären, die für ihren Entschluß, die Arbeiten zu übernehmen, von wesentlicher Bedeutung sind“54. Kurz darauf führt ein weiterer Ausschreibungsprozess zu einer Präzedenzentscheidung zur Zurechnung vorvertraglichen Verhaltens55. Ein erfolgreicher Bieter verlangt Schadensersatz vom Reichsfiskus, weil die Ausschreibungsunterlagen falsche Angaben bezüglich der bei einem Hafenbau zu setzenden Pfähle enthalten haben. Verschuldet hat die falsche Angabe jedoch kein Reichsorgan, für das der Fiskus nach § 89 in jedem Falle einzustehen hätte, sondern ein Hafenbaudirektor. Das Reichsgericht spricht aus, was nach den vorhergegangenen Entscheidungen keine große Überraschung ist: Wenn schon bei Vertragsverhandlungen Pflichten zum Handeln entsprechend Treu und Glauben bestehen – was nicht immer der Fall ist, nach dem zitierten Urteil von 20. 2. 1914 bei Ausschreibungen des Fiskus jedoch schon –, dann ist auch § 278 als Zurechnungsnorm anwendbar. Auf dieses Urteil folgt ein kurzes Zwischenspiel restriktiver Entscheidungen. So interpretiert das Reichsgericht noch 1915 das Luisinlicht-Urteil folgendermaßen56: „Indes diese Entscheidung hat es keineswegs als allgemeinen Grundsatz ausgesprochen, daß der Verkäufer bereits bei den zum Kaufabschlusse führenden Verhandlungen die Rechtspflicht habe, die für den Käufer erheblichen Umstände zu offenbaren, und daß diese Verpflichtung schon zu den vertraglich begründeten zu rechnen sei. Vielmehr ist . . . abgestellt worden . . . insbesondere darauf, daß zwi53 54 55 56
RG III 342 / 343 / 11 (o. Fn. 52), S. 744. So die Wiedergabe in RG III 319 / 14, JW 1915, 240 (12. 1. 1915) – „Hafenbau“. RG III 319 / 14 (o. Fn. 54). RG V 174 / 15, JW 1916, 116 (6. 10. 1915).
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schen dem Verkäufer und dem Käufer ein Vertrauensverhältnis bestanden habe. So liegt hier die Sache keinesfalls . . .“57. 1916 ist ein weiterer Fall der öffentlichen Ausschreibung zu entscheiden58. Die Klägerin übernimmt nach öffentlicher Ausschreibung durch Vertrag die Herstellung eines Entwässerungsgrabens für die Rieselfelder einer Gemeinde. Der Vertrag wird durchgeführt, die vereinbarte Vergütung gezahlt. Die Klägerin verlangt nun eine zusätzliche Vergütung wegen Mehrkosten, die aufgrund nicht erwartungsgemäßer Bodenbeschaffenheit angefallen sind. Die Beklagte hätte, so die Klägerin, durch Bodenuntersuchungen die wahre Beschaffenheit feststellen und die Bieter entsprechend aufklären müssen. Grundlage der Haftung sei eine Nebenpflicht aus dem Werkvertrag. Während diese Begründung älteren Entscheidungen59 verhaftet ist, hat die Klage auf der Grundlage des Urteils vom 12. 1. 191560 eigentlich gute Aussicht auf Erfolg. Diesmal aber meint das RG, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerfrei einen Rechtsanspruch darauf verneint, „daß die vergebende Stelle genaue Untersuchungen über alle bei der Ausführung des Werks zu erwartenden Verhältnisse vornimmt und lückenlose, jedes Risiko des Bewerbenden ausschließende Angaben hierüber macht.“61 Zum Zeitpunkt der Ausschreibung habe noch kein Vertrag bestanden, ergo habe es keine vertraglichen Nebenpflichten gegeben. Als Einzelfallentscheidung ist das Urteil mit dem Hafenbau-Fall immerhin wohl zu vereinbaren, vor allem weil den Bewerbern seitens der Gemeinde dringend geraten worden war, die Örtlichkeit in Augenschein zu nehmen, und die Klägerin das auch getan hatte, ohne danach um weitere Aufklärung nachzusuchen62. Ein interessanter Aspekt des Urteils sind die Ausführungen, die das Gericht zur Rolle der damals geltenden Vergabevorschriften macht. Der Kläger weist nämlich auf einen Erlass des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 16. 3. 190963 hin, der die in Frage stehenden Untersuchungen anordnete und gegen den somit verstoßen worden ist. Hierzu schreibt das Gericht, dass der Erlass nicht für die Gemeinden gelte, vor allem aber „doch auch für fiskalische Ausschreiben nur eine innere Anordnung“ darstelle, „auf die sich der Unternehmer in seinen durch den Werkvertrag geregelten rechtlichen Beziehungen nicht berufen kann.“64 57 RG V 174 / 15 (o. Fn. 56), S. 116 f. Korrekt ist diese Interpretation nicht, siehe Text nach Fn. 52. 58 RG VII 164 / 15, JW 1916, 115 (28. 9. 1915) (bemerkenswert: von der Red. bereits mit dem Leitsatz „Zur Frage der culpa in contrahendo“ versehen). 59 Siehe nur oben bei Fn. 51. 60 O. Fn. 54. 61 RG VII 164 / 15 (o. Fn. 58), S. 115. 62 RG VII 164 / 15 (o. Fn. 58), S. 116. 63 Vermutlich eine Ergänzungsbestimmung zum Erlass von 1885 (siehe oben Kapitel 1: II. 1.). 64 RG VII 164 / 15 (o. Fn. 58), S. 116.
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Bereits kurze Zeit später beschäftigen die Pflichten öffentlicher Auftraggeber bei Ausschreibungen das Reichsgericht ein drittes Mal65. Klägerin ist eine Bank, der ein Tiefbauunternehmer seine Ansprüche gegen die Stadtgemeinde „Sp.“ abgetreten hat. Das Unternehmen hat im Auftrag der Stadt eine Regen- und Dampfwasserleitung gebaut und dafür die im Vertrag vorgesehene Vergütung erhalten. Allerdings hat sich während der Ausführung des Auftrags herausgestellt, dass die Arbeiten in größerer Tiefe stattfinden mussten, als es nach den Angaben der Stadt während der Ausschreibung vorherzusehen war. Ausgehend von den fehlerhaften Zahlen hatte der Unternehmer eine geringere Vergütung veranschlagt, als er es bei Kenntnis der korrekten Daten getan hätte. Mit der Klage wird letztlich eine Vergütung für die geleistete Mehrarbeit eingeklagt. Das Reichsgericht kommt zu dem vorläufigen Schluss, der Unternehmer habe die vertragsmäßig geschuldete Arbeit geleistet und dafür die vertragsmäßig geschuldete Vergütung erhalten. Damit scheiden vertragliche Ansprüche aus. Das Reichsgericht geht nun dazu über, eine Ersatzpflicht der Gemeinde wegen deren vorvertraglichem Verhaltens zu prüfen. Die Gemeinde hat selbst erklärt, sie habe die falschen Angaben zu vertreten. Fraglich ist also, ob die falsche Angabe objektiv pflichtwidrig gewesen ist. Das Reichsgericht bejaht diese Frage, ohne auf die bisher entschiedenen Fälle der Auftragsvergabe einzugehen, mit einer Begründung, die deutlich an den Luisinlicht-Fall anknüpft: Diesmal sind es nicht Vertragsverhandlungen und Vertragsabschluss, sondern „Vertragsabschluss und . . . Vertragserfüllung“, die ein „einheitliches Ganzes“ bilden; was in der früheren Entscheidung über die Haftung für „fahrlässige[s] Verschweigen“ gilt, wird nun auf Fälle von „fahrlässig falschen positiven Angaben“ übertragen66. Die Fälle des Verschuldens beim Abschluss wirksamer Verträge und die Fälle der Haftung für culpa in contrahendo werden beide unter den Oberbegriff des „Verschuldens beim Vertragsschluss“ subsumiert. Als gesetzlich geregelte Fälle stehen die §§ 179, 307, 309 (Verschulden im Falle unwirksamer Verträge = culpa in contrahendo) einerseits, § 463 S. 2, 694 andererseits (Verschulden im Falle wirksamer Verträge)67. Mit dieser Entscheidung hat sich die Rechtsprechung soweit konsolidiert, dass sie nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt und auch nicht mehr eigens begründet wird. So schreibt das Reichsgericht im Jahr 1920: „Daß ein Rechtsgebot für den einen Vertragsteil besteht, dem anderen die für ihn beim Vertragsschluß bedeutsamen Tatsachen kundzugeben, und daß fahrlässiges Unterlassen dieser Kundgabe nach § 276 BGB haftbar macht, hat das Reichsgericht bereits in mehreren Entscheidungen anerkannt“. Objektiver Maßstab dessen, was mitgeteilt werden müsse, sei Treu und Glauben im Einzelfall (§ 242 BGB)68. RG VII 95 / 18, RGZ 95, 58 (24. 9. 1918). RG VII 95 / 18 (o. Fn. 65), S. 60 f.; auf S. 61 findet sich der explizite Verweis auf RG III 342 / 343 / 11 (o. Fn. 52). 67 RG VII 95 / 18 (o. Fn. 65), S. 60. 68 RG II 271 / 19, RGZ 97, 325, 327 (2. 1. 1920) m. w. N. 65 66
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Über die Rechtsfolge der Pflichtverletzung zu sprechen, hat das Reichsgericht bis zu diesem Zeitpunkt wenig Anlass gehabt. Das ändert sich im Urteil vom 19. 10. 1921. Hier hat das Oberlandesgericht in einem Fall der Haftung für Verschulden des Vertreters beim Vertragsschluss wegen Verletzung der Offenbarungspflicht das Erfüllungsinteresse zugesprochen69. Hierzu schreibt das Gericht: „War der Beklagte grundsätzlich für das Verschulden seines Vertreters bei den Vertragsverhandlungen haftbar, so richtete sich die Art und der Umfang seiner Haftbarkeit nach dem allgemeinen Grundsatze des § 249 BGB . . . Der Beklagte war also verpflichtet, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der Klägerin die Notwendigkeit der Erneuerung der Heizungsanlage . . . nicht verschwiegen worden wäre. Das Verschulden beim Vertragsschluß . . . wird daher bei der Regelung der Schadensersatzfrage regelmäßig dazu führe, daß der Zustand wieder hergestellt wird, als wenn der Vertrag nicht geschlossen wäre, d. h. daß dem Ersatzberechtigten das sogenannte negative Vertragsinteresse zugebilligt wird. Nur unter ganz besonderen Umständen, wenn der Geschädigte nachweist, daß es ihm bei Mitteilung der wirklichen Sachlage gelungen wäre, den Vertrag unter entsprechend günstigeren Bedingungen zu schließen, mag auch das positive Erfüllungsinteresse beansprucht werden können.“70
Anschließend weist das Gericht nach, dass auch die bisherige Entscheidungspraxis diesen Grundsätzen (unausgesprochen) folgt und dass die bisherigen Fälle, in denen das Erfüllungsinteresse ersetzt wurde, als Sonderfälle im Sinne der nun gemachten Ausführungen betrachtet werden müssen. Insbesondere zum Rohrverlegungs-Fall71 schreibt das RG, dass, „wenn der Irrtum des Unternehmers durch die fahrlässig unrichtige Angabe der Straßenhöhe seitens der Stadtgemeinde nicht hervorgerufen worden wäre, jener auch die höheren Einheitspreise, die er alsdann veranschlagt hätte, von der Stadt bewilligt erhalten hätte“72. Das ist sicher richtig und dürfte für alle Fälle des Verschuldens beim (wirksamen) Vertragsschluss durch öffentliche Ausschreibung gelten. Da alle Bieter auf der Grundlage der gleichen (falschen) Angaben ihre Angebote erstellen, dürften sich durch Berichtigung der Zahlen zwar die Endpreise der Angebote, nicht aber das Verhältnis der Angebote zueinander und somit auch nicht die Auswahlentscheidung des Auftraggebers ändern.
2. Weitere Fallgruppen Nachdem das Reichsgericht erstmals im Weinsteinsäure-Fall73 culpa in contrahendo und Verschulden beim Vertragsschluss als synonyme Begriffe verwendet hat und somit zwei ursprünglich getrennt konzipierte Haftungsinstitute vereinigt hat, folgt in der zweiten Phase eine Ergänzung der neuen Rechtsfigur um zwei Gruppen 69 70 71 72 73
RG V 89 / 21, RGZ 103, 47 (19. 10. 1921). RG V 89 / 21 (o. Fn. 69), S. 50 f. Oben bei Fn. 59 ff. RG V 89 / 21 (o. Fn. 69), S. 51. Oben bei Fn. 46.
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von Fällen, die zuvor weder als Fälle des Verschuldens von Vertragsverhandlungen noch als Fälle der culpa in contrahendo gegolten hätten.
a) Verschulden bei unwirksamem Vertragsschluss jenseits der klassischen cic Die erste Gruppe betrifft ein Verschulden beim unwirksamen Vertragsschluss. Hierzu muss man sich in Erinnerung rufen, dass Ansprüche aus cic bislang nicht etwa die exakte Parallele zum Verschulden beim Vertragsschluss für den Bereich der unwirksamen Verträge darstellen. Vielmehr stellt die cic mit dem Erfordernis des äußerlich vorhandenen, wenn auch nichtigen Vertragsschlusses eine Voraussetzung auf, die sich etwa im Falle der Hypotheken-Prolongation74 als für den Geschädigten fatal erwiesen hat. 1923 erkennt das Reichsgericht eine Haftung für Verschulden bei unwirksamem Vertragsschluss an75, die deutlich über das Konzept der cic hinausgeht. Der Kläger verlangt vom Schadensersatz vom Beklagten wegen Nichtzustandekommen eines Vertrages. Der Beklagte nämlich hat sich zunächst bereit erklärt, dem Kläger zehn Kuxe zu verkaufen, wenn sein Angebot bis 18 Uhr eines bestimmten Tages angenommen werde. Die Annahmeerklärung des Klägers, fernmündlich um 17.15 Uhr gegenüber einer Angestellten des Werkes ausgesprochen, in dem auch der Beklagte arbeitet, erreicht letzteren erst nach 18 Uhr, so dass ein Vertrag nicht zustande kommt. Das Reichsgericht erkennt hier auf Grund der Umstände des Falles eine Pflicht des Beklagten an, den rechtzeitigen Zugang zu ermöglichen. „Der Schaden besteht in einem solchen Fall darin, daß, weil ein Vertrag nicht zustande gekommen ist, der Absender keinen vertraglichen Erfüllungsanspruch hat“76. Entsprechend wird der Beklagte zum Ersatz des Erfüllungsinteresses verpflichtet77, wobei das Gericht ein hälftiges Mitverschulden des Klägers berücksichtigt. Vorvertragliche Pflichten trotz nichtigen Vertrages, wenn auch nicht im Zusammenhang mit einer Schadensersatzklage, betrifft auch das Urteil vom 28. 11. 1923 zum Scheingeschäft78. Die Parteien haben beim Grundstückskauf einen geringeren Kaufpreis als tatsächlich gewollt beurkundet, so dass der Vertrag nach §§ 313, 125 BGB in der Auslegung des Reichsgerichts zur Gänze nichtig ist. Der Kläger klagt O. Fn. 54. RG I 228 / 19, RGZ 97, 336 (3. 1. 1920). 76 RG I 228 / 19 (o. Fn. 75), S. 339. 77 Dem Urteil vom 19. 1. 1921 widerspricht das Urteil wohlgemerkt nicht; die letztgenannte Entscheidung hat ja ausdrücklich § 249 BGB zum Maßstab des Schadensersatzes erhoben, so dass der Ersatz des Erfüllungsinteresses unproblematisch zu bejahen ist, wenn ohne Pflichtverletzung ein Vertrag geschlossen worden wäre. 78 RG V 802 / 22, RGZ 107, 357 (28. 11. 1923). 74 75
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auf Feststellung der Nichtigkeit. Nun stellt sich die Frage, ob der Beklagte dagegen die Einrede der Arglist erheben kann, weil die fehlende Beurkundung gerade vom Kläger durchgesetzt worden ist. Dies setzt nach dem Reichsgericht voraus, dass bereits im vorvertraglichen Stadium – das vertragliche wurde ja nie erreicht – § 242 anwendbar ist. Hierzu führt das Gericht aus: „Es ist ein seit Jhering’s Schrift über die culpa in contrahendo in der Rechtslehre vertretener Satz, daß auch schon vor Abschluß eines Vertrages zwischen den über einen solchen verhandelnden Parteien gewisse auf Treu und Glauben beruhende Sorgfaltspflichten, insbesondere zur Mitteilung und Offenbarung von Umständen, die auf die Entschließung des anderen Teils von Einfluß sein können, begründet sind, und daß deren Nichterfüllung sowohl beim Zustandekommen des Vertrags wie auch bei Nichtzustandekommen eine solchen, namentlich im Falle der dadurch verursachten Nichtigkeit, Schadensersatzverpflichtungen erzeugt . . .“79
Es folgt ein Hinweis auf die BGB-Vorschriften, die diesem Gedanken entsprechen sollen: §§ 179, 307, 309, 694 sowie die kaufrechtlichen Gewährleistungsnormen. Schließlich heißt es: „Daß der diesen Vorschriften zugrunde liegende Rechtsgedanke . . . auch auf andere, den ausdrücklich geordneten rechtsähnliche Fälle Anwendung zu finden hat, ist, unter Aufgabe früher (RGZ. Bd. 88, S. 105; JW 1916 S. 116 Nr. 3) gemachter Einschränkungen auch vom Reichsgericht bereits mehrfach anerkannt . . . Eine Verletzung der hier in Frage kommenden Pflichten liegt aber nicht nur dann vor, wenn eine Partei bei den Verhandlungen . . . arglistig . . . das Nichtzustandekommen eines wirksamen Vertrages oder eine Schädigung durch das Zustandekommen verursacht hat; vielmehr genügt dafür jedes nach § 276 zu vertretende schuldhafte Verhalten . . . [Im vorliegenden Fall] wird überdies ein schuldhaftes Verhalten schon dann anzunehmen sein, wenn [die verpflichtete Partei] nicht Umstände anführt, aus denen zu entnehmen ist, daß sie . . . ohne Verschulden . . . war (Exkulpationsbeweis).“80
b) Aufklärungspflichten zum Schutze absolut geschützter Rechtsgüter Die zweite Fallgruppe betrifft die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter. Im Jahre 1924 klagt die deutsche Reichsbahn, weil sich in einer als „Altpappe“ deklarierten Sendung der Beklagten auch leicht entzündliche, mit chemischen Stoffen getränkte Papphülsen für Munition u. ä. befunden haben, der Wagen deshalb in Brand geraten und beschädigt worden ist81. Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten bejaht das Gericht nach „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“. Die leichte Entzündlichkeit der Pappe war „für die Übernahme der Beförderung und die Art ihrer Ausführung von wesentlicher Bedeutung und durfte von der Beklagten bei der Übergabe des Gutes zur Beförderung nicht 79 80 81
RG V 802 / 22 (o. Fn. 78), S. 362. RG V 802 / 22 (o. Fn. 78), S. 362. Sachverhalt vereinfacht.
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verschwiegen werden. Darin, daß sie es unterlassen hat, die Klägerin auf die Herkunft der Pappe aufmerksam zu machen, ist ohne Rechtsirrtum ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verschulden der Streitgehilfin bei Abschluß des Frachtvertrages gefunden worden, für das die Beklagte nach § 278 BGB einzustehen hat (RGZ. Bd. 95 S. 58 . . . ).“82
Ganz im Sinne Leonhards, aber als Novum in der Rechtsprechung, wird nun also auch die Verletzung deliktischer Rechtsgüter als Verstoß gegen eine vorvertragliche Aufklärungspflicht erfasst und sanktioniert. Abgegrenzt werden sollte dieses Urteil, das jedenfalls auf Grund des Zitats von RGZ 95, 58 eindeutig dem Tatbestand der culpa in contrahendo / des Verschuldens beim Vertragsschluss zugeordnet werden kann, von früheren Fällen des Rechtsgüterschutzes in vertragsähnlichen Beziehungen. In diesen Fällen hatte sich das Reichsgericht mit einer geringfügig anderen Konstruktion beholfen, um Haftungslücken im Deliktsrecht zu schließen. Zu nennen ist etwa das Urteil vom 13. 12. 190683: Der Kläger ist bei einer vom Frankfurter Automobilklub veranstalteten „Zuverlässigkeitsfahrt“ als Insasse eines Autos verletzt worden, das durch einen Angestellten (Erfüllungsgehilfen) der Beklagten gesteuert wurde, der schuldhaft einen Unfall verursachte. Eine Haftung aus unerlaubter Handlung scheitert an § 831 BGB. Das RG setzt sich mit der Frage auseinander, ob das Verschulden der Beklagten nach § 278 BGB zugerechnet werden kann. Dazu ist ein Schuldverhältnis, folglich der Abschluss eines Vertrages erforderlich. Das Gericht schreibt, dass die bloße Gestattung der Mitfahrt nicht als Vertragabschluss zu betrachten sei. „Anders würde jedoch die Sache liegen, wenn das eventuelle Mitfahren des Klägers verabredet sein sollte im Zusammenhang von Vorbesprechungen unter den Parteien über den Möglichen Ankauf eines Automobils . . .“ Dann nämlich wäre die Gestattung als Abschluss eines eigenen, vorbereitenden Vertrages zu betrachten84, und folglich wäre § 278 BGB anwendbar. Sachlich leuchtet diese Differenzierung nicht ein. Dass es in den Augen der Parteien einen Unterschied bezüglich der Haftungsfolgen gemacht hätte, ob man sich in Vertragsverhandlungen befand oder nicht, kann man realistischerweise nicht annehmen. Der „Vertrag“ soll andererseits aber ganz offenbar keine anderen Wirkungen zeitigen, als die (nicht bedachte und somit nicht gewollte) Anwendung von § 278 BGB herbeizuführen. Es handelt sich also hier um eine bloße Behelfskonstruktion, auf die das RG verfällt, um dem Begehren des Klägers möglichst weit entgegenzukommen. § 278 trotz fehlenden Vertrags anzuwenden, zieht das Gericht nicht in Betracht. Ganz vergleichbar ist der Ansatz im Urteil vom 7. 12. 1911, dem berühmten „Linoleumrollen“-Fall85. Um das beklagte Warenhaus für ein Verschul-
82 83 84 85
RG I 537 / 23, RGZ 108, 408 (27. 9. 1924). Zu RGZ 95, 58 siehe oben Fn. 59. RG VI 130 / 06, RGZ 65, 17 (13. 12. 1906). RG VI 130 / 06 (o. Fn. 83), S. 18 f. RG VI 240 / 11, RGZ 78, 239 (7. 12. 1911).
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den seines Angestellten (der die Klägerin durch Unachtsamkeit beim Umgang mit Linoleumrollen verletzt hatte) haftbar zu machen, hatte das Berufungsgericht § 278 BGB angewandt. Das Reichsgericht hielt dies für richtig. Die Klägerin nämlich hatte sich bereits vor dem Unfall Ware vorlegen lassen. „Antrag auf Vorlegung des Teppichs und Annahme des Antrags bezweckten die Hervorbringung eines Kaufs . . . es entstand ein den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, das einen vertragsähnlichen Charakter trägt und . . . rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten erzeugt hat“86. Aus dem Vertrag (im Zuverlässigkeitsfahrt-Fall) ist also ein vertragsähnliches Verhältnis geworden, das aber noch ganz vertragsanalog behandelt wird. Von culpa in contrahendo oder Verschulden beim Vertragsschluss ist nicht die Rede, und ein feiner dogmatischer Unterschied zwischen den Fällen der Zuverlässigkeitsfahrt und der Linoleumrolle einerseits sowie dem der Altpappebeförderung andererseits lässt sich insofern feststellen, als in jenen Fällen – wie in einem gewöhnlichen Fall deliktischer Haftung – das objektiv pflichtwidrige Verhalten in einer Rechtsgutsverletzung gesehen wird, in diesem Fall jedoch zeitlich vorverlagert in der Unterlassung gebotener Aufklärung bestehen soll. 3. Vom Verschulden bei Vertragsschluss zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen Nunmehr besteht ein einheitlicher Tatbestand des Verschuldens beim Vertragsschluss bzw. der culpa in contrahendo. Einen entscheidenden Schritt zur Festigung seines Erscheinungsbildes bedeutet die Aufgabe der alten, ursprünglich ja restriktiven Bezeichnung „Verschulden beim Vertragsschluss“ und ihre Ersetzung durch den Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen in der nunmehr dritten Phase. Damit ist das von der Literatur schon länger postulierte einheitliche „Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen“87 anerkannt. Die tragende Gemeinsamkeit der verschiedenen Fallgruppen, die in dem neuen Haftungsinstitut aufgegangen sind, sieht das Gericht schließlich in der Funktion des Vertrauensschutzes. In der Entscheidung RGZ 114, 15588 verlangt der Kläger Schadensersatz für Wechselkursverluste, die ihm entstanden sind, weil der Beklagte unrichtigerweise mitgeteilt hat, ein Vorkaufsrecht eines Dritten werde nicht ausgeübt, was nach dem (allerdings mangels einer erforderlichen Genehmigung noch nicht wirksamen) Vertrag zur Fälligkeit eines Teils der Kaufpreiszahlung führte. Der Vertrag scheitert dann daran, dass die Genehmigung versagt wird. Das Gericht schreibt: Aus einem „durch die Vertragsverhandlungen als solche begründeten Rechtsverhältnis“ folgt, dass „der eine Vertragsteil dem anderen dafür 86 87 88
RG VI 240 / 11 (o. Fn 85), S. 240. Vgl. Bohrer (o. Fn. 2), S. 124. RG V 487 / 25, RGZ 114, 155 (23. 6. 1926).
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zu haften“ hat, „wenn er diesem bei Vertragsschluß Umstände, von denen jener sich sagen mußte oder gar wußte, daß sie für den Willensentschluß des anderen von wesentlicher Bedeutung seien, fahrlässig verschwiegen oder darüber unrichtige Angaben gemacht hat“, und zwar auch dann, „wenn der Vertrag in der Folge nicht oder nicht rechtswirksam zustandegekommen ist“. Dies soll auch und gerade dann gelten, wenn „unter der Rechtsbedingung einer behördlichen Genehmigung . . . ein Vertragsschluss zustandegekommen ist, dem immerhin eine beschränkte Bindungskraft zugesprochen werden muß“89. RGZ 120, 24990 bestätigt in der Frage „des Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo)“, dass „schon bloße Vertragsverhandlungen selbst dann, wenn sie nicht zum Vertragsschluß führen, ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis unter den Beteiligten erzeugen, das sie zur Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Nicht nur vorsätzliche, sondern auch fahrlässige Verletzung dieser Sorgfaltspflicht macht jedenfalls insofern schadensersatzpflichtig, als das negative Vertragsinteresse, im Gegensatz zum Erfüllungsinteresse, zu ersetzen ist . . .“91. Im konkreten Fall führt das zur Eigenhaftung eines wirtschaftlich an dem Vertragsschluss stark interessierten Vertreters. Die Charakterisierung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses als „Vertrauensverhältnis“ führt in der Folge dazu, dass das Reichsgericht den Aspekt des Vertrauens und des Vertrauensschutzes bei der Bemessung des Schadensersatzanspruches betont. Dies zeigt sich besonders in zwei Urteilen zur Höhe des Schadensersatzes aus den Jahren 193692 und 193893, die sich scheinbar widersprechen, wenn es im Jahre 1936 heißt, der „unbeschränkten Verallgemeinerung des in den §§ 122, 179, 307 BGB. zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedankens auf alle Fälle einer Schadensersatzpflicht aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ sei nicht zuzustimmen94, während das RG 1938 schreibt, über das „Erfüllungsinteresse hinaus kann wegen Verschuldens beim Vertragsschluß ein Ersatzanspruch nicht geltend gemacht werden“.95 Bei näherer Betrachtung lassen sich die Aussprüche jedoch durchaus vereinbaren.
89 RG V 487 / 25 (o. Fn. 88), S. 159. Die Idee der pflichtenbegründenden Kraft von Vertragsverhandlungen erleidet noch einmal einen Rückschlag, als das Reichsgericht im Widerspruch zu der eben besprochenen Entscheidung erklärt, Vertragsverhandlungen würden als bloß tatsächliches Verhalten nicht genügen, um Haftungsfolgen hervorzurufen (Bohrer (o. Fn. 2), S. 115). 90 RG VI 258 / 27, RGZ 120, 249 (1. 3. 1928). 91 RG VI 258 / 27 (o. Fn. 90), S. 151. 92 RG IV 75 / 36, RGZ 151, 357 (22. 6. 1936). 93 RG II 178 / 37, RGZ 159, 33 (29. 10. 1938). 94 RG IV 75 / 36 (o. Fn. 92), S. 360. 95 Eine weitere Aussage dieses Urteils betrifft die Höhe des Schadensersatzes bei Mitverschulden des Geschädigten. Entgegen dem Modell der §§ 122, 179, 307 und 309 will das RG § 254 BGB anwenden (S. 358 ff.).
5 Adam
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Soweit mit „Erfüllungsinteresse“ entsprechend den §§ 122 etc. in einem engen Sinne das Interesse an der Erfüllung des Vertrages gemeint ist, der am Ende der Verhandlungen steht oder gestanden hätte, innerhalb derer die Pflichtverletzung geschehen ist, soll dies nach RGZ 151, 357 (1936) die Schadensersatzansprüche des Verletzten nicht abstrakt begrenzen. Denn die ratio der betreffenden BGB-Vorschriften ist es, dem „schuldlos auf die Gültigkeit des Vertrags Vertrauenden“ den Schaden zu ersetzen, „den er wegen dieses Vertrauens durch die Nichterfüllung erleidet“96. „Er soll also verlangen dürfen, so gestellt zu werden, wie wenn der Vertrag erfüllt worden wäre, selbst wenn die Nachteile, die ihm aus seinem Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags entstanden sind, damit nicht voll ausgeglichen werden. Denn es wäre ungerechtfertigt, ihm das Wagnis abzunehmen, das er mit der Eingehung des Vertrags übernommen hat, und ihm Ersatz auch für solche Verluste zuzusprechen, die in den aus der Vertragserfüllung fließenden Gewinnen zwar ihren Ausgleich hatten finden sollen, aber in Wirklichkeit, weil er in seinen Berechnungen fehlgegangen ist, nicht gefunden haben würden. Er soll also Schaden, der ihn auch bei Gültigkeit des Vertrages getroffen hätte, selbst tragen müssen. Die Unwirksamkeit des Vertrages ist nicht mehr als ursächlich hierfür anzusehen.“97
Die betroffenen BGB-Vorschriften stellen also für den speziellen Fall der Erweckung unberechtigten Vertrauens auf einen wirksamen Vertragsschluss eine angemessene Regelung dar. Der Grund, dass sie nicht pauschal für alle Fälle der cic übernommen werden können, liegt nun nach dem 4. Senat ganz einfach darin, dass Ansprüche aus cic auf Grund der Rechtsprechung mittlerweile nicht mehr auf Konstellationen des unwirksamen Vertragsschlusses begrenzt sind: Das schuldhafte Verhalten kann nach dem aktuellen Stand der Dogmatik vielmehr auch in der Verleitung zu einem unerwünschten Vertragsschluss liegen oder im sorglosen Umgang mit den Rechtsgütern der anderen Partei. Auf diese Fälle aber lässt sich die Begrenzung des Schadensersatzes auf das positive Interesse nicht übertragen98. Das Urteil aus dem Jahr 1938 betont demgegenüber, dass es sich auch bei den Pflichten aus dem Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen, die nicht gerade vor dem Vertrauen auf einen wirksamen Vertragsschluss schützen sollen, um Pflichten handelt, die dem Vertrauensschutz dienen – aber in einem weiteren Sinne: „Das schuldhafte Verhalten bei den Vertragsverhandlungen kann entweder darin liegen, daß man in dem anderen Teil das Vertrauen erweckt hat, es sei ein Vertrag zustande gekommen, während dies in Wahrheit nicht der Fall ist . . . , oder darin, daß man das Vertrauen auf das demnächstige Zustandekommen oder auf das Bestehen eines Vertragsverhältnisses erweckt und den anderen Teil dadurch zu Aufwendungen veranlasst hat . . . , oder endlich auch darin, daß man den anderen Teil zur Abstandnahme von einem günstigen Vertragsschluß oder zum Abschluß eines nachteiligen Vertrages oder zum Abschluß eines 96 97 98
RG IV 75 / 36 (o. Fn. 92), S. 358. RG IV 75 / 36 (o. Fn. 92), S. 358 f. RG IV 75 / 36 (o. Fn. 92), S. 359.
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Vertrages mit anderem Inhalt veranlaßt hat, als er bei pflichtmäßiger Offenbarung der wahren Sachlage zustande gekommen wäre.“99
Entsprechend erweitert das Gericht auch den Begriff des „Erfüllungsinteresses“. Im Sinne umfassenden Vertrauensschutzes (nicht nur vor unberechtigtem Vertrauen auf einen tatsächlich unwirksamen Vertrag) ist „Erfüllungsinteresse“ allgemein das Interesse daran, dass dem (unberechtigten) Vertrauen entsprochen wird; es ergibt sich also „nicht nur aus dem Rechtsanspruch, der durch den (vom Geschädigten erhofften oder vom anderen Teil schuldhaft vereitelten) Vertrag begründet sein würde, sondern daraus, was der Geschädigte erlangt hätte, wenn das, worauf er vertraut hat und den Umständen nach vertrauen durfte, in Erfüllung gegangen wäre.“100
Legt man aber diesen allgemeineren Begriff des Erfüllungsinteresses zu Grunde und berücksichtigt gleichzeitig, dass die Pflichten und die Schadensersatzansprüche aus cic nur vor unberechtigtem Vertrauen und sonst vor nichts schützen sollen, so folgt daraus in den Augen des Gerichts, dass die Klägerin, „soweit sie ihren Anspruch auf Verschulden beim Vertragsschluß, mit anderen Worten auf schuldhaft getäuschtes Vertrauen stützt, keine Ansprüche geltend machen, die über das hinausgehen, was sie haben würde, . . . wenn ihr Vertrauen . . . nicht getäuscht [lies: enttäuscht] worden wäre.“101
Zusammenfassen lässt sich das Ergebnis der beiden zuletzt behandelten Urteile wie folgt: Der Schadensersatzanspruch aus cic ist immer Folge einer Verletzung von Pflichten, Vertrauen in einer bestimmten Hinsicht (zum Beispiel auf die Wirksamkeit des Vertragsschlusses, auf die Eigenschaften einer Kaufsache) nicht zu erwecken. Der Ersatzanspruch ist daher nach § 249 darauf gerichtet, den Berechtigten so zu stellen, als habe dieser in bestimmter Hinsicht nicht vertraut. Aus Gründen einer gerechten Risikoverteilung (heute würde man wohl sagen: Aus Gründen des Schutzzwecks der Norm) darf der Berechtigten aber nicht besser gestellt werden, als er gestanden hätte, wäre seinem Vertrauen (worauf er freilich keinen Anspruch hatte) entsprochen worden wäre. So verstanden, ist der Rechtsgedanke der Haftungsbegrenzung auf das Erfüllungsinteresse aus den §§ 122, 307 und 309 anzuwenden. Falsch wäre es aber, das haftungsbegrenzende Erfüllungsinteresse in diesem Sinne immer (wie in den gesetzlichen Vorschriften) mit dem Interesse an der Erfüllung des in Aussicht genommenen Vertrages zu identifizieren.
RG II 178 / 37 (o. Fn. 93), S. 55. RG II 178 / 37 (o. Fn. 93), S. 57. 101 RG II 178 / 37 (o. Fn. 93), S. 57 f. 99
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
III. Verschulden bei Vertragsschluss und cic im Schrifttum Parallel zur und in Wechselwirkung mit der Rechtsprechung entwickelt sich die Diskussion über die cic in der Rechtswissenschaft: Der ursprünglich streng im Sinne Jherings verwandte Begriff wird ausgedehnt, mit Leonhards Verschulden beim Vertragsschluss in Verbindung gebracht und geht schließlich im Konzept des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen auf. Allerdings erweist es sich als außerordentlich schwierig, eine sachlich überzeugende Dogmatik der cic und ihrer Stellung im Rechtssystem zu entwickeln. Zur herrschenden Lehrmeinung wird eine relativ formale Auffassung des Begriffs der cic, der sich mit dem Sprachgebrauch in der reichsgerichtlichen Praxis jedenfalls in ihrer Spätphase nicht mehr deckt. Nicht durchsetzen kann sich die Konzeption der „Erklärungshaftung“, mit der Hildebrandt die Position des Reichsgerichts recht gut trifft. Wenn das Reichsgericht ab 1900 die Tatbestände der culpa in contrahendo und des Verschuldens beim Vertragsschluss allmählich miteinander vermischt, so geht diese Entwicklung maßgeblich auf Anstöße des Schrifttums zurück. Hier wird als mindestens äußerliche Gemeinsamkeit der Haftungstatbestände nämlich bald erkannt, dass Anknüpfungspunkt der Haftung in beiden Fällen ein als vorwerfbar empfundenes Verhalten zwar vor Vertragsschluss, aber in engem Zusammenhang mit einem Aussicht genommenen Vertrag ist. Diese zunächst rein äußerliche Beobachtung ist der Hintergrund für Sibers „richtungsweisendes“102 Konzept des Verschuldens beim Vertragsschluss, das er 1914 in der vierten Auflage des BGB-Kommentars von Planck veröffentlicht103. Aus Sibers Systematik wird deutlich, dass er unter „Verschulden beim Vertragsschluss“ jeden Fall der über die allgemeine deliktische Verantwortlichkeit hinausgehenden Haftung versteht, der an ein schuldhaftes Verhalten während andauernder Vertragsverhandlungen anknüpft. Darunter sollen etwa die §§ 307 und 309 BGB fallen, die Haftung für die Verschweigung von Sach- und Rechtsmängeln, die von Leonhard entwickelte allgemeine Haftung für Verschulden beim Abschluss wirksamer Verträge oder die nach vertraglichen Zurechnungsnormen (insbes. § 278) verschärfte Verantwortlichkeit für die Verletzung deliktischer Rechtsgüter104. Mangels eines expliziten Tatbestandsmerkmals „Verschulden“ soll die Haftung nach den §§ 122 und 179 Abs. 2 nicht hierher gehören105. Den Rechtsgrund der vorvertraglichen Pflichten sieht Siber teilweise im Gesetz (eindeutig im Falle etwa der Gewährleistungsvorschriften), teilweise in einem eigenständigen Haftungsvertrag (so im Falle der Verletzung deliktischer Rechtsgüter: Die Bohrer (o. Fn. 2), S. 120. Planck’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, Bd. II / 1, 4. Aufl. (1914), Vorbemerkung zu §§ 275 – 292 (Siber). 104 Planck (o. Fn 103), S. 191 ff. 105 Planck (o. Fn 103), S. 191 f. 102 103
III. Verschulden bei Vertragsschluss und cic im Schrifttum
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Haftung beruhe auf einem „namenlosen, nur auf Begründung von Erhaltungspflichten gerichteten Vertrag“106). Sibers Begriff des Verschuldens beim Vertragsschluss ist also deskriptiv und umfasst sachlich ganz heterogene Tatbestände, die formal zwei Merkmale gemeinsam haben, ein rein äußerliches und ein dogmatisch-technisches: Das haftungsauslösende Verhalten findet im Vorstadium zum Vertragsschluss statt, und es wird eine Verschuldensprüfung nach § 276 BGB vorgenommen. Mit der culpa in contrahendo im Sinne Jherings hat dieser Begriff wenig zu tun, wenn er die Haftungstatbestände der §§ 307 und 309 einerseits und des § 122 andererseits unterschiedlich behandeln möchte, obwohl sie nach Jherings Konzept (und nach der Entstehungsgeschichte des BGB) zusammengehören. Sibers noch sehr formale Systematisierung ist der Ausgangspunkt für Versuche, auch normativ-sachliche Gemeinsamkeiten der verschiedenen Fallgruppen zu finden. Einen ersten Schritt in dieser Richtung unternimmt Andreas v. Tuhr, der von einem „Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen“ spricht, das „eigenartige“ Wirkungen haben soll: „Die Bindung des Offerenten will er [v. Tuhr] hieraus ebenso erklären wie die Haftung bei anfänglichem Unvermögen. Hieraus ergebe sich weiterhin die Rückgabeverpflichtung bei einem Kauf auf Probe, schließlich sogar die Erhaltungspflicht in RGZ 78, 239 (Linoleumrolle). Es habe daneben die ,wichtige Rechtsfolge‘, daß Aufklärungspflichten entstehen.“107 Der Rechtsgrund dieser immer noch sehr heterogenen Fälle soll nun also einheitlich in einem (gesetzliches) Rechtsverhältnis zu finden sein; dessen sachliche Rechtfertigung aber bleibt letztlich wieder offen108. Einen einflussreichen Vorschlag macht Heinrich Stoll im Jahre 1923109. Ausgehend von einem bewusst deskriptiven und formalen Begriff, der „Haftung für das Verhalten während der Vertragsverhandlungen“, wendet Stoll sich zunächst gegen auf Jhering und Leonhard zurückgehenden Vorstellungen, Anforderungen an das Verhalten während der Verhandlungen könnten durch einen wirksamen oder minderwirksamen Vertrag begründet werden: „Entweder gibt es besondere Rechtspflichten gegenüber dem anderen Teil schon vor Vertragsschluß – dann müssen sie auch ohne ihn gelten, oder aber entstehen diese Rechtspflichten erst durch den Vertragsabschluß – dann können sie auch nicht vor, sondern erst mit diesem wirksam werden“110. Im Anschluss dann an die Arbeiten insbesondere v. Tuhrs sieht Stoll das haftungsauslösende Moment in dem Beginn der Vertragsverhandlungen. Seine These ist nun, dass im Angebot oder aber in der Aufforderung zum Verhandeln ein einPlanck (o. Fn 103), S. 193. Bohrer (o. Fn. 2), S. 124. 108 Bohrer (o. Fn. 2), S. 124. 109 Heinrich Stoll, Haftung für das Verhalten während der Vertragsverhandlungen, LZ 1923, Sp. 532. 110 Stoll (o. Fn. 109), LZ 1923, Sp. 543. 106 107
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
seitiges Rechtsgeschäft zu sehen sei111. Aus diesem könnten unterschiedliche Pflichten, insbesondere aber Aufklärungspflichten resultieren112. Nach Stoll soll die Haftung grundsätzlich Verschulden erfordern. Darin sieht er aber (ganz zutreffend) keinen Hinderungsgrund, § 122 BGB als (Sonder-)Fall der Haftung für die Verletzung vorvertraglicher Pflichten zu betrachten: „Mit Recht hat deshalb das RG. . . . zwar die für fehlerhaft übermittelte oder irrtümlich abgegebene WE. aufgestellte Sonderregel des § 122 BGB. auf weitere Fälle mangelhafter WE. erstreckt, gleichzeitig aber die Haftung durch das Erfordernis des Verschuldens entsprechend dem Grundprinzip des Gesetzes eingeschränkt.“113
Für den Umfang des Schadensersatzes soll § 249 BGB gelten. Entscheidend dafür, ob das Erfüllungsinteresse oder das negative Interesse zu gewähren ist, ist also der Inhalt der verletzten Pflicht: In der Regel besteht keine Pflicht zum Vertragsabschluss, also kann auch nicht das Erfüllungsinteresse gewährt werden114. Stoll geht nicht so weit, zu behaupten, die Sorgfaltspflichten der cic würden tatsächlich auf dem Willen der Parteien beruhen. Damit aber erweist sich die Rückführung der vorvertraglichen Pflichten aus ein Rechtsgeschäft als nur scheinbare inhaltliche Erklärung. Denn das „Rechtsgeschäft“ wird nicht nur zum Anlass von Pflichten genommen, die nicht dem Parteiwillen entsprechen – es hat überhaupt keine anderen Wirkungen, mit anderen Worten: Der Parteiwille ist völlig irrelevant115. Im Vergleich etwa zu Jherings ja auch rechtsgeschäftlich orientierten Modell gelingt es Stoll also zwar, den Aspekt der Widersprüchlichkeit zu vermeiden116, da in seiner Theorie das pflichtenbegründende Rechtsgeschäft zweifellos zeitlich vor der Pflichtverletzung liegt. Wieso aber ein Rechtsgeschäft sowohl erforderlich als auch hinreichend sein soll, um nicht auf dem Parteiwillen beruhende Pflichten hervorzubringen, bleibt auch bei Stoll offen. Eher ein Kuriosum der Theorie Stolls ist schließlich die Tatsache, dass das haftungsbegründende Rechtsgeschäft ein einseitiges sein soll. Kritiker vermerken mit Recht, dass es unplausibel ist, die erhebliche Pflichtenstellung, die das vorvertragliche Verhältnis mit sich bringt, auf den Willen einer Partei zurückzuführen117. Das widerspricht nicht nur der Grundkonzeption des BGB, einseitige RechtsStoll (o. Fn. 109), LZ 1923, Sp. 544. Vgl. Stoll (o. Fn. 109), LZ 1923, Sp. 546 f. 113 Stoll (o. Fn. 109), LZ 1923, Sp. 546. 114 Stoll (o. Fn. 109), LZ 1923, Sp. 546. 115 Siehe etwa die Kritik bei Hans Dölle, Außergesetzliche Schuldpflichten, ZgesStW 103 (1943), 67, 70 ff.; insbes. 72.: „Als rechtsgeschäftliche Folge des von Stoll sogenannten einseitigen Rechtsgeschäfts . . . können die Erhaltungspflichten also . . . keinesfalls angesehen werden . . . und wenn man sie etwa als „Tatbestandfolge“ bezeichnen wollte, so wäre das gleichfalls willkürlich und ohne jede Basis und ließe uns ohne die geringste sachliche Erklärung für den eigentlichen Rechtsgrund derartiger Pflichten.“ 116 Oben nach Fn. 17. 117 Dölle (o. Fn. 115), ZgesStW 103 (1943), 67, 72. 111 112
III. Verschulden bei Vertragsschluss und cic im Schrifttum
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geschäfte nur in Ausnahmefällen anzuerkennen, sondern darüber hinaus dem sehr viel wichtigeren Grundsatz, Rechtsgeschäfte zu Lasten Dritter nicht zuzulassen. Stolls rechtsgeschäftlicher Ansatz setzt sich entsprechend nicht durch. Der auch von ihm letztlich verfolgte Weg, in der Aufnahme von Vertragsverhandlungen den Rechtsgrund besonderer Pflichten zu sehen, wird zwar in der Literatur zur herrschenden Ansicht118. Äußerst umstritten bleibt aber die Begründung dieses Prinzips und in der Folge ebenso die Frage, welche Pflichten als vorvertragliche anzusehen seien119 und ab welchem Zeitpunkt genau die Pflichten bestehen sollen120. Wenn auch die Stimmen, die rechtgeschäftliche Erklärungen ablehnen, deutlich überwiegen, so ist damit immer noch nicht positiv beantwortet, worin der tragende Grund der Haftung zu sehen ist. Vielfach beschränkt sich die Diskussion darauf, die Haftung aus cic einerseits als auf dem Gesetz und nicht auf Vertrag beruhend, andererseits doch als „vertragsähnlich“ zu charakterisieren121, gesetzlich geregelte Fälle der Haftung für Verhalten während der Vertragsverhandlungen aufzuzeigen und deren analoge Anwendung zu propagieren – entweder im Wege einer Gesamtanalogie oder im Wege der Analogie im Einzelfall122. Einen wirklichen Erklärungswert haben diese Versuche ebenso wenig wie die schließlich verbreitet zu hörende Ansicht, bei der Haftung für cic in den gesetzlich nicht geregelten Fällen handele es sich um Gewohnheitsrecht123. Vereinzelt bleibt der großangelegte Versuch Hildebrandts, dem formalen Begriff der cic als Haftung für Verschulden während Vertragsverhandlungen einen eng an der reichsgerichtlichen Rechtsprechung orientierten Tatbestand der cic als Erklärungshaftung entgegenzusetzen. Hildebrandt fasst cic als Haftung wegen Abgabe falscher oder Unterlassung der Abgabe richtiger Erklärungen auf124. Damit erfasst sein Haftungsmodell ziemlich genau die Fälle, die auch das Reichsgericht explizit dem Anwendungsbereich der culpa in contrahendo zuordnet: Fälle also, in denen das haftungsbegründende Verhalten in der Verletzung einer Pflicht zur richtigen und vollständigen Aufklärung des Verhandlungspartners über erkennbare aus des118 Vgl. etwa die umfassende Monographie von Wilhelm Steinberg, Die Haftung für culpa in contrahendo (1930). Auch Steinberg geht aus von einem formalen Begriff der cic als Haftung für Verletzung von Pflichten bei Vertragsverhandlungen. Unter diesem Gesichtspunkt schildert er die in Frage kommenden Haftungsvorschriften des BGB, die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die Ansichten im zeitgenössischen Schrifttum. Siehe weiterhin Rich. Niemann, Verschulden bei Vertragsschluß (1932) (Kurze und pragmatische, Darstellung von Entwicklung und Stand der Lehre von der cic). 119 Vgl. Walter Erman, Beiträge zur Haftung für das Verhalten bei Vertragsverhandlungen, AcP 139 (1934), 273, 273 f.: „Nicht die Frage des Verschuldens, sondern die der Pflichten, deren zu vertretende Verletzung ersatzpflichtig macht, ist die primäre.“ 120 Vgl. Steinberg (o. Fn. 118), S. 90, S. 92 ff. 121 Vgl. Steinberg (o. Fn. 118), S. 91. 122 Steinberg (o. Fn. 118), S. 82 f. 123 Vgl. Steinberg (o. Fn. 118), S. 82 f. 124 Vgl. Hildebrandt (o. Fn. 6), S. 160 ff.
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
sen Sicht wesentliche Umstände liegt. Jherings ursprüngliche Fälle der cic sind hier ein Spezialfall der allgemeinen Pflicht, die Abgabe fehlerhafter Erklärungen zu unterlassen. Hildebrandt systematisiert die Fälle der Erklärungshaftung aus Sicht des Geschädigten: Er unterscheidet die Haftung für nichtigen oder unwirksamen Vertragsschluss125, die Haftung für ungünstigen Vertragsschluss126 und schließlich die Haftung für „mittelbaren Schaden“127. Gemeint sind damit Fälle, in denen falsche Information zu (nicht direkt vertragsbezogenen) Integritätsschäden führt128 wie etwa im Altpappe-Fall129. Bemerkenswerterweise will Hildebrandt die bereits notorischen „Warenhausfälle“ nicht dem Tatbestand der Erklärungshaftung und somit nicht der cic zuordnen, sondern sie entsprechend dem Ansatz des Reichsgerichts im Linoleumrollen-Urteil über die Konstruktion eines Haftungsvertrages lösen130. Die Idee Peter Haupts, die Haftung aus cic auf ein „faktisches Vertragsverhältnis“ zurückzuführen, das auf der „objektiv verwirklichte[n] Tatsache des sozialen Kontakts“131 und nicht auf dem Parteiwillen beruhe, erweist sich hingegen schließlich als zukunftsträchtig, vermittelt vor allem durch Dölle, wenn dieser auch in seiner Auseinandersetzung mit Haupt den Gedanken des faktischen Vertragsverhältnisses als unnötig ablehnt132. Dass nämlich sozialer Kontakt einer bestimmten Qualität tragender Grund besonderer vorvertraglicher Pflichten sein könnte, erscheint auch Dölle überzeugend. Konsequenter als Haupt jedoch fragt er: Ist es „in Wahrheit gar nicht der die Berührung der Parteien herbeiführende Zweck des Vertragsschlusses . . . , der uns zur Annahme von Erhaltungspflichten drängt, sondern ein anderes Spezifikum des statthabenden sozialen Kontaktes“133?
Dieser Fragestellung geht er für die Fälle vorvertraglicher Aufklärungspflichten und vorvertraglicher Erhaltungspflichten nach und kommt in der Tat zu dem Schluss, der Zusammenhang der über das Deliktsrecht hinausgehenden Aufklärungs- und Erhaltungspflichten mit der Situation des Vertragsschlusses sei nur ein äußerlicher. Entscheidend sei vielmehr für die Begründung von Erhaltungspflichten eine Situation, in der „die Beteiligten einander oder wenigstens der eine Beteiligte dem anderen ein besonderes Vertrauen entgegengebracht haben, indem sie die eigenen Rechtsgüter bewußt – zur ErreiHildebrandt (o. Fn. 6), S. 173 ff. Hildebrandt (o. Fn. 6), S. 218 ff. 127 Hildebrandt (o. Fn. 6), S. 222 ff. 128 Hildebrandt (o. Fn. 6), S. 222 f. 129 O. Fn. 82 und dazugehöriger Text. 130 Hildebrandt (o. Fn. 6), S. 225 ff. 131 Peter Haupt, Über faktische Vertragsverhältnisse, in: Leipziger Juristenfakultät (Hrsg.), Festschrift der Leipziger Juristenfakultät für Dr. Heinrich Siber zum 10. April 1940, Band II (1943), S. 1, 11. Dazu Bohrer (o. Fn. 2), S. 134 ff. 132 Dölle (o. Fn. 115), ZgesStW 103 (1943), S. 84. 133 Dölle (o. Fn. 115), ZgesStW 103 (1943), S. 73. 125 126
IV. Fazit
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chung des mit dem sozialen Kontakt verfolgten Zwecks – dem Einfluß und damit der Obhut und Sorgfalt des andern anvertrauten und in diesem Vertrauen . . . nicht enttäuscht werden dürfen.“134
Auch die vom Reichsgericht angenommenen Aufklärungspflichten beruhen nach Dölle auf dem Rechtsgrund des entgegengebrachten besonderen Vertrauens, aber eben bezogen auf das in Aussicht genommene Rechtsgeschäft: Von daher ist in der Tat hier rechtsgeschäftlicher Kontakt als Unterfall des mit besonderem Vertrauen verbundenen sozialen Kontakts entscheidend135. Und so sind die cic-Pflichten insgesamt ein Fall „außervertraglicher Schuldpflichten“, die sich „aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses zu konkreten Schuldpflichten zwischen bestimmten Subjekten verdichtet haben“136.
IV. Fazit Versucht man nun abschließend zu klären, unter welchen Umständen sich aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Diskussion Schadensersatzansprüche der Bieter bei Verstoß gegen Vergabebestimmungen ergeben können, so ist es naheliegend, bei den direkt einschlägigen Fällen zu beginnen, um dann aus der allgemeinen Dogmatik weitergehende Schlüsse zu ziehen. Zunächst ist sodann zu sagen: Öffentliche Auftraggeber haften nach der Dogmatik des Reichsgerichts und des zeitgenössischen Schrifttums niemals wegen der Verletzung von Vergabebestimmungen, denn diese beruhen auf rein internen Anordnungen; es besteht den Bietern gegenüber keine Pflicht, die Vorschriften einzuhalten. Diese Feststellung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1916137 gilt auch nach Einführung der VOB und VOL, da sich an der Rechtsnatur der Vergabebestimmungen nichts geändert hat. Eine „indirekte“ Haftung, sozusagen eine Haftung „bei“ Vergaberechtsverletzung kann sich aber ergeben, insofern die Vergabevorschriften Anforderungen an die Leistungsbeschreibung stellen. Werden diese verletzt, kann nämlich ohne weiteres gleichzeitig nach den allgemeinen Grundsätzen der cic die Pflicht des Auftraggebers verletzt sein, die Bieter über die für sie wesentlichen Umstände des Vertragsschlusses zu informieren138. In der späteren Diktion des Reichsgerichts: Mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entsteht zwischen den Bietern und dem Dölle (o. Fn. 115), ZgesStW 103 (1943), S. 74. Dölle (o. Fn. 115), ZgesStW 103 (1943), S. 86 f. 136 Dölle (o. Fn. 115), ZgesStW 103 (1943), S. 102. 137 RG VII 164 / 15 (o. Fn. 58). 138 Vgl. Bruno Eplinius, Der Bauvertrag (1940), S. 26, zur cic bei Vergabe nach der VOB / A. 134 135
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Kap. 2: Ursprünge der Lehre von der culpa in contrahendo
Auftraggeber ein Vertrauensverhältnis, das (auch) den Auftraggeber zur Aufklärung über alle für die Gegenseite erkennbar wesentlichen Umstände verpflichtet. Für objektiv falsche oder unzureichende Informationen hat der Auftraggeber bereits dann einzustehen, wenn seinen Organen oder Verhandlungsgehilfen bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung mangelnde Sorgfalt vorzuwerfen ist, erst recht natürlich bei bewusster Fehlinformation139. Der erfolgreiche Bieter hat einen Schadensersatzanspruch, wenn er wegen dieser Pflichtverletzung falsch kalkuliert und somit einen geringeren Preis angibt als er bei korrekter Angabe angegeben hätte. Aus der Natur der verletzten Pflicht (Aufklärungspflicht) ergibt sich, dass der Ersatzanspruch auf das negative Interesse geht140: Der Bieter wird gestellt, als sei gegen die Aufklärungspflicht nicht verstoßen worden. Bei korrekter Aufklärung dürften im Normalfall die Gebote aller Bieter höher ausgefallen sein, so dass der tatsächlich erfolgreiche Bieter auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Auftraggebers Vertragspartner geworden wäre, aber zu für ihn günstigeren Bedingungen. Entsprechend führt der Schadensersatzanspruch des Bieters aus cic effektiv zu einer Erhöhung seiner Vergütung. Aus der späteren Rechtsprechung des RG141 kann man weiterhin folgern, dass der Schaden des Bieters nicht über den Betrag des Gewinns hinaus ersetzt werden kann, den der Bieter gemacht hätte, wenn sich die ihm zur Verfügung stehenden Informationen nicht als falsch erwiesen hätten. Der Schadensersatzanspruch des erfolgreichen Bieters folgt aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes als Grundlage der cic-Haftung; die Aufklärungspflicht soll dem Bieter das Risiko abnehmen, zu Unrecht zu vertrauen, nicht aber das Risiko, aus seinem unberechtigten Vertrauen auch noch falsche Schlüsse zu ziehen. Verallgemeinert man diese Rechtsprechung, so gilt: Verstöße gegen Vergabevorschriften begründen keine Ansprüche aus cic. Ansprüche aus cic können jedoch faktisch auch Vergaberechtsverstöße sanktionieren, wenn die betroffene vergaberechtliche Pflicht bereits nach allgemeinen Grundsätzen der cic besteht. Das dürfte etwa der Fall sein bei § 16 VOB / A, der es verbietet, Ausschreibungen einzuleiten, wenn die Finanzierung noch nicht gesichert ist. Leitet der Auftraggeber eine Ausschreibung unter Verstoß gegen diese Vorschrift ein, so kann man ihn ab dem – bislang nicht explizit geklärten – Zeitpunkt, in dem das Vertrauensverhältnis begründet wird, dem jeweiligen Bieter gegenüber zur Aufklärung auch über die Finanzierungsumstände der Ausschreibung für verpflichtet halten. Unterlässt der Auftraggeber diese Aufklärung, vertraut der Bieter also darauf, dass die Ausschreibung nicht an Finanzierungsproblemen scheitert und erstellt er schließlich ein kostenträchtiges Angebot, so müsste er bei endgültigem Scheitern der Fi139 Zum Umfang der Haftung im Einzelnen siehe etwa Paul Oertmann, Ein Beitrag zur Frage der Haftung für Verschulden beim Vertragsschlusse, insbesondere für Verschulden des Bestellers beim Abschlusse des Werkvertrags, LZ 1914, Sp. 513. 140 Oertmann (o. Fn. 139), LZ 1914, S. 519. 141 RG II 178 / 37 (o. Fn. 93).
IV. Fazit
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nanzierung nach § 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz seiner vergeblichen Aufwendungen haben. Aus der Begrenzung des Ersatzanspruchs auf das Erfüllungsinteresse folgt allerdings, dass nur der Bieter Ersatz fordern kann, der bei gesicherter Finanzierung den Auftrag erhalten hätte: Nur dieser nämlich hätte überhaupt etwas eingenommen, wenn der Auftraggeber sich entsprechend dem (ungerechtfertigt hervorgerufenen) Vertrauen der Bieter verhalten und den Auftrag tatsächlich vergeben hätte. Nicht möglich ist es nach dieser Konzeption der cic insbesondere, einen Verstoß gegen die eigentlichen Auswahlvorschriften der Verdingungsordnungen zu rügen. Schließt also der Auftraggeber einen Bieter unter Verstoß gegen § 25 Nr. 1 VOB / A vom weiteren Verfahren aus oder erteilt er entgegen § 25 Nr. 3 VOB / A142 den Zuschlag auf ein anderes als das annehmbarste Angebot, so können benachteiligte Bieter nicht geltend machen, hierein liege eine Verletzung von Pflichten aus dem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis. Durch die Verletzung der Vergabebestimmungen verletzt der Auftraggeber keine Pflicht, auch keine im Rahmen der cic bestehende. In Fällen allerdings, in denen der Auftraggeber den Eindruck erweckt, nach bestimmten Vergabebestimmungen verfahren zu wollen, dies jedoch von Anfang an nicht ernstlich vorhat, könnte man in der fehlerhaften Information an die Bieter die Verletzung einer Aufklärungspflicht sehen. Erhält etwa ein Bieter entgegen § 25 VOB / A den Zuschlag nicht und kann er nachweisen, dass es dem Auftraggeber mit der Einhaltung dieser Vorschrift nie ernst war, so ergibt sich die Möglichkeit, die unterlassene Information, dass mit einer Auftragserteilung nach den einschlägigen Vergabevorschriften nicht gerechnet werden könne, als Verletzung einer Aufklärungspflicht zu deuten. Es soll hier deutlich gesagt sein, dass die zuletzt erwogenen Möglichkeiten zwar in der Rechtsprechung des RG angelegt sind, dass aber tatsächlich entschieden nur die Frage nach den Ersatzansprüchen des erfolgreichen Bieters bei unzureichender Aufklärung über die zu erbringende Leistung ist. Unabhängig hiervon allerdings ist festzustellen, dass die Haftung öffentlicher Auftraggeber aus cic keinerlei Besonderheiten gegenüber der cic-Haftung anderer Vertragsschließender aufweist. Was über die Rechtsprechung des Reichsgerichts und ihre mögliche Verallgemeinerung hier gesagt worden ist, würde genauso für die Nutzung der Vergabeverfahren nach VOB und VOL durch private Auftraggeber gelten.
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Vgl. oben Kapitel 1: IV. 1.
Kapitel 3
Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens Das In-Kraft-Treten des Grundgesetzes verändert die rechtlichen Rahmenbedingungen der öffentlichen Beschaffung und Auftragsvergabe zunächst ebenso wenig, wie dies seinerzeit die Weimarer Reichsverfassung getan hat. Das Bürgerliche Gesetzbuch gilt weiter, auch die Verdingungsordnungen bleiben bestehen. Sie werden durch Ausschüsse nach dem Vorbild des Reichsverdingungsausschusses punktuell weiterentwickelt. Erst unter internationalem Einfluss ändert sich wirklich grundlegendes. Neben völkerrechtlichen Abkommen ist es vor allem das europäische Gemeinschaftsrecht, das zu bedeutenden Änderungen im Recht der Auftragsvergabe führt. Die nationale Umsetzung dieser Vorgaben erfolgt allerdings nur zögerlich und ist geprägt von dem Bestreben, möglichst wenig zu verändern. Das Ergebnis ist ein kompliziertes Geflecht von Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften mit einer verwirrenden Vielfalt unterschiedlicher Anwendungsbereiche im Einzelnen.
I. Internationale Entwicklungen Ausgangspunkt internationaler Bestrebungen zur Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe ist sowohl auf globaler als auch auf europäischer Ebene die Tatsache, dass protektionistische Vergabepraktiken nach Ende des Zweiten Weltkrieges in den meisten Staaten gang und gäbe sind und dass das Völkergewohnheitsrecht bis heute Protektionismus jeder Art erlaubt. Kein Staat ist danach verpflichtet, in wirtschaftlichen Kontexten den Prinzipien der Inländergleichbehandlung oder der Meistbegünstigung zu folgen1. Einfuhrzölle, Einfuhrquoten und eben auch Benachteiligungen ausländischer Bieter bei der Auftragsvergabe sind also ohne Einschränkung zulässig.
1 John H. Jackson / William Davey / Alan O. Sykes Legal Problems of International Economic Relations, 4. Aufl. (2002), S. 422 f. unter Verweis auf International Law Commission, Draft Articles on Most-Favoured-Nation Clauses and Commentary, in: Yearbook of the International Law Commission 1978, Band 2 (1979) Bd. 2., S. 8 – 73; Gerhard Kunnert, WTOVergaberecht (1998), S. 72 f. m. w. N.
I. Internationale Entwicklungen
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1. GATT, WTO und GPA In der Nachkriegszeit münden die Bestrebungen vor allem der USA zu einer Liberalisierung des Welthandels in den Abschluss des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1947 (General Agreement on Tariffs and Trade – GATT)2. Die Regeln des GATT 1947 sind heute Teil des Abkommens über die Welthandelsorganisation (World Trade Organisation – WTO) und damit nach wie vor geltendes Recht3. Grundidee des GATT war und ist es, den grenzüberschreitenden Warenverkehr in zweierlei Hinsicht zu erleichtern. Tarifäre Handelshemmnisse (also Zölle) sollen schrittweise gegenseitig reduziert, nichttarifäre Handelshemmnisse wie beispielsweise mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sollen abgeschafft werden4. Primärer Ausdruck dieser Bestrebungen sind die Artikel I, III und XI des Abkommens. Artikel I statuiert das Prinzip der Meistbegünstigung durchgängig für alle staatlichen Handelsbeschränkungen einschließlich der Zölle. Artikel III verlangt Inländergleichbehandlung in Bezug auf interne Rechtsvorschriften und Abgaben. Artikel XI verbietet grundsätzlich mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen. Es entspräche der Politik des GATT, protektionistische Praktiken bei der Beschaffung von Waren durch den Staat als nichttarifäre Handelshemmnisse zu untersagen (Dienstleistungsaufträge, vor allem die besonders bedeutsamen Bauaufträge, unterfallen dem GATT schon wegen dessen Beschränkung auf den Warenverkehr nicht). Dies wäre an sich auch die Folge des in Art. III:1 festgelegten Grundsatzes der Inländergleichbehandlung – eine Konsequenz, die jedoch im Jahre 1947 politisch ebenso wenig durchsetzbar ist wie im Jahr 1994 bei Abschluss des WTO-Abkommens. Daher nimmt das GATT öffentliche Aufträge explizit vom Anwendungsbereich der Inländergleichbehandlung aus (Art. III:8(a))5. 1979 einigt sich ein begrenzter Kreis von Staaten auf Grund einer Empfehlung der OECD, ein GATT-Zusatzabkommen abzuschließen, das die Grundsätze von Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung auch bei der staatlichen Beschaffung von Waren einführt6. Dieser so genannte Vergabekodex ist bereits seit seinem In-Kraft-Treten Gegenstand intensiver Diskussionen und zahlreicher Verbesserungsvorschläge. Nachdem bereits im Jahre 1987 einige Änderungen durch ein Zusatzprotokoll vorgenommen worden sind, wird ein neues Abkommen im Zuge der Verhandlungen über die Gründung der WTO ausgearbeitet und am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichnet. Das Abkommen über das Öffentliche BeschafAusführlich Jackson / Davey / Sykes (o. Fn. 1), S. 211 ff. Ein Überblick zur Struktur des WTO-Abkommens sowie die Abkommenstexte einschließlich des GATT 1947 findet sich unter http: / / www.wto.org / english / docs_e / legal_e / legal_e.htm. 4 Diese Philosophie geht v. a. auf den damaligen US-amerikanischen Außenminister Cordell Hull zurück; vgl. Kunnert (o. Fn. 1), S. 84. 5 Zur Entstehungs- und Verhandlungsgeschichte siehe Kunnert (o. Fn. 1), S. 84 ff. 6 Näher Kunnert (o. Fn. 1), S. 89 ff. 2 3
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
fungswesen (Agreement on Government Procurement – GPA7) tritt am 1. Januar 1996 in Kraft. Es ist formal Teil des WTO-Abkommens, in dessen Annex 4(b) es sich findet8. Hervorzuheben ist, dass das WTO-Abkommen und seine Bestandteile im Übrigen das Gebiet der Auftragsvergabe aussparen. Was den Handel mit Waren angeht, folgt dies im Wesentlichen nach wie vor aus Art. III:8(a) GATT. Art. XIII:1 des Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services – GATS9) nimmt das Auftragswesen in ähnlicher Weise von seinem Anwendungsbereich aus10. Beim GPA handelt es sich im Gegensatz zu den meisten Abkommen im Rahmen der WTO um eine so genannte plurilaterale Vereinbarung, der die Mitgliedstaaten der WTO nicht notwendigerweise beitreten müssen. Der Kreis der Mitglieder des GPA ist überschaubar geblieben; andererseits sind die wichtigsten Industrienationen beteiligt, unter anderem die USA, die EG11, Kanada und Japan. Anwendbar ist das GPA nach seinem Art. I auf Beschaffungsvorgänge solcher Behörden und Versorgungseinrichtungen, die die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck im Appendix I des Abkommens benannt haben. Was den persönlichen Anwendungsbereich angeht, so findet sich in dem Anhang eine Auflistung nicht nur der betroffenen Einrichtungen, sondern zudem der Schwellenwerte, die ein Auftrag erreichen muss, um unter das Abkommen zu fallen12. Ein Blick in die Anhänge 7 Anmerkung zum Sprachgebrauch: Authentisch sind die Fassungen des GPA in englischer, französischer und spanischer Sprache (Art. XXIV:15 GPA). Eine deutsche Fassung findet sich in Abl. EG 1996 Nr. C 256. Die folgende Darstellung orientiert sich zwar an der EG-Übersetzung, versucht aber in erster Linie, den englischen Text möglichst sinnwahrend zu übersetzen. Fachausdrücke werden zudem im englischen Original angegeben. 8 Fundstelle: WTO Legal Instruments Vol. 31; Internet: http: / / www.wto.org / english- / docs_e / legal_e / gpr-94_e.pdf. 9 http: / / www.wto.org / english / docs_e / legal_e / 26-gats.pdf. 10 Das GATS sieht allerdings immerhin weitere Verhandlungen über den Gegenstand vor (Art. XIII:2 GATS; zum aktuellen Stand der Arbeiten vgl. die Informationen der WTO unter http: / / www.wto.org / english / tratop_e / gproc_e / gpserv_e.htm). Zudem beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der WTO mit der Ausarbeitung eines Abkommens über Transparenz im Beschaffungswesen; Grundlage ist die Ministererklärung von Singapur aus dem Jahre 1996. Dazu und zum aktuellen Stand der Arbeiten siehe http: / / www.wto.org / english / tratop_e / gproc_e / gptran_e.htm. Vgl. auch Timm R. Meyer, Rechtsquellen des Vergaberechts, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts (2000), S. 47, 51 f. sowie allgemein zur Bedeutung des GATS für das öffentliche Beschaffungswesen Albert Drügemöller, Vergaberecht und Rechtsschutz: der inter- und supranationale Rechtsrahmen und seine Ausgestaltung in Deutschland (1999), S. 14. 11 Zu deren Abschlusskompetenz vgl. Drügemöller (o. Fn. 10), S. 24 ff. 12 Ein guter Überblick hierzu findet sich bei Kunnert (o. Fn. 1), S. 223. Der Inhalt dieses Anhangs bildete einen Schwerpunkt der Verhandlungen um das GPA, da alle Mitgliedstaaten zwar einerseits sehr darauf bedacht waren, bei der Marktöffnung strikte Gegenseitigkeit zu waren, andererseits aber durchaus unterschiedliche Öffnungsangebote vorlegten. Diese Unterschiede hatten verschiedene Gründe. Greift man das (besonders problematische) Verhältnis zwischen der EG und den USA heraus, so fällt auf, dass – ganz entgegen dem jeweiligen Stadium der zentralen Integration – die USA in wesentlich stärkerer Weise föderalistische
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zeigt, dass der persönliche Anwendungsbereich des GPA sich schlecht auf eine abstrakte Formel bringen lässt, sondern letztlich nur anhand der Kasuistik des Anhangs bestimmt werden kann13. Der sachliche Anwendungsbereich des Abkommens hingegen ist umfassend und klar definiert: Erfasst ist die Beschaffung von Waren sowie Dienstleistungen durch „Verträge jeder Art“14. Das lässt nur wenige Grenzfälle offen15. Ist das GPA anwendbar, so ist zentrale Folge die Geltung der Grundsätze von Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung. Produkte, Dienstleistungen sowie Anbieter aus allen Mitgliedstaaten sind durchweg gleich zu behandeln. Dies ergibt sich aus Art. III:1 GPA: „Hinsichtlich aller Gesetze, Vorschriften, Verfahren und Praktiken bezüglich öffentlicher Aufträge, die unter dieses Abkommen fallen, wird jede Partei unverzüglich und bedingungslos die Produkte und Dienstleistungen anderer Parteien sowie anderen Parteien angehörenden Anbieter von Produkten und Dienstleistungen der Parteien nicht ungünstiger behandeln als (a) inländische Produkte, Dienstleistungen und Anbieter sowie (b) Produkte, Dienstleistungen und Anbieter einer anderen Partei.“16
Nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob Produkte, Dienstleistungen oder Anbieter im Sinne des Abkommens aus einem Mitgliedstaat stammen, ergibt sich aus den Ursprungsregeln des Art. IV.
Bedenken trugen als die EG. Die von der EG weitläufig gewünschte Einbeziehung der USBeschaffungsmärkte auf Gliedstaats- und Kommunalebene war daher nur teilweise zu erreichen. Auch einer Einbeziehung nichtstaatlicher Versorgungsunternehmen standen und stehen die USA aus Rücksicht auf die unternehmerische Freiheit der betroffenen Gesellschaften kritisch gegenüber (vgl. Kunnert (o. Fn. 1), S. 181 ff.; zur Problematik der Einbeziehung USamerikanischer Gliedstaaten und Kommunen in das GPA siehe etwa Jason F. Hellwig, The Retreat of the State? The Massachusetts Burma Law and Local Empowerment in the Context of Globalization(s), Wisconsin Journal of International Law 18 (2000), 498. Die Balancierung der mitgliedstaatlichen Zugeständnisse mit dem Ziel, eine insgesamt ausgewogene und für alle Teilnehmer akzeptable Marktöffnung zu erreichen, gestaltete sich entsprechend schwierig. 13 Kritisch zu der komplizierten Verweisungstechnik Meyer (o. Fn. 10), S. 48. 14 Art. I:2 GPA im englischen Original verweist auf „procurement by any contractual means, . . . inclusing any combination of products and services“. 15 Beispielsweise ist bislang die Frage nicht relevant geworden (und somit auch nicht geklärt), ob das GPA auch auf so genannte Konzessionen Anwendung findet; vgl. zu dieser Frage im Kontext der EG-Richtlinien Fn. 133 und zugehöriger Text. 16 Im englischen Original: With respect to all laws, regulations, procedures and practicesregarding government procurement covered by this Agreement, each Party shall provide immediately and unconditionally to the products, services and suppliers of other Parties offering products and services of the Parties treatment no less favourable than (a) that accorded to domestic products, services and suppliers; and (b) that accorded to products, services and suppliers of any other Party.
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Da bislang ausgesprochen wenige Fälle nach dem GPA oder seinem Vorgängerabkommen vor die zuständigen Streitbeilegungsorgane (heute also die der WTO) gebracht wurden, sind präzise Aussagen über den Gehalt der Nichtdiskriminierungsvorschriften nach Art. III schwierig zu treffen. Es ist zwar durchaus üblich und sicher nicht fernliegend, auf die Entscheidungspraxis zu den Meistbegünstigungs- und Inländergleichbehandlungsvorschriften des GATT nach dessen Art. I und III zu rekurrieren; angesichts unterschiedlicher Formulierungen und Strukturen in GATT und GPA sind solche Analogien aber nur begrenzt tragfähig17. Relative Einigkeit scheint insoweit zu bestehen, dass Art. III GPA – wie die entsprechenden Vorschriften des GATT – nicht nur die explizite oder absichtliche Diskriminierung ausländischer Produkte, Dienstleistungen und Anbieter verbietet, sondern auch die rein tatsächliche (mittelbare, indirekte) Diskriminierung. Wie deutlich und schwerwiegend aber die tatsächliche Benachteiligung ausländischer Bieter durch eine nicht explizit diskriminierende Vergabepraxis sein muss, um den Verbotstatbestand auszulösen, ist ebenso ungeklärt wie die Frage, inwiefern eine Rechtfertigung solchen Verhaltens in Betracht kommt18. Zweifelsfragen der erwähnten Art stellen sich bezüglich einer so abstrakten Norm wie Art. III GPA fast notgedrungen. Dies war auch den Verfassern des Abkommens klar. Entsprechend findet sich neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz als Generalklausel eine Reihe speziellerer Bestimmungen darüber, wie Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung praktisch zu gewährleisten sind. Artikel VI GPA konkretisiert den Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Hinblick auf die technischen Spezifikationen, die Auftraggeber zur Beschreibung ihrer Anforderungen vorgeben dürfen. Die Norm ist geprägt von dem Bestreben, es einerseits den Auftraggebern zu überlassen, was genau sie anschaffen wollen, andererseits aber jede unnötig einengende Leistungsbeschreibung zu vermeiden, die die Teilnahme ausländischer Bieter verhindern oder erschweren könnte. Neben einer allgemeinen Forderung (Art. VI:1), dass die Beschreibung benötigter Waren und Dienstleistungen keine „unnötigen Hemmnisse für den internationalen Handel“ (unnecessary obstacles to international trade) schaffen darf, verlangt Art. VI, dass sich technische Angaben eher auf die erwartete Leistung (performance) als auf Konstruktion oder Design beziehen sollen19, dass in Bezug genommene technische Normen ein möglichst weites Verbreitungsgebiet haben müssen20 und dass bestimmte Markenbezeichnungen nach Möglichkeit nicht zu verwenden sind21. 17 Vgl. Christopher McCrudden, International Economic Law and the Pursuit of Human Rights, Journal of International Economic Law (JIEL) 1999, 3, 36. 18 McCrudden (o. Fn. 17), JIEL 1999, 35. 19 Art. VI:2(a) GPA. 20 Vgl. Art. VI:2(b) GPA sowie die dazugehörigen Fußnoten: Nach Möglichkeit sind internationale Normen (z. B. also ISO-Normen) zu verwenden; sind keine internationalen Normen einschlägig, ist auf nationale Rechtsvorschriften, anerkannte nationale Normen oder Baugrundsätze zurückzugreifen. 21 Art. VI:3 GPA.
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Weiter sieht Artikel VII GPA vor, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge immer in einer von drei vorgegebenen Verfahrensarten erfolgen muss. Diese sind das offene Verfahren (open tendering procedure), das selektive Verfahren (selective tendering procedure) und das limitierte Verfahren (limited tendering procedure). Das offene Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass jeder interessierte Lieferant ein Gebot abgeben kann; im selektiven Verfahren können Angebote nur solche Unternehmen abgeben, die vom Auftraggeber dazu aufgefordert werden. Gemeinsam ist beiden Verfahrensarten eine weitgehende Formalisierung des Auswahlprozesses. Auftraggeber können zwischen dem offenen und dem selektiven Verfahren frei wählen. In limitierten Verfahren wendet sich Auftraggeber nur an Unternehmen seiner Wahl und ist zudem in der Gestaltung des Vergabeverfahrens völlig frei; lediglich der Grundsatz der Nichtdiskriminierung und seine Konkretisierung in Bezug auf technische Spezifikationen sind zu beachten. Da dieses Verfahren intransparent und kaum zu kontrollieren ist, darf es nur in Ausnahmesituationen angewandt werden, die in Art. XV:1 GPA enumerativ aufgelistet sind. Der vermutlich wichtigste Fall findet sich unter lit. a. Danach ist das limitierte Verfahren zulässig, wenn eine formelles (d. h. offenes oder selektives) Verfahren zwar angestrengt wurde, aber zu keinem brauchbaren Ergebnis geführt hat. In den Fällen des offenen wie des selektiven Verfahrens beginnt das Verfahren mit einer Aufforderung zur Teilnahme (invitation to participate), die vom Auftraggeber in einem Publikationsorgan zu veröffentlichen ist, das sich je nach betroffenem Staat aus Appendix II des GPA ergibt22. Die Aufforderung zur Teilnahme soll es Unternehmen ermöglichen soll, zu entscheiden, ob der einschlägige Auftrag für sie interessant ist. Grundsätzlich kann die Aufforderung in Form der Bekanntmachung einer vorgesehenen Anschaffung (notice of proposed procurement) ergehen, deren notwendiger Inhalt im Einzelnen festgelegt ist. Er umfasst neben der Beschreibung des behördlichen Bedarfs die Verfahrensart, Zahlungsmodalitäten, Fristen und weitere Einzelheiten. Weniger bedeutende Auftraggeber können statt dessen auch andere Bekanntmachungsformen (beispielsweise die Bekanntmachung einer geplanten Anschaffung [notice of planned procurement]) verwenden, an deren Inhalt weniger detaillierte Anforderungen gestellt werden. Die Vergabestelle kann in der Aufforderung angeben, welche Kriterien für die Bewertung der Angebote herangezogen werden. Weiterhin besteht die Möglichkeit, in der Aufforderung zur Teilnahme Bedingungen festzulegen, die an teilnahmeinteressierte Unternehmen gestellt werden. Solche Bedingungen können beispielsweise die finanzielle oder technische Ausstattung von Unternehmen betreffen und auch bestimmte Nachweise dafür einfordern. Es dürfen an die Bewerber aber nur Anforderungen gestellt werden, die für die Durchführung des vergebenen Auftrags wesentlich sind (essential to ensure the 22
Art. IX:1 GPA.
6 Adam
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firm’s capability to fulfil the contract in question); Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung müssen insbesondere hier gewährleistet werden23. Der weitere Ablauf des Verfahrens unterscheidet sich zum einen danach, ob das offene oder das selektive Verfahren gewählt wurde. Weitere Differenzen können sich dadurch ergeben, dass der Auftraggeber die Möglichkeit hat, die Einhaltung der Teilnahmebedingungen in einem gesonderten Qualifikationsverfahren (qualification procedure) zu überprüfen. Im einfachsten Fall, dem offenen Verfahren ohne eigenständige Qualifikationsprüfung, können alle interessierten Unternehmen auf der Grundlage der Aufforderung zur Teilnahme die Ausschreibungsunterlagen (tender documentation) beim Auftraggeber anfordern24 und daraufhin mit der Ausarbeitung ihrer Gebote beginnen. Der notwendigen Inhalt der Ausschreibungsunterlagen ist im Einzelnen festgelegt25. Der Auftraggeber hat auf berechtigte Nachfragen der Bewerber hin die Ausschreibungsunterlagen weiter zu erläutern26. Die Frist zur Erstellung der Gebote muss so bemessen sein, dass ausländische Bieter eine faire Chance der Teilnahme haben27. Die Öffnung der eingegangenen Gebote muss in einer Art und Weise stattfinden, die dem Nichtdiskriminierungsgrundsatz Rechnung trägt und die Unregelmäßigkeiten ausschließt28. Sodann hat die Wertung in zwei Schritten zu erfolgen. Zunächst ist jedes Gebot für sich dahingehend zu prüfen, ob es von einem teilnahmeberechtigten Bieter stammt, ob der Bieter die Fähigkeit zur Ausführung des Auftrags besitzt und ob das Gebot inhaltlich den Ausschreibungsunterlagen entspricht29. Gebote, die nach diesen Gesichtspunkten absolut in Betracht kommen, müssen untereinander verglichen werden, und zwar in jedem Falle im Hinblick auf ihren Preis. Weiter können solche Kriterien eine Rolle spielen, die in der Aufforderung zur Teilnahme oder in den Ausschreibungsunterlagen ausdrücklich genannt wurden. Je nachdem wählt die Vergabestelle schließlich das Gebot aus, das den niedrigsten Preis aufweist (lowest tender) oder das sich nach den zulässigerweise angelegten Kriterien insgesamt als das günstigste darstellt (most advantageous tender). Allerdings kann der Auftraggeber sich auch entschließen, einen Vertrag aus Gründen des öffentlichen Interesses nun doch nicht abzuschließen30. Es wurde bereits erwähnt, dass der Auftraggeber die Möglichkeit hat, die Einhaltung der Teilnahmebedingungen durch die Bieter in einem gesonderten Qualifi23 24 25 26 27 28 29 30
Art. VIII (b) GPA. Art. XII:3 (a) GPA. Art. XII:2 GPA. Art. XII:3 (a) GPA. Vgl. Art. XI GPA. Art. XIII:3 GPA. Art. XIII:4 (a), (b) GPA. Art. XIII:4 (b), (c) GPA.
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kationsverfahren (qualification procedure) zu überprüfen. Überdies kann der Auftraggeber Qualifikationsverfahren unabhängig von konkreten Beschaffungsvorhaben durchführen und geeignete Bieter in Listen aufnehmen, so dass eine Prüfung im eigentlichen Vergabeverfahren insoweit nicht mehr erfolgen muss. Bewerbern, die noch nicht auf einer solchen Liste geführt werden, muss allerdings grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, die Qualifikation noch rechtzeitig im Hinblick auf den sie interessierenden Auftrag zu erlangen. Entsprechend sind Fristen im Vergabe- und Qualifikationsverfahren zu bemessen31. Im selektiven Verfahren schließt sich an die Aufforderung zur Teilnahme zunächst ein Auswahlprozess an: Der Auftraggeber entscheidet, welche Bieter er auffordern wird, Gebote abzugeben. Führt der Auftraggeber eine ständige Liste qualifizierter Unternehmen, so kann er die dort verzeichneten Anbieter unabhängig von einer konkreten Bewerbung auffordern. Die Auswahl anhand der Liste muss den verzeichneten Firmen in billiger Weise die Möglichkeit zur Gebotsabgabe einräumen („allow for equitable opportunities“)32. Zum andern kann der Auftraggeber selbstverständlich Bieter auswählen, die sich auf die Aufforderung zur Teilnahme hin gemeldet haben. Solche Bieter muss er sogar zur Einreichung eines Gebotes auffordern, so lange dies eine effiziente Abwicklung des Vergabeverfahrens nicht unmöglich macht und so lange für die Durchführung eines eventuell notwendigen Qualifikationsverfahrens ausreichend Zeit verbleibt33. Im übrigen werden selektive Vergabeverfahren in gleicher Weise wie offene Verfahren durchgeführt. Die relativ strikten Vorschriften des GPA werden gemildert durch die Ausnahmebestimmungen (exceptions) des Art. XXIII. Hier findet sich zunächst ein weitreichender Vorbehalt zugunsten militärischer Beschaffungen34. Im übrigen sollen die Bestimmungen des Abkommens nicht in einer Weise ausgelegt werden, die die Vertragsparteien daran hindern würde, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Moral, des Lebens und der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen und zu bestimmten anderen Zwecken zu treffen. Verlangt wird aber, dass diese Maßnahmen nicht zu willkürlichen oder ungerechtfertigten Diskriminierungen oder zu verschleierten Handelshemmnissen führen35. Zu den Gleichbehandlungs- und Verfahrensvorschriften des GPA ist abschließend zu sagen, dass sie trotz aller Detailliertheit keine klare Aussage zur Frage der zulässigen Auswahlkriterien in den verschiedenen Verfahrensstufen enthalten. Im Schrifttum wird insbesondere kontrovers diskutiert, ob und inwieweit die Verfolgung sogenannter Sekundärzwecke, d. h. vor allem sozial- oder umweltpolitischer Ziele bei der Auftragsvergabe mit dem Diskriminierungsverbot nach Art. III oder 31 32 33 34 35
6*
Art. VIII (a), (d), (e) GPA. Art. X:2 GPA. Art. X:3 GPA. Art. XXIII:1 GPA. Art, XXIII:2 GPA.
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mit den Verfahrensvorschriften vereinbar ist36. Praktisch relevant wird diese Frage, als der US-Bundesstaat Massachusetts ein Gesetz beschließt, das solche Bieter von der Vergabe staatlicher Aufträge ausschließt, die Geschäftsbeziehungen im oder zum Staat Myanmar unterhalten37. Begründet wird diese Maßnahme mit massiven Menschenrechtsverletzungen durch das Militärregime von Myanmar. Ein von der EG und Japan angestrengtes WTO-Streitbeilegungsverfahren soll klären, ob das Gesetz gegen die Art. III, VIII und XIII GPA verstößt38. Allerdings kommt das Verfahren nie zu einem Abschluss39, weil der U.S. Supreme Court das Gesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen für unanwendbar erklärt40. 36 Vgl. etwa Sue Arrowsmith, Public Procurement as an Instrument of Policy and the Impact of Market Liberalisation, Law Quarterly Review 111 (1995), 235 ff.; Peter Kunzlik, Environmental Issues in International Procurement, in: Sue Arrowsmith, / Arwel Davies (Hrsg.), Public Procurement: Global Revolution (1998), S. 199 ff.; McCrudden (o. Fn. 17), JIEL 1999, 3 ff. 37 Zum Gesetz und seinen Hintergründen im Einzelnen siehe Mark B. Baker, Flying over the Judicial Hump: A Human Rights Drama Featuring Burma, the Commonwealth of Massachusetts, the WTO, and the Federal Courts, Law and Policy in International Business 32 (2000), 51 ff.; vgl. auch Ralf Michaels, Globale Wirtschaft und lokale Gesetzgebung, ZVglRWiss 2001, 182. 38 United States – Measure Affecting Government Procurement: Request for Consultations by the European Communities, WT / DS88 / 1, GPA / D2 / 1 (26. 6. 1997); Request to Join Consultations, Communication from Japan, WT / DS88 / 2 (2. 7. 1997); Request for Consultations by Japan, WT / DS95 / 1, GPA / D3 / 1, (21. 7. 1997), verfügbar unter http: //www.wto. org/english/tratop_e/gproc_e/disput_e.htm. 39 Rechtlich interessant bezüglich Artikel III ist an dem Fall neben der Frage, ob hier eine faktische Benachteiligung nicht-US-amerikanischer Unternehmen stattfindet, die weitergehende Problematik, ob es auf eine solche faktische Benachteiligung überhaupt ankommt. Verschiedentlich findet sich nämlich in Anlehnung an einige Entscheidungen in GATT-Angelegenheiten die Auffassung, Art. III GPA erlaube grundsätzlich keine Differenzierungen, die nicht bei physisch fassbaren Eigenschaften der jeweils beschafften Güter oder Dienstleistungen ansetzen. Zu der einschlägigen GATT-Doktrin, der so genannten „Product-Process Disctinction“, siehe etwa Robert Hudec, The Product-Process Distinction in GATT / WTO Jurisprudence, in: M Bronckers / R. Quick (Hrsg.), New Directions in International Economic Law: Essays in Honour of John H. Jackson (2000), S. 187 ff. und – sehr kritisch – Robert Howse / Donald Regan, The Product / Process Distinction – An Illusory Basis for Disciplining „Unilateralism“ in Trade Policy, European Journal of International Law 11 (2000), 249 ff. Neuere Entscheidungen des Appellate Body der WTO haben den einschlägigen Entscheidungen allerdings einiges Gewicht genommen (vgl. Robert Howse, Appellate Body Rulings in the Shrimp / Turtle Case: A New Legal Baseline for the Trade and Environment Debate, Columbia Journal of Envitonmental Law 27 (2002), 515 ff.), und zudem ist die Übertragbarkeit der Doktrin auf das GPA äußerst fraglich (hierzu McCrudden (o. Fn. 17), JIEL 1999, 36). Wie die Verfahrensbestimmungen im Hinblick auf die Zulässigkeit von Sekundärzwecken auszulegen sind, ist ebenfalls sehr umstritten (siehe nur Arrowsmith (o. Fn. 36), Law Quarterly Review 111 (1995), 281; McCrudden (o. Fn. 17), JIEL 1999, 30; schlussendlich ist ungeklärt, welche Rolle Art. XXIII in diesem Zusammenhang einnimmt (dazu McCrudden (o. Fn. 17), JIEL 1999, 40 ff.). Siehe zum Ganzen neuerdings auch Kristian Fischer, Erlaubt das WTO-Vergaberecht die Verfolgung politischer Ziele im öffentlichen Auftragswesen?, RIW 2003, 347 ff. 40 U.S. Supreme Court Crosby v. National Foreign Trade Council, 530 U.S. 363 (2000).
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Das GPA trifft mit eigenen Vorschriften Vorsorge für den Fall, dass die Vergabevorschriften nicht eingehalten werden. Die Mitgliedstaaten haben Anfechtungsverfahren (challenge procedures) einzurichten, in denen das Verhalten öffentlicher Auftraggeber von einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Stelle nachgeprüft werden kann41. Das Organ der Nachprüfung muss die Möglichkeit haben, einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren und über die Rechtmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme abschließend zu entscheiden. Als Rechtsfolgen eines Verstoßes sollen in Betracht kommen „die Beseitigung des Verstoßes gegen das Abkommen oder Ersatz der erlittenen Verluste und Schäden, wobei der Schadensersatz auf die Kosten der Erstellung des Angebots oder der Anfechtung begrenzt werden kann.“42
Eine weitere, allerdings komplizierte Möglichkeit des Rechtsschutzes besteht darin, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der verletzte Bieter ist, gegen den rechtswidrig handelnden Staat ein Streitbeilegungsverfahren nach dem für alle im Rahmen der WTO geschlossenen Verträge geltenden Streitbeilegungsabkommen43 durchführen kann. So vorzugehen ist jedoch nur mäßig effektiv. Bis es zu einer Entscheidung des zuständigen WTO-Panels kommt, wird das betroffene Vergabeverfahren im allgemeinen längst abgeschlossen, der entsprechende Vertrag möglicherweise sogar abgewickelt sein. Die Panels der WTO haben bei Feststellung eines Verstoßes lediglich die Möglichkeit, die Beseitigung andauernder Vertragswidrigkeiten zu fordern. Nach Auffassung bisheriger Panels (die nach dem insoweit gleichartigen Abkommen von 1979 eingesetzt wurden) schließt diese Beschränkung es aus, Schadensersatz wegen rechtswidrig abgelaufener, aber abgeschlossener Vergabeverfahren zuzusprechen44. Abgesehen davon könnte schadensersatzberechtigt in einem WTO-Verfahren jedenfalls nur der Heimatstaat des verletzten Bieters, nicht der Bieter selbst sein. Das GPA verpflichtet die EG, ihre Vergabevorschriften sowie die Vergabevorschriften der Mitgliedstaaten entsprechend den Vorgaben des Abkommens auszugestalten. Unmittelbar anwendbar ist das Abkommen allerdings nicht45. MittlerArt. XX GPA. Art. XX:7 (c) GPA: „correction of the breach of the Agreement or compensation for the loss and damages suffered, which may be limited to costs of tender preparation or protest“. 43 Dispute Settlement Understanding; Annex 2 zum WTO-Abkommen (Internet: http: / / www.wto.org / english / docs_e / legal_e / 28-dsu.pdf). 44 Committee on Government Procurement, Norway – Procurement of Toll Collection Equipment for the City of Trondheim, Panel Report v. 13. 5. 1992, BISD 40, 319. Vgl. demgegenüber zu traditionellen völkerrechtlichen Grundsätzen der Schadensersatzleistung D. P. O’Connell, International Law, 2. Aufl. (1970), S. 1114 ff.; zum aktuellen Stand der Diskussion International Law Commission Draft Rules of State Responsibility, im Internet unter http: / / www.un.org / law / ilc / texts / State_responsibility / responsibilityfra.htm. 45 Ursprünglich war die EG-Kommission der Ansicht, das GPA sei mit seiner Ratifikation unmittelbar durch Gemeinschaft und Mitgliedstaaten anwendbar, es bedürfe also nicht der weiteren Umsetzung. Von diesem Standpunkt ist die Kommission wieder abgegangen (Meyer 41 42
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weile sind die Vorgaben des GATT in das europäische Vergaberecht eingearbeitet worden46. Deutsche Behörden und Gerichte können also bei der rechtlichen Beurteilung von Vergabepraktiken auf das GPA nicht direkt zurückgreifen. Ist aber der Anwendungsbereich des GPA eröffnet, so kann es als Auslegungsdirektive dienen, wenn das jeweils anzuwendende nationale (oder europäische) Interpretationsspielräume lässt.
2. Auftragsvergabe auf dem Gemeinsamen Markt Das Problem des Protektionismus bei der Auftragsvergabe erfährt innerhalb der EWG bzw. EG zunächst keine gesteigerte Aufmerksamkeit. In den Vertragstexten wird das öffentliche Beschaffungswesen der Mitgliedstaaten bis heute nicht explizit erwähnt. Das bedeutet immerhin, dass die im E(W)G-Vertrag zu findenden Diskriminierungsverbote anders als die Vorschriften etwa des GATT von Anfang an auch bei der Auftragsvergabe zu beachten sind. Andererseits ist das Bewusstsein dafür in den Anfangsjahren der europäischen Einigung nicht besonders stark ausgeprägt, und noch 1987 stellt der im Auftrag der Kommission erstellte CecchiniBericht die weitgehende nationale Abschottung der Beschaffungsmärkte fest und sieht großes Sparpotenzial47. Auch die von Rat und Kommission erlassenen Richtlinien zur Koordinierung und Vereinheitlichung der Vergabeverfahren in den Mitgliedstaaten führen nicht zu einer spürbaren Veränderung der Verhältnisse, so dass schließlich detaillierte Richtlinien über die Gewährung von Rechtsschutz für erfolglose Bieter verabschiedet werden48. Dass diese einen gewissen Erfolg haben, zeigt schon die steigende Anzahl von Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.
a) Die Vorschriften des EG-Vertrages Von den Vorschriften des EG-Vertrages49 sind vor allem die Grundfreiheiten sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV relevant50. Sie schrei(o. Fn. 10), S. 48). Gegen unmittelbare Wirkung nach ausführlicher Erörterung auch Kunnert (o. Fn. 1), S. 405 ff., insbesondere S. 416. 46 Meyer (o. Fn. 10), S. 48. 47 Vgl. Grünbuch „Das Öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Kommission: Überlegungen für die Zukunft“, Mitteilung der Kommission v. 27. 11. 1996, Punkt 2.5 (Internet: http: //www.europa.eu.int/comm/internal_market/en/publproc/green/gp9611de.pdf). 48 Vgl. Dorthe Dahlgaard Dingel, Public procurement: A harmonization of the national judicial review of the application of European Community law (1999), S. 201 ff. 49 Siehe allgemein zur Bedeutung des EG-Vertrages für die Auftragsvergabe Kathrin Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG (1991). 50 Ob die Wettbewerbsvorschriften, insbes. Art. 82 (Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen), Art. 86 und Art. 87 (Beihilfeverbot) Anwendung finden und was ihre
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ben im Ergebnis (auch) für das öffentliche Beschaffungswesen Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung im Hinblick auf Bieter aus den EG-Staaten vor51. Zwar gehen speziell die Grundfreiheiten in der Form, die sie heute durch die Rechtsprechung des EuGH gefunden haben, in vieler Hinsicht über bloße Diskriminierungsverbote hinausgehen und schützen den freien grenzüberschreitenden Handel in der Gemeinschaft auch vor nichtdiskriminierenden Beschränkungen52. Dennoch enthalten auch sie als Kern und Mindeststandard in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bzw. – positiv gewendet – ein Gebot der Gleichbehandlung von Staatsangehörigen der EG-Mitgliedstaaten und sind insofern nach wie vor konkrete Ausprägungen des umfassenden Verbotes der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aus Art. 12 EGV53, das im Kontext der Auftragsvergabe eine prominente Rolle spielt54. Implikationen wären, ist im Schrifttum sehr umstritten. Praktisch spielen diese Vorschriften jedoch keine Rolle. Zur wissenschaftlichen Diskussion siehe etwa Sue Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement (1996), S. 98 – 99 und 100; Christoph Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren (2000), S. 246; Thomas Eilmannsberger, Überlegungen zum Zusammenspiel von Vergaberecht und Beihilferecht, WuW 2004, 384; vgl. auch Jürgen Schwarze. Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613. 51 Zu Fragen, die sich in diesem Zusammenhang aus der Osterweiterung der EU seit Mai 2004 ergeben, vgl. Jakob Steiff, EU-Osterweiterung, Grundfreiheiten und Vergaberecht, NZBau 2004, 75 ff. 52 Letzteres gilt in besonderer Weise für die Freiheit des Warenverkehrs nach Art. 28 EGV. Sie untersagt mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung. Unter die „Maßnahmen gleicher Wirkung“ fallen nach der „Dassonville-Rechtsprechung“ des EuGH alle staatlichen Handlungen, die den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar tatsächlich behindern oder auch nur dazu geeignet sind (EuGH Rs. 8 / 74, Staatsanwaltschaft . / . B. und G. Dassonville, Slg. 1974, 837 (11. 7. 1974)). Prima facie unzulässige Maßnahmen können zwar nach den Grundsätzen der Cassis-Entscheidung (EuGH Rs. 120 / 78, Rewe-Zentral AG . / . Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 (20. 2. 1979)) oder nach Art. 30 EGV gerechtfertigt werden, doch legt der EuGH diese Ausnahmetatbestände eng aus, so dass ihnen in der Praxis keine allzu große Bedeutung zukommt. Eine Einschränkung hat diese Rechtsprechung allerdings durch die Keck-Entscheidung gefunden, nach der nichtdiskriminierende Verkaufsbeschränkungen vor Art. 28 EGV Bestand haben können (EuGH verb. Rs. C-267 und C-268 / 91, Strafverfahren gegen B. Keck und D. Mithouard, Slg. 1993, I-6097 (24. 11. 1993)). Heute wird die Haltung des EuGH im allgemeinen so verstanden, dass vertriebsbezogene Regelungen zulässig sind, so lange sie nicht ausländische Erzeugnisse diskriminieren, während produktbezogene Regelungen unabhängig vom Tatbestand der Diskriminierung schon dann verboten sind, wenn sie den grenzüberschreitenden Handel beeinträchtigen (siehe beispielsweise Arnorld Boesen, Vergaberecht (2000), Einleitung Rn. 13). Auch die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 ff. EGV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EGV) und die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EGV) werden in der Rechtsprechung des EuGH tendenziell eher als Beschränkungs- denn als bloße Diskriminierungsverbote angesehen (Boesen Einleitung Rn. 20 unter Verweis auf EuGH Rs. C-415 / 93, Union royale belge des sociétés de football association ASBL . / . Jean-Marc Bosman, Slg. 1995, I-4921 (15. 12. 1995)). 53 Art 12 EGV selber wird vom EuGH als reines Diskriminierungsverbot aufgefasst; es ist nicht etwa zu einem „allgemeinen Beschränkungsverbot“ fortentwickelt worden (Jürgen
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Die Wirkung der Diskriminierungsverbote des EG-Vertrages hängt weder von einer expliziten Einbeziehung staatlicher Stellen in den Vertragstext noch von Schwellenwerten ab. Schließlich ist es gleichgültig, auf welchen Gegenstand sich ein Vertrag bezieht und worin die Gegenleistung besteht, die der erfolgreiche Bieter erhält55. Dieser umfassende Anwendungsbereich unterscheidet die europäischen Diskriminierungsverbote deutlich von Art. III GPA. Das einzige Problem der Anwendbarkeit, das sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die Frage nach der Geltung der Grundfreiheiten gegen solche Auftraggeber, die nicht eindeutig dem Staat zuzurechnen sind. Adressat der Grundfreiheiten ist nach Ansicht des EuGH in erster Linie der Staat. Grundsätzlich haben die Grundfreiheiten keine Drittwirkung, sie verpflichten Private also nicht unmittelbar56. In der Rechtsprechung des EuGH zeigt sich jedoch eine Tendenz, Unternehmen, die unter Art 86 Abs. 2 EGV fallen, dem Staat im Kontext der Grundfreiheiten gleichzustellen 57. Damit dürften viele wichtige Versorgungsunternehmen erfasst sein. Art. 12 EGV in seiner Auslegung durch den Gerichtshof verbietet Unterscheidungen, die ausdrücklich beim Merkmal der Staatsangehörigkeit ansetzen, absolut: Eine Rechtfertigung solcher offenen (direkten) Diskriminierungen ist also niemals möglich58. Die Vorschrift erfasst jedoch auch „versteckte“ Diskriminierungen, Handlungsweisen oder Vorschriften also, die an sich andere Unterscheidungsmerkmale gebrauchen, dadurch aber praktisch zu einer unterschiedlichen Behandlung von Personen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit führen59. Im Falle versteckter (mittelbarer, indirekter) Diskriminierungen wirkt das Verbot des Art. 12 EGV nicht absolut, sondern relativ. Das heißt, dass die praktisch unterschiedliche Behandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein kann60. Der Gerichtshof hat bereits in vielen Einzelfällen protektionistisches Beschaffungsverhalten für unzulässig erklärt. Staatliche (und ihnen gleichgestellte) Auftraggeber dürfen beispielsweise nicht von vornherein einen bestimmten Anteil Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar (2000), Artikel 12 EGV (Holoubek), Rn. 52 ff.), und es ist auch nicht recht ersichtlich, was der Inhalt eines solchen Verbotes sein sollte. 54 Zur grundlegenden Bedeutung des Diskriminierungsverbotes siehe etwa EuGH Rs. C-324 / 98, Telaustria Verlags GmbH und Telefonadress GmbH . / . Telekom Austria AG, EuZW 2001, 90 (7. 12. 2000). 55 Das ist wichtig für den Fall der Vergütung durch Konzessionsgewährung. Unabhängig von der Anwendbarkeit der Vergaberichtlichtlinien (dazu unten Fn. 133 und dazugehöriger Text) ist hier das europäische Primärrecht zu beachten, siehe EuGH Rs. C-324 / 98 (o. Fn. 54). 56 Schwarze (o. Fn. 53), Artikel 12 EGV (Holoubek), Rn. 25 ff.; Artikel 28 EGV (Becker), Rn. 88 ff.; Artikel 49 EGV (Holoubek), Rn. 40 f. 57 EuGH Rs. C-188 / 89 (Foster . / . British Gas), Slg. 1990, I-3313 (12. 7. 1990). 58 Boesen (o. Fn. 52), Einleitung Rn. 26. 59 Siehe nur EuGH Rs. 22 / 80, Boussac Saint-Fréres SA . / . Brigitte Gerstenmeier, Slg. 1980, 3427 Nr. 9 (29. 10. 1980). 60 Schwarze (o. Fn. 53), Artikel 12 EGV Rn. 52 ff.
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ihrer Aufträge solchen Bietern vorbehalten, die im Inland oder bestimmten Teilen des Inlandes ansässig sind61. Einzelne Aufträge dürfen weder im Ganzen noch zu Teilen für Konsortien reserviert werden, deren Mitglieder im Inland ihren Tätigkeitsschwerpunkt haben62. Eine Bestimmung, dass teilnahmeberechtigt nur Bieter sind, deren Kapital sich mehrheitlich in öffentlicher Hand befindet, ist unzulässig, wenn sie faktisch nur inländischen Unternehmen die Teilnahme ermöglicht63. Auftraggeber dürfen auch nicht von den Bietern die möglichst weitgehende Verwendung einheimischer Baustoffe, Arbeitskräfte und Geräte verlangen64 oder fordern, dass eine Bescheinigung vorgelegt wird, nach der die bei der Auftragsausführung verwendeten Materialien einer nationalen technischen Norm entsprechen65. Ebenso unzulässig ist die Verwendung diskriminierender technischer Spezifikationen66. Aus der Aufgabe des Diskriminierungsverbotes und seinen Ausformungen in den Grundfreiheiten, offenen wie versteckten Protektionismus bei der Auftragsvergabe zu verhindern, ergibt sich nach dem EuGH auch der Maßstab, der an die Zulässigkeit solcher Auswahlkriterien anzulegen ist, die nicht einem engen Begriff von „Wirtschaftlichkeit“ entsprechen, sondern „Sekundärzwecke“ einfließen lassen. Bisher hatte sich der Gerichtshof in dieser Hinsicht mit Fällen zu beschäftigen, in denen Anforderungen an Bieter gestellt wurden, die dem Umweltschutz67 oder der Beschäftigung von Langzeitarbeitlosen 68 dienten. In seinen Urteilen verlangt der EuGH von den vorlegenden nationalen Gerichten, im Einzelnen zu überprüfen, ob die jeweiligen Beschaffungspraktiken tatsächlich zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung auswärtiger Bieter führen würden. Nur in diesem Fall, so der Gerichtshof, sei ein Verstoß gegen den EG-Vertrag zu bejahen69. Die Kommission hat zwischenzeitlich Auslegungsrichtlinien erlassen, die ihre Sicht der Zulässigkeit 61 EuGH Rs. 21 / 88, Du Pont de Nemours Italiana Spa . / . Unita Sanitaria Locale, Slg. 1990, I-889 (20. 3. 1990) – Verstoß gegen Warenverkehrsfreiheit. 62 EuGH Rs. C-360 / 89, Kommission . / . Italien, Slg. 1992, I-3401 (3. 6. 1992) – Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit. 63 EuGH Rs. C-272 / 91, Kommission . / . Italien, Slg. 1994, I-1409 (26. 4. 1994) – Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit. 64 EuGH Rs. C-243 / 89, Kommission . / . Dänemark, Slg. 1993, I-3353 (22. 6. 1993) – Verstoß gegen Warenverkehrsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit. 65 EuGH Rs. 45 / 87, Kommission . / . Irland, Slg. 1988, 4929 (22. 9. 1988) – Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit, 66 EuGH Rs. C-359 / 93, Kommission . / . Niederlande, Slg. 1995, I-157 (24. 1. 1995) – Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit. 67 EuGH Rs. C-513 / 99, Concordia Bus Finland . / . Helsingin kaupunki, Slg. 2002, I-7213 (17. 9. 2002); EuGH Rs. C-448 / 01, EVN AG, Wienstrom GmbH . / . Österreich, NZBau 2004, 105 (4. 12. 2003). 68 EuGH Rs. 31 / 87, Gebroeder Beentjes BV . / . Niederlande, Slg. 1988, 4635 (20. 9. 1988); EuGH Rs. C-225 / 98, Kommission . / . Frankreich, Slg. 2000, I-7445 (26. 9. 2000). 69 EuGH Rs. 31 / 87 (o. Fn. 68), Nr. 31; EuGH Rs. C-513 / 99 (o. Fn. 67), Nr. 63.
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bestimmter Sekundärzwecke nach dem EG-Vertrag darlegen70. Praktisch werden die Fragen, ob bestimmte „sekundäre“ Auswahlkriterien zu tatsächlichen Diskriminierungen führen bzw. ob diese tatsächlichen Ungleichbehandlungen gerechtfertigt sind, oft nicht leicht zu entscheiden sein71. Neben den eigentlichen Gleichbehandlungspflichten folgert der EuGH aus Art. 12 EGV, dass Auftraggeber verpflichtet sind, die Auftragsvergabe transparent zu gestalten. Dies soll die zuständigen Gerichte in die Lage versetzen, nachzuprüfen, ob die Vorschriften des Vertrages beachtet wurden72. In diesem Zusammenhang fordert der Gerichtshofes weiter, dass die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle auch im Hinblick auf Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot und die Grundfreiheiten beim Widerruf von Ausschreibungen gegeben sein muss73. Hier ist zu beachten, dass diskriminierend kaum je der Widerruf (in traditioneller deutscher Terminologie: die Aufhebung) per se sein wird; die Unterlassung der Auftragsvergabe trifft schließlich alle Bieter gleichermaßen. Dass eine Pflicht, Aufträge überhaupt zu vergeben, auch aus dem Gemeinschaftsrecht nicht folgt, hat der Gerichtshof entsprechend deutlich gemacht. Der Widerruf förmlicher Ausschreibungsverfahren kann jedoch missbraucht werden, um unerwünschte Bieter loszuwerden, wenn nach dem Widerruf prompt ein neues Vergabeverfahren oder gar eine nichtförmliche Auftragsvergabe folgen. Hier liegt eine Quelle möglicher Diskriminierungen und somit möglicher Verstöße gegen das primäre Gemeinschaftsrecht74, wobei es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist, angemessene Sanktionen hiergegen zu schaffen. Eine Pflicht, das Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden75, wird man jedenfalls aus dem Gemeinschaftsrecht niemals herleiten können, wenn der Auftraggeber ernsthaft und nachweisbar den Auftrag überhaupt nicht mehr vergeben möchte. b) Durchsetzung des europäischen Primärrechts Zur Durchsetzung seiner Bestimmungen sieht der EG-Vertrag selber im Wesentlichen das Vertragsverletzungsverfahren nach den Art. 226 ff. EGV vor. Verstößt Soziale Kriterien: KOM (2001) 566 endg. (15. 10. 2001). Vgl. generell zu der Frage Benedict (o. Fn. 50); speziell zu Tariftreueerklärungen in Deutschland Hans Arnold, Die Europarechtliche Dimension der Konstitutiven Tariftreueerklärungen im deutschen Vergaberecht (2004), S. 69 ff. 72 EuGH Rs. C-275 / 98, Unitron Scandinavia, Slg. 1999, I-8291 (18. 11. 1999); EuGH Rs. C-324 / 98, Telaustria Verlags GmbH und Telefonadress GmbH . / . Telekom Austria AG, EuZW 2001, 90 (7. 12. 2000). 73 EuGH Rs. C-92 / 00, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft mbH (HI) . / . Stadt Wien, Slg. 2000, I-5553 (18. 6. 2002). Insofern haben die Auftraggeber kein Ermessen (Nr. 56 ff.). 74 Siehe Hans-Joachim Prieß, EuGH locuta, causa finita: Die Aufhebung ist aufhebbar, NZBau 2002, 433. 75 Dafür offenbar unter gewissen Umständen Prieß (o. Fn. 74), NZBau 2002, 434. 70 71
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etwa ein öffentlicher Auftraggeber gegen die oben behandelten Normen des EGVertrages, so haben die Kommission oder andere Mitgliedstaaten die Möglichkeit, gegen den verantwortlichen Mitgliedstaat ein solches Verfahren einzuleiten. Es kann dazu führen, dass der Mitgliedstaat auf eine Stellungnahme der Kommission hin Maßnahmen ergreift, um den Verstoß zu kompensieren oder ähnliche Verstöße in Zukunft zu vermeiden; folgt der Staat der Stellungnahme nicht, so kann er vom EuGH zur Ergreifung derartiger Maßnahmen verurteilt werden76. Für betroffene Unternehmen ist eine solches Verfahren, ähnlich wie im Falle des GPA ein Streitbeilegungsverfahren vor der WTO, nicht besonders hilfreich. Es setzt die Einschaltung nationaler Regierungen bzw. der Kommission voraus, erlaubt höchstens in sehr eingeschränkter Weise die Beteiligung des Geschädigten und ist bezüglich der möglichen Rechtsfolgen völlig offen. Für die Praxis sehr viel bedeutsamer sind daher die Grundsätze der Geltung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof im Laufe der Zeit entwickelt hat. Zu nennen ist hier zunächst das Prinzip der unmittelbaren Wirkung. In Übereinstimmung mit der grundlegenden Entscheidung im Fall van Gend en Loos77 postuliert der EuGH, dass „klar, eindeutig und unbedingt“ formulierte Vertragsbestimmungen von nationalen Gerichten und Behörden zu beachten sind, ohne dass es eines nationalen Umsetzungsgesetzes oder Anwendungsbefehls bedarf78. Im Falle des Konflikts mit mitgliedstaatlichen Vorschriften geht das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich vor79. Klassisch formuliert hat der EuGH das Verhältnis zwischen unmittelbar wirkendem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht in der Simmenthal-Entscheidung80: „[Es] haben nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die Vertragsbestimmungen . . . in ihrem Verhältnis zum internen Recht der Mitgliedstaaten nicht nur zur Folge, dass allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar wird, sondern auch – da diese Bestimmungen und Rechtsakte vorrangiger Bestandteil der im Gebiet eines jeden Mitgliedstaats bestehenden Rechtsordnung sind –, dass ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären.“81
Siehe im Einzelnen Art. 226 – 228 EGV. EuGH Rs. 26 / 62, N. V. Algemene Transport- en Expeditie Onderneming Van Gend en Loos . / . Niederländische Finanzverwaltung, Slg. 1963, 1. 78 EuGH Rs. 103 / 88 (Fratelli Costanzo . / . Comune di Milano), Slg. 1989, I-1839 = NVwZ 1990, 649 (22. 6. 1989). 79 EuGH Rs. 6 / 64, Flaminio Costa . / . Ente Nationale per L’Energia Elettrica (ENEL), Slg. 1964, 585 (15. 7. 1964). Vgl. Paul P. Craig / Grainne de Burca, EU Law, 3. Aufl. (2003), S. 276 f. (Prinzip des Vorrangs auf Van Gend en Loos zurückgeführt). 80 EuGH Rs. 106 / 77, Staatliche Finanzverwaltung . / . SpA Simmenthal, Slg. 1978, 629 (9. 3. 1978); vgl. P. J. G. Kapteyn / P. VerLoren van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities (1998), S. 551. 81 EuGH Rs. 106 / 77 (o. Fn. 80), Nr. 17. 76 77
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Wohlgemerkt führt der Vorrang des Gemeinschaftsrechts nur zur Unanwendbarkeit divergierender nationaler Normen im Einzelfall, nicht zum Außerkrafttreten der mitgliedstaatlichen Bestimmungen82. Für den Fall der Auftragsvergabe gilt: Da sowohl das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit83 als auch die Grundfreiheiten84 prinzipiell unmittelbar angewandt werden können, sind diskriminierende nationale Vergabebestimmungen ohne weiteres unwirksam. Ergänzt wird das Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit durch die Pflicht mitgliedstaatlicher Gerichte und Behörden, nationales Recht – bis zur Grenze des Wortlauts85 – so auszulegen, dass sie mit den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen ihres Mitgliedstaates in Einklang stehen86. Das Gebot der europarechtskonformen Auslegung ergibt sich laut EuGH aus der allgemeinen mitgliedstaatlichen Pflicht nach Art. 10 EGV, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen zu treffen und alles zu unterlassen, was die Erreichung der Vertragszwecke gefährden könnte87 (Pflicht zur „Gemeinschaftstreue“88). Kann das nationale Recht vollständig europarechtskonform ausgelegt werden, wird damit die Wirksamkeit europarechtlicher Vorschriften im Ergebnis genauso sichergestellt wie bei dem direkten Rückgriff auf Gemeinschaftsrecht; es handelt sich dann um einen Fall mittelbarer Anwendung. Allerdings hängt diese Möglichkeit der Rechtsverwirklichung immer davon ab, dass das nationale Recht einer europarechtskonformen Auslegung zugänglich ist. Gegen den Wortlaut des nationalen Rechts kann das Europarecht in diesem Fall nämlich nicht durchgreifen. Mit anderen Worten behält hier der nationale Gesetzgeber das letzte Wort, jedenfalls dann, wenn er sich unzweideutig äußert. 82 Vgl. Albert Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. (1997), Rn. 1088; Manfred Zuleeg, Der Rang des europäischen im Verhältnis zum nationalen Wettbewerbsrecht, EuR 1990, 123, 126 f. Zur Frage des Vorrangs im Verhältnis zu mitgliedstaatlichen Verfassungen vgl. Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 99. 83 Vgl. nur EuGH Rs. 293 / 83, Francoise Gravier . / . Stadt Lüttich, Slg. 1985, 593 (13. 2. 1985). 84 EuGH Rs. 83 / 78, Pigs Marketing Board . / . Raymond Redmond, Slg. 1978, 2347 Nr. 66 (29. 11. 1978) (Warenverkehrsfreiheit); Rs. 41 / 74, Yvonne van Duyn . / . Home Office, Nr. 4 – 8 (4. 12. 1974) (Freizügigkeit der Arbeitnehmer); Rs. 2 / 74, Jean Reyners . / . Belgien, Slg. 1974, 631 Nr. 32 (21. 6. 1974) (Niederlassungsfreiheit); Rs. 33 / 74, Johannes Henricus Maria van Binsbergen . / . Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor de Metaalnijverheid, Slg. 1974, 1299 Nr. 27 (3. 12. 1974) (Dienstleistungsfreiheit insoweit unmittelbar anwendbar, als sie sich auf die Abschaffung von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit bezieht). 85 Dazu Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 129. 86 EuGH Rs. 14 / 83, Sabine von Colson und Elisabeth Kamann . / . Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984, 1891 (10. 4. 1984). 87 EuGH Rs. 14 / 83 (o. Fn. 86), Nr. 26. 88 So Hans von der Groeben / Jürgen Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Band 1, 6. Aufl. (2003), Art. 5 EG (Manfred Zuleeg), Rn. 1.
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Weder das Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit noch die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts allerdings können als solche verhindern, dass öffentliche Auftraggeber in den Mitgliedstaaten gegen die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts verstoßen. Diskriminieren etwa öffentliche Aufträge ausländische Bieter trotz der Verbote des EG-Vertrages, so stellt sich die Frage, inwieweit die Bieter daraus Ansprüche herleiten und diese gerichtliche durchsetzen können. Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass der EG-Vertrag nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht nur objektiv Rechtsfragen regelt, sondern auch bestimmten Personen bereits einklagbare Positionen verschafft89. Inwieweit sich die Kriterien, die der EuGH anlegt, um über die subjektive Berechtigung zu entscheiden, von denen der deutschen Verwaltungsrechtslehre unterscheiden, ist im Einzelnen höchst umstritten. Grundsätzlich scheint der Gerichtshof eher darauf zu achten, ob eine Rechtsnorm den potentiellen Kläger tatsächlich begünstigt, als darauf, ob die Begünstigung vom Normgeber auch gewollt ist90. Jedenfalls ist es naheliegend und vom Gerichtshof auch anerkannt, dass das Diskriminierungsverbot und die Grundfreiheiten solchen Personen ein Klagerecht verleihen, die tatsächlich aus Gründen der Staatsangehörigkeit benachteiligt werden. Das trifft auf diskriminierte Bieter zu91 und auf interessierte Bewerber wohl ebenso92. Auf die Frage, welche Rechtsfolgen ein einklagbarer Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht haben soll und welche prozessualen Regeln bei der gerichtlichen Geltendmachung zu beachten sind, gibt der EG-Vertrag keine Antwort. Auch hierzu jedoch hat der Gerichtshof tragende Grundsätze entwickelt und sie in umfassender Kasuistik93 präzisiert. Grundsätzlich geht der EuGH davon aus, dass es nach Art. 10 EGV Sache der Mitgliedstaaten und hier insbesondere Sache der mitgliedstaatlichen Gerichte ist, das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht durch89 Vgl. Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 180 ff.; EuGH verb. Rs. C-87 / 90, C-88 / 90, C-89 / 90, A. Verholen u. a. . / . Sociale Verzekeringsbank Amsterdam, Slg. 1991, I-3757 (11. 7. 1991). 90 Claus-Dieter Classen, Der Einzelne als Instrument zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts?, VerwArch 88 (1997), 645; Matthias Ruffert, Dogmatik und Praxis des subjektiv-öffentlichen Rechts unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, DVBl. 1998, 69 – 75; Eberhard Schmidt-Aßmann, Deutsches und Europäisches Verwaltungsrecht – Wechselseitige Einwirkungen, DVBl. 1993, 924. 91 Vgl. EuGH Rs. C-433 / 93, Kommission . / . Deutschland, Slg. 1995, I-2303 (11. 8. 1995); Kay Hailbronner, Die Vergabe öffentlicher Aufträge nach europäischem Gemeinschaftsrecht, WiVerw 1994, 214 f.; Meinrad Dreher, Anmerkung [zu EuGH v. 11. 8. 1995, Rs. C-433 / 93], EuZW 1995, 637. 92 Vgl. Marc Kalinowsky, Der Anspruch der Bieter auf Einhaltung des Vergaberechts nach § 97 Abs. 7 GWB (2000), S. 210. 93 Eine hervorragende, umfassende Darstellung der Prinzipien, die nationale Gerichte bei der Entscheidung von Fällen mit europarechtlichem Bezug im Kontext der Auftragsvergabe beachten müssen, findet sich bei Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), Part 2 (S. 59 – 200).
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zusetzen94. Die Mitgliedstaaten könnten sich also beispielsweise nicht auf den Standpunkt stellen, ihre Gerichte müssten zwar das vorrangige und unmittelbar wirksame Europarecht beachten, dies aber nur im Rahmen solcher Verfahren tun, die zur Durchsetzung von Positionen des nationalen Rechts angestrengt werden. Vielmehr besteht eine Pflicht auch zur Durchführung von Verfahren, die ausschließlich der Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Positionen dienen. Bei der Erfüllung dieser Mitwirkungspflicht jedoch stehen den Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH so lange erhebliche Spielräume zu, wie das Gemeinschaftsrecht keine expliziten Vorgaben macht95. Nach diesem so genannten Prinzip der „institutionellen und prozeduralen Autonomie“96 ist es Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren vor ihren Gerichten zu regeln. Welches Gericht zuständig ist, welche Fristen einzuhalten sind, wer klageberechtigt ist und wie das Verfahren im Einzelnen abläuft, richtet sich also auch dann nach nationalen Prozessrecht, wenn es in der Sache um die Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht geht97. Würde dieser Grundsatz ausnahmslos gelten, hätten die Mitgliedstaaten freilich die Möglichkeit, die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts über den Hebel des Prozessrechts schwerwiegend zu beeinträchtigen. Um dies zu verhindern, hat der EuGH zwei wichtige Grenzen des Grundsatzes der Autonomie formuliert: Das Prinzip des nichtdiskriminierenden Zugangs zu Gericht und das Prinzip effektiven Rechtsschutzes. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung hat zwei Aspekte. Das nationale Prozessrecht darf zunächst nicht danach differenzieren, ob die Klage auf Gemeinschaftsrecht oder nationalem Recht beruht: Schon auf Grund der Pflicht zur Rücksichtnahme und Loyalität nach Art. 10 EGV dürfen die prozessrechtlichen Bedingungen für Klagen auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage „nicht ungünstiger gestaltet werden als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen“98. Weiterhin darf das nationale Prozessrecht auch unabhängig vom jeweiligen Klagegrund keine Erschwernisse für EG-Mitgliedstaatsangehörige auf Grund ihrer Staatsangehörige bereithalten, indem etwa die Erhebung einer Klage durch Ausländer einschließlich Angehöriger anderer EG-Mitgliedstaaten von besonderen Voraussetzungen wie beispielsweise der Stellung von Prozesskostensicherheit abhängig gemacht wird99.
94 EuGH Rs. 33 / 76, Rewe . / . Landwirtschaftskammer Saarland, Slg. 1976, 1989 (16. 12. 1976); EuGH Rs. 45 / 76, Comet BV. / . Produktschap voor Siergewaasen, Slg. 1976, 2043, Nr. 11 (16. 12. 1976). 95 EuGH Rs. 45 / 76 (o. Fn. 94), Nr. 11. 96 Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 161. 97 EuGH Rs. 33 / 76 (o. Fn. 94), insbes. Nr. 5; EuGH Rs. 45 / 76 (o. Fn. 94). 98 EuGH Rs. 45 / 76 (o. Fn. 94), Leitsatz 2. 99 Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 163 ff. m. w. N.
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Mit der zweiten Schranke der mitgliedstaatlichen Autonomie, der Grundsatz der Effektivität100, auch als Vereitelungsverbot101 bezeichnet, betont der Gerichtshof, was an sich selbstverständlich sein sollte: Vereiteln oder unmöglich machen dürfen die Mitgliedstaaten die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts auch jenseits von Fragen der Diskriminierung nicht. Was nun speziell die Frage der Rechtsfolgen angeht, so hat der EuGH entsprechend dem grundsätzlichen Zusammenspiel von mitgliedstaatlicher Autonomie und effektiver Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts festgestellt, dass das Gemeinschaftsrecht (im Regelfall) keine neuen Rechtsfolgen vor nationalen Gerichten einführen wolle; für die Rechtsfolgen sei vielmehr auf nationales Recht zurückzugreifen102. Gleichwohl könne das Prinzip der Effektivität zu Abweichungen führen103. Ausdrückliche Äußerungen zu den Rechtsfolgen vertragswidriger Diskriminierungen bei öffentlicher Auftragsvergabe liegen bislang nicht vor. Gewisse Anhaltspunkte ergeben sich jedoch aus der Rechtsprechung zu anderen Rechtsgebieten, insbesondere zur Gleichbehandlung im Arbeitsrecht und zur Staatshaftung. Im Kontext des Arbeitsrecht spricht der Gerichtshof davon, dass die Adressaten des Art. 141 EG dazu verpflichtet seien, „von allen vom innerstaatlichen Recht zur Verfügung gestellten Mitteln, wie einer Klage vor den nationalen Gerichten, Gebrauch zu machen, um die Beachtung des Gleichheitssatzes sicherzustellen . . .“104
In Übertragung dieser Feststellung auf den Fall der Auftragsvergabe hat Steindorff gefolgert, dass „der Auftraggeber dann, wenn er aufgrund eines gegen Vergabevorschriften verstoßenden Verfahrens bereits einen Zuschlag erteilt und einen Vertrag mit einem Bieter geschlossen hat, von allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, einschließlich der Verhandlung, Gebrauch machen muß, um den Zuschlag und Vertrag rückgängig zu machen und so den Weg für die Wiederholung des Vergabeverfahrens zu eröffnen.“105
Die Frage schließlich, ob und in welcher Höhe für gemeinschaftsrechtswidrige Handlungen Entschädigung in Geld zu leisten ist, muss in Folge des Autonomieprinzips zunächst nach nationalem Recht beantwortet werden. Hier ist es der Grundsatz der Staatshaftung, der die Autonomie der Mitgliedstaaten beschränkt. Vgl. Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 177 ff. Schwarze (o. Fn. 53), Art. 10 EGV (Armin Hatje), Rn. 16. 102 EuGH Rs. 158 / 80, Rewe-Handelsgesellschaft Nord mbH und Rewe-Markt Steffen . / . Hauptzollamt Kiel, Slg. 1981, 1805, Nr. 44 (7. 7. 1981). 103 EuGH Rs. 213 / 89, The Queen . / . Secretary of State for Transport, ex parte: Factortame Ltd and others, Slg. 1990, I-2433 (19. 6. 1990). 104 EuGH Rs. C-200 / 91, Coloroll Pension Trustees Ltd . / . James Richard Russell u. a., Slg. 1994, I-4389, Nr. 28. 105 Ernst Steindorff, Öffentliche Aufträge und Schadensersatz, EWS 1995, 393, 396. 100 101
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Von Gemeinschaftsrechts wegen muss ein Entschädigungsanspruch dem Grunde nach bestehen, wenn „drei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich daß die Rechtsnorm, gegen die verstossen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, daß der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und schließlich daß zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.“106
Die erste Voraussetzung ist immer (aber nicht nur) dann erfüllt, wenn die verletzte Rechtsnorm unmittelbare Wirkung hat107. Das zweite Merkmal begrenzt die Autonomie der Mitgliedstaaten in Bezug auf mögliche persönliche Zurechnungsvorschriften. Der Gerichtshof konkretisiert es zunächst dahingehend, dass ein Verstoß dann hinreichend qualifiziert ist, wenn er „offenkundig und erheblich“ ist108, und nennt weiterhin verschiedene Faktoren, die insoweit zu Grunde gelegt werden können. Im Einzelnen sind dies „das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen oder Gemeinschaftsbehörden belässt, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, daß die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben, daß nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden.“109
Andere Zurechnungsmerkmale, beispielsweise Verschulden, dürfen insofern nicht berücksichtigt werden, wie ihre Voraussetzungen über die des offenkundigen und erheblichen Rechtsverstoßes hinausgehen110. Es ist allerdings schon häufig bemerkt worden, dass der Verschuldensbegriff des deutschen Zivilrechts und das Offenkundigkeits- und Erheblichkeitserfordernis durchaus auf ähnliche Einzelfaktoren rekurrieren111 und auch im Ergebnis nicht allzu weit auseinander liegen dürften. Zur Bedeutung des dritten Merkmals (Verursachung) muss nicht viel gesagt werden. Immerhin lässt der Rechtsbegriff des „unmittelbaren Kausalzusammenhangs“ den mitgliedstaatlichen Gerichten, die für die Auslegung im Einzelfall zuständig sind112, einen weiten Konkretisierungsspielraum. In Anlehnung an die Rechtspre106 EuGH verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029, Nr. 51 (5. 3. 1996). 107 Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 145. Vgl. EuGH verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93 (o. Fn. 106), Nr. 18 ff. zu der Frage, ob im Falle unmittelbar wirksamer Bestimmungen ein Schadensersatzanspruch überhaupt notwendig ist. 108 EuGH verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93 (o. Fn. 106), Nr. 55. 109 EuGH verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93 (o. Fn. 106), Nr. 56. 110 EuGH verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93 (o. Fn. 106), Nr. 79. 111 Vgl. auch Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 149.
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chung zum Verschulden wird man sagen dürfen, dass nationale Vorschriften und Doktrinen zur Verursachung (etwa das staatshaftungsrechtliche Erfordernis der Unmittelbarkeit oder die allgemeinen Lehren über Adäquanz und Schutzzweck der Norm) nur mit der Maßgabe angewendet werden dürfen, dass sie mehr als den unmittelbaren Kausalzusammenhang im Sinne des Gemeinschaftsrechts nicht fordern. Insgesamt hat die Rechtsprechung des EuGH die Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Frage nach den Voraussetzungen von Ansprüchen wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht mittlerweile stark eingeschränkt. Etwas mehr Autonomie besteht zumindest noch bei der Frage nach der Höhe des Anspruchs. Die Vorgaben seitens des EuGH bestehen auch hier im Grundsatz in der Forderung nach Nichtdiskriminierung und Effektivität. Letztere soll bedeuten, dass die Entschädigung dem tatsächlich erlittenen Schaden gegenüber angemessen sein muss113 und dass das nationale Recht die Geltendmachung des angemessenen Schadens weder praktisch unmöglich machen noch übermäßig erschweren darf114. In diesem Zusammenhang wird gern auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Umsetzung der (arbeitsrechtlichen) Gleichbehandlungsrichtlinie verwiesen, doch lassen sich daraus letztlich nur sehr begrenzte Erkenntnisse ziehen115. Was schließlich prozessuale Fragen angeht, so gilt auch hier das Wechselspiel zwischen Autonomie und Effektivität. Damit gewährleistet ist, dass jedes materiell durch den Vertrag gewährleistete Recht auch wirklich einklagbar ist, wird man etwa ein gewisses Maß an Koordination zwischen den verschiedenen Zweigen der nationalen Gerichtsbarkeit auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzung des EG-Vertrags fordern müssen116. Aus dem Effektivitätsgrundsatz ergibt sich eine Vielzahl weiterer Folgerungen für das gerichtliche Verfahren, beispielsweise zu Klagefristen oder zum rechtlichen Gehör117. Insbesondere aber sind die nationalen Gerichte unter Umständen verpflichtet, einstweiligen Rechtschutz zu gewähren. Der EuGH hat im Fall Factortame vorläufige Maßnahmen zur Sicherung der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts dann für zulässig und sogar für obligatorisch gehalten, wenn das zuständige Gericht solche Maßnahmen zwar an sich für angebracht hält, sich jedoch durch nationales Recht gehindert sieht, entsprechend zu verfahren118. Auch wenn die genaue Bedeutung des Urteils umstrit112 EuGH Rs. 5 / 94, The Queen . /. Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte: Hedley Lomas (Ireland) Ltd., Slg. 1996, I-2553 (23. 5. 1996). 113 EuGH verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93 (o. Fn. 106), 82. 114 EuGH verb. Rs. C-46 / 93 und C-48 / 93 (o. Fn. 106), 83. 115 Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 154 ff. 116 Vgl. Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 179 unter Verweis auf EuGH Rs. 240 / 78, Atalanta Amsterdam BV . /. Produktschap voor Vee en Vlees, Slg. 1979, 2137 (21. 6. 1979). 117 Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 182 ff. 118 EuGH Rs. 213 / 89 (o. Fn. 103), Nr. 21.
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ten geblieben ist119, ist es nach dieser Rechtsprechung schwierig geworden, einstweiligen Rechtsschutz in Fällen von gemeinschaftsrechtlicher Relevanz aus Gründen mangelnder Kompetenz speziell zum Erlass vorläufiger Maßnahmen zu verweigern.
c) Die Richtlinien zur Koordinierung der Vergabeverfahren Die EG-Richtlinien zur Koordinierung der mitgliedstaatlichen Vergabeverfahren erfüllen eine doppelte Funktion: Sie sollen die Ausübung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages erleichtern120 und gleichzeitig die Vorgaben des GPA umsetzen. Neben den Richtlinien bzw. den Umsetzungsbestimmungen bleiben die Vorschriften des EG-Vertrages weiter anwendbar121, und zwar im Konfliktfall vorrangig, wobei aber dem Sekundärgesetzgeber ein gewisser Umsetzungsspielraum zuzugestehen ist122. Nach umfangreichen, im Frühjahr 2004 in Kraft getretenen Reformen (zu diesen siehe Abschnitt e) befindet sich das europäische (Sekundär-) Vergaberecht heute in einer Phase des Umbruchs. Während die Reformen bis zum 31. Januar 2006 umzusetzen sind, behalten bis zu diesem Zeitpunkt die bestehenden Vorschriften ihre Bedeutung. Danach sind derzeit vier verschiedene Richtlinien zu beachten: 1. die so genannte Lieferkoordinierungsrichtlinie, Richtlinie 93 / 36 / EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge vom 14. 6. 1993123; 2. die Baukoordinierungsrichtlinie, Richtlinie 93 / 37 / EWG des Rates zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge vom 14. 6. 1993124; 3. die Dienstleistungsrichtlinie, Richtlinie 92 / 50 / EWG des Rates zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge vom 18. 6. 1992125;
Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 112 m. w. N. Volker Neßler, Das neue Auftragsvergaberecht – ein Beispiel für die Europäisierung des deutschen Rechts, EWS 1999, 89, 90; EuGH verb. Rs. 27 – 29 / 1986, CEI . / . Bellini, Slg. 1987, 3374, Nr. 14 (9. 7. 1987). 121 Kay Hailbronner, Die Neugestaltung des Vergabewesens durch die Europäische Gemeinschaft, EWS 1997, 73, 75. 122 Hailbronner (o. Fn. 121), EWS 1997, 75. 123 ABl. EG 1993 Nr. L 199, S. 1. Geändert durch Richtlinie 97 / 52 / EG v. 13. 10. 1997, ABl. EG 1997 Nr. L 328, S. 1. Konsolidierte Textfassung bei Boesen, EG-Vergaberecht (1998), S. 29. Im Folgenden „LKR“. 124 ABl. EG 1993 Nr. L 199, S. 54. Geändert durch Richtlinie 97 / 52 / EG v. 13. 10. 1997, ABl. EG 1997 Nr. L 328, S. 1. Konsolidierte Textfassung bei Boesen (o. Fn. 123), S. 135. Im Folgenden „BKR“. 125 ABl. EG 1992 Nr. L 209, S. 1. Geändert durch Richtlinie 97 / 52 / EG v. 13. 10. 1997, ABl. EG 1997 Nr. L 328, S. 1. Konsolidierte Textfassung bei Boesen (o. Fn. 123), S. 197. Im Folgenden „DKR“. 119 120
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4. die Sektorenrichtlinie, Richtlinie 93 / 38 / EWG des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vom 14. 6. 1993126.
Die Richtlinien unterscheiden sich in erster Linie im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich127. Die Richtlinien unter Nr. 1 – 3 regeln die Auftragsvergabe öffentlicher Stellen für Aufträge über Lieferungen, Bauleistungen und andere Dienstleistungen, schließen jedoch Aufträge im Zusammenhang mit bestimmten Tätigkeiten der Daseinsvorsorge von ihrem Anwendungsbereich aus128. Die Sektorenrichtlinie erfasst die Auftragsvergabe auf diesen Feldern („Sektoren“) und verpflichtet hier nicht nur im strengen Sinne staatliche Stellen, sondern auch Privatunternehmen, soweit diese auf Grund staatlicher Beherrschung oder in Folge der Verleihung von Sonderrechten dem Staat nahe stehen (und wirksamem Wettbewerb entzogen sind)129. Gelten in den „Sektoren“ tatsächlich einige Besonderheiten, so gleichen sich die Bestimmungen der anderen drei Richtlinien sachlich weitgehend. Aus Vereinfachungsgründen hat die Kommission daher im Jahr 2000 ein Verfahren zur Überarbeitung und Zusammenfassung der Vergaberichtlinien eingeleitet 130. Ziel ist es, die Zahl der Richtlinien auf zwei zu reduzieren131. Ähnlich wie das GPA und anders als die Vorschriften des EG-Vertrages sind die Vergaberichtlinien nur anzuwenden, wenn bestimmte Auftragswerte (Schwellenwerte) erreicht werden132. Diese Tatsache sowie bestimmte Ausnahmevorschriften133 führen dazu, dass bei weitem nicht alle von den Mitgliedstaaten vergebenen Aufträge unter die Richtlinien fallen.
126 ABl. EG 1993 Nr. L 199, S. 84. Geändert durch Richtlinie 98 / 4 / EG v. 16. 2. 1998, ABl. EG 1998 Nr. L 101, S. 1. Konsolidierte Textfassung bei Boesen (o. Fn. 123), S. 253. Im Folgenden „SKR“. 127 Siehe Kay Hailbronner, Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers nach den EGRichtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge, EWS 1995, 285 ff. 128 Siehe etwa Art. 2 Abs. 1 lit. a LKR. 129 Art. 1 lit.1 – 3, Art. 2 SKR. 130 Kommissionsvorschläge: KOM (2000) 275 endg. / 2, ABl. EG 2001 Nr. C 29 E, S. 11 (30. 1. 2001); KOM (2000) 276 endg. / 2, ABl. EG 2001 Nr. C 29 E, S. 112 (30. 1. 2001). 131 Die politische Einigung zwischen Rat und Parlament gestaltet sich allerdings schwierig; vgl. „Vermittlung für das Vergaberecht“, FAZ v. 8. 7. 2003, S. 19. 132 Art. 5 LKR; Art. 6 BKR; Art. 7 DKR; Art. 14 SKR. Momentan z. B. 5 Mio. Euro im Falle von Bauaufträgen, Art. 3 Abs. 1 BKR. 133 Vgl. EuGH Rs. C-358 / 00, Buchhändler-Vereinigung GmbH . /. Saur Verlag GmbH & Co. KG und Die Deutsche Bibliothek, Slg. 2002, I-4685 (30. 5. 2002): Dienstleistungskonzession unterfällt Art. 1 und 8 DKR nicht. EuGH Rs. C-223 / 99 und C-260 / 99, EuZW 2001, 382 (10. 5. 2001): Nichtanwendbarkeit von 92 / 50 / EG auf Messegesellschaft. EuGH Rs. C-399 / 98, Ordine degli Architetti u. a. . / . Comune di Milano, EuZW 2001, 532 (12. 7. 2001): Unmittelbare Erstellung einer Erschließungsanlage als öffentlicher Bauauftrag (betr. Projekt Scala 2001 in Mailand). Allgemein zum Auftraggeberbegriff Frank Peter Ohler, Zum Begriff des Öffentlichen Auftraggebers im Europäischen Vergaberecht (2001).
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Die Richtlinien kennen zwei Arten förmlicher Ausschreibungsverfahren, nämlich das offene und das nicht offene Verfahren; im offenen Verfahren kann jeder Interessent bieten, im nicht offenen Verfahren ist die Abgabe von Geboten solchen Unternehmen vorbehalten, die vom Auftraggeber zugelassen sind. Nicht förmliche Vergabeverfahren bezeichnen die Richtlinien als Verhandlungsverfahren134. Im Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie haben Auftraggeber die freie Wahl, welches Verfahren sie wählen135; nach den anderen Richtlinien stehen offenes und nicht offenes Verfahren prinzipiell zur Wahl, während Verhandlungsverfahren nur in Sonderfällen durchgeführt werden dürfen136. Unabhängig von der gewählten Verfahrensart gelten detaillierte Vorschriften über die europaweite Bekanntmachung geplanter Anschaffungen, um interessierten Unternehmen die Möglichkeit zu geben, Gebote einzureichen bzw. (im Falle von nichtoffenen Verfahren und Verhandlungsverfahren) sich um die Teilnahme zu bewerben137. So wird selbst in den Fällen des Verhandlungsverfahrens eine gewisse Publizität gewährleistet. Die Durchführung von Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung ist nur in besonderen Situationen zulässig, wobei die Anforderungen noch einmal über die an die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens grundsätzlich gestellten hinausgehen138. Die Auswahlvorschriften der Richtlinien ähneln in vieler Hinsicht denen des GPA. Sie regeln noch detaillierter als dieses, welche Anforderungen an die Qualifikation der Bieter139, an die Eigenschaften der Angebote140 und schließlich an den Nachweis dieser Faktoren gestellt werden dürfen141. Für die Zuschlagserteilung gilt nach allen Richtlinien sinngemäß142, was Art. 26 der Lieferkoordinierungsrichtlinie bestimmt: „(1) Bei der Erteilung des Zuschlags wendet der öffentliche Auftraggeber folgende Kriterien an: a) entweder ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises
Art. 1 lit. d – f LKR; Art. 1 lit. e – g BKR; Art. 1 lit. d – f DKR; Art. 1 Nr. 7 SKR. Art. 20 Abs. 1 SKR. Allerdings ist zuvor regelmäßig ein „Aufruf zum Wettbewerb“ zu veröffentlichen, siehe sogleich Fn. 137. 136 Art. 6 LKR; Art. 7 BKR; Art. 11 DKR. 137 Art. 9 LKR; Art. 11 BKR. Zu Fristen siehe etwa Art. 12 BKR. Zu den Bekanntmachungspflichten im Anwendungsbereich der SKR siehe dort Art. 21 („Aufruf zum Wettbewerb“) und 22. 138 Art. 6 Abs. 3 LKR; Art. 7 Abs. 3 BKR; Art. 11 Abs. 3 DKR; Art. 20 Abs. 2 SKR. 139 Art. 10 ff. LKR; Art. 24 ff. BKR; Art. 29 ff. DKR; Art. 30 ff. SKR. 140 Technische Spezifikationen: Art. 8 LKR; Art. 10 BKR; Art. 14 DKR; Art. 18 SKR. 141 EuGH verb. Rs. 27 – 29 / 1986 (o. Fn. 120): Kein abschließender Charakter der in 71 / 305 / EWG festgelegten Eignungskriterien und Nachweismöglichkeiten (Nr. 10, 17); der Zweck der Richtlinien ist nämlich in erster Linie die Verwirklichung der Grundfreiheiten (Nr. 14). 142 Art. 30 BKR; Art. 36 DKR; Art. 34 SKR. 134 135
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b) oder – wenn der Zuschlag auf das wirtschaftliche günstigste Angebot erfolgt – verschiedene Kriterien, die je nach Auftrag wechseln, z. B. den Preis, die Lieferfrist, die Betriebskosten, die Rentabilität, die Qualität, die Ästhetik, die Zweckmäßigkeit, den technischen Wert, den Kundendienst und die technische Hilfe. (2) In dem in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Fall gibt der öffentliche Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Bekanntmachung alle Zuschlagskriterien, deren Verwendung er vorsieht, soweit wie möglich in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung an.“143
Nach Ansicht des Gerichtshofes vertragen sich die Richtlinienbestimmungen mit der Verfolgung von Sekundärzwecken, insbesondere der Verwendung sozialer und umweltbezogener Kriterien, soweit die Publizitätsvorschriften der Richtlinien und die Diskriminierungsverbote des Vertrages beachtet werden und die Kriterien einen sachlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Vertrages aufweisen144. Auch nach den Richtlinien besteht keine Pflicht, den ausgeschriebenen Auftrag tatsächlich zu vergeben145. So schreibt der EuGH: Es „macht die Richtlinie 93 / 37 / EWG die Ausübung der dem Auftraggeber stillschweigend verliehenen Befugnis, auf die Vergabe eines Auftrags, für den eine Ausschreibung stattgefunden hat, zu verzichten oder das Vergabeverfahren von neuem einzuleiten, nicht vom Vorliegen schwerwiegender oder außergewöhnlicher Umstände abhängig.“146
Folglich „muss nach Art. 12 II Richtlinie 92 / 50 / EWG der Auftraggeber, wenn er beschließt, die Ausschreibung . . . zu widerrufen, den Bewerbern und Bietern zwar die Gründe für seine Entscheidung mitteilen, er ist danach aber nicht verpflichtet, das Vergabeverfahren zu Ende zu führen.“147
143 Ungewöhnlich niedrige Angebote können nur nach Rücksprache mit dem betroffenen Bieter ausgeschlossen werden (siehe etwa Art. 30 Abs. 4 BKR). Auch die Zuschlagskriterien sind, der ratio des CEI-Urteils folgend, nicht abschließend: EuGH Rs. 31 / 87 (o. Fn. 68), Nr. 28 ff. Zur Frage des Ermessens des Auftraggebers vgl. Walter Götz, Öffentliche Beschaffungsmärkte und Europarecht (1999), S. 158 f. 144 EuGH Rs. C-513 / 99 (o. Fn. 67), Nr. 64; im Anschluss daran und konkretisierend EuGH Rs. C-448 / 01 (o. Fn. 67). Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. Jürgen Adam, Vertragsfreiheit als Mittel der Sozialpolitik?, in: Gundula M. Peer u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2003 (2004), S. 295, 305 ff.; Peter Friedrich Bultmann, Beschaffungsfremde Kriterien: Zur „neuen Formel“ des Europäischen Gerichtshofes, ZfBR 2004, 134; Philipp Steinberg, Die „Wienstrom“-Entscheidung des EuGH, EuZW 2004, 76; Wolfram Krohn, Umweltschutz als Zuschlagskriterium: Grünes Licht für „Ökostrom“, NZBau 2004, 92. 145 Ulrich Hösch, Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der öffentlichen Hand, BayVBl 1997, 193, 196. 146 EuGH Rs. C-27 / 98, Metalmeccanica Fracasso SpA und Leitschutz Handels- und Montage GmbH . / . Amt der Salzburger Landesregierung für den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, Slg. 1999, I-5697, Nr. 25 (16. 9. 1999). 147 EuGH Rs. C-92 / 00 (o. Fn. 73), Nr. 41.
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Die Vergaberichtlinien geben entsprechend Art. 249 Abs. 3 EGV Ziele vor und überlassen es den Mitgliedstaaten, diese Ziele durch geeignete Mittel zu verwirklichen. Soweit sie ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden sind148, haben nationale Gerichte und Behörden die nationalen Umsetzungsnormen anzuwenden und nicht die zu Grunde liegende Richtlinie.
d) Durchsetzung der Vergaberichtlinien Dies führt zur Frage nach der Durchsetzung der Richtlinienbestimmungen, wenn diese entweder bereits nicht korrekt umgesetzt worden sind und / oder ein öffentlicher Auftraggeber den Richtlinien konkret zuwiderhandelt, wobei letzteres mit einem Verstoß gegen nationales Vergaberecht zusammenfallen kann oder auch nicht149. Hierbei ist zu beachten, dass vorrangige und unmittelbare Wirkung nicht nur die Vorschriften des EG-Vertrages haben können. Auch sekundärrechtliche Vorschriften sind von nationalen Gerichten ohne weiteres zu beachten, wenn sie hinreichend konkrete Vorgaben enthalten. Soweit Verordnungen betroffen sind, ergibt sich dies im Grunde bereits aus dem EG-Vertrag150. Auch Richtlinienbestimmungen können nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch unmittelbar angewandt werden, wenn die betreffenden Vorschriften hinreichend bestimmt sind und wenn die Frist zur Umsetzung abgelaufen ist151. Konkret auf die Vergaberichtlinien bezogen hat der Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit vielfach bejaht152 und darauf hinge148 Dazu Gert Nicolaysen, Ein Binnenmarkt für öffentliche Aufträge – das Ende für VOB und VOL?, in: Jürgen F. Baur u. a., Europarecht – Energierecht – Wirtschaftsrecht: Festschrift für Bodo Börner (1996), S. 345 ff. 149 Zum Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 ff. EG siehe oben S. 90. 150 Zu Art. 249 (früher Art. 189) und den Begriffen unmittelbare Anwendbarkeit / direct applicability und unmittelbare Wirkung / direct effect siehe J. Steiner, Direct Applicability in EEC Law – A Chameleon Concept, Law Quarterly Review 98 (1982), 229 ff.; Kapteyn / van Themaat (o. Fn. 80), S. 526. 151 EuGH Rs. 8 / 81, Ursula Becker . / . Finanzamt Münster-Innenstadt, Slg. 1982, 53 (19. 1. 1982). Vgl. auch Hans von der Groeben / Jürgen Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Band 4, 6. Aufl. (2004), Art. 249 EG (Gudrun Schmidt), Rn. 42; Martin Notthoff, Konsequenzen mangelhafter Umsetzung europäischer Richtlinien unter besonderer Berücksichtigung der Richtlinien für die Vergabe, WiB 1995, 902 ff. Zur Konstruktion Claus-Dieter Classen, Zur Bedeutung von EWG-Richtlinien für Privatpersonen, EuZW 1993, 83: Die Richtlinie ist immer an den (ganzen) Staat gerichtet, nicht nur an den Gesetzgeber. Korrekte Umsetzung erfordert aber, dass das geschriebene Recht den Vorgaben entspricht, und somit möglicherweise auch ein Tätigwerden des Gesetzgebers; vgl. Meinrad Dreher, Richtlinienumsetzung durch Exekutive und Judikative?, EuZW 1997, 522 ff. Zum Erfordernis der Umsetzung durch den Gesetzgeber auch Ulrich Everling, Umsetzung von Umweltrichtlinien durch normkonkretisierende Verwaltungsanweisungen, RIW 1992, 379 ff.
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wiesen, dass die entsprechenden Normen nicht nur von Gerichten, sondern auch von den Vergabestellen selber153 ohne weiteres zu beachten sind154. Des Weiteren sind die Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet, die Umsetzungsbestimmungen des nationalen Rechts nach Möglichkeit richtlinienkonform auszulegen und anzuwenden155. Für die Durchsetzung der umgesetzten oder aber unmittelbar wirkenden Richtlinienbestimmungen gelten zunächst die oben unter b) dargestellten gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien, so dass die Klagbarkeit von Richtlinienverstößen an sich schon nach allgemeinen Grundsätzen gewährleistet ist156. Ergänzt und präzisiert werden sie durch zwei Richtlinien speziell zum Rechtsschutz in solchen Vergabeverfahren, die von den oben (unter c) genannten Richtlinien erfasst werden. Diese Richtlinien sind: 1. die so genannte Rechtsmittelrichtlinie, Richtlinie 89 / 665 / EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vom 21. 12. 1989157; 2. die Sektoren-Rechtsmittelrichtlinie, Richtlinie 92 / 13 / EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energieund Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vom 25. 2. 1992158.
Die Sektoren-Rechtsmittelrichtlinie ist für den Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie einschlägig, die (allgemeine) Rechtsmittelrichtlinie gilt im Anwendungsbereich der anderen drei Verfahrensrichtlinien159. Beide Rechtsmittelricht152 Siehe Götz (o. Fn. 143), S. 61 f. Für weitgehende unmittelbare Wirkung auch Thomas Schabel / Marianne Zellmeier-Neunteufel, Neue Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Vergaberecht, BauR 1996, 642, 644. 153 EuGH Rs. 103 / 88 (o. Fn. 78), Nr. 30 ff. (zu Gemeinden als Auftraggebern); dazu im Einzelnen Stefan Ulrich Pieper, Die Direktwirkung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, DVBl. 1990, 684, 687 f. 154 Vgl. Ingo Brinker, Die unmittelbare Anwendbarkeit von EG-Richtlinien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, EWS 1995, 255 ff. Offen insofern KG Kart U 7605 / 94, EuZW 1995, 645 (10. 4. 1995) (unmittelbare Wirkung hat jedenfalls nicht die Folge, dass Ansprüche auch noch nach – rechtswidrigem – Vertragsschluss geltend gemacht werden könnten); fragwürdig die Vorinstanz, LG Berlin 16 O 660 / 94, BauR 1995, 285 (10. 10. 1994). Zu Einzelheiten vgl. Hailbronner (o. Fn. 91), WiVerw 1994, 212 ff. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit gegen Sektorenauftraggeber Brinker EWS 1995, 258; Schabel / Zellmeier-Neunteufel (o. Fn. 152), BauR 1996, 645. 155 Siehe oben bei Fn. 92. 156 I. E. Dahlgaard Dingel (o. Fn. 48), S. 9, 40 ff., 57 ff. 157 ABl. EG 1989 Nr. L 395, S. 33. Geändert durch Richtlinie 92 / 50 / EWG v. 18. 6. 1992, ABl. EG 1992 Nr. L 209, S. 1. Konsolidierte Textfassung bei Boesen (o. Fn. 123), S. 247. Im Folgenden: RMR. 158 ABl. EG 1992 Nr. L 76, S. 14. Text bei Boesen (o. Fn. 123), S. 353. Im Folgenden: S-RMR. 159 Art. 1 Abs. 1 RMR; Art. 1 Abs. 1 S-RMR.
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linien sehen vor, dass die Mitgliedstaaten Nachprüfungsverfahren160 einrichten, innerhalb derer Verstöße gegen die Richtlinien bzw. die nationalen Umsetzungsvorschriften sowie gegen das primäre Gemeinschaftsrecht gerichtlich überprüft werden können161. Klagen können soll zumindest jeder, der „ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Liefer- oder Bauauftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.“162
Bieter fallen hierunter zweifellos163, aber die weite Formulierung umfasst sicherlich auch bloße Bewerber164. Die Mitgliedstaaten können im Zusammenhang mit der Klagebefugnis allerdings „verlangen, daß derjenige, der ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber zuvor von dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung unterrichten muß.“165
Im Ergebnis müssen mit den Rechtsbehelfen im Nachprüfungsverfahren nach der Rechtsmittelrichtlinie folgende Ziele erreicht werden können: Die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen166 (mit der Folge, dass das Vergabeverfahren in rechtmäßiger Weise weiter stattfinden kann); Schadensersatz in Geld167; und schließlich einstweiliger Rechtsschutz, „um den behaupteten Rechtsverstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern“168. Die Sektoren-Rechtsmittelrichtlinie kennt die gleichen Rechtsschutzziele, erlaubt 160 Die Sektoren-Rechtsmittelrichtlinie kennt daneben Bescheinigungs- und Schlichtungsverfahren; siehe dazu Art. 3 ff. und Art. 9 ff. S-RMR. 161 Erstinstanzlich kann auch eine Verwaltungsbehörde tätig werden, deren Entscheidung dann allerdings der Kontrolle eines Gerichts (i. S. d. Art. 234 EGV) unterliegen muss; vgl. Art. 1, 2 Abs. 8 RMR. Zum Begriff des Gerichts siehe Meinrad Dreher, Der Gerichtsbegriff im Sinne von Art. 177 EGV, die Vergabeüberwachungsausschüsse und die Zukunft des vergaberechtlichen Rechtsschutzes, EWS 1997, 225 ff.; Hans-Georg Kamann / Andreas Sennekamp, Der Vergabeüberwachungsausschuß des Bundes als Gericht i. S. von Art. 177 EGV – EuGH, Slg. 1997, I-4961, JuS 1999, 438 ff. 162 Art. 1 Abs. 3 RMR / S-RMR. 163 So wohl auch Meinrad Dreher, Die Kontrolle der Anwendung des Vergaberechts in Europa, EuZW 1998, 197, 199. 164 Vgl. Rainer Noch, Vergaberecht und subjektiver Rechtsschutz (1998), S. 140; zu erlaubten Einschränkungen EuGH Rs. C-230 / 02, Grossmann Air Services . / . Österreich, NZBau 2004, 221 (12. 2. 2004). Zum Verhältnis von Verfahrens- und Rechtsmittelrichtlinien vgl. Arnold Boesen, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus Sicht der Europäischen Kommission, in: Laurence W. Gormley (Hrsg.), Gordian Knots in European Public Procurement Law (1997), S. 29 ff. 165 Art. 1 Abs. 3 RMR / S-RMR. 166 Art. 2 Abs. 1 lit. b RMR. 167 Art. 2 Abs. 1 lit. c RMR. 168 Art. 2 Abs. 1 lit. a RMR.
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es aber, an die Stelle von Aufhebungsmöglichkeit und einstweiligem Rechtsschutz die Androhung eines Zwangsgeldes gegen den Auftraggeber zu setzen169. Zu den Entscheidungen, die aufhebbar sein müssen, gehört insbesondere die abschließende Auswahlentscheidung des Auftraggebers170. Andererseits stellt die Richtlinie es den Mitgliedstaaten frei, die Wirkung der Aufhebung von Entscheidungen auf einen eventuell bereits geschlossenen Vertrag zu bestimmen171, was die Möglichkeit einschließt, den Vertragsschluss für bestandskräftig zu erklären. Diese Option dürfen die Mitgliedstaaten allerdings nicht in der Weise missbrauchen, dass sie die Bekanntgabe der Auswahlentscheidung und den Vertragsschluss zusammenfallen lassen und so an der entscheidenden Stelle des Vergabeverfahrens wirksamen Rechtsschutz verhindern172. Gerichtlich überprüfbar und aufhebbar i. S. d. Art. 2 Abs. 6 der Rechtsmittelrichtlinien muss nach Ansicht des EuGH auch der Widerruf (die Aufhebung) einer Ausschreibung sein173 – was angesichts der oben174 referierten Ausführungen allerdings nicht so verstanden werden darf, dass die unwirksam widerrufene Ausschreibung um jeden Preis mit einem Vertragsschluss beendet werden müsste. Vielmehr soll die Kontrollmöglichkeit dazu dienen, die Einhaltung des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, insbesondere also die Umgehung dieser Vorschriften durch Widerruf und anschließende Neuvergabe verhindern. Schadensersatzansprüche dürfen nach der Rechtsmittelrichtlinie davon abhängig gemacht werden, dass der Bieter zunächst die Aufhebung der ihn beeinträchtigenArt. 2 Abs. 1 S-RMR. Zur Bemessung des Zwangsgeldes Art. 2 Abs. 5 S-RMR. EuGH Rs. C-81 / 98, Alcatel Austria u. a. . / . Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, Slg. 1999, I-7671 (28. 10. 1999). Anmerkungen: Arnold Boesen, ZIP 1999, 1942; Ingo Brinker, JZ 2000, 462; Jan Byok, BB-Kommentar, BB 1999, 2581; Jochem Gröning, Das deutsche Vergaberecht nach dem Urteil des EuGH vom 28. Oktober 1999 – Alcatel Austria AG u. a., WRP 2000, 49; Friedrich Ludwig Hausmann, EuZW 1999, 762; Wolfgang Jaeger, EWS-Kommentar, EWS 2000, 124; Alexander Kus, Auswirkungen der EuGH-Entscheidung „Alcatel Austria AG“ auf das deutsche Vergaberecht NJW 2000, 544; André Martin-Ehlers, Die Unterscheidung zwischen Zuschlag und Vertragsschluss im europäischen Vergaberecht, EuZW 2000, 101; Renate Pirstner / Karin Tscherk, Die Zuschlagsentscheidung im öffentlichen Auftragsverfahren im Lichte des Gemeinschaftsrechts, ZVglRWiss 99 (2000), 461; Jürgen Adam, Zuschlag, Vertragsschluss und europäisches Vergaberecht, WuW 2000, 260. 171 Art. 2 Abs. 6 RMR / S-RMR; vgl. KG Kart U 7605 / 94 (o. Fn. 154), 645; Steindorff (o. Fn. 105), EWS 1995, 395. Dieses Zugeständnis insbesondere an den Vertrauensschutz zugunsten des ausgewählten Vertragspartners führt allerdings nicht so weit, dass nach Vertragsschluss auch die Kommission die eventuelle Rechtswidrigkeit des Verfahrens nicht mehr geltend machen könnte, siehe EuGH Rs. C-20 / 01 und C-28 / 01, Kommission . / . Deutschland, NZBau 2003, 391, Nr. 38 f. (10. 4. 2003); EuGH Rs. C-125 / 03, Kommission . / . Deutschland, NZBau 2004, 563, Nr. 15 (9. 9. 2004). 172 EuGH Rs. C-81 / 98 (o. Fn. 170); näher zu den Anforderungen EuGH Rs. C-212 / 02, Kommission . / . Österreich, EuZW 2004, 606 (24. 6. 2004). 173 EuGH Rs. C-92 / 00 (o. Fn. 73), Nr. 48 f. Dazu Kilian Bauer / Karl-Philipp Kegel, Anmerkung, EuZW 2002, 502. 174 Bei Fn. 145 ff. 169 170
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den Entscheidung erwirkt175. Diese Klausel ist im Zusammenhang zu lesen mit der weiteren Bestimmung, dass die Befugnisse, über Aufhebung, Schadensersatz oder einstweiligen Rechtsschutz zu entscheiden, verschiedenen Instanzen übertragen werden dürfen176. Zur Berechnung des Schadensersatzes sagt die Rechtsmittelrichtlinie weiter nichts; insoweit gelten also die bereits referierten allgemeinen Grundsätze177 über die prozedurale und institutionelle Autonomie der Mitgliedstaaten einerseits und die aus dem Effektivitätsgrundsatz folgenden Schranken andererseits. Lediglich Art. 2 Abs. 7 der Sektoren-Rechtsmittelrichtlinie enthält eine (allerdings alles andere als erschöpfende) Bestimmung: „Wird Schadensersatz für die Kosten der Vorbereitung eines Angebotes oder für die Kosten der Teilnahme an einem Auftragsvergabeverfahren verlangt, so hat die Schadensersatz fordernde Person lediglich nachzuweisen, daß ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsvorschriften für die Auftragsvergabe oder gegen einzelstaatliche Vorschriften zur Umsetzung dieser Vorschriften vorliegt und daß sie eine echte Chance gehabt hätte, den Zuschlag zu erhalten, die aber durch den Rechtsverstoß beeinträchtigt wurde.“
Verschulden darf also nicht zur Voraussetzung dieses Anspruchs auf das negative Interesse gemacht werden178. Was eine „echte Chance“ im Sinne dieser Norm ist, ist bislang nicht vom EuGH geklärt worden179. Einstweiliger Rechtsschutz180 nach den Richtlinien kommt insbesondere zur Verhinderung des Vertragsschlusses in Betracht, da dieser ja wie bereits erwähnt vom nationalen Recht für bestandkräftig erklärt werden kann. Die Rechtsmittelrichtlinien selber bedürfen als Richtlinien grundsätzlich der Umsetzung in nationales Recht. Bei mangelhafter Umsetzung kommt auch die unmittelbare Anwendung der wichtigsten Richtlinienbestimmungen wohl nicht in Betracht181, da es an hinreichender Klarheit und Eindeutigkeit fehlt182. VergegenArt. 2 Abs. 5 RMR. Art. 2 Abs. 2 RMR. So auch Art. 2 Abs. 2 S-RMR. 177 Oben bei Fn. 113. 178 Ernst Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht (1996), S. 363. 179 Vgl. Steindorff (o. Fn. 105), EWS 1995, 395. Dreher (o. Fn. 163), EuZW 1998, 199, schreibt: „Für die rechtswidrige Aufhebung . . . wäre daher jedem Bieter Schadensersatz schon deshalb zu leisten, weil sich die Frage, wer . . . zum Zuge gekommen wäre, meist nicht mehr klären lässt und ohne Vergabe auch kein Bieter eine Chance auf Auftragserteilung gehabt hat“. 180 Vgl. auch Steindorff (o. Fn. 178), S. 360 (Vorrang des einstweiligen Rechtsschutzes folgt aus Art. 10 EGV iVm den Vergaberichtlinien); ferner Brinker (o. Fn. 154), EWS 1995, 259; siehe auch LG Berlin 16 O 660 / 94 (o. Fn. 154). 181 Insofern kann es aber zu Schadensersatzansprüchen kommen, wenn bei korrekter Umsetzung einer Richtlinienbestimmung ein Schaden vermieden worden wäre. Anknüpfungspunkt ist dann nicht der Verstoß des Auftraggebers im Einzelfall, sondern die gesetzgeberische Fehlleistung (Hailbronner (o. Fn. 121), EWS 1997, 80 f.). 175 176
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wärtigt man sich, dass beispielsweise Zuständigkeitsfragen von der Richtlinie nicht angesprochen werden, wird klar, dass die unmittelbare Wirkung in der Tat auf erhebliche praktische Hindernisse stieße. Aus der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts kann sich allerdings auch bei fehlender oder mangelnder Umsetzung ein Einfluss auf das nationale Recht ergeben183.
e) Das Legislativpaket 2004 Nach zeitintensiven Vorarbeiten und politischen Auseinandersetzungen184 ist Ende 2003 das so genannte „Legislativpaket“ verabschiedet worden, mit dem die öffentliche Auftragsvergabe eine neue gemeinschaftsrechtliche Grundlage erhalten wird. Das Paket besteht aus zwei Richtlinien: Der neuen Vergaberichtlinie, Richtlinie 2004 / 18 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge185; und der neuen Sektorenrichtlinie, Richtlinie 2004 / 17 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste186.
Die neue Vergaberichtlinie soll Bau-, Liefer- und Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie ersetzen, während die neue Sektorenrichtlinie an Stelle der bisher geltenden Sektorenrichtlinie tritt. Die Rechtsmittelrichtlinien bleiben unberührt. Der Schwerpunkt der Reform sollte laut Kommission bei der „Modernisierung, Flexibilisierung und Vereinfachung des geltenden Rechtsrahmens für öffentliche Aufträge“ liegen, weniger bei inhaltlichen Änderungen187. Die Richtlinien sind am 30. 4. 2004 in Kraft getreten und müssen bis zum 31. 1. 2006 umgesetzt werden188. Mit diesem Zeitpunkt treten die bisher geltenden Richtlinien außer Kraft189. Die neuen Richtlinien heben die Schwellenwerte um 21% bis knapp 25% deutlich an190; im Übrigen ändert sich hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Vorschriften letztlich wenig, wenn man davon absieht, dass die neue Vergaberichtlinie 182 Vgl. EuGH Rs. C-54 / 96, Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH . /. Bundesbaugesellschaft Berlin mbH, Slg. 1997, I-4961, Nr. 40 f. (17. 9. 1997). 183 EuGH Rs. C-54 / 96 (o. Fn. 182), Nr. 43. 184 Dazu Stephan Rechten, Die Novelle des EU-Vergaberechts, NZBau 2004, 366, 366 f. 185 ABl. EU 2004 Nr. L 134, S. 114; im Folgenden „NVR“. 186 ABl. EU 2004 Nr. L 134, S. 1; im Folgenden „NSR“. 187 Rechten (o. Fn. 184), NZBau 2004, 367. 188 In-Kraft-Treten: Art. 83 NVR, Art 74 NSR; Umsetzung: Art. 80 Abs. 1 NVR, Art. 71 Abs. 1 NSR. 189 So ausdrücklich Art. 80 Abs. 1 NVR; ebenso zu verstehen wohl Art. 73 NSR. 190 Oliver Mader, Das neue EG-Vergaberecht, EuZW 2004, 425, 427 m. w. N.
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die Vorschriften über Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge nunmehr zusammenfasst191. Von den sachlichen Änderungen, die mit den neuen Richtlinien verbunden sind192, sollen hier zwei hervorgehoben werden. Zum einen erlaubt die neue Vergaberichtlinie in bestimmten Fällen komplexer Auftragsvergaben, ein neuartiges Verfahren anzuwenden, nämlich den sogenannten wettbewerblichen Dialog; er kann an die Stelle des Verhandlungsverfahrens treten. Bei diesem Verfahren folgt auf einen Teilnahmewettbewerb unter allen Interessenten zunächst eine Verhandlungsphase, in welcher der Auftraggeber mit ausgewählten Anbietern jeweils bilateral verhandelt. In einer dritten Phase geben die Anbieter auf Grund „ihres“ Verhandlungsergebnisses Gebote ab; der Zuschlag wird auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt193. Schließlich gehen die Richtlinien nun ausdrücklich auf die Frage der Sekundärzwecke ein. Sie erlauben es den Auftraggebern zum einen grundsätzlich, „zusätzliche Bedingungen“ für die Ausführung von Aufträgen zu stellen, die insbesondere sozialer oder umweltbezogener Natur sein können194. Zum anderen werden Umwelteigenschaften ausdrücklich unter den Faktoren aufgezählt, die bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes eine Rolle spielen können195. Wie sich diese Neuerungen letztlich auswirken, wird sich erst in der praktischen Anwendung zeigen können.
II. Grundrechte und öffentliche Auftragsvergabe Die Relevanz der Grundrechte des Grundgesetzes für die öffentliche Auftragsvergabe ist ein bis heute wissenschaftlich umstrittenes Thema. Das beginnt bei der Frage, ob und in welcher Weise die Grundrechte überhaupt in diesem Gebiet Anwendung finden sollen. Im Ergebnis zeichnet sich immerhin mittlerweile ein gewisser Konsens ab, auch was die aus der Grundrechtsgeltung konkret folgenden Pflichten und die Anforderungen an den Rechtsschutz betrifft. Die Rechtsprechung vermeidet es lange Zeit, sich dogmatisch eindeutig festzulegen und gewährt sachlich dennoch einen gewissen Grundrechtsschutz auch im Bereich des fiskalischen Handelns.
191 Siehe näher, insbesondere auch zur Frage der Telekommunkationsdienstleistungen, Mader (o. Fn. 190), EuZW 2004, 426. 192 Überblicksdarstellungen zu den Änderungen finden sich bei Matthias Knauff, Die Reform des europäischen Veregaberechts, EuZW 2004, 141 ff.; Andrea Kullack / Ralf Terner, EU-Legislativpaket: Die neue „klassische“ Vergabekoordinierungsrichtlinie, ZfBR 2004, 244 ff., 346 ff.; Mader (o. Fn. 190), EuZW 2004, 425 ff.; Rechten (o. Fn. 184), NZBau 2004, 366 ff. 193 Zu den Einzelheiten des Verfahren siehe Art. 29 NVR. 194 Art. 26 NVR; Art. 38 NSR. 195 Art. 53 Abs. 1 lit. a NVR; Art. 55 Abs. 1 lit. a NSR.
II. Grundrechte und öffentliche Auftragsvergabe
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1. Geltung der Grundrechte Nach In-Kraft-Treten des Grundgesetzes herrscht im Schrifttum zunächst in Anlehnung an die Grundrechtdogmatik der Weimarer Zeit die Auffassung vor, dass wegen des fiskalischen Charakters der Auftragsvergabe die Grundrechte in diesem Bereich nicht anzuwenden seien. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Diskussion über öffentlich-rechtliches und privatrechtliches Staatshandeln verschiebt sich allerdings bald die Einschätzung dessen, worin eigentlich das Typische des fiskalischen Handelns liege und inwiefern sich dies auf die Frage der Grundrechtsbindung auswirke. Nicht nur die Fragwürdigkeit der hierzu vorgeschlagenen Differenzierungsansätze ist es, die schließlich im Schrifttum zu wachsendem Zuspruch für die (unmittelbare) Fiskalgeltung der Grundrechte führt. Möglicherweise noch wichtiger ist die Entwicklung einer Dogmatik der Drittwirkung, nach der nämlich die Relevanz der Grundrechte weit über das Feld ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit hinaus ausgedehnt wird.
a) Unmittelbare Fiskalgeltung Ausgangspunkt der Frage nach der Fiskalgeltung ist Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes: „Die . . . Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“
Versteht man die Trias „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung“ in einem formalen Sinne als Gesamtbezeichnung staatlicher Behörden, so fällt deren Beschaffungstätigkeit in den Anwendungsbereich der Grundrechte. Versteht man die Norm jedoch funktional196, so stellt sich angesichts der Tatsache, dass Auftragsvergabe zweifellos weder als legislative noch als rechtsprechende Tätigkeit bezeichnet werden kann die Frage, ob sie als Ausübung „vollziehender Gewalt“ im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG betrachtet werden muss, wobei zu beachten ist, dass der Ausdruck „vollziehende Gewalt“ erst 1956 an die Stelle des Wortes „Verwaltung“ trat. Die Grundgesetzänderung hatte allerdings nur den Zweck, die Bindung der neu gegründeten Bundeswehr sicherzustellen und sollte sachlich sonst nichts verändern197. Ein funktionales und keineswegs unplausibles Verständnis des Art. 1 Abs. 3 vertritt Ernst Forsthoff in seiner Schrift über den „Staat als Auftraggeber“. Danach soll bei staatlichem Handelns in privatrechtlicher Form vollziehende Gewalt nicht ausgeübt werden, und folglich sollen die Grundrechte nicht anwendbar sein198: 196 Zum Unterschied zwischen formalem und funktionalem Verständnis vgl. Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz (2004), Art. 1 III (Horst Dreier), Rn. 53. 197 Ingo v. Münch / Philip Kunig (Begr. / Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl. (2000), Art. 1 (Philip Kunig), Rn. 60; Veit J. Walthelm, Das öffentliche Auftragswesen (1979), S. 163.
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„Der Ausdruck ,vollziehende Gewalt‘ . . . weist auf eine Überordnung hin. Zur Gewalt gehören die Gewaltunterworfenen . . . Es gehört ex definitione zum Wesen der fiskalischen Betätigung, dass sie nicht Gewaltsausübung ist, sondern in den einvernehmlichen Formen des Rechtshandelns besteht.“199
Dies sei auch völlig gerechtfertigt, da insbesondere die „starre Bindung . . . an den Gleichheitssatz“ mit einer sinnvollen Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Verkehr „schlechthin unvereinbar“200 sei. Dürig ergänzt, dass aus Sicht des Bürgers bzw. Bieters zwischen der Vergabe eines Auftrags durch den Staat und der Vergabe durch große Konzerne ohnehin kein sachlicher Unterschied bestehe201. Forsthoff geht sogar so weit selbst, dem fiskalisch handelnden Staat eigenen Grundrechtsschutz zuzugestehen und daraus dann ein weiteres Argument gegen die Grundrechtsbindung zu gewinnen: Wer grundrechtsgeschützt sei, könne nicht gleichzeitig durch die Grundrechte verpflichtet sein202. Das zuletzt genannte „Konfusionsargument“ lässt sich natürlich ebenso gut umkehren203; ansonsten aber entbehrt die Theorie der fehlenden Grundrechtsbindung bei Handeln in Formen des Privatrechts nicht einer gewissen Überzeugungskraft. Insbesondere die oft betonte Gefahr der „Flucht ins Privatrecht“ besteht auch dann nicht, wenn man dem Staat die freie Wahl lässt, sich der Organisations- und Handlungsformen des Privatrechts“204 zu bedienen: Mit dem Verzicht auf die besonderen hoheitlichen Machtmittel des Staates ist die Machtsstellung des Staates und somit seine besondere „Gefährlichkeit“ immerhin deutlich eingeschränkt (wenn auch wohl kaum völlig beseitigt). Ein anderes Verständnis des Wesens öffentlicher Verwaltung bzw. vollziehender Gewalt geht grundlegend auf einen Beitrag Wolfgang Sieberts zurück, in dem dieser das staatliche Handeln in erster Linie nicht formal nach der Rechtsform, sondern anhand des primären Handlungszwecks einteilt. „Fiskalisch“ im Sinne Sieberts ist nicht etwa Handeln in privatrechtlichen Formen, sondern Handeln, das 198 So Ernst Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber – unter besonderer Berücksichtigung des Bauauftragswesens (1963), S. 13 f. Ebenso i. E. Günter Dürig, Grundrechte und Zivilrechtsprechung, in: Theodor Maunz (Hrsg.), Vom Bonner Grundgesetz zur gesamtdeutschen Verfassung: Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky (1956), S. 157, 184 ff.; Volker Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen (1969), S. 133. 199 Forsthoff (o. Fn. 198), S. 13 f. 200 Volker Emmerich, Die Fiskalgeltung der Grundrechte, namentlich bei erwerbswirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand – BGHZ 52, 325 und BGH Betr. 1969, 1791, JuS 1970, 332, 334. 201 So Theodor Maunz / Günter Dürig u. a. (Hrsg.), Grundgesetz (Loseblatt), Art. 1 (Dürig), Rn. 490. 202 So Forsthoff (o. Fn. 198), S. 14. 203 So etwa Maunz / Dürig (o. Fn. 201), Art. 19 Abs. 3 (Dürig), Rn. 42, auf den sich Forsthoff (o. Fn. 198), S. 14 auch bezieht. 204 Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III / 1 (1988), Rn. 1405; vgl. Forsthoff (o. Fn. 198), S. 30.
II. Grundrechte und öffentliche Auftragsvergabe
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nicht unmittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient. Daran soll sich auch die Grundrechtsbindung orientieren: Wenn der Staat etwa im Bereich der „Daseinsvorsorge“ unmittelbar öffentliche Aufgaben erfülle, seien die Grundrechte unabhängig von der gewählten Organisations- und Rechtsform zu beachten; werde er jedoch mit Gewinnerzielungsabsicht wirtschaftlich tätig oder beschaffe er sich lediglich durch Auftragsvergabe die Mittel, derer er für die unmittelbare Aufgabenerfüllung bedürfe, so sei er von der Grundrechtsbindung frei205. Der schwerwiegendste Einwand gegen die Aufgabenlehre liegt darin, dass sie kein brauchbares Kriterium für die Abgrenzung öffentlicher und nicht öffentlicher Aufgaben liefern kann – und zwar nicht etwa deshalb, weil es praktisch schwierige Grenzfälle gäbe (was per se noch nicht gegen die Theorie sprechen würde), sondern aus dem Grund, dass es bereits theoretisch unmöglich ist, „von Natur aus“ staatliche Aufgaben zu identifizieren206. Aus heutiger Sicht steht insbesondere fest, dass die traditionell der „Daseinsvorsorge“ zugerechneten Tätigkeiten bei entsprechender organisatorischer und rechtlicher Rahmengestaltung sehr wohl mit Gewinnerzielungsabsicht im Wettbewerb durchgeführt werden können. Gegen die bislang behandelten Theorien und für die „Fiskalgeltung“ der Grundrechte wird geltend gemacht, dass nur eine umfassende Grundrechtsbindung der Konzeption des Grundgesetzes und insbesondere den grundlegenden Vorschriften der Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 gerecht werde207. Positive Argumente sind hierfür allerdings schwer zu finden. Die Behauptung, die Grundrechtsbindung aller staatlichen Tätigkeit sei prima facie anzunehmen und jede Ausnahme bedürfe der Begründung208, läuft auf eine petitio principii hinaus, ebenso die nicht weiter begründete Feststellung, auch die fiskalische Verwaltung sei Verwaltung und damit vollziehende Gewalt i. S. d. Art. 1 Abs. 3 GG209.
205 Vgl. Wolfgang Siebert, Privatrecht im Bereich öffentlicher Verwaltung: Zur Abgrenzung und Verflechtung von öffentlichem Recht und Privatrecht, in: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät zu Göttingen, Festschrift für Hans Niedermeyer (1953), S. 215, insbes. S. 240; S. 221 zur Abgrenzung von wirtschaftlicher Tätigkeit und Daseinsvorsorge: Bei letzterer ist die „Erzielung von Gewinn nicht beherrschendes Motiv und nicht wirtschaftliche Notwendigkeit“. 206 Vgl. eingehend Franz-Joseph Kunert, Staatliche Bedarfsdeckungsgeschäfte und Öffentliches Recht (1977), insbes. S. 65 f.: Kriterien für die unmittelbare Erfüllung öffentlicher Aufgaben sind unscharf und nicht operabel; ferner S. 74 f.: Es gibt kein objektives bestimmbares, wahres öffentliches Interesse; S. 77 Zitat von Glendon Schubert: „There is no publicinterest theory worthy of its name“. Eingehende Kritik auch bei Emmerich (o. Fn. 200), JuS 1970, 332; Karl Albrecht Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht: Kritik der Fiskustheorie, exemplifiziert an § 1 UWG (1986), S. 189 ff. Vgl. ferner Wolfgang Rüfner, § 117: Grundrechtsadressaten, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof, (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 2. Aufl. (2000), S. 525 ff., Rn. 45. 207 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1413; Jost Pietzcker, Rechtsbindungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, AöR 107 (1982), 61, 71. 208 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1413. Vgl. auch Eckart Furtwängler, Die Bindung des öffentlichen Auftraggebers an den Gleichheitssatz und andere Grundrechte (1967), S. 113.
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
Dennoch geht die herrschende Tendenz in der neueren Literatur recht eindeutig dahin, die unmittelbare Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand unter allen Umständen und so auch im Falle der Auftragsvergabe zu bejahen210. Umfasst von der Grundrechtsbindung sollen neben den juristischen Personen des öffentlichen Rechts auch staatseigene211 sowie staatsbeherrschte212 Privatunternehmen sein.
b) Mittelbare Fiskalgeltung Wird die Bindung der fiskalisch handelnden öffentlichen Hand an die Grundrechte verneint, so folgt daraus auf Grund der mittlerweile praktisch einmütig akzeptierten Lehre von der Drittwirkung der Grundrechte nicht etwa die völlige Irrelevanz der Grundrechte, sondern mindestens eben die Grundrechtsbindung nach den Prinzipien der Drittwirkung213.
209 Furtwängler (o. Fn. 208), S. 107. Offen hingegen auf S. 109 in Bezug darauf, ob fiskalisches Handeln „öffentliche Gewalt“ iSd Art. 19 III ist. 210 Vgl. Dimitris Triantafyllou, Europäisierungsprobleme des Verwaltungsprivatrechts am Beispiel des öffentlichen Auftragsrechts, NVwZ 1994, 943, 945. Dafür: Jens-Hinrich Binder, Effektiver Rechtsschutz und neues Vergaberecht – Überlegungen zur Verfassungsmäßigkeit der Differenzierung nach Schwellenwerten in §§ 97 ff. GWB, ZZP 113 (2000), 195 (208 f.); Harald Bogs, Die verfassungsrechtliche Gebundenheit der öffentlichen Hand bei Bedarfsdeckungsgeschäften, BB 1963, 1269; Martin Burgi, Die Legitimität von Einheimischenprivilegierungen im globalen Dorf, JZ 1999, 873, 877; Meinrad Dreher, Vergaberechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte, NZBau 2002, 419, 425; Dreier (o. Fn. 196), Art. 1 III (Dreier), Rn. 66; Dirk Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform (1984), S. 216; Furtwängler (o. Fn. 208), S. 105; Christoph Gusy, Staatsaufträge an die Wirtschaft, JA 1989, 26, 27; Georg Hermes, Gleichheit durch Verfahren bei der staatlichen Auftragsvergabe, JZ 1997, 912; Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. (2003), Art. 1 (Höfling), Rn. 95; Peter-Michael Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht (1991), S. 442; Frank Niebuhr u. a. (Hrsg), Kommentar zum Vergaberecht (2000), § 97 (Niebuhr), Rn. 241; Pietzcker (o. Fn. 207), AöR 107 (1982), 71; Rüfner (o. Fn. 206), Rn. 46; Utz Schliesky, Über Notwendigkeit und Gestalt eines Öffentlichen Wettbewerbsrechts, DVBl. 1999, 78, 81; v. Münch / Kunig (o. Fn. 197), Art. 20 (Schnapp), Rn. 49; Stern (o. Fn. 204), Rn. 1412; Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht: Beschaffung und Leistungserstellung im Staat der Gegenwart (1988), S. 318; Walthelm (o. Fn. 197), S. 165 f.; Manfred Zuleeg, Rechtsschutz und Grundrechtsbindung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, WiVerw 1984, 112, 119. 211 Dreier (o. Fn. 196), Art. 1 III (Dreier), Rn. 69. 212 Oliver Dörr, Das deutsche Vergaberecht unter dem Einfluß von Art. 19 Abs. 4 GG, DÖV 2001, 1014 (1018 f.); Stern (o. Fn. 204), Rn. 1421. Dagegen (und für Grundrechtsbindung nur der die Beherrschung ausübenden juristischen Person) Hermann v. Mangoldt / Friedrich Klein / Christian Starck (Begr. / Fortf. / Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl. (1999), Art. 1 (Starck), Rn. 199; Dreier (o. Fn. 196), Art. 1 III (Dreier), Rn. 70. Vgl. auch Rüfner (o. Fn. 206), Rn. 48 f. 213 Vgl. Dürig (o. Fn. 198), S. 184 ff.; v. Münch / Kunig (o. Fn. 197), Vor Art. 1 – 19 (v. Münch), Rn. 36; Maunz / Dürig (o. Fn. 201), Art. 1 (Dürig), Rn. 504.
II. Grundrechte und öffentliche Auftragsvergabe
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Unter „Drittwirkung“ wird die Wirkung der Grundrechte gegen Personen verstanden, die an sich nicht Adressaten der Grundrechtsbindung sind. Das sind nach heute praktisch nicht mehr bestrittener Ansicht alle Privatpersonen, d. h. natürliche Personen und auch die von ihnen gebildeten juristischen Personen des Privatrechts214. Ausgangspunkt der Drittwirkungsdogmatik ist nach wie vor das LüthUrteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem es im Hinblick auf die „grundsätzliche Frage, ob Grundrechtsnormen auf das bürgerliche Recht einwirken“215, heißt: „1. Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. 2. Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln. 3. Der Zivilrichter kann durch sein Urteil Grundrechte verletzen . . . , wenn er die Einwirkung der Grundrechte auf das bürgerliche Recht verkennt. . . . “216
Diese Grundsätze lassen sich zunächst so auffassen, dass Adressat der Grundrechte immer nur der Staat ist und bleibt, dass aber Privatrechtsgesetzgeber und Zivilrichter der Grundrechtsbindung wie jede andere Stelle auch unterliegen. „Drittwirkung“ ist dann folglich eine bloß faktische Konsequenz der klassischen Grundrechtsfunktion, hoheitliche Eingriffe abzuwehren – und des nicht einmal auf zivilrechtliche Streitigkeiten beschränkten Phänomens, dass sich staatliche Stellen im Einzelfall mit konfligierenden Grundrechten verschiedener Betroffener konfrontiert sehen können und einen Ausgleich herbeiführen müssen217. Faktische Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Private werden in diesem Modell dann zum normativ relevanten und abwehrbaren Grundrechtseingriff, wenn sich der Staat weigert, sie trotz mangelnder Rechtfertigung zu unterbinden, spätestens also dann, wenn der Versuch der Abwehr vor den Zivilgerichten scheitert218. Diese vor allem von Jürgen Schwabe propagierte219 Konstruktion ist im Falle der Zivilgerichtsbarkeit dennoch vielfach auf Ablehnung gestoßen; prägnanten Ausdruck findet die Kritik etwa in folgendem Satz Döhrings über die Rolle der Grundrechte vor den Zivilgerichten: „Das Gericht hat die Grundrechte zu beachten, soweit sie gelten; nicht etwa gelten sie, weil ein Gericht entscheidet“220. Das Zu früher vertreten Ansichten vgl. Stern (o. Fn. 204), Rn. 1538 f. BVerfG 1 BvR 400 / 51, BVerfGE 7, 198, 204 (15. 1. 1958). 216 BVerfG 1 BvR 400 / 51 (o. Fn. 215), 198 (Leitsätze). 217 Jürgen Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte (1971), S. 154. 218 Schwabe (o. Fn. 217), S. 62 f. 219 Vgl. Fn. 217 f. 220 Karl Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. (1984), S. 209. Zustimmend Wolfram Höfling, Vertragsfreiheit: Eine grundrechtsdogmatische Studie 214 215
8 Adam
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
klingt durchaus einleuchtend221; der Streit über die Frage, ob aus der Drittwirkung der Grundrechte die Anwendbarkeit der Grundrechte vor den Zivilgerichten folgt oder umgekehrt, gleicht aber in dieser abstrakten Form der Frage, ob die Henne oder das Ei zuerst da war. Worauf es den Kritikern an einem zu simplen Modell der Drittwirkung wirklich ankommt, zeigt sich erst bei der Frage, wie die Zivilgerichte Rechtsgeschäfte unter grundrechtlichen Gesichtspunkten zu behandeln haben. Hier soll nämlich zu beachten sein, dass „der Private nicht kraft gesetzlicher Ermächtigung“ Verträge schließen kann, „sondern kraft autonomer Entschließung, die vom Gesetzgeber nur anerkannt und letztlich grundrechtlich abgesichert ist. Insofern werden im Privatrecht also nicht Gesetzesbefehle, d. h. staatliche Akte durchgesetzt“222. In der Folge soll gelten: „Soweit durch den Richterspruch bloß die Privatautonomie vollzogen . . . wird, darf die verfassungsrechtliche Kontrolle solcher Judikate nicht zu einer sonst nicht zulässigen Kontrolle der Privatautonomie führen“223. Sachlich geht es hier darum, der privatautonomen Entschließung Vorrang gegenüber anderen grundrechtliche geschützten Gütern einzuräumen und sie insbesondere davor zu bewahren, nur ein Abwägungsgesichtspunkt unter vielen zu werden. So verdienstvoll dies sein mag, so zweifelhaft ist doch der theoretische Ansatz, den Vertragsschluss einschließlich der damit letztlich verbundenen Macht zur Schaffung vollstreckbarer Normen zur Privatsache zu erklären, die auf staatlicher Ermächtigung nicht beruhe. Insbesondere die Tatsache, dass nach ganz überwiegender Meinung der Privatrechtsgesetzgeber (anders als der Richter) auch bei der Schaffung vertragsbezogener Gesetzesvorschriften an die Grundrechte gebunden sein soll224, lässt sich damit schlecht vereinbaren225. Zu einem gewissen Konsens hat in neuer Zeit die „Schutzgebotslehre“ geführt, gepriesen als „dogmatisch ,sauberste‘ Lösung“226 der Drittwirkungsfrage. Sie (1991), S. 51; v. Münch / Kunig (o. Fn. 197), Vor Art. 1 – 19 (v. Münch), Rn. 33; Stern (o. Fn. 204), Rn. 1486. Vgl. auch Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. (1994), S. 486: Die Drittwirkung sei nicht allein durch die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Richter zu erklären. 221 Allerdings nimmt niemand Anstoß daran, dass es im Falle der Baubehörde nach herrschender Ansicht genau so ist: Die Grundrechte sind hier zu beachten, weil eine staatliche Baubehörde entscheidet. 222 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1551. 223 Dieter Medicus, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192 (1992), 35, 49. 224 Siehe etwa Hans Jarass / Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl. (2004), Art. 1 Rn. 22; Ferdinand O. Kopp, Fiskalgeltung und Drittwirkung der Grund- und Freiheitsrechte im Bereich des Privatrechts, in: Festschrift für Walter Wilburg zum 70. Geburtstag (1975), S. 141, 146; Stern (o. Fn. 204), Rn. 1563; Rüfner (o. Fn. 206), Rn. 59. 225 Vgl. Johannes Hager, Grundrechte im Privatrecht, JZ 1994, 373, 383: „Entgegen der h. M. wirken die Grundrechte gegenüber bürgerlich-rechtlichen Gesetzen wie auch gegenüber rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen unmittelbar“ (Hervorhebung hinzugefügt).
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übernimmt sachlich die Prämissen Schwabes227, wenn sie davon ausgeht, das Zulassen der Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Schutzgüter durch Dritte sei „kein rechtliches belangloses gesetzgeberisches Unterlassen“, sondern müsse „dem Staat als Handeln, als aktiver Eingriff . . . zugerechnet werden“228, und zwar auf Grund von grundrechtlichen Schutzpflichten. Ihr hat sich auch das Bundesverfassungsgericht gerade im Kontext der rechtsgeschäftlichen Grundrechtsbeeinträchtigungen angeschlossen229. Diese Lehre erkennt zwar einerseits an, dass auf Vertrag beruhende Beeinträchtigungen grundrechtlicher Rechtsgüter in erster Linie tatsächlich nicht vom Staat ausgehen230, sondern von Privaten, die ihrerseits den Grundrechten nicht unterworfen sind. Andererseits aber betont sie, dass grundrechtliche Schutzgebote die Staatsgewalt, also konkret den Gesetzgeber und die Zivilgerichtsbarkeit, zur Bewahrung des Einzelnen von übermäßigen rechtsgeschäftlichen Beeinträchtigungen verpflichten231. Diese Verpflichtung und die gegenüber dem anderen Beteiligten bestehende grundsätzliche Pflicht, private Verträge zu respektieren, müssen vom Staat zum Ausgleich gebracht werden232; gegen übermäßige Eingriffe in ihre eigene Rechtsposition können sich beide Seiten auf ihre Grundrechte berufen233. Welchen theoretischen Ansatz man also auch wählt, im Ergebnis besteht Konsens über die wesentlichen Konsequenzen der mittelbaren Grundrechtswirkung un226 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1572. Nach Claus-Wilhelm Canaris, Grundrechtswirkungen und Verhältnismäßigkeitsprinzip in der richterlichen Anwendung und Fortbildung des Privatrechts, JuS 1989, 161, 163 fungiert die Schutzgebotslehre als „ ,missing link‘, um die ,mittelbare‘ Einwirkung der Grundrechte auf das Verhalten der Privatrechtssubjekte zu erklären und die diffuse Lehre von der „Ausstrahlungswirkung auf ein festeres theoretisches Fundament zu stellen.“ Vgl. auch ders., Grundrechte und Privatrecht, AcP 184 (1984), 201, 225 f. Für die Schutzgebotslehre auch Christian Hillgruber, Grundrechtsschutz im Vertragsrecht, AcP 191 (1991), 69, 74; Höfling (o. Fn. 220), S. 52 ff.; Medicus (o. Fn. 223), AcP 192 (1992), 68. Sehr dagegen allerdings Uwe Diederichsen, Das Bundesverfassungsgericht als oberstes Zivilgericht – ein Lehrstück der juristischen Methodenlehre, AcP 198 (1998), 171, 248 ff. 227 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1549: „[I]m Prinzip vergleichbar [mit der Theorie Schwabes], erklärt D. Murswiek [als Vertreter der Schutzgebotslehre] die Wirkung der Grundrechte gegenüber ,privaten Grundrechtsbeeinträchtigungen‘ damit, daß dem Staat, indem er eine ,allgemeine Pflicht zur Duldung unverbotenem Verhalten anderer‘ aufrichte, die Freiheitsbeeinträchtigung des Privatrechtssubjekts zuzurechnen sei.“ 228 Dietrich Murswiek, Zur Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten für den Umweltschutz, WiVerw 1986, 179, 182. 229 BVerfG 1 BvR 26 / 84, BVerfGE 81, 242; dazu Georg Hermes, Grundrechtsschutz durch Privatrecht auf neuer Grundlage?, NJW 1990, 1764. 230 Höfling (o. Fn. 220), S. 55 ff. 231 Vgl. Stern (o. Fn. 204), Rn. 1576. Sehr zurückhaltend im Hinblick auf Pflichten des Gesetzgebers aus Schutzgeboten allerdings noch Kopp (o. Fn. 224), S. 147. 232 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1576 f. Zur insoweit unmittelbaren Bindung von Zivilrechtsgesetzgeber und Zivilrichter vgl. Canaris (o. Fn. 226), JuS 1989, 161. Kritisch zur Frage, ob die Schutzgebotslehre damit insgesamt viel Neues bringt, etwa Diederichsen (o. Fn. 226), AcP 198 (1998), 252. 233 Vgl. Alexy (o. Fn. 220), S. 489.
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ter Privaten. Es lassen sich ein formaler Aspekt und ein materieller Aspekt unterscheiden. Formell folgt aus der Tatsache, dass Private nicht Grundrechtsadressaten sind, das Bedürfnis der Transformation der Grundrechte. Obwohl etwa Art. 3 Abs. 1 GG über die Bindung des Staates auch Grundlage privater Gleichbehandlungspflichten234 ist, kann der Gleichheitssatz als Anspruchs- oder Verbotsnorm unter Privaten keine direkte Anwendung finden235; vielmehr benötigen die Grundrechte „immer eine Norm des Zivilrechts als Schlüssel, um in ein privatrechtliches Rechtsverhältnis Einlaß zu finden“236. Das ist wohlbemerkt allerdings eine rein rechtstechnische Frage; im Ergebnis macht es noch keinen Unterschied, ob sich ein Anspruch aus Art. 3 GG unmittelbar ergibt (was nicht möglich sein soll) oder aus Art. 3 GG i. V. m. § 826 BGB. Die entscheidende, materielle Aussage der Drittwirkungslehre liegt darin, dass die Grundrechte auch nach Transformation durch eine „Schlüsselnorm“ privates Verhalten nicht den gleichen Schranken wie staatliches Verhalten unterwerfen dürfen, weil beide Seiten über Grundrechte verfügen237. Besondere Bedeutung hat das bei der Beurteilung von Pflichten, die auf rechtsgeschäftlicher Einigung beruhen238; denn hier soll der Schutz privater Willkür regelmäßig Vorrang gegenüber anderen grundrechtlichen Aspekten genießen239. So wird das wesentliche Verdienst der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung240 darin gesehen „daß in der Drittrichtung die ,absolute Wirkung‘ der Grundrechte durch ein Grundrecht zugunsten der Individualautonomie und der Eigenverantwortung relativiert ist“241, 234 Vgl. nur die Nachweise bei Jürgen Salzwedel, Gleichheitsgrundsatz und Drittwirkung, in: Karl Carstens / Hans Peters (Hrsg.), Festschrift Hermann Jahrreiß zu seinem siebzigsten Geburtstag (1964), S. 339, 347 Fn. 31; vor allem aber grundlegend Götz Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958), insbes. S. 97. Vgl. ferner Dürig (o. Fn. 198), S. 178. 235 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1558. 236 Ingo v. Münch, Staatsrecht, Band 2, 5. Aufl. (2002), Rn. 191. 237 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1512. Zu den historischen Wurzeln der Vorstellung, dass der Ausgleich unter Grundrechtsträgern spezifische Staatsaufgabe sei, siehe Stern (o. Fn. 204), Rn. 1516 m. w. N. Die Bindung des Richters an das Zivilgesetz ist der grundrechtlichen Güterabwägung hierbei vorrangig (Peter Krause, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Privatrecht, JZ 1984, 656, 659); Auch subjektive Rechte richten sich in erster Linie gegen den Gesetzgeber, nur in zweiter gegen den Richter (Hermes (o. Fn. 229), NJW 1990, 1767; vgl. Medicus (o. Fn. 223), AcP 192 (1992), 59 ff.). Zum Spielraum des Gesetzgebers Medicus (o. Fn. 223), AcP 192 (1992), 60 und Reiner Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht (1999), S. 105 f. Entsprechend hoch ist die Bedeutung verfassungskonformer Auslegung (dazu Stern (o. Fn. 204), Rn. 1555 f.). 238 Hillgruber (o. Fn. 226), AcP 191 (1991), 72. Vgl. Dürig (o. Fn. 198), S. 158 f. zur rechtfertigenden Kraft der Privatautonomie sowie Höfling (o. Fn. 220), S. 54. 239 Dürig (o. Fn. 198), S. 158 f. 240 Hager (o. Fn. 225), JZ 1994, 377. 241 Dürig (o. Fn. 198), S. 176.
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und dass der Staat verpflichtet sei, Rechtsgeschäfte „als rechtmäßig anzuerkennen, auch wenn sie den Grundrechtssätzen der Verfassung widerstreiten“, an die der Staat selber gebunden ist242. Um also auf die Frage der mittelbaren Fiskalgeltung zurückzukommen: Soweit die Grundrechte danach nur vermittelt über privatrechtliche Normen gelten sollen, ist der Unterschied zur unmittelbaren Grundrechtsgeltung nur ein rechtstechnischer, da sich immer eine passende zivilrechtliche Norm finden lässt. Ob sachliche Unterschiede zwischen mittelbarer und unmittelbarer Fiskalgeltung bestehen, hängt davon ab, ob man dem fiskalisch handelnden, konkret etwa Aufträge vergebenden Staat grundrechtlich geschützte Privatautonomie und damit einen Handlungsspielraum zuerkennen will, wie ihn private Auftraggeber hätten. Von wenigen älteren Stimmen im Schrifttum abgesehen wird eine solche Interpretation der Grundrechte jedoch abgelehnt. Zitate wie die Folgenden: „Der . . . Staat hat nirgends wie ein Privater das Recht zur Beliebigkeit“243; „Eine Privatautonomie des Fiskus im Sinne freien Beliebens kann es nicht geben“244; „Privatrecht ja, aber nicht Privatautonomie“245
bringen die praktisch einstimmige Haltung der Literatur auf den Punkt246, nach der Grundrechtsschutz für den Fiskus ausscheidet, weil staatliches Handeln „nicht in der personalen Autonomie des Individuums gründet, sondern durch die aufgegebenen Zwecke und vorgegebenen Werte der Gemeinschaft legitimiert wird“247 und weil solcher Grundrechtsschutz das angesichts der Identität von Fiskus und Staat auf einen Grundrechtsschutz des Staates gegen sich selbst hinausliefe248. Selbst Forsthoff, einer der wenigen Befürworter des Grundrechtsschutzes, sagt im Übrigen zwar einerseits: „Kommt auch der Staat in den Genuss [der] Privatautonomie, dann ist er, soweit er seine Zwecke in den Formen des Privatrechts verfolgt, ungleich freier gestellt, Nutznießer der von ihm selbst in Art. 2 GG gewährleisteten Freiheit und den Rechtsbindungen entzogen, denen er als Hoheitsverband untersteht.“249 Dürig (o. Fn. 198), S. 158 f. Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20 Aufl. (1995), Rn. 348, unter Verweis auf H. Krüger. 244 Rüfner (o. Fn. 206), Rn. 41. 245 Stern (o. Fn. 204), 1 Rn. 1405. 246 Z. B. Furtwängler (o. Fn. 208), S. 106 ff.; Walthelm (o. Fn. 197), S. 160; Gusy (o. Fn. 210), JA 1989, 29; Fritz Rittner, Öffentliches Auftragswesen und Privatrecht, ZHR 152 (1988), 318, 327; Hans Christian Röhl, Verwaltung und Privatrecht – Verwaltungsprivatrecht?, VerwArch 96 (1995), 531, 538; Bruno Binder, Der Staat als Träger von Privatrechten (1980), S. 151; dezidiert in dieser Hinsicht Schachtschneider (o. Fn. 206), passim, insbes. S. 271. 247 Stern (o. Fn. 204), Rn. 1406. 248 Emmerich (o. Fn. 198), S. 88. 249 Forsthoff (o. Fn. 198), S. 11. 242 243
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Weiter führt er jedoch aus: „[D]ie Baubehörde, die Bauaufträge nur an Angehörige einer bestimmten Konfession erteilt, verhielte sich rechtswidrig mit den Folgen, die das bürgerliche Rechts dafür vorsieht. Die Rechtswidrigkeit ist in diesem Falle keine Grundrechtsverletzung im exakten juristischen Sinne, sondern die Überschreitung von Schranken, die strukturell vorgegeben sind.“250
Ein gewichtiges Argument für die Ablehnung abwägungsrelevanter Grundrechtspositionen des Fiskus liegt nicht zuletzt in der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht staatlichen Behörden die Berufung auf Grundrechte mit wenigen, nicht einschlägigen Ausnahmen durchgängig versagt, und zwar auch bei fiskalischem Handeln251. c) Fazit So herrscht im Ergebnis trotz verschiedener dogmatischer Ansätze sachlich doch Einigkeit darüber, dass „fiskalisches“ Verhalten inhaltlich nach den gleichen grundrechtlichen Maßstäben zu beurteilen ist wie anderes staatliches Handeln252. Unterschiedlich wird praktisch lediglich die Frage beurteilt, ob die Grundrechte als Anspruchsgrundlagen zitiert werden können oder ob dies nur in Verbindung mit einer zivilrechtlichen Anspruchsnorm (etwa § 823 Abs. 2 BGB, ggf. in Verbindung mit § 1004 BGB zur Begründung von Erfüllungsansprüchen) richtig ist. In diesem Zusammenhang wird die praktische Ununterscheidbarkeit der Theorien verstärkt durch die Tatsache, dass auch nach der Lehre von der unmittelbaren Grundrechtsbindung des Fiskus der unmittelbare Rückgriff zwar möglich ist, aber die Ausnahme bleiben soll, da die Grundrechtsverwirklichung über die verfassungskonforme Auslegung des einfachen Rechts – nicht nur in den Fällen der Fiskalgeltung – dem direkten Rückgriff vorgehe253. Forsthoff (o. Fn. 198), S. 16. Siehe insbesondere BVerfG 2 BvR 1187 / 80, BVerfGE 61, 105 ff. mit ausführlicher Begründung. Insoweit noch offen BVerfG 1 BvR 108, 424 / 73 und 226 / 74, BVerfGE 45, 63 ff. Generell zu der Frage siehe Joachim Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen (1971); Wiltraut Rupp-v. Brünneck, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, in: Horst Ehmke u. a., Festschrift für Adolf Arndt zum 65. Geburtstag (1969), S. 349; Bernhard Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung (1989), S. 44 ff. Kritisch Karl August Bettermann, Juristische Personen des öffentlichen Rechts als Grundrechtsträger, NJW 1969, 1326. 252 So auch Stern (o. Fn. 204), Rn. 1408 f.; v. Mangoldt / Klein / Starck (o. Fn. 212), Art. 1 (Starck), Rn. 198.: Die sachlichen Unterschiede sind im Ergebnis gering. Vgl. die Interpretation von OLG Düsseldorf U (Kart) 8 / 79, WuW 1980, 682 = DÖV 1981, 537 (12. 2. 1980) durch Jost Pietzcker, Anmerkung, DÖV 1981, 539 (540), in der Pietzcker von der Anerkennung der Grundrechtsgeltung durch das Gericht spricht; ob damit mittelbare oder unmittelbare Geltung gemeint ist, bleibt offen. 253 Vgl. etwa Stern (o. Fn. 204), Rn. 1578 ff. (Anwendungsvorrang des einfachen Rechts. Grund: vorrangige Bindung an Gesetze (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG); der Gesetzgeber 250 251
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2. Vorgaben für das Vergabeverfahren Wesentliche Bedeutung für die Vergabe öffentlicher Aufträge wird vor allem den Artikeln 3 und 12 beigemessen254. Aus dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG wird geschlossen, dass der Auftraggeber alle Bieter und Bewerber nach den gleichen Kriterien beurteilen müsse255. Dass die angewandten Kriterien „sachlich“ zu sein haben256, ist zwar allgemeine Meinung, schließt aber praktisch nur evident fehlerhafte Gesichtspunkte aus (etwa den der Bestechung von Vergabebeamten) und erlaubt umgekehrt die Anwendung jedes Auswahlkriteriums, für dass sich irgendeine vernünftige Rechtfertigung finden lässt257. Große Bedeutung258 soll vor allem der aus Art. 3 folgende Grundsatz der Selbstbindung259 haben: Aus diesem folge, dass der Auftraggeber sich an den einmal gewählten Vergabekriterien einschließlich der Gestaltung des Vergabeverfahrens festhalten lassen müsse, wenn und soweit er durch die Festlegung dieser Kriterien sein weites Ermessen in zulässiger Weise eingeschränkt habe. „Daß die ,Zuschlagserteilung‘ selbst – aufgrund sachgerechter ,Wertung‘ der eingegangenen Angebote – den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügen muß, folgt unmittelbar aus dessen negatorischem Gehalt: Die Gleichbehandlungspflicht gegenüber den Bewerbern äußert sich hier in der Pflicht, nicht abweichend von den zuvor bekanntgegebenen Kriterien eine Entscheidung zu treffen, die das ,wirtschaftlichste‘ Gebot anderen Angeboten gegenüber benachteiligt.“260
Im Wege der Selbstbindung könne sich also insbesondere die Pflicht ergeben, nicht von den Bestimmungen der durch Verwaltungsvorschrift eingeführten Verdingungsordnungen abzuweichen261. Eher theoretischer Natur ist in diesem Zusammenhang der Streit, ob sich der Effekt der Selbstbindung bereits aus der internen Anordnung ergibt, die Verdingungsordnungen zu befolgen, oder erst aus einer tatsächlichen entsprechenden Verwaltungspraxis262. hat einen Gestaltungsspielraum, der vom Richter zu respektieren ist); Ehlers (o. Fn. 210), S. 217; Dörr (o. Fn. 212), DÖV 2001, 1017 („Subsidiarität“ der unmittelbaren Grundrechtsanwendung); Walthelm (o. Fn. 197), S. 210 f. Aus der Rechtsprechung siehe etwa LG Frankfurt 2 / 24 S 337 / 77, NJW 1978, 2555 (19. 6. 1978). 254 Zuleeg (o. Fn. 210), WiVerw 1984, 121; zur Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinsichtlich von Informationssammlung und –weitergabe durch den Auftraggeber, insbesondere im Zusammenhang mit Auftragssperren, siehe Jost Pietzcker, Vergaberechtliche Sanktionen und Grundrechte, NZBau 2003, 242, 245 f. 255 Walthelm (o. Fn. 197), S. 192. 256 Walthelm (o. Fn. 197), S. 191 f.; so auch Bogs (o. Fn. 210), BB 1963, 1271. 257 Vgl allerdings Burgi (o. Fn. 210), JZ 1999, 879 f. zur „verhältnismäßigen Gleichheit“ nach „neuer Formel“. Die Folge soll sein, dass Ortsansässigkeit eines Bieters kein zulässiges Differenzierungskriterium ist. 258 Vgl. Pietzcker (o. Fn. 207), AöR 107 (1982), 72. 259 Angela Faber, Drittschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, DÖV 1995, 403, 408. 260 Wallerath (o. Fn. 210), S. 323. 261 Thomas Jestaedt u. a., Das Recht der Auftragsvergabe (1999), S. 145.
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Wirkliche sachliche Grenzen dessen, was zum Kriterium der Auftragsvergabe gemacht werden kann, können Art. 3 Abs. 1 aber weder unter dem Aspekt des Willkürverbotes noch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung entnommen werden. Zwar wird vielfach postuliert, Art. 3 verlange, lediglich „wirtschaftliche“ Kriterien anzuwenden263; da aber Wirtschaftlichkeit das Ergebnis einer ZweckMittel-Relation ist, ist auch diese Forderung relativ ergebnisoffen. Und so folgert Pietzcker: „Art. 3 Abs. 1 GG gibt . . . keinen Anspruch darauf, daß nur der Preis oder wirtschaftliche, eng auf den Auftrag bezogene Kriterien den Ausschlag geben. Vielmehr ist wie bei den echten Subventionen der wirtschafts- und gesellschaftspolitische Spielraum des Staates großzügig bemessen“264. Wirkliche Schranken für die Zulässigkeit von Auswahlkriterien werden erstens aus den speziellen Diskriminierungsverboten nach Art. 3 Abs. 2 und 3 GG265, zweitens aus den Freiheitsgrundrechten266 und drittens aus den Kompetenzbestimmungen267 des Grundgesetzes gefolgert. Teilweise wird auch vertreten, dass ein erhöhter Schutz vor Diskriminierungen sich aus Art. 12 dort ergeben solle, wo der Staat eine marktbeherrschende Nachfragestellung einnimmt268. Eine über das Gleichbehandlungsgebot hinausgehende Pflicht, öffentliche Aufträge tatsächlich zu vergeben, soll ebenso wenig bestehen269 wie etwa ein Recht auf Einrichtung oder Besetzung von Dienstposten aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 33270. Dass sich aus den Grundrechten, insbesondere aus Art. 3 eine gewisse Pflicht ergebe, den interessierten Unternehmen Chancengleichheit durch ein formalisiertes Vgl. Walthelm (o. Fn. 197), S. 220 f. Siehe etwa Maunz / Dürig (o. Fn. 201), Art. 1 (Dürig), Rn. 504. 264 Pietzcker (o. Fn. 207), AöR 107 (1982), 90. Auf S. 90 ff. entwickelt Pietzcker Vorschläge für die Zulässigkeit verschiedener Formen der Verfolgung von Sekundärzwecken. 265 Vgl. hierzu Peter Rädler, Art. 3 III GG als Schutzgesetz i. S. von § 823 II BGB? Zur Renaissance der unmittelbaren Drittwirkung in der Gestalt des Schutzgesetzes, NJW 1998, 1621 m. w. N. 266 Wallerath (o. Fn. 210), S. 331 ff.; Walthelm (o. Fn. 197), S. 190 ff.; Forsthoff (o. Fn. 198), S. 16: „[D]ie Baubehörde, die Bauaufträge nur an Angehörige einer bestimmten Konfession erteilt, verhielte sich rechtswidrig mit den Folgen, die das bürgerliche Recht dafür vorsieht.“; vgl. Ernst Forsthoff, Zur Grundrechtsbindung des Staates als Auftraggeber, BayVBl 1964, 101, 103. Zu Art. 9 Abs. 3 siehe Manfred Löwisch, Tariftreue-Verpflichtung im Vergaberecht und Koalitionsfreiheit, DB 2001, 1090. Kritisch gegenüber einer derartigen Anwendung von Freiheitsgrundrechten Pietzcker, (o. Fn. 254), NZBau 2003, 244 f. 267 BGH KVR 23 / 98, WuW 2000, 327 (18. 1. 2000). 268 Vgl. Huber (o. Fn. 210), S. 445 und ders., Schutz des Bieters im öffentlichen Auftragswesen unterhalb der sog. Schwellenwerte, JZ 2000, 879 f. Dieser Schutz des Art. 12 gälte nur für Deutsche; zu den resultierenden Problemen nach dem Diskriminierungsverbot des EGV sowie zu Lösungsmöglichkeiten siehe Hartmut Bauer / Wolfgang Kahl, Europäische Unionsbürger als Träger von Deutschen-Grundrechten?, JZ 1995, 1077. 269 Vgl. Walthelm (o. Fn. 197), S. 191. 270 Sachs (o. Fn. 210), Art 33 (Battis), Rn. 21. 262 263
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Verfahren einzuräumen, ist häufig zu lesen271; häufig wird aber auch betont, dass die Grundrechte hier keine bestimmten Aussagen machen und dass insbesondere beispielsweise die Form der öffentlichen Ausschreibung nicht durchweg geboten sei272, vor allem dann nicht, wenn das Ausschreibungsverfahrens angesichts des damit verbundenen Aufwandes unwirtschaftlich sei273. Eher vereinzelt findet sich die Ansicht, aus der Grundrechtsgeltung folge, dass zumindest die wesentlichen Grundzüge des Vergabewesens in einem formellen Parlamentsgesetz zu regeln seien274.
3. Durchsetzung der Grundrechte Dass aus den Grundrechten auch Ansprüche des Einzelnen auf eine sachgerechte, nicht diskriminierende Auswahl folgen, ist praktisch nicht streitig275. Gegenstand einiger Diskussion ist jedoch die Frage, welcher Personenkreis im Einzelnen aus den Grundrechten klagbare Rechte herleiten kann. Pietzcker schreibt zu der Frage allgemein, es sei offenkundig, „daß Art. 3 I GG nicht das Recht gibt, sich in alle möglichen staatlichen Entscheidungszusammenhänge unter Berufung auf den Gleichheitssatz einzumischen. Der erste Anschein spricht dafür, daß sich auf den Gleichheitssatz nur berufen kann, wer zusätzlich in einem anderen subjektiven Recht betroffen ist . . .“276
Gegen die zuletzt genannte Ansicht, die besonders in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumindest immer wieder angedeutet werde277, sei allerdings heftige Kritik im Schrifttum geäußert worden278. Und auch Pietzcker schließt: „Art. 3 I GG ordnet an, daß die Verwaltung dann, wenn sie den Bürger ,behandelt‘, ihn gleich behandeln muß; diese Anordnung kann der Gesetzgeber nicht verändern“279 – wobei eine „Behandlung“ des Bürgers als Voraussetzung der Siehe etwa Wallerath (o. Fn. 210), S. 321 ff.; Faber (o. Fn. 259), DÖV 1995, 409. Vgl. Pietzcker (o. Fn. 207), AöR 107 (1982), 81; Zuleeg (o. Fn. 210), WiVerw 1984, 121; Maunz / Dürig (o. Fn. 201), Art. 1 (Dürig), Rn. 504. 273 Pietzcker (o. Fn. 252), DÖV 1981, 540. 274 Hermes (o. Fn. 210), JZ 1997, 914; Wallerath (o. Fn. 210), S. 401, S. 428 ff. 275 Faber (o. Fn. 259), DÖV 1995, 409; vgl. Walthelm (o. Fn. 197), S. 193. 276 Jost Pietzcker, Zu den Voraussetzungen der Gleichbehandlung nach Art. 3 I GG, JZ 1989, 305. 277 Vgl. BVerwG 1 C 157.79, BVerwGE 65, 167, 173 (23. 3. 1982), zitiert nach Pietzcker (o. Fn. 276), JZ 1989, 305: „Was Art. 3 anbetrifft, so kann dahinstehen, ob der Gleichheitssatz überhaupt ein Recht im Sinne des § 113 I 1 VwGO vermittelt oder nur bei vorausgesetzter rechtlicher Betroffenheit die Rechtsgleichheit gewährleistet.“ 278 Pietzcker (o. Fn. 276), JZ 1989, 305 m. w. N. Kritisch auch Hermes (o. Fn. 197), JZ 1997, 909, 914. 279 Pietzcker (o. Fn. 276), JZ 1989, 308. 271 272
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
subjektiven Berechtigung vorliegen muss, was immer der Fall sein soll, wenn es um die Verbesserung der eigenen Rechtssphäre gehe280. Als konkret problematisch im Falle der Auftragsvergabe wird weniger die subjektive Berechtigung von Bietern281 und Bewerbern angesehen, als die Rechtsstellung dessen, der mit dem Auftraggeber vor Auftragserteilung noch nicht in Kontakt getreten ist282 – etwa, weil der Auftraggeber interne Publizitätsvorschriften missachtet hat. Denn eine „rechtliche Beziehung zwischen dem Grundrechtsträger und der von ihm begehrten Maßnahme“283 sei Voraussetzung dafür, dass Art. 3 subjektive Rechte gewähre: „Erst die Nichtberücksichtigung einzelner Bieter bei einer konkreten Vergabe oder der generelle Ausschluss eines bestimmten Bieters von der Auftragserteilung sowie die gleichheitswidrige Behandlung bestimmter Wettbewerber im Rahmen des Vergabeverfahrens lassen die Betroffenen . . . in den Status eines anspruchsberechtigten Rechtssubjektes hineinwachsen und lösen einen . . . Anspruch auf (chancen-)gleiche Berücksichtigung bei der Auftragsvergabe aus.“284
Im Hinblick auf die Frage, welche konkreten Ansprüche und prozessualen Durchsetzungsmöglichkeiten ein Grundrechtsinhaber bei einer Verletzung seiner Grundrechte im Vergabeverfahren herleiten können soll, sind Ausgangspunkt der Debatte die Bestimmungen des Art. 19 Abs. 4 einerseits und Art. 20 Abs. 3 andererseits. Ähnlich der oben unter . . . dargestellten Diskussion um die Frage der Fiskalgeltung ist nämlich in Bezug auf Art. 19 Abs. 4285 umstritten, ob diese Rechtsschutzgarantie auch für „fiskalisches“ staatliches Handeln gilt. Während die Anwendbarkeit der Rechtsschutzgarantie teilweise bejaht wird286, sind nicht wenige Autoren der Ansicht, „die eigentliche fiskalische Verwaltung“ übe keine „öffentliche Gewalt“ i. S. d. Art. 19 Abs. 4 aus287, wobei nicht immer klar ist, ob Pietzcker (o. Fn. 276), JZ 1989, 307 f. Dazu Dörr (o. Fn. 212), DÖV 2001, 1014 (1020). 282 Vgl auch Furtwängler (o. Fn. 208), S. 155. 283 Wallerath (o. Fn. 210), S. 326. 284 Wallerath (o. Fn. 210), S. 326. 285 Generell gilt Art. 19 IV GG zwar nach h. M. auch für den Schutz einfacher subjektiver Rechte; insoweit hat aber der Gesetzgeber die Gewährung und den Ausschluss subjektiver Rechte in der Hand, bis hin zur Grenze der Grundrechte (Gerhard Leibholz u. a., Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Kommentar an Hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 7. Aufl. (2003), Art. 19 Rn. 331). Eine wirkliche verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie enthält Art. 19 IV also nur in Verbindung mit den materiellen Grundrechten. 286 v. Münch / Kunig (o. Fn. 197), Art. 19 (Krebs), Rn. 54; Dieter Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie (1973), S. 90 f.; Walthelm (o. Fn. 197), S. 193. Binder (o. Fn. 210), ZZP 113 (2000), 204: herrschende Lehre. 287 Bruno Schmidt-Bleibtreu / Franz Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl. (1999), Art. 19 Rn. 240. Vgl. Sachs (o. Fn. 210), Art. 19 (Krüger), Rn. 118; Wolf-Rüdiger Schenke, Die Bedeutung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, JZ 1988, 317, 318. 280 281
II. Grundrechte und öffentliche Auftragsvergabe
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als fiskalische Verwaltung Verwaltung in Privatrechtsform gemeint ist288 oder Verwaltung, die nicht unmittelbar öffentliche Aufgaben erfüllt289. Wird die Einschlägigkeit von Art. 19 Abs. 4 abgelehnt, so soll dies nicht zu einer Einbuße an Rechtsschutz führen: Vielmehr wird dann Rekurs auf den „allgemeinen Justizgewähranspruch“290 aus Art. 20 Abs. 3 GG genommen, der im fiskalischen Bereich an die Stelle des spezielleren Art. 19 trete291 und letztlich das gleiche Rechtsschutzniveau gewährleiste292. Konkret geht es hauptsächlich um die Frage, inwieweit Bieter sich dagegen wehren können, dass durch einen Vertragsschluss vollendete Tatsachen geschaffen werden. In dieser Frage wird unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in beamtenrechtlichen Angelegenheiten293 gern betont, dass allein Schadensersatzansprüche in Geld nicht ausreichten, um dem Interesse zu Unrecht abgewiesener Unternehmen zu genügen294. Vielmehr müssten rechtliche Instrumente zur Verfügung stehen, um das primäre Ziel der betroffenen Bieter, also den Abschluss des Vertrages mit ihnen, zu erreichen. Da andererseits schon aus Drittschutzerwägungen die rechtliche Bestandskraft abgeschlossener Verträge weithin akzeptiert wird295, steht die Notwendigkeit geeigneter Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verhinderung des Vertragsschlusses im Zentrum der Forderungen296.
288 So Hans-Jürgen Papier, § 154: Rechtsschutzgarantie gegen die öffentliche Gewalt, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 2. Aufl. (2001), S. 1233 ff., Rn. 22 unter Verweis auf den Wortlaut („öffentliche Gewalt“). 289 So Maunz / Dürig (o. Fn. 201), Art. 19 Abs. 4 (Schmidt-Aßmann), Rn. 55 ff.; Rn 66 f.: Rechtsform des Handelns nur für Rechtsweg etc. entscheidend. Dagegen Jarass / Pieroth (o. Fn. 224), Art. 19 Rn. 29. 290 Dazu allgemein Wilhelm Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht: Zum sachlichen Umfang der Zivilgerichtsbarkeit (1970); Hans-Jürgen Papier, § 153: Justizgewähranspruch, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band VI, 2. Aufl. (2001), S. 1221 ff.; Steffen Detterbeck, Streitgegenstand, Justizgewährleistungsanspruch und Rechtsschutzanspruch, AcP 192 (1992), 325. 291 Vgl. Sachs (o. Fn. 210), Art. 19 (Krüger), Rn. 117; Schenke (o. Fn. 287), JZ 1988, 318. 292 Papier (o. Fn. 290), Rn. 12; vgl. Binder (o. Fn. 210), ZZP 113 (2000), 210. 293 Zur Beamtenrechtsrechtsprechung vgl. Michael Ronellenfitsch, Der vorläufige Rechtsschutz im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit, VerwArch 82 (1991), 121. Vgl. neuerdings auch BVerwG 3 C 46 / 02, NZBau 2003, 571 (2. 7. 2003) zu einem verfassungsunmittelbaren Informationsanspruch aus Art. 12 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG für den Fall eines behördlichen Linienverkehrs-Genehmigungsverfahrens. 294 Hermes (o. Fn. 210), JZ 1997, 914; Vgl. allgemein Lorenz (o. Fn. 286), S. 136 ff., S. 276 f. 295 Vgl. nur Dörr (o. Fn. 212), DÖV 2001, 1018; Hermes (o. Fn. 210), JZ 1997, 914. 296 Hermes (o. Fn. 210), JZ 1997, 914.; Schenke (o. Fn. 287), 324 f.
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
4. Die Position der Rechtsprechung Die Rechtsprechung, insbesondere die Zivilgerichtsbarkeit, nimmt in der Frage der Fiskalgeltung lange Zeit eine unentschiedene Position ein. Das Abgrenzungskriterium der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben setzt sich zwar zwischenzeitlich insofern durch, als die Grundrechtsbindung bei Erfüllung öffentlicher Aufgaben auch in den Formen des Privatrechts bald anerkannt ist297. Offen bleibt hingegen lange die weitergehende Frage nach der Bindung in den Fällen des im Sinne der Aufgabenlehre fiskalischen Handelns298. Hierbei nutzen die Gerichte die Tatsache, dass die Wirkung der Grundrechte sowohl nach der Lehre von der unmittelbaren Fiskalgeltung als auch unter Zugrundelegung bloß mittelbarer Anwendbarkeit in erster Linie über die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts wirken sollen. Wenn es dann etwa heißt, auch der Fiskus sei „mehr als ein Privatmann an den Gleichheitssatz . . . gebunden“299, wenn eine Auftragssperre als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betrachtet wird300 oder wenn aus Art. 3 erhöhte Pflichten der öffentlichen Hand im Rahmen des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbotes gefolgert werden301, so läuft dies sachlich auf die Anerkennung der Grundrechtsbindung des Fiskus hinaus302, ohne dass die genaue dogmatische Konstruktion erläutert wird. Erst in neuerer Zeit mehren sich explizite Bekenntnisse der Zivilgerichte zur Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand bei der Auftragsvergabe303 – unter anderem im Kontext der Haftung öffentlicher Auftraggeber aus culpa in contrahendo, worauf später eingegangen werden soll304.
297 BGH V ZR 70 / 57, BGHZ 29, 76 = NJW 1959, 431 = JZ 1959, 405 (10. 12. 1958); Beispiele für direkten Rückgriff: BGH VI ZR 19 / 68, BGHZ 52, 325 = NJW 1969, 2195 = JZ 1970, 176 (23. 9. 1969) (gegen ein staatseigene juristische Person des Privatrechts); BGH III ZR 12 / 83, BGHZ 91, 84 (5. 4. 1984) (gegen eine staatlich beherrschte juristische Person des Privatrechts). 298 Offen insbesondere auch die Position des BGH in BGH KZR 1 / 61, BGHZ 36, 91 = JZ 1962, 176 (26. 10. 1961) (vgl. Schmidt-Bleibtreu / Klein (o. Fn. 287), Art. 1 Rn. 9.); diese Entscheidung wird oft fälschlich als Ablehnung der Grundrechtsbindung bei fiskalischem Handeln aufgefasst (so von Sachs (o. Fn. 210), Art. 1 (Höfling), Rn. 95). Vgl. generell v. Münch / Kunig (o. Fn. 197), Vor Art. 1 – 19 (v. Münch), Rn. 36. 299 BGH VI ZR 251 / 73, NJW 1977, 628 = JuS 1977, 473 (14. 12. 1976). 300 OLG Stuttgart 2 U 55 / 73, WuW 1974, 55 (26. 10. 1973); dazu Volker Emmerich, Anmerkung, JuS 1974, 456. 301 OLG Düsseldorf U (Kart) 8 / 79 (o. Fn. 252). 302 Pietzcker (o. Fn. 252), DÖV 1981, 539 (540) zu OLG Düsseldorf U (Kart) 8 / 79 (o. Fn. 252). 303 Siehe etwa OLG Brandenburg 6 Verg 1 / 99, WuW 1999, 929, 932 f. (3. 8. 1999). 304 Siehe unten Kapitel 4: I. 4. c) .
III. Entwicklung des nationalen Vergaberechts
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III. Entwicklung des nationalen Vergaberechts Das nationale Vergaberecht knüpft nach 1945 zunächst nahtlos an die Tradition an. Erst die unter I. beschriebenen internationalen Entwicklungen führen im Laufe der Zeit zu grundlegenden Änderungen (unten 1.). Das Ergebnis dieses Prozesses ist heute die rechtliche Zweiteilung des öffentlichen Auftragswesens: Für kleinere Aufträge ähnelt die Rechtslage immer noch im Wesentlichen der bereits im ersten Kapitel beschriebenen (unten 2.). Ab Erreichen bestimmter Schwellenwerte hingegen gelten europäisch beeinflusste Sondervorschriften aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (unten 3.). 1. Verdingungsordnungen, haushaltsrechtliche Lösung, Vergaberechtsänderungsgesetz Bereits 1945 nimmt der ehemalige Reichsverdingungsausschuss seine Arbeit wieder auf305. Es bilden sich zwei verschiedene Gremien, nämlich der Deutscher Verdingungsausschuss für Bauleistungen (DVA) für die Fortschreibung der VOB306 sowie der Deutsche Verdingungsausschuss für Leistungen – ausgenommen Bauleistungen – (DVAL) für den Bereich der VOL. Die Besetzung der Ausschüsse ist nach wie vor gemischt aus Vertretern der verschiedenen Interessengruppen. Ihre Ergebnisse geben sie in der Tradition des RVA an das Deutsche Institut für Normung weiter, das die Texte als DIN-Normen veröffentlicht. Es liegt so ein autorisierter Text vor, ohne dass die Verdingungsordnungen als amtliche Texte veröffentlicht werden, wodurch unterstrichen wird, dass sie an für sich keine Verbindlichkeit in irgendeinem Sinne beanspruchen. Entsprechend besteht Urheberrechtsschutz für die Texte307. Punktuell ergänzt werden diese Vergabevorschriften im Laufe der Zeit durch einige bundesgesetzliche Normen, nach den bestimmte Personenkreise bei der Vergabe zu bevorzugen sind308. Begünstigt werden unter anderem Vertriebene (§ 74 BVFG309), Verfolgte (§ 68 BEG)310, und anerkannte Werkstätten für Schwerbehinderte (§ 56 SchwBG311). 305 Gudrun Lampe-Helbig, Die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) und der Bauvertrag, in: Walter Pastor (Hrsg.), Festschrift für Hermann Korbion (1986), S. 249, 250. 306 Vgl. Lampe-Helbig (o. Fn. 305), S. 251 zum organisatorischen Aufbau des DVA. 307 Lampe-Helbig (o. Fn. 305), S. 252. 308 Vgl. Gusy (o. Fn. 210), JA 1989, 30 m. w. N. Praktisch äußert sich die Bevorzugung darin, dass unter mehreren gleich wirtschaftlichen Angeboten einem Begünstigten der Zuschlag bevorzugt zu erteilen ist; das gleiche gilt, wenn sein Gebot nur geringfügig über dem wirtschaftlichsten Angebot liegt. Vgl. etwa Runderlass des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr Nordrhein-Westfalen v. 14. 6. 1976, I / D 2 – 80 – 95 – (24 / 76). 309 Mittlerweile aufgehoben. 310 Vgl. dazu BVerwG VII C 227.57, BVerwGE 7, 89 (6. 6. 1958); BVerwG VIII C 384 / 63, MDR 1965, 536 (5. 10. 1965).
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt sich der Einfluss des Europarechts auf das Vergaberecht in Deutschland bemerkbar zu machen312. Die ersten spezifischen Vergaberechtsrichtlinien der damaligen EWG werden durch inhaltliche Änderung der Verdingungsordnungen umgesetzt313. Bei diese Methode bleibt es auch in Bezug auf die später folgenden Änderungen und Erweiterungen der Richtlinien. Dabei wird eine minimalistische Umsetzungstaktik verfolgt, nach der europarechtliche Vorgaben nur im Rahmen des unbedingt erforderlichen übernommen werden. Dies führte zu einer grundlegenden Verkomplizierung der Verdingungsordnungen: Da das europäische Recht nach Kategorien von Auftraggebern und Auftragswerten unterscheidet, werden die einheitlichen Verdingungsordnungen in mehrere Abschnitte unterteilt, deren Anwendbarkeit von den genannten Kriterien abhängt314. Heute enthält Abschnitt 1 der VOB bzw. der VOL so genannte „Basisparagraphen“, die das Vergabeverfahren in den Bereichen regeln, die von europäischen Vorgaben noch nicht erfasst sind. Die Abschnitte 2 und 3 enthalten jeweils die Basisparagraphen mit zusätzlichen, auf europarechtlichen Vorgaben beruhenden Bestimmungen. Abschnitt 4 enthält für bestimmte Fälle eigene, nicht auf den „Basisparagraphen“ aufbauende Vorschriften. Als abzusehen ist, dass der Europäische Gerichtshof die Umsetzung der bewusst bieterschützenden EG-Richtlinien durch bloße Verwaltungsvorschriften nicht mehr akzeptieren würde315, findet mit der so genannten „haushaltrechtliche Lösung“ 1993 eine erste massive Umgestaltung des vergaberechtlichen Systems statt. Das Gesetzgebungsvorhaben verfolgt ein merkwürdiges Ziel: Es will einerseits das Vergaberecht auf eine formell-gesetzliche Grundlage stellen und die Beschaffungsstellen rechtlich zur Einhaltung der Vergabebestimmungen verpflichten. Gleichzeitig soll das Entstehen von „subjektiven Rechten“, also einklagbaren Rechtspositionen der Bieter, explizit verhindert werden316. Die „haushaltsrechtliche Lösung“ fügt neue Vorschriften ins Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) ein, und zwar die §§ 57a bis 57c317. Die Vorschriften betreffen Heute § 141 SGB IX. Über die Entwicklung des Vergaberechts unter europäischem Einfluss geben die folgenden Darstellungen einen guten Überblick: Siegfried Broß, Ausgewählte Probleme des Vergabewesens der öffentlichen Hand – dargestellt vor allem für die Vergabe von Bauaufträgen –, VerwArch 84 (1993), 395; ders., Das Vergabewesen der öffentlichen Hand im Spannungsfeld des Europäischen Rechts – eine Zwischenbilanz, VerwArch 88 (1997), 521; ders, Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vergabe öffentlicher Aufträge, VerwArch 91 (2000), 133; Hans-Joachim Prieß, Das Öffentliche Auftragswesen in den Jahren 1992 und 1993, EuZW 1994, 487; ders., Das Öffentliche Auftragswesen im Jahre 1996, EuZW 1997, 391; ders., Das Öffentliche Auftragswesen in den Jahren 1997 und 1998, EuZW 1999, 196; ders., Das Vergaberecht in den Jahren 1999 und 2000, EuZW 2001, 365. 313 Boesen (o. Fn. 52), Rn. 133, 135. 314 Siehe unten S. 146; näher Boesen (o. Fn. 52), Rn. 135. 315 Siehe Gerd Motzke u. a. (Hrsg.), Beck’scher VOB-Kommentar: Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil A (2001), Syst II (Pietzcker), Rn. 24, insbes. Fn. 26. 316 Bundestags-Drucksache 12 / 4636, S. 12 (25. 3. 1993). 311 312
III. Entwicklung des nationalen Vergaberechts
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lediglich Aufträge, die die in den EG-Vergaberichtlinien seinerzeit geltenden Schwellenwerte erreichen. Verbunden mit der HGrG-Novelle ist der Erlass zweier Verordnungen über Vergabebestimmungen und die Nachprüfung von Vergabeentscheidungen318. Dieses Paket hat drei wesentliche Folgen. Zunächst werden Bundes- und Landesbehörden sowie die Kommunen durch Gesetz und Verordnung, und nicht wie früher durch Verwaltungsvorschrift, auf die Einhaltung der Verdingungsordnungen verpflichtet319. Zum zweiten werden analog den zu Grunde liegenden EG-Bestimmungen erstmals auch bestimmte private Unternehmen mit Sonderrechten dem Vergaberecht unterstellt. Und schließlich wird ein formelles Nachprüfungsverfahren eingerichtet, das benachteiligte Bieter in Gang setzen konnten und das die Korrektur fehlerhafter Entscheidungen im Vergabeverfahren vorsieht. Es findet vor gerichtsähnlichen Verwaltungsbehörden statt, den Vergabeprüfstellen und Vergabeüberwachungsausschüssen. Diese „Lösung“ geht den einen zu weit, den anderen nicht weit genug320. Befürworter eines starken Rechtsschutzes für Bieter kritisieren das Fehlen gerichtlichen Rechtsschutzes321, während dessen Gegnern – die angesichts des Europarechts allerdings auf recht verlorenem Posten kämpften – ein verwaltungsinternes formelles Nachprüfungsverfahren zwar vielleicht lieber ist als eine gerichtliche Kontrollmöglichkeit, aber im Grunde doch auch schon zuviel ist. Äußerst unbefriedigend wird die Situation, als ordentliche Gerichte beginnen, außerhalb des verwaltungsinternen Nachprüfungssystems Rechtsschutz für unterlegene Bieter zu gewähren322. 317 Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes v. 26. 11. 1993, BGBl. I, 1928. 318 Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge v. 22. 2. 1994, BGBl. I, 321 (geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung v. 29. 9. 1997, BGBl. I, 2384), im Folgenden: VgV 1994; Verordnung über das Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge v. 22. 2. 1994, BGBl. I, 324. 319 §§ 1 ff. VgV 1994. 320 Generell zur haushaltsrechtlichen Lösung: Arnold Boesen, Der Rechtsschutz des Bieters bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, NJW 1997, 345; Michael Brenner, Die Umsetzung der Richtlinien über öffentliche Aufträge in Deutschland, in: Jürgen Schwarze / Peter-Christian Müller-Graff (Hrsg.), Das öffentliche Auftragswesen in der EG (1996), S. 23; Broß (o. Fn. 312), VerwArch 84 (1993), 395; ders. (o. Fn. 312), VerwArch 88 (1997), 521; Meinrad Dreher, Perspektiven eines europa- und verfassungskonformen Vergaberechtsschutzes, Konsequenzen des EuGH-Urteils vom 11. 8. 1995 für das deutsche vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren, NVwZ 1996, 345; Egon H. Schlenke / Peter Thomas, Verpflichtung formell privater Gesellschaften der öffentlichen Hand zur Anwendung des öffentlichen Vergaberechts, BauR 1997, 412; zum Rechtsschutz: Petra Schmitt, Der Rechtsschutz des Bieters im Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe (2002), S. 42 ff.; Friedrich Arndt Schumacher, Rechtsschutz im öffentlichen Auftragswesen (1998); Michael-Jürgen Werner, Öffentlichrechtliche und zivilrechtliche Folgen bei einer Verletzung der Vergabevorschriften durch öffentliche Auftraggeber, WuW 1996, 875; Markus Lötzsch / Helmerich Bornheim, Zivilrechtliche Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung der neuen Vergabevorschriften der VOB / A durch private Auftraggeber, NJW 1995, 2134. 321 Siehe z. B. Hans-Joachim Prieß, ubi ius, ibi remedium!, EuZW 1995, 793.
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahre 1995 bestätigt, dass die Umsetzung der Vergaberichtlinien vor der haushaltsrechtlichen Lösung in der Tat nicht europarechtskonform gewesen ist323. Ob die haushaltsrechtliche Lösung selbst mit Europarecht vereinbar ist oder nicht, wird hingegen nie vom EuGH entschieden. Die entscheidende und in der Literatur heftig diskutierte Frage lautet324: Genügen die Nachprüfungsverfahren vor relativ unabhängigen Verwaltungsbehörden den Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie 325, oder forderte das europäische Vergaberecht die Schaffung von „subjektiven Rechten“ der Bieter im Sinne des deutschen Verwaltungsrechts326, was zur Folge hätte, das Gerichte i. S. d. Art. 92 GG letzten Endes zu entscheiden hätten? Die Tatsache, dass der EuGH den Vergabeüberwachungsausschuss des Bundes als vorlageberechtigtes Gericht i. S. d. Art. 234 EG anerkennt327, spricht eher dafür, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten nach der haushaltsrechtlichen Lösung vor dem Europarecht Bestand gehabt hätten328. Kritik der Kommission329 sowie der US-amerikanischen Regierung330 an der unübersichtlichen und intransparenten Gestaltung des deutschen Vergaberechts bewegt dennoch den Bundesgesetzgeber, eine völlige Neuordnung der Vergabegrundsätze in Angriff zu nehmen. 322 Z. B. KG Kart U 7605 / 94 (o. Fn. 154 ; Anmerkung dazu: Horst Eidenmüller, Einstweiliger Rechtsschutz und europäisches Vergaberecht, EuZW 1995, 632; hierzu auch Prieß (o. Fn. 321), Schumacher (o. Fn. 320), S. 116 ff.); KG Kart. W 3295 / 95, EuZW 1996, 30 (31. 5. 1995); LG Hannover 21 O 38 / 97 (Kart) , WuW 1997, 73 (17. 4. 1997); LG Hannover 21 O 129 / 97 (Kart), WuW 1998, 322 (6. 11. 1997); vgl. Motzke (o. Fn. 315), Syst II (Pietzcker), Rn. 40 ff. 323 EuGH Rs. C-433 / 93 (o. Fn. 91). 324 Zu anderen Fragen, die teilweise auch die haushaltsrechtliche Lösung überdauerten, siehe Boesen (o. Fn. 320), NJW 1997, 345. 325 So beispielsweise Kay Hailbronner, Europarechtliche Aspekte der Vergabe öffentlicher Aufträge, RIW 1992, 553; Eidenmüller (o. Fn. 322), EuZW 1995, 633. 326 So beispielsweise Boesen (o. Fn. 52), Einleitung Rn. 144. 327 EuGH Rs. C-54 / 96 (o. Fn. 182); hierzu Kamann / Sennekamp (o. Fn. 161), JuS 1999, 438 ff. 328 Anders aber beispielsweise Boesen (o. Fn. 52), Einl. Rn. 144. 329 Boesen (o. Fn. 52), Einl. Rn. 146. 330 Jan Byok, Das neue Vergaberecht, NJW 1998, 2774, 2775. Hintergrund der amerikanischen Beschwerden war die fragwürdige Behandlung amerikanischer Unternehmen bei Beschaffungen im Elektrizitätssektor. Hier traten auch die Mängel des Rechtsschutzes deutlich hervor; für einen prominenten Fall siehe KG Kart U 7605 / 94 (o. Fn. 154)). Vor dem Hintergrund andauernder Probleme war dieser Fall Anlass für den US-Handelsbeauftragten, ein formelles Verfahren nach Titel VII des „Omnibus Trade an Competitiveness Act“ von 1988 einzuleiten, um das „auffällige Muster der Diskriminierung“ („significant pattern or practice of discrimination“) bei der Vergabe in Deutschland zu untersuchen. Das Verfahren, das zu Sanktionen gegen Deutschland bzw. die EG hätte führen können, wurde ausgesetzt, sobald die deutsche Regierung ernsthafte Bemühungen zur Verbesserung der Situation unternahm, indem sie das VgRÄG vorschlug. Siehe hierzu John A. Ordway, International Procurement, International Law 31 (1996), 427 f.; ders., International Procurement, International Law 32 (1998), 313, 315 f.
III. Entwicklung des nationalen Vergaberechts
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Entsprechend tritt am 1. 1. 1999 das Vergaberechtsänderungsgesetz (VgRÄG) in Kraft331. Das Vergaberechtsänderungsgesetz integriert die Grundsätze des Vergaberechts in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen332. Der wesentliche materielle Gehalt des neuen Gesetzes steht auf Grund der europarechtlichen Determinierung und der vorhergegangenen Diskussion fest. Im Geltungsbereich der neuen Regelungen (der wiederum auf Aufträge beschränkt ist, die die Schwellenwerte der Vergaberichtlinien erreichen) wird ein Anspruch der Bieter auf Einhaltung des Vergaberechts, mithin ein subjektives Recht der Bieter, kompromisslos anerkannt. Prozessual folgt das VgRÄG dem Entwurf des Wirtschaftsministeriums darin, die Nachprüfung erstinstanzlich innerhalb der Verwaltung zu belassen, dann jedoch eine echte gerichtliche zweite Instanz zu schaffen. Des Weiteren legt das Gesetz die Grundsätze des Vergabeverfahrens fest, folgte aber für die Einzelheiten dem Vorbild der haushaltsrechtlichen Lösung: Über eine Verordnungsermächtigung und die darauf beruhende Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV)333 werden die bestehenden Verdingungsordnungen, mittlerweile ergänzt um eine Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF)334, inkorporiert335.
331 Gesetz v. 26. 8. 1998, BGBl. I, S. 2512. Generell zum VgRÄG siehe in erster Linie Jost Pietzcker, Die neue Gestalt des Vergaberechts, ZHR 162 (1998), 427; ferner Andrés Martin-Ehlers, Die Novellierung des deutschen Vergaberechts, EuR 1998, 648; Arnold Boesen, Das Vergaberechtsänderungsgesetz im Lichte der europarechtlichen Vorgaben, EuZW 1998, 551; Joachim Braun, Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge, BB 1999, 1069; Jan Byok (o. Fn. 330); Cornelia Erdl, Der neue Vergarechtsschutz (1999); Jochem Gröning, Die Grundlagen des neuen Vergaberechtsschutzes, ZIP 1999, 52; Kai-Uwe Schneevogl / Lutz Horn, Das Vergaberechtsänderungsgesetz, NVwZ 1998, 1242; Georg Sturmberg, Neues Vergaberecht – deutlich verbesserter Bieterschutz, BauR 1998, 1063; Hinrich Thieme / Cathrin Correll, Deutsches Vergaberecht zwischen nationaler Tradition und europäischer Integration, DVBl. 1999, 884; Eckhard Pache, Der Staat als Kunde – System und Defizite des neuen deutschen Vergaberechts, DVBl. 2001, 1781; zum Rechtsschutz: Schmitt (o. Fn. 320), S. 73 ff.; Cornelia Erdl, Vergaberecht im Wandel – Auswirkungen auf Schadensersatzansprüche, in: Klaus Vygen / Christian Sienz (Hrsg.), Baurecht im Wandel: Festgabe für Steffen Kraus (2003), S. 285 ff. 332 §§ 97 ff. Zur Diskussion um den systematisch richtigen Standort des Vergaberechts siehe beispielsweise Fritz Rittner, Das deutsche öffentliche Auftragswesen im europäischen Kontext, NVwZ 1995, 313, 315. 333 Verordnung v. 9. 1. 2001, BGBl. I, 110 (dazu Thomas Ax, Die neue Vergabeverordnung (Entwurf) – Auswirkungen der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge für die Bau-Vergabepraxis, BauR 2000, 471; Rüdiger Kratzenberg, Die Neufassung der Vergabeverordnung, NZBau 2001, 199); mittlerweile ersetzt durch Neufassung v. 11. 2. 2003, BGBl. I, 169. 334 Aktuelle Fassung: Bekanntmachung v. 26. 8. 2002, Bundesanzeiger Nr. 203a v. 30. 10. 2002. Vgl. Stefan Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe (VOB / VOL / VOF), 2. Aufl. (2001), S. 11 f.; Boesen (o. Fn. 52), Einleitung Rn. 140. 335 Die VOB wird künftig in „Vertrags- und Vergabeordnung für Bauleistungen“ umbenannt werden; siehe http: //www.bmvbw.de/Archiv-.404.3645/Vergabe-und-Vertragsordnungfuer-Bauleistungen-VOB.htm. Hier wird der Einfachheit halber weiter von „Verdingungsordnungen“ gesprochen.
9 Adam
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
Die heutige Gestalt des nationalen Vergaberechts ist als Ergebnis dieser Entwicklung zweigeteilt336. 2. Auftragsvergabe nach öffentlichem Haushaltsrecht Auf der Basis von § 30 HGrG, § 55 Abs. 2 BHO und vergleichbaren Regelungen in den Ländern, in letzteren mittlerweile zum Teil auch auf Grund von formellen Landesgesetzen sind praktisch alle Bundes-, Landes- und Gemeindebehörden durch Verwaltungsanweisung bzw. Rechtsverordnung verpflichtet, bei der Beschaffung die VOB / A und der VOL / A anzuwenden337 – und zwar den jeweiligen Abschnitt 1 mit den dort enthaltenen so genannten „Basisparagraphen“338. Was den sachlichen Anwendungsbereich angeht, so deckt die VOB den Bereich der Bauleistungen ab339, während die VOL alle Lieferungen und Leistungen betrifft, die nicht entweder in den Anwendungsbereich der VOB fallen oder die im Rahmen freiberuflicher Tätigkeit bzw. im Wettbewerb mit freiberuflich Tätigen angeboten werden340. Für den letzteren Bereich, also etwa Angelegenheiten der Rechtsberatung, gibt es keine haushaltsrechtlichen Ausschreibungsvorschriften. 336 Neuerdings wird von Seiten des Bundes überlegt, im Zusammenhang mit der Umsetzung des EU-Legislativpaktes von 2004 (oben unter Kapitel 3: I. 2. e) die derzeitige komplizierte Struktur des Vergaberechts zu vereinfachen und zu verschlanken; vgl. dazu den Bericht der Arbeitsgruppe zur Verschlankung des Vergaberechts v. 5. 12. 2003, NZBau 2004, 141 ff., sowie den darauf fußenden Kabinettsbeschluss „Eckpunkte für eine Verschlankung des Vergaberechts“ v. 12. 5. 2004, im Internet einzusehen unter http: //www.bmwa.bund.de/Navigation/Wirtschaft/Wirtschaftspolitik/oeffentliche-auftraege.html (hierzu siehe auch NZBau 2004, 374). 337 Vgl. Boesen (o. Fn. 52), Rn. 131. Soweit diese Vorschriften innerhalb einer juristischen Person des Privatrechts angewandt werden, stellen sie sich als „interne Weisungen über die Ausübung der Privatautonomie“ dar (Kunert (o. Fn. 206), S. 59 unter Zitat von Imboden). Teilweise gehen sie aber darüber hinaus: Die Rechtsverordnungen und Gesetze der Länder, die auch den Gemeinden die Anwendung der Verdingungsordnungen vorschreiben, haben mehr als interne Wirkungen. Als Beispiel für eine formellgesetzliche Regelung auf Landesebene siehe etwa § 2 des Niedersächsischen Landesvergabegesetzes v. 2. 9. 2002, Nds. GVBl., S. 370. 338 Aktuelle Fassungen: Bekanntmachung der VOB v. 12. 9. 2002, Bundesanzeiger Nr. 202a v. 29. 10. 2002 (dazu Rüdiger Kratzenberg, Der Beschluss des DVA-Hauptausschusses zur Neuherausgabe der VOB 2002 (Teile A und B), NZBau 2002, 177); Bekanntmachung der VOL v. 17. 9. 2002, Bundesanzeiger Nr. 216a v. 20. 11. 2002. – In manchen Ländern, etwa in Niedersachsen (§ 2 Abs. 1 des Landesvergabegesetzes, o. Fn. 337), sind unterhalb der Schwellenwerte neben den Basisparagraphen der Verdingungsordnungen zusätzlich die §§ 97 Abs. 1 – 5, sowie 98 bis 101 GWB sowie die Vergabeverordnung (hierzu unten Kapitel 3: III. 3.) entsprechend anzuwenden; siehe auch Gerhard von Loewenich, Überlegungen zur Vereinbarkeit der Landesvergabegesetze von Niedersachsen und Bremen mit dem Grundgesetz, ZfBR 2004, 23. 339 § 1 VOB formuliert knapp: „Bauleistungen sind Arbeiten jeder Art, durch die eine bauliche Anlage hergestellt, instandgehalten, geändert oder beseitigt wird.“ 340 Zur näheren Bestimmung verweist Fn. 1 zu § 1 VOL / A auf die Aufzählung freiberuflicher Tätigkeiten aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
III. Entwicklung des nationalen Vergaberechts
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Zentral für die Frage des Rechtsschutzes im Vergabeverfahren sowohl im Hinblick auf den Rechtsweg als auch im Hinblick auf materiellrechtliche Ansprüche ist nach wie vor die Tatsache, dass am Ende der Ausschreibung nach völlig überwiegender Ansicht der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages steht341. Zwar ist diese Qualifikation heute vielleicht nicht mehr „ebenso unbestritten wie vor einhundert Jahren“342, aber insbesondere in der Rechtsprechung sieht sie sich keinen ernsthaften Zweifeln ausgesetzt.
a) Vergabeverfahren Das Vergabeverfahren nach den Basisparagraphen von VOB und VOL entspricht (mit Änderungen im Detail) weitgehend der bereits beschriebenen Rechtslage nach der Urfassung der Verdingungsordnungen. Nach wie vor stehen als Formen des Vertragsschlusses die Verfahren der öffentlichen Ausschreibung, der beschränkten Ausschreibung und der freihändigen Vergabe zur Verfügung. Öffentliche Ausschreibung muss immer stattfinden, „wenn nicht die Eigenart der Leistung oder besondere Umstände eine Abweichung rechtfertigen“343. Der beschränkten Ausschreibung kann nach den jüngeren Fassungen der Verdingungsordnungen gegebenenfalls ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vorangehen, an dem alle interessierten Unternehmen sich um Berücksichtigung in der Ausschreibung bewerben können344. Wird so verfahren, ist die beschränkte Ausschreibung der öffentlichen Ausschreibung in Bezug auf Offenheit, Transparenz und Wettbewerbsfreundlichkeit kaum unterlegen. Die VOL / A verlangt die Durchführung eines solchen Wettbewerbes allgemein, sofern er zweckmäßig ist345. Die beschränkte Ausschreibung darf generell gewählt werden, wenn die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung unverhältnismäßig aufwendig oder aus anderen Gründen (wie Dringlichkeit oder Geheimhaltung) unzweckmäßig ist sowie dann, wenn eine tatsächlich durchgeführte öffentliche Ausschreibung ohne annehmbares Ergebnis geblieben ist346. Kommt wegen der Eigenart der Leistung von vornherein Vgl. Motzke (o. Fn. 315), Syst V (Motzke), Rn. 1. So aber Jost Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns (1978), S. 362; siehe auch Fritz Rittner, Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze des öffentlichen Auftragswesens (1988), passim, insbes. Rn. 19; Kempen (o. Fn. 251), S. 124. Differierend und teilweise für öffentlich-rechtliche Einordnung Volker Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner (2000), S. 148 ff. Zur Qualifizierung siehe auch Manfred Zuleeg, Die Anwendungsbereiche des öffentlichen Rechts und des Privatrechts, VerwArch 73 (1982), 384; Wassilios Skouris, Der Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Unterscheidung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht, EuR 1998, 111, 113. 343 § 3 Nr. 2 VOB / A; § 3 Nr. 2 VOL / A. 344 § 3 Nr. 1 Abs. 2 Hs. 2 VOB / A; § 3 Nr. 1 Abs. 4 VOL / A. 345 § 3 Nr. 1 Abs. 4 VOL / A. 346 § 3 Nr. 3 Abs. 1 VOB / A; § 3 Nr. 3 lit. b – d VOL / A. 341 342
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
nur ein beschränkter Kreis von Unternehmen in Betracht, so erlaubt die VOL / A ebenfalls die beschränkte Ausschreibung347; die VOB / A verlangt in diesem Falle, der beschränkten Ausschreibung einen öffentlichen Teilnahmewettbewerb vorzuschalten348. Freihändig, also ohne förmliches Verfahren, dürfen Auftraggeber einen Auftrag nach wie vor nur in bestimmten Ausnahmesituationen vergeben, etwa dann, wenn nach erfolgloser Durchführung einer Ausschreibung ein erneutes förmliches Verfahren keinen Erfolg verspricht, wenn sowieso nur ein einziger Unternehmer (beispielsweise wegen Patentschutzes) in Betracht kommt, oder (nur nach der VOL / A) in Bagatellfällen 349. Die VOL / A verlangt, soweit zweckmäßig, auch hier einen öffentlichen Teilnahmewettbewerb durchzuführen350. Ausschreibungen beginnen mit einer Vergabebekanntmachung, die zivilrechtlich als „Einladung zur Offertenabgabe“351 (invitatio ad offerendum) noch keine Bindungen nach den §§ 145 ff. hervorruft. Angebote im Sinne des BGB sind hingegen die von den Unternehmen eingereichten Gebote352. Aus den §§ 145, 147 BGB i. V. m. der Bezugnahme des Gebotes auf die Ausschreibungsunterlagen ergibt sich, dass die Bieter an ihre Gebote gebunden sind: Der Bieter macht sich die Fristsetzung des Auftraggebers353 zu eigen, so dass sie nach § 148 BGB gilt und § 147 BGB verdrängt ist354. Um die Bindung einseitig zu lösen, kann der Bieter sein Angebot auch vor Annahme nur nach den allgemeinen Regeln und Voraussetzungen anfechten355. Ist die Bindungsfrist zu lange, tritt nur Bindung entsprechend den Umständen nach § 147 Abs. 2 BGB ein, die gewöhnlich jedenfalls nicht länger geht als die Regelfrist nach den VOB und VOL356; darüber hinaus kann man nämlich nicht davon ausgehen, dass sich Bieter die Fristsetzung zu eigen machen. § 3 Nr. 3 lit. a VOL / A. § 3 Nr. 3 Abs. 2 VOB / A. 349 Siehe im Einzelnen § 3 Nr. 4 VOB / A; § 3 Nr. 4 VOL / A. 350 § 3 Nr. 1 Abs. 4 VOL / A; vgl. auch § 4 VOL / A. 351 Kunert (o. Fn. 206), S. 58. 352 Kunert (o. Fn. 206), S. 58. 353 Zur AGB-Kontrolle der Bindungsfrist OLG Köln 13 U 172 / 81, S / F / H Nr. 4 zu § 19 VOB / A 1973 (21. 4. 1982); OLG Nürnberg 3 U 84 / 79, S / F / H Nr. 2 zu § 10 Nr. 3 AGBG (29. 1. 1980). 354 OLG Düsseldorf 23 U 121 / 78, BauR 1980, 65, 66 (19. 12. 1978). Nicht zutreffend dagegen Heiko Höfler, Bedeutung der Zuschlags- und Bindefrist für das Vergabeverfahren nach der VOB / A, BauR 2000, 963, 967: Die Bindefrist setze zu ihrem Zustandekommen übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Über die Bindung an sein Angebot entscheidet immer einseitig der Bieter; daher ist er auch nicht gehindert, eine andere Bindungsfrist festzussetzen als vom Auftraggeber gewünscht (siehe etwa den Fall von BGH X ZR 248 / 02, WuW 2004, 341, 342 (28. 10. 2003). Eine andere Frage ist dann, ob der Auftraggeber ein solches Angebot annehmen darf (dies nicht grundsätzlich ablehnend BGH WuW 2004, 342 f.). 355 Vgl. BGH VII ZR 188 / 84, NJW-RR 1986, 569 (19. 12. 1985) (Anfechtung während der Bindefrist erklärt, aber mangels Anfechtungsgrundes wirkungslos). 347 348
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Die Entscheidung des Auftraggebers, den Zuschlag einem bestimmten Unternehmen zu erteilen, stellt sich zunächst dar als „interner Willensbildungsakt der Behörde, wie bei einer privaten Kapitalgesellschaft etwa“357. Für einen wirksamen Vertragsschluss ist es nötig, dass dem ausgewählten Bieter die Entscheidung mitgeteilt und so die Annahme seines Angebotes358 erklärt wird. Für den Zugang ist nach § 130 BGB erforderlich, dass die Erklärung mit Wissen und Willen des Auftraggebers in den Verkehr gelangt359. Wird der Zuschlag unter Abänderungen erteilt, so gilt dies als Ablehnung verbunden mit einem neuen Angebot (§ 150 BGB; vgl. 28 Nr. 2 Abs. 2 VOB / A360) oder aber als unbeschränkte Annahme verbunden mit einem Antrag auf Abänderung des geschlossenen Vertrages (Auslegungsfrage)361. Auch die Zuschlagserteilung nach Ablauf der Zuschlagsfrist stellt ein neues Angebot des Auftraggebers dar, das der Annahme bedarf362. Durch Vereinbarung zwischen dem Auftraggeber und dem betroffenen Bieter kann die Bindungsfrist auch nach ihrem Ablauf zivilrechtlich wirksam verlängert werden363. Einer bestimmten Form bedarf die Zuschlags- und Annahmeerklärung gewöhnlicherweise nicht364. Mit Zugang auch einer mündlichen Zuschlagserklärung365 ist OLG Düsseldorf 12 U 91 / 98 BauR 1999, 1288, 1289 (9. 7. 1999). Kunert (o. Fn. 206), S. 58. 358 Ralf Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge (2004), Rn. 580 ff.; Kunert (o. Fn. 206), S. 58. 359 OLG Nürnberg 4 U 3597 / 84 NJW 1986, 437 (18. 9. 1985); eine Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung führt also noch nicht zum Zugang der Zuschlagserklärung und somit zur Wirksamkeit des Vertrages, wenn ein Mitarbeiter des Auftraggebers über die Entscheidung lediglich informiert und nicht den Willen hat, sie zu vollziehen (a. a. O.). 360 Leinemann (o. Fn. 358), Rn. 583. 361 OLG Düsseldorf 21 U 125 / 74 BauR 1975, 340 (18. 2. 1975). Wird ein neues Angebot des Auftraggebers wiederum vom Bieter unter Abänderungen angenommen, so ist immer noch kein Vertrag zustande gekommen, sondern lediglich wieder ein neues Angebot gemacht worden (Leinemann (o. Fn. 358), Rn. 583). 362 BayObLG Verg 1 / 99, WuW 1999, 1037, 1040 f. (21. 5. 1999); das gilt auch dann, wenn die Zuschlagsfrist sich auf Grund unwirksamer, weil zu langer Bemessung im Ergebnis nicht aus den Unterlagen ergibt, sondern aus § 147 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 19 Nr. 2 S. 2 VOB / A (OLG Düsseldorf 12 U 91 / 98 BauR 1999, 1288, 1289 (9. 7. 1999)). Zur konkludenten Annahme durch Beginn der Auftragsausführung siehe Leinemann (o. Fn. 358), Rn. 583. 363 Vgl. BayObLG Verg 1 / 99 (o. Fn. 362), 1041. 364 Leinemann (o. Fn. 358), Rn. 584. 365 Zuschlag ist nur die wirkliche Annahme; Unterzeichnung eines letter of intent über weitere Verhandlungen genügt auch dann nicht, wenn so ein Bieter bereits vorausgewählt wird (OLG Brandenburg 6 Verg 1 / 99 (o. Fn. 303); Wolfgang Jaeger, Die ersten OLG-Entscheidungen zum neuen GWB-Vergaberecht, in: Klaus D. Kapellmann / Klaus Vygen (Hrsg.), Jahrbuch Baurecht 2000 (2000), S. 107, 123 f.); daran ändert sich nichts, wenn eine solche Erklärung über ausschließlich Verhandlungen als „Zuschlag“ bezeichnet wird (OLG Dresden WVerg 5 / 00 BauR 2001, 235 (11. 7. 2000)). 356 357
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ein Vertrag zustande gekommen; wird im Anschluss noch eine schriftliche Urkunde gefertigt, so dient dies nur noch Beweiszwecken366. Die Erteilung des Zuschlags367 kann nicht einseitig „rückgängig“ gemacht werden; nach Vertragsschluss kann der Vertrag nur nach vertragsrechtlichen Grundsätzen beendet werden, etwa durch Kündigung nach § 8 VOL / B368. Die Auswahlentscheidung des Auftraggebers vollzieht sich bei öffentlichen Ausschreibungen nach wie vor in zwei Stufen. Zunächst sind Angebote auszuschließen, die der Ausschreibung nicht entsprechen, die von nicht geeigneten Bietern eingereicht worden sind oder die eine angemessene Ausführung nicht erwarten lassen369. Unter den verbleibenden Angeboten soll nach der VOB / A „der Zuschlag auf das Angebot erteilt werden, das unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte wie z. B. Preis, Ausführungsfrist, Betriebs- und Folgekosten, Gestaltung, Rentabilität oder technischer Wert, als das wirtschaftlichste erscheint. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend.“370
Die VOL / A formuliert weniger ausführlich, enthält aber das gleiche Prinzip371. Im Falle beschränkter Ausschreibung und freihändiger Vergabe gelten die gleichen Grundsätze. Die Eignung der Bieter allerdings wird bereits in einem frühen Stadium, nämlich bei der Auswahl der Anbieter geprüft, die der Auftraggeber zur Angebotsabgabe auffordert bzw. mit denen er Verhandlungen aufnimmt. Später können nur noch nachträglich eingetretene Veränderungen eine Rolle spielen372.
366 BGH VII ZR 174 / 72 BauR 1975, 274, 275 (19. 12. 1974); OLG Nürnberg 4 U 3597 / 84 NJW 1986, 437 (18. 9. 1985). Vgl. auch Leinemann (o. Fn. 358), Rn. 585. Gewillkürte Formerfordernisse (etwa auf Grund entsprechender Angaben in den Unterlagen) sind natürlich möglich; vgl. OLG Nürnberg 4 U 3597 / 84. Siehe auch dort zu „Form“-Erfordernissen aufgrund von kommunalrechtlichen Vorschriften (im konkreten Fall: § 38 Abs. 2 BayGO). 367 Die VOF kennt den Begriff „Zuschlag“ nicht, gleichwohl gibt es eine entsprechende Entscheidung auch hier, wobei (unabhängig von den Formulierungen des Auftraggebers) ein Zuschlag iSd § 114 GWB dann erteilt ist, wenn der Vertrag geschlossen ist. Vgl. OLG Dresden WVerg 5 / 00 (o. Fn. 365). 368 Leinemann (o. Fn. 358), Rn. 770. 369 § 25 Nr. 1, 2 VOB / A; § 25 Nr. 1, 2 VOL / A. 370 § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB / A. Was den Spielraum des Auftraggebers bei der Beurteilung der Angebote angeht, ist die Rechtsprechung immer restriktiver geworden. BGH VII ZR 51 / 84, NJW 1985, 1466 (8. 11. 1984) spricht noch von einem „angemessenen Beurteilungsspielraum“, ähnlich BGH VII ZR 96 / 92, NJW-RR 1994, 284 (14. 10. 1993); vgl. damit BGH X ZR 101 / 97, NJW 2000, 137 (17. 2. 1999): „Die Entscheidung nach § 25 III VOL / A kann ebenso wie nach § 25 Nr. 2 III VOB / A nur auf Kriterien gesetützt werden, die bei der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten bekannt gemacht worden sind“ (NJW 2000, 137). BGH X ZR 30 / 98, WuW 2000, 215, 219 (26. 10. 1999) schließlich bestimmt: „Bei ihrer Bestimmung des annehmbarsten Angebots kann die Bekl. eine Bewertungsprärogative . . . nicht in Anspruch nehmen.“ 371 § 25 Nr. 3 VOL / A. 372 §§ 8 Nr. 4, 25 Nr. 2 Abs. 2 VOB / A.
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Nach § 26 der VOL / A können „Ausschreibungen“ (richtiger wäre wohl: Vergabeverfahren) aufgehoben werden, „a) wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht, b) wenn die Verdingungsunterlagen grundlegend geändert werden müssen, c) wenn andere schwerwiegende Gründe bestehen.“
Die VOL / A erwähnt als weiteren Aufhebungsgrund explizit den Fall, dass eine Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt hat373. Auch die heutigen Fassungen der Verdingungsordnungen legen mit ihrem Wortlaut das Verständnis nahe, dass eine Beendigung des Verfahrens ohne Zuschlagserteilung nur in den angegebenen Fällen möglich sei, dass also m. a. W. Ausschreibungen den Auftraggeber regelmäßig bereits zum Vertragsschluss verpflichten374. Die Frage nach der richtigen Interpretation des § 26 VOB / A hat die Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit Ansprüchen aus culpa in contrahendo beschäftigt und soll daher auch hier in diesem Zusammenhang näher erörtert werden375.
b) Rechtsweg Die grundlegende systematische Entscheidung für die privatrechtliche Qualifikation der Auftragsvergabe hat zunächst in der Frage des Rechtsweges Relevanz. Hier stellt sich nach § 13 GVG i. V. m. § 40 VwGO die Frage, ob es sich bei Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten im Vergabeverfahren um eine bürgerlich-rechtliche oder um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Die frühe Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht ist in dieser Frage noch unsicher und teilweise widersprüchlich. So meint der BGH in einem vielbeachteten und stark kritisierten376 Urteil, für eine Klage auf Widerruf einer durch Verwaltungsvorschrift ausgesprochenen Auftragssperre seien die Verwaltungsgerichte zuständig377. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet genau umgekehrt und meint, Dienstanweisungen in Angelegenheiten der Auftragsvergabe könnten nur vor den ordentlichen Gerichten bekämpft werden378. § 26 Nr. 1 lit. c VOL / A. Vgl. bereits oben Kapitel 1: IV. 1. Siehe aber Motzke (o. Fn. 315), Abschnitt 1 § 26 (Jasper), Rn. 5: „Die in § 26 VOB / A normierte Pflicht, eine Ausschreibung förmlich zu beenden, verpflichtet den Auftraggeber . . . nicht zum Vertragsschluß. . . . Der Auftraggeber macht sich lediglich schadensersatzpflichtig, wenn er den Zuschlag nicht erteilt, ohne daß einer der Aufhebungsgründe vorliegt“. 375 Siehe unten Kapitel 4: I. 4. c). 376 Vgl. Bernd Bender, Der Rechtsweg bei Klagen gegen Auftragssperren der öffentlichen Hand – BGHZ 14, 222 und BVerwGE 5, 325, JuS 1962, 178 m. w. N.; Furtwängler (o. Fn. 208), S. 70. 377 BGH VI ZR 120 / 53, BGHZ 14, 222 (10. 7. 1954). 378 So auch BVerwG II C 109.55, BVerwGE 5, 325 (7. 11. 1957). 373 374
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Der BGH gibt seine Rechtsprechung allerdings bald ausdrücklich auf379, so dass insbesondere in der Frage der Auftragssperren Einigkeit unter den Bundesgerichten besteht380. Zeitweise wird allerdings in der Verwaltungsgerichtsbarkeit381 erwogen, die im Subventionsrecht verwurzelte „Zweistufentheorie“ auch im Bereich der Auftragsvergabe heranzuziehen382. Nach dieser Konstruktion soll das Vergabeverfahren zunächst durch einen Verwaltungsakt beendet werden, der die Grundlage für den (innerhalb einer „juristischen Sekunde“ folgenden) Vertragsschluss darstellt und der vor den Verwaltungsgerichten angefochten werden kann383. Verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz auf dieser Grundlage erwägt die Rechtsprechung vor allem, um die Durchsetzung von Begünstigungsnormen wie § 74 BVFG oder § 68 BEG zu erleichtern384. Gegen die Zweistufentheorie spricht allerdings, dass sie eine realitätsfremde akademische Konstruktion ist und in der Praxis durch die resultierende Rechtswegspaltung vermutlich mehr Probleme verursacht als löst. Wenn nämlich der abschließende Verwaltungsakt verwaltungsgerichtlicher, der Vertrag und seine Wirksamkeit hingegen zivilgerichtlicher Beurteilung unterliegen, so ist beispielsweise völlig unklar, welche Auswirkungen Mängel des Verwaltungsakts auf den Vertrag haben sollen385. Das Bundesverwaltungsgericht lehnt die Anwendung der Zweistufentheorie im Bereich der Auftragsvergabe schließlich durchgängig explizit ab386. Nur für die Klärung abstrakter Fragen in Bezug auf den Inhalt des aus Begünstigungsvorschriften resultierenden „Betreuungsverhältnisses“ soll der Verwaltungsrechtsweg noch offen stehen; für alle Fragen in Verbindung mit einem konkreten Auftrag, insbesondere für Klagen auf Erteilung des Auftrags, sind danach die Zivilgerichte zuständig387. BGH VI ZR 214 / 65, NJW 1967, 1911 (6. 6. 1967). Vgl. noch einmal BVerwG VII C 37.70, DÖV 1973, 244. 381 OVG Münster IV A 312 / 69, DVBl. 1971, 115 (13. 1. 1970). 382 Ingolf Pernice / Stefan Kadelbach, Verfahren und Sanktionen im Wirtschaftsverwaltungsrecht, DVBl. 1996, 1100, 1106: „Denkbar wäre eine der Zweistufentheorie entsprechende Zweiteilung des Auftragsverhältnisses in (öffentlich-rechtliche) Zuschlagserteilung und (privatrechtliche) Vertragsgestaltung.“ 383 Dafür etwa Ferdinand Kopp, Die Entscheidung über die Vergabe öffentlicher Aufträge und über den Abschluß öffentlich-rechtlicher Verträge als Verwaltungsakt?, BayVBl 1980, 609. 384 BVerwG VII C 227.57 (o. Fn. 310). 385 Gusy (o. Fn. 210), JA 1989, 34. Vgl. zu den praktischen Schwierigkeiten nur BGH VII ZR 189 / 61, NJW 1964, 196 (7. 11. 1963); BVerwG 3 C 72.84, BVerwGE 75, 109 (6. 11. 1986). Gegen die Anwendung der Zweistufentheorie auch OVG Berlin VI B 11 / 60, NJW 1961, 2130 (27. 4. 1961); Manfred Zuleeg, Zweistufige Rechtsverhältnisse bei der Vergabe öffentlicher Aufträge?, NJW 1962, 2231; Pietzcker (o. Fn. 328), S. 396; Schlette (o. Fn. 342), S. 154; Furtwängler (o. Fn. 208), S. 68. 386 BVerwG VII C 31.70, DÖV 1973, 244 (10. 11. 1972) (Aufhebung von OVG Münster IV A 312 / 69 (o. Fn 381). 387 BVerwG VIII C 160.60, BVerwGE 14, 65 (8. 3. 1962); BVerwG VIII C 384 / 63, MDR 1966, 536 (5. 10. 1965); BVerwG V C 93 – 98.67, BVerwGE 34, 213 (26. 11. 1969). 379 380
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Bestätigung findet die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte und der Verwaltungsgerichte schließlich in einer Entscheidung des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe des Bundes. Der Gemeinsame Senat geht davon aus, dass entscheidend für die Rechtswegzuweisung nach §§ 13 GVG, 40 Abs. 1 VwGO und 51 Abs. 1 SGG die „Natur des Rechtsverhältnisses“ ist, „aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird“388. Für den Fall der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen durch die Verwaltung heißt das: „Die öffentliche Hand ist . . . auch bei der Auswahl des Vertragspartners für ein fiskalisches Hilfsgeschäft grundsätzlich an das Privatrecht, insbesondere an das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, gebunden. Daneben muß sie auch im fiskalischen Bereich gewisse Bindungen und Schranken beachten, die für Privatpersonen nicht in entsprechender Weise gelten . . . Daneben wird die Auswahl des Vertragspartners regelmäßig durch die hoheitlichen Aufgaben, deren Erfüllung das Geschäfts mittelbar dient, beeinflußt werden. Diese besondere Bindung ändert jedoch nichts an der Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichte . . . “389
Als Folge dieses Beschlusses entscheiden die ordentlichen Gerichte auch dann über Klagen von enttäuschten Bewerbern, wenn diese sich konkret nicht auf zivilrechtliche, sondern auf öffentlich-rechtliche Normen stützen. Denn die Rechtswegfrage ist unabhängig von der materiellen Frage, ob und inwieweit der Staat bei der Auftragsvergabe „öffentlich-rechtlichen, insbesondere grundrechtlichen“ Bindungen unterliegt390; es „haben über derartige öffentl.-rechtl. Bindungen des privatrechtl. Verwaltungshandelns die ordentl. Gerichte . . . mitzuentscheiden“ 391.
c) Ansprüche Ansprüche der Bieter auf Einhaltung der Vergaberegeln sind unterhalb der Schwellenwerte schwer durchzusetzen392. Das hat lange Zeit zwei wesentliche 388 GemS OGB 1 / 85, BGHZ 97, 312, 313 f. (10. 4. 1986). Vgl. BGH VIII ZR 246 / 74, BGHZ 66, 229 (28. 1. 1976); BGH GSZ 2 / 75, 67, 81 (22. 3. 1976); BGH I ZR 34 / 80, 82, 375 (18. 12. 1981). 389 GemS OGB 1 / 85 (o. Fn. 388), 316 f. m. w. N. Vgl. Kritisch zur Begründung Gusy (o. Fn. 210), JA 1989, 33. Vgl. auch BGH KZR 13 / 85, BGHZ 101, 72 (26. 5. 1987). 390 BVerwG VII C 80 / 67, GewArch 70, 285, 286 (13. 3. 1970). 391 BVerwG 7 B 120.89, DÖV 1990, 614 (6. 3. 1990). Vgl. Pietzcker (o. Fn. 328), S. 361: Es „stehen einer Anwendung öffentlich-, privat- und wirtschaftsrechtlicher Rechtssätze auf denselben Lebenssachverhalt keine rechtslogischen Bedenken im Wege. Welche Rechtssätze anwendbar sind, ist dem positiven Recht zu entnehmen.“ Generell zur resultierenden Überlagerung privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Vorschriften Röhl (o. Fn. 246); Friedrich von Zezschwitz, Rechtsstaatliche und prozessuale Probleme des Verwaltungsprivatrechts, NJW 1983, 1873; speziell für den Fall der Auftragsvergabe Walthelm (o. Fn. 197), S. 199 ff. Gegen eine „doppelte“ Bindung des Staates Schachtschneider (o. Fn. 206), S. 260. 392 Vgl. zu Ansprüchen unterhalb der Schwellenwerte umfassend Marion Kraft-Lehner, Subjektive Rechte und Rechtsschutz des Bieters im Vergaberecht unterhalb der EU-Schwellenwerte (2002).
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Gründe: Zum einen betrachten die Gerichte, entsprechend allgemeiner Dogmatik, die nur in Form interner Verwaltungsvorschriften vorliegenden Anweisungen nicht als Rechtsnormen. Zum anderen herrscht die Ansicht vor, die Verdingungsordnungen seien ausschließlich fiskalischen Interessen verpflichtet und bezweckten nicht den Schutz der Bieter393. Das zweite Argument, aus historischer Sicht kaum je verständlich, verliert allerdings nach In-Kraft-Treten des Vergaberechtsänderungsgesetz stark an Boden und spielt in der neueren Rechtsprechung kaum mehr eine Rolle. (1) Deliktische Ansprüche An der fehlenden Rechtsqualität der Verdingungsordnungen bzw. der ihre Anwendung vorsehenden Verwaltungsvorschriften scheitern jedoch auch heute noch namentlich deliktische Ansprüche394. Zu Ansprüchen aus § 823 BGB i. V. m. der Verdingungsordnungen schreibt etwa das OLG Stuttgart noch im Jahre 2002 unmissverständlich: „Die VOB / A ist soweit es, wie hier, um einen öffentlichen Auftrag unter dem Schwellenwert geht, kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Über dem Schwellenwert hat die VOB / A durch den Verweis in § 6 VergabeVO . . . Gesetzesqualität. Im Übrigen ist die VOB / A nach gefestigter Rechtsansicht kein Gesetz sondern bloß eine interne Verwaltungsvorschrift.“395
Im Zuge der allmählichen Hinwendung von Rechtsprechung und Literatur zur Anerkennung von Grundrechtswirkungen im fiskalischen Bereich ist allerdings zunehmend anerkannt, dass die Grundrechte Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 sind396. Über Art. 3 erscheint es damit möglich, dass auch Verstöße gegen die Vergabevorschriften Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 oder Erfüllungsansprüche nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 1004 BGB397 auslösen können. Allerdings sind die genauen Bedingungen hierfür längst nicht geklärt. Wiederum das OLG Stuttgart führt etwa aus:
393 Jost Pietzcker, Die Zweiteilung des Vergaberechts, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts (2000), S. 61, 68 ff.; Faber (o. Fn. 259), DÖV 1995, 410. 394 Anerkannt sind allerdings Ansprüche wegen Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den Fall des „willkürlichen Ausschlusses bzw. der Sperrung eines Bewerbers“ – „nicht aber für die bloße rechtswidrige Nichtberücksichtigung in einem konkreten Vergabeverfahren“, Faber (o. Fn. 259), DÖV 1995, 410 (unter Verweis auf BGH VI ZR 251 / 73, NJW 1977, 628 (14. 12. 1976), sowie Pietzcker (o. Fn. 328), S. 398 Fn. 209); vgl. insbesondere OLG Stuttgart 2 U 55 / 73 (o. Fn. 300). 395 OLG Stuttgart 2 U 240 / 01, WuW 2002, 653, 654 (11. 4. 2000). Ebenso KG Kart. W 3295 / 95 (o. Fn. 322), 31. 396 Siehe oben S. 118); Zuleeg (o. Fn. 210), WiVerw 1984, 120. 397 Dreher (o. Fn. 210), NZBau 2002, 426 f.
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„Anders als die VOB kommt Art. 3 GG als Schutzgesetz i. S. v. § 823 BGB in Frage. Nach umstrittener, vom BGH noch nicht bestätigter, aber heute wohl herrschender Rechtsansicht sind der Staat und die öffentlich-rechtlichen Körperschaften bei der Auftragsvergabe an die Grundrechte, zumindest aber an Art. 3 GG gebunden.“398
Im weiteren Verlauf verneint das Gericht dann aber trotz Verstoßes gegen die VOB eine Verletzung des Art. 3, weil der Auftraggeber gute Gründe für die gegen die Verdingungsordnung verstoßende Annahme des in Frage stehenden Angebotes gehabt habe399. Ausführungen zum Grundsatz der Selbstbindung, nach dem Abweichungen von Verwaltungsvorschriften nicht ohne weiteres möglich sein sollten400, lässt das Urteil vermissen. Ansprüche nach § 826 BGB können Bieter bei Verstößen gegen die Verdingungsordnungen zwar theoretisch wohl geltend machen401, praktisch spielt diese Norm jedoch keine Rolle. In der Tat ist schwer zu sehen, unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen ein Vergaberechtsverstoß sittenwidrig und damit anspruchsbegründend402 sein sollte, wenn der Verstoß an sich nach § 823 Abs. 2 nicht genügt und damit auch den Tatbestand des § 826 schlecht erfüllen kann. (2) Kartellrechtliche Ansprüche Eine durchaus effektive, allerdings nur sehr eingeschränkt anwendbare Möglichkeit zur Durchsetzung von Vergabevorschriften kann sich aus kartellrechtlichen Vorschriften, insbesondere aus dem Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB ergeben. OLG Stuttgart 2 U 240 / 01 (o. Fn. 395), 655. OLG Stuttgart 2 U 240 / 01 (o. Fn. 395), 655. 400 Oben bei Fn. 258 ; Furtwängler (o. Fn. 208), S. 123 f.; Wallerath (o. Fn. 210), S. 442 ff.; vgl. Zuleeg (o. Fn. 210), WiVerw 1984, 123; zur Reichweite (Selbstbindung umfasst auch die Verpflichtung zur Ausschreibung) Faber (o. Fn. 259), DÖV 1995, 408. 401 Joachim Schneider, Zur Verbindlichkeit der Ausschreibungsbedingungen im Bauwesen bei den Vergabeverfahren in den Ländern Bundesrepublik Deutschland, Schweiz und Österreich (1982), S. 152 ff. 402 Wobei wohl nicht nur Schadensersatz-, sondern auch Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche (praktisch also: Erfüllungsansprüche) in Betracht kämen; Zu den verschiedenen dogmatischen Konstruktionen (und allesamt gegen die ursprüngliche, mittelbar-schadensrechtliche Konstruktion) siehe Tilman Bezzenberger, Ethnische Diskriminierung, Gleichheit und Sittenordnung im bürgerlichen Recht, AcP 196 (1996), 428 f. (für „vorbeugenden Anspruch“); Jan Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, (1999), S. 225 ff. (für quasinegatorischen Beseitigungsanspruch); Wolfgang Kilian, Kontrahierungszwang und Zivilrechtssystem, AcP 180 (1980), S. 82 (für quasinegatorischen Unterlassungsanspruch); Hans Carl Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag (1920), S. 96 (für „Naturalprästation“) und im Anschluss daran Franz Bydlinski, Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwanges, AcP 180 (1980), S. 13 („positiver Handlungsanspruch“ auf „Naturalpraestation“). 398 399
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Voraussetzung ist, dass der Auftraggeber, gegen den sich der Anspruch richten soll, als marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann. Wenig problematisch ist hierbei die Tatsache, dass es sich bei den Auftraggebern im allgemeinen um staatliche Behörden oder staatseigene Gesellschaften handelt403; auch sie können prinzipiell unter den Begriff des „Unternehmens“ fallen. Es stellt sich aber die Frage, ob die staatliche Nachfrage als „unternehmerische“ Tätigkeit anzusehen oder ob sie nicht eher dem privaten Konsum zu vergleichen und somit vom Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts auszunehmen ist. Die ganz herrschende Meinung in Deutschland spricht sich heute zwar für die Anwendbarkeit des GWB aus404; ob das vom Zweck des Wettbewerbsrechts und insbesondere von den Intentionen des GWB-Gesetzgebers gedeckt ist, bleibt allerdings fraglich. Ansprüche aus § 20 Abs. 1 GWB setzen ferner voraus, dass der betroffene Auftraggeber eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, in diesem Falle eine beherrschende Stellung als Nachfrager. Entscheidend wird hier regelmäßig die Frage des Marktanteils und somit die Frage nach der sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung405. Ein Markt, auf dem öffentliche Auftraggeber typischerweise eine beherrschende Nachfragestellung einnehmen, ist etwa der Straßenbaumarkt406. Marktbeherrschende Unternehmen dürfen andere Unternehmen (d. h. vor allem die Unternehmen der Marktgegenseite, im Falle der Auftragsvergabe also die Anbieter) nicht ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandeln. Dieses Diskriminierungsverbot nach § 20 Abs. 1 GWB (§ 26 Abs. 2 GWB a. F.) kann beispielsweise marktbeherrschende und ihnen gleichstehende Anbieterunternehmen zur Belieferung anderer Unternehmen verpflichten. Schließt ein Unternehmen regelmäßig Lieferverträge mit einem Kreis von Abnehmen, ab, so verletzt es die Gleichbehandlungspflicht, wenn es den Vertragsschluss ohne hinreichenden Grund verweigert. Aus § 33 GWB folgt, dass das benachteiligte Unternehmen einen Anspruch auf Unterlassung der ungerechtfertigten Diskriminierung hat. Einem solchen Anspruch kann der Marktbeherrscher theoretisch allerdings durch verschiedene Verhaltensweisen begegnen407. Besteht die Diskriminierung beispielsVgl. § 130 Abs. 2 GWB. Vgl. grundlegend Wolfgang Kartte / Wolfgang Mühl, Das öffentliche Auftragswesen in der marktwirtschaftlichen Ordnung, in: FIW (Hrsg.), Wettbewerbsordnung im Spannungsfeld von Wirtschafts- und Rechtswissenschaft, Festschrift für Gunther Hartmann (1976), S. 195; Walter Odersky, Kartellrechtliche Kontrolle des Handelns der öffentlichen Hand, in: Peter Badura / Rupert Scholz (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag (1993), S. 949; Theo H. Schwarz, Die Anwendbarkeit des kartellrechtlichen Unternehmensbegriffes auf die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand, BB 1973, 1283; OLG Düsseldorf U (Kart) 32 / 80, WuW 1981, 811 (14. 4. 1981). 405 Vgl. Motzke (o. Fn. 315), Syst VI (Brinker), Rn. 7 ff. 406 Siehe BGH KVR 23 / 98 (o. Fn. 267), 330 ff. 407 Vgl. Ulrich Immenga / Hans-Joachim Mestmäcker, GWB, § 20 (Markert), Rn. 228; Swen Vykydal, Der kartellrechtliche Kontrahierungszwang (1996), S. 219 f. unter prozessualen Gesichtspunkten. 403 404
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weise in der Weigerung, bestimmte Waren zu liefern, so könnte der Fabrikant nicht nur die Belieferung des Anspruchstellers aufnehmen, sondern ebenso gut die Belieferung vergleichbarer Unternehmen einstellen. Ist allerdings aus dem Verhalten des Anspruchgegners erkennbar, dass er sein Verhalten nicht allgemein ändern will, so bleibt als einziger Weg, dem Gebot des § 20 Abs. 1 zu entsprechen, die Belieferung des Interessenten. So wird aus dem Unterlassungsanspruch mangels Alternative ein Anspruch auf eine bestimmte Handlung, nämlich die Belieferung408. Dieser Anspruch kann je nachdem, wie konkret das Verlangen des Anspruchstellers ist, im Wege der Leistungsklage auf Lieferung oder der Feststellungsklage auf Bestehen einer Lieferpflicht durchgesetzt werden409. Zumindest im erstgenannten Fall richtet sich der Anspruch also eindeutig nicht auf Vertragsschluss, sondern direkt auf die begehrte Leistung410. Wird dieser Anspruch allerdings in schuldhafter Weise nicht erfüllt, so ergibt sich aus § 33 GWB ein Schadensersatzanspruch des ungerechtfertigt ausgeschlossenen Unternehmens.411 Dieser richtet sich nach § 249 auf Herstellung eines Zustandes, wie er bei pflichtgemäßer Belieferung bestanden hätte, und umfasst daher insbesondere den wegen der Liefersperre entgangenen Gewinn. Sofern der Betrag noch nicht konkret überschaubar ist, ist wiederum eine Feststellungsklage zulässig412. Überträgt man diese Grundsätze auf den Fall nachfragemächtiger öffentlicher Auftraggeber, so ergibt sich grundsätzlich ein „kartellrechtlicher Anspruch auf diskriminierungsfreie Vergabe“ aus „§ 33 i. V. m. § 20 Abs. 1 GWB“413. Hinzu 408 Zur Herleitung des Lieferanspruchs aus dem Unterlassungsanspruch siehe Vykydal (o. Fn. 407), S. 215; Immenga / Mestmäcker (o. Fn. 407), § 20 (Markert), Rn. 228. Der BGH hat bislang ausdrücklich offen gelassen, ob er diese Konstruktion akzeptiert (BGH KZR 13 / 78, WuW / E BGH 1587 (8. 5. 1979)). Zwar leitet der BGH den Belieferungsanspruch gelegentlich (so in KZR 13 / 78) in etwas unklarer Weise als Schadensanspruch aus § 35 GWB (heute § 33 GWB) ab. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Annahme (Immenga / Mestmäcker (o. Fn. 407), § 20 (Markert), Rn. 227 f.; Vykydal (o. Fn. 407), 206 f.; Bezzenberger (o. Fn. 402), AcP 196 (1996), 428) erkennt der BGH Lieferpflichten jedoch regelmäßig völlig ohne Rekurs auf die §§ 33 GWB, 249 BGB an, siehe nur BGH KZR 18 / 80, WuW / E BGH 1885 (30. 6. 1981); werden sie verletzt, ist jedoch (selbstverständlich) Schadensersatz möglich (siehe dazu den unmittelbar folgenden Absatz). 409 Instruktiv hierzu BGH KZR 18 / 80 (o. Fn. 408); BGH KZR 35 / 83, WuW / E BGH 2125 (22. 2. 1985). Siehe ferner Vykydal (o. Fn. 407), S. 223 zur Frage, ob auch ein Unterlassungsantrag (naheliegend angesichts der materiellen Herleitung des Lieferanspruchs) möglich sein sollte. 410 BGH KZR 1 / 75, NJW 1976, 801, 803 (20. 11. 1975) spricht in nicht ganz eindeutiger Weise von einer Pflicht, „etwaige zukünftige Aufträge . . . anzunehmen“, dann aber von einer „Lieferpflicht“ und einem „Rechtsverhältnis . . . , aus dem sich ein Lieferanspruch ergeben könnte“. 411 Vgl. nur BGH KZR 1 / 78 WuW / E BGH 1567 (17. 1. 1979) zur „Lieferpflicht und . . . Schadensersatzpflicht für Verletzung einer . . . Lieferverpflichtung); BGH KZR 1 / 75 (o. Fn. 410), 1395 zum Verschuldensmerkmal. 412 Immenga / Mestmäcker (o. Fn. 407), § 20 (Markert), Rn. 229 m. w. N. 413 Motzke (o. Fn. 315), Syst IV (Gröning), Rn. 108.
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kommt hier allerdings eine grundrechtliche Dimension: Das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot wird zunehmend im Lichte von Art. 3 GG ausgelegt414, was zu besonders strengen Anforderungen an öffentliche Auftraggeber führen kann415 – namentlich zu einer Pflicht, die Vorschriften der Verdingungsordnungen zu beachten, um den Anforderungen des § 20 Abs. 1 GWB gerecht zu werden416. So folgert das OLG Düsseldorf bereits im Jahr 1980 aus 26 II GWB a. F. in Verbindung mit Art. 3 GG und § 35 GWB a. F., dass die (damalige) Bundespost verpflichtet sei, gewichtige Aufträge auszuschreiben, den Kläger an Ausschreibungen teilnehmen zu lassen, ihn entsprechend über anstehende Verfahren zu informieren und seine Angebote sachlich zu prüfen417. Abschließend sei allerdings noch einmal betont, dass die Möglichkeit der Durchsetzung von Vergabevorschriften über das Kartellrecht418 Marktbeherrschung durch den Auftraggeber voraussetzt und deswegen nur in relativ wenigen Situationen in Betracht kommt. (3) Ansprüche aus dem UWG Auch Ansätze im Schrifttum, § 1 UWG419 zur Durchsetzung der haushaltsrechtlichen Vergabevorschriften heranzuziehen420, sind in der Praxis bisher letzten EnSo etwa Huber (o. Fn. 210), S. 547. Vgl. OLG Düsseldorf U (Kart) 8 / 79 (o. Fn. 252); dazu Pietzcker (o. Fn. 252), DÖV 1981, 540. 416 So LG Berlin 16 O 600 / 83, WuW 1985, 243 (1. 11. 1983): VOB / A als Maßstab, welche Handlungen des öffentlichen nachfragemächtigen Auftraggebers als ungerechtfertigte Ungleichbehandlung iSd § 26 Abs. 2 GWB a. F. anzusehen sind; LG Hannover 21 O 38 / 97 (Kart) (o. Fn. 322), 640; vgl. Gisbert Kaiser, Kontrahierungszwang des öffentlichen Bauherrn nach dem GWB bei einem Verstoß gegen § 25 VOB / A?, BauR 1978, 196. Zum Verhältnis der VOB / A zur Nachfragemacht Michael Wasle, Berücksichtigung des Problems der Nachfragemacht der öffentlichen Hande im Rahmen der Novellierung der VOB / A, BB 1979, 915. 417 OLG Düsseldorf U (Kart) 8 / 79 (o. Fn. 252), 684 ff. Restriktiver OLG München 24 U 545 / 80, WuW 1982, 243, 246 (26. 2. 1981): Bei verdingungsordnungswidriger Vergabe im Einzelfall nur Schadensersatz in Geld, nur bei andauernder Auftragsverweigerung soll Kontrahierungszwang in Betracht kommen (ähnlich Franz-Jürg Semler, Das Diskriminierungsverbot bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (1968), S. 120). Vgl. auch OLG München U (K) 4883 / 99k WuW 2000, 947, 948 (10. 2. 2000). 418 Weitere kartellrechtliche Fragen im Vergabeverfahren betreffen etwa die Beurteilung von Einkaufgemeinschaften nach dem Kartellverbot des § 1 GWB (Dazu LG Hannover 21 O 129 / 97 (Kart) (o. Fn. 322), WuW 1998, 322 (6. 11. 1997); Werner Schultes, Erfahrungen bei der Mißbrauchsaufsicht gegenüber Nachfragemacht, WuW 1982, 731, 749) oder die Zulässigkeit der Verfolgung von Sekundärzwecken insbesondere durch die Bundesländer (vgl. BGH KVR 23 / 98 (o. Fn. 267)). 419 Nach der Neufassung des UWG (Gesetz v. 3. 7. 2004, BGBl. I, S. 1414) §§ 3, 4 Nr. 11 UWG; die folgenden Ausführungen dürften ihre Gültigkeit im Ergebnis behalten. 420 Siehe vor allem Helmut Köhler / Ernst Steindorff, Öffentlicher Auftrag, Subvention und unlauterer Wettbewerb, NJW 1995, 1705, 1710. 414 415
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des erfolglos geblieben. Untersagt sind nach § 1 UWG sittenwidrige Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs. Solche Sittenwidrigkeit soll bei einem Verstoß gegen Vergabevorschriften dann gegeben sein, wenn der Auftraggeber „unter Verletzung von Vergabevorschriften gezielt den Wettbewerb eines Anbieters fördert“421. Die Rechtsprechung ist hier sehr zurückhaltend: „Ansprüche aus UWG scheiden“, so das OLG Stuttgart, bei der Auftragsvergabe „von vornherein aus, weil es an einem Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs fehlt. . . . Bei Handlungen der öffentlichen Hand außerhalb eines erwerbswirtschaftlichen Tätigkeitsbereichs besteht keine Vermutung für eine Wettbewerbsförderungsabsicht soweit sich die öffentliche Hand darauf beschränkt, die ihr im öffentlichen Interesse übertragenen Aufgaben gewissenhaft und sachlich wahrzunehmen. In einem solchen Fall muss das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht gesondert festgestellt werden. Ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs kann nur dann angenommen werden, wenn die Absicht besteht, einen bestimmten Anbieter aus unsachlichen Gründen zu bevorzugen.“422
Dies sei auch bei einem Verstoß gegen die VOB / A nicht ohne weiteres der Fall423. Generell lässt sich in jüngster Zeit eine gewisse Vorsicht der Zivilgerichtsbarkeit bei der Kontrolle der öffentlichen Hand nach dem UWG beobachten424 – eine Tendenz, die in einem gewissen Gegensatz zu der großzügigen Anwendung des GWB auf die staatliche Nachfrage steht. (4) Vertragliche Ansprüche Die Möglichkeit, in der Ausschreibung durch den Auftraggeber und der Beteiligung der Bieter den Abschluss eines Vorvertrages zu sehen, der die Beachtung der einschlägigen Verdingungsordnung zur Vertragspflicht erheben könnte, wird zwar vor allem im Schrifttum gesehen, spielt praktisch jedoch keine Rolle. Das BGB eröffnet ohne weiteres die Möglichkeit, die verbindliche Geltung der Vergabebestimmungen vertraglich zu vereinbaren, also durch eine Einigung des 421 Köhler / Steindorff (o. Fn. 420), NJW 1995, 1710. Vgl. auch Motzke (o. Fn. 315), Syst IV (Gröning), Rn. 116 ff. Generell zur Anwendung des UWG auf staatliche Tätigkeit Rupert Scholz, Wettbewerbsrecht und öffentliche Hand, ZHR 132 (1969), 97; Helmut Schricker, Wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand und unlauterer Wettbewerb (1964), S. 210 ff. 422 OLG Stuttgart 2 U 240 / 01 (o. Fn. 395), 654. Tendenziell anders noch OLG Stuttgart 2 U 76 / 79, WRP 1980, 101 (26. 10. 1979). 423 OLG Stuttgart 2 U 240 / 01 (o. Fn. 395), 654. Anders noch die Vorinstanz: Verstoß einer baden-württembergischen Gemeinde gegen VOB / A als Verstoß gegen „§ 1 UWG i. V. m. § 31 Abs. 1 Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg (GemHVO) sowie mit §§ 2 Nr. 2, 8 Nr. 1, 9 Nr. 3 Abs. 3 VOB / A“ (LG Heilbronn 22 O 294 / 01 KfH, WuW 2002, 433, 434 (19. 11. 2001); vgl. auch den vorgehenden Beschluss in der gleichen Sache LG Heilbronn 22 O 294 / 01 KfH, WuW 2002, 432 (20. 8. 2001). Ebenso LG Hamburg 406 O 169 / 98, WRP 1999, 441 (28. 10. 1998)). 424 Vgl. vor allem BGH I ZR 250 / 00, ZIP 2002, 1645 (25. 4. 2002), wonach die erwerbswirtschaftliche Betätigung einer Gemeinde entgegen dem Gemeinderecht nicht als solche gegen § 1 UWG verstößt.
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jeweiligen Auftraggebers mit den vorhandenen Bewerbern. Gegenstand des Vertrages wäre das Verfahren beim Abschluss eines zweiten Vertrages. Verhandlungsparteien steht es allgemein offen, ihre Freiheit durch den Abschluss von Vorverträgen einzuschränken, die „für beide Teile oder auch nur einen von ihnen die Verpflichtung“ begründen, „demnächst einen anderen schuldrechtlichen Vertrag zu schließen“425, eine solche Pflicht unter bestimmten Bedingungen zu vereinbaren426 oder überhaupt nur den weiteren Verlauf der Verhandlungen verbindlich regeln427. Der Abschluss eines Vorvertrages setzt nach allgemeinen Grundsätzen übereinstimmende Willenserklärungen der Beteiligten voraus. Solche Willenserklärungen müssen abgegrenzt werden von bloßen Wissens- oder Absichtserklärungen, denen keine rechtliche Verbindlichkeit innewohnen soll428. Äußert eine Partei beispielsweise, der Unterzeichnung eines Vertrages stehe nichts mehr im Wege, so ist dies im allgemeinen eine bloße Absichtserklärung, weil durch den Verweis auf die Unterzeichnung deutlich gemacht wird, dass die rechtliche Bindung noch nicht gewollt ist429. Ist ein Vorvertrag abgeschlossen worden und weigert sich ein Beteiligter entgegen den vorvertraglichen Abmachungen, den Hauptvertrag zu schließen, so kann der andere Teil je nach den Umständen des Einzelfalls Klage auf weitere Verhandlung, auf Vertragsschluss oder auf Annahme eines konkreten Angebotes erheben430. In den zuletzt genannten Fällen kann diese Klage mit der Klage auf Erfüllung des Hauptvertrages verbunden werden431. Entsprechend ist es nach dem BGB selbstverständlich möglich, die Ausgestaltung einer öffentlichen Ausschreibung vertraglich zu regeln. Konstruktiv sind zwei Wege denkbar, nach denen ein Vorvertrag über das Ausschreibungsverfahren zustande kommen kann: Einmal durch Bekanntmachung des Auftraggebers (Angebot) und Bitte des Unternehmers nach Überlassung der Ausschreibungsunterlagen BGH VII ZR 307 / 86 BGHZ 102, 388 (17. 12. 1987). Martin Weber, Der Optionsvertrag, JuS 1990, 249, 252. 427 Allgemein zum Vorvertrag und zu verwandten Erscheinungsformen wie dem Optionsvertrag Marcus Lutter Letter of Intent, 2. Aufl. (1983), S. 31 ff.; Weber (o. Fn. 426), JuS 1990, 251 ff. 428 Vgl Dietrich Reinicke / Klaus Tiedtke, Schadensersatzverpflichtungen aus Verschulden beim Vertragsschluß nach Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund, ZIP 1989, 1093. 429 Reinicke / Tiedtke (o. Fn. 428), ZIP 1989, 1093 f. referieren allerdings zutreffend, dass eine subjektive als bloße Wissenserklärung gedachte Äußerung rechtlich eine Willenserklärung darstellt, wenn ein objektiver Dritter sie als solche verstehen musste; kommt auf diese Weise ein Vorvertrag zustande, bleibt dem missverstandenen Teil nur die Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB, die aber u. U. die Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB zur Folge haben kann. 430 Zum Unterschied zwischen Klage auf Vertragsabschluss und Annahme eines Angebotes vgl. BGH V ZR 212 / 84 BGHZ 98, 130, 132 f. (20. 6. 1986). 431 BGH V ZR 212 / 84 (o. Fn. 430), 134 f. Vgl. Martin Weber, Haftung für in Aussicht gestellten Vertragsabschluß, AcP 192 (1992), 430 m. w. N. 425 426
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(Annahme); zum anderen durch Übersendung der Ausschreibungsunterlagen (Angebot) und Bearbeitung oder Einreichung eines Angebotes bezüglich des Hauptvertrages (Annahme). Gegen die Auslegung der Bekanntmachung als Angebot spricht jedoch bereits dass es sich um eine Erklärung ad incertas personas handelt. Erklärungen ad incertas personas können von den Adressaten im allgemeinen nicht als bindende Angebote verstanden werden, weil sie sonst den Anbietenden der Gefahr aussetzten, eine unüberschaubare Anzahl von Verträgen abschließen zu müssen432. Nun mag diese Gefahr im Falle der Ausschreibung nicht so bedeutend sein, da eine große Anzahl von Teilnehmern an sich erwünscht ist und nur in seltenen Extremfällen zu echten organisatorischen Problemen führen wird. Unabhängig davon aber ist das Interesse der Auftraggeber an eine vertraglichen Geltungsvereinbarung im Normalfall erkennbar gering433, da die resultierende verschärfte Bindung für sie mit keinerlei Vorschriften verbunden wäre434. Entsprechend dürfte ein Rechtsbindungswille auf Seiten des Auftraggebers im allgemeinen nicht auszumachen sein435. Völlig eindeutig ist dies, wenn sich – wie weithin üblich – in der Ausschreibungsbekanntmachung ein Hinweis findet, dass Verdingungsordnungen nicht Vertragsbestandteil werden und keine klagbaren Ansprüche gewähren436. Dieses Argument spricht gleichermaßen dagegen, in der Übersendung der Ausschreibungsunterlagen ein Angebot auf Abschluss eines Vorvertrages zu sehen. Was in Bezug auf den Vorvertrag gesagt wurde, gilt sinngemäß auch für die Möglichkeit, die öffentliche Ausschreibung als Auslobung i. S. d. §§ 657 ff. BGB aufzufassen437. (5) Ansprüche aus culpa in contrahendo Die angesichts der bisher geschilderten Einschränkungen und Schwierigkeiten mit Abstand bedeutendste Grundlage für Ansprüche von Bietern bei Verstößen geDieter Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Aufl. (2002), Rn. 359. In späteren Zeiten weisen Auftraggeber auf ihren mangelnden Rechtsbindungswillen oft explizit hin, zum Beispiel durch eine Erklärung, auf die Einhaltung einer Vergabeordnung bestehe „kein Rechtsanspruch“ (Andreas Feber, Schadensersatzansprüche bei der Auftragsvergabe nach VOB / A (1987), S. 79. 434 Vgl. Schneider (o. Fn. 401), S. 63 f. 435 OLG Köln 22 U 48 / 93, BauR 1994, 100 (13. 7. 1993): Will der (hier private) Bauherr die Vergaberegeln der VOB / A zum Vertragsgegenstand machen, so ist dies möglich, muss aber eindeutig und zweifelsfrei geschehen. Einen Vorvertrag (betreffend die Vergütung von Kosten der Angebotserstellung) verneinend etwa BGH VII ZR 154 / 78, BauR 1979, 509 (12. 7. 1979). 436 Vgl. Motzke (o. Fn. 315), Syst IV (Gröning), Rn. 13. 437 Dazu Schneider (o. Fn. 401), S. 21 ff.; Manfred Cuypers, Leistungsbeschreibung und Verstöße gegen die VOB / A, BauR 1994, 433 ff. Cuypers weist auf die Parallelen der Ausschreibung zum Architektenwettbewerb hin; zu einem solchen siehe etwa BGH III ZR 125 / 82, NJW 1984, 1533 (3. 11. 1983). 432 433
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gen die Vergabevorschriften ist die culpa in contrahendo. Ihre Entwicklung wird im folgenden Kapitel eingehend behandelt; zuvor soll allerdings ein Blick auf die Rechtslage oberhalb der Schwellenwerte geworfen werden.
3. Auftragsvergabe nach dem GWB Das auf dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen beruhende Vergaberecht basiert nach wie vor auf dem traditionellen System der haushaltsrechtlichen Verwaltungsvorschriften. Das Vergabeverfahren wird in den §§ 97 ff. GWB nur in seinen Grundzügen geregelt, und auch die auf der Grundlage der §§ 97 Abs. 6, 127 GWB erlassene Vergabeverordnung enthält nur punktuell Verfahrensregelungen. Im übrigen verweist die Verordnung in §§ 4 – 7 je nach der Art des ausgeschriebenen Auftrages und des betroffenen Auftraggebers auf einen der Abschnitte 2 – 4 der VOB / A bzw. der VOL / A oder auf die VOF438. Auf diese Weise finden für einen Großteil der unter das GWB fallenden Aufträge die bereits behandelten Basisparagraphen der VOB und der VOL wiederum Anwendung, da auch die Abschnitte 2 und 3 der Verdingungsordnungen die Basisparagraphen in ihrer Gänze enthalten und sie lediglich punktuell entsprechend europäischen Vorgaben ergänzen. Oberhalb der Schwellenwerte ist die Anwendung der Vergabevorschriften durch (Bundes-) Gesetz vorgeschrieben, und ein Anspruch auf Einhaltung der Regelungen wird ausdrücklich gewährt. Zur Durchsetzung dieses Anspruches richtet das Gesetz zwar ein eigenständiges Verfahren ein, lässt es aber zumindest für Schadensersatzforderungen bei der Zuständigkeit der Zivilgerichte bewenden.
a) Anwendbarkeit Der Anwendungsbereich der GWB-Vergabebestimmungen ist nach § 97 Abs. 1, § 99 Abs. 1 und § 100 GWB eröffnet, wenn Öffentliche Auftraggeber (im Sinne des Gesetzes) durch entgeltlichen Vertrag439 Waren, Bauleistungen oder Dienst438 „Kaskadenprinzip“; dazu Meinrad Dreher, Die Zukunft des untergesetzlichen Vergaberechts, NVwZ 1999, 1265. GWB und VgV schreiben die Anwendung der Verdingungsordnungen in bestimmten Fassungen vor, die im Bundesanzeiger veröffentlicht worden sind. Auf eventuelle Neufassungen der Verdingungsordnungen als Ergebnisse der ständigen Diskussion und Überarbeitung in den Ausschüssen erstreckt sich die Verweisung nicht. Solche Neufassungen dürften erst auf eine entsprechende Änderung der Vergabeverordnung hin angewendet werden. Eine derartige „statische“ (Gegenbegriff: dynamische) Verweisung auf Normen nichtstaatlicher Herkunft begegnet wohl keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, da auch dem Erfordernis der Publizität durch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger ausreichend Rechnung getragen wird (kritisch aber Dreher, a. a. O., 1266 – 1268). 439 Unabhängig davon, ob es sich um einen privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt; vgl. Fridhelm Marx, Verlängerung bestehender Verträge und Vergaberecht,
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leistungen beschaffen, die bestimmte Mindestwerte erreichen oder überschreiten, und eine Ausnahme nach § 100 Abs. 2 nicht eingreift. Öffentliche Auftraggeber sind nach § 98 Nr. 1 GWB Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen, also Bund, Länder und Gemeinden, weiter z. B. Nichtrechtsfähige Stiftungen des öffentlichen Rechts und kommunale Eigenbetriebe. Unter Nr. 2 fallen juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, wenn sie einen besonderen, im Allgemeininteresse liegenden, nichtgewerblichen Zweck erfüllen440 und zudem bestimmte Kriterien der Leitung oder Finanzierung erfüllt sind. Nr. 2 erfasst Verbände, deren Mitglieder unter Nr. 1 oder Nr. 2 fallen. Nr. 4 erstreckt die Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts den europarechtlichen Vorgaben entsprechend auf die sogenannten Sektorenauftraggeber, nämlich natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die bestimmte Aufgaben der Daseinsvorsorge (Wasser- und Energieversorgung, Verkehr, Telekommunikation) entweder „auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten“ ausüben („staatsferne Sektorenunternehmen“441) oder sich mehrheitlich in der Hand des Staates befinden („staatsnahe Sektorenunternehmen“442). Nach Nr. 5 gelten als Öffentliche Auftraggeber auch Private, die für bestimmte Bauvorhaben zu mehr als 50% öffentliche Mittel erhalten. Nr. 6 schließlich erfasst Baukonzessionäre. § 100 Abs. 1 beschränkt die Geltung der GWB-Vorschriften auf „Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung . . . festgelegt sind (Schwellenwerte)“. Die Vergabeverordnung differenziert bei den Schwellenwerten entsprechend den europäischen Vorgaben und entsprechend den verschiedenen, in § 99 GWB noch einmal aufgezählten Auftragsarten. Wichtige aktuelle Schwellenwerte sind etwa 5.000.000 A für Bauaufträge oder 200.000 A für die meisten Liefer- und Dienstleistungsaufträge443. § 100 Abs. 2 GWB zählt eine Reihe von Ausnahmen auf, unter anderem Arbeitsverträge.
b) Vergabeverfahren Das GWB kennt drei Grundformen des Vergabeverfahrens. Es spricht in Anlehnung an die EG-Terminologie von „offenen Verfahren“, „nicht offenen Verfahren“ NZBau 2002, 311, 312; Martin Burgi, Der Verwaltungsvertrag im Vergaberecht, NZBau 2001, 57. 440 Hierzu Johannes Dietlein, Der Begriff des „funktionalen“ Auftraggebers nach § 98 Nr. 2 GWB, NZBau 2002, 136; Rainer Noch, Ausschreibungspflicht privater Unternehmen, DÖV 1998, 623; Reinhold Thode, Zum vergaberechtlichen Status von juristischen Personen des Privatrechts, ZIP 2000, 2. 441 Vgl. Meinrad Dreher, Der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts, DB 1998, 2979, 2584 f. 442 Vgl. Dreher (o. Fn. 441). 443 § 2 Nr. 3, 4 VgV; siehe auch § 2 VgV für weitere Einzelheiten. 10*
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
und „Verhandlungsverfahren“444. Für die Ausgestaltung des offenen Verfahrens gelten die Vorschriften der VOB- und VOL-Basisparagraphen über die Öffentliche Ausschreibung entsprechend. Parallel dazu entsprechen sich im Wesentlichen nichtoffenes Verfahren und Beschränkte Ausschreibung nach Öffentlichem Teilnahmewettbewerb sowie Verhandlungsverfahren und Freihändige Vergabe445. Nach § 101 Abs. 5 GWB haben Öffentliche Auftraggeber offene Verfahren durchzuführen, wenn nichts anderes bestimmt ist (nur Sektorenauftraggeber nach § 98 Nr. 4 GWB haben grundsätzlich die freie Wahl). Etwas anderes bestimmt ist insbesondere in den bereits behandelten Vorschriften der Verdingungsordnungen über die Zulässigkeit beschränkter Ausschreibungen (nicht offener Verfahren) bzw. freihändiger Vergabe (Verhandlungsverfahren). Eine wichtige Abweichung findet sich in der Schlussphase des Vergabeverfahrens. Hier bestimmt § 13 VgV446: „Der Auftraggeber informiert die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen werden soll und über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes. Er sendet diese Information in Textform spätestens 14 Kalendertage vor dem Vertragsabschluss an die Bieter ab. Die Frist beginnt am Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber. Auf den Tag des Zugangs der Information beim Bieter kommt es nicht an. Ein Vertrag darf vor Ablauf der Frist oder ohne dass die Information erteilt worden und die Frist abgelaufen ist, nicht geschlossen werden. Ein dennoch abgeschlossener Vertrag ist nichtig.“
Mit dieser Vorschrift hat der Verordnungsgeber auf die Rechtsprechung des EuGH und die Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts447 reagiert. Beide hatten bemängelt, dass die nach den Verdingungsordnungen an sich vorgesehene § 101 GWB. §§ 3a, 3b VOB / A bzw. VOL / A. 446 Näher dazu Clemens Antweiler, Vergaberechtsverstöße und Vertragsnichtigkeit, DB 2001, 1975; Stefan Gesterkamp, Die Sicherung des Primärrechtsschutzes durch Zuschlagsverbote und Informationspflicht, WuW 2001, 665; Bernardine Kleinhenz, Informationspflicht des Auftraggebers vor Zuschlagserteilung im Vergabeverfahren – § 13 Vergabeverordnung, ZfBR 2001, 75; Dieter Rojahn, Die Regelung des § 13 VgV im Spiegel der höchstrichterlichen Rechtsprechung, NZBau 2004, 382; Kurt Stockmann, § 13 VgV in der Rechtspraxis, NZBau 2003, 591. 447 Zum EuGH siehe oben Fn. 170 und zugehöriger Text; BKartA VK 1 – 7 / 99, NJW 2000, 151 (29. 4. 1999). Vgl. Cornelia Erdl, Neues Vergaberecht: Effektiver Rechtsschutz und Vorab-Informationspflicht des Auftraggebers, BauR 1999, 1341; Hendrik Höfler, Die Novelle erobert die Praxis – Erste Entscheidungen zum neuen Vergaberecht, NJW 2000, 120; Olaf Reidt, Das Verhältnis von Zuschlag und Auftrag im Vergaberecht – Gemeinschafts- oder verfassungsrechtlich bedenklich?, BauR 2000, 22. Kritisch zu der Entscheidung des BKartA Ingo Brinker, Einheit von Zuschlag und Vertragsabschluß im Lichte des Europarechts, in: Jürgen Schwarze, Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts (2000), S. 97. Zur vorherigen Rechtslage siehe etwa Timm R. Meyer, Vergaberechtsschutz nach Erteilung des Zuschlags, WuW 1999, 567; zu einem noch vor In-Kraft-Treten der neuen VgV begonnen Vergabeverfahren OLG Düsseldorf Verg 48 / 02, NZBau 2003, 349 (24. 9. 2002). 444 445
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Gleichzeitigkeit von Bekanntgabe der Auswahlentscheidung und Vertragsschluss die Durchsetzung der Rechts unterlegener Bieter massiv beeinträchtigte: Den Vertragsschluss wegen vorhergegangener Verfahrensfehler rückgängig zu machen sieht nämlich auch das Nachprüfungsverfahren nach dem GWB nicht vor. § 13 VgV sichert den Rechtsschutz448 zumindest dann, wenn ein Vergabeverfahren nach dem GWB stattfindet449; er greift allerdings nach der Rechtsprechung dann weder unmittelbar noch analog, wenn der Auftraggeber von der Einleitung eines Vergabeverfahrens überhaupt Abstand nimmt, mit einem einzigen Interessenten verhandelt und den Auftrag (rechtswidrig) freihändig vergibt450. Wie dem Interessenten in einem solchen Fall der „de-facto-Vergabe“ Rechtsschutz gewährt werden soll, ist nach wie vor Gegenstand der Diskussion451. Die Grundsätze der Auswahlentscheidung legt § 97 GWB wie folgt fest: „(4) Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben; andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. (5) Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt.“452
§ 4 Abs. 2 ist Ausdruck des Bemühens, einen gewissen rechtlichen Rahmen für die Verfolgung von Sekundärzwecken zu schaffen. Allerdings ist sehr fraglich, ob dies gelungen ist. Die Rechtsprechung des EuGH beispielsweise zeigt schließlich, dass Sekundärzwecke je nach Ausgestaltung der Leistungsbeschreibung durchaus auch die Form von Eignungs- und Wirtschaftlichkeitskriterien annehmen können453. 448 Wegen dieser eingeschränkten Funktion kann sich auch nicht etwa ein erfolgreicher Bieter, der vom Vertrag loskommen möchte, auf die Vorschrift berufen; siehe OLG Düsseldorf U (Kart) 36 / 02, NZBau 2003, 170 (25. 6. 2003). 449 Dass § 13 S. 6 VgV von der Ermächtigung in § 97 Abs. 6 GWB gedeckt und damit verfassungsgemäß ist, hat BGH X ZB 44 / 03, WuW 2004, 707 (9. 2. 2004) mittlerweile geklärt; zur Gegenmeinung siehe nur OLG Brandenburg Verg W 6 / 03, NZBau 2004, 169 (2. 12. 2003) (Vorlagebeschluss, auf den der BGH wie dargestellt entschied); Jan Byok / Nicola Jansen, Verfassungswidrigkeit der Nichtigkeitsfolge des § 13 VgV trotz stark modifizierter Ergebniskorrekturen durch die Rechtsprechung, BB 2003, 2301, 2305. 450 OLG Düsseldorf Verg 37 / 03, NZBau 2004, 113 (3. 12. 2003); zu dem Urteil und der Problematik vgl. Ute Jasper, de-facto-Vergabe und Vertragsnichtigkeit, ZfBR 2004, 543, 544 ff.; Annette Rosenkötter, Kehrtwende oder konsequente Fortführung? – § 13 S. 6 VgV und das OLG Düsseldorf, NZBau 2004, 136, 138; Peter Schimanek, Der Anspruch des potentiellen Bieters auf Durchführung eines Vergabeverfahrens, ZfBR 2004, 39, 41. 451 Siehe die Literaturnachweise der vorigen Fußnote; vgl. auch OLG Brandenburg Verg W 8 / 03, ZfBR 2004, 504 (10. 2. 2004) (differenzierend hinsichtlich der Anwendung der §§ 107 ff. GWB in Fällen der de-facto-Vergabe); Kay Hailbronner, Rechtsfolgen fehlender Information oder unterlassener Ausschreibung bei Vergabe öffentlicher Aufträge, NZBau 2002, 474, 479. 452 Zum Begriff der Wirtschaftlichkeit näher Marc Opitz, Der Wirtschaftlichkeitsbegriff des Kartellvergaberechts, NZBau 2001, 12. 453 Zur Frage der Sekundärzwecke nach § 97 GWB siehe etwa Fridhelm Marx, Vergabefremde Aspekte im Lichte des europäischen und des deutschen Rechts, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts (2000), S. 77;
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
Vorschriften über die Aufhebung von Vergabeverfahren enthält das GWB nicht; soweit auf sie verwiesen wird, gelten hierfür § 26 VOB / A und § 26 VOL / A. c) Rechtsschutz Die hauptsächliche Bedeutung des GWB für das Vergaberecht liegt darin, dass das Gesetz eigenständige Ansprüche der Bieter auf Einhaltung der Vergaberegeln schafft und für deren Durchsetzung ein spezielles, teils gerichtliches und teils gerichtsähnliches Verfahren zur Verfügung stellt. § 97 Abs. 7 GWB bestimmt: „Die Unternehmen haben Anspruch darauf, daß der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält.“
Die Reichweite und der Umfang dieses Anspruchs erschließen sich insbesondere aus den Bestimmungen der §§ 102 ff. GWB über das Nachprüfungsverfahren. Hier heißt es grundsätzlich: „Unbeschadet der Prüfungsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden und Vergabeprüfstellen454 unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge der Nachprüfung durch die Vergabekammern.“455
Die zuständigen Vergabekammern finden sich für Aufträge des Bundes beim Bundeskartellamt, für Aufträge der Länder bei solchen Behörden, die die Länder hierfür auswählen456. Gegen ihre Entscheidungen ist eine sofortige Beschwerde zum zuständigen Oberlandesgericht möglich457. Im Übrigen gilt im Verhältnis zu Gerichten jeglichen Rechtsweges: „Rechte aus § 97 Abs. 7 sowie sonstige Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, können außer vor den Vergabeprüfstellen nur vor den Vergabekammern und dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und die Befugnisse der Kartellbehörden458 bleiben unberührt.“459 Fritz Rittner, Die „sozialen Belange“ i. S. der EG-Kommission und das inländische Vergaberecht, in: Schwarze, a. a. O., S. 87 (tendenziell kritisch); Ursula Rust, Die sozialen Kriterien im Vergaberecht, EuZW 2000, 205 (tendenziell für die Berücksichtigung sozialer Belange). 454 Vergabeprüfstellen sind verwaltungsinterne Nachprüfungsinstanzen, die im Wege eines formlosen Rechtsbehelfs angerufen werden können; vgl. § 103 GWB. 455 § 102 GWB. 456 § 106 GWB. 457 §§ 116 ff. GWB. 458 Dazu OLG Düsseldorf Verg 6 / 02, NZBau 2002, 583 (22. 5. 2002); vgl. auch Torsten Hopp, Das Verhältnis des Vergaberechts zum Wettbewerbs- und Kartellrecht am Beispiel des Berliner Vergabegesetzes, DB 2000, 29; Jan Byok, Rechtsweg bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen durch Nichtbeachtung der Vergabevorschriften, WRP 1999, 402. 459 § 104 Abs. 2 GWB.
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Den Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens kann jedes Unternehmen stellen, das Interesse an einem bestimmten Auftrag hat, eine Verletzung von Vergabevorschriften rügt und einen drohenden Schaden darlegt460. Zur Zulässigkeit ist weiter erforderlich, dass der Antragsteller Rechtsverstöße, die er während eines Vergabeverfahrens erkannt hat, unverzüglich dem Auftraggeber gegenüber gerügt hat461. Mit Zustellung des Antrags an den Auftraggeber wird das Vergabeverfahren insofern ausgesetzt, als der Auftraggeber einen Zuschlag nicht erteilen darf, bis nicht die Vergabekammer entschieden hat und ggf. die Beschwerdefrist abgelaufen ist462. Wird gegen das Zuschlagsverbot verstoßen, so ist der resultierende Vertrag nach § 134 BGB nichtig463. Allerdings kann der Auftraggeber bei der Vergabekammer die Gestattung des Zuschlags beantragen464. Die Vergabekammer ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen und prüft, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist. Ist letzteres der Fall, so trifft die Kammer „die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern“, wobei sie an Anträge nicht gebunden ist. Die Entscheidung ergeht in Form eines Verwaltungsakts465. § 114 Abs. 2 GWB begrenzt die Befugnisse der Vergabekammer in entscheidender Weise, wenn er bestimmt: „Ein bereits erteilter Zuschlag kann nicht aufgehoben werden“. Vergabekammern und Rechtsprechung gehen daher davon aus, dass ein Antrag, der nach Zuschlagserteilung gestellt wird, nicht mehr zulässig ist466. § 107 Abs. 2 GWB. § 107 Abs. 3 GWB. 462 § 115 Abs. 1 GWB. Das hat für das Vergabeverfahren die weitere unangenehme Konsequenz, das selbst dann, wenn die Vergabekammer keine Rechtsverletzung feststellt, die Zuschlags- und Bindesfrist leicht während der Aussetzung abgelaufen sein kann, so dass die Zuschlagserteilung dann wieder nicht ohne weiteres möglich ist. Hierzu siehe Motzke (o. Fn. 315), Syst IV (Gröning), Rn. 102 f. 463 Rainer Bechtold, Kartellgesetz – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. 3. Aufl. (2002), § 115 Rn. 3 m. w. N.; kritisch Michael Vill, Das vorläufige Verbot der Zuschlagserteilung gemäß § 115 Abs. 1 GWB ein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB?, BauR 1999, 971. 464 Siehe §§ 115 Abs. 2, 121 GWB. Zur Problematik des einstweiligen Rechtsschutzes im Vergabeverfahren siehe etwa Arnold Boesen, Kriterien für die Interessenabwägung im vorläufigen Rechtsschutz, in: Jürgen Schwarze (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts (2000), S. 131. Hans-Benno Ulbrich / Thomas Waldner, Die vorläufige Sicherung des Anspruchs auf Einhaltung der Vergabebestimmungen – praktische und rechtliche Probleme aus Sicht anbietender Bauunternehmen, BauR 1999, 1082; Klaus Willenbruch, Vorbeugender und vorläufiger Rechtsschutz nach dem Vergaberechtsänderungsgesetz (§§ 97 – 129 GWB), NVwZ 1999, 1062. 465 §§ 110, 114 GWB. 466 BGH X ZB 14 / 00, JZ 2001, 927 (19. 12. 2000); vgl. auch OLG Schleswig 6 Verg 1 / 99, WuW 1999, 1259 (1. 6. 1999); Jochem Gröning, Die Grenzen des „Rechtswegs“ zur Vergabekammer, ZIP 2000, 1714. Nur in Extremfällen wird die Zuschlagserteilung nach 460 461
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Kap. 3: Weiterentwicklung des öffentlichen Auftragswesens
Nur wenn der Zuschlag (etwa auf Grund einer Gestattung der Vergabekammer oder vor Zustellung des zulässigen Nachprüfungsantrags467) nach Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens wirksam erteilt wird oder sich das Nachprüfungsverfahren anderweitig erledigt, erlaubt § 114 Abs. 2 S. 2 die Umstellung des Nachprüfungsantrags auf einen Feststellungsantrag. Zu den Ereignissen, die nach § 114 Abs. 2 S. 2 GWB zur Erledigung eines Nachprüfungsantrags und zur Möglichkeit der Umstellung auf einen Feststellungsantrag führen, gehört auch die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch den Auftraggeber. Diese Vorschrift ist in der Rechtsprechung zunächst so interpretiert worden, dass die Stellung eines Nachprüfungsantrages nach Aufhebung (wie nach Zuschlagserteilung) nicht mehr zulässig sei, unabhängig davon, ob die Aufhebung nach den einschlägigen Vorschriften (d. h. § 26 VOB / A, § 26 VOL / A) zugelassen ist oder nicht468. Der Bundesgerichtshof allerdings ist dieser Rechtsprechung nicht gefolgt. Vielmehr soll laut BGH mit einem Nachprüfungsantrag auch die Unzulässigkeit der Aufhebung geltend gemacht werden können469. Was allerdings den möglichen Rechtsfolgenausspruch der Vergabekammer angeht, ist zu bedenken, dass mangels einer Vergabepflicht des Auftraggebers und mangels einen entsprechenden Anspruchs auf Vertragsschluss die Kammer den Auftraggeber nicht zur Zuschlagserteilung verpflichten kann, wenn dieser von der Vergabe des in Rede stehenden Auftrages endgültig Abstand nehmen will470. § 138 BGB sittenwidrig und nichtig sein, wenn nämlich das Ausschreibungsverfahren ein „Scheinmanöver“ darstellt und der Zuschlagsempfänger von vornherein feststeht; vgl. BGH X ZB 14 / 00, S. 930. Zu solchen und vergleichbaren Fällen mit interessanten Ansätzen Ulrich Stelkens, Primärrechtsschutz trotz Zuschlagserteilung? – oder: Warum nach wirksamer Zuschlagserteilung trotz § 114 II 1 GWB ein Nachprüfungsverfahren möglich sein kann, NZBau 2003, 654. 467 OLG Düsseldorf Verg 1 / 99, NJW 2000, 145 (13. 4. 1999). 468 OLG Düsseldorf Verg 4 / 00, WuW 2000, 821, insbes. 827 (15. 3. 2000); a.A. BKartA 1 – 31 / 99, WuW 2000, 566 (26. 1. 2000) in Anlehnung an Vergabeüberwachungsausschuss Bund 1 VÜ 24 / 96, 25 / 96, 27 / 96, WuW 1997, 937 (14. 4. 1997); kritisch zum OLG Düsseldorf Jay Byok, Rechtsschutz gegen die Aufhebung einer Ausschreibung, WuW 2000, 718; Hans-Peter Kulartz, Nachprüfungsverfahren nach neuem Vergaberecht – Voraussetzungen und zeitliche Begrenzung, BauR 1999, 724. 469 BGH X ZB 43 / 02, NZBau 2003, 293 (18. 2. 2003); so auch OLG Brandenburg Verg W 9 / 02, NZBau 2003, 229 (19. 12. 2002). Zur Entscheidung des BGH näher Achim Meier, Primärrechtsschutz bei der Aufhebung der Ausschreibung?, NZBau 2003, 137; Uwe Scharen, Aufhebung der Ausschreibung und Vergaberechtsschutz, NZBau 2003, 585, 588 ff.; Alexander Kus, Primärrechtsschutz nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens, NVwZ 2003, 1083 ff. 470 OLG Düsseldorf Verg 4 / 00 (o. Fn. 468), 823; ebenso OLG Celle 13 Verg 9 / 03, WuW 2004, 127, 128 (22. 5. 2003); vgl. auch OLG Naumburg 1 Verg 2 / 03, NZBau 2004, 62 (13. 5. 2003). Zu den Folgen für die Zulässigkeit von Nachprüfungsanträgen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses OLG Dresden WVerg 15 / 02, NZBau 2003, 574 (10. 7. 2003). Für den umgekehrten Fall – es besteht weiter Interesse an der Auftragserteilung, und ein neues Verabeverfahren ist auch bereits eingeleitet – siehe OLG Koblenz 1 Verg 1 / 03, NZBau 2003, 576 (10. 4. 2003).
III. Entwicklung des nationalen Vergaberechts
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Soweit die ordentlichen Gerichte gemäß § 104 Abs. 2 GWB für Schadensersatzansprüche zuständig bleiben, bestehen im Anwendungsbereich des GWB in zweierlei Hinsicht Erleichterungen für die Geltendmachung solcher Ansprüche. Zum einen können sich Bieter auf § 126 GWB berufen: „Hat der Auftraggeber gegen eine den Schutz von Unternehmen bezweckende Vorschrift verstoßen und hätte das Unternehmen ohne diesen Verstoß bei der Wertung der Angebote eine echte Chance gehabt, den Zuschlag zu erhalten, so kann das Unternehmen Schadensersatz für die Kosten der Vorbereitung des Angebots oder der Teilnahme an einem Vergabeverfahren verlangen. Weiterreichende Ansprüche auf Schadensersatz bleiben unberührt.“
Umstritten ist hier vor allem, wie der Begriff der „echten Chance“ auszulegen ist471. Einigkeit besteht immerhin wohl im Hinblick auf die Mindestforderung, als das Angebot des Anspruchstellers für sich akzeptabel gewesen sein muss, also jedenfalls nicht wegen mangelnder Eignung des Bieters oder aus anderen Gründen von der eigentlichen Wertung auszuschließen gewesen sein darf472. In der Praxis spielt die Vorschrift praktisch allerdings keine Rolle, wobei dies maßgeblich auf die Rechtsprechung zu den Ersatzansprüchen aus cic zurückgehen dürfte. Eine zweite Erleichterung könnte darin bestehen, dass oberhalb der Schwellenwerte wenig Zweifel daran bestehen dürften, dass die Vergabevorschriften in ihrer Gänze Schutzgesetze i. S. d. § 823 BGB darstellen473: Der Rechtsnatur nach handelt es sich hier dank der Inkorporation der Verdingungsordnungen durch die Vergabeverordnung auch bei VOB, VOL und VOF um Rechtsnormen im Sine des Art. 6 EGBGB, und auch der drittschützende Charakter liegt angesichts der Gesetzgebungsgeschichte und der Ausgestaltung des Nachprüfungsverfahrens auf der Hand. Die Rechtsprechung hat sich zu dieser Frage bislang kaum geäußert, und auch hierfür dürfte der Grund im Wesentlichen in der Rechtsprechungspraxis bezüglich der Ansprüche aus cic liegen.
471 Vgl. Philipp Jebens, Schadensersatzansprüche bei Vergabeverstößen, DB 1999, 1741, 1744; York Schnorbus, Der Schadensersatzanspruch des Bieters bei der fehlerhaften Vergabe öffentlicher Aufträge, BauR 1999, 77, 92 ff. 472 Vgl. etwa Bechtold (o. Fn. 463), § 126 Rn. 2. 473 So jedenfalls auch hinsichtlich § 97 GWB KG 2 U 174 / 02, BauR 2004, 1504 (27. 11. 2003) (Leitsatz).
Kapitel 4
Weiterentwicklung der Lehre von der culpa in contrahendo Dieses Kapitel behandelt die Weiterentwicklung der Lehre von der cic durch Rechtsprechung und Schrifttum seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland bis hin zum In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes. Ausgangspunkt für Rechtsprechung und Literatur nach 1949 ist die Lehre von der culpa in contrahendo, wie sie sich in der reichsgerichtlichen Praxis und der zeitgenössischen Literatur darstellt. Sie sei hier kurz wiederholt: Den Kernbereich der Doktrin bildet danach die Haftung auf Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten während Vertragsverhandlungen, wobei Aufklärung geschuldet sein kann hinsichtlich des Gegenstandes des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts, hinsichtlich der für Abschluss und Wirksamkeit des Vertrages relevanten Umstände und schließlich hinsichtlich von Gefahren für die Integritätsinteressen der anderen Seite. Was den Schutz der Integritätsinteressen angeht, so ist die Literatur dazu übergegangen, Erhaltungspflichten über den Sonderfall der Aufklärungspflicht hinaus zum Anwendungsbereich der cic zu erklären – mit dem Ergebnis, dass die allgemeine deliktische Haftung ab dem Zeitpunkt des Beginns von Vertragsverhandlungen durch die Anwendung der Zurechnungsvorschrift des § 278 und der Beweislastumkehr des § 282 BGB a. F. verschärft wird. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts gibt es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Anhaltspunkt für eine allgemeine Anerkennung von Erhaltungspflichten im Rahmen der cic. Vielmehr hat das RG entsprechende Fälle (Linoleumrolle, Zuverlässigkeitsfahrt) unter dem Gesichtspunkt eines vorbereitenden Vertrages oder vertragsähnlichen Verhältnisses entschieden, ohne den Gedanken der culpa in contrahendo zu bemühen. Die späten Entscheidungen des RG zum Ersatz des negativen Interesses und seiner Begrenzung durch das positive Interesse – einer Problematik, die sich so nur bei der Verletzung von Aufklärungspflichten stellt – lassen eine Tendenz des RG erkennen, das entscheidende Merkmal der cic in der Erweckung unbegründeten Vertrauens und damit in fehlerhafter Aufklärung zu sehen. Die Haftung öffentlicher Auftraggeber weist in der Rechtsprechung keine Besonderheiten auf. Öffentliche Auftraggeber können danach in Anspruch genommen werden, wenn sie den allgemeinen Anforderungen an die Aufklärung des Vertragspartners nicht gerecht geworden sind. Tatsächlich entschieden worden ist dies für den Fall fehlerhafter bzw. unvollständiger Angaben in den Verdingungsunterlagen, wenn dies zu Fehlkalkulationen des erfolgreichen Bieters geführt hat.
I. Rechtsprechung
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I. Rechtsprechung Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes baut einerseits die vom Reichsgericht übernommene Dogmatik der cic weiter aus, geht andererseits jedoch auch neue Wege. Im Wesentlichen eine Verfeinerung und kasuistische Präzisierung des bereits erreichten Standes der Dogmatik stellt die Rechtsprechung zu den vorvertraglichen Aufklärungspflichten (unten 1.) dar. Die Einbeziehung von Erhaltungspflichten in den Anwendungsbereich der cic vollzieht auf Seiten der Rechtsprechung nach, was in der Literatur bereits gängige Meinung ist (unten 2.). Eigene Akzente setzt der Bundesgerichtshof mit seiner Rechtsprechung zum sicheren Inaussichtstellen eines Vertragsschlusses (unten 3.). Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Entwicklungen schließlich vollzieht sich ein bemerkenswerter Wandel in der Rechtsprechung zur cic-Haftung öffentlicher Auftraggeber (unten 4.).
1. Aufklärungspflichten Vorvertragliche Aufklärungspflichten stellen den Schwerpunkt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dar. Zwischen den Fällen der Schadensersatzpflicht bei wirksamem Vertrag (ursprüngliche Fälle des Verschuldens beim Vertragsschluss) und bei unwirksamem Vertrag (die nachträgliche Ergänzung unter Vermischung mit der ursprünglichen Lehre von der cic) wird nicht mehr explizit unterschieden, aber in der Sache stellen sich verschiedene Fragen.
a) Aufklärung über den Vertragsgegenstand Verhandlungspartner sind verpflichtet, keine falschen Angaben über den Gegenstand des Vertragsschlusses zu machen und wesentliche Informationen dann unaufgefordert zu offenbaren, „wenn die mitzuteilenden Tatsachen und Umstände den Vertragszweck (der anderen Seite) vereiteln können und daher für den Vertragsabschluß von so wesentlicher Bedeutung sind, daß nach der Verkehrsauffassung eine Offenlegung erwartet werden konnte“1. Ein schuldhafter Verstoß gegen diese Pflicht führt im Grundsatz dazu, dass der andere Teil nach § 249 BGB verlangen kann, so gestellt zu werden, als sei er pflichtgemäß aufgeklärt worden2. Es muss dann unter Beachtung der Interessen und Motive aller Beteiligten festgestellt werden, ob bei korrekter Aufklärung (1) der gleiche Vertrag, (2) ein anderer Vertrag 1 Hs. Th. Soergel (Begr.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Band 2, 12. Aufl. (1990), Vor § 275 (Wiedemann), Rn. 623 mit umfassenden Nachweisen. 2 Rudolf Nirk, Culpa in Contrahendo – eine geglückte richterliche Rechtsfortbildung – quo vadis?, in: Wolfgang Hefermehl u. a. (Hrsg.), Festschrift für Philipp Möhring zum 75. Geburtstag. München (1975), S. 71, 86 ff.
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Kap. 4: Weiterentwicklung der Lehre von der culpa in contrahendo
oder (3) gar kein Vertrag geschlossen worden wäre3. Für den Schadensersatzanspruch heißt das: (1) Er erledigt sich; (2) der Geschädigte ist zu stellen, als sei der andere Vertrag zustande gekommen, was im allgemeinen eine Ausgleichszahlung wegen des aufgrund der Täuschung überhöhten Preises führt4; (3) der Vertrag wird rückgängig gemacht, und der Getäuschte hat Anspruch auf Ersatz aller ihm entstandenen Schäden, einschließlich nutzloser Aufwendungen und entgangener Vorteile aus unterlassenen anderweitigen Geschäften5. Um dem Vorwurf zu entgehen, die Begrenzung des Anfechtungsrechts auf Fälle arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) auszuhöhlen, verneint der BGH allerdings einen Schaden und unterlässt somit jegliche Sanktionierung der geschehenen Pflichtverletzung, wenn der geschlossene Vertrag trotz fehlerhafter Information zu einem objektiv fairen und subjektiv sinnvollen Güteraustausch führt6. Mitverschulden kann den Schadensersatzanspruch mindern7, etwa wenn der Schädiger zwar hätte aufklären sollen, eine Nachfrage des Geschädigten aber durchaus auch angebracht gewesen wäre. Aus der Natur der verletzten Pflicht als Aufklärungspflicht ergibt sich, dass der Ersatzanspruch auf das negative Interesse gerichtet ist8: Der Geschädigte, der ja von falschen Vorstellungen ausgegangen ist und im Vertrauen darauf Schäden erlitten hat, wird so gestellt, als habe er nicht vertraut. Er hat keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als seien seine Vorstellungen zutreffend und sein Vertrauen berechtigt gewesen9. Allerdings kann unter bestimmten Umständen der Ersatz des negativen Interesses dazu führen, dass gleichzeitig dem positiven Interesse entsprochen wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn auch bei richtiger Aufklärung beide Seiten einen Vertrag abgeschlossen hätten, aber zu günstigeren Konditionen für den Getäuschten10. 3 Kurt Rebmann u. a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, 4. Aufl. (2001), Vor § 275 (Emmerich), Rn. 187. 4 J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2, §§ 255 – 314, Neubearbeitung 2001, Vor § 275 (Löwisch), Rn. 107; Rebmann (o. Fn. 3), Vor § 275 (Emmerich), Rn. 187; BGH XII ZR 126 / 96 NJW 1998, 2900 (24. 6. 1998). 5 Staudinger (o. Fn. 4), Vor § 275 (Löwisch), Rn. 108; eingehend Hans Christoph Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung (1997), S. 137 ff. 6 BGH V ZR 29 / 96 NJW 1998, 302 (26. 9. 1997). Kritisch Staudinger (o. Fn. 4), Vor § 275 (Löwisch), Rn. 106. Zum Schadensbegriff allgemein Rebmann (o. Fn. 3), § 249 (Oetker), Rn. 14 ff. 7 Rebmann (o. Fn. 3), Vor § 275 (Emmerich), Rn. 184. Zu Grenzen BGH V ZR 29 / 96 (o. Fn. 6), 305. 8 Vgl. nur Rebmann (o. Fn. 3), Vor § 275 (Emmerich), Rn. 182. 9 Vgl. Grigoleit (o. Fn. 5), S. 189 ff. 10 Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 61. Aufl. (2001), § 276 (Heinrichs), Rn. 101; Grigoleit (o. Fn. 5), S. 197 f.; eingehend Nirk (o. Fn. 2), S. 86 ff. BGH XII ZR 126 / 96 (o. Fn. 4), 2900 f.: Auch wenn kein Kontrahierungszwang (zum Abschluss des günstigeren Vertrages) besteht, so wird das positive Interesse ersetzt, wenn beide Seiten zum Abschluss des güns-
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Im Gegensatz zum Reichsgericht will der Bundesgerichtshof das negative Interesse auch dann voll ersetzen, wenn es über das Erfüllungsinteresse herausgeht11. b) Aufklärung über Abschluss- und Wirksamkeitsbedingungen In dieser Fallgruppe hat der Bundesgerichtshof beispielsweise Pflichten anerkannt, im Verhandlungspartner keine falschen Vorstellungen über die eigene Abschlussbereitschaft zu erwecken12, Sinnesänderungen in Bezug auf den Vertrag unverzüglich mitzuteilen 13 und Wirksamkeitsvoraussetzungen wie z. B. Genehmigungsbedürftigkeit, die der andere Teil nicht kennt, offen zu legen14. Der aus einer schuldhaften Pflichtverletzung resultierende Schadensersatzanspruch richtet sich auch in dieser Fallgruppe nach § 249 BGB auf das negative Interesse. Wenn der Bundesgerichtshof gelegentlich anmerkt, „ausnahmsweise“ komme auch der Ersatz des positiven Interesses in Betracht15, so verweist er (entsprechend der Situation bei Verletzung inhaltsbezogener Aufklärungspflichten) damit auf Situationen, in denen bei pflichtgemäßer Aufklärung ein Vertrag tatsächlich abgeschlossen worden wäre und in denen folglich negatives und positives Interesse zusammenfallen16. Ein Urteil aus dem Jahr 196517 verdeutlicht das. Hier hatte ein Wohnungsbauunternehmen mit einem Ehepaar einen privatschriftlichen tigeren Vertrages bereit gewesen wären. Besonders anschaulich BGH IV ZR 107 / 70 NJW 1972, 822 (1. 3. 1972) im Fall eines entgegen den berechtigten Erwartungen des Kunden ausgefüllten Versicherungsformulars: Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz des „negativen Interesses“, d. h., „ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Versicherungsagent das Antragsformular . . . sachgerecht ausgefüllt und dann an die Beklagte weitergereicht hätte. Wäre das geschehen, so liegt aber die Annahme nahe, daß der Antrag . . . entweder von der Beklagten angenommen worden wäre [= positives Interesse, Anm. d. Verf.] oder daß der Kläger bei einem anderen Versicherer für einen seinen Bedürfnissen entsprechenden Versicherungsschutz gesorgt hätte“ (S. 824). Vgl. jetzt auch (im Ergebnis wie hier) Carsten Nickel, Die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo (2004), S. 256. 11 So generell (ohne Differenzierung nach Fallgruppen) BGH V ZR 66 / 54, WM 1955, 728 (4. 3. 1955); BGH VII ZR 15 / 70, BGHZ 57, 191, 193 (28. 10. 1971); BGH VIII ZR 186 / 75 BGHZ 69, 56 (25. 5. 1977). Siehe Rebmann (o. Fn. 3), Vor § 275 (Emmerich), Rn. 182 m. w. N.; Palandt (o. Fn. 10), § 276 (Heinrichs), Rn. 100; Nirk (o. Fn. 2), S. 88 f. m. w. N. 12 BGH V ZR 17 / 73 NJW 1975, 44 (18. 10. 1974). 13 BGH I ZR 172 / 76 LM § 313 BGB Nr. 80 Bl. 5 – 6 (19. 1. 1979); vgl. Dietrich Reinicke / Klaus Tiedtke, Schadensersatzverpflichtungen aus Verschulden beim Vertragsschluß nach Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund, ZIP 1989, 1093, 1096 f. 14 BGH V ZR 158 / 72 LM § 276 (Fc) BGB Nr. 4 (17. 5. 1974). 15 Vgl. BGH V ZR 53 / 64 NJW 1965, 812, 814 (29. 1. 1965); BGH VII ZR 15 / 70 (o. Fn. 11) (zur Verjährung eines Schadensersatzanspruchs bei Scheitern von Vertragsverhandlungen, „gleichviel, ob er sich auf das positive oder das negative Interesse richtet“). Zu BGH II ZR 157 / 72 BB 1974, 1039 (6. 6. 1974) vgl. jedoch unten Fn. 56 ff. und zugehöriger Text. 16 BGH V ZR 66 / 54 (o. Fn. 11); Nirk (o. Fn. 2), S. 86 ff. m. w. N. 17 BGH V ZR 53 / 64 (o. Fn. 15).
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Vertrag über den Kauf eines Hauses abgeschlossen und die Käufer in pflichtwidriger Weise nicht darüber aufgeklärt, dass ein wirksamer Kaufvertrag nach dem Gesetz notarielle Beurkundung voraussetzt. Es kam nach dem Einzug der Käufer zu Meinungsverschiedenheiten, in deren Folge die Verkäuferin erklärte, sich an die Vereinbarung nicht mehr halten zu wollen. Die Käufer brachten vor, bei rechtzeitiger Aufklärung hätten sie auf dem formgerechten Abschluss eines Kaufvertrages bestanden. Der Bundesgerichtshof fand unter diesen Umständen einen Anspruch aus cic auf das positive Interesse naheliegend18. Notwendig war in diesem Fall allerdings der Nachweis, dass nicht nur die Käufer den formgerechten Abschluss verlangt, sondern die Verkäuferin diesem Verlangen auch tatsächlich entsprochen hätte. Ein Kontrahierungszwang bestand schließlich nicht. Eine solche Feststellung war jedoch in der Tat naheliegend, weil die Verkäuferin ja durchaus abschlusswillig war, bis es zu den Meinungsverschiedenheiten kam19. Es folgt daraus, dass der Ersatz des positiven Interesses dann nie in Frage kommt, wenn das Verschulden einer Partei gerade darin liegt, über die eigene mangelnde (eingeschränkte) Abschlussbereitschaft unzureichend aufgeklärt zu haben. In einem solchen Fall ist es schließlich nicht möglich, dass bei zureichender Aufklärung ein Vertrag zustande gekommen wäre. Einen echten Anspruch auf das Erfüllungsinteresse gewährt die Rechtsprechung nicht20. An sich selbstverständlich sollte nach der allgemeinen Konzeption der cic sein, dass die Verletzung von Aufklärungspflichten auch dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der schlussendlich nicht zustande gekommene Vertrag formbedürftig wäre21. Formbedürftigkeit soll nach dem BGH jedoch Einfluss haben auf die 18 Zu entscheiden hatte der BGH diese Frage nur indirekt: Unmittelbar ging es darum, ob die Käufer sich gegen den Herausgabeanspruch der Verkäuferin aus § 985 BGB auf den Kaufvertrag berufen konnten und dessen Unwirksamkeit wiederum nach § 242 BGB unbeachtlich sei. Letzteres setzt nach Rechtsprechung des BGH voraus, dass die Nichtanerkennung des Vertrages „schlechthin untragbar“ wäre; und diesen Tatbestand sah der BGH im zu entscheidenden Fall nicht als erfüllt an, weil eben Ansprüche aus cic denkbar seien, die auch das positive Interesse schützten. 19 Im Schrifttum stößt die Rechtsprechung des BGH zum Ersatz des positiven Interesses teilweise auf Widerspruch; siehe etwa Wolfgang Sonnabend, Die Typen der Culpa in Contrahendo – unter besonderer Berücksichtigung des Inhalts des Schadensersatzanspruchs (1984), S. 88; Staudinger (o. Fn. 4), Vor § 275 (Löwisch), Rn. 84 unter Verweis auf Hans Stoll, Tatbestände und Funktionen der Haftung für culpa in contrahendo, in: Hans Claudius Ficker u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer (1978), S. 435, 445 f. („wirtschaftlicher Kontrahierungszwang“). Es ist allerdings inkonsequent, wenn die gleichen Autoren dem Ersatz des Erfüllungsschadens in den Fällen, in denen ein ungünstiger Vertrag zustande gekommen ist, zustimmen; vgl. Staudinger (o. Fn. 4), Vor § 275 (Löwisch), Rn. 107. 20 Vgl. BGH II ZR 16 / 87, NJW-RR 1988, 288 (21. 9. 1987). Zur Möglichkeit, das negative Interesse über den Betrag des positiven hinaus zu ersetzen, o. Fn. 11. 21 Schließlich kann ja gerade mangelnde Aufklärung über die Formvorschrift Pflichtverletzung sein (BGH V ZR 53 / 64 (o. Fn. 15)). Siehe weiterhin BGH V ZR 17 / 73 (o. Fn. 12), 43 f.; BGH I ZR 172 / 76 (o. Fn. 13), Bl. 5; Reinicke / Tiedtke (o. Fn. 13), ZIP 1989, 1096; Wolfgang Küpper, Das Scheitern von Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der culpa in contrahendo (1988), S. 316 ff. n. w. N.
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Frage nach der Art des Schadensersatzes in den Fällen, in denen mit dem negativen gleichzeitig das positive Interesse ersetzt wird. Grundsätzlich müsste ja beispielsweise das erwähnte Urteil zur cic bei unterlassener Aufklärung über die Formbedürftigkeit22 als Schadensersatz Naturalrestitution, und das heißt: den nachträglichen Abschluss und sodann die Erfüllung des Vertrages vorsehen. Das aber wäre laut BGH mit dem Schutzzweck der Formvorschrift nicht mehr vereinbar23. Deswegen soll nur der Ersatz des positiven Interesses in Geld in Betracht kommen24.
2. Erhaltungspflichten Im Gegensatz zum Reichsgericht spricht der Bundesgerichtshof ausdrücklich von einer Haftung aus culpa in contrahendo, wenn er im vorvertraglichen Stadium Schadensersatz wegen Verletzung deliktisch geschützter Rechtsgüter unter Anwendung von § 278 BGB zuspricht. Vertragsverhandlungen im eigentlichen Sinn sind allerdings nicht erforderlich; es genügt, dass sich ein potentieller Vertragspartner in den Einflussbereich des anderen begibt25, beispielsweise in die Geschäftsräume eines Kaufhauses oder Selbstbedienungsladens. Die resultierenden Pflichten beinhalten beispielsweise, dass solche Räume überwacht werden müssen, damit Kunden nicht in vermeidbarer Weise zu Schaden kommen26. Die vorvertragliche Haftung in dieser Fallgruppe verbessert den Rechtsgüterschutz potentieller Vertragsparteien, indem sie zur Anwendung von Vorschriften über Verjährung, Haftung für Hilfspersonen und Beweislastumkehr führt, die gegenüber den deliktsrechtlichen Grundsätzen günstiger sind27. Sie findet ihr Vorbild und ihre Parallele in den entsprechenden vertraglichen Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter der anderen Seite28. Oben Fn. 17. BGH V ZR 53 / 64 (o. Fn. 15), 814 unter Verweis auf BGH V ZR 66 / 54 (o. Fn. 11); Der BGH behauptet daneben, die Naturalrestitution „wäre Vertragserfüllung und kein Schadensersatz“ und käme deshalb nicht in Betracht. Das ist Begriffjurisprudenz, und zudem falsch: Wenn der Schaden – wie der BGH selber anerkennt – darin liegt, dass der Vertrag mangels Wirksamkeit nicht erfüllt wird, dann muss der Schadensersatz gerade in der Vertragserfüllung bestehen. 24 BGH V ZR 53 / 64 (o. Fn. 15), 814. 25 Staudinger (o. Fn. 4), Vor § 275 (Löwisch), Rn. 64. 26 Siehe BGH VI ZR 92 / 61 NJW 1962, 31 (26. 9. 1961) (Kundin rutschte auf Salatblatt aus); BGH VIII ZR 146 / 76 BGHZ 66, 51 (28. 1. 1976) (Ausrutschen auf Bananenschale). 27 BGH VIII ZR 146 / 76 (o. Fn. 26), 54 unter Verweis auf §§ 278 / 831 BGB, §§ 195 / 852 BGB und § 282 BGB a. F. Vgl. weiter S. 51 (eigener Anspruch einer Geschädigten, die nicht selber als Verhandlungs- und Vertragspartei in Betracht kam, nach Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte – anstelle von Drittschadensliquidation). 28 Soergel (o. Fn. 1),Vor § 275 (Wiedemann), Rn. 123 m. w. N.; ausführlich Canaris (o. Fn. 156), JZ 1965, 475 ff. Siehe auch Soergel Rn. 122 zu Stimmen, die systematisch eine Verbesserung des deliktsrechtlichen Schutzsystems und die Abschaffung dieser cic-Fallgruppe fordern. 22 23
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Eine wenig beachtete Entscheidung aus dem Jahr 197429 erwägt eine dem Prinzip der cic in den Fällen der Erhaltungspflicht zumindest sehr nahestehende Haftung. Eine regionale Fluggesellschaft fordert Schadensersatz vom Flughafen Stuttgart. Dieser hat der Klägerin die ungehinderte Nutzung der Flughafeneinrichtungen nicht gestattet und so unter anderem gegen eine gerichtlich (in Anlehnung an gesetzliche Kontrahierungszwänge) anerkannte Zulassungspflicht30 verstoßen. Für Schadensersatzansprüche wegen Verletzung dieser Pflicht sei, so der BGH, ein Rückgriff auf § 826 BGB nicht nötig. Während das Gericht die genaue Anspruchsgrundlage offen lässt, verweist es darauf, dass der Kontrahierungszwang ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten begründe, dass sowohl dem Schuldverhältnis der Vertragsverhandlungen als auch dem eigentlichen vertraglichen Schuldverhältnis ähnele31. Folglich müssten für die Zurechnung von Pflichtverletzungen die §§ 276, 278 gelten, und die Schadensersatzpflicht resultiere aus dem für vertragliche und vorvertragliche Pflichten allgemein geltenden Grundsatz, dass Pflichtverletzungen zu Schadensersatzansprüchen führen32.
3. Sicheres Inaussichtstellen eines Vertrages Neue Wege beschreitet der BGH mit der Konstruktion einer Haftung auf das negative Interesse, wenn eine Verhandlungspartei den Abschluss des Vertrages als sicher in Aussicht stellt, dadurch die andere Partei zu Aufwendungen motiviert und schließlich die Verhandlungen ohne vernünftigen Grund abbricht. Das früheste Beispiel findet sich in einem Urteil des VIII. Zivilsenates aus dem Jahr 196033. Der Sachverhalt: Der Kläger will ein Grundstück vom beklagten Land mieten. Das Land legt dem Kläger einen Mustermietvertrag vor, stellt den Abschluss eines solchen in Aussicht und ermuntert ihn zudem, Investitionen zu tätigen, die nur im Hinblick auf den erwarteten Vertrag sinnvoll wären. Als es zur Vertragsunterzeichnung kommen soll, ist das Land jedoch nur noch zum Abschluss zu anderen als den ursprünglich in Aussicht gestellten Bedingungen bereit34, die wiederum dem Kläger nicht recht sind. Nachdem das Land den Abschluss zu den ursprünglichen Bedingungen endgültig abgelehnt hat, verlangt der Kläger Ersatz seiner nunmehr sinnlosen Investitionen, aber auch des Gewinns, den er aus der Nutzung des Grundstücks in Zukunft hätte ziehen können35. BGH KZR 6 / 73 BGH NJW 1974, 1903 (18. 4. 1974). Diese war für den konkreten Fall in BGH KZR 13 / 68 WuW / E BGH 1131 (10. 7. 1969) festgestellt worden. 31 BGH KZR 6 / 73 (o. Fn. 29), 1904. 32 BGH KZR 6 / 73 (o. Fn. 29), 1904. 33 BGH VIII ZR 153 / 59 WM 1960, 1384 (19. 10. 1960). 34 Das Verhalten des Landes war streitig, wurde aber vom BGH, dem Vortrag des Klägers folgend, so wie hier geschildert unterstellt. 35 BGH VIII ZR 153 / 59 (o. Fn. 33), 1385; siehe aber auch 1386. 29 30
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In seiner Entscheidung stellt der Bundesgerichtshof zunächst fest, dass der Kläger mangels Vorvertrages keinen Anspruch auf den Abschluss eines Mietvertrages habe und daher auch keinen entgangenen Gewinn verlangen könne36. Gleichzeitig weist das Gericht darauf hin, dass Ansprüche aus cic gegeben sein können, wenn das Vertrauen des Klägers auf den Vertragsschluss vom Land in pflichtwidriger und schuldhafter Weise hervorgerufen worden ist: „In der Tat kann eine schuldhafte Verletzung der Pflichten aus Vertragsverhandlungen auch darin liegen, daß das Vertrauen einer Verhandlungspartei auf das demnächstige Zustandekommen eines längeren Vertragsverhältnisses erweckt und die andere Partei zu Aufwendungen veranlasst wird, die sie nicht gemacht hätte, wenn sie nicht mit dem Vertragsschluss gerechnet hätte.“37
Dieser Tatbestand soll beispielsweise erfüllt sein, wenn „eine Partei in der Kenntnis, daß die Gegenpartei zu Aufwendungen veranlaßt wird, den künftigen Abschluß eines Vertrages als gesichert hinstellt“38. Neben dieser anerkannten Haftung wegen Verstoßes gegen eine Aufklärungspflicht erörtert der Bundesgerichtshof noch einen zweiten Ansatzpunkt, aus dem sich eine cic-Haftung ergeben könne. Die Umstände des Einzelfalles, in dem nämlich schon weitgehende Verbindungen zwischen den Parteien bestanden, die erst den Kläger zur Vornahme seiner erheblichen Aufwendungen veranlassten, sollen nämlich nach Ansicht des BGH möglicherweise „für das beklagte Land die Verpflichtung begründen, sein Verhalten so einzurichten, daß der Kläger nicht unbillig geschädigt werde, und deshalb Verhandlungen nicht ohne triftigen Grund abzubrechen. Diese Verpflichtung könnte das beklagte Land, selbst wenn der Entwurf des Mietvertrages nicht wesentlich von dem Mustermietvertrag abgewichen wäre, dadurch verletzt haben, daß es die Abänderungswünsche des Klägers zum Anlaß genommen hätte, den Abschluß des Mietvertrages aus sachfremden Erwägungen zum Scheitern zu bringen.“39
Eine echte Pflicht, Verhandlungen nicht ohne triftigen Grund abzubrechen, würde einen bedingten Kontrahierungszwang bedeuten, der durch Klage auf Vertragsschluss und Erfüllung oder auf Ersatz des positiven Interesses in Geld durchsetzbar sein müsste40. Diese Konsequenz zieht der Bundesgerichtshof jedoch nicht – die Verletzung der „Pflicht“, Verhandlungen ab einem bestimmten Punkt nicht ohne triftigen Grund abzubrechen, soll nur durch Ersatz des negativen Interessen sanktioniert werden41. Insofern ist die Rede von einer „Verpflichtung, Verhandlungen BGH VIII ZR 153 / 59 (o. Fn. 33), 1385. BGH VIII ZR 153 / 59 (o. Fn. 33), 1385. 38 BGH VIII ZR 153 / 59 (o. Fn. 33), 1385. 39 BGH VIII ZR 153 / 59 WM 1960, 1386. Hervorhebungen vom Verfasser. 40 Götz von Craushaar, Haftung aus culpa in contrahendo wegen Ablehnung des Vertragsabschlusses – BGH, LM § 276 (Fa) BGB Nr. 28, JuS 1971, 127, 129. 41 BGH VIII ZR 153 / 59 (o. Fn. 33), 1385 f.; vgl. v. Craushaar (o. Fn. 40), JuS 1971, 129; Dieter Medicus, Ansprüche auf das Erfüllungsinteresse aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen?, in: ders. u. a. (Hrsg.), Festschrift für Hermann Lange (1992), S. 539, 549. 36 37
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nicht ohne triftigen Grund abzubrechen“, unglücklich42. Zunächst bleibt der BGH jedoch bei dieser Formulierung und stellt im Jahr 1964 fest, der Abbruch von Vertragsverhandlungen per se stelle noch kein Verschulden bei Vertragsverhandlungen dar – erforderlich sei vielmehr, dass zuvor der Abschluss des Vertrages als sicher hingestellt wurde43. Eine gewisse Klärung44 tritt mit dem Urteil des II. Zivilsenates vom 6. 2. 1969 ein45. Es heißt im Leitsatz, dass ein Verhandlungspartner zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet sein kann, wenn er sich mit „der Gegenseite über den Inhalt eines noch abzuschließenden Vertragswerkes einig geworden ist, später aber den Vertragsschluss ohne triftigen Grund ablehnt“. Nun sagt das Gericht ausdrücklich, dass der Verhandlungsabbruch für sich genommen eine Haftung nicht begründen könne, weil nämlich bei Fehlen vertraglicher Bindung eine Verhandlungspflicht nicht bestehe. Wenn es weiter heißt, die Haftung knüpfe an den Abbruch der Verhandlungen, „obwohl er [der abbrechende Teil] sich vorher so verhalten hat, daß der andere Teil berechtigterweise auf das Zustandekommen des Vertrages vertraut und deswegen wirtschaftliche Nachteile auf sich genommen hat“46, deutet sich an, dass das haftungsauslösende Verhalten wie im Falle des Aufklärungsverschuldens in der Erweckung, nicht der Enttäuschung von Vertrauen auf den Vertragsabschluss zu sehen ist47. Passend dazu findet sich in dieser Entscheidung, erstmals in der Rechtsprechung des BGH48, ein Hinweis darauf, dass die Haftung in Vgl. Reinicke / Tiedtke (o. Fn. 13), ZIP 1989, 1098. BGH V ZR 120 / 64, BB 1967, 979 (14. 7. 1964). 44 BGH VIII ZR 8 / 65 WM 1967, 798 (19. 4. 1967) lässt den Leser im unklaren, ob er den Abbruch ohne triftigen Grund als eigene Haftungsgrundlage neben dem Aufklärungsverschulden anerkennen will. In dem Urteil geht es um die Haftung nach dem Abbruch von Verhandlungen über einen Pachtvertrag. Die Lektüre der Gründe für den Abbruch ist einigermaßen amüsant und führt schnell zu dem Schluss, dass sie bestimmt nicht „triftig“ waren. Entsprechend wird das Urteil auch durchaus als Beleg für die „Abbruchhaftung“ herangezogen (so von Reinicke / Tiedtke (o. Fn. 13), ZIP 1989, 1097). Die Ausführungen im Urteil aber beschäftigen sich im Wesentlichen mit der Frage, ob es der Haftung aus cic entgegensteht, dass der geplante Vertrag der Schriftform bedarf, und verneinen dies (798). Nebenbei wird erwähnt, dass die cic-Haftung allerdings voraussetze, dass eine Seite der anderen den Vertragsschluss sicher in Aussicht gestellt habe (799). Dass sich das Urteil auf die Entscheidung vom 19. 10. 1960 beruft, besagt wenig, weil diese ja sowohl Aufklärungsverschulden als auch Abbruchhaftung diskutiert. 45 BGH II ZR 86 / 67 LM § 276 (Fa) BGB Nr. 28 (6. 2. 1969). 46 BGH II ZR 86 / 67 (o. Fn. 45). 47 Vgl. aber v. Craushaar (o. Fn. 40), JuS 1971, 128: BGH II ZR 86 / 67 (o. Fn. 45) sehe „Verschulden . . . darin, daß der Verhandlungspartner den Vertragsschluß ohne triftigen Grund abgelehnt hat“. v. Craushaar will differenzieren: Entsprechend §§ 116, 179 I BGB einerseits, §§ 122, 179 II andererseits sei danach zu unterscheiden, ob Vertrauen vorsätzlich oder fahrlässig falsch hervorgerufen wurde. Nur in ersterem Fall soll es einen Anspruch auf das positive Interesse geben (130 f.). 48 So auch Martin Weber, Haftung für in Aussicht gestellten Vertragsabschluß, AcP 192 (1992), 390, 408. 42 43
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den Abbruchfällen mit der Situation der Irrtumsanfechtung und der resultierenden Haftung nach § 122 BGB vergleichbar sei49. Die Rechtsprechung zur Haftung auf das negative Interesse wegen sicheren Inaussichtstellen des Vertragsschlusses in Anlehnung an § 122 BGB wird in der Folgezeit insbesondere dahingehend weiterentwickelt, dass sie ausgeschlossen sein soll, wenn der gescheiterte Vertrag formbedürftig ist50. Es bleibt bei der etwas missverständlichen Formulierung, dass der Abbruch der Vertragsverhandlungen das haftungsauslösende Ereignis sein soll, obwohl eine Pflicht, Vertragsverhandlungen fortzuführen nicht bestehen soll und sich auch in der Sanktion (Ersatz des negativen Interesses) gerade nicht widerspiegelt51. Ein Urteil des VIII. Senates vom 22. 2. 198952 fasst die Position der Rechtsprechung zum Abbruch von Vertragsverhandlungen schließlich folgendermaßen53: „Auch wenn die Parteien sich schon in längeren und ernsthaft geführten Vertragsverhandlungen befinden, kann jede Seite vom Vertragsschluß Abstand nehmen, ohne sich allein deshalb bereits wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen schadensersatzpflichtig zu machen. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur dann, wenn ein Verhandlungspartner bei der Gegenseite zurechenbar das aus dessen Sicht berechtigte Vertrauen erweckt hat, der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen, sodann aber die Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund abbricht.54 . . . Hat [der Beklagte] den Vertragsabschluß als sicher hingestellt, kommt es auf ein Verschulden dabei nicht an.“55
Einen Sonderfall allerdings stellt ein Urteil aus dem Jahr 1974 dar. In dem Urteil geht es um Verhandlungen zur Gründung einer Arbeits- und Bietergemeinschaft. BGH II ZR 86 / 67 (o. Fn. 45), Bl. 2. Siehe BGH V ZR 17 / 73 (o. Fn. 12), 44; BGH I ZR 172 / 76 (o. Fn. 13), Bl 5; BGH V ZR 216 / 81 WM 1982, 1436 (8. 10. 1982); und insbesondere BGH III ZR 47 / 83 BGHZ 92, 164, 175 (20. 9. 1984) unter sorgfältiger Gegenüberstellung der Fälle von Aufklärungsverschulden (Formerfordernisse unbeachtlich) und verschuldensunabhängiger Haftung; weitere Nachweise bei Reinicke / Tiedtke (o. Fn. 13), ZIP 1989, 1097 Fn. 15; Palandt (o. Fn. 10), § 276 (Heinrichs), Rn. 74. A. A. Joachim Gernhuber, Das Schuldverhältnis (1989), S. 186 Fn. 50. 51 Vgl. BGH VIII ZR 2 / 73 WM 1974, 508 f. (2. 4. 1974); BGH V ZR 17 / 73 (o. Fn. 12), 43. Zur Frage des „triftigen Grundes“ vgl. Nirk (o. Fn. 2), S. 83 f.; Stoll (o. Fn. 19), S. 449; zur Kontrastierung von „Abbruchhaftung“ und Haftung wegen schuldhafter Erweckung von Abschlusserwartungen Sonnabend (o. Fn. 19), S. 15 f. Strikt gegen jegliche Haftung bei Fehlen eines Aufklärungsverschuldens Reinicke / Tiedtke (o. Fn. 13), ZIP 1989, 1093 sowie Johannes Wertenbruch, Zur Haftung aus culpa in contrahendo bei Abbruch von Vertragsverhandlungen, ZIP 2004, 1525, 1529. 52 BGH VIII ZR 4 / 88 ZIP 1989, 514 (22. 2. 1989). 53 Vgl. Weber (o. Fn. 48), AcP 192 (1992), 409. 54 BGH VIII ZR 4 / 88 (o. Fn. 52), 515. 55 BGH VIII ZR 4 / 88 (o. Fn. 52), 517. Zur Qualifizierung einer derartigen Haftung im internationalen Privatrecht siehe EuGH C-334 / 00, Fonderie Officine Meccaniche Tacconi SpA . / . Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH (HWS), Slg. 2002, I-7357 (17. 9. 2002): Anspruch aus cic wegen Abbruch von Vertragsverhandlungen ist Anspruch aus unerlaubter Handlung i. S. d. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ. 49 50
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Eine der Verhandlungsparteien gibt noch im Verhandlungsstadium ein Gebot für den betroffenen Auftrag ab und deutet in diesem Gebot die Möglichkeit gemeinschaftlicher Ausführung lediglich an. Der Auftrag wird der Bieterin alleine erteilt, und sie führt ihn alleine aus.56 Der BGH sieht im Verhalten der Bieterin bei der Einreichung des Gebotes eine Pflichtverletzung, obwohl eine vertragliche Einigung bezüglich der Arbeitsgemeinschaft nie zustande gekommen war, und hält den Ersatz der positiven Interesses für möglich57, während nach dem Modell der an § 122 angelehnten Haftung nur der Ersatz des negativen Interesses in Betracht kommen kann und ein Aufklärungsverschulden – das ja unter bestimmten Umständen, wie der BGH in der Entscheidung richtig bemerkt58, zum Ersatz des positiven Interesses über das negative führen kann, nicht gegeben war. Hier erkennt der BGH also im Ergebnis eine der vertraglichen Bindung bereits gleich kommende Verpflichtung nach den Grundsätzen der cic und damit eine Verhandlungspflicht (= einen Kontrahierungszwang) an. Das Urteil ist allerdings, soweit ersichtlich, singulär geblieben und dürfte heute als überholt gelten. 4. Öffentliche Auftragsvergabe Auf öffentliche Auftraggeber wendet die Rechtsprechung zunächst die gewöhnlichen Grundsätze der Haftung für cic an. Das führt insbesondere zu einer Haftung für den Verstoß gegen vertragsgegenstands- wie abschlussbezogene Aufklärungspflichten. a) Gegenstandbezogene Aufklärungspflichten Macht der Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen falsche oder unvollständige Angaben59, so kann er dem erfolgreichen Bieter gegenüber wegen Verstoß gegen eine Aufklärungspflicht zum Schadensersatz verpflichtet sein. Zur Bestimmung des objektiv erforderlichen Maßes an Aufklärung greift die Rechtsprechung zunehmend auf die in den Verdingungsordnungen statuierten Anforderungen zurück60. Weil so lediglich Pflichten, die zweifellos von Gesetzes wegen allgemein bestehen, im Einzelfall konkretisiert werden, spielt es hier keine Rolle, ob und wenn ja warum die jeweils einschlägige Verdingungsordnung der Ausschreibung verbindlich zu Grunde liegt61. BGH II ZR 157 / 72 (o. Fn. 15), 1039. BGH II ZR 157 / 72 (o. Fn. 15), 1040. 58 BGH II ZR 157 / 72 (o. Fn. 15), 1040 unter Hinweis auf BGH V ZR 53 / 64 (o. Fn. 15). 59 Zur Auslegung von Ausschreibungen vgl. BGH VII ZR 118 / 92 NJW-RR 1993, 1109 (22. 4. 1993). 60 Siehe etwa BGH VII ZR 191 / 63 NJW 1966, 498 (22. 11. 1965); BGH VII ZR 310 / 86 NJW-RR 1988, 785 (25. 2. 1988); BGH VII ZR 129 / 91 NJW-RR 1992, 1046 (9. 4. 1992); BGH VII ZR 47 / 93 NJW 1994, 850 (11. 11. 1993); BGH VII ZR 59 / 95 NJW 1997, 61, 62 (27. 6. 1996); OLG Hamm 26 U 40 / 92 BauR 1994, 144 (17. 2. 1993). 56 57
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Auch wenn den Anforderungen der Verdingungsordnungen in Bezug auf die Vollständigkeit der Leistungsbeschreibung nicht Genüge getan wird, scheitern Schadensersatzansprüche (die sich im allgemeinen auf Mehrvergütung richten62) allerdings dann, wenn der Auftraggeber auf die Lückenhaftigkeit hinweist oder diese vom Bieter erkannt wurde. Bei einem expliziten Hinweis fehlt es schon an der Pflichtverletzung. Die Rechtsprechung stellt zudem darauf ab, dass in diesen Fällen der Kläger nicht vertraut hat, somit auch nicht in seinem Vertrauen enttäuscht werden konnte63, womit jedenfalls die Kausalität der unvollständigen Beschreibung für den Schaden entfällt und sich eine Prüfung etwaigen Mitverschuldens erübrigt64. Im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht haben Auftraggeber Bieter auch auf erkannte Kalkulationsirrtümer in deren Geboten hinzuweisen. Wird diese Pflicht verletzt und nimmt der Auftraggeber das irrtümlich zu niedrig kalkulierte Angebot an, so hindert ihn § 242 BGB daran, den erfolgreichen Bieter am Vertrag festzuhalten65.
b) Abschlussbezogene Aufklärungspflichten Weiterhin sind selbstverständlich auch öffentliche Auftraggeber verpflichtet, keine unzutreffenden Vorstellungen der Bieter über die Chancen eines Vertragsschlusses zu erwecken oder aufrecht zu erhalten. Daher verletzt ein Auftraggeber, unabhängig von § 16 VOB / A, vorvertragliche Pflichten, wenn er ausschreibt, ohne dass die Finanzierung gesichert ist, auf diesen Umstand aber nicht hinweist66. Wird ein Auftrag pflichtwidrig ausgeschrieben und kommt ein Vertrag tatsächlich nicht zustande, so stellen sich möglicherweise die Aufwendungen einer ganzen Anzahl von Bietern im Nachhinein als sinnlos heraus. Der Bundesgerichtshof 61 Zum Unterschied zwischen Pflichtwidrigkeit einer Abweichung von einer Vergabeordnung als solcher und Verletzung einer durch die Vergabeordnung konkretisierten vorvertraglichen Pflicht vgl. BGH VII ZR 11 / 79 NJW 1980, 180 (4. 10. 1979); BGH VII ZR 47 / 93 (o. Fn. 60); BGH VII ZR 59 / 95 (o. Fn. 60). 62 Im Falle der Ausschreibung ist es besonders einsichtig, dass bei richtiger Information ein günstigerer Vertrag geschlossen worden wäre: Alle Gebote wären dann proportional höher gewesen, so dass der erfolgreiche Bieter den Zuschlag zu besseren Bedingungen erhalten hätte. 63 BGH VII ZR 191 / 63 (o. Fn. 60); BGH VII ZR 129 / 91 63 (o. Fn. 60). 64 BGH VII ZR 310 / 86 63 (o. Fn. 60), 785; BGH VII ZR 47 / 93 (o. Fn. 60), 851. 65 BGH VII ZR 11 / 79 (o. Fn. 61), 180. Vgl. umgekehrt BGH VII ZR 119 / 71, BGHZ 60, 221 (22. 2. 1973), und dazu Alexander Bollongino, Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen von Unternehmen bei Abweichungen von Bestimmungen der Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A, durch öffentliche Auftraggeber (1992), S. 51. 66 BGH X ZR 48 / 97, BGHZ 139, 261 f. (8. 9. 1998); siehe auch OLG Düsseldorf 24 U 35 / 75, NJW 1977, 1064, 1065 (27. 1. 1976); OLG Düsseldorf 23 U 122 / 88, BauR 1990, 257 (10. 1. 1989).
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hat bislang nicht entschieden, ob in einem solchen Fall tatsächlich auch alle Bieter Schadensersatz verlangen können67. Unter Gesichtspunkten der Kausalität sind Ansprüche aller Beteiligten zu bejahen, sofern man davon ausgehen kann, dass zutreffende Information seitens des Auftraggebers die Aufwendungen für die Anfertigung kostspieliger Gebote verhindert hätte68. Würde man allerdings als Obergrenze des ersatzfähigen Schadens das positive Interesse ansehen, so müssten alle Bieter, die den Zuschlag nicht hätten erhalten können69, leer ausgehen: Sie hätten ja auch dann ihre Aufwendungen selber tragen müssen, wenn ihrem (unberechtigten) Vertrauen auf die Beendigung des Verfahrens durch Zuschlagserteilung entsprochen worden wäre. Eine solche Begrenzung jedoch findet nach Ansicht des BGH grundsätzlich nicht statt70. c) Die Pflicht zur Einhaltung der Vergabebestimmungen Während der Bundesgerichtshof anfangs entsprechend der Rechtsprechung des Reichsgerichts davon ausgeht, eine Pflicht zur Beachtung der Vergabebestimmungen bestehe nicht und könne daher auch nicht zu Schadensersatzansprüchen aus cic führen, ändert sich diese Position im Laufe der Zeit, ohne dass dies je explizit ausgesprochen wird. (1) Die Rechtsprechung des BGH bis 1998 Die Entwicklung beginnt mit einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 8. April 196571. Der Kläger verlangt von einem Landkreis Schadensersatz. Dieser hat eine beschränkte Ausschreibung nach der VOB / A durchgeführt und in deren Rahmen den Kläger, Betreiber eines Flüchtlingsunternehmens nach § 74 BVFG, neben anderen Unternehmen aufgefordert, getrennte Angebote für zwei verschiedene Leistungen abzugeben. Der Kläger ist der Aufforderung nur in Bezug auf eine der Leistungen nachgekommen. Sein Angebot hat sich als das günstigste erwiesen. Dennoch erteilt der Landkreis den Auftrag einem anderen Bieter, der die Erbringung beider ausgeschriebenen Leistungen angeboten hat. Der Kläger meint nun, der Auftrag hätte ihm erteilt werden müssen und verlangt deshalb den entgangenen Gewinn aus dem Auftrag ersetzt. Vor dem Oberlandesgericht hat er Erfolg, und auch der BGH bestätigt seinen Anspruch. 67 BGH VII ZR 111 / 83 BauR 1984, 631 (12. 7. 1984) lässt die Frage für den Fall des Aufklärungsverschuldens gerade offen. Tendenziell für Schadensersatzansprüche aller Bieter wegen Aufklärungsverschulden LG Bochum 6 O 2 / 73 VersR 1975, 744 (17. 5. 1974). 68 Vgl. Andreas Feber, Schadensersatzansprüche bei der Auftragsvergabe nach VOB / A (1987), S. 90. 69 Sei es, weil das Angebot hätte ausgeschieden werden müssen, oder weil andere Gebote wirtschaftlich günstiger waren. 70 Oben bei Fn. 11. 71 BGH III ZR 230 / 63, VersR 1965, 764 (8. 4. 1965).
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Zunächst stellt der Bundesgerichtshof fest, dass der Kläger seinen Anspruch nicht auf eine Verletzung der VOB / A in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB stützen könne; denn die VOB / A sei erstens keine Rechtsnorm, und zweitens schütze sie nicht das Interesse der Bieter: „Wenn die im Teil A der VOB enthaltenen Regeln und Grundsätze für die Vergabe von Bauleistungen auch nicht einseitig auf das Interesse der öffentlichen Auftraggeber abstellen und ihr Zweck sich nicht ausschließlich in der Wahrung des Interesses der öffentlichen Hand erschöpft, vielmehr auch in gewissem Umfang sachlich gerechtfertigtes Interesse der Unternehmer Berücksichtigung finden mag . . . , so steht die Wahrung der Einzelinteressen der Unternehmer in den Bestimmungen der VOB doch nicht ausreichend genug im Vordergrunde, um diese Interessenwahrung der Unternehmer als (mit-) bezweckt in dem Sinne annehmen zu können, daß eine Nichtbeachtung der hier interessierenden Regeln die eine Schadensersatzpflicht auslösende Verletzung eines Schutzgesetzes darstelle . . . “72
§ 74 BVFG jedoch, der durch die Vergabeentscheidung des Landkreises ebenfalls verletzt worden sei, sei im Gegensatz zur VOB eine drittschützende Rechtsnorm73. Aus diesem Grunde sei das Ergebnis des Oberlandesgerichts im Ergebnis nicht zu beanstanden. Den genauen dogmatischen Weg lässt der BGH jedoch bewusst offen, er begnügt sich mit einer Art „Wahlfeststellung“. Entweder nämlich, so der BGH, seien die vorvertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Beklagten (auch) öffentlich-rechtlich zu beurteilen. Dann würde sich der Anspruch des Klägers aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG ergeben, da der Landkreis seine Amtspflicht aus § 74 BVFG verletzt hätte74. Oder aber es handle sich um ein ausschließlich privatrechtliches Rechtsverhältnis. Dann komme es zumindest in Betracht, § 75 BVFG als Schutzgesetz i. S. d. § 823 BGB anzusehen; vor allem würden dann die Grundsätze der Haftung wegen culpa in contrahendo eingreifen. Denn zwischen „den Teilnehmern an einer beschränkten Ausschreibung und dem öffentlichen Auftraggeber besteht ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten erzeugt . . . Im Rahmen dieser Rechtsbeziehung ist der Auftraggeber gehalten, auch diese gesetzlichen und sonstigen Vorschriften zur Berücksichtigung bestimmter Bewerber zu beachten, und die – schuldhafte – Nichtbeachtung macht ihn schadensersatzpflichtig . . . “75
Es folgen ausführliche Erörterungen dazu, dass im konkreten Fall eine schuldhafte Verletzung des BVFG stattgefunden hat76. Mit dem Inhalt des Schadensersatzanspruchs hingegen beschäftigt sich der BGH nicht weiter; er bestätigt den vom OLG gewährten Anspruch auf das positive Interesse. Das scheint plausibel, 72 BGH III ZR 230 / 63 (o. Fn. 71), 765 unter Hinweis auf BGH VI ZR 51 / 56 (12. 10. 1956), „im Ergebnis ebenso“. 73 BGH III ZR 230 / 63 (o. Fn. 71), 765. 74 BGH III ZR 230 / 63 (o. Fn. 71), 765 75 BGH III ZR 230 / 63 (o. Fn. 71), 765 f. 76 BGH III ZR 230 / 63 (o. Fn. 71), 766 f.
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unterschlägt aber einen wichtigen Punkt: Aus § 249 könnte der Bieter hier jedenfalls dann eigentlich zunächst Naturalrestitution, also Vertragsschluss fordern, wenn der Klage aus § 823 Abs. 2 bzw. aus cic stattzugeben war; nur bei öffentlichrechtlicher Beurteilung und Anwendung des § 839 BGB käme von vornherein nur Geldersatz in Betracht77. Ausführungen zur Frage des Inhalts des Ersatzanspruchs wären also durchaus angemessen gewesen. Im Jahr 1966 hat sich BGH mit einer ähnlichen Fallkonstellation zu beschäftigen78: Wieder geht es um die Schadensersatzklage eines durch gesetzliche Vorschriften besonders begünstigten Bieters; diesmal folgt die Bevorzugung aus § 68 BEG. Allerdings hat sich der Kläger an Ausschreibungen nie beteiligt: Er hat der beklagten Stadt aber sein Interesse an der Übernahme von Arbeiten unter Hinweis auf seine Stellung nach dem BEG kundgetan und um Berücksichtigung gebeten. Die Stadt hat diese Bitte ignoriert und den Kläger im Rechnungsjahr 1958 / 59 bei allen Auftragsvergaben übergangen. Als Grund gibt sie unter anderem an, der Kläger habe nicht die nötigen Fähigkeiten zur Ausführung der Aufträge aufweisen können. Wieder lässt der Bundesgerichtshof die Frage offen, ob richtigerweise Ansprüche aus Amtshaftung einerseits oder cic bzw. § 823 Abs. 2 BGB andererseits eingreifen. In jedem Fall nämlich sei die Klage erfolgreich. Der Bundesgerichtshof führt aus, der Kläger habe seine Eignung vor dem Oberlandesgericht nachgewiesen; bei der Prüfung der Eignung eines Bewerbers habe der Auftraggeber keinen Ermessensspielraum, „Eignung“ sei ein unbestimmter Rechtsbegriff79. § 68 BEG sei verletzt worden. Bezüglich des Anspruches aus cic heißt es: „Auch der Antrag eines Verfolgten an einen öffentlichen Auftraggeber, ihn mit Rücksicht auf seine Verfolgteneigenschaft bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt zu berücksichtigen, und daran sich anschließende Verhandlungen begründen zwischen den Parteien ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis . . . “80
Inhalt dieses Verhältnisses sei auch die Pflicht, Normen wie § 68 BEG zu beachten; bei schuldhafter Pflichtverletzung sei Schadensersatz „dahin zu leisten, daß der Geschädigte so zu stellen ist, wie wenn er bei der Vergabe der öffentlichen Aufträge bevorzugt berücksichtigt worden wäre“81. BGHZ 49, 7782 beschäftigt sich mit dem Ersatzanspruchs eines Bieters, der sich nur auf eine Verletzung der VOB / A stützen kann; er ist von der beklagten Stadt nicht beauftragt worden, obwohl er das niedrigste Gebot abgegeben hatte. Der KläVgl. Palandt (o. Fn. 10), § 839 (Thomas), Rn. 79. BGH III ZR 123 / 64, VersR 1966, 630 (3. 3. 1966). 79 BGH III ZR 123 / 64 (o. Fn. 78), 631. 80 BGH III ZR 123 / 64 (o. Fn. 78), 631. 81 BGH III ZR 123 / 64 (o. Fn. 78), 631. Vgl. auch 632 zur Frage der Schadensfeststellung durch das Berufungsgericht nach §§ 286, 287 ZPO. 82 BGH III ZR 12 / 67, BGHZ 49, 77 (16. 11. 1967). 77 78
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ger rügt, darin liege ein Verstoß gegen Amtspflichten und Art. 3 GG und verlangt Ersatz seines entgangenen Gewinns. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof stellt diesmal fest, auf die Ausschreibung seien die Grundsätze der cic unzweifelhaft anwendbar, da Normen wie das BVFG und das BEG nicht in Frage stünden. Die Beklagte sei „den Teilnehmern des Ausschreibungsverfahrens nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt, d. h. hoheitlich, sondern auf dem Boden des Privatrechts als gleichberechtigte Partnerin gegenübergetreten . . . Ebenso wie die Vergabe des Bauauftrags grundsätzlich zwischen der den Auftrag erteilenden Behörde und dem beauftragten Bauunternehmer ein privatrechtliches Verhältnis auch dann schafft, wenn das Bauvorhaben im öffentlichen Interesse liegt, gehört auch das vorausgehende Ausschreibungsverfahren in aller Regel dem nach Privatrecht zu beurteilenden fiskalischen und nicht dem hoheitlichen Bereich an . . . “83
Eventuelle Ansprüche aus cic seien jedoch verjährt. Zwar richte sich die Verjährung der Ansprüche aus cic generell nach § 195 BGB, so dass eine 30jährige Verjährungsfrist gelte. Dies sei aber nicht der Fall, wenn mit dem Schadensersatzanspruch – wie hier – das Erfüllungsinteresse verlangt werde. Da der Kläger im Ergebnis verlange, so gestellt zu werden, als habe er einen vertraglichen Erfüllungsanspruch erworben, sei er auch bezüglich der Verjährung entsprechend zu behandeln. Es gelte daher die kurze Verjährungsfrist nach § 196 Abs. 1 Nr. 184. Bedauerlich ist, dass der BGH über der Erörterung abstrakter Fragen wie der nach dem negativen Interesse und dem positiven völlig vergisst, klar zu sagen, welche Pflicht im konkreten Fall verletzt sein könnte. Schließlich steht nach den vorhergehenden Entscheidungen fest, dass die VOB allein noch keine Pflichten begründet. Der BGH erwägt lediglich folgendes: Der Anspruch aus cic hat „seine Grundlage in den Rechtsbeziehungen, die zwischen den Beteiligten während der vorvertraglichen Verhandlungen bestehen. . . . Er soll dem Betroffenen nicht die Erfüllung aus dem Vertrag verschaffen, sondern ist darauf gerichtet, ihm einen Ausgleich für den Schaden zu geben, der ihm durch die Verletzung seines in den Vertragspartner gesetzten Vertrauens während der Vertragsverhandlungen entstanden ist.“85
Mit dieser klassischen Begründung hätte sich ohne weiteres nur ein Anspruch auf das negative Interesse herleiten lassen. Der Vertrauensschaden ergibt sich bei der Verletzung der VOB / A daraus, dass der Verletzte fälschlicherweise auf die Beachtung der Vorschrift vertraute – und auch dann nur, wenn dem Auftraggeber die Erweckung des Vertrauens vorzuwerfen ist. Er besteht also in den Aufwendungen für die Erstellung des Angebotes. Ein Anspruch auf das Erfüllungsinteresse kann sich ergeben, wenn ohne Pflichtverletzung (Erweckung des Vertrauens = Ankündigung, nach der VOB zu verfahren) ein Vertrag abgeschlossen worden wäre 83 84 85
BGH III ZR 12 / 67 (o. Fn. 82), 79 f. BGH III ZR 12 / 67 (o. Fn. 82), 80 ff. BGH III ZR 12 / 67 (o. Fn. 82), 82.
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– was hier natürlich gerade nicht der Fall ist, ganz im Gegenteil: Der Kläger hätte sich womöglich gar nicht erst beteiligt, hätte die Stadt ihrer Aufklärungspflicht genügt und von vornherein mitgeteilt, sie nehme es mit der Beachtung der VOB nicht so genau. Anders sähe der Fall natürlich aus, wenn sich aus dem Vertrauensverhältnis eine Pflicht zur Anwendung der VOB / A ergäbe. Aus den vorhergehenden Urteilen kann diese Pflicht nicht abgeleitet werden – diese betonen ja, dass das Vertrauensverhältnis die Pflicht zur Anwendung gesetzlicher Vorschriften beinhaltet, und sprechen diesen Charakter der VOB gerade ab. Helfen könnte natürlich Art. 3 GG, wie es der Kläger meint. Aber dazu finden sich in dem Urteil keine Ausführungen. Insgesamt muss man daher leider sagen, dass BGHZ 49, 77 ein verunglücktes Urteil ist, das einige Fragen aufwirft, aber keine zufriedenstellend beantwortet. 1981 jedoch geht der Bundesgerichtshof bereits recht selbstverständlich davon aus, dass ein Verstoß gegen die VOB eine vorvertragliche Pflicht verletzen kann86. „Die bekl. Gemeinde veröffentlichte im Januar 1978 die Ausschreibung für die schlüsselfertige Errichtung einer Sporthalle durch einen Generalunternehmer. Sie übersandte der Kl. mit Schreiben vom 2. 2. 1978 auf deren Bitte die Ausschreibungsunterlagen zu Abgabe eines Angebots. Diese ließ das Angebot von dem Architekten S. ausarbeiten. Noch vor dem auf den 4. 4. 1978 bestimmten Eröffnungstermin . . . teilte die Bekl. der Kl. mit, daß die Ausschreibung aufgehoben sei. Der Architekt S. hatte seine Arbeiten bereits abgeschlossen. Die Kl. verlangte von der Bekl. mit Schreiben vom 4. 4. 1978 die Erstattung ihrer durch die Angebotsausarbeitung entstandenen Kosten.“87
Das Oberlandesgericht Celle gibt der Klage statt, und zwar mit der Begründung, die Beklagte habe ihre im vorvertraglichen Vertrauensverhältnis wurzelnde Pflicht „durch die nach § 26 Nr. 1 VOB / A nicht gerechtfertigte Aufhebung der Ausschreibung“ schuldhaft verletzt. Ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis sieht der BGH hier „durch die Ausschreibung der Bekl. und die Beteiligung der Kl. am Ausschreibungsverfahren“ begründet. Eine Pflichtverletzung durch ungerechtfertigte Aufhebung hält er durchaus für möglich, um dann aber fortzufahren, dass der Schadensersatzanspruch deswegen in keinem Falle begründet sei, weil „die Kl. nicht dargetan hat und auch sonst kein Anhalt dafür ersichtlich ist, daß ihr durch die Aufhebung der Ausschreibung ein Schaden entstanden ist. . . . Der Kl. . . . kann verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Kl. ist in seinem Vertrauen nicht durch die Ausschreibung, sondern durch die Aufhebung verletzt worden. . . . Die Kl. hätte . . . die ihr durch die Ausarbeitung des Angebots entstandenen Kosten auch bei Durchführung des . . . Ausschreibungsverfahrens tragen müssen . . . Nur im Falle des Zuschlags hätte sie diese Kosten ihres Angebots aus dem Gewinn, den ihr der Auftrag gebracht hätte, mit ausgleichen können. Daraus ergibt sich, daß durch die Aufhebung . . . der Kl. nur dann ein Schaden entstanden wäre, wenn sie bei Durchführung 86 87
BGH VII ZR 185 / 80, NJW 1981, 1673 (26. 3. 1981). BGH VII ZR 185 / 80 (o. Fn. 86), 1673.
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des Ausschreibungsverfahrens den Zuschlag erhalten hätte . . . So liegt der Fall hier nicht. Die Kl. hat nichts dafür vorgetragen, daß sie das wirtschaftlich günstigste Angebot . . . unterbreitet hätte . . . “88
Obwohl dazu angesichts seiner früheren Rechtsprechung Anlass bestünde, verliert der BGH kein Wort darüber, aus welchem Grunde der Verstoß gegen die VOB / A als solcher pflichtwidrig sein könnte. Auch äußert er sich nicht zur Höhe des Schadensersatzes. Dagegen sieht das Gericht durchaus, dass ein Anspruch aus cic dann bestehen könnte, wenn dem Auftraggeber hier ein Aufklärungsverschulden zur Last fiele: „Weiter wurde der Schadensersatz eines Bieters in einem Fall für begründet angesehen, in dem der Auftraggeber den Bau eines Hallenbades ausgeschrieben hatte, ohne darauf hinzuweisen, daß die Finanzierung des Bauvorhabens nicht gesichert war und der Bieter sich bei gehöriger Aufklärung nicht an der Ausschreibung beteiligt hätte (OLG Düsseldorf, NJW 1977, 1064).“89
Für ein in dieser Art schuldhaftes Verhalten des Auftraggebers (das im Gegensatz zu dem hauptsächlich erörterten Haftungsansatz den allgemeinen Regeln der cic entspräche) bestehen jedoch laut BGH keine Anhaltspunkte. Ganz ähnlich urteilt der BGH zur Pflichtwidrigkeit eines Verstoßes gegen die VOB / A im Jahr 198490. Zwei Bieter klagen auf Schadensersatz mit der Begründung, der Zuschlag sei entgegen den Vorschriften der VOB erteilt worden, und das Berufungsgericht gibt beiden recht. Der BGH urteilt, dass aus Gründen der Kausalität91 nur einer der beiden erfolgreich sein könne, nämlich derjenige, der den Zuschlag tatsächlich erhalten hätte92. Dahinter steht erkennbar die wiederum nicht begründete Vorstellung, ein Verstoß gegen die Vorschriften der VOB sei pflichtwidrig im Sinne der Lehre von der cic. Eine Auseinandersetzung mit der Frage nach der Geltungsgrundlage der VOB / A findet schließlich im Jahr 1991 statt93. Ungewöhnlich genug klagt nicht etwa ein Bieter, sondern ein Auftraggeber, und zwar auf Schadensersatz wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung. Der Beklagte hält der klagenden Gemeinde entgegen, sie selber habe bei der Zuschlagserteilung ihre Pflichten verletzt, indem sie gegen die VOB / A verstoßen habe. Der BGH stellt zunächst fest: „Die VOB / A ist keine Rechtsnorm. Sie ist vielmehr im Innenverhältnis der öffentlichen Auftraggeber eine Verwaltungsvorschrift. Ihre innerdienstliche Verbindlichkeit kann eine 88 89 90 91 92 93
BGH VII ZR 185 / 80 (o. Fn. 86), 1673. BGH VII ZR 185 / 80 (o. Fn. 86), 1673. BGH VII ZR 111 / 83 (o. Fn. 67). BGH VII ZR 111 / 83 (o. Fn. 67), 632. BGH VII ZR 111 / 83 (o. Fn. 67), 631 f. BGH VII ZR 203 / 90, BGHZ 116, 149 (21. 11. 1991).
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unmittelbare Rechtswirkung nach außen nicht begründen. Dementsprechend ergeben sich allein daraus, daß ein öffentlicher Auftraggeber sich nicht an die VOB / A gehalten hat, keine unmittelbaren Rechtswirkungen.“94
Dann aber fährt er fort: „Die VOB / A kann allerdings, wenn sie zur Grundlage einer Ausschreibung gemacht wird, mittelbar Rechtswirkungen begründen (etwa Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluß, Ansprüche auf Gleichbehandlung im Rahmen der Grundsätze über die Selbstbindung der Verwaltung oder Konkretisierungen der Grundsätze von Treu und Glauben). Ob und welche dieser Rechtswirkungen gegeben sind, läßt sich nicht für die VOB / A allgemein, sondern nur, mit unterschiedlichen Ergebnissen, für einzelne Bestimmungen beantworten.“95
Im konkreten Fall hält der BGH einen Verstoß gegen Treu und Glauben für möglich, indem der Auftraggeber sich widersprüchlich verhält, wenn er sich ausdrücklich zur VOB / A (und so auch zu den Bestimmungen des § 19 über die Bindungsfrist der Bieter) bekennt, andererseits eine gegen § 19 VOB / A verstoßende Bindungsfrist festsetzt96. Im Ergebnis meint der BGH allerdings, eine 24-tägige Bindungsfrist sei nicht unangemessen lang und verstoße somit nicht gegen die VOB97. Ein Jahr später ist der BGH mit einem Fall befasst98, in dem die Klägerin ihren entgangenen Gewinn verlangt, weil die Bundesrepublik Deutschland entgegen § 25 VOL / A nicht ihr, sondern einer Konkurrentin den Zuschlag in einer nach der VOL / A durchgeführten Ausschreibung erteilt habe. Die vom Berufungsgericht angenommene „Pflicht, die Vergabevorschriften der VOL / A zu beachten“, wird vom BGH nicht weiter problematisiert: „Rechtsfehler sind nicht ersichtlich . . .“99. Es wird weiter festgestellt, dass „die Klägerin das positive Interesse ersetzt verlangen kann, wenn sie bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vergabeverfahrens den Zuschlag hätte erhalten müssen“100. Hauptsächlicher Gegenstand des Urteils ist dann die Frage, ob das Berufungsgericht zugunsten der Beklagten den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens beachten durfte. Die Beklagte argumentiert nämlich, sie hätte angesichts der Umstände des Falles genauso gut die Ausschreibung aufheben und dann den Vertrag mit der erfolgreichen Konkurrentin schließen können. Der BGH hält den Ausgangspunkt des Berufungsgerichts für zutreffend, stellt aber zwei Anforderungen an den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens. Zum einen müsste tatsächlich ein Aufhebungsgrund bestanden haben; zum andern BGH VII ZR 203 / 90 (o. Fn. 93), 149 (amtlicher Leitsatz a), 151 f. BGH VII ZR 203 / 90 (o. Fn. 93), 149 (amtl. Leitsatz b), 152. 96 BGH VII ZR 203 / 90 (o. Fn. 93), 152 f. 97 BGH VII ZR 203 / 90 (o. Fn. 93), 153 f. 98 BGH VIII ZR 170 / 91, BGHZ 120, 281 (25. 11. 1992). 99 BGH VIII ZR 170 / 91 (o. Fn. 98), 284. 100 BGH VIII ZR 170 / 91 (o. Fn. 98), 284 f. 94 95
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muss der Auftraggeber nachweisen, dass es nicht nur eine Möglichkeit gegeben hätte, die Ausschreibung ohne Pflichtverletzung aufzuheben und den Auftrag der Konkurrentin zu erteilen, sondern dass jede Form pflichtgemäßen Verhaltens notwendigerweise zu einer Berücksichtigung der Konkurrentin geführt hätte101. Ebenfalls in erster Linie den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens betrifft die Entscheidung vom 24. 4. 1997102. Die Klägerin rügt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach § 9 Nr. 1 VOB / A während des Ausschreibungsverfahrens: Nicht alle Bieter seien darüber unterrichtet worden, dass nur ein Teil der ausgeschriebenen Leistungen sicher vergeben werden, die Vergabe des anderen Teils vorbehalten werden solle. Als Gesamtangebot sei ihr Gebot das günstigste gewesen; erst nach Herausnahme der vorbehaltenen Einzelpositionen wäre ein anderes Gebot günstiger gewesen. Das Berufungsgericht stellt die Pflichtverletzung (Verstoß gegen § 9 VOB / A) fest, lässt aber offen, ob die Klägerin selber informiert war. Die Beklagte hätte nämlich, nachdem sie nicht alle Bieter über den Vorbehalt informiert hatte, keine Positionen aus den Gesamtangeboten streichen dürfen. Dass eine Pflicht zur Gleichbehandlung nach § 9 VOB / A besteht, wird vom BGH bestätigt, die vom Berufungsgericht gezogene Folgerung jedoch nicht. Auch ohne die Pflichtverletzung gegenüber einigen der beteiligten Bieter hätte sich nämlich dann, wenn die Klägerin selber ordnungsgemäß informiert worden wäre (was nach dem berufungsgerichtlichen Urteil möglich ist), nichts daran geändert, dass ihr Angebot nach Herausnahme der betroffenen Positionen nicht das günstigste gewesen wäre103. Zum Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens und somit zur Aufhebungsmöglichkeit nach § 26 Nr. 1 lit. c VOB / A enthält das Urteil die Aussage, dass die Aufhebung nur dann unzulässig sein soll, wenn der Aufhebungsgrund der ausschreibenden Behörde schon zu Beginn der Ausschreibung bekannt ist. Auch fahrlässige Unkenntnis des Aufhebungsgrundes verbiete eine spätere Aufhebung nicht104. (2) Umsetzung durch die Instanzgerichte Die Instanzgerichte 105 gewähren spätestens seit Beginn der 80er Jahre enttäuschten Bietern regelmäßig Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen BGH VIII ZR 170 / 91 (o. Fn. 98), 287 f. BGH VII ZR 106 / 95, NJW-RR 1997, 1106 (24. 4. 1997). 103 BGH VII ZR 106 / 95 (o. Fn. 102), 1107. 104 BGH VII ZR 106 / 95 (o. Fn. 102), 1107 f. 105 Zur Rechtsprechung des OLG Düsseldorf näher Wolfgang Heiermann, Das Vergaberecht im Lichte der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, in: Alfons Schulze-Hagen / Marcus Brößkamp (Hrsg.). Festschrift für Klaus Vygen zum 60. Geburtstag (1999), S. 102 ff. 101 102
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Vergabevorschriften, etwa bei fehlerhaft unterlassenem Ausschluss eines Gebotes106, fehlerhafter Zulassung von Alternativangeboten107, Verhandlungen mit Bietern nach Eröffnung der Gebote108, Zuschlagserteilung auf ein im Eröffnungstermin noch nicht vorliegendes Angebot109 oder Ungleichbehandlung der Bieter entgegen § 9 Nr. 1 VOB / A110. Der Anspruch ist regelmäßig auf das positive Interesse gerichtet111. (3) Entwicklung seit 1998 Systematisch neu ausgerichtet wird die gesamte Rechtsprechung zu Ansprüchen aus cic wegen Verletzung der Vergabebestimmungen durch drei Urteile des BGH vom 8. September 1998112. Das erste Urteil113 betrifft den bereits in der Einleitung referierten Sachverhalt des Neubaus eines Dienstgebäudes für das hessische Landwirtschaftsministerium. Die Klägerin verlangt Ersatz ihres entgangenen Gewinns, nachdem die von vornherein nicht sicher finanzierte Ausschreibung aufgehoben worden ist. Der BGH weist diesen Antrag ab und gewährt nur das negative Interesse. Der BGH führt zunächst aus, dass ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis spätestens mit Anforderung der Ausschreibungsunterlagen durch den Bieter entstehe114. Ein Anspruch auf das negative Interesse ergibt sich sodann (unabhängig von, aber übereinstimmend mit § 16 VOB / A) aus den allgemeinen Grundsätzen über die Aufklärungspflicht im vorvertraglichen Schuldverhältnis: Das Land hätte die Bieter auf die ungesicherte Finanzierung hinweisen müssen, diese hätten dann auf die Anfertigung kostspieliger Angebote wohl verzichtet, so dass sich die Rechtsfolge aus § 249 ergibt115. Weiter heißt es, dass sich nach ständiger Rechtsprechung „ein Schadensersatzanspruch aus vorvertraglichem Vertrauensverhältnis (culpa in contrahendo) auch OLG Celle 14 U 66 / 85 NJW-RR 1986, 99 (24. 10. 1985). OLG Düsseldorf 23 U 120 / 80 BauR 1982, 53 (20. 1. 1981). 108 OLG Celle 14 U 21 / 95 BauR 1996, 860 (9. 5. 1996); OLG Nürnberg 4 U 2299 / 96 NJW-RR 1997, 854 (15. 1. 1997). 109 OLG Köln 4 U 222 / 76 BauR 1977, 343 (29. 4. 1977). 110 OLG Düsseldorf 23 U 118 / 94 BauR 1996, 100 (28. 3. 1995). 111 OLG Düsseldorf 12 U 15 / 88 BauR 1989, 195 (15. 12. 1988); LG Darmstadt 19 O 410 / 88 BauR 1990, 601 (16. 2. 1990); LG Weiden 2 O 397 / 84 NJW 1985, 1477 (2. 10. 1984). Anders noch OLG Köln 4 U 222 / 76 (o. Fn. 109), 344: negatives Interesse. Vgl. auch LG Bochum 6 O 2 / 73, VersR 1975, 742 (12. 3. 1973): Jedenfalls kein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses bei Aufhebung entgegen den Vorschriften der VOL / A. 112 Ein viertes Urteil vom gleichen Tag, BGH X ZR 85 / 97, NJW 1998, 3634 (8. 9. 1998), betrifft ebenfalls Ansprüche aus cic im Falle eines Vergaberechtsverstoßes. 113 BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66). 114 BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 260 f. 115 BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 261 f. 106 107
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daraus ergeben“ könne, dass „der öffentliche Auftraggeber [das Land] im weiteren Verlauf des Ausschreibungs- und Vergabeverfahrens die Vorschriften des öffentlichen Vergaberechts zum Nachteil eines Bieters nicht einhält“116. Diese Pflicht bestehe im Rahmen der cic unabhängig davon, ob die Anwendung der VOB gesetzlich vorgeschrieben ist, wie es zwischenzeitlich (aber nicht mehr mit Wirkung für die betroffene Ausschreibung) durch die „haushaltsrechtliche Lösung“ geschehen sei. Denn: „Indem er ein Vorhaben nach Maßgabe der Verdingungsordnung für Bauleistungen ausschreibt, legt der öffentliche Auftraggeber zugleich den rechtlichen Rahmen für das Ausschreibungsverfahren fest. Damit kommt der Vorschrift für das Verhältnis zwischen ihm und den Teilnehmern schon aus diesem Grunde Rechtssatzqualität zu; eines Eingehens auf die Frage, ob dieses Verständnis darüber hinaus auch im Hinblick auf die Vorgaben der einschlägigen EG-Richtlinie (Bau-Koordinierungs-Richtlinie . . . ) geboten ist, bedarf es daher an dieser Stelle nicht.“117
Diese Bindung kraft einseitiger Erklärung findet wenig später eine weiter gehende Rechtfertigung: „Eine die öffentliche Hand bindende Wirkung konnten diese Regeln [der VOB / A] – wie jede interne Anweisung der Verwaltung – in erster Linie über das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot entfalten.“118
Im konkreten Fall gilt, dass ein Anspruch aus cic „insbesondere dann entstehen“ kann, wenn „der öffentliche Auftraggeber eine Ausschreibung aufhebt, ohne dass einer der Aufhebungsgründe nach der Verdingungsordnung für Bauleistungen gegeben ist . . .“119. Im konkreten Fall ist nun tatsächlich kein Aufhebungsgrund gegeben, und der BGH stellt schließlich fest: „Die in der mithin auf § 26 VOB / A nicht zu stützenden Aufhebung liegende Verletzung des schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin hat das beklagte Land Hessen zu vertreten (§ 276 BGB).“120 War aber, wie es hier ganz deutlich gesagt wird, die Aufhebung der Ausschreibung pflichtwidrig – müsste die Klägerin dann nicht so gestellt werden, als sei nicht aufgehoben worden, müsste sie also nicht einen Anspruch auf ihren entgangenen Gewinn oder gar auf Vertragsschluss haben? Nein, meint der BGH nicht nur in dem Fall des hessischen Landwirtschaftsministeriums, sondern zugleich in einer weiteren Entscheidung vom gleichen Tag121: BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 262. BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 266 f. Ähnlich OLG Celle 14 U 21 / 95 (o. Fn. 108), 860. Maßgeblich auf Selbstbindung abstellend auch OLG Düsseldorf 12 U 15 / 88 (o. Fn. 111), 196; OLG Düsseldorf 22 U 220 / 92 BauR 1993, 597 f. (15. 3. 1993). Vgl. OLG Stuttgart 2 U 240 / 01, WuW 2002, 653, 654 (11. 4. 2002) (Weinbergmauer): „Rechtssatzqualität“ heißt nicht „Gesetzesqualität“, sondern führt zu Verbindlichkeit nur im Einzelfall bei entsprechender Erklärung. 118 BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 269. 119 BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 262. 120 BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 267. 121 BGH X ZR 99 / 96, NJW 1998, 3640 (8. 9. 1998). 116 117
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„Um die Vergabe öffentlicher Aufträge im Interesse einer nachprüfbaren Gleichbehandlung aller Bewerber durchsichtig, überschaubar und justitiabel zu machen, bedarf es der Begründung von Ansprüchen auf Erteilung des Zuschlags für Bauvorhaben, von denen die öffentliche Hand aus sachlichen, willkürfreien Erwägungen Abstand nehmen will . . . , nicht. Ebensowenig ist eine solche Ersatzpflicht mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen der Teilnehmer der Ausschreibung geboten.“122
Deswegen soll die unberechtigte Aufhebung allein nur zum Ersatz des negativen Interesses führen123. Während es damit im Falle des Landwirtschaftsministeriums sein Bewenden hat, wird der zweite Fall zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Denn hier erscheint es möglich, dass die beklagte Gemeinde nach der Aufhebung den Vertrag noch einmal ausgeschrieben und so doch noch geschlossen hat. Dann aber gilt: „Nach Sinn und Zweck der seine Ersatzpflicht begründenden Regeln kann sich der öffentliche Auftraggeber seiner Haftung nicht dadurch entziehen, daß er die ursprüngliche Ausschreibung ausdrücklich oder konkludent aufhebt und ein neues Verfahren einleitet, um den ausgeschriebenen Auftrag dann später anderweitig zu vergeben.“124
Und deshalb „kann sich eine den entgangenen Gewinn einschließende Ersatzpflicht auch dann ergeben, wenn der Auftrag zwar aufgrund eines nach Aufhebung des ersten eingeleiteten neuen Ausschreibungsverfahrens erteilt wird, sofern er bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise das gleiche Vorhaben und den gleichen Auftragsgegenstand betrifft, ohne daß sich für die Aufhebung des ersten Verfahrens sachliche und willkürfreie Gründe feststellen lassen.“125
Insgesamt scheint folgendes zu gelten: Die Aufhebung löst bei Vorliegen eines Grundes nach § 26 VOB / A bzw. VOL / A keine Schadensersatzansprüche aus126; fehlt ein Aufhebungsgrund, so besteht ein Ersatzanspruch auf das negative Interesse; wird der gleiche Auftrag trotz Aufhebung der Ausschreibung doch noch vergeben, so richtet sich der Anspruch auf den entgangenen Gewinn127. Schaut man BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 271; BGH X ZR 99 / 96 (o. Fn. 121), 3643. BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 262 ff., 272. 124 BGH X ZR 99 / 96 (o. Fn. 121), 3644. 125 BGH X ZR 99 / 96 (o. Fn. 121), 3644. Zustimmend Siegfried Broß, Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Vergabe öffentlicher Aufträge, VerwArch 91 (2000), 133, 142, 147. Vgl. auch Stefan Hertwig, Anmerkung, MDR 1998, 1410. 126 BGH X ZR 99 / 96 (o. Fn. 121); OLG Zweibrücken 8 U 96 / 93 BauR 1995, 95 (1. 2. 1994). Der BGH betont, dass die Aufhebungsvorschriften das Vertrauen der Bieter begrenzen (BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 264; BGH X ZR 99 / 96 NJW 1998, 3641 (8. 9. 1998) und Schadensersatzansprüche der Bieter bei gerechtfertigter Aufhebung ausschließen (BGH X ZR 48 / 97 (o. Fn. 66), 269). 127 Vgl. Heiko Höfler, Auswirkungen der aktuellen Rechtsprechung des BGH zur Aufhebung öffentlicher Ausschreibungen, ZfBR 2000, 148; Hans Schelle, Schadensersatz wegen rechtswidriger Aufhebung einer Ausschreibung BauR 1999, 1233. 122 123
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auf das Ergebnis und nicht auf die Begründungen, so kommt man zu dem Schluss, dass es in den Augen des BGH eine Pflicht, Ausschreibungen nur bei Vorliegen eines Aufhebungsgrundes aufzuheben und ansonsten einen Zuschlag zu erteilen, nicht gibt. Fragwürdig bleibt damit allein, woraus sich die im Landwirtschaftsministeriums-Fall angesprochene Ersatzpflicht auf das negative Interesse wegen unberechtigter Aufhebung ergeben soll, die ausdrücklich neben die Ersatzpflicht wegen Aufklärungsverschuldens gestellt wird. Das dritte Urteil vom 8. 9. 1889128 betrifft das Vorgehen bei der Auswahl des erfolgreichen Bieters durch den Auftraggeber. Seine tragenden Erwägungen sind in dem amtlichen Leitsatz übersichtlich zusammengefasst: „Bei der Vergabeentscheidung gemäß § 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 2 VOB / A darf nach Bejahung der generellen Eignung der in die engere Wahl gekommenen Bieter ein „Mehr an Eignung“ eines Bieters nicht als entscheidendes Kriterium für den Zuschlag zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.“129
Hinsichtlich der culpa in contrahendo wird die Rechtsprechung zu den bestehenden Pflichten und zum Schadensersatz wie folgt zusammengefasst: „Bei Verletzung dieses Vertrauensverhältnisses durch den Ausschreibenden können nach den Grundsätzen einer Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) Schadensersatzansprüche . . . entstehen. Sie sind auf den Ersatz des Schadens gerichtet, den der Bieter dadurch erlitten hat, daß er darauf vertraut hat, die Ausschreibung werde nach den Vorschriften der VOB / A abgewickelt. Ein daraus abgeleiteter Anspruch ist im allgemeinen auf einen Ersatz des sogenannten negativen Interesses, d. h. auf den Ersatz der durch Beteiligung an der Ausschreibung entstandenen Aufwendungen beschränkt, kann in besonderen Fällen aber auch den Ersatz des positiven Interesses, vor allem den durch die Nichterteilung des Auftrages entgangenen Gewinn erfassen.“130
Im Jahr 2001 äußert sich der BGH erneut präzisierend zum Rechtsgrund der Verpflichtung, Vergabevorschriften zu beachten131. Ein mehrheitlich der Stadt Hamburg gehörendes Unternehmen, öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Sektorenrichtlinie, hat verschiedene Unternehmen um die Abgabe von Angeboten für die Verschrottung von Waggons gebeten, ohne förmlich nach einer Verdingungsordnung auszuschreiben – und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem nach nationalem Recht eine gesetzliche Verpflichtung des Auftraggebers zur Durchführung förmlicher Vergabeverfahren noch nicht besteht. Der BGH erörtert, ob der klagende Bieter dennoch auf die Einhaltung bestimmter Vergaberegelungen vertrauen durfte und meint grundsätzlich: „[G]eschützt wird jedoch nur das Vertrauen in die Einhaltung solcher Regelungen, die der öffentliche Auftraggeber im jeweiligen Einzelfall zu beachten verpflichtet ist. Dass er sich darüber hinaus Bindungen unterwirft, für die es an einer rechtlichen Grundlage fehlt, kann 128 129 130 131
BGH X ZR 109 / 96, BGHZ 139, 273 (8. 9. 1998). BGH X ZR 109 / 96 (o. Fn. 128), 273, 276 f. BGH X ZR 109 / 96 (o. Fn. 128), 275. BGH X ZR 150 / 99, WuW 2001, 1274 (12. 6. 2001).
12 Adam
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der Bewerber um einen solchen Auftrag nicht ohne weiteres erwarten; ein hierauf gerichtetes Vertrauen wäre daher regelmäßig nicht schutzwürdig.“132
Soweit ein Beschluss des Senates der Hansestadt dieser gegenüber eine Pflicht zur Einhaltung der VOL / A begründet, soll dies als interne Anweisung für die Pflichten der Beklagten gegenüber dem Kläger unbeachtlich sein; eine Rechtsgrundlage der Ausschreibungspflicht könne sich jedoch in diesem Fall aus der u. U. unmittelbar anzuwendenden Sektorenrichtlinie ergeben133. Die formale gesetzliche Verpflichtung zur Anwendung von Vergaberegeln ist nach dem BGH jedoch zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der cic-Haftung: „Die Schutzwürdigkeit des dieser Haftung zugrunde liegenden Vertrauens ergibt sich aus der – auch verfassungsrechtlich bestimmten – Bindung der öffentlichen Verwaltung an Gesetz und Recht . . . Bei diesem Ansatz entfällt die Schutzwürdigkeit eines solchen Vertrauens jedoch dann, wenn der Geschäftspartner der öffentlichen Hand vor seiner jeweiligen Entscheidung über den Vertragsschluss oder dessen Vorbereitung erkannt hat oder ohne weiteres hätte erkennen müssen und können, dass sein Vertragspartner von den für ihn geltenden Regeln abweicht oder abgewichen ist. Wer erkannt hat oder . . . ohne weiteres hätte erkennen müssen, dass die andere Seite sich an das geltende Recht nicht hält, kann nicht damit gehört werden, er habe ein mit Recht und Gesetz übereinstimmendes Verhalten der Gegenseite erwartet.“134
Zur Klärung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens und ggf. zur anschließenden Vorlage an den EuGH wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen135. In seinen jüngsten Urteilen stellt der BGH noch einmal klar, dass Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo nicht auf das Argument gestützt werden können, der Auftraggeber habe einen Auftrag nicht vergeben: „Bei Geltung der VOB / A ist der Ausschreibende auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 26 Nr. 1 besteht, nicht schlechthin gezwungen, einen der Ausschreibung entsprechenden Auftrag zu erteilen“136. Bei einer von § 26 VOB / A nicht gedeckter Aufhebung hat der günstigste Bieter keinen Schadensersatzanspruch auf das positive BGH X ZR 150 / 99 (o. Fn. 131), 1276. BGH X ZR 150 / 99 (o. Fn. 131), 1277. 134 BGH X ZR 150 / 99 (o. Fn. 131), 1279. In diesem Sinne später auch BGH X ZR 30 / 03, NZBau 2004, 517 (3. 6. 2004): Schutzwürdiges Vertrauen und damit Schadensersatzansprüche können schon dann entfallen, wenn sich dem Bieter (etwa wegen einer unklaren Ausschreibung) die ernsthafte Gefahr aufdrängen muss, dass eine Regelabweichung erfolgen wird. Ebenso auf tatsächliches Vertrauen abstellend KG 27 U 264 / 02, BauR 2004, 1504 (14. 8. 2003). 135 BGH X ZR 150 / 99 (o. Fn. 131), 1279. Entsprechend verneint das OLG Stuttgart im Rahmen einer einstweiligen Verfügung Ansprüche aus cic lapidar mit dem Argument: „Der Schaden, der der Ast. dadurch entsteht, dass nicht sie, sondern die BG [Bietergemeinschaft] den Auftrag erhält, beruht nicht auf der Enttäuschung berechtigter Weise in Anspruch genommenen Vertrauens.“ OLG Stuttgart 2 U 240 / 01 (o. Fn. 117), 655. 136 BGH X ZR 232 / 00, NZBau 2003, 168 (5. 11. 2002) (Leitsatz). Vgl. bereits Höfler (o. Fn. 127). 132 133
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Interesse, wenn der Auftrag, der im Nachhinein vergeben wird, nicht „bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise das gleiche Vorhaben und den gleichen Auftragsgegenstand betrifft“137.
II. Schrifttum Die Diskussion in der Literatur konzentriert sich nach wie vor auf die Frage nach dem Rechtsgrund der cic. Als besonders einflussreich erweist sich die Idee der Vertrauenshaftung, die neben rechtsgeschäftliche und deliktsrechtliche Modelle tritt. Eine überzeugende Erklärung des Geltungsgrundes der Pflicht zur Einhaltung der Vergabebestimmungen kann allerdings keine dieser Theorien liefern.
1. Cic und Rechtsgeschäft Die Diskussion um den rechtsgeschäftlichen Charakter der cic (in neuerer Zeit eher: den rechtsgeschäftlichen Charakter einzelner Fallgruppen der cic) leidet darunter, dass der Begriff des Rechtsgeschäfts und sein Verhältnis zu den Phänomenen der Privatautonomie bzw. des Parteiwillens nicht ganz geklärt ist. In einem engen Sinne wird der Begriff des Rechtsgeschäftes verwendet, wenn damit das gemeint ist, was Werner Flume als den Eintritt von Rechtsfolgen kraft privatautonomer Gestaltung dem Eintritt gesetzlicher Rechtsfolgen gegenüberstellt. Erstere beruht auf dem Willen der Parteien, während letztere sich unabhängig von diesem Willen aus dem Gesetz ergeben138. Allerdings ist hier Vorsicht angebracht. Will man als voluntativ im Sinne der Willenstheorie des 19. Jahrhunderts (beispielsweise Jherings) nur solche Pflichten anerkennen, die auf dem wirklichen, unverfälschten Parteiwillen beruhen, so kennt das BGB in der herrschenden Auslegung durch Rechtsprechung und Schrifttum praktisch gar keine Haftung kraft privatautonomer Gestaltung. Gewisse objektivierende Momente akzeptieren also praktisch alle Autoren, auch wenn in den Grenzbereichen durchaus Differenzen bestehen. Canaris etwa versteht unter rechtsgeschäftlichen Pflichten nur solche, die auf den Regelfall der Willensbildung und –erklärung nach den §§ 104 ff. zurückgehen; darüber hinaus gehende Einstandpflichten versteht er als Ausprägung gesetzlicher Vertrauenshaftung139. Bydlinski vertritt einen weiteren und flexibleren Begriff140, der seine Grenze erst dort findet, wo der Verpflichtete es nicht mehr in 137 BGH X ZB 43 / 02, NZBau 2003, 293 (18. 2. 2003); dem folgend OLG Düsseldorf 5 U 109 / 02, IBR 2003, 566 (12. 6. 2003); ebenso BGH X ZR 282 / 02, NZBau 2004, 283 (16. 12. 2003). 138 Werner Flume, Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. (1979), S. 4 f. 139 Dazu noch unten bei Fn. 180 ff. 140 Franz Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts (1967), S. 173 ff.: Die Bindung an das verpflichtende Rechtsgeschäft beruhe
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der Hand hat, durch Willenserklärung den Eintritt einer gesetzlichen Rechtsfolge zu vermeiden141. Im Sinne Flumes handelt es sich bei sämtlichen jemals diskutierten Fällen der cic um Haftung ex lege142 das gilt auch für die ursprünglichen von Jhering diskutierten Fälle sowie für deren gesetzliche Positivierung in den §§ 122, 307 etc.143. Flume selber verwendet jedoch den Begriff der rechtsgeschäftlichen Haftung nicht als Synonym der Haftung kraft privatautonomer Gestaltung, sondern als Ausdruck zur Bezeichnung von Verpflichtungen, die den äußerlichen Tatbestand eines Rechtsgeschäfts zwingend voraussetzen – gleich, ob sie ihn deshalb voraussetzen, weil die Pflichten aus dem Parteiwillen entspringen, oder aus anderen Gründen. In diesem Sinne handelt es sich laut Flume bei den §§ 122 und 307 um Fälle rechtsgeschäftlicher Haftung144. Welche dogmatische Konsequenz diese zunächst nur terminologische Entscheidung haben kann, zeigt sich in den neueren rechtsgeschäftlichen Theorien zu (Teilbereichen) der cic. Im Gegensatz zu den älteren rechtsgeschäftlichen Theorien, die die Schadenseratzpflicht ja als sekundäre Folge der zurechenbaren Verletzung einer primären rechtsgeschäftlichen Pflicht sahen, betrachten die neueren Theorien nämlich die Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens als primäre, einer vertraglichen Erfüllungspflicht vergleichbare Verbindlichkeit. In diesem Sinne erklärt etwa Hans Stoll die Fälle der Haftung bei Abbruch von Vertragsverhandlungen als Folge einer einseitigen Haftungserklärung145, und Martin Weber spricht von einer „quasivertraglichen Ausgleichshaftung“, die sich „nicht aufgrund individueller nie ausschließlich auf dem Willen des oder der Beteiligten; andere Elemente kommen hinzu, insbesondere die Aspekte Verkehrssicherheit / Vertrauensschutz, Äquivalenz, Vertragstreue (Gedanke des Stehens zum einmal gegebenen Wort); S. 56 ff. gegen Flume. Zur Dichotomie der Haftung ex lege und ex voluntate vgl. Michael Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag (1979), insbes. S. 155 ff. S. 158 gegen Bydlinski. 141 Bydlinski (o. Fn. 140), S. 126 ff., 173. 142 Eher bestätigt denn widerlegt wird das durch die Anregung Barbara Grunewalds (Das Scheitern von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund, JZ 1984, 708), in den Fällen des Abbruchs von Vertragsverhandlungen auch eine echte rechtsgeschäftliche (voluntative) Lösung nicht aus den Augen zu verlieren. Zu BGH II ZR 146 / 82, NJW 1984, 866 (17. 10. 1983), einem Fall des „Abbruchs von Vertragsverhandlungen“ (o. S. 160 ff.) schreibt sie, es hätte nahegelegen, zunächst einmal zu prüfen, „ob unter den Partnern“, gegebenenfalls konkludent, „vereinbart war, daß die Kosten für sinnlos gewordene Aufwendungen derjenige zu tragen hatte, der die Vertragsverhandlungen ohne besonderen Anlaß zum Scheitern brachte.“ (JZ 1984, 710 f.) Dieser zutreffende Hinweis lässt die Frage offen, was geschehen soll, wenn ein solcher Wille nicht nachweisbar oder definitiv nicht vorhanden ist; letzteres ist bei Ausschreibungen nach VOB und VOL regelmäßig der Fall (§ 20 Nr. 2 Abs. 1 VOB / A: „Für die Bearbeitung des Angebots wird keine Entschädigung gewährt“). 143 Vgl. Flume (o. Fn. 138), S. 129. 144 Flume (o. Fn. 138), S. 129. 145 Hans Stoll, Vertrauensschutz bei einseitigen Leistungsversprechen, in: Horst Heinrich Jakobs u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, Band 1 (1978), S. 741, insbes. S. 755.
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Versprechen, sondern infolge institutioneller Vorstellungen vom Vertrag als Prozeß“ ergebe: „Je weiter die Verhandlung gediehen ist, desto bindender wirkt sich für die Parteien das erzielte Verhandlungsergebnis aus, desto geringer wird der den Parteien noch verbleibende Spielraum zum Ausstieg“146. Nach Köndgen enthält die vertragsrechtlich noch nicht bindende Erklärung der Abschlussbereitschaft doch ein „Rudiment schuldrechtlicher Erheblichkeit“147. Diese „rechtsgeschäftlichen“ Erklärungsansätze können für sich in Anspruch nehmen, einen Aspekt der Rechtsprechung in den Fällen des sicheren Inaussichtstellens eines Vertrages zu erklären, der sonst als dogmatische Verwerfung erscheint: Nämlich das Formerfordernis. Ob § 122 nun als Anwendungsfall und analoge gesetzliche Grundlage der primären Schadensersatzhaftung aus einseitiger Haftungserklärung gelten soll148 oder die quasivertragliche Ausgleichshaftung unter anderem „in Anlehnung“ an diese Norm149 entwickelt wird: Die Begrenzung der Schadensersatzpflicht auf das Erfüllungsinteresse kann erklären, wieso die vom BGH konzipierte Abbruchhaftung nicht durchgreift, wenn der Zielvertrag formbedürftig ist, der Form aber bislang nicht entsprochen ist150. Angewandt werden wollen die neueren rechtsgeschäftlichen Theorien in jedem Falle nur auf die oben unter I. 3. diskutierten Fälle des sicheren Inaussichtstellens eines Vertrages; dass es daneben eine cic-Haftung in Form der sekundären Schadensersatzpflicht nach primärer Pflichtverletzung gibt, bestreiten sie nicht. Entgegenhalten lassen müssen sich diese Ansätze freilich, dass sie unhistorisch auftreten. Sie verstehen entgegen der Entstehungsgeschichte die Schadensersatzpflichten aus § 122 und § 179 einerseits, §§ 307 und 309 andererseits nicht mehr als Ausprägung eines einheitlichen Rechtsgedankens. Andererseits können sie zumindest ein ästhetisches Problem lösen: Dass es etwa intuitiv wenig überzeugend wirkt, dem Irrenden die Abgabe seiner Erklärung als „Pflichtverletzung“ vorzuwerfen, wurde bereits gesagt. Dies vermeiden die besprochenen rechtsgeschäftlichen Konstruktionen auf recht elegante Weise.
2. Cic und Rechtsgüterschutz Die nichtrechtsgeschäftlichen Theorien der cic finden ihre Fortsetzung in Erklärungsmodellen, die als Ziel der Haftung aus cic den Schutz der Rechtsgüter und des Vermögens herausstellen und auf die direkte Einbeziehung des Rechtsgeschäfts 146 Weber (o. Fn. 48), AcP 192 (1992), 422. Das Konzept hört sich allerdings etwas organischer an, als es praktisch funktioniert: Der Prozess der langsam bindender werdenden Verhandlungen kennt letztlich doch nur drei Phasen, nämlich das der völligen Bindungslosigkeit, das der Haftung für Vertrauensschäden und schließlich das der Erfüllungspflichten. 147 Johannes Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag (1981), S. 294. 148 So Karl Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, 14. Aufl. (1987), S. 107. 149 Weber (o. Fn. 48), AcP 192 (1992), S. 424. 150 Vgl. Weber (o. Fn. 48), AcP 192 (1992), S. 432 f.
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in den Tatbestand verzichten. Gemeinsam ist diesen Theorien die Tendenz, die Situation der Vertragsverhandlungen und des Vertragsschlusses nicht in ihrer Eigenschaft als Quelle privatautonomer Verpflichtung, sondern als Quelle der Gefahr für die Rechtsgüter des Verhandlungspartners zu betrachten. Haupts Theorie der Erhaltungs- und Aufklärungspflichten kraft sozialen Kontaktes ist der Ausgangspunkt eines einflussreichen Aufsatzes von Larenz aus dem Jahr 1954151. Larenz folgt dem Anliegen Haupts, ein befriedigendes Kriterium für den Zeitpunkt zu finden152, an dem die der cic-Haftung zu Grunde liegenden Pflichten einsetzen sollen. „Vertragsverhandlungen“ hält er mit Blick auf die Warenhausfälle für unzureichend. An dem Kriterium des sozialen Kontakts kritisiert Larenz, es passe nicht zu der seiner Ansicht nach wichtigsten Folge, die das vorvertragliche Schuldverhältnis habe: Der Anwendung des § 278 bei der Zurechnung objektiver Sachverhalte. Der Weg zur richtigen Bestimmung des Haftungstatbestandes liegt nun nach Larenz darin, nach der ratio des § 278 zu fragen. Larenz sieht sie in der erhöhten Verantwortlichkeit dessen, der zur Erleichterung der Erledigung seiner Geschäfte Hilfspersonen einschaltet153, und schlägt als einheitlichen Haftungsbeginn für die cic-Pflichten nun den geschäftlichen Kontakt vor; das Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen möchte er also durch ein „gesetzliches Schuldverhältnis aus Vertragsverhandlung oder sonstigem geschäftlichen Kontakt“ ersetzen154, wobei die Vertragsverhandlung erkennbar nur einen (wichtigen) Anwendungsfall des weiteren Begriffs „geschäftlicher Kontakt“ darstellt. Canaris beschäftigt sich 1965 weniger mit dem exakten Zeitpunkt des Haftungsbeginns als mit dem weiteren Schicksal der „Sonderbeziehung“155. Gerechtfertigt sei die gegenüber dem Deliktsrecht verschärfte Zurechnung und erweiterte Verantwortlichkeit für Vermögensschäden156 durch die erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten der (typischerweise) Vertragspartner auf die Rechtsgüter und das Vermögen des jeweils anderen157 und die damit korrespondierende erhöhte Schutzbedürftigkeit der Rechtsgüter158. Canaris legt dar, dass diese Situation nicht nur während Karl Larenz, Verkehrssicherungspflicht und „sozialer Kontakt“, MDR 54, 515. Unausgesprochen steht er allerdings auf dem auch von Dölle eingenommenen Standpunkt, dass die Charakterisierung der vorvertraglichen Beziehung als „rechtsgeschäftlich“ in der Konsequenz ebenfalls aufzugeben sei. 153 Larenz (o. Fn. 151), MDR 1955, 518. 154 Larenz (o. Fn. 151), MDR 1955, 518. 155 Vgl. Michael Bohrer, Die Haftung des Dispositionsgaranten (1980), S. 265, der von einer „Erhaltungspflichten begründende[n] Sonderbeziehung“ spricht. 156 Zudem verlängern sich die Verjährungsfristen, und die Modalitäten der Liquidation von Drittschäden ändern sich; vgl. Claus-Wilhelm Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkung für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, 475, 477 f. 157 So auch Marina Frost, „Vorvertragliche“ und „vertragliche“ Schutzpflichten (1981), S. 136 f. 158 Canaris (o. Fn. 156), JZ 1965, 476 unter Verweis auf Heinrich Stoll. Vgl. ferner Eduard Picker, Positive Forderungsverletzung und culpa in contrahendo – Zur Problematik der Haf151 152
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der Vertragsverhandlungen bzw. der Situation des geschäftlichen Kontakts vorliege, sondern bei der Durchführung des Vertrages in gleicher Weise bestehe. Konsequent plädiert er dafür, auch die „vertraglichen“ Pflichten159 zur Rücksichtnahme und Sorgfalt im Umgang mit Rechtsgütern und Vermögen nicht mehr auf den Vertrag als Rechtsgeschäft, sondern auf ein fortbestehende, einheitliches und wie vorgetragen begründetes „Schutzpflichtverhältnis“ zu stützen. Frotz160 betont den Zusammenhang, den die cic-Pflichten trotz ihrer Natur als gesetzliche Pflichten mit Vertragsverhandlungen und dem Vertragsschluss haben, wenn er die spezifischen Gefahren für Rechtsgüter und Vermögen nicht allgemein auf erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten, sondern speziell auf die Gefahren rechtsgeschäftlichen Handelns zurückführt: Die Pflichten sollen dem „Ausgleich des Verhandlungsrisikos“161 dienen und stellen sich somit als „Korrelat privatautonomer Gestaltungsmöglichkeit“162 dar. Umfassend gewürdigt und gleichzeitig unter Vornahme einer Art kopernikanischer Wende in der Betrachtungsweise neu gefasst werden die Ergebnisse der bisher diskutierten Theorien durch Eduard Picker. Pickers Ausgangspunkt ist die bekannte Beobachtung, dass eine zentrale Funktion der cic (wie auch des verwandten Institutes der pVV) darin besteht, eine Haftung für „reine“ Vermögensschäden zu begründen163. Während aber die früheren Ansätze davon ausgehen, die relativ strikte Haftung aus cic sei begründungsbedürftig, kehrt Picker sozusagen die Beweislast um. Das unverbildete Rechtsgefühl nämlich spreche an sich für und nicht gegen eine umfassende Haftung für die Verursachung von Vermögensschäden, begründungsbedürftig sei die restriktive Haltung des BGB-Deliktsrechts.164. Aber nicht nur das Rechtsgefühl, auch die europäische Rechtstradition165 kenne das fundamentale Prinzip: neminem laedere, also die Verhaltensmaxime, anderen keinen Schaden zuzufügen (und nicht nur: anderen keinen Schaden durch Verletzung bestimmter Rechtsgüter zuzufügen). Neminem laedere bedeute, dass jedermann fremtungen „zwischen“ Vertrag und Delikt, AcP 183 (1983), 369, 412 mit umfassenden Nachweisen; so auch Gerhard Frotz, Die rechtsdogmatische Einordnung der Haftung für culpa in contrahendo, in: Christoph Faistenberger u. a. (Hrsg.), Privatrechtliche Beiträge. Gedenkschrift für Franz Gschnitzer. Innsbruck (1969), S. 163 ff., der die cic-Haftung generell für ein „Korrelat privatautonomer Gestaltungsmöglichkeit“ (S. 172 ff.) hält, das dem „Ausgleich des Verhandlungsrisikos“ (S. 174) dient. 159 Vgl. den Überblick über die Anknüpfungspunkte, die für den verschärften Schutz deliktischer Rechtsgüter im Einzelnen vorgeschlagen werden, bei Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 411 f. m. w. N. 160 Frotz (o. Fn. 158). 161 Frotz (o. Fn. 158), S. 174. 162 Frotz (o. Fn. 158), S. 172 ff.; vgl. auch Bohrer (o. Fn. 155), S. 310; Claus-Wilhelm Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 440. 163 Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 373 f. 164 Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 461, 466, 474 f. 165 Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 452 – 460.
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des Vermögen unangetastet lassen und für jedes vermeidbare Zuwiderhandeln haftbar gemacht werden solle166. Wenn das Deliktsrecht des BGB entgegen dem neminem laedere-Prinzip nun mit dem Erfordernis der Rechtsgutsverletzung einerseits und mit dem Erfordernis schuldhaften Handelns andererseits die Haftung für Vermögensverletzungen einschränke, habe das natürlich seinen Grund: Es würde die Handlungsfreiheit und –fähigkeit des Einzelnen massiv einschränken, wenn allein die Verursachung jeglicher Vermögensschädigung pflichtwidrig und somit haftungsbegründend wäre167. Sowohl das Erfordernis der Rechtsgutsverletzung als auch die deliktischen Zurechnungsregeln seien also das Ergebnis gesetzgeberischer Abwägung von Handlungsfreiheit auf der einen und Vermögensschutz auf der anderen Seite. Infolge von Vertragsverhandlungen, aufgrund anderweitiger geschäftlicher Kontakte, bei der Vertragsdurchführung168, kurz: in allen „Sonderverbindungen“169 ändere sich jedoch dieses Verhältnis der Schutzbedürftigkeit von Freiheit auf der einen und Vermögensinteressen auf der anderen Seite, so dass entsprechend den früheren Arbeiten die Haftungsverschärfung angezeigt sei – aufgrund erhöhter Einwirkungsmöglichkeit, aber auch auf Grund der Tatsache, dass es die Handlungsfreiheit des Verpflichteten nicht übermäßig beschränke, in der überschaubaren Situation der Vertragsanbahnung, -durchführung etc. einem bestimmten oder doch abgrenzbaren Personenkreis gegenüber verstärkt verantwortlich zu sein170. Innerhalb des generellen Rahmens, wie er insbesondere von Picker eindrucksvoll dargestellt worden ist, bleibt natürlich viel Raum für Kasuistik im Einzelfall. Im Anschluss an die jüngere BGH-Rechtsprechung ist insbesondere diskutiert worden, was das Schutzgut der vorvertraglichen Aufklärungspflicht sein sollte: Das Vermögen, wie vom BGH postuliert, oder doch eher die individuelle Entscheindungsfreiheit171? Letzteres hätte zur Folge, dass die Vertragsaufhebung wegen unterlassener oder falscher Aufklärung auch dann verlangt werden könnte, wenn der Vertrag objektiv angemessen und eine Vermögensminderung daher nicht eingetreten ist172.
Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 460 – 465. Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 471. 168 Vgl. den Überblick über die Anknüpfungspunkte, die für den verschärften Schutz deliktischer Rechtsgüter im Einzelnen vorgeschlagen werden, bei Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 411 f. m. w. N. 169 Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 476. 170 Picker (o. Fn. 158), AcP 183 (1983), 476 f. 171 Vgl. Barbara Dauner-Lieb, Kodifikation von Richterrecht, in: Wolfgang Ernst / Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001), S. 305, 320 (m. w. N. in Fn. 88). 172 Dafür etwa Nickel (o. Fn. 156), S. 257. 166 167
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3. Cic und Vertrauenshaftung Eine Stellung eigener Art nehmen die Theorien ein, die die cic in erster Linie als Institut des Vertrauensschutzes begreifen. Als Ansatzpunkt dieser Theorien bietet sich die in ständiger Rechtsprechung vorkommende Beschreibung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses als eines „Vertrauensverhältnisses“ an. Prominente Bedeutung im Schrifttum erfährt der Gesichtspunkt des Vertrauens bereits in Dölles Formel von der Gewährung besonderen Vertrauens, die das Schuldverhältnis begründen soll. Spielt das Vertrauen in der reichsgerichtlichen Formel vom „Vertrauensverhältnis“ eine rein deskriptive Rolle, so erlangt es bei Dölle bereits eine gewisse normative Bedeutung, jedoch noch in recht abstrakter und unspezifischer Weise. Vertrauen spielt bei Dölle die Rolle, die der soziale Kontakt bei Haupt und der geschäftliche Kontakt bei Larenz spielen; Dölle setzt das Vertrauen als typischerweise vorhanden voraus und wertet diese Tatsache als entscheidende Eigenschaft der Situationen, in denen aus cic gehaftet wird. Ob eine Partei, die Ansprüche aus cic geltend macht, tatsächlich vertraut hat und in welchem Umfang dies gegebenenfalls geschehen ist, ist für Dölle irrelevant. Ballerstedt173 macht demgegenüber als erster den Vorschlag, das konkrete und tatsächliche vorhandene Vertrauen der Parteien zum Maßstab der Haftung im vorvertraglichen Schuldverhältnis zu machen: „Nicht der Inhalt der Erklärung, mit der die Verhandlung eröffnet werden [sic], ist für sich genommen der für die Verpflichtung des Anbietenden rechtliche begründende Tatbestand, sondern die in seiner Erklärung und in seinem sonstigen Verhalten wirksam werdende Inanspruchnahme des Vertrauens des anderen Teils. . . Entscheidend dafür, ob und welche Schutz-, Erhaltungs-, Erklärungs- oder Unterlassungspflichten entstehen, ist in jedem Abschnitt der Verhandlungen der Grad des Vertrauens, das gefordert und gewährt wird.“174
Ballerstedt sieht noch einen engen Zusammenhang zwischen Rechtsgeschäft und Vertrauenshaftung, wenn er vorschlägt, „den Begriff des Rechtsgeschäfts um diese zweite Grundform: Verpflichtung durch Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens zu erweitern“175. Ballerstedts Lehre ist insofern missverständlich, als er den Zusammenhang zwischen Vertrauen und Pflichteninhalt an keiner Stelle wirklich deutlich macht. Er geht davon aus, dass auch eine mangelhafte Willenserklärung (etwa nach § 122) Wirkungen kraft Inanspruchnahme von Vertrauen haben kann. Im Gegensatz zur wirksamen Willenserklärung aber führt die Inanspruchnahme von Vertrauen nicht zur Pflicht, sich entsprechend dem erweckten Vertrauen zu verhalten, sondern nur 173 Kurt Ballerstedt, Zur Haftung für culpa in contrahendo bei Geschäftsabschluß durch Stellvertreter, AcP 151 (1951), S. 501. 174 Ballerstedt (o. Fn. 173), AcP 151, 506. 175 Ballerstedt (o. Fn. 173), AcP 151, 507.
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zu der Pflicht, Schäden zu ersetzen, die aus der Verletzung des erweckten Vertrauens resultieren176. Ballerstedts Formel von der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen erweist sich als außerordentlich erfolgreich. Überhaupt rücken der Begriff des Vertrauens und die Bedeutung des Vertrauensschutzes als „Selbstwert“177 in verschiedenen Untersuchungen178 in den Vordergrund dogmatischen Interesses. Grundlegend für den Begriff der Vertrauenshaftung wird dann Canaris’ Abhandlung über die „Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht“179. Als Vertrauenshaftung bezeichnet Canaris Haftungstatbestände, für die das Vorhandensein von konkretem Vertrauen notwendige Bedingung ist – die umgekehrt betrachtet also nicht durchgreifen, wenn es an Vertrauen fehlt180. Canaris stellt zunächst heraus, dass unter Vertrauensschutz bzw. Vertrauenshaftung zwei völlig unterschiedliche Phänomene verstanden werden können, nämlich die negative und die positive Vertrauenshaftung181. Im Falle des negativen Vertrauensschutzes wird der Vertrauende so gestellt, als habe er nicht vertraut. Der Ersatzanspruch knüpft dann notwendig an reale Dispositionen an, die der Geschützte in Folge seines Vertrauens getroffen hat, die aber anders ausgefallen wären, hätte er nicht vertraut. Vertrauensschutz bedeutet in diesem Fall Ersatz des negativen Interesses182. Positive Vertrauenshaftung heißt, den Vertrauenden so zu stellen, als sei sein Vertrauen gar nicht unbegründet gewesen – entweder durch einen Anspruch auf Herstellung des erwartungsgemäßen Zustandes (soweit möglich), oder durch einen entsprechenden Schadensersatzanspruch. Ein Nachweis nachteiliger Dispositionen ist dann nicht erforderlich183. Vertrauenshaftung, in positiver wie in negativer Form, setzt nach Canaris stets Schutzwürdigkeit des Vertrauens voraus. Das heißt: Vertrauen allein ist niemals ein hinreichender Haftungsgrund, es müssen immer Wertungen hinzukommen, die das tatsächlich vorhandene Vertrauen zu normativ berechtigtem Vertrauen machen. Diese von außen kommende Wertung ist es auch, die darüber entscheiden muss, ob die Erwartungen als solche (positiv) geschützt werden, oder ob sich der Vertrauensschutz darauf beschränkt, eine Haftung für vertrauensbedingte Vermögensschäden eintreten zu lassen. Ballerstedt (o. Fn. 173), AcP 151, 507. Hermann Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen (1950) S. VII; S. 11 ff. zum vorvertraglichen Vertrauensverhältnis. 178 Vgl. etwa Eichler (o. Fn. 177); Götz v. Craushaar, Der Einfluss des Vertrauens auf die Privatrechtsbildung (1969). 179 O. Fn. 162. 180 Canaris (o. Fn. 162), S. 425 ff. zur Abgrenzung von Vertrauenshaftung (Erklärung ist deklaratorisch) und Rechtsgeschäft (Erklärung ist konstitutiv). 181 Canaris (o. Fn. 162), S. 518. 182 Canaris (o. Fn. 162), S. 510. 183 Canaris (o. Fn. 162), S. 510. 176 177
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Canaris selber untersucht in seiner Schrift vor allem die Fälle positiven Vertrauensschutzes184; er entwickelt zwei Grundtatbestände (Rechtsscheinhaftung und Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit), die sich primär danach unterscheiden, woraus sich die unbedingte Schutzwürdigkeit des Vertrauens ergibt, die allein den positiven Vertrauensschutz rechtfertigt. Stehen bei der Rechtsscheinhaftung objektive Verkehrsinteressen im Vordergrund, so dient die Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit der Durchsetzung von Billigkeit und Fairness im Einzelfall185. Die cic sieht Canaris selber als zentralen Tatbestand des negativen Vertrauensschutzes an, soweit es um die Haftung für Aufklärungspflichten geht. Die Fälle der „klassischen“ cic (§ 122 etc.) gehören natürlich auch in die Kategorie des negativen Vertrauensschutzes, doch möchte Canaris diese Tatbestände auf Grund der Unterschiede bei der Zurechnung nicht als „cic“ bezeichnen186. Michael Bohrer187 arbeitet den Tatbestand der negativen Vertrauenshaftung für die Haftung aus cic detailliert aus, beschäftigt sich allerdings eher mit strukturellen Fragen188 (Aufbau des Tatbestandes, Zurechnung des Vertrauens, Zurechnung der Vertrauensenttäuschung) als mit dem Problem, was eigentlich die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Fällen der cic ausmacht189. Zum Schluss ergibt sich ein geschlossenes System des negativen Vertrauensschutzes, das in zwei Richtungen durch das Merkmal der Schutzwürdigkeit begrenzt ist: Nach „unten“ durch fehlende Schutzwürdigkeit – aus nicht schutzwürdigem Vertrauen resultieren keine Ansprüche, und nach „oben“ durch besonders hohe Schutzwürdigkeit – individuell oder institutionell besonders wertvolles Vertrauen wird positiv geschützt190. Negative Vertrauenshaftung kennzeichnet Bohrer als „Dispositionsgarantie“191. Ein großer Verdienst der Theorie von der Vertrauenshaftung liegt darin, das Augenmerk auf die sachliche Zusammengehörigkeit positiven und negativen Vertrauensschutzes zu lenken. Zur Illustration sei an den wiederholt angesprochenen § 179 BGB erinnert. Konstruiert man Abs. 2, wie das nach traditioneller Betrachtungsweise der cic der Fall ist, als Haftung für die Verletzung einer primären Pflicht, nicht als vollmachtloser Vertreter zu kontrahieren, so steht § 179 Abs. 1 scheinbar zusammenhanglos daneben. Deutet man beide Tatbestände als Ausdruck einer AbCanaris (o. Fn. 162), S. 518. Vgl. Canaris (o. Fn. 162), S. 518; S. 526 ff.; S. 277 ff. 186 Canaris (o. Fn. 162), S. 532 ff. Soergel (o. Fn. 1), Vor 275 (Wiedemann), Rn. 182 bezeichnet cic als Tatbestand des positiven Vertrauensschutzes (schwer nachvollziehbar). 187 Bohrer (o. Fn. 155). 188 Vgl. Bohrer (o. Fn. 155), S. 267 ff. 189 Bohrer (o. Fn. 155), S. 301: Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist erforderlich; zur Schutzwürdigkeit (nach Bohrer selbst: nicht abschließend) S. 305, 309 f. 190 Bohrer (o. Fn. 155), S. 328 ff. 191 Bohrer (o. Fn. 155), S. 299: Bessere Bezeichnung als cic oder Verschulden bei Vertragsschluss. 184 185
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wägung zwischen dem Vertrauen des enttäuschten Vertragspartners einerseits und den Interessen des falsus procurator andererseits, so kommt man den sachlich zu Grunde liegenden Erwägungen doch wohl sehr viel näher als durch eine zu „pflichtenorientierte“ Betrachtungsweise. Aus diesem Blickwinkel ist festzuhalten, dass die Theorie der negativen Vertrauenshaftung delikts- und rechtsgeschäftsnahen Erklärungsansätzen nicht unbedingt widersprechen muss. Der Gesichtspunkt der Schutzwürdigkeit lässt Raum für die Erwägungen, die diesen Ansätzen zu Grunde liegen. Aus dieser Perspektive ist auch der Haupteinwand, der gegen die Theorie der Vertrauenshaftung und insbesondere die Theorie der negativen Vertrauenshaftung immer wieder vorgebracht wird, nicht wirklich erheblich. Der Einwand lässt sich so zusammenfassen: Die Theorie sei zwar deskriptiv als Mittel der Kategorisierung und Systematisierung zu gebrauchen, bringe aber keine tiefere Erkenntnis und könne vor allem keine Aussage über die sachliche Rechtfertigung von Pflichten im Einzelfall machen; für die Gretchenfrage, ob in einem gegebenen Fall Ansprüche bestehen, sei es völlig irrelevant, ob vertraut wurde oder nicht; im Falle der negativen Vertrauenshaftung spiele Vertrauen eine Rolle überhaupt nur als Kausalitätselement192. Tatsächlich wird damit die Leistungsfähigkeit der Theorie an einem Anspruch gemessen, den sie selbst gar nicht erhebt. Was die Theorie der Vertrauenshaftung hingegen wirklich nicht ohne Aufgabe ihrer Identität leisten kann, ist eine Erklärung der cic-Erhaltungspflichten. Zwar hatte Dölle gerade auch diese Pflichten auf die „Gewährung von Vertrauen“ zurückgeführt, aber dabei spielte reales Vertrauen eben nicht die Rolle, die es für die Vertrauenshaftung hat193. Das zeigt sich schon daran, dass sich die Rechtsfolge der Erhaltungspflichten nicht in den Kategorien des positiven oder negativen Vertrauensinteresses erklären lässt. Wenn Canaris insoweit dennoch von „Anvertrauenshaftung“194 sprechen möchte (weil die Parteien ihre Rechtsgüter einander anvertrauen), so verwässert dies den Begriff der Vertrauenshaftung nur unnötig. Als Rechtsgrund von Aufklärungspflichten wird individuelles Vertrauen hingegen weitgehend akzeptiert195, wenn sich auch Stimmen mehren, die Vertrauen nur als einen Gesichtspunkt neben dem Schutz des rechtsgeschäftlichen Verkehrs ansehen196. Unterschiedlich gesehen wird, wie sich die Begriffe der Vertrauenshaftung und der cic generell zueinander verhalten197. Gernhuber (o. Fn. 50), S. 178 f. Karl Larenz, Bemerkungen zur Haftung für „culpa in contrahendo“, in: Werner Flume u. a. (Hrsg.), Beiträge zum Zivil- und Wirtschaftsrecht. Festschrift für Kurt Ballerstedt (1975), S. 397, 401; Bohrer (o. Fn. 155), S. 254 ff. 194 Canaris (o. Fn. 162), S. 539 ff. 195 Stephan Breidenbach, Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß (1989), S. 47 f. 196 Holger Fleischer, Vorvertragliche Pflichten im Schnittfeld von Schuldrechtsreform und Gemeinschaftsprivatrecht, in: Reiner Schulze / Hans Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechts192 193
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4. Cic und Venire contra factum proprium Ein der Vertrauenshaftung nahe stehender, aber eigenständiger Ansatz zur Begründung vorvertraglicher Pflichten findet sich in Küppers Überlegungen zur Haftung im Falle der Erweckung sicherer Abschlusserwartungen bei anschließendem Abbruch der Verhandlungen ohne triftigen Grund198. Küpper stützt sich auf das allgemein als Anwendungsfall des Prinzips von Treu und Glauben geltende Verbot venire contra factum proprium, d. h. das Verbot selbstwidersprüchlichen Verhaltens. Wenn nämlich ein bestimmtes Maß an Vertrauen in das Zustandekommen des Vertrages geweckt worden sei, ergebe sich hieraus eine „Pflicht zum Weiterverhandeln“.199 Die Verletzung dieser Pflicht müsse nach allgemeinen Grundsätzen zwar an sich zur Durchsetzung des Kontrahierungszwanges oder alternativ zum Ersatz des positiven Interesses nach § 249 führen.200 Diese Rechtsfolge aber sei um des Schutzes der Vertragsfreiheit willen im Regelfall ausgeschlossen.201 In schwerwiegenden Ausnahmefällen, beispielsweise im Falle der öffentlichen Auftragsvergabe, bleibe es allerdings beim Ersatz des positiven Interesses.202 Küppers Idee, eine grundsätzliche Pflicht zum konsistenten Verhalten in Vertragsverhandlungen anzuerkennen, die Rechtsfolgen jedoch flexibel zu gestalten, findet sich auch bei anderen Autoren203. Sie überzeugt auf den ersten Blich dareform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 243, 255: „Vorvertragliche Verhaltenspflichten dienen danach nicht nur dem Schutz individuellen Vertrauens, sondern auch und in erster Linie der Funktionsfähigkeit des Geschäftsverkehrs.“ Roland Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten (2001), unterscheidet (individualbezogene) vorvertragliche Informationspflichten zum Schutz der Willensbildung (§. 97 ff.) von (verkehrsschutzorientierten) vorvertraglichen Verständigungspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Vertrag (S. 193 ff.). 197 Gerhard Hohloch, „Vertrauenshaftung“ – Beginn einer Konkretisierung?, NJW 1979, 2369, 2373: „ ,Vertrauenshaftung‘ bedeutet im Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung eine Bereinigung.“ Vgl. auch speziell zum Fall von cic und Vertrauenshaftung auf dem Bereich des Versicherungsvertragsrechts ders., Versicherungsrechtliche Vertrauenshaftung, VersR 1980, 107. Larenz (o. Fn. 148), S. 107.: Neben der cic gibt es eine reine verschuldensunabhängige Vertrauenshaftung nach / analog § 122 BGB (Abbruchfälle), die nicht von einer schuldhaften Pflichtverletzung abhängig ist. 198 Küpper (o. Fn. 21). Soergel (o. Fn. 1), Vor 175 (Wiedemann), Rn. 136 folgt dem Ansatz Küppers. 199 Küpper (o. Fn. 21), S. 216 ff., 220. 200 Küpper (o. Fn. 21), S. 268. 201 Küpper (o. Fn. 21), S. 169 f. 202 Küpper (o. Fn. 21), S. 270. 203 Vgl. die folgenden, die ebenfalls die Vertrauensenttäuschung als Pflichtverletzung sehen: Sonnabend (o. Fn. 19), S. 55; Karl Hackl, Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang im deutschen, im österreichischen und im italienischen Recht (1980), S. 51; Marcus Lutter, Der Letter of Intent (2. Aufl. 1983), S. 69; Medicus (o. Fn. 41), S. 550 – 553 (der die Einschränkung bezüglich der Rechtsfolge bei Pflichtverletzung auf die Lehre vom Schutzzweck der Norm zurückführt).
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durch, dass sie eine relativ einheitliche Erklärung für die wichtigsten Fallgruppen der cic (abgesehen von den quasideliktischen Fällen) liefern kann. Entsprechend dem Vorbild der Haftung für Aufklärungsverschulden stellt sich nun auch die Haftung in den Abbruchfällen als Verantwortlichkeit für schuldhaftes Verhalten (nämlich den Verhandlungsabbruch) dar204. Darüber hinaus könnte man nach Küppers Modell sogar die Haftung für Aufklärungsverschulden in der allgemeinen Haftung für schuldhaft widersprüchliches Verhalten aufgehen lassen. Die Vergabefälle lassen sich nach Küpper ebenfalls als Erscheinungsform der Haftung für schuldhaft widersprüchlichen Verhandlungsabbruch erfassen, wobei hier der Schutz der Vertragsfreiheit des Auftraggebers als Ausnahme von der Ausnahme entfällt und daher das positive Interesse gewährt werden kann. Gleichzeitig aber finden sich einige Ungereimtheiten. Küpper konstruiert zuerst ein Handlungsgebot (widerspruchsfreies Verhalten) und eliminiert es dann regelmäßig über die Rechtsfolge (lediglich Aufwendungsersatz). Er sieht selber, dass es nicht konsistent ist, erst eine Pflicht „zum Weiterverhandeln“ zu konstruieren und sie dann über sekundäre Überlegungen wieder auszuhebeln205, wenn er schreibt: „Die Abschlußpflicht ergibt sich also nur mit dem eingeschränkten Inhalt, daß es dem Pflichtigen verwehrt ist, den Vertrag ohne den Preis der Schadenskompensation zu verweigern . . . “206
Eine Abschlusspflicht mit einem derart „eingeschränkten Inhalt“ ist aber gar keine Abschlusspflicht – genau aus diesem Grunde bezeichnet die Rechtsprechung den Verhandlungsabbruch bewusst heute nicht mehr als Pflichtverstoß. Richtig schreibt Busche: „Der Umstand, daß durch Vertragsverhandlungen ein geschäftlicher Kontakt hergestellt und damit ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, begründet für sich genommen weder eine Primärpflicht noch eine Sekundärpflicht zum Abschluß eines Vertrages. . . . Die Pflichtwidrigkeit liegt . . . nicht in dem ,willkürlichen‘ Abbruch von Vertragsverhandlungen, sondern in der Hervorrufung eines – tatsächlich nicht gerechtfertigten – Vertrauens.“207
Entsprechend heißt es um einige Ecken (und deshalb unnötig kompliziert) zu denken, wenn man die Bedeutung der Vertragsfreiheit bzw. Privatautonomie ausgerechnet darin sehen will, dass sie die Rechtsfolgen einer an sich bestehenden Pflicht zum widerspruchsfreien Verhalten reduziere. Systematisch richtig ist vielmehr, dass es (gerade um des Schutzes der Privatautonomie willen) ein universelles Verbot widersprüchlichen Verhaltens eben nicht gibt208. Küppers Überlegungen Weber (o. Fn. 48), AcP 192 (1992), 411. Vgl. Weber (o. Fn. 48), AcP 192 (1992), 414 zur „paradoxe[n] Formulierung des Abbruchverbotes bei uneingeschränkt fortbestehender Abschlußfreiheit“. 206 Küpper (o. Fn. 21), S. 270. 207 Jan Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang (1999), S. 146 f. So auch Dieter Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 8. Aufl. (2002), Rn. 453. Ähnlich Lutter (o. Fn. 205), S. 61 ff. 208 Siehe ausführlich Weber (o. Fn. 48), AcP 192 (1992), 412 – 414. 204 205
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weisen in die richtige Richtung, indem sie klarstellen, dass in den Vergabefällen der Schutz der Privatautonomie offenbar zurückstehen muss; sie bleiben aber eine Erklärung schuldig209, warum dies so ist.
5. Cic und öffentliche Auftragsvergabe Nach den im Schrifttum vertretenen Erklärungsansätzen lässt sich eine cic-Haftung auf das negative Interesse bei Verstoß gegen Vergabebestimmungen begründen. Eine Haftung auf das positive Interesse hingegen ist nach den allgemeinen Grundlagen der cic schwer möglich. Die Haftung auf das negative Interesse lässt sich zunächst in einigen Fällen auf die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht stützen – dann nämlich, wenn dem Auftraggeber der Vorwurf gemacht werden kann, ihm sei bereits bei Einleitung der Ausschreibung klar gewesen, dass er sich nicht an die angegebenen Vergabebestimmungen halten werde bzw. durch Ausschreibung bei ungesicherter Finanzierung schon dagegen verstoßen habe, ohne dies den Interessenten mitzuteilen. Daraus folgt eine „Pflicht zum Ersatz des Vertrauensinteresses, wenn der Bieter in Kenntnis der ihm vorenthaltenen Umstände von vornherein nicht an der Ausschreibung teilgenommen hätte, nicht jedoch die Pflicht zum Ersatz des positiven Interesses“210. Im Vordergrund stehen jedoch Erklärungsmodelle, die auf quasi-rechtgeschäftlichen Modellen bzw. der Idee der (negativen) Vertrauenshaftung beruhen und in der Abweichung von den Vergabebestimmungen einen Verstoß gegen einen Selbstbindungstatbestand sehen. Ackermann schreibt dazu: „Mit der Ausschreibung erklärt der Auftraggeber seine Bereitschaft, im Rahmen der Ausschreibungsbedingungen und der Vergabebestimmungen einen Vertrag zu schließen. Weicht er davon ab, liegt nichts näher, als ihn für die dadurch verursachten Dispositionen der Bieter eben wegen dieser Erklärung und nicht wegen des Unterlassens der Aufklärung über ihre Fehlerhaftigkeit haften zu lassen.“211 „[E]s handelt sich hier um die in Ermangelung eines Erfüllungsanspruchs oder eines Anspruchs auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens eintretende gesetzliche Subsidiärfunktion für Selbstbindungstatbestände, wie sie das BGB in § 122, aber etwa auch in § 1298 anordnet.“212
209 Küppers Hinweis (Küpper (o. Fn. 21), S. 270), dies solle bei einer „besonders schweren Pflichtwidrigkeit“ geschehen, ist zirkulär, weil es ja gerade die Frage ist, wann welche Pflichten bestehen. 210 Thomas Ackermann, Die Haftung des Auftraggebers bei Vergabeverstößen, ZHR 164 (2000), 394, 417, vgl. auch 421. 211 Ackermann (o. Fn. 210), ZHR 164 (2000), 421. 212 Ackermann (o. Fn. 210), ZHR 164 (2000), 422.
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Entsprechend § 122 soll der Auftraggeber nur bis zur Grenze des positiven Interesses haften; Schadensersatz bekommt daher nur, wer bei ordnungsgemäßer Fortführung der Ausschreibung den Zuschlag erhalten hätte213. In ähnlicher Weise schreibt Schneider, in der Ausschreibung liege ein Vertrauenstatbestand214. Inhalt des Vertrauensverhältnisses sei in Bezug auf das zukünftige Verhalten des Ausschreibenden, dass „die Voraussetzungen für den Eintritt dieses Ereignisses [des in Aussicht gestellten Verhaltens] im gegenwärtigen Zeitpunkt vorliegen“. Anders als im Falle des Abstellens auf eine Aufklärungspflicht sei die Pflichtverletzung „nicht im Erwecken des Vertrauens zu sehen, sondern in der ,Vertrauensenttäuschung‘ “215. Es resultiere ein Anspruch auf das negative Interesse216. Nach all diesen Modellen werden die Bieter im Ergebnis so gestellt, als hätten sie nicht vertraut, und nicht so, als ob ihr Vertrauen nicht enttäuscht worden wäre. Somit stellt sich die Frage, ob auch die Rechtsprechung zum Ersatz des positiven Interesses erklärt werden kann217. Nur vereinzelt ist die Ansicht vertreten worden, die Rechtsprechung zum Ersatz des positiven Interesses füge sich „in die Systematik der übrigen Fälle, in denen eine Haftung aus culpa in contrahendo auf das Erfüllungsinteresse besteht, ein“218. Das ist nicht richtig, beruhen diese „übrigen Fälle“ doch auf dem Gedanken der Aufklärungspflichtverletzung und ersetzen das positive Interesse nur deshalb, weil sich dies auf Grund tatsächlicher Umstände im Rahmen der Schadensersatzberechnung ergibt219. Im Falle des Schadensersatzanspruchs wegen Verstoßes gegen Vergabebestimmungen fallen aber negatives und positives Interesse gerade nicht zusammen, sondern unterscheiden sich sogar erheblich. Insbesondere vor In-Kraft-Treten der haushaltsrechtlichen Lösung und des Vergaberechtsänderungsgesetzes lehnen viele Autoren die Rechtsprechung des BGH zum positiven Interesse ab, weil sie sich eben nicht in das allgemeine System der cic einfüge lasse220. So heißt es, der Auftraggeber genieße bis Vertragsabschluss Ackermann (o. Fn. 210), ZHR 164 (2000), 425. Joachim Schneider, Zur Verbindlichkeit der Ausschreibungsbedingungen im Bauwesen bei den Vergabeverfahren in den Ländern Bundesrepublik Deutschland, Schweiz und Österreich (1982), S. 72 ff. 215 Schneider (o. Fn. 214), S. 140. 216 Schneider (o. Fn. 214), S. 148. 217 Vgl. Matthias Drittler, Schadensersatz aus culpa in contrahendo bei nachgewiesenem Verstoß gegen §§ 25 und 26 VOB / A BauR 1994, 451, 454. 218 Wolfgang Jäckle, Die Haftung der öffentlichen Verwaltung aus culpa in contrahendo im Licht der oberinstanzlichen Rechtsprechung, NJW 1990, 2520, 2525. 219 Vgl. oben bei Fn. 10 , 157. 220 Vgl. neben den in den folgenden Fußnoten Genannten Manfred Cuypers, Leistungsbeschreibung und Verstöße gegen die VOB / A BauR 1994, 426, 427, 431 ff.; Cuypers favorisiert eine Lösung über das Rechtsinstitut der Auslobung, S. 433 ff. Vgl. auch ders., Leistungsbeschreibung, Ausschreibung und Bauvertrag, BauR 1997, 27, 30 ff. 213 214
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Vertragsfreiheit und sei „nicht verpflichtet, einem bestimmten Bieter den Zuschlag zu erteilen . . . Auch das Vergabesystem der VOB / A gibt keinen Anspruch auf Erteilung des Zuschlags an einen bestimmten Bieter“221. Eine Verpflichtung zur Einhaltung der VOB sei keine „der c.i.c. eigene Sorgfaltspflicht“222. Für einen über den Ersatz des negativen Interesses hinaus gehenden Schutz sei ein Vertrag erforderlich223. Aber auch nachdem oberhalb der Schwellenwerte des GWB die Vergabebestimmungen zu Rechtsnormen geworden sind, tritt beispielsweise Ackermann gegen die Rechtsprechung des BGH ein, die in Bezug auf cic-Ansprüche ja keinen Unterschied danach macht, ob ein Sachverhalt unter das GWB-Vergaberecht fällt oder nicht. Durch diese Rechtsprechung, die auch unterhalb der Schwellenwerte die Abweichung von Vergabevorschriften als Pflichtwidrigkeit betrachtet, gewinnen „die Vergabevorschriften als vorvertragliche Pflichten gegenüber dem Bieter unter der Hand Rechtsnormqualität“ 224. Allerdings findet sich auch in der Literatur Zustimmung zur Lösung des Bundesgerichthofes. So schreibt Feber bereits 1987: „Der Auftraggeber ist . . . verpflichtet, die VOB / A einzuhalten, und nicht etwa über einen beabsichtigten Verstoß aufzuklären . . . Der Auftraggeber ,schuldet‘ mehr als Aufklärung, er ,schuldet‘ die Einhaltung der VOB / A“225.
Allerdings erweist es sich als schwierig, hierfür eine befriedigende Erklärung zu finden. Der Hinweis, der Auftraggeber habe sich selber zur Einhaltung der VOB bereit erklärt und werde daher nicht in seiner Privatautonomie beeinträchtigt 226, geht fehl, da das Privatrecht solche einseitigen Erklärungen gerade nicht als bindend ansieht. Auch der Hinweis auf die Tatsache, dass nach der Rechtsprechung das positive Interesse nur dann zu ersetzen sei, wenn tatsächlich ein Vertrag (wenn auch mit einem anderen Vertragspartner) geschlossen worden sei227, führt nicht um diese Tatsache herum. Küpper strebt eine Erklärung im Zusammenhang mit der allgemeinen Haftung für sicheres Inaussichtstellen des Vertragsschlusses an. 221 Ubbo Hahn, Haftung aus „culpa in contrahendo“ bei der Vergabe im Baurecht, BauR 1978, 426. A. A. und für einen Kontrahierungszwang des Auftraggebers unter bestimmten Umständen Hendrik Kaelble, Anspruch auf Zuschlag und Kontrahierungszwang im Vergabeverfahren, ZfBR 2003, 657, 671. 222 Gudrun Lampe-Helbig / Christiane Zeit, Die Anwendung der zivilrechtlichen Haftung aus culpa in contrahendo auf die Vergabe von Bauleistungen nach der VOB / A durch die öffentliche Hand, BauR 1988, 659, 663, 665 f. 223 Schneider (o. Fn. 214), S. 89. 224 Ackermann (o. Fn. 210), ZHR 164 (2000), 419 unter Hinweis auf Jost Pietzcker, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, NVwZ 1983, 121, 123. 225 Feber (o. Fn. 68), S. 90. 226 Feber (o. Fn. 68), S. 88; so auch Küpper (o. Fn. 21), S. 339. 227 Heinz Ingenstau / Herrmann Korbion, Verdingungsordnung für Bauleistungen: VOB; Teile A und B, 14. Aufl. (2001), Einl. Rn. 57; vgl. auch 15. Aufl., Einl. Rn. 69 ff.
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Werde ein Vertrag sicher in Aussicht gestellt, so könne daraus allgemein eine Verhandlungspflicht und somit ein Kontrahierungszwang resultieren; nur werde die Rechtsfolge im Interesse der Privatautonomie gewöhnlicherweise auf den Ersatz des Vertrauensschadens beschränkt, während diese Einschränkung bei der Auftragsvergabe wegfalle228. Ähnlich verfährt Medicus, der für die Ausnahme auf der Rechtsfolgenseite die Schutzzwecklehre bemüht.229. Hier gilt allerdings der bereits oben geäußerte Einwand, dass diese Lehren die grundlegende Frage nach dem Geltungsgrund lediglich verlagern und unnötig komplizieren, nicht jedoch erklären. Eine Interpretation der cic-Haftung für die Verletzung von Vergabebestimmungen als positive Vertrauenshaftung230 wirft ebenfalls mehr Fragen auf als sie beantwortet, wenn sie eine Erklärung schuldig bleibt, welche besonderen Gründe die positive Vertrauenshaftung in diesem Falle rechtfertigen231. Lediglich Löwisch interpretiert die Haftung auf das positive Interesse als Ausdruck der Bindung der öffentlichen Hand an Artikel 3 GG232, ohne allerdings auszuführen, wieso diese Bindung sich gerade im Institut der cic realisieren soll. Autoren, die im Anschluss an die Rechtsprechung eine Pflicht zur Beachtung der Vergabebestimmungen im Rahmen der cic akzeptieren, beschäftigen sich zudem mit den Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Pflicht. Schwierigkeiten macht insofern die Ansicht des BGH, der Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses setze den Abschluss eines Vertrages voraus, komme also im Falle der Aufhebung auch dann nicht in Betracht, wenn diese pflichtwidrig sei. Dies sei, so Jebens, „dogmatisch schwer zu begründen“, aber erforderlich, um den Vergabestellen wirtschaftlichen Handlungsspielraum zu lassen233. Ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses auch bei ungerechtfertigter Aufhebung wird etwa von Nickel befürwortet234. Weitestgehend für richtig befunden wird die Praxis, erfolglosen Bietern lediglich Schadensersatz in Geld zuzuerkennen und keinen Anspruch auf Vertragsschluss – auch wenn durchaus gesehen wird, dass ein solcher Anspruch durchaus im Interesse rechtswidrig benachteiligter Bieter liege235. Naturalrestitution sei aber unmöglich, wenn der Zuschlag schon anderweitig erteilt sei; die Kündigung des einmal geschlossenen Vertrages könne der geschädigte Bieter nicht verlangen236. Das erKüpper (o. Fn. 21), S. 339. Medicus (o. Fn. 41), S. 553. 230 So wohl Heiermann (o. Fn. 105), S. 109, der sich aber gegen Tendenzen der Gerichte wendet, tatsächliches Vertrauen der Bieter für erforderlich zu halten. 231 Vgl. Schneider (o. Fn. 214), S. 89: Ein Ausnahmetatbestand, der Erfüllungshaftung auf Grund Vertrauens rechtfertige, sei nicht gegeben. 232 Staudinger (o. Fn. 4), Vor § 275 (Löwisch), Rn. 85. 233 Philipp Jebens, Schadensersatzansprüche bei Vergabeverstößen, DB 1999, 1741, 1745. 234 Nickel (o. Fn. 156), S. 169. 235 Timm R. Meyer, Rechtsmittel: ein Kommentar aus der Sicht der Bieter, in: Laurence W. Gormley (Hrsg.), Gordian Knots in European Public Procurement Law (1997), S. 71. 228 229
III. Fazit
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gebe sich „aus sachlogischen Gründen“, weil die Ansprüche „auf der Enttäuschung berechtigterweise in Anspruch genommenen Vertrauens beruhen“237, bzw. aus der „Natur des Schadensersatzanspruches als Vertrauenshaftung“238; es liege „im Wesen der culpa in contrahendo, daß die Beachtung von Obliegenheiten nicht erzwungen, ihre Verletzung jedoch durch Schadensersatzansprüche kompensiert werden kann“239. Fleischer schlägt vor, den Schadensersatz nicht nur dem vermutlich erfolgreichen Bieter zu gewähren, sondern der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Ausgang einer Ausschreibung nicht immer sicher sei: Alle Bieter, die eine Chance auf den Auftrag gehabt hätten, sollten Schadensersatz entsprechend dem Wert dieser Chance bekommen240.
III. Fazit Der folgende Abschnitt soll den Stand der Dogmatik zur cic-Haftung bei Verstoß gegen Vergabebestimmungen nach dem alten Schuldrecht zusammenfassen. Es lassen sich eine Haftung sowohl auf das negative Interesse als auch auf das positive Interesse konstruieren.
1. Haftung auf das positive Interesse Soweit die Haftung auf das positive Interesse geht, bieten sich zwei Erklärungen an, um die dieser Ersatzpflicht zu Grunde liegende primäre Pflicht zur Beachtung von Vergabebestimmungen zu begründen.
a) Gleichbehandlungspflicht Zunächst ist es möglich, die Verbindlichkeit der Vergabebestimmungen auf eine vom vorvertraglichen Schuldverhältnis völlig unabhängige Rechtsgrundlage zurückzuführen und die Bedeutung der cic nur darin zu sehen, dass sie zu einer Verschärfung der Zurechnung von Pflichtverstößen führt. In den frühen, Normen wie § 68 BEG und § 74 BVFG betreffenden Fällen zur cic-Haftung öffentlicher 236 Thomas Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland und Frankreich (1996), S. 161 f. 237 Gerd Motzke u. a. (Hrsg.), Beck’scher VOB-Kommentar: Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil A (2001), Syst IV (Gröning), Rn. 120. 238 Heiermann (o. Fn. 105), S. 114. 239 York Schnorbus, Der Schadensersatzanspruch des Bieters bei der fehlerhaften Vergabe öffentlicher Aufträge, BauR 1999, 77, 81. 240 Holger Fleischer, Schadensersatz für verlorene Chancen im Vertrags- und Deliktsrecht, JZ 1999, 766, 771.
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Kap. 4: Weiterentwicklung der Lehre von der culpa in contrahendo
Auftraggeber ist der Bundesgerichtshof dieser Konzeption ausdrücklich gefolgt241. Es entsteht danach ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen Auftraggeber und Interessent spätestens in dem Moment, in dem der Unternehmer um die Zusendung der Vergabeunterlagen bittet. Diesen Moment als Zeitpunkt zu bestimmen, in dem die besonderen vorvertraglichen Pflichten einsetzen, dürfte sich übereinstimmend auch aus den verschiedenen theoretischen Ansätzen des Schrifttums ergeben. Während die Bekanntmachung der Ausschreibung nämlich noch ad incertas personas gerichtet ist und zwar dem interessierten Unternehmen, nicht aber dem Auftraggeber ein konkretes Gegenüber angibt, entsteht mit der Bitte um Versendung der besondere soziale bzw. geschäftliche Kontakt, der Auftraggeber und Bieter in eine von dem Bereich der unabgrenzbaren Verpflichtungen deliktischer Natur deutlich zu unterscheidende Sonderbeziehung führt, die gegenüber dem konkreten, bekannten Verhandlungspartner erhöhte Rücksicht in Bezug auf den Schutz seiner Rechtgüter und die Einhaltung der ihn begünstigenden Schutzgesetze verlangt. Nebenbei sei bemerkt, dass die Fälle öffentlicher Auftragsvergabe seit jeher deutlich zeigen, dass der Begriff der Vertragsverhandlungen zu eng ist, um das Anknüpfungsmoment für die cic darzustellen, finden eigentliche Verhandlungen doch bei öffentlichen Ausschreibungen gerade nicht statt. Mit dem weiteren Begriff des geschäftlichen Kontakts gut gekennzeichnet ist übrigens auch die Situation, dass ein Bieter sich außerhalb laufender Ausschreibungsverfahren mit der Bitte um Berücksichtigung bei zukünftigen Vertragsabschlüssen an einen öffentlichen Auftraggeber wendet; der BGH hat bestätigt, dass solcher Kontakt zur Begründung eines „vorvertraglichen“ Schuldverhältnisses genügt242. Dieser Ansatz rechtfertigt eine Pflicht zur Beachtung der Vergabebestimmungen ohne weiteres in den Fällen der Auftragsvergabe im Bereich oberhalb der GWBSchwellenwerte: Das GWB ist ein Gesetz i. S. d. EGBGB, das darauf beruhende Verordnungsrecht einschließlich der inkorporierten Verdingungsordnungen ebenso. Dass diese Normen auch dem Schutz der Bieter zu dienen bestimmt sind, ist heute nicht mehr ernsthaft umstritten. Unterhalb der Schwellenwerte hat der Bundesgerichtshof wiederholt Art. 3 GG als rechtliche Grundlage für die Verbindlichkeit der Vergabebestimmungen herangezogen: Nach dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung besteht damit eine Pflicht zur Beachtung der Vergabebestimmungen, die sich als Konkretisierung der grundrechtlichen Gleichbehandlungspflicht darstellen243. Diese Konstruktion wirkt selbstverständlich nur gegen solche Auftraggeber, die Adressaten des Art. 3 sind. Nach Ansicht des BGH scheitert die Pflicht zur Beachtung der Verdingungsordnungen also heute weder an der mangelnden Außenwirkung (hier hilft Art. 3), 241 242 243
Oben bei Fn. 166 ff., 78 ff. Text bei Fn. 80. Siehe oben bei Fn. 122.
III. Fazit
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noch am Fehlen drittschützender Wirkung. Das letztere ergibt sich zumindest implizit aus den Äußerungen des BGH und ist angesichts der Entstehungsgeschichte der Vergabebestimmungen wie auch angesichts des oberhalb der Schwellenwerte anerkannten Drittschutzes konsequent und richtig. Ein zusätzliches Argument für die Pflicht, Vergabebestimmungen auch außerhalb des Anwendungsbereiches des GWB zu beachten, kann sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben. Der Bundesgerichtshof ist davon im Anwendungsbereich nicht zutreffend umgesetzter und damit unmittelbar wirksamer Richtlinien im Ansatz selber ausgegangen244. Darüber hinaus können die Grundfreiheiten und das Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages, soweit sie unmittelbar gegen öffentliche Auftraggeber gelten, ähnlich wie der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Wege der Selbstbindung dazu führen, dass die Vergabebestimmungen eingehalten werden müssen, um dem Verdikt der Diskriminierung zu entgehen.
b) Positive Vertrauenshaftung Deutet man die Rechtsprechung in dem beschriebenen Sinne, so widerspricht das nicht unbedingt einer Erklärung unter den Gesichtspunkten der positiven Vertrauenshaftung oder des venire contra factum proprium: Die unter a) gegebene Begründung führt ja in einem rein faktischen Sinne dazu, dass das Vertrauen der Bieter in die Einhaltung der Vergabebestimmungen positiv geschützt und dem Auftraggeber das selbstwidersprüchliche Verhalten als Pflichtverstoß angelastet wird. Mehr noch, die Herleitung der Pflichten des Auftraggebers aus höherrangigen Gleichbehandlungsgeboten bzw. ihrer Konkretisierung durch das GWB ist auch in einem normativen Sinne Voraussetzung der Vertrauenshaftung bzw. des Verbotes selbstwidersprüchlichen Verhaltens. Denn der privatrechtliche Normalfall ist ja, dass in Abwesenheit rechtsgeschäftlicher Bindung positive Vertrauenshaftung nicht eintritt und ein Verbot des venire contra factum proprium nicht besteht. Nur die Sonderstellung öffentlicher Auftraggeber in verfassungs- und europarechtlicher Hinsicht kann die Abweichung vom Normalfall begründen. Ebenso liegt es aus verfassungsrechtlicher bzw. europarechtlicher Perspektive nahe, tatsächliches Vertrauen der Bieter zur Haftungsbegründung nicht zu verlangen. Es wäre mit dem Sinn der entsprechenden Gleichbehandlungsgebote nicht zu vereinbaren, einen notorisch unzuverlässigen, willkürlich handelnden Auftraggeber, dem die Bieter kein ernsthaftes Vertrauen mehr schenken, aus eben diesem Grunde von Ansprüchen wegen Ungleichbehandlung freizustellen. Die Grundrechte und die Grundfreiheiten dienen nicht der Herstellung billiger Entscheidungen im Einzelfall im Sinne einer „Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit“, sie erheben vielmehr den Anspruch, das Verhalten der öffentlichen Hand grundlegend und ausnahmslos zu prägen. 244
Oben bei Fn. 133.
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Allerdings zeigt sich in der Entscheidung des BGH zur Waggonverschrottung245 eine Tendenz, tatsächliches Vertrauen zu verlangen. Inwieweit sich diese Beurteilung durchsetzt, ist allerdings noch offen. Insbesondere im Geltungsbereich des GWB sollte man eigentlich davon ausgehen, dass sich diese Einschränkung nicht durchsetzen wird, da der Gesetzgeber die Geltung der Pflichten nach §§ 97 ff. GWB schließlich auch nicht davon abhängig macht, dass die Bieter darauf vertrauen. Es ist also zu hoffen, dass der BGH die Funktion des „Vertrauens“ im Tatbestand der cic-Haftung auf das positive Interesse in zukünftigen Entscheidungen wieder darauf zurückführt, was sie ursprünglich einmal ausdrücklich und in praktisch allen Entscheidungen (bis zu dem erwähnten Waggonverschrottungs-Fall) einmal war: Als typisches (nicht aber des realen Nachweises bedürftiges) Merkmal einer Sonderbeziehung die erweiterte Verantwortlichkeit für die Rechte und Interessen des anderen zu begründen.
c) Gemeinsame Fragen Ob man nun die Haftung auf das positive Interesse als Schadensersatzhaftung direkt für zurechenbare Verstöße gegen den durch die Vergabebestimmungen konkretisierten Gleichheitssatz oder eingeschränkt als Vertrauenshaftung konstruiert: In jedem Falle ist ihr Kern die Gleichbehandlungspflicht. Unterhalb der Schwellenwerte ergibt sich aus der Tatsache, dass die Geltung der Vergabebestimmungen auf Selbstbindung im Rahmen der verfassungs- und europarechtlichen Gleichbehandlungspflicht zurückzuführen ist, dass die Verpflichtung nur so weit gehen kann, wie auch die Gleichbehandlungspflicht reicht. Schon aus diesem Grunde kommt eine Pflicht, ausgeschriebene Aufträge tatsächlich zu vergeben, nicht in Betracht: Ob die Gründe, aus denen die öffentliche Hand von der Auftragserteilung endgültig Abstand nimmt, willkürlich sind oder nicht – in keinem Falle liegt in dem völligen Verzicht auf die Auftragsvergabe eine Ungleichbehandlung oder Diskriminierung einzelner Bieter. Oberhalb der Schwellenwerte liegt zwar eine unbedingte gesetzliche Geltungsanordnung vor, aber auch diese beruht auf dem Rechtsprinzip der Gleichbehandlung. Schon die gemeinschaftsrechtliche Motivation des Vergaberechtsänderungsgesetzes spricht hierfür, noch stärker vielleicht das ausdrückliche Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2. Das heißt: Auch wenn die Auftraggeber zur strikten Beachtung der gesamten Verdingungsordnungen und somit auch des § 26 verpflichtet sind, muss durch entsprechende Auslegung der Tatsache Rechnung getragen werden, dass ein Kontrahierungszwang kraft Ausschreibung nicht in der Absicht des GWB liegt. Die Aufhebung einer Ausschreibung im Sinne einer endgültigen Abstandnahme vom Vertragsschluss verstößt also auch dann nicht gegen das Vergaberecht, wenn sie nicht auf einem nach § 26 zulässigen Grund beruht. Viel245
Oben bei Fn. 133 ; siehe auch die weiteren in Fn. 134 genannten Entscheidungen.
III. Fazit
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mehr liegt die Bedeutung des § 26 darin, die Umgehung der Auswahlvorschriften zu verhindern. Pflichtwidrig ist also auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund besteht, nicht die Aufhebung per se, sondern erst die spätere Nichtberücksichtigung des günstigsten Bieters bei Erteilung des Auftrags246. Rechtsfolge einer zurechenbaren, d. h. gemäß §§ 276, 278 zu vertretenden Verletzung der Pflicht, die Vergabebestimmungen einzuhalten, ist in der Rechtsprechung bislang durchgängig der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns in Geld247. Dieser Anspruch kommt naturgemäß nur dem Bieter zugute, der bei Einhaltung der Vergabebestimmungen erfolgreich gewesen wäre. Nicht abschließend geklärt ist, ob auch ein Anspruch auf Naturalrestitution nach § 249 BGB, also auf Herstellung eines den Vergabebestimmungen entsprechenden Zustandes, oder gleich ein Erfüllungsanspruch in Betracht kommen.
d) Grenzen der Haftung auf das positive Interesse – Ausschreibungen Privater Zur cic-Haftung bei Ausschreibungen Privater, die nicht zur Anwendung der VOL oder VOB verpflichtet sind, lässt sich ein prägnantes Ergebnis feststellen. Die Haftung auf das positive Interesse lässt sich in diesen Fällen nicht anwenden, da sie auf den Gleichbehandlungspflichten der öffentlichen Hand bzw. im Anwendungsbereich des GWB auf gesetzlicher Anordnung beruht. Einen interessanten Grenzfall stellen die privaten „Sektorenauftraggeber“ dar. Soweit sie an die Grundrechte und / oder das europäische Primärrecht gebunden sind, sind sie wie die „klassischen“ öffentlichen Auftraggeber zu behandeln. Sie unterliegen also einer Gleichbehandlungspflicht und sind bei geschäftlichem Kontakt mit Interessenten diesen auch unter cic-Gesichtspunkten zur willkür- und diskriminierungsfreien Berücksichtigung bei der Auftragsvergabe verpflichtet248. Nur soweit sie von solchen Bindungen frei sind, kommen auch die korrespondierenden cic-Ansprüche nicht in Betracht.
2. Haftung auf das negative Interesse Eine Haftung auf das negative Interesse kann sich unter dem Gesichtspunkt des pflichtwidrigen Verstoßes gegen Vergabebestimmungen eigentlich nur dann ergeben, wenn – nach allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts – mangels 246 Eine Klarstellung im Text der Verdingungsordnungen wäre allerdings außerordentlich wünschenswert; § 26 in seiner jetzigen Formulierung ist missglückt. 247 Näher zur Berechnung Horst Dähne, Sekundärer Rechtsschutz gegen Vergabeverstöße – Welcher Schaden ist zu ersetzen?, NZBau 2003, 489 ff. 248 Vgl. Marc Opitz, Vertrauensschutz gegenüber dem relativen Sektorenauftraggeber, NZBau 2002, 19.
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konkreter Anhaltspunkte für die Höhe des entgangenen Gewinns die vom Bieter getätigten Aufwendungen unter Anerkennung einer Rentabilitätsvermutung als „Mindestschaden“ liquidiert werden. So zu verfahren ist sicher möglich, angesichts der Großzügigkeit der Rechtsprechung bei der Schätzung entgangener Gewinne aus öffentlichen Aufträgen aber selten empfehlenswert. Daneben kommt aber ein eigenständiger Anspruch auf das negative Interesse in Betracht, der in dem Sinne unzweifelhaft Vertrauenshaftung ist, dass Ansprüche nur soweit gegeben sein können, wie sich tatsächliches Vertrauen des Bieters in einer Disposition und einer Investition niedergeschlagen hat: Den Aufwendungen für die Erstellung eines Angebotes (dazu ggf. der Entscheidung, andere Geschäftsabschlüsse zu unterlassen). Für die Fälle des negativen Vertrauensschutzes bieten sich zwei Konstruktionen des Haftungstatbestandes an: Eine zweistufige Konstruktion, bei der die Schadensersatzpflicht als Folge der zurechenbaren Verletzung einer primären Aufklärungspflicht (= Pflicht, ungerechtfertigtes Vertrauen nicht hervorzurufen) eintritt; und eine einstufige Konstruktion, bei der die zurechenbare Schaffung eines Vertrauenstatbestandes (in gewissen Grenzen) als Dispositionsgarantie wirkt.
a) Schadensersatz wegen Verletzung primärer Erklärungsunterlassungspflichten Die erste Konstruktion findet ihr Vorbild in der Rechtsprechung zu den klassischen, auf die Rechtsfigur des „Verschuldens bei Vertragsschluss“ zurückgehenden Fällen der Verletzung von Aufklärungspflichten. Die mit dem persönlichen geschäftlichen Kontakt zwischen Auftraggeber und Bieter begründete Sonderbeziehung249 führt ja nicht nur zu einer verschärften Zurechnung im Rahmen bestehender Pflichten, sondern begründet zudem neue Pflichten, den Geschäftspartner im Interesse des Schutzes von dessen Rechtsgütern und Vermögen zutreffend über Umstände aufzuklären, die der Auftraggeber als wesentlich erkennt oder erkennen müsste250, sowie die andere Seite nicht durch die voreilige Abgabe von Erklärungen zu Aufwendungen zu veranlassen. Der Auftraggeber ist also verpflichtet, ungerechtfertigtes Vertrauen auf die Einhaltung von Vergabebestimmungen nicht zu erwecken: Die Schadensersatzpflicht tritt dann ein, wenn sich das Vertrauen im Nachhinein durch den Verstoß als unbegründet erweist. Pflichtwidrig ist die Erweckung von Vertrauen in die Durchführung eines ordnungsgemäßen VergabeverfahZum Zeitpunkt des Einsetzens der Sonderbeziehung siehe oben S. 195 f. Zu den Umständen, über die aufgeklärt werden muss, gehört ggf. die Unsicherheit der Finanzierung und damit die Ungewissheit, ob ein ausgeschriebener Auftrag überhaupt tatsächlich vergeben werden kann. Aus dieser Schadensersatzpflicht nach allgemeinen Grundsätzen ergibt sich jedoch nur zufällig eine Haftung auf das negative Interesse in den Fällen, in denen der Verstoß gegen die VOB / A oder VOL / A gerade darin besteht, dass verfrüht ausgeschrieben worden ist. 249 250
III. Fazit
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rens, wenn der Auftraggeber bereits weiß oder wissen müsste, dass eine ordnungemäße Durchführung nicht möglich oder fragwürdig ist. Durch die Ersatzpflicht auf das negative Interesse sanktioniert sind damit Vergaberechtsverstöße aber nur in wenigen Fällen. Darüber hinaus jedoch erscheint es denkbar, auf das Kriterium des Verschuldens bei der Vertrauenserweckung zu verzichten. Einer solchen Konstruktion ist die Rechtsprechung bislang wohlgemerkt nicht gefolgt. Dennoch gibt es einige Gesichtspunkte, die die Annahme rechtfertigen, eine entsprechende Argumentation würde von den Gerichten anerkannt. Zunächst führt sie zu genau dem in der Rechtsprechung immer wieder postulierten Ergebnis, dass eine Verletzung von Vergabebestimmungen regelmäßig zu einem Ersatzanspruch auf das negative Interesse führe (ohne Rücksicht darauf, ob später ein Vertrag geschlossen worden ist, was eine Verletzung der Gleichbehandlungspflicht darstellen kann und dann zum Ersatz des positiven Interesses führt). Zum zweiten lässt sie sich in den dogmatischen Rahmen der cic hervorragend einpassen. Eine sehr strikte, von einer weiteren individuellen Verschuldensprüfung unabhängige Pflicht, objektiv unberechtigtes Vertrauen nicht hervorzurufen, ist bereits die Grundlage des Sekundäranspruchs aus cic bei Rudolf von Jhering und somit mindestens die historische ratio der §§ 122, 179 Abs. 2. Sowohl Jhering als auch das BGB beschränken diese Pflicht zwar auf die Unterlassung echter (wenn auch unwirksamer) Rechtsgeschäfte. Der Bundesgerichtshof aber hat, wie dargestellt, darüber hinaus eine strikte, ebenfalls von individuellem weiteren Verschulden unabhängige Pflicht anerkannt, Vertrauen auf das sichere Zustandekommen von Verträgen bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses nicht zu erwecken. Ist man bereit, noch einen Schritt weiterzugehen und die Versendung der Vergabeunterlagen als sicheres Inaussichtstellen eines Verfahrens nach der VOB bzw. VOL zu betrachten, so führt jede Abweichung zur (Aufwendungs-) Ersatzpflicht. Gegen einen solchen Ansatz sprechen allerdings zugegebenermaßen die Erwägungen, die nicht wenige Autoren dazu gebracht haben, für die §§ 122 und 179 wie für die Fälle des sicheren Inaussichtstellens des Vertragsschlusses von der Konstruktion einer zweistufigen cic-Haftung abzugehen: Die Annahme, man sei unter bestimmten Umständen ex ante verpflichtet, Erklärungen zu unterlassen, die sich erst im Nachhinein als fehlerhaft erweisen und daher Schäden verursachen, ist ausgesprochen kontraintuitiv.
b) Schadensersatz als Inhalt einer primären Dispositionsgarantie Die zuletzt vorgetragene Erwägung aber weist gleichzeitig den Ausweg: Die Hinwendung zu einer primären Haftung des Auftraggebers als „Dispositionsgaranten“. Nach einer solchen Konstruktion ist die Erweckung des Vertrauens auf die Einhaltung der Vergabebestimmungen nicht etwa pflichtwidrig (es sei denn, sie
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erfolgte arglistig oder fahrlässig), sie ist umgekehrt pflichtenbegründend: Aus ihr folgt eine Verpflichtung, für das erweckte Vertrauen insoweit einzustehen, als es sich in Dispositionen und Investitionen der anderen Seite niederschlägt. Will man entgegen der historischen Entwicklung, aber aus den erwähnten Gründen auch die §§ 122 und 179 Abs. 2 als Fälle einer primären (allerdings an den Tatbestand eines vollständigen, wenn auch unwirksamen Rechtsgeschäfts anknüpfenden) Dispositionsgarantie sehen, so können diese Normen in analoger Anwendung als Rechtsgrundlage der Haftung dienen. Je nachdem, ob man die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, die Vergabebestimmungen zu beachten, auf objektive gesetzliche Anordnung oder auf positive Vertrauenshaftung zurückführt, findet sich hierin bereits ein Argument auch für die begrenzte, „negative“ Vertrauenshaftung. Da positive Vertrauenshaftung höhere Schutzwürdigkeit des Vertrauens voraussetzt als negative, ist die negative Vertrauenshaftung in der positiven gedanklich immer mit enthalten. Weil aber ein geringerer Grad an Schutzwürdigkeit erforderlich ist, reicht die negative Vertrauenshaftung über die positive hinaus. Das zeigt sich in den Fällen der nicht von § 26 gedeckten Aufhebung (d. h. hier: endgültigen Abstandnahme von der Auftragsvergabe wie im Einleitungsfall). Hier liegt ja, wie oben dargelegt, eine Abweichung von den Verdingungsordnungen im eigentlichen Sinne nicht vor. Der Vertrauenstatbestand, den § 26 schafft, ist jedoch stark und schützwürdig genug, um zu negativem Vertrauensschutz zu führen. Ein derartiger vertrauensorientierter Ansatz lässt sich in der neueren Rechtsprechung des BGH zur Aufhebung von Ausschreibungen nachweisen. Über die Fälle der öffentlichen Auftragsvergabe hinaus könnte diese Entwicklung auch in den Fällen des „Abbruchs ohne triftigen Grund“ einen entsprechenden dogmatischen Wandel einleiten.
c) Rechtsfolgen der Haftung Ob man nun die Haftung auf das negative Interesse als eine primäre Vertrauenshaftung auffasst oder als sekundäre Schadensersatzverbindlichkeit wegen der Verletzung einer primären Aufklärungs- oder Erklärungsunterlassungspflicht – in jedem Falle stellt sich bei Ausschreibungen die ganz entscheidende Frage, ob alle Bieter Schadensersatz beanspruchen können oder nur derjenige, dem der Auftrag eigentlich hätte erteilt werden müssen. Die dogmatische Perspektive auf die Frage ist je nach Ausgangspunkt unterschiedlich. Aus der Perspektive der zweistufigen Haftung spricht zunächst einiges dafür, allen Bietern Schadensersatz zu gewähren. Denn um den Fall des hessischen Landwirtschaftsministeriums noch einmal zur Illustration heranzuziehen: Zur Aufklärung bzw. Unterlassung war das Land allen Bietern ab dem Moment verpflichtet, in dem ein geschäftlicher Kontakt hergestellt wurde. Der Pflichtverstoß führte
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bei allen Bietern kausal dazu, dass sie Aufwendungen tätigten, die bei zutreffender Aufklärung nicht erfolgt wären. Betont man hingegen den Vertrauensschutz als Grundgedanken der Haftung, so ist zu bedenken, dass das Vertrauen der Bieter nur insoweit schutzwürdig ist, als es sich darauf bezieht, dass sich die getätigten Investitionen rentieren werden. Der Auftraggeber enttäuscht dieses Vertrauen bei einem Verstoß gegen die Verdingungsordnungen oder bei endgültigem Absehen von der Auftragsvergabe entgegen § 26 nur im Falle des Bieters, der bei erwartungsgemäßem Handeln den Auftrag erhalten hätte. Entsprechend lehnt der BGH es in diesen Fällen ab, den nachrangigen Bietern Ersatz zuzusprechen251. Dass man diesen Gedanken auch auf den Fall der Haftung wegen primärer Pflichtverletzung erstrecken kann, zeigen nicht nur die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 307 und 309 BGB a. F. (die im Gegensatz zu den §§ 122, 179 immer als Fälle sekundärer Schadensersatzpflicht behandelt wurden); auch das Reichsgericht ist von diesem Grundgedanken ausgegangen252 (übrigens sogar bereits mit einer im Ansatz vertrauensorientierten Argumentation). Der Bundesgerichtshof ist der Ansicht des Reichsgerichts allerdings allgemein nicht gefolgt und hat in Bezug auf Fälle des Aufklärungsverschuldens bei öffentlicher Auftragsvergabe die Möglichkeit des Schadensersatzes für alle Bieter bislang nicht ausgeschlossen253. In dogmatisch-systematischer Hinsicht wäre der resultierende reale Unterschied zwischen den Fällen der primären und der sekundären Haftung auf das negative Interesse eine Rechtfertigung dafür, die beiden hier geschilderten Tatbestände nebeneinander anzuwenden, anstatt die Haftung für Aufklärungsverschulden völlig durch die primäre Vertrauenshaftung mit ihrem weiteren Anwendungsbereich zu ersetzen. Mit anderen Worten: Würden beide Tatbestände die gleichen Ergebnisse hervorbringen, wäre es zur Vermeidung unnötiger und verwirrender Verdoppelungen erstrebenswert, das Konzept der cic-Haftung für die Verletzung von Aufklärungs- und Erklärungsunterlassungspflichten aufzugeben.
d) Ausschreibungen Privater Die Haftung auf das negative Interesse beruht nach alledem nicht auf besonderen Verpflichtungen öffentlicher Auftraggeber. Sie ist Ausfluss allgemeiner privatrechtlicher Prinzipien des Vertrauensschutzes und der cic und gilt gleichermaßen für Ausschreibungsverfahren, die Private – insbesondere unter Nutzung der VOL / A und der VOB / A – veranstalten.
251 252 253
So auch ausdrücklich OLG Celle 13 U 266 / 01, BauR 2003, 709 (30. 5. 2002). RG II 178 / 37, RGZ 159, 33 (29. 10. 1938; siehe oben S. 65 f.). Vgl. oben bei Fn. 11 , 67.
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IV. Auswirkungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Seit dem 1. Januar 2002 gelten die Regelungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, mit dem nach einer repräsentativen Äußerung auch „das gewohnheitsrechtlich anerkannte, bislang ungeschriebene Rechtsinstitut des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) in § 311 II, III [BGB] kodifiziert“254 worden ist. Sachliche Änderungen sind mit dieser Novelle nach ganz allgemeiner Meinung nicht verbunden. Allerdings werfen die neuen Bestimmungen eigene Fragen auf, was sich insbesondere in den Fällen der Auftragsvergabe erweist.
1. Die gesetzliche Regelung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses Die neuen gesetzlichen Vorschriften255 zur cic lesen sich im Zusammenhang (teils mit bereits bestehenden Vorschriften) wie folgt: „§ 311256. . . . (2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch 1. die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, 2. die Anbahnung eines Vertrages, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder 3. ähnliche geschäftliche Kontakte. (3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsabschluss erheblich beeinflusst. § 241. . . . (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. § 280. (1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. . . . § 276. (1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhält254 Othmar Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. (2004), § 311 (Stadler), Rn. 34. 255 Von den vorher bestehenden Einzelvorschriften wurden die §§ 307 und 309 als nunmehr entbehrlich aufgehoben. 256 Zum Entwurf der Norm (Diskussionsentwurf, § 305 Abs. 1 Satz 2) vgl. kritisch Johannes Köndgen, Die Positivierung der culpa in contrahendo als Frage der Gesetzgebungsmethodik, in: Reiner Schulze / Hans Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 231. Alternativvorschlag bei Fleischer (o. Fn. 196), S. 267.
IV. Auswirkungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes
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nisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist. . . . (2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“
Trotz der im Schrifttum verbreiteten Kritik, die neuen Regelungen seien inhaltsleer und überflüssig257, lässt sich zu den neuen Vorschriften doch immerhin sagen, dass sie eindeutig einem zweistufigem Haftungsmodell folgen, in dem Schadensersatzpflichten aus der Verletzung primärer Pflichten folgen. Nach dem Wortlaut des § 241 Abs. 1 dienen diese Pflichten dem Schutz des Begünstigten vor Eingriffen von außen in seinen Rechtskreis, sie haben deliktsrechtsähnlichen Charakter, entstehen ex lege258 und setzen auch den Tatbestand eines Rechtsgeschäfts nicht voraus. Die Pflichten dauern, ganz im Sinne des „einheitlichen Schutzpflichtverhältnisses“ nach Canaris auch nach Vertragsschluss an259. Im Anknüpfungsmoment folgt die Neuregelung ziemlich exakt den Vorschlägen von Larenz und seiner Erweiterung durch Canaris (geschäftlicher Kontakt als Oberbegriff, Vertragsverhandlungen sowie „Anvertrauen“ von Rechtsgütern als Konkretisierungen). Nach der Neufassung des § 276 Abs. 1 und dem Verweis in § 280 Abs. 1 S. 2 ist eine Exkulpationsmöglichkeit durch Nachweis sorgfältigen Handelns im Einzelfall regelmäßig eröffnet260. Spricht nach dem Gesagten zunächst Einiges dafür, die Neuregelung als Ausdruck einer deliktsrechtsnahen Konzeption der cic zu deuten und rechtsgeschäftsoder vertrauensorientierte Theorien nunmehr ad acta zu legen, so ergibt sich auf den zweiten Blick das Problem, dass § 311 Abs. 2 solche Ansätze nicht ausschließt. Eine (einstufige) Haftung auf das negative Interesse wegen eines Verstoßes gegen einen noch nicht eigentlich verpflichtenden, rechtsgeschäftsnahen Vertrauenstatbestand lässt sich zwar nicht auf § 311 Abs. 2 stützen261. Sie kann jedoch aus allgemeinen Grundsätzen nach wie vor hergeleitet und an die Konzeption der (ursprünglich ja auch als Anwendungsfälle der cic gesehenen) §§ 122, 179 Abs. 2 angelehnt werden.
257 Vgl. Einleitung; grundsätzlich positiv hingegen Sebastian Krebber, Der nicht zufällige Kontakt ohne Vertragsnähe auf der Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung, VersR 2004, 150, 157. 258 So auch Ralf Bergian, Die Haftung aus culpa in contrahendo beim Letter of Intent nach neuem Schuldrecht, ZIP 2004, 395 („Gesetzliches Schuldverhältnis“); a. A. offenbar Krebber (o. Fn. 257), VersR 2004, 154 (Pflichten nach §§ 311 Abs. 2, 3, 241 Abs. 2 BGB als „vorvertragliche und nicht gesetzliche Pflichten“). 259 A. A. Krebber (o. Fn. 257), VersR 2004, 154 (keine Normierung des gesetzliches Schutzpflichtverhältnisses). 260 Allerdings ließe sich auch eine verschuldensunabhängige Haftung als „Inhalt des Schuldverhältnisses“ denken. 261 Vgl. dazu auch Wertenbruch (o. Fn. 51), ZIP 2004, 1525 ff.
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Kap. 4: Weiterentwicklung der Lehre von der culpa in contrahendo
2. Cic-Haftung bei Verstoß gegen Vergabebestimmungen Eine Pflicht öffentlicher Auftraggeber zur (gesteigerten) Rücksicht auf die grundrechtlich, europarechtlich und (soweit anwendbar) durch das GWB gewährleisteten Gleichbehandlungsinteressen von Bietern und Bewerbern kraft geschäftlichen Kontakts lässt sich unter die §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB ohne weiteres subsumieren. So lässt sich die Rechtsprechung zum Ersatz des positiven Interesses auch unter Geltung der Neuregelung fortsetzen262. Die Haftung auf das negative Interesse lässt sich unter den neuen gesetzlichen Tatbestand nur insofern subsumieren, wie man sie als zweistufige Haftung konstruieren möchte. Für die Praxis stellt sich also die Frage, wie die gerade im Bereich der Auftragsvergabe zu beobachtenden Tendenzen der Rechtsprechung, unter Betonung des Vertrauensschutzes von der Konstruktion einer primären Pflichtverletzung abzukommen, weitergeführt werden sollen. Am sinnvollsten erscheint es, aus den Erkenntnissen der neueren rechtsgeschäftlichen Theorien sowie der Lehre von der Vertrauenshaftung die Erkenntnis zu ziehen, dass rechtsgeschäftsbezogenes Erklärungsverhalten in bestimmten Fällen schutzwürdige Vertrauenstatbestände schafft, denen durch Anerkennung einer primären Dispositionsgarantie Rechnung zu tragen ist. Die §§ 122 und 179 Abs. 2 lassen sich insbesondere angesichts der Tatsache, dass sie den Vertrauensschutzgedanken in der Begrenzung des Schadensersatzes auf das positive Interesse sichtbaren Ausdruck verleihen, als Ausprägungen dieses Rechtsgedankens verstehen. Dass ein solches Verständnis nicht den technisch-dogmatischen Vorstellungen der Schöpfer des BGB entspricht, sollte weniger schwer wiegen als die Tatsache, dass ihre materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen in der neuen Lehre einen harmonischeren Ausdruck finden als in der historischen Konstruktion. All dies erlaubt, die §§ 122 und 179 Abs. 2 in geeigneten Fällen analog als Rechtsgrundlage einer primären negativen Vertrauenshaftung heranzuziehen. So sollte insbesondere in Fällen formalisierter Ausschreibungsverfahren (nicht nur) der öffentlichen Auftraggeber verfahren werden. Für Ansprüche auf das negative Interesse gäbe es nach diesem Verständnis zwei konkurrierende Anspruchgrundlagen im neuen BGB: Einerseits die §§ 311 Abs. 2 etc., wenn für den Auftraggeber bereits bei Einleitung eines Ausschreibungsverfahrens ersichtlich ist oder ersichtlich sein müsste, dass eine ordnungsgemäße Durchführung unwahrscheinlich ist; andererseits und unabhängig von der Sorgfalt 262 Es ist daher nicht zutreffend, wenn Hans-Christoph Grigoleit, Reformperspektiven der vorvertraglichen Informationshaftung, in: Reiner Schulze / Hans Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001), S. 269, 270 schreibt: „Dass die anerkannte Regel, wonach der Schadensersatz grundsätzlich nur das negative Interesse umfasst, nicht ausdrücklich gesetzlich verankert wurde, ist nicht zu bemängeln. Denn diese Beschränkung ist nur eine terminologische Kennzeichnung dessen, was sich grundsätzlich aus dem Inhalt der verletzten Pflicht sowie aus der Anwendung der Differenzhypothese (§ 249 Satz 1 BGB) ergibt.“
IV. Auswirkungen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes
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des Auftraggebers bei Einleitung der Ausschreibung die Vertrauenshaftung analog §§ 122, 179 Abs. 2 (und in Fortführung der Rechtsprechung zum „Abbruch von Vertragsverhandlungen“). Die Haftung aus § 311 Abs. 2 führt zu Ansprüchen aller Bieter, die Aufwendungen getätigt haben. Im Falle der Vertrauenshaftung sind die Ansprüche auf die Höhe des jeweils positiven Interesses begrenzt; da dieses bei allen Bietern außer dem besten bei „0“ liegt, kann nur derjenige Schadensersatz beanspruchen, mit dem der Vertrag hätte geschlossen werden müssen.
Schluss Zum Ende dieser Untersuchung bietet es sich an, zu den in der Einleitung gestellten Ausgangsfragen zurückzukehren. Die erste Frage lautete: Warum kann der Bieter des wirtschaftlichsten Angebotes das positive Interesse ersetzt verlangen, wenn der Auftrag entgegen § 25 VOB / A oder VOL / A nicht ihm, sondern einem anderen erteilt wird – und nur das negative Interesse, wenn der Auftrag entgegen § 26 VOB / A oder VOL / A nach erfolgter Ausschreibung nicht vergeben wird? Die Antwort hierauf lautet, dass die Verdingungsordnungen eine wirkliche Pflicht statuieren, bei der Vergabe eines einmal ausgeschriebenen Auftrags nach bestimmten Kriterien zu verfahren – aber in Übereinstimmung mit verfassungs- und europarechtlichen Wertungen1 keine wirkliche Pflicht, einen Vertrag abzuschließen, mit anderen Worten also keinen Kontrahierungszwang. Gewährt der Bundesgerichtshof also einen Anspruch auf das positive Interesse, wenn eine Ausschreibung zunächst entgegen § 26 aufgehoben wird und anschließend ein dem ursprünglich ausgeschriebenen Auftrag im Wesentlichen entsprechender Vertrag abgeschlossen wird2, so sollte man dies richtigerweise weniger als Sanktionierung eines Verstoßes gegen ein Verbot der Aufhebung verstehen, denn als Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Auswahlvorschriften der Verdingungsordnungen. Diese nämlich sind so lange zu beachten, bis der Auftraggeber ihre weitere Geltung durch eine nach § 26 wirksame Aufhebung ausschließt. Das erklärt auch, warum die Möglichkeit der wirksamen Aufhebung als rechtmäßiges Alternativverhalten dem Anspruch eines entgegen § 25 benachteiligten Bieters ggf. entgegengehalten werden kann3. Rechtsgrundlage der Pflicht, die Vergabebestimmungen zu beachten, ist die gesetzliche Verpflichtung hierzu, soweit sie besteht. Unterhalb der Schwellenwerte des GWB beruht die Verpflichtung auf dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung nach Artikel 3 GG. Hinzu kommt die nach europäischem Primärrecht bestehende Pflicht, diskriminierungsfrei zu vergeben. Diese an sich unabhängig vom vorvertraglichen Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB bestehende Pflicht wird zum Inhalt desselben, wenn dieses Schuldverhältnis durch geschäftliche Kontakte zwischen Auftraggeber und Bietern zustande kommt4. Auf Grund neuester Ent1 Oben Kapitel 3: I. 2. a), bei Fn. 75; Kapitel 3: I. 2. c), bei Fn. 145; Kapitel 3: II. 2., bei Fn. 269. 2 Oben Kapitel 4: I. 4. c) (3), bei Fn. 125. 3 Dazu Kapitel 4: I. 4. c) (1), bei Fn. 100 ff. 4 Kapitel 4: I. 4. c) (1), bei Fn. 80, 88.
Schluss
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wicklungen5 stellt sich die Frage, inwieweit tatsächliches Vertrauen der Bieter hinzukommen muss, um eine im Rahmen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses relevante Pflicht entstehen zu lassen. Mit den verfassungs- und europarechtlichen Begründungsansätzen wäre eine solche Beschränkung allerdings nur schwer in Einklang zu bringen. Mit der Feststellung, § 26 statuiere keine Vergabepflicht, stellt sich eine Anschlussfrage: Wie kann die Abweichung von § 26 dann überhaupt zu Schadensersatzpflichten führen, nämlich zu solchen auf das negative Interesse? Die Antwort hierauf ist maßgeblich in der allgemein Funktion der cic zu suchen, einen Anspruch auf Schadensersatz demjenigen zu gewähren, dem der Abschluss eines Vertrages sicher in Aussicht gestellt worden ist, wenn der anderer Teil die Verhandlungen später ohne triftigen Grund abbricht. Als überzeugendster Erklärungsansatz zu dieser Haftung findet sich in der Literatur die Figur des einseitige Leistungsversprechens, das zwar noch nicht im eigentlichen Sinne verbindlich ist, aber im Falle der Nichterfüllung zu einem Aufwendungsersatzanspruch führt. Dieses Modell kann sich an das gesetzliche Vorbild des § 122 BGB anlehnen. Überträgt man es auf den Fall der Auftragsvergabe, so lässt sich sagen, dass der Auftraggeber durch den Verweis auf die Geltung der VOL oder VOB Vertrauen auf die Einhaltung dieser Vorschriften über deren eigentlich verpflichtenden Gehalt hinaus weckt. Daher lässt sich ein Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse nicht nur begründen, soweit bereits ein Anspruch auf das positive Interesse besteht (und daher der Anspruch auf den Vertrauensschaden kaum attraktiv erscheint); vielmehr kann dieser Anspruch auch direkt darauf gestützt werden, dass das Vertrauen der Bieter auch auf die Einhaltung des § 26 enttäuscht worden ist. Wenn der Bundesgerichtshof auch in diesen Fällen von einem Verstoß gegen die Pflicht, Vergabebestimmungen zu beachten, als Grundlage der Schadensersatzpflicht spricht6, so ist dies missverständlich und sollte vermieden werden. Die zweite Ausgangsfrage lautete: Wieso wurde das Land im Ausgangsfall nur von einem Bieter verklagt? Eine zutreffende Antwort hierauf würde natürlich historische Untersuchungen erfordern. Aus dogmatischer Sicht jedoch würde eine nahe liegende Erklärung lauten: Die anderen Bieter gingen davon aus, schlechte Aussichten auf Erfolg zu haben. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese Einschätzung nicht zutrifft. Eine auf das positive Interesse gerichtete Klage wegen des Verstoßes gegen Vergabebestimmungen kann allerdings nur der von Rechts wegen auszuwählende Bieter erfolgreich erheben: Nur diesem ist durch die fehlerhafte Auswahl überhaupt ein Schaden entstanden, indem ihm der ihm eigentlich zustehende Gewinn entgangen ist. 5 6
Kapitel 4: I. 4. c) (3), bei Fn. 134. Kapitel 4: I. 4. c) (3), bei Fn. 116 ff.
14 Adam
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Schluss
Im Falle der auf das negative Interesse gerichteten Klage wegen Enttäuschung des Vertrauens der Bieter auf die Beachtung aller Vorschriften der VOL bzw. VOB einschließlich der Aufhebungsbestimmungen ist die Rechtslage weniger klar. Der Bundesgerichtshof spricht zwar auch in diesem Fällen davon, nur der beste Bieter könne Schadensersatz verlangen7. Dabei geht das Gericht jedoch von der unzutreffenden Prämisse aus, auch in diesem Falle sei Grundlage des Schadensersatzanspruches ein pflichtwidriger Verstoß gegen VOB oder VOL. Ein besserer dogmatischer Ansatzpunkt würde in einer Beschränkung des ersatzfähigen Schadens auf die Höhe des Erfüllungsinteresses analog § 122 BGB liegen, wie ihn die Literatur zumindest für die Fälle der Haftung wegen sicheren Inaussichtstellens fordert. Allerdings hat die Rechtsprechung des BGH, anders als die reichsgerichtliche Praxis, die Anwendung dieses Grundsatzes auf die Haftung aus cic bislang in anderen Konstellationen explizit abgelehnt. In den Vergabefällen entscheidend aber ist die recht klare Weigerung des BGH, mehr als einem Bieter einen Ersatzanspruch wegen des „Verstoßes“ gegen § 26 zuzuerkennen. Im Ausgangsfall jedoch kam als weitere Grundlage für einen Schadensersatzanspruch eine Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten in Betracht: Das Land hätte nach allgemeinen Grundsätzen und völlig unabhängig von den Vorgaben der Verdingungsordnungen auf die ungesicherte Finanzierung der Ausschreibung hinweisen müssen (wobei diese Pflicht eine Parallele zu § 16 VOB bzw. VOL aufweist). Diesen Ersatzanspruch hätten mit großer Wahrscheinlichkeit alle Bieter geltend machen können, da hier die Begrenzung des negativen Interesses durch das positive nicht stattfindet8. Damit gab es keine überzeugenden dogmatischen Hindernisse, die einer erfolgreichen Klage auch der übrigen Interessenten entgegengestanden hätten. Die dritte Ausgangsfrage führt zurück zu den auf das positive Interesse gerichteten Ansprüchen wegen pflichtwidrigen Verstoßes gegen Vergabebestimmungen. Sollte in solchen Fällen nicht auch die Möglichkeit eines Erfüllungsanspruches oder eines Anspruches auf Naturalrestitution nach § 249 BGB gegeben sein? Was die Rechtsprechung angeht, so ist bislang lediglich festzustellen, dass ein solcher Anspruch nicht thematisiert worden ist. In der Literatur wird er weithin abgelehnt. Überzeugende Gründe für eine Beschränkung des Schadensersatzes auf Entschädigung in Geld gibt es jedoch nicht. Die verfassungs- und europarechtliche Begründung spricht deutlich für die Begründung von Ansprüchen auf Vertragsschluss im Falle des Verstoßes gegen die Auswahlvorschriften des Vergaberechts9. Auch aus privatrechtlich-systematischer Sicht10 sollte im Zweifel eher für als gegen den Erfüllungsanspruch entschieden werden. Siehe etwa Kapitel 4: I. 4. c) (1), bei Fn. 88. Siehe etwa Kapitel 4: I. 4. c) (1), bei Fn. 89. 9 Vgl. Kapitel 3: I. 2. b) , Kapitel 3: II. 3. 10 Siehe dazu Rolf Stürner, Der Anspruch auf Erfüllung von Treue- und Sorgfaltspflichten, JZ 1976, 384. 7 8
Schluss
211
Allerdings muss überlegt werden, wie sich ein tatsächlicher Vertragsschluss mit einem an sich nicht berechtigten Bieter auf diesen Anspruch auswirken soll. Oberhalb der Schwellenwerte verbietet § 114 Abs. 2 GWB der Vergabekammer den Eingriff in bestehende Verträge. Es wäre inkonsequent, den ordentlichen Gerichten diesen Eingriff im Nachhinein zu erlauben, und systemwidrig, unterhalb der Schwellenwerte weitergehende Eingriffsbefugnisse vorzusehen als oberhalb. Die vertrauensschutzorientierte Wertung des § 114 Abs. 2 sollte daher als Grundsatz verallgemeinert und von allen Gerichten auf alle Ansprüche wegen Vergaberechtsverstößen angewendet werden, so dass auch prinzipiell bestehende Erfüllungsansprüche im vorvertraglichen Schuldverhältnis mit Vertragsschluss untergingen. Das lässt freilich die Möglichkeit offen, Erfüllungsansprüche im Wege einstweiligen Rechtsschutzes nach der ZPO zu verfolgen. Auch die Anerkennung einer Pflicht des Auftraggebers, die Bieter auf Wunsch über die beabsichtigte Zuschlagserteilung zu informieren, ließe sich entsprechend der Regelung in § 13 VgV unter Rückgriff auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen auch unterhalb der GWBSchwellenwerte begründen. Die vierte Ausgangsfrage lautete: Wie haften Private, wenn sie Ausschreibungen nach den Regelungen der VOB oder VOL durchführen? Diese Frage ist bereits beantwortet worden. Private sind, solange sie sich nicht vertragliche zur Einhaltung von Vergabevorschriften verpflichten (was selten der Fall sein wird), nicht aufgrund von Selbstbindung zur Einhaltung des zugesagten Verfahrens verpflichtet. Ansprüche auf das negative Interesse wegen der Enttäuschung einseitig erweckter sicherer Erwartungen können jedoch nach allgemeinen privatrechtlichen Grundsätzen geltend gemacht werden. Das gleiche gilt für Ansprüche wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten, wobei Inhalt der geschuldeten Aufklärung ggf. auch die eigene mangelnde Bereitschaft sein kann, einer einseitigen Festlegung auf die Einhaltung der VOL / A oder VOB / A zu entsprechen.
14*
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Sachverzeichnis Abbruch von Vertragsverhandlungen siehe Vertragsverhandlungen Anfechtung 85, 132, 144, 163 Angebot – annehmbarstes 26, 40, 75, 134 – Ausschluss 33, 134, 174 – Kosten 13, 27, 74, 85, 106, 153, 170 – Öffnung 82, 174 – Prüfung 40 – Wertung 81, 82, 119, 153 – wirtschaftlich günstigstes 13, 108, 171 – wirtschaftlichstes 119, 134, 149, 208 Anspruch auf Einhaltung von Vergabebestimmungen 146 Aufhebung siehe Ausschreibung, Aufhebung Aufklärungspflicht 56, 57, 63, 74, 75, 154, 156, 161, 164, 165, 170, 174, 184, 191, 192, 200 Aufklärungsverschulden 162, 163, 164, 166, 171, 177, 190, 203 Aufwendungsersatz 14, 15, 16, 40, 44, 54, 66, 75, 156, 160, 161, 165, 166, 169, 177, 180, 190, 200, 201, 203, 207, 209 – siehe auch Schadensersatz, negatives Interesse Auslobung 44, 145, 192 Ausschluss siehe Angebot; Bewerber; Bieter Ausschreibung 57, 59, 74, 101, 131, 132, 142, 143, 168, 170, 171, 172, 191 – Aufhebung 15, 29, 41, 90, 105, 106, 135, 136, 150, 152, 170, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 194, 198, 199, 202, 208 – Bekanntmachung 145, 196 – beschränkte 131, 132, 134, 148, 166, 167 – durch Private 16, 203, 211 – öffentliche 18, 22, 26, 34, 39, 57, 58, 60, 121, 131, 134, 144, 145, 148, 196 – Unterlagen 39, 41, 57, 82, 132, 144, 145, 164, 170, 174 – Widerruf 90, 101, 105
Baukoordinierungsrichtlinie 98 Benachrichtigungspflicht siehe Informationspflicht beschränkte Ausschreibung siehe Ausschreibung, beschränkte Beurteilungsspielraum 134, 168 Bewerber 26, 30, 34, 38, 39, 40, 41, 57, 58, 81, 82, 83, 93, 101, 104, 119, 122, 137, 144, 167, 176, 178, 206 – Ausschluss 30, 34 Bieter – Ausschluss 30, 34, 122 – Eignung 134, 149, 153, 168, 177 Bieterschutz 126, 129 Bindefrist 132, 133, 172 Bundeskartellamt 148, 150 Chancengleichheit 22, 120 de-facto-Vergabe 149 Dienstleistungsrichtlinie 98 Diskriminierungsverbot 80, 81, 83, 86, 87, 88, 89, 90, 93, 94, 97, 101, 120, 124, 139, 140, 142, 197 Dispositionsgarant(ie) 43, 182, 187, 200, 201, 202, 206 Drittwirkung – Grundfreiheiten 88 – Grundrechte 109, 112, 113, 114, 116, 120 entgangener Gewinn 14, 141, 161, 166, 169, 172, 174, 175, 176, 177, 199, 200, 209 Erfüllungsanspruch 61, 169, 191, 199, 210 Erfüllungsinteresse 47, 49, 55, 60, 65, 66, 67, 70, 75, 157, 158, 161, 169, 181, 192 – siehe auch Schadensersatz, positives Interesse Erhaltungspflichten 69, 70, 72, 154, 155, 159, 160, 182, 188
232
Sachverzeichnis
Erklärungshaftung 45, 68, 71 Eröffnungstermin 39, 170, 174 Fiskalgeltung (der Grundrechte) 109, 110, 111, 112, 114, 117, 118, 122, 124 fiskalische Hilfsgeschäfte 35 fiskalisches Handeln 35, 58, 108, 109, 110, 111, 118, 122, 123, 124 Fiskus 21, 22, 23, 24, 27, 28, 35, 57, 117, 118, 124 freihändige Vergabe 19, 21, 30, 31, 34, 39, 40, 131, 132, 134, 148, 149 Gebot siehe Angebot Gleichbehandlung 35, 87, 89, 95, 121, 142, 172, 173, 174, 175, 176, 197, 198 – Gebot der – 197 – Grundsatz der – 80, 197 – Inländer- 76, 77, 79, 80, 82, 87 – Pflicht zur – 90, 116, 119, 140, 173, 195, 196, 198, 199 – Richtlinie (Arbeitsrecht) 97 Haushaltsrecht, öffentliches 21, 130, 142, 146 Haushaltsrechtliche Lösung 125, 126, 127, 128, 129, 175, 192
Nachprüfung 85, 103, 104, 127, 128, 149, 150, 152 negatives Interesse siehe Schadensersatz, negatives Interesse neminem laedere 183, 184 Nichtigkeit 42, 44, 47, 48, 49, 53, 61, 62, 148, 151, 152 nichtoffenes Verfahren 100, 148 offenes Verfahren 81, 83, 100, 148 öffentlich-rechtliche Streitigkeit 135 öffentlich-rechtliches Handeln 35, 109, 137, 167 öffentliche Ausschreibung siehe Ausschreibung, öffentliche positives Interesse siehe Schadensersatz, positives Interesse Privatautonomie 114, 116, 117, 130, 139, 179, 190, 193 Rechtsgeschäft 49, 70, 73, 179, 183, 185, 186 Rechtsgüter 45, 52, 62, 63, 66, 68, 72, 115, 159, 181, 182, 183, 184, 188, 200, 204, 205 Rechtsmittelrichtlinie 103, 104, 106, 128 Rechtsscheinhaftung 187 Rechtsverletzung 151
Informationspflicht 148 Kontakt – geschäftlicher 182, 183, 190, 196, 200, 202, 205, 206 – rechtsgeschäftlicher 73 – sozialer 72, 73, 182 Kontrahierungszwang 41, 139, 140, 142, 156, 158, 160, 161, 164, 189, 190, 193, 194, 198, 208 Leistungsbeschreibung 34, 42, 73, 80, 145, 149, 165, 192 Leistungsfähigkeit 39, 188 Lieferkoordinierungsrichtlinie 98, 100 Marktbeherrschende Stellung 120, 140 Meistbegünstigung 76, 77, 79, 80, 82, 87
Schadensersatz – negatives Interesse 14, 15, 47, 51, 55, 70, 74, 106, 156, 157, 158, 160, 163, 169, 174, 176, 177, 191, 192, 195, 199, 200, 201, 202, 203, 205, 206, 208, 209, 210, 211 – positives Interesse 14, 66, 154, 156, 157, 158, 159, 162, 166, 167, 172, 174, 179, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 198, 199, 206, 208, 209, 210 Schutzpflichten, grundrechtliche 115 Schutzpflichtverhältnis, gesetzliches 183, 205 Schutzwürdigkeit siehe Vertrauen, Schutzwürdigkeit Schwellenwerte 78, 88, 99, 107, 112, 120, 125, 127, 129, 130, 137, 146, 147, 153, 193, 196, 198, 208, 211
Sachverzeichnis Sektoren-Rechtsmittelrichtlinie 104, 106 Sektorenrichtlinie 99, 100, 103, 107, 177, 178 – neue 107 Sekundärzwecke 83, 87, 89, 108, 149 soziale Belange 32, 83, 101, 108 Submissionswesen 18, 23, 24, 25, 34, 35 Tariftreue 32 Teilnahmewettbewerb 108, 131, 132, 148 Transparenz 78, 131 Treu und Glauben 42, 57, 59, 62, 172, 189 Umweltaspekte 83, 89, 101, 108 venire contra factum proprium 189, 197 Veranlassungsprinzip 50 Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) 13, 34, 35, 36, 38, 125, 126, 175, 193, 195 Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) 129 Verdingungsordnung für Lieferungen und Leistungen, ausgenommen Bauleistungen (VOL) 34, 37 Vergabekammer 151, 152, 211 Vergaberichtlinie, neue 107, 108 Vergabeverordnung 127, 129, 130, 146, 147, 148, 153 Verhandlungsverfahren 100, 148 Vermögensschaden 44, 45, 46, 52, 55, 182, 183, 186 Vermögensschutz 156, 181 Verschulden – bei Vertragsschluss 51, 53, 56, 60, 61, 64, 68 – bei Vertragsverhandlungen 64, 65, 161, 162, 177 Vertrags- und Vergabeordnung für Bauleistungen 129
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Vertragsschluss – sicheres Inaussichtstellen 155, 160, 163, 193, 201 – Verschulden beim siehe Verschulden, beim Vertragsschluss 211 Vertragsverhandlungen – Abbruch 144, 157, 163, 180, 190, 207 – Verschulden bei siehe Verschulden, bei Vertragsverhandlungen 211 Vertrauen – Schutzwürdigkeit 175, 178, 186, 187, 188, 202, 203 – tatsächliches 178, 194, 197, 198, 200, 209 Vertrauenshaftung 51, 179, 183, 185, 186, 187, 188, 189, 191, 194, 195, 197, 198, 200, 202, 203, 206, 207 Vertrauensschaden 55, 169, 209 Vertrauensschutz 64, 65, 66, 67, 74, 105, 180, 185, 186, 187, 199, 200, 202, 203, 206 Vertrauensverhältnis 57, 58, 65, 74, 75, 170, 174, 185, 186 – vertragsähnliches 65, 167, 168, 170 wettbewerblicher Dialog 108 Willenserklärung 48, 50, 132, 144, 180, 185 wirtschaftlichstes, wirtschaftlich günstigstes Angebot siehe Angebot Zurechnung 46, 51, 57, 160, 182, 187, 195, 200 Zuschlag 13, 18, 25, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 38, 40, 41, 75, 90, 95, 101, 105, 106, 108, 125, 133, 134, 135, 148, 149, 151, 165, 166, 171, 172, 177, 192, 193, 194 – echte Chance 153 Zuschlagserteilung 15, 26, 34, 39, 100, 107, 119, 133, 135, 136, 148, 151, 152, 166, 171, 174, 211 Zuschlagsfrist siehe Bindefrist Zuschlagsverbot 151