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German Pages 344 [347] Year 2017
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 380 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Małgorzata Wojtas
Die Haftung für culpa in contrahendo in Polen und in Deutschland Eine Analyse im Kontext des europäischen und internationalen Privatrechts
Mohr Siebeck
Małgorzata Wojtas, geboren 1987; Studium der Rechtswissenschaften in Posen (Polen), Metz (Frankreich) und Frankfurt/Oder; Bachelor und Master of German and Polish Law an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder; 2016 Promotion an der Universität Regensburg; Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung; Referendarin am OLG Brandenburg und wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer großen deutschen Wirtschaftskanzlei.
e-ISBN PDF 978-3-16-155373-8 ISBN 978-3-16-155174-1 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Dezember 2016 berücksichtigt werden. Der Analyse des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts liegt ausschließlich der Verordnungsvorschlag mit den Änderungsvorschlägen des Europäischen Parlaments zugrunde. Mein besonderer Dank gilt meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Carsten Herresthal, für die hervorragende Unterstützung und stetige Begleitung meines Promotionsvorhabens. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Anatol Dutta für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für die Aufnahme meiner Dissertation in die Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts in Hamburg bin ich Herrn Prof. Dr. Jürgen Basedow sehr dankbar. Des Weiteren gilt mein Dank der Konrad-Adenauer-Stiftung für die finanzielle Unterstützung meines Promotionsvorhabens. Schließlich möchte ich mich bei meinem Freund bedanken, der mich nicht nur bei der Korrektur meiner Arbeit durch seine wertvollen Anmerkungen unterstützt hat, sondern auch während meiner ganzen Promotionszeit ermutigt und motiviert hat. Mein tiefster Dank gilt meinen Eltern für Ihre stetige Förderung meiner Ausbildung und Ihre liebesvolle Unterstützung. Meinen Eltern und meinem Freund möchte ich dieses Buch deshalb widmen. Frankfurt (Oder), im April 2017
Małgorzata Wojtas
Inhaltsübersicht Vorwort .............................................................................................................V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................ XIX
Einleitung....................................................................................................... 1 I.
Fragestellung ............................................................................................ 1
II.
Zielsetzung und Gang der Untersuchung .................................................. 4
Kapitel 1: Europarechtlicher Begriff der culpa in contrahendo .. 6 § 1 Definition der culpa in contrahendo im europäischen Privatrecht ........... 6 § 2 Fallgruppen der culpa in contrahendo im europäischen Privatrecht ..... 24
Kapitel 2: Rechtsvergleich zwischen der culpa in contrahendo im deutschen und polnischen Recht ..................................................... 29 § 3 Funktionen der Haftung aus der culpa in contrahendo .......................... 29 § 4 Tatbestandliche Voraussetzungen der Haftung ........................................ 73 § 5 Rechtsfolgen .......................................................................................... 129 § 6 Beweislastverteilung.............................................................................. 168 § 7 Verjährung ............................................................................................. 187 § 8 Konkurrenzen ........................................................................................ 190 § 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht ......................... 197
VIII
Inhaltsübersicht
§ 10 Bedeutende Rechtsunterschiede zwischen der polnischen und deutschen Regelung der Haftung für die culpa in contrahendo ............ 205
Kapitel 3: Harmonisierung der Rechtsunterschiede durch das internationale und europäische Privatrecht ...................................... 208 § 11 Culpa in contrahendo im CISG ............................................................. 208 § 12 Anknüpfung der culpa in contrahendo außerhalb der Anwendung des CISG ...................................................................................................... 233 § 13 Rechtswahl des GEK-E ......................................................................... 235 § 14 Rechtswahl des DCFR nach Rom II-VO................................................ 254 § 15 Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Beweislastverteilung nach Rom I- und Rom II-VO .......................................................................... 267 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ............................................. 274 Anhang: Übersetzung ausgewählter Vorschriften des Kodeks cywilny ........ 287 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 289 Rechtsquellenverzeichnis .............................................................................. 317 Sachregister ................................................................................................... 321
Inhaltsverzeichnis Vorwort .............................................................................................................V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................ XIX
Einleitung....................................................................................................... 1 I.
Fragestellung ............................................................................................ 1
II.
Zielsetzung und Gang der Untersuchung .................................................. 4
Kapitel 1: Europarechtlicher Begriff der culpa in contrahendo .. 6 § 1 Definition der culpa in contrahendo im europäischen Privatrecht ........... 6 A.
Autonome Auslegung des Begriffs der culpa in contrahendo ................... 6 I. Grammatische Auslegungsmethode ................................................ 8 1. „Außervertragliches Schuldverhältnis“ ...................................... 9 2. „Verhandlungen“ ........................................................................ 9 3. „Aus“ ......................................................................................... 9 4. „Vor“ ........................................................................................ 10 5. „Vertragsabschluss“ ................................................................. 10 6. Ergebnis ................................................................................... 12 II. Systematische Auslegungsmethode .............................................. 12 1. Rechtlich bindende Unionsrechtsakte ....................................... 13 a) Rom II-VO .......................................................................... 13 b) Rom I-VO ............................................................................ 13 c) Brüssel Ia-VO ...................................................................... 14 d) Gemeinsames Europäisches Kaufrecht ................................. 15 2. Rechtlich nicht bindende Regelwerke ...................................... 16 a) Principles of European Contract Law ................................... 16 b) UNIDROIT-Grundregeln für internationale Handelsverträge ................................................................... 17
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B.
Inhaltsverzeichnis
c) Draft Common Frame of Reference ..................................... 18 3. Ergebnis ................................................................................... 18 III. Historische Auslegungsmethode ................................................... 19 IV. Teleologische Auslegungsmethode ............................................... 22 Ergebnis................................................................................................... 23
§ 2 Fallgruppen der culpa in contrahendo im europäischen Privatrecht ..... 24 A. B. C.
Verletzung von Informationspflichten ..................................................... 24 Abbruch von Vertragsverhandlungen ...................................................... 27 Ergebnis................................................................................................... 28
Kapitel 2: Rechtsvergleich zwischen der culpa in contrahendo im deutschen und polnischen Recht ..................................................... 29 § 3 Funktionen der Haftung aus der culpa in contrahendo .......................... 29 A.
Funktionen der culpa in contrahendo aus der Sicht des deutschen Rechts ...................................................................................................... 29 I. Verwirklichung des Gerechtigkeitsgedankens (Ausgleichsfunktion) .................................................................... 29 1. Culpa in contrahendo in der Lehre von Rudolf von Ihering ...... 30 2. Fortentwicklung der Lehre von Iherings durch von Franz Leonhard ........................................................................ 31 3. Übernahme der Lehre durch das Reichsgericht ........................ 33 II. Schutzfunktion ............................................................................. 34 1. Grundwertungen ...................................................................... 34 a) Schutz des Vertrauens .......................................................... 34 aa) Begriff des Vertrauens ................................................... 34 bb) Quellen des Vertrauensschutzes ..................................... 35 (1) Einseitiges Rechtsgeschäft bei Heinrich Stoll ............. 36 (2) Vertragsvorbereitendes Rechtsverhältnis in der Rechtsprechung ........................................................... 37 (3) Rechtsgeschäftlicher Kontakt...................................... 39 (a) Lehre von Kurt Ballerstedt.................................. 39 (b) Lehre von Hans Stoll und Rudolf Nirk................ 40 (c) Vertrauensgedanke nach Claus-Wilhelm Canaris ............................................................... 41 (4) Sozialer Kontakt .......................................................... 42 cc) Ergebnis ........................................................................ 43 b) Schutz der Privatautonomie ................................................. 43 c) Schutz der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs ............... 44
Inhaltsverzeichnis
B.
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aa) Redlichkeitserwartung ................................................... 44 bb) Geschäftsmoral und die faire Verhandlungsführung ....... 45 2. Individuelle Interessen ............................................................. 46 a) Schutz des Vermögens ......................................................... 46 b) Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit ........ 46 3. Stellungnahme ......................................................................... 47 III. Aushilfsfunktion ........................................................................... 49 1. Culpa in contrahendo als vertragliche Leistungsstörung .......... 49 2. Culpa in contrahendo als Delikt ............................................... 51 a) § 823 I BGB......................................................................... 51 b) § 823 II BGB ....................................................................... 52 c) § 826 BGB ........................................................................... 52 d) Ergebnis ............................................................................... 52 3. Culpa in contrahendo als Mittelweg ........................................ 52 4. Stellungnahme ......................................................................... 53 Funktion der culpa in contrahendo im polnischen Recht ........................ 55 I. Aushilfsfunktion ........................................................................... 55 1. Grundlagen der Schadensersatzhaftung im polnischen Privatrecht ................................................................................ 56 a) Gliederung der Haftungsgrundlagen im Schrifttum .............. 56 b) Formulierung einer einheitlichen Unterteilung der Haftungsgrundlagen ............................................................. 57 2. Zuordnung der culpa in contrahendo zu einer Haftungsgrundlage ................................................................... 60 a) Zuordnung der culpa in contrahendo zur vertraglichen Haftung ................................................................................ 60 b) Delikt als Haftungsgrundlage für die culpa in contrahendo . 62 c) Art. 72 § 2 KC als Haftungsgrundlage für die culpa in contrahendo ......................................................................... 63 aa) Art. 72 § 2 KC als eine selbstständige Anspruchsgrundlage ...................................................... 63 bb) Anwendungsbereich des Art. 72 § 2 KC ........................ 67 cc) Geeignetheit des Schadensersatzanspruchs aus Art. 72 § 2 KC als alleinige Haftungsgrundlage für die culpa in contrahendo ..................................................... 68 d) Sonstige Haftungsgrundlagen der culpa in contrahendo ...... 69 e) Stellungnahme ..................................................................... 71 II. Sonstige Funktionen der Haftung aus culpa in contrahendo ......... 72
§ 4 Tatbestandliche Voraussetzungen der Haftung ........................................ 73 A.
Tatbestandsmäßiges Verhalten................................................................. 74 I. Pflichtverletzung im deutschen Recht ........................................... 74
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B. C.
Inhaltsverzeichnis
1. Inhalt der vorvertraglichen Pflichten ........................................ 74 a) Aufklärungspflicht ............................................................... 74 b) Loyalitätspflicht ................................................................... 77 2. Pflichtwidriges Verhalten ......................................................... 78 a) Aufklärungspflichtverletzung............................................... 78 b) Abbruch von Vertragsverhandlungen ................................... 80 aa) Art des pflichtwidrigen Verhaltens ................................ 80 bb) Voraussetzungen für die Pflichtwidrigkeit des Verhandlungsabbruchs ................................................... 83 (1) Vertrauenstatbestand ................................................... 83 (2) Kein triftiger Grund für den Verhandlungsabbruch..... 84 3. Zeitlicher Anwendungsbereich ................................................. 85 II. Unerlaubte Handlung im polnischen Recht ................................... 86 1. Begriff der Rechtswidrigkeit der Handlung .............................. 86 2. Rechtliche Grundlagen für das Bestehen der vorvertraglichen Pflichten ................................................................................... 90 a) Irrtumsregelung aus Art. 84 KC ........................................... 90 b) Arglistiges Hervorrufen eines Irrtums aus Art. 86 KC .......... 92 c) Informationspflichten des Verkäufers ................................... 93 d) Informationspflicht aus dem Gesetz über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs ................................................. 94 e) Verpflichtung zur Beachtung der guten Sitten aus Art. 72 § 2 KC ..................................................................... 95 aa) Gute Sitten und Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens ........................................................... 98 bb) Gute Sitten und der gute Glaube .................................. 100 cc) Verhalten gegen die guten Sitten.................................. 101 f) Verpflichtung zur Loyalität aufgrund von Art. 354 KC ...... 103 g) Missbrauch des Rechts aus Art. 5 KC ................................ 103 h) Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens .......... 105 aa) Generalklausel als Grundlage für die Rechtswidrigkeit des Unterlassens .......................................................... 105 bb) Ursprung der Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens ............................ 107 cc) Auslegung der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens ......................................................... 108 dd) Moralische Normen als Grundlage für die vorvertraglichen Pflichten ........................................... 109 3. Ergebnis ................................................................................. 112 Verschulden ........................................................................................... 113 I. Verschulden im deutschen Recht ................................................ 113 II. Schuld im polnischen Recht ....................................................... 115 Schaden ................................................................................................. 117
Inhaltsverzeichnis
D.
XIII
I. Schaden im deutschen Recht ...................................................... 117 II. Schaden im polnischen Recht ..................................................... 119 1. Definition des Schadensbegriffs ............................................. 119 2. Schadensarten ........................................................................ 119 3. Umfang des Schadensbegriffs ................................................ 120 4. Ersetzbarer Schaden aus der culpa in contrahendo ................. 121 a) Positives Interesse.............................................................. 122 b) Entgangener Gewinn .......................................................... 123 c) Immaterieller Schaden (Unrecht) ....................................... 124 Kausalität .............................................................................................. 125 I. Haftungsausfüllende Kausalität im deutschen Recht ................... 125 II. Kausalität zwischen Schaden und schuldhafter Handlung im polnischen Recht ........................................................................ 126 1. Adäquater Zusammenhang ..................................................... 126 2. Relative Rechtswidrigkeit ...................................................... 127
§ 5 Rechtsfolgen .......................................................................................... 129 A.
Folgen der Haftung für die culpa in contrahendo im deutschen Recht ..................................................................................................... 129 I. Ersatz des negativen Interesses ................................................... 130 1. Ersatz der Aufwendungen ...................................................... 130 2. Ersatz des entgangenen Gewinns ............................................ 130 II. Ersatz des positiven Interesses .................................................... 131 1. Umgehung der Naturalrestitution durch einen entgeltlichen Schadensersatz ....................................................................... 132 2. Naturalrestitution durch Vertragsabschluss ............................. 132 a) Begriff des Kontrahierungszwangs .................................... 133 b) Konkretisierung des Kontrahierungszwangs aus der culpa in contrahendo durch Schrifttum und Rechtsprechung ....... 134 aa) Vertragsabschluss als zulässiger Kontrahierungszwang .................................................. 134 bb) Vertragsabschluss als unzulässiger Kontrahierungszwang .................................................. 135 c) Stellungnahme ................................................................... 136 III. Vertragsaufhebung ...................................................................... 138 1. Voraussetzungen .................................................................... 139 a) Vermögensschaden als Voraussetzung nach der Rechtsprechung ................................................................. 139 b) Vermögensschaden als Voraussetzung nach dem Schrifttum .......................................................................... 140 c) Schaden als ausreichende Voraussetzung ........................... 141 2. Ablehnung der Vertragsaufhebung nach Schrifttum................ 142
XIV
B.
Inhaltsverzeichnis
3. Stellungnahme ....................................................................... 143 IV. Vertragsanpassung ...................................................................... 143 1. Zulässigkeit der Vertragsanpassung ........................................ 144 a) Nachweis der Vertragsabschlussbereitschaft des Schädigers ......................................................................... 144 b) Wahlrecht des Geschädigten .............................................. 146 2. Umfang der Vertragsanpassung .............................................. 147 3. Stellungnahme ....................................................................... 148 V. Begrenzung der Höhe des Schadensersatzes ............................... 149 1. Wegen Mitverschuldens des Geschädigten ............................. 149 2. Durch die Höhe der Vertragserfüllung .................................... 150 3. Durch den Vorteilsausgleich ................................................... 151 Rechtsfolgen der Haftung für die culpa in contrahendo im polnischen Recht ..................................................................................................... 151 I. Schadensersatz ........................................................................... 152 1. Art und Weise der Leistung des Schadensersatzes .................. 152 a) Naturalrestitution ............................................................... 153 aa) Naturalrestitution in Form eines Vertragsabschlusses .. 153 bb) Naturalrestitution in Form der Vertragsaufhebung ....... 157 (1) Bei Eintritt eines Vermögensschadens ...................... 157 (2) Bei Eintritt eines immateriellen Schadens................. 157 b) Schadensersatz in Geld ...................................................... 158 2. Beschränkungen des Schadensersatzes ................................... 159 a) Durch die Höhe der Vertragserfüllung ................................ 159 b) Durch den Vorteilsausgleich ............................................... 160 c) Durch eine Schadensmitverursachung ................................ 160 3. Ausschluss des Schadensersatzes ........................................... 162 II. Entschädigung für immaterielle Schäden im Falle der Informationspflichtverletzung .................................................... 162 1. Entschädigung für das Unrecht nach Artt. 445 und 448 KC.... 162 2. Naturalrestitution nach den Regeln über den Schutz der persönlichen Güter (Art. 24 § 1 KC) ...................................... 165 3. Rückabwicklungsverhältnis nach Vertragsaufhebung ............. 166 III. Haftung für Dritte ....................................................................... 167
§ 6 Beweislastverteilung.............................................................................. 168 A.
Verteilung der Beweislast im deutschen Recht...................................... 168 I. Beweis des Verschuldens ............................................................ 169 II. Beweis des Schadens .................................................................. 169 III. Beweis der Kausalität ................................................................. 170 1. Erleichterung des Kausalitätsnachweises bei der Aufklärungspflichtverletzung ................................................. 170
Inhaltsverzeichnis
B.
XV
a) Beweismaßreduzierung nach § 287 I ZPO ......................... 170 b) Anscheinsbeweis................................................................ 171 c) Beweislastumkehr .............................................................. 173 aa) Beweislastumkehr als Folge der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens................................... 174 (1) Meinung der Rechtsprechung ................................... 174 (2) Meinung des Schrifttums .......................................... 175 (3) Stellungnahme ........................................................... 176 bb) Beweislastumkehr wegen des Schutzzwecks der Aufklärungspflichten ................................................... 177 (1) Meinung der Rechtsprechung ................................... 177 (2) Meinung des Schrifttums .......................................... 178 (3) Stellungnahme ........................................................... 179 cc) Gesamtwürdigung ....................................................... 180 2. Kausalitätsnachweis beim Abbruch von Vertragsverhandlungen ........................................................... 181 Verteilung der Beweislast im polnischen Recht .................................... 182 I. Beweis des Schadens .................................................................. 182 II. Beweis der Schuld ...................................................................... 183 III. Beweis der Kausalität ................................................................. 183 1. Tatsächliche Vermutung ......................................................... 183 2. Anscheinsbeweis .................................................................... 184 3. Richterliche Beweislastumkehr .............................................. 186
§ 7 Verjährung ............................................................................................. 187 A. B.
Verjährung im deutschen Recht ............................................................. 187 Verjährung im polnischen Recht ........................................................... 187 I. Anspruch aus der culpa in contrahendo (Art. 415 KC) ............... 187 II. Anspruch aus dem Schutz der persönlichen Güter (Art. 24 § 1 KC) ......................................................................... 188
§ 8 Konkurrenzen ........................................................................................ 190 A.
B.
Konkurrenzen im deutschen Recht........................................................ 190 I. Anfechtung und Vertragsaufhebung aus der culpa in contrahendo ............................................................................... 190 II. Gewährleistungsrecht und Ansprüche aus der culpa in contrahendo ............................................................................... 194 Konkurrenzen im polnischen Recht ...................................................... 195 I. Anfechtung und Vertragsaufhebung aus der culpa in contrahendo ............................................................................... 195 II. Gewährleistung und Schadensersatzansprüche aus der culpa in contrahendo ............................................................................... 197
XVI
Inhaltsverzeichnis
§ 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht ......................... 197 A. B.
C. D.
Bedarf für Neukodifikation ................................................................... 198 Haftung für die Aufklärungspflichtverletzung ...................................... 199 I. Kommissionsentwurf des ersten Buches des Zivilgesetzbuches .. 199 II. Vorentwurf der Regelung für die vorvertraglichen Informationspflichten ................................................................. 200 III. Vorentwurf der Regelung für vertragliche Schuldverhältnisse .... 202 Regelung des Abbruchs von Vertragsverhandlungen ............................ 203 Stellungnahme zur geplanten Neukodifikation ..................................... 204
§ 10 Bedeutende Rechtsunterschiede zwischen der polnischen und deutschen Regelung der Haftung für die culpa in contrahendo ............ 205
Kapitel 3: Harmonisierung der Rechtsunterschiede durch das internationale und europäische Privatrecht .................. 208 § 11 Culpa in contrahendo im CISG ............................................................. 208 A.
B.
Ausschluss der Anwendung der Rom II- und Rom I-VO ...................... 209 I. Objektive Anknüpfung der culpa in contrahendo ....................... 209 II. Verhältnis des CISG zu Rom II- und Rom I-VO ......................... 209 III. Eröffnung des Anwendungsbereiches des CISG ......................... 210 Vorvertragliche Haftung nach der Regelung des CISG ......................... 213 I. Abbruch der Vertragsverhandlungen im CISG ............................ 213 1. Vorschriften über einen Vertragsabschluss .............................. 214 a) Rücknahme des Angebots nach Art. 15 II CISG ................. 214 b) Widerruf des Angebots nach Art. 16 CISG ......................... 215 aa) Schadensersatz wegen Widerrufs nach CISG ............... 216 bb) Schadensersatz wegen Widerrufs nach nationalem Recht ........................................................................... 219 c) Ablehnung des Angebots nach Art. 17 CISG ...................... 220 2. Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel ........ 220 3. Abbruch der Verhandlungen als eine externe Regelungslücke ...................................................................... 223 4. Ergebnis ................................................................................. 223 II. Aufklärungspflichten des Verkäufers .......................................... 224 1. Besondere Informationspflichten des Verkäufers .................... 224 2. Generelle Informationspflicht ................................................ 227 3. Rechtsfolgen der Verletzung von Informationspflichten ......... 227 4. Ergebnis ................................................................................. 230 III. Beweislast .................................................................................. 231
Inhaltsverzeichnis
XVII
IV. Verjährung .................................................................................. 231 V. Gesamtwürdigung ...................................................................... 232 § 12 Anknüpfung der culpa in contrahendo außerhalb der Anwendung des CISG ...................................................................................................... 233 A. B. C.
Beziehung zwischen Art. 12 I und Art. 12 II Rom II-VO...................... 234 Verhältnis der Anknüpfungen des Art. 12 II Rom II-VO zueinander .... 234 Ergebnis................................................................................................. 235
§ 13 Rechtswahl des GEK-E ......................................................................... 235 A. B. C.
D.
E. F. G.
Verhältnis des GEK-VO-E zum Kollisionsrecht ................................... 235 Wählbarkeit des GEK-VO-E ................................................................. 236 Anwendungsbereich .............................................................................. 237 I. Räumlicher Anwendungsbereich ................................................ 237 II. Sachlicher Anwendungsbereich .................................................. 238 III. Persönlicher Anwendungsbereich ............................................... 239 IV. Zeitlicher Anwendungsbereich ................................................... 240 Haftung für die Verletzung vorvertraglicher Pflichten nach GEK-E ..... 241 I. Vorvertragliche Informationspflichten nach GEK-E ................... 241 1. Direkt verfasste vorvertragliche Informationspflichten .......... 241 2. Indirekt verfasste vorvertragliche Informationspflichten ........ 243 II. Abbruch von Vertragsverhandlungen .......................................... 245 1. Abbruch von Vertragsverhandlungen als Verletzung der Loyalitätspflicht ..................................................................... 245 2. Abbruch der Vertragsverhandlungen als Verletzung der Aufklärungspflicht ................................................................. 248 3. Abbruch der Vertragsverhandlungen als eine externe Regelungslücke ...................................................................... 249 III. Ergebnis ..................................................................................... 250 Beweislast ............................................................................................. 250 Verjährung ............................................................................................. 251 Gesamtwürdigung ................................................................................. 252
§ 14 Rechtswahl des DCFR nach Rom II-VO................................................ 254 A. B. C.
Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO .................................................... 254 Gegenstand der Rechtswahl .................................................................. 257 Wahl des DCFR ..................................................................................... 257 I. Abdingbarkeit der Vorschriften zur culpa in contrahendo im deutschen Recht ......................................................................... 258 II. Abdingbarkeit der Vorschriften zur culpa in contrahendo im polnischen Recht ........................................................................ 259
XVIII D.
E. F. G.
Inhaltsverzeichnis
Regelung der culpa in contrahendo durch DCFR .................................. 261 I. Informationspflichten ................................................................. 261 1. Direkt verfasste vorvertragliche Informationspflichten .......... 261 2. Aufklärungspflichten nach den Vorschriften über den Irrtum ..................................................................................... 262 3. Spezielle Aufklärungspflichten bei bestimmten Vertragsarten .......................................................................... 263 4. Allgemeine Informationspflicht ............................................. 264 II. Abbruch von Vertragsverhandlungen .......................................... 264 III. Ergebnis ..................................................................................... 265 Beweislast ............................................................................................. 265 Verjährung ............................................................................................. 266 Gesamtwürdigung ................................................................................. 266
§ 15 Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Beweislastverteilung nach Rom I- und Rom II-VO .......................................................................... 267 A.
B. C.
Beweiserleichterungen im deutschen Recht .......................................... 268 I. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ............................... 268 II. Richterliche Beweislastumkehr .................................................. 269 III. Anscheinsbeweis ........................................................................ 269 IV. Beweismaßreduzierung nach § 287 I ZPO .................................. 271 Beweiserleichterungen im polnischen Recht......................................... 272 I. Anscheinsbeweis ........................................................................ 272 II. Tatsächliche Vermutung .............................................................. 272 Gesamtwürdigung ................................................................................. 273
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse ............................................. 274 Anhang: Übersetzung ausgewählter Vorschriften des Kodeks cywilny ........ 287 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 289 Rechtsaktenverzeichnis ................................................................................. 317 Sachregister ................................................................................................... 321
Abkürzungsverzeichnis
a.A. ABl. ABR Abs. AcP AEUV a.F. AG AGB ALR Alt. Anh. Anm. Art./Artt. AT Aufl. ausf. AUWr BB Bd. Begr. RegE bes. BGB BGBl. Begr. BGH BGHZ BKR bspw. BT-Drucks. BVerfG bzw.
anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union (zuvor Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften) Archiv für Bürgerliches Recht Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten Alternative Anhang Anmerkung Artikel Allgemeiner Teil Auflage ausführlich Acta Universitatis Wratislaviensis Der Betriebsberater Band Begründung des Regierungsentwurfs besonders Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Begründer Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht beispielsweise Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht beziehungsweise
XX c.i.c. CISG
DB DCFR ders. d.h. dies. DNotZ DNotI DStR Dz.U. EG EGBGB ehem. Einl. EK endg. EP ErwG ERPL etc. EU EuGH EuZW EWiR EWS EVÜ f(f). Fn. FS GEDIP GEK GEK-E GEK-VO-E gem. GoA GPR GRUR GS
Abkürzungsverzeichnis culpa in contrahendo Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf) Der Betrieb Draft Common Frame of Reference derselbe das heißt dieselbe/dieselben Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Notarinstitut, Schriftenreihe Deutsches Steuerrecht Dziennik Ustaw Rzeczpospolitej Polskiej (Gesetzblatt der Republik Polen) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch ehemalig(e/er/es) Einleitung Europäische Kommission endgültig Europäisches Parlament Erwägungsgrund European Review of Private Law et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht. Kurzkommentare Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Europäisches Schuldvertragsübereinkommen die folgende/die folgenden Fußnote Festschrift Groupe européen de droit international privé Gemeinsames Europäisches Kaufrecht Gemeinsames Europäisches Kaufrecht-Entwurf Verordnung für Gemeinsames Europäisches Kaufrecht-Entwurf gemäß Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Gedächtnisschrift/Gedenkschrift
Abkürzungsverzeichnis HGB Hrsg. i.d.R. insbes. IJB IJIL IPR IPRax i.S.d. i.S.v. i.V.m. JA JBl. JR JuS JW JZ KC KMU KPC KPP KRP KSH KZ Legalis LEX LG lit. Lit. LM LZ MDR MoP MPI MüKo m.w.Ä. m.w.N. NJW NJW-RR NK-BGB NP
XXI
Handelsgesetzbuch Herausgeber in der Regel insbesondere Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Indian Journal of International Law Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kodeks cywilny (polnisches Zivilgesetzbuch) kleine und mittlere Unternehmen Kodeks postępowania cywilnego (polnische Zivilprozessordnung) Kwartalnik Prawa Prywatnego (Vierteljahresschrift für das Privatrecht) Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (Verfassung der Republik Polen) Kodeks spółek handlowych (Gesellschaftsgesetzbuch)/Gesellschaftsgesetzbuch, Kommentar v. Bieniak et al. Kodeks zobowiązań (polnisches Schuldrechtsgesetzbuch) polnische juristische Fachdatenbank aus dem Verlag C.H. Beck Polnische juristische Fachdatenbank aus dem Verlag Wolters Kluwer Landgericht littera (Buchstabe) Literatur Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (vor 1913 unter dem Titel: Leipziger Zeitschrift für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht) Monatsschrift für Deutsches Recht Monitor Prawniczy (Rechtsanzeiger) Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Münchener Kommentar mit weiteren Änderungen mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Neue juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nomos Kommentar Nowe Prawo (Neues Recht)
XXII Nr. NSA NZG ÖJZ OLG OSNC OSNC-ZD
OSNKW OSNP
OSP OSPiKA OTK-A PECL PiM PiP PKC Pkt. PL POI Pos. PPH Pr. Sp. Prz. Sąd. PUG PWNZ
PWW RabelsZ Red. RG RGBl. RGZ
Abkürzungsverzeichnis Nummer Naczelny Sąd Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Orzecznictwo Sądu Najwyższego – Izba Cywilna (Rechtsprechung des Obersten Gerichts – Kammer für Zivilsachen) Orzecznictwo Sądu Najwyższego, Izba Cywilna – Zbiór Doda-tkowy (Rechtsprechung des Obersten Gerichts, Kammer für Zivilsachen, zusätzliches Sammlungsheft) Orzecznictwo Sądu Najwyższego – Izba Karna i Wojskowa (Rechtsprechung des Obersten Gerichts – Kammer für Straf- und Militärsachen) Orzecznictwo Sądu Najwyższego – Izba Pracy, Ubezpieczeń Społecznych i Spraw Publicznych (Rechtsprechung des Obersten Gerichts – Kammer für Arbeits-, Sozialversicherungs- und öffentlichen Sachen) Orzecznictwo Sądów Polskich (Rechtsprechung der polnischen Gerichte) Orzecznictwo Sądów Polskich i Komisji Arbitrażowych (Rechtsprechung der polnischen Gerichte und der Schiedskommissionen) Orzecznictwo Trybunału Konstytucyjnego – Zbiór A (Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofs – Sammlung A) Principles of European Contract Law Prawo i Medycyna (Recht und Medizin) Państwo i Prawo (Staat und Recht) Projekt Kodeksu Cywilnego (Entwurf für das polnische Zivilgesetzbuch) Punkt Przegląd Legislacyjny (Gesetzgebungsrundschau) Projekt dla obowiązków informacyjnych (Vorentwurf für Informationspflichten) Position Przegląd Prawa Handlowego (Rundschau des Handelsrechts) Prawo Spółek (Gesellschaftsrecht) Przegląd Sądowy (Gerichtsrundschau) Przegląd Ustawodawstwa Gospodarczego (Rundschau der wirtschaftlichen Gesetzgebung) Projekt dla treści, wykonania i skutków naruszenia zobowiązania (Vorentwurf für Inhalt, Erfüllung und Folgen der Verletzung eines Schuldverhältnisses) Prütting/Wegen/Weinreich, Kommentar zum BGB Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht unter der Redaktion von Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichtes in Zivilsachen
Abkürzungsverzeichnis RIW Rn. RPEiS
XXIII
Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny (Rechtliche, ökonomische und soziologische Rundschau) Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung S. Satz/Seite SA Sąd Apelacyjny (polnisches Appellationsgericht/Berufungsgericht) SC Studia Cywilistyczne (Civilistisches Studium) Sejm-Drucks. Sejm-Drucksache SI Studia Iuridica Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz sog. sogenannt SN Sąd Najwyższy (polnisches Oberstes Gericht) SOKiK Sąd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Gericht für den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher) SP Studia Prawnicze (Juristisches Studium) Sp. Spalte SPE Studia Prawno-Ekonomiczne (Rechtlich-ökonomisches Studium) StGB Strafgesetzbuch TK Trybunał Konstytucyjny (polnischer Verfassungsgerichtshof) TPP Transformacje Prawa Prywatnego (Transformationen des Privatrechts) TJICL Tulane Journal of International and Comparative Law u.a. unter anderem UNCITRAL United Nation Commission on International Trade Law (Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht) UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law (Internationales Institut für Rechtsvereinheitlichung) UNO United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen) UNTS United Nations Treaty Series (Vertragssammlung der Vereinten Nationen) UP UNIDROIT Principles Urt. Urteil WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (auch: Wiener Vertragsrechtskonvention) YB PIL Yearbook of Private International Law v. von/vom VersR Versicherungsrecht vgl. vergleiche VO Verordnung Vorbem. Vorbemerkung vs. versus
XXIV z.B. ZBB ZEuP ZGR ZGS ZHR Ziff. ZIP ZNKU ZPO ZStW ZVglRWiss
Abkürzungsverzeichnis zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Ustawa o zwalczaniu nieuczciwej konkurencji (Gesetz über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs) Zivilprozessordnung Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
Einleitung I. Fragestellung I. Fragestellung
Die Harmonisierung des Privatrechts der EU-Mitgliedstaaten wurde bisher nur punktuell vorgenommen und ist daher, insbesondere auch im Vertragsrecht, an vielen Stellen lückenhaft.1 Sie beschränkt sich bisher überwiegend auf die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften des Verbraucher- und Kollisionsrechts2 und überlässt die Regelung des Privatrechts ansonsten weitgehend dem nationalen Gesetzgeber. Das lange Zeit verfolgte Konzept der Mindestharmonisierung3 und die beschränkte Kompetenz der Union für die Harmonisierung des materiellen Zivilrechts4 haben bisher die Entstehung eines einheitlichen europäischen Rechtsraums verhindert.5 Die fehlende Vereinheitlichung des Vertragsrechts und die ausgeprägten Unterschiede zwischen den Rechtssystemen der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Regelung von Vertragsabschluss und -abwicklung stellen ein Hindernis für den innergemeinschaftlichen Geschäftsverkehr dar.6 Sie führen zu höheren Transaktionskosten (z.B. für die notwendige Anpassung der Verträge an das jeweilige Recht des Absatzmarktes)7 und erhöhen die Rechtsunsicherheit für die Marktteilnehmer, die dem Risiko nach ausländischem Recht geführter Rechtsstreite ausgesetzt sind.8 Die fehlende
1 Vgl. Mittwoch (2013), 154; Schulte-Nölke/Schulze, in: dies. (1999), 11 (15); Grigoleit, AcP 210 (2010). 2 Vgl. Spickhoff, in: Roth (2010), 261 (267). 3 Insbesondere in der Verbraucherrechterichtlinie ist eine Rückkehr zur Vollvereinheitlichung zu sehen; Mittwoch (2013), 43 ff.; Herresthal, in: von Bar/Wudarski (2011), 25 ff. 4 Vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein (2016), Rn. 1290 ff., insbes. Rn. 1294. 5 Vgl. Grigoleit, AcP 210 (2010), 354 (363). 6 Vgl. Mitteilung der Kommission v. 11.10.2011 an das EP, den Rat, den Europäischen Sozial- und Wirtschaftsausschuss und den Ausschuss der Regionen „Ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht zur Erleichterung der grenzübergreifender Geschäfte im Binnenmarkt“, KOM (2011) 636 endg., 2 f.; Flash Eurobaromter, European contract law in business-to-business transactions, Summary, Series 320, 7 f.; Zusammenfassung der Folgenabschätzung, Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein GEK, SEK(2011) 1166 endg., 1–3. 7 Zusammenfassung der Folgenabschätzung (siehe Fn. 6), 2. 8 Zusammenfassung der Folgenabschätzung (siehe Fn. 6), 2.
2
Einleitung
materiell-rechtliche Harmonisierung betrifft neben dem Vertragsrecht im engeren Sinne auch die Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen (culpa in contrahendo, c.i.c.). Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit über die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien in der Vorbereitungsphase grenzüberschreitender Vertragsabschlüsse dürfte mit ein Faktor für die Zurückhaltung von europäischen Unternehmen gegenüber der Aufnahme wirtschaftlicher Aktivitäten außerhalb des Heimatmarktes sein.9 Materiell-rechtlich war die Haftung für c.i.c. in der Geschichte des deutschen Rechts nur ein einziges Mal geregelt, und zwar durch § 284 des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR) von 1794. Den Grundstein für die Begründung der Lehre über die c.i.c. legte jedoch nicht die Regelung des ALR, sondern die Abhandlung „Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen“ von Rudolf von Ihering10 aus dem Jahre 1881. Diese betrachtete Fallgestaltungen wie die Haftung des Irrenden nach Anfechtung, des Vertreters ohne Vertretungsmacht, des Geschäftsunfähigen sowie des Verkäufers einer nicht existierenden Sache. Das Reichsgericht bejahte eine Haftung aus c.i.c. erstmals in der Entscheidung zum „Linoleumrollenfall“.11 Hierbei ging das Gericht davon aus, dass es in der Verhandlungsphase zur Begründung eines vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses komme, welches Sorgfaltspflichten für Leben und Eigentum des Verhandlungspartners begründe. Die in richterlicher Rechtsfortbildung weiterentwickelte Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen wurde durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz12 von 2002 in fast unveränderter Form in §§ 241 II und 311 II BGB aufgenommen. Diese sanktionieren die Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter sowie Interessen der anderen Partei eines vorvertraglichen gesetzlichen Schuldverhältnisses. Während im deutschen Recht die Regelung des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.) vom Schrifttum als Paradebeispiel einer geglückten richterlichen Rechtsfortbildung gesehen wird,13 hat sich im polnischen Recht bis heute keine einheitliche Lehre über die c.i.c. herausgebildet. Die Gründe hierfür dürften in der fehlenden eindeutigen gesetzlichen Regelung dieses
9 Im Jahre 2010 waren 75% der europäischen Unternehmen nicht grenzüberschreitend tätig, wobei 50% dieser Unternehmen die fehlende Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften als hierfür ausschlaggebend angaben, siehe EK: European Business Test Panel Survey, abrufbar unter (Stand: 25.5.2015): , 1. 10 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 ff. 11 RGZ 78, 239. 12 Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I S. 3138. 13 Larenz (1965), 13 f.; zustimmend: Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (386) m.w.N.
I. Fragestellung
3
Rechtsinstituts14 und der geringen Bedeutung richterlicher Rechtsfortbildung im polnischen Rechtsraum liegen. Darüber hinaus beschränkt sich die polnische Rechtslehre oftmals auf die Andeutung von Auslegungsproblemen, ohne aber entsprechende Lösungen zu entwickeln. Die aktuell im polnischen Schrifttum geführte Diskussion über Umfang und Ausgestaltung der vorvertraglichen Haftung wurde erst durch die Novelle des polnischen Zivilgesetzbuches (Kodeks cywilny, KC)15 im Jahre 200316 angestoßen. Durch diese Reform wurde in das KC eine explizite Verpflichtung, die Vertragsverhandlungen entsprechend der guten Sitten zu führen, eingeführt und die Verletzung dieser Pflicht mit einem Schadensersatzanspruch sanktioniert. Die Diskussion über die c.i.c. hat jedoch bisher die Frage offengelassen, wie umfangreich die vorvertraglichen Pflichten konkret gestaltet sind und vor allem auf welcher Rechtsgrundlage sie beruhen. Ebenso wurde das Regelungsbedürfnis für die Aufklärungspflichten, welche speziell für Handelsgeschäfte von Bedeutung sind, bisher weder von der Rechtsprechung noch vom Schrifttum erkannt. Unbeantwortet gelassen wurde auch die Frage der systematischen Einordnung der Haftung für c.i.c. als ein vertraglicher, deliktischer oder selbstständiger Haftungstyp. Der Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen ist seit der Verabschiedung der Rom I- und Rom II-Verordnungen17 auch im Recht der Europäischen Union verankert. Beide Verordnungen lösen aber als kollisionsrechtliche Regelungen nicht die Unterschiede der nationalen materiell-rechtlichen Regelungen der Haftung für c.i.c. auf. Daher gibt es seit längerer Zeit Bestrebungen des Unionsgesetzgebers, das Vertragsrecht der Mitgliedstaaten durch eine einheitliche materiell-rechtliche Regelung zu harmonisieren. Die Idee eines einheitlichen europäischen Vertragsrechts wurde erstmals Ende der 1980er Jahre im Europäischen Parlament diskutiert.18 Im Jahre 2003 kam es zu einer
14
Außer der Haftung für die anfängliche Unmöglichkeit (Art. 387 § 2 KC) und des Vertreters ohne Vertretungsmacht (Artt. 39 § 1, 103 § 3 KC) bestand bis 2003 keine anderweitige ausdrückliche gesetzliche Regelung für die Haftung wegen der Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten. 15 Gesetz v. 23.4.1964 – Zivilgesetzbuch (Kodeks cywilny), Dz.U. 1964 Nr. 16 Pos. 93 m.w.Ä. 16 Gesetz v. 14.2.2003, Dz.U. 2003 Nr. 49 Pos. 408. 17 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) v. 17.6.2008, ABl. L 177 v. 4.7.2008, 6 ff.; Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) v. 11.7.2007, ABl. L 199 v. 31.7.2007, 40 ff. 18 Entschließungen des EP v. 26.5.1989 zu den Bemühungen um eine Angleichung des Privatrechts der Mitgliedstaaten, ABl. C 158 v. 26.6.1989, 400 f. und v. 6.5.1994 zur Angleichung bestimmter Bereiche des Privatrechts der Mitgliedstaaten, ABl. C 205 v. 25.7.1994, 518 f.
Einleitung
4
Wiederbelebung der Idee, als die Europäische Kommission einen Aktionsplan19 mit Vorschlägen zur Verbesserung der Qualität und Kohärenz des Europäischen Vertragsrechts20 durch die Einführung eines Gemeinsamen Referenzrahmens vorlegte. Dieses optionale Europäische Vertragsrecht soll bestehende Hindernisse innerhalb des Binnenmarktes abschaffen und darüber hinaus als Vorlage für zukünftige Reformen der einzelnen Mitgliedstaaten dienen. Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, welche Unterschiede in der Regelung der Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen im deutschen und polnischen Recht bestehen und ob daraus resultierende Hindernisse für den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr zwischen beiden Ländern mittels der Regelungen des europäischen und internationalen Privatrechts überwunden werden können.
II. Zielsetzung und Gang der Untersuchung I.
II.¶Zielsetzung und Gang der Untersuchung
Ziel der Untersuchung ist die Erarbeitung einer Lösung für die Überbrückung der rechtlichen Differenzen der Haftung für die c.i.c. im polnischen und im deutschen Recht auf der Grundlage des europäischen bzw. internationalen Rechts. Hierzu wird zunächst mittels der Methode des Rechtsvergleichs die Regelung der vorvertraglichen Haftung durch das Rechtsinstitut der c.i.c. im deutschen und polnischen Recht untersucht. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob und inwieweit durch europäische bzw. internationale Rechtsakte und Regelwerke die negativen Folgen unterschiedlicher nationaler Regelungen für den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr vermieden werden können. Die Arbeit ist in drei Komplexe unterteilt. Im ersten Teil wird ein gemeineuropäischer Begriff der c.i.c. herausgearbeitet. Als Beurteilungsmaßstab dient das europäische Privatrecht. Dieses stellt im Vergleich zum schlichten internationalen Übereinkommen ein komplexeres, mit einem eigenen Rechtsprechungskörper ausgestattetes Rechtssystem dar. Es wird weiter untersucht, ob es möglich ist, ohne Rückgriff auf das nationale Recht eine europäische Begriffsdefinition der c.i.c. zu ermitteln. Zur Beantwortung dieser Frage werden die einschlägigen Rechtsakte der EU analysiert. Als Untersuchungsmethode wird die autonome Auslegung des aus der Rom II-VO stammenden Begriffs des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen angewendet. Diese wird mittels grammatischer, systematischer, historischer und teleologischer Ausle-
19 Mitteilung der EK an das EP und den Rat, Ein kohärenteres Europäisches Vertragsrecht, Ein Aktionsplan v. 12.2.2003, KOM(2003) 68, ABl. C 63 v. 15.3.2003, 1 ff. 20 Grünbuch der EK „Optionen für die Einführung eines europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen“ v. 1.7.2010, KOM(2010) 348.
II. Zielsetzung und Gang der Untersuchung
5
gungsmethoden konkretisiert. Abschließend werden die Fallgruppen der Haftung für die c.i.c. herausgearbeitet. Das Ergebnis des ersten Teils bildet sodann den Ausgangspunkt für den im zweiten Teil der Arbeit vorgenommenen Vergleich der Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen im deutschen und polnischen Zivilrecht. Dabei beschränkt sich die Analyse ausschließlich auf die dem europäischen Privatrecht bekannten Fälle der vorvertraglichen Haftung. Es wird zunächst die deutsche Regelung dargestellt und darauf aufbauend werden die polnischen Grundsätze der vorvertraglichen Haftung analysiert. Hierbei werden die möglichen rechtlichen Grundlagen der Haftung für die c.i.c. im polnischen Recht untersucht. Anschließend werden die Haftungsvoraussetzungen im Einzelnen näher betrachtet. Im dritten Teil wird schließlich diskutiert, ob das optionale Europäische Kaufrecht die nationalen Rechtsunterschiede bei der vorvertraglichen Haftung überwinden kann. Neben dem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht (GEK)21 werden auch das UN-Kaufrecht22 sowie die Rechtswahl aufgrund der Rom IIVO analysiert, und hier insbesondere die Möglichkeiten und Folgen der Wahl von Regelwerken, die kein nationales Recht bilden, wie etwa dem Draft Common Frame of Reference (DCFR)23. Die Analyse der genannten Rechtsakte und Regelwerke bezweckt die Identifizierung der geeignetsten Lösung für die Behebung der nachteiligen Folgen möglicher nationaler Rechtsunterschiede bei der vorvertraglichen Haftung. Im Anschluss wird geprüft, ob die optionalen Vertragsinstrumente generell als Harmonisierungsmittel für die zwischenstaatliche Rechtsangleichung dienen können. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Analyse des polnischen Rechts. Im Gegensatz zum deutschen Recht existiert hier keine einheitliche gesetzliche Regelung der c.i.c., was die Relevanz der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema offenkundig macht.
21 Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht v. 11.10.2011, KOM(2011) 635 endg. 2011/0284 (COD) mit Änderungsanträgen des EP, siehe auch § 1 Fn. 45, 46. 22 Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf v. 11.4.1980, UNTS Bd. 1489, 3. 23 von Bar/Schulte-Nölke (2009).
Kapitel 1
Europarechtlicher Begriff der culpa in contrahendo § 1 Definition der culpa in contrahendo im europäischen Privatrecht § 1 Definition der c.i.c. im europäischen Privatrecht
Vor dem Hintergrund der Analyse des Kollisionsrechts wird in diesem Abschnitt ein einheitlicher gemeinschaftsrechtlicher Begriff der c.i.c. herausgearbeitet. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf der Auslegung der Rom IIVO, da dieser Verordnung das Verschulden bei Vertragsverhandlungen kollisionsrechtlich zugeordnet ist (Art. 12 Rom II-VO). A. Autonome Auslegung des Begriffs der culpa in contrahendo Der Terminus culpa in contrahendo findet sich in der deutschen Sprachfassung der Rom II-VO lediglich in der Aufzählung der außervertraglichen Schuldverhältnisse in Art. 2 I. Ansonsten wird für die vorvertragliche Haftung aus c.i.c. durchgehend die Bezeichnung „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ verwendet. Andere Sprachversionen wie die polnische, englische oder die französische verwenden ausschließlich den Terminus culpa in contrahendo. Dieser Unterschied in der Bezeichnung könnte zwar bezweckt worden sein, um die spezifisch deutsche Betrachtungsweise der c.i.c. von der unionsrechtlichen zu differenzieren, nichtsdestotrotz ist damit eine begriffliche Diskrepanz verbunden. Gemäß ErwG Nr. 30 Rom II-VO soll der Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen, der auch in Art. 12 Rom II-VO verwendet wird, autonom und daher nicht zwangsläufig i.S.d. nationalen Rechts ausgelegt werden. Er muss also unionsautonom und somit verordnungsübergreifend verstanden werden.1 Die autonome Auslegung der europäischen Rechtsakte soll nach der Rechtsprechung des EuGH vor allem die Systematik und Zielsetzung des Rechtsaktes berücksichtigen, damit dessen volle Wirksamkeit sichergestellt wird.2 Diese Art der Auslegung beabsichtigt gem. ErwG Nr. 6 Rom II-VO zum 1
Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (195). EuGH, Slg. 2002, I-7357 (I-7392 Rn. 20); EuGH, Slg. 1992, I-2149 (I-2180 Rn. 15); EuGH, Slg. 1988, 1539 (1554 Rn. 11). 2
§ 1 Definition der c.i.c. im europäischen Privatrecht
7
einen, die Vorhersehbarkeit des Ausgangs von Rechtsstreitigkeiten sicherzustellen, und zum anderen, die Gewissheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern. Im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarktes sollten dieselben Regeln zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts durch die in dem Mitgliedstaat geltenden Kollisionsnormen greifen. Bei einer autonomen Auslegung müssen deswegen zu Beginn die Bedeutung und die Funktion der entsprechenden Rechtsinstitute im Unionsrecht bestimmt werden. Solange das Unionsrecht die in Frage kommenden Rechtsinstitutionen und Rechtsbegriffe regelt, ist ein Rückgriff auf das Recht des Mitgliedstaates nicht notwendig. Allerdings normiert das Unionsrecht nicht jeden möglichen Sachverhalt, es bildet also kein einheitliches System (wie das Rechtssystem eines Staates). Daher wird die Bedeutung der durch die Unionsgesetzgeber verwendeten Begriffe häufig auf der Grundlage des nationalen Rechts untersucht. Das Ergebnis ist sodann den gemeinschaftlichen Grundsätzen gegenüberzustellen und gegebenenfalls teleologisch anzupassen. Es ist also zu prüfen, ob eine autonome Auslegung der c.i.c. ohne Rückgriff auf nationales Recht möglich ist. Eine Definition des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen lässt sich im Text der Rom II-VO nicht direkt finden. Art. 12 Rom II-VO nennt die Anknüpfungsmomente für das Verschulden bei Vertragsverhandlungen, verzichtet jedoch auf die Beschreibung der entsprechenden Fallgruppen. Abs. 1 bezeichnet allerdings das Verschulden bei Vertragsverhandlungen als ein außervertragliches Schuldverhältnis aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages. Was darunter zu verstehen ist, lässt der Wortlaut offen. Die Bedeutung könnte sich möglicherweise aus ErwG Nr. 30 Rom II-VO ergeben. Dieser ordnet nicht nur eine autonome Auslegung des Art. 12 Rom II-VO an, sondern betont auch, dass der Ausdruck „aus Verhandlungen“ als unmittelbarer Zusammenhang zu den Verhandlungen zu verstehen ist. Weiter nennt er typische Sachverhalte, die ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen darstellen. Demnach schließt der Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen die Verletzung der Offenlegungspflicht und den Abbruch von Vertragsverhandlungen ein. Ausgeschlossen sind hingegen die Fälle, bei denen einer Person während der Vertragsverhandlungen ein Personenschaden zugefügt wird. Die Verordnung differenziert zwischen den transaktionsbezogenen Pflichten wie Offenlegungs- und Loyalitätspflichten und den Obhutspflichten. Die Verletzung der zuerst genannten Pflichten wird dabei zwar als ein außervertragliches Schuldverhältnis angesehen, aber gem. Art. 12 I Rom II-VO dem Vertragsstatut zugeordnet. Die Zufügung eines Personenschadens ist dagegen als ein klassisches Delikt zu betrachten und nach Art. 4 Rom II-VO zu qualifizieren. Der für das deutsche Recht „klassische Fall“ der c.i.c., nämlich die Schädigung eines Supermarktkunden während des Einkaufens, wird demnach Art. 4 Rom II-VO und nicht Art. 12 Rom II-VO unterstellt.
1. Kapitel: Europarechtlicher Begriff der c.i.c.
8
Im Folgenden wird der Begriff der c.i.c. aus der Rom II-VO im Rahmen des europäischen Privatrechts grammatisch, systematisch, historisch und teleologisch ausgelegt. Die genannten Auslegungsmethoden stehen im Einklang mit den Grundsätzen der Artt. 31 und 32 WVK3. Ein völkerrechtlicher Vertrag ist demnach „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“. Ergänzend werden die Dokumente des Vorbereitungsverfahrens sowie die Umstände des Vertragsabschlusses als Auslegungshilfe hinzugezogen. Zwar ist die Rom II-VO ein sekundärer Rechtsakt der Europäischen Union und kein völkerrechtlicher Vertrag, dennoch ist anerkannt, dass die Grundsätze der Auslegung des völkerrechtlichen Vertrages auch für Gesetzgebungsakte der Union gelten.4 Die Herausarbeitung eines gemeineuropäischen Begriffs der c.i.c. erlaubt auch die Feststellung darüber, ob das europäische Privatrecht ausreichend kohärent ist, um diesen ohne Rückgriff auf nationales Recht auszulegen. I. Grammatische Auslegungsmethode Die grammatische Auslegungsmethode sucht nach einer gemeinschaftlichen Wortbedeutung.5 Zum einen dient sie einer ersten Orientierung, zum anderen bezeichnet sie die Grenzen der eigentlichen Auslegung.6 Die Sicherstellung einer einheitlichen Auslegung im europäischen Privatrecht wird vor allem durch die Vielfalt von Sprachfassungen der Rechtsakte, die alle rechtliche Geltung entfalten, erschwert.7 Darunter leidet die Kongruenz der Begriffe und Formulierungen. Diese Auslegungsmethode bezieht sich deswegen auf alle authentischen Sprachfassungen.8 Nach der Rechtsprechung des EuGH sollen bei einer grammatischen Auslegung zunächst die verschiedenen Sprachfassungen miteinander verglichen werden.9 Aufgrund der Vielzahl der europäischen Amtssprachen beschränkt sich diese Untersuchung auf die deutsche, englische, französische und polnische Sprachversion. Dabei wird der Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages ausgelegt.
3
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23.5.1969, UNTS Bd. 1155,
331. 4
Kropholler (2006), 80. Kropholler, FS 75 Jahre MPI, 583 (590). 6 Larenz/Canaris (1995), 145. 7 Verordnung Nr. 1 des Rates zur Regelung der Sprachenfrage der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 15.4.1958, ABl. 17 v. 6.10.1958, 385 f.; EuGH, Slg. 1982, I-3415 (3430 Rn. 18). 8 Kropholler, FS 75 Jahre MPI, 583 (591); Riesenhuber/Riesenhuber (2010), § 11 Rn. 15. 9 EuGH, Slg. 1985, 469 (489 Rn. 11). 5
§ 1 Definition der c.i.c. im europäischen Privatrecht
9
1. „Außervertragliches Schuldverhältnis“ Die deutsche Sprachfassung verwendet das Wort „Schuldverhältnis“, die französische obligations, die englische obligations und die polnische zobowiązania. Der Begriff des „vertraglichen Schuldverhältnisses“ i.S.d. Rom IVO ist durch das Schrifttum konkretisiert worden. Als vertragliche Schuldverhältnisse aus der Rom I-VO gelten solche Verhältnisse, die nur den Vertragspartner verpflichten und gegenüber diesem durchsetzbar und wirksam sind.10 Sie sind von dinglichen und anderen „absoluten“ Rechtsverhältnissen zu unterscheiden.11 Daraus folgt, dass eine außervertragliche Bindung als eine kraft Gesetzes eintretende Verpflichtung zu einer in einem positiven Tun, einer Duldung oder Unterlassung bestehenden Leistung des so verpflichteten Schuldners zu verstehen ist.12 Das entscheidende Kriterium bildet somit die Nichtfreiwilligkeit, die Verpflichtung einzugehen. 2. „Verhandlungen“ An den Begriff der „Verhandlungen“, die in der französischen Sprachfassung als tractations, in der englischen als dealings und in der polnischen als kontakty handlowe bezeichnet werden, sind keine strengen Anforderungen zu stellen, ein reiner geschäftlicher Kontakt ist bereits ausreichend.13 Darauf weist insbesondere die polnische Sprachfassung der Verordnung hin, die die Verhandlungen als kontakty handlowe sieht, was im Deutschen „geschäftliche Kontakte“ bedeutet. Die Aufnahme eines sozialen Kontakts reicht dagegen nicht aus.14 Die Verhandlungen müssen nicht unbedingt zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner stattgefunden haben, es genügt, dass sie dem Anspruchsgegner zugerechnet werden können.15 3. „Aus“ Die Formulierung „aus Verhandlungen“ findet sich sowohl in Art. 12 I Rom II-VO als auch in Art. 1 II lit. i Rom I-VO. In der englischen Fassung wird die Formulierung: „obligations arising out of dealings prior to the conclusion of a contract“ verwendet, was bedeutet, dass sich das Schuldverhältnis eben durch die Verhandlungen begründet. Eine Ähnlichkeit zur englischen Fassung zeigt die französische, wo sich ein Schuldverhältnis auch aus den Verhandlungen ergeben muss (découlant de tractations). Die polnische Sprachfassung unterscheidet sich dabei nicht von der englischen und französischen, 10
Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 28. Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 28. 12 Erman/Hohloch, Art. 1 Rom II-VO Rn. 2. 13 Reithmann/Martiny/Martiny, Rn. 4.40. 14 Erman/Hohloch, Art. 12 Rom II-VO Rn. 6. 15 Reithmann/Martiny/Martiny, Rn. 4.42. 11
10
1. Kapitel: Europarechtlicher Begriff der c.i.c.
indem Art. 12 I Rom II-VO auf zobowiązań pozaumownych wynikających z kontaktów handlowych mających miejsce przed zawarciem umowy16 angewendet wird. Daher muss eine zeitliche sowie räumliche Verbindung zwischen dem Schuldverhältnis und den Verhandlungen vorliegen. 4. „Vor“ Die Verhandlungen müssen schließlich vor einem Vertragsabschluss stattgefunden haben. Alle Sprachfassungen verwenden das Wort „vor“: die englische prior, die französische avant und die polnische przed. Man könnte annehmen, dass als „vorvertraglich“ all das gelten soll, was im Vorfeld des Vertrages stattfindet. Obwohl eine solche Betrachtungsweise einfach wäre, ist sie dennoch abzulehnen. Sie würde zu offensichtlich absurden Folgen führen, wie beispielsweise zur Herausnahme des Vertragsangebotes aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO und dessen Unterstellung unter die Regelungen der Rom II-VO. Daher ist die funktionale Auslegung des Begriffs „vorvertraglich“ vorzuziehen.17 Hierbei wird im Einzelfall beurteilt, inwieweit das betrachtete Schuldverhältnis als ein Teilaspekt des Rechte-und-Pflichten-Gefüges eines zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages anzusehen ist.18 5. „Vertragsabschluss“ Weiter ist zu untersuchen, was unter dem „Abschluss eines Vertrages“ i.S.v. Art. 12 I Rom II-VO zu verstehen ist. Die Analyse der anderen Sprachfassungen ist dabei wenig hilfreich, da alle den Begriff des „Abschlusses eines Vertrages“ verwenden: die englische Fassung the conclusion of a contract, die französische la conclusion d’un contrat und die polnische zawarcie umowy. Daher ist ein Rückgriff auf Schrifttum und Rechtsprechung notwendig. Zunächst ist der Begriff „Vertrag“ auszulegen sowie die Frage zu klären, ob dafür die in Deutschland bekannte Formel der zwei übereinstimmenden Willenserklärungen19 angewendet werden kann. Bei der Auslegung und der Suche nach der Definition lässt sich auf die Rechtsprechung des EuGH zurückgreifen, genauer auf die Rechtsprechung20 zu Art. 7 Brüssel Ia-VO bzw. deren
16 (…) außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus den vor dem Vertragsabschluss stattfindenden Geschäftskontakten ergeben. Übersetzungen aus dem Polnischen hier und im Folgenden stammen, soweit nicht anders angegeben, von der Autorin. 17 Matthias Lehmann, in: Ferrari/Leible (2007), 17 (37); Rauscher/Jakob/Picht, Art. 12 Rom II-VO Rn. 8. 18 Rauscher/Jakob/Picht, Art. 12 Rom II-VO Rn. 8. 19 Erman/Armbrüster, vor § 145 Rn. 11. 20 Aufgrund des ErwG Nr. 19 soll die Kontinuität der Auslegung zwischen dem BrüsselÜbereinkommen und der Brüssel I-Verordnung gewährleistet werden.
§ 1 Definition der c.i.c. im europäischen Privatrecht
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Vorgängerregelungen21. Eine Definition des Begriffs „Vertrag“ für diesen Artikel ist durch den EuGH formuliert worden. Nach ihrem Wortlaut ist unter einem Vertrag eine von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung zu verstehen.22 Das Freiwilligkeitskriterium bezieht sich auf das willensgesteuerte Handeln, wobei sich die Abgabe der Willenserklärung auf die autonom getroffene Entscheidung berufen soll.23 Den Kern des Begriffs stellen die Schaffung und die Übernahme einer besonderen, sonst nicht bestehenden Verpflichtung dar.24 Außer den typischen Fällen des zweiseitigen Vertrages sind durch den Vertragsbegriff auch einseitige Leistungsversprechen wie Auslobung25 und Gewinnzusage26 gedeckt. Die Voraussetzung der freiwilligen Verbindlichkeitseingehung scheint insbesondere für die Fälle eines Vertragsabschlusses unter Kontrahierungszwang widersprüchlich. Nach überwiegender Auffassung ist das Fehlen des Freiwilligkeitskriteriums jedoch kein letztgültiges Ausschlusskriterium.27 Bei einem Vertragsschluss unter Kontrahierungszwang ist vielmehr die zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung führende Handlung und nicht die Freiwilligkeit der Bindung ausschlaggebend.28 Für das Vorliegen eines Vertrages i.S.d. Brüssel Ia-VO ist demnach ausreichend, dass die Parteien im Ergebnis einen Vertrag anstreben oder dieser zustande kommt und hierdurch eine Sonderbeziehung hergestellt wird.29 Abweichend hiervon wird in der Literatur teilweise auch ein ökonomischer Vertragsbegriff vertreten, nach welchem ein Vertragsverhältnis dann besteht, wenn die Parteien einander kennen, miteinander im gezielten Kontakt stehen und wenn die vorhandenen Interessen und Risiken durch eine vorangegangene
21 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 27.9.1968, ABl. C 27 v. 26.1.1998, 1 ff.; ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12 v. 16.1.2001, 1 ff. in der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des EP und des Rates v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 351 v. 20.12.2012, 1 ff. 22 EuGH, Slg. 2002, I-7357 (I-7390 Rn. 12); EuGH, Slg. 1992, I-3967 (I-3994 Rn. 15); EuGH, Slg. 1998, I-6511 (I-6542 Rn. 17); EuGH, Slg. 2004, I-1543 (I-1555 Rn. 24); EuGH, Slg. 2005, I-481 (I-517 Rn. 50). 23 Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 20. 24 Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 33. 25 Mankowski, IPRax 2003, 127 (131). 26 EuGH, Sgl. 2005, I-481 (Rn. 55); Schmidt-Kessel, ZEuP 2004, 1019 (1030); a.A. Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 31. 27 Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 23; Schmidt-Kessel, ZEuP 2004, 1019 (1031); vgl. Martiny, in: FS Geimer, 641 (650). 28 Rauscher/Leible, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rn. 23. 29 Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 34.
1. Kapitel: Europarechtlicher Begriff der c.i.c.
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Vereinbarung hätten geregelt werden können.30 Ein solches Abstellen auf den wirtschaftlichen Vertragsbegriff ist allerdings abzulehnen, da dieser Aspekte beschreibt, die aus einer juristischen Perspektive heraus nicht zu erfassen sind.31 Der Vertrag als Funktionsbegriff ist demnach weit zu verstehen. Er geht über den Normalfall des klassischen Vertragsverhältnisses, das auf zwei übereinstimmenden Willenserklärungen basiert, hinaus.32 6. Ergebnis Nach der grammatischen Auslegung ist das Schuldverhältnis aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages als eine Sonderbeziehung zu verstehen, die kraft Gesetzes, ohne den rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien entsteht, die sich aus einem rein geschäftlichen Kontakt herleiten lässt und die vor einem freiwilligen Eingehen der Verpflichtungen durch mindestens eine Partei stattfindet. II. Systematische Auslegungsmethode Die systematische Auslegung betrachtet eine Norm als Bestandteil eines geordneten Ganzen. Aus ihrer Stellung in diesem System lassen sich Schlussfolgerungen für ihre Bedeutung ziehen.33 Ein Ausdruck oder ein Rechtssatz ist danach so auszulegen, dass Widersprüche mit der übrigen Regelung vermieden werden.34 Der Rechtsprechung des EuGH nach ist jede Vorschrift des Unionsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen.35 Die Analyse erfolgt zumindest mittels der Untersuchung der Systematik innerhalb der Rom II-VO. Im nächsten Schritt werden andere europarechtliche Akte betrachtet, wodurch eine verordnungsübergreifende Interpretation gewährt ist. Ausgelegt werden sowohl die Unionsrechtsakte wie die Rom I-VO, die Brüssel I-VO und das Gemeinsame Europäische Kaufrecht als auch nicht bindende Regelwerke wie die Principles of European Contract Law (PECL), die UNIDROIT Principles (UP) und der DCFR. Bei der systematischen Auslegung ist zu berücksichtigen, dass das Unionsrecht keine abgeschlossene Kodifikation bildet.
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Mankowski, IPRax 2003, 127 (131). Matthias Lehmann, in: Ferrari/Leible (2007), 17 (23). 32 Mankowski, IPRax 2003, 127 (129). 33 Riesenhuber/Riesenhuber (2010), § 11 Rn. 23. 34 Kropholler (1975), 271. 35 EuGH, Slg. 1982, I-3415 (Rn. 20). 31
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1. Rechtlich bindende Unionsrechtsakte a) Rom II-VO Für die Erklärung des Begriffs „außervertragliches Schuldverhältnis“ könnte auf den ersten Blick der Wortlaut des Art. 2 Rom II-VO in Frage kommen. Zwar enthält dieser die Bezeichnung „außervertragliche Schuldverhältnisse“, beinhaltet aber keine Legaldefinition des Begriffs. In Abs. 1 wird lediglich der Umfang des Schadens, der sämtliche Folgen einer unerlaubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag oder eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen umfasst, festgeschrieben. Nach dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom II-VO sind die Schuldverhältnisse, die unter Art. 12 Rom II-VO fallen, von solchen Schuldverhältnissen aus Produkthaftung, unlauterem Wettbewerb, einem den freien Wettbewerb einschränkenden Verhalten, einer Umweltschädigung, einer Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums und Arbeitskampfmaßnahmen abzugrenzen. Diese Abgrenzung wird durch die Legaldefinitionen, die sich in den Erwägungsgründen finden, erleichtert. In ErwG Nr. 24 werden Umweltschäden definiert, in ErwG Nr. 23 die Beschränkungen des Wettbewerbs und in ErwG Nr. 27 die Arbeitskampfmaßnahmen. Für eine tiefergreifende Auslegung ist ein Rückgriff auf die innere Systematik der Rom II-VO jedoch nicht hilfreich, da sich die Verordnung weder auf einen Vertragsbegriff noch auf die Verhandlungen bezieht. b) Rom I-VO Der Begriff des Schuldverhältnisses aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages findet sich außer in Art. 1 II lit. i nur noch einmal im Wortlaut der Rom I-VO, nämlich in ErwG Nr. 10. Es wird aber lediglich noch einmal betont, dass die Schuldverhältnisse, die aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages entstehen, unter Art. 12 Rom II-VO fallen und vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen sind. Die Analyse des Umfangs des Geltungsbereiches der Vorordnung lässt Rückschlüsse darauf zu, wie der Begriff „Vertrag“ von dem Begriff „vor dem Vertrag“ abzugrenzen ist. Gemäß Art. 10 I Rom I-VO werden das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages nach dem Recht beurteilt, das nach der Rom I-VO anzuwenden wäre, wenn der Vertrag wirksam wäre. Das Zustandekommen des Vertrages bezieht sich auf den äußeren Vertragsschlusstatbestand, der als das zum Vertragsschluss führende oder den Vertragsschluss modifizierende Handeln der Parteien verstanden wird.36 Zu diesem äußeren Vertragsabschlusstatbestand gehören insbesondere die Voraussetzungen und der notwendige Umfang der 36
Staudinger/Hausmann, Art. 10 Rn. 14 f.; Erman/Hohloch, Art. 10 Rom I-VO Rn. 6; MüKo/Spellenberg, Art. 10 Rom I-VO Rn. 22.
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vertraglichen Einigung sowie die Rechtsfolgen eines Einigungsmangels.37 Er umfasst unter anderem das Angebot und seine Annahme, den Dissens, die Abgabe und den Zugang der Willenserklärungen sowie den Widerruf und die Rücknahme des Angebots. Die Wirksamkeit des Vertrages nimmt dagegen Bezug auf den inneren Vertragstatbestand.38 Sie bedeutet eine materielle Wirksamkeit des Vertrages und seiner Bestimmungen und berücksichtigt daher insbesondere die Willensmängel (unter anderem Irrtum und Anfechtung) und ihre Wirkung sowie Folgen.39 Gleiches bezieht sich gem. Art. 12 I lit. e Rom I-VO auch auf die Folgen der Nichtigkeit des Vertrages, d.h. auf die Rückabwicklungsverhältnisse, darunter auch auf den Schadensersatz.40 Aus dem vorvertraglichen Stadium werden demnach die Elemente des inneren und äußeren Vertragstatbestandes herausgenommen und dem Vertragsstatut zugeordnet. c) Brüssel Ia-VO Bei der Auslegung des Begriffs des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen sind die Regelungen der Brüssel Ia-VO nur teilweise hilfreich. In ihren Bestimmungen wird weder der Begriff des Schuldverhältnisses aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages, des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen noch der c.i.c. verwendet. Andererseits operiert die Verordnung aber mit Begriffen wie dem Vertrag, dem Anspruch aus einem Vertrag, der unerlaubten Handlung sowie einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist. Somit ergibt sich zwar keine direkte Zuständigkeit der Verordnung für die Haftung aus einem Schuldverhältnis aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages oder aus der c.i.c. Gemäß der Rechtsprechung zur Brüssel Ia-VO genießen aber die Ansprüche aus c.i.c. jene Gerichtszuständigkeit, die für die unerlaubten Handlungen bzw. für eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, gilt.41 Möglicherweise lässt sich die Definition, welche für die Fragen des internationalen Zivilprozessrechts ausgearbeitet wurde, gleichermaßen für kollisionsrechtliche Fragen anwenden. Die bisherige Rechtsprechung zur Gerichtszuständigkeit für die Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen könnte dafür sprechen, dass die im Rahmen der Brüssel I-VO (jetzt Brüssel Ia-VO) geltende Definition des Vertragsbegriffs42 auch für die Auslegung des Begriffs der c.i.c. aus der Rom 37 Staudinger/Hausmann, Art. 10 Rn. 15; Palandt/Thorn, Art. 10 Rom I-VO Rn. 3; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 10 Rom I-VO Rn. 3. 38 MüKo/Spellenberg, Art. 10 Rom I-VO Rn. 22. 39 Erman/Hohloch, Art. 10 Rom I-VO Rn. 6; NK-BGB/Leible, Art. 10 Rom I-VO Rn. 16, 17; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 10 Rom I-VO Rn. 5. 40 Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 12 Rom I-VO Rn. 15; MüKo/Spellenberg, Art. 12 Rom I-VO Rn. 169; Erman/Hohloch, Art. 12 Rom I-VO Rn. 15. 41 EuGH, Slg. 2002, I-7357 (I-7383 ff.). 42 Siehe § 1 A I 5.
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II-VO angewendet werden kann. Dagegen sprechen jedoch sowohl die unterschiedliche Formulierung der Anknüpfungsgegenstände in der Brüssel Ia-VO, der Rom I- und der Rom II-VO als auch die gegenüber der Brüssel Ia-VO abweichenden Regelungszwecke der Rom I- und der Rom II-VO: Die Brüssel Ia-VO regelt die Bestimmung des zuständigen Gerichts für eine Rechtssache, die Rom I- und die Rom II-VO die Frage des anwendbaren Rechts.43 Für die Anwendung der richterlichen Definition spricht dagegen allein der Inhalt der Rom I- und der Rom II-VO. In beiden Verordnungen wird eine Beachtung des Konsistenzprinzips mit anderen Regelwerken der Union, insbesondere mit der Brüssel Ia-VO verlangt. Zudem sollten laut dem Vorschlag für die Rom IIVO die Verordnung Brüssel Ia, das Rom-Übereinkommen (jetzt Rom I-VO) und die Rom II-VO eine Gesamtregelung bilden, die das Internationale Privatrecht der zivil- und handelsrechtlichen Schuldverhältnisse allgemein umfasst. Darüber hinaus würde ein homogener Vertragsbegriff die richterliche Entscheidungskohärenz des noch jungen europäischen internationalen Privatrechts fördern und dadurch die Transparenz und die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen verbessern.44 Auch die Anwendung der Rechtsakte der EU generell würde durch einen einheitlichen Vertragsbegriff vereinfacht. Aus diesen Gründen ist die Definition des Vertragsbegriffs aus der Brüssel Ia-VO für die Auslegung der c.i.c. aus der Rom II-VO anzuwenden. d) Gemeinsames Europäisches Kaufrecht Als ein letztes, im Falle seiner Verabschiedung45 bindendes Regelwerk wird das Gemeinsame Europäische Kaufrecht46 untersucht. Dieses Projekt der Europäischen Kommission begann im Jahre 2010 mit der Berufung einer
43 Matthias Lehmann, in: Ferrari/Leible (2007), 17 (26); vgl. Dutta, IPRax 2009, 293 (296). 44 Vgl. Dutta, IPRax 2009, 293 (296); Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 27. 45 Mit der Veröffentlichung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt (Strategie für einen digitalen Binnenmarkt v. 6.5.2015, KOM(2015) 192 endg.) hat die EK im Mai 2015 einen neuen Vorschlag für ein GEK angekündigt. Im Dezember 2015 wurden daran anknüpfend Vorschläge für zwei Richtlinien erlassen: Vorschlag für eine Richtlinie des EP und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte v. 9.12.2015, KOM(2015) 634 endg. 2015/0297 (COD); Vorschlag für eine Richtlinie des EP und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren v. 9.12.2015, KOM(2015) 635 endg. 2015/0288 (COD). 46 Vorschlag der EK mit den Änderungsanträgen des EP: Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein GEK v. 11.10.2011, KOM(2011) 635 endg. 2011/0284 (COD); legislative Entschließung des EP v. 26.2.2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein GEK (COM(2011)0635 – C7-0329/2011 – 2011/0284(COD)).
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Expertengruppe zum Europäischen Vertragsrecht.47 Ein Jahr später wurde eine Machbarkeitsstudie48 veröffentlicht, die den Ausgangspunkt für den Verordnungsvorschlag über ein GEK darstellte. Der Vorschlag für ein GEK enthält weder Regelungen zu den Verhandlungen noch zum außervertraglichen Schuldverhältnis. In Art. 30 wird jedoch der Vertragsabschluss geregelt. Nach dem GEK gilt ein Vertrag dann als geschlossen, wenn die Parteien eine Einigung erzielen, wenn sie ihrer Einigung Rechtswirkung verleihen wollen und diese Einigung, gegebenenfalls ergänzt durch die Vorschriften des GEK, einen ausreichenden Inhalt hat und hinreichend bestimmt ist, so dass davon Rechtswirkungen ausgehen können. Der Vorschlag für das GEK beinhaltet auch eine direkte Regelung der Informationspflichten.49 Die Haftung wegen Abbruchs der Verhandlungen ohne triftigen Grund, die in der Machbarkeitsstudie noch vorgesehen war, wurde jedoch aus dem Vorschlag ausgeklammert. 2. Rechtlich nicht bindende Regelwerke a) Principles of European Contract Law Die Principles of European Contract Law (PECL) stellen einen historisch gewachsenen europäischen Bestand gemeinsamer Begriffe, Grundsätze und Wertungen dar,50 die die Thematik des Vertragsrechts betreffen. Sie wurden durch eine Expertengruppe unter Führung von Ole Lando vorbereitet und im Jahre 2002 veröffentlicht. In ihnen findet sich weder der Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages noch derjenige der c.i.c. Dennoch beinhalten die Grundsätze die Definition eines Vertragsschlusses. Gemäß Art. 2:101 PECL ist ein Vertrag dann geschlossen, wenn die Parteien die Absicht haben, rechtlich gebunden zu sein, und wenn eine ausreichend konkrete Vereinbarung getroffen wurde. Weiterhin definieren die PECL die Bestandteile der Vertragsabschlussdefinition wie „Absicht“ und „ausreichende Vereinbarung“. Laut Art. 2:102 PECL hat eine Partei die Absicht, rechtlich gebunden zu sein, wenn die andere Partei das Erklärte oder das Verhalten als eine Rechtsbindungsabsicht vernünftigerweise verstehen konnte. Die Vereinbarung ist dagegen gem. Art. 2:103 PECL als ausreichend anzusehen, wenn die Bedingungen ausreichend durch die Parteien bestimmt sind, so dass der Vertrag durchgesetzt werden kann. Außerdem beinhalten die PECL Regeln bezüglich möglicher Fälle des Schuldverhältnisses 47 Beschluss (2010/233/EU) der EK v. 26.4.2010 zur Einsetzung einer Expertengruppe für einen gemeinsamen Referenzrahmen im Bereich des europäischen Vertragsrechts, ABl. L 105 v. 27.4.2010, 109 ff. 48 Feasibility study for a future instrument in European Contract Law, abrufbar unter (Stand: 6.2.2016): . 49 Siehe § 13 D I 1. 50 Zimmermann, Jura 2005, 289.
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aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages: das Verhandeln gegen den Grundsatz von Treu und Glauben aus Art. 2:301 PECL sowie die Verletzung der Vertraulichkeit aus Art. 2:302 PECL. Zudem ist die Möglichkeit des Schadensersatzes wegen Übergabe falscher Informationen vorgesehen. Nach Art. 4:106 PECL besitzt eine Partei das Recht auf Schadensersatz, wenn sie einen Vertrag aufgrund von falschen Informationen, die sie von der anderen Partei erhalten hat, abgeschlossen hat. Die Falschinformation ist dabei Grundlage für einen Schadensersatz unabhängig davon, ob sie einen Irrtum hervorruft. Die Haftung ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Partei, die die falschen Informationen mitgeteilt hat, von deren Richtigkeit überzeugt war. Weitere Erklärungen, die für die Auslegung des zu betrachtenden Begriffs von Bedeutung wären, sind in den PECL nicht erhalten. b) UNIDROIT-Grundregeln für internationale Handelsverträge Die Grundregeln für internationale Handelsverträge (UNIDROIT Principles51, UP) sind eine Sammlung von Grundsätzen im Vertragsrecht, die vom Internationalen Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) zusammengestellt wurden. Sie beinhalten eine ähnliche Regelung wie die PECL. In Art. 2.1.15 UP ist eine Haftung wegen illoyalen Verhandelns und in Art. 2.1.16 UP eine Haftung wegen Verletzung einer Pflicht zur Geheimhaltung der im Verlauf der Verhandlungen erhaltenen Informationen vorgesehen. Der Begriff „Vertrag“ wird hier ähnlich wie in den PECL nicht definiert. Es gibt nur eine Definition für den Vertragsschluss. Gemäß Art. 2.1.1 UP kann ein Vertrag entweder durch die Annahme eines Angebots abgeschlossen werden oder durch ein Verhalten der Parteien, das ausreicht, eine Einigung darzutun. Hier wird somit auf die Angebot-Annahme-Struktur des Vertragsabschlusses Bezug genommen, von dem sich die Rechtsprechung zum Brüssel IÜbereinkommen (VO) distanziert.52 Im Unterschied zu den PECL gibt es keine Bestimmungen bezüglich der Informationspflichten außer den Vorschriften für die Anfechtung wegen Irrtum oder Täuschung. Zwar findet sich keine Definition des Schuldverhältnisses, aber in Art. 1.11 UP wird erklärt, was unter den Begriffen „Schuldner“ und „Gläubiger“ zu verstehen ist. Der Begriff „Schuldner“ bezieht sich dabei auf die Partei, die eine Verpflichtung zu erfüllen hat, „Gläubiger“ dagegen auf die Partei, die berechtigt ist, die Erfüllung dieser Verpflichtung zu verlangen.
51 In der Fassung von 2010, abrufbar unter (Stand: 17.10.2014): . 52 Mankowski, IPRax 2003, 127 (129).
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c) Draft Common Frame of Reference Der Draft Common Frame of Reference (DCFR) bezeichnet einen Referenzrahmen, der von einer Gruppe von Experten unter Leitung von Christian von Bar ausgearbeitet wurde und der als Werkzeugkasten für künftige Gesetzgebungsakte im Bereich des Vertragsrechts Verwendung finden soll.53 Er ist umfangreicher als die zuvor behandelten Regelwerke. Außer allgemeinen Grundsätzen über den Vertragsabschluss regelt der DCFR auch ein besonderes Vertragsrecht sowie gesetzliche Schuldverhältnisse (Bereicherungsrecht, GoA, Delikt, Sachenrecht und Trust). Der Referenzrahmen verwendet ähnlich wie die PECL und die UP keinen Begriff eines Schuldverhältnisses aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages, indessen definiert Art. II.-1:101 DCFR den Begriff „Vertrag“. Als Vertrag ist danach eine Vereinbarung zu verstehen, die darauf abzielt, eine verbindliche rechtliche Beziehung auszulösen oder eine andere rechtliche Wirkung zu entfalten. Weiter wird erklärt, wann ein Vertrag abgeschlossen wird: Gemäß Art. II.-4:101 DCFR ist der Vertrag ohne weitere Bedingungen geschlossen, wenn die Parteien den Eingang in eine verbindliche rechtliche Beziehung oder die Herbeiführung anderer rechtlichen Folgen beabsichtigen und ausreichende Einigkeit erzielt haben. Diese ist dann erreicht, wenn die Parteien die Vertragsbedingungen genügend festgelegt haben, so dass der Vertrag Rechtswirkung entfaltet, oder wenn die Vertragsbedingungen oder die Rechte und Pflichten der Parteien auf andere Weise ausreichend bestimmt werden können, so dass der Vertrag eine Rechtswirkung entfaltet. Im Unterschied zu den PECL und UP definiert der DCFR auch den Begriff des Schuldverhältnisses. Gemäß Art. III.-1:102 Abs. 1 DCFR ist darunter eine Verhaltenspflicht zu verstehen, die eine Partei eines Rechtsverhältnisses als Schuldner der anderen Partei als Gläubiger schuldet. Weiter wird zwischen vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnissen differenziert. Aus der Systematik des DCFR kann man entnehmen, dass unter außervertraglichen Schuldverhältnissen die GoA, Delikte und die ungerechtfertigte Bereicherung zu verstehen sind. Der Referenzrahmen beinhaltet zwar keine separate Regelung für die Haftung aus der c.i.c., regelt aber immerhin die vorvertraglichen Pflichten sowie die Haftung für deren Verletzung. Außer den Informationspflichten ist durch den DCFR eine Haftung für die Verletzung der Verpflichtung zu Verhandlungen gemäß. dem Grundsatz von Treu und Glauben erfasst. 3. Ergebnis Die systematische Auslegung hat gezeigt, dass in den untersuchten Regelwerken die Begriffe „Vertrag“ und „Vertragsabschluss“ definiert wurden, die Bedeutung des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen aber nicht geklärt 53
Jansen/Zimmermann, NJW 2009, 3401.
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wurde. Trotzdem liefert diese Auslegungsmethode hilfreiche Teildefinitionen. Die Analyse der Brüssel Ia-VO hat die Anwendbarkeit ihrer Definition des Vertragsbegriffs auch für die Rom II-VO bestätigt. Demnach ist für den Vertragsabschluss der Zeitpunkt des freiwilligen Eingehens der Verpflichtung durch mindestens eine Partei ausschlaggebend. Die Angebot-Annahme-Regel für den Vertragsabschluss ist somit für die c.i.c. abzulehnen. Die Untersuchung des Geltungsbereiches der Rom I-VO hat ergeben, was unter der Formulierung „vor Vertrag“ zu verstehen ist. Aufgrund des Konsistenzprinzips zwischen der Rom I- und der Rom II-VO werden durch die c.i.c. keine Tatbestände berücksichtigt, die für das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages von Bedeutung sind: Angebot sowie Annahme, Rücknahme und Widerruf des Angebots gehören demnach zum Anwendungsbereich der Rom I-VO. Das Gleiche gilt auch für Irrtum und Anfechtung, die ebenso nach Vertragsstatut zu qualifizieren sind. Aus der Analyse des DCFR ergibt sich die Definition des Schuldverhältnisses, was zur Erleichterung der Abgrenzung von Sachverhalten der Rom I- und der Rom II-VO führt. Als vertragliche Schuldverhältnisse sind die Verhaltenspflichten zu verstehen, die eine Partei eines durch den Vertrag begründenden Rechtsverhältnisses als Schuldner der anderen Partei als Gläubiger schuldet. Der Rückgriff auf die Untersuchung der vorvertraglichen Pflichten in den nichtbindenden Regelungen hat gezeigt, dass als Fallgruppen der c.i.c. die Verletzung der Loyalitätspflichten in Form des Abbruchs der Vertragsverhandlungen sowie die Verletzung der Informationspflicht zu verstehen sind. III. Historische Auslegungsmethode Die historische Auslegungsmethode basiert auf einer Analyse der Vor- und Entstehungsgeschichte des Rechtsaktes.54 Die Rolle dieser Auslegungsmethode im europäischen Privatrecht ist trotz mancher negativen Einschätzungen55 nicht bedeutungslos.56 Ihre Bedeutung kommt vor allem bei unklarem Wortlaut zum Tragen, wo die Erforschung des historischen Willens oft die einzige Möglichkeit ist, ein sicheres Ergebnis zu erreichen.57 Für die Ermittlung der Vorgeschichte eines Rechtsaktes ist auf den Inhalt und die Auslegung des
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Riesenhuber/Riesenhuber (2010), § 11 Rn 30. Rauscher/von Hein, Einl. Rom I-VO Rn. 61; Rauscher/Unberath/Cziupka, Einl. Rom II-VO Rn. 26; Junker, RabelsZ 55 (1991), 674 (680). Die Vorbereitungsarbeiten können eine gewisse Bedeutung haben, dienen aber dem EuGH nicht zur Erforschung der subjektiven Absichten des Gemeinschaftsgesetzgebers, sondern zur Ermittlung der Funktion und Zielsetzung der jeweiligen Maßnahme: Schmidt, RabelsZ 59 (1995), 569 (582); Riesenhuber/Pechstein/Drechsler (2010), § 8 Rn. 32 f. 56 Riesenhuber/Riesenhuber (2010), § 11 Rn 30. 57 Kropholler (1975), 275. 55
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vorangegangenen Aktes abzustellen.58 Die Vorgeschichte der Rom II-VO kann im Unterschied zur Rom I-VO leider nicht eruiert werden, da es keinen Vorgängerakt gibt, auf dessen Auslegung man sich berufen könnte. Zwar nahm das Projekt der kollisionsrechtlichen Regulierung der außervertraglichen Schuldverhältnisse bereits im Jahre 1967 seinen Anfang, und 1972 wurde ein erster Vorentwurf für ein Abkommen über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht vorgelegt.59 Doch wurde dieses Vorhaben im Jahre 1978 abgebrochen. Rechtlich bindende Wirkung entfalten nur die Vorschriften für das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ).60 Erst Mitte der 1990er Jahre wurde die Arbeit am Abkommen über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht wieder aufgenommen.61 Von geringem Wert ist diesbezüglich das Vorbereitungsmaterial für das EVÜ wie z.B. der Giuliano/Lagarde-Bericht,62 da dieses sich ausschließlich auf die vertraglichen Schuldverhältnisse bezieht. Im Folgenden konzentriert sich die historische Auslegung auf die Entstehungsgeschichte der Rom II-VO und auf die Analyse der veröffentlichten63 Materialien des Verordnungsgebungsverfahrens (travaux préparatoires). Der Wille zu einer kollisionsrechtlichen Regelung der außervertraglichen Schuldverhältnisse lässt sich schon im Wiener Aktionsplan von 199864 erkennen. Hierbei war jeweils ein Vorschlag von der Europäischen Gruppe für Internationales Privatrecht (GEDIP)65 sowie von der österreichischen Ratspräsidentschaft66 vorbereitet worden. Aufbauend auf diesen Vorschlägen legte die Europäische Kommission 2002 einen ersten Vorentwurf für die Regulierung der kollisionsrechtlichen Fragen der außervertraglichen Schuldverhältnisse vor.
58 Vgl. Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 1 Rom I-VO Rn. 12; MüKo/Junker, vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 1 ff. 59 Lando, RabelsZ 38 (1974), 6–55; von Overbeck/Volken, RabelsZ (38) 1974, 56–78; Text abgedruckt in Staudinger/von Hoffmann2001, Vorbem. zu Art. 38 ff. EGBGB Rn. 11. 60 Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980, ABl. C 27 v. 26.1.1998, 34 ff. 61 Entschließung des Rates v. 14.10.1996 zur Festlegung der Prioritäten für die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres für den Zeitraum v. 1.7.1996 bis zum 30.6.1998, ABl. C 319 v. 26.10.1996, 1 (Pkt. 3.1.c), mit Änderungen v. 18.12.1997, ABl. C 11 v. 15.1.1998, 1 ff. 62 Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. C 282 v. 31.10.1980, 1 ff. 63 Die unveröffentlichten Materialien sind für die Auslegung untauglich, Riesenhuber/Riesenhuber (2010), § 11 Rn. 34. 64 Aktionsplan v. 3.12.1998 des Rates und der EK zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. C 19 v. 23.1.1999, 1 ff. 65 Abgedruckt in: Staudinger/von Hoffmann2001, Vorbem. zu Art. 38 ff. EGBGB Rn. 19. 66 Abgedruckt in: Staudinger/von Hoffmann2001, Vorbem. zu Art. 38 ff. EGBGB Rn. 16.
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Bestimmungen bezüglich der Haftung aus der c.i.c. blieben aber unberücksichtigt. Das spätere sog. Grünbuch über Umwandlung und Aktualisierung des EVÜ67 sparte die Problematik der außervertraglichen Schuldverhältnisse ebenfalls aus, lediglich ein dahingehendes Regelungsbedürfnis wurde geäußert. Der Vorschlag für die Rom I-VO68 dagegen schloss die Fälle des vorvertraglichen Schuldverhältnisses explizit aus deren Anwendungsbereich aus. Der Begründung des Vorschlags nach gelten als vorvertragliche Schuldverhältnisse nur deliktische Schuldverhältnisse, die in der künftigen Verordnung Rom II geregelt werden sollen. Der erste Vorschlag für die Rom II-VO aus dem Jahre 200369 sah jedoch keine separate Anknüpfung des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen voraus. Die gesonderte Qualifikation der c.i.c. wurde erst während des Gesetzgebungsverfahrens auf Vorschlag des Rates70 in die Rom II-VO aufgenommen. Eingeführt wurden der ErwG Nr. 27 (jetzt Nr. 30), der den Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen näher bestimmte, sowie Art. 12, der sich auf die Anknüpfung der c.i.c. bezog. Die Ausklammerung der getrennten Regelung der c.i.c. im ersten Vorschlag für die Rom IIVO rechtfertigte die Kommission mit der Absicht, eine flexiblere Lösung in Form einer Ausweisklausel einzuführen.71 Diese Auffassung der Kommission vertrat auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss. In seiner Stellungnahme72 besprach er die Möglichkeit einer akzessorischen Anknüpfung, wenn ein außervertragliches Schuldverhältnis auf einem zwischen den Parteien ohnehin bestehenden Rechtsverhältnis (dazu gehören auch Verträge) beruht. Gleiches wurde auch im Bericht des Europäischen Parlaments von 2005 geäußert.73 Über die derzeitig geltende Fassung der Rom II-VO wurde erst im 67 Grünbuch v. 14.1.2003 über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung, KOM(2002) 654 endg. 68 Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I) v. 15.12.2005, KOM(2005) 650 endg. 69 Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), v. 22.7.2003, KOM(2003) 427 endg. 70 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 22/2006 v. 25.9.2006, v. Rat festgelegt im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des EP und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ROM II), ABl. C 289 E v. 28.11.2006, 68 ff. 71 Mitteilung der Kommission an das EP zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf die Annahme der Verordnung des EP und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („ROM II“) v. 27.9.2006, KOM(2006) 566 endg. (S. 7). 72 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ROM II), ABl. C 241 v. 28.9.2004, 1 ff. 73 Bericht v. 27.6.2005 über den Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), A6–0211/2005.
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1. Kapitel: Europarechtlicher Begriff der c.i.c.
Jahre 200774 Einigung erzielt. Die historische Auslegung beeinflusst die anhand der systematischen und grammatischen Methode ausgearbeitete Definition der c.i.c. nicht. IV. Teleologische Auslegungsmethode Die teleologische Auslegung stellt in Bezug auf den möglichen Wortsinn auf die objektiven Ziele und Zwecke der Rechtsnorm und auf eine sachgerechte Regelung des betroffenen Bereichs ab.75 Diese Auslegungsmethode wird vom EuGH häufig angewendet, da die anderen Methoden wie die grammatische oder die systematische wegen der unterschiedlichen Sprachfassungen und der verschiedenen Bedeutungen der Rechtsbegriffe nicht immer ausreichend Auskunft über die Normen und deren Inhalte und Absichten geben können.76 Diese Auslegungsmethode genießt Vorrang vor anderen Methoden, insbesondere vor der grammatischen.77 Interessant ist die Frage, wie Ziel und Zweck der auslegenden Regelung zu ermitteln ist. Im Europäischen Sekundärrecht spielen die Erwägungsgründe, die einen Bestandteil des Rechtsaktes bilden und die die durch den Rechtsakt verfolgten Ziele und Zwecke erklären, eine entscheidende Rolle.78 Die Rom II-VO beinhaltet insgesamt vierzig Erwägungsgründe. Für die Definition des Schuldverhältnisses aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages ist dabei ErwG Nr. 30 maßgeblich. Seinem Inhalt nach ist das Verschulden bei Vertragsverhandlungen als ein außervertragliches Schuldverhältnis, das in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages steht, zu verstehen. Der Fokus ist dabei auf ein im unmittelbaren Zusammenhang mit den Verhandlungen stehendes Schuldverhältnis gerichtet. ErwG Nr. 30 beschreibt auch die Fallgruppen, die unter dem Begriff Verschulden bei Vertragsverhandlungen zu fassen sind: die Verletzung der Offenlegungspflicht und der Abbruch von Verhandlungen. Aus dem Anwendungsbereich des Art. 12 Rom II-VO ausgeschlossen sind die Fälle der Verletzung von Obhutspflichten. Für die Auslegung des außervertraglichen Schuldverhältnisses käme zwar ErwG Nr. 11 in Frage, doch stellt dieser nur fest, dass der Begriff des außervertraglichen Schuldverhältnisses von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden definiert wird und daher autonom auszulegen sei. Für die teleologische Auslegung der Rom II-VO sind auch die allgemeinen 74 Gemäß dem vom Vermittlungsausschuss am 25.6.2007 gebilligten gemeinsamen Entwurf, PE-CONS 3619/07. 75 Kropholler, FS 75 Jahre MPI, 583 (592). 76 Riesenhuber/Pechstein/Drechsler (2010), § 8 Rn. 28. 77 Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1178). 78 Riesenhuber/Pechstein/Drechsler (2010), § 8 Rn. 31; nach a.A. sollen Erwägungsgründe in der historischen Auslegungsmethode berücksichtigt werden: Rauscher/Unberath/Cziupka, Einl. Rom II-VO Rn. 26.
§ 1 Definition der c.i.c. im europäischen Privatrecht
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Auslegungsregeln wie die Beachtung des effet utile des Unionsrechts einschlägig sowie die Dynamik des europäischen Privatrechts, d.h. die Verordnung soll so interpretiert werden, dass sie ihren Zweck erreicht und praktische Wirksamkeit entfaltet.79 Die praktische Wirksamkeit der Rom II-VO ist dann gegeben, wenn sie im Einklang mit den Bestimmungen der Rom I-VO und anderen Rechtsakten der Union ausgelegt wird. Demnach ist der Begriff des Vertrages im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zur Brüssel Ia-VO auszulegen. Das Resultat sind einheitliche Begriffe, die nicht nur die Transparenz und die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen intensivieren, sondern auch zum Entscheidungskonsens führen. Unter der dynamischen Auslegung des Unionsrechts wird unter anderem die ständige Anpassung an die nationalen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse verstanden.80 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die unionsrechtlichen Regelungen unter Berücksichtigung des Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen.81 Von der dynamischen Auslegung wird vor allem dann Gebrauch gemacht, wenn ein Rechtsakt schon mehrere Jahre existiert und seine Ziele und Zwecke, die in der Entstehungszeit von Bedeutung waren, an die gegenwärtigen Ziele und Zwecke angepasst werden müssen.82 Die dynamische Auslegung spielt bei der Rom II-VO jedoch keine große Rolle, da diese Verordnung erst im Jahre 2007 verabschiedet wurde. Zwar lässt sich die Wirtschaftskrise, die seit 2008 die europäische Politik beherrscht, als eine solche Änderung der Verhältnisse interpretieren, jedoch hat diese Krise für das Kollisionsrecht keine spürbare Bedeutung. Die Lebensverhältnisse haben sich noch nicht derart geändert, dass die Ziele, die bei der Entstehung der Regelung verfolgt wurden, an die Gegenwart angepasst werden müssten. Die teleologische Auslegung der Rom II-VO hat bestätigt, dass das Schuldverhältnis in einem Zusammenhang mit den Verhandlungen stehen muss. Darüber hinaus ist wegen des effet utile des Unionsrechts die Anwendung des Vertragsbegriffs, der durch die Rechtsprechung des EuGH zur Brüssel Ia-VO ausgearbeitet wurde, zu bejahen. Die dynamische Auslegung spielt aufgrund des jungen Alters dieses Rechtsakts noch keine Rolle. B. Ergebnis Die autonome Auslegung des Begriffs der c.i.c. hat gezeigt, dass der Rückgriff auf nationales Recht nicht notwendig ist, um die volle Bedeutung der c.i.c. im europäischen Recht zu ermitteln. Nach der gemeineuropäischen Definition ist
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Kropholler, in: FS 75 Jahre MPI, 583 (592, 593); Rauscher/von Hein, Einl. Rom I-VO Rn. 62. 80 Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180). 81 EuGH, Slg. 1982, 3415 (3430 Rn. 20). 82 Vgl. Bleckmann (2001), Rn. 371.
1. Kapitel: Europarechtlicher Begriff der c.i.c.
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ein außervertragliches Schuldverhältnis aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages (c.i.c.) eine Bindung zwischen mindestens zwei Personen, die nicht kraft eines Rechtsgeschäftes, sondern aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen entstanden ist. Dieses Verhältnis steht in einem unmittelbaren Sachzusammenhang mit den Verhandlungen, die als Aufnahme eines reinen rechtsgeschäftlichen Kontaktes zu verstehen sind. Die vorvertragliche Phase bezieht sich auf den Zeitraum vor dem freiwilligen Eintreten in eine Verbindlichkeit. Sie ist funktional auszulegen, d.h. stets unter der Berücksichtigung der Dimension des Zusammenhangs eines Ereignisses mit dem Vertrag. Aus ihrem Kontext sind die Elemente des inneren und äußeren Vertragstatbestands zu extrahieren.
§ 2 Fallgruppen der culpa in contrahendo im europäischen Privatrecht II.
§ 2 Fallgruppen der c.i.c. im europäischen Privatrecht
Im Folgenden wird untersucht, welche Fälle der Verletzung der vorvertraglichen Pflichten zu den Pflichten aus dem Schuldverhältnis aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages gehören. Dabei wird insbesondere analysiert, ob die auf der Grundlage der systematischen Auslegung des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen ausgearbeiteten Fallgruppen der Verletzung der vorvertraglichen Informations- und Loyalitätspflichten als c.i.c. i.S.d. europäischen Privatrechts zu verstehen sind. A. Verletzung von Informationspflichten Die Zuordnung der gesamten Gruppe der Verletzung der Informationspflichten zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen ist fraglich. Diese Pflichten sind oft eng mit dem Vertragsabschluss verbunden, weswegen eine Qualifikation ihrer Verletzung möglicherweise direkt anhand der Rom I-VO erfolgen könnte. Solch eine enge Verbindung der Aufklärungspflichten mit dem Vertrag sehen mehrere Autoren.83 Gegen diese Annahme spricht jedoch die Auslegung des ErwG Nr. 30 Rom II-VO. Dieser weist zwar nicht direkt auf die Informationspflicht hin, nimmt aber Stellung zu den Offenlegungspflichten, die möglicherweise den Oberbegriff für Informationspflichten bilden. Zu prüfen ist demnach, was in der deutschen Sprachfassung unter der Offenlegungspflicht zu verstehen ist. Dafür ist ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen notwendig. In der englischen Sprachfassung wird die Verletzung der Offenlegungs-
83 PWW/Schaub, IPR-Anh 2/Art. 12 Rom II-VO Rn. 2; Leible/Matthias Lehmann, RIW 2007, 721 (733). Als eng mit dem Vertrag verbunden: Matthias Lehmann, in: Ferrari/Leible (2007), 17 (38); Martiny, in: FS Geimer, 641 (654).
§ 2 Fallgruppen der c.i.c. im europäischen Privatrecht
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pflicht als the violation of the duty to disclosure und in der französischen Fassung als la violation du devoir d’informer bezeichnet. Dagegen formuliert die polnische Sprachfassung die Offenlegungspflicht als naruszenie obowiązku tajemnicy, was sich mit „Geheimhaltungspflicht“ übersetzen lässt. Nur die französischsprachige Version der Verordnung äußert sich direkt zu einer Informationspflicht. Die englische Wendung entspricht dagegen mehr dem deutschen Begriff von Offenlegungspflicht. Zu prüfen ist deshalb, was der deutsche Sprachgebrauch unter dem Begriff „Offenlegung“ versteht. Nach dem „Duden“84 steht die „Offenlegung“ dem „Offenlegen“ gleich, was „etwas klar und deutlich darzulegen“ bedeutet. Als Synonym zu „Offenlegen“ kann „Enthüllen“ verwendet werden, worunter ein „Offenbaren“ bzw. „Offenkundigmachen“ zu verstehen ist. Hingegen bedeutet „informieren“, jemandem eine Nachricht oder eine Auskunft über etwas zu geben. Daraus lässt sich schließen, dass die Offenlegungspflicht sprachlich ein weiter gefasster Begriff als die Informationspflicht ist. Die Entscheidung des Gesetzgebers sowie des Übersetzers, das Wort „Offenlegungspflicht“ zu verwenden, könnte damit begründet werden, dass die Informationspflichten im Unionsrecht unterschiedlich genannt sind. Im Vorschlag für die Verordnung über das GEK werden im zweiten Abschnitt die vorvertraglichen Informationspflichten im Verhältnis zwischen Unternehmern aufgeführt, aber schon in Art. 23 nennt der Vorschlag die Offenlegungspflicht. Die Verbraucherrechterichtlinie85 verwendet den Begriff der Informationspflicht des Unternehmers (Art. 5), später ist von Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht (Art. 10) die Rede. Die Fernabsatzrichtlinie für Finanzdienstleistungen86 benutzt den Begriff der Auskunftspflicht (Art. 4 I) sowie den der Pflicht zur Unterrichtung des Verbrauchers, die als Weitergabe der entsprechenden Informationen verstanden wird (Art. 3). Dies zeigt, dass der Unionsgesetzgeber keine kohärente Begriffsbestimmung in Bezug auf die Offenbarungspflicht der Informationen verwendet. Auch im deutschen Recht wird diesbezüglich keine begriffliche Kohärenz eingehalten. Im Schrifttum und in der Rechtsprechung werden für diese Art der vorvertraglichen Pflicht unterschiedliche Begriffe benutzt: Informations-, Mitteilungs-, Offenbarungs- oder Aufklärungspflicht. Wie aber bereits Stefan Breidenbach87 bemerkte, ist diese Begriffsvielfalt vielmehr Ausdruck sprachlicher Kreativität als ein Zeichen von systematischer Differenzierung von Pflichten, welche im 84
Duden (2011). Richtlinie 2011/83/EU des EP und des Rates v. 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des EP und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des EP und des Rates, ABl. L 304 v. 22.11.2011, 64 ff. 86 Richtlinie 2002/65/EG des EP und des Rates v. 23.9.2002 über Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates, sowie der Richtlinie 97/7/EG des Rates, ABl. L 271 v. 9.10.2002, 16 ff. 87 Breidenbach (1989), 4; vgl. A. Pohlmann (2002), 35. 85
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1. Kapitel: Europarechtlicher Begriff der c.i.c.
Grunde den gleichen Inhalt haben. Der Begriff der „Offenlegung der Informationen“ ist sprachlich verschieden von dem sonst üblichen Begriff der „Informationsweitergabe“. Dieser weitergehende Begriff beugt einer Verengung des Anwendungsbereiches des Art. 12 Rom II-VO vor und vermeidet so die vorschnelle Qualifizierung einer unterlassenen Preisgabe von Informationen als vertragliche Pflichtverletzung nach Rom I-VO. Der weite Begriff der Offenlegung der Informationen umfasst daher alle genannten Fälle der Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Informationspreisgabe.88 Somit wird die Informationspflichtverletzung durch den Begriff der „Verletzung der Offenlegungspflicht“ erfasst und ist nach Art. 12 Rom II-VO zu qualifizieren.89 Dieses Ergebnis wird durch die systematische Auslegung des Begriffs der c.i.c. bestätigt.90 Es stellt sich weiterhin die Frage, wie die begriffliche Abweichung der polnischen Sprachfassungen des ErwG Nr. 30 zu den übrigen Sprachversionen zu beurteilen ist. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH soll die Bedeutung des fraglichen Begriffs einer Sprachfassung im Lichte anderer Sprachfassungen ausgelegt und angewendet werden.91 Zuerst muss ein Vergleich mit anderen Sprachfassungen erfolgen, jedoch ohne einer von ihnen dabei den Vorzug einzuräumen.92 Anschließend ist die fragliche Bestimmung anhand des Zwecks und Aufbaus der Regelung, zu der die Bestimmung gehört, auszulegen.93 Die polnische Sprachfassung des ErwG Nr. 30 Rom II-VO verwendet den Begriff „Geheimhaltungspflicht“, während die anderen untersuchten Sprachfassungen von einer „Offenlegungspflicht“ sprechen. Es handelt sich hierbei offensichtlich nicht um eine sprachliche Abweichung im erlaubten Rahmen, sondern um einen Übersetzungsfehler. Dieser verändert den Inhalt der Bestimmung dahingehend, dass anstelle der Verletzung von Offenlegungspflichten die Verletzungen von Geheimhaltungspflichten von ErwG Nr. 30 erfasst und 88 Vgl. Palandt/Thorn, Art. 12 Rom II-VO Rn. 2; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 12 Rom II-VO Rn. 3; Rauscher/Jacob/Picht, Art. 12 Rom II-VO Rn. 8; Staudinger/Magnus, Art. 1 Rom I-VO Rn. 97; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64); Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (195); a.A. PWW/Schaub, IPR-Anh 2/Art. 12 Rom II-VO Rn. 2; Leible/Matthias Lehmann, RIW 2007, 721 (733); Dörner, IPRax 2005, 26 (27). 89 Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (195); Rauscher/Jakob/Picht, Art. 12 Rom II-VO Rn. 48; NK-BGB/Budzikiewicz, Art. 12 Rom II-VO Rn. 28; Mankowski, RIW 2009, 98 (115). 90 Siehe § 1 A II 3. 91 Slg. 1967, 461 (473). 92 Slg. 1967, 461 (473); Slg. 1979, 2717 (2724); Slg. 1982, 3415 (3430 Rn. 18); vgl. Generalanwalt Mayras, Schlussanträge vom 28.6.1979 – Rs. C-9/79, Slg. 1979, 2726 (2727 f.); Riesenhuber/Pechstein/Drechsler (2010), § 8 Rn. 20. 93 Slg. 1979, 2717 (2724); Slg. 1982, 3415 (3430 Rn. 20); in Bezug auf die Auslegung der Richtlinien: Slg. 1977, 1999 (2010); Slg. 1996 I-5431 (5443 Rn. 28) m.w.N. aus der Rspr.; in Bezug auf die Entscheidungen: Slg. 1969, 419 (425 Anm. 3).
§ 2 Fallgruppen der c.i.c. im europäischen Privatrecht
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dann vom Anwendungsbereich des Art. 12 Rom II-VO umfasst werden sollen. Es stellt sich die Frage, ob eine solche grammatikalische Auslegung mit Aufbau und Zweck der Rom II-VO zu vereinbaren ist. Die Erwägungsgründe sind kein Bestandteil des Rechtstextes, sondern sind dem Rechtsakt als Begründungen vorangestellt.94 Aus ihrem Wortlaut ergeben sich die gesetzgeberischen Motive und Ziele,95 die für die Auslegung des Rechtsakts von ausschlaggebender Bedeutung sind. Sie haben in Bezug auf den Verordnungstext subsidiäre Bedeutung und können daher die Auslegung des Rechtsakts nicht beeinflussen, soweit sie in einem Widerspruch mit dem Sinn und Zweck der Bestimmungen der Verordnung stehen.96 Daraus folgt, dass der in der polnischen Sprachfassung des ErwG Nr. 30 enthaltene Begriff der „Geheimhaltungspflicht“ nur dann die Auslegung der Verordnung beeinflussen kann, wenn die Verletzung der Geheimhaltungspflicht nach Sinn und Zweck der Verordnung ein Verschulden aus Vertragsverhandlungen aus Art. 12 Rom II-VO begründet. Dazu müsste ein durch die Verletzung der Geheimhaltungspflicht entstandenes außervertragliches Schuldverhältnis in einem unmittelbaren Zusammenhang zu den Verhandlungen stehen. Zwar werden während den Verhandlungen möglicherweise auch vertrauliche Informationen zwischen den Parteien ausgetauscht. Die Handlung, welche ein unzulässiges Ausnutzen dieser Informationen konstituieren würde, steht jedoch mit dem Verhandlungsverhältnis in keinem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mehr. Als nur mittelbar mit den Verhandlungen zusammenhängend kann die Verletzung der Geheimhaltungspflicht somit nicht Tatbestand der gemeineuropäischen c.i.c. sein. Da der Begriff der „Geheimhaltungspflicht“ des Wortlauts des ErwG Nr. 30 in der polnischen Sprachfassung im Widerspruch zu Art. 12 Rom II-VO steht, kann er die Auslegung der Verordnung nicht beeinflussen. Art. 12 Rom II-VO meint damit die Verletzung der weit verstandenen Offenlegungspflicht, nicht jedoch der Geheimhaltungspflicht. B. Abbruch von Vertragsverhandlungen Weiterhin ist zu untersuchen, was unter dem „Abbruch der Vertragsverhandlungen“ zu verstehen ist. Fraglich ist insbesondere, ob sich aus ErwG Nr. 30 Rom II-VO eine Verpflichtung zur Verhandlungsführung nach Treu und Glauben herleiten lässt. Aus dem Wortlaut der Rom II-VO ergibt sich dies nicht. ErwG Nr. 30 nennt nur den „Abbruch der Verhandlungen“ ähnlich wie die französische (la rupture de négociations contractuelles), die englische (the breakdown of contractual negotiations) und die polnische (zerwanie negocjacji umownych) Sprachfassung. Auch der Vorschlag für das GEK beinhaltet
94
Art. 296 II AEUV; vgl. Hess, IPRax 2006, 348 (354). Slg. 1989, 2789 (2808 Rn. 31). 96 Riesenhuber/Riesenhuber (2010), § 11 Rn. 36 f.; Anweiler (1997), 254 f. 95
1. Kapitel: Europarechtlicher Begriff der c.i.c.
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keine Bestimmung über den Verhandlungsabbruch. Andere unverbindliche Regelwerke wie die PECL, der DCFR und die UP begründen dagegen eine Verpflichtung zur Führung der Verhandlungen nach Treu und Glauben. Die Anerkennung einer Verpflichtung zur Führung der Verhandlungen gemäß der Generalklausel von Treu und Glauben kann aber insbesondere dann zu Auslegungsproblemen führen, wenn eine nationale Rechtsordnung das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben nicht kennt. Die Einordnung des Verhandlungsabbruchs als einen Fall des Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben würde daher eine unnötige Rechtsunsicherheit für den zwischenstaatlichen Rechtsverkehr einführen. Daher eröffnet vielmehr jedes Verhalten, das zum Abbruch der Vertragsverhandlungen und der Schadensentstehung führt, den Anwendungsbereich des Art. 12 Rom II-VO.97 Mithin richtet sich die Beurteilung darüber, ob die Pflicht zur Loyalität während der Verhandlungen verletzt wurde, nach nationalem Recht. C. Ergebnis Die vorvertraglichen Pflichten nach Maßgabe des gemeineuropäischen Begriffs der c.i.c. umfassen die Offenlegungspflichten (einschließlich der Informationspflichten). In der weiteren Untersuchung wird der Begriff der Offenlegungspflicht durch die Begriffe der Informations- und Aufklärungspflicht ersetzt. Des Weiteren umfasst die europäische c.i.c. auch den Abbruch der Vertragsverhandlungen, welcher aber nach dem Unionskollisionsrecht nicht der Verpflichtung zum Verhandeln nach Treu und Glauben gleichsteht. Für die Zwecke dieser Arbeit wird der Abbruch der Vertragsverhandlungen als eine Verletzung der vorvertraglichen Loyalitätspflicht verstanden. Die Fallgruppen der Verletzung der Offenlegungs- und Loyalitätspflichten werden im Folgenden zum Ausgangspunkt eines Rechtsvergleiches zwischen der polnischen und der deutschen Ausprägung der c.i.c.
97
Vgl. Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 31.1.2002 – Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7359 (Anm. 55).
Kapitel 2
Rechtsvergleich zwischen der culpa in contrahendo im deutschen und polnischen Recht § 3 Funktionen der Haftung aus der culpa in contrahendo § 3 Funktionen der Haftung aus der c.i.c.
A. Funktionen der culpa in contrahendo aus der Sicht des deutschen Rechts Die Untersuchung der c.i.c. im deutschen Recht erfolgt exemplarisch anhand dreier Funktionen der vorvertraglichen Haftung. Zunächst wird die Ausgleichsfunktion, sodann die Schutzfunktion und schließlich die Aushilfsfunktion analysiert. Auf diesem Weg wird die Bestimmung des Schutzzweckes der c.i.c. sowie der Position der c.i.c. im schuldrechtlichen Haftungssystem erfolgen. Es soll schließlich ermittelt werden, inwiefern die c.i.c. ein vom Vertrag und Delikt separates Haftungsregime bildet und eine selbstständige Rechtsinstitution darstellt. Ausgehend vom Ergebnis dieser Analyse kann die Frage beantwortet werden, welche Haftungsgrundsätze den bestmöglichen Schutz der Parteien in Vertragsverhandlungen gewährleisten. I. Verwirklichung des Gerechtigkeitsgedankens (Ausgleichsfunktion) Rechtsfolge der Haftung aus der c.i.c. ist der Schadensersatz.1 Dieser bezweckt die Wiedergutmachung erlittener Schäden i.S.v. ausgleichender Gerechtigkeit.2 Die ausgleichende Gerechtigkeit in der Begrifflichkeit der allgemeinen Rechtstheorie verfolgt die Maxime der Gleichwertigkeit von Tauschvorgängen.3 Ihr geht es also um die Äquivalenz der Leistungen sowie die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens.4 Indem die Haftung aus der c.i.c. den Ausgleich des entstandenen Schadens bewirkt, verwirklicht sie mithin den Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit. Im Folgenden wird untersucht, ob der Gedanke der ausgleichenden Gerechtigkeit im Rechtsverkehr ausschlaggebend für die Entwicklung der Haftungsgrundsätze der c.i.c. war.
1
Siehe § 5. NK-BGB/Magnus, vor §§ 249–255 Rn. 8. 3 Rüthers/Fischer/Birk (2013), Rn. 350. 4 Rüthers/Fischer/Birk (2013), Rn. 361. 2
2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
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1. Culpa in contrahendo in der Lehre von Rudolf von Ihering Die Idee der Haftung für die Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten, die den fairen Rechtsverkehr gewährleisten sollen, formulierte Rudolf von Ihering. Die Grundsätze sind in seiner Abhandlung „Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen“5 aus dem Jahre 1861 versammelt. Darin stellt er die Frage, „ob nicht der irrende Theil dem Gegner auf Ersatz des durch seine Schuld ihm verursachten Schadens hafte?“6. Die Antwort auf diese Frage war nicht einfach, da es zu diesem Zeitpunkt an einem Rechtsinstitut fehlte, welches die Haftung für solche Fälle vorgesehen hätte. von Ihering prüfte zunächst, ob sich der Haftungsgrund bei schon existierenden Klagen finden lasse, aber keine passte zur von ihm geschaffenen Haftungsart. Es war weder möglich, die vertraglichen Grundsätze anzuwenden, da der Vertrag nicht zustande gekommen war, noch die außervertraglichen in Form der actio Aquiliae, da es nicht um eine Beschädigung der eigentümlichen Art gegangen war.7 Für ihn war es nicht vertretbar, dass „[...] der culpose Theil frei ausgeht, der unschuldige das Opfer der fremden Culpa wird!“8. von Ihering ging daher davon aus, dass die vertragliche Sorgfaltspflicht sowohl für schon entstandene als auch für entstehende Vertragsverhältnisse gelte und ihre Verletzung den Anspruch auf vertraglichen Schadensersatz begründe.9 Die Zuordnung der Haftung zur Vertragsklage begründete er damit, dass das Verschulden, das im vorvertraglichen Stadium vorliegt, von derselben Art sei wie im Falle von vertraglichen Verhältnissen.10 Er schlussfolgerte, bei der Haftung aus der c.i.c. gehe es um eine vertragliche Schadensersatzklage, die das Verschulden auf Seiten des Beklagten verlange.11 Problematisch und erklärungsbedürftig blieb aber weiterhin das Fehlen eines Vertragsabschlusses. von Ihering fand auch für diese Hürde eine Lösung. Nach seiner Lehre entsteht die Vertragslage trotz Nichtigkeit des Vertrages, da der Abschluss des Vertrages nicht bloß eine Verpflichtung auf Erfüllung erzeuge, sondern unter Umständen auch eine Verpflichtung zum Schadensersatz.12 Der Begriff der Nichtigkeit des Vertrages meint demnach lediglich die fehlende Wirksamkeit des Vertrages und nicht den Wegfall aller mit ihm verbundenen Wirkungen.13 von Ihering erkannte schon seinerzeit die Vielfältigkeit der
5
von Ihering, in: von Ihering (1881), 327–425. von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (328). 7 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (328). 8 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (328). 9 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (372). 10 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (349). 11 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (356). 12 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (352). 13 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (354). 6
§ 3 Funktionen der Haftung aus der c.i.c.
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Lehre über die c.i.c. Ihm war bewusst, dass es unmöglich sei, über diese Haftung zu sprechen, ohne Fallgruppen herauszubilden. Aus diesem Grunde unterteilte er die Fälle der c.i.c. in drei Gruppen. Die erste Gruppe umfasste die Fälle von Unfähigkeit des Subjektes (Geschäftsunfähigkeit), die zweite die Fälle der Unfähigkeit des Objektes (anfängliche Unmöglichkeit, verschuldete Unwissenheit) und die letzte Gruppe bezog sich auf die Fälle der Unzuverlässigkeit des vertraglichen Willens (Rücknahme einer Offerte, Irrtum, Mangel an Ernsthaftigkeit).14 Die große Bedeutung der von von Ihering entwickelten Grundsätze für die Haftung aus der c.i.c. wurde durch die Autoren des BGB anerkannt, die beschriebenen Fälle wurden in das BGB übernommen. Aus seiner Lehre stammen die §§ 122, 179, 307, 309 BGB a.F. Allerdings wurden seine Anschauungen nicht vollständig rezipiert. So blieb offen, ob das Verschulden erforderlich ist. Diese Regelungslücke füllten Schrifttum und Rechtsprechung: Die eingeführte Haftung wurde auf das negative Interesse festgesetzt, ohne ein Verschulden zu fordern.15 Obwohl die Lehre von Iherings für die Kodifikation bedeutsam war, wurde sie teilweise auch durch die damalige Literatur kritisiert: Abgelehnt wurden zum einen die Annahme des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung,16 zum anderen die Verankerung in der Vertrags- und nicht in der Deliktsklage.17 2. Fortentwicklung der Lehre von Iherings durch Franz Leonhard von Ihering besprach nicht alle möglichen Fälle der Verletzung der vorvertraglichen Pflichten. Insbesondere blieb ein Fall außerhalb seiner Betrachtung, und zwar der Fall des fahrlässigen Verschweigens von vertragsabschlussrelevanten Informationen, der eklatant gegen das Gerechtigkeitsgefühl im Rechtsverkehr und damit auch gegen den guten Glauben verstößt. Diese Problematik wurde in der Lehre von Franz Leonhard aufgegriffen. Der Autor beschäftigte sich mit Fällen des fahrlässigen Verschweigens von Informationen, in denen es weder um einen unwesentlichen Mangel geht, den man nicht mitteilen musste, noch um ein arglistiges Verschweigen. Dementsprechend ging es um solche Fälle, die genau dazwischen liegen. Leonhard interessierte sich dafür, warum in einer so wichtigen Phase des Vertrages wie den Verhandlungen über dessen Inhalt keine Pflicht zur Sorgfalt existieren soll, diese aber sofort nach Vertragsabschluss entstehe.18 Aus diesem Grunde verglich er die Haftung für arglistiges Verschweigen von Informationen mit derjenigen für fahrlässiges 14
von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (376 ff.). Heinrich Stoll, LM 1923, 532. 16 Leonhard (1910), 59; Mommsen (1879), 13. 17 Dernburg (1886), 27 Fn. 8 – Er lehnt die c.i.c. auch für die Fälle des willkürlichen Abbruchs der Vertragsunterhandlungen ab; Windscheid (1906), § 307 Anm. 5. 18 Leonhard (1910), 29. 15
2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
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Verschweigen. Im Ergebnis stellte Leonhard fest, dass wie bei der Arglist auch bei der Fahrlässigkeit eine Sorgfaltspflicht schon beim Abschluss des Vertrages bestehe und ihre Verletzung eine vertragsmäßige und keine gesetzliche Haftung verursache.19 Die genannten Sorgfaltspflichten sind nach seiner Meinung von der Gültigkeit des Vertrages abhängig, denn erst dadurch, dass ein Vertrag zustande komme, erwachse die Verpflichtung der Partei, für ihr Verhalten einzustehen.20 Demnach verpflichtet nur eine rechtsgültige Einigung die Parteien zu einer besonderen Aufmerksamkeit.21 Die Verletzungshandlung müsse des Weiteren rechtswidrig und schuldhaft sein.22 Für die Feststellung des Verschuldens war nach Leonhard die Erheblichkeit der verschwiegenen Mängel entscheidend.23 Die Grundlage für die Haftung bilde dabei eine gesetzliche Analogie.24 Diese Ansicht begründete Leonhard damit, dass es sich oft gar nicht feststellen lasse, in welchem Zeitpunkt die Fahrlässigkeit geschah: vor oder nach dem Vertrag.25 Die Annahme der Rechtsanalogie als Stütze der Haftung für die c.i.c. wurde von der Literatur überwiegend positiv rezipiert und vom Reichsgericht in seiner Rechtsprechung übernommen.26 Allerdings klärte Leonhard nicht, inwieweit die Parteien für ihr Verhalten vor Vertragsschluss einstehen müssten.27 Das ist vor allem deswegen problematisch, weil die Entstehung der Sorgfaltspflichten von einem gültigen Vertrag abhängig gemacht wurde. Als Folge hängen die Haftung und ein damit verbundener Schadensersatz nur vom Zufall ab. Die Begründung der Lehre baut somit auf der reinen Fiktion der Pflichtentstehung auf.28 Auch der von Leonhard vertretene Umfang des Schadensersatzes, nämlich die Einbeziehung des positiven Interesses zusätzlich zum negativen Interesse, wurde von anderen Autoren mit dem Argument abgelehnt, das Gesetz lege für den Ersatz des positiven Interesses eine höhere Haftungsschwelle zugrunde, die durch ein Verschulden bei Vertragsschluss nicht überschritten werde.29
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Leonhard (1910), 44. Leonhard (1910), 44, 58. 21 Leonhard (1910), 58. 22 Leonhard (1910), 60, 63. 23 Leonhard (1896), 35. 24 Leonhard (1910), 50; ders. (1929), 546; vgl. Kreß (1929), 584. 25 Leonhard (1929), 546. 26 RGZ 104, 265 (267); 107, 357 (362); 120, 249 (251); R. Kaiser, AcP 127 (1927), 1 (29). Regelsberger ging zwar vom Bedürfnis eines gültigen Vertrages aus, sah aber anders als Leonhard die Begründung nicht in einer Analogie zu den bestehenden Vorschriften des BGB, sondern in der Jurisprudenz (Regelsberger, IJB 58, 146 (172)). 27 Heinrich Stoll, LM 1923, 532 (533). 28 Heinrich Stoll, LM 1923, 532 (540); R. Kaiser, AcP 127 (1927), 1 (21); Böhme (1964), 44 f.; Hildebrandt (1931), 79. 29 Oertmann, LZ 1914, 513 (519); vgl. Krückmann, IJB 59, 233 (326), der die Anzeigepflicht als eine selbstständige Nebenverpflichtung sieht. 20
§ 3 Funktionen der Haftung aus der c.i.c.
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3. Übernahme der Lehre durch das Reichsgericht Sowohl Elemente der Lehre Iherings als auch Leonhards (Zielvertragstheorie) wurden in der Rechtsprechung des Reichsgerichts aufgegriffen. Zu nennen ist hier vor allem die Einordnung der Haftung aus der c.i.c. unter die Grundsätze des vertraglichen Schadensersatzes und die Abhängigkeit der Existenz der Verpflichtung zur Sorgfalt vom zukünftigen Vertrag. In diesem Zusammenhang ist die Entscheidung „Luisinlicht“30 vom 26. April 1912 nennenswert. In diesem Fall übertrug die Klägerin der Beklagten den Vertrieb mehrerer Fabrikate für die Dauer von zehn Jahren, ohne der Beklagten die patentrechtlichen Ansprüche der Konkurrenz mitzuteilen. Die Möglichkeit des Vertriebs des Luisinlichts war für die Interessen der Beklagten von ausschlaggebender Bedeutung: Von der ungestörten Ausübung des Vertriebs hing die Erfüllung des Vertragszwecks wesentlich ab. Nach Auffassung des Reichsgerichts hatte die Klägerin die rechtliche Pflicht, der Beklagten vor dem Vertragsschluss die Ansprüche der Konkurrenz und deren Verwarnungen mitzuteilen.31 Diese Pflicht, die schon bei den Vertragsverhandlungen entstand, folgte, weil die Beklagte die Offenbarung und Aufdeckung dieser Tatsachen nach Treu und Glauben und nach der Auffassung des redlichen und reellen Geschäftsverkehrs erwarten durfte.32 Das Reichsgericht stellte auch fest, dass die rechtliche Pflicht zur Kundgebung der fraglichen Tatsachen in gleicher Weise vor und nach Abschluss des Vertrages bestand.33 Die zum Vertrag führenden Verhandlungen und der Abschluss des Vertrages bilden hiernach ein einheitliches Ganzes.34 Das erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien wurde durch einen rechtsgültig gewordenen Vertrag begründet.35 Diese Grundsätze fanden dauerhaft Eingang in die Rechtsprechung des Reichsgerichts.36 In seiner Entscheidung vom 24. September 1918 nahm das Reichsgericht ähnlich wie im Luisinlichtfall37 eine Haftung dann an, wenn „[...] ein Vertrag gültig geschlossen worden ist und eine Partei beim Vertragsschluß die Umstände, von denen sie wußte oder sich sagen mußte, daß sie für den Willensentschluß des anderen Teils von wesentlicher Bedeutung seien, fahrlässigerweise verschwiegen oder darüber unrichtige Angaben gemacht hat.“38 30
RG, JW 1912, 743 f. RG, JW 1912, 743. 32 RG, JW 1912, 743. 33 RG, JW 1912, 743. 34 RG, JW 1912, 743 (744); a.A. Hildebrandt (1931), 81. 35 RG, JW 1912, 743 (744). 36 RGZ 65, 17 (19); 66, 402 (405); 88, 103 (105); 95, 58 (60); 97, 325 (336); 103, 47 (50). 37 RGZ 95, 58. 38 RGZ 95, 58 (60). 31
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Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Verwirklichung des rechtstheoretischen Gedankens der ausgleichenden Gerechtigkeit im Rechtsverkehr den Anlass zur Entwicklung der Haftungsgrundsätze für c.i.c. gab. II. Schutzfunktion Die Analyse der Schutzfunktion der c.i.c. wird sowohl hinsichtlich der Grundwertungen des Privatrechts wie Vertrauensschutz, Privatautonomie und Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs, als auch hinsichtlich der individuellen Interessen wie Vermögen und rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit betrachtet. 1. Grundwertungen a) Schutz des Vertrauens Im weiteren Verlauf der Entwicklung der Lehre über die c.i.c. wurde ihre Funktion um den Vertrauensschutz erweitert. Sie schützt insoweit das Vertrauen der Verhandlungspartei darauf, während der Verhandlungen über alle vertragswichtigen Umstände aufgeklärt und durch die andere Partei nicht in Gefahr gebracht zu werden.39 Voraussetzung hierfür ist das Bestehen einer Vertrauenslage, die auf dem zwischen den Verhandelnden entstehenden vertragsähnlichen Verhältnis beruht. Weiter zu untersuchen sind die Reichweite des schützenswerten Vertrauens sowie die Quellen für die Entstehung der Vertrauenslage. aa) Begriff des Vertrauens Der Begriff „Vertrauen“ wird im Schrifttum unterschiedlich ausgelegt. Manche Autoren40 lehnen ihn für den wissenschaftlichen Bereich ganz ab. Sie befürchten Missverständnisse, da mit Vertrauen eher emotionale, persönliche Aspekte verbunden sind, und bevorzugen stattdessen den im Unterschied zu Vertrauen neutralen und technischen Begriff „legitime Erwartungen“, welche einen antizipativen Bewertungsstandard darstellen.41 Die Erwartungen gründen auf der Bewertung der zukünftigen Eigenschaften und Handlungen des Erwartenden oder des Erwartungsadressaten.42 Von rechtlichem Belang sind nur die normativen Erwartungen, die die Anwendung des Vertrauenshaftungsgedankens begrenzen sollen.43 „Erwartungen“ haben trotz der eben dargestellten An-
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Eichler (1950), 11. Köndgen (1981), 116. 41 Köndgen (1981), 116. 42 Köndgen (1981), 116. 43 Köndgen (1981), 117. 40
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sicht doch ähnlich wie bei dem Begriff „Vertrauen“ emotionale und persönliche Inhalte. Ferner stehen sie in enger Verbindung mit dem Vertragsrecht, wodurch ihre Anwendung irreführend sein kann. Der Begriff des „Vertrauens“ ist daher vorzugswürdiger. Vertrauen ist eine Gefühlslage mit einer gewissen Dauer und Gleichmäßigkeit, die den Vertrauenden und den Gegenstand des Vertrauens miteinander in stetiger Verbindung hält.44 Dieses ist eine Definition des faktischen Vertrauens, die eher ein psychologisches und soziales Phänomen meint.45 Eine solche Definition ist für das Rechtsleben jedoch von geringer Bedeutung, denn oft ist das reine Vertrauen einer Vertragspartei nicht ausreichend, um den Rechtsschutz zu ihren Gunsten zu begründen. Deswegen ist es weitaus wichtiger, eine Definition des Vertrauens zu finden, die das normative, rechtlich geschützte Vertrauen umfasst. Ein solcher Begriff ist dadurch gekennzeichnet, dass das Vertrauen stets auf einen Zustand oder auf ein künftiges Geschehen gerichtet ist.46 Es wird nur ein berechtigtes und schutzwürdiges Vertrauen erfasst. Dazu muss eine ausreichend gesicherte Vertrauensgrundlage vorliegen, die in Situationen zum Ausdruck kommt, in denen man vertrauen kann, ohne sich dem Vorwurf des Leichtsinns auszusetzen.47 Wenn eine unzureichende Kompetenz oder eine unzureichende Informationsbasis von Seiten des Erklärenden erkennbar ist, darf die andere Seite nicht vertrauen, denn Leichtsinn ist durch die Rechtsordnung nicht geschützt.48 Das reine Vertrauen auf die guten Absichten der Gegenpartei stellt dagegen kein schutzwürdiges Vertrauen dar. Obwohl die innere Seite des Vertrauenden grundsätzlich von Bedeutung ist, ist wegen der Beweisproblematik vornehmlich das normative, legitime Vertrauen entscheidend. bb) Quellen des Vertrauensschutzes Für die Entstehung eines Schuldverhältnisses, das den Schutz des Vertrauens zum Inhalt hat, gibt es unterschiedliche Begründungen. Manche Autoren vertraten die Idee eines stillschweigenden Vertrages:49 Die Grenze zwischen den ausschließlich gesellschaftlichen und den rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien bilde vielfach nämlich nicht erst der fertige Vertrag, sondern schon der Eintritt in die Vertragsverhandlungen.50 Diese Ansicht setzt voraus, dass die Parteien die Grenze des nur Gesellschaftlichen willentlich überschritten und bereits den Bereich der geschäftlichen Verhandlungen betreten 44
Rumpf, AcP 119 (1921), 1 (21). Rehm (2003), 192. 46 von Craushaar (1969), 13; vgl. Bohrer (1980), 91. 47 von Craushaar (1969), 23; vgl. Eichler (1950), 19. 48 Schwarze (2008), § 33 Rn. 7. 49 Siber, IJB 70, 223 (258); Heinrich Stoll, LM 1923, 532 ff. 50 Siber, IJB 70, 223 (258). 45
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haben.51 Die Ersatzpflicht beruht danach stets auf der Verletzung der schon bei den Hauptvertragsverhandlungen bestehenden, also nicht erst durch einen Hauptvertrag begründeten primären Pflichten.52 In der Literatur befürwortete man zum Teil die Möglichkeit einer Rahmenbeziehung.53 Bei der Rahmenbeziehung hat jede Partei die Pflicht, die Verletzung des ihr bekannten und in den Gefährdungskreis der Rahmenbeziehung getretenen Interessenkreises der anderen Partei zu vermeiden.54 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat dagegen für die Begründung der Haftung aus der c.i.c. auf den Vertrauensgedanken abgestellt. Zuerst wurde die Lehre von Heinrich Stoll, also die Annahme einer Haftung auch ohne den Abschluss eines Vertrages, von der Rechtsprechung des Reichsgerichts aufgegriffen.55 In späteren Entscheidungen berief sich das Gericht direkt auf den Vertrauensgedanken.56 Nachfolgende Lehren zur c.i.c. gingen dagegen davon aus, dass § 242 BGB ein Pflichtmaßstab für die vorvertragliche Haftung sei: Wer Gläubiger und Schuldner werden will, der muss sich schon vorher gemäß Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verhalten.57 Spätestens seit der Schuldrechtsreform 2002 wird die Grundlage des Vertrauensschutzes allgemein im gesetzlichen Schuldverhältnis gesehen (§ 311 II BGB). Aus dem Dargestellten ergibt sich, dass die Entstehung des Vertrauensschutzes auf mehrere Quellen gestützt werden kann. Im Folgenden wird daher näher auf die einzelnen Quellen der Vertrauenslage und damit des Vertrauensschutzes eingegangen. (1) Einseitiges Rechtsgeschäft bei Heinrich Stoll Zu einem möglichen Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsverhandlungsparteien äußerte sich erstmals Heinrich Stoll,58 der sich mit zwei Rechtsfragen beschäftigte. Erstens beschäftigte ihn die Frage, ob die gesetzliche Regelung irgendeine Rechtspflicht für das Stadium der Vertragsverhandlungen vorsehe, und zweitens, ob wegen der Verletzung dieser Pflicht ein Verschulden für den Schadensersatz notwendig sei.59 Um die erste Frage zu beantworten, untersuchte er die Vorschriften des damals geltenden Zivilrechts. Hiernach bestünden zwar schon im Stadium der Vertragsvorbereitung Rechtspflichten unter den Verhandelnden, diese setzten aber einen gültigen Vertragsabschluss 51
Siber, IJB 70, 223 (259). Siber, IJB 70, 223 (259, 261). 53 Herholz, AcP 130 (1929), 257 (295 f.). 54 Herholz, AcP 130 (1929), 257 (297). 55 RGZ 78, 239 ff.; RG, JW 1913, 23 ff.; RGZ 104, 265; 107, 357 ff. 56 RGZ 120, 249 (251). 57 Bohrer (1980), 166. 58 U.a. Heinrich Stoll, LM 1923, 532 ff. 59 Heinrich Stoll, LM 1923, 532 (536 f.). 52
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voraus.60 Bei der c.i.c. fehlt es aber gerade an dieser Voraussetzung. Um diesen Mangel bei den Anforderungen der vertraglichen Haftung zu umgehen, begründete Heinrich Stoll die c.i.c. in einem Schuldverhältnis, das seine Grundlage in einem einseitigen Rechtsgeschäft des Vertragsangebotes oder der Aufforderung zum Eintritt in die Vertragsbesprechungen habe: Damit seien die Parteien an die Beachtung der Sorgfalts-, Aufklärungs- und Mitteilungspflichten ohne einen Vertragsabschluss gebunden.61 Hinsichtlich der zweiten Frage stellte Stoll fest, dass nur die schuldhafte Verletzung dieser Pflichten durch eine Partei selbst oder deren Gehilfen sie zum Ersatz des dadurch hervorgerufenen Schadens im Rahmen des negativen Interesses verpflichte.62 Heinrich Stoll begriff das Schuldverhältnis als einen „Organismus“, der die Erscheinungsformen beliebig wechseln kann.63 So kann er beim Vertragsabschluss z.B. die typische Gestalt eines Kaufes annehmen oder in dem Gewand eines Auflösungsverhältnisses auftreten.64 Die Schwäche dieser Lehre war eine bedenkliche Verwischung der begrifflichen Grenzen des Schuldverhältnisses.65 Sie konnte auch nicht klar genug darlegen, dass der Haftungsbeginn im einseitigen Rechtsgeschäft zu sehen ist.66 Ein solches stillschweigendes Versprechen ist eine willkürliche Fiktion, da nicht feststeht, woraus der Inhalt des Versprechens entnommen werden soll.67 Vielmehr entstehen die vorvertraglichen Verpflichtungen mit dem Eintritt in die Verhandlungen, auch ohne als gewollt bezeichnet zu sein.68 (2) Vertragsvorbereitendes Rechtsverhältnis in der Rechtsprechung Trotz ihrer Schwächen wurde die Lehre von Heinrich Stoll ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts. Als bekanntester Fall gilt „Linoleumrolle“69, mit dem erstmals ein neuer Kurs in der Rechtsprechung des Reichsgerichts festgelegt wurde. Demnach bedarf es keines gültigen Vertrages, um die Sorgfaltspflichten im vorvertraglichen Bereich zu begründen. Zunächst galt diese Lehre für die Verletzung der Obhutspflichten. Nach Auffassung des Reichsgerichts bezweckte das Verhalten im Vertragsvorfeld die Hervorbringung eines Kaufs, d.h. einen rechtsgeschäftlichen Erfolg.70 Dieses den Kaufvertrag
60
Heinrich Stoll, LM 1923, 532 (537 f.). Heinrich Stoll, LM 1923, 532 (545); ders. (1936), 176. 62 Heinrich Stoll (1936), 176; ders., LM 1923, 532 (546). 63 Heinrich Stoll, LM 1923, 532 (544). 64 Heinrich Stoll, LM 1923, 532 (544); a.A. Herholz, AcP 130 (1929), 257 (282 f.). 65 Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (504). 66 Hildebrandt (1931), 91 f. 67 Leonhard (1896), 33. 68 Hildebrandt (1931), 90 f. 69 Entscheidung v. 7.12.1911, RGZ 78, 239 ff. 70 RGZ 78, 239 (240). 61
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vorbereitende Verhalten bildet hiernach keinen tatsächlichen Vorgang, sondern führt vielmehr zur Entstehung eines den Kauf vorbereitenden Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien, das einen vertragsähnlichen Charakter hat.71 Diese rechtsgeschäftliche Verbindlichkeit erzeugt die Pflicht, bei der Vorlage und der Besichtigung der Ware die gebotene Sorgfalt für die Gesundheit und das Eigentum des jeweils anderen Teils zu berücksichtigen.72 Die im „Linoleumrollenfall“ vertretene Meinung des Reichsgerichts wurde in der Entscheidung zum „Ständerfall“ vom 26. September 191273 bestätigt. Zwar lehnte das Reichsgericht im Ergebnis einen Schadensersatzanspruch ab, nahm aber ähnlich wie im „Linoleumrollenfall“ die vertragsmäßige Haftung der Gesellschaft für ihre Gehilfen gem. § 278 BGB an. Die Voraussetzung des abgeschlossenen Vertrages wurde auch in späteren Entscheidungen für die Verletzungen der vorvertraglichen Aufklärungspflichten abgelehnt. In der Entscheidung im „Weinsteinsäurefall“74 vom 5. April 1922 sprach das Reichsgericht trotz Fehlens eines zustande gekommenen Vertrages einen Schadensersatzanspruch aus der c.i.c. zu. Da man nicht erkennen konnte, welche Partei Verkäufer und Käufer war, nahm das Reichsgericht hier einen Dissens an.75 Die Haftung leitete es aus der Rechtsanalogie zu § 122 BGB her.76 Weiterhin wurde auch in der Entscheidung im „Aufwertungsfall“ vom 28. November 192377 das Erfordernis des gültigen Vertrages als Voraussetzung für die Haftung aus der c.i.c. abgelehnt. Nach Auffassung des Reichsgerichts entstehen schon vor Abschluss des Vertrages zwischen den Parteien gewisse auf Treu und Glauben beruhende Sorgfaltspflichten, insbesondere Pflichten zur Mitteilung und Offenbarung von Umständen, die den Entschluss über den Abschluss und die Gestaltung des Vertrages beeinflussen können; deren Nichterfüllung ziehe daher sowohl beim Zustandekommen des Vertrages wie auch bei Nichtzustandekommen Schadensersatzverpflichtungen nach sich.78
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RGZ 78, 239 (240). RGZ 78, 239 (240); vgl. Siber, IJB 70, 223 (260); Fischbach, ABR 41 (1915), 160 (161 f.). 73 RG, JW 1913, 23 ff. 74 RGZ 104, 265; auch als Bericht v. F. Bitter und H. Schrömbgens in: JW 1912, 1313– 1315. 75 RGZ 104, 265. 76 RGZ 104, 265; a.A. E. Levy, JW 1922, 1313 (Anm. 1) – Rechtsanalogie zu § 307 BGB a.F. 77 RGZ 107, 357 ff. 78 RGZ 107, 357 (362). 72
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(3) Rechtsgeschäftlicher Kontakt Die rechtsgeschäftliche Grundlage des Schuldverhältnisses, die von Heinrich Stoll und der Rechtsprechung vertreten wurde, traf im Schrifttum auf Ablehnung. Kritisiert wurde vor allem das Zugrundelegen einer fiktiven Haftungsgrundlage, welche mit der Gewährleistung der Sicherheit im Verkehrsleben nicht zu vereinbaren sei. Dies führte zu einer Wandlung in der Rechtsprechung und im Schrifttum. Das Verschulden bei Vertragsschluss wurde nunmehr als gesetzliches Schuldverhältnis betrachtet, das sich auf die Inanspruchnahme von gewährtem Vertrauen zurückführen lässt.79 Es handelt sich hiernach nicht um eine „gewollte“, sondern um eine vom Gesetz auferlegte Verpflichtung.80 Kraft dieses Schuldverhältnisses seien die Verhandlungspartner einander zu billiger Rücksichtnahme und zu sorgfältigem Verhalten verpflichtet mit der Folge, dass bei einer schuldhaften Verletzung dieser Pflicht der verantwortliche Teil dem geschädigten Partner den auf enttäuschtem Vertrauen beruhenden Schaden zu ersetzen habe.81 Diese Begründung für die Entstehung der Schutzpflichten im Vorfeld des Vertragsabschlusses wurde auch von der Rechtsprechung übernommen.82 (a) Lehre von Kurt Ballerstedt Kurt Ballerstedt vertrat die vertragsähnliche Haftung kraft des rechtsgeschäftlichen Kontaktes für die vorvertraglichen Pflichtverletzungen. In dieser Haftungsart sah Ballerstedt keine willentliche Haftungsverpflichtung des Verhandlungspartners, wie sie die früheren Lehren ausgemacht haben, sondern eine rechtsnotwendige.83 Die im Schrifttum verbreitete Haftungsgrundlage als ein gesetzliches Schuldverhältnis lehnte Ballerstedt ab, da sie die Rechtfertigung der Verpflichtung des Verhandlungspartners weiter ungeklärt ließ.84 Er sah die Begründung der Entstehung der Verpflichtung daher vielmehr in der Inanspruchnahme des Vertrauens eines anderen Teils.85 Erst dieses Vertrauen auf die erklärte Absicht begründet danach ein Rechtsverhältnis. Die von Ballerstedt entwickelte Verpflichtung durch die Gewährung eines in Anspruch genommenen Vertrauens beruht auf einem zweiseitigen Tatbestand: Auf der einen Seite steht das Verhalten des einen Partners, das nach den Grundsätzen der Redlichkeit und nach seiner sozialen Erscheinungsform geeignet ist, Vertrauen zu erwecken, und auf der anderen Seite liegt die Gewährung von Vertrauen in 79
Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435; Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (505). Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (505). 81 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435. 82 BGHZ 6, 330 (333); 60, 221 (223 f.); vgl. BGH, NJW 1981, 1035 (1036). 83 Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (505). 84 Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (505 f.). 85 Ballerstedt, AcP 151 (1961), 501 (506); vgl. Nirk, in: FS Möhring (1975), 71 (73); Medicus, JuS 1965, 209 (213). 80
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eben diesem Verhalten durch den Verhandlungspartner.86 Diese Vertrauensverpflichtung gleicht nicht der Verpflichtung kraft Willenserklärung.87 Vielmehr liegt ihr die Enttäuschung des berechtigten Vertrauens zugrunde.88 Das tatsächliche Vertrauen reicht demnach nicht aus, vielmehr muss der Partner „vertrauensfähig“ sein.89 (b) Lehre von Hans Stoll und Rudolf Nirk Ballerstedts Theorie über das Vertrauen wurde teilweise von Hans Stoll aufgegriffen. Zwar nahm er ebenfalls an, dass die Haftung für die c.i.c. nicht auf dem Parteiwillen beruhe, anders als Ballerstedt sah er den Haftungsgrund jedoch in einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das vertragsähnliche Wirkungen hervorrufe.90 Er begriff die c.i.c. als eine Haftung für das gegebene Wort, die grundsätzlich auf einem einseitigen Leistungsversprechen basiert, sofern durch ein solches Versprechen Vertrauen in Anspruch genommen wird.91 Stoll setzte für die c.i.c. ein Schutzbedürfnis dieses Vertrauens voraus, welches er dann als gegeben sah, wenn das einseitige Versprechen beim Verhandlungspartner eine legitime Leistungserwartung begründete.92 Er differenzierte weiter die vertragsähnliche Haftung kraft Vertrauensbindung von Fällen der Zufügung eines Personen- oder Sachschadens durch die Verletzung einer Verhaltenspflicht während der Vertragsverhandlungen, die reine Deliktsfälle sind.93 Nach der Lehre von Stoll umfasste die c.i.c. neben der Haftung für einen grundlosen Abbruch der Verhandlungen, die als „das schwächere Surrogat“ des Kontrahierungszwangs gesehen wurde,94 die Haftung wegen des Abschlusses eines nicht erwartungsgerechten Vertrages, die ein schwächeres Surrogat des Rechts auf Erfüllung darstelle.95 In beiden Fällen der Haftung wird die schuldhafte Enttäuschung des Vertrauens vorausgesetzt.96 Hans Stoll lehnte einen zu schnellen Zugriff auf die Lehre über die c.i.c. in den Fällen des Abschlusses eines nicht erwartungsgerechten Vertrages ab und plädierte für 86
Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (Fn. 17). Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (508). 88 Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (510). Es wurde ihm vorgeworfen, dass er keine Kategorie des allgemeinen und besonderen Vertrauens kennt: Dadurch ist der Vertrauenspartner schlechthin zur vorvertraglichen Sorgfalt verpflichtet, Bohrer (1980), 169. 89 Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (508). Auf die Unterscheidung der Verpflichtung kraft Willenserklärung und Inanspruchnahme des gewährten Vertrauens weist auch Flume, AcP 161 (1962), 52 (63) hin. 90 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (447). 91 Hans Stoll, in: FS Flume, 741 (741, 755); a.A. Gernhuber (1989), 576. 92 Hans Stoll, in: FS Flume, 741 (753). 93 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (452). 94 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (446, 450). 95 Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (282). 96 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (446 f., 449 ff.). 87
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die Möglichkeit der Anpassung des Vertrages gem. § 313 BGB (§ 242 BGB a.F.).97 Rudolf Nirk vertrat eine vergleichbare Ansicht. Ihm zufolge basiert die c.i.c. auf einem einheitlichen (gesetzlichen) Schuldverhältnis, das durch die Gewährung und die Inanspruchnahme von besonderem Vertrauen entsteht und keine primäre Leistungspflicht, sondern „Schutzpflichten in contrahendo“ setzt.98 Der Kern dieses Schuldverhältnisses liegt demnach in einem besonderen Vertrauen desjenigen, der sich zum Zwecke von Vertragsverhandlungen in den Einflussbereich des anderen Teils begibt, und in den Verhaltenspflichten, die dem anderen Teil daraus und aus dem Gebot von Treu und Glauben erwachsen.99 (c) Vertrauensgedanke nach Claus-Wilhelm Canaris Claus-Wilhelm Canaris beschreibt die Haftung aus der c.i.c. als eine „gesetzliche“ Haftung, die auf Fälle des „rechtsgeschäftlichen Kontakts“ beschränkt sei.100 Der Haftungsgrund liege in der Inanspruchnahme und Gewährung des Vertrauens.101 In der Aufnahme des geschäftlichen Kontaktes sieht Canaris nur eine reine Tathandlung, bei der der Parteiwille bedeutungslos sei.102 Aus diesem Grunde seien die Vorschriften bezüglich des Vertrages nicht unmittelbar anwendbar.103 Die Begründung für das Bestehen der vorvertraglichen Pflichten liegt nach Canaris in der Anerkennung der privatautonomen Gestaltungsfreiheit durch die Rechtsordnung und in der damit verbundenen Sorge für einen Ausgleich der daraus folgenden Risiken.104 Die spezifischen Gefahren (Risiken), die ein (privatautonomes) rechtsgeschäftliches Handeln nach sich zieht, werden nach Canaris in erster Linie dadurch hervorgerufen, dass sich die betroffenen Personen auf bestimmte Erklärungsakte „verließen“ oder dass sie ihre Rechtsgüter der Einwirkungsmöglichkeit des Partners aussetzten, diese dem Partner somit „anvertrauten“.105 Grundlage der Einstandspflicht ist demgemäß das Aufkommen für die Folgen einer abgegebenen fehlerhaften Erklärung.106 Diese Art der Haftung bezeichnet er als Erklärungshaftung. Die
97
Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (460–467). Nirk, in: FS Möhring (1975), 71 (73). 99 Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (392 f.). 100 Canaris (1971), 429, 443. 101 Canaris, NJW 1964, 1987. 102 Canaris, NJW 1964, 1987 (1988). 103 Canaris, NJW 1964, 1987 (1988). 104 Canaris (1971), 440; nach W. Flume tritt die c.i.c. nicht kraft privatautonomer Gestaltung ein, sondern kraft rechtlicher Wertung eines Verhaltens (Flume, AcP 161 (1962), 52 (63); vgl. ders. (1975), 132 f.). 105 Canaris (1971), 440. 106 Canaris (1971), 532. 98
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Haftung aus der c.i.c. wurde von Canaris deshalb auch als ein Korrelat der privatautonomen Gestaltungsfreiheit bezeichnet.107 (4) Sozialer Kontakt Neben den Theorien, welche das vorvertragliche Pflichtverhältnis kraft des rechtsgeschäftlichen Kontaktes entstehen lassen, bildete sich eine Lehre heraus, welche das Pflichtverhältnis auf den sozialen Kontakt der Verhandlungsparteien gründet. Die Hauptvertreter dieser Lehre sind Günter Haupt, Hans Dölle und Arwed Blomeyer. Blomeyer definierte den sozialen Kontakt als Herbeiführung des Rechtsgüterkontaktes zu sozial adäquaten Zwecken wie etwa einem Vertragsschluss.108 Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Haupt: Vertragsverhältnisse kämen nicht aufgrund des Vertrages, sondern aufgrund der tatsächlichen Vorgänge zustande; dazu gehöre auch die c.i.c.109 Das Element, das ein Verhältnis zwischen zwei Personen zu einem vertraglichen erhebt, ist danach die objektiv verwirklichte Tatsache des besonderen sozialen Kontaktes. Der Inhalt eines solchen Verhältnisses sei nach den Tatumständen des Einzelfalles zu beurteilen.110 Als Verschulden beim Vertragsabschluss wird von Haupt neben der Verletzung der Erhaltungspflichten auch die Verletzung der Anzeige- und Erkundigungspflichten gesehen.111 Hans Dölle begründete die Haftung aus der c.i.c. dagegen damit, dass die Beteiligten einander – oder wenigstens der eine Beteiligte dem anderen – ein besonderes Vertrauen entgegengebracht hätten, indem sie die eigenen Rechtsgüter bewusst zur Erreichung des mit dem sozialen Kontakt verfolgten Zweckes dem Einfluss und damit der Obhut und Sorgfalt des anderen anvertrauten und in diesem Vertrauen nicht enttäuscht werden dürften.112 Den Rechtsgrund für die Entstehung der Aufklärungspflichten machte Dölle an einem besonderen sozialen Vertrauenskontakt rechtsgeschäftlicher Intention fest.113 Die Parteien eines solchen Vertrauenskontakts seien zur Aufklärung nur über solche Tatsachen verpflichtet, die für die Entschließung einer Partei in Bezug auf das bestehende oder in Aussicht gestellte rechtsgeschäftliche Verhältnis von Belang seien.114 Die Rechtsquellen für die Aufklärungspflichten sah Dölle entweder unmittelbar oder mittelbar im Gesetz.115 Mittelbar ließen sich die Aufklärungspflichten entweder durch analoge Anwendung gesetzlicher Regelung, 107
Canaris (1971), 440. Blomeyer (1969), 72. 109 Haupt (1943), 8 f. 110 Haupt (1943), 11. 111 Haupt (1943), 11 f. 112 Dölle, ZStW 1943, 67 (74). 113 Dölle, ZStW 1943, 67 (88). 114 Dölle, ZStW 1943, 67 (88). 115 Dölle, ZStW 1943, 67 (88 f.). 108
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aus einem Gebot von Treu und Glauben oder aus einer Ergänzung des Parteiwillens gewinnen.116 Nach dieser Lehre ist der Abbruch der Vertragsverhandlungen nicht von der Haftung nach der c.i.c. umfasst. cc) Ergebnis Die Analyse hat gezeigt, dass das „Vertrauen“ sowohl beim Abbruch von Vertragsverhandlungen als auch bei der Verletzung der Aufklärungspflichten und der Herbeiführung eines unerwünschten Vertrages geschützt wird. Grundsätzlich bezieht sich in den genannten Fällen das „Vertrauen“ auf den gleichen Aspekt – das Zustandekommen eines erwünschten Vertrages. Im ersten Fall ist das Vertrauen dahingehend konkretisiert, dass ein Vertrag überhaupt abgeschlossen wird, im zweiten dagegen, dass er den versprochenen Inhalt hat. Die Grundlage für diesen Schutz stellt ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht dar, welches die Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei stipuliert. Ein solches Schuldverhältnis ergibt sich schon wegen § 311 II BGB immer aus dem geschäftlichen Kontakt. Ein nicht spezifisch auf den Abschluss eines Geschäfts gerichteter, alltäglicher sozialer Kontakt kann nicht ausreichend sein, um den Anwendungsbereich der vorvertraglichen Haftung zu eröffnen. Die Theorie über die Begründung der c.i.c. aus dem sozialen Kontakt ist im Anschluss an Heinrich Lehmann117 abzulehnen. Die Theorie vom sozialen Kontakt ist tatsächlich viel zu weit und unscharf, um als vorvertragliche Haftungsgrundlage zu dienen. Es ist weder zweckmäßig noch stimmig, die Lehre über den rechtsgeschäftlichen Kontakt über Bord zu werfen und durch einen unspezifischen sozialen Kontakt zu ersetzen, dann aber für die Begründung der Aufklärungspflichten einen sozialen Kontakt rechtsgeschäftlicher Natur vorauszusetzen. Im Folgenden wird daher die allgemein anerkannte Lehre über den rechtsgeschäftlichen Kontakt zugrunde gelegt. Da die Merkmale eines normativen Vertrauens vorliegen müssen, ist nicht jedes Vertrauen geschützt. Auf Seiten des Vertrauenden muss ein Zustand des Vertrauendürfens gegeben sein. Der subjektive Bestandteil des Vertrauens ist für die Annahme eines normativen Vertrauens nicht völlig ohne Bedeutung. Aufgrund der Beweisschwierigkeit des inneren Vertrauens ist es aber grundsätzlich für die Annahme eines schutzwürdigen Vertrauens ausreichend, dass die Partei objektiv vertrauen durfte und dabei nicht bösgläubig war. b) Schutz der Privatautonomie Privatautonomie ist die Befugnis einer Person, ihre Rechtsbeziehungen zu anderen Personen selbstständig und eigenverantwortlich nach ihrem eigenen 116 117
Dölle, ZStW 1943, 67 (88 f.). H. Lehmann, IJB 90, 131–144.
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Willen zu regeln.118 Die Vertragsfreiheit gewährleistet die Entschließung sowohl über die Begründung des Vertragsverhältnisses und die Auswahl des Partners als auch über die Bestimmung des Inhalts ihrer Rechtsbeziehungen.119 Sie hat ihren Grund in der Beachtung der Selbstbestimmung einer Person und mit dem Vertrauensgedanken nichts zu tun.120 Sie wurzelt im Wert der Freiheit sowie in der Menschenwürde.121 Für die Haftung aus c.i.c. bedeute die Privatautonomie die Übernahme der Verantwortung für den Schutz desjenigen, der sich mit Rücksicht auf die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit privatautonomer Gestaltung zur Anbahnung rechtsgeschäftlicher Beziehungen in einen fremden Einflussbereich begebe oder in diesen hineingezogen werde und daher schon im Vorbereitungsstadium eines Vertrages einem größeren Schadensrisiko ausgesetzt sei, als dies im alltäglichen Zusammenleben der Menschen der Fall ist.122 Die loyale Verhandlungsführung stelle die Kehrseite der eingeräumten privatautonomen Gestaltungsmöglichkeit dar, die den Parteien eine gegenüber den normalen außervertraglichen Umständen gesteigerte Verantwortung auferlege, mit dem Ziel den störungsfreien Ablauf des rechtsgeschäftlichen Verkehrs zu gewährleisten.123 Das Gemeinschaftsinteresse an der Aufrechterhaltung des rechtsgeschäftlichen Verkehrs ist nach Frotz jedoch nur soweit geschützt, als es nicht zur Überforderung der Parteien führt: Deswegen ende eine Schutzpflicht stets an der Grenze der objektiven Vorhersehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des anderen Verhandlungspartei.124 c) Schutz der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs Nicht nur das Vertrauen und die Privatautonomie werden durch c.i.c. geschützt. Auch die Redlichkeitserwartung und die Geschäftsmoral sind vom Schutzzweck der c.i.c. umfasst. Sie tragen zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs bei.125 aa) Redlichkeitserwartung In Geschäftsverhältnissen wird regelmäßig erwartet, dass die Parteien sich während der Verhandlungen redlich und loyal zueinander verhalten werden, da sonst kein reibungsloser Rechtsverkehr gewährleistet wird.126 Auf diesen Leitgedanken des Güteraustausches griff unter anderem Karl Larenz für die 118
Bork (2011), Rn. 99; Canaris (1971), 413. Haupt (1943), 5. 120 Canaris (1971), 414. 121 Bork (2011), Rn. 102; Wolf/Neuner (2012), 99; Canaris (1971), 414. 122 Frotz (1972), 63 f.; ders., in: GS Gschnitzer, 163 (173 f.). 123 Frotz (1972), 64; ders., in: GS Gschnitzer, 163 (174). 124 Frotz, in: GS Gschnitzer, 163 (175). 125 Vgl. Larenz (1987), 106; Schmitz (1980), 109 ff. 126 Larenz (1987), 106; ders., in: FS Ballerstedt, 397 (414 f.); vgl. Schmitz (1980), 109 ff. 119
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Begründung der c.i.c. zurück. Er sah in der c.i.c. ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht, das wohl aber spezielle Verhaltenspflichten beinhalte und durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder eines diesen gleichzustellenden geschäftlichen Kontaktes unter den Beteiligten entstehe.127 Die Aufnahme von Verhandlungen stellt Larenz zufolge einen Realakt dar, weswegen vorvertragliche Pflichten unabhängig von dem späteren Vertragsabschluss entstehen können.128 Nach Larenz umfasst die Haftung aus der c.i.c. die Fälle der Verletzung der Aufklärungspflichten.129 Den grundlosen Abbruch der Vertragsverhandlungen betrachtete er als einen Unterfall der Verletzung von Aufklärungspflichten.130 Die Haftung wegen einer Verletzung der Erhaltungspflichten ordnete Larenz dagegen dem Deliktsrecht zu, da es sich dabei um keinen reinen Vermögensschaden handle.131 bb) Geschäftsmoral und die faire Verhandlungsführung Die Haftung aus der c.i.c. wird im Schrifttum auch als eine ins Recht transformierte Geschäftsmoral, deren Bildung durch die Nähe zum intendierten Vertrag begünstigt werde, bezeichnet.132 Diese Geschäftsmoral verpflichtet die Verhandlungspartner zu loyalem und redlichem Verhalten.133 Das Schuldverhältnis aus der c.i.c. stellt dieser Ansicht nach ein vertragseinleitendes Schuldverhältnis dar.134 Die Hauptaufgabe der c.i.c. wird von dieser Meinung darin gesehen, für eine loyale Verhandlungsführung im Interesse des geordneten Geschäftsverkehrs zu bürgen und die angehenden Vertragspartner zu einer fairen Verhandlungsführung zu verpflichten.135 Als schützenswertes Interesse identifizierte sie nicht das Vertrauen, sondern die konkrete Willensentscheidung des Vertragspartners beim Zustandekommen des Rechtsgeschäfts.136 Der Vertragspartner sei kein Institut, auf das man sich verlassen könne; es sei vielmehr die Rechtsordnung, die den nichtinformierten Verhandlungspartner schütze.137
127
Larenz (1987), 106. Larenz (1987), 109 f.; ders., MDR 1954, 515 (518) – Ein einfacher sozialer Kontakt erschien hingegen nicht als ausreichend; diese Annahme dehne die Anwendung der Lehre über die c.i.c. nur unnötig aus. 129 Larenz, in: FS Ballerstedt, 397 (403). 130 Larenz, in: FS Ballerstedt, 397 (415 f.). 131 Larenz, in: FS Ballerstedt, 397 (403). 132 Gernhuber (1989), 180. 133 Gernhuber (1989), 180. 134 Gernhuber (1989), 174. 135 Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 105. 136 Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 105. 137 Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 105. 128
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2. Individuelle Interessen a) Schutz des Vermögens Eine Haftung mit der Rechtsfolge eines Schadensersatzes dient vordringlich dem Ausgleich des erlittenen Schadens der Parteien,138 einschließlich beeinträchtigter Vermögenspositionen. Die offensichtliche Aufgabe der Haftung aus c.i.c. ist daher, den eingetretenen (Vermögens-)Schaden auszugleichen.139 Anfang des 20. Jahrhunderts verortete man die Anspruchsgrundlage für den Verhandlungsabbruch eindeutig im Deliktsrecht,140 was offensichtlich im Widerspruch zum Ausgleichszweck der c.i.c. stand und den Vermögensschutz der Verhandlungsparteien somit ineffektiv machte. Der Verhandlungsabbruch wurde als eine betrügerische Schädigung des Vermögens verstanden, die nur von § 823 II i.V.m. § 263 StGB oder von § 826 BGB erfasst werden konnte.141 Daraus folgte, dass die Haftung nur dann griff, wenn die Partei von Anfang an die Absicht hatte, die Vertragsverhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt abzubrechen, um die andere Partei zu schädigen.142 Der Wegfall der Vertragsabschlussbereitschaft erst während der Verhandlungen und der anschließende Verhandlungsabbruch begründeten nach dieser Ansicht keine Haftung. Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die vorvertragliche Haftung auch auf die Fälle des Abbruchs der Vertragsverhandlungen ausgedehnt143, wodurch sich der Vermögensschutz der c.i.c. auch auf diese Fallgruppe erstreckte. b) Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit Das vorvertragliche Schuldverhältnis schützt nach überwiegender Auffassung des Schrifttums nicht nur die Grundwertungen, sondern auch die individuellen Interessen wie die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit.144 Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit ist als Möglichkeit zur Durchsetzung einer auf eigener freier Beurteilung beruhenden Entscheidung zu verstehen.145 138
NK-BGB/Magnus, vor §§ 249–255 Rn. 8. Zum Ausgleich des immateriellen Schadens, siehe § 5 A III. 140 Teilweise wurde im Schrifttum bis zur Schuldrechtsreform von 2002 eine deliktische Grundlage für c.i.c. vertreten: von Bar, JuS 1982, 637 (639 f.); Kreuzer, JZ 1976, 778 ff.; Larenz, in: FS Ballerstedt, 397 (403). 141 RGZ 61, 207 (213); RG, JW 1908, 657; JW 1909, 684; LZ 1910, Sp. 80; vgl. Dernburg (1902), 391. 142 RG, JW 1910, 187; JW 1911, 324 (325); vgl. von Tuhr (1914), 490; vgl. Dernburg (1886), 27 Fn. 8. 143 Siehe § 4 A I 1 b. 144 Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (113) m.w.N. in Fn. 119; S. Lorenz (1997), 388 m.w.N.; A. Pohlmann (2002), 69; Schwab/Witt (2003), 125; Schwarze (2008), § 31 Rn. 3; Westermann et al. (2013), Rn. 11/23. 145 Wolf (1970), 101. 139
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Eine andere Auffassung vertreten Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums.146 Danach dienen nur die Vorschriften über Irrtum dem Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, die c.i.c. stehe dagegen für den Schutz der Vermögenssphären. Gegen diese Ansicht spricht, dass die Zugehörigkeit der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zum Schutzkatalog der c.i.c. durch die Schuldrechtsreform hervorgehoben wurde. Gemäß § 241 II BGB wird nicht nur auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils Rücksicht genommen, sondern auch auf dessen Interessen. Das bedeutet, dass den Schuldner in der Vertragsanbahnungsphase eine weitreichende Pflicht zur Rücksichtnahme trifft, die sich gerade nicht auf bestimmte absolute Rechtsgüter beschränkt, sondern auch das Vermögen sowie die nicht vermögenswerten Positionen einschließt.147 Dazu gehört auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit.148 Die Beachtung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit gewährt eine störungsfreie Willensbildung149 und fördert die Verantwortlichkeit einer Partei für den fehlerhaften oder unzureichenden Wissensstand der anderen Partei.150 Diese Funktion ist insbesondere in den Fällen von Bedeutung, in denen es zum Abschluss eines unerwünschten Vertrages aufgrund eines mangelhaften Informationsstands gekommen ist. 3. Stellungnahme Die c.i.c. bildet ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht. Sie verpflichtet zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei. Die rechtliche Grundlage für dieses Schuldverhältnis ist zwar seit der Schuldrechtsreform 2002 in § 311 II BGB verankert, hat aber ihre Wurzeln im Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB.151 Die Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen schützt nicht nur die Einhaltung der Regeln der rechtsgeschäftlichen Ordnung, sondern auch die 146
BGH, NJW 1979, 1983 f.; NJW 1998, 302 (304); vgl. BGH, MDR 2007, 823; BGHZ 168, 35–43. Für das Schrifttum: Lieb, in: FS Medicus, 337 (343 ff.); vgl. Hans Stoll, in: FS Deutsch, 361 (364 f.). 147 Vgl. S. Lorenz/Riehm (2002), Rn. 372; S. Lorenz (1997), 73, 390; a.A., wonach die c.i.c. zwar die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit schützt, aber dies nicht direkt aus dem Wort „Interesse“ abzuleiten ist: Rieble, in: Dauner-Lieb et al. (2003), 137 (147). 148 Vgl. Schwarze (2008), § 31 Rn. 3; Weiler (2013), § 5 Rn. 19; Westermann et al. (2013), Rn. 11/23; Schwab/Witt (2003), 125. 149 Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (113); S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1055 f.); Wiedemann, JZ 1998, 1176 (1177). 150 Schwarze (2008), § 33 Rn. 1. 151 Vgl. Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501 (502 f.); Canaris (1971), 6; Nirk, in: FS Möhring (1975), 73. Es wurde auch angenommen, dass diese Pflichten gewohnheitsrechtlich anerkannt sind (Larenz (1969), 425) oder sich auf eine Rechtsanalogie stützen (Nirk, in: FS Möhring (1965), 389 f.).
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individuellen Interessen der Kontrahenten. Die Zuordnung sowohl der allgemeinen als auch der individuellen Interessen zum Schutzbereich der c.i.c. ist nicht widersprüchlich. Beispielsweise sichert der Schutz der Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs langfristig die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und umgekehrt trägt der individuelle Schutz zur Stabilisierung des Gesamtsystems bei.152 Innerhalb der Schutzfunktion des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen kommt es zur Verzahnung des Individual- und des Institutionenschutzes, da sich die vorvertraglichen Pflichten nicht nur individuell, sondern auch aus dem Blickwinkel des Gesamtinteresses heraus begründen lassen.153 Nur das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Interessen kann die Rolle der c.i.c. im Rechtssystem in vollem Umfang erfüllen. Weiter ist zu betonen, dass nicht nur ein schützenswertes Interesse eine Haftung aus der c.i.c. zu begründen vermag. Das schützwürdige Vertrauen der Parteien auf ein loyales Verhalten des Verhandlungspartners ist Grundlage der c.i.c., muss aber durch andere geschützte Interessen ergänzt werden. Teilweise kann dafür die Theorie des Korrelats der privatautonomen Gestaltungsmöglichkeit herangezogen werden. Die Selbstverantwortung der Parteien in der vorvertraglichen Phase als Schranke der Privatautonomie und der Vertrauensgedanke sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.154 Für die Begründung der c.i.c. spielen weiterhin die allgemeine Erwartung der Redlichkeit im Geschäftsverkehr sowie der Geschäftsmoral eine bedeutende Rolle. Der Ansatz der Redlichkeit im Geschäftsverkehr und der Geschäftsmoral als Schutzzweck objektiviert die Haftung. Es ist Aufgabe der Rechtsordnung, die zum Güteraustausch notwendige Sicherheit im Geschäftsverkehr durch entsprechende Rechtsinstitute zu gewährleisten. Die Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen ist ein solches Rechtsinstitut. Die Ausweitung des Schutzes in der vorvertraglichen Phase ist jedoch durch das Bedürfnis beschränkt, die Attraktivität der Transaktionsdurchführung aufrechtzuerhalten. Anzustreben ist ein Schutzniveau, bei welchem illoyales Verhalten gegenüber der anderen Partei wirtschaftlich unattraktiv, der Güteraustausch aber weiterhin attraktiv ist. Die Verzahnung zwischen dem Schutz des Vermögens und der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit ist auch für die Rechtfertigung der c.i.c. von Bedeutung. Anfänglich ging die Haftung vom Gedanken des Vermögensschutzes aus, aber im Zuge der Modernisierungsreform des Schuldrechts wurden die Parteien ausdrücklich zur Rücksichtnahme auch auf die Interessen des anderen Teils verpflichtet, so dass schon eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Gläubigers einen Anspruch aus der c.i.c. begründen kann.
152
Fleischer, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001), 243 (256 f.). Fleischer, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001), 243 (257). 154 Michael Lehmann (1981), 307; vgl. Singer (1993), 270. 153
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Abschließend ist die Rolle der Gerechtigkeit zu betrachten. Faires Handeln ist ein unverzichtbares Element des Geschäftsverkehrs. Zwar ist der privatrechtliche Güteraustausch von der Partei selbst zu organisieren, aber die Rechtsordnung muss Mittel und Wege finden, den gerechten Ausgleich herzustellen, insbesondere dann, wenn der Einzelne seine Interessen in Selbstverantwortung nicht wahrnehmen kann.155 Das Gerechtigkeitsprinzip, das dafür sorgt, dass die formale Selbstbestimmung im Vertrag zu gerechten Ergebnissen führt, bildet eine wichtige Säule für den vorvertraglichen Schutz der c.i.c.156 III. Aushilfsfunktion Die Aushilfsfunktion der c.i.c. ergibt sich aus der besonderen Herkunft und Position dieses Rechtsinstituts im schuldrechtlichen Haftungssystem. Die Zuordnung der c.i.c. zu einem der Haftungsregime wird durch die Gestaltung des deutschen schuldrechtlichen Haftungsrechts erschwert. Dieses kennt zwei Arten der Haftung. Die Verpflichtung zum Schadensersatz entsteht entweder durch die Verletzung einer Leistungspflicht oder sie ergibt sich aus der Verletzung eines sonstigen Rechtsgutes oder Interesses des Gläubigers und ergänzt somit die Lücken des vertraglichen Haftungsrechts.157 Probleme ergeben sich dann, wenn ein Rechtsinstitut sich weder der ersten noch der zweiten Haftungsart ohne weiteres zuordnen lässt. Als Lösung könnte eine auf besonderen Grundsätzen beruhende Haftungsart – quasi als Mittelweg zwischen Vertrag und Delikt – in Frage kommen. Zu prüfen ist daher, ob es möglich ist, die c.i.c. einer der genannten Haftungsarten zuzuordnen oder ob es sich bei der c.i.c. tatsächlich um ein nicht klar abgegrenztes Rechtsinstitut handelt, das in verschiedenen Zusammenhängen dazu herangezogen wird, die Haftung aus Vertrag oder Delikt fortzuentwickeln und zu ergänzen.158 1. Culpa in contrahendo als vertragliche Leistungsstörung Zunächst stellt sich die Frage, ob die c.i.c. den vertraglichen Haftungsgrundsätzen zugeordnet werden kann. Ökonomischer Regelungszweck des Vertragsrechts ist die kontrollierende und fördernde Organisation des Austausches von Wirtschaftsgütern mit dem Ziel der Reduzierung von Transaktionskosten.159 Eine Ursache hoher Transaktionskosten sind Unsicherheiten beim Vertrags-
155
Wolf (1970), 31 f. Schwarze (2001), 42. 157 Harke (2010), Rn. 261. 158 Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 f. 159 Assmann, in: Assmann/Kirchner/Schanze, 17 (43); Esser/Schmidt (1995), 40; Michael Lehmann (1981), 315. 156
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schluss, welche jedoch insbesondere durch den Ausgleich der Informationsasymmetrie zwischen den Verhandlungsparteien minimiert werden können.160 Somit ist ein Rechtsinstitut, welches die Verletzung von Aufklärungspflichten bei den Vertragsverhandlungen sanktioniert, aus Sicht der ökonomischen Analyse gerechtfertigt. Mittels der Auferlegung vorvertraglicher Pflichten und der Sanktionierung ihrer Verletzung durch die c.i.c. kann steuernd und präventiv auf das Verhalten der Marktteilnehmer in der Verhandlungsphase eingewirkt werden.161 Die Möglichkeit der Belastung mit zusätzlichen Kosten durch einen Schadensersatzanspruch des Verhandlungspartners ist geeignet, die Parteien zu motivieren, notwendige Informationen weiterzugeben. Da die c.i.c. in der Vorbereitungsphase des Vertragsabschlusses wirkt, wird ihr allgemein eine enge Verbindung zum Vertragsrecht zugeschrieben und damit auch ihre Zuordnung zur vertraglichen Haftung gerechtfertigt.162 Für eine solche Zuordnung spricht auch die Weiterentwicklung der Haftung für die c.i.c. zu einem Instrument der Vertragskorrektur durch die Rechtsprechung in Fällen, wo bei Vertragsschluss Risiken und Chancen zwischen den Parteien ungleich verteilt waren.163 Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich beim Vertrag um eine kraft der Einigung der Parteien willentlich geschaffene Verpflichtung handelt. Sie beinhaltet das, wofür sich die Parteien kraft des Leistungsversprechens entschieden haben.164 Dagegen handelt es sich bei der c.i.c. nicht um eine willentliche Selbstbindung, sondern eine Fremdbindung, die die Sanktion eines Fehlverhaltens einführt und die gegen den Willen oder doch ohne Rücksicht auf den Willen der Parteien, allein kraft der rechtlichen Wirkung eintritt.165 Die Lösung, die Haftung aus der c.i.c. dem reinen Vertragsrecht zuzuordnen, führte zu einer Hypertrophie des Vertragsrechts, die eine Deliktshaftung nach vertraglichen Grundsätzen bedeutete.166 Solch eine Vorgehensweise verursachte eine Verdrängung des Delikts aus dem Haftungssystem. Die vertragsrechtliche Betrachtung der c.i.c. würde weiter auch eine Fiktion der Haftungsgrundlage bedeuten, da es an einer willentlichen Vereinbarung zwischen den Parteien doch fehlt. Die Verlagerung der Verantwortlichkeit für das vorvertragliche Vergehen auf den tatsächlich später abgeschlossenen Vertrag käme einem Rückzug zu den alten Lehren der c.i.c. gleich, was aber nicht beabsichtigt ist. Daraus folgt: Die Zugehörigkeit der c.i.c. zum Vertragsrecht ist abzulehnen.
160
Assmann, in: Assmann/Kirchner/Schanze, 17 (43); Towfigh/Petersen (2010), 121. Vgl. NK-BGB/Magnus, vor §§ 249–255 Rn. 11. 162 Vgl. Michael Lehmann (1981), 320. 163 Emmerich, Jura 1987, 561 (563). 164 Picker, AcP 183 (1983), 369 (395). 165 Picker, AcP 183 (1983), 369 (395). 166 Kreuzer, JZ 1976, 778. 161
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2. Culpa in contrahendo als Delikt Möglicherweise lassen sich die Fallgruppen der c.i.c. im Deliktsrecht verankern. Dafür müssten die durch die c.i.c. geschützten Wertungen und Interessen zum Schutzbereich des Deliktsrechts gehören. a) § 823 I BGB Zum Schutzbereich des § 823 I BGB gehören die absoluten Rechte, deren offener Katalog unter anderem das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit sowie das Eigentum umfasst. Zunächst ist zu klären, ob das „Vermögen“ mit dem Schutzgut „Eigentum“ des § 823 I BGB deckungsgleich ist. Eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I BGB bedeutet jede Einwirkung auf die Substanz einer Sache, also Zerstörung, Beschädigung, Entzug.167 Alleine die Verringerung des Vermögens, die durch die c.i.c. verursacht wird, bewirkt nur einen reinen Vermögensschaden, ohne auf die Substanz einer Sache einzuwirken. Vermögensschäden sind als solche nicht vom Schutzbereich der absoluten Rechte des § 823 I BGB umfasst.168 Daraus folgt, dass der Begriff des Vermögens als Schutzbereich der c.i.c. nicht mit dem Eigentumsbegriff aus § 823 I BGB übereinstimmt. Die c.i.c. schützt nicht nur das Vermögen, sondern auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit. Fraglich ist, ob das absolute Rechtsgut „Freiheit“ die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit umfasst. Unter der Verletzung der Freiheit i.S.d. § 823 I BGB sind die Beeinträchtigung und der Entzug der körperlichen Bewegungsfreiheit zu verstehen.169 Die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung bezieht sich nur auf den Geschäftsverkehr und umfasst die Freiheit von unzulässiger Beeinflussung der Entschlussfassung. Daraus folgt, dass die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit nicht zum Schutzbereich des § 823 I BGB gehört. Da der Katalog des § 823 I BGB nicht abschließend ist, stellt sich die Frage, ob die Gerechtigkeit im Rechtsverkehr, das Vertrauen oder die Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs für sich ein absolut geschütztes Recht i.S.d. § 823 I BGB bilden. Zwar stellen die von der c.i.c. geschützten Interessen und Grundwertungen wichtige Elemente des Güteraustausches dar, aber keines weist die Merkmale eines absoluten Rechtes auf. Sie müssen nicht vor Verletzungen durch die gesamte Gemeinschaft geschützt oder von dieser beachtet werden, sondern sie betreffen nur die Teilnehmer einer bestimmten Transaktion. Daraus folgt: Keines der von der c.i.c. geschützten Interessen gehört zum Schutzbereich des § 823 I BGB.
167
Bamberger/Roth/Spindler, § 823 Rn. 40. Fikentscher/Heinemann (2006), Rn. 1557. 169 Bamberger/Roth/Spindler, § 823 Rn. 36.
168
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b) § 823 II BGB Als weitere mögliche Haftungsgrundlage kommt § 823 II BGB in Betracht. Ein Anknüpfungspunkt zu einem Schutzgesetz wäre dann denkbar, wenn durch das pflichtwidrige vorvertragliche Handeln der strafrechtliche Betrugstatbestand erfüllt wäre. Ein tatbestandsmäßiges Verhalten i.S.d. § 263 StGB könnte beispielsweise durch die Verletzung der Aufklärungspflicht gegeben sein. Allerdings müsste die Verletzungshandlung auch vorsätzlich i.S.d. Betrugsdelikts begangen worden sein. Sämtliche Fälle einer nur fahrlässigen Verletzung der Aufklärungspflichten wären daher von vornherein nicht von § 823 II BGB umfasst. Gleiches gilt für den Abbruch der Vertragsverhandlungen. § 823 II BGB bildet deswegen keine ausreichende Anspruchsgrundlage für die c.i.c. c) § 826 BGB Das Deliktsrecht enthält eine weitere Norm, die speziell für den Ersatz eines Vermögensschadens vorgesehen ist. Dabei handelt es sich um § 826 BGB, welcher die Haftung für eine sittenwidrige und vorsätzliche Schädigung vorsieht. Allerdings sind wie bei § 823 II BGB fahrlässige Verletzungen der geschützten Rechtsgüter nicht eingeschlossen. Somit kann auch diese Norm aus den zuvor genannten Gründen kein Fundament für die c.i.c. sein. d) Ergebnis Keine der deliktischen Anspruchsgrundlagen ist als Haftungsgrundlage der c.i.c. geeignet. Eine analoge Anwendung der Vorschriften der deliktischen Haftung auf c.i.c. ist mangels einer Regelungslücke170 im Hinblick auf den Ersatz des reinen Vermögensschadens nicht möglich. Die Lücken des Vertragsrechts können nicht durch die deliktische Haftung geschlossen werden. 3. Culpa in contrahendo als Mittelweg Durch die Analyse des vertraglichen sowie des deliktischen Haftungssystems konnte keine klare Zuordnung der c.i.c. zu einer Haftungsart getroffen werden. In Betracht kommt daher die Zuordnung der c.i.c. zu einer als Mittelweg neben Vertrag und Delikt bestehenden Haftungsart. Nach einer Ansicht ist die c.i.c. eine Form der Vertrauenshaftung, die einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens begründet.171 Dabei können zwei Arten der Haftung unterschieden werden. Die erste ist die Erklärungshaftung, die die Folgen für eine fehlerhafte Erklärung vorsieht, die zweite ist die Anvertrauenshaftung, die vor 170 171
Vgl. Jauernig/Teichmann, § 823 Rn. 19. Canaris (1971), 5, 532.
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Verletzungen der Rechtsgüter schützt, die den Einwirkungsmöglichkeiten des anderen Teils ausgesetzt wurden.172 Die Erklärungshaftung ist dadurch gekennzeichnet, dass die zugrundeliegenden Schutzpflichten auf einem einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnis beruhen, das seinen Rechtsgrund in der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen hat.173 Diese Art der Haftung erfordert die Teilnahme am Rechtsgeschäft. Daraus folgt, dass das Schuldverhältnis innerhalb eines rechtsgeschäftlichen Kontaktes zustande kommt, bei dem nicht nur eine Erweckung, sondern auch eine schuldhafte Enttäuschung des Vertrauens stattgefunden hat.174 Im Schrifttum wird für die Zuordnung der vorvertraglichen Haftung auch die Theorie einer Selbstbindung ohne Vertrag vertreten. Diese macht die Verpflichtung zum Schadensersatz gerade nicht am erweckten Vertrauen fest,175 sondern an der Nichterfüllung einer Selbstbindung. Diese Selbstbindung ist eine Form des Versprechens, das im Vorfeld des beabsichtigten Rechtsgeschäfts erfolgt und dessen Vorbereitung dient.176 Sie ist quasivertraglicher Natur, hat keinen konkreten vertraglichen Leistungsinhalt, beschreibt jedoch zumindest die Rahmenbedingungen des Rechtsgeschäfts.177 Ihr normativer Charakter folgt aus der beim Versprechensempfänger hervorgerufenen Verhaltenserwartung, die sich erst beim Abschluss eines Rechtsgeschäfts aktualisieren wird.178 Die vorvertragliche Haftung wird somit als Folge einer Verletzung einer sich aus der rechtsgeschäftsbezogenen Selbstbindung ergebenden Verhaltensnorm gesehen. 4. Stellungnahme Die c.i.c. bildet weder eine vertragliche noch eine deliktische Haftungsart. Auch der Gedanke einer selbstständigen Vertrauenshaftung ist abzulehnen. Gegen die Annahme des Vertrauensgedankens als Grundlage für die Lehre über die c.i.c. spricht allein schon die Bedeutung von Vertrauen für das gesamte Geschäftsleben. Gründe dafür, dass gerade das Vertrauen, das im vorvertraglichen Verhältnis erweckt worden ist, stärker zu schützen sei als in jedem anderen Verhältnis des außervertraglichen Lebens, sind nicht ersichtlich. Der Vertrauensgedanke ist auch in den Fällen, in denen es um Verträge geht, die auf anonymen und unpersönlichen Märkten abgeschlossen werden, nicht hilfreich,179 da das Vertrauen einen bestimmten Adressaten benötigt. Des 172
Canaris (1971), 540. Canaris (1971), 538. 174 Canaris (1971), 538. 175 Köndgen (1981), 111 ff. 176 Köndgen (1981), 186 f., 189. 177 Köndgen (1981), 187 ff. 178 Köndgen (1981), 188, 299. 179 Fleischer (2001), 421; ders., in: Schulze/Schulte-Nölke (2001), 243 (255). 173
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Weiteren besteht die Schwierigkeit, zwischen dem schutzwürdigen und dem unbeachtlichen Vertrauen zu unterscheiden, was zu dem Problem einer genauen Bezeichnung des Zeitpunktes, in dem das Vertrauensverhältnis und die Verpflichtung der Parteien zur gegenseitigen Beachtung der Rechten, Güter und Interessen entstehen, führt. Gegen einen solchen Mittelweg spricht zudem, dass das Vertrauen nicht nur der Vertrauenshaftung zugrunde liegt, sondern gleichsam dem Vertrags- und dem Deliktsrecht. Aus diesem Grunde ist schwer nachvollziehbar, dass das Vertrauen, das ein integrales Element aller drei Haftungsformen ist, gleichzeitig eine Besonderheit einer dieser Haftungsformen sein soll.180 Zudem umfasst die Vertrauenshaftung sehr heterogene Fälle. Der Anwendungsbereich beginnt mit der Rechtsscheinhaftung und endet bei den Verletzungen der Integritätsinteressen. Daraus folgt, dass sogar innerhalb der Vertrauenshaftung das Merkmal „Vertrauen“ nicht den gleichen Ursprung und keine einheitliche Gestalt hat. Deswegen ist das Vertrauen ungeeignet, die Haftung aus der c.i.c. von der vertraglichen wie auch von der deliktischen Haftung zu sondern.181 Abschließend ist festzuhalten, dass das Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen eine sehr universelle Rolle spielt. Die Konstruktion dieses Merkmals als eine Haftungsgrundlage kann dazu führen, dass der Anwendungsbereich der Vertrauenshaftung außer Kontrolle gerät und jedes Verhalten umfasst, das irgendein Vertrauen auf irgendetwas enttäuscht hat. Diese so uneinheitliche, breite und allgemeine Haftungsform ist keine ausreichende Stütze für die ursprünglich nicht durch Gesetz, sondern durch die Rechtsfortbildung entwickelte Haftung für die c.i.c. Letztendlich verlässt sich der Verhandlungspartner nicht auf ein durch den anderen Partner erwecktes Vertrauen, sondern auf die Rechtsordnung.182 Der Theorie über die Selbstbindung ist ebenfalls nicht zu folgen. Sie ist in sich widersprüchlich, da entweder die Rechtsordnung den Parteien ein Selbstbindungsinstrument zur Verfügung stellt, das ein Verhältnis rechtsgeschäftlicher Natur entstehen lässt, oder die Rechtsordnung die Parteien kraft Gesetzes bindet.183 Ohne den Willen der Parteien, ein Rechtsgeschäft abzuschließen, kann man nicht über Selbstbindung sprechen. Diese Theorie ist deswegen als Grundlage für die c.i.c. ungeeignet. Die Haftung aus der c.i.c. ist damit nur als ein Ergänzungsinstrument zu betrachten. Sie füllt die Lücken einmal im Delikts-, einmal im Vertragsrecht. Sie ist technisch gesehen vertraglicher Natur und folgt dem Vorbild der Haftung für Herbeiführung eines Leistungsinteresses, aber in ihrer Funktion entspricht sie den Haftungstatbeständen des Deliktsrechts und bildet mit diesen 180
Picker, AcP 183 (1983), 369 (427). Gernhuber (1989), 179; vgl. Picker, AcP 183 (1983), 427. 182 Fleischer (2001), 421. 183 L. Müller, JuS 1998, 894 (896). 181
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einen einheitlichen Mechanismus des Vermögensschutzes jenseits der Leistungspflichten.184 Trotz der Möglichkeit zur Regelung dieses problematischen Rechtsinstituts bei der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber diese Chance verstreichen lassen. Zwar wurde § 311 II BGB eingeführt, aber in der Begründung des Entwurfes des Reformgesetzes wurden die unselbstständige Rolle der c.i.c. sowie die Zugehörigkeit zur uneinheitlichen vertragsähnlichen Haftung bestätigt.185 Daraus folgt: Solange der Gesetzgeber den reinen Vermögensschaden nicht in den Katalog der vom Deliktsrecht geschützten absoluten Rechtsgüter aufnimmt, ist die c.i.c. der quasivertraglichen Haftung zugeordnet. Diese Lösung ist kein dogmatisch befriedigendes Ergebnis, aber ein vertretbares. Daraus folgt, dass die Haftung aus der c.i.c. neben einer Schutzfunktion eine Aushilfsfunktion ausübt. B. Funktion der culpa in contrahendo im polnischen Recht Die Problematik der Haftung für die c.i.c. hat anders als im deutschen Recht noch keine große Aufmerksamkeit im polnischen Schrifttum und in der Rechtsprechung erfahren. Die Thematik war zwar schon im Zusammenhang mit dem Schuldrechtsgesetzbuch (Kodeks zobowiązań, KZ) von 1933186 besprochen worden, dennoch ist keine direkte Verpflichtung zur Beachtung der vorvertraglichen Pflichten ins Gesetz aufgenommen worden. Diese rechtliche Lage änderte sich teilweise mit der Reform des Zivilgesetzbuches und der Einführung des Art. 72 § 2 KC im Jahre 2003. Die Vorschrift beinhaltet die Sanktionierung einer Verhandlungsführung, die gegen die guten Sitten verstößt. Demnach ist die Partei, die Vertragsverhandlungen gegen die guten Sitten führt, verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass die andere Partei mit einem Vertragsabschluss rechnete. Die Einführung dieses Artikels und besonders seine Platzierung im Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuches führte zu einer Diskussion über die konkrete Ausgestaltung der c.i.c. im polnischen Privatrecht, dazu also, welche Regelungsfunktion sie besitzt und vor allem zu welcher Haftungsart sie gehört. I. Aushilfsfunktion Zunächst ist die Erfüllung der Aushilfsfunktion durch die Haftung aus der c.i.c. im polnischen Recht zu analysieren. Hierzu werden zunächst die Haftungstypen des polnischen Privatrechts dargestellt, und anschließend wird untersucht, welcher Haftungsart die c.i.c. zugeordnet ist.
184
Harke (2010), Rn. 264. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, 161. 186 Verordnung des Präsidenten der Republik Polen v. 27.10.1933 – Schuldrechtsgesetzbuch (Kodeks zobowiązań), Dz.U. 1933 Nr. 82 Pos. 598. 185
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1. Grundlagen der Schadensersatzhaftung im polnischen Privatrecht Im polnischen Recht wird – ähnlich wie im deutschen Recht – über das Regime der Haftung, die zum Schadensersatz verpflichtet, diskutiert. Im Schrifttum werden vor allem zwei Regime der Haftung, nämlich ex contractu und ex delicto genannt.187 Über die Anwendung der entsprechenden Haftungsart entscheidet die Quelle der Verpflichtung zum Schadensersatz.188 Bei der deliktischen Haftung ist die unerlaubte Handlung die Verpflichtungsquelle. Darunter ist jede Handlung zu verstehen, deren Vornahme bzw. Unterlassen einen Schaden verursacht, soweit diese Handlung nicht im Rahmen eines schon bestehenden vertraglichen bzw. außervertraglichen Schuldverhältnisses erfolgt.189 Einige Autoren lehnen eine enge dichotome Unterteilung der Haftungstypen ab und weisen zusätzliche Haftungsformen aus.190 Über die genaue Ausgestaltung dieser erweiterten Gliederung der Haftungsregime besteht jedoch keine Einigkeit. a) Gliederung der Haftungsgrundlagen im Schrifttum Maciej Kaliński191 unterscheidet außer einer vertraglichen und einer deliktischen Haftung noch vier andere Haftungstypen: Die Haftung wegen der Zufügung eines Schadens bei der Ausübung öffentlicher Funktionen, die Haftung wegen der Zufügung eines Schadens bei der Ausübung subjektiver Rechte, die Haftung wegen der Übernahme von Garantien sowie die Haftung wegen eines in einem fremden oder gemeinsamen Interesse erlittenen Schadens.192 Alfred Ohanowicz193 unterteilte dagegen die Haftungstypen in solche, die aus der Parteivereinbarung stammen, und solche, die ihre Grundlage im Gesetzestext haben. Zur gesetzlichen Haftung gehörten dann unter anderem: unerlaubte Handlungen, die Verletzung vertraglicher Pflichten in Form einer Nichterfüllung sowie einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung des Schuldverhältnisses (niewykonanie lub nienależyte wykonanie zobowiązania), gesetzliche Garantien, die c.i.c., der Missbrauch einer erlaubten Selbsthilfe (dozwolona samopomoc).194 Zur Haftung aus dem Vertrag zählten dagegen Schadensersatzansprüche aus dem Versicherungs- sowie dem Garantievertrag.195 Ohanowicz 187 Garlicki (1971), 9; Pajor (1982), 33; Mikłaszewicz (2008), 149; vgl. Warkałło (1972), 225 f.; Winiarz (1962), 25–27. 188 Garlicki (1971), 9. 189 Garlicki (1971), 10. 190 Olejniczak/Kaliński (2014), 25; ders. (2011), 26; Ohanowicz (1965), 78; vgl. Winiarz (1962), 26 f. 191 Olejniczak/Kaliński (2014), 25; ders. (2011), 26. 192 Olejniczak/Kaliński (2014), 25; ders. (2011), 26. 193 Ohanowicz (1965), 78; vgl. ders. (1958), 43. 194 Ohanowicz (1965), 78. 195 Ohanowicz (1965), 78.
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lehnte somit eine traditionelle Dichotomie der Haftungstypen ab. Er ging zwar von der Existenz der Haftungsregime ex contractu und ex delicto im Rechtsystem aus, sah diese aber nicht als einzige Erscheinungsformen der gesetzlichen Haftung. Witold Warkałło unterschied dagegen nur zwei Haftungsregime, nämlich den Schadensersatz wegen der Nichterfüllung eines bereits existierenden Schuldverhältnisses sowie die Haftung für den Schaden, der anders als durch Nichterfüllung eines bestehenden Schuldverhältnisses zugefügt worden sei.196 Das zweite Regime der Haftung umfasste nach Warkałło nicht nur den Schaden, der durch unerlaubte Handlungen zugefügt worden ist, sondern auch den Schaden, der bei der Ausübung von Rechten entstanden ist, den Schaden, der durch eine andere Person zugefügt worden ist, sowie den Schaden, der durch das Eintreten von bestimmten Ereignissen entstanden ist, die jedoch keine Taten darstellten.197 Zur zweiten Gruppe zählten auch Schadensersatzansprüche aus den Versicherungsverhältnissen, die entweder ex lege oder durch den Vertrag geregelt sind.198 Hiervon abweichend unterschied Witold Czachórski199 drei Haftungstypen: Zum ersten Haftungstyp zählte er die Ansprüche, in denen der Schaden durch eine unerlaubte Handlung entstehe, dem zweiten Haftungstyp ordnete er den Schaden zu, der wegen einer Nichterfüllung oder einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung des Schuldverhältnisses entstehe, und zum dritten Haftungstyp die Fälle, in denen es aufgrund eines Vertrages zur Übernahme der Haftung für einen Schaden (Versicherungsvertrag) komme.200 Zwar identifizierte Czachórski auch weitere Haftungstypen, wie etwa den bei der Ausübung subjektiver Rechte oder aus einem aus fremden oder eigenen Interessen heraus zugefügten Schaden. Aufgrund ihrer Verschiedenheit lehnte er es jedoch ab, diese kategorisch einem bestimmten Haftungstypus zuzuordnen.201 b) Formulierung einer einheitlichen Unterteilung der Haftungsgrundlagen In Bezug auf die Haftungsartengliederung von Alfred Ohanowicz gilt es zu zeigen, dass die Unterteilung in zwei große Haftungstypen tatsächlich existiert. Der erste Haftungstyp beruht auf dem Gesetz, der zweite auf dem Vertrag. Zur gesetzlichen Haftung gehört außer der vertraglichen und der deliktischen Haftung die Haftung aus einer legalen Handlung, die als quasideliktische Haftung bezeichnet wird. Solch eine Modifikation der Dichotomie der Schadensersatzansprüche ist im polnischen Recht nötig, weil die traditionelle 196
Warkałło (1972), 226. Warkałło (1972), 226. 198 Warkałło (1972), 226. 199 Czachórski et al. (2009), Rn. 128 ff.; vgl. Doliwa (2012), Rn. 239–241; Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 218–221. 200 Czachórski et al. (2009), Rn. 128 ff. 201 Czachórski et al. (2009), Rn. 131. 197
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Unterteilung nicht alle Besonderheiten des polnischen Haftungsrechts umfasst. Die erste Gruppe des gesetzlichen Haftungstypus bilden die Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung. Bei der deliktischen Haftungsart ist die Verpflichtung zum Schadensersatz eine primäre Leistungspflicht. Deren Quelle wird in der Zufügung eines Schadens durch eine Person, die mit dem Geschädigten kein anderes rechtliches Verhältnis hat, gesehen.202 Ihre gesetzliche Regelung findet sich in Artt. 415 ff. KC. Der Haftung wegen unerlaubter Handlungen werden auch die Schadensersatzansprüche aus dem vorvertraglichen Stadium zugeordnet, die aber auf selbstständigen Anspruchsgrundlagen beruhen, welche unabhängig davon sind, ob eine Schuld besteht oder nicht.203 Das sind erstens die Fälle des Schadensersatzes für die Folgen eines Mangels bei der Vertretungsmacht, wenn man als Organ (Art. 39 § 1 KC) sowie als Vertreter (Art. 103 § 3 KC)204 tätig ist. Zweitens kann hier eine Haftung für eine anfängliche Unmöglichkeit (Art. 387 § 2 KC) sowie für die Verhandlungsführung gegen die guten Sitten (Art. 72 § 2 KC) zugeordnet werden. Diese Fälle gehören entgegen manch anders lautender Meinungen aus dem Schrifttum nicht zur echten Haftung aus der c.i.c.205 Die zweite Gruppe des gesetzlichen Haftungstypus bildet der vertragliche Schadensersatzanspruch ex contractu. Der Schaden entsteht hier durch Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten aus einem bestehenden Schuldverhältnis.206 Der Schadensersatz hat hier einen nachträglichen Charakter, er ergibt sich hauptsächlich nicht aus dem Vertrag, sondern aus dem Gesetz.207 Die Grundlage für diesen Anspruch bildet Art. 471 KC. Dagegen werden die Ersatzansprüche aus negotiorum gestio (Artt. 752 ff. KC) der Gruppe der quasivertraglichen Ansprüche zugeordnet.208 Zur dritten Gruppe des gesetzlichen Haftungstypus gehören die Fälle, in denen eine Handlung zwar zum Schadensersatz führt, aber nicht rechtswidrig ist (z.B. bei Ausübung subjektiver Rechte).209 Sie bilden eine quasideliktische
202
Doliwa (2012), Rn. 239; Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 219. Pietrzykowski/Pazdan, Art. 39 Rn. 4; Gniewek/Machnikowski/Gniewek, Art. 39 Rn. 2; Pyziak-Szafnicka/Świderski, Art. 39 Anm. 4; Gniewek/Machnikowski/Strzebinczyk, Art. 103 Rn. 11; Pietrzykowski/Pazdan, Art. 103 Rn. 22; Pyziak-Szafnicka/Robaczyński, Art. 103 Anm. 14; SN, OSP 2013/2/16 (117); a.A. Piasecki, Art. 39 Anm. 4; ders., Art. 103 Anm. 8 (Rechtsgrundlage für die Haftung – Art. 415 ff. KC). 204 Gniewek/Machnikowski/Strzebinczyk, Art. 103 Rn. 10; Gniewek/Machnikowski/Gniewek, Art. 39 Rn. 2. 205 Garnecki, PPH 3/2001, 9 (10); Ostapa, MoP 3/2005, 147 (151); a.A. Machnikowski, in: Pazdan (2008), 699, (701); Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (24). 206 Doliwa (2012), Rn. 240. 207 Doliwa (2012), Rn. 240; Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 219. 208 Nach a.A. handelt es sich um eine Haftung aus unerlaubter Handlung: Rajski/Stecki (2011), 603. 209 Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 220. 203
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Haftung. Sie kommen der Haftung aus unerlaubten Handlungen nah, weil auch hier der Schadensersatz eine primäre Leistungspflicht ist und das Schuldverhältnis erst durch das im Gesetz genannte Ereignis entsteht. In diesen Fällen wird ein Verhalten sanktioniert, das legal, also rechtmäßig, vorgenommen wurde, aber trotzdem aus den vom Gesetzgeber als wichtig erachteten Gründen durch einen Schadensersatz sanktioniert wird. Die zur quasideliktischen Haftung führenden Sachverhalte sind durch das polnische Zivilgesetzbuch geregelt und in drei Untergruppen zu teilen. Die erste Untergruppe bilden die Fälle, in denen der Schadensersatz aus Billigkeitsgründen heraus zugesprochen wird. Diese Verpflichtung zum Schadensersatz liegt dann vor, wenn keine rechtswidrige Handlung vorliegt. Zu nennen ist Art. 4172 KC, der eine Handlung der öffentlichen Hand, die zwar aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage vorgenommen wurde, aber einen Personenschaden verursacht, mit einem Anspruch auf einen Ersatz des Schadens oder eine Entschädigung sanktioniert. Zur zweiten Untergruppe gehören die Fälle, in denen es trotz der Existenz eines Rechtfertigungsgrundes zur Haftung kommt. Beispiele hierfür sind die Zufügung eines Schadens bei der Ausübung von subjektiven Rechten und im Falle eines Notstands. Die dritte Untergruppe stellen die Sachverhalte dar, die einer Geschäftsführung ohne Auftrag ähneln: So hat beispielsweise, wer aufgrund einer für eine andere vorgenommene Gefahrenabwehr einen Schaden erleidet, Anspruch auf Ersatz dieses Schadens durch den Vorteilsempfänger der Handlung (Art. 438 KC). Auch kann derjenige, der für Rettung eines fremden Gutes Aufwendungen getätigt hat, Ersatz der Aufwendungen vom Eigentümer verlangen (Art. 757 KC). Einen ganz anderen Haftungstyp bilden dagegen die Schadensersatzansprüche, die ihre Grundlage in einem Vertrag haben. Diese Haftung wird oft als Garantie- und Ausgleichshaftung bezeichnet.210 Sie findet ihre Quelle in einer vertraglichen Vereinbarung, wodurch im Unterschied zur Haftung ex contractu der Schadensersatz eine primäre Leistung bildet.211 Der Haftungsgrund liegt hier im Eintritt eines Ereignisses, das im Vertrag vorgesehen ist, weswegen im Falle des tatsächlichen Schadenseintritts kein neues Schuldverhältnis zwischen den Parteien entsteht.212 Im Unterschied zur Haftung für eine unerlaubte Handlung wird der Schaden durch eine andere Person als den Schädiger, meistens ein Versicherer oder Garantieträger, übernommen.213 Zwar wird der Versicherungsvertrag im polnischen Recht im Zivilgesetzbuch reguliert, aber dieses beinhaltet nur die Regelungen, die sich auf die Gestaltung des Versicherungsvertrages und auf den Schutz der Position des Versicherten begrenzen. Eine ähnliche Vorgehensweise wird beim Garantievertrag gesehen. 210
Vgl. Doliwa (2012), Rn. 241; Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 220. Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 220. 212 Vgl. Olejniczak/Kaliński (2014), 32. 213 Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 220. 211
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2. Zuordnung der culpa in contrahendo zu einer Haftungsgrundlage Fraglich ist sodann, welcher der beschriebenen Haftungsarten die Ansprüche aus der c.i.c. zuzuordnen sind. Die Haftung für c.i.c. zeichnet sich dadurch aus, dass die Parteien kein vertragliches Schuldverhältnis miteinander abgeschlossen haben und keine vertragliche Risikoübernahme für den Schadenseintritt stattgefunden hat.214 Da somit eine Garantie- und Ausgleichshaftung ausscheidet, sind nur die gesetzlichen Haftungsarten zu untersuchen. Zunächst ist hierbei die Haftung ex contractu näher zu betrachten. a) Zuordnung der culpa in contrahendo zur vertraglichen Haftung Die Haftung ex contractu hat ihre materiell-gesetzliche Grundlage in Art. 471 KC. Danach ist der Schuldner zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der wegen einer Nichterfüllung oder einer nicht ordnungsgemäßen Erfüllung des Schuldverhältnisses entsteht – es sei denn, die Nichterfüllung oder die nicht ordnungsgemäße Erfüllung des Schuldverhältnisses folgt aus Umständen, die der Schuldner nicht zu vertreten hat. Für diese Haftungsart wird das Bestehen eines Schuldverhältnisses zwischen den Parteien vor dem schädigenden Ereignis vorausgesetzt. Damit ist nicht nur ein vertragliches Schuldverhältnis gemeint. Ein solches Schuldverhältnis kann sich auch aus einem einseitigen Rechtsgeschäft, aus einer unerlaubten Handlung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, aus einem Verwaltungsakt, einem Gerichtsurteil sowie aus anderen Ereignissen heraus ergeben.215 In Bezug auf die Frage der Zuordnung der c.i.c. ist es fraglich, ob allein der Eintritt in die Vertragsverhandlungen ein Schuldverhältnis bilden kann. Art. 353 § 1 KC beinhaltet eine legale Definition des Schuldverhältnisses. Gemäß diesem Artikel besteht das Schuldverhältnis darin, dass der Gläubiger eine Leistung vom Schuldner verlangen kann und der Schuldner diese Leistung erbringen soll. Der Begriff der Leistung ist dagegen nicht durch das Zivilgesetzbuch definiert. Das Schrifttum definiert Leistung als das Verhalten des Schuldners, das dieser im Interesse des Gläubigers unternimmt.216 Im Falle von Verhandlungen könnte als Leistung das Verhalten der Parteien verstanden werden, loyal miteinander umzugehen und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu agieren. Damit diese Verpflichtung eine Leistung gem. Art. 353 KC darstellt, muss sie ausreichend bestimmbar sein und sich auf irgendeinen materiellen oder nicht materiellen Gegenstand beziehen.217 Die Ver-
214
Siehe § 1 B. Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 471 Rn. 8. 216 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 353 Rn. 13; Pietrzykowski/Safjan, Art. 353 Rn. 16. 217 Vgl. Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 353 Rn. 16 f. 215
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pflichtung zur loyalen Verhandlungsführung stellt nach überwiegender Auffassung218 eine allgemein geltende Pflicht dar. Dies spricht dagegen, in der Verpflichtung zur loyalen Verhandlungsführung bereits eine Leistung zu sehen. Hiergegen spricht auch, dass erst die Analyse ex post die Beurteilung des Verhaltens des Schuldners gemäß den Grundsätzen der Loyalität und Vorsicht im Geschäftsverkehr ermöglicht.219 Die Durchsetzung eines Anspruchs auf eine loyale Verhandlungsführung ist damit im Rahmen einer Klage nicht vorstellbar.220 Die Pflicht, loyal zu verhandeln, ist demzufolge nicht ausreichend bestimmt, um eine Leistung i.S.d. Art. 353 KC darzustellen.221 Auch ist dem polnischen Recht ein auf die zukünftige Haftung des Schuldners und nicht auf die Leistungserbringung Bezug nehmendes Schuldverhältnis unbekannt.222 Daraus folgt im Ergebnis, dass in der Verhandlungsphase zwischen den Parteien kein Schuldverhältnis entsteht. Somit besteht für die Haftung für die c.i.c. keine Grundlage in der gesetzlich geregelten vertraglichen Haftung. Nichtsdestotrotz sehen manche Autoren in der illoyalen Führung der Vertragsverhandlungen dennoch eine Haftung gemäß den Grundsätzen ex contractu.223 Als Begründung dafür wird die Verletzung eines sich während der Verhandlungen herausgebildeten Vertrauensverhältnisses herangezogen. Als weiteres Argument wird die Ähnlichkeit der c.i.c. mit der Haftung wegen Nichterfüllung eines Vorvertrages (Art. 390 § 1 KC) genannt, die zur Haftung ex contractu224 führt.225 Teilweise wird die Zuordnung der c.i.c. zum vertraglichen Haftungsregime auch im Wege der historischen Auslegung mit Verweis auf das Schrifttum zum früher geltenden Schuldrechtsgesetzbuch begründet.226 Einzelne Autoren sehen die vertragliche Zuordnung der c.i.c. dagegen
218
OSNP 2003/21/511 (978); Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (136); Pajor, SPE 31 (1983), 39 (43); vgl. ders. (1982), 48. 219 Pajor, SPE 31 (1983), 39 (43 f.); vgl. ders. (1982), 48. 220 Vgl. Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (136); Pajor, SPE 31 (1983), 39 (43); vgl. ders. (1982), 48. 221 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 72 Rn. 8; Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (136); vgl. Łętowska/Krajewski (2013), 845, 849; Skibiński, Rejent 10/2006, 124 (128); Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 28. 222 Pajor, SPE 31 (1983), 39 (43 f.). 223 Kocot (2013), 77; Osajda/Mikłaszewicz, Art. 72 Anm. 8 (wenn die Rechtsprechung die vorvertraglichen Pflichten konkretisiert); Zawistowski, AUWr 2004, 281 (286) (keine direkte Anwendung der Vorschriften über vertragliche Haftung); vgl. Plich, Prz. Sąd. 7–8/2006, 3 (13); Resich/Szczerski, Art. 736 (1545). 224 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 390 Rn. 14; Pietrzykowski/Popiołek, Art. 390 Rn. 3. 225 Zawistowski, AUWr 2004, 281 (286). 226 Nowakowski (1948), 202. Diese Meinung erfuhr jedoch die Ablehnung der damaligen herrschenden Lehre: siehe Czachórski (1963), 168.
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als eine Lösung de lege ferenda.227 Die Qualifizierung der vorvertraglichen Pflichten als vertragliche Leistungspflichten, die von allen dargestellten Ansichten im Ergebnis vertreten wird, ist mit den Grundsätzen für die Entstehung des vertraglichen Schuldverhältnisses nicht zu vereinbaren. b) Delikt als Haftungsgrundlage für die culpa in contrahendo Die gesetzliche vertragliche Haftung kann keine Grundlage für die Haftung aus der c.i.c. sein, deswegen ist es fraglich, ob eine deliktische Klage sie bilden kann. Gemäß Art. 415 KC ist derjenige, der schuldhaft einer anderen Person einen Schaden zugefügt hat, verpflichtet, diesen Schaden zu ersetzen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz entsteht mit dem schädigenden Ereignis. Die Existenz eines früheren schuldrechtlichen Verhältnisses zwischen den Parteien ist unnötig. Im Unterschied zum deutschen Recht existiert im polnischen Recht nicht der Grundsatz, dass der reine Vermögensschaden durch die deliktische Haftung nicht ersetzbar ist. Deswegen müssen keine mit dem deutschen Recht vergleichbaren absoluten Rechtsgüter verletzt werden, damit es zur Haftung wegen einer unerlaubten Handlung kommen kann. Die Voraussetzungen für die Annahme der Haftung sind: der Eintritt des Schadens, die unerlaubte Handlung sowie ein kausaler Zusammenhang zwischen der unerlaubten Handlung und dem Schaden. Damit illoyale Verhandlungen eine deliktische Haftung auslösen, muss das unfaire Verhalten einer der Verhandlungsparteien eine unerlaubte Handlung darstellen, die schuldhaft vorgenommen wurde. Im polnischen Recht bezieht sich der Begriff „Schuld“ anders als im deutschen Recht sowohl auf die objektiven als auch auf die subjektiven Elemente.228 Im Schrifttum wird jedoch zunehmend von einer Zersplitterung der Schuld in eine objektive Rechtswidrigkeit und eine subjektive Schuld gesprochen.229 Nachfolgend werden die neuen Bezeichnungen verwendet, also „Rechtswidrigkeit“ und „Schuld“. Die Zuordnung der Haftung aus der c.i.c. zum deliktischen Regime nach Art. 415 KC entsprach bis 2003 der herrschenden Meinung.230 Zu diesem Zeit-
227 Osajda/Mikłaszewicz, Art. 72 Anm. 8; ders. (2008), 159; Zawistowski, AUWr 2004, 281 (287). 228 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 20. 229 Radwański/Olejniczak (2016), Rn. 498; Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 6; siehe § 4 B II 1. 230 OSNP 2003/21/511 (978); SN, Urt. v. 24.3.1998 – I CKN 562/97, LEX Nr. 56804; OSNC 1991/1/3; für die Informationspflichtverletzung: OSNC 1990/7–8/104 (65); Pajor (1982), 51; Karasek, PPH 9/2002, 16 (17); Kwaśnicki/Lewandowski, Pr. Sp. 5/2002, 37 (41); Garnecki, PPH 3/2001, 9 (10); Kocot (1998), 226; Tropaczyńska, PPH 2/1996, 22 (27); Radwański/Radwański (1981), 408; Szpunar (1998), 49; Ohanowicz (1965), 185; vgl. SN, Urt. v. 16.9.2011 – IV CSK 626/10, LEX Nr. 1129160.
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punkt wurde Art. 72 § 2 KC eingeführt, der die Haftung für eine illoyale Verhandlungsführung regelt, und die Zuordnung der c.i.c. sorgte für neuen Zündstoff. c) Art. 72 § 2 KC als Haftungsgrundlage für die culpa in contrahendo Im Jahre 2003 wurde eine Novelle des Zivilgesetzbuches verabschiedet, im Rahmen welcher Art. 72 § 2 KC eingeführt wurde. Diese Vorschrift hat als Vorlage den Art. 2:301 Abs. 2 PECL. Einzelne Autoren meinen, dass der Gesetzgeber diese Regelung deshalb einführte, um die herrschende Meinung über die Haftung für das Verschulden bei Vertragsverhandlungen in Schrifttum und Rechtsprechung zu ändern.231 Darauf weisen jedenfalls die systematische Stellung dieser Vorschrift im Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuches hin sowie der Umstand, dass keine genaue Bezeichnung der Haftungsart im Wortlaut zu finden ist.232 Keine Einigkeit herrscht jedoch unter diesen Autoren in Bezug auf die Haftungsart, die durch Art. 72 § 2 KC eingeführt wurde, sowie in Bezug auf die Haftungsvoraussetzungen. aa) Art. 72 § 2 KC als eine selbstständige Anspruchsgrundlage Einige Autoren gehen davon aus, dass Art. 72 § 2 KC und dadurch auch die Haftung aus der c.i.c. eine separate und selbstständige Haftungsart für illoyales Verhalten während der Vertragsverhandlungen darstelle.233 Ihre Grundlage wird in den Fair-Play-Regeln gesehen sowie in einer überkommenen Pflicht zu einem loyalen und mit dem guten Glauben abgestimmten Verhalten während des Vertragsabschlusses.234 Solch eine Verpflichtung zum Schadensersatz hat demzufolge ihre Quelle in dem Verstoß gegen den Grundsatz der Loyalität und des Vertrauens, zu dessen (inter partes) Beachtung sich die Verhandlungsparteien gegenseitig am Anfang des Vertragsabschlussprozesses verpflichtet haben.235 Die Vertreter dieser Ansicht sehen diese Haftung als eine von Schuld unabhängige Haftungsart.236 Die Abweichung von der Voraussetzung der subjektiven Schuld wird damit begründet, dass der Gesetzgeber die Haftung aus der c.i.c. zu objektivieren beabsichtigte und den Eintritt des Schadensersatzes
231
Kocot (2013), 75; Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (28); Zawistowski, AUWr 2004, 281
(285). 232
Kocot (2013), 75. Kocot (2013), 76 f., 152; Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (28); Zawistowski, AUWr 2004, 281 (287 f.); vgl. Machnikowski, in: Pazdan (2008), 699 (715–718); Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 72 Rn. 8; a.A. Skibiński, Rejent 10/2006, 124 (144 f.); Rzewuska/Rzewuski, in: Nesterowicz (2012), 400 (418); Grykiel/Lemkowski, Art. 72 Rn. 24. 234 Kocot (2013), 152. 235 Kocot (2013), 152; vgl. Machnikowski, in: Pazdan (2008), 699 (718). 236 Kocot (2013), 150. 233
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nur davon abhängig machte, ob die objektiven Verhaltensregeln verletzt würden.237 Eine schuldunabhängige Haftung sei auch dadurch gerechtfertigt, dass diese einen höheren Schutz für die Verhandlungspartei, welche im erweckten Vertrauen auf einen Vertragsabschluss gehandelt hat.238 Die Schuld des Schädigers kann dann höchstens die Höhe des Schadensersatzanspruches beeinflussen.239 Der kausale Zusammenhang besteht nach dieser Ansicht zwischen dem Schaden und dem Vertrauenszustand und nicht wie bei der klassischen deliktischen Haftung zwischen dem Schaden und einer schuldhaften unerlaubten Handlung.240 Andere Autoren dagegen begreifen die c.i.c. als eine zu unerlaubten Handlungen gehörende Haftung, sehen aber vom Schuldgrundsatz ab.241 Die Haftung stützen sie entweder auf den modifizierten Grundsatz der Risikoübernahme242 oder auf eine ganz andere, nur auf der Rechtswidrigkeit des Tuns beruhenden deliktischen Haftung.243 Dieser Ansicht zufolge sprechen für die Annahme der Haftung durch die Risikoübernahme zum einen die Billigkeitsgründe und zum anderen die Erforderlichkeit des Schutzes der Zuverlässigkeit und der Sicherheit des Geschäftsverkehrs.244 Diese Faktoren könnten nur dann erfüllt werden, wenn die Voraussetzung des guten Glaubens von den Parteien konsequent verlangt werden dürfte.245 In der Begrenzung der Haftung nur auf die Fälle, in denen eine Verhandlungspartei schuldhaft gehandelt hat, wird eine unnötige Beschränkung der Kompensation des vorvertraglichen Schadens gesehen.246 Eine schuldhafte Schadenszufügung könne sich nur auf die Höhe der Kompensation (Ersatz des entgangenen Gewinnes zusätzlich zum negativen Interesse) auswirken, nicht jedoch auf die Entstehung der Haftung.247 Andere Stimmen sehen in Art. 72 § 2 KC zwar ein Delikt, aber keine selbstständige Anspruchsgrundlage und ergänzen diesen durch die Voraussetzungen des Art. 415 KC, d.h. durch die Schuld.248 Als Argument dient hierbei die Anwendung der deliktischen Vorschriften über Verjährung, Mittäterschaft sowie 237
Kocot (2013), 150. Machnikowski, in: Pazdan (2008), 699 (718). 239 Kocot (2013), 151. 240 Kocot (2013), 151. 241 Kocot (2013), 77, 153 f.; ders., PPH 5/2003, 10 (23); Rajski et al. (2007), 182; Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (28). 242 Kocot (2013), 77, 153 f.; vgl. ders., PPH 5/2003, 10 (23). 243 Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (28). 244 Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (28). 245 Kocot (2013), 154. 246 Sobolewski, in: Pazdan (2008), 393 (401). 247 Sobolewski, in: Pazdan (2008), 393 (401). 248 Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (138); ders., in: Pazdan (2008), 87 (98); Wójtowicz (2010), 145; Łętowska/Krajewski (2013), 850 f.; vgl. Machnicka (2007), 253–256; SN, Urt. v. 16.9.2011 – IV CSK 626/10, LEX Nr. 1129160; a.A. Machnikowski, in: Pazdan (2008), 699 (716). 238
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Anstiftung, die die Position des Geschädigten angeblich verbessern.249 Manche Autoren betrachten die c.i.c. letztendlich zwar als ein Sonderdelikt, das aber keine Ergänzung durch Art. 415 KC benötigt.250 Demnach enthalte Art. 72 § 2 KC alle Voraussetzungen der Haftung, darunter auch die subjektive Schuld. Auf das subjektive Element weise, dieser Meinung zufolge, der Wortlaut des Art. 72 § 2 KC hin: „insbesondere ohne Absicht, einen Vertrag abzuschließen“. Keine der dargestellten Meinungen vermag zu überzeugen. Insbesondere die Ansicht, die Art. 72 § 2 KC als keine vollständige Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz sieht, ist abzulehnen. Sie missversteht die Voraussetzungen für die Entstehung einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage. Eine Norm bildet dann eine Anspruchsgrundlage, wenn sie einem bestimmten Rechtssubjekt ein Recht darauf gewährt, von einem anderen Rechtssubjekt ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangen zu können.251 Art. 72 § 2 berechtigt diejenige Partei, die in der berechtigten Erwartung eines Vertragsabschlusses einen Schaden erlitten hat, einen Schadensersatz von der entgegen der guten Sitten verhandelnde Partei zu verlangen. Damit enthält Art. 72 § 2 KC alle Elemente einer Anspruchsgrundlage. Art. 72 § 2 KC ist damit eine selbstständige Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz wegen illoyaler Eröffnung und Führung von Vertragsverhandlungen. Die Meinung, die in Art. 72 § 2 KC eine schuldabhängige Haftung sieht, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Die Verhandlungsführung entgegen der guten Sitten stellt ähnlich wie ein Vertragsabschluss über eine anfänglich unmögliche Leistung sowie durch Vertreter ohne Vertretungsmacht eine unerlaubte Handlung dar. Als Voraussetzung für die Annahme des Schadensersatzes ist – ähnlich wie in den dargestellten Beispielen – keine Schuld252 erforderlich. Art. 72 § 2 KC spricht nicht über solch eine Voraussetzung. Ein exemplarisches Beispiel im Wortlaut einer Vorschrift legt nicht abschließend die Voraussetzungen der Haftung fest. Solche Beispiele dienen hauptsächlich als Hilfe bei der Subsumtion. Für eine Ergänzung der Haftungsvoraussetzungen des Art. 72 § 2 KC durch Art. 415 KC besteht ebenfalls kein Bedarf. Zwar werden die deliktischen Vorschriften über die Mittäterschaft oder die Anstiftung nicht angewendet, doch könnte die Haf-
249
Grykiel/Lemkowski, Art. 72 Rn. 24. Łętowska/Krajewski (2013), 850; vgl. Skibiński, Rejent 10/2006, 124 (146); Rogoń, PPH 10/2003, 4 (6 f.); Plich, Prz. Sąd. 7–8/2006, 3 (13) – Der Autor nennt diese Art der Haftung „ein gebrochenes Delikt“. 251 Safjan/Pyziak-Szafnicka (2012), 811. 252 Kidyba/Kopaczyńska-Pieczniak, Art. 103 Anm. 14; Pyziak-Szafnicka/Robaczyński, Art. 103 Anm. 14; Pietrzykowski/Popiołek, Art. 387 Rn. 12; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 387 Rn. 10. 250
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tung aus Artt. 415 KC sowie 417 KC (Haftung des Staates) mit allen Begünstigungen des deliktischen Rechts253 in Frage kommen, wenn der Geschädigte die Schuld des Schädigers beweisen kann. Zudem führte eine solche Ergänzung zur Ausgangslage vor der Reform zurück, als die illoyale Verhandlungsführung nur durch Art. 415 KC sanktioniert wurde. In einem solchen Falle würde die Regelung des Art. 72 § 2 eindeutig ein gesetzliches superfluum darstellen. Bei der Auslegung von Rechtsvorschriften wird regelmäßig unterstellt, dass der Gesetzgeber nach vernünftigen Gesichtspunkten handelt und beispielsweise die herrschende Meinung des Schrifttums und der Rechtsprechung bei seinen Entscheidungen berücksichtigt.254 Bis zu der Verabschiedung der Gesetzesnovelle von 2003 war eine direkt verfasste Verpflichtung zur loyalen Führung der Verhandlungen gesetzlich nicht geregelt. Eine entsprechende Regelung wurde in den Art. 72 § 2 KC eingeführt. Diese Vorschrift stellt eine selbstständige Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz dar und bildet einen Tatbestand einer unerlaubten Handlung gem. Art. 415 KC. Hätte der polnische Gesetzgeber beabsichtigt, dass Art. 72 § 2 KC keine selbstständige Anspruchsgrundlage darstellte, so hätte er vermutlich den Inhalt des Art. 72 § 2 KC nur auf die Nennung des Tatbestands der Verhaltensnorm255 begrenzt. Aus der Entscheidung über die Einführung auch der Rechtsfolgen in Art. 72 § 2 KC folgt, dass er keine Ergänzung durch andere Anspruchsgrundlage braucht. Durch die Einführung des Art. 72 § 2 KC, der eine deutliche Ähnlichkeit zu Artt. 39 § 1, 103 § 3, 387 § 2 KC aufweist, zeigte der polnische Gesetzgeber, dass sich die Haftung für eine illoyale Verhandlungsführung ändern soll. Dafür wurde eine zusätzliche Anspruchsgrundlage eingeführt, die dem getäuschten Verhandlungspartner neben der reinen schuldabhängigen Haftung einen weiteren rechtlichen Schutz gibt. Für ein solches Verständnis spricht nicht nur die grammatische Auslegung dieses Artikels, sondern auch dessen Positionierung im Zivilgesetzbuch. Anstatt im Titel VI „Unerlaubte Handlungen“ befindet sich Art. 72 KC im Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuches, wo die Verhandlungen als eine Art und Weise des Vertragsabschlusses beschrieben sind. Eine ähnliche Vorgehensweise gibt es in den Fällen der anfänglichen Unmöglichkeit, der Vertretung ohne Vertretungsmacht sowie des Schutzes der persönlichen Güter. Keine der genannten Vorschriften befindet sich im Titel VI des Zivilgesetzbuches, obwohl sie unerlaubte Handlungen beschreiben. Auch eine funktionelle Auslegung spricht für die schuldunabhängige Haftung. Ziel und
253
Darunter auch einen vollen und nicht nur auf einen negativen Interesse begrenzten Schadensersatz. 254 Wronkowska/Ziembiński (2001), 162 f. 255 Wie Art. 736 KC, der nur eine Verpflichtung des Antragnehmers zur Benachrichtigung des Antraggebers über eine Absage der Auftragsannahme vorsieht. Für die Vollständigkeit der Anspruchsgrundlage muss dieser Artikel durch eine zusätzliche Norm ergänzt werden.
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Zweck dieser Norm ist ähnlich wie im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit oder der Vertretung ohne Vertretungsmacht der Schutz des Vertrauens in der vorvertraglichen Phase. Zwar schützt Art. 72 § 2 KC nicht das Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages, sondern auf sein Zustandekommen, für den Verhandelnden ist aber das Vertrauen auf beide Tatbestände gleich bedeutsam. Der Schutz des berechtigten Vertrauens auf das Zustandekommen des Vertrages in Form eines Schadensersatzes ermutigt die Teilnehmer des Geschäftsverkehrs, in Verhandlungen miteinander einzutreten, was aus ökonomischer Sicht erwünscht ist. Das Risiko illoyalen Verhaltens bei Verhandlungen wird dann auf den Schädiger abgewälzt. Da nur der Vertrauensschaden zu ersetzen ist, sind die Folgen der Durchbrechung des Verschuldensprinzips gemildert. Art. 72 § 2 KC bildet demnach eine selbstständige Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz wegen der Führung der Verhandlungen entgegen den guten Sitten. Die Meinungen, die in der Auslegung des Art. 72 § 2 KC eine besondere Haftungsart sehen, die sich von der vertraglichen und der deliktischen unterscheidet, sind nicht kohärent. Ihre Schwäche liegt vor allem darin, dass sie weder die Art des Schuldverhältnisses noch die Leistungen und Pflichten der Verhandlungsparteien genau zu konkretisieren vermögen. bb) Anwendungsbereich des Art. 72 § 2 KC Problematisch ist, dass Art. 72 § 2 KC seinem Wortlaut nach nur bei Vertragsverhandlungen angewandt werden kann. Als „Verhandlungen“ wird im polnischen Rechtsraum die gegenseitige Einflussnahme der Parteien verstanden, die mit dem Ziel erfolgt, die Rechtsfolgen, die durch den Vertragsabschluss hervorzurufen sind, zu vereinbaren.256 Sie beginnen dann, wenn das Verhalten einer Partei von der anderen als Einladung zur Verhandlung verstanden wird und sie diese Einladung konkludent annimmt.257 Sie stellen – im Gegensatz zum deutschen Recht – neben Angebot und Annahme sowie der Ausschreibung eine eigene Form des Vertragsabschlusses dar. Fraglich ist, ob der Begriff der Vertragsverhandlungen i.S.d. Art. 72 § 2 KC ausschließlich diese besondere Form des Vertragsschlusses umfasst. Für enge Auslegung des Begriffs der Vertragsverhandlungen spricht erstens die systematische Stellung des Art. 72 § 2 KC. Die Verpflichtung zur loyalen Verhandlungsführung ist geregelt im zweiten Paragraphen des Art. 72 KC, welcher die Vertragsverhandlungen regelt. Der Artikel ist dem Titel IV zugeordnet, welcher das „Rechtsgeschäft“ sowie den „Vertragsabschluss“ regelt. Der Gesetzgeber berief sich zweitens in Art. 72 § 2 KC explizit auf den Begriff der „Verhandlungen“, der in der polnischen Rechtssprache eine Vertragsabschlussart meint. Das weist darauf hin,
256 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 72 Rn. 1; Gudowski/Rudnicki/Trzaskowski, Art. 72 Anm. 1; Pietrzykowski/Brzozowski, Art. 72 Rn. 4. 257 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 72 Rn. 9.
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dass der Gesetzgeber den Art. 72 § 2 KC ausdrücklich auf die Verhandlungen, die einen Vertragsabschluss bezwecken, beschränken wollte. Drittens lässt sich die Erweiterung des Verhandlungsbegriffs auch mittels einer dynamischen teleologischen Auslegung nicht rechtfertigten. Art. 72 § 2 KC wurde erst vor zwölf Jahren eingeführt. Die rechtlichen und sozialen Verhältnisse haben sich in diesem Zeitraum nicht derart geändert, dass eine Anpassung dieser Rechtnorm erforderlich wäre. Viertens betrachtet das Schrifttum eine Eröffnung des Anwendungsbereiches des Art. 72 § 2 KC auf sämtliche Formen des Vertragsabschlusses als praktisch nicht durchsetzbar.258 Die Vertragsverhandlungen lassen ein enges Verhältnis zwischen den Parteien entstehen, das die Annahme eines berechtigten Vertrauens auf den Vertragsabschluss rechtfertigt. Ein Vertragsabschluss durch Angebot-Annahme-Regel führt nicht zwingend zu einem weitgehenden Vertrauensverhältnis, das ein begründetes Vertrauen auf einen sicheren Vertragsabschluss rechtfertigt.259 Im Unterschied zum Vertragsabschluss mittels Verhandlungen sind die Parteien bereits durch die Bindungswirkung des Angebots ausreichend geschützt. Der Vertragsabschluss in der Form einer Ausschreibung oder Versteigerung ist dagegen durch die Vorschriften der Artt. 701 bis 705 KC geregelt. Diese Form des Vertragsabschlusses zeichnet sich dadurch aus, dass ihre genaue Durchführung in einer Ausschreibungsanzeige festgelegt ist. Eine Verletzung einer Pflicht gemäß der Ausschreibungsanzeige (Art. 701 § 4 KC) bewirkt eine vertragliche Haftung (ex contractu).260 Art. 72 § 2 KC findet dementsprechend nur Anwendung für die Verhandlungen i.S.d. Art. 72 § 1 KC.261 cc) Geeignetheit des Schadensersatzanspruchs aus Art. 72 § 2 KC als alleinige Haftungsgrundlage für die culpa in contrahendo Die Verpflichtung zur Loyalität aus Art. 72 § 2 KC bildet weder eine abschließende Anspruchsgrundlage für die Haftung aus der c.i.c. noch führt sie ein neues Haftungsregime ein. Anspruchsgrundlage für Verletzungen vorvertraglicher Pflichten ist auch nach Einführung von Art. 72 § 2 KC weiterhin die deliktische Haftung (Art. 415 KC). Der Regelungszweck des Art. 72 § 2 KC 258
Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 19. Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 19. 260 Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 19; Pyziak-Szafnicka/Robaczyński, Art. 701 Anm. 4–6; Kidyba/Kopaczyńska-Pieczniak, Art. 701 Anm. 10; nach a.A. Haftung aus Delikt gem. Art. 415 KC: Machnikowski (2010), 112. 261 Auch so: SA Warszawa, Urt. v. 18.4.2013 – VI ACa 1395/12, LEX Nr. 1322086; SA Warszawa, Urt. v. 13.11.2008 – I ACa 669/08, LEX Nr. 795205; Kocot (2013), 158; Olejniczak, in: Pazdan (2008), 87 (94); Machnikowski, in: Pazdan (2008), 699 (710); Łętowska/Krajewski (2013), 846 f.; Rzewuska/Rzewuski, in: Nesterowicz (2012), 400 (408); Wójtowicz (2010), 163; a.A. Korus et al./Rogoń, Art. 72 Anm. 2. 259
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besteht vor allem im Schutz vor grundlosem Abbruch der Verhandlung durch den Verhandlungspartner. Zwar regelt er auch die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten.262 Wegen der Beschränkung seiner Regelung auf die Verhandlungen i.S.d. Art. 72 § 1 KC und des Ausschlusses des Schadensersatzanspruchs nach Abschluss des Vertrages, ist die Regelung der vorvertraglichen Informationspflichten jedoch nicht abschließend. Die Kodifizierung des Art. 72 § 2 KC ist vielmehr ein Beispiel der Normenhäufung im polnischen Privatrecht. Für die Schaffung einer speziellen Anspruchsgrundlage für die Haftung wegen des Abbruchs der Vertragsverhandlungen bestand angesichts der gefestigten Rechtsprechung zu Art. 415 KC keine Notwendigkeit. Die durch Art. 72 § 2 KC eingeführte Rechtslage unterscheidet sich von der bisherigen lediglich durch den Wegfall der Voraussetzung des Verschuldens.263 Sie führt somit eine erweiterte Haftung des Schädigers auch für die Schäden, die außerhalb seines Einflussbereiches eintreten, ein. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Vereinfachung der Durchsetzung der Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen wird durch Art. 72 § 2 nicht erreicht. Der Schwerpunkt der Beweisproblematik des Anspruchs aus Art. 72 § 2 KC liegt im Nachweis einer gegen die guten Sitten verstoßenden Verhandlungsführung. Erforderlich ist der Beweis der unberechtigten Erweckung des Vertrauens auf einen Vertragsabschluss sowie des Fehlens eines triftigen Grundes für den Verhandlungsabbruch. Der Beweis des Verschuldens, wie durch Art. 415 KC vorausgesetzt, ist im Vergleich hierzu eher unproblematisch. Der Wegfall der Beweispflicht für das Verschulden führt daher im Ergebnis nicht zu einer erleichterten Durchsetzung des Anspruchs. Im Ergebnis hat Art. 72 § 2 KC nicht mehr als eine präventive Funktion, die in der gesetzlichen Verankerung der bereits nach bisherigem Recht bestehenden Verpflichtung zur Führung der Verhandlungen gemäß den guten Sitten besteht. Daneben bildet sie eine explizite Grundlage für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Handlung im Rahmen des Art. 415 KC. Soweit der Gläubiger ein Verschulden des Schädigers beweisen kann, wird er seinen Anspruch anstatt auf Art. 72 § 2 KC weiterhin auf Art. 415 KC stützen, da dieser einen umfangreicheren Schadensersatzanspruch vermittelt.264 d) Sonstige Haftungsgrundlagen der culpa in contrahendo Außer Artt. 471, 72 § 2, 415 KC vertritt das polnische Schrifttum noch weitere mögliche Grundlagen der c.i.c. Als Haftungsbasis wird auch die anfängliche
262
Siehe § 4 A II 2 e cc. Siehe § 3 B I 2 c aa. 264 Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (138); ders., in: Pazdan (2008), 87 (98); vgl. Rzewuska/Rzewuski, in: Nesterowicz (2012), 400 (421); Grykiel/Lemkowski, Art. 72 Rn. 24; siehe § 4 C II 4. 263
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Unmöglichkeit (Art. 387 § 2 KC)265 gesehen, die anders als im aktuellen deutschen Recht einen Abschluss des nichtigen Vertrages verursacht. Es wird sanktioniert, dass die Partei über die Unmöglichkeit der Leistung Bescheid wusste und der anderen Partei ihren Irrtum über die Erbringbarkeit der Leistung vorenthielt. Für den Schadensersatz aus Art. 387 § 2 KC ist ähnlich wie bei einer illoyalen Verhandlungsführung aus Art. 72 § 2 KC keine schuldhafte Verletzung der Aufklärungspflicht nötig.266 Ähnlich wie die Vorschriften über die Vertretung ohne Vertretungsmacht wird hiermit das Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages geschützt. Art. 387 § 2 KC stellt eine selbstständige Anspruchsgrundlage für den Ersatz des Vertrauensschadens dar, die ähnlich wie Art. 72 § 2 KC keine echte Grundlage für den Schadensersatz aus der c.i.c. bildet. Teilweise wird die Haftungsgrundlage für die c.i.c. in der Schadenersatzhaftung wegen der Nichterfüllung des Vorvertrages aus Art. 390 § 1 KC sowie in der Sachmangelhaftung gem. Artt. 566 § 1 und 574 KC verortet.267 Dagegen spricht, dass bei beiden Haftungsformen bereits vor dem Schadenseintritt ein vertragliches Schuldverhältnis zwischen den Parteien begründet wird: Art. 390 § 1 KC i.V.m. Art. 471 KC setzt ein bestehendes Schuldverhältnis in Form eines Vorvertrages voraus; im Falle der Gewährleistungshaftung aus Artt. 566 § 1 und 574 KC wird ebenfalls ein bestehendes Schuldverhältnis in Form eines Vertrages vorausgesetzt. Da die c.i.c. gerade kein vertragliches Schuldverhältnis begründet, können weder Art. 566 § 1 KC noch Art. 390 § 1 KC eine Anspruchsgrundlage bilden. Abschließend ist zu prüfen, ob Art. 721 KC, der die Haftung bei Verrat von Geschäftsgeheimnissen regelt, die während der Vertragsverhandlungen preisgegeben werden, eine Grundlage für die c.i.c. sein kann. Ähnlich wie Art. 72 § 2 KC hat Art. 721 KC seine Grundlage in den PECL (Art. 2:302) und wurde im Jahre 2003 durch dieselbe Novelle ins Zivilgesetzbuch eingeführt. Gemäß Art. 721 § 1 KC ist bei Vertragsverhandlungen jede Partei zur Geheimhaltung der Informationen verpflichtet, die während der Verhandlungen unter Vorbehalt des Geheimnisses preisgegeben werden und die auch nicht weitergegeben und für eigene Zwecke genutzt werden dürfen. Als Folge der Nichtausübung
265
Pietrzykowski/Popiołek, Art. 387 Rn.12; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 387 Rn. 10; vgl. Gudowski/Żuławska/Trzaskowski, Art. 387 Anm. 5; a.A., wonach es sich um die Haftung handelt, die nicht deliktisch ist, sondern sich auf eine besondere Anspruchsgrundlage stützt, wobei nicht gesagt wurde, welche Anspruchsgrundlage es genau ist: Zawistowski, AUWr 2004, 281 (286). 266 Pietrzykowski/Popiołek, Art. 387 Rn.12; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 387 Rn. 10; Rzetecka-Gil, Art. 387 Anm. 38; Tropaczyńska, PPH 2/1996, 22 (29); a.A. Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (139); Kidyba/Olejniczak, Art. 387 Anm. 7; Ostapa, MoP 3/2005, 147 (151). 267 Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (24).
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oder der nicht ordnungsgemäßen Ausübung dieser Pflichten kann der Berechtigte einen Schadensersatz verlangen (Art. 721 § 2 KC). Dem Wortlaut des Art. 721 § 1 KC nach bildet die Verpflichtung zur Beachtung einer Geheimhaltungspflicht eine Leistung, deren Nichterfüllung bzw. nicht ordnungsgemäße Erfüllung eine Haftung ex contractu verursacht.268 Da es anders als bei der c.i.c. zur Entstehung eines Schuldverhältnisses schon vor der Verletzung der Pflichten kommt, ist diese Pflichtverletzung nicht als die c.i.c. zu betrachten. Der Schadensersatz ist hier eine sekundäre und keine primäre Leistung. Aus dem gleichen Grund kann diese Vorschrift keine Grundlage für die Haftung aus der c.i.c. darstellen. e) Stellungnahme Die Untersuchung hat gezeigt, dass die c.i.c. im polnischen Recht kein spezielles Haftungsregime bildet. Es besteht anders als im deutschen Recht kein Bedürfnis nach der Herausarbeitung einer besonderen Haftung für das Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Die Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten lassen sich unproblematisch als eine unerlaubte Handlung qualifizieren. Die Herausbildung einer besonderen Haftung, die zwischen dem Vertrag und dem Delikt liegt, ist im polnischen Recht nicht erforderlich. Anders als im deutschen Recht existiert keine Sammlung von Fällen, die weder zum vertraglichen noch zum deliktischen Regime gepasst haben. Damit werden keine Lücken im Schadensersatzrecht gefüllt. Die Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten stellen normale unerlaubte Handlungen dar, die ihre Anspruchsgrundlage in Art. 415 KC haben.269 Die Aushilfsfunktion der Haftung aus der c.i.c. ist damit im polnischen Recht nicht gegeben.270 Kennzeichnend für das polnische Recht ist das Fehlen einer expliziten gesetzlichen Grundlage für die vorvertraglichen Pflichten. Eine mit § 241 II BGB vergleichbare Regelung existiert im polnischen Zivilgesetzbuch nicht. Das bedeutet, dass sich die Analyse der polnischen c.i.c. auf die Herausarbeitung der festen Grundlage für die vorvertraglichen Verpflichtungen beziehen wird. 268 Kidyba/Kopaczyńska-Pieczniak, Art. 721 Anm. 7; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 721 Rn. 5 f.; Łętowska/Krajewski (2013), 861; nach a.A. handelt es sich um ein Delikt: Piasecki, Art. 721 Anm. 5. Nach deutschem Recht handelt es sich bei Geheimhaltungspflicht um eine nachwirkende Rücksichtnahmepflicht, siehe Herresthal, in: GS Unberath, 179 (191, 206). 269 SN, Urt. v. 22.2.2007 – III CSK 308/06, LEX Nr. 457699; SN, Urt. v. 5.1.2005 – II CK 353/04, LEX Nr. 1119487; SN, Urt. v. 12.5.2005 – III CK 577/04, LEX Nr. 277131; OSNP 2001/15/480 (688); OSNC 1987/12/210 (74); Rzewuska/Rzewuski, in: Nesterowicz (2012), 400 (419); Skibiński, Rejent 10/2006, 124 (130); Ostapa, MoP 3/2005, 147 (151); Wójtowicz (2010), 145 f.; Machnicka (2007), 253–256; Olejniczak, in: Pazdan (2008), 87 (94); ders., in: FS Ziemianin, 127 (138). 270 Vgl. F. Zoll, in: Stelmach/Schmidt (2004), 227 (235).
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II. Sonstige Funktionen der Haftung aus culpa in contrahendo Die Funktionen der Haftung aus der c.i.c. umfassen die Aufgaben, die normalerweise der deliktischen Haftung obliegen. Im Schrifttum werden drei Hauptfunktionen der deliktischen Haftung genannt: die Ausgleichs-, die Präventions- sowie die Repressionsfunktion.271 Die Ausgleichsfunktion realisiert vor allem das Bedürfnis nach Übertragung der Schadenslast, die der Geschädigte allein trägt, auf ein anderes Subjekt, wenn es aufgrund gesellschaftlich-moralischer Einschätzung unerwünscht ist, die Gesamtbelastung dem Geschädigten zuzusprechen.272 Für die Realisierung dieser Funktion zählen vor allem die Sicherheit und die Vollständigkeit der Schadenserstattung.273 Mit der Ausgleichsfunktion eng verbunden ist die Präventionsfunktion. Sie beeinflusst die potentiellen Täter, auf ein Verhalten zu verzichten, das den Schaden oder andere Einbußen verursachen kann.274 Diese Funktion besitzt eine zweifache Wirkung: Einerseits schreckt sie alle potentiellen Verursacher des Schadens vor dem unerlaubten Tun ab, zweitens beeinflusst sie einen Schädiger, der bereits mit einem Schadensersatz bestraft wurde, ein solches Verhalten in der Zukunft zu vermeiden.275 Die repressive Funktion der Schadenshaftung trifft im Schrifttum auf geteilte Meinungen. Vor allem die Selbstständigkeit dieser Funktion wird als problematisch gesehen. Sie dient, wie der Name selbst sagt, der Bestrafung des Schädigers für die Zufügung des Schadens.276 Allerdings erfüllt das Zivilrecht grundsätzlich, anders als das Strafrecht, keine pönale Funktion.277 Diese Funktion tritt in der Regel lediglich als Nebenfolge der Kompensation des Schadens ein, wodurch ihre selbstständige Bedeutung beschränkt ist.278 Die Erfüllung der Kompensations- und Präventionsfunktion durch die vorvertragliche Haftung gewährleistet ein faires Verhalten der Parteien und fördert die Bereitschaft der Marktteilnehmer, in Verhandlungen einzutreten. Daneben entfalten die vorvertraglichen Pflichten eine Schutzfunktion für das Vertrauen der Parteien auf das loyale Verhalten des Verhandlungspartners. Als dieses Vertrauen ist der psychologische Zustand zu verstehen, der durch die
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Olejniczak/Śmieja (2014), 375. Kaliński (2011), 145. 273 Olejniczak/Śmieja (2014), 375 f. 274 Olejniczak/Śmieja (2014), 378. 275 Olejniczak/Śmieja (2014), 378. 276 Kaliński (2011), 158. 277 Olejniczak/Śmieja (2014), 380. 278 Szpunar, PiP 1/2003, 17 (23); Olejniczak/Śmieja (2014), 380; Kaliński (2011), 159. 272
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Bereitschaft zur Übernahme des abstrakten Risikos eines Schadenseintritts gekennzeichnet ist.279 Die Bereitschaft der Risikoübernahme beruht auf den positiven Erwartungen bezüglich der Absichten oder des Verhaltens der anderen Partei.280 Die Haftung für unfaires Verhalten in der vorvertraglichen Phase dient auch der Minderung der Transaktionskosten, was insbesondere durch Vermeidung von Informationsasymmetrien erreicht wird.281 Problematisch ist dabei die Betrachtung der Information als Ware, die ihren „Preis“ besitzt. Die Weitergabe einer Information bedeutet immer eine Minderung des Vermögens der verpflichteten Partei, da sie die Kosten des Erwerbs getragen hat. Der erwünschte Zustand wird dann eintreten, wenn eine Enthüllung von Informationen für eine Partei günstiger ist als die Kosten der Verantwortlichkeit wegen des Vertrauensbruchs.282 In der vorvertraglichen Phase genießt auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit einen besonderen Schutz. Dafür spricht erstens die Anerkennung dieser Freiheit durch das polnische Privatrecht. Diese ist sowohl durch die Anfechtung bei arglistiger Täuschung283 als auch durch Vorschriften über Informationspflichten des Unternehmens gegenüber Verbrauchern geschützt.284 Die Zugehörigkeit der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zum Schutzbereich der c.i.c. ergibt sich zweitens aus der präventiven Funktion der deliktischen Haftung. Die Parteien sollen freie Entscheidungen treffen können, wobei eine Beeinträchtigung dieser Freiheit zu einer Sanktion führt. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit fällt demnach unter den Schutz der c.i.c. Abschließend ist festzustellen, dass mit der Ausgleichsfunktion eng der Schutz des Vermögens und der Gerechtigkeit im Rechtsverkehr verbunden ist, wodurch die polnische c.i.c. insgesamt eine mit der deutschen vergleichbare Schutzfunktion erfüllt.
§ 4 Tatbestandliche Voraussetzungen der Haftung § 4 Tatbestandliche Voraussetzungen der Haftung
Im folgenden Abschnitt werden die einzelnen Voraussetzungen der Haftung aus der c.i.c. nach dem Recht beider Länder untersucht. Hierbei werden die Merkmale des deutschen vorvertraglichen Schuldverhältnisses kraft Gesetzes sowie der polnischen Haftung für die unerlaubte Handlung analysiert. Im Be-
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Machnikowski (2010), 18. Machnikowski (2010), 18. 281 Machnikowski (2010), 87, 59. 282 Machnikowski (2010), 99. 283 Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 7. 284 Łętowska (2004), 123 f.
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sonderen untersucht werden: tatbestandsmäßiges Verhalten (§ 3 A), Verschulden (§ 3 B), Schaden (§ 3 C) sowie die haftungsausfüllende Kausalität (§ 3 D). A. Tatbestandsmäßiges Verhalten Für die Frage des tatbestandsmäßigen Verhaltens ist von Bedeutung, wie die Verpflichtung zur Aufklärung und Loyalität während der Verhandlungen im deutschen und polnischen Recht geregelt ist. Der Schwerpunkt der Untersuchung der deutschen Regelung besteht in der Bestimmung des Inhalts der genannten vorvertraglichen Pflichten sowie in der Konkretisierung der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens. Die Analyse der polnischen Regelung hat vor allem zum Ziel die rechtliche Quelle der genannten vorvertraglichen Verpflichtungen zu identifizieren. I. Pflichtverletzung im deutschen Recht 1. Inhalt der vorvertraglichen Pflichten Die c.i.c. bildet im deutschen Recht ein Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht. Dieses Schuldverhältnis erzeugt keine Pflicht zur Leistung, aber gem. §§ 311 II, 241 II BGB eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, die Rechtsgüter und die Interessen der anderen Partei. Diese Pflichten werden unterschiedlich benannt: Rücksichtnahmepflichten, Verhaltenspflichten oder auch Schutzpflichten.285 Nachfolgend wird der Oberbegriff „Schutzpflichten“ verwendet, weil dieser am besten auf die Funktion der Haftung aus der c.i.c. hinweist. Zudem vermeidet man eine Verwischung der Abgrenzung zwischen vertraglichen und vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten.286 Die Darstellung konzentriert sich hierbei auf die Aufklärungs- und Loyalitätspflichten. a) Aufklärungspflicht Die Aufklärungspflichten waren in der ersten Fassung des BGB nicht geregelt. Sie waren auch kein Bestandteil der von Rudolf von Ihering entwickelten Lehre. Franz Leonhard erkannte als erster ihre Bedeutung und bezog sie in seine Lehre über die c.i.c. ein. Die Verletzung der Aufklärungspflichten wurde als fahrlässiges Verschweigen der für den Vertragsabschluss relevanten Informationen interpretiert. Zunächst wurde der Abschluss eines Zielvertrages vorausgesetzt, damit es zur Haftung aus der c.i.c. kommen konnte. Mit der wei-
285 Schutzpflichten: MüKo/Bachmann/Roth2012, § 241 Rn. 109; NK-BGB/Krebs, § 241 Rn. 19; Rücksichtnahmepflichten: Palandt/Grüneberg, § 241 Rn. 6; Verhaltenspflichten: Erman/Westermann, § 241 Rn. 10. 286 Vgl. NK-BGB/Krebs, § 241 Rn. 19.
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teren Entwicklung des Haftungsgrunds für die c.i.c. wurden auch die Verletzungen der Aufklärungspflichten ohne einen später abgeschlossenen Vertrag sanktioniert. Zu klären ist, was genau mit den Begriffen „Aufklärung“ und „Aufklärungspflicht“ gemeint ist. Unter der Bezeichnung „Aufklärung“ ist eine belehrende Unterrichtung zu verstehen, mit deren Hilfe Unwissenheit und mangelndes Verständnis beseitigt werden.287 Unter der „Aufklärungspflicht“ versteht man demzufolge die Pflicht, den Gegenpartner unaufgefordert über erkennbar entscheidungsrelevante Umstände zu informieren, die ihm vielleicht verborgen geblieben sind.288 Die Erteilung (i.d.R. auch Erläuterung) von Informationen dient dem Ausgleich eines Wissensvorsprungs, den eine Partei genießt.289 Die Betrachtung der Erfüllung dieser Pflicht ist retrospektiv, da es um Informationen geht, an denen der andere Teil sein früheres Verhalten ausgerichtet hätte.290 Daraus folgt, dass die Aufklärungspflichten grundsätzlich spontan zu erfüllen sind und nicht selbstständig klagbar sind.291 Erst nach Verletzung der Informationspflicht ist es möglich festzustellen, dass der Berechtigte einen Anspruch auf Informationserhalt hatte. Die Aufklärungspflichten sind sozialer Natur, da eine Partei allein schon deshalb zur Weitergabe von Informationen verpflichtet ist, damit ein potentieller Vertragspartner sein Verhalten während der Verhandlungen auch tatsächlich selbst bestimmen kann.292 Der Inhalt der Aufklärungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.293 Zwingende Voraussetzung der Existenz der Aufklärungspflichten ist das Informationsgefälle, d.h. der Umstand, dass eine Partei über mehr Informationen verfügt als die andere.294 Der daraus folgende Informationsbedarf bezieht sich auf ein tatsächliches Bedürfnis der Aufklärung im konkreten Fall und in Bezug auf die konkrete aufklärungsbedürftige Partei.295 Keine Informationsbedürftigkeit besteht hingegen über Umstände, über die die aufklärungsbedürftige Partei zwar nichts weiß, diese aber ohne weiteres selbst recherchieren kann, oder über die sie sich in der von ihr zu erwartenden Weise fachkundig beraten lassen kann.296 Eine weitere Voraussetzung für die Annahme der Existenz der Aufklärungspflicht ist die Entscheidungserheblichkeit der Information, die mitzuteilen ist. Diese muss dazu geeignet sein, die nicht wissende 287
Hadding, in: FS Schimansky, 67 (73 f.). MüKo/Bachmann, § 241 Rn. 110; Klingler (1981), 20; RGZ 111, 233 (235). 289 Werres (1985), 24. 290 Bamberger/Roth/Sutschet, § 241 Rn. 77; MüKo/Bachmann/Roth2012, § 241 Rn. 130. 291 Wolf/Neuner (2012), Rn. 52; vgl. MüKo/Bachmann/Roth2012, § 241 Rn. 130. 292 Wolf/Neuner (2012), Rn. 52; vgl. MüKo/Bachmann/Roth2012, § 241 Rn. 130. 293 Emmerich, in: FS Jahr, 267 (275); vgl. ders., Jura 1987, 561 (563); BGH, NJW 2010, 3362. 294 Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 437, 440; A. Pohlmann (2002), 104; Werres (1985), 24. 295 Breidenbach (1989), 65. 296 MüKo/Bachmann, § 241 Rn. 122a. 288
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Partei vom Vertragsschluss abzuhalten.297 Daraus folgt, dass Informationen über solche Umstände weiterzugeben sind, die den von der Verhandlungspartei verfolgten Vertragszweck vereiteln könnten und die für die Entscheidung für oder gegen einen Vertragsschluss von wesentlicher Bedeutung sind.298 Die informationsbedürftige Partei muss an der Aufklärung ein schutzwürdiges Interesse haben, d.h. die Information darf nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen oder Geschäftsgeheimnisse preisgeben.299 Abschließend wird die Zumutbarkeit der Informationsweitergabe vorausgesetzt, die durch eine Abwägung der Risikoverteilung zu ermitteln ist.300 Diese Abwägung erfolgt im Spannungsfeld zwischen dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit und der Zumutbarkeit der Haftung als Folge einer Pflichtverletzung.301 Stets müssen die Interessen der einen Seite am Informationserhalt und die Interessen der anderen Seite am Informationsverschweigen abgewogen werden, damit die Transaktion für beide Parteien noch vernünftig scheint. Über den Inhalt der Aufklärungspflichten entscheidet oft die Intensität der Beziehungen zwischen Verhandlungspartnern: Mit der Zunahme der Intensität der Verhältnisse steigert sich auch der Umfang der Aufklärung.302 Damit dieser nicht ins Uferlose ausgedehnt wird, ist es vertretbar, als Maßstab für die Bezeichnung des Pflichtumfangs neben der Intensität der Beziehungen die Verteilung der Informationsrollen nach Funktionskreis anzuwenden.303 Für die Feststellung des Funktionskreises, d.h. der Funktion des Pflichtigen und deren Reichweite, sind die gesamten tatsächlichen Umstände und Beziehungen der Partei heranzuziehen.304 Für die Bestimmung des Inhalts der Aufklärungspflichten von Bedeutung ist ihre Abgrenzung zu ähnlichen Pflichten, insbesondere zu den Auskunftsund Beratungspflichten. Eine Auskunft ist im Unterschied zur Aufklärung eine erbetene Unterrichtung auf Anfrage.305 Beim Rat geht die Differenzierung noch über die Auskunft hinaus, indem der Befragte eine eigene Stellungnahme zu den Gestaltungsmöglichkeiten abgibt, die nach seiner Ansicht dem Empfänger seines Rats offenstehen.306 In beiden Fällen ist die Aufklärung gleich
297 Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 442; vgl. Emmerich (2003), 96; RGZ 62, 149 (150); vgl. RGZ 120, 249 (252). 298 BGH, NJW 1979, 2243; NJW 2006, 3139 (3141); vgl. RGZ 111, 233 (234). 299 Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 443; A. Pohlmann (2002), 106 f. 300 Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 444; Werres (1985), 16; vgl. RGZ 111, 233 (234 f.); BGH, NJW 1965, 35; OLG München, NJW 1967, 158; a.A. Böhme (1964), 84 f. 301 Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 444; Werres (1985), 16. 302 Breidenbach (1989), 53. 303 Breidenbach (1989), 56. 304 Breidenbach (1989), 75. 305 Hadding, in: FS Schimansky, 67 (74). 306 Hadding, in: FS Schimansky, 67 (74).
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wie bei der Empfehlung, die auf eine Anfrage hin erteilte Information.307 Die Auskunftspflichten fallen dagegen als leistungsbezogene Nebenpflichten in den Anwendungsbereich des § 241 I BGB und sind dadurch im Unterschied zu den Aufklärungspflichten selbstständig klagbar.308 Außer Auskunfts- und Beratungspflichten gibt es noch die Warnpflichten, die aber der Gefahrenabwehr dienen, und dies im Unterschied zu den Informationspflichten, die Selbstbestimmungsvoraussetzungen verbessern.309 b) Loyalitätspflicht Die Verpflichtung, die Vertragsverhandlungen loyal und fair durchzuführen, wurde lange Zeit nicht vom Schrifttum anerkannt, da die am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts herrschende Zielvertragstheorie über die Voraussetzungen der Haftung aus der c.i.c. entschieden hatte.310 Die anfängliche Rechtsprechung des Reichsgerichts dagegen machte die Sanktionierung des Abbruchs der Verhandlungen und den Ersatz der nutzlosen Aufwendungen von der Erfüllung der Voraussetzungen von § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB oder von § 826 abhängig.311 Es ist vor allem den Lehren von Heinrich Stoll und Walter Erman zu verdanken, dass die Verpflichtung zur Loyalität und damit der Abbruch der Vertragsverhandlungen als Fallgruppe der c.i.c. vom Schrifttum anerkannt312 und von der Rechtsprechung übernommen wurde.313 Die Loyalitätspflicht umfasst die Verpflichtung der Verhandlungspartner, bei der anderen Partei keine falschen Erwartungen über das Zustandekommen eines Vertrages zu erwecken.314 Die Rechtsordnung verpflichtet deshalb die angehenden Vertragspartner zur fairen Verhandlungsführung.315 Das umfasst nicht nur die Mitteilung über die fehlende Bereitschaft zum Vertragsabschluss, sondern auch die redliche Führung der Vertragsverhandlungen. Konkret bedeutet dies: keine Verhandlungsführung ohne die Absicht, einen Vertrag abzuschließen, und kein grundloser Abbruch der Verhandlungen, nachdem das Vertrauen auf ein sicheres Zustandekommen des Vertrages ausgelöst wurde. Die
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Hadding, in: FS Schimansky, 67 (74 f.). Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 429. 309 Wolf/Neuner (2012), Rn. 53. 310 Siehe § 3 A I. 311 BGH, LZ 1910, Sp. 80 (81); RGZ 61, 207 (213); von Tuhr (1914), 490; Dernburg (1902), 391; ders. (1886), 28 Fn. 8. 312 Heinricht Stoll (1936), 176 f.; ders., LM 1923, 532; Erman, AcP 139 (1934/35), 273 ff.; siehe § 3 A II 1 a bb. 313 RGZ 143, 219 (222). 314 BGH, NJW 1967, 2199; Emmerich (2003), 119. 315 Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 105. 308
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Parteien sind deswegen verpflichtet, einander über jede Änderung der Abschlussbereitschaft zu informieren und ein Scheitern der Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund zu vermeiden. 2. Pflichtwidriges Verhalten Die Analyse berücksichtigt den Grundsatz, dass jede Partei zunächst einmal für sich selbst zu sorgen hat, statt sich auf ein stets korrektes Verhalten seines Gegners zu verlassen.316 a) Aufklärungspflichtverletzung Jede Vertragspartei soll sich selbst über die Chancen und Risiken eines Geschäfts vor Abschluss eines Vertrages informieren, insbesondere über die allgemeinen Marktverhältnisse sowie über den Vertragsgegenstand selbst.317 Es besteht keine allgemeine Rechtspflicht, dass der Gegenpart über alle Umstände aufgeklärt werden müsste, die seine Willensentschließung beeinflussen können.318 Zur Aufklärungspflicht gehört dann nur die Weitergabe solcher Informationen, die sich auf Umstände beziehen, die dem wissenden Partner allein bekannt sind und von denen er weiß, dass sie für seinen zukünftigen Vertragspartner von besonderer Bedeutung für den Vertragsschluss sind, z.B. die Umstände, die den Vertragszweck vereiteln können oder aus denen sich die besonderen Gefahren bei der Vertragsdurchführung ergeben können und die daher für den anderen Teil von wesentlicher Bedeutung sind.319 Die Verletzung der Aufklärungspflichten kann grundsätzlich nur durch Unterlassen erfolgen.320 Die Rechtsordnung sanktioniert das unzulässige Ausnutzen eines Wissensvorsprungs durch die besser informierte Verhandlungspartei und das Verschweigen von Informationen, die für die andere Partei entscheidungserheblich sind. Das Ausnutzen von Wissensvorsprüngen ist dann nicht unzulässig, wenn die Informationsasymmetrie der Funktionsfähigkeit der Gesamtordnung dient.321 Beispiele hierfür sind Informationen bezüglich der Marktverhältnisse322 oder das innovative Wissen einer Partei.323 Zu den Informationen, die
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Erman, AcP 139 (1934/35), 273 (275); vgl. RGZ 62, 149 (150); 111, 233 (234). Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 70. 318 Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 70; vgl. MüKo/Bachmann, § 241 Rn. 123; vgl. RGZ 111, 233 (234 f.); BGH, NJW 2010, 3362. 319 Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 70, 72; Emmerich (2003), 99; Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 440; BGH, NJW 1979, 2243; NJW 2010, 3362. 320 S. Lorenz (1997), 409; Böhme (1964), 3. 321 Schwarze (2008), § 33 Rn. 10. 322 Schwarze (2001), 296; Werres (1985), 129 f.; Böhme (1964), 134 f.; RGZ 111, 233 (234 f.); OLG München, NJW 1967, 158. 323 Schwarze (2008), § 33 Rn. 12. 317
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somit nicht von der Aufklärungspflicht umfasst sind, zählen bspw. das Vorliegen von Konkurrenzangebote,324 Berechnungsgrundlagen des Kaufpreises sowie seine Kalkulation.325 Die Selbstverantwortung für die Informationsbeschaffung ist bei Unerfahrenheit der Partei und bei Insiderwissen begrenzt. Insiderwissen meint Wissen über nicht öffentlich bekannte Tatsachen, das eine Partei aufgrund ihrer beruflichen oder amtlichen Funktion erworben hat und das nicht für alle Marktteilnehmer zugänglich ist.326 Durch die Verpflichtung zur Aufklärung über solche Insiderinformationen wird der Wissensvorsprung einer der Parteien gemildert und dadurch die informationelle Asymmetrie zwischen den Verhandlungsparteien ausgeglichen. Die Verpflichtung zur Aufklärung umfasst nur solche Informationen, die der verpflichteten Partei bereits bekannt sind.327 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine allgemeine Pflicht zur Beschaffung aller möglichen für die Gegenpartei wichtigen Informationen nicht besteht. Die Verpflichtung zur Aufklärung wird bereits durch das Hinweisen der anderen Partei auf ihren Informationsbedarf erfüllt.328 Eine Bereitstellung der Information ist daher nicht zwingend. Von der eigentlichen Aufklärungspflichtverletzung ist die positive Falschangabe abzugrenzen. Letztere liegt vor, wenn zwar keine Aufklärungspflicht besteht, aber dennoch falsche Angaben – aus eigenem Antrieb oder auf Befragen hin – gemacht werden.329 Gegenstand einer Falschangabe kann nur eine positive Tatsachenerklärung sein, wobei bereits eine Unvollständigkeit der Erklärung die Falschangabe begründen kann.330 Sie stellt stets eine Verletzung der vorvertraglichen Pflichten dar.331 Die Abgrenzung von positiver Falschangabe vom Unterlassen der Aufklärung kann sich auf § 157 BGB stützen.332 Verbunden mit der positiven Falschangabe sind die Aufklärungspflichten aus Ingerenz. Dieses Verhältnis wird insbesondere in Fällen der fahrlässigen Täuschung angenommen, die dann vorliegt, wenn ein Verhandlungspartner durch falsche oder unzugängliche Angaben über den Vertragsgegenstand, den sonstigen Vertragsinhalt oder andere für den Vertragswillen des anderen Teils erhebliche Umstände Leistungserwartungen weckt, die durch den Vertragsinhalt nicht gedeckt sind.333 Diese Aufklärungspflichten haben ihren Grund in 324
OLG Dresden, NJW-RR 1998, 1351 (1353). BGH, NJW 1981, 2050. 326 Schwarze (2001), 297, 299; ders. (2008), § 33 Rn. 11 f.; Werres (1985), 130 f. 327 Emmerich (2003), 97 f. 328 Schwarze (2008), § 33 Rn. 15; vgl. BGH, NJW 1977, 1055 (1056); Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 440. 329 MüKo/Bachmann, § 241 Rn. 115. 330 S. Lorenz (1997), 413; Schwarze (2008), § 33 Rn. 8. 331 Grigoleit (1997), 6 m.w.N. in Fn. 2; S. Lorenz (1997), 409 f.; Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 453. 332 Vgl. S. Lorenz (1997), 410 f. 333 S. Lorenz (1997), 391. 325
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einem vorangegangenen pflichtwidrigen Tun.334 Um diesen Vorwurf zu vermeiden, muss die verpflichtete Partei über den Irrtum aufklären, den sie beim anderen hervorgerufen hat, erkannt hat oder erkennen müsste.335 b) Abbruch von Vertragsverhandlungen Die Vertragsverhandlungen dienen der Erzielung von Klarheit über das Zustandekommen einer vertraglichen Einigung sowie über ihren Inhalt.336 Die Verhandlungsparteien sind grundsätzlich frei in der Entscheidung, ob sie die Verhandlungen führen wollen und ob sie mit einem Vertragsschluss beendet werden. Ihre Vertragsfreiheit wird durch das Aufnehmen von Verhandlungen nicht beschränkt.337 Derjenige, der die Aufwendungen für einen künftigen Vertrag tätigt, tut dies grundsätzlich nur auf eigenes Risiko. Die Situation ändert sich aber, wenn derjenige, der die Verhandlungen abbricht, durch sein früheres Verhalten bei dem anderen Teil das Vertrauen geweckt oder genährt hat, der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen.338 Wenn solche Verhandlungen ohne einen triftigen Grund abgebrochen werden, entsteht ein Anspruch auf Schadensersatz für die gemachten Aufwendungen. aa) Art des pflichtwidrigen Verhaltens Fraglich ist, was genau als pflichtwidriges Verhalten des Schädigers zu qualifizieren ist. Für manche Autoren liegt die Pflichtverletzung in der Erweckung oder Aufrechterhaltung einer unzutreffenden Vorstellung des Verhandlungspartners über die für dessen Willensbildung maßgeblichen Umstände.339 Nach dieser Ansicht ist der Abbruch der Vertragsverhandlungen ein Unterfall der Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflichten, da die schädigende Partei ihren Verhandlungspartner nicht über ihre tatsächliche Vertragsabschlussbereitschaft informiert.340 Der Verhandlungspartner kann dieser Ansicht nach auf die Erklärung der anderen Partei hinsichtlich der Bereitschaft zum Vertragsabschluss vertrauen.341 Ein Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung ver-
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S. Lorenz (1997), 431. Emmerich (2003), 101. 336 BGH, NJW 1967, 2199. 337 Fikentscher/Heinemann (2006), Rn. 93. 338 BGH, NJW 1967, 2199; WM 1970, 1110; BGHZ 76, 343 (349); BGH, ZIP 1988, 89 (90); BGH, WM 1989, 685 (687); Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (391); Schwarze (2008), § 33 Rn. 42. 339 Schmitz (1980), 164 f.; Erman/Kindl, § 311 Rn. 34; Bodewig, Jura 2001, 1 (4). 340 Schmitz (1980), 164 f.; Erman/Kindl, § 311 Rn. 34; Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093 (1094, 1102); Bodewig, Jura 2001, 1 (5); Busche (1999), 146 f.; D. Kaiser, JZ 1997, 448 (449). 341 Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093 (1099). 335
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treten dagegen eine verschuldensunabhängige Vertrauenshaftung, die teilweise durch eine Analogie zu § 122 BGB,342 teilweise durch einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf den Ersatz des Vertrauensschadens anhand einer richterlichen Rechtsfortbildung begründet wird.343 Einige Autoren sehen in der Aufnahme von der Verhandlungen eine konkludente Kostenübernahmeerklärung der Verhandlungspartner, die Aufwendungen, die durch das Scheitern der Vertragsverhandlungen entstanden sind zu ersetzen.344 Für das Vorliegen einer entsprechenden Vereinbarung ist die Auslegung der Erklärungen der Parteien maßgeblich.345 Daneben wird von einem Teil des Schrifttums auch eine stillschweigende Übernahme einer Garantie i.S.d. § 276 I 1 BGB vertreten, nach welcher ein Abbruch der Verhandlungen nur bei Vorliegen eines triftigen Grundes zulässig sei.346 Einer anderen Ansicht zufolge liegt der Haftungsgrund vielmehr im schuldhaften Zuwiderhandeln gegen die durch das eigene Verhalten hervorgerufene Bindung (Verbot des venire contra factum proprium).347 Der Grundsatz des venire contra factum proprium verbiete nicht das ursprüngliche, sondern erst das spätere im Widerspruch zum früheren stehende Verhalten.348 Die Pflichtwidrigkeit sieht diese Ansicht folglich nicht im Erwecken des Vertrauens, sondern erst im nachfolgenden Abstandnehmen vom Vertragsschluss. Daraus folge, dass der Verhandlungspartner durch den von ihm geschaffenen Vertrauenstatbestand gebunden wird und damit die Verhandlungen nicht grundlos abbrechen kann.349 Gegen die Ansicht, welche den Abbruch der Vertragsverhandlungen als eine Aufklärungspflichtverletzung qualifiziert, spricht ihre Begrenzung der Haftung nur auf die Fälle, in denen von Anfang an ein nicht den tatsächlichen Absichten entsprechendes Vertrauen erweckt oder aufrechterhalten wurde. Das grundlose Abbrechen von Vertragsverhandlungen, nachdem ursprünglich ein mit dem Parteiwillen übereinstimmendes Vertrauen auf den Vertragsabschluss erweckt wurde, würde dieser Ansicht nach nicht sanktioniert werden. Das Vertrauen wäre somit nur partiell geschützt. Darüber hinaus ist die Anknüpfung an eine Analogie zu § 122 BGB verfehlt. Da die Schuldrechtsreform 342
BGH, WM 1969, 595 (597); NJW 1974, 508 (509); WM 1996, 738 (740); Larenz (1987), 107 f.; ders., in: FS Ballerstedt, 397 (418); Singer (1993), 270, 279, 306 f.; a.A. M. Weber, AcP 192 (1992), 390 (407–410, 434 f.). 343 Canaris, in: FS 50 Jahre BGH, 129 (181 f.). 344 Grunewald, JZ 1984, 708, 711. 345 Grunewald, JZ 1984, 708, 711. 346 Jauernig/Stadler, § 311 Rn. 61. 347 Staudinger/Löwisch2001, Vorbem. zu §§ 275–283 Rn. 74; Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 130, 136; Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 60; Hackl (1980), 50; Küpper (1988), 218; a.A. M. Weber, AcP 192 (1992), 390 (414 f.); Wertenbruch, ZIP 2004, 1525 (1529). 348 Küpper (1988), 218. 349 Singer (1993), 273.
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eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die c.i.c. in §§ 311 II, 241 II und 280 I BGB eingeführt hat, ist eine solche Analogie nicht zulässig. Die Autoren, die den Grund der Haftung in einer Kosten- und Garantieübernahme der Parteien sehen, verkennen, dass in den Fällen der c.i.c. die Parteien gerade keine Vereinbarungen über die gegenseitigen Pflichten im Rahmen der Verhandlungen treffen. Andernfalls wäre ein gesetzliches vorvertragliches Schuldverhältnis schließlich überflüssig. Das Zugrundelegen einer solchen Kosten- und Garantieübernahme ist völlig fiktiv und vermag nicht die Haftung für den Verhandlungsabbruch zu begründen. Für die Ansicht, welche die Grundlage der Haftung in der venire-Formel sieht, spricht ihre Erfassung der Fälle, in denen die Vertragsverhandlungen grundlos abgebrochen wurden, die Erweckung des Vertrauens der anderen Partei auf den Vertragsschluss aber pflichtgemäß erfolgte. Bei der Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen geht es nämlich weniger um die Verletzung der Aufklärung des Partners über die Vertragsabschlussbereitschaft, als vielmehr um den Schutz des erweckten Vertrauens auf das Zustandekommen des Vertrags. Die Anwendung der venire-Formel konstituiert des Weiteren keinen unzulässigen Kontrahierungszwang in Form eines Verbotes des Nichtabschlusses des Vertrags.350 Die Anwendung der venire-Formel kann verschiedene Folgen nach sich ziehen. Ein völliges Verbot der Rechtsausübung, als ihre grundsätzlich schärfste Folge,351 konstituiert die Schadensersatzhaftung für die c.i.c. jedoch gerade nicht, da sie dem Gläubiger einen entgeltlichen Schadensersatzanspruch und keinen Anspruch auf Vertragsschluss gibt.352 Durch die Schuldrechtsreform ist die Anwendung der venire-Formel auf den Abbruch der Vertragsverhandlungen teilweise überflüssig geworden, da eine eindeutige rechtliche Grundlage für die Haftung wegen Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten in §§ 241 II, 280 BGB eingeführt wurde.353 Von Bedeutung ist diese Formel jedoch weiterhin für Begründung der Haftung für die Verletzungen der vorvertraglichen Loyalitätspflichten: Erst die grundlose Enttäuschung des Vertrauens führt zur Entstehung der Haftung für die c.i.c. Daher ist die nicht berechtigte Erweckung des Vertrauens auf dem Vertragsabschluss keine Fallgruppe des Abbruchs der Vertragsverhandlungen. In diesen Fällen liegt eine Aufklärungspflichtverletzung vor, da der Schädiger über fehlende Vertragsabschlussbereitschaft den Gegenpartner nicht informiert hat. Insbesondere hat die Partei, die eine falsche Erwartung auf Vertragsabschluss 350
So aber: Wertenbruch, ZIP 2004, 1525 (1529). Erman/Böttcher/Hohloch, § 242 Rn. 130. 352 Siehe § 5 A II. 353 Vgl. BGHZ 76, 343 (349); BGH, NJW 1998, 1884 (1885) – mit Ausnahme der Fälle von Vorstößen gegen die Formvorschriften; BGH, NJW 2013, 928 (929); Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 134; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 30; Erman/Kindl, § 311 Rn. 39; Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 57; MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 162 m.w.N. aus der Rspr. (Fn. 587). 351
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erweckt und die das auch erkennt hat, über ein solcher Irrtum ihre Gegenpartei aufzuklären. Falls beide Pflichten (Aufklärungs- und Loyalitätspflicht) verletzt werden, wird es im Einzelfall entschieden, worin der Schwerpunkt der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens liegt. bb) Voraussetzungen für die Pflichtwidrigkeit des Verhandlungsabbruchs Für die Annahme der Pflichtwidrigkeit des Abbruchs der Vertragsverhandlungen ist ein Vertrauenstatbestand sowie dessen grundlose, d.h. ohne einen triftigen Grund, Beendigung vorausgesetzt. (1) Vertrauenstatbestand Als Voraussetzung für die Pflichtwidrigkeit des Abbruchs der Vertragsverhandlungen ist die Erweckung eines qualifizierten Vertrauenstatbestandes.354 Für die Annahme eines solchen Tatbestandes ist ausreichend sowohl die Stellung des Abschlusses des Vertrages als gesichert in Aussicht, als auch die Veranlassung der Gegenseite zu bestimmten Vermögensdispositionen im Hinblick auf das mögliche Zustandekommen des Vertrages.355 Der Vertrauenstatbestand liegt beispielsweise vor, wenn die Parteien mit der Durchführung des Vertrages beginnen356 oder wenn der eine Teil den anderen zu Vorleistungen veranlasst,357 und auch dann, wenn der andere Teil zur Abstandnahme von einem günstigeren Vertragsschluss bewegt wird.358 Dabei muss die Disposition nicht direkt eine tatsächliche Vermögensminderung des Vertrauenden verursachen. Es reicht bereits aus, dass der Vertrauende die Annahme eines Konkurrenzangebots ablehnt. Die Erweckung des Vertrauens muss dem Verhandlungspartner zurechenbar sein. Dies ist dann der Fall, wenn die verantwortliche Partei das Entstehen des Vertrauenstatbestandes durch ihr Verhalten in objektiver Weise zu verantworten hat.359 Dies bedeutet, dass der Partei bewusst ist oder zumindest bewusst sein müsste, dass die Gegenseite wegen ihres Verhaltens auf das Zustandekommen des Vertrages vertrauen wird.360 Ein Vertrauenstatbestand liegt nicht vor, wenn sich die Parteien zwar in längeren und ernsthaft geführten Vertragsverhandlungen befinden, jedoch keine Partei konkret das Vertrauen
354 BGH, NJW 1978, 1774; Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 58; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 31; vgl. RGZ 159, 33 (55). 355 Küpper (1988), 225; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 31 m.w.N.; vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR, 1988, 988. 356 BGHZ 6, 330 (334 f.). 357 BGHZ 92, 164 (169). 358 RGZ 159, 33 (55). 359 Küpper (1988), 231. 360 Küpper (1988), 231.
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auf ein sicheres Zustandekommen des Vertrages erweckt.361 Der Vertrauenstatbestand ist zeitlich begrenzt. Der Verhandlungspartner muss daher in einer angemessenen Frist dem anderen Partner Klarheit darüber verschaffen, ob er seinerseits einen Vertrag mit dem vorgeschlagenen Inhalt abschließen möchte.362 (2) Kein triftiger Grund für den Verhandlungsabbruch Die Verhandlungen müssen ohne einen triftigen Grund abgebrochen worden sein. Dabei sind an den triftigen Grund keine zu hohen Anforderungen zu stellen.363 Vielmehr ist jede vernünftige Erwägung ausreichend.364 Eine Bindung der Zulässigkeit des Abbruchs von Vertragsverhandlungen an zu strenge Voraussetzungen würde einen Kontrahierungszwang begründen und stände somit nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Privatautonomie. Im Übrigen haben selbst die Parteien des Dauerschuldverhältnisses die Möglichkeit, dieses zu kündigen. Es ist kein Grund ersichtlich, die Parteien eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses stärker zu binden, als die Parteien eines Dauerschuldverhältnisses.365 Als triftige Gründe kommen beispielsweise ein günstigeres Angebot eines anderen Anbieters,366 die Verschlechterung der Absatzchancen für das in Betracht gezogene Produkt367 sowie die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses durch den Verhandlungspartner in Betracht.368 Ein triftiger Grund liegt nicht vor, wenn sachfremde Erwägungen vorgeschoben werden. Beispiele hierfür sind: Die Forderung einer überhöhten Sicherheit, das Nachschieben immer nachteiliger Vertragsbedingungen,369 oder auch die absichtliche Verzögerung der Verhandlungen durch die Wiederverhandlung von bereits zugestimmten Bedingungen. Bei der Beurteilung des Bestehens von triftigen Gründen ist es unerheblich, ob der Pflichtige den triftigen Grund beim Verhandlungsabbruch kennt oder ob der Grund ihm zunächst unbekannt ist und er sich erst später auf ihn beruft.370
361
BGH, WM 1989, 685 (686). BGH, WM 1970, 1110 (1111). 363 Vgl. Erman/Kindl, § 311 Rn. 40; Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 61; a.A. Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 137; Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (450). 364 Emmerich (2003), 120 f. 365 Vgl. Páez-Maletz (1992), 208. 366 BGH, WM 1974, 508 (510). 367 Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 61. 368 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 988 (989). 369 Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 32 m.w.N. 370 Küpper (1988), 250. 362
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3. Zeitlicher Anwendungsbereich Vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 2002 war es im Schrifttum und in der Rechtsprechung umstritten, wann genau die Haftung für die c.i.c. beginnt. Es wurden unterschiedliche Zeitpunkte vertreten: Eingehen der Verhandlungen,371 Zeitpunkt, in dem der Verhandlungspartner die Überzeugung gewinnt, es werde mit Sicherheit zum Vertragsschluss kommen,372 Zugang des Angebots373 sowie Abschluss des Vertrages374. Der Gesetzgeber hat die Entstehung des vorvertraglichen Schuldverhältnisses in § 311 II BGB geregelt. Das Schuldverhältnis entsteht zum einen durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ist ein Realakt, was zur Folge hat, dass eine Willenserklärung entbehrlich ist.375 Sie liegt dann vor, wenn sich zwei oder mehr Personen mit dem Ziel, einen bindenden Vertrag abzuschließen, in die Verhandlungen begeben.376 Es reicht zweitens auch die bloße Anbahnung des Rechtskontaktes aus, bei der der eine Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils hat. Dieser Tatbestand ist dann gegeben, wenn die Parteien in rechtsgeschäftliche Kontakte eingetreten sind, die zwar noch nicht das Stadium der Vertragsverhandlungen erreicht haben, die aber doch vor dem Hintergrund eines möglichen Vertragsschlusses zwischen den Parteien stattfinden.377 Diese Tatbestände beziehen sich hauptsächlich auf die Verletzungen der Verkehrspflichten, die hier nicht tiefergehend besprochen werden. Abschließend wird ein vorvertragliches Schuldverhältnis durch ähnliche geschäftliche Kontakte begründet. Ein bloßer sozialer Kontakt ist für die Begründung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses nicht ausreichend.378 Das Schuldverhältnis aus einer Vertragsanbahnung endet entweder mit dem Abschluss des Vertrages, oder wenn die Parteien ihren geschäftlichen Kontakt aufgegeben haben, ohne dass es zu einem Vertragsschluss kommt.379 Der haftungsrechtliche Schutz für die Verletzung der Aufklärungspflichten entsteht unmittelbar mit dem vorvertraglichen Schuldverhältnis.380 Etwas an-
371
Kreß (1929), 584; Frotz (1972), 62; Blomeyer (1969), 72; Welser (1970), 57; Larenz, in: FS Ballerstedt, 397. 372 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (447); Nirk, RabelsZ 18 (1953), 310 (313). 373 von Ihering, in: von Ihering (1881), 327 (364). 374 Leonhard (1910), 44. 375 Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 45; NK-BGB/Krebs, § 311 Rn. 40; MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 43. 376 Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 103; MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 43. 377 Erman/Kindl, § 311 Rn. 21. 378 Erman/Kindl, § 311 Rn. 19. 379 Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 112; Herresthal, in: GS Unberath, 179 (190); Gernhuber (1989), 173; Nirk, RabelsZ 18 (1953), 310 (313); Larenz (1987), 117. 380 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (447).
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deres gilt für den Abbruch der Vertragsverhandlungen. Mit dem Schuldverhältnis entsteht nur eine Verpflichtung zur Loyalität, deren Verletzung aber erst nach der Entstehung des Vertrauenstatbestandes zur Haftung führt. Wenn das Vertrauen auf den Vertragsabschluss gestört ist, endet auch die Verpflichtung. Sie kann aber innerhalb derselben Verhandlungen wieder entstehen. II. Unerlaubte Handlung im polnischen Recht Im Weiteren wird zu prüfen sein, was genau die Unzulässigkeit der Handlungsvornahme in der vorvertraglichen Phase begründet. Dazu wird zuerst der Umfang des Rechtswidrigkeitsbegriffs bestimmt und anschließend werden die Grundlagen der vorvertraglichen Verpflichtung zur Aufklärung und Loyalität dargestellt. 1. Begriff der Rechtswidrigkeit der Handlung Wie bereits beschrieben,381 bildet im polnischen Zivilrecht das Delikt (Art. 415 KC) die Haftungsgrundlage für die c.i.c. Folglich wird eine schuldhafte Herbeiführung des Schadens vorausgesetzt. Fraglich ist, ob die Rechtswidrigkeit der Tat, die in Art. 415 KC nicht explizit vorausgesetzt wird, objektiver Bestandteil der Schuld ist. Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich die historische Auslegung des Schuldrechtsgesetzbuches von 1933 an. Art. 134 KZ war Vorbild für die zeitlich spätere Regelung der Deliktshaftung. Er hatte einen vergleichbaren Wortlaut zu Art. 415 KC, und war ebenfalls gekennzeichnet durch das Fehlen einer legalen Schulddefinition. Das damalige Schrifttum vertrat einen aus zwei Bestandteilen bestehenden Schuldbegriff, d.h. aus einem objektiven und einem subjektiven Teil.382 Der objektive Schuldtatbestand ist demzufolge dann erfüllt, wenn sich eine Person nicht so verhält, wie sich ein umsichtiger und die Rechte anderer Personen achtender Mensch in der Gesellschaft verhalten würde.383 Was konkret ein Verhalten unter Missachtung der Rechte anderen Personen begründet, war im Schrifttum strittig. Zum Teil wurde die Meinung vertreten, darunter sei die Verletzung eines fremden, durch Rechtsgrundsätze geschützten (subjektiven) Rechts zu verstehen.384 Andere Autoren kritisierten zu Recht diese Auslegung und gingen von der Verletzung fremder Güter aus.385 Für das Verständnis des „Verhaltens unter Missachtung der Rechte anderen Personen“ als Verletzung der fremden Güter spricht, dass Art. 134 KZ keine Verletzung eines subjektiven Rechts (also eines absolut geschützten Rechtsguts) voraussetzte. Das objektive Element der 381
Siehe § 3 B I 2 e. Longchamps de Berier (1939), 232; Sośniak (1959), 74; vgl. Nowakowski (1948), 16. 383 Longchamps de Berier (1939), 232. 384 Nowakowski (1948), 16; Domański (1936), 604. 385 Sośniak (1959), 120. 382
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Schuld bezog sich daher vielmehr auf jedes unrichtige Verhalten, das zur Verletzung der fremden Güter geführt hat. Als unrichtig war dann das Verhalten zu betrachten, das sowohl gegen das objektive Recht verstoßen hat als auch gegen ethische Grundsätze sowie gegen die Sorgfaltspflicht, die jeder in der Gesellschaft beachten soll, um anderen nicht zu schaden.386 Im neuen Zivilgesetzbuch aus dem Jahre 1964 wurde der Inhalt des Art. 134 KZ in Art. 415 KC übernommen und somit die unklare Bedeutung des Begriffs „Schuld“ beibehalten.387 Im Anschluss an das im Schrifttum geäußerte Bedürfnis des einheitlichen Verständnisses der Schuld sowohl im Straf- als auch im Privatrecht388 wurde die Aufteilung des privatrechtlichen Schuldbegriffs in ein objektives und subjektives Element von der Rechtsprechung aufgegeben. Stattdessen wird für die Feststellung schuldhaften Zufügung nunmehr auf die Begriffe der Rechtswidrigkeit und Schuld zurückgegriffen. Rechtswidrigkeit bedeutet die negative Beurteilung des Verhaltens des Schädigers durch die Rechtsordnung.389 Die weite Auslegung der Rechtswidrigkeit, die nicht nur einen Verstoß gegen gesetzliche Rechtsnormen, sondern auch gegen die Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens (zasady współżycia społecznego) umfasst, wurde im polnischen Schrifttum lange Zeit nicht in Frage gestellt. In der jüngeren Zeit wird jedoch vermehrt eine Beschränkung des weiten Begriffs der Rechtswidrigkeit diskutiert. Ein Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung befürwortet eine engere Auslegung des Rechtswidrigkeitsbegriffs unter Ausklammerung der Generalklauseln, wie der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens.390 Begründet wird dies damit, dass es in der neuen polnischen Verfassung aus dem Jahre 1997 (Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej, KRP)391 keine vergleichbare Regelung mehr gibt, die in Art. 90 der Verfassung von 1952392 vorhanden war und die polnischen Bürger zur Beachtung der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens verpflichtete.393 Die neuen Verfassungsgrundsätze, darunter vor allem die Maßgabe zur Beachtung der sozialen Gerechtigkeit, sprechen keine derartige Verpflichtung aus, da diese auf die Republik Polen 386
Longchamps de Berier (1939), 234; vgl. Nowakowski (1948), 16. Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 6; Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 20. 388 Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 7 m.w.N. 389 Rzetecka-Gil, Art. 415 Anm. 4. 390 SN, Urt. v. 19.10.2012 – V CSK 501/11, Legalis Nr. 561321; Pietrzykowski, in: FS Szpunar, 167 (177). 391 Verfassung der Republik Polen v. 2.4.1997 (Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej z dnia 2 kwietnia 1997 r.), Dz.U. 1997 Nr. 78 Pos. 483 m.w.Ä. 392 Verfassung der Volksrepublik Polen verabschiedet durch Sejm am 22.7.1952 (Konstytucja Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej uchwalona przez Sejm Ustawodawczy w dniu 22 lipca 1952 r.), Dz.U. 1952 Nr. 33 Pos. 232. 393 Pietrzykowski, in: FS Szpunar, 167 (177). 387
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und nicht auf das Privatrecht abzielen.394 Begründet wird diese Theorie auch mit dem Fehlen einer dem Art. 135 KZ vergleichbaren Regelung im Zivilgesetzbuch.395 Dieser erlaubte eine Beschränkung der Ausübung subjektiver Rechte dann, wenn sie gegen den guten Glauben und das Ziel des auszuübenden subjektiven Rechts verstießen. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung im Zivilgesetzbuch spricht dieser Ansicht zufolge dafür, dass eine weite Auslegung der Rechtswidrigkeit im polnischen Privatrecht nicht mehr geboten sei. Die Generalklauseln der guten Sitten sowie der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens genießen demzufolge in der Rechtsordnung keine selbstständige Bedeutung mehr, es sei denn, eine Rechtsnorm nimmt auf sie explizit Bezug.396 Dagegen befürworten, mit Recht, der überwiegende Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung eine weite Auslegung des Rechtswidrigkeitsbegriffs.397 Bereits für die Auslegung der objektiven Schuld im Schuldrechtsgesetzbuch von 1933 wurden sowohl die gesetzlichen Normen als auch die Generalklausel der guten Sitten mit einbezogen.398 Die Begründung der Ansicht, welche eine enge Auslegung der Rechtswidrigkeit befürwortet, vermag nicht zu überzeugen. Art. 135 KZ regelte keine allgemeine Verletzung fremder Güter, sondern den Ersatz des Schadens, der durch die Ausübung subjektiver Rechte entsteht. Inhaltlich ist er mit Art. 5 KC vergleichbar. Daraus folgt erstens, dass diese Regelung weiter im Zivilgesetzbuch vorhanden ist, und zweitens, dass sie sowohl damals wie heute keinen Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Tat nimmt. Abzulehnen ist weiter das Heranziehen des Art. 90 der Verfassung aus dem Jahre 1952 als Maßgabe für den Umfang des Rechtswidrigkeitsbegriffs. Der genannte Artikel beinhaltete zwar eine Verpflichtung zur Beachtung der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sah aber gleichzeitig keine Sanktion für ihren Verstoß vor. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass die damalige Verfassung keine unmittelbare Wirkung besaß. Eine Verpflichtung zur Beachtung der Generalklausel bestand nur dann, wenn eine
394
Pietrzykowski, in: FS Szpunar, 167 (177). SN, Urt. v. 19.10.2012 – V CSK 501/11, Legalis Nr. 561321. 396 Pietrzykowski, in: FS Szpunar, 167 (178). 397 SN, Urt. v. 4.2.2013 – II CNP 50/12, LEX Nr. 1314379; SN, Urt. v. 10.5.2012 – IV CSK 579/11, LEX Nr. 1232804; SN, Urt. v. 20.1.2009 – II CSK 423/08, LEX Nr. 527191; SN, Urt. v. 19.2.2003 – V CKN 1681/00, LEX Nr. 121742; SN, OSP 2002/1/3 (10); SN, Urt. v. 22.9.1986 – IV CR 279/86; LEX Nr. 530539; Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 8; Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 38; Kidyba/Olejniczak, Art. 415 Anm. 13; Ostapa/Sobolewski, Art. 415 Anm. 42; Olejniczak/Machnikowski (2014), 397; Rzetecka-Gil, Art. 415 Anm. 4; Ciszewski/Karaszewski, Art. 415 Anm. 17; Czachórski et al. (2009), Rn. 467; Kępiński, OSP 2002/11/C143 (566); Garlicki, (1971), 32; Resich/Masłowski, Art. 415 (982); Winiarz/Nesterowicz, Art. 415 Anm. 4. 398 Longchamps de Berier (1939), 234 f. 395
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allgemeingesetzliche Vorschrift auf diese verwies.399 Zu betonen ist weiter, dass die polnische Verfassung mehr Grundsätze als nur den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit kennt. Die Verpflichtung zu Redlichkeit und Ehrlichkeit der wirtschaftlichen Subjekte ist dem Verfassungsgrundsatz der wirtschaftlichen Freiheit zu entnehmen.400 Des Weiteren spricht gegen einen engen Rechtswidrigkeitsbegriff die historische Auslegung des Zivilrechts. Im polnischen Privatrecht war der Begriff von der objektiven rechtlichen Widersprüchlichkeit des Verhaltens traditionell auch durch die Generalklausel definiert. Schon in den Entwürfen für das Schuldrechtsgesetzbuch wurde eine breite Auslegung des Verstoßes gegen die Rechtsordnung befürwortet.401 Seinerzeit wandte man keinen speziellen Begriff der Rechtswidrigkeit an, sondern sprach von einem objektiven Moment, damit es nicht zu einer Verengung der Auslegung komme, wie sie im österreichischen Recht stattgefunden habe.402 Gegenwärtig empfinden viele Autoren die weite Auslegung der Rechtswidrigkeit als so selbstverständlich, dass keine Gründe, die dafür sprechen, genannt werden. Auch bedeutet der Begriff der Rechtswidrigkeit zwar in allen Rechtsbereichen einen Verstoß gegen die Rechtsordnung, im Zivilrecht kann die Rechtsordnung aber weiter als im Strafrecht ausgelegt werden. Dafür spricht vor allem eine abweichende Zielsetzung der Rechtsbereiche. Das Privatrecht dient grundsätzlich keiner Bestrafung des Verhaltens,403 was typischerweise für das Strafrecht gilt. Es schützt vor allem – anders als das Strafrecht – vor Verletzungen der subjektiven Rechte, die eine andere Person besitzt.404 Die Rechtswidrigkeit im Privatrecht dient daher der Ermittlung der Entstehung eines Schadensersatzes und nicht der Bemessung der Strafe. Abschließend ist zu konstatieren, dass die moralischen Verhaltensnormen die Erfüllung des Schuldverhältnisses und damit auch den Eintritt der vertraglichen Schadenshaftung regeln. Gemäß Art. 354 KC muss das Schuldverhältnis in Vereinbarung mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens erfüllt werden. Es wäre unlogisch, für das Deliktsrecht ganz andere Maßstäbe für die Rechtswidrigkeit anzunehmen, wenn die moralischen Verhaltensnormen schon im System des Schadensersatzes gelten. Auch wird dadurch eine Verschärfung des deliktischen Haftungsniveaus im Vergleich zum vertraglichen vermieden und somit die Kohärenz der Haftungsgrundsätze beibehalten.405 Die Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der guten Sitten ist, unabhängig davon, ob im Einzelfall gesetzlich auf sie
399
Wolter (1986), 85. OSNC 1997/9/126 (40). 401 Till (1923), 102, 104. 402 Sośniak (1959), 73. 403 Olejniczak/Śmieja (2014), 380. 404 Sośniak (1959), 93. 405 Vgl. Sośniak (1959), 172 f. 400
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verwiesen wird, als Beurteilungsmaßstab für die Rechtswidrigkeit der Handlung heranzuziehen.406 Die Rechtswidrigkeit der Handlung bezieht sich deswegen auf die Verletzung der allgemein geltenden Verbote und Gebote, die für jedes Rechtssubjekt gelten und aus den allgemein geltenden Rechtsnormen und Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie aus dem Gebot des guten Glaubens stammen.407 2. Rechtliche Grundlagen für das Bestehen der vorvertraglichen Pflichten Bei der Analyse der polnischen Lehre zur c.i.c. gilt es, anders als im deutschen Recht, die vorvertraglichen Pflichten herauszuarbeiten, welche eine Grundlage für rechtswidrige Handlungen sein können. Das Ziel der Analyse beschränkt sich darauf, eine oder mehrere Rechtsnormen zu finden, die das illoyale Verhalten vor dem Vertragsschluss sanktionieren. Außer der expliziten im Gesetz geäußerten vorvertraglichen Verpflichtungen werden auch die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens genauer analysiert. Zunächst ist zu ermitteln, ob die vorvertraglichen Pflichten im polnischen Zivilgesetzbuch verankert sind. Falls dies nicht zutrifft, wird zu untersuchen sein, ob sie mit Hilfe der Rechtsfortbildung entwickelt werden können. Dabei werden entsprechende Grundlagen sowohl für die Verpflichtung der Partei zur Aufklärung ihres Verhandlungspartners als auch für die Sanktionierung des grundlosen Abbruchs der Verhandlungen gefunden. Nach der Feststellung der möglichen Verpflichtungsgrundlagen wird der Inhalt dieser Pflichten verallgemeinert. a) Irrtumsregelung aus Art. 84 KC Im polnischen Zivilgesetzbuch sind die Mängel der Willenserklärung in Artt. 82 ff. KC geregelt. Auf die Anfechtung der Willenserklärung, die unter dem Irrtum des Erklärenden abgegeben wurde, bezieht sich Art. 84 KC. Gemäß Art. 84 § 1 S. 1 KC kann im Falle des Irrtums über den Inhalt des Rechtsgeschäftes die eigene Willenserklärung angefochten werden. Der Irrtum als Willenserklärungsfehler kann entweder in einer fehlerhaften Vorstellung des Erklärenden über eine bestehende faktische Sachlage liegen bzw. darin, dass keine Vorstellung vorhanden ist, oder in einer fehlerhaften Vorstellung über den Inhalt der abgegebenen Willenserklärung.408 In allen Fällen muss der Irrtum aber wesentlich sein. Was unter einem wesentlichen Irrtum zu verstehen ist, regelt Art. 84 § 2 KC. Ein solcher Irrtum ist gerechtfertigt durch die Annahme, dass die Partei, die die Willenserklärung abgab, darauf verzichtet 406
Vgl. Kuźmicka-Sulikowska (2011), 89; Ciszewski/Karaszewski, Art. 415 Anm. 17. Vgl. Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 3; Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 8; Olejniczak/Machnikowski (2014), 397; Pajor (1982), 187. 408 Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 84 Rn. 1; Resich/Piekarski, Art. 84 (214). 407
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hätte, wenn sie sich nicht geirrt und die Umstände vernünftig eingeschätzt hätte. Daraus folgt, dass der Irrtum sowohl subjektiv wesentlich sein muss, d.h. er bildet ein für die Abgabe einer Willenserklärung ursächlichen Grund, als auch objektiv, d.h. keine vernünftige Person, die die faktische Sachlage kennt, hätte solch eine Willenserklärung abgegeben.409 Zweitens muss sich der Irrtum auf den Inhalt eines Rechtsgeschäftes beziehen.410 Keine Bedeutung haben dagegen Irrtümer über Umstände, die zwar die Entscheidung über die Abgabe der Willenserklärung beeinflussen, aber keinen Inhalt dieser Willenserklärung darstellen. Ein Motivirrtum wird deswegen aus dem Anwendungsbereich des Art. 84 KC ausgeschlossen. Diese Art des Irrtums findet nur dann Beachtung, wenn eine Motivation in einen Inhalt eines Rechtsgeschäftes aufgenommen wird.411 Der polnische Gesetzgeber regelte zudem Willenserklärungen, die einer anderen Person gegenüber abgegeben werden. Gemäß Art. 84 § 1 S. 2 KC ist die Anfechtung der Willenserklärung, die einer anderen Person gegenüber abgegeben wird, nur dann möglich, wenn der Adressat der Erklärung den Irrtum auch ohne eigene Schuld erregt hat, über den Irrtum Bescheid wusste oder den Irrtum leicht hätte erkennen können. So kann geschlussfolgert werden, dass die Willenserklärung im Falle einer mangelhaften Aufklärung dann in Frage kommt, wenn die aufklärungsverpflichtete Person die fehlerhafte Vorstellung über den Inhalt des beabsichtigten Rechtsgeschäftes erregt hat, sie erkannt hat oder leicht hätte erkennen können.412 Diese Situation ist mit der fahrlässigen Täuschung vergleichbar, wenn die falsche Vorstellung entweder fahrlässig hergerufen wurde oder erkannt wurde aber wegen des Außerachtlassens der entsprechenden Sorgfalt nicht beseitigt wurde. Der Fall des Abbruchs der Verhandlungen wegen mangelhafter Aufklärung über die Absichtsänderung ist nicht hierunter gefasst, weil er sich auf Umstände bezieht, die außerhalb des Inhalts des Rechtsgeschäftes liegen. Die Vorschrift über den Irrtum bestätigt keine allgemeine Informationspflicht. Es wird nur eine Verpflichtung zur Weitergabe dieser Informationen ausgesprochen, die einen Inhaltsteil des beabsichtigten Rechtsgeschäftes bilden. Jede andere Information, die zwar für den Aufklärungsadressaten entscheidungserheblich ist, aber keinen Inhalt des Rechtsgeschäftes darstellt, muss aufgrund des Art. 84 KC nicht mitgeteilt werden.
409
Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 84 Rn. 7. Gniewek/Machnikowski/Strzebinczyk, Art. 84 Rn. 2. 411 Resich/Piekarski, Art. 84 (215). 412 Vgl. OSNP 2006/17-18/280 (761); SA in Gdańsk, Urt. v. 8.2.2013 – I ACa 852/12, LEX Nr. 1305934. 410
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b) Arglistiges Hervorrufen eines Irrtums aus Art. 86 KC Eine weitere Möglichkeit für die Grundlage einer vorvertraglichen Informationspflicht bildet Art. 86 KC, der eine arglistige Täuschung regelt. Gemäß Art. 86 § 1 KC kann eine Partei auch dann die eigene Willenserklärung anfechten, wenn der Irrtum unwesentlich war oder wenn sich der Irrtum auf Umstände bezieht, die keinen Inhalt des Rechtsgeschäftes darstellen. Dafür hätte der Irrtum aber von einer anderen Partei arglistig erregt worden sein müssen. Als arglistiges Hervorrufen eines Irrtums gilt jedes Verhalten, das eine falsche Vorstellung über den realen Sachzustand bewusst hervorruft, befestigt oder verstärkt.413 Es wird mit Absicht hervorgerufen, um eine andere Partei zum Abschluss eines bestimmten Rechtsgeschäftes zu bewegen.414 Dieses Verhalten ist ethisch verwerflich, weil es den freien Entscheidungsprozess der Erklärenden auf unzulässige Art und Weise behindert.415 Fraglich ist dann, ob die Fälle des arglistigen Verschweigens von Informationen zum Anwendungsbereich des Art. 86 KC gehören. Im polnischen Recht gibt es zwar keine allgemein anerkannte Pflicht zur Aufklärung des Vertragspartners über alle mit dem Vertrag verbundenen Umstände,416 aber die Täuschung könnte beispielsweise in einer Bestärkung des schon hervorgerufenen Irrtums bestehen.417 Zweites kann die Täuschung durch ein Unterlassen der Aufklärung zustande kommen. Für die Annahme des Hervorrufens eines Irrtums durch das Unterlassen der Aufklärung muss die aufklärungsverpflichtete Person eine Rechtspflicht zur Enthüllung dieser Information gehabt haben.418 Diese Pflicht kann sich aus dem Gesetz, einem Vertrag oder aus den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens herleiten.419 Meist ergibt sich jedoch die Verpflichtung, den Gegenpart zu informieren, aus dem Vertragscharakter oder sogar aus einer
413
Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 8. SN, Urt. v. 13.1.2010 – II CSK 239/09, LEX Nr. 560847; SN, Urt. v. 9.9.2004 – II CK 498/03, LEX Nr. 137573; SN, Urt. v. 23.3.2000 – II CKN 805/98, LEX Nr. 50881; SA Warszawa, Urt. v. 12.2.2013 – I ACa 846/12, LEX Nr. 1286662; Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 86 Rn. 2; Gniewek/Machnikowski/Strzebinczyk, Art. 86 Rn. 1; Kidyba/Jedliński, Art. 86 Anm. 4. 415 SN, Urt. v. 13.1.2010 – II CSK 239/09, LEX Nr. 560847; SN, Urt. v. 9.9.2004 – II CK 498/03, LEX Nr. 137573; SA Warszawa, Urt. v. 12.2.2013 – I ACa 846/12, LEX Nr. 1286662; Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 7. 416 Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 17; vgl. Piasecki, Art. 86 Anm. 3. 417 Gniewek/Machnikowski/Strzebienczyk, Art. 86 Rn. 3. 418 Gniewek/Machnikowski/Strzebinczyk, Art. 86 Rn. 2; Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 18; vgl. SN, Urt. v. 10.2.2011 – IV CSK 336/10, LEX Nr. 846601; SA Warszawa, Urt. v. 15.4.2005 – I ACa 1087/04, LEX Nr. 1327296. 419 Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 18; vgl. SN, Urt. v. 10.2.2011 – IV CSK 336/10, LEX Nr. 846601. 414
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bestimmten Situation.420 Die Unterscheidung zwischen Unterlassen und Tun fällt oft schwer und ist im Einzelfall zu entschieden. Da der Schutz nur für vorsätzliche Handlungen vorgesehen ist, gewährleistet diese Rechtsgrundlage keinen ausreichenden Schutz vor der c.i.c. und bildet keine allgemeine Verpflichtung zur Beachtung der Interessen der anderen Verhandlungspartei. c) Informationspflichten des Verkäufers Zu untersuchen ist weiter Art. 546 § 1 KC421, der sich im Titel XI „Verkauf“ des III. Buches des Zivilgesetzbuches befindet. Seinem Wortlaut nach ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer alle nötigen Erläuterungen über die rechtlichen und faktischen Verhältnisse des Kaufgegenstandes zu geben. Die Informationen über die faktischen Verhältnisse beziehen sich auf die Umstände, die eine vernünftige und sachgerechte Verwendung der Sache gewähren.422 Die Verletzung der Pflicht aus Art. 546 § 1 KC ruft einen vertraglichen Schadensersatzanspruch hervor.423 Die Novelle des Zivilgesetzbuches424 hat im Wortlaut des Art. 546 § 1 KC eine explizite Verpflichtung des Verkäufers zur vorvertraglichen Aufklärung des Käufers eingeführt. Die Rechtslage hat sich hierdurch aber nicht bedeutsam geändert, da bereits vor der Gesetzesänderung der Anwendungsbereich des Art. 546 KC auch auf den vorvertraglichen Zeitraum durch das Schrifttum erweitert wurde.425 Trotzdem ist die Informationspflicht strikt beschränkt auf die für die Verwendung des Kaufgegenstandes relevanten Umstände. Somit besteht weiterhin keine Verpflichtung zur Preisgabe solcher Informationen, die eine Auswirkung auf die Motivation des Partners bzgl. der vertraglichen Bindung haben. Neben Art. 546 § 1 KC ergibt sich die Informationspflicht auch aus Art. 5561 KC,426 der den Sachmangel regelt. Gemäß Art. 556 KC haftet der Verkäufer dem Käufer gegenüber für Sach- und Rechtsmängel der verkauften Sache. Ein Sachmangel liegt gem. Art. 5561 § 1 KC bei Nichtübereinstimmung der verkauften Sache mit dem Vertragsinhalt vor. Der Begriff der Nichtübereinstimmung wird in Art. 5561 § 1 KC mittels eines nicht abschließenden Katalogs präzisiert. Demnach liegt diese insbesondere dann vor, wenn die Sache nicht die Eigenschaften aufweist, die unter Berücksichtigung des sich aus dem Vertrag oder den Umständen ergebenden Verwendungszwecks, bei Sachen der gleichen Art üblich sind. Des Weiteren dann, wenn die Sache nicht
420
Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 20. Wortlaut nach Gesetz v. 30.5.2014, Dz.U. 2014 Nr. 121 Pos. 827 (Art. 44 Nr. 9). 422 Osajda/Haładyj, Art. 546 Anm. 2. 423 Gniewek/Machnikowski/Jezioro, Art. 546 Rn. 13. 424 Gesetz v. 30.5.2014, Dz.U. 2014 Nr. 121 Pos. 827. 425 F. Zoll, in: Stelmach/Schmidt (2004), 227 (230); Rogoń, TPP 1/2010, 101 (128). 426 Wortlaut nach Gesetz v. 30.5.2014, Dz.U. 2014 Nr. 121 Pos. 827 (Art. 44 Nr. 13). 421
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die Eigenschaften besitzt, die der Verkäufer ausdrücklich zugesichert hat. Ferner dann, wenn die Sache für einen bestimmten, vom Käufer angestrebten und dem Verkäufer bei Vertragsschluss unwidersprochen kommunizierten Zweck nicht geeignet ist. Schließlich liegt eine Nichtübereinstimmung der Sache mit dem Vertragsinhalt auch dann vor, wenn die Sache in unvollständigem Zustand übergegeben wurde. Daneben regelt Art. 5561 § 3 KC einen weiteren Fall eines Sachmangels, nämlich die unsachgemäße Montage und Ingangsetzung der verkauften Sache durch den Verkäufer oder dessen Erfüllungsgehilfen. Der Tatbestand des Art. 556 KC ist aber nicht erfüllt, wenn dem Käufer die Mangelhaftigkeit einer Sache bekannt war (Art. 557 § 1 KC). Eine Nichterfüllung der Informationspflicht liegt auch bei Zusicherung des Verkäufers über eine Eigenschaft der Kaufsache vor, die tatsächlich nicht vorhanden ist. Solch eine Zusicherung muss nicht ausdrücklich erfolgen, eine konkludente Zusicherung reicht aus, die auch beim Schweigen des Verkäufers vorliegen kann.427 Gemäß Art. 5563 KC428 haftet der Schuldner auch für einen rechtlichen Sachmangel. Die Pflicht zur Aufklärung bezieht sich dann auch auf den Rechtsstand der Kaufsache. In Bezug auf die Haftung aus der c.i.c. sind die beiden Vorschrift zu eng, um eine allgemeine Verpflichtung zur Aufklärung abzuleiten. Sie können nur eine Grundlage für die Feststellung der Rechtswidrigkeit für das Verschulden bei Vertragsverhandlungen darstellen, die aber nur auf bestimmte Fallgruppen begrenzt ist. d) Informationspflicht aus dem Gesetz über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs Zu beachten ist weiter die Regelung des Art. 10 I ZNKU.429 Dieser regelt die Tatbestände von Handlungen des unlauteren Wettbewerbs. Als solche werden irreführende oder fehlende Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen über deren Herkunft und Menge, deren Zusammensetzung, Qualität und der Art der Herstellung, der Brauchbarkeit, Verwendungsmöglichkeit, einer möglichen Reparatur oder Konservierung und über andere wesentliche Eigenschaften von Waren oder Dienstleistungen verstanden. Auch fällt hierunter das Verschweigen von Risiken, die sich aus der Verwendung der Waren oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen ergeben. Welche Informationen sich auf den Waren befinden sollen, ist meistens in den besonderen Regelungen bestimmt.430 Durch ZNKU wird bereits diejenige Handlung sanktioniert, die objektiv geeignet ist, einen Irrtum hervorzurufen, eine tatsächliche Erregung
427
Kidyba/Gawlik, Art. 5561 Anm. 7. Wortlaut nach Gesetz v. 30.5.2014, Dz.U. 2014 Nr. 121 Pos. 827 (Art. 44 Nr. 13). 429 Gesetz v. 16.4.1993 über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Dz.U. 2003 Nr. 153 Pos. 1503 m.w.Ä. (Ustawa o zwalczaniu nieuczciwej konkurencji, ZNKU). 430 Zdyb/Sieradzka/Michalak, Art. 10 Anm. 26. 428
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eines Irrtums ist nicht erforderlich.431 Für die Feststellung der objektiven Eignung für die Irrtumserregung ist nicht nur die Einschätzung des durchschnittlichen Teilnehmers des Markts maßgebend, sondern auch die Umstände wie bspw. die Gattungsähnlichkeit der gleich gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen, die Art der Ware, die Bedingungen des Verkaufs.432 Das Hervorrufen des Irrtums kann sowohl durch aktives Tun als auch durch Unterlassen erfolgen.433 Wie gezeigt wurde, liegt die Funktion dieser Regelung in der Vermeidung der Irreführung der Teilnehmer des Geschäftsverkehrs über die Eigenschaften der Ware bzw. der Dienstleistung. Die von ihr abgeleitete Informationspflicht umfasst weder die Aufklärung über die Vertragsabschlussbereitschaft der Verhandlungsparteien noch über sonstige entscheidungserhebliche Tatsachen, die nicht durch ZNKU geregelt sind. e) Verpflichtung zur Beachtung der guten Sitten aus Art. 72 § 2 KC Art. 72 § 2 KC beinhaltet die Verpflichtung zur Führung der Verhandlungen gemäß den guten Sitten. Beachtenswert ist, dass der Gesetzgeber in dieser Vorschrift nicht auf die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die im Zivilgesetzbuch eine wichtige Generalklausel bilden, zurückgegriffen hat, sondern auf die neue Generalklausel der Beachtung der guten Sitten, als Verhaltensmaßstab, einen Bezug genommen hat. Der Rückgriff auf die Klausel der guten Sitten stellt in der rechtlichen Regelung des polnischen Schuldrechts ein Novum dar. Außer Art. 72 § 2 KC wird auf den Verstoß gegen die guten Sitten als Beurteilungsmaßstab nur in Artt. 705 § 1, 3851 § 1 und 3852 KC zurückgegriffen. Die guten Sitten wurden zwar im Schuldrechtsgesetzbuch von 1933 eingeführt unter anderem in Artt. 55 über die Vertragsfreiheit und 56 über die Gründe der Vertragsnichtigkeit sowie im Gesetz über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs von 1926.434 In der Volksrepublik Polen betrachtete man aber diese Klausel als ein Relikt der Bourgeoisie und tilgte sie aus dem Rechtssystem. Erst im Jahre 1993 wurde sie mit dem Gesetz über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (ZNKU) wiederbelebt. Im Schrifttum besteht keine Einigkeit über die konkrete Gestalt der Verhaltensnorm nach den guten Sitten. Teilweise wird darunter eine Sittennorm verstanden, die die Standards des ehrlichen Verhaltens im Geschäftsverkehr festlege und die von der Mehrheit der Teilnehmer akzeptiert werde.435 Der Kern 431
Szwaja/Kępiński/Wiszniewska, Art. 10 Rn. 1. Nowińska/du Vall, Art 10 Anm. 6. 433 Zdyb/Sieradzka/Michalak, Art. 10 Anm. 12. 434 Gesetz v. 2.8.1926 über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (Ustawa o zwalczaniu nieuczciwej konkurencji), Dz.U. 1926 Nr. 96 Pos. 559. 435 Kidyba/Kopaczyńska-Pieczniak, Art. 72 Anm. 12; Plich, SP 4/2006, 37 (45); vgl. Grykiel/Lemkowski, Art. 72 Rn. 18; Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 3851 Rn. 9; 432
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der Idee der guten Sitten ist nach dieser Ansicht ein weit auszulegender Respekt vor Mitmenschen. Ein Verhalten, das die Unwissenheit oder Unerfahrenheit des anderen ausnutzt, sei daher als unzulässig zu betrachten436 Somit bildeten die guten Sitten eine objektive Kategorie, die unabhängig vom subjektiven Bewusstsein und Willen existiere.437 Die Rechtsprechung begreift die guten Sitten ähnlich wie das Schrifttum als Sitten- und Brauchtumsnormen in Geschäftsverhältnissen (sog. kaufmännische Redlichkeit), die außerhalb des Rechtssystems liegen.438 Die Werte, welche die guten Sitten kennzeichnen, sind demnach Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Vertrauen, Loyalität, Redlichkeit sowie Fachkompetenzen.439 Daneben wird im Schrifttum und teilweise in der Rechtsprechung eine funktionell-ökonomische Betrachtung der guten Sitten vertreten,440 die vor allem auf der Grundlage des Gesetzes über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs ausgearbeitet wurde: Die guten Sitten beruhen nicht länger auf der Ansicht des redlichen, durchschnittlichen Mitgliedes eines bestimmten sozialen Kreises, sondern auf Werten, die das ungestörte Funktionieren des Wettbewerbs gewährleisten.441 Sie seien mit einer kaufmännischen Ehrlichkeit vergleichbar, wie sie in den 1930er Jahren geherrscht habe.442 Schon damals ging das Schrifttum davon aus, die guten Sitten stellten Verhaltensgebote dar, die im moralischen Empfinden der Gesellschaft objektiv existieren.443 Der
SA Kraków, Urt. v. 20.12.2012 – I ACa 1231/12, LEX Nr. 1314752. Manche Autoren sehen die guten Sitten in Bezug auf die christliche Tradition: Gudowski/Rudnicki/Trzaskowski, Art. 72 Anm. 2. 436 Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 3851 Rn. 9; vgl. SA Warszawa, Urt. v. 23.8.2011 – VI ACa 262/11, LEX Nr. 951724; SA Warszawa, Urt. v. 8.5.2009 – VI ACa 1395/08, LEX Nr. 1120219; SOKiK, Urt. v. 27.4.2011 – XVII Amc 78/11, LEX Nr. 1084570. 437 Skibiński, Rejent 10/2006, 124 (143). 438 SA Katowice, Urt. v. 28.6.2007 – V ACa 371/07, LEX Nr. 519282; vgl. SA Warszawa, Urt. v. 9.11.2010 – VI ACa 382/10, LEX Nr. 1120256. 439 SA Warszawa, Urt. v. 12.7.2012 – VI ACa 287/12, LEX Nr. 1313647; SOKiK, Urt. v. 27.4.2011 – XVII Amc 78/11, LEX Nr. 1084570; vgl. SA Warszawa, Urt. v. 8.5.2009 – VI ACa 1395/08, LEX Nr. 1120219. 440 Szwaja/Szwaja/Jasińska, Art. 3 Rn. 100–118; Nowińska/du Vall, Art. 3 Anm. 15; OSNC 2003/12/169 (95); SA Warszawa, Urt. v. 4.3.2013 – I ACa 923/12, LEX Nr. 1324807; vgl. Ciszewski/Nazaruk, Art. 415 Anm. 1; SA Kraków, Urt. v. 15.11.2012 – I ACa 1036/12, LEX Nr. 1236699; SA Katowice, Urt. v. 24.5.2007 – V ACa 328/07, LEX Nr. 519279; Zdyb/Sieradzka/Zdyb, Art. 3 Anm. 92; a.A. Preussner-Zamorska, KPP 4/1998, 645 (656 f.); Tomaszek, Palestra 9–10/1997, 5 (8). 441 Nowińska/du Vall, Art. 3 Anm. 11. 442 Vgl. SA Warszawa, Urt. v. 10.5.2013 – VI ACa 157/12, LEX Nr. 1342422; SA Kraków, Urt. v. 20.12.2012 – I ACa 1231/12, LEX Nr. 1314752. 443 Kraus/F. Zoll (1929), 171.
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Maßstab für moralisches Empfinden war danach das durchschnittliche moralische Niveau, das mit dem vernünftigen Erwerbs- und Wirtschaftsleben im Einklang stand.444 Diese funktional-ökonomische Betrachtung der guten Sitten spiele insbesondere bei Grenzfällen, in denen die klassische Betrachtung der Generalklausel keine eindeutige Antwort zu geben vermag, eine wichtige Funktion.445 Nach dieser Ansicht stellt beispielsweise die Werbung eines Bestattungsunternehmens keinen Verstoß gegen die guten Sitten dar, obwohl sie aus dem vom Katholizismus geprägten gesellschaftlichen Werteverständnis heraus als solches verstanden werden kann.446 Kritiker dieser Ansicht führen an, dass sich in der jungen polnischen Marktwirtschaft noch keine allgemein anerkannten Grundsätze eines vernünftigen Erwerbs- und Wirtschaftslebens herausgebildet hätten und man daher diese nicht als Maßstab für die guten Sitten heranziehen könnte.447 Für die Beurteilung der Vereinbarkeit des menschlichen Verhaltens mit den guten Sitten sei vielmehr weiterhin auf moralisch-ethische Kriterien abzustellen.448 Die Befürworter der funktionell-ökonomischen Betrachtung der guten Sitten halten dem entgegen, dass diese Auslegung der Generalklausel keine moralischen Bewertungen außer Acht lasse: Es ändere sich nur die Beurteilungsperspektive dieser moralisch geprägten Verhaltensnormen.449 Eine der funktional-ökonomischen Begriffsauslegung ähnliche Betrachtung der guten Sitten wird im Rahmen der Vorschriften des Gesellschaftsgesetzbuches450 vertreten. Die guten Sitten sind demnach als Grundsatz des ehrlichen Geschäftsverkehrs verstanden, der durch die Handelsbräuche konkretisiert wird.451 Im Unterschied zur funktional-ökonomischen Betrachtung der guten Sitten fokussiert diese Ansicht mehr auf den Einzelfall und nicht auf eine unbestimmte Sphäre der Gesamtwirtschaft.452 Angesichts der vielfältigen Auslegungsformen der guten Sitten stellt sich die Frage, welcher Begriff der guten Sitten für das Verhalten bei Verhandlungen maßgeblich ist. Bisher hat sich diesbezüglich keine einheitliche Rechtsprechungslinie herausgebildet. Das vorhandene Schrifttum beschränkt sich vor allem darauf, exemplarisch die Verstöße gegen die guten Sitten zu katalogisieren, anstatt allgemeine Auslegungsregeln für die Generalklausel zu entwickeln. Demgegenüber existiert für den Begriff der guten Sitten aus dem Ge-
444
Kraus/F. Zoll (1929), 171. Szwaja/Szwaja/Jasińska, Art. 3 Rn. 97. 446 SA Poznań, Urt. v. 23.10.2007 – I ACa 794/07, LEX Nr. 521784. 447 Tomaszek, Palestra 9–10/1997, 5 (8). 448 Tomaszek, Palestra 9–10/1997, 5 (8). 449 Szwaja/Szwaja/Jasińska, Art. 3 Rn. 102. 450 Gesetz v. 15.9.2000, Dz.U. 2000 Nr. 94 Pos. 1037. 451 KSH/Pabis, Art. 249 Rn. 14; Kidyba, Art. 249 Anm. 2. 452 KSH/Pabis, Art. 249 Rn. 14. 445
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setz über den unlauteren Wettbewerb eine weitgehend gut entwickelte Definition. Diese funktional-ökonomische Betrachtungsweise der guten Sitten lässt sich auf die Generalklausel des Art. 72 § 2 KC übertragen. Die Verhandlungen weisen eine starke Verbindung zum professionellen Geschäftsverkehr auf und sind allgemein mit der wirtschaftlichen Tätigkeit verbunden. Demnach sind keine allgemeingültigen ethischen Verhaltensnormen des ehrlich und moralisch denkenden Mitglieds der Gesellschaft als solche zu erkennen, sondern vielmehr Verhaltensmaßstäbe, die in einem bestimmten wirtschaftlichen Zweig oder Bereich gelten. Es geht um die kaufmännische Redlichkeit und nicht um ein allgemeines ehrliches Verhalten. Die funktionell-ökonomische Auslegung wird diesen Erwägungen am besten gerecht und wird der folgenden Analyse zugrunde gelegt. aa) Gute Sitten und Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens Die parallele Existenz von zwei so wichtigen Generalklauseln wie den guten Sitten und den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in einem Gesetz wird im Schrifttum problematisiert. Unklar ist vor allem das Verhältnis beider Klauseln zueinander. Die Unklarheit beruht vor allem auf der Verwendung unscharfer Begriffe in den Generalklauseln, durch die eine Definition erschwert wird. Die Abkehr des Gesetzgebers von den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die lange Zeit im polnischen Zivilgesetzbuch normiert waren, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird eine inhaltliche Übereinstimmung der Generalklauseln vertreten.453 Die Einführung der neuen Generalklausel in lediglich vier Vorschriften interpretieren einige Autoren als ein bewusstes Vorgehen zur schrittweisen Ersetzung der alten Generalklausel.454 Der damit verbundene vorübergehende Dualismus wird wegen des gemeinsamen Bezugs beider Generalklauseln auf die Billigkeitsidee (idea słuszności) und die allgemein in der Gesellschaft anerkannten Werte als unproblematisch angesehen.455 Da sowohl die guten Sitten als auch die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf die im Rechtsverkehr existierenden Moralwerte Bezug nähmen, führe die Anwendung beider Generalklauseln zu jeweils gleichen Ergebnissen.456 Ein anderer Teil des Schrifttums geht davon aus, dass die Generalklausel der guten Sitten und der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens
453 Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (21); Kępiński, RPEiS 2/1994, 1 (7); vgl. OSNC 2013/7–8/83 (21–23). 454 Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (21); Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 5 Anm. 28; vgl. OSNC 2013/7–8/83 (21). 455 OSNC 2013/7–8/83 (22). 456 Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11(22); vgl. OSNC 2013/7–8/83 (22).
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nicht gleich sind.457 Während die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens allgemein gültige Moralwerte widerspiegelten, hätten die guten Sitten nur eine funktionell-ökonomische Dimension.458 Die Rechtsprechung hat sich bisher zum Verhältnis der beiden Generalklauseln zueinander nicht eindeutig geäußert. Teilweise wird von der Rechtsprechung angenommen, dass eine Verletzung der guten Sitten auch eine Verletzung der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens darstelle,459 teilweise wird weiter über Verstoße gegen die guten Sitten und (oder) gegen die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens gesprochen.460 Das Argument, der Gesetzgeber beabsichtige die Klausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens Schritt für Schritt zu entfernen, vermag nicht zu überzeugen. Weder in der Arbeitsrechtsnovelle aus dem Jahre 1996461 noch in der Zivilprozessordnungsnovelle von 2004462 wurde die alte Generalklausel entfernt oder ersetzt. Nach der Familienrechtsreform wurde sie sogar in neue Vorschrift (Art. 1441 KRO)463 übernommen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Klausel der guten Sitten mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht deckungsgleich ist. Die Annahme eines dualistischen Systems zweier Generalklauseln mit im Ergebnis völlig identischer Bedeutung steht zudem im Widerspruch zum Grundsatz der ratio legis. Die guten Sitten sind ethische Verhaltensregeln, die sich auf das Verhalten des Einzelnen in einem bestimmten Bereich wie z.B. in der Wirtschaft beziehen.464 Sie werden durch die Selbstverwaltungsorgane bestimmter Berufe herausgearbeitet.465 Deswegen können sich die Sitten der kaufmännischen Tätigkeit von den Sitten der handelnden Privatpersonen oder 457
Plich, SP 4/2006, 37 (55); Knypl/Trzciński, PPH 8/1997, 15 (19). SA Warszawa, Urt. v. 4.3.2013 – I ACa 923/12, LEX Nr. 1324807; vgl. Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (16); Janiszewska, PUG 4/2003, 7 (8); Plich, SP 4/2006, 37 (55); Osajda, in: Pazdan (2008), 113 (114); a.A., wonach die guten Sitten mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens vergleichbar sind: Gudowski/Żuławska/Trzaskowski, Art. 3851 Anm. 5; Kępiński, RPEiS 2/1994, 1 (7); für die moralischethische Dimension: Tomaszek, Palestra 9–10/1997, 5 (8); Preussner-Zamorska, KPP 4/1998, 645 (656 f.). 459 OSNC 2013/7–8/83 (21–23); SA Warszawa, Urt. v. 21.1.2010 – I ACa 1032/09, LEX Nr. 1120050. 460 SN, Urt. v. 4.7.2012 – I CSK 635/11, LEX Nr. 1228580; vgl. SN, Urt. v. 18.6.2010 – V CSK 422/09, LEX Nr. 602741; SN, Schlussbestimmung v. 13.12.2012 – III SK 25/12, LEX Nr. 1238119. 461 Gesetz v. 2.6.1996, Dz.U. 1996 Nr. 24 Pos. 110. 462 Gesetz v. 23.8.1996, Dz.U. 1996 Nr. 114 Pos. 542. 463 Gesetz v. 6.11.2008, Dz.U. 2008 Nr. 220 Pos. 143. 464 Vgl. Knypl/Trzciński, PPH 8/1997, 15 (19); Tomaszek, Palestra 9–10/1997, 5 (8); Skory (2005), 162. 465 Vgl. Sokal, MoP 24/2011, 1318; Tomaszek, Palestra 9–10/1997, 5 (10); PreussnerZamorska, KPP 4/1998, 645 (657). 458
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des Rechtsanwalts unterscheiden.466 Die Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens spiegelt dagegen die Verhaltensnormen, die in der ganzen Gesellschaft anerkannt sind, wieder.467 Daraus folgt, dass die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Vergleich zu den guten Sitten als universelle Klausel zu verstehen sind.468 bb) Gute Sitten und der gute Glaube Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Nebeneinander der Generalklauseln des Grundsatzes der guten Sitten und des Grundsatzes des guten Glaubens. Diese Diskussion hierüber hat ihren Ursprung im Wortlaut des Vorbilds für Art. 72 § 2 KC. Der in Art. 2:301 Abs. 2 PECL verwendete Begriff – good faith and fair dealing – findet keine wörtliche Entsprechung in Art. 72 § 2 KC. Im polnischen Recht heißt es lediglich dobre obyczaje, was wörtlich „gute Sitten“ bedeutet. Die Begründung des Entwurfs für die Novelle weist auf die Sanktionierung der Verhandlungsführung gegen die allgemeine Pflicht des ehrlichen Verhaltens, also gegen den Grundsatz der guten Sitten und des guten Glaubens.469 Der Begriff des guten Glaubens wurde weder in den Text des Entwurfs noch ins Zivilgesetzbuch übernommen. Diese Formel (dobra wiara i zwyczaje uczciwego obrotu) ist aber dem polnischen Zivilrecht nicht fremd. Sie wurde im Schuldrechtsgesetzbuch angewendet unter anderem in Art. 189 KZ, der die Erfüllung des Schuldverhältnisses regelte. Der gute Glaube umfasst eine subjektive sowie objektive Komponente, wobei die subjektive Dimension wesentlicher ist.470 Diese beschreibt den psychischen Zustand einer Person, der in einer falschen, aber durch die Umstände des Einzelfalles gerechtfertigten Ansicht über ein Recht oder Rechtsverhältnis besteht.471 Art. 7 KC stipuliert die Vermutung des Vorliegens guten Glaubens, sofern dies zweifelhaft ist. Der gute Glaube im objektiven Sinne bedeutet dagegen eine durch die Umstände des Einzelfalles gerechtfertigte Erwartung (Vertrauen) eines ehrlichen Verhaltens der anderen Rechtssubjekte.472 Hier kommt das Vertrauen 466
Vgl. Tomaszek, Palestra 9–10/1997, 5 (8); Sokal, MoP 24/2011, 1318. Vgl. Czachórski et al. (2009), Rn. 47; Resich/Bryl, Art. 5 (55) (ohne Bräuche); Trzaskowski (2005), 411; Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 5 Rn. 7; Wolter (1986), 85; a.A. nur Moralwerte: Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 5 Anm. 30; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 3; Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (18); siehe § 4 A II 2 h bb. 468 Vgl. Knypl/Trzciński, PPH 8/1997, 15 (19); vgl. Sokal, MoP 24/2011, 1318; Piasecki, Art. 5 Anm. 2/11; Janiszewska, PUG 4/2003, 7 (8); Skory (2005), 162; SA Warszawa, Urt. v. 4.3.2013 – I ACa 923/12, LEX Nr. 1324807; SA Warszawa, Urt. v. 21.1.2010 – I ACa 1032/09, LEX Nr. 1120050. 469 Sejm-Drucks. Nr. IV/666, 29. 470 Skibiński, Rejent 10/2006, 124 (143); vgl. Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (24). 471 Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 7 Rn. 5. 472 Doliwa (2012), AT, Rn. 39; Janiszewska, PPH 10/2003, 12 (18). 467
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zum Ausdruck, das beide Parteien bei der Abgabe einer Willenserklärung zueinander haben können, da dem Grundsatz nach alle Menschen ehrlich sind.473 Er dient als Beurteilungsmaßstab des Verhaltens, das als richtig oder unangemessen einzuschätzen ist.474 Funktionell wird der gute Glaube mit den objektiven Regeln des ehrlichen Geschäftsverkehrs verbunden.475 Die beiden Begriffe der guten Sitten und des guten Glaubens werden oft als inhaltlich gleichwertige Klausel betrachtet.476 Demgegenüber ist zu konstatieren, dass der gute Glaube vielmehr feststellt, ob das Verhalten einer Person aus Sicht bestimmter Normen oder Regeln tadellos ist.477 Die Grundlage für diese Feststellung bilden die guten Sitten, die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie die Regeln der Ehrlichkeit und Redlichkeit im Geschäftsverkehr.478 Gegen die Gleichwertigkeit und Ersetzbarkeit der beiden Klauseln spricht weiter, dass der Gesetzgeber die guten Sitten als Kriterium des Verstoßes vorgesehen und ausdrücklich genannt hat. Die subjektive Seite der illoyalen Verhandlungsführung wird dann unter Umständen durch Art. 415 KC ergänzt. Ferner kann die Existenz des guten Glaubens in dessen objektiver Bedeutung Schwierigkeiten verursachen, weil dieser Begriff im polnischen Zivilgesetzbuch zurzeit eine subjektive Einstellung der Person bedeutet.479 Im Schrifttum geht man zudem davon aus, dass der gute Glaube im objektiven Sinne durch die Regeln der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens konsumiert wurde.480 Der Abbruch der Verhandlungen ist dann nur aus der Sicht der guten Sitten, die funktional-ökonomisch zu verstehen sind, zu beurteilen. cc) Verhalten gegen die guten Sitten Gemäß Art. 72 § 2 KC sind die Parteien zur loyalen Führung der Vertragsverhandlungen verpflichtet. Aufgrund der Privatautonomie können die Parteien aber nicht dazu verpflichtet werden, nach den Verhandlungen einen Vertrag abzuschließen. Deswegen erfüllt nicht jedes Verhalten die Voraussetzungen der Verhandlungsführung gegen die guten Sitten. Vor dem schädigenden Verhalten muss es vielmehr zu einer Erweckung der berechtigten Erwartungen
473
Korzonek/Rosenblüth, (Art. 107) 215. Gajda, SP 2/1997, 39 (42); Longchamps de Berier (1939), 141. 475 Zachariasiewicz, in: FS Pazdan, 1501 (1516); vgl. Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (24); Longchamps de Berier (1939), 141. 476 Für die gleichzeitige Anwendung der beiden Begriffe: SA Warszawa, Urt. v. 4.3.2013 – I ACa 923/12, LEX Nr. 1324807; auch im Schrifttum: Wójtowicz (2010), 152. 477 Gajda, SP 2/1997, 39 (42); Janiszewska, PUG 9/2003, 2 (3 f.). 478 Gajda, SP 2/1997, 39 (42). 479 Vgl. Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (24). 480 Doliwa (2012), AT, Rn. 39. 474
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kommen, dass der Vertrag abgeschlossen wird.481 Ob eine solche Situation vorliegt, ist im Einzelfall zu entscheiden.482 Dabei sind die Absichten der Verhandlungsparteien zu berücksichtigen, die erfolgte Aufklärung über die Bereitschaft zum Vertragsschluss,483 und ob sie Verhandlungen auch mit Dritten führen.484 Das Schrifttum und die Rechtsprechung haben die Hauptfälle der Verletzung der guten Sitten herausgearbeitet. Der typische Fall der illoyalen Vertragsverhandlungsführung ist die schon in Art. 72 § 2 KC genannte Führung der Vertragsverhandlungen ohne die tatsächliche Absicht, einen Vertrag abzuschließen. Weitere Fälle illoyaler Verhandlungsführung sind nach dem Schrifttum und der Rechtsprechung485 der grundlose Abbruch der Verhandlungen, die absichtliche Verzögerung der Verhandlungen, die absichtliche Erregung eines Irrtums beim Verhandlungspartner, die Abgabe von Vorschlägen, die für die andere Partei offensichtlich inakzeptabel sind sowie die grundlose Verweigerung des Zugangs zu Informationen, die für die Verhandlungen bzw. den Vertragsschluss wesentlich sind. Darüber hinaus werden auch das Neuverhandeln von Vertragsbedingungen, über die bereits Einigung erzielt wurde, der einseitige Abbruch der Verhandlungen, die sich in einer Sackgasse befinden sowie das gleichzeitige Führen der Verhandlungen mit anderen Personen als Fälle illoyaler Verhandlungsführung betrachtet, wobei hier jedoch weitere Umstände, wie z.B. Schädigungsabsicht, vorliegen müssen.486 Aus dem Gebot der loyalen Verhandlungsführung wird auch eine Verpflichtung zur Aufklärung des Verhandlungspartners über die wesentlichen Umstände des Vertrages und des Vertragsgegenstandes abgeleitet.487 Die Information muss sachlich, vollständig und wahrheitsgemäß preisgegeben werden.488 Die Gegenpartei muss dabei keine ihr nicht vorliegenden Informationen beschaffen. Im unternehmerischen Geschäftsverkehr ist es nicht unüblich, dass ein Wissensvorsprung für einen günstigeren Vertragsabschluss ausgenutzt
481
Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 33. Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 33. 483 SA Warszawa, Urt. v. 13.11.2008 – I ACa 669/08, LEX Nr. 795205. 484 Łętowska/Krajewski (2013), 853. 485 Pietrzykowski/Brzozowski, Art. 72 Rn. 3; Osajda/Mikłaszewicz, Art. 72 Anm. 3; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 72 Rn. 11; Łętowska/Krajewski (2013), 852 f.; Kocot, PPH 5/2003, 10 (23); Rogoń, PPH 10/2003, 4 (8); Skibiński, Rejent 10/2006, 124 (130 f.); Kidyba/Kopaczyńska-Pieczniak, Art. 72 Anm. 12; Pyziak-Szafnicka/PyziakSzafnicka, Art. 72 Anm. 32; Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (141 f.); SA Warszawa, Urt. v. 16.7.2009 – I ACa 466/09, LEX Nr. 621173. 486 Vgl. Łętowska/Krajewski (2013), 853; Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 33. 487 Łętowska (2004), 127; Wójtowicz (2010), 165. 488 Łętowska (2004), 127. 482
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wird. Dieser ist aber dann unerwünscht, wenn es keine andere Informationsquelle als die Gegenpartei gibt sowie wenn die Kosten des Informationserwerbs unverhältnismäßig hoch sind. Weiter geht es um die Informationen, deren Kenntnis nur einem der Geschäftspartner zumutbar ist, sog. „Insiderwissen“. Dieser Wissensvorsprung soll reduziert werden, indem man Informationen mitteilt, die nur einem Partner bekannt sind und die für die Entscheidungsfindung über den Vertragsabschluss von wesentlicher Bedeutung sind. Auch eine eventuelle Unerfahrenheit darf nicht ausgenutzt werden. Hat eine Partei erkennbar keine Kenntnisse von besonderen Sitten der Branche, hat der Verhandlungspartner diesen darauf hinzuweisen. Die beschriebenen Pflichten bestehen nur beim Vertragsschluss mittels Verhandlungen gem. Art. 72 § 1 KC.489 Art. 72 § 2 KC bildet somit sowohl die Grundlage für die Loyalitätspflichten in der Phase der Verhandlungen als auch für Informationspflichten. Er findet keine Anwendung bei anderen Vertragsabschlussformen als der mittels Verhandlungen. Seine Anwendung ist begrenzt auf den Zeitraum vor dem Vertragsabschluss. Er kann dagegen für den Art. 415 KC eine Grundlage für Rechtswidrigkeit darstellen, wenn es sich um die vorvertraglichen Pflichten im genannten Ausmaß handelt. f) Verpflichtung zur Loyalität aufgrund von Art. 354 KC Gemäß Art. 354 § 1 KC hat der Schuldner das Schuldverhältnis entsprechend seines Inhalts und auf die Art und Weise, die seinem sozialwirtschaftlichen Ziel sowie den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens entspricht zu erfüllen. In Bezug auf die Haftung aus der c.i.c. ist der Begriff der Erfüllung des Schuldverhältnisses problematisch. Wie bereits ausgeführt, begründen die Verhandlungen zwischen den Parteien kein Schuldverhältnis.490 Die Leistungspflichten sind in dieser Phase noch unzureichend konkretisiert. Das polnische Recht kennt im Gegensatz zum deutschen kein gesetzliches vorvertragliches Schuldverhältnis, das zur Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen des Verhandlungspartners verpflichtet. Der Rückgriff auf Art. 354 KC ist für die Bestimmung der vorvertraglichen Pflichten deswegen ungeeignet. g) Missbrauch des Rechts aus Art. 5 KC Gemäß Art. 5 S. 1 KC kann man dann von einem subjektiven Recht keinen Gebrauch machen, wenn dieser Gebrauch mit dem sozialwirtschaftlichen Zweck des betroffenen Rechts oder mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Widerspruch steht. Unter einer Rechtsausübung ist 489 490
Siehe § 3 B I 2 c bb. Siehe § 3 B I 2 a.
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ein solches Verhalten einer Person zu verstehen, das dem Inhalt nach einer Berechtigung entspricht.491 Der Begriff der Berechtigung umfasst zum einen die Lage einer Person, in der ein anderes Rechtssubjekt ihr gegenüber zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet ist (Berechtigung im engeren Sinne). Zum anderen beschreibt der Begriff auch das In-der-Lage-Sein eines Rechtssubjekts, ein Rechtsgeschäft mit der Folge vorzunehmen, eine rechtliche Pflicht anderer Rechtssubjekte zu begründen, erneuern oder erlöschen (Befugnis).492 Das Verschweigen von Informationen, zu deren Weitergabe eine Person verpflichtet ist, konstituiert kein Rechtsgeschäft und stellt daher keine Befugnis dar. Dieses Verhalten könnte lediglich als Berechtigung i.S.d. Art. 5 KC verstanden werden, wenn es die andere Partei zu einem Verhalten verpflichten würde (bspw. zur Duldung bzw. dem Unterlassen der Nachfrage). Eine Verpflichtung zur Duldung des Verschweigens von Informationen kann sich nur aus den gesetzlich normierten Verschwiegenheitsvorschriften ergeben (bspw. Art. 6 Rechtsanwaltschaftsrecht493). Mangels entsprechender Rechtsnormen für das Verschweigen von entscheidungserheblichen Information beim Vertragsabschluss, stellt das Verschweigen keine Berechtigung und mithin keine Rechtsausübung i.S.d. Art. 5 KC dar. Auch der Abbruch der Vertragsverhandlungen stellt keine Ausübung einer Berechtigung i.S.d. Art. 5 KC dar. Durch den Abbruch der Verhandlungen werden keine rechtlichen Pflichten der Gegenpartei begründet oder erloschen. Der Abbruch der Vertragsverhandlungen stellt lediglich eine tatsächliche Handlung dar, die weder Ausdruck der Ausübung einer Berechtigung im engeren Sinne noch einer Befugnis ist. Eine Berechtigung zum Verschweigen von Informationen sowie zum Abbruch der Verhandlungen kann sich auch nicht direkt aus Art. 5 KC ergeben. Diese Vorschrift ist keine selbstständige Anspruchsgrundlage,494 sondern ein Abwehrmittel,495 das lediglich einen vorübergehenden, zusätzlichen Schutz vor einer unzulässigen Rechtsausübung gewährleistet.496 Im Ergebnis kann die Generalklausel des Rechtsmissbrauchs aus Art. 5 KC daher keine Grundlage der vorvertraglichen Pflichten sein.
491
Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 11. Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 10. 493 Gesetz v. 26.5.1982, Dz.U. 1982 Nr. 16 Pos. 124 m.w.Ä. 494 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 16; Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 5 Rn. 27, 28; SN, Urt. v. 11.7.2012 – II CSK 677/11, Legalis Nr. 544294; SN, Urt. v. 5.3.2002 – I CKN 934/00, Legalis Nr. 55422. 495 SN, Urt. v. 11.7.2012 – II CSK 677/11, Legalis Nr. 544294; SN, Urt. v. 5.3.2002 – I CKN 934/00, Legalis Nr. 55422. 496 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 17; Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 5 Rn. 25. 492
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h) Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens aa) Generalklausel als Grundlage für die Rechtswidrigkeit des Unterlassens Die Rechtswidrigkeit der schädigenden Handlung liegt vor, wenn diese gegen die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, gegen die guten Sitten oder gegen die Regeln des vernünftigen Verhaltens verstößt.497 Die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens beziehen sich auf die zwischenmenschlichen Verhaltensweisen und die Werte, die in der Gesellschaft verankert sind und keinen Bestandteil einer Rechtsnorm bilden.498 Der Richter muss anhand dieser Generalklausel das rechtswidrige Verhalten des Schädigers benennen und ein konkretes Handlungsgebot (Verhaltensmuster) bestimmen, das durch die Tat des Schädigers verletzt wurde.499 Problematisch ist dagegen die Rechtswidrigkeit in den Fällen, in denen der Schaden durch Unterlassen zugefügt wurde. Für die Annahme der Rechtswidrigkeit des Unterlassens ist ein Gebot des Handelns oder ein Verbot des Unterlassens oder ein Verbot der Herbeiführung des Erfolgs, der durch das Unterlassen entstehen kann, erforderlich.500 Im Schrifttum herrscht Uneinigkeit darüber, ob die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens eine Grundlage für eine Handlungspflicht bilden können. Die Antwort auf diese Frage ist besonderes für die Aufklärungspflichten bedeutsam, weil deren Verletzung durch das Unterlassen erfolgt. Ein Teil des Schrifttums vertritt die Meinung, dass im Falle des Unterlassens die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens kein Kriterium für die Rechtswidrigkeit bilden, weil sie die Handlungspflicht nicht näher konkretisieren.501 Dieser Meinung zufolge stellt die Generalklausel nur dann eine rechtliche Grundlage für eine Handlungspflicht dar, wenn eine Rechtsvorschrift auf sie verweist.502 Ein anderer Teil des Schrifttums bejaht hingegen die Anwendung der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens auch für die Beurteilung
497
Siehe § 4 A II 1. Radwański/Zieliński (1981), 397; vgl. Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 3; Resich/Bryl, Art. 5 (56). 499 SN, Urt. v. 10.5.2012 – IV CSK 579/11, LEX Nr. 1232804; vgl. SN, Urt. v. 18.6.2010 – V CSK 422/09, LEX Nr. 602741; SA Katowice, Urt. v. 22.11.2007 – V ACa 724/07, LEX Nr. 519293. 500 Gudowski/Bieniek/Gudowski, Art. 415 Anm. 4; vgl. SN, Urt. v. 20.1.2009 – II CSK 423/08, LEX Nr. 527191; SN, Urt. v. 19.2.2003 – V CKN 1681/00, LEX Nr. 121742. 501 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 41; Osajda/Sobolewski, Art. 361 Anm. 25; Michalak, PPH 8/2013, 37 (39). 502 Pietrzykowski, in: FS Szpunar, 167 (178); Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 41. 498
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eines rechtswidrigen Unterlassens.503 Die zum Handeln verpflichteten Person sowie der Umfang der Pflicht sind danach jeweils in einer Einzelfallbetrachtung zu bestimmen.504 Begründet wird diese Ansicht damit, dass eine gegenüber der Handlung engere Auslegung der Rechtswidrigkeit für das Unterlassen505 dem Postulat der rationalen Normsetzung widersprechen würde.506 Die Begründung für den Ausschluss der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens als Kriterium für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Unterlassens wirft einen Widerspruch auf: Wenn die Generalklausel ausreichend konkretisierbar ist, um ein Handlungsverbot zu bestimmen, warum sollte das gleiche nicht für die Bestimmung eines Gebots gelten? Nicht selten ist das Gebot eines Tuns die Kehrseite der verbotenen Handlung: Bspw. ist mit dem Verbot des Lügens das Gebot der Wahrheitspflicht eng verbunden. Auch das Strafrecht wendet für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Tun und Unterlassen gleiche Maßstäbe an. Für eine Differenzierung der Maßstäbe der Rechtswidrigkeit für das Tun und Unterlassen im Privatrecht sind keine Gründe feststellbar. Auch können durchaus anhand der Generalklausel Handlungsgebote konkretisiert werden. Spiegelbildlich zur strafrechtlichen Handlungspflicht aus einer Garantenstellung lassen sich aus der Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens in bestimmten Fällen Handlungspflichten ableiten. Beispiele hierfür sind die Schaffung einer Gefahr für Gesundheit und Leben, das enge Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem (qua familiärer Beziehung oder vorvertraglichem Vertrauensverhältnis), das Schutzbedürfnis des berechtigten Vertrauens des Geschädigten sowie solche Rechtsverhältnisse in denen eine Partei die schwächere ist (bspw. Vertragsverhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmen).507 Zweitens kann die Konkretisierung des Gebots zu Handeln durch die Bezeichnung einer Moral- oder Sittennorm, die in der Gesellschaft anerkannt und verankert ist und eine Verpflichtung zur Vornahme der Handlung vorsieht, erfolgen. Nur soweit eine solche Verhaltensnorm bestimmbar ist, ist der Anwendungsbereich der Klausel überhaupt eröffnet.508 Die beiden genannten Maßstäbe dienen gleichzeitig der Konkretisierung der Handlungspflicht als auch der Beschränkung einer ausufernden Ausdehnung der Haftung für Unterlassen. Die Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens lässt sich 503
Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 9; Kuźmicka-Sulikowska (2011), 88; Olejniczak/Machnikowski (2014), 394 ff., 403; Czech, PiP 12/2008, 39 (44); Resich/Masłowski, Art. 415 (982); Radwański/Dybowski (1981), 268; Ohanowicz (1965), 91; ders., OSPiK 1971/4/82 (184); SN, Urt. v. 4.2.2013 – II CNP 50/12, LEX Nr. 1314379; OSNC 2005/1/10 (64). 504 Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 9. 505 Siehe § 4 A II 1. 506 Kuźmicka-Sulikowska (2011), 88. 507 Czech, PiP 12/2008, 39 (49). 508 Siehe § 4 A II h dd.
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somit auch auf die Beurteilung des Unterlassens anwenden. Wie die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens konkret auszulegen sind und ob sie Verhaltensnormen beschreiben, die für die Beurteilung der vorvertraglichen Pflichtverletzungen maßgebend sind, soll im Weiteren untersucht werden. bb) Ursprung der Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens Die Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens war kein Bestandteil des polnischen Rechts vor 1950509. Sie wurde aus dem Privatrecht der Sowjetunion übernommen und sollte die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse und politischen Ziele der Volksrepublik Polen widerspiegeln.510 Da die aus der Generalklausel abgeleitete Billigkeitsidee i.S.d. Staatsinteressen auszulegen war, diente die Klausel mehr dem Schutz der Interessen des Staates als dem des Individuums.511 Das Gebot des Verhaltens gemäß den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens existierte nicht nur im polnischen Zivilgesetzbuch, sondern auch in der damaligen Verfassung von 1952. Nach 1989 wurde die Existenz dieser und anderer ähnlich ideologisch motivierter Klauseln im polnischen Privatrecht zunehmend kritisiert. Das Bedürfnis, die Generalklausel durch eine von der Konnotation alter politischer Ideologien unabhängige Klausel zu ersetzen, wurde im Schrifttum wiederholt geäußert.512 Gegen die Abschaffung der Generalklausel aus dem polnischen Privatrecht spricht erstens, dass die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens im heutigen demokratischen polnischen Rechtsystem frei von ideologischer Dogmatik sind.513 Symbolhaft kam dies schon dadurch zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber den Wortlaut „in der Volksdemokratie Polen“ nach der politischen Wende 1989 gestrichen hat.514 Die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens nehmen im gegenwärtigen Rechtssystem vielmehr Bezug auf die durch die moderne polnische Gesellschaft anerkannten Werte.515 Gegen die Entfernung der Klausel spricht zudem der damit verbundene aufwendige gesetzgeberische Eingriff in die polnische Rechtsordnung. Die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens sind nicht nur im Schuldrecht, sondern im gesamten polnischen Privatrecht verankert. Aus diesem Grund wäre das Finden einer alternativen Generalklausel äußerst schwierig. Dem polnischen 509
Gesetz v. 18.7.950, Dz.U. 1950 Nr. 34 Pos. 311. Radwański/Zieliński (1981), 396. 511 Plich, SP 4/2006, 37 (42); Czachórski et al. (2009), Rn. 46. 512 Siehe § 4 A II 2 e aa. 513 Vgl. Safjan/Pyziak-Szafnicka (2012), 903 f. 514 Durch das Gesetz v. 28.7.1990, Dz.U. Nr. 55 Pos. 321. 515 OSNC 2013/7–8/83 (21). 510
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Recht bekannte Grundsätze des guten Glaubens und der guten Sitten stellen keinen geeigneten Ersatz dar. Der gute Glaube bezieht sich auf individuelle Verhältnisse, während sich die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf universelle soziale Beziehungen erstrecken.516 Die guten Sitten dagegen beschreiben Verhaltensnormen bestimmter gesellschaftlicher Kreise und besitzen eine ökonomische Dimension.517 Der Gesetzgeber müsste daher entweder eine völlig neue Generalklausel formulieren, oder über die Anwendung einer der anderen im polnischen Recht bestehenden Generalklauseln im Einzelfall entscheiden. Daneben müsste entschieden werden, ob und wie Rechtsprechung und Lehre bezüglich der alten Generalklausel anzuwenden wären. Angesichts der dargestellten Probleme und gegenwärtigen Verschlechterung des Redaktionsniveaus der gesetzgeberischen Texte,518 ist eine komplette Streichung der bestehenden Generalklausel aus dem Privatrecht erst im Rahmen einer grundlegenden Novellierung des Zivilgesetzbuches realistisch. cc) Auslegung der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens Die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschreiben die Verhaltensnormen, die aktuell in der polnischen Gesellschaft funktionieren und dem Schutz der sozial anerkannten Werte sowie der immateriellen Güter dienen.519 Sie spiegeln vor allem die in der Gesellschaft existierenden Moralwerte und Sittennormen wieder.520 Die Sittennormen müssen moralisch konnotiert sein, d.h. sie müssen als „gut“ oder „schlecht“ bewertet werden können.521 Daher ist vor Anwendung der Generalklausel im konkreten Fall zu prüfen, welches Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt von der Gesellschaft als „Gut“ bzw. „Böse“ verstanden wird.522 Die gesellschaftlichen Sittennormen werden durch die Gesamtheit der Regeln des sittlichen Verhaltens gebildet.523 Die ihnen zugrundeliegenden Werte sind gegenseitiges Vertrauen, Ehrlichkeit,
516
Janiszewska, PUG 9/2003, 3 (8). Siehe § 4 A II 2 e. 518 Siehe § 9 A, D. 519 Kidyba/Sokołowski, Art. 5 Anm. 25. 520 Czachórski et al. (2009), Rn. 47; Resich/Bryl, Art. 5 (55) (ohne Bräuche); Trzaskowski (2005), 411; Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 5 Rn. 7; Wolter (1986), 85; a.A. nur Moralwerte: Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 5 Anm. 30; Gniewek/Machnikowski/ Machnikowski, Art. 5 Rn. 3; Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (18). 521 Pietrzykowski/Pietrzykowski, Art. 5 Rn. 7; Trzaskowski (2005), 411 f.; Więzowska (2009), 75; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 3. 522 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 3. 523 OSNC 2013/7–8/83 (21). 517
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Gerechtigkeit, Freiheit, Unabhängigkeit sowie Menschenwürde und Privatsphäre.524 Diese Werte haben ihre Quelle in der polnischen Verfassung, 525 der europäischen526 und christlichen527 Kultur und Geschichte sowie in den Grundsätzen der Redlichkeit und des guten Glaubens.528 Eine abschließende Katalogisierung dieser Verhaltensnormen und damit auch der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist nicht möglich, da sich diese ständig mit der Entwicklung der Gesellschaft ändern.529 dd) Moralische Normen als Grundlage für die vorvertraglichen Pflichten Von den zu den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gehörenden Werten ist für die Frage der Existenz vorvertraglicher Pflichten das Vertrauen von besonderer Bedeutung.530 Das Vertrauen umfasst zwei Dimensionen. Zum einen bezieht es sich auf die Durchführung der Verhandlungen, zum anderen auf die Aufklärung der Parteien über die entscheidungserheblichen Umstände. Das Vertrauen der ersten Ausprägung ist nur dann schutzbedürftig, wenn es durch das Verhalten der Person hervorgerufen wurde, die es anschließend ausnutzt und verletzt.531 Der Verhandlungsbegriff ist hierbei weiter als in Art. 72 § 2 KC zu verstehen und umfasst auch andere Vertragsabschlussformen. Das durch die Generalklausel missbilligte Enttäuschen des Vertrauens des Verhandlungspartners wird in zwei Fallkonstellationen rechtlich sanktioniert: Bei der Durchführung der Verhandlungen ohne eine Vertragsabschlussabsicht sowie beim grundlosen Abbruch der Verhandlungen, nach dem Erwecken des Vertrauens auf einen Vertragsabschluss. Das Vertrauen bedeutet hierbei zum einen, dass die vertrauende Partei sich darauf verlassen kann, dass die Gegenpartei nach dem Erwecken einer Erwartung auf einen Vertragsabschluss oder nach Duldung der in Erwartung eines Vertragsschlusses getätigten Vermögensdisposition der vertrauenden Partei, die Verhandlungen nicht grundlos abbricht und somit das gegenseitige Vertrauen enttäuscht. Ähnlich wie im deutschen Recht ist bedingt durch den Grundsatz der negativen Vertragsfreiheit, die Begründung des Vertragsabbruchs nicht an strenge Voraussetzungen geknüpft. Es reicht hierbei jede nicht sachfremde Er-
524
Radwański/Zieliński (1981), 397; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5
Rn. 3. 525 Radwański/Zieliński, PL 2/2001, 11 (18); Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 3. 526 Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 5 Anm. 32. 527 Safjan, PiP 11/1990, 48 (54); vgl. Trzaskowski (2005), 414. 528 SN, Urt. v. 4.10.2001 – I CKN 458/00, LEX Nr. 52717. 529 Resich/Bryl, Art. 5 (55 f.); vgl. Wolter (1986), 85. 530 Vgl. Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 3. 531 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 5 Rn. 3.
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klärung der Beweggründe der die Vertragsverhandlungen abbrechenden Partei. Zum anderen bezieht sich das Vertrauen darauf, dass die Gegenpartei des Vertrauenden während der Verhandlungen die Vertragsabschlussbereitschaft weder fahrlässig noch vorsätzlich vortäuscht und falls dazu kommt über den entstandenen Irrtum aufklärt (Verpflichtung aus Ingerenz, siehe unten). Problematischer ist die Frage, ob sich aus der Generalklausel ein schützenswertes Vertrauen auf die Übermittlung aller für den Vertragsschluss relevanten Informationen ableiten lässt. Dazu müsste eine moralische Verpflichtung zur Preisgabe aller relevanten Tatsachen bestehen. Die Lüge ist eine durch die Gesellschaft sozialethisch und moralisch missbilligte Handlung.532 Etwas anderes gilt allerdings für das Verbot des Verschweigens. Ein allgemeines Gebot zur Preisgabe aller relevanten Tatsachen durch Weitergabe von Informationen ergibt sich auch aus dem gesellschaftlichen Wertekatalog nicht.533 Eine moralisch konnotierte Verpflichtung zur Enthüllung der entscheidungserheblichen Informationen könnte aber durch eine besondere Berechtigung der informationsbedürftigen Partei534 begründet sein. Die Berechtigung folgt aus einer quasi-Garantenstellung der zur Aufklärung verpflichteten Partei.535 Sie konkretisiert das Handlungsgebot auf einen bestimmten Adressaten, Verpflichteten sowie bestimmte Informationen. Die Garantenstellung kann sich aus sozialen oder wirtschaftlichen Beziehungen ergeben, z.B. Ehe, Freundschaft oder auch Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis.536 Des Weiteren kann sie sich auch aus Ingerenz ergeben: Das polnische Strafrecht verpflichtet denjenigen zur Vornahme einer den Schaden vorbeugenden Handlung, der durch eine (auch rechtmäßige) Handlung eine Gefahr für ein Rechtsgut verursacht hat.537 Eine solche Begründung einer Verpflichtung zum Handeln ist dem polnischen Privatrecht nicht fremd. Im polnischen Privatrecht wird allgemein das Prinzip anerkannt, dass derjenige, der eine Gefahr für das Vermögen oder die Person des anderen erzeugt oder aufrecht erhält, alle Maßnahmen ergreifen soll, um diese Gefahr zu beseitigen.538 Die Rechtsprechung hat zu Recht vertreten, dass eine Person, die einem Schwächeren keine Hilfe leistet, obwohl sie sich durch das Hilfeleisten keiner Gefahr ausgesetzt hätte, zum Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung verpflichtet sei.539 Das Sąd Najwyższy
532
Ossowska (2000), 109. Czech, PiP 12/2008, 39 (48); vgl. Ossowska (2000), 113. 534 Czech, PiP 12/2008, 39 (48). 535 Siehe § 4 A II 2 h aa. 536 Ossowska (2000), 113. 537 A. Zoll/A. Zoll, Art. 2 Anm. 21; Królikowski/Zawłocki/Królikowski, Art. 2 Rn. 58. 538 Vgl. Resich/Błahuta, Art. 361 Anm. 4 (870); Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 22. 539 OSNC 1973/2/28 (45). 533
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(SN, Oberstes Gericht) sah eine Handlungspflicht einer Person darin begründet, dass sie durch leichtsinniges Verhalten die Gefährdung der Rechtsgüter des Anderen verursacht.540 Analogische Lösung ist in einem privatrechtlichen Fall der fahrlässigen Täuschung zu vertreten.541 In diesem Fall wird durch das fahrlässige Verhalten einer Partei ein Irrtum über den Inhalt des Vertrages beim Verhandlungspartner hervorgerufen. Als Folge des Hervorrufens des Irrtums ist eine Verpflichtung des Täuschenden zur Aufklärung sowie eine Berechtigung der Partei zur Informationserhaltung zu sehen. Eine Berechtigung des Verhandlungspartners zur Aufklärung kann sich auch – ähnlich wie im Falle des Art. 72 § 2 KC542 – aus einem asymmetrischen Wissensstand der beiden Verhandlungsparteien ergeben. Die rechtlich missbilligte Informationsasymmetrie betrifft ausschließlich die Informationen, welche die Parteien nur vom Verhandlungspartner und nicht aus anderen Quellen beschaffen können. Darüber hinaus kann auch eine offensichtliche Unerfahrenheit des Verhandlungspartners dessen Berechtigung, aufgeklärt zu werden, begründen. Im Weiteren liegt die Berechtigung zur Erlangung bestimmter Informationen dann vor, wenn einer der Verhandlungspartner eine Fachperson ist.543 Eine solche Aufklärungsverpflichtung ist regelmäßig für Ärzte,544 Rechtsanwälte, Architekten, Notare etc. relevant. Ein Musterbeispiel stellt hierbei die ärztliche Patientenaufklärung dar. Nach der Rechtsprechung des SN muss der Arzt dem Patienten Informationen in dem Umfang übermitteln, der eine bewusste Entscheidung über Behandlung gewährleistet.545 Die Verpflichtung zur Informationsweitergabe beschränkt sich grundsätzlich aber nicht auf Berufe, bei denen besondere Fachkenntnisse eine bedeutende Rolle spielen. Auch gewerbliche Verkäufer und Dienstleistungsanbieter sind hierzu verpflichtet.546 Die Informationspflicht hat einen komplementären Schutzcharakter und trifft den gewerblichen Verhandlungspartner unabhängig von dem Inhalt des abgeschlossenen Vertrages und sogar unabhängig von dessen Abschluss.547 Über die Art und den Umfang der Informationspflicht (Aufklärung, Rat, Warnung) entscheiden die berufliche
540
OSNC 1973/2/28 (45). Vgl. SA in Gdańsk, Urt. v. 8.12.2013 – I ACa 852/12, LEX Nr. 1305934; SA in Warszawa, Urt. v. 1.10.2009 – I ACa 732/07, LEX Nr. 580217. 542 Siehe § 4 A II 2 e cc. 543 Vgl. Lewaszkiewicz-Petrykowska, SI XXI (1994), 47 (49). 544 OSNC 2009/1/16 (82); SN, Urt. v. 28.9.1999 – II CKN 511/96, LEX Nr. 453701; SA Gdańsk, Urt. v. 28.11.2012 – V ACa 826/12, LEX Nr. 1313251. 545 SN, Urt. v. 28.9.1999 – II CKN 511/96, LEX Nr. 453701; vgl. OSNC 2009/1/16 (83). 546 Vgl. Lewaszkiewicz-Petrykowska, SI XXI (1994), 47 (51); OSNC 1990/7–8/104 (65); OSNP 2006/17-18/280 (761); SA in Warszawa, Urt. v. 1.10.2009 – I ACa 732/07, LEX Nr. 580217. 547 Vgl. Lewaszkiewicz-Petrykowska, SI XXI (1994), 47 (50). 541
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Tätigkeit sowie die Umstände des Einzelfalls.548 Als Beispiel solch einer Informationshaftung ist ein Urteil des SN aus dem Jahre 1988549 zu nennen. Die Staatliche Versicherungsanstalt wurde wegen der Erteilung von Falschinformation zum Ersatz des Verlustes verurteilt, den der Geschädigte dadurch erlitten hat, dass er als Folge mangelhafter Aufklärung einen für ihn unerwünschten Versicherungsvertrag abgeschlossen hatte, der den eingetretenen Versicherungsfall nicht abdeckte.550 Der Versicherungsanstalt wurde vorgeworfen, eine Mitarbeiterin habe einen Kunden falsch über den abgeschlossenen Vertrag aufgeklärt. Das Auto erlitt in Folge eines Unfalls Totalschaden, doch die Staatliche Versicherungsanstalt weigerte sich, einen Schadensersatz zu zahlen, da der abgeschlossene Vertrag nur eine gesetzliche Kaskoversicherung beinhaltete, die den betroffenen Fahrzeugtyp nicht berücksichtigte; eine darüber hinausgehende freiwillige Versicherung war nicht Bestandteil des Vertragsinhalts. Nach Ansicht des Gerichts verletzt die Versicherungsanstalt gegenüber dem Kunden ihre Aufklärungspflicht und war daher zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Für die Beurteilung einer Informationspflicht sind in Bezug auf alle genannten Fallgruppen im Einzelfall folgende Faktoren zu beachten: die besondere Sachkunde des Verpflichteten, dessen Aufwendungen für die Erlangung der einschlägigen Informationen, die Möglichkeit, auf andere Weise an die einschlägigen Informationen zu gelangen, die Art der Informationen sowie deren Bedeutung für den Empfänger.551 3. Ergebnis Die Haftungsklausel aus Art. 415 KC bildet eine Haftungsgrundlage für die Haftung aus der c.i.c. Das objektive Moment der Schuld, d.h. die Rechtswidrigkeit, ist weit zu verstehen. Das bedeutet, dass auch die ungeschriebenen Prinzipien wie die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens entscheiden. Sie sind auch für die Beurteilung des Unterlassens heranzuziehen, es sei denn, dass sich anhand ihrer im konkreten Fall kein Handlungsgebot konkretisieren lässt. Die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens meinen die Gesamtheit der Moralwerte, die in der Gesellschaft allgemein anerkannt sind. Zu den Moralwerten, die sich aus den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ableiten lassen und für die vorvertraglichen Informations- und Loyalitätspflichten maßgebend sind, gehören das Vertrauen auf den Vertragsabschluss und das Gebot zur Preisgabe aller relevanten Tatsachen beim Vorliegen einer entsprechenden Berechtigung. Die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden 548
Vgl. Lewaszkiewicz-Petrykowska, SI XXI (1994), 47 (54). SN, Urt. v. 8.7.2010 – III CSK 117/10, LEX Nr. 602677; OSNC 1990/7–8/104 (63). 550 OSNC 1990/7–8/104 (65). 551 Vgl. Art. 23 II GEK-E. 549
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daher eine ausreichend bestimmte Grundlage für die Haftung wegen des Abbruchs der Vertragsverhandlungen sowie der Aufklärungspflichtverletzung. Aufgrund ihrer Eigenschaft als eine elastische Generalklausel ergänzt sie die sonst erfassten Informationspflichten gut. Die Verpflichtung zur Verhandlungsführung gemäß den guten Sitten aus Art. 72 § 2 KC stellt dagegen nur einen beschränkten Beurteilungsmaßstab für die Verletzungen der Aufklärungs- und Loyalitätspflichten dar. Diese Vorschrift ist abschließend auf solche Verhandlungen begrenzt, die eine gesetzlich geregelte Form des Vertragsabschlusses konstituieren. Gegen den Rückgriff auf diese Norm als Anspruchsgrundlage der c.i.c. spricht weiter ihre Untauglichkeit zur Regelung der Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten, da sie nur den Ersatz des negativen Vertragsinteresses umfasst und nach dem Vertragsabschluss nicht mehr anwendbar ist. Die untersuchten Vorschriften zu Irrtum, arglistiger Täuschung, und Vertragsmäßigkeit der Ware sowie die Regelungen des Gesetzes über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs begründen eine Informationspflicht nur in bestimmten Einzelfällen. Aufgrund ihres klar beschränkten Anwendungsbereiches können sie keine Grundlage für die allgemeine Bestimmung der vorvertraglichen Aufklärungs- und Loyalitätspflichten bilden. B. Verschulden I. Verschulden im deutschen Recht Die Haftung aus der c.i.c. setzt gem. § 280 I BGB ein Verschulden voraus. Das Verschulden ist das objektiv pflichtwidrige (rechtswidrige) und subjektiv verwerfliche Verhalten eines Zurechnungsfähigen.552 Für die Haftung aus der c.i.c. ist das Verschuldensprinzip unabdingbar, was aus dem Privatautonomiegrundsatz und dem damit verbundenen Selbstverantwortlichkeitsprinzip folgt.553 Das Verschulden findet seine Regelung in § 276 BGB, nach dem der Schuldner Vorsatz und Fahrlässig zu vertreten hat. Der Täter handelt vorsätzlich, wenn ihm bewusst ist, dass seine Handlungen gegen die Rechtsordnung verstoßen, und er trotzdem das tut, was ihm durch Rechtsgeschäft oder Gesetz verboten ist.554 Hingegen liegt Fahrlässigkeit dann vor, wenn der Täter den rechtswidrigen Erfolg, ohne ihn zu wollen, dadurch herbeiführt, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.555 Für die Haftung ist die ob-
552
Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 5; vgl. Erman/Westermann, § 276 Rn. 4. S. Lorenz (1997), 406 f. 554 Bamberger/Roth/Unberath, § 276 Rn. 10; Erman/Westermann, § 276 Rn. 7; vgl. Kreß (1929), 325. 555 Erman/Westermann, § 276 Rn. 10; Bamberger/Roth/Unberath, § 276 Rn. 17; Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 12. 553
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jektive Sorgfalt maßgebend, d.h. es kommt darauf an, was von einem Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in einer entsprechenden Situation erwartet werden kann, ohne Rücksicht darauf, ob der Handelnde nach seinen individuellen Fähigkeiten, Kräften, Erfahrungen und Kenntnissen, die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen kann.556 Die Fahrlässigkeit setzt zudem die Vorhersehbarkeit (die Erkennbarkeit der Gefahr) und die Vermeidbarkeit des pflichtwidrigen Erfolgs voraus.557 Daraus folgt, dass bezüglich der Aufklärungspflichten ein Verschulden schon dann vorliegt, wenn der Schädiger fahrlässig einen Irrtum erregt. Bezüglich des Abbruchs der Vertragsverhandlungen ist fraglich, ob ein Verschulden überhaupt vorliegen muss. Diese Problematik ist eng mit der Frage der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens verbunden. Ein Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung, die die Pflichtwidrigkeit im Erwecken des Vertrauens auf einen Vertragsabschluss sehen, betrachten die Haftung wegen eines grundlosen Verhandlungsabbruchs als verschuldensunabhängige Vertrauenshaftung.558 Die Rechtsprechung stützt den Verzicht auf ein Verschulden überwiegend auf eine Analogie zu § 122 BGB559. Es ist insbesondere dann der Fall, wenn der Vertragsschluss durch eine Partei als sicher hingestellt worden ist.560 Diese verschuldensunabhängige Aufopferungshaftung beschränkt jedoch in hohem Maße die Privatautonomie der Parteien. Eine solche Einschränkung der Gestaltungsfreiheit bedürfte einer eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers561, die trotz der Reformen des Schuldrechts bisher für die Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen nicht getroffen wurde. Gegen die verschuldensabhängige Haftung spricht weiterhin, dass sogar die Rechtsprechung das Erfordernis des Verschuldens in einigen Entscheidungen weiterhin voraussetzt.562 Es sind daher keine ausreichenden Gründe ersichtlich, die eine weitgehende Begrenzung der Privatautonomie in Form der verschuldensfreien Haftung begründen würden.563 Beim grundlosen Abbruch von Vertragsverhandlungen ist damit ein Verschulden vorauszusetzen. Das Verschulden bezieht sich hierbei auf den Umstand des fahrlässigen oder vorsätzlichen widersprüchlichen Verhaltens des Schädigers, indem er nach der Erweckung des 556
Bamberger/Roth/Unberath, § 276 Rn. 20; Erman/Westermann, § 276 Rn. 10. Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 12; Bamberger/Roth/Unberath, § 276 Rn. 17. 558 Canaris, in: FS 50 Jahre BGH Bd. 1, 129 (181 f.); Larenz (1987), 107 f.; Singer (1993), 270, 279, 306 f.; a.A. Grunewald, JZ 1984, 708 (710). 559 BGH, WM 1969, 595 (597); NJW 1974, 508 (509); NJW 1989, 685. 560 BGH, WM 1989, 685 (687); WM 1996, 738 (740); NJW 2006, 1963 (1964). 561 Vgl. Rieble, in: Dauner-Lieb et al. (2003), 137 (139). 562 BGH, NJW 1975, 43; bei formbedürftigen Verträgen; BGH, WM 1982, 1436; NJW 1996, 1884 (1885). 563 BGHZ 76, 343 (349); BGH, NJW 1996, 1884 (1885); MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 181; Erman/Kindl, § 311 Rn. 39; Küpper (1988), 208; Wertenbruch, ZIP 2004, 1525; Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 136. 557
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Vertrauens auf dem Vertragsabschluss und Duldung der Vermögensdispositionen der Gegenpartei, den Vertragsabschluss ohne hierfür einen triftigen Grund zu haben, verweigert.564 Im Falle der Verletzung der Aufklärungspflicht über die Vertragsabschlussbereitschaft liegt das Verschulden sowohl in der falschen Vorspiegelung der Bereitschaft als auch in der Nichtoffenbarung ihres späteren Wegfalls.565 Nach § 278 BGB muss der Schädiger darüber hinaus auch das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen vertreten. II. Schuld im polnischen Recht Gemäß Art. 415 KC muss die unerlaubte Handlung schuldhaft begangen werden. Schuldhaft bedeutet nach einem nicht mehr vertretenen psychologischen Schuldbegriff, dass die Handlung nicht nur rechtswidrig vorgenommen wurde, sondern auch, dass der Schädiger eine negative psychische Einstellung zur Tat hat.566 Die negative Einstellung liegt darin, dass sich der Schädiger mit der Begehung der Tat nicht zurückhält, obwohl er weiß oder wissen sollte, dass daraus negative Folgen entstehen können.567 Da diese Ansicht praktische Defizite aufweist (Notwendigkeit des Beweises der inneren Einstellung des Schuldners zur Tat) ist heutzutage der objektive Schuldbegriff vorherrschend.568 Dieser orientiert sich an der Möglichkeit, dem Schädiger sein negatives Verhalten unter den konkreten Umständen vorzuwerfen.569 Im Unterschied zum deutschen Recht beinhaltet das polnische Zivilgesetzbuch keine Definition der (subjektiven) Schuld. Es gibt keine dem § 276 BGB entsprechende Norm. Das Schrifttum hat eine Definition herausgearbeitet: Die schuldhafte Handlung kann dann sowohl vorsätzlich (absichtliche Schadenszufügung) als auch fahrlässig (durch Außerachtlassen der im Einzelfall erforderlichen Sorgfalt) begangen werden.570 Eine absichtliche Schadenszufügung bedeutet, dass der Schädiger die Möglichkeit der Verletzung fremder, rechtlich geschützter Güter erkennt und willentlich den Schadenseintritt hervorruft oder diesen billigt.571 Ähnlich wie im deutschen Recht unterscheidet das polnische
564
Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 66; vgl. BGH, WM 1974, 508 (509). Vgl. BGH, NJW 1996, 1884 (1885). 566 Ohanowicz/Górski (1959), 254. 567 Ohanowicz/Górski (1959), 254; vgl. Rzetecka-Gil, Art. 415 Anm. 15. 568 Olejniczak/Machnikowski (2014), 423 f. 569 Olejniczak/Machnikowski (2014), 423 f.; Kuźmicka-Sulikowska (2011), 120. 570 Rzetecka-Gil, Art. 415 Anm. 16, 17; Longchamps de Berier (1939), 235. 571 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 31; Kuźmicka-Sulikowska (2011), 121. 565
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Schrifttum leichte und grobe Fahrlässigkeit. Die Anforderungen an die angemessene Sorgfalt ergeben sich aus Art. 355 KC:572 Der Schuldner verpflichtet sich, die Sorgfalt zu beachten, die in den Verhältnissen der gegebenen Art verlangt wird. § 2 bezieht sich auf das Sorgfaltsausmaß in professionellen Verhältnissen. Als zusätzlicher Maßstab gilt der berufliche Charakter der Tätigkeit. Um zu beurteilen, ob sich eine Person fahrlässig verhält, ist zunächst ein abstraktes Verhaltensmuster zu benennen. Sodann muss das Verhalten des Schädigers (ohne seine persönlichen Eigenschaften einzubeziehen) mit diesem Muster verglichen werden.573 Das Verhaltensmuster wird durch die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, durch Rechtsvorschriften, Bräuche sowie durch die „beruflichen Kodizes“ bestimmt.574 Abschließend ist zu prüfen, ob es dem Schädiger möglich war, sich unter den konkreten Umständen des Einzelfalles gemäß dem abstrakten Verhaltensmuster zu verhalten.575 Im Falle der Verletzung der vorvertraglichen Loyalitätspflichten in Form des grundlosen Vertragsverhandlungsabbruchs wird das Verschulden vor allem in der Enttäuschung der erweckten Erwartung auf einen Vertragsabschluss gesehen. Im Falle der Verletzung der Aufklärungspflicht über die Vertragsabschlussbereitschaft handelt der Schädiger dann vorsätzlich, wenn er die falsche Erwartung entweder vorsätzlich erweckt oder nach Erkennen einer solchen Erwartung beim Verhandlungspartner diesen absichtlich nicht über die tatsächliche Lage aufklärt. Fahrlässig handelt er, wenn er die Vertrauenslage unbeabsichtigt schafft und es versäumt, den Berechtigten aufzuklären, obwohl er die Irrtumslage hätte erkennen können. Bei der vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung bezüglich sonstiger entscheidungserheblicher Informationen besteht das Verschulden im mindestens fahrlässigen Unterlassen deren Weitergabe, bzw. im Unterlassen der Belehrung über einen Irrtum, der durch das Verhalten des Schädigers hervorgerufen wurde. Handelt es sich bei der Partei um einen Unternehmer, ist ein höherer Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Der Umfang der gebotenen Sorgfalt ist abhängig vom beruflichen Tätigkeitsbereich.
572 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 33; Rzetecka-Gil, Art. 415 Anm. 19; Kidyba/Olejnniczak, Art. 415 Anm. 25. Es gibt auch die Stimmen im Schrifttum, die die Anwendung des Art. 355 KC für eine deliktische Haftung ausschließen. Im Ergebnis aber wird als Maßstab die Sorgfalt betrachtet, die allgemein in Verhältnissen gegebener Art verlangt wird: Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 16; Resich/Masłowski, Art. 415 Anm. 3 (983 f.); Olejniczak/Machnikowski (2014), 424; Dąbrowa (1968), 74. 573 Rzetecka-Gil, Art. 415 Anm. 20; Olejniczak/Machnikowski (2014), 437. 574 Rzetecka-Gil, Art. 415 Anm. 19; vgl. Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 415 Rn. 18. 575 Kidyba/Olejniczak, Art. 415 Anm. 27; Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 20, 33; Olejniczak/Machnikowski (2014), 437.
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Das Verschulden ist wegen Unzurechnungsfähigkeit (Art. 425 KC) und Minderjährigkeit (bis 13 Jahre) des Schädigers (Art. 426 KC) ausgeschlossen. C. Schaden I. Schaden im deutschen Recht Zunächst gilt zu klären, welche unfreiwillige Einbuße an rechtlich geschützten Positionen, einen Schaden bildet.576 Die Vermögenseinbuße muss messbar sein.577 Die Messbarkeit der Einbuße orientiert sich an der Differenzhypothese, d.h. am Vergleich zwischen der gegenwärtigen Lage einer Person und derjenigen Lage, die ohne den Eintritt des schädigenden Ereignisses zum maßgeblichen Zeitpunkt bestanden hätte.578 Die Problematik des Schadensumfanges folgt aus der Funktionen der Haftung aus der c.i.c., insbesondere aus ihrer Schutzfunktion. Es stellt sich wiederum die Frage, ob die c.i.c. nur das Vermögen oder auch die Dispositionsfreiheit des Geschädigten schützt. Wie bereits festgestellt wurde,579 dient die Haftung aus der c.i.c. nicht nur dem Schutz des Vermögens des Geschädigten, sondern auch aufgrund des § 241 II BGB dem Schutz seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Daraus schlussfolgert das Schrifttum zu Recht, dass schon das bloße Eingehen der Verbindlichkeit selbst einen Schaden i.S.v. § 249 BGB bildet, selbst wenn diesem ein zwar gleichwertiger, für den Schuldner aber subjektiv gerade nicht gleichwertiger Vermögensvorteil gegenübersteht.580 Daraus folgt, dass nicht nur ein reiner Vermögensschaden, sondern auch ein immaterieller Schaden nach den Grundsätzen der c.i.c. ersetzbar ist. Es ist fraglich, ob neben dem Vertrauensschaden (negatives Interesse) auch der Ersatz des Erfüllungsschadens (positives Interesse) verlangt werden kann. Ein Teil des Schrifttums und der Rechtsprechung beschränkt den ersatzfähigen Schaden auf das Vertrauensinteresse, also gerade auf den Schaden, den der Betroffene aufgrund seines Vertrauens in die Gültigkeit des Geschäftes bzw. der Willenserklärung des Vertragspartners erlitten hat.581 Begründet wird dies 576
Erman/Ebert, vor §§ 249–253 Rn. 14. Erman/Ebert, vor §§ 249–253 Rn. 14. 578 Erman/Ebert, vor §§ 249–253 Rn. 14. 579 Siehe § 3 A II 2 b. 580 Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (118); vgl. MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 209; S. Lorenz (1997), 73, 390; a.A. Schaden als Enttäuschung der Leistungserwartungen: Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (282 f.). 581 BGHZ 49, 77 (82); BGHZ 57, 191 (197); BGH, NJW 2001, 2875 (2876); Erman/Kindl, § 311 Rn. 29 m.w.N.; Ackermann, ZHR 164 (2000), 394 (415); Grigoleit (1997), 153; Gehrlein, VersR 1997, 928 (930); Medicus, in: FS Lange, 539 (549 f.); Busche (1999), 145 ff.; D. Kaiser, JZ 1997, 448 (453); Hans Stoll, JZ 1999, 95 (96); Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093 (1096). 577
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damit, dass sich der Anspruch aus der c.i.c. gerade nicht auf die ordnungsgemäße Vertragserfüllung beziehe, sondern auf einen Ausgleich der Nachteile, die durch die Verletzung des bei der Vertragsanbahnung in den Vertragspartner gesetzten Vertrauens entstehen.582 Die Gewährung eines Erfüllungsanspruches bedeutet dieser Meinung zufolge einen Verstoß gegen den Grundsatz der Privatautonomie, der die Freiheit zum Vertragsschluss unbeachtet lässt und zum Kontrahierungszwang führt.583 Dies stehe im Widerspruch mit dem Gedanken, dass die c.i.c. ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne eine primäre Leistungspflicht sei.584 Auf der anderen Seite gibt es auch Autoren und Entscheidungen, die dem Geschädigten ausnahmsweise einen Ersatz des Interesses an der Erfüllung des nicht zustande gekommenen Vertrages zusprechen.585 Ein solcher Ausnahmefall ist nach dieser Ansicht gegeben, wenn im Einzelfall feststeht, dass der Geschädigte ohne das schuldhafte Verhalten einen anderen, für ihn günstigeren Vertrag abgeschlossen hätte oder wenn das Geschäft beim pflichtgemäßen Verhalten nicht gescheitert, sondern erwartungsgemäß zustande gekommen wäre. Der Geschädigte ist demnach so zu stellen als hätte er mit dem anderen Teil einen für ihn günstigeren Vertrag bzw. überhaupt einen Vertrag geschlossen. Im Ergebnis nimmt diese Ansicht ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen beiden Schadensarten an. Die Beschränkung des Schadensersatzes aus der c.i.c. auf das negative Interesse ist abzulehnen. Die Bemessung des ersatzfähigen Schadens richtet sich, angesichts der Vielgestaltigkeit der Verletzungsarten der vorvertraglichen Pflichten, nach der Ursächlichkeit des schadenstiftenden Verhaltens für den eingetretenen Schaden im Einzelfall. Die Haftungsausfüllung folgt aus §§ 249 ff. BGB, was je nach den Umständen des Einzelfalles und dem hypothetischen Geschehensverlauf zum Ersatz des negativen oder positiven Interesses führt. Dass in der Rechtspraxis häufiger das negative Interesse ersetzt wird, ist auf Beweisprobleme zurückzuführen, stellt aber keine subsumtionsfähige Regel dar.586 Mit der einheitlichen und einzigen Anspruchsgrundlage bei einer Pflichtverletzung aus der c.i.c., dem § 280 BGB, ist eine weitgehende 582
BGHZ 49, 77 (82); 57, 191 (197); BGH, NJW 2001, 2875 (2876); vgl. Grigoleit (1997), 190. 583 Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 60; Gehrlein, VersR 1997, 928 (930); Flume (1975), 283; Medicus, in: FS Lange, 539 (549 f.); Busche (1999), 145 ff. 584 D. Kaiser, JZ 1997, 448 (453). 585 BGHZ 168, 35 (40 f.); BGH, NJW 2001, 2875; NJW 1998, 2900; BGHZ 108, 200 (207 f.); MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 210; Erman/Kindl, § 311 Rn. 29; Palandt/Grünberg, § 311 Rn. 56; Nirk, in: FS Möhring (1975), 71 (86 ff.); Hohloch, NJW 1979, 2369 (2374); von Craushaar, JuS 1971, 127 (129–130); Nickel (2004), 144; S. Lorenz, NJW 1999, 1001; Gernhuber (1989), 187; M. Weber, AcP 192 (1992), 390 (430); Küpper (1988), 275 ff.; Hackl (1980), 51; Heck (1929), 124; vgl. BGH, NJW 2014, 2038 (2039); NJW 1988, 2234 (2236). 586 Vgl. S. Lorenz, NJW 1999, 1001; ders./Riehm (2002), Rn. 378.
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Reduzierung der Haftung nur auf das negative Interesse nicht mehr vertretbar.587 II. Schaden im polnischen Recht 1. Definition des Schadensbegriffs Im polnischen Zivilgesetzbuch findet sich keine Legaldefinition des Schadens. Nach dem durch das Schrifttum und die Rechtsprechung herausgearbeiteten Begriff des Schadens versteht man darunter jede Einbuße des rechtlich geschützten Gutes, mit der das Gesetz die Entstehung einer Haftung verbindet.588 Zur Berechnung des Schadens wird ähnlich wie im deutschen Recht eine Differenzmethode verwendet.589 Dementsprechend wird der tatsächliche Zustand der materiellen Güter des Geschädigten mit dem hypothetischen Zustand, der ohne ein schädigendes Ereignis vorläge, verglichen.590 Im Falle des entgangenen Gewinns wird dagegen der materielle Zustand des Geschädigten, der tatsächlich nach dem schädigenden Ereignis vorliegt, mit einem hypothetischen Zustand, der vorläge, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre, verglichen.591 2. Schadensarten Im polnischen Recht wird ähnlich wie im deutschen zwischen einem Vermögensschaden und immateriellen Einbußen unterschieden. Der immaterielle Schaden bezieht sich auf die negativen Erfahrungen eines Menschen, in dessen physischem sowie psychischem Leiden.592 Der immaterielle Schadensbegriff ist weit auszulegen. Zur sensu stricto-Betrachtung gehört das Unrecht (krzywda), das eine immaterielle Einbuße umfasst, die aufgrund der Verletzung rechtlich geschützter Güter des Berechtigten entsteht und keine Entsprechung in der Änderung von dessen materieller Situation hat.593 Der Ersatz des immateriellen Schadens ist nicht als Schadensersatz zu verstehen, sondern als eine Entschädigung (zadośćuczynienie) in Form einer Geldleistung. Diese Entschädigung erfolgt für das Unrecht nur in den Fällen, die durch das Gesetz 587 Vgl. Thiesen, NJW 2006, 3102 (3104); Tutmann (1982), 33. Es gibt die Stimmen im Schrifttum (Eisenhardt, in: FS Leser, 144 (150–157)), die § 179 S. 1 BGB analog als eine Grundlage für die Berechnung der Schadenshöhe ansehen. Sie übersehen aber die Schuldrechtsreform, die § 280 I BGB als eine entsprechende Anspruchsgrundlage vorsieht. 588 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 37; Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 33; Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 13. 589 Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 53. 590 Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 13; Olejniczak/Kaliński (2014), 87. 591 Czachórski (1963), 94 f. 592 Olejniczak/Kaliński (2014), 96. 593 Olejniczak/Kaliński (2014), 96; Panowicz-Lipska (1975), 38; vgl. Szpunar (1998), 28.
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geregelt sind. Der immaterielle Schaden im weiteren Sinne kann hingegen auch auf der Grundlage des Vertrages ersetzt werden.594 Auf die Berechnung des Unrechts kommt ähnlich wie beim Vermögensschaden die Differenzmethode zur Anwendung, allerdings mit dem Unterschied, dass nicht die materielle Lage verglichen wird, sondern versucht wird, die Differenz der seelischen Lage zu erfassen und so das Interesse am Nichteintreten des schädigenden Ereignisses zu messen.595 3. Umfang des Schadensbegriffs Anders als im deutschen Recht ist im polnischen Recht umstritten, ob der Begriff des Schadens neben dem Vermögensschaden auch das Unrecht (den immateriellen Schaden) umfasst. Diese Diskussion gewinnt dadurch an Relevanz, dass im polnischen Zivilgesetzbuch zwei unterschiedliche Begriffe, nämlich „Schaden“ und „Unrecht“, verwendet werden. Einer Meinung nach ist der „Schaden“ ein Oberbegriff sowohl für den Vermögensschaden als auch für das Unrecht, und die Entschädigung folglich eine besondere Form des Schadensersatzes.596 Begründet wird dies damit, dass sowohl der Wortlaut des Art. 448 KC a.F.597 als auch Art. 445 KC über den „Geschädigten“ und nicht über den „Verletzten“ sprechen.598 Zudem bestätige die Verwendung des Begriffs „Vermögensschaden“ in den Artt. 24 § 2 KC und 438 KC die Existenz einer weiteren Schadensart.599 Einem anderen Teil des Schrifttums zufolge ist der „Schaden“ kein Oberbegriff für Unrecht und Vermögensschaden.600 Der Begriff des Schadens umfasse nur die materiellen Einbußen, während zum Unrecht nur das physische oder psychische Leid gehöre.601 Begründet wird dies mit der expliziten Bezeichnung des immateriellen Schadens als „Unrecht“ und seinem Ersatz als
594 Olejniczak/Kaliński (2014), 97; Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 11; Resich/Błahuta, Art. 361 Anm. 5 (871). 595 Olejniczak/Kaliński (2014), 97. 596 Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 35; Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 36; ders./Cisek/Dubis, Art. 445 Rn. 2; Olejniczak/Kaliński (2014), 98 f.; Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 11; Szpunar (1998), 25; Resich/Błahuta, Art. 361 Anm. 5 (871); Panowicz-Lipska (1975), 33–36. Vgl. SA Katowice, Urt. v. 8.2.2013 – V ACa 725/12, LEX Nr. 1282594; SA Gdańsk, Urt. v. 12.6.2013 – III APa 16/13, LEX Nr. 1339302. 597 Gesetz v. 23.8.1996, Dz.U. Nr. 114 Pos. 542. Die neue Fassung spricht über denjenigen, der eine Verletzung des persönlichen Gutes erlitten hat. 598 Vgl. Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 35; Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 36; Panowicz-Lipska (1975), 34. 599 Vgl. Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 36. 600 Warkałło (1962), 125 f.; Winiarz (1970), 20; ders. (1962), 16; Czachórski (1963), 93. 601 Warkałło (1962), 126.
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„Entschädigung“ durch den Gesetzgeber. Die eigenständige Regelung von Unrecht und Schaden wird weiter damit begründet, dass die Entschädigung nur in den Vorschriften über die deliktische Haftung vorgesehen ist und sie lediglich zugesprochen werden „kann“, während der Schadensersatz zugesprochen werden „soll“.602 Eine Anwendung der Vorschriften über den Schaden auf das Unrecht ist dieser Ansicht nach nur per Analogie möglich. Für die erste Meinung spricht, dass die Vorschriften, die eine Entschädigung für ein Unrecht vorsehen (Artt. 445, 448 KC) keine selbstständigen Anspruchsgrundlagen sind und stets die Anwendung der anderen Vorschriften voraussetzen (wie z.B. Art. 415 KC).603 Mit dieser Ansicht sind die Vorschriften über Schaden und Schadensersatz auf die Entschädigung direkt anwendbar. Die Entschädigungshöhe bestimmt sich damit nach den Berechnungsregeln für den Schadensersatz in Geld aus Art. 363 § 2 KC. Für eine weite Auslegung des Schadensbegriffs spricht auch die ratio legis: Im Zivilgesetzbuch wird zwischen dem Ersatz von Vermögensschaden (bspw. Artt. 24 § 2, 438 KC) und immateriellen Schaden (Artt. 445, 448 KC) differenziert. Da der rationale Gesetzgeber keine Synonyme eines Rechtsbegriffs in einem Gesetzestext einfügt,604 ist bei Verwendung des alleinigen Begriffs „Schaden“ davon auszugehen, dass dieser eine übergeordnete Bezeichnung für beide Arten der Einbuße ist. Der Vermögensschaden umfasst die Schäden an Sachgütern und an der Person (szkoda na mieniu i na osobie). Die erste Gruppe des Schadens umfasst alle Einbußen, die im Vermögen des Geschädigten entstanden sind, ohne Zusammenhang mit dessen Person.605 Dagegen bezieht sich der Personenschaden direkt auf den Geschädigten. Er besteht in der Verletzung der persönlichen Rechtsgüter, die ihre mittelbaren Folgen im Vermögen des Geschädigten hat.606 Außerdem kann es auch ein Unrecht auftreten. 4. Ersetzbarer Schaden aus der culpa in contrahendo Der Ersatz des Schadens umfasst gem. Art. 361 § 2 KC sowohl die Einbußen, die der Geschädigte erlitten hat (damnum emergens) als auch die Gewinne, die er hätte erzielen können, wenn ihm keinen Schaden zugefügt worden wäre (lucrum cessans, utracone korzyści). Der Verlust äußert sich in der tatsächlichen Änderung des Vermögenszustandes des Geschädigten und liegt in der
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Warkałło (1962), 126. Vgl. Olejniczak/Kaliński (2014), 99; Panowicz-Lipska (1975), 33; vgl. Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 35. 604 Wronkowska (2005), 84. 605 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 44. 606 Rzetecka-Gil, Art. 361 Anm. 67; Gudowski/Wiśniewski, Art. 361 Anm. 16. 603
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Verminderung der Aktiva oder in der Vergrößerung der Passiva.607 Dazu zählen nicht die Verschlechterung der Sache aufgrund natürlichen Verschleißes oder Umwelteinwirkungen.608 Der entgangene Gewinn bedeutet dagegen die Nichtvergrößerung der aktiven Positionen des Vermögens des Geschädigten, die in diesem Vermögen erschienen wären, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.609 Es sind aber nur solche Nachwirkungen im Vermögen des Geschädigten zu berücksichtigen, die bei der vernünftigen Einschätzung der Situation unter den Umständen des Einzelfalles vorherzusehen gewesen wären und das Vermögen des Geschädigten bereichert hätten.610 Ein eventueller Schaden (szkoda ewentualna) ist nicht als entgangener Gewinn zu sehen.611 Er bildet nur den Verlust einer Möglichkeit der Erzielung eines Vermögensvorteils, und im Unterschied zum entgangenen Gewinn, ist die Wahrscheinlichkeit der Erzielung dieses Vermögensvorteils viel geringer.612 a) Positives Interesse Im Schrifttum und in der Rechtsprechung wird die Beschränkung des Schadensersatzes im Falle der c.i.c. nur auf ein negatives Interesse vertreten.613 Demnach sind nur die Aufwendungen ersatzfähig, die zum Zwecke des Vertragsabschlusses getätigt worden sind, wie z.B. Rechtsanwaltskosten, Korrespondenzkosten, Reisekosten etc. Dazu zählen auch Vertragsstrafen, für die der Geschädigte aufgrund der Verweigerung des Vertragsabschlusses in Anspruch genommen wurde.614 Eine Stellung der Partei so, als ob der Vertrag abgeschlossen worden wäre, wird der herrschenden Meinung nach nicht durch die c.i.c. beabsichtigt. Dagegen spricht jedoch erstens, dass dieser nur auf das negative Interesse beschränkte Schadensersatz immer in den Fällen besteht, in denen die Haftung nicht an ein Verschulden geknüpft ist, also unter anderem
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Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 46; Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 38. 608 Gudowski/Wiśniewski, Art. 361 Anm. 17. 609 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 47. 610 Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 39. 611 Manche Autoren sehen darunter einen weiten Begriff des entgangenen Gewinns, so: Warkałło (1962), 132. 612 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 49; Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 42. 613 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 67; Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (144); Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (25); Kocot, PPH 5/2003, 10 (23); Plich, Prz. Sąd. 7–8/2006, 3 (21); Zawistowski, AUWr 2004, 281 (288); SN, Urt. v. 16.9.2011 – IV CSK 626/10, LEX Nr.1129160; OSNP 2001/15/480 (688); SN, Urt. v. 24.3.1998 – I CKN 562/97, LEX Nr. 56804; OSNC 1987/12/210 (74 f.). 614 Kaliński (2011), 342.
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im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit615 und der Führung der Verhandlungen gegen die guten Sitten (Art. 72 § 2 KC). Eine Anwendung der Begrenzung des Schadensersatzes auf die Fälle der c.i.c., in denen man eine Schuld beweisen muss, ist dann unangebracht.616 Das deliktische Recht, welches die Grundlage für die c.i.c. bildet, kennt zweitens keine Unterscheidung zwischen dem negativen und dem positiven Interesse.617 Die Verpflichtung zum Schadensersatz stellt bereits eine primäre Leistungspflicht aus dem deliktischen Schuldverhältnis. Es gibt keine andere Leistungspflicht, deren Nichterfüllung bzw. nicht ordnungsgemäße Erfüllung die Höhe des Schadens bestimmen könnte. Deswegen entscheiden der Beweis des hypothetischen Geschehensablaufes und die Berechnung des Schadens nach der Differenzhypothese über die Höhe des Schadensersatzes. Diese Ansicht wurde auch durch die Rechtsprechung des SN im Falle der Aufklärungspflichtverletzung bestätigt. Das SN sprach im Falle der Verletzung der Informationspflicht den Schadensersatz in der Höhe des Erfüllungsinteresses zu, wenn sich aus der Umständen des Falles ergab, dass der Kunde, wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden, einen Vertrag mit anderen Inhalt abgeschlossen hätte.618 b) Entgangener Gewinn Strittig bleibt im Schrifttum die Möglichkeit des Ersatzes des entgangenen Gewinns bei der Haftung für die c.i.c. Ein Teil der Autoren versteht unter dem Anspruch aus der c.i.c. nur ein negatives Interesse, das kein lucrum cessans beinhaltet.619 Diese sehen im Ersatz des entgangenen Gewinns einen Ersatz des positiven Interesses620 sowie eine Beschränkung der Vertragsfreiheit, die aus der Berechnung der Schadenshöhe aufgrund eines tatsächlich nicht abgeschlossenen Vertrages resultiere.621 Der entgangene Gewinn stellt dieser Meinung zufolge also ein normales Verhandlungsrisiko dar, das nicht auf den Verhandlungspartner abgewälzt wird.622 Ein anderer Teil des Schrifttums geht hingegen davon aus, dass der Schadensersatz wegen der c.i.c. außer dem Ersatz 615
Korzonek/Rosenblüth, (Art. 57) 128. SA Warszawa, Urt. v. 13.11.2008 – I ACa 669/08, LEX Nr. 795205; Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 46; Kocot (2013), 78; Tropaczyńska, PPH 2/1996, 22 (29). Manche Autoren begrenzen den Schadensersatz auch im Deliktsrecht auf die Höhe des negativen Interesses: Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (144); Wójtowicz (2010), 145, 160. 617 Olejniczak/Kaliński (2014), 114. 618 OSNC 1990/7–8/104 (65). 619 Kidyba/Kopaczyńska-Pieczniak, Art. 72 Anm. 15; Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 38; Kwaśnicki/Lewandowski, Pr. Sp. 5/2002, 37 (41 f.); Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (145); Warkałło (1962), 142. 620 Radwański (2001), Rn. 240. 621 Kwaśnicki/Lewandowski, Pr. Sp. 5/2002, 37 (41 f.). 622 Kwaśnicki/Lewandowski, Pr. Sp. 5/2002, 37 (42); vgl. Olejniczak, in: FS Ziemianin, 127 (145); Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 38. 616
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der Aufwendungen auch den entgangenen Gewinn umfasse.623 Der letzten Meinung ist zu folgen. Erstens bezieht sich der Gewinn nicht auf den verhandelten, nicht zustande gekommenen Vertrag, sondern auf einen Vertragsschluss mit einem Dritten, den der Geschädigte wegen der Verhandlungsführung mit dem Schädiger abgelehnt hat. Aus diesem Grunde wird hier kein positives Interesse ersetzt. Das normale Verhandlungsrisiko umfasst nicht mehr das Abbrechen der Verhandlungen ohne triftigen Grund, nachdem die andere Partei das Vertrauen auf dessen Abschluss erweckt hat und die Vermögensdispositionen geduldet hat. Daher ist dem Geschädigten, der aufgrund solcher Erwartungen einen anderen Vertragsschluss ablehnt, der entgangene Gewinn als erlittener Schaden zu ersetzen. Daraus folgt, dass der Schadensersatz wegen der c.i.c. sowohl den Ersatz von Verlusten als auch von entgangenem Gewinn umfasst. Der Geschädigte muss die Möglichkeit der Erzielung des Gewinns beweisen, d.h. dass er den Gewinn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erzielt hätte.624 c) Immaterieller Schaden (Unrecht) Weder vom Schrifttum noch von der Rechtsprechung wurde bisher die Frage der Ersetzbarkeit des Unrechts (immateriellen Schadens) im Rahmen der Haftung für die c.i.c. behandelt. Von Bedeutung ist diese Problematik vor allem für die Fallgruppe der Verletzung der Aufklärungspflichten und den dadurch verursachten Abschluss eines unerwünschten Vertrages. Der unerwünschte Vertragsabschluss resultiert zwar nicht in einer Störung der Leistungsäquivalenz, stellt aber für den Geschädigten trotzdem eine immaterielle Belastung dar. Für das Unrecht werden die Vorschriften über den Schaden direkt anwendbar.625 Damit ist sowohl Art. 361 § 1 KC, gemäß dem alle Schäden ersetzbar sind, die in normalen Zusammenhang zu der Pflichtverletzung stehen, als auch dessen § 2 über den Umfang des Schadensersatzes, für den immateriellen Schaden maßgebend. Daraus folgt, dass das Unrecht ein ersetzbarer Schaden im Rahmen der c.i.c. ist. Die besonderen Regelungen über den Ersatz des Unrechts sind hierbei zu berücksichtigen.626
623 Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 48; Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 14; Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 38; Grykiel/Lemkowski, Art. 72 Rn. 22; Plich, Prz. Sąd. 7–8/2006, 3 (22); Garnecki, PPH 3/2001, 9 (12); Szpunar (1998), 49 f.; zwar wird durch die Haftung aus dem negativen Vertragsinteresse keinen entgangenen Gewinn umfasst, aber falls die Voraussetzungen des Art. 415 KC erfüllt sind, wird ein voller Schaden ersetzt: Czachórski, RPEiS 3/1968, 23 (32); SA Warszawa, Urt. v. 13.11.2008 – I ACa 669/08, LEX Nr. 795205. 624 Grykiel/Lemkowski, Art. 72 Rn. 31; vgl. Sobolewski, PPH 4/2005, 22 (25); Tropaczyńska, PPH 2/1996, 22 (30). 625 Siehe § 4 C II 3. 626 Siehe § 5 B II.
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D. Kausalität I. Haftungsausfüllende Kausalität im deutschen Recht Eine Schadensersatzpflicht trifft den Schädiger nur dann, wenn die Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden kausal war.627 Die Grundlage für die Kausalitätsprüfung ist die vom Strafrecht her bekannte Lehre vom „Erfolg in seiner konkreten Gestalt“.628 Daraus folgt, dass für ein bestimmtes Geschehen all diejenigen Umständen als ursächlich gesehen werden, deren Bestehen erforderlich ist, damit es sich so an diesem Ort und zu dieser Zeit sowie in dieser Weise ereignen konnte.629 Außer dieser Lehre werden auf die Ermittlung der Kausalität die Äquivalenz- und Adäquanztheorie angewendet. Nach dem Äquivalenzgrundsatz ist der Kausalzusammenhang dann gegeben, wenn das Handeln des Schädigers nicht weggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele.630 Für den Fall des Abbruchs der Vertragsverhandlungen bedeutet dies, dass der Schadensersatz nur dann erfolgen kann, wenn der Geschädigte ohne die Erweckung des Vertrauensverhältnisses keine Aufwendungen vorgenommen hätte oder im Falle des entgangenen Gewinns, einen günstigeren Vertrag mit einem anderen Partner abgeschlossen hätte. Da die Verletzung der Aufklärungspflicht ein Unterlassen darstellt,631 ist die Conditio-Formel so zu modifizieren, dass der Kausalverlauf korrekt bestimmbar wird. Hierbei ist darauf abzustellen, ob die Vornahme einer Handlung den von der Rechtsordnung missbilligten Erfolg verhindert hätte und ob die Herbeiführung des Erfolges durch Unterlassen dem durch positives Tun wertungsmäßig gleich steht.632 Dies ist dann der Fall, wenn der Schädiger verpflichtet war, zur Abwendung des Erfolgs tätig zu werden, die Vornahme der Handlung ihm in der gegebenen Lage und unter der gebotenen Sorgfalt möglich war und hierdurch der rechtlich missbilligte Erfolg abgewendet worden wäre.633 Daraus folgt, dass die Aufklärungspflichtverletzung dann kausal für den Schaden ist, wenn der Vertrag ohne Pflichtverletzung überhaupt nicht oder nicht mit dem tatsächlich vereinbarten Inhalt zustande gekommen wäre. Die Äquivalenztheorie, die zu weit geht, ist durch die Adäquanztheorie begrenzt, indem sie die Haftung des Schädigers bei gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverläufen ausschließt.634 Ihre Beurteilung erfolgt anhand einer ex post-
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Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 49. Vgl. Canaris, in: FS Hadding, 3 (13). 629 Larenz (1987), 433. 630 Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 50. 631 Vgl. Canaris, in: FS Hadding, 3 (13); Baumgärtel (1991), Anh. § 282 Rn. 63; Vollkommer, in: FS Baumgärtel, 585 (590); a.A. Dieckmann, WM 2011, 1153 (1157 f.). 632 Larenz (1987), 457. 633 Larenz (1987), 457. 634 Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 51. 628
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Betrachtung, vom Standpunkt des optimalen Beobachters aus und unter Einbeziehung der besonderen Kenntnisse des Schädigers.635 II. Kausalität zwischen Schaden und schuldhafter Handlung im polnischen Recht 1. Adäquater Zusammenhang Gemäß Art. 361 § 1 KC trägt der zum Schadensersatz Verpflichtete die Verantwortlichkeit nur für die gewöhnlichen Folgen der Handlung oder des Unterlassens, aus denen der Schaden entstanden ist (adäquater Kausalzusammenhang). Die Formel conditio sine qua non bildet die erste Stufe bei der Beurteilung der Kausalität, die durch die Feststellung der Normalität der Folgen begrenzt wird.636 Die gewöhnlichen Ursachen für den Schadenseintritt sind solche Umstände, deren Eintritt typischerweise bei lebensnahen Lauf der Dinge zu erwarten ist.637 In der Literatur herrscht Uneinigkeit darüber, was genau unter den gewöhnlichen Folgen des Tuns zu verstehen ist. Teilweise wird eine gewöhnliche Folge nur dann angenommen, wenn diese vom Schädiger vorherzusehen war.638 Eine andere Ansicht vertritt einen objektiven Ansatz und sieht als gewöhnlich nur die Konsequenzen an, die objektiv vorhersehbar waren.639 Von einer dritten Meinung werden die Folgen als adäquat betrachtet, die einen allgemeinen und alltäglichen Charakter besitzen unabhängig von der Einstellung des Schädigers zur Tat.640 Gegen die erste Ansicht spricht das Problem der Ermittlung des Vorhersehbarkeitsvermögens des Schädigers zum Zeitpunkt der Handlung. Eine Objektivierung des Kausalzusammenhangs dagegen dehnt die Kausalität zu weit aus. Für die dritte Ansicht spricht, dass sie dem Richter den Spielraum einräumt, ex post zu entscheiden, ob gemäß der Lebenserfahrung und dem vorliegenden Sachverhalt eine Typizität der Folgen vorhanden ist.641 Dieser Ansicht nach liegt im Falle der c.i.c. ein adäquater Zusammenhang dann vor, wenn der erlittene Schaden eine Folge des Erweckens einer berechtigten Erwartung auf einen Vertragsabschluss durch den Schädiger darstellt. Ob die Erwartung berechtigt war, entscheidet sich danach, ob nach der allgemeinen Le-
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Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 51. Vgl. Rzetecka-Gil, Art. 361 Anm. 15; Ohanowicz (1965), 83; SA Warszawa, Urt. v. 27.2.2013 – I ACa 1055/12, LEX Nr. 1344263. 637 Kaliński (2011), 373; vgl. SN, Urt. v. 20.5.2004 – IV CK 395/03, LEX Nr. 182102; SN, Urt. v. 7.6.2001 – III CKN 1536/00, LEX Nr. 52595. 638 Radwański/Dybowski (1981), 256 m.w.N. 639 Radwański/Dybowski (1981), 256 m.w.N. 640 Rzetecka-Gil, Art. 361 Anm. 7; Kaliński (2011), 379; Olejniczak/ders. (2014), 137; Radwański/Dybowski (1981), 257; Resich/Błahuta, Art. 361 Anm. 2 (867). 641 Kaliński (2011), 379; vgl. SN, Urt. v. 28.2.2006 – III CSK 135/05, LEX Nr. 201033. 636
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benserfahrung eine Erwartung des Vertragsabschlusses zum Zeitpunkt der Tätigung der Aufwendungen insbesondere durch das Verhalten des Verhandlungspartners begründet war. Es gibt auch die Stimmen im Schrifttum, die sich für eine Entbehrlichkeit des adäquaten Zusammenhangs im Falle der c.i.c. aussprechen.642 Ausreichend sei das Vorliegen einer Verletzung der guten Sitten während der Verhandlungen.643 Diese Ansicht verkennt jedoch, dass zu den Voraussetzungen der schadensersatzrechtlichen Anspruchsgrundlagen neben der Feststellung des schädigenden Verhaltens auch der Schaden und der kausale Zusammenhang gehören. Das Außerachtlassen der Kausalität würde dazu führen, dass auch der Schaden ersetzt würde, der in keinem Sachzusammenhang zum pflichtwidrigen Verhalten steht. Eine solche Schadensersatzhaftung wäre jedoch unvereinbar mit den Haftungsgrundsätzen des polnischen Rechts. Nicht zu vergessen ist, dass die Verletzung der Pflichten aus der c.i.c. auch durch ein Unterlassen der Aufklärung erfolgen kann. Für die Feststellung der Kausalität des Unterlassens müsste erstens der Schädiger eine Pflicht gehabt haben zu handeln, sodann die Möglichkeit, eine Handlung vorzunehmen, und letztendlich müsste diese Handlung normalerweise den Eintritt der negativen Folgen verhindern können.644 In Bezug auf die Aufklärungspflichten bedeutet diese Formel, dass die Erfüllung der Informationspflichten zur Vermeidung des Abschlusses des unerwünschten Vertrages führen müsste. Es ist deswegen im Einzelfall zu prüfen, ob der Schaden tatsächlich nur als Folge falscher oder fehlender Aufklärung entstanden ist. Die Grundlagen der Handlungspflicht bilden die auf die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens aufbauenden Verhaltensnormen.645 Die tatsächliche Möglichkeit der Vornahme der Aufklärung ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Zu beachten ist weiterhin, dass es sich um eine deliktische Haftung handelt. Daher muss zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Erweckung des berechtigten Vertrauens Kausalität vorliegen. An diese sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die haftungsausfüllende Kausalität. 2. Relative Rechtswidrigkeit Im polnischen Schrifttum wird neben dem adäquaten Kausalzusammenhang ein Rechtsinstitut einer relativen Rechtswidrigkeit erwogen, welches der Begrenzung der zu weitgehenden Conditio-Formel dient. Die relative Rechtswid-
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Łętowska/Krajewski (2013), 855. Łętowska/Krajewski (2013), 855. 644 Radwański/Dybowski (1981), 269; vgl. Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 23; OSNC 2005/1/10 (65). 645 Siehe § 4 A II 2 h. 643
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
rigkeit bedeutet, dass sich jede Verhaltensnorm auf den Schutz einer bestimmten Person bzw. bestimmter Güter bezieht.646 Die Tat des Schädigers muss demnach immer die Gefahr für den Geschädigten oder dessen Güter realisiert haben, die eine bestimmte Norm durch ihren Schutzbereich umfasst.647 Diese Theorie ist dem deutschen Recht als Normzwecktheorie bekannt. Im polnischen Recht steht sie im Zusammenhang mit der vertraglichen Haftung, einige Autoren648 verwenden sie aber auch für die deliktische Haftung aus Art. 415 KC. Die Befürworter einer solchen Beschränkung der Rechtswidrigkeit berufen sich auf Art. 355 KC, der das Ausmaß der Sorgfaltspflicht von der Art der konkreten Verhältnisse abhängig macht, wodurch die Verpflichtung zur Beachtung der Sorgfalt und damit letztendlich die Rechtswidrigkeit relativiert werden.649 Diese Formel des Art. 355 KC kommt dieser Meinung zufolge immer dann als Beurteilungsmaßstab für die Rechtswidrigkeit in Frage, wenn es an einer Verhaltensnorm fehlt. Art. 355 KC stelle demnach ein Kriterium für die Relativierung der Rechtswidrigkeit dar.650 Als zweites Argument wird die Begrenzung des persönlichen Schutzbereiches der deliktischen Klage auf Personen, die einen direkten Schaden durch die Handlung des Schädigers erlitten haben, genannt.651 Demnach habe der Schuldner unter den konkreten Umständen eine Sorgfaltsverpflichtung gegenüber all denjenigen zu beachten, die an diesen Verhältnissen beteiligt sind und deren Interessenssphäre durch den Schuldner direkt verletzt werden können.652 Diese Behauptung sei durch die Reglung des Art. 446 KC bestätigt,653 welche als anspruchsberechtigt für den Schadensersatz auch die durch eine unerlaubte Handlung nicht unmittelbar betroffenen Personen vorsieht. Schließlich wird behauptet, die relative Rechtswidrigkeit sei auch ein besseres Abgrenzungskriterium für die Ermittlung der Kausalität als der adäquate Sachzusammenhang.654 Die überzeugenden Gegenstimmen655 sehen hierin eine Verwechslung der Rechtswidrigkeit mit den Anforderungen für die Feststellung des normalen Kausalzusammenhangs und der Berechnung des Schadens. Die Rechtswidrigkeit der Tat bedeute schließlich, dass jemand ein bestimmtes Gebot oder Verbot verletzt habe und nicht, dass eine bestimmte Person durch die Tat betroffen
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Olejniczak/Kaliński (2014), 61. Olejniczak/Kaliński (2014), 61. 648 Olejniczak/Kaliński (2014), 62; vgl. Kasprzak, SP 3/1988, 149 (166 ff.). 649 Kasprzak, SP 3/1988, 149 (165, 169). 650 Kasprzak, SP 3/1988, 149 (171). 651 Kasprzak, SP 3/1988, 149 (169). 652 Kasprzak, SP 3/1988, 149 (169). 653 Kasprzak, SP 3/1988, 149 (169). 654 Kasprzak, SP 3/1988, 149 (169 f.). 655 Czachórski (2009), Rn. 467; Owczarek, Palestra 5–6/2004, 36 (42); Safjan, in: FS Pazdan, 1321 (1326); Osajda/Lackoroński, Art. 415 Anm. 48. 647
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wurde.656 Tatsächlich spricht gegen die relative Rechtswidrigkeit die mangelhafte Begründung dieser Theorie. Das Argument der angemessenen Sorgfalt mag nicht zu überzeugen. Zwar sind bei der Beurteilung der Sorgfaltsanforderungen auch die objektiven Maßstäbe entscheidend, jedoch sind diese nicht deckungsgleich mit denen für die Feststellung der Rechtswidrigkeit.657 Rechtswidrigkeit und Verschulden betreffen jeweils unterschiedliche Unrechtsebenen; daher liegen ihnen zwingend jeweils eigene Bewertungsmaßstäbe zugrunde. Die Rechtswidrigkeit beurteilt die Tat aus einer objektiven Sicht der Rechtsmissachtung, das Verschulden dagegen die innere Einstellung des Handelnden. Darüber hinaus führt die Anwendung der relativen Theorie zu dem Problem der genauen Bestimmung der durch die jeweilige Norm geschützten Interessen des Geschädigten. Ein an den Interessen des Geschädigten ausgerichteter Rechtswidrigkeitsbegriff steht zudem im Widerspruch zum ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, der seit der Kodifizierung des Schuldrechtsgesetzbuches kontinuierlich an der absoluten Rechtswidrigkeitslehre festgehalten hat.658 Der adäquate Kausalzusammenhang ist ein sachgemäßes und ausreichendes Kriterium für die Begrenzung der Schadenszurechnung und bedarf keiner Ergänzung durch einen veränderten Rechtswidrigkeitsbegriff.
§ 5 Rechtsfolgen § 5 Rechtsfolgen
A. Folgen der Haftung für die culpa in contrahendo im deutschen Recht Die Rechtsfolgen der Haftung für die c.i.c. ergeben sich aus § 280 I BGB. Die Bemessung des Schadens erfolgt nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB. Daraus folgt, dass der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen hat, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.659 Für die Begründung des Schadensersatzes sind eine Pflichtverletzung aus § 241 II BGB, ein Schadenseintritt, ein kausaler Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden sowie ein Verschulden des Schädigers erforderlich. Die entsprechenden Voraussetzungen wurden bereits in den vorangegangenen Paragraphen besprochen. Zu untersuchen ist, welche rechtlichen Folgen die Haftung aus c.i.c. hat. Dazu gehört neben der Frage des Ersatzes von Aufwendungen, entgangenem Gewinn und positivem Vertragsinteresse die Analyse der Voraussetzungen für die schadensersatzrechtliche Vertragsaufhebung und Vertragsanpassung.
656
Vgl. Safjan, in: FS Pazdan, 1321 (1326). Vgl. Owczarek, Palestra 5–6/2004, 36 (42). 658 Siehe § 4 A II 1. 659 A.A. Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (282 f.). 657
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
I. Ersatz des negativen Interesses Der Ersatz des negativen Vertragsinteresses zielt darauf ab, den Zustand wiederherzustellen, der vorläge, wenn das Vertrauen auf den Vertragsabschluss (bzw. die Duldung der Vermögensdispositionen) nicht erweckt wurde. Dieser Ersatz bezieht sich auf die Aufwendungen und den entgangenen Gewinn. 1. Ersatz der Aufwendungen Die Aufwendungen können in zwei Gruppen unterteilt werden: Die erste Gruppe bilden die Aufwendungen, die vor Vertragsschluss gemacht werden, um den Vertrag überhaupt abzuschließen, wie z.B. Übersetzungskosten, Transportkosten etc. Zur zweiten Gruppe gehören die nach dem Vertragsschluss getätigten Aufwendungen, die der Aufrechterhaltung des Vertragsgegenstandes dienen. Ein Anspruch auf Ersatz der nach Vertragsschluss getätigten Aufwendungen ist abzulehnen. Diese Aufwendungen sind nicht ersetzbar, weil sie nicht mehr im unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang zum Erwerbsvorgang stehen.660 Sie können nur als ein selbstständiger Folgeschaden nach § 249 BGB ersatzfähig sein und nur dann, wenn der Geschädigte diese Aufwendungen für erforderlich halten durfte.661 Die Aufwendungen, die vor Vertragsschluss veranlasst wurden, sind dagegen grundsätzlich gänzlich zu ersetzen.662 Sie müssen im Hinblick auf den erwarteten Vertragsabschluss getätigt worden sein, und nach Lage des Falles musste der vermeintliche Geschädigte sie nicht nur in der bloßen Hoffnung auf einen Vertragsabschluss, quasi als Anreiz, aufgewendet haben.663 Die Aufwendungen werden nicht ersetzt, wenn sie so hoch sind, dass sich der Geschädigte hätte sagen müssen, er handle angesichts des noch nicht perfekten Vertrages auf eigenes Risiko.664 2. Ersatz des entgangenen Gewinns Fraglich ist, ob auch der entgangene Gewinn ersatzfähig ist. Der entgangene Gewinn ist jener Vorteil, der dem Geschädigten ohne das schädigende Ereignis zugeflossen wäre.665 Der Gewinnverlust ist grundsätzlich im Vertrauensschaden enthalten.666 Der Ersatz des entgangenen Gewinns ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Gläubiger beweisen kann oder es sich aus den Umständen 660
Hiddemann, ZGR 1982, 435 (449). Grigoleit (1997), 199. 662 Erman/Kindl, § 311 Rn. 45. 663 Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 60; Lutter (1998), 84. 664 Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 165. 665 Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 3. 666 Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 164; Erman/Kindl, § 311 Rn. 29; Bamberger/Roth/Wendtland, § 122 Rn. 7; PWW/Stürner, § 311 Rn. 53; Hans Stoll, JZ 1999, 95 (96); Lutter (1998), 83; a.A. Nirk, in: FS Möhring (1975), 71 (88). 661
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des Falles ergibt, dass er durch das schuldhafte Verhalten des Partners daran gehindert wurde, mit einem Dritten zu günstigeren Bedingungen einen Vertrag abzuschließen.667 Die Möglichkeit eines günstigeren Vertrages muss konkret bestanden haben und für den Schuldner erkennbar gewesen sein.668 Die Rechtsprechung nimmt einen entgangenen Gewinn auch in den Fällen an, in denen ein Vertrag ohne das schädigende Verhalten zu den vom Geschädigten gewünschten Bedingungen mit demselben Vertragspartner zustande gekommen wäre.669 Das bedeutet freilich nichts anderes als ein Erfüllungsinteresse. Der Ersatz des positiven Interesses setzt allerdings einen entsprechenden hypothetischen Geschehensverlauf voraus,670 welcher bei dieser Lösung der Rechtsprechung völlig außer Acht gelassen wird. II. Ersatz des positiven Interesses Der Ersatz des positiven Interesses zielt darauf ab, den Zustand herzustellen, der dann vorläge, wenn das Vertrauen auf das Zustandekommen des erwünschten Vertrages nicht enttäuscht worden wäre. Fraglich ist, auf welche Art und Weise der Schadensersatz des positiven Interesses zu leisten ist. Grundsätzlich erfolgt der Schadensersatz entweder in Form einer Naturalrestitution oder, wenn diese ausgeschlossen ist, als entgeltlicher Leistungsersatz. Für die c.i.c. könnte dies den Abschluss des angestrebten Vertrags671 (bzw. die Vertragserfüllung)672 oder einen entgeltlichen Schadensersatz673 bedeuten. Zu prüfen ist deswegen, ob dem Geschädigten im Rahmen der Naturalrestitution aus der c.i.c. ein Anspruch auf den Vertragsabschluss bzw. die Vertragserfüllung zusteht. Diese Frage spielt sowohl beim Abbruch der Vertragsverhandlungen als auch bei der Informationspflichtverletzung eine Rolle. Im ersten Fall bezieht sich der Anspruch auf den Vertrag, der wegen des grundlosen Vertragsabbruchs nicht abgeschlossen wurde, im letzteren Fall dagegen auf den Vertrag, der den Vorstellungen des wegen der mangelhaften Aufklärung Irrenden entsprochen hätte.
667 BGH, NJW 1988, 2234 (2236); Erman/Kindl, § 311 Rn. 45; Hans Stoll, JZ 1999, 95 (96); ders., in: FS Riesenfeld, 275 (284); a.A. Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 159. 668 Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (284). 669 RGZ 97, 336 (339); BGH, NJW 1998, 2900 (2901); BGHZ 168, 35 (40 f.); a.A. Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (284). 670 Siehe § 4 C I. 671 Hackl (1980), 51; Küpper (1988), 275–278. 672 von Craushaar, JuS 1971, 127 (129). 673 von Craushaar, JuS 1971, 127 (129); Nirk, in: FS Möhring (1975), 71 (90); Pieper, JuS 1962, 409 (417); Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 56.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
1. Umgehung der Naturalrestitution durch einen entgeltlichen Schadensersatz Grundsätzlich hat der Schadensersatz in natura zu erfolgen. Für das Bestehen eines Anspruchs auf Schadensersatz in Geld muss die Naturalherstellung ausgeschlossen sein. Gemäß § 250 BGB kann der Gläubiger anstelle der Naturalrestitution Ersatz in Geld verlangen, wenn er dem Schuldner zur Herstellung eine Frist bestimmt hat und dieser die Frist verstreichen lässt. Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Schädiger die Naturalrestitution ernsthaft und endgültig ablehnt.674 Die Verweigerung des Abschlusses des Vertrages während der Vertragsverhandlungen stellt einen Grund für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung dar.675 Folglich kann aufgrund von § 250 BGB ein Ersatz des Erfüllungsinteresses in Geld verlangt werden. Daneben erlaubt § 251 BGB einen Schadensersatz durch Geld ohne Fristsetzung in Fällen der Unmöglichkeit. Die Naturalrestitution muss demgemäß unmöglich oder in Bezug auf die Entschädigung des Gläubigers ungenügend sein. Obwohl in § 251 I BGB nicht ausdrücklich erwähnt, ist die Naturalrestitution nach überwiegender Ansicht auch bei Unzumutbarkeit der Herstellung für den Gläubiger ausgeschlossen.676 Eine Unzumutbarkeit i.S.d. Vorschrift stellt auch ein endgültiger Vertrauensbruch durch Verweigerung weiterer Verhandlungen oder die Verletzung der Aufklärungspflicht durch fahrlässige oder vorsätzliche Täuschung dar.677 Auch die Voraussetzungen des § 251 I BGB sind somit erfüllt. Dagegen kann der Ersatz nicht aufgrund von § 281 BGB erfolgen, da eine Pflichtverletzung im Falle der c.i.c. nicht in der Verweigerung der vereinbarten Leistung liegt, sondern in der Nichtbeachtung der Schutzpflichten. Folglich kann der Gläubiger eine Schadenskompensation in Geld für die Verletzung des positiven Interesses fordern.678 2. Naturalrestitution durch Vertragsabschluss Fraglich ist, ob der Geschädigte Naturalrestitution in Form eines Vertragsabschlusses bzw. dessen Erfüllung verlangen kann. Dem könnte der Ausschluss der Naturalrestitution wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Wiederherstellung (§ 251 I BGB) im Wege stehen. Eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn das Gesetz ausdrücklich oder konkludent anordnet, dass der Anspruch auf Naturalherstellung nicht gegeben sein soll.679 Ein Anspruch auf Vertragsschluss,
674
Bamberger/Roth/Schubert, § 250 Rn. 5. Vgl. Küpper (1988), 277. 676 Erman/Ebert, § 251 Rn. 14. 677 Küpper (1988), 277. 678 Siehe § 5 A II 2 c. 679 MüKo/Oetker, § 251 Rn. 6. 675
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mithin die Verpflichtung des Schädigers dazu, könnte einen durch die Rechtsordnung nicht zugelassenen Kontrahierungszwang darstellen und daher durch die Regelung des § 251 I BGB ausgeschlossen sein werden. Zu prüfen ist, ob die Haftungsgrundsätze für die c.i.c. einen Anspruch auf Vertragsabschluss rechtfertigen. a) Begriff des Kontrahierungszwangs Kontrahierungszwang ist eine durch eine rechtliche Norm auferlegte Verpflichtung eines Rechtssubjekts, einen Vertrag ohne seine Willensbildung und im Interesse des Begünstigten abzuschließen.680 Das bedeutet, dass der Kontrahierungszwang sich erstens aus der gesetzlichen Grundlage ergeben muss und zweitens, dass eine Verpflichtung zum Vertragsabschluss und deren rechtliches Gebot von außen, d.h. ohne wesentliche Berührung der Willenssphäre der Betroffenen herantritt (willensfremder Zwang).681 Zu unterscheiden ist zwischen dem besonderen und dem allgemeinen Kontrahierungszwang. Ersterer umfasst nur die durch eine ausdrückliche Rechtsnorm angeordneten Kontrahierungszwänge. Der allgemeine Kontrahierungszwang ergibt sich mittelbar aus den Zwecken einer Rechtsnorm und kann daher grundsätzlich jede Art von Vertragsverhältnissen betreffen.682 Der allgemeine Kontrahierungszwang gründet im Unterschied zur besonderen Vertragsabschlussverpflichtung nicht auf einer generellen Abschlussbereitschaft des Verpflichteten, sondern hat seine Grundlage in der gegenläufigen Willensbetätigung des Verpflichteten, einen öffentlich in Aussicht gestellten Vertragsabschluss in rechtswidriger Weise zu verweigern.683 Der Kontrahierungszwang ist von einer vertraglich begründeten Kontrahierungspflicht, die nicht als Zwang zu betrachten ist, abzugrenzen. Eine solche Pflicht konstituiert beispielsweise die bindende Wirkung des Angebots gem. § 145 BGB. Hierbei wird der Betroffene nicht zur positiven Handlung bzw. zur Bewirkung des Vertragsabschlusses verpflichtet, sondern muss nur die Ausnahmeerklärung gegen sich gelten lassen.684 Da das Angebot willentlich abgegeben wird, fehlt es an einem willensfremden Zwang. Der Kontrahierungszwang stellt weiter eine Begrenzung der negativen Vertragsfreiheit des Verpflichteten dar. Der Vertrag wird von der Rechtsordnung als ein Ergebnis der willentlichen Selbstbestimmung der Parteien verstanden, die sich in der freien Entscheidung über das Eingehen in den Vertrag sowie
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Nipperdey (1920), 7. Nipperdey (1920), 15. 682 Sprafke (2013), 89 ff.; Busche (1999), 117 ff.; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 (29); Nipperdey (1920), 54 ff. 683 Sprafke (2013), 100. 684 Nipperdey (1920), 20 f. 681
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über die Wahl des potentiellen Verhandlungspartners äußert. Diese Entscheidungsfreiheit ist in den gegenseitigen Verhältnissen von beiden Parteien zu respektieren. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Vertragsfreiheit durch einen Kontrahierungszwang bedarf eines Rechtfertigungsgrunds. Diese Rechtfertigung legt folgende Voraussetzung fest: Der geschädigten Partei musste es wegen der Vertragsabschlussverweigerung eines leistungsfähigen Anbieters unmöglich sein, ihre rechtlich geschützten Interessen zu verfolgen.685 Der Kern dieser Unmöglichkeit liegt in der Abhängigkeit des Vertragsinteressenten von einem Anbieter (das Prinzip des Vorrangs der Kompensation von Marktmacht)686. Ein Kontrahierungszwang ist insbesondere auch dann zulässig, wenn es sich um Leistungen oder Güter der Daseinsvorsorge handelt und der Abnehmer willens und in der Lage ist, diese zu den gewöhnlichen Bedingungen zu erwerben.687 Die Beschränkung der Vertragsfreiheit durch den Kontrahierungszwang muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.688 b) Konkretisierung des Kontrahierungszwangs aus der culpa in contrahendo durch Schrifttum und Rechtsprechung aa) Vertragsabschluss als zulässiger Kontrahierungszwang Einige Autoren sehen den Anspruch auf Vertragsabschluss bzw. Vertragserfüllung als Rechtsfolge der Haftung aus der c.i.c. und daher als einen zulässigen Kontrahierungszwang.689 Der Anspruch auf den Vertragsabschluss wird dabei unterschiedlich begründet. Überwiegend stützt sich diese Ansicht auf eine Auslegung des § 249 I BGB, nach welcher genau der Zustand herzustellen sei, der ohne Pflichtverletzung vorläge. Daraus wird eine Zulässigkeit des durch einen Anspruch auf Vertragsschluss manifestierten Kontrahierungszwangs für die Fälle abgeleitet, in welchen der Rückgriff auf den hypothetischen Geschehensablauf ergibt, dass die Parteien bei Beachtung der Schutzpflichten aus der c.i.c. einen Vertrag geschlossen hätten. Teilweise wird die Zulässigkeit einer gegenüber der Vertragserfüllung (vgl. § 826 BGB) vorrangigen Verpflichtung zum Vertragsabschluss durch die Nähe der Haftung aus der c.i.c. zu einem
685
Busche (1999), 127 ff., 137 ff., 139. Kilian, AcP 180 (1980), 47 (80); vgl. Busche (1999), 132 ff.; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 (30 ff.). 687 Kilian, AcP 180 (1980), 47 (80); Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 (37). 688 Kilian, AcP 180 (1980), 47 (80). 689 Erman/Kindl, § 311 Rn. 45; Nickel (2004), 71 ff., 83 ff., 144; Esser/Schmidt (1995), 152; Küpper (1988), 275 ff.; Hackl (1980), 51; von Craushaar, JuS 1971, 127 (131); Reinicke (1969), 129 ff.; Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 192 – falls die Einhaltung der Formvorschriften in vorsätzlicher Weise verhindert wurde oder aufgrund eines Abhängigkeitsoder Betreuungsverhältnis die Interessen des anderen Teils wahrzunehmen sind. 686
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Vorvertrag begründet.690 Hier liege nämlich das schädigende Verhalten in der Abschlussverhinderung und nicht in der Verweigerung der anschließenden Vertragserfüllung.691 Die in § 5 A II 2 a dargestellten Kriterien für die Rechtfertigung des Kontrahierungszwangs werden von den Vertretern dieser Ansicht überwiegend völlig außer Acht gelassen. Ihre Auseinandersetzung mit der Rechtfertigung des Kontrahierungszwangs beschränkt sich auf die Auslegung des § 249 I BGB. Lediglich Carsten Nickel692 stützt die Rechtfertigung des Kontrahierungszwangs bei der c.i.c. zudem auf den Rechtsgedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ausgehend von der aristotelischen Philosophie der ausgleichenden Gerechtigkeit sieht er den Schwerpunkt der Rechtfertigung des Kontrahierungszwangs in dem unfreiwilligen Eintritt einer Einbuße, die anschließend auszugleichen sei.693 Der Kontrahierungszwang gewährleiste nicht nur die Förderung, sondern auch die Verwirklichung der durch die Rechtsordnung angestrebten ausgleichenden Gerechtigkeit. bb) Vertragsabschluss als unzulässiger Kontrahierungszwang Ein anderer Teil des Schrifttums sieht in einem Anspruch auf Vertragsabschluss dagegen einen unzulässigen Kontrahierungszwang, der mit der Privatautonomie und der damit gekoppelten Abschlussfreiheit nicht zu vereinbaren sei.694 Unterschiede bestehen bei Vertretern dieser Ansicht hinsichtlich des Ersatzes des Erfüllungsinteresses. Teilweise wird ein Schadensersatz für die Verletzung des Erfüllungsinteresses im Rahmen der Haftung für c.i.c. völlig abgelehnt.695 Andere Autoren sehen zwar ebenso die Einräumung eines Anspruchs auf Vertragsabschluss bzw. der Vertragserfüllung als einen mit der Privatautonomie nicht zu vereinbarenden Schadensersatz, lassen aber grundsätzlich den Ersatz des Erfüllungsinteresses zu.696 Dieser Ansicht nach kann die Partei, deren Vertrauen auf Vertragsabschluss enttäuscht wurde, nicht verlangen, so gestellt zu werden, als ob der Vertrag zu erfüllen sei; sie ist vielmehr im Wege eines Schadensersatzes nur so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn die andere Partei ihrer Aufklärungs- und Loyalitätspflicht nachgekommen
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Küpper (1988), 276. Küpper (1988), 276 f. 692 Nickel (2004), 71 ff. 693 Nickel (2004), 74 f. 694 Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 51; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 56; Sprafke (2013), 187 ff.; Busche (1999), 145 ff.; Lutter (1998), 68; D. Kaiser, JZ 1997, 448 (453); Flume (1975), 282 ff. 695 Sprafke (2013), 187 ff.; D. Kaiser, JZ 1997, 448 (453); Busche (1999), 150. 696 Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 51; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 56; Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (397 ff.); ders., in: FS Möhring (1975), 71 (90 f.). 691
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
wäre.697 Dem schließt sich auch die Rechtsprechung an,698 welche in der völligen Ablehnung der Zusprechung des Schadensersatzes in Form von Erfüllungsinteressen keine gerechtfertigte Lösung sieht.699 Der Anspruch bezieht sich nach der Rechtsprechung des BGH jedoch nicht auf die Erfüllung des angestrebten Vertrags, sondern auf einen Schadensersatz.700 c) Stellungnahme Die Frage, ob der Ersatz des positiven Schadens in Form einer Naturalrestitution701 überhaupt vom Schutzzweck der c.i.c. umfasst ist, wurde vom Schrifttum bisher nur oberflächig behandelt. Das vorvertragliche Schuldverhältnis aus der c.i.c. bezweckt den Schutz der Parteien vor rücksichtslosem Verhalten gegenüber den Rechten und Interessen der anderen Partei während der Vertragsverhandlungen. Zu den geschützten Interessen gehört unter anderem das erweckte Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages.702 Die Enttäuschung dieses Vertrauens könnte eine Grundlage für einen Anspruch auf Vertragsabschluss darstellen, sofern ein solcher mit der Natur des Schadensersatzes aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis zu vereinbaren wäre. Die vorvertraglichen Pflichten aus der c.i.c. begründen keine primäre Leistungspflicht. Die Enttäuschung des Vertrauens auf ordnungsgemäße Aufklärung und Loyalität kann mangels primärer Leistungspflicht mithin nicht zu einem Schadensersatz statt der Leistung führen. Das zu ersetzende positive Vertragsinteresse aus der c.i.c. wird anhand des Vergleiches des tatsächlichen Zustands nach dem Schadenseintritt und des hypothetischen, in dem der Schädiger zu dem Abschluss eines (für den Gläubiger günstigeren) Vertrages bereit gewesen wäre, falls er die Pflichtverletzung nicht begangen hätte, berechnet. Die Anwendung dieser Formel ist aber insbesondere dann, wenn mehrere Bezugspunkte für den Vergleich der Zustände in Frage kommen, nicht einfach. Dies soll anhand eines Beispielfalls veranschaulicht werden: Zwischen den Parteien wurde ein Versicherungsvertrag geschlossen, welcher als Folge einer vorvertraglichen Pflichtverletzung nicht die vom Versicherungsnehmer erwarteten Versicherungsfälle abdeckt. Bei späterem Eintritt eines solchen Versicherungsfalls könnte sich der Schaden nur aus dessen Nicht-Abdecken durch den Versicherungsvertrag oder auch aus der Nicht-Übernahme der Haftung für den nächsten möglichen Schadenseintritt ergeben. Der fehlende vertragliche Zah-
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Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (397). BGH, NJW 1965, 812 (814); WM 1968, 1402 (1403); WM 1981, 787 (788); NJW 1998, 2900 (2901). 699 BGH, NJW 1998, 2900 (2901). 700 BGH, NJW 1965, 812 (814); BGHZ 108, 200 (207). 701 Nipperdey (1920), 96. 702 Siehe § 3 A II 1 a. 698
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lungsanspruch gegen den Versicherer in Höhe des konkret eingetretenen Schadens beruht unmittelbar auf der Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten, soweit diese dazu führten, dass dem Versicherungsnehmer aufgrund der mangelhaften Aufklärung der tatsächliche Inhalt des Vertrages nicht bekannt war. Dagegen beruhen der Abschluss des Versicherungsvertrages mit dem erwartungsgemäßen Umfang des Versicherungsschutzes und damit der Leistungsanspruch für zukünftige Versicherungsfälle nicht mehr direkt auf dem Vertrauen auf pflichtgemäße Aufklärung und gehören daher nicht zum Schutzzweck der c.i.c.703 Nach der quasi nachträglichen Aufklärung über den Vertragsinhalt durch den Eintritt des Schadensfalls fällt die Herstellung des bezweckten Versicherungsschutzes durch Neuabschluss eines erwartungsgerechten Vertrages in den Verantwortungsbereich des Geschädigten. Andernfalls würde sich im Ergebnis aus der c.i.c. ein Leistungsanspruch ergeben, den sie als vorvertragliche Haftungsart gar nicht vermitteln kann. Der Schadensersatz aus der c.i.c. schützt gerade nicht die Erfüllung der primären Leistungspflicht. Die Einräumung eines Anspruchs auf Abschluss eines erwartungsgemäßen Vertrages würde die Grenzen zwischen der c.i.c. und der vertraglichen Haftung unzulässig verwischen. Das durch die c.i.c. geschützte positive Interesse erstreckt sich demnach nicht auf den Vertragsabschluss selbst. Aus diesem Grund kann der Erfolg einer Naturalherstellung in Form des Vertragsschlusses aus rechtlichen Gründen nicht eintreten. Ein Ersatz des Schadens durch Naturalherstellung mittels Vertragsschlusses ist daher i.S.d. § 251 I BGB rechtlich unmöglich. Diejenigen Autoren, die einen Anspruch auf Vertragsabschluss für zulässig erachten, verkennen erstens, dass die c.i.c. ein Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht ist und somit die getäuschte Partei nicht so zu stellen ist, als ob sie einen Erfüllungsanspruch aus einem Vertrag hätte. Zweitens kann der Kontrahierungszwang rechtlich nicht gerechtfertigt werden, da grundsätzlich im Falle der c.i.c. nicht von einer marktbeherrschenden Stellung des Anbieters oder Leistungen (Güter) der Daseinsvorsorge auszugehen ist. Eine Begründung des Kontrahierungszwangs mit dem Rechtsgedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit beim unfreiwilligen Geschäftsverkehr ist ebenfalls nicht überzeugend. Die durch die c.i.c. geschützte Gerechtigkeit sorgt zwar dafür, dass die formale Selbstbestimmung im Vertrag zu gerechten Ergebnissen führt.704 Derselbe Gerechtigkeitsgedanke kann aber keine Beschränkung der negativen Vertragsfreiheit im Rahmen der c.i.c. rechtfertigen. Die durch die c.i.c. geschützten Interessen zielen nur auf die Vermeidung des illoyalen Verhaltens während der Verhandlungen. Als Folge der Unmöglichkeit der Naturalherstellung hat der Geschädigte einen Anspruch auf entgeltlichen Schadensersatz, darf aber durch dessen Höhe 703 704
Vgl. BGH, NJW 2001, 2875 (2877). Siehe § 3 A I , II 3.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
nicht so gestellt werden, als ob dieser Anspruch wertungsmäßig auf gleicher Stufe mit dem positiven Interesse aus einem abgeschlossenen Vertrag stünde. Ein entgeltlicher Ersatz im gleichen Umfang wie der eines vertraglichen Erfüllungsschadens würde den Geschädigten dem Gläubiger eines geschlossenen Vertrages gleichstellen und damit im Ergebnis einen Kontrahierungszwang begründen. Zwar mag sich der entgeltliche Schadensersatz im Einzelfall auf das Vermögen des Geschädigten ähnlich auswirken wie die Erfüllung des Primärleistungsanspruchs aus dem hypothetischen Vertrag, eine mit einer Vertragspartei vergleichbare Stellung wird ihm hier jedoch nicht eingeräumt. III. Vertragsaufhebung Zu untersuchen ist weiter, ob als Rechtsfolge der Haftung für die c.i.c. eine Vertragsaufhebung neben oder statt des entgeltlichen Schadensersatzes in Frage kommt. Dafür könnten solche Sachverhalte qualifiziert werden, in denen es zum Abschluss eines nicht erwartungsgerechten Vertrages kommt. Die Zulässigkeit solch einer Lösung ist wegen der strengen Anforderungen der Anfechtungsvorschriften umstritten. Den Anlass für die Diskussion im Schrifttum gab die Rechtsprechung des BGH. Als zentrale höchstrichterliche Entscheidung ist auf das sog. Kreissäge-Urteil zu verweisen, in dem der BGH entschied, dass der Schadensersatz für die c.i.c. in Form einer Naturalrestitution nach § 249 I BGB zu leisten ist.705 Hiernach ist der unerwünschte Vertrag aufzulösen. Im Unterschied zur Anfechtung, die auch gegenüber Dritten eine wirksame und vollkommene Beseitigung der Schuldverpflichtung bedeutet, wird mit dieser Vertragsaufhebung nur erreicht, dass die zur Aufklärung verpflichtete Partei keine Rechte aus dem Vertrag herleiten kann.706 Dieser Rechtsprechung schließt sich ein Teil des Schrifttums an. Er begreift die Schadensersatzpflicht aus der c.i.c. nicht nur als Geldersatz, sondern auch als die Befreiung von allen Verpflichtungen, die mit dem Vertrag verbunden sind.707 Im Unterschied zur Anfechtung, zum Rücktritt oder zur Nichtigkeit eines Vertrages erfolgt diese Befreiung vom Vertrag weder ipso iure noch durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts.708 Die Auflösung des unerwünschten Vertrages ist auf dem Wege eines Aufhebungsvertrages herbeizuführen, aus dessen Abschluss dem Geschädigten gegenüber dem Schädiger aus § 249 S. 1 BGB ein
705
BGH, NJW 1962, 1196 (1198); vgl. BGH, NJW 1999, 2032 (2034). BGH, NJW 1962, 1196 (1198). 707 NK-BGB/Krebs, § 311 Rn. 83 m.w.N. in Fn. 234; Schwarze (2008), § 33 Rn. 49; Theisen, NJW 2006, 3102 (3104); Grigoleit (1997), 141; S. Lorenz (1997), 69; Schubert, AcP 168 (1968), 470 (507); a.A. Medicus, JuS 1965, 209 (214) – es käme zur Aushöhlung des Arglisterfordernisses von § 123 BGB; Liebs, AcP 174 (1974), 26 f.; Canaris, ZGR 1982, 395 (418); Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 199. 708 S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1054). 706
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schuldrechtlicher Anspruch erwächst.709 Aufgrund der Naturalrestitution hat der Geschädigte einen Anspruch auf Rückgewähr seiner Leistung und auf den Ersatz aller Aufwendungen, die er im Hinblick auf den Vertrag getätigt hat.710 Aus § 249 I BGB folgt weiter eine unmittelbare Verpflichtung des Gläubigers, den Schuldner aus dem Vertrag nicht mehr in Anspruch zu nehmen.711 Die Rückgabe der Schuldnerleistung erfolgt grundsätzlich aufgrund der Vorteilsgleichung, auch die Nutzungen des Geschädigten werden angerechnet.712 Der Anspruch auf Abschluss des Aufhebungsvertrages stellt ähnlich wie die Anfechtung den ursprünglichen Zustand zwischen den Parteien wieder her und hält die Möglichkeit einer vertraglichen Regelung ihrer Situation offen.713 Er stellt weder dogmatisch noch tatsächlich einen Einbruch in die Vertragstreue dar, es handelt sich schlicht um die Anwendung geltenden Schadensersatzrechts aus § 249 I BGB.714 Die Meinungen der Rechtsprechung und des Schrifttums unterscheiden sich aber in den Voraussetzungen, die für den Eintritt der Aufhebung des Vertrages vorhanden sein müssen. Problematisch ist insbesondere die Frage, ob ein Vermögensschaden erforderlich ist. 1. Voraussetzungen a) Vermögensschaden als Voraussetzung nach der Rechtsprechung Die Rechtsprechung knüpft die Vertragsaufhebung nach den Grundsätzen der c.i.c. an das Vorliegen eines Vermögensschadens.715 Die Vertragsaufhebung schütze vor allem das Vermögen, was diese Art der Vertragsauflösung von der Anfechtung unterscheidet, die die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet gegen unerlaubte Mittel der Willensbeeinflussung unabhängig
709
S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1054); vgl. Grigoleit (1997), 153; Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 185. 710 S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1054); MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 196; a.A. Kersting, JZ 2008, 714 (716); Sonnabend (1984), 97 (§ 812 I 1 BGB als eine Anspruchsgrundlage der Rückabwicklung); D. Kaiser, in: Martinek (2014), Rn. 231; Gernhuber (1989), 204; ders. (1994), 399; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 7; Nickel (2004), 173 (§§ 346 ff. BGB als Anspruchsgrundlagen der Rückabwicklung). 711 S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1054). 712 D. Kaiser, in: Martinek (2014), Rn. 231. Die Rückgabe der Schuldnerleistung erfolgt nach § 249 I BGB, wenn der Geschädigte gerade durch das Behalten der Kaufsache belastet und damit geschädigt wird; a.A. Erman/Ebert, vor §§ 249–253 Rn. 103: Nutzungen, die der Geschädigte aus der Benutzung einer Sache bis zur Rückgabe gezogen hat, sind auf Anspruch aus § 323 II Nr. 3 BGB anzurechnen. 713 Kersting, JZ 1008, 714 (717). 714 S. Lorenz (1997), 74; a.A. Lieb, in: FS Köln, 251 (264 f.). 715 BGH, NJW 1998, 302 (303); BGH, NJW 1998, 898; zweifelnd an der Voraussetzung des Vermögensschadens – BGHZ 145, 121 (131); die Voraussetzung des Vermögensschadens ablehnend: BGH, WM 1985, 463 (466).
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vom Eintritt eines Schadens gewähre.716 An die Feststellung eines solchen Vermögensschadens stellt der BGH keine hohen Anforderungen und legt einen spezifischen Begriff des subjektiven Vermögensschadens zugrunde. Demnach ist Vermögensschaden grundsätzlich nach der Differenzhypothese zu beurteilen und setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiver willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird. Da auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit nachteilig ansieht, reicht es dieser Ansicht nach aus, wenn der Vertragsschluss wirtschaftlich nachteilig ist.717 Das liege dann vor, wenn der erworbene Gegenstand den Kaufpreis nicht wert ist oder wenn trotz Werthaltigkeit des Kaufgegenstandes die mit dem Vertrag verbundenen Verpflichtungen und sonstigen Nachteile durch Vorteile nicht ausgeglichen werden oder die Leistung für die beabsichtigten Zwecke unbrauchbar ist.718 Durch das Erfordernis eines Vermögensschadens hat die Rechtsprechung eine Trennlinie zwischen den Anwendungsbereichen von Anfechtung und c.i.c. gezogen. Die Anfechtung führt zu einer dem Dritten gegenüber wirksamen, völligen Beseitigung der Schuldverpflichtung, während bei der c.i.c. die dingliche Wirkung719 entfällt.720 b) Vermögensschaden als Voraussetzung nach dem Schrifttum Ein Teil des Schrifttums sieht parallel zur Rechtsprechung den Schutz der Willensfreiheit nur als ein Ziel des Anfechtungsrechts an.721 Folgerichtig wird das Erfordernis eines Vermögensschadens bei der c.i.c. bejaht. Bei einer Wiedergutmachung nach den Grundsätzen der c.i.c. geht es dem Betroffenen dieser Ansicht nach nämlich nicht um einen Ausgleich seiner Unzufriedenheit, sondern um die Befreiung von dem als belastend empfundenen Vertrag.722 Dies spreche dafür, dass ein immaterieller Schaden in Form einer Verletzung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit ausscheidet. Gegen die Eröffnung des Anwendungsbereiches der c.i.c. auch auf den Ersatz des immateriellen Schadens spricht dieser Ansicht nach das Institut des Vorteilsausgleiches, das 716
BGH, NJW 1998, 302 (303). BGH, NJW 1998, 302 (304). 718 BGH, NJW 1998, 302 (304); vgl. BGH, NJW 1998, 898 (899). 719 Dingliche Wirkung (Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts) entfaltet die Anfechtung des Erfüllungsgeschäfts sowie des Verpflichtungsgeschäfts bei Fehleridentität, siehe Erman/Arnold, § 142 Rn. 5. 720 BGH, NJW 1962, 1196 (1198); Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (406), a.A. Esser/Schmidt (2000), 150; Lieb, in: FS Köln, 251 (263). 721 Imping, MDR 1998, 27; Keul, DB 2006, 1664 (1668); Krüger, in: FS Kollhosser, 329 (331); Lieb, in: FS Köln, 251 (261); A. Pohlmann (2002), 113 f.; Schubert, AcP 168 (1968), 470 (506). 722 Krüger, in: FS Kollhosser, 329 (335). 717
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die vermögensrechtliche Differenz und nicht die Beeinträchtigung ideeller Werte ausgleicht.723 Schließlich geht diese Meinung (irrtümlich) davon aus, dass mit der Schuldrechtsreform das Erfordernis des Vermögensschadens entfallen ist.724 c) Schaden als ausreichende Voraussetzung Die Gegenmeinung725 setzt für die Vertragsaufhebung nach der c.i.c. jede Art des Schadenseintritts als ausreichend voraus. Dafür spricht dieser Ansicht nach zunächst § 249 I BGB, welcher ausdrücklich keinen Eintritt des Vermögensschadens verlangt.726 Schon die bloße Belastung mit einer Verbindlichkeit und die dadurch verursachte ungewollte bloße Vermögensumschichtung konstituiere einen Schaden i.S.v. § 249 I BGB.727 Die Konstruktion eines subjektivierten Schadensbegriffs sei daher nicht erforderlich.728 Die vorvertraglichen Informationspflichten sind dieser Ansicht zufolge auf die Ermöglichung einer störungsfreien Willensbildung ausgerichtet.729 Bereits der Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit begründe einen Anspruch, der ausdrücklich zur Rücksichtnahme auf die Interessen einer Gegenpartei verpflichtet.730 Demnach liegt in der störungsbedingten Vertragsbindung ein immaterieller Schaden, dessen Ersatz in Form der Naturalrestitution nicht durch die Beschränkungen des § 253 I BGB gehemmt ist.731 Der Vermögensschaden sei dagegen kein ausreichendes Differenzierungskriterium zwischen der Anfechtung und schadensrechtlicher Vertragsaufhebung, weil es meistens sowohl bei einer arglistigen als auch bei einer fahrlässigen Täuschung zum Schaden im Vermögen komme.732 Darüber hinaus stützt sich diese Meinung auf das Argument, dass keines der ursprünglichen „Muster“ der Haftung für die c.i.c. (weder § 179 I
723
Krüger, in: FS Kollhosser, 329 (335). Krüger, in: FS Kollhosser, 329 (338). 725 Staudinger/Löwisch/Feldmann § 311 Rn. 162 m.w.N.; Erman/Kindl, § 311 Rn. 79; NK-BGB/Krebs, § 311 Rn. 53, 83; Canaris, AcP 200 (2000), 273 (314); Grigoleit (1997), 148; vgl. Mertens, AcP 203 (2003), 853. 726 S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1055); ders.(1997), 73; vgl. Mertens, AcP 203 (2003), 853; Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (111 f.); Canaris, AcP 200 (2000), 273 (314); Grigoleit, NJW 1999, 900 (901). 727 S. Lorenz (1997), 73; Westermann et al. (2013), Rn. 11/23; vgl. Grigoleit, NJW 1999, 900 (902). 728 S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1055); vgl. Grigoleit, NJW 1999, 900 (902). 729 Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (113); vgl. S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1055). 730 Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 13, 55; MüKo/Bachmann, § 241 Rn. 48; vgl. Grigoleit (1997), 148; Westermann et al. (2013), Rn. 11/23; Wiedemann, JZ 1998, 1176. 731 Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 162; Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (113); S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1055); vgl. Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 182. 732 Vgl. Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (111). 724
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BGB noch § 122 I BGB) neben der Pflichtverletzung einen Vermögensschadenseintritt voraussetze.733 2. Ablehnung der Vertragsaufhebung nach Schrifttum Eine dritte Meinung im Schrifttum lehnt eine Vertragsaufhebung als Folge aus der c.i.c. ab.734 Im Anspruch auf die Aufhebung und Rückabwicklung des Vertrages erkennt sie eine Sprengung des Systems des BGB.735 Des Weiteren vertritt die Ansicht, dass die Haftung aus der c.i.c. in den Fällen der Verletzung der Aufklärungspflicht schlicht irrtümlich auf Fälle des ureigenen Bereiches der Vertragshaftung ausgedehnt worden sei, was zu einer Unvereinbarkeit mit der Anfechtung aus § 123 BGB führe.736 Gegen die Zulässigkeit einer Vertragsaufhebung führt diese Ansicht weiter die Definition des Schadens an. Der Schaden, den der Gläubiger geltend macht, liege nicht im Vertragsschluss selbst, sondern im Wertverlust, den der Gläubiger durch die Frustration seiner Aufwendungen erleide.737 Daraus folgt, dass der Gläubiger nur einen Ausgleich seiner mit dem Abschluss und der Durchführung des Vertrages verbundenen Nachteile verlangen könne.738 Der Getäuschte wird demzufolge nicht dadurch benachteiligt, dass er nur einen Schadensersatz in Form von Geld verlangen kann und dass dieser Anspruch bei einer völligen Unbrauchbarkeit des Vertragsgegenstandes im wirtschaftlichen Endergebnis zur Liquidation all seiner Aufwendungen führt.739 Schließlich wird ein Schadensersatz in Form der Vertragsaufhebung auch deswegen abgelehnt, weil durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz keine solche Rechtsfolge eingeführt wurde und eine Duldung der generalklauselartigen Vertragsaufhebung durch den Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen sei.740
733 Wiedemann, JZ 1998, 1176 (1177); vgl. Grigoleit (1997), 148; Weiler, ZGS 2002, 249 (251 f.) – analoge Anwendung des § 123 BGB. 734 Canaris, ZGR 1982, 395 (416 ff.); Horn, JuS 1995, 377 (380); Leib, in: FS Köln, 251 (263); Liebs, AcP 174 (1974), 26 f.; Medicus, JuS 1965, 209 (213 f.); Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 199; Hans Stoll, in: FS Deutsch, 361 (368 f.); Willemsen, AcP 182 (1982), 515 (539); ablehnend, wenn kein Vermögensschaden vorliegt, Schubert, AcP 168 (1968), 470 (507 f.). 735 Lieb, in: FS Köln, 251 (264). 736 Hans Stoll, in: FS von Caemmerer, 435 (455); Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 199. 737 Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (283); ders., in: FS Deutsch, 361 (365). 738 Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (283); ders., in: FS Deutsch, 361 (367). 739 Leib, in: FS Köln, 251 (264). 740 Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 199.
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3. Stellungnahme Eine Vertragsaufhebung als Folge der c.i.c. ist zulässig und erfordert keinen Vermögensschaden. Dafür sprechen erstens Sinn und Zweck der Naturalrestitution aus § 249 I BGB. Zweitens ist das Argument der Gegenansichten, die Gewährleistung der Vertragsaufhebung aus der c.i.c. führe zur Konkurrenz mit dem Leistungsrecht, nicht überzeugend. Die c.i.c. setzt im Unterschied zu den leistungsrechtlichen Vorschriften die Verletzung von Schutzpflichten aus § 241 II BGB und keine Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen voraus. Zwischen den Parteien wurde gerade kein Vertrag geschlossen. Drittens ist die Frage der Konkurrenz zwischen der Anfechtung und der c.i.c. nicht auf der Ebene der Rechtsfolgen, sondern auf der Ebene der Voraussetzungen zu beantworten.741 Der völlige Ausschluss der Vertragsaufhebung wird dieses Konkurrenzproblem nicht lösen, die Haftung aus der c.i.c. schlimmstenfalls weniger attraktiv machen. Viertens fordert die Naturalrestitution grundsätzlich keinen Vermögensschaden, sondern lässt die Zufügung eines immateriellen Schadens ausreichen. Auch umfasst der Schutzweck der Haftung aus der c.i.c. nicht nur das Vermögen, sondern auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Getäuschten.742 Diese Ausdehnung des Schutzbereiches der c.i.c. auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit hat in der Schuldrechtsreform 2002 Bestätigung gefunden.743 Da die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung zum Schutzbereich der c.i.c. gehört, bedeutet bereits die Belastung mit einer objektiv der Gegenleistung äquivalenten Verbindlichkeit einen Schaden i.S.v. § 249 I BGB. Neben dem Anspruch auf Vertragsaufhebung hat der Geschädigte hier einen Anspruch auf Ersatz der nutzlosen Aufwendungen.744 IV. Vertragsanpassung Außer der Möglichkeit der Vertragsaufhebung und der Befreiung von Vertragsverpflichtungen wird bei der Verletzung der Aufklärungspflichten von der Rechtsprechung und teilweise vom Schrifttum745 eine Vertragsanpassung vertreten. Dabei kann der Geschädigte an dem für ihn ungünstigen Vertrag festhalten und den verbliebenen Vertrauensschaden (Restvertrauensschaden)746 liquidieren lassen. Demnach wird das, was infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des anderen Teils zu viel gezahlt wurde, erstattet.747 Diese Vertragsanpas-
741
Siehe § 8 A. Siehe § 3 A II 2. 743 Siehe § 3 A II 2 b. 744 Vgl. Erman/Kindl, § 311 Rn. 79; NK-BGB/Krebs, § 311 Rn. 83; Mertens, ZGS 2004, 67 (68); BGH, WM 1989, 416 (417); NJW 1994, 663; BGHZ 126, 166 (173). 745 Siehe Fn. 91, 92. 746 BGHZ 168, 35; Kersting, JZ 2008, 714 (718); Erman/Kindl, § 311 Rn. 79. 747 Erman/Kindl, § 311 Rn. 79. 742
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sung ist keine Anpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage.748 Der ungünstige Vertrag wird nicht an die veränderten Umstände angepasst. Hier wird nur die Möglichkeit der Erstattung des Betrages gewährleistet, der zu viel gezahlt wurde. Diese Rechtsfolge ist damit mehr als eine Art der Minderung zu sehen. 1. Zulässigkeit der Vertragsanpassung Nach der Rechtsprechung749 und einem Teil der Literatur750 erfolgt die Vertragsanpassung durch die Festlegung eines niedrigeren Kaufpreises und die Rückzahlung des zu viel gezahlten Anteils des Kaufpreises. Unterschiedliche Meinungen bestehen bezüglich der Frage der Nachweispflicht darüber, dass auch die andere Partei dazu bereit gewesen wäre, den Vertrag zu einem niedrigeren Kaufpreis abzuschließen, sowie zum Wahlrecht des Geschädigten hinsichtlich dieser Form des Schadensersatzes. a) Nachweis der Vertragsabschlussbereitschaft des Schädigers Die Führung des Beweises der Bereitschaft des Schädigers, mit dem Geschädigten einen für ihn günstigeren Vertrag abzuschließen, wäre in der Praxis äußerst schwierig. Daher ist dieser Beweis nach der Rechtsprechung entbehrlich.751 Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschte bei Kenntnis der in Frage stehenden Umstände verhalten hätte.752 Die Bereitschaft des Täuschenden zum Abschluss eines für den Getäuschten günstigeren Vertrages ist keine Voraussetzung für den Anspruch auf Vertragsanpassung.753 Der Ersatz des Restvertrauensschadens hat dem BGH zufolge in Form einer entsprechenden Herabsetzung des vereinbarten Preises und der Rückzahlung des Mehrbetrags, ähnlich der kaufrechtlichen Minderung, zu erfolgen.754 Der Geschädigte kann zwischen Vertragsaufhebung und Vertragsanpassung frei wählen.755
748
Vgl. BGHZ 168, 35 (39). BGHZ 69, 53 (58); BGH, WM 1989, 416 (417 f.); NJW 2001, 2875 (2876 f.); BGHZ 168, 35 (39 f.); a.A. BGH, WM 1969, 496 (498); WM 1970, 819 (822); NJW 1977, 1538 (1539). 750 Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 163 m.w.N.; Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 197; Busche, in: Martinek (2014), Rn. 95 f.; Lieb, in: FS Köln, 251 (261 f.); Schwarze (2008), § 33 Rn. 51 m.w.N. 751 BGH, ZIP 1980, 549; BGHZ 114, 87 (94); BGH, NJW 2006, 3139 (3141). 752 BGHZ 114, 87 (94); BGH, NJW 2001, 2875 (2877); vgl. RGZ 66, 335 (337). 753 BGHZ 168, 35 (40). 754 BGH, WM 1989, 416 (418). 755 BGH, ZIP 1980, 549; BGHZ 114, 87 (94); BGH, NJW 2006, 3139 (3141). So auch: Canaris, AcP 200 (2000), 273 (315 f.); Prölss, ZIP 1981, 337 (346); wenn es um das Wahlrecht geht: Grigoleit (1997), 198; a.A. BGH, WM 1969, 496 (498); WM 1970, 819 (822); NJW 1977, 1538 (1539); Kersting, JZ 2008, 714 (717); Lieb, in: FS Köln, 251 (267). 749
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Ein Teil des Schrifttums folgt mit weiteren Argumenten im Ergebnis dem Standpunkt des BGH. Da der Verkäufer im Falle der c.i.c. nicht besser gestellt sein darf als bei der Risikohaftung nach §§ 459 ff. BGB a.F. sei dem Geschädigten ein Minderungsanspruch zuzusprechen.756 Entgegen der Rechtsprechung wird jedoch bei fehlendem Beweis der Bereitschaft des Schuldners zum Vertragsabschluss ein möglicher Ausschluss der Naturalrestitution problematisiert.757 Deswegen will diese Ansicht § 251 I BGB zumindest analog anwenden, und dadurch die Vertragsanpassung auf die Fälle beschränken, in denen die Rückabwicklung für den Geschädigten tatsächlich unzumutbar ist.758 Eine andere Ansicht759 setzt für den Ersatz des Restvertrauensschadens den Beweis der Bereitschaft der anderen Partei, einen Vertrag zu anderen Bedingungen abzuschließen, voraus. Die Anpassung des Vertrages ohne Beweis des Einverständnisses der Gegenpartei ist dieser Ansicht nach mit dem Gedanken der Privatautonomie unvereinbar, gemäß dem der Verkäufer in seiner Entscheidung über den Vertragsabschluss und dessen Inhalt frei ist.760 Im Ergebnis überzeugt die von der Rechtsprechung vertretene Differenzierung nach der Art des zu ersetzenden Schadens.761 Macht der Geschädigte ein positives Interesse geltend, ist das Einverständnis des Schuldners für den günstigeren Vertrag sowohl Element der haftungsausfüllenden Kausalität als auch der Schadensberechnung. Der Beweis des Einverständnisses des Schuldners ist dann sowohl für die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität als auch für die Feststellung des hypothetischen Vertragswerts bei der Schadenberechnung erforderlich. Der Beweis kann durch den Anscheinsbeweis und die Beweismaßreduzierung (§ 287 I ZPO) erleichtert werden. Wird dagegen nur Ersatz des negativen Interesses begehrt, ist die Bereitschaft des Schädigers mit dem Geschädigten einen günstigeren Vertrag abzuschließen keine Voraussetzung für den Schadensersatz. Das Verlangen eines Beweises dieser Bereitschaft würde dazu führen, dass der die Vertragsaufhebung begehrende Geschädigte besser gestellt wird als der Geschädigte, der am Vertrag festhält.
756 Prölss, ZIP 1981, 337 (346); Hiddemann, ZGR 1982, 435 (451); Canaris, AcP 200 (2000), 273 (315 f.). 757 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (315). 758 Canaris, AcP 200 (2000), 273 (315 f.); vgl. Thiesen, NJW 2006, 3102 (3104). 759 BGH, WM 1969, 496 (498); WM 1970, 819 (822); NJW 1977, 1538 (1539); Schwarze (2008), § 33 Rn. 51; Kersting, JZ 2008, 714 (717); S. Lorenz, NJW 1999, 1001 (1002); Canaris, ZGR 1982, 413 (421); Schubert, JR 2007, 373 (374); Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001), 269 (286); a.A. Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 198. 760 Canaris, ZGR 1982, 413 (421); NK-BGB/Krebs, § 311 Rn. 86; Kersting, JZ 2008, 714 (717); S. Lorenz, NJW 1999, 1001 (1002). 761 Vgl. BGHZ 168, 35 (40) m.w.N.
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b) Wahlrecht des Geschädigten Die Rechtsprechung geht von einem Wahlrecht des Getäuschten zwischen Vertragsauflösung und Vertragsanpassung aus. Eine freie Wahl steht allerdings im Widerspruch mit dem Leitgedanken des § 249 I BGB. Sie ist mit den Grundsätzen des Vorrangs der Naturalrestitution nicht zu vereinbaren.762 Die von der Rechtsprechung vorgeschlagene Korrektur dieses Paragraphen ist aber unnötig, da die Möglichkeit der Entschädigung des Gläubigers in Geld nach § 251 BGB besteht, wenn die Naturalrestitution in Form der Vertragsaufhebung nach § 251 I BGB entfällt.763 Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass ein Wahlrecht deshalb ausgeschlossen sei, weil der Geschädigte den Vertrag nicht gleichzeitig sowohl als eine die berechtigten Erwartungen enttäuschende als auch eine erwartungsgerechte Leistung behandeln lassen könne.764 Das willentliche Festhalten des Geschädigten am Vertrag bedeutet dieser Ansicht nach einen Verzicht auf den Ersatz des Dispositionsschadens.765 Eine derart radikale Betrachtung des Ersatzes des Restvertrauensschadens ist völlig unnötig. Das Festhalten des Geschädigten am Vertrag bedeutet nicht, dass er auf dem Ersatz des Schadens verzichtet. Für ein Schlechterstellen des am Vertrag festhaltenden Geschädigten besteht kein Grund. Folglich ist die Vertragsanpassung als Entschädigung des Gläubigers in Geld erst dann zulässig, wenn eine Vertragsaufhebung nicht möglich ist oder für die Entschädigung des Gläubigers unzureichend. Die Naturalrestitution ist bspw. dann unzureichend, wenn die Wiederherstellung unzumutbar lange dauert oder trotz der Wiederherstellung des Gegenstands weiter ein technischer, merkantiler bzw. optischer Minderwert besteht.766 Aufgrund von § 251 II BGB kann der Ersatzverpflichtete auch dann den Gläubiger in Geld entschädigen, wenn die Naturalherstellung für den Ersatzpflichtigen mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Das liegt dann vor, wenn die Wiederherstellungskosten den Wert des betroffenen Gegenstandes erheblich übersteigen,767 bspw. wenn es zur Verbindung des Vertragsgegenstands mit dem restlichen Vermögen des Schuldners gekommen ist (wie beim Unternehmenskauf) und die erneute Abgrenzung nur unter enormen Aufwand möglich ist. Die Interessen des Gläubigers werden damit ausreichend geschützt. Andernfalls ist die Vertragsaufhebung das mildere Mittel, das dem Grundsatz der Privatautonomie am besten gerecht wird.768 762 Vgl. Schubert, JR 2007, 373 (374); NK-BGB/Krebs, § 311 Rn. 86; S. Lorenz, NJW 1999, 1001 (1002). 763 Kersting, JZ 2008, 714 (719 f.) m.w.N. in Fn. 47; Schubert, JR 2007, 373 (374). 764 Kersting, JZ 2008, 714 (718 f.). 765 Kersting, JZ 2008, 714 (718); vgl. NK-BGB/Krebs, § 311 Rn. 86. 766 Bamberger/Roth/Schubert, § 251 Rn. 9. 767 Bamberger/Roth/Schubert, § 251 Rn. 11. 768 Kersting, JZ 2008, 714 (717).
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2. Umfang der Vertragsanpassung Strittig ist die Berechnung des Umfangs des zu ersetzenden Schadens. Die Beantwortung dieser Frage ist ferner dadurch erschwert, dass der Gesetzgeber es unterließ, diese im Rahmen der Schuldrechtsreform abschließend zu regeln.769 Ein Teil des Schrifttums und die Rechtsprechung vertreten die Lösung einer Vertragsanpassung, die am hypothetischen Vertragsinhalt zu orientieren ist.770 Dieser hypothetische Wert des Vertrages entspricht dem Wert, den der Geschädigte bei der ordnungsgemäß durchgeführten Aufklärung für den Vertragsgegenstand bereit gewesen wäre zu zahlen. Der Geschädigte muss hiernach beweisen, dass sich beim Vertragsabschluss über denselben Vertragsgegenstand bei korrekter Information ein für ihn günstigerer Vertragsinhalt ergeben hätte.771 Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch die Rechtsprechung. Als Schaden definiert der BGH den Betrag, um den die Klägerin im enttäuschten Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben überhöht gekauft hat.772 Die Schadensersatzpflicht hat dem BGH zufolge den Zweck, den Geschädigten so zu stellen, als wenn bei ihm das Vertrauen nicht hervorgerufen worden wäre.773 Der Geschädigte soll so behandelt werden, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Kaufpreis abzuschließen.774 Da der Beweis des genauen Inhalts des hypothetischen Vertrages schwer zu führen und ohne ihn der Schadensersatz nicht widerspruchsfrei begründbar ist, legt ein Teil der Literatur den Zustand zugrunde, der vorläge, wenn ohne die Irreführung überhaupt kein Vertrag abgeschlossen worden wäre.775 Demzufolge kann der Getäuschte die Rückzahlung dessen verlangen, was er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des anderen Teils zu viel gezahlt hat.776 Einer Ansicht nach ist für die Berechnung der Schadenshöhe auf den tatsächlichen 769
BT-Drucks. 14/6040, 162 f. BGH, WM 1980, 1006 (1007); WM 1989, 416 (417 f.); Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001), 269 (286); ders., in: Zimmermann (2007), 163 (182 f.); Hiddemann, ZGR 1982, 435 (448); BGHZ 69, 53 (58); a.A. Westermann, ZGR 1982, 45 (60); Basedow, NJW 1982, 1030 f. 771 Grigoleit (1997), 197. 772 BGHZ 69, 53 (58); BGH, WM 1989, 416 (417 f.); NJW 2001, 2875 (2876); BGHZ 168, 35 (40). 773 BGH, NJW 1981, 1035 (1036). 774 BGH, WM 1969, 496 (498); NJW 1999, 2032 (2034); NJW 2001, 2875 (2876); BGHZ 168, 35 (39 f.). 775 Canaris, ZGR 1982, 395 (422); Grigoleit, in: Schulze/Schulte-Nölke (2001), 269 (286); vgl. Lieb, JZ 1972, 442 (443); Medicus, in: FS Lange, 539 (558); Tiedtke, in: FS Felix, 473 (494); Willemsen, AcP 182 (1982), 515 (553); BGH, NJW 1981, 1035 (1036); NJW 1981, 2050 (2051); NJW 1985, 380 (381). 776 Erman/Kindl, § 311 Rn. 79. 770
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Wert der Vertragsaufhebung nach den Grundsätzen des § 249 I BGB abzustellen. Demnach ist der Geschädigte so zu stellen, wie er stünde, wenn der Kaufpreis auf der Grundlage des Großhandelspreises berechnet worden wäre.777 Nach dieser Methode der Schadensberechnung richtet sich der Ersatz folglich nicht nach den Erwartungen des Erwerbers, sondern nach dem objektiven Wert des Vertrages. Daraus folgt, dass dem Geschädigten nur dann ein Anspruch auf Schadensersatz zusteht, wenn der objektive Wert des Vertragsgegenstandes unter dem gezahlten Preis liegt.778 Der Schadensersatzanspruch wäre nach dieser Ansicht zu verwehren, wenn der Gegenstand so günstig erworben wurde, dass auch unter Berücksichtigung des bekanntgewordenen Mangels der Preis weiter als objektiv angemessen erscheint. Ebenso wäre ein Schadensersatz dann abzulehnen, wenn der verminderte Wert des Vertragsgegenstands durch spätere Gewinne kompensiert wird.779 Diese Ansicht verfolgt demnach einen schadensersatzähnlichen Lösungsansatz, indem versucht wird, den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre.780 Eine andere Ansicht geht von einer minderungsähnlichen Lösung aus und legt für die Schadensberechnung die proportionale Herabsetzung des Vertragspreises unter Aufrechterhaltung der ursprünglichen Wertrelation zugrunde.781 Der bezahlte Vertragspreis ist demnach unter Beachtung des vorteilhaften Gesamtcharakters des Gesamtgeschäftes verhältnismäßig herabzusetzen, also im Verhältnis des objektiven Wertes der empfangenen Leistung zum hypothetischen Wert der Leistung des Schuldners, auf den sich die Parteien bei wahren Angaben geeinigt hätten.782 Problematisch ist bei dieser Art der Schadensberechnung die Notwendigkeit, sowohl den objektiven als auch den hypothetischen Wert der vertraglichen Leistung zu bestimmen. 3. Stellungnahme Als Rechtsfolge der Haftung für die c.i.c. ist eine Vertragsanpassung in Form des Ersatzes des Restvertrauensschadens vertretbar. Wegen des Vorrangs der Naturalrestitution ist die Vertragsanpassung allerdings nur dann zulässig,
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Erman/Kindl, § 311 Rn. 79. Kersting, JZ 2008, 714 (720); vgl. Canaris, ZGR 1982, 413 (420); Medicus, in: FS Lange, 539 (557 f.). 779 Willemsen, AcP 182 (1982), 515 (553); vgl. Tiedtke, JZ 1989, 569 (571); a.A. BGHZ 69, 53 (59). 780 Vgl. Canaris, ZGR 1982, 395 (420). 781 BGHZ 168, 35 (40); BGH, NJW 2006, 899 (902); NJW 2001, 2875 (2876); Canaris, AcP 200 (200), 273 (316); Kindl, WM 2003, 409 (412); Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (285 f.); a.A. MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 198; Medicus, EWiR 1989, 19 (20); Tiedtke, DNotZ 1998, 355 (359). 782 Hans Stoll, in: FS Riesenfeld, 275 (285). 778
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wenn die Naturalherstellung ausgeschlossen ist. Abhängig von dem hypothetischen Geschehensablauf ist der Beweis der Vertragsabschlussbereitschaft des Schuldners mit dem Gläubiger einen günstigeren Vertrag abzuschließen, zu verlangen. Falls dieser Beweis erfolgt, ist die Differenz zwischen bezahltem und „vereinbartem“ Preis zu erstatten. Andernfalls ist die Differenz zwischen bezahltem Preis und objektivem Wert der Leistung als Maßstab für die Berechnung des Schadensersatzes heranzuziehen. Die von der Rechtsprechung vertretene minderungsähnliche Vertragsanpassung ist hingegen abzulehnen. Sie führt zur Verwischung der Grenzen zwischen dem Gewährleistungsrecht und der Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten. Im Unterschied zum Gewährleistungsrecht bezweckt die c.i.c. keine Wiederherstellung der Vertragsäquivalenz, sondern die Beseitigung der Beeinträchtigung der Willensfreiheit. Gegen die Auffassung der verhältnismäßigen Herabsetzung des Kaufpreises spricht auch der kaufrechtliche Charakter der Minderung. Die minderungsähnliche Lösung gewährleistet auch dann den Ersatz des Schadens, wenn der Wert des Vertragsgegenstandes dem bezahlten Preis objektiv entspricht oder sogar unter diesem liegt. Aus schadensersatzrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Lösung abzulehnen, da durch die Minderung des Kaufpreises nicht der Zustand hergestellt wird, der ohne eine Pflichtverletzung eingetreten wäre. V. Begrenzung der Höhe des Schadensersatzes 1. Wegen Mitverschuldens des Geschädigten Ein Mitverschulden des Geschädigten kann zur Reduktion des Schadensersatzes führen. Für die Beurteilung des Verhaltens des Geschädigten ist auf § 254 I BGB abzustellen anstatt auf §§ 122 II, 179 III 1 BGB.783 Gemäß § 254 I BGB muss das Verschulden des Geschädigten in der Mitwirkung bei der Entstehung oder Vertiefung des Schadens bestehen. Das Gleiche gilt für ein Unterlassen, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen sowie für ein Unterlassen der Minderung oder der Abwendung des Schadens (§ 254 II BGB). Das Mitverschulden des Schadensersatzberechtigten bezieht sich auf das Verschulden gegen sich selbst, also die Missachtung des zumutbaren Maßes an Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme auf die eigenen Interessen.784 Es wird kein Verschulden im eigentlichen Sinne vorausgesetzt, sondern vielmehr ein nach dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu bestimmendes Verhalten.785 In der Praxis ist die Feststellung eines Mitverschuldens besonders in Fällen der vorvertraglichen Pflichtverletzungen 783 PWW/Stürner, § 311 Rn. 53; Bamberger/Roth/Wendtland, § 122 Rn. 12; Schwarze (2008), § 33 Rn. 54; BGHZ 99, 101 (108 f.). 784 Erman/Ebert, § 254 Rn. 24; MüKo/Oetker, § 254 Rn. 3. 785 Erman/Ebert, § 254 Rn. 24.
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schwierig. Die Rechtsprechung ist bei der Annahme des Mitverschuldens in der Regel zurückhaltend.786 Sie lehnt bspw. das Mitverschulden des Getäuschten bei dessen Vertrauen auf die Erklärung des Täuschenden ab.787 Ein Mitverschulden wird im Falle des Abbruchs der Vertragsverhandlungen dagegen dann angenommen, wenn die Vertrauensgrundlage bereits brüchig war oder die Aufwendungen des Geschädigten unnötig hoch waren.788 2. Durch die Höhe der Vertragserfüllung Auch nach der Schuldrechtsreform 2002 ist im Schrifttum weiter umstritten, ob der Haftungsumfang auf den Betrag des Erfüllungsinteresses zu begrenzen ist. Einer Meinung zu Folge ist der Ersatz des negativen Interesses auf die Höhe des Nichterfüllungsschadens zu beschränken.789 Es wird hier eine Analogie zu § 122 I BGB gezogen. Diese Analogie ergibt sich nach dieser Meinung aus dem Schutzzweck der verletzten Pflicht zur Aufklärung, der mit dem aus der Regelung der Willensmängel korrespondiert. Der Ersatz des Vertrauensschadens ist hiernach dem Geschädigten für die Beeinträchtigung der geschäftlichen Entschlussfreiheit zugesprochen, ähnlich wie es bei Anfechtung der Fall ist.790 Der Geschädigte trägt demnach wie jedermann im Verkehr das Risiko seiner geschäftlichen Dispositionen selbst: Tätigt er für das ungültige Rechtsgeschäft bewußt hohe Aufwendungen, ist dies seine Sache.791 Der Ersatzanspruch kann demzufolge nicht dazu führen, dass der enttäuschte Partner besser gestellt ist als bei der ordnungsgemäßen Erfüllung des Vertrages.792 Eine Gegenmeinung in der Literatur lehnt diese Beschränkung zu Recht ab, sie zieht keine Analogie zu § 122 I BGB.793 Das Hauptargument für die Begrenzung des Schadensersatzes auf die Höhe des Erfüllungsinteresses ist die materiell-rechtliche Beschränkung in § 122 I BGB. Die Bedeutung des § 122 I BGB liegt jedoch darin, dass der Erklärende zum Ausgleich dafür, dass er nicht mehr an den objektiven Erklärungstatbestand gebunden ist, demjenigen, der auf die Gültigkeit der Willenserklärung
786
MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 189 m.w.N. BGH, NJW 2004, 1868 (1870); BGH, NJW-RR 1998, 16. 788 PWW/Stürner, § 311 Rn. 53; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 165; vgl. BGH, MDR 1974, 918. 789 Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 311 Rn. 160; Bodewig, Jura 2001, 1 (4); Lutter (1998), 83 f.; D. Kaiser, JZ 1997, 448 (453); Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093 (1096); Hans Stoll, in: FS Flume, 773. 790 Welser, ÖJZ 1973, 281 (288). 791 Welser, ÖJZ 1973, 281 (288); vgl. Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093 (1096). 792 Reinicke/Tiedtke, ZIP 1989, 1093 (1096). 793 MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 186; Grigoleit (1997), 153; Gehrlein, VersR 1997, 928 (930); Horn, JuS 1995, 377 (383); Lieb, in: FS Köln, 251 (256); Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (397); BGHZ 49, 77 (82); 69, 53 (56); BGH, NJW 2001, 2875 (2876). 787
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vertraut, unabhängig von seinem Verschulden, einen Ersatz des Vertrauensschadens zu leisten hat.794 Im Falle der verschuldensunabhängigen Haftung ist die Begrenzung der Höhe des Schadensersatzes berechtigt. Im Endeffekt würde der Geschädigte ohne diese Beschränkung besser gestellt als im Falle der Vertragsverletzung, wo das Verschulden vorausgesetzt ist. Weiterhin ist im Falle der c.i.c. zum Schadensersatz derjenige nicht verpflichtet, der im Irrtum ist, sondern der, der diesen Irrtum hervorruft. Aus dem Grunde deckt sich diese Haftung nicht mit der aus dem Anfechtungsrecht. Dem vertraglichen Schadensersatz sind darüber hinaus solche Beschränkungen der Haftung nicht bekannt und es besteht kein Bedürfnis, den Schädiger vor einen Schadensersatz zu schützen. Der Schadensersatz aus der c.i.c. ist daher nicht auf die Höhe des Erfüllungsinteresses zu begrenzen. 3. Durch den Vorteilsausgleich Nach den Regeln und dem Sinn des Schadensersatzes soll der erzielte Vorteil angerechnet werden.795 Die Voraussetzung dafür ist ein adäquat kausaler Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil, der dem Schaden entspricht und damit mit dem Zweck der Ersatzpflicht in Einklang steht.796 Darüber hinaus darf der Vorteilsausgleich nicht unzumutbar sein oder eine unbillige Schädigerentlastung bewirken.797 Der Schädiger hat zu beweisen, dass und in welcher Höhe der Geschädigte einen auszugleichenden Vermögensvorteil erlangt hat.798 Als Vorteile sind die Gewinne des Geschädigten und die vermiedenen Verluste zu sehen, die unmittelbar mit dem schädigenden Ereignis in Verbindung stehen.799 Als Kausalität wird beim unerwünschten Vertrag ein „innerer Zusammenhang“ zwischen dem Gewinn, den der Getäuschte bei fortbestehendem Vertrag in jedem Fall erzielt hätte, und dem schadensstiftenden Ereignis (Erzielung eines überhöhten Kaufpreises von Verkäufer aufgrund der falschen Aufklärung des Käufers) gesehen.800 B. Rechtsfolgen der Haftung für die culpa in contrahendo im polnischen Recht Die Rechtsfolge der Haftung für die c.i.c. ist Schadensersatz. Im Folgenden wird untersucht, welcher Schaden ersatzfähig ist und auf welche Art und Weise der Ersatz zu erfolgen hat. Es wird auch geprüft, ob das polnische Recht einen Schadensersatzanspruch in Form einer Vertragsaufhebung bzw. -anpassung 794
Erman/Arnold, § 122 Rn. 1. Vgl. Brox/Walker (2016), § 31 Rn. 21. 796 Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 108; vgl. BGH, WM 1991, 814 f.; NJW 1998, 982 (983). 797 Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 108. 798 BGH, WM 1991, 814 (815); Erman/Ebert, vor §§ 249–253 Rn. 84. 799 Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 110. 800 BGHZ 69, 53 (59). 795
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einräumt. Darüber hinaus wird auf den Schadensersatzanspruch bei immateriellen Schäden eingegangen. I. Schadensersatz Der Schadensersatz aus der c.i.c. umfasst sowohl die Aufwendungen, die zur Vorbereitung des Vertragsabschlusses getätigt wurden, als auch den entgangenen Gewinn und das positive Vertragsinteresse. 1. Art und Weise der Leistung des Schadensersatzes Des Weiteren ist die Art des Schadensersatzes und dessen Bewirkung zu klären. Gemäß Art. 363 § 1 KC erfolgt der Ersatz des Schadens nach Wahl des Geschädigten entweder durch die Herstellung des vorherigen Zustands oder durch Geldleistung. Falls die Wiederherstellung nicht möglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand für den Verpflichteten verbunden ist, ist ein Schadensersatz in Geld zu leisten. Diese Regelung weicht von der ab, die im Schuldrechtsgesetzbuch vorgesehen wurde. Gemäß der alten Fassung des Schuldrechts hatte die entgeltliche Kompensation Vorrang vor der Naturalrestitution (Art. 159 S. 1 KZ). Die natürliche Wiederherstellung des vorherigen Zustands konnte nur auf ausdrückliches Verlangen des Geschädigten und nur dann erfolgen, wenn das Gericht nach den Umständen des Einzelfalles solch eine Forderung für gerechtfertigt hielt (Art. 159 S. 2 KZ). Im Zivilgesetzbuch bildet das Wahlrecht des Geschädigten nunmehr eine Art von Wahlschuld mit der Besonderheit, dass die Leistung vom Geschädigten und nicht vom Schädiger zu wählen ist.801 Ähnlich wie im Falle der echten Wahlschuld kann die Wahl der Art der Leistung auf den Schädiger übergehen, wenn der Geschädigte diese Entscheidung nicht rechtzeitig trifft.802 Dies wird durch die Vorschriften zur Wahlschuld in Art. 365 § 2 und § 3 KC geregelt.803 Demnach kann der Schädiger dem Geschädigten eine Frist zur Ausübung des Wahlrechts setzen. Nach Fristablauf kann der Schädiger selbst die Wahl über die Leistungsart treffen. Ist bei gewählter Naturalrestitution deren Erbringung
801
Kidyba/Olejniczak, Art. 363 Anm. 2; Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 363 Rn. 8; Olejniczak/Kaliński (2014), 185; Szpunar (1998), 119–121; Ohanowicz (1965), 101; Resich/Błahuta, Art. 363 Anm. 2 (882); Winiarz/Rembieliński, Art. 363 Anm. 2C (312); nach a.A. ist es keine Wahlschuld: Czachórski et al. (2009), Rn. 164; Radwański/Dybowski (1981), 287. 802 Rzetecka-Gil, Art. 363 Anm. 7. 803 Kidyba/Olejniczak, Art. 363 Anm. 2; Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 363 Rn. 7; Winiarz/Rembieliński, Art. 363 Anm. 2C (312); Szpunar, NP 1/1985, 3 (9–11); vgl. Ohanowicz (1965), 102. Manche Autoren sehen hier eine Anwendung durch die Analogie: Gudowski/Wiśniewski, Art. 363 Anm. 1; Resich/Błahuta, Art. 363 Anm. 2 (882).
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objektiv unmöglich, kann der Berechtigte eine neue Wahl treffen.804 Die Vorschriften über die Unmöglichkeit der Leistung kommen in diesem Fall nicht zur Anwendung, da sie durch Art. 363 § 1 2 KC verdrängt werden. Die Wahl erfolgt durch Willenserklärung des Berechtigten, die im Falle der Kompensation in Geld verbindlich ist und nach Zugang beim Adressaten ohne dessen Zustimmung nicht geändert werden kann.805 Bei Naturalherstellung ist die Wahl gem. Art. 363 § 1 KC ausgeschlossen, wenn die Wiederherstellung des vorherigen Zustands in natura unmöglich ist oder übermäßige Schwierigkeiten oder Kosten für den Schuldner nach sich ziehen würde. Unmöglichkeit liegt dann vor, wenn die zur Naturalherstellung erforderliche Leistung für die Wiederherstellung nicht geeignet oder rechtlich nicht zulässig ist.806 Dagegen sind übermäßige Schwierigkeiten der Wiederherstellung im Einzelfall unter der Berücksichtigung der ökonomischen Interessen beider Seiten zu beurteilen.807 Vor allem ist zu beachten, dass die Verpflichtung zur Wiederherstellung des vorherigen Zustands keine Strafe für den Schädiger ist, sondern eine Kompensation des Verlustes des Geschädigten.808 Die Anwendung der Naturalrestitution schließt die Zahlung einer Geldsumme nicht aus; in manchen Fällen kommt es zur Verbindung der beiden Arten des Schadensersatzes.809 a) Naturalrestitution Die Naturalrestitution ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schaden durch Ersatz oder Wiederherstellung des verletzten persönlichen Gutes wieder gutgemacht wird oder durch die Beseitigung der negativen Folgen der Verletzung des konkreten Interesses. Dies kann sowohl einen faktischen als auch einen rechtlichen Zustand betreffen.810 Im Unterschied zur Geldleistung liegt hier die Wiederherstellung eines besonderen verletzten Gutes oder Interesses und kein Ausgleich des Schadens im ganzen Vermögen vor. Es handelt sich also um einen direkten Ausgleich des Schadens, der den Geschädigten zur gleichen bzw. zu einer vergleichbaren Position führt, wie sie vor dem schädigenden Ereignis existierte.811 aa) Naturalrestitution in Form eines Vertragsabschlusses Gemäß Art. 363 § 1 KC kann der Gläubiger einen Schadensersatz durch Naturalherstellung beanspruchen, wenn dieser nicht durch die Regelung des 804
Szpunar (1998), 120. Vgl. Rzetecka-Gil, Art. 363 Anm. 9 f.; Ohanowicz (1965), 102. 806 Kidyba/Olejniczak, Art. 363 Anm. 4. 807 Kidyba/Olejniczak, Art. 363 Anm. 4. 808 Kidyba/Olejniczak, Art. 363 Anm. 4; Gudowski/Wiśniewski, Art. 363 Anm. 1. 809 Rzetecka-Gil, Art. 363 Anm. 29; Olejniczak/Kaliński (2014), 183. 810 Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 363 Rn. 12. 811 Resich/Błahuta, Art. 363 Anm. 1 (881).
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Art. 363 § 1 S. 2 KC ausgeschlossen ist. Die Naturalrestitution ist dann ausgeschlossen, wenn die Herstellung unmöglich ist oder für den Verpflichteten mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist. Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Herstellung für den Ersatz des Schadens ungeeignet ist oder durch das Recht nicht zugelassen wird.812 Es stellt sich zunächst die Frage, ob der Herstellung auf dem Wege eines Vertragsabschlusses rechtliche Gründe entgegenstehen. Die klageweise Durchsetzung eines entsprechenden Anspruchs erfolgt mit einer Leistungsklage813 auf Verurteilung des Beklagten zur Abgabe der Willenserklärung zum Vertragsschluss. Das rechtskräftige Urteil ersetzt dabei gem. Art. 64 KC sowie Art. 1047 KPC814 (polnische Zivilprozessordnung, Kodeks postępowania cywilnego) die Willenserklärung des Verpflichteten. Der Anspruch auf Vertragsschluss ist dadurch rechtlich durchsetzbar.815 Daraus folgt, dass der Anspruch auf Vertragsabschluss durchsetzbar und daher für den Ersatz des Schadens geeignet ist. Dem Anspruch auf Vertragsschluss könnten aber der Grundsatz der Vertragsfreiheit (swoboda umów) und das damit verbundene Verbot des Kontrahierungszwangs (przymus kontraktowania) entgegenstehen. Die Vertragsfreiheit findet seit 1990816 ihre Grundlage in Art. 3531 KC. Die Parteien können demnach die vertragliche Bindung innerhalb der Schranken des Gesetzes, der Eigenschaften des Schuldverhältnisses sowie der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens frei gestalten. Diese Vorschrift regelt aber lediglich einen Aspekt der Vertragsfreiheit, nämlich die Gestaltungsfreiheit (swoboda kształtowania treści) der vertraglichen Verhältnisse. Die vorliegend betroffene Vertragsabschlussfreiheit (swoboda zawarcia umowy) wird durch das KC nicht näher geregelt. Zu untersuchen ist daher, ob diese Freiheit in der polnischen Rechtsordnung überhaupt verankert ist. Die Vertragsabschlussfreiheit gehört neben der Gestaltungsfreiheit und der Freiheit der Wahl von Kontrahent und Vertragsform zu dem Oberbegriff „Vertragsfreiheit“,817 die sich aus der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit des Individuums gem. Art. 31 I KRP und aus der Freiheit von Zwang zur Vornahme einer rechtlich nicht gebotenen
812
Kidyba/Olejniczak, Art. 363 Anm. 4. Łuszczak-Zając (2005), 146 ff. m.w.N.; vgl. SN, Urt. v. 15.4.2003 – V CKN 74/01, LEX Nr. 1130950. 814 Gesetz v. 17.11.1964 – Kodeks postępowania cywilnego, Dz.U. 1964 Nr. 43 Pos. 296 m.w.Ä. 815 Radwański, RPEiS 3/1974, 213 (219 ff.); ders. (1977), 156, 180 ff.; Łuszczak-Zając (2005), 145; nach früher vertretener Ansicht kann im Rahmen der c.i.c. nur Ersatz des negativen Vertragsinteresses verlangt werden: Górski (1938), 48 f. 816 Gesetz v. 28.7.1990, Dz.U. 1990 Nr. 55 Pos. 321. Im Schuldrechtsgesetzbuch war die Vertragsfreiheit in Art. 55 KZ erfasst, in der Volksrepublik Polen gab es dagegen keine direkte Regelung der Vertragsfreiheit. 817 OTK-A 2003/4/33 (Anm. 6); Czachórski (2009), 145 f.; Radwański (1977), 99 ff. 813
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Handlung gem. Art. 31 II 2 KRP ableiten lässt.818 Zur Beachtung der Freiheiten aus Art. 31 I und II KRP ist nicht nur der Staat gegenüber den Bürgern verpflichtet, sondern gem. Art. 31 II 1 KRP jedermann. In dieser Vorschrift schlägt sich die Drittwirkung der Grundrechte nieder. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit ist auch in Art. 22 KRP verankert, welcher für Handelsgeschäfte die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit begründet und den Grundsatz der freien sozialen Marktwirtschaft aus Art. 20 KRP konkretisiert.819 Fraglich ist, ob die Beschränkung der Vertragsabschlussfreiheit durch die Auferlegung eines Kontrahierungszwangs mittels c.i.c. zulässig ist. Art. 31 III KRP regelt die Beschränkung verfassungsrechtlicher Freiheiten und Rechte. Demnach ist eine Beschränkung nur durch Gesetz und nur dann zulässig, wenn es für die Gewährleistung der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung, des Umwelt-, Gesundheits- und Moralitätsschutzes, oder der Freiheit und Rechte anderer Personen erforderlich ist. Eine Beschränkung darf gem. Art. 31 III 2 KRP nicht den Kern der betroffenen Freiheiten oder Rechte berühren. Art. 22 KRP regelt dagegen die Begrenzung der Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit. Diese kann nur aufgrund eines Gesetzes und eines besonderen öffentlichen Interesses erfolgen. Fälle der gesetzlich geregelten Beschränkung der Vertragsfreiheit sind die spezialgesetzlichen Vorschriften zur Gewährleistung der Daseinsvorsorge. Dazu gehören beispielsweise Art. 48 des Postrechts820, der einen Kontrahierungszwang für Verträge über Leistungen allgemeiner Postdienste begründet, sowie Art. 28 I des Rechtsanwaltschaftsrechts821, nach welchem die Ablehnung einer Rechtshilfeleistung nur beim Vorliegen wichtiger Gründe zulässig ist. Eine gesetzliche Regelung, die einen unmittelbaren Kontrahierungszwang als Folge der Verletzung der vorvertraglichen Pflichten regelt, besteht nicht. Einen mittelbaren (allgemeinen) Kontrahierungszwang könnte die Regelung des Art. 415 KC, der die Haftungsgrundlage für die c.i.c. ist, vermitteln. Anders als im deutschen Recht steht die Natur des Schuldverhältnisses aus der c.i.c. dem Kontrahierungszwang nicht entgegen. Die c.i.c. begründet im polnischen Recht kein vorvertragliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht. Art. 415 KC ist eine deliktische Haftungsgrundlage, die in ihrer Rechtsfolge dem § 826 BGB ähnelt. Da die Vorschrift jede Form des Schadensersatzes umfasst, eröffnet sie grundsätzlich auch die Möglichkeit für eine Naturalherstellung in Form eines Vertragsschlusses. Problematisch ist allerdings, ob die Auferlegung des Kontrahierungszwangs mit dem Schutzzweck der vorvertraglichen Pflichten vereinbar ist. Dies wäre dann der Fall, wenn der
818
OTK-A 2003/4/33 (Anm. 6, 9); Pietrzykowski/Safjan, Art. 3531 Rn. 2 m.w.N. OTK-A 2003/4/33 (Anm. 10). 820 Gesetz v. 23.11.2012, Dz.U. 2012 Pos. 1529. 821 Gesetz v. 26.5.1982, Dz.U. 1982 Nr. 16 Pos. 124 m.w.Ä. 819
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Kontrahierungszwang mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens als Grundlage der vorvertraglichen Pflichten im Einklang stünde. Die Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens umfasst die kaufmännische Redlichkeit, die vertragliche Gerechtigkeit sowie die Billigkeit.822 Diese Sittennormen zielen vor allem auf die Gewährleistung der vertraglichen Gestaltungsfreiheit ab und nicht auf die Festlegung der Schranken für die Beschränkungen der negativen Vertragsabschlussfreiheit. Aus dem Schutz des berechtigten Vertrauens auf Zustandekommen des erwartungsgerechten Vertrages lässt sich eine Rechtfertigung eines Kontrahierungszwanges auch nicht ableiten. Die c.i.c. bezweckt nur, die Interessen des Vertrauenden auszugleichen, die durch die Enttäuschung des Vertrauens auf die ordnungsgemäße Erfüllung der vorvertraglichen Aufklärungs- und Loyalitätspflichten verletzt wurden. Das Vertrauen auf die Vertragserfüllung wird nicht durch sie geschützt. Auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der ausgleichenden Gerechtigkeit durch die Rechtsordnung ist ein Kontrahierungszwang nicht gerechtfertigt. Ein Fall der Haftung aus der c.i.c. impliziert keine marktbeherrschende Position des Verhandlungspartners, welche einer Realisierung des Vertragsinteresses mit anderen Anbietern entgegenstünde. Ein möglicherweise nachteiligeres Preis-Leistungs-Verhältnis bei Vertragsabschluss mit einem anderen Anbieter wird durch den Anspruch des Geschädigten auf entgeltliche Entschädigung ausgeglichen. Es bestehen demnach keine Rechtfertigungsgründe für eine Einschränkung der Vertragsabschlussfreiheit durch einen Kontrahierungszwang als Rechtsfolge der c.i.c. Die Naturalrestitution in Form des Vertragsschlusses ist daher gem. Art. 363 § 1 KC aus rechtlichen Gründen unmöglich. Der Anspruch des Geschädigten auf den Vertragsschluss lässt sich auch nicht anhand der analogen Anwendung der Vorschriften über den Vorvertrag begründen. Im Falle der c.i.c. fehlt es an jener willentlichen Verpflichtung der Parteien zur vertraglichen Bindung. Der Sachverhalt des Abbruchs der Verhandlungen unterscheidet sich somit deutlich von der Verweigerung des Abschlusses des Vorvertrags, so dass für eine Analogie kein Raum ist. Auch aufgrund der Regelung des Art. 24 § 1 S. 2 KC823 kann der Vertragsschluss nicht verlangt werden, da das Vertrauen auf den konkreten Vertragsabschluss (bzw. Vertragserfüllung) kein persönliches Gut darstellt. Im polnischen Recht besteht mithin keine rechtliche Grundlage, die einen Anspruch auf Vertragsschluss im Rahmen der Haftung für die c.i.c. zulassen würde.
822 823
Pietrzykowski/Safjan, Art. 3531 Rn. 21. Mehr dazu siehe § 4 B II 2.
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bb) Naturalrestitution in Form der Vertragsaufhebung (1) Bei Eintritt eines Vermögensschadens Fraglich ist, ob der Geschädigte eine Vertragsaufhebung verlangen kann, wenn ihm durch den unerwünschten Vertrag ein Vermögensschaden zugefügt wurde. Im polnischen Recht bestehen grundsätzlich keine Beschränkungen hinsichtlich der Art der Naturalherstellung.824 Die Möglichkeit, die Auflösung einer schuldrechtlichen Verbindlichkeit zu verlangen, ist allgemein anerkannt.825 Insbesondere spricht für diese Form des Schadensersatzes, dass die Naturalrestitution sich nicht nur auf Wiederherstellung des materiellen Zustands, sondern auch des rechtlichen bezieht. Die Wiedergutmachung in natura muss vom Geschädigten gewählt werden und darf nicht durch Art. 363 § 1 S. 2 KC ausgeschlossen werden. Neben der Vertragsaufhebung kann der Geschädigte Geldersatz für in Erwartung des Vertragsschlusses getätigte Aufwendungen verlangen. Die Rückabwicklung des abgeschlossenen Vertrages erfolgt nach den Regeln über die Naturalherstellung des vorherigen Zustands. Ein Rückgriff auf die Vorschriften zum Rücktritt oder der ungerechtfertigten Bereicherung ist nicht erforderlich. (2) Bei Eintritt eines immateriellen Schadens Problematisch ist, ob die Vertragsaufhebung auch bei einem immateriellen Schaden nach Art. 415 KC verlangt werden kann. Das polnische Recht enthält keine mit § 253 BGB vergleichbare Regelung. Im Geltungszeitraum des Schuldrechtsgesetzbuchs wurde die Meinung vertreten, dass der immaterielle Schaden weder durch eine Naturalrestitution noch durch Geld erstattet werden könne, und folglich nicht zur Forderung von Schadensersatz berechtige.826 Eine Entschädigung für immateriellen Schaden sei nur dann möglich, wenn dies explizit durch eine gesetzliche Vorschrift vorgesehen ist.827 Dieser Grundsatz hat auch im Rahmen des Zivilgesetzbuches weiterhin Gültigkeit.828 Daher könnte die Grundlage für die Vertragsaufhebung Art. 415 KC darstellen. Es müsste aber Art. 363 § 1 KC, der von der Naturalrestitution spricht, auch für den Ersatz des immateriellen Schadens abwendbar sein. Überwiegend wird vertreten, dass die Vorschriften über den Schaden, insbesondere Art. 363 § 2
824
SN, Urt. v. 7.11.2003 – V CK 405/02, LEX Nr. 599567. Vgl. Ohanowicz, OSPiKA 1971/4/82 (184). 826 Korzonek/Rosenblüth, (Art. 157) 344. 827 Korzonek/Rosenblüth, (Art. 157) 344. 828 Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 11; Olejniczak/Kaliński (2014), 99 f.; Gniewek/Machnikowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 35. 825
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
KC, auch auf den immateriellen Schaden angewendet werden können.829 Daraus würde folgen, dass auch Art. 363 § 1 KC, anwendbar wäre. Dem steht jedoch zuerst der gegenläufige Wortlaut der Artt. 445 und 448 KC, die den Ersatz des immateriellen Unrechts regeln, entgegen: Der Schaden aus Art. 415 KC „ist“ zu ersetzen, hingegen „kann“ die Entschädigung aus Art. 445 oder 448 KC zugesprochen werden. Zweitens spricht die Systematik des Zivilgesetzbuches gegen die Anwendung der Regelung über die Art des Schadensersatzes auch auf die Entschädigung. Artt. 445 und 448 KC beinhalten besondere Vorschriften, die die nur entgeltliche Entschädigung für einen immateriellen Schaden regeln. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn der Ersatz des immateriellen Schadens bereits aufgrund allgemeiner Vorschriften möglich wäre. Es wäre ein systematischer Fehler des Gesetzgebers, wenn er dieselbe Verpflichtung zum Schadensersatz mehrmals vorgesehen hätte. Die Anwendung des Art. 415 KC auf den Ersatz des immateriellen Schadens würde außerdem eine Umgehung der Regeln der Artt. 445 und 448 KC bedeuten. Diese sehen eine Entschädigung nur für den Fall der Verletzung persönlicher Güter vor. Daher sind die Vorschriften der Artt. 445 und 448 KC als eine Sonderregelung zu Art. 415 KC zu sehen. Der Ersatz des immateriellen Schadens ist folglich nur aufgrund der Artt. 445 und 448 KC möglich. Die Naturalrestitution für einen immateriellen Schaden in Form der Vertragsaufhebung kann nicht nach Art. 415 KC verlangt werden. b) Schadensersatz in Geld Der Geschädigte hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Geld, der sowohl den Vertrauens- als auch den Erfüllungsschaden umfasst. Die Höhe des Ersatzes bestimmt sich nach den Regeln des Art. 363 § 2 KC. Danach werden zur Berechnung der Höhe des Schadensersatzes in Geld die Preise zum Zeitpunkt der Bestimmung des Schadensersatzes zugrunde gelegt, es sei denn, besondere Umstände des Einzelfalles legen einen anderen Zeitpunkt fest. Grundsätzlich ist der Tag des Urteilsspruchs zeitlich maßgebend. Der Vertrauensschaden umfasst die Aufwendungen, die zur Vorbereitung oder Durchführung des in Aussicht gestellten Vertrages getätigt wurden sowie den entgangenen Gewinn. Zu den möglichen Aufwendungen zählen unter anderem die Kosten für erforderliche Gutachten und Kommunikation.830 Der Geschädigte kann auch Ersatz des positiven Interesses in Geld verlangen, soweit der Vertrag nach dem hypothetischen Geschehensablauf abgeschlossen worden wäre. Das positive Interesse umfasst die Wiedergutmachung des Schadens, der durch die Verletzung des Vertrauens auf das Zustandekommen des
829 SN, Urt. v. 22.1.2014 – III CSK 98/13, LEX Nr. 1463876; SN, Urt. v. 22.5.1990 – II CR 225/90, LEX Nr. 9030; Panowicz-Lipska (1975), 35. 830 SN, Urt. v. 16.9.2011 – IV CSK 626/10, LEX Nr. 1129160.
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erwünschten Vertrages entstanden ist. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses ist im Umfang begrenzt durch die Schranke des aus einer Gleichstellung des Geschädigten zur Partei eines abgeschlossenen Vertrages resultierenden unzulässigen Kontrahierungszwangs.831 Fraglich ist weiter, ob wie im deutschen Recht eine Vertragsanpassung verlangt werden kann. Dazu müsste die deliktische Haftung im polnischen Recht einen Ersatz des Restvertrauensschadens als Rechtsfolge vorsehen. Die Regelung der Haftung aus Delikt sieht den Ersatz aller erlittenen Schäden, die in einem adäquaten Zusammenhang mit der unerlaubten Tat des Schädigers stehen, vor. Der bei Abschluss eines nicht erwartungsgemäßen Vertrages anhand der Differenz zwischen erwarteter und tatsächlich empfangener Leistung berechnete Restvertrauensschaden liegt noch im Rahmen eines typischen Sachzusammenhangs. Er ist damit auf Grundlage des Art. 415 KC ersetzbar. Weiterhin richtet sich die Form des Ersatzes des Restvertrauensschadens danach, ob der Geschädigte bei pflichtgemäßer Aufklärung gar keinen Vertrag oder einen für ihn günstigeren Vertrag abgeschlossen hätte. Sofern der Geschädigte im letzteren Fall einen für ihm günstigeren Vertrag abgeschlossen hätte und die hypothetische Abschlussbereitschaft des Schuldners für diesen Vertrag beweisen kann, kann er den Ersatz seines Erfüllungsinteresses in Form des Restvertrauensschadens beanspruchen. Falls bei richtiger Aufklärung gar kein Vertrag abgeschlossen worden wäre, ist der erlittene Vermögensnachteil die Differenz zwischen dem objektiven Wert der von Gläubiger erwartenden und der tatsächlich erfüllten Leistung maßgebend. Die einseitigen Erwartungen des Geschädigten bezüglich des Werts des Vertragsgegenstands sind nur dann bei der Berechnung des Schadenersatzes zu berücksichtigen, wenn der Geschädigte die Vertragsabschlussbereitschaft des Schuldners zu den erwarteten Bedingungen beweisen kann. Anders als im deutschen Recht stellt sich die Frage der Konkurrenz zwischen der Vertragsaufhebung und -anpassung nicht. Der Gläubiger kann zwischen den beiden Formen des Schadensersatzes grundsätzlich frei wählen (Art. 363 § 1 S. 1 KC). 2. Beschränkungen des Schadensersatzes a) Durch die Höhe der Vertragserfüllung Im Schrifttum wird teilweise die Meinung vertreten, dass das negative Interesse durch das positive zu beschränken sei.832 Hierfür fehlt es allerdings an einer rechtlichen Grundlage. Eine dem deutschen Recht vergleichbare Regelung zur Begrenzung (§ 122 I BGB) besteht im polnischen Recht nicht. Al-
831
Siehe § 5 B I 1 a aa. Szpunar (1998), 50; vgl. Garnecki, PPH 3/2001, 9 (14); Plich, Prz. Sąd. 7–8/2006, 3 (22). 832
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
leine Art. 415 KC beinhaltet solche Beschränkung nicht. Es gibt auch kein Bedürfnis dafür, da die c.i.c. eine verschuldensabhängige Haftung ist und der Schutz des Schädigers in Form der Beschränkung des Schadensersatzes auf die Höhe der Vertragserfüllung nicht erforderlich ist. b) Durch den Vorteilsausgleich Bei der Berechnung der Höhe des Schadensersatzes werden die Vorteile berücksichtigt, die der Geschädigte aufgrund des schädigenden Ereignisses erhalten hat. Das polnische Zivilgesetzbuch enthält keine ausdrückliche Regelung zum Vorteilsausgleich. Jedoch ist im Privatrecht die Regel des compensatio lucri cum damno anerkannt, nach welcher die Vorteile, die durch den Schaden erzielt worden sind, bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen sind.833 Dieses Prinzip ist in Art. 361 § 2 KC verankert834 und dient der Gewährleistung der Kompensationsfunktion der Schadensersatzhaftung und der Vermeidung der Bereicherung des Geschädigten.835 Der Vorteilsausgleich ist ein Element der Schadensberechnung selbst und begründet keine (nachträgliche) Minderung oder Herabsetzung der schon festgelegten Schadensersatzhöhe.836 Voraussetzung für die Berücksichtigung des Vorteilsausgleichs ist, dass das zum Schadensersatz führende Ereignis für die Erzielung des Vorteils durch den Geschädigten kausal war.837 Außerdem müssen der Schadensersatz und der Vorteil dasselbe Interesse des Geschädigten befriedigen.838 c) Durch eine Schadensmitverursachung Der Schadensersatz kann bei einer Mitverursachung durch den Geschädigten herabgesetzt werden. Gemäß Art. 362 KC ist die Höhe des Schadensersatzes unter Berücksichtigung der Umstände und des Grades der Schuld beider Parteien zu mindern, wenn der Geschädigte zum Eintritt oder zur Vergrößerung des Schadens beigetragen hat. Für die Bejahung der Schadensmitverursachung muss das Verhalten des Geschädigten gegenüber der Hauptursache ein selbstständiger kausaler Faktor für den Schaden sein und darf nicht selbst Folge der Hauptursache sein.839 Dementsprechend stellen nichtsteuerbare Reflexe, die
833
Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 57; Resich/Błahuta, Art. 361 Anm. 6 (873); vgl. Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 73, wobei der Autor die Grundlage für den Vorteilsausgleich in Art. 322 KPC sieht. 834 SN, Urt. v. 21.8.2013 – II CSK 681/12, LEX Nr. 1365638. 835 SN, Urt. v. 21.8.2013 – II CSK 681/12, LEX Nr. 1365638. 836 SN, Urt. v. 21.8.2013 – II CSK 681/12, LEX Nr. 1365638. 837 Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 15; Resich/Błahuta, Art. 361 Anm. 6 (874). 838 Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 361 Rn. 57; vgl. Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 361 Rn. 73; Kidyba/Olejniczak, Art. 361 Anm. 15. 839 Rzetecka-Gil, Art. 362 Anm. 11.
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durch die Hauptursache ausgelöst werden, keine Mitverursachung des Schadens dar.840 Die Mitverursachung des Geschädigten ist nach herrschender Ansicht der Kausaltheorie zu bestimmen.841 Als Mitverursachung gilt daher sowohl das kausale Verhalten des Geschädigten für das Entstehen des Schadens als auch für die Vergrößerung des bereits zugefügten Schadens.842 Eine Vergrößerung des Schadens liegt dann vor, wenn die Höhe des Schadens ohne das Verhalten des Geschädigten niedriger wäre oder die Minimierung der Schadenshöhe oder seiner Folgen durch das Verhalten des Geschädigten verhindert wurde.843 Die Minderung des Schadensersatzes wegen Mitverursachung des Geschädigten kommt ohne Rücksicht auf das Haftungsprinzip zur Anwendung.844 Daher ist unbeachtlich, ob der Geschädigte schuldhaft zum Eintritt oder zur Vergrößerung des Schadens beigetragen hat. Das Schuldprinzip des Haftungsrechts ist mit dem Schaden verknüpft und nicht auf das Verhalten des Geschädigten übertragbar.845 Nur wenn sowohl der Geschädigte als auch der Schädiger schuldhaft gehandelt haben, ist der in Art. 362 KC geregelte Vergleich des Grades der Schuld beider Parteien einschlägig.846 Die Überprüfung des Mitverschuldens erfolgt in zwei Schritten. Im ersten Schritt wird der Beitrag des Geschädigten zur Entstehung oder Vergrößerung des Schadens festgestellt.847 Erst im zweiten Schritt werden die Umstände des Einzelfalles berücksichtigt, wie z.B. das Verschulden des Geschädigten, das Haftungsprinzip des Schädigers, der Grad und Art des Verstoßes des Geschädigten gegen die objektiven Verhaltensregeln sowie Alter und Handlungsmotiv des Geschädigten.848 840
Rzetecka-Gil, Art. 362 Anm. 11; vgl. Kidyba/Olejniczak, Art. 362 Anm. 2. Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 362 Rn. 6; Rzetecka-Gil, Art. 362 Anm. 3; Resich/Błahuta, Art. 362 Anm. 2 (876); OSNC-ZD 2009/3/66 (37-42); OSNP 1999/16/524 (762). 842 Rzetecka-Gil, Art. 362 Anm. 25; Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 362 Rn. 21; vgl. Resich/Błahuta, Art. 362 Anm. 2 (878). 843 Resich/Błahuta, Art. 362 Anm. 2 (878); Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 362 Rn. 22. 844 Kidyba/Olejniczak, Art. 362 Anm. 2; Resich/Błahuta, Art. 362 Anm. 2 (876); OSNC 1976/7–8/151 (10 f.); a.A. S. SN, Urt. v. 18.2.2009 – II PK 154/08, LEX Nr. 736722; SN, Urt. v. 3.8.2006 – IV CSK 118/06, LEX Nr. 369169; SN, Urt. v. 16.9.2003 – IV CKN 481/01, LEX Nr. 602300; OSNP 1999/21/698 (1005); Winiarz/Rembieliński, Art. 362 Anm. 2A (300). 845 OSNC 1976/7–8/151 (11). 846 OSNC 1976/7–8/151 (11). 847 Vgl. SN, Urt. v. 8.7.2009 – I PK 37/09, LEX Nr. 523542; SN, Urt. v. 17.6.2009 – IV CSK 84/09, LEX Nr. 818614; SN, Urt. v. 19.11.2009 – IV CSK 241/09, LEX Nr. 677896. 848 Vgl. Rzetecka-Gil, Art. 362 Anm. 18 f., 31; Kidyba/Olejniczak, Art. 362 Anm. 6; Radwański/Dybowski (1981), 300; SN, Urt. v. 19.11.2009 – IV CSK 241/09, LEX Nr. 677896; vgl. OSNC-ZD 2009/3/66 (42 f.). 841
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3. Ausschluss des Schadensersatzes Umstritten ist, ob der Abschluss eines Vertrages nach der Verletzung der vorvertraglichen Pflichten die Haftung aus der c.i.c. ausschließt. Grundsätzlich ist der Vertragsabschluss ein Ausschlussgrund für den Schadensersatz aus Art. 72 § 2 KC, der die Rechtsfolgen einer Verhandlungsführung entgegen den guten Sitten regelt. Teilweise wird dieser Ausschlussgrund auch bei der Haftung aus der c.i.c. als einschlägig betrachtet, da der Vertragsabschluss die c.i.c. konsumiere.849 Dieser Meinung nach sind Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten nach dem abgeschlossenen Vertrag im Rahmen der vertraglichen Haftung aus Art. 471 KC einzuklagen.850 Dieser Ansicht ist jedoch nicht zuzustimmen: Eine vertragliche Haftung kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn eine Leistung gar nicht oder schlecht erbracht wurde. Solange kein Vertrag abgeschlossen wurde, bestehen auch noch keine vertraglichen Leistungspflichten. Der Anwendungsbereich der Gewährleistungshaftung ist grundsätzlich nicht eröffnet, es sei denn, die Aufklärungspflichtverletzung führt zu einem Informationsmangel, der gleichzeitig einen Sachmangel konstituiert. Darüber hinaus würde ein Haftungsausschluss im Widerspruch zum Wortlaut des Art. 415 KC stehen, der anders als Art. 72 § 2 KC keine Beschränkung der Haftung vorsieht. Mithin bleibt die Haftung aus c.i.c. auch nach dem Abschluss des Vertrages weiter bestehen. II. Entschädigung für immaterielle Schäden im Falle der Informationspflichtverletzung Fraglich ist, ob ähnlich wie im deutschen Recht ein Anspruch auf Befreiung vom Vertrag auch dann besteht, wenn der abgeschlossene, nicht erwartungsgerechte Vertrag keinen Vermögensschaden darstellt. 1. Entschädigung für das Unrecht nach Artt. 445 und 448 KC Der Ersatz des immateriellen Schadens ist in Artt. 445 und 448 KC geregelt. Gemäß Art. 445 § 1 und § 2 KC besteht einen Anspruch auf eine Entschädigung in Geld nur in den Fällen einer Körper-, Freiheits- oder sexuellen Integritätsverletzung sowie einer Gesundheitsschädigung. Unter den Begriff der Freiheit i.S.d. Art. 445 KC könnte möglicherweise die durch die c.i.c. geschützte rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit851 fallen. Nach überwiegender Auffassung ist der Begriff der Freiheitsverletzung i.S.d. Art. 445 KC
849
Kidyba/Kopaczyńska-Pieczniak, Art. 72 Anm. 14; Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 20; Wójtowicz (2010), 168; Łętowska/Krajewski (2013), 853; Kocot (2013), 157. 850 Pyziak-Szafnicka/Pyziak-Szafnicka, Art. 72 Anm. 20; Wójtowicz (2010), 168. 851 Siehe § 3 B II.
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eng auszulegen und als Verletzung der Bewegungsfreiheit zu verstehen.852 Die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung wird hiervon folglich nicht umfasst. Der polnische Gesetzgeber führte mit der Novelle von 1996853 in Art. 448 KC eine zusätzliche Möglichkeit der Entschädigung für die Verletzung persönlicher Güter (dobro osobiste) i.S.d. Art. 23 § 1 KC ein, welche auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit umfassen könnte. Das Zivilgesetzbuch enthält keine Legaldefinition des „persönlichen Gutes“. Der Begriff ist nach überwiegender Ansicht dynamisch854, d.h. auf Grundlage der bestehenden Rechtsnormen und gesellschaftlichen Verhältnisse auszulegen. Persönliche Güter drücken die Individualität, soziale Position, Würde sowie psychische bzw. physische Integrität einer Person aus.855 Ob im Einzelfall ein persönliches Gut betroffen ist, richtet sich nach den in der Gesellschaft herrschenden rechtlichen, moralischen und sittlichen Auffassungen.856 Art. 23 § 1 KC enthält einen nicht abschließenden Katalog von persönlichen Güter. Zu diesem gehört das persönliche Gut „Freiheit“, welches weiter auszulegen ist als nur eine reine Bewegungsfreiheit. Die Freiheit i.S.d. Art. 23 § 1 KC meint vielmehr die Möglichkeit der freien Disposition über die persönlichen Werte ohne Zwang, Anwendung von Gewalt oder Drohung durch andere Personen.857 Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit gewährleistet den Verhandlungsparteien die Selbstbestimmung über das Ob und Wie der Vornahme von Rechtsgeschäften. Sie wird sowohl durch die Vorschriften zur arglistigen Täuschung als auch durch die c.i.c. rechtlich geschützt.858 Im Rahmen des Privatrechts hat sie ihre Quelle auch in der Drittwirkung der verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit.859 Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit stellt somit einen im Rechtssystem fest verankerten Wert dar. Indem die rechtsgeschäftliche
852
Gniewek/Machnikowski/Cis/Dubis, Art. 445 Rn. 10; Kidyba/Olejniczak, Art. 445 Anm. 7. 853 Gesetz v. 23.8.1996, Dz.U. 1996 Nr. 114 Pos. 542. 854 OSNC 2005/4/69 (79); OSNC 1994/1/2 (17); Osajda/Sobolewski, Art. 23 Rn 5; Pyziak-Szafnicka/Księżak, Art. 23 Anm. 7; Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 23 Rn. 5. 855 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 23 Rn. 1 f.; SA Warszawa, Urt. v. 13.4.2011 – VI ACa 1310/10, LEX Nr. 852390; vgl. Cisek (1989), 40 f.; Grzybowski (1957), 17–19. 856 Szpunar (1979), 106. 857 Safjan/Pazdan (2012), 1237; Pietrzykowski/Pazdan., Art. 23 Rn. 13; Pyziak-Szafnicka/Księżak, Art. 23 Anm. 28; vgl. Szpunar (1979), 126. 858 Im Schrifttum wird die Meinung vertreten, dass Artt. 82 ff. KC einen ausreichenden Schutz der Freiheit gewährleisten, so Szpunar (1979), 126. Es ist aber davon auszugehen, dass dieser Schutz lückenhaft ist, und dass er unter den Umständen des Einzelfalls nicht ausreichend ist (keine Möglichkeit des Schadensersatzes für die Täuschung, falls der Vertrag keinen Vermögensschaden darstellt). 859 Siehe § 5 B I 1 a aa.
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Entscheidungsfreiheit die Freiheit des Einzelnen gewährleistet, seine persönlichen Lebensverhältnisse selbstbestimmt zu gestalten, ist sie auch Ausdruck der menschlichen Würde und Individualität und daher mit der Person eng verbunden. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit ist daher als ein rechtlich geschütztes persönliches Gut i.S.d. Art. 23 § 1 KC zu betrachten. Um einen Entschädigungsanspruch zu begründen, muss die Verletzung eines persönlichen Gutes vorliegen. Fraglich ist, wann die Entscheidungsfreiheit so beeinträchtigt ist, dass hierin eine Verletzung eines persönlichen Gutes zu sehen ist. Bei der Bestimmung des Verletzungstatbestandes ist zwischen den subjektiven und objektiven Kriterien der Verletzung persönlicher Güter zu unterscheiden. Im älteren Schrifttum860 wurde eine subjektive Betrachtungsweise der Verletzung persönlicher Güter vertreten. Eine Verletzung eines persönlichen Gutes liegt nach dieser Ansicht dann vor, wenn das psychische Wohlbefinden beeinträchtigt oder Gefühle verletzt werden.861 Gemäß der neueren Literatur und der Rechtsprechung862 ist dagegen ein objektiver Maßstab anzulegen. Ob eine Verletzung eines persönlichen Gutes vorliegt, ist demnach im Einzelfall und aus der Sicht eines durchschnittlichen vernünftigen und ehrlichen Menschen zu beurteilen.863 Die Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht stellt aus Sicht einer vernünftigen und ehrlichen Durchschnittsperson eine unzulässige Beeinflussung des rechtsgeschäftlichen Entscheidungsprozesses dar. Daher ist sie nach dem zutreffenden objektiven Maßstab als Verletzung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und damit des persönlichen Gutes zu betrachten. Entscheidendes Kriterium für die Gewährung der Entschädigung sind aber die Größe und die Intensität des erlittenen Unrechts sowie das Ausmaß der negativen Konsequenzen für den Geschädigten, die ihre Grundlage in der Verletzung des persönlichen Gutes haben.864 Das Unrecht umfasst im Falle der Verletzung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit die negativen psychischen Erlebnisse, die aus dem Vertrauensmissbrauch resultieren. Ob diese Enttäuschung intensiv genug ist, damit dem Geschädigten eine Entschädigung zugesprochen werden kann, entscheidet der Richter im Einzelfall. Anschließend muss das Verhalten des Schädigers schuldhaft begangen werden.865
860
Grzybowski (1957), 78. Grzybowski (1957), 78. 862 Szpunar (1979), 106; Pietrzykowski/Pazdan, Art. 23 Rn. 4; Kidyba/Sokołowski, Art. 24 Anm. 1; Pyziak-Szafnicka/Księżak, Art. 23 Anm. 6; OSNC 1997/6–7/93 (103, 105); OSNC-ZD 2011/2/37 (66, 73). 863 SA Warszawa, Urt. v. 12.3.2013 – I ACa 1034/12, LEX Nr. 1298984; Szpunar (1979), 106 f.; vgl. Pyziak-Szafnicka/Księżak, Art. 23 Anm. 6. 864 Pietrzykowski/Safjan, Art. 448 Rn. 16. 865 Pietrzykowski/Safjan, Art. 448 Rn. 15; Śmieja, in: FS Szpunar, 281 (288); Gniewek/Machnikowski/Cisek/Dubis, Art. 448 Rn. 2; Lewaszkiewicz-Petrykowska, Prz. Sąd 861
§ 5 Rechtsfolgen
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Die Entschädigung gem. Art. 448 KC ist, dessen Wortlaut nach, nur in Geld zu leisten. Art. 448 KC ist eine lex specialis in Bezug auf Art. 363 § 1 KC, weswegen die Naturalrestitution ausgeschlossen ist. Für die Berechnung der Entschädigung ist allein Art. 363 § 2 KC einschlägig.866 Der Geschädigte könnte eine entgeltliche Wiedergutmachung erhalten, sofern das Ausmaß der negativen Konsequenzen und die Intensität des erlittenen Unrechts dafür sprechen. Es ist aber wahrscheinlich, dass die reine Enttäuschung dafür nicht ausreichend ist. 2. Naturalrestitution nach den Regeln über den Schutz der persönlichen Güter (Art. 24 § 1 KC) Ein Anspruch auf Aufhebung des unerwünschten Vertrages könnte sich aus Art. 24 KC ergeben. Gemäß Art. 24 § 1 S. 2 KC kann die Person, deren persönliches Gut verletzt wurde, dasjenige Verhalten vom Schädiger fordern, das zur Beseitigung des Schadens führt, insbesondere eine Erklärungsabgabe mit einem bestimmten Inhalt und in einer bestimmten Form. Das Ziel dieses Anspruchs besteht in der immateriellen Kompensation der Folgen der begangenen Verletzung der persönlichen Güter.867 Diese Kompensation ist für den Geschädigten vorteilhaft, da sie unabhängig von den Voraussetzungen der deliktischen Haftung (vor allem der Schuld) eintritt.868 Das Verhalten des Schädigers muss nur rechtswidrig sein. Die Rechtswidrigkeit wird vermutet. Ihr Begriff ist ähnlich wie bei der deliktischen Haftung weit auszulegen und umfasst Verstöße gegen die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens. 869 Die Handlung, die den entstandenen Schaden beseitigen soll, muss die Art des verletzten Gutes und das Ausmaß der Verletzung, sowie die Umstände des Einzelfalles berücksichtigen und dem Geschädigten eine Satisfaktion gewähren.870 Gemäß Art. 24 § 1 S. 1 KC kann auch Unterlassung der schädigenden Handlung verlangt werden. Für den Fall des Abschlusses eines unerwünschten Vertrages kann sich hieraus ein Anspruch auf Unterlassung der Forderung der Leistung sowie auf Abgabe einer Erklärung über die Vertragsaufhebung ergeben.
1/1997, 3 (6–8); SN, Urt. v. 19.1.2007 – III CSK 358/06, LEX Nr. 277289; OSNC 2004/4/53 (18, 22); a.A. Mączyński, in: FS Szpunar, 227 (242). 866 SA Katowice, Urt. v. 8.2.2013 – V ACa 725/12, LEX Nr. 1282594. 867 Gniewek/Machnikowski/Cisek/Machnikowski2013, Art. 24 Rn. 41. 868 Gniewek/Machnikowski/Cisek/Machnikowski2013, Art. 24 Rn. 41. 869 SN, Urt. v. 16.4.1999 – II CKN 279/98, LEX Nr. 385601; SN, Urt. v. 25.10.1985 – I CR 239/82, LEX Nr. 766611; SA Warszawa, Urt. v. 7.6.2013 – I ACa 1584/12, LEX Nr. 1327625. 870 Gniewek/Machnikowski/Cisek/Machnikowski2013, Art. 24 Rn. 43.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Der Ersatz des immateriellen Schadens schließt den Ersatz des Vermögensschadens nicht aus. Der Geschädigte kann nicht nur die Aufhebung des Vertrages verlangen, sondern auch den Ersatz des Schadens, den er in der Erwartung auf den Abschluss des unerwünschten Vertrages erlitten hat. 3. Rückabwicklungsverhältnis nach Vertragsaufhebung Als Folge der Aufhebung des Vertrages mit der Wirkung ex tunc sind die erbrachten Leistungen zurückzugeben. Die Aufhebung des Vertrages führt zum Wegfall des Leistungsgrundes. Das bedeutet, dass zur Erfüllung des Vertrages erbrachte Leistungen als nicht gebührende Leistungen zu betrachten sind (condictio causa finita). Folglich sind die Regeln der Rückabwicklung gem. Art. 410 § 1 i.V.m. Art. 405 KC (ungerechtfertigte Bereicherung) einschlägig. Gemäß Art. 405 KC ist der Vermögensvorteil zurückzugeben, der auf Kosten des anderen unberechtigt erhalten wurde. Im Falle der nicht gebührenden Leistung ist die Bereicherung der Wert des Leistungsgegenstandes.871 Anders als im Schadensersatzrecht hat der Getäuschte nicht die Wahl zwischen der Naturalrestitution und dem Ersatz in Geld. Der Vermögensvorteil ist grundsätzlich in natura herauszugeben und erst, wenn dies nicht möglich ist, ist dessen Wert zurückzugeben. Die Maßstäbe für die Beurteilung der Unmöglichkeit der Herausgabe der Bereicherung sind weniger restriktiv als bei der Leistungsunmöglichkeit. Eine Unmöglichkeit liegt auch schon dann vor, wenn diese nur nach subjektiver Betrachtung besteht oder nur vorübergehend ist.872 Die Unmöglichkeit ist bspw. dann gegeben, wenn die Wiederherstellung des vorherigen Zustands mit übermäßigen Kosten oder unzumutbaren Anstrengungen verbunden wäre.873 Der Vorteil ist in dem Zustand zurückzugeben, in dem er sich im Zeitpunkt der Herausgabeforderung befand.874 Der Vorrang der Herausgabe des Vermögensvorteils in natura schützt den Schuldner vor einem missbräuchlichen Ausnutzen der Vertragsaufhebung, insbesondere, wenn die Naturalrestitution nach Art. 363 § 1 KC nicht möglich ist. Fraglich ist weiter, welcher Wert des Vermögensvorteils im Falle der Unmöglichkeit der Rückgabe in natura zu erstatten ist. Die Berechnung des Wertes erfolgt auf der Basis zweier Größen: Erstens wird die Vermögensminderung desjenigen herangezogen, auf dessen Kosten die Bereicherung erfolgte; den zweiten Wert bildet die Vergrößerung des Vermögens des Bereicherten. Weichen beide Werte stark voneinander ab, wird die Bereicherung durch den niedrigeren Wert definiert.875 Im Falle der Rückabwicklung nach den Regeln 871
Księżak, Art. 410 Rn. 8. Księżak, Art. 405 Rn. 59; Łętowska (2010), 130 f. 873 Księżak, Art. 405 Rn. 58; Resich/Pietrzykowski, Art. 405 Anm. 3 (958). 874 Księżak, Art. 405 Rn. 56. 875 Olejniczak/Mostowik (2014), 286; Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 405 Rn. 17; SN, Urt. v. 19.3.2002 – IV CKN 892/00, LEX Nr. 54380; a.A. Księżak, Art. 405 Rn. 54 (nur 872
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des Art. 24 § 1 S. 2 KC ist in erster Linie die tatsächliche Leistung von Bedeutung.876 Dieser Wert orientiert sich am Marktpreis, wobei auch andere Merkmale wie die Qualität, die Brauchbarkeit sowie der Umfang des eventuellen Vermögensvorteils den Wert der Bereicherung beeinflussen.877 Der Umfang der Erstattung (Art. 406 KC) ist mit der Regelung des § 818 I BGB vergleichbar. Der Herausgabeanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ist ausgeschlossen, wenn es ähnlich wie in § 818 III BGB ein Wegfall der Bereicherung vorliegt (Art. 409 KC). Des Weiteren ist er ausgeschlossen, wenn dem Leistenden das Fehlen des rechtlichen Grunds bekannt war, oder die Leistung nach den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens begründet war, oder die Leistung auf Erfüllung eines verjährten Anspruchs gerichtet war, oder die Leistung vor ihrer Fälligkeit erbracht wurde (Art. 411 KC). Angesichts der vielen Ausschlusstatbestände ist es für den Geschädigten oft ungünstig, einen Anspruch auf Art. 24 § 1 S. 2 KC zu gründen. Falls nur eine Partei von der Verpflichtung zur Rückgabe der Bereicherung betroffen ist, so kommt Art. 5 KC (Rechtsmissbrauch) zur Anwendung, damit die rechtliche Stellung beider Parteien ausgeglichen wird.878 III. Haftung für Dritte Das polnische Deliktsrecht kennt zwei Arten von Gehilfen, welche in Artt. 429 und 430 KC geregelt sind. Art. 429 KC regelt die Haftung des Geschäftsherrn für den mit einer Tätigkeit betrauten, selbstständigen (nicht weisungsgebundenen) Ausführenden.879 Demnach ist derjenige, der eine andere Person mit der Ausführung einer Tätigkeit beauftragt, für deren Handlungen verantwortlich. Haftungsgrund ist dabei das Verschulden bei der Auswahl des Gehilfen (culpa in eligendo). Die Betrauung mit einer Tätigkeit kann aufgrund eines rechtlichen oder faktischen Verhältnisses erfolgen.880 Für die Schadenszufügung durch den Gehilfen ist deren Rechtswidrigkeit ausreichend; ein Verschulden wird nicht vorausgesetzt.881 Des Weiteren ist ein funktionaler Zusammenhang zwischen dem Schadenseintritt und der Ausführung einer Tätigkeit des
eine Bereicherung ist von Bedeutung, eine Verminderung spielt keine Rolle); Kidyba/Sokołowski, Art. 405 Anm. 36; Serda (1988), 211. 876 SN, Urt. v. 9.8.2012 – V CSK 372/11, LEX Nr. 1231631; SN, Urt. v. 24.11.2011 – I CSK 66/11, LEX Nr. 1133784; SN, Urt. v. 5.12.2006 – II CSK 327/06, LEX Nr. 238947. 877 Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 405 Rn. 9; Łętowska (2010), 132; vgl. Serda (1988), 214 f. 878 Vgl. Łętowska (2000), 139. 879 Kidyba/Olejniczak, Art. 429 Anm. 4; Rzetecka-Gil, Art. 429 Anm. 8. 880 Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 429 Rn. 1; Pietrzykowski/Safjan, Art. 429 Rn. 4. 881 Kidyba/Olejniczak, Art. 429 Anm. 13.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Gehilfen erforderlich.882 Gemäß Art. 429 KC besteht für den Geschäftsherrn eine Exkulpationsmöglichkeit. Diese ist gegeben, wenn den Geschäftsherrn keine Schuld bei der Auswahl des Gehilfen trifft oder er eine Person oder ein Unternehmen mit einer Tätigkeit betraut, die von dieser beruflich ausgeübt wird. Die Exkulpation kann daher durch den Beweis erfolgen, dass der Geschäftsherr bei der Auswahl des Gehilfen die erforderliche Sorgfalt angewendet hat. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er dessen berufliche Qualifikationen, Erfahrung, Ausbildung und physische Fähigkeiten bei der Wahl angemessen berücksichtigt hat.883 Dagegen ist gem. Art. 430 KC derjenige, der die Ausführung einer Tätigkeit auf eigene Rechnung einer anderen Person überlässt, die bei der Ausführung unter seiner Leitung und Anweisung steht, für den bei dieser Tätigkeitsausführung schuldhaft zugefügten Schaden verantwortlich. Vorausgesetzt wird ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Geschäftsherrn und Gehilfen. Ein solches Verhältnis ist durch die Verpflichtung des Gehilfen zum Befolgen der Anordnungen des Geschäftsherrn charakterisiert.884 Das Über- und Unterordnungsverhältnis kann sowohl aufgrund einer rechtlichen als auch einer faktischen Beziehung resultieren.885 Die Betrauung mit einer Tätigkeit muss auf eine eigene Rechnung hin erfolgen, der Gehilfe mithin für den Geschäftsherrn und in dessen Interesse handeln.886 Der Schaden muss durch den Gehilfen schuldhaft zugefügt worden sein. Im Vergleich mit Art. 429 KC handelt es sich hierbei um eine verschärfte Haftung, da keine Exkulpationsmöglichkeit für den Geschäftsherrn besteht.
§ 6 Beweislastverteilung § 6 Beweislastverteilung
A. Verteilung der Beweislast im deutschen Recht Die Grundregel der Beweislastverteilung wird auch bei der Verletzung der vorvertraglichen Pflichten angewendet. Demnach trägt jede Partei die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtsnorm, aus der sich ihr Anspruch ergibt.887 Der Gläubiger ist somit dem Beweis der Pflichtverletzung, Schadensentstehung und Kausalität belastet. Im Falle des Abbruchs der Ver-
882 Rzetecka-Gil, Art. 429 Anm. 8; Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 429 Rn. 1 m.w.N. 883 Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 429 Rn. 2; Pietrzykowski/Safjan, Art. 429 Rn. 7. 884 Pietrzykowski/Safjan, Art. 430 Rn. 8. 885 Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 430 Rn. 1. 886 Gniewek/Machnikowski/Dubis, Art. 430 Rn. 1. 887 Hess (2011), 203; Schilken (2006), Rn. 503.
§ 6 Beweislastverteilung
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tragsverhandlungen muss der Geschädigte das Bestehen des Vertrauenstatbestandes, die Vornahme der Vermögensdisposition sowie die Grundlosigkeit des Verhandlungsabbruchs beweisen. Bei der Aufklärungspflichtverletzung muss er neben dem objektiven Pflichtverstoß auch den Schadenseintritt und den Ablauf des Geschehens beweisen. I. Beweis des Verschuldens Die Beweislast kann durch gesetzliche Vorschriften abweichend geregelt werden. Eine von der Grundregel abweichende Beweislastregelung wird von § 280 I 2 BGB getroffen.888 Nach dieser Vorschrift gilt für den Gläubiger die Vermutung, dass der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Der Schuldner kann sich durch den Nachweis entlasten, dass sein Verschulden nicht kausal für den entstandenen Schaden war oder dass er die Umstände, die zum Schaden führten, nicht zu vertreten hat.889 II. Beweis des Schadens Der Geschädigte hat den Eintritt eines Schadens zu beweisen. Oft fällt es dem Geschädigten jedoch schwer, einen Vollbeweis für das Entstehen und die Höhe des erlittenen Schadens zu erbringen, weswegen ihm eine Beweiserleichterung aus § 287 I ZPO zugutekommt.890 Gemäß § 287 I ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung darüber, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft, wenn dies unter den Parteien strittig ist. Hier liegt eine Beweismaßreduzierung vor, wodurch der Geschädigte nur noch eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit des Eintritts und der Höhe des Schadens zu beweisen hat.891 Die Anwendung des § 287 I ZPO beeinträchtigt nicht die objektive Beweislast der Parteien.892 Für den Beweis der Schadenshöhe ist auch der Anscheinsbeweis ausreichend.893
888 Vor der Schuldrechtsreform war der Beweis für das Verschulden bei der vorvertraglichen Pflichtverletzung problematisiert. Im Schrifttum ging man von der Erleichterung der Beweislast gem. § 282 BGB a.F. aus (Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 95). Nach der Reform bestand dazu kein Bedürfnis mehr. 889 Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 95. 890 Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 176. 891 Stein/Jonas/Leipold, § 287 Rn. 43. 892 Prütting/Gehrlein/Laumen, § 287 Rn. 2. 893 Der Geschädigte muss hierdurch bspw. nicht den exakten Preis der Waren beweisen, weil es im Handelsverkehr dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspricht, dass ein Kaufmann marktgängige Waren zum Marktpreis verkauft (BGHZ 62, 103 (105 f.); BGH, NJW 1988, 2234 (2236)).
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Für den Beweis des entgangenen Gewinns wird eine Beweiserleichterung in Gestalt einer widerlegbaren Vermutung894 aus § 252 S. 2 BGB angewandt. Der Geschädigte muss dann nur die Umstände darlegen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder aus den besonderen Umständen des Falles heraus die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt.895 Beim Beweis dieser Anknüpfungstatsachen kann zudem der Anscheinsbeweis angewendet werden.896 Für den Ersatz des Erfüllungsinteresses muss der Anspruchsteller beweisen, dass sein Verhandlungspartner bereit wäre, einen Vertrag für den Gläubiger zu günstigeren Bedingungen abzuschließen. III. Beweis der Kausalität 1. Erleichterung des Kausalitätsnachweises bei der Aufklärungspflichtverletzung Der Beweis der haftungsausfüllenden Kausalität ist vor allem in den Fällen der Aufklärungspflichtverletzung problematisch, da der Geschädigte meistens nicht umfassend nachweisen kann, wie er sich verhalten hätte, wenn eine korrekte Aufklärung stattgefunden hätte. Sowohl das Schrifttum als auch die Rechtsprechung versuchen diese für den Geschädigten nachteilige Beweislast auszugleichen. a) Beweismaßreduzierung nach § 287 I ZPO Als eine mögliche Lösung der schwierigen Beweislage des Anspruchstellers wird eine Anwendung der Beweismaßreduzierung gem. § 287 I ZPO vertreten.897 Das Beweismaß bestimmt, welchen Grad an Wahrscheinlichkeit der Richter bei seiner Überzeugungsbildung zugrunde zu legen hat. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad ist abstrakt und generell geregelt.898 Zwar spricht der Wortlaut des § 287 I ZPO von Schadensermittlung, doch ist allgemein anerkannt, dass diese Norm auch auf den Beweis der haftungsausfüllenden Kausalität angewendet werden kann.899 Für den Beweis des Ursachenzusammen-
894
MüKo/Oetker, § 252 Rn. 30. Palandt/Grüneberg, § 252 Rn. 4. 896 MüKo/Oetker, § 252 Rn. 37. 897 BGH, VersR 2006, 508 (509); VersR 2007, 700 (701); Bassler, WM 2013, 544 (554 f.); Gehrlein, DStR 2010, 350 (354); Arens, ZZP 88 (1975), 1 (4 f.); a.A. Heusel, ZBB 2012, 461 (463); Dieckmann, WM 211, 1153 (1154); Stackmann, NJW 2009, 3265 (3266). 898 Wieczorek/Schütze/Ahrens, § 286 Rn. 32; vgl. MüKo/Prütting, § 286 Rn. 28. 899 BGHZ 94, 356 (362); Baumgärtel et al./Prütting, § 9 Rn. 8; Stein/Jonas/Leipold, § 287 Rn. 18 m.w.N. in Fn. 38. 895
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hanges reicht dann bereits eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit aus.900 Die Anwendung der Beweismaßreduzierung erstreckt sich nur auf die haftungsausfüllende Kausalität, die haftungsbegründende Kausalität muss weiter gemäß den Grundsätzen des § 286 I ZPO bewiesen werden.901 Die Erheblichkeit dieses Unterschieds verliert aber an Bedeutung, wenn man den Anscheinsbeweis auch auf die haftungsbegründende Kausalität anwendet.902 Da § 287 I ZPO keine Änderung der Beweislastverteilung nach sich zieht, hat der Geschädigte die Umstände, die für einen für ihn günstigen hypothetischen Geschehensablauf sprechen, darzulegen. Dieser Beweis ist aber verhältnismäßig leicht zu führen, weil der Beweisführer seine hypothetische Entscheidung nur als überwiegend wahrscheinlich darlegen muss.903 Außerdem kann die Vermutung des sachgerechten Verhaltens in Form des Anscheinsbeweises die Beweisführung erleichtern.904 b) Anscheinsbeweis In einigen Entscheidungen des BGH wurde eine Beweisführungserleichterung in Form des gewohnheitsrechtlich anerkannten Instituts des Anscheinsbeweises angewendet.905 Dieses Rechtsinstitut ermöglicht dem Richter, aus feststehenden Tatsachen unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung Schlüsse auf das Vorliegen streitiger Tatsachenbehauptungen zu ziehen.906 Es handelt sich dabei nur um eine Erleichterung der Beweisführung, da der Anscheinsbeweis weder eine Beweismaßreduzierung noch eine Beweislastumkehr bewirkt.907 Die Voraussetzung für die Anwendung des Anscheinsbeweises ist die Typizität des Geschehensablaufes, die einen sich aus der Lebenserfahrung bestätigenden gleichförmigen Vorgang verlangt, durch den es sich erübrigt, die tatsäch-
900 BGHZ 149, 63 (66); BGH, NJW 2008, 1381, (1282); Stein/Jonas/Leipold, § 287 Rn. 43 m.w.N. in Fn. 116; MüKo/Prütting, § 287 Rn.17; Wieczorek/Schütze/Ahrens, § 287 Rn. 49. 901 BGH, NJW 2008, 1381 (1382); Wieczorek/Schütze/Ahrens, § 287 Rn. 15; Schilken (2006), Rn. 491. 902 Prütting/Gehrlein/Laumen, § 287 Rn. 7; MüKo/Prütting, § 287 Rn. 12. 903 Nickel (2004), 219. 904 BGH, NJW 2005, 3275 (3276); VersR 2006, 508 (509). 905 WM 2015, 1622 (1624); BGHZ 79, 337 (346); ZIP 1993, 1152 (1154). 906 MüKo/Prütting, § 286 Rn. 48. 907 Schilken (2006), Rn. 494; Grunsky (2008), Rn. 167; MüKo/Prütting, § 286 Rn. 51; ders. (1983), 111; Greger, VersR 1980, 1091 (1098); H. Weber (1997), 239 f.; nach a.A. führt der Anscheinsbeweis zur Beweismaßreduzierung: Musielak/Voit (2016), Rn. 838; Stein/Jonas/Leipold, § 286 Rn. 133 m.w.N. in Fn. 304.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
lichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen.908 Das bedeutet, dass der Richter aufgrund der unstreitigen oder durch Beweis festgestellten Tatsachen kraft seiner Lebenserfahrung den streitigen Vorgang zunächst einmal jedenfalls als gegeben betrachtet kann.909 Der typische Geschehensablauf setzt weiter voraus, dass der Geschädigte bei vernünftiger Betrachtungsweise nur eine Entscheidung treffen konnte, d.h. nicht mehrere Entscheidungsalternativen für ihn plausibel nebeneinander standen, die unterschiedliche Vorteile und Risiken bargen.910 Der Schädiger muss, um die Überzeugung des Richters zu erschüttern, den Gegenbeweis erbringen.911 Die Existenz eines typischen Geschehensablaufs im Falle der Verletzung der Aufklärungspflichten wird im Schrifttum bezweifelt, da es häufig schwer ist, einen typischen, lebensnahen Geschehensverlauf anzunehmen, um festzustellen, wie sich ein normaler, vernünftiger Mensch in einer bestimmten Situation verhalten hätte.912 Dieser Gedanke wird oft bei der auf einem Willensentschluss beruhenden individuellen Verhaltensweise besprochen, da es in diesen Fällen häufig an einem zur Annahme des Anscheinsbeweises tauglichen Erfahrungssatz fehlt.913 Die Rechtsprechung dagegen geht zwar davon aus, dass es für individuelle Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen grundsätzlich keinen Anscheinsbeweis gibt, aber sie bejaht dessen Anwendung, wenn im Einzelfall ein typischer Geschehensablauf vorliegt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und dermaßen das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen, individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten.914 Der Rechtsprechung ist zuzustimmen, dass auch das Wissen, die Entschlüsse oder die Gefühle einer Person häufig als typisch erscheinen können.915 Es ist nicht zu verkennen, dass sich die menschlichen Handlungen stets aus der objektiven Tätigkeit und dem subjektiven Willen zusammensetzen.916 Deswegen können in vielen Situationen auch Willensentschlüsse auf Grundlage der Lebenserfahrung vorausgesagt 908 Prütting (1983), 95; Schilken (2006), Rn. 496; vgl. Grunsky (2008), Rn. 167; Hess (2011), 205. 909 Stein/Jonas/Leipold, § 286 Rn. 130. 910 BGH, NJW 2008, 2041 (2042); NJW-RR 2007, 569 (571); a.A. Grunewald, ZIP 1994, 1162 (1165). 911 BGH, NJW 2000, 3346 (3347 f.); VersR 2006, 931 (932); NJW 2008, 2041 (2042); vgl. Hess (2011), 205; Grunsky (2008), Rn. 167. 912 Stodolkowitz, VersR 1994, 11 (14); vgl. Grunewald, ZIP 1994, 1162 (1165). 913 BGH, VersR 1981, 1153; NJW 1983, 1548 (1551); Wieczorek/Schütze/Ahrens, § 286 Rn. 107; MüKo/Prütting, § 286 Rn. 79; Grigoleit (1997), 170; Schultz, VersR 1990, 808 (809). 914 BGH, NJW 1987, 1944; BGHZ 123, 311 (317); BGH, VersR 2007, 700 (701); VersR 2009, 1551 (1552). 915 Prütting/Gehrlein/Laumen, § 286 Rn. 45; Baumgärtel et al./ders., § 12 Rn. 62; ders., JR 1982, 66 (67). 916 Schneider, MDR 1971, 535 (537).
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werden, wenn der Zweck der Entscheidung und die entscheidungswesentlichen Umstände bekannt sind.917 Demnach ist, ähnlich wie es die Rechtsprechung tut, kein völliger Ausschluss des Anscheinsbeweises in Fällen der individuellen Willensentschließungen anzunehmen. Trotz der Bedenken ist das Rechtsinstitut des Anscheinsbeweises als eine ausreichende Beweiserleichterung für den Geschädigten zu sehen.918 c) Beweislastumkehr In manchen Entscheidungen zur Verletzung der Aufklärungspflichten überwand der BGH die Beweisnot der Geschädigten durch die Annahme einer Beweislastumkehr.919 Die richterliche Beweislastumkehr hat die Aufgabe, solche Situationen im Prozess zu überwinden, in denen die Beweiswürdigung nach Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel zu keinem Ergebnis geführt hat, es also zu einem non liquet gekommen ist.920 Sie bedeutet eine Abweichung von der gesetzlichen Beweislastverteilung,921 welche mittels Modifizierung der vorhandenen Regeln erfolgt.922 Für eine solche Abweichung ist eine abstrakt-generelle Regelbildung erforderlich sowie die Darlegung der Gründe, die eine Abweichung von der Beweislastverteilung notwendig machen.923 Daraus folgt, dass die richterliche Beweislastumkehr wegen Billigkeits- und Gerechtigkeitsgründen für die Einzelentscheidung nicht angewendet werden darf. Folge der Beweislastumkehr ist die Zuweisung des Risikos der Unaufklärbarkeit einer entscheidungserheblichen Tatsache an die Gegenpartei.924 Diese Umkehr der objektiven Beweislast zwingt den Gegner zum Beweis des Gegenteils.925 Zu den Lasten des Aufklärungspflichtigen gehört es demnach zu beweisen, dass der Schaden auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten eingetreten wäre. Die relevanten Indizien dafür können sich sowohl aus dem vorangegangenen als auch aus dem nachfolgenden Verhalten des Geschädigten ergeben.926
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Grigoleit (1997), 170. Vgl. S. Lorenz (1997), 443; Nickel (2004), 216; Grunewald, ZIP 1994, 1162 (1165); Canaris (1971), 516. 919 BGHZ 61, 118 (122); BGH, NJW 1990, 1659 (1661); BGHZ 124, 151 (159); BGH, NJW 2001, 2021 (2022); Koller, EWiR 1993, 751 (752). 920 Hess (2011), 206; Wieczorek/Schütze/Ahrens, A vor § 286 Rn. 1. 921 MüKo/Prütting, § 286 Rn. 123; Baumgärtel et al./Prütting, § 19 Rn. 7, 8. 922 Prütting/Gehrlein/Laumen, § 286 Rn. 58, 71; Musielak/Voit/Foerste, § 286 Rn. 37; Baumgärtel et al./Prütting, § 19 Rn. 6. 923 Baumgärtel et al./Prütting, § 19 Rn. 8. 924 Baumgärtel et al./Prütting, § 19 Rn. 10. 925 Baumgärtel et al./Prütting, § 19 Rn. 4. 926 BGH, NJW 2012, 2427 (2432); vgl. Stumpf/Hettenbach, BB 2012, 2582 (2584). 918
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
aa) Beweislastumkehr als Folge der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens (1) Meinung der Rechtsprechung Der BGH hat keine einheitliche Begründung für die richterliche Beweislastumkehr in Fällen der Verletzung der Aufklärungspflichten. Die Beweislastumkehr wird teilweise mit den Folgen der von der Rechtsprechung angenommenen Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens verbunden und gerechtfertigt.927 Nach allgemeiner Auffassung bildet demnach die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung. In dieser Vermutung sieht die überwiegende Rechtsprechung nicht lediglich eine Beweiserleichterung i.S.d. Anscheinsbeweises928, sondern eine widerlegbare Vermutung, die der gesetzlichen Vermutung gleicht.929 Es wird vermutet, dass der Geschädigte bei einer pflichtgemäßen Aufklärung eine andere Entscheidung getroffen hätte und der Schaden nicht eingetreten wäre. Um diese Vermutung zu widerlegen, muss der Klagegegner beweisen, dass der Geschädigte auch bei einer pflichtgemäßen Aufklärung keine andere Entscheidung getroffen hätte. Erforderlich ist ein Vollbeweis, der dem Gericht die volle Überzeugung von der Unwahrheit der vermuteten Voraussetzung verschafft.930 Jedoch macht der BGH die Anwendung dieser Vermutung davon abhängig, ob der Geschädigte nur eine Möglichkeit des aufklärungsrichtigen Verhaltens hatte oder mehrere gleich vernünftige Alternativen, die zu einem Entscheidungskonflikt hätten führen können. In den Fällen eines echten Entscheidungskonflikts lehnte der BGH die Anwendung der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens sowie die damit verbundene Beweislastumkehr ab.931 Die vom BGH für das Vorliegen eines solchen Konflikts aufgestellten Kriterien werden allerdings nicht einheitlich angewendet. Ein Entscheidungskonflikt besteht beispielsweise selbst bei mehreren Handlungsalternativen nicht, wenn jede der Alternativen jeweils geeignet war, den entstandenen Schaden zu vermeiden.932 Auch in dem Beitritt zu einem Immobilienfonds unter mangelhafter Aufklärung über dessen Vorteile und Risiken wird kein Entscheidungskonflikt gesehen, da der Anleger bei richtiger Aufklärung über wichtige, die Werthaltigkeit der Anlage beeinflussende Umstände dem Fonds 927
BGH, WM 2009, 1274 (1276); WM 2010, 972 (974); WM 2011, 925 (927 f.); BGHZ 189, 13 (31); BVerfG, ZIP 2012, 164 (166). 928 BGH, NJW 2014, 2795; BGHZ 126, 217 (222); 123, 311 (315) m.w.N. 929 BGHZ 124, 151 (160); BGH, WM 2011, 925 (927); NJW 2012, 2427 (2429 f.); BGH, WM 2016 780 (781). 930 Prütting/Gehrlein/Laumen, § 284 Rn. 15; vgl. BGH, NJW 2016, 2949 (2951). 931 BGH, NJW 1981, 630 (632); BGHZ 89, 95 (103); 160, 58 (66); BGH, WM 2011, 925 (928); a.A. (bei Immobilienfonds) BGH, WM 2010, 1310 (1311 f.); WM 2010, 972 (974); vgl. Herresthal, ZBB 2009, 348 (360). 932 BGHZ 151, 5 (12).
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nicht beigetreten wäre, selbst wenn mit erheblichen Steuervorteilen geworben worden sei.933 Allein hochspekulative Geschäfte sollen davon nicht erfasst sein.934 Uneinheitliche Entscheidungen des BGH bezüglich des Entscheidungskonflikts sind aber auch in Fällen der Arzthaftung wegen Aufklärungspflichtverletzung evident. Wird eine Frau nicht über die Möglichkeit der pränatalen Untersuchung zur Feststellung einer Chromosomenanomalie der Leibesfrucht informiert, liegt nach der Rechtsprechung des BGH kein Entscheidungskonflikt vor.935 Als einziges aufklärungsgemäßes Verhalten sah das Gericht beim Bestehen einer solchen Anomalie den Schwangerschaftsabbruch an.936 In einem vergleichbaren Fall, in dem eine Patientin nicht über eine mögliche Schwangerschaft nach einer Sterilisation belehrt wurde937 oder über die Risiken einer Antikörperbildung bei einer erneuten Schwangerschaft,938 ging das Gericht dagegen vom Vorliegen eines Entscheidungskonflikts aus. In der jüngeren Rechtsprechung gab der BGH seinen früheren Standpunkt bezüglich des Entscheidungskonflikts auf, indem er nun davon ausgeht, dass es bei Kapitalanlagen überhaupt nicht darauf ankommt, ob ein Kapitalanleger bei einer gehörigen Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte.939 (2) Meinung des Schrifttums Die vom BGH gewählte Beweislastumkehr infolge der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens wird im Schrifttum überwiegend abgelehnt.940 Auf Kritik stoßen vor allem die Rechtsfolgen der vom BGH vertretenen Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens. Die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens stellt nach der überwiegenden Meinung des Schrifttums eine tatsächliche Vermutung dar, die die auf Lebenserfahrung beruhenden Schlüsse oder Erfahrungen widerspiegelt, die wegen der gewissen Normalität oder Typizität der Ereignisse einen weiteren Beweis überflüssig machen. Solche Vermutungen fallen aber nicht unter § 292 ZPO und können allein schon deswe-
933
BGH, WM 2010, 972 (974); WM 2010, 1310 (1312). BGH, WM 2010, 972 (974); WM 2010, 1310 (1312). 935 BGHZ 89, 95 (103). 936 BGHZ 89, 95 (104). 937 BGH, NJW 1981, 630 (631 f.). 938 BGH, VersR 1989, 701. 939 BGH, NJW 2012 (2427); vgl. WM 2009, 1274 (1276). 940 Dubischar, JuS 1971, 385 (388); Walter (1979), 211; Rosenberg (1956), 187; Wieczorek/Schütze/Assmann, § 292 Rn. 13; MüKo/Prütting, § 292 Rn. 27 f. Erman/Kindl, § 311 Rn. 27; MüKo/Emmerich2012, § 311 Rn. 208; Grün, NJW 1994, 1330 (1332); Baumgärtel et al./Laumen, § 14 Rn. 2; Borgmann, NJW 2012, 3217 (3220); Prütting (1983), 57 f. 934
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gen die Beweislastverteilung nicht so wie eine gesetzliche Vermutung beeinflussen.941 In dieser Vermutung wird daher nur eine Beweiserleichterung ähnlich wie beim Anscheinsbeweis gesehen.942 Eine abweichende Ansicht sieht dagegen in der Vermutung des aufklärungsgerechten Verhaltens ähnlich wie der BGH eine Rechtsfolge in Form der Beweislastumkehr.943 Diese sei auch dann zulässig, wenn dem Geschädigten mehrere plausible Verhaltensalternativen zur Wahl standen. Zweck der Aufklärung sei es, die freie Entscheidung bei Kenntnis aller entscheidungserheblichen Informationen zu ermöglichen. Der Erfolg, also das Verhalten des Geschädigten, spiele dabei keine Rolle. Hat der Geschädigte nur eine Möglichkeit eines aufklärungsrichtigen Verhaltens, ist nach dieser Ansicht keine Beweislastumkehr erforderlich, da sich das Gericht über das Bestehen des Ursachenzusammenhangs schon im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO überzeugen kann.944 Ähnlich sieht dies die neuere Rechtsprechung, die den Ausschluss der Beweislastumkehr aufgrund des Entscheidungskonfliktes nicht mehr vertritt,945 was durch das Schrifttum teilweise begrüßt wurde.946 (3) Stellungnahme Einer Qualifizierung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens als gesetzliche Vermutung steht schon die fehlende Voraussetzung zur Annahme solcher Analogie entgegen. Der Gesetzgeber hat die gesetzlichen Vermutungen explizit materiell-rechtlich geregelt.947 Auch der unterschiedliche rechtliche Ursprung beider Vermutungen spricht gegen eine Analogielösung. Die tatsächliche Vermutung ist mit der richterlichen Überzeugung verbunden, die gesetzliche Vermutung ist dagegen auch dann anzuwenden, wenn sie im Einzelfall zur Richterüberzeugung in Widerspruch steht.948 Auch bezüglich der Widerlegung führt die Analogielösung zu einem unbefriedigenden Ergebnis. Die gesetzliche Vermutung muss durch einen vollen Beweis des Gegenteils widerlegt
941 Wieczorek/Schütze/Assmann, § 292 Rn. 13; vgl. Pieckenbrock, WM 2012, 429 (439 f.). 942 Dubischar, JuS 1971, 385 (388); Rosenberg (1956), 187; Walter (1979), 211, 214; Schwab, in: FS Baumgärtel, 43 (51); Wieczorek/Schütze/Assmann, § 292 Rn. 13. 943 Roth, ZHR 154 (1990), 513 (530–533); Canaris, in: FS Hadding, 3 (24); Schwab, NJW 2012, 3274 (3276); Wolters, EWiR 2012, 549 (550); a.A. Herresthal, ZBB 2009, 348 (358). 944 Vgl. Roth, ZHR 154 (1990), 513 (528). 945 BGH, NJW 2012 (2427); vgl. WM 2009, 1274 (1276). 946 Möllers, NZG 2012, 1019 (1020); Schwab, NJW 2012, 3274 (3276); Wolters, EWiR 2012, 549 (550); Heusel, ZBB 2012, 461 (465, 467); vgl. Roth, ZHR 154 (1990), 513 (530– 533); Canaris, in: FS Hadding, 3 (24). 947 Vgl. Prütting (1983), 54; Heusel, ZBB 2012, 461 (468). 948 Vgl. Rosenberg (1956), 187.
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werden.949 Beim Anscheinsbeweis ist hingegen nur ein viel leichter zu führender Gegenbeweis erforderlich. Anders als in Fällen der Berufshaftung von Ärzten, in denen die Rechtsprechung die Beweislastumkehr angewandt hat, steht nicht der Schädiger den für den Kausalitätsnachweis erheblichen Umständen nah, sondern der Aufklärungsberechtigte. Schließlich weiß letzterer selbst am besten, welche Informationen eine wesentliche Grundlage seiner Entscheidungsfindung sind. Dies macht es der Gegenpartei praktisch unmöglich, den Beweis des Gegenteils zu erbringen. Dadurch würde nicht nur die prozessuale Waffengleichheit beeinträchtigt, sondern der Aufklärungspflichtige im Ergebnis aus einer Erfolgshaftung in Anspruch genommen.950 Die tatsächliche Vermutung bildet daher beim Vorliegen ausreichend überzeugender Erfahrungssätze einen Anscheinsbeweis, ansonsten ein Indiz.951 Wegen der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung in Bezug auf den Entscheidungskonflikt sowie der rechtlichen Betrachtung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist die Ansicht des BGH zu kritisieren. Die unklare Rechtsprechung führt zu Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Verteilung der objektiven Beweislast. bb) Beweislastumkehr wegen des Schutzzwecks der Aufklärungspflichten (1) Meinung der Rechtsprechung Der BGH begründet die Beweislastumkehr unter anderem mit dem Zweck der Aufklärungspflichten.952 In der neueren Rechtsprechung hebt der BGH sogar hervor, dass die Beweislastumkehr nicht auf der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens beruht, sondern durch den besonderen Schutzzweck der Aufklärungspflicht gerechtfertigt ist.953 Dieser Schutzzweck wird in der Gewährleistung einer sachgerechten (freien) Entscheidung über den Abschluss eines Rechtsgeschäfts gesehen.954 Er wird nach der Meinung des BGH nur dann erreicht, wenn die Unklarheiten, die durch eine Aufklärungspflichtverletzung bedingt sind, zu Lasten des Aufklärungspflichtigen gingen und dieser folglich die Nichtursächlichkeit seiner Pflichtverletzung zu beweisen hat.955 Außerdem erstrecke sich der Schutzzweck der Aufklärung auf die Vorbeugung der häufig auftretenden Beweisnot, die darin bestehe, dass sich nachträglich 949 950
Prütting/Gehrlein/Laumen, § 292 Rn. 5. Vgl. Heusel, ZBB 2012, 461 (468); Medicus, in: FS Picker, 619 (621) (Verdachtshaf-
tung). 951
Vgl. Prütting (1983), 58. BGHZ 61, 118 (121 f.); BGHZ 64, 46 (51 f.); 89, 95 (103 f.); 94, 356 (363); 124, 151 (160); BGH, NJW 2012, 2427 (2430); BGH, WM 2016, 780 (781). 953 BGH, NJW 2012, 2427 (2430). 954 BGHZ 124, 151 (160); NJW 2012, 2427 (2430). 955 BGHZ 124, 151 (160); BGH, NJW 2012, 2427 (2430); vgl. BGHZ 64, 46 (51 f.); 61, 118 (121 f.). 952
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nur schwer zuverlässig beurteilen lasse, wie der Betroffene bei rechtzeitiger Kenntnis von etwaigen schädigenden Umständen gehandelt hätte.956 Der BGH begründet die Beweislastumkehr weiter mit dem Präventionszweck der Aufklärungspflicht, da der Aufklärungspflichtige ohne Beweislastumkehr nicht viel zu befürchten hätte und sich immer darauf berufen könne, dass kaum zu beweisen sei, was der Gegenpart auf die Aufklärung hin getan hätte.957 Der BGH verweist auch auf die besondere Interessenlage der beteiligten Vertragspartner.958 Die Beweislastumkehr sei weiterhin auf solche Fälle zu begrenzen „[...] wo die Aufklärungs-, Hinweis- oder Beratungspflichten gerade dazu dienen, dem Vertragsgegner ein bestimmtes Risiko bewußt zu machen und ihm Klarheit zu geben, ob er an der ins Auge gefaßten Maßnahme festhalten will.“959. In den Entscheidungen des BGH, die die Beweislastumkehr mit dem Schutzzweck der Aufklärungspflicht begründen, wird die Beweislastumkehr unabhängig von der Frage des Entscheidungskonflikts behandelt. Dies begründet er damit, dass der Schutzzweck der Aufklärung nicht davon beeinflusst werde, ob die Person eine oder mehrere Entscheidungsalternativen hatte. Der BGH hat explizit festgestellt, dass das Abstellen auf das Fehlen eines Entscheidungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr nicht zu vereinbaren ist.960 (2) Meinung des Schrifttums Auch im Schrifttum wird teilweise eine Beweislastumkehr ausgehend vom spezifischen Schutzzweck der Aufklärungspflichten vertreten.961 Als Zwecke der Aufklärungspflicht werden die Aufdeckung und die Entschärfung von Interessenskonflikten durch die Ermöglichung der anderen Partei, über die Erheblichkeit dieses Konflikts selbst zu entscheiden, gesehen.962 Die Gegenstimmen sehen hierin eine Gleichbehandlung aller Interessenskonflikte und einen Verzicht auf den Nachweis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines anderen Verhaltens des Aufklärungsberechtigten.963 Zugleich werde dem Geschädigten die Möglichkeit gegeben, die negativen Folgen nachträglich und weitreichend auf den Aufklärungspflichtigen abzuwälzen.964 956
BGHZ 61, 118 (122). BGHZ 61, 118 (122). 958 BGHZ 61, 118 (122). 959 BGHZ 123, 311 (314). 960 BGH, NJW 2012, 2427. 961 Baumgärtel (1991), Anh. § 282 Rn. 64; Heinemann, NJW 1990, 2345 (2353); Roth, ZHR 154 (1990), 513, (531 ff.); Grigoleit (1997), 171; Schwab, NJW 2012, 3274 (3275); Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 261; Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 92; Schwarze (2008), § 33 Rn. 48. 962 Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 261; Canaris, in: FS Hadding, 3 (24). 963 Herresthal, ZBB 2009, 348 (360). 964 Herresthal, ZBB 2009, 348 (360). 957
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Grigoleit sieht dagegen die besondere Rechtfertigung der Beweislastumkehr in der Vorteilsziehung des Aufklärungspflichtigen aus dem Vertrag.965 Diese Vorteilsziehung sei deshalb besonders, weil sie einseitig die Schutzwürdigkeit des Geschädigten verstärke und weil andererseits eine Vermeidung der Vorteilsziehung aus einem nachweislich rechtswidrigen Verhalten aus rechtsethischen Gründen geboten sei.966 Bei dieser Begründung sind aber solche Fälle problematisch, in denen es zu keinem Vorteil auf der Seite des Aufklärungspflichtigen kommt, z.B. wenn die Pflicht fahrlässig verletzt wurde und es zu einem Vertragsabschluss kam, der auf der Seite des Aufklärungsberechtigten keinen Vermögensschaden verursachte. Ein anderer Teil des Schrifttums wiederum stimmt der Begründung der Beweislastumkehr, die durch die Rechtsprechung repräsentiert ist, nicht zu. Hier wird teilweise ein Zirkelschluss gesehen.967 Der Zweck der Aufklärungspflichten könne nicht als ausreichende Begründung der Beweislastumkehr gesehen werden, da jede Pflichtverletzung dazu diene, den Verletzten vor den mit der Pflichtverletzung verbundenen Schwierigkeiten und Unklarheiten zu bewahren.968 (3) Stellungnahme Wie dargestellt wurde, ist es Funktion und Zweck der Aufklärungspflichten, unter anderem den Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit und des Vermögens zu gewährleisten. Die vorvertraglichen Aufklärungspflichten ermöglichen daher dem Aufklärungsberechtigten, eine Entscheidung über den Vertragsabschluss anhand der objektiven Tatsachen zu treffen. Dieser Schutzweck erstreckt sich aber nicht auf die prozessuale Beweisnot des Geschädigten.969 Die Begründung der Beweislastumkehr mit den Beweisschwierigkeiten des Geschädigten überzeugt deswegen nicht, weil seine Entscheidungsprozesse und deren Beeinflussung durch die pflichtgemäße Aufklärung gerade zum persönlichen Wissenshorizont des Geschädigten gehören. Darüber hinaus ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich grundsätzlich jeder, der einen hypothetischen Kausalablauf beweisen soll, in Beweisnot befindet, da er etwas nachweisen muss, was in der Realität nicht stattgefunden hat.970 Daher erscheint es inkonsequent, dass das Gericht nicht im jeden Fall einer derartigen „Beweisnot“ eine Abweichung von der regelmäßigen Beweislastverteilung 965
Grigoleit (1997), 176. Grigoleit (1997), 176. 967 Canaris, in: FS Hadding, 3 (5); Grigoleit (1997), 174; Schultz, VersR 1990, 808 (810 f.). 968 Vgl. Grunewald, ZIP 1994, 1162 (1164). 969 Vgl. P. Pohlmann, in: E. Lorenz (2008), 55 (87); Grigoleit (1997), 174; Seyfarth/Rößler, VersR 2013, 837 (839); Schultz, VersR 1990, 808 (810). 970 Vgl. Walter (1979), 198 f.; 201 f. 966
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anordnet. Auch der Präventionsgedanke, auf den sich der BGH beruft, vermag nicht zu überzeugen. Damit führt er im Grunde genommen ein Reuerecht971 in Form einer fast absoluten Haftung des Schädigers ein. Da es in vielen Fällen genauso wahrscheinlich ist, dass der Geschädigte bei einer richtigen Aufklärung keine andere Entscheidung getroffen hätte, führt die Beweislastumkehr im Ergebnis zum Ersatz eines nicht erlittenen Verlusts.972 Der BGH erklärt ebenfalls nicht, warum eine solche Beweislastumkehr bei der c.i.c. im Einklang mit dem gesetzgeberischen Willen steht, obwohl dieser mit der Schuldrechtsreform 2002 keine entsprechende Regelung eingeführt hat. cc) Gesamtwürdigung Die Frage des Beweises der haftungsausfüllenden Kausalität ist in Rechtsprechung und Schrifttum strittig. Insbesondere wird die Annahme der Beweislastumkehr problematisiert. Die Begründung der Beweislastumkehr durch die Rechtsprechung sowohl mit der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens als auch dem Schutzzweck der Aufklärungspflichten überzeugt nicht. Eine analoge Anwendung der Rechtsfolgen der gesetzlichen auf die tatsächliche Vermutung ist nicht gerechtfertigt. Das Bestehen mehrerer Möglichkeiten des aufklärungsrichtigen Verhaltens des Geschädigten verursacht einen Entscheidungskonflikt, der zum Ausschluss der Anwendung der Vermutung führt. Daher hängt die Anwendung der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens oft vom Zufall ab, was zur Unsicherheiten bezüglich der Verteilung der Beweislast im Prozess führt. Sie kann deswegen keine Grundlage für eine abstrakt und allgemein gefasste Beweislastnorm sein. Die von der Vermutung verlangte Lebenserfahrung kann höchstens eine Grundlage für den Anscheinsbeweis sein, der aber zu keiner Umkehr der objektiven Beweislast führt. Auch mit dem Schutzzweck der Aufklärungspflichten lässt sich eine Beweislastumkehr nicht überzeugend begründen. Es leuchtet nicht ein, wieso gerade die Aufklärungspflichten solch eine Bedeutung haben, dass im Falle der Beweisnot der Aufklärungspflichtige das Risiko des Prozessverlustes tragen soll. Die Aufklärungspflichten schützen zwar unter anderem die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit sowie das Vermögen, aber warum sich der Schutzzweck auch auf die prozessrechtliche Ebene ausdehnen soll, bleibt fraglich. Schließlich wird anders als im Falle der Berufshaftung durch Ärzte kein absolut ge-
971 Vgl. Herresthal, ZBB 2009, 348 (359). Deswegen kommt die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens bspw. dann nicht zur Anwendung, wenn ein Steuersparmodell Triebfeder für das Verhalten des Aufklärungspflichtigen war, da derartiges Reuerecht dem Geschädigten nicht zusteht: Veil, WM 2009, 2193 (2201); vgl. Stumpf/Hettenbach, BB 2012, 2582 (2584). 972 Vgl. Göertz, BKR 2012, 368 (377); Medicus, in: FS Picker, 619 (620).
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schütztes Rechtsgut verletzt, sondern nur das Vermögen, was die Beweislastumkehr ebenfalls in Frage stellt.973 Ferner steht der Schädiger dem Entscheidungsverfahren nicht unbedingt näher als der Geschädigte selbst. Des Weiteren gehört die Beurteilung der Verhaltensalternativen des Geschädigten in den Bereich der Beweiswürdigung und nicht der Beweislastverteilung.974 Der Rückgriff auf den Anscheinsbeweis ist ausreichend, um die Belange des Geschädigten zu schützen. Die Widerlegung des Anscheinsbeweises ist bereits eine ausreichende Hürde, um die Interessen des Geschädigten zu schützen.975 Der Anscheinsbeweis findet auch für den Beweis des Willensbildungsprozesses Anwendung, da es auch in diesen Situationen möglich ist, einen Erfahrungssatz zu bilden, aufgrund dessen der Richter zu einer Überzeugung von der Existenz eines Kausalzusammenhangs gelangen kann. Der Anscheinsbeweis ist allerdings ungeeignet für die Fälle, in denen der Geschädigte mehrere plausible Entscheidungsalternativen hatte, da es hier an der erforderlichen Typizität des Geschehensablaufes mangelt. In diesen Fällen kann jedoch alternativ die Beweismaßreduzierung aus § 287 I ZPO angewendet werden, nach welcher eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichend ist, damit der Richter die Überzeugung der Existenz eines Kausalzusammenhanges gewinnt. 2. Kausalitätsnachweis beim Abbruch von Vertragsverhandlungen Beim Abbruch der Vertragsverhandlungen wird auch der Beweis für die Kausalität zwischen dem Vertrauen und der Disposition verlangt. Ähnlich wie zu den Aufklärungspflichten wird im Schrifttum die Meinung vertreten, dass die Beweislastumkehr angewendet werden solle, um die Beweisnot zu bewältigen.976 Demnach müsse im Falle des Abbruchs der Vertragsverhandlungen der Anspruchsgegner beweisen, dass der andere Teil subjektiv kein Vertrauen gefasst habe oder dieses für die Dispositionen nicht ursächlich gewesen sei. Diese Ansicht ist abzulehnen. Ähnlich wie im Falle der Aufklärungspflichtverletzung liegen die Gründe für den Willensentschluss in der Sphäre des Geschädigten und nicht des Schädigers. Für eine Beweislastumkehr bei der haftungsausfüllenden Kausalität bestehen keine überzeugenden Gründe.977 Viel-
973
Vgl. Heusel, ZBB 2012, 461 (468). Vgl. Grunewald, ZIP 1994, 1162 (1164 f.); Möllers, NZG 2012, 1019 (1021). 975 Vgl. Baumgärtel et al./Prütting, § 19 Rn. 38; Stodolkowitz, VersR 1994, 11 (15); Grunewald, ZIP 1994, 1162 (1166); Vollkommer, in: FS Baumgärtel, 585 (601) (Beweislastumkehr nur ausnahmsweise in Fällen echter Beweisnot). 976 Canaris (1971), 515 f.; vgl. Küpper (1988), 352. 977 Siehe § 6 A III 1 c cc. 974
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mehr sind als Beweiserleichterung für den Beweis der Kausalität beim Abbruch der Vertragsverhandlungen, ähnlich wie im Falle der Aufklärungspflichtverletzung, der Anscheinsbeweis sowie § 287 I ZPO ausreichend. B. Verteilung der Beweislast im polnischen Recht Anders als im deutschen Recht ist im polnischen Zivilgesetzbuch die Verteilung der Beweislast materiell-rechtlich geregelt. Gemäß Art. 6 KC trägt diejenige Partei die materielle Beweislast, welche für sich aus der Darlegung der wesentlichen Tatsachen die positiven Rechtsfolgen herleitet. Eine ähnliche Regelung enthält Art. 232 KPC, der die formale (objektive) Beweislast regelt. Der Geschädigte, der sich auf einen Anspruch aus der c.i.c. beruft, trägt dann die Beweislast für die Verletzung der vorvertraglichen Pflichten, die Schuld der anderen Partei sowie für den Schaden und die Kausalität. Im Falle der Verletzung eines persönlichen Gutes muss der Geschädigte keinen Beweis für die Rechtswidrigkeit der Verletzung erbringen, da diese gesetzlich vermutet wird. Ähnlich wie im deutschen Recht werden die Beweismittel auch im polnischen Zivilprozessrecht frei durch den Richter beurteilt (Art. 233 § 1 KPC). Für die Verbesserung der Prozessposition des Geschädigten sind im polnischen Zivilverfahrensrecht unterschiedliche Beweiserleichterungen vorgesehen, welche das notwendige Ausmaß der Prozessaktivität des Geschädigten im Beweisverfahren verringern oder die objektive Beweislast zu Gunsten des Geschädigten verschieben. I. Beweis des Schadens Für den Beweis des Schadens müssen der Eintritt des Schadens und dessen Höhe nachgewiesen werden. Der Beweis des Schadenseintritts kann durch die Anwendung der tatsächlichen Vermutung vereinfacht werden. Auch für die Berechnung der Höhe des Schadens enthält das Zivilprozessrecht eine Erleichterung. Gemäß Art. 322 KPC kann der Richter nach eigenem Ermessen die Schadenshöhe nach den Gesamtumständen des Einzelfalls bestimmen, wenn der Beweis der konkreten Schadenshöhe unmöglich oder äußerst schwierig ist. Anders als § 287 I ZPO im deutschen Recht bezieht sich diese Vorschrift nur auf die Berechnung der Schadenshöhe. Die anderen Haftungsvoraussetzungen, darunter auch der Schadenseintritt und der Kausalzusammenhang, müssen nach den allgemeinen Beweislastverteilungsgrundsätzen bewiesen werden.978 Art. 322 KPC wirkt sich nicht auf die Verteilung der objektiven Beweislast aus.979
978 Vgl. Marciniak/Piasecki/Markiewicz, Art. 322 Rn. 2; SN, Urt. v. 30.5.2000 – IV CKN 919/00, LEX Nr. 52536. 979 Marciniak/Piasecki/Markiewicz, Art. 322 Rn. 1.
§ 6 Beweislastverteilung
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II. Beweis der Schuld Anders als bei der Haftung für die c.i.c. im deutschen Recht gibt es keine Vermutung der Schuld des Schädigers. Der Geschädigte muss beweisen, dass der Schädiger mindestens die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Der Beweis kann durch die Anwendung der tatsächlichen Vermutung erleichtert werden. Hierzu muss der Geschädigte nur die Rechtswidrigkeit der Tat nachweisen, die sodann eine Grundlage für die Vermutung der Schuld bilden kann.980 III. Beweis der Kausalität Der Beweis der Kausalität dürfte im Regelfall für den Geschädigten am schwierigsten sein. Insbesondere die Ursächlichkeit einer falschen oder fehlenden Aufklärung für den Schadenseintritt ist problematisch, da es sich hierbei um interne Entscheidungsprozesse des Geschädigten handelt. Im Schrifttum werden unterschiedliche Erleichterungen der Beweisführung für die Kausalität vorgeschlagen. Manche Autoren vertreten eine aus Art. 231 KPC abgeleitete tatsächliche Vermutung, andere einen Anscheinsbeweis. 1. Tatsächliche Vermutung Die tatsächliche Vermutung ist ein hilfreiches Instrument, um die Hürde des Beweises eines fremden Entscheidungsprozesses zu überwinden. Aufgrund von Art. 231 KPC kann der Richter die Tatsachen, die für die Gerichtsentscheidung von Bedeutung sind, als gesichert annehmen, wenn sich solche Schlussfolgerung aus den schon bewiesenen Tatsachen ableiten lässt. Aus dem Wortlaut dieses Artikels lässt sich keine eindeutige Bedeutung dieser Art der Vermutung ableiten. Im Schrifttum werden hierzu unterschiedliche Ansichten vertreten: von der Annahme, dass die tatsächliche Vermutung ein einfacher Erfahrungssatz sei, bis hin zu der Feststellung, dass sie der rechtlichen Vermutung gleichzustellen sei.981 Da der polnische Gesetzgeber die gesetzlichen Vermutungen explizit materiell-rechtlich geregelt hat, ist mit dem polnischen Zivilprozessrecht nur jene Auslegung des Art. 231 KPC zu vereinbaren, welche die tatsächliche Vermutung als ein dem Indizienbeweis ähnliches Instrument begreift.982 Demnach kann das Gericht seine Überzeugung vom Vorliegen der Vermutung (wniosek domniemania) auf Grundlage der Lebenserfah-
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Vgl. Pietrzykowski/Banaszczyk, Art. 415 Rn. 53. Zur ausf. Darstellung der Auslegungsmöglichkeiten: Morawski, SP 1–2/1980, 217 (220–229). 982 Vgl. Morawski, SP 1–2/1980, 217 (235 f.); Dąbrowa (1962), 24. 981
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
rung sowie logischer Erwägungen im Hinblick auf die bereits bewiesenen Tatsachen (podstawa domniemania) erlangen.983 Diese Vermutung hat keine Auswirkung auf die Beweislastverteilung zwischen den Parteien.984 Für die Widerlegung der Vermutung ist lediglich ein Gegenbeweis nötig. Im Unterschied zum deutschen Recht sind die tatsächlichen Vermutungen jedes Mal nur für eine bestimmte Gerichtsentscheidung gebildet.985 Dementsprechend gibt es keine Möglichkeit, die Vermutung eines aufklärungsrichtigen Verhaltens für alle Fälle der Informationspflichtverletzung festzulegen. Für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung ist die Erbringung des Gegenbeweises erforderlich. Die Anwendung des prozessrechtlichen Instruments der tatsächlichen Vermutung findet ihre Grenze beim Vorliegen eines Entscheidungskonflikts des Geschädigten. 2. Anscheinsbeweis Eine weitere Beweiserleichterung des Kausalzusammenhanges besteht in Gestalt des Anscheinsbeweises. Der Anscheinsbeweis wird in Polen als dowód prima facie bezeichnet. Er wurde aus der Prozesspraxis des common law übernommen und ist bis heute ohne gesetzliche Grundlage ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Instrument der Beweisführungspraxis. Beim Anscheinsbeweis bildet der Richter auf Grundlage der eigenen Lebenserfahrung und seines Wissens eine Überzeugung über den typischen Geschehensablauf.986 Anhand dieser Überzeugung kann er sodann im konkreten Fall das Vorliegen eines adäquaten Kausalzusammenhangs als bewiesen ansehen.987 Dabei reicht die alleinige Glaubhaftmachung des Geschehensablaufes.988 Diese Beweismaßreduzierung ist richterlicher Natur und bildet eine Ausnahme von Art. 243 KPC, der die Anwendung der Glaubhaftmachung grundsätzlich nur dann erlaubt, wenn es durch das Gesetz vorgesehen ist. Lange Zeit wurde im polnischen Schrifttum dem Beweis des ersten Anscheins trotz regelmäßiger Gerichtspraxis keine Aufmerksamkeit geschenkt. Erst Ende der 1950er Jahre begann dank Alfred Ohanowicz eine Diskussion im Schrifttum.989 Die damalige Literatur
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Marciniak/Piasecki/Rejdak, Art. 231 Rn. 7. Dolecki/Wiśniewski/Dolecki, Art. 231 Anm. 4; Morawski, SP 1–2/1980, 217 (235 f.); ders., SC 32 (1982), 189 (207); vgl. SN, Urt. v. 2.12.2010 – I CSK 11/10, LEX Nr. 737365. 985 Dolecki/Wiśniewski/Dolecki, Art. 231 Anm. 10 m.w.N. 986 Marszałkowska-Krześ (2013), Rn. 250; vgl. SN, Urt. v. 15.4.2005 – I CK 653/04, LEX Nr. 369229; SN, Urt. v. 2.6.2010 – III CSK 245/09, LEX Nr. 611825. 987 Marszałkowska-Krześ (2013), Rn. 250. 988 Osajda/Sobolewski, Art. 6 Anm. 9; vgl. SN, Urt. v. 22.2.2012 – IV CSK 245/11, Legalis Nr. 480452 m.w.N. 989 PiP 5–6/1956, 908 (911 f.). 984
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sah im Anscheinsbeweis zum einen eine mit der faktischen Vermutung vergleichbare Beweiserleichterung,990 deren Anwendung auf der Wahrscheinlichkeit beruhe und zu keiner Beweislastverlagerung führe.991 Zum anderen wurde der Rückgriff auf den Anscheinsbeweis als unzulässige Anwendung der Glaubhaftmachung gesehen.992 Manche Autoren vertraten auch die Auffassung, der Anscheinsbeweis sei überflüssig, da das Institut der faktischen Vermutung eine ausreichende Beweiserleichterung für den Kausalzusammenhang darstelle.993 Die kritische Betrachtung des Anscheinsbeweises wurde Ende der sechziger Jahre aufgegeben994 und der Anscheinsbeweis ist als Beweismittel im heutigen Zivilprozess allgemein anerkannt. Das neuere Schrifttum betrachtet den Anscheinsbeweis überwiegend als ein von der tatsächlichen Vermutung unabhängiges Beweismittel.995 Auch die Auswirkung des Anscheinsbeweises auf die Beweislastverteilung wird heute im Unterschied zu den früher vertretenen Ansichten anders gesehen. Im Gegensatz zur tatsächlichen Vermutung führt der Anscheinsbeweis allgemein anerkannt zur Verlagerung der objektiven Beweislast.996 Seine Widerlegung kann daher nur durch den Beweis des Gegenteils erfolgen.997 Seine Anwendung ist begrenzt auf den Beweis des Kausalzusammenhangs998 und auf Fälle, in denen der Geschädigte die schwächere Prozesspartei ist oder die Beweiserbringung der Partei unverschuldet nicht zuzumuten ist.999 Als schwächer gestellte Partei gilt bspw. in Fällen der
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Ohanowicz, PiP 5–6/1956, 908 (912); Stefaniak, NP 10/1970, 1451 (1462); Sołtysiński, PiP 12/1971, 891 (899). Zwar nennt M. Nesterowicz (PiP 4–5/1968, 675 (680)) die Anwendung des Anscheinsbeweises für die Vermutung der Schuld (auch so: Salwa, PiP 4– 5/1957, 890 (892 f.)), aber aus den weiteren Erläuterungen ergibt sich, dass es vielmehr um einen Kausalzusammenhang geht. 991 Nesterowicz, PiP 4–5/1968, 675 (680); vgl. Nesterowicz, OSP 2009/12/134 (938). 992 Piasecki, NP 1/1960, 50 (61); ders., in: Korzan (1986), 156 (160). Kritik des Anscheinsbeweises: Safjan/Radwański/Zieliński (2012) 468. 993 Sośniak, in: FS Stefki, 329 (341). 994 Nesterowicz, PiP 4–5/1968, 675 (680); Stefaniak, NP 10/1970, 1451 ff. 995 Dolecki/Wiśniewski/Dolecki, Art. 231 Anm. 12; ders. (1998), 178 f.; Marszałkowska-Krześ (2013), Rn. 250; Morawski, SP 1–2/1980, 217 (238). 996 Dolecki/Wiśniewski/Dolecki, Art. 231 Anm. 12; ders. (1998), 178; MarszałkowskaKrześ (2013), Rn. 250; Morawski, SP 1–2/1980, 217 (239); vgl. SN, Urt. v. 2.6.2010 – III CSK 245/09, LEX Nr. 611825; SN, Urt. v. 23.3.2007 – V CSK 477/06, LEX Nr. 470003; SN, Urt. v. 15.4.2005 – I CK 653/04, LEX Nr. 369229; a.A. Janiszewska, PiM 2/2004, 104 (125 f.); Błaszczak et al./Markiewicz (2010), 93 f. 997 Morawski, SC 32 (1982), 189 (208). 998 Manche Autoren vertreten die Anwendung des Anscheinsbeweises auch bei der Schuld und bei dem Eintritt des schädigenden Ereignisses: Błaszczak et al./Markiewicz (2010), 86; Nesterowicz, PIP 4–5/1968, 675 (680); dagegen: SN, OSP 2009/12/134 (935). 999 SN, Urt. v. 23.3.2007 – V CSK 477/06, LEX Nr. 470003; SN, OSP 2009/12/134 (935); SN, Urt. v. 15.4.2005 – I CK 653/04, LEX Nr. 369229.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Arzthaftung der Patient oder ein Arbeitnehmer, der gegenüber dem Arbeitgeber seine Rechte geltend macht.1000 Fraglich ist, ob der Anscheinsbeweis auch bei der Haftung aus c.i.c. zulässig ist. Relevanz hat diese Frage insbesondere im Falle der Verletzung der Aufklärungspflichten. Da es um die eigenen Entscheidungsprozesse geht, stellt der Beweis des aufklärungsgerechten Verhaltens für den Geschädigten keine erhebliche Schwierigkeit dar. Daher ist es nicht unzumutbar, von ihm den Beweis des Kausalzusammenhangs zu fordern. Dagegen würde durch eine Verschiebung der Beweislast auf den Schädiger, dieser mit einer probatio diabolica belastet, da die Entscheidungsprozesse des Geschädigten in einer für ihn schwer zugänglichen Sphäre liegen. Im Rahmen der c.i.c. liegt keine immanent schwächere Stellung des Geschädigten vor. Dem Geschädigten stehen grundsätzlich dieselben Prozessmittel zur Verfügung wie dem Schädiger. Demnach besteht für die Anwendung des Anscheinsbeweises in den Fällen der c.i.c. kein rechtlicher Grund. 3. Richterliche Beweislastumkehr Die im polnischen Zivilprozessrecht durch Rechtsfortbildung geschaffene richterliche Beweislastumkehr ist nur in Fällen der Beweisvereitelung durch eine Prozesspartei anwendbar.1001 Eine richterliche Beweislastumkehr aufgrund des Schutzzwecks einer Norm hat sich bisher nicht im polnischen Prozessrecht etabliert. Es besteht auch kein Bedürfnis, eine solche richterliche Beweislastumkehr für die Fälle der c.i.c. zu schaffen.1002 Eine dem deutschen Recht entsprechende richterliche Beweislastumkehr als Folge der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ist mit polnischem Recht nicht zu vereinbaren. Zum einen ist eine tatsächliche Vermutung aus einer Einzelentscheidung nicht auf ähnliche Sachverhalte anwendbar.1003 Zum anderen steht die Konstruktion der richterlichen Beweislastumkehr mittels der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens im direkten Widerspruch zu der im KPC zum Ausdruck kommenden Differenzierung zwischen der gesetzlichen und der tatsächlichen Vermutung. Allein gesetzliche Vermutungen ändern die objektive Beweislast.
1000 Morawski, SP 1980, 217 (239); ders., SC 32 (1982), 189 (208); ders. (1981), 111; vgl. SN, Urt. v. 22.2.2012 – IV CSK 245/11, Legalis Nr. 480452 m.w.N. Eine immanent schwächere Stellung eines Arbeitnehmers wird aber von der Literatur immer häufiger abgelehnt: Błaszczak et al./Markiewicz (2010), 91 f. 1001 SN, Urt. v. 3.3.1971 – II PR 453/70, Legalis Nr. 15250; Osajda/Sobolewski, Art. 6 Anm. 10; Piasecki/Piasecki2010, Art. 232 Rn. 23. 1002 Siehe § 6 A III 1 c bb 3. 1003 Siehe § 6 B III 1.
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Als Beweiserleichterung für den Nachweis des Kausalzusammenhangs in Fällen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten kommt demnach allein die tatsächliche Vermutung in Frage.1004
§ 7 Verjährung § 7 Verjährung
A. Verjährung im deutschen Recht Die Ansprüche aus der c.i.c. verjähren aufgrund von § 195 BGB nach drei Jahren. Die Verjährung beginnt gem. § 199 I BGB mit Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist oder der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Gegenüber der vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz einschlägigen dreißigjährigen Verjährung stellt dies eine erhebliche Verkürzung der Verjährungsfrist dar.1005 In Fällen des Abbruchs der Vertragsverhandlungen sind die Verjährungsfristen für Ansprüche aus dem angestrebten Vertrag einschlägig, soweit diese kürzer als die dreijährige Verjährungsfrist für die c.i.c. sind.1006 So ist bspw. für Ansprüche aus der Verletzungen der Loyalitätspflichten beim Mietvertragsabschluss die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 548 BGB anzuwenden.1007 Die Anwendung der gleichen Verjährungsfristen für den Schadensersatzanspruch wie für den vertraglichen Erfüllungsanspruch des hypothetischen Vertrages ist wegen des tatsächlichen Zusammenhangs zwischen der Vertragsanbahnung und dem sich daraus ergebenden Ersatzanspruch gerechtfertigt.1008 B. Verjährung im polnischen Recht I. Anspruch aus der culpa in contrahendo (Art. 415 KC) Die Verjährung der Ansprüche aus der c.i.c. ist gem. Art. 4421 KC durch zwei Verjährungsfristen geregelt. Die kurze Verjährung beträgt drei Jahre. Die Frist 1004
So auch: Janiszewska, PiM 2/2004, 104 (128 f.); Nesterowicz, OSP 2009/12/134
(938). 1005 Vor der Schuldrechtsreform wurde die Verkürzung der Verjährungsfrist u.a. mit § 852 a.F. BGB begründet: von Bar (1980), 316 f.; Canaris, in: FS Larenz, 27 (108 f.); ders., ZGR 1982, 395 (425) – auch für die Wahrheits- und Aufklärungspflichten; Grigoleit (1997), 154; a.A. Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (119); Nirk, in: FS Möhring (1975), 71 (97). 1006 Erman/Kindl, § 311 Rn. 45 m.w.N.; Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 76; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 59; Nirk, in: FS Möhring (1975), 71 (97 f.); Tutmann (1982), 34; Soergel/Wiedemann, vor § 275 Rn. 202. 1007 BGH, NJW 2006, 1963 (1964 f.). 1008 Vgl. BGHZ 57, 191 (197).
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Schaden sowie die ersatzpflichtige Person dem Geschädigten bekannt werden. Die lange Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre und beginnt mit dem Zeitpunkt des Eintritts des schädigenden Ereignisses. II. Anspruch aus dem Schutz der persönlichen Güter (Art. 24 § 1 KC) Fraglich ist, welche Verjährung für den Anspruch auf Aufhebung des unerwünschten Vertrages gilt, wenn kein Vermögensschaden zugefügt wurde. Gemäß Art. 117 § 1 KC verjähren nur materielle Ansprüche. Da die Ansprüche aus Art. 24 § 1 KC immateriellen Charakter haben, finden die allgemeinen Verjährungsvorschriften somit keine Anwendung. Eine spezialgesetzliche Regelung der Verjährung immaterieller Ansprüche aus der Verletzung der persönlichen Güter besteht nicht. Damit unterliegen Ansprüche auf Aufhebung des Vertrages nach Art. 24 § 1 KC keiner Verjährung. Es stellt sich die Frage, ob eine Befristung dieser Ansprüche durch eine Analogie erfolgen kann. Im polnischen Recht setzt die Anwendung einer Gesetzesanalogie folgende Elemente voraus: eine Regelungslücke, eine Ähnlichkeit des konkreten Falles zum Anwendungsbereich einer Rechtsnorm sowie einen gleichlaufenden Regelungsgedanken für beide Lebenssachverhalte.1009 Nach der Rechtsprechung des SN ist eine Regelungslücke als ein Regelungsmangel zu verstehen, der nach vernünftigem Ermessen vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt worden sein konnte.1010 Die grammatische Auslegung der Verjährungsvorschriften sowie die Regelung des Schutzes von persönlichen Gütern lassen erkennen, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, die Ansprüche aus Art. 24 § 1 KC unter keine Verjährungsfrist zu stellen. Fehlt es an einer Verjährungsfrist, so ist dies als eine Form der negativen Regelung zu verstehen. Somit liegt bei Anwendung der allgemeinen Voraussetzungen an die Analogie eine erforderliche Regelungslücke nicht vor. Die Einordnung der Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 S. 2 KC als ein der Verjährung nicht unterliegender Anspruch steht aber im Widerspruch zur Ausschlussfrist von einem Jahr für die Abgabe der Anfechtungserklärung sowie zur Verjährung von gewöhnlichen Ansprüchen aus der c.i.c., welche ähnlich wie Art. 24 § 1 KC die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit schützen. Darüber hinaus lässt die Vertragsaufhebung ein Rückabwicklungsverhältnis entstehen, das gem. Art. 118 KC erst nach zehn Jahren ab dem Zeitpunkt der Vertragsaufhebung verjährt. Ein zeitlich unbeschränkter Vertragsaufhebungsanspruch führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit und steht im Widerspruch zum Prinzip der Dauerhaftigkeit von Vermögensverschiebungen. Somit stellt sich die Frage, ob eine analoge Befristung des Anspruchs aus
1009 1010
OSNC 1999/11/187 (21); OSNC 1970/6/97 (13). OSNKW 2001/9–10/81 (85); vgl. OTK-A 2004/7/62 (801).
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Art. 24 § 1 S. 2 KC doch geboten sein könnte. Neben den tatsächlichen Regelungslücken kennt das polnische Recht auch axiologische Lücken, welche nicht wegen eines Regelungsmangels, sondern der aus sozial-ethischen Gesichtspunkten negativen Beurteilung der bestehenden Rechtslage durch den Rechtsanwender zu ergänzen sind.1011 Grundsätzlich bilden sie nur sog. Scheinlücken und dürfen daher nicht durch eine analoge Anwendung anderer Vorschriften ausgefüllt werden.1012 Die Rechtsprechung lässt die Ergänzung axiologischer Lücken allerdings ausnahmsweise dort zu, wo zwar eine planmäßige Regelung vorhanden ist, deren Anwendung aber in Bezug auf den Schutz der Interessen der Mehrheit der Bevölkerung sowie die berechtigten sozialen Bedürfnisse vollkommen inadäquat wäre.1013 Fraglich ist, ob der unbefristete Anspruch auf Aufhebung des Vertrages aus Art. 24 § 1 S. 2 KC eine axiologische Regelungslücke darstellt. Sowohl die Anfechtung aus Art. 88 § 1 KC als auch die Aufhebung eines Vertrages als Folge eines Anspruchs auf Naturalherstellung aus Art. 415 KC sind zeitlich befristet. Durch die Befristung des Anspruchs wird die Rechtssicherheit von Vermögensverschiebungen gewährleistet. Eine unbefristete Anwendung von Art. 24 § 1 S. 2 KC würde eine Ausnutzung des Rechts und die Umgehung der Sperrfristen von Art. 88 § 2 und 4421 KC bedeuten. Ein unbefristeter Anspruch auf Vertragsaufhebung widerspricht zudem den Erwartungen der Gesellschaft an Rechtsicherheit. Dies spricht dafür, dass das Fehlen einer gesetzlichen Frist des Anspruchs aus Art. 24 § 1 S. 2 KC tatsächlich eine axiologische Regelungslücke darstellt, welche die Anwendung einer Analogie erlaubt. Als Bezugspunkt für eine Analogie kommen zwei Vorschriften in Betracht: Art. 88 § 2 KC, welcher die Ausschlussfrist für die Abgabe der Anfechtungserklärung regelt, sowie Art. 4421KC, der für die Verjährung der unerlaubten Handlungen maßgebend ist. Die Anfechtungserklärung ist ein Gestaltungsrecht und unterliegt als solches nicht den Verjährungsvorschriften. Gemäß Art. 88 § 2 KC ist die Anfechtungserklärung innerhalb eines Jahres nach der Kenntnisnahme eines Irrtums durch den Irregeführten abzugeben. Es besteht keine zweite zeitliche Beschränkung der Abgabe der Willenserklärung, wie dies im deutschen Recht der Fall ist (vgl. § 124 III BGB). Im Gegensatz dazu ist der Anspruch auf Aufhebung des Vertrages aus der c.i.c. gem. Art. 4421 KC durch eine drei- und zehnjährige Verjährungsfrist begrenzt. Gegen die Anwendung des Art. 88 § 2 KC spricht der Charakter der Anfechtung. Die Anfechtung stellt ein Gestaltungsrecht dar, das einer Partei erlaubt, einseitig auf das Rechtsverhältnis Einfluss zu nehmen. Dagegen ist die
1011
Morawski (2010), 237. OSNC 1995/3/48 (52); OSNC 1992/7–8/129 (69); vgl. Morawski (2010), 238; Wronkowska (2005), 104 f.; Safjan/Radwański/Zieliński (2012), 491. 1013 OSNC 1999/11/187 (22); OSNC 1970/6/97 (14 f.). 1012
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 S. 2 KC ein Anspruch, der durch den Richter zugesprochen werden kann. Zwar schützen sowohl Anfechtung als auch Art. 24 § 1 S. 2 KC die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, was für die Anwendung der Ausschlussfrist sprechen könnte. Die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung wird aber bereits durch die Ansprüche aus Art. 415 KC ausreichend geschützt. Eine Anwendung des Art. 4421 KC hingegen verhindert ein Ausnutzen der Aufhebung des unerwünschten Vertrages durch die Partei, die sich wegen Verjährung nicht mehr auf Art. 415 KC berufen kann. Die Angleichung der Verjährungsfristen für die Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 S. 2 KC und aus Art. 415 KC würde dann zu einer Vereinheitlichung der Lehre über die c.i.c. führen und einen besseren Schutz von Rechtsmissbrauch gewährleisten. Schließlich liegt der Anwendung beider Vorschriften dieselbe unerlaubten Handlung zugrunde: die Verletzung der Aufklärungspflicht, welche in beiden Fällen ihren Ursprung in den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hat. Weiterhin stellt die Vertragsaufhebung sowohl im Falle des Art. 24 § 1 S. 2 KC als auch des Art. 415 KC einen Anspruch dar, der vor Gericht geltend gemacht wird und kein Gestaltungsrecht wie im Falle der Anfechtung. Die Aufhebung des Vertrages aus Art. 24 § 1 S. 2 KC weist der Rechtsnatur nach eine größere Ähnlichkeit zur Rückabwicklung gem. Art. 415 KC als zur Anfechtung auf, weswegen die Verjährungsfristen des Art. 4421 KC Anwendung finden sollen. Dafür spricht auch der ähnliche Regelungsgedanke beider Vorschriften. Sie dienen dem Ausgleich des verletzten geschützten Interesses. Die Anfechtung hat dagegen eine besondere Schutzfunktion, die vielmehr auf die Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit gerichtet ist und nicht dem Ausgleich von Einbußen dient. Daraus folgt, dass der Anspruch auf Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 S. 2 KC frühestens nach drei Jahren ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Schadens und der Person des Anspruchsgegners, spätestens aber nach zehn Jahren ab Eintreten des schädigenden Ereignisses, verjährt.
§ 8 Konkurrenzen § 8 Konkurrenzen
A. Konkurrenzen im deutschen Recht I. Anfechtung und Vertragsaufhebung aus der culpa in contrahendo Die Frage der Konkurrenz zwischen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und der Vertragsaufhebung aus der c.i.c. ist auch nach der Schuldrechtsreform 2002 nicht abschließend geklärt. Die parallele Eröffnung des Anwendungsbereiches beider Regelungen ist aus vielerlei Hinsicht problematisch. Zum einen hat die c.i.c. gegenüber der Anfechtung einen weitergehenden Haftungsumfang, der auch die fährlässige Verletzung der Aufklärungspflichten umfasst. Zum anderen ist das Bestehen der Ausschlussfrist aus
§ 8 Konkurrenzen
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§ 124 I BGB problematisch. Bei der Anfechtung beträgt die Ausschlussfrist ein Jahr nach der Kenntnisnahme der Täuschungshandlung. Die Haftung aus der c.i.c. ist dagegen durch eine Verjährungsfrist von drei Jahren begrenzt. Ein Teil des Schrifttums sieht in § 123 BGB einen qualifizierten Tatbestand,1014 der als eine lex specialis die Ansprüche aus der c.i.c. verdrängt. Danach wäre die Vertragsaufhebung wegen der vorsätzlichen Aufklärungspflichtverletzung nur nach den Vorschriften über die arglistige Täuschung möglich. Begründet wird diese Lösung mit dem Umkehrschluss, dass eine uneingeschränkte Anwendung der Grundsätze der c.i.c. aus dem Anfechtungsrecht mit seinen Einschränkungen ein rein theoretisches „Mauerblümchen“ mache.1015 Auch besitze der Getäuschte im Falle der Täuschung ohne Vermögensschaden kein schutzwürdiges Interesse mehr, nach Ablauf der einjährigen Ausschlussfrist eine Auflösung des nicht schädigenden Vertrages zu beanspruchen.1016 Einige Stimmen lehnen die Möglichkeit der Vertragsaufhebung im Falle der fahrlässigen Täuschung gänzlich ab,1017 da der Schadensersatz in Geld eine ausreichende Alternative darstelle, die dem Einwand einer Aushöhlung von § 123 BGB nicht in gleicher Weise ausgesetzt sei.1018 Grigoleit bezieht die Fallgruppe der fahrlässigen Täuschung dagegen in den Anwendungsbereich des § 123 BGB mit ein. Seiner Meinung nach erfassen die tatbestandlichen Regelungsbereiche von § 123 BGB und die Informationshaftung aus der c.i.c. objektiv den gleichen Geschehenskomplex, d.h. die vorvertragliche Irreführung. Sie unterschieden sich insoweit nur in den subjektiven Anforderungen.1019 Um die Vereinbarkeit mit dem Abstraktionsprinzip zu bewahren, könne die Aufhebung des Vertrages aufgrund des fahrlässigen Verhaltens keine dingliche Wirkung entfalten.1020 Eine andere Meinung sieht dagegen in § 123 BGB keine gegenüber der c.i.c. spezielle Vorschrift, sondern nimmt eine freie Konkurrenz beider Regelungen zueinander an.1021 Dabei werden aber unterschiedliche Kriterien zur Abgrenzung beider Rechtsinstitute voneinander vertreten. Die Rechtsprechung verankerte die Alternativität der beiden Rechtsinstitute anfänglich auf
1014 Grigoleit, NJW 1999, 900 (903); Grunsky, EWiR 1998, 727; Medicus, JuS 1965, 209 (213 f.); Schubert, AcP 168 (1968), 470 (506). 1015 Grunsky, EWiR 1998, 727. 1016 Schubert, AcP 168 (1968), 470 (506). 1017 Canaris, ZGR 1982, 395 (416–418); Lieb, in: FS Köln, 251 (264 f.). 1018 Canaris, ZGR 1982, 395 (417); vgl. Lieb, in: FS Köln, 251 (264 f.). 1019 Grigoleit (1997), 137. 1020 Grigoleit (1997), 140. 1021 BGH, NJW 1962, 1196 (1198); NJW 1979, 1983; BGHZ 165, 363 (371) m.w.N.; Erman/Kindl, § 311 Rn. 82 m.w.N.; Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 13; Kulke, ZGS 2008, 169 (174); Finkentscher/Heinemann (2006), 62; S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1057); Tiedtke, DNotZ 1998, 355 (356); Larenz, in: FS Ballerstedt, 397 (410 f.).
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
der Rechtsfolgenebene.1022 Die Anfechtung weise im Unterschied zur schadensrechtlichen Vertragsauflösung eine dingliche Dimension auf und führe zu einer völligen Beseitigung des Rechtsgeschäftes.1023 Ihre Folgen würden somit unmittelbar gegenüber jedermann wirksam. Diese Argumentation wurde nicht zuletzt aufgrund der Kritik des Schrifttums, welches eine solche Abgrenzung als nicht ausreichend erachtete, aufgegeben.1024 Die neuere Rechtsprechung vertritt eine Abgrenzung zwischen der Anfechtung und der Haftung für die c.i.c. über die Tatbestandsebene und den jeweiligen Schutzbereich.1025 Demnach schützt die Anfechtung als ein Gestaltungsrecht die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet gegen unerlaubte Mittel der Willensbeeinflussung ohne Rücksicht auf eine eventuelle wirtschaftliche Benachteiligung des Rechtsgeschäfts.1026 Dagegen bezwecke die Haftung aus der c.i.c. den Ausgleich und die Kompensation von Vermögensnachteilen, was durch die Haftungsvoraussetzung der Zufügung eines Vermögensschadens deutlich zum Ausdruck komme.1027 Die von der Rechtsprechung aufgestellten Abgrenzungskriterien stoßen aber weiterhin im Schrifttum auf Kritik.1028 Kritisiert werden insbesondere die künstliche Definition des Vermögensschadensbegriffs sowie die Einschränkung des Schutzbereiches der c.i.c. Die Literatur sieht den entscheidenden Unterschied zwischen beiden Rechtsinstituten vielmehr in den Kausalitätsanforderungen.1029 Für die Anfechtung ist eine kausale Verbindung zwischen der Täuschung und der Abgabe der Willenserklärung erforderlich.1030 Im Falle der schadensersatzrechtlichen Vertragsaufhebung muss jedoch gelten, dass der Vertrag ohne die Täuschung überhaupt nicht abgeschlossen worden wäre. Des Weiteren existieren Stimmen im Schrifttum die zwar die freie Wahl zwischen beiden Rechtsinstituten gestatten, die Anwendung der c.i.c. aber zeitlich analog zur Anfechtung beschränken möchten.1031 Die Vertragsauflösung wäre danach analog § 124 I BGB durch eine Ausschlussfrist begrenzt. Begründet wird diese Lösung damit, dass ein länger laufender Anspruch die
1022
BGH, NJW 1962, 1196 (1198 f.) m.w.N. BGH, NJW 1962, 1196 (1198). 1024 Lieb, in: FS Köln, 251 (263) m.w.N.; Medicus, JuS 1965, 209 (211 f.); Gernhuber (1989), 197 f.; mit der Rspr. zustimmend: Nirk, in: FS Möhring (1965), 385 (405–407). 1025 Vgl. BGH, NJW 1979, 1983 f.; NJW-RR 2008, 564 (565). 1026 BGH, NJW 1979, 1983 (1984); NJW-RR 2002, 308 (309); NJW-RR 2008, 564 (565). 1027 BGH, NJW-RR 2008, 564 (565); vgl. siehe § 5 A III 1 a. 1028 Siehe § 5 A III 1 c. 1029 S. Lorenz, ZIP 1998, 1053 (1055); vgl. Fikentscher/Heinemann (2006), Rn. 95. 1030 Vgl. Erman/Arnold, § 123 Rn. 25 f. 1031 Schwarze (2008), § 33 Rn. 50 m.w.N. (Fn. 237); Westermann et al. (2013), Rn. 11/23; A. Pohlmann (2002), 115; Schöpflin, JA 1998, 356 (357); Weiler, ZGS 2002, 249 (252); Schubert, AcP 168 (1968), 470 (506); OLG Hamm, NJW-RR 1995, 205 (206). 1023
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Möglichkeit zur Spekulation mit der Wertentwicklung der Schadenshöhe eröffne, was in einer Schadenshaftung nicht erwünscht ist.1032 Im Ergebnis ist festzustellen, dass zwischen der Anfechtung und der c.i.c. kein Verhältnis lex specialis – lex generalis besteht. Erstens unterscheiden sich die beiden Vorschriften nicht nur im Hinblick auf die Kausalitätsanforderungen, sondern auch in ihrer differenzierten Wirkung. Die Anfechtung gibt dem Geschädigten die Möglichkeit einer selbstständigen Einflussnahme auf das geschlossene Rechtsgeschäft, welche immer zu einer Vertragsauflösung führt. Dagegen gewährt die Haftung für die c.i.c. lediglich einen Anspruch auf Schadensersatz, bei dem die Vertragsaufhebung nur eine Möglichkeit der Wiedergutmachung bildet, die zudem nur durch Urteilsspruch zugesprochen werden kann. Zudem erfordert der Tatbestand der Haftung für die c.i.c. einen besonderen Vertrauenstatbestand, der für den Anspruch aus § 123 BGB nicht vorausgesetzt wird.1033 Entscheidend ist auch, dass beide Rechtsinstitute völlig unterschiedliche Rechtsfolgen haben. Die Anfechtung entfaltet dingliche Folgen mit Wirkung ex tunc. Die Folgen der schadensrechtlichen Vertragsaufhebung wirken dagegen nur zwischen den beteiligten Parteien. Daher ist ein Verhältnis in Form der lex specialis zwischen beiden Ansprüchen mit guten Gründen abzulehnen. Vielmehr ist von einer alternativen Konkurrenz der Ansprüche auszugehen. Die Theorie einer alternativen Konkurrenz, welche die Anwendung der c.i.c. nur bei Eintritt eines Vermögensschadens zulässt, ist abzulehnen. Gegen diese Meinung sprechen erstens die Anforderungen an den vorausgesetzten Vermögensschaden, die weitgehend subjektiv gehalten sind,1034 und zweitens der Schutzbereich der c.i.c., der neben dem Vermögen auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit umfasst.1035 Vielmehr muss sich die Abgrenzung der Anwendungsbereiche beider Rechtsinstitute an den Kausalitätsanforderungen und den Rechtsfolgen orientieren. Eine zeitliche Beschränkung der schadensrechtlichen Aufhebung aus der c.i.c. analog § 124 I BGB ist abzulehnen. Die kurze Frist für die Abgabe der Anfechtungserklärung ist nur wegen der Drittwirkung der Anfechtung gerechtfertigt.1036 Bei der c.i.c. fehlt es an einem entsprechenden Schutzbedürfnis von Dritten. Ferner ist eine Benachteiligung der Geschädigten einer Informationspflichtverletzung gegenüber den Geschädigten von Verletzungen der anderen vorvertraglichen Pflichten nicht gerechtfertigt.1037 Die Verjährungsfrist der c.i.c. ist durch die Schuldrechtsmodernisierungsreform schon von dreißig auf drei Jahre gekürzt worden. Im Zuge der Schuldrechtsreform war dem Gesetzgeber 1032
Grigoleit, NJW 1999, 900 (903). Werres (1985), 92. 1034 Siehe § 5 A III. 1035 Siehe § 3 A II 2 b. 1036 RGZ 84, 131 (134) im Vergleich mit dem Deliktsrecht. 1037 Vgl. Fikentscher/Heinemann (2006), Rn. 95. 1033
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
die Problematik der Konkurrenz beider Rechtsinstitute durchaus bewusst1038, ohne dass er es für notwendig erachtete, eine besondere Frist für die Vertragsaufhebung einzuführen. Daraus folgt, dass die fehlende Fristenregelung nicht planwidrig ist. Die Voraussetzungen für eine Analogie liegen daher nicht vor. Es besteht demnach ein Wahlrecht des Berechtigten zwischen der Anfechtung gem. § 124 I BGB und der Vertragsaufhebung aus der c.i.c. II. Gewährleistungsrecht und Ansprüche aus der culpa in contrahendo Bis zur Schuldrechtsreform 2002 wurde in der Sachmangelgewährleistung eine abschließende Sonderregelung gesehen, die die Ansprüche aus der c.i.c. aufgrund fahrlässiger Verletzung der Aufklärungspflichten ausschloss, wenn es sich um Fehler oder zusicherungsfähige Eigenschaften der Sache handelte.1039 Da die Reform auch das Gewährleistungsrecht neu regelte und der Verkäufer seither auch bei Fahrlässigkeit zu Schadensersatz verpflichtet ist, ist die c.i.c. nicht mehr anzuwenden, soweit der Anwendungsbereich des Gewährleistungsrechts eröffnet ist.1040 Für eine Sperrwirkung der Gewährleistung gegenüber der c.i.c. spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber die Verletzung der vorvertraglichen Verpflichtung im Zusammenhang mit der Beschaffenheit der Kaufsache dem späteren Vertrag zuordnet.1041 Das bei Gewährleistungsansprüchen vorrangige Mittel der Wiedergutmachung der Nacherfüllung ist der Haftung aus der c.i.c. völlig fremd.1042 Dagegen bleibt die Anwendung der c.i.c. von den Vorschriften der Gewährleistung unberührt, soweit es um die mangelnde Aufklärung über Umstände geht, die nicht die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes betreffen, oder wenn es noch nicht zum Gefahrübergang gekommen ist.1043 Dieser grundsätzliche Vorrang des Gewährleistungsrechts wird durch die Rechtsprechung in weiteren Fällen eingeschränkt. So wird für den Fall einer vorsätzlichen Aufklärungspflichtverletzung1044 eine freie Konkurrenz zwischen Gewährleistung und c.i.c. angenommen. Die Rechtsprechung geht hier davon aus, dass der arglistig handelnde Verkäufer vor einem Schadensersatz durch Nacherfüllung auch nach dem neuen Schuldrecht nicht geschützt 1038
Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, 161. Grigoleit (1997), 219 m.w.N. insbes. Fn. 2. 1040 Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 14 m.w.N.; PWW/Stürner, § 311 Rn. 63; Rösler, AcP 207 (2007), 564 (602) m.w.N. aus der Lit.; Grigoleit/Herresthal, JZ 2003, 118 (126); Schaub, AcP 202 (2002), 757 (782 f.); a.A. Häublein, NJW 2003, 388 (393). 1041 BGH, NJW 2009, 2120 (2122). 1042 Mertens, AcP 203 (2003), 818 (826); a.A.: Häublein, NJW 2003, 388 (393) geht von einer Anspruchskonkurrenz aus. 1043 Vgl. Grigoleit (1997), 221. 1044 BGH, NJW-RR 2011, 462 (464); NJW 2010, 858 (859); NJW 2009, 2120 (2122); BGH, NJW 2016, 1815 (1817); vgl. Grigoleit (1997), 222; Kulke, ZGS 2008, 169 (173); Rösler, AcP 207 (2007), 564 (603). 1039
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würde.1045 Dagegen spricht jedoch, dass dem Käufer im Falle von Arglist des Verkäufers eine verlängerte Verjährungsfrist zusteht (§ 438 III BGB). Auch der vertragliche Ausschluss der Haftung des Verkäufers ist unwirksam, wenn dieser den Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 444 Alt. 1 BGB). Zudem steht dem Käufer ein Anspruch aus der Gewährleistung selbst dann zu, wenn ihm ein Mangel infolge grober Fahrlässigkeit verborgen geblieben ist (§ 442 I 2 BGB). Die Rechte des Käufers sind folglich durch die Gewährleistungsvorschriften ausreichend geschützt. Der Vorrang des Gewährleistungsrechts besteht somit auch in Fällen der vorsätzlichen Aufklärungspflichtverletzung. Die kaufrechtliche Rechtsmängelgewährleistung und Haftung aus der c.i.c. stehen nach der Rechtsprechung in freier Konkurrenz zueinander.1046 Dies wird vom Schrifttum zu Recht abgelehnt.1047 Die Rechtsmangelhaftung ist seit der Schuldrechtsreform 2002 entsprechend der Gewährleistung für Sachmängel gestaltet. Es wurden nicht nur Tatbestandsvoraussetzungen vereinheitlicht (§ 435 BGB), sondern auch die Rechtsfolgen (§§ 453 I, 437 BGB).1048 Aus der Begründung des Gesetzes über die Schuldrechtsreform 2002 ist der Wille des Gesetzgebers erkennbar, das Gewährleistungsrecht einheitlich zu gestalten.1049 Eine Beschränkung seines spezialgesetzlichen Vorrangs für bestimmte Unterfälle würde somit im Widerspruch zu der vom Gesetzgeber gewollten Einheitlichkeit des Gewährleistungsrechts stehen. Nach der Schuldrechtsreform besteht kein Bedürfnis mehr, die Konkurrenz der Gewährleistung für die Rechtsmängel anders als für die Sachmängel zu gestalten. B. Konkurrenzen im polnischen Recht I. Anfechtung und Vertragsaufhebung aus der culpa in contrahendo Die Frage der Konkurrenzen zwischen Anfechtung und Vertragsaufhebung stellt sich insbesondere bei der vorsätzlichen Verletzung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Diese eröffnet den Anwendungsbereich sowohl der Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 S. 2 KC als auch der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung aus Art. 86 i.V.m. Art. 88 § 1 KC. Fraglich ist, ob die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 S. 2 KC in einem Verhältnis lex specialis – lex generalis zueinander stehen. In einem spezialgesetzlichen Regelungsverhältnis muss die Hypothese der
1045
BGH, NJW 2009, 2120 (2122); vgl. Rösler, AcP 207 (2007), 564 (603). BGH, NJW 2004, 364 (365); NJW 2001, 2875; a.A. OLG Köln, ZIP 2009, 2063 (2066); Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 17; Erman/Kindl, § 311 Rn. 46. 1047 Mertens, AcP 203 (2003), 818 (829); Weiler, ZGS 2002, 249 (256). 1048 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, 217 f. 1049 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, 208 ff., 217 f., 219 f. 1046
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
speziellen Norm alle Elemente der allgemeinen Norm sowie spezifische, eigene Bestandteile beinhalten.1050 Bei der Bestimmung des Verhältnisses von konkurrierenden Normen sind ihre Adressaten sowie ihre Anwendungsbereiche zu berücksichtigen.1051 Die Anfechtung ist ein Gestaltungsrecht, das anders als ein Anspruch die Möglichkeit eröffnet, das Rechtsverhältnis einseitig zu beenden. Im Gegensatz zur Aufhebung nach Art. 24 § 1 S. 2 KC ermöglicht sie die Nichtigkeit eines Vertrages ohne richterliches Urteil. Beide Rechtsinstitute unterscheiden sich auch in ihren Voraussetzungen. Im Falle der Abgabe einer Willenserklärung muss eine Täuschung vorliegen, dagegen erfordert Art. 24 § 1 S. 2 KC den Nachweis der Verletzung eines persönlichen Gutes sowie der Folgen dieser Verletzung. Auch hinsichtlich ihres zeitlichen Anwendungsbereiches unterscheiden sich beide Anspruchsgrundlagen. Die Anfechtung unterliegt als Gestaltungsrecht keiner Verjährung, sondern nur einer einjährigen Ausschlussfrist für die Abgabe der Anfechtungserklärung. Dagegen verjährt der Anspruch aus Art. 24 § 1 S. 2 KC wie andere Ansprüche aus der c.i.c. innerhalb von drei Jahren. Daraus folgt, dass die beiden Vorschriften über keinen gemeinsamen Anwendungsbereich verfügen und daher ein spezialgesetzliches Verhältnis ausscheidet.1052 Somit kann der Berechtigte zwischen beiden Vorschriften frei wählen. Der Ablauf der Ausschlussfrist für die Anfechtung schließt die Anwendung von Art. 24 § 1 S. 2 KC nicht aus.1053 Zu klären ist weiter das Verhältnis zwischen Anfechtung und Aufhebung des Vertrages nach Art. 415 KC. Einige Stimmen sehen darin eine Kumulation der Rechte des Berechtigten,1054 wodurch jede Norm in ihrem Regelungsbereich angewendet werden könne. Eine andere Ansicht geht dagegen von einem Vorrang des Anfechtungsrechtes aus.1055 Eine dritte Meinung vertritt ein alternatives Wahlrecht des Geschädigten zwischen beiden Vorschriften und schließt die Anwendung der deliktischen Naturalrestitution aus, wenn die einjährige Ausschlussfrist für die Abgabe der Anfechtungserklärung abgelaufen ist.1056 Diese Beschränkung soll eine rechtsmißbräuchliche Umgehung der Ausschussfrist für die Anfechtung verhindern.1057 Für eine alternative Konkurrenz zwischen der Anfechtung und der c.i.c. spricht, dass die Anfechtung und die dem Anspruch auf Vertragsauflösung zugrundeliegende deliktische Haftung jeweils unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen. Der deliktische Schadensersatz soll die eingetretenen Einbußen und Nachteile des Geschädigten 1050
Ohanowicz (1963), 45. Morawski (2010), 270. 1052 Vgl. Ohanowicz (1963), 65 f. 1053 Vgl. Ohanowicz (1963), 66; Szpunar, NP 5/1964, 527 (529). 1054 Ohanowicz (1963), 65 f.; Szpunar, NP 5/1964, 527 (529); vgl. Pyziak-Szafnicka/Lewaszkiewicz-Petrykowska, Art. 86 Anm. 29. 1055 Czachórski, PiP 12/1963, 948 (951). 1056 Safjan/Łętowska/Osajda (2012), 639 f.; a.A. Ohanowicz (1963), 66. 1057 Safjan/Łętowska/Osajda (2012), 639. 1051
§ 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht
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kompensieren und bezweckt somit den Schutz des Vermögens des Geschädigten. Die Anfechtung dagegen sanktioniert primär die Verletzung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Auch angesichts der gegenüber der Anfechtung höheren Anzahl von Haftungsvoraussetzungen der deliktischen Haftung ist die Annahme eines alternativen Konkurrenzverhältnisses sachgemäß: Der Geschädigte muss für den deliktischen Anspruch nicht nur die Täuschung, sondern auch den Schadenseintritt, die Schadenshöhe sowie den Kausalzusammenhang beweisen. Einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme des Schädigers aus der deliktischen Haftung unter Umgehung der Ausschlussfrist der Anfechtung sind hierdurch bereits Schranken gesetzt. Eine analoge Anwendung der Ausschlussfrist des Art. 88 § 2 KC auf die deliktische Naturalherstellung ist daher abzulehnen II. Gewährleistung und Schadensersatzansprüche aus der culpa in contrahendo Zu prüfen ist zudem das Verhältnis von Gewährleistung und Schadensersatzansprüchen aus der c.i.c. Gemäß Art. 560 § 1 KC kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten oder eine Preisminderung verlangen, wenn der Kaufgegenstand einen Mangel aufweist. Außerdem steht dem Käufer ein Schadensersatzanspruch aus Art. 566 § 1 KC zu, es sei denn, der Verkäufer hat den Mangel nicht zu vertreten. In diesem Fall kann der Käufer nur einen Ersatz des negativen Interesses verlangen. Da die Haftung für die c.i.c. deliktischer, die Haftung aus der Gewährleistung dagegen vertraglicher Natur ist, können beide Ansprüche nebeneinander bestehen. Dies ergibt sich aus der Konkurrenzregelung des Art. 443 KC. Zwar spricht Art. 443 KC im Wortlaut über eine Nichterfüllung oder nicht ordnungsgemäße Erfüllung des Schuldverhältnisses. Jedoch ist nach allgemeiner Auffassung die Regelung nicht auf Art. 471 KC beschränkt1058 und findet somit auch für die Gewährleistung Anwendung. Dem Berechtigten kann daher sowohl ein Anspruch aus der Gewährleistung als auch der c.i.c. nebeneinander zustehen. Er kann ein Wahlrecht ausüben, die Ansprüche jedoch nicht kumulativ geltend machen.1059
§ 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht § 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht Die folgenden Anmerkungen de lege ferenda beziehen sich auf die geplante Neukodifikation des polnischen Privatrechts, welche seit 2004 durch die beim Justizministerium angesiedelte Kodifikationskommission (Komisja kodyfikacyjna) vorbereitet wird. Im Laufe der Zeit hat die Kommission mehrere 1058 1059
Safjan//Łętowska/Osajda (2012), 612. Safjan//Łętowska/Osajda (2012), 616; Pietrzykowski/Safjan, Art. 443 Rn. 13.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Entwürfe veröffentlicht, deren Regelungen für die in dieser Arbeit untersuchten vorvertraglichen Pflichten von Bedeutung sind. Dabei ist vor allem der Entwurf der Kommission aus dem Jahre 2008 beachtenswert.1060 Dieser nimmt Bezug auf das im Jahre 2006 publizierte „Grünbuch“1061 und umfasst das erste Buch eines zukünftigen Zivilgesetzbuches, welches den allgemeinen Teil des Privatrechts regeln soll. Darüber hinaus berücksichtigt die folgende Analyse zwei weitere Vorentwürfe: den Vorentwurf für die Regelung der vorvertraglichen Informationspflichten (POI) sowie den Vorentwurf für die Regelung der vertraglichen Schuldverhältnisse (PWNZ). A. Bedarf für Neukodifikation Die Kodifikationskommission folgt den Empfehlungen des Gesetzgebungsrates (Rada Legislacyjna) von 20051062, welcher die Dringlichkeit der Vorbereitung eines neuen, zeitgemäßen Zivilgesetzbuches artikuliert hatte. Sie sieht das gegenwärtige Zivilgesetzbuch als ein Relikt einer alten Epoche der Volksdemokratie, von dem man sich verabschieden sollte.1063 Das gegen eine Neukodifikation sprechende Argument der Stabilität von Rechtsverhältnissen, welche auch durch die dauernde Gültigkeit von Gesetzen gewährt würde, lehnt sie zu Gunsten der Gegenwartsnähe ab.1064 Die Neuregelegung soll die aktuellen gesellschaftlichen Werte und wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse widerspiegeln und die Rechtsanwendung erleichtern.1065 Die Richter der Zivilrechtskammer des Obersten Gerichts sowie ein Teil des Schrifttums kritisieren hingegen die Absicht der Neukodifikation.1066 Sie sehen im derzeitigen Zivilgesetzbuch eine ausreichende Regelung der privatrechtlichen Verhältnisse und betonen, dass das Zivilgesetzbuch trotz seines Alters und der Umstände seiner Entstehung eine zeitgemäße Kodifikation darstelle.1067 Als Argument gegen die Neukodifikation des Zivilgesetzbuches wird auch die mangelhafte Gesetzgebungspraxis angeführt, die im Bericht des Gesetzgebungsrates deutlich kritisiert wurde. Kritisch gesehen werden auch inkohärente Regelungen und das niedrige Niveau der gesetzgeberischen Arbeit.1068 Die mehrfache Änderung von nach der politischen Wende verabschiedeten Gesetzen zeige, dass sich die 1060 Projekt księgi pierwszej nowego kodeksu cywilnego [Entwurf des ersten Buches des neuen Zvilgesetzbuches], abrufbar unter (Stand: 9.10.2014): . 1061 Radwański (2006) – Zielona Księga: Optymalna wizja kodeksu cywilnego Rzeczypospolitej Polskiej. 1062 Veröffentlicht in: Kępiński et al., PL 1/2006, 95 (100). 1063 Radwański (2006), 198. 1064 Radwański (2006), 199 mit dem Beispiel der französischen Kodifikation. 1065 Radwański (2006), 199. 1066 Prz. Sąd. 2/2010, 104 (104–106); Andrzejewski, RPEiS 1/2014, 77 ff. m.w.N. 1067 Prz. Sąd. 2/2010, 104 (104–106). 1068 Wronkowska, PL 1/2006, 7 (8).
§ 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht
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vom Gesetzgeber beabsichtigte fortschreitende Anpassung des Zivilrechts an die Realität der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse äußerst schwierig gestalte.1069 Das Projekt zur Reformierung des polnischen Zivilrechts durch Verabschiedung eines neuen Zivilgesetzbuches nur zu dem Zweck, das Recht den veränderten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen, ist abzulehnen. Die Anpassung des Rechts an die sich verändernden politischen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse soll nach der polnischen Rechtstheorie mittels dynamisch-teleologischer Rechtsauslegung1070 und der damit verbundenen richterlichen Rechtsfortbildung1071 erfolgen. Das 1933 durch das Schuldrechtsgesetzbuch kodifizierte und fast unverändert in das Zivilgesetzbuch übernommene Schuldrecht hat gleich mehrere gravierende politische Systemwechsel überdauert. Dies ist ein Beleg für die durch richterliche Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung gewährleistete Anpassungsfähigkeit des polnischen Zivilrechts selbst an tiefgreifende Veränderungen der gesellschaftlichen Gegebenheiten. Bedauerlicherweise berücksichtigt der polnische Gesetzgeber in seiner Arbeit oftmals weder die Auslegungstätigkeit der Rechtsprechung noch den Diskussionsstand des Schrifttums mit der Folge, dass Änderungsgesetze oftmals ohne konkretes rechtliches Bedürfnis verabschiedet werden.1072 Der Kommission ist darin zuzustimmen, dass das polnische Zivilrecht, insbesondere wegen der fortschreitenden Tätigkeit der EU zur Harmonisierung des europäischen Privatrechts, einer gründlichen Reform bedarf. Vor allem ist eine Abkehr von den kasuistischen und komplexen Einzelgesetzen zugunsten der Anwendung allgemeiner Vorschriften des Zivilgesetzbuches geboten. Die Entwürfe der Kommission für den Allgemeinen Teil des Privatrechts und das Schuldrecht sind hierfür richtungsweisend. Zu begrüßen ist auch die durch die Tätigkeit der Kommission angestoßene Diskussion im Schrifttum, welche zur Verabschiedung eines ausgereiften Gesetzes einen wichtigen Beitrag leisten kann. B. Haftung für die Aufklärungspflichtverletzung I. Kommissionsentwurf des ersten Buches des Zivilgesetzbuches Der Entwurf des ersten Buches des Zivilgesetzbuchs beinhaltet eine Regelung vorvertraglicher Aufklärungspflichten in den Vorschriften zum Irrtum (Art. 117 § 1 Pkt. 2 PKC). Der Wortlaut der Regelung basiert auf dem
1069
Wronkowska, PL 1/2006, 7 (10). Morawski (2010), 160 ff. 1071 Safjan/Safjan (2012), 241. 1072 Wronkowska, PL 1/2006, 7 (10); siehe § 3 B I 2 c cc.
1070
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
DCFR.1073 Die Aufklärungspflicht umfasst solche Informationen, die aufgrund von Gesetz, Vertrag oder der guten Sitten mitgeteilt werden müssen. Für die Entscheidung, ob nach den guten Sitten eine Aufklärung notwendig ist, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dazu zählen insbesondere das zur Informationsweitergabe erforderliche Wissen, die Höhe der Beschaffungskosten für eine Information, die Möglichkeit der Verwendung anderer Informationsquellen sowie das Bewusstsein über die Bedeutung einer Information für den Entscheidungsprozess der anderen Partei. Die Entscheidung der Kodifikationskommission, die Anforderungen an die guten Sitten näher zu bestimmen, ist begrüßenswert. Aufgrund der Ähnlichkeit der guten Sitten und der zurzeit bestehenden Klausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens können die Beurteilungskriterien aus der existierenden Rechtslage in der Zukunft ein wichtiges Auslegungskriterium für die Beurteilung der Informationsverpflichtung sein. Eine Aufklärungspflichtverletzung eröffnet nicht nur die Möglichkeit zur Anfechtung des Vertrages, sondern auch zu dessen Modifikation. Gemäß Art. 125 § 1 PKC kann der Richter auf Antrag des zur Anfechtung Berechtigten den Inhalt des abgeschlossenen Rechtsgeschäftes ändern, wenn dies mit der Generalklausel der Vernunft und Billigkeit (względy rozsądku i słuszności) übereinstimmt. Das Rechtsgeschäft erhält dann den Inhalt, den man hätte erwarten können, wenn die Umstände, die eine Anfechtung rechtfertigen, nicht eingetreten wären. Diese Regelung gewährt der irrenden Partei die Möglichkeit der Wahl, ob sie das Rechtsgeschäft für nichtig erklärt oder seinen Inhalt entsprechend modifiziert. Dadurch wird der Irrende nicht vor die Wahl „alles oder nichts“ gestellt.1074 Die Regelung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Rahmen des Irrtums ist als sachgemäß zu begrüßen. Zum einen wird somit eine eindeutige Grundlage der Verpflichtung zur Aufklärung geschaffen. Zum anderen ist eine Vertragsaufhebung auch im Falle der fahrlässigen Täuschung ohne Vermögensschadenseintritt grundsätzlich möglich. Ferner wurde die Möglichkeit der Modifikation des Rechtsgeschäftes berücksichtigt, die die Erwartungen der Parteien nachträglich berücksichtigen kann. II. Vorentwurf der Regelung für die vorvertraglichen Informationspflichten Im Jahre 2010 wurde der Vorentwurf der Regelung für die vorvertraglichen Informationspflichten (POI) von den dazu beauftragten Wissenschaftlern1075
1073
Begründung zum Entwurf (siehe Fn. 1060), S. 139. Vgl. Begründung zum Entwurf (siehe Fn. 1060), S. 134. 1075 Mitglieder des Teams: U. Ernst, F. Zoll, M. Pecyna, M. Kućka. 1074
§ 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht
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erstellt1076 und der Kodifikationskommission zur Diskussion vorgelegt. Er unterscheidet drei Formen der Informationspflicht: die passive Verpflichtung zur Offenbarung von Informationen, die Verpflichtung zur Weitergabe von Informationen auf Antrag und die selbstständige Übermittlung von Informationen.1077 Die Informationspflichten wurden systematisch in drei Abschnitten zusammengefasst. Der erste Abschnitt umfasst die Informationspflichten vor dem Vertragsabschluss, der zweite Abschnitt, welcher nicht vollständig ausgearbeitet ist, enthält die besonderen Informationspflichten und der dritte Abschnitt die gemeinsamen Vorschriften. Der erste Abschnitt regelt die vorvertraglichen Aufklärungspflichten für die Geschäftsverhältnisse zwischen Unternehmern sowie zwischen Unternehmer und Verbraucher. Art. I-1 dieses Vorentwurfs soll nach dem Willen der Verfasser1078 eine allgemeine Informationspflicht begründen. Sie umfasst Informationen über die Identität des Unternehmers, dessen Namen und die Registrierungsnummer, Angaben zur behördlichen Stelle, welche die Zulassung erteilt hat, sowie zur Mitgliedschaft in Berufsverbänden. Darüber hinaus erstreckt sich die Informationspflicht auf die Angabe der Berufsbezeichnung, Informationen über die anwendbaren AGB, Garantien, Preise, Informationen zu den Haupteigenschaften des Vertragsgegenstandes, die sich nicht bereits aus den Umständen ergeben, sowie zur Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung. Die Pflicht zur Aufklärung über die Haupteigenschaften des Vertragsgegenstandes ergibt sich bereits aus der Gewährleistungshaftung, weswegen eine explizite Regelung überflüssig zu sein scheint. Diese Regelung bestätigt wieder, dass die polnische Gesetzgebung kasuistische Lösungen verfolgt. Solch eine Vorgehensweise ist auf der Ebene des europäischen Privatrechts nachvollziehbar, da es hier an einer komplexen, allgemeinen Regelung des Zivilrechts mangelt. Auf nationaler Ebene sind solche Maßnahmen aber nicht erforderlich und deswegen nicht begrüßenswert. Des Weiteren sieht der Vorentwurf eine vertragliche Haftung für die Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten vor – ein Novum gegenüber der derzeitigen Regelung. Gemäß Art. III-5 § 1 POI soll für die Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten die Haftung für die Nichterfüllung mit der Beschränkung herangezogen werden, dass der Schadensersatz die Höhe des Wertes des Vertragsgegenstandes nicht überschreiten darf. Mit dieser Verpflichtung aus Art. III-5 § 1 ist Art. III-7 POI verknüpft, der den Schutz der berechtigten Erwartungen im Falle der Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten beinhaltet. Der Inhalt des Rechtsgeschäftes ergibt sich aus
1076 Der Vorentwurf mit einem kurzen Kommentar wurde in TPP 4/2010, 69 ff. veröffentlicht. 1077 So die Autoren des Vorentwurfs: Pecyna/F. Zoll, TPP 4/2010, 74. 1078 Pecyna/F. Zoll, TPP 4/2010, 74.
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
dem, was die andere Partei vernünftigerweise bei einem Mangel an Informationen erwarten darf. III. Vorentwurf der Regelung für vertragliche Schuldverhältnisse Ein weiterer Vorentwurf umfasst die Haftung für die Nichterfüllung des Schuldverhältnisses.1079 Vorgesehen sind das Recht auf Rücktritt, Preisminderung sowie auf Schadensersatz. Laut Art. II:8 § 1 PWNZ kann der Gläubiger im Falle der Verletzung des Schuldverhältnisses seine eigene Leistung mindern oder von dem Vertrag zurücktreten. Das Recht zum Rücktritt wird durch drei Voraussetzungen beschränkt. Die erste stipuliert Art. II:9 § 1 PWNZ: Danach kann der Gläubiger dann nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Verletzung des Schuldverhältnisses unerheblich ist, die Verletzung also in einem unwesentlichen Maß dem Gläubiger das entzieht, was er aufgrund des Vertrages im Zeitpunkt von dessen Abschluss berechtigt hatte erwarten dürfen. Die zweite Beschränkung ist nur auf die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten anzuwenden: Demnach kann der Rücktritt erst dann erklärt werden, wenn die durch den Gläubiger gesetzte Nachfrist zur erwartungsgerechten Erfüllung des Schuldverhältnisses abgelaufen ist (Art. 5 § 2 POI). Für die Rücktrittserklärung ist weiterhin Art. II:8 § 2 PWNZ einschlägig, wonach die Erklärung des Rücktritts keine rechtliche Wirkung entfaltet, wenn der Schuldner die Leistung in dem vereinbarten Zustand unverzüglich nach der Erklärung erbringt. Der Vorentwurf regelt auch die Minderung. Gemäß Art. II:16 (ehem. Art. II:15) PWNZ1080 ist die Leistung in dem Verhältnis zu mindern, in dem der Wert der erfüllten Leistung aus dem gegenseitigen Schuldverhältnis zum Wert der Leistung bei pflichtgemäßer Erfüllung des Schuldverhältnisses steht. Hierbei ist der Wert der Leistung zum Zeitpunkt, in welchem die Leistung aus dem Schuldverhältnis zu erbringen war, anzusetzen (Art. II:16 § 1 S. 2 PWNZ). Der Gläubiger hat weiterhin das Recht auf einen Ausgleich des Leistungswerts,1081 d.h. er kann die Bezahlung eines Betrages in Höhe der Differenz zwischen dem Leistungswert, falls das Schuldverhältnis angemessen erfüllt würde, und der tatsächlich erfüllten Leistung verlangen. Der Schadensersatz für die Verletzung des Schuldverhältnisses wird durch Art. II:18 PWNZ geregelt. Der Gläubiger kann einen Ersatz des Schadens wegen der Verletzung des Schuldverhältnisses fordern, es sei denn, die Verletzung des Schuldverhältnisses erfolgt aus Umständen, deren Eintritt außerhalb der Kontrolle des Schuldners liegt und deren Folgen bei Beachtung angemes-
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Pecyna (2009). TPP 4/2010, 91 (110). 1081 Art. II:17 (ehem. Art. 16) PWNZ. 1080
§ 9 Anmerkungen de lege ferenda für das polnische Recht
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sener Sorgfalt auch nicht hätten vermieden werden können. Ein Schadensersatzanspruch ist dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner den Schaden nicht vorhergesehen hat oder er diesen nicht als eine Folge der Verletzung des Schuldverhältnisses im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhersehen konnte (Art. II:20 PWNZ). Die subjektive Seite der Haftung, d.h. das Außerachtlassen der angemessenen Sorgfalt, ist als Fahrlässigkeit zu verstehen.1082 Das bedeutet, dass den Schuldner jenes Risiko trifft, das mit der von ihm ausgeführten Tätigkeit üblicherweise verbunden ist und nicht außerhalb seines Machtbereiches liegt.1083 Im Einzelfall ist zu entscheiden, welche Umstände im Einflussbereich des Schuldners gestanden haben. Auffallend ist, dass der Vorentwurf die Art und Weise der Leistung des Schadensersatzes nicht regelt. Die Verfasser verstehen unter der Wiedergutmachung des Schadens sowohl die Naturalrestitution als auch einen Ersatz in Geld, ohne aber dabei festzulegen, in welcher Relation die beiden Arten zueinander stehen.1084 Die Vorschriften der Modellregelwerke,1085 in denen nur ein entgeltlicher Schadensersatz vorgesehen ist, wurden hiernach nicht zur Gänze übernommen. Der Vorentwurf sieht schließlich auch den Schadensersatz für einen immateriellen Schaden vor. Für das polnische Privatrecht bedeutet der Umstand ein Novum, dass auch im Vertragsrecht ein immaterieller Schaden ersetzbar ist. Gemäß Art. 19 PWNZ kann der Gläubiger eine Wiedergutmachung des wegen der Verletzung des Schuldverhältnisses erlittenen immateriellen Schadens verlangen, wenn dies durch die Eigenschaft des Schuldverhältnisses, das die Befriedigung des immateriellen Interesses des Gläubigers bezweckt, gerechtfertigt ist. Die im deutschen Recht bekannte Aufhebung des Vertrages wegen eines unerwünschten Vertragsschlusses ist nicht durch den Ersatz des immateriellen Schadens i.S.d. Art. 19 PWNZ umfasst, da in der vorvertraglichen Phase kein Schuldverhältnis begründet wird, dessen Eigenschaften auf die Befriedigung des immateriellen Interesses gerichtet wäre. C. Regelung des Abbruchs von Vertragsverhandlungen Die Regelung zum Vertragsabschluss befindet sich nicht in dem geplanten Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuches. Die Kodifikationskommission beabsichtigt, dieses im zweiten Buch „Schuldrecht“ zu positionieren.1086 Nach den internen Materialien der Kommission sollen sich die Parteien zur Beachtung des
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Pecyna/Walczak, 426 (434). Pecyna/Walczak, 426 (435). 1084 Pecyna/Walczak, 426 (436). 1085 DCFR, Aquis-Principles, UN-Kaufrecht. 1086 Begründung zum Entwurf (siehe Fn. 1060), S. 7. 1083
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2. Kapitel: Rechtsvergleich – die c.i.c. im deutschen und polnischen Recht
Grundsatzes von Treu und Glauben in den gegenseitigen Beziehungen verpflichten.1087 Einen Bezugspunkt für die zukünftige Regelung des grundlosen Abbruchs der Vertragsverhandlungen könnte Art. II:28 PWNZ1088 darstellen. Er regelt die Haftung des Schuldners für die Verletzung der guten Sitten bei der Ausführung des Schuldverhältnisses. Dem Gläubiger stehen dann die für die Verletzung des Schuldverhältnisses vorgesehenen Rechtsbehelfe zu, mit der Ausnahme des Rechts auf Erfüllung des Schuldverhältnisses sowie auf Schadensersatz in dem Ausmaß, in dem die ordnungsgemäße Erfüllung von der Berücksichtigung der guten Sitten abhängig ist. Die Verhandlungen sollten aber in der zukünftigen Regelung nicht als ein vorvertragliches gesetzliches Schuldverhältnis betrachtet werden. Solch eine Regelung ist völlig unnötig, da die herkömmlichen Institute die Verletzung der vorvertraglichen Pflichten in ausreichender Weise sanktionieren. Die Regelung des Verhandlungsabbruchs sollte sich daher auf die Verpflichtung zur Führung der Verhandlungen gemäß der im polnischen Recht etablierten Generalklausel der guten Sitten beschränken. Der Schadensersatzanspruch bei einem Verhandlungsabbruch sollte auch weiterhin dem deliktischen Recht zugeordnet werden. D. Stellungnahme zur geplanten Neukodifikation Die kasuistische Aufzählung der Informationen, die offenbart werden müssen, ist negativ zu beurteilen. Es gibt keine allgemeine Regelung zur Offenlegung von Informationen, die für den Abschluss eines Vertrages von erheblicher Bedeutung sind. Solch eine Verpflichtung lässt sich teilweise aus den Vorschriften über den Irrtum ableiten. Auch die Zuordnung der Haftung für die Aufklärungspflichtverletzung zur vertraglichen Haftungsart ist fragwürdig. Die Vertragswirkung wird auf das vorvertragliche Feld ausgeweitet, ohne dass die Existenz eines gesetzlichen vorvertraglichen Schuldverhältnisses angenommen wird. Ein übermäßiger Schutz des Gläubigers wird auch damit bekräftigt, dass der Anspruch auf Schadensersatz nicht mehr auf dem Verschuldensprinzip basiert. Damit kommt es zu einer massiven Verbesserung der Gläubigersituation – das genaue Gegenteil zur derzeitigen Lage. Es kann bezweifelt werden, ob diese Lösung im polnischen Privatrecht wünschenswert ist, insbesondere weil aufgrund der derzeitigen Lage die Verhandlungspartner durch die Rechtsordnung unter keinen besonderen Schutz gestellt sind. Aus der Begründung der Entwürfe lässt sich nicht eindeutig schließen, ob der Schutz auf die
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Die Informationen nach F. Zoll, in: Schulze/F. Zoll (2013), 93 (98). Art. zugefügt auf der Sitzung der Kodifikationskommission, die von 22. bis 24.1.2009 stattgefunden hat, TPP 4/2010, 91 (114). 1088
§ 10 Bedeutende Rechtsunterschiede
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vorvertragliche Phase erweitert werden soll. Auch ist durch die Rechtsprechung oder das Schrifttum keine diesbezügliche Forderung ausgesprochen worden. Gegen die dargestellten Entwürfe spricht auch die verwendete Sprache, die im Schrifttum als „inkohärent“, „kolloquial“ und „verquatscht“ bezeichnet wurde.1089 Die übermäßige Anwendung der Neologismen führt sicherlich auch nicht zur Verbesserung des Gesetzgebungszustands.1090 Zudem werden im Entwurf ein anderes Begriffssystem und eine andere Struktur angewendet, die dem polnischen Zivilgesetzbuch fremd sind. Beispielsweise ist nicht mehr von einer Nichterfüllung bzw. nicht ordnungsgemäßen Erfüllung die Rede, der Unmöglichkeit der Leistung oder deren Verzögerung, sondern von der Verletzung des Schuldverhältnisses, was nach Meinung des Verfassers1091 einen größeren Spielraum zur Auslegung eröffnen sollte. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass dieser Begriff der polnischen Rechtssprache völlig fremd ist. Die unnötige Schöpfung neuer Rechtsbegriffe würde dann besonders bei der Übernahme derzeitigen Rechtsprechung und der Literatur Probleme bereiten und die Anwendbarkeit des neuen Gesetzes stark erschweren. In der Gesamtschau besteht für eine Neukodifikation des Zivilgesetzbuches kein erhebliches Bedürfnis. Soweit ein Bedarf für die Reform einzelner Gebiete besteht, ist dieses nicht Folge des politischen Umbruchs von 1989, sondern der Rechtsanpassung an das Recht der Europäischen Union. Das Zivilgesetzbuch hat durch sein Fortbestehen über einen Zeitraum von 25 Jahren seit dem politischen Umbruch bewiesen, dass es grundsätzlich auch nach der Transformation seine Rolle erfüllt. Als Folge des Einflusses des europäischen Rechts hat es aber teilweise seine ursprüngliche Systematik verloren. Eine Reform vor allem des allgemeinen Teils des Schuldrechts ist daher geboten. Dass eine solche Reform auch ohne Neukodifizierung des gesamten Zivilgesetzbuches erfolgreich realisiert werden kann, ist durch die deutsche Schuldrechtsreform 2002 bewiesen worden.
§ 10 Bedeutende Rechtsunterschiede zwischen der polnischen und deutschen Regelung der Haftung für die culpa in contrahendo § 10 Bedeutende Rechtsunterschiede Die Regelungen der Nachbarstaaten bezüglich der Haftung für die c.i.c. weichen voneinander deutlich ab. Gemeinsam ist, dass die Verletzung der vorver-
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Prz. Sąd. 2/2010, 104 (106). Prz. Sąd. 2/2010, 104 (106). 1091 Zoll, in: Pecyna (2009), 249 (252 ff.). 1090
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traglichen Aufklärungspflichten sowie der grundlose Abbruch der Vertragsverhandlungen sanktioniert werden. Außerdem sind sie dahingehend deckungsgleich, als dass sie in der Generalklausel: im deutschen Recht das Gebot von Treu und Glauben, im polnischen Recht in den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens verankert sind. Der gewichtigste Unterschied liegt in den unterschiedlichen, im vertraglichen Vorfeld verfolgten Schutzzwecken. Das polnische Recht überträgt die Verantwortung für die Gestaltung der vorvertraglichen Phase auf die am Geschäftsverkehr beteiligten Parteien, dagegen wird diese Rolle im deutschen Recht durch die Rechtsordnung übernommen. Materiell-rechtliche Unterschiede bestehen sowohl in den Haftungsanspruchsgrundlagen als auch in der Regelung des Ersatzes des immateriellen Schadens. Das deutsche Recht zeichnet sich durch eine quasivertragliche Haftung für die Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten aus, dagegen ordnet die polnische Rechtsordnung die vorvertraglichen Pflichtverletzungen den deliktischen Haftungsregeln zu. Demgegenüber kennt das polnische Recht kein gesetzliches vorvertragliches Schuldverhältnis, das keine primäre Leistungspflicht beinhaltet, sondern nur die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Schutzpflichten. Die Eröffnung der Vertragsverhandlungen begründet im polnischen Recht keine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter sowie Interessen des Gegenparts. Erst die Verletzung der Verhaltensgrundsätze, welche sich durch die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens festlegen lassen sowie der Schadenseintritt, führen zur Begründung des Schuldverhältnisses, dessen primäre Leistungspflicht sich auf einen Schadensersatz bezieht. Die Regelung der Naturalrestitution für den immateriellen Schaden weicht in beiden Ländern voneinander ab. Zum einen genießt die Naturalrestitution im polnischen Recht keinen Vorrang vor einem entgeltlichen Schadensersatz. Zweitens ist es anders als im deutschen Recht nicht möglich, eine Wiedergutmachung des immateriellen Schadens in Form einer Naturalherstellung zu beanspruchen. Es wird nur eine entgeltliche Entschädigung vorgesehen. Die Vertragsaufhebung als Wiedergutmachung der immateriellen Einbuße ist ausschließlich aufgrund der Vorschriften über den Schutz der persönlichen Güter zu fordern. Anders aber als im deutschen Recht entsteht hier ein Rückabwicklungsverhältnis gemäß den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung. Falls die Bereicherung nicht mehr vorhanden ist, ist die Leistungserstattung ausgeschlossen. Die prozessualen Differenzen basieren hauptsächlich auf den unterschiedlichen Beweiserleichterungen, insbesondere für die haftungsausfüllende Kausalität. Das deutsche Recht vertritt vor allem die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens und die damit verbundene Verlagerung der objektiven Beweislast, die von der Rechtsprechung vertreten wird. Hinzu kommen die Anwendung des Anscheinsbeweises sowie § 287 I ZPO, der auch für den Beweis der Kausalität eine Erleichterung darstellt. Dagegen gibt es im polnischen
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Recht nur eine faktische Vermutung, die ähnlich gestaltet ist wie der Anscheinsbeweis im deutschen Recht. Die Erleichterung des Beweises der Schadenshöhe aus Art. 322 KPC findet im Gegensatz zum deutschen Recht keine Anwendung auf die Kausalität. Ebenso wird anders als im deutschen Recht die Schuld gesetzlich nicht vermutet, weswegen der Geschädigte dafür einen Vollbeweis erbringen muss. Der Vergleich der polnischen und deutschen Regelungen für die Haftung aus c.i.c. lässt eine Asymmetrie der rechtlichen Stellung der Verhandlungsparteien erkennen. Die deutsche Lösung für die c.i.c. bevorzugt den Geschädigten. Dieser muss keinen Nachweis der Schuld erbringen, ihm stehen ferner zahlreiche Instrumente der Prozessrechtsordnung wie Beweiserleichterungen und -befreiungen zur Verfügung. Außerdem eröffnet die liberale Betrachtung des Ersatzes eines immateriellen Schadens die Möglichkeit der Anwendung von § 249 BGB und der Naturalrestitution in Form der Vertragsaufhebung, die einen Vorrang vor Geldersatz genießt. Dagegen verbessern die polnischen Haftungsgrundsätze die Stellung des Schädigers im Vergleich zum Geschädigten. Dem Schädiger muss erst bewiesen werden, dass er die ihm zustehenden vorvertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt hat. Ihm muss auch nachgewiesen werden, welche Verhaltensmuster, die durch die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestimmt werden, er verletzt hat. Im Gegensatz zum deutschen Recht stehen dem Geschädigten keine umfangreichen Beweiserleichterungen zur Verfügung. Ihm kommt lediglich die tatsächliche Vermutung zugute, welche aber nicht zur Beweislastverlagerung führt. Die besondere Stellung des immateriellen Schadens im polnischen Recht sowie die zweite, zehnjährige Verjährungsfrist für die c.i.c. beschränken die Rechte des Geschädigten. Die ungleiche Verteilung der Rechte und Pflichten der Parteien in der vorvertraglichen Phase, die durch den Rechtsvergleich der deutschen und polnischen Regelung der c.i.c. sichtbar gemacht wurde, stellt für den deutsch-polnischen Geschäftsverkehr ein Hindernis dar. Die Abhängigkeit der rechtlichen Stellung der Parteien vom jeweils gem. Art. 4 Rom I-VO zur Anwendung kommenden Recht führt zu kollidierenden Bedürfnissen der Verhandlungsparteien, das jeweils für sie günstigere Recht zu vereinbaren. Im folgenden Kapitel werden daher zu den nationalen Rechten alternative rechtliche Lösungsmöglichkeiten für grenzüberschreitende Vertragsabschlüsse dahingehend untersucht, ob sie ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis der rechtlichen Stellungen der Verhandlungsparteien gewährleisten.
Kapitel 3
Harmonisierung der Rechtsunterschiede durch das internationale und europäische Privatrecht Im folgenden Kapitel werden internationale und europäische Regelwerke, die das Vertragsrecht regeln, analysiert, um die am besten geeignete rechtliche Lösung für den Ausgleich der haftungsrechtlichen Stellungen der Verhandlungsparteien im deutsch-polnischen Geschäftsverkehr zu finden. Berücksichtig werden das UN-Kaufrecht, das GEK sowie der DCFR. Des Weiteren wird geprüft, ob mittels einer Gerichtsstandsvereinbarung die rechtliche Stellung dieser Parteien im Prozess optimiert werden kann.
§ 11 Culpa in contrahendo im CISG § 11 Culpa in contrahendo im CISG
Die Idee einer internationalen Vereinheitlichung des Kaufrechts, die durch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) von 1980 verwirklicht wurde, entstammt der Zwischenkriegszeit. Ein erstes Konzept zu einem einheitlichen Kaufrecht wurde am Internationalen Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) entworfen und durch die Arbeiten von Ernst Rabel noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vorbereitet. Der Gedanke der Rechtsvereinheitlichung wurde durch den Krieg nicht obsolet. Nach 1945 setzte das UNIDROIT die Arbeit an einem Übereinkommen fort; auch durch die Haager Konferenz für internationales Privatrecht (HCCH) sollte die Angelegenheit vorangetrieben werden. Doch die Bemühungen um eine Kaufrechtsvereinheitlichung trugen wenige konkrete Früchte.1 Erst die Berufung einer im Rahmen des Unterausschusses der UN tätigen Kommission für Internationales Handelsrecht (UNCITRAL) brachte den Durchbruch und bei der diplomatischen Konferenz in Wien wurde das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf verabschiedet. Es stellt sich die Frage, ob dieses Übereinkommen geeignet ist, die aus grenzüberschreitenden Vertragsverhandlungen erwachsenden Unterschiede in 1 Das Einheitliche Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG) und das Einheitliche Gesetz über den Abschluss internationaler Kaufverträge über bewegliche Sachen (EAG) wurden nur von neun Staaten ratifiziert.
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der rechtlichen Stellung der Parteien auszugleichen. Dazu müsste das UN-Kaufrecht zunächst die Anwendung des europäischen Kollisionsrechts verdrängen und mit seinem Anwendungsbereich die c.i.c. umfassen. A. Ausschluss der Anwendung der Rom II- und Rom I-VO I. Objektive Anknüpfung der culpa in contrahendo Die Haftung für c.i.c. ordnete der Unionsgesetzgeber dem Anwendungsbereich der Rom II-VO (Art. 12) zu. Diese deliktische Einordnung der c.i.c. bezieht sich vor allem auf die Rechtsprechung des EuGH zum Brüsseler Übereinkommen in der Sache Tacconi,2 wonach derartige Schuldverhältnisse als außervertraglich anzusehen sind. Der Verhandlungsprozess nach der Sache Tacconi ist durch zwei Phasen gekennzeichnet: In der ersten Phase steht die Vertragsfreiheit im Vordergrund und die Parteien sind berechtigt, die Vertragsverhandlungen jederzeit abzubrechen. Dagegen dürfen die Parteien die Verhandlungen in der zweiten Phase nicht mehr ohne weiteres abbrechen, da zu diesem Zeitpunkt zugrunde gelegt wird, dass sich bei der anderen Partei ein Vertrauen auf den Vertragsschluss entwickelt hat.3 Der Abbruch der Verhandlungen in der zweiten Phase führt zur Haftung auf das negative Interesse.4 Ansprüche aus dem Verschulden bei Vertragsverhandlungen werden mithin gem. Art. 12 I Rom II-VO zwar als außervertragliche Schuldverhältnisse betrachtet, sind jedoch an das tatsächliche oder hypothetische Vertragsstatut anzuknüpfen unabhängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht. Das Vertragsstatut ist durch die Rom I-VO geregelt. II. Verhältnis des CISG zu Rom II- und Rom I-VO Es stellt sich die Frage, ob das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG), das am 11. April 1980 in Wien abgeschlossen wurde, die Regeln der Rom II-Verordnung verdrängt. Gemäß Art. 28 I Rom II-VO berührt die Verordnung nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören, wenn diese Übereinkommen Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Gemäß Art. 1 I CISG ist das Übereinkommen auf Kaufverträge anzuwenden, die eindeutig zu den vertraglichen Schuldverhältnissen gehören. Daraus folgt, dass die Regeln des CISG die Anwendung der Rom II-VO grundsätzlich nicht verdrängen. 2
EuGH, Slg. 2002, I-7357 (I-7383 ff.). Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 31.1.2002 – Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7359 (Anm. 65). 4 Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 31.1.2002 – Rs. C-334/00, Slg. 2002, I-7359 (Anm. 65). 3
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
Ein Ausschluss der Anknüpfung der c.i.c. könnte trotzdem nach objektiven Maßstäben begründet sein. Dazu müsste Art. 25 I Rom I-VO, der das Verhältnis der Rom I-VO zu den internationalen Übereinkommen regelt, anwendbar sein. Obwohl die c.i.c. zu den außervertraglichen Schuldverhältnissen gehört, sieht Art. 12 I Rom II-VO ihre Anknüpfung an ein Vertragsstatut vor, das durch die Rom I-VO geregelt ist. Daraus folgt: Immer dann, wenn das Vertragsstatut bestimmbar ist, ist Art. 25 I Rom I-VO einschlägig. Dem Wortlaut des Art. 25 I Rom I-VO nach werden die Regeln des internationalen Übereinkommens durch die Vorschriften der Verordnung nicht berührt, wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung Vertragsstaaten sind und das Übereinkommen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthält. Dieser Vorrang des Übereinkommens gilt dann nicht mehr, wenn das Übereinkommen ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossen ist und die Bereiche betrifft, die in der Rom I-Verordnung geregelt sind. Fraglich ist, ob das CISG als solches Übereinkommen die Regeln der Verordnung verdrängt. Das Übereinkommen trat in Deutschland am 1. Januar 19905, in Polen am 1. Juni 1996 in Kraft.6 Dementsprechend gehören sowohl Deutschland als auch Polen vor der Annahme der Rom I-VO zum internationalen Übereinkommen. Außer Polen und Deutschland gilt das Übereinkommen in 85 Staaten,7 weswegen der Ausschlussgrund aus Art. 25 II Rom I-VO keine Anwendung findet. Gemäß Art. 1 I lit. a CISG ist die Konvention dann anwendbar, wenn die Parteien Niederlassungen in verschiedenen Staaten haben und diese Staaten, Vertragsstaaten sind. Diese Regelung stipuliert eine autonome Anwendung des Übereinkommens, wodurch die Konvention unmittelbar und ohne weitere Zwischenschaltung des Kollisionsrechtes anzuwenden ist.8 Art. 1 I lit. a CISG bildet damit eine einseitige Kollisionsnorm,9 die die Regeln der Rom I-Verordnung verdrängt. III. Eröffnung des Anwendungsbereiches des CISG Es stellt sich zudem noch die Frage, ob der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist, so dass es tatsächlich zum Ausschluss der Anknüpfung an die Rom I-VO kommt. Zunächst müssen die Parteien in unterschiedlichen Vertragsstaaten eine Niederlassung oder gem. Art. 10 CISG einen gewöhnlichen Aufenthalt haben. 5
BGBl. II 1989, 588, berichtigt BGBl. I 1990, 1699. Dz.U. 1997 Nr. 45 Pos. 286. 7 Stand v. 7.1.2017. 8 MüKo/Huber, Art. 1 Rn. 39; Staudinger/Magnus, Art. 1 Rn. 85; Bamberger/Roth/Saenger, Art. 1 Rn. 14. 9 MüKo/Huber, Art. 1 Rn. 41 ff.; Hermanowski/Jastrzębski, Art. 1 Anm. 6; Bianca/Bonell/Jayme, Art. 1 Anm. 1.2. 6
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Bei einer Niederlassung handelt es sich um den Ort, von dem aus die betroffene Person in gewisser Selbstständigkeit in nach außen gerichteter Weise und mit einiger Dauerhaftigkeit am Wirtschaftsverkehr teilnimmt.10 Beim Bestehen mehrerer Niederlassungen ist nach Art. 10 lit. a CISG die Niederlassung maßgebend, die unter Berücksichtigung der vor oder bei Vertragsschluss den Parteien bekannten oder von ihnen in Betracht gezogenen Umständen, die engste Verbindung zum Vertrag und zu dessen Erfüllung hat. Wenn kein Ausschluss der Anwendung nach Art. 2 CISG vorliegt und eine oder beide Parteien keine Niederlassung haben, wird ausnahmsweise an dem gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft. Als solcher gilt der Ort, an dem sich die Partei über einen längeren Zeitraum hinweg aufhält oder beabsichtigt, länger anwesend zu sein.11 Bei der Anwendung des Übereinkommens kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit der Parteien an oder darauf, ob sie Kaufleute sind, oder ob der Vertrag handelsrechtlicher oder bürgerlich-rechtlicher Art ist. Allerdings wird vorausgesetzt, dass es sich nicht um Verbrauchergeschäfte handelt. Weitere Voraussetzung für die Anwendung des Übereinkommens ist ein Kaufvertrag über Waren. Ähnlich wie beim Begriff der Niederlassung beinhaltet das Übereinkommen auch hinsichtlich des Kaufs von Waren keine Legaldefinition. Aus der Regelung der Pflichten des Käufers und des Verkäufers (Artt. 30 ff., 53 ff. CISG) ergibt sich, dass es sich hierbei um solche Verträge handelt, in denen sich der eine Teil zur Lieferung von Ware und zur Beschaffung des Eigentums verpflichtet, während der andere Teil den Kaufpreis zu zahlen hat. Darauf, ob das Eigentum nach der Vorstellung der Parteien mit Abschluss des Kaufes auch übergeht, kommt es nicht an.12 Diese Definition ist mit der durch § 433 BGB oder Art. 532 KC festgelegten Typisierung des Kaufvertrages vergleichbar. Den Kaufverträgen stehen nach Art. 3 I CISG die Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Ware gleich, es sei denn, der Besteller muss einen wesentlichen Teil der für die Herstellung oder Erzeugung notwendigen Stoffe selbst beschaffen. Dagegen bleiben die Verträge außen vor, bei denen der überwiegende Teil der Pflichten der Partei, die die Ware liefert, in der Ausführung von Arbeiten oder anderen Dienstleistungen besteht. Außerhalb des Anwendungsbereiches liegen außerdem Kaufverträge, die bei Versteigerungen oder im Rahmen von Zwangsvollstreckungen, oder anderen gerichtlichen Maßnahmen abgeschlossen werden. Der Vertragsgegenstand darf sich allein auf die Waren beziehen. Darunter versteht man bewegliche, körperliche Gegenstände, mithin keine Immobilien oder Rechte.13 Das Übereinkommen findet deshalb keine Anwendung auf den Kauf 10
MüKo/Huber, Art. 1 Rn. 26; Bamberger/Roth/Saenger, Art. 1 Rn. 10; vgl. Staudinger/Magnus, Art. 1 Rn. 63; Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 1 Rn. 46. 11 MüKo/Gruber, Art. 10 Rn. 6 f. 12 MüKo/Huber, Art. 1 Rn. 4. 13 Staudinger/Magnus, Art. 1 Rn. 42; Bamberger/Roth/Saenger, Art. 1 Rn. 6.
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
von Unternehmen, Geschäftsanteilen und Schutzrechten. Auch werden solche Waren durch den Anwendungsbereich des CISG nicht umfasst, die gem. Art. 2 CISG für den persönlichen und familiären Gebrauch bestimmt sind, sowie Wertpapiere, Zahlungsmittel, See-, und Binnenschiffe, Luftkissenfahrzeuge, Luftfahrzeuge und elektrische Energie. Art. 1 I CISG ist mit einer opt-out-Formel ausgestattet, so dass die Parteien die Anwendung der Regeln des Übereinkommens ausschließen müssen, wenn sie wollen, dass ihr Vertrag nicht unter dessen Regelung fällt. Art. 6 CISG erlaubt den Parteien, die Anwendung des Übereinkommens komplett auszuschließen, von seinen Bestimmungen abzuweichen oder deren Wirkung zu ändern. Die Einigung der Parteien ist zwar erforderlich, darf aber nicht auf deren hypothetischen Willen abstellen.14 Der Ausschluss oder ein Änderungswille müssen deswegen stets mit einer hinreichenden Sicherheit zum Ausdruck kommen.15 Die Vereinbarung bedeutet somit eine Einigung aufgrund übereinstimmender Willenserklärungen, die ausdrücklich und konkludent abgegeben werden können, und nach den Grundsätzen des Abschlussteils der Konvention zu beurteilen sind.16 Der Ausschluss kann grundsätzlich in AGB vereinbart werden, dies muss aber vorbehaltlos durch die andere Partei angenommen werden.17 Problematischer ist die Beurteilung eines stillschweigenden Ausschlusses. Dieser ist zwar grundsätzlich zulässig, er muss sich aber mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Einzelfalles ergeben.18 Für die Auslegung der Erklärungen und des Verhaltens der Parteien gelten dann die Maßstäbe des Art. 8 CISG.19 In der Regel schließt die Anwendung des Übereinkommens die Wahl eines Nichtvertragsstaates aus, dagegen führt der alleinige Hinweis auf die Wahl des Rechts eines Vertragsstaates noch nicht zum Ausschluss, da das Übereinkommen ein Teil dieser Rechtsordnung ist.20 Die Vereinbarung über den Ausschluss der Bestimmungen der Konvention kann auch nachträglich getroffen werden, bis zur letzten mündlichen Prozessverhandlung.21 Wenn alle genannten Voraussetzungen erfüllt sind und die Anwendung des CISG nicht durch die Parteien ausgeschlossen wurde, dann könnte das für die c.i.c. nach der Rom I-VO festgelegte Vertragsstatut keine Anwendung finden. Voraussetzung dafür wäre, dass die vorvertraglichen Pflichten der Aufklärung und loyalen Führung der Verhandlungen zum Anwendungsbereich des CISG
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Kropholler (2006), 478. Staudinger/Magnus, Art. 6 Rn. 9. 16 Staudinger/Magnus, Art. 6 Rn. 10; Bamberger/Roth/Saenger, Art. 6 Rn. 2. 17 Staudinger/Magnus, Art. 6 Rn. 12; vgl. Kocot (1998), 32 f. 18 Kropholler (2006), 479; vgl. Bamberger/Roth/Saenger, Art. 6 Rn. 4. 19 Staudinger/Magnus, Art. 6 Rn. 20. 20 Staudinger/Magnus, Art. 6 Rn. 23 f. 21 Kropholler (2006), 479; Staudinger/Magnus, Art. 6 Rn. 51. 15
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gehören. Im Folgenden wird geprüft, ob die vorvertragliche Haftung vom CISG umfasst ist, und wenn ja, wie sie geregelt ist. B. Vorvertragliche Haftung nach der Regelung des CISG Der sachliche Regelungsbereich des CISG ergibt sich aus Art. 4 CISG. Hiernach findet das Übereinkommen ausschließlich für den Abschluss des Kaufvertrages und für die aus ihm erwachsenden Rechte und Pflichten des Verkäufers und Käufers Anwendung. Ausgeschlossen aus dem Anwendungsbereich des CISG sind dagegen die Gültigkeit des Vertrages oder einzelner Vertragsbestimmungen, die Gültigkeit von Handelsbräuchen sowie die Wirkungen, die der Vertrag auf das Eigentum an der verkauften Ware haben kann. Nicht umfasst ist gem. Art. 5 weiter die Haftung des Verkäufers für durch die Ware verursachte Personenschäden. Das CISG schließt zumindest explizit die Haftung für die c.i.c. aus seinem sachlichen Anwendungsbereich nicht aus. Es stellt sich daher die Frage, ob die Verletzung vorvertraglicher Pflichten durch das CISG erfasst ist. Eine zumindest partielle Anwendung des CISG auf die vorvertragliche Phase22 ergibt sich bereits daraus, dass das CISG den Vertragsschluss abschließend regelt. Artt. 14–24 CISG bestimmen die Form des Vertragsabschlusses sowie die Folgen der Rücknahme und des Widerrufs des Angebots. Mithin enthält das Übereinkommen Regelungen, welche das vorvertragliche Verhalten der Verhandlungsparteien bewerten. Darüber hinaus werden in seinen Vorschriften zur Vertragsmäßigkeit der Ware mittelbar auch vorvertragliche Aufklärungspflichten geregelt.23 Zwar ist die Haftung für die Nichterfüllung dieser Pflichten (Artt. 45 i.V.m. 35 CISG) in die vertragliche Phase verlagert, die Pflichtverletzung selbst findet aber vor dem Vertragsabschluss statt. Gemäß Art. 8 III CISG zählen zu den für die Auslegung von Erklärungen und Verhalten der Parteien erheblichen Umständen auch die Verhandlungen, was ein weiteres Indiz für eine partielle Regelung der vorvertraglichen Phase durch das CISG ist. Im Folgenden wird untersucht, ob die Haftung für den grundlosen Abbruch der Vertragsverhandlungen von der partiellen Regelung der vorvertraglichen Phase durch das CISG umfasst wird und welche vorvertragliche Informationspflichten gegebenenfalls durch das Übereinkommen geregelt werden. I. Abbruch der Vertragsverhandlungen im CISG Im Rahmen der Analyse der Regelung des Verhandlungsabbruchs durch das CISG werden zuerst die Vorschriften des UN-Kaufrechts zum Vertragsab-
22 Staudinger/Magnus, Art. 4 Rn. 42; Honsell/Siehr, Art. 4 Rn. 12; Soergel/Lüderitz/Fenge, Art. 4 Rn. 12. 23 Siehe § 11 B II 1.
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schluss untersucht und sodann der allgemeine Grundsatz der Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel aus Art. 7 I CISG, der die Vorschriften des Übereinkommens gem. Art. 7 II CISG beim Vorliegen interner Regelungslücken ergänzt. 1. Vorschriften über einen Vertragsabschluss Nach den Bestimmungen des CISG zum Vertragsschluss (Artt. 14-24) kommt ein Vertrag durch Angebot und Annahme zustande (Art. 23 CISG). Gemäß Art. 14 I 1 CISG ist das Angebot eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die ausreichend bestimmt ist und den Willen des Anbietenden ausdrücklich oder konkludent24 zum Ausdruck bringt, im Falle der Angebotsannahme vertraglich gebunden zu sein. Die Annahme des Angebots kann durch eine Erklärung oder sonstiges Verhalten des Empfängers, das dessen Zustimmung zum Angebot ausdrückt, geäußert werden (Art. 18 I 1 CISG). Der Vertragsabschluss in Form einer „Schritt für Schritt“ Einigung über einzelne Vertragsbestimmung ist durch das CISG jedenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen. Die Regeln für den Vertragsabschluss sind allerdings nicht restriktiv auszulegen. Ausreichend ist, dass die Parteien sich tatsächlich über den Mindestinhalt des Vertrages, d.h. über Art der Ware, deren Menge und Preis, geeinigt haben, ohne dass eine genaue Abfolge von Angebot und Annahme feststellbar sein muss.25 Für die Auslegung der Erklärungen und des Verhaltens der Parteien ist Art. 8 CISG von Bedeutung. Dabei spielt vor allem der tatsächliche Wille der Parteien eine große Rolle. Falls dieser Wille nicht zu bestimmen ist, ist das Verhalten einer Partei nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen. In beiden Fällen sind jeweils alle erheblichen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere der Inhalt der Verhandlungen, Gepflogenheiten, Gebräuche sowie späteres Verhalten der Parteien. Im Folgenden wird geprüft, unter welchen Voraussetzungen die Verhandlungen durch eine Verhandlungspartei abgebrochen werden dürfen. Dafür werden die Vorschriften zu Rücknahme, Widerruf und Ablehnung des Angebots untersucht. a) Rücknahme des Angebots nach Art. 15 II CISG Gemäß Art. 15 II CISG kann das Angebot, selbst wenn es unwiderruflich ist, zurückgenommen werden, wenn die Rücknahmeerklärung dem Empfänger vor oder gleichzeitig mit dem Angebot zugeht. Die Rücknahme ist eine zugangsbedürftige Willenserklärung, aus der sich die ernsthafte und eindeutige
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Honsell/Siehr, Art. 14 Rn. 7. Pazdan/Zachariasiewicz, Art. 14 Anm. 2; MüKo/Gruber, Vorbem. zu Art. 14–24 Rn. 6; Honsell/Dornis, Vorbem. 14–24 Rn. 19; Kocot (1998), 251. 25
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Absicht des Anbietenden ergibt, sein Angebot zur Durchführung eines Kaufvertrages aufzuheben.26 Die wirksame Rücknahme des Angebots führt zum Erlöschen des Angebots ex tunc und die als Annahme abgegebene Willenserklärung kann dann als neues Angebot ausgelegt werden.27 b) Widerruf des Angebots nach Art. 16 CISG Der Widerruf des Angebots wird in Art. 16 CISG geregelt. Das Angebot kann bis zum Abschluss des Vertrages widerrufen werden, wenn der Widerruf dem Empfänger zugeht, bevor dieser eine Annahmeerklärung abgesendet hat. Der Widerruf ist ähnlich wie die Rücknahme eine zugangsbedürftige Willenserklärung, aus der sich die ernsthafte und eindeutige Absicht des Anbietenden ergeben muss, sein Angebot zur Durchführung eines Kaufvertrages aufzuheben.28 Die Folge des Widerrufs ist das Erlöschen des Angebots mit der Wirkung ex tunc.29 Der Widerruf ist ausgeschlossen, wenn das Angebot als unwiderruflich qualifiziert ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Anbietende seinen unwiderruflichen Bindungswillen entweder durch Bestimmung einer Frist für die Annahme des Angebots oder auf andere Weise zum Ausdruck bringt (Art. 16 II lit. a CISG), z.B. durch die Verwendung von Formulierungen wie „fest“ oder „unwiderruflich bis“.30 Daneben kann sich der Ausschluss des Widerrufsrechts auch aus einer Bindungswirkung kraft eines besonderen Vertrauenstatbestands ergeben (Art. 16 II lit. b CISG). Dazu wird ein gerechtfertigtes Vertrauen in die Unwiderruflichkeit und die Bestätigung dieses Vertrauens vorausgesetzt.31 Ein allein subjektiver Glaube des Empfängers an den Bindungswillen des Anbietenden ist nicht ausreichend.32 Bei Vorliegen eines Vertrauenstatbestands ist weiterhin erforderlich, dass der Angebotsempfänger im Vertrauen auf das Angebot handelt. Als Handlung gilt eine Vornahme oder ein Unterlassen bestimmter Maßnahmen im Hinblick auf die zukünftige Annahme des Angebots.33 Liegen diese Voraussetzungen vor, wird die Bindungswirkung
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Honsell/Dornis, Art. 15 Rn. 6; vgl. Pazdan/Zachariasiewicz, Art. 15 Anm. 7. Honsell/Dornis, Art. 15 Rn. 14; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 15 Rn. 6; vgl. Pazdan/Zachariasiewicz, Art. 15 Anm. 8. 28 Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 2; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 16 Rn. 3; vgl. MüKo/Gruber, Art. 16 Rn. 3; Pazdan/Zachariasiewicz, Art. 16 Anm. 6. 29 Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 23. 30 Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 17; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 16 Rn. 8; Staudinger/Magnus, Art. 16 Rn. 11. 31 Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 20; MüKo/Gruber, Art. 16 Rn. 15; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 16 Rn. 11. 32 MüKo/Gruber, Art. 16 Rn. 15. 33 Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 22. 27
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
des Angebots unbeachtlich des Widerrufs aufrechterhalten und beim Zugang der Annahme ein Vertrag geschlossen. aa) Schadensersatz wegen Widerrufs nach CISG Es stellt sich die Frage, ob dem Angebotsempfänger als Folge eines durch die Gegenpartei erklärten Widerrufs ein Schadensersatz für getätigte Aufwendungen zusteht. Hierbei sind drei Fallvarianten zu unterscheiden. In der ersten Variante wird der Widerruf wirksam erklärt. In der zweiten Variante nimmt der Angebotsempfänger das aufgrund der Unwirksamkeit des Widerrufs weiterhin bindende Angebot an. In der dritten Variante hat der Angebotsempfänger kein Interesse mehr an der Annahme des aufgrund unwirksamer Widerrufserklärung weiterhin bindenden Angebots, sondern am Ersatz der frustrierten Aufwendungen. Im ersten Fall kommt es nicht zur in Art. 16 II CISG enthaltenen Bindungswirkung des Angebots. Der Abbruch der Verhandlungen ist daher zulässig und die vom Verhandlungspartner getätigten Aufwendungen sind seinem Verhandlungsrisiko zuzurechnen. Im zweiten Fall werden die Aufwendungen, die der Angebotsempfänger im Hinblick auf den Vertragsabschluss tätigt, nicht enttäuscht, da es zu einem wirksamen Vertragsschluss kommt. In den ersten beiden Fallvarianten besteht für den dem Angebotsempfänger kein Anspruch auf Schadensersatz für die getätigten Aufwendungen nach CISG zu.34 Im dritten Fall ist die andere Partei durch die bindende Wirkung des Angebots nach Art. 16 II CISG geschützt. Es stellt sich die Frage, ob sie nach dem CISG alternativ einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses ohne Abschluss des Vertrages hat. Art. 74 CISG sieht grundsätzlich einen vollen Ersatz des erlittenen Schadens vor, falls eine Vertragsverletzung durch eine Partei begangen wurde. Gemäß Art. 45 I CISG kommt Art. 74 CISG zur Anwendung, falls der Verkäufer seine Pflicht nach dem Vertrag oder dem Übereinkommen nicht erfüllt. Da jedoch im dritten Fall kein Vertragsschluss vorliegt und das Übereinkommen in Art. 30 CISG keine Verpflichtung zur Loyalität bei Verhandlungen ausspricht,35 kommt Art. 74 CISG nach überwiegender Auffassung nicht zur Anwendung.36 Vereinzelt wird dagegen vertreten, dass der Angebotsempfänger den Schadensersatz für den erlittenen Vertrauensschaden direkt aus Art. 74 CISG fordern kann, anstatt erst den (ungewünschten) Vertragsschluss herbeiführen und dann den Ersatz des entstandenen Schadens
34 Luig (2003), 130; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 16 Rn. 13 sowie vor Artt. 14–24 Rn. 38; Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 26; MüKo/Gruber, vor Art. 14 Rn. 13. 35 Siehe § 10 B I 3. 36 Schütz (1996), 282; Staudinger/Magnus, Art. 16 Rn. 14; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 16 Rn. 14; Luig (2003), 131; Ferrari et al./Mankowski, Art. 16 Rn. 23; Sabbagh-Farshi (2008), 105.
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verlangen zu müssen.37 Eine explizite Verpflichtung zur Loyalität durch das Übereinkommen bedürfe es schon deshalb nicht, da allein ein Verstoß gegen Art. 16 II lit. b CISG die vertragliche Pflichtverletzung, die von Art. 74 CISG verlangt wird, darstellt.38 Für diesen direkten Weg zum Schadensersatz spricht, dass der Empfänger des Widerrufs über die Absichten der anderen Partei, einen Vertrag nicht abschließen zu wollen, informiert ist, weswegen die Herbeiführung des Vertragsabschlusses unter dieser Kenntnis nicht mit dem Gebot des guten Glaubens zu vereinbaren ist.39 Andererseits käme aber die Norm des Art. 16 II CISG tatsächlich nie zur Anwendung, da der Angebotsempfänger nach dem Empfang der Widerrufserklärung stets die positive Kenntnis der Absichten des Offerenten erhält. Art. 16 II lit. b CISG dient auch keinem Ausgleich des in Frage kommenden Schadens, sondern spricht den Grundsatz der Gebundenheit an einem abgegebenen Angebot aus.40 Der Angebotsempfänger ist durch das bindende Angebot geschützt, weswegen die Dispositionen, die er im Vertrauen auf einen Vertragsabschluss getätigt hat, nicht enttäuscht sind. Außerdem könnte eine Partei von den Vorschriften der Artt. 71 ff. CISG Gebrauch machen, falls sich nach der Annahme des Angebots trotz der Erklärung eines unzulässigen Widerrufs aus den Umständen heraus ergibt, dass der Verkäufer seinen Verpflichtungen nicht nachgehen wird. Nach Art. 71 I CISG kann eine Partei ihre Pflichten aussetzen, wenn sich nach dem Vertragsabschluss herausstellt, dass die andere Partei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird. Die Erwartung der Nichterfüllung kann auf einem schwerwiegenden Mangel der Fähigkeit des Verkäufers, den Vertrag zu erfüllen, seiner mangelnden Kreditwürdigkeit, oder auf dem Verhalten des Verkäufers bei der Vorbereitung der Erfüllung oder bei der Erfüllung des Vertrages, beruhen.41 Die Aussetzung der Erfüllung bezieht sich deswegen nicht nur auf die Handlungen, die eine Leistung umfassen, sondern auch auf vorbereitende Tätigkeiten.42 Des Weiteren muss eine reale Gefahr der Nichterfüllung des Vertrages bestehen. Ausreichend ist hierbei eine hohe Wahrscheinlichkeit.43 37
M. Köhler (2003), 222 f. – unter „Vertragsverletzung“ ist nicht nur die Verletzung von bereits vertraglich formulierten Pflichten zu verstehen, die sich aus dem CISG ergeben, sondern allgemein „Pflichten nach dem Vertrag oder diesem Übereinkommen“. Dies erfasst dann auch Verstöße des Offerenten gegen dessen Pflicht aus Art. 16 II lit. b CISG.; vgl. Honnold, Art. 16 Rn. 150; Malik, IJIL 1985, 26 (46); Heuzé (1992), Anm. 180; Bonell, RIW 1990, 693 (701). 38 M. Köhler (2003), 222. 39 Kocot (1998), 104; vgl. Heuzé (1992), Anm. 180. 40 Vgl. Schütz (1996), 281 f. 41 Art. 71 I Pkt. a und b CISG. 42 Pazdan/Żmij, Art. 71 Anm. 16. 43 Pazdan/Żmij, Art. 71 Anm. 9; Staudinger/Magnus, Art. 71 Rn. 18; MüKo/Huber, Art. 71 Rn. 10; Schlechtriem/Schwenzer/Hornung/Fountoulakis, Art. 71 Rn. 23.
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Art. 71 I CISG setzt abschließend voraus, dass der Gläubiger über die Umstände, die die Aussetzung rechtfertigen, erst nach Vertragsabschluss Kenntnis erlangt hat. Die Kenntnis des Käufers vom Widerruf steht dem Recht auf Pflichtaussetzung grundsätzlich nicht entgegen. Aus der Erklärung des Widerrufs ergibt sich schließlich nicht zwingend, dass der Offerierende bei einem wirksamen Vertragsabschluss seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag keinesfalls nachkommen wird.44 Daher sind für die Beurteilung der Zulässigkeit der Pflichtaussetzung nach Art. 71 CISG die besonderen Umstände des unwirksam erklärten Widerrufs im Einzelfall zugrunde zu legen. Dem Käufer steht außerdem die Möglichkeit der Vertragsaufhebung gem. Art. 72 I CISG zu. Nach Art. 72 I CISG kann eine Partei die Aufhebung des Vertrages erklären, falls es vor dem für die Vertragserfüllung festgesetzten Zeitpunkt offensichtlich ist, dass eine Partei eine wesentliche Vertragsverletzung begehen wird. Für die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung ist Art. 25 CISG maßgebend.45 Die Gefahr der Vertragsverletzung muss aber im Unterschied zu Art. 71 I CISG46 „offensichtlich“ sein. Das bedeutet, dass eine sehr hohe und nahe liegende Wahrscheinlichkeit für die Begehung der Vertragsverletzung besteht.47 Die Umstände, die die Gefahr der Vertragsverletzung hervorrufen, müssen bereits vor der Fälligkeit der Leistung vorliegen. Die Umstände, die eine Vertragsaufhebung wegen offensichtlicher Gefahr einer wesentlichen Vertragsverletzung rechtsfertigen, dürfen dem Gläubiger erst nach Vertragsabschluss zur Kenntnis gelangt sein.48 Die Auswirkung des Angebotswiderrufs auf die Zulässigkeit der Vertragsaufhebung ist im Einzelfall zu beurteilen. Als ein weiterer Anspruch steht dem Gläubiger der Schadensersatz aus Artt. 74 ff. CISG zur Verfügung.49 Im Falle der Begehung der Vertragsverletzung sind die Folgen von Art. 45 CISG zu berücksichtigen.50 Daraus folgt, dass der Angebotsempfänger im Falle des wirkungslosen Widerrufs und der Annahme des bindenden Angebots vor einer möglichen Verweigerung der Leistung durch die Gegenpartei nicht schutzlos ist. Deshalb wird nach dem CISG kein Schadensersatzanspruch für den Abbruch der Verhandlungen wegen des unzulässig erklärten Widerrufs zugesprochen. Nimmt der Angebotsempfänger das Ange-
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Ferrari et al./Mankowski, Art. 16 Rn. 25. Siehe § 11 B II 3. 46 Nach a.A. ist die Prognose in beiden Vorschriften gleich: Herber/Czerwenka, Art. 72 Rn. 2. 47 Schlechtriem/Schwenzer/Hornung/Fountoulakis, Art. 72 Rn. 15; Staudinger/Magnus, Art. 72 Rn. 9; MüKo/Huber, Art. 72 Rn. 7; Brunner, Art. 72 Rn. 3. 48 Brunner, Art. 72 Rn. 5; MüKo/Huber, Art. 72 Rn. 4; Staudinger/Magnus, Art. 72 Rn. 14; Achilles, Art. 72 Rn. 2. 49 Vgl. Pazdan/Klatka/Żmij, Art. 74 Anm. 30. 50 Siehe § 11 B II 3. 45
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bot nicht an, so hat er keinen Anspruch auf Ersatz des negativen Vertragsinteresses. Durch Ablehnung des bindenden Angebots verzichtet der Käufer auf den Schutz, den ihm die Vorschriften des CISG gewähren. bb) Schadensersatz wegen Widerrufs nach nationalem Recht Fraglich ist, ob ein Schadensersatz nach den Regeln des nationalen Rechts in Betracht kommt. Bei der Anwendung des nationalen Rechts muss beachtet werden, dass dadurch keine Wertungswidersprüche mit der Regelung des CISG entstehen, da ansonsten die rechtliche Durchsetzung des Übereinkommens in den Signaturstaaten gefährdet wird. Nach den Vorschriften des CISG ist der Widerruf des Angebots zulässig und für etwaige getätigte Aufwendungen kein Schadensersatz vorgesehen. Nach der Gesamtwertung des CISG besteht im Falle des unzulässigen Widerrufs kein Grund, dem Gläubiger einen Schadensersatz nach negativem Vertragsinteresse zuzusprechen, da die Partei durch die bindende Wirkung des Angebots und durch die Haftungsinstrumente der Artt. 71 ff. CISG ausreichend geschützt ist.51 Eine Anwendung der nationalen Regelung für den Schadensersatz würde somit im Falle des Verhandlungsabbruchs nach der Abgabe des Angebots zu einem Wertungswiderspruch mit dem Übereinkommen führen. Der Gläubiger wäre dann im Falle des wirkungslosen Widerrufs nicht nur durch die Unwiderruflichkeit des Angebots nach dem CISG, sondern je nach gemäß internationalem Privatrecht anwendbarem Recht auch durch einen Schadensersatzanspruch geschützt. Ein noch größerer Widerspruch würde sich im Falle eines wirksamen Widerrufs ergeben. Obwohl der Widerrufende hier nach dem CISG von Haftung frei wäre, könnte von ihm abhängig vom anwendbaren nationalen Recht trotzdem Schadensersatz verlangt werden. Eine solch widersprüchliche Wertung des Widerrufs führte nicht nur zu hoher Rechtsunsicherheit, sondern stände auch im Widerspruch zum Schutzzweck des Übereinkommens. Dieses schützt nämlich den Abschlusswillen und nicht das Vermögen. Daher sind die nationalen Regelungen für den Verhandlungsabbruch nach Abgabe des Angebots für die Fälle des Widerrufs (unabhängig davon, ob dieser wirksam ist oder nicht) nicht anwendbar.52 Der Ausschluss der Anwendung des nationalen Rechts durch die
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Siehe § 11 B I 1 b aa. Vgl. Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 26 f.; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 16 Rn. 14 sowie vor Artt. 14–24 Rn. 38; Staudinger/Magnus, Art. 16 Rn. 14; Herber/Czerwenka, Art. 16 Rn. 12; Witz et al./Witz, Art. 16 Rn. 16; Piltz (2008), 116; Schütz (1996), 286, 288. Abweichend und in dem Fall, in dem das Vertrauen auf den Vertragsabschluss in einem mindestens ebenso großen Umfang enttäuscht wurde wie in dem in Art. 16 II geregelten Fall, den Schadensersatz nach nationalen Regeln zulassend, MüKo/Gruber, Art. 16 Rn. 20; vgl. Kocot (1998), 105. 52
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
Regelung des CISG umfasst jedoch nicht die deliktischen Ansprüche wegen Arglist, da hiervon andere Schutzbereiche betroffen sind.53 c) Ablehnung des Angebots nach Art. 17 CISG Nicht nur das Verhalten des Anbietenden, sondern auch das des Angebotsempfängers kann zum Erlöschen des Angebots führen. Gemäß Art. 17 CISG erlischt das Angebot, selbst wenn es unwiderruflich ist, sobald dem Anbietenden eine Ablehnung zugeht. Die Ablehnung ist eine zugangsbedürftige Willenserklärung, aus der sich ausdrücklich oder konkludent ergibt, dass der Ablehnende die ernsthafte Absicht hat, vom Angebot in der geäußerten Form keinen Gebrauch machen zu wollen.54 Der Zugang der wirksamen Ablehnung beim Anbietenden führt zum Erlöschen des Angebots, soweit dieses nicht durch eine zuvor zugegangene ordnungsgemäße und fristgerechte Annahmeerklärung in einem wirksamen Vertrag aufgegangen ist.55 Eine Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatz für das enttäuschte Vertrauen des Anbietenden auf den Vertragsabschluss besteht somit weder aufgrund des CISG noch des nationalen Rechts (außer bei Täuschung) somit nicht.56 2. Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel Ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen könnte möglicherweise nach Art. 45 CISG mit dem Schadensersatz sanktioniert werden. Dafür müsste das CISG eine Verpflichtung zur Führung der Verhandlungen in Vereinbarung mit dem Grundsatz des guten Glaubens beinhalten. Ein direkter Verweis auf die Beachtung der Interessen der Gegenpartei während der Verhandlungen ist dem Übereinkommen nicht zu entnehmen. Den travaux préparatoires zufolge wurde die direkte Haftung für die c.i.c. bewusst nicht in das Übereinkommen aufgenommen, um die weitreichenden und im Einzelnen schwer vorhersehbaren Rechtsfolgen einer solchen Regelung zu vermeiden.57 Daher drängt sich die Frage auf, ob die fehlende Regelung der Loyalitätspflicht und des damit verbundenen Verhandlungsabbruchs eine interne Regelungslücke bilden. Gemäß Art. 7 II CISG können die internen Lücken durch die dem Übereinkommen zugrundeliegenden Grundsätze ergänzt werden. Dazu müsste das Übereinkommen ein entsprechendes Prinzip beinhalten. Ein solcher Grundsatz könnte im Gebot der Wahrung des guten Glaubens im internationalen
53 Honsell/Dornis, Art. 16 Rn. 26; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 16 Rn. 14; Schütz (1996), 287; Honnold, Art. 16 Rn. 147. 54 Honsell/Dornis, Art. 17 Rn. 1; vgl. Staudinger/Magnus, Art. 17 Rn. 7, 10. 55 Honsell/Dornis, Art. 17 Rn. 9. 56 Vgl. § 11 B I 1 b. 57 Schlechtriem (2007), 72.
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Handel liegen, der in Art. 7 I CISG beschrieben wird. Dies wäre dann zu bejahen, wenn von diesem Grundsatz die Verpflichtung zur Führung von loyalen Verhandlungen und ein Schadensersatz für deren Verletzung abzuleiten ist. Das Gebot der Berücksichtigung des guten Glaubens ist autonom auszulegen.58 Die Konvention selbst beinhaltet aber keine Legaldefinition dieses Prinzips. Im Schrifttum wird die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel als ein Verbot einer missbräuchlichen Rechtsausübung sowie als ein Verbot eines sich mit einem früheren Verhalten widersprechenden Handels verstanden.59 Diese Auffassung wird dadurch bestärkt, dass das Verbot eines widersprüchlichen Verhaltens aus der Verallgemeinerung des in Art. 16 II und 29 II CISG enthaltenen Gedankens hervorgeht.60 Dieses Prinzip bildet einen Beurteilungsmaßstab für das gegenseitige Verhältnis der Parteien.61 Aus diesem Ansatz könnte möglicherweise eine Verpflichtung zur Bewahrung der Loyalität in der Verhandlungsphase abgeleitet werden, die dann mit Art. 74 CISG die Grundlage für den Schadensersatz bildet.62 Für die Beantwortung dieser Frage ist zwischen zwei Verhandlungsphasen zu unterscheiden. Erstere umfasst die Phase nach der Abgabe des Angebots. Hier spielt das Gebot der Bewahrung des guten Glaubens keine Rolle, da die besonderen Folgen des Verhandlungsabbruchs durch Art. 16 II CISG abschließend geregelt sind.63 Folglich fehlt es hier an einer internen Regelungslücke, die zu ergänzen wäre. Etwas anderes könnte gelten, falls es nicht zur Angebotsabgabe (z.B. wenn die Parteien strikte mittels Verhandlungen den Vertrag abschließen wollen) gekommen ist und daher der Schutz aus Art. 16 II CISG keine Anwendung findet. Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass das CISG (Art. 74 CISG) für diesen Fall einen Schadensersatzanspruch bereit hält,64 der auf die Höhe des negativen Interesses begrenzt ist.65 Vertreter dieser Ansicht gehen davon aus, dass es treuwidrig ist, wenn eine Partei Verhandlungen führt, obwohl sie von
58
Vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 7 Rn. 49. MüKo/Westermann, Art. 7 Rn. 6; Staudinger/Magnus, Art. 7 Rn. 25; Honsell/Melis, Art. 7 Rn. 13; Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 7 Rn. 50; Herber/Czerwenka, Art. 7 Rn. 13; Piltz (2008), 97. 60 Benedick (2008), Rn. 250; vgl. Felemegas/Vincze, Art. 16 Anm. Ie. 61 Pazdan/Pazdan, Art. 7 Anm. 25; Hermanowski/Jastrzębski, Art. 7 Anm. 1; Staudinger/Magnus, Art. 7 Rn. 29; Zeller, in: Janssen/Meyer (2008), 133 (137–142); Bonell, RIW 1990, 693 (700); Napierała (1998), 49; Sabbagh-Farshi (2008), 113; a.A. Farnsworth, TJICL 1995, 43 (56). 62 Vgl. Bonell, RIW 1990, 693 (700); Sabbagh-Farshi (2008), 110 ff. 63 Vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Vorbem. zu Artt. 14–24 Rn. 38, Art. 14 Rn. 29 sowie Art. 16 Rn. 14; MüKo/Gruber, vor Art. 14 Rn. 13. 64 Staudiner/Magnus, Art. 4 Rn. 43 m.w.N.; Luig (2003), 283 f. 65 Bonell, RIW 1990, 693 (701); vgl. Sabbagh-Farshi (2008), 112; Luig (2003), 284. 59
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vornherein weiß, dass sie keinen Vertrag abschließen wird.66 Ein solches Verhalten sei nicht nur mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar, sondern auch mit dem Schutzzweck des Art. 16 II lit. b CISG.67 Gegen diese Position lässt sich einwenden, dass das CISG zwar den Abschlusswillen in Art. 16 II schützt, nicht jedoch das Vermögen. Die Rücknahme und der Widerruf des Angebots sind grundsätzlich auch ohne triftigen Grund zulässig. Die Einräumung eines Anspruchs auf Schadensersatz noch vor Abgabe des Angebots wegen des grundlosen Abbruchs der Vertragsverhandlungen würde somit im Widerspruch zur Lage nach der erfolgten Offerte stehen und zu einer Inkongruenz der Schutzgrundsätze des CISG für die vorvertragliche Phase führen. Des Weiteren bringen die Regelungen des Übereinkommens einen solchen Grundsatz des Schutzes der vorvertraglichen Phase zum Ausdruck, nach dem die Parteien grundsätzlich selbst für die Dispositionen in der vorvertraglichen Phase verantwortlich sind.68 Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Art. 16 CISG, sondern auch aus der Beschränkung des Anwendungsbereiches auf Unternehmergeschäfte. Im Unterschied zu Verbrauchern handelt es sich bei Unternehmern um professionelle Markteilnehmer, welche sich im Falle von Vermögensdispositionen vor Angebotsabgabe durch zusätzliche Vereinbarungen vor möglichen Verlusten schützen können. Solche Maßnahmen sind dagegen nach Abgabe eines die unwiderrufliche Bindungswirkung zum Ausdruck bringenden Angebots nicht zu erwarten, da die Macht über den Vertragsabschluss in den Händen des Angebotsempfängers liegt. Festzuhalten ist somit, dass die Vorschriften über den Abschluss des Vertrages im CISG eine abschließende Regelung der Haftung des Verhandlungsabbruchs sowohl vor als auch nach der Angebotsabgabe bilden.69 Es besteht diesbezüglich keine interne Regelungslücke, die ergänzt werden müsste. Als einziges Schutzmittel gegen den Abbruch von Vertragsverhandlungen sieht das CISG die Unwiderruflichkeit des Angebots vor.70 Vor Abgabe des Vertragsangebotes tragen die Parteien das Risiko ihrer getätigten Dispositionen selbst. Falls die Parteien einen Vertrag mittels Verhandlungen, d.h. ohne ein einer bestimmten Partei zurechenbares Angebot und dessen Annahme abschließen wollen, tragen sie das Risiko frustrierter Aufwendungen jeweils selbst.71 Bei dieser Form des Vertragsabschlusses ist es nämlich schon schwierig einen Zeitpunkt zu bestimmen, ab welchem die Parteien durch die Verhandlungen vergleichbar wie durch ein unwiderrufliches Angebot gebunden sind und die 66
Sabbagh-Farshi (2008), 112. Sabbagh-Farshi (2008), 112. 68 Vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Art. 14 Rn. 29. 69 Vgl. Napierała (1998), 43; Schütz (1996), 223. 70 Vgl. Schütz (1996), 268–271; a.A., wonach die Haftungsregelungen des CISG ausreichende Grundlage für eine Entschädigung bieten: Honsell/Siehr, Art. 4 Rn. 13; Bonell, RIW 1990, 693 (700 f.). 71 A.A. Sabbagh-Farshi (2008), 112. 67
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Verhandlungen nicht mehr abbrechen können. Das Erwecken von Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages während Verhandlungen erreicht nicht das durch ein unwiderrufliches Angebot zum Ausdruck kommende Niveau des Bindungswillens. Ein Anspruch auf Ersatz des negativen Vertragsinteresses wegen grundlosen Abbruchs der Vertragsverhandlungen besteht nach dem CISG bei der Vertragsabschlussart mittels Verhandlungen ohne Angebot und Annahme daher nicht. Um die Folgen eines Verhandlungsabbruchs zu regeln, können die Parteien aber bspw. einen Verhandlungsvertrag abschließen. 3. Abbruch der Verhandlungen als eine externe Regelungslücke Schließlich kommt eine Anwendung der nationalen Vorschriften für die Haftung aus der c.i.c. in Frage. Und zwar insbesondere dann, wenn es noch nicht zur Abgabe des Angebots gekommen ist. Der Rückgriff auf die nationalen Vorschriften bezüglich des grundlosen Abbruchs der Vertragsverhandlungen vor der Abgabe eines Angebots darf nicht zu Wertungswidersprüchen mit der Konvention führen. Das Übereinkommen sieht keinen Schadensersatz für den Verhandlungsabbruch vor oder nach der Abgabe des Angebots vor. Einen Kostenersatz für getätigte Dispositionen nach dem sonst zur Anwendung kommenden nationalen Recht zuzusprechen, ist daher nicht mit der Regelung der Konvention zu vereinbaren.72 Eine externe Regelungslücke stellt bspw. die Täuschung über den Vertragsabschlusswillen dar, da hier die Anwendung deliktischer Haftungsnormen eröffnet ist, welche vom CISG gerade nicht erfasst sind.73 4. Ergebnis Die Analyse des CISG hat gezeigt, dass das Übereinkommen die vorvertragliche Haftung partiell regelt. Die Vorschriften des CISG sind für den Abbruch der Vertragsverhandlungen sowohl vor als auch nach der Abgabe des Angebots anwendbar, wobei der Rechtsschutz der Verhandlungspartei erst nach der Abgabe des unwiderruflichen Angebots entsteht. Das Übereinkommen sichert die Rechte der Verhandlungsparteien nicht durch das Instrument der Schadensersatzhaftung, sondern mittels der Bindungswirkung des Angebots und der Ansprüche für antizipierte Vertragsverletzungen. Vor Abgabe eines Angebots tragen die Parteien das Risiko frustrierter Aufwendungen selbst. Die Rechtsfolgen der Verletzung der vorvertraglichen Loyalitätspflicht sind abschließend
72 Schütz (1996), 270; Brunner, Art. 4 Rn. 48; Achilles, Art. 4 Rn. 8; M. Köhler (2003), 226; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Vorbem. zu Artt. 14–24 Rn. 38; nach a.A. sollen die nationalen Vorschriften Anwendung finden: MüKo/Huber, Art. 4 Rn. 29; Kocot (1998), 258–261; Pazdan/Klatka/Żmij, Art. 74 Anm. 20; nach a.A. soll Art. 74 CISG angewendet werden: Bonell, RIW 1990, 693 (701). 73 Müko/Gruber, Art. 16 Rn. 20.
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durch das CISG geregelt. Die fehlende Regelung des Abbruchs der Vertragsverhandlungen vor Abgabe des Verhandlungsangebots stellt keine externe Regelungslücke dar. Die nationalen Vorschriften kommen nur bei deliktischen Ansprüchen wegen Arglist zur Anwendung.74 Der Ausschluss der Anwendung des nationalen Rechts für den Zeitpunkt sowohl vor als auch nach Abgabe des Angebots gewährleistet Rechtssicherheit, da der zeitliche Rahmen in welchem die Dispositionen der Parteien zur Vorbereitung des Vertragsabschlusses geschützt bzw. ungeschützt sind, klar definiert ist, und den Verhandlungspartnern das wirtschaftliche Risiko frustrierter Aufwendungen zu antizipieren ermöglicht. II. Aufklärungspflichten des Verkäufers Im Folgenden wird zunächst der Inhalt der vom CISG geregelten vorvertraglichen Aufklärungspflichten untersucht. Hierbei werden die allgemeinen und besonderen vorvertraglichen Informationspflichten berücksichtigt. Anschließend werden die Rechtsfolgen für die Verletzung dieser Pflichten dargestellt. 1. Besondere Informationspflichten des Verkäufers Fraglich ist, ob die Verpflichtung zur Aufklärung zu den durch die Konvention geregelten Verkäuferpflichten gehört. Die Pflichten des Verkäufers werden in Art. 30 CISG geregelt. Der Verkäufer ist nach Maßgabe des Vertrages und des Übereinkommens zur Lieferung der Ware, zur Übergabe der die Ware betreffenden Dokumente sowie zur Übertragung des Eigentums an der Ware verpflichtet. Die Vorschrift beinhaltet keine Verpflichtung zur Aufklärung des Käufers. Besondere Aufklärungspflichten könnten sich aus den Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Ware ergeben. Gemäß Art. 35 II CISG entspricht die Ware dem Vertrag dann, wenn sie sich für die Zwecke eignet, für die Ware der gleichen Art gewöhnlich gebraucht wird. Darüber hinaus muss sie sich für den Zweck eignen, der dem Verkäufer bei Vertragsabschluss ausdrücklich oder auf andere Weise zur Kenntnis gebracht wurde, sofern sich nicht aus den Umständen heraus ergibt, dass der Käufer auf die Sachkenntnis und das Urteilsvermögen des Verkäufers nicht vertraute oder vernünftigerweise nicht vertrauen konnte.75 Die genannten Kriterien gelten aber nur dann, wenn die Parteien nichts Anderslautendes miteinander vereinbart haben. 74 Vgl. Honsell, Art. 4 Rn. 13; vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 4 Rn. 46; Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Vorbem. zu Artt. 14–24 Rn. 37 f.; Napierała (1998), 44. 75 Die Vertragsmäßigkeit liegt auch dann vor, wenn die Ware die Eigenschaften einer solchen Ware besitzt, die der Verkäufer dem Käufer als Probe oder Muster vorgelegt hat sowie wenn sie in der für die Ware dieser Art üblichen oder in einer für die Erhaltung und den Schutz der Ware angemessenen Weise verpackt ist. Diese Kriterien spielen aber für die Haftung aus der c.i.c. keine wichtige Rolle.
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Die „Eignung der Ware zum gewöhnlichen Gebrauch“ gemäß der ersten Alternative des Art. 35 CISG bemisst sich nach einem objektiven Maßstab, der an die in der jeweiligen Branche vorherrschende Verkehrsanschauung anknüpft.76 Die Ware muss sich zu jeder Verwendung eignen, zu der sie unter der Beachtung ihrer Natur und unter der vernünftigen Einschätzung des Verkäufers bestimmt ist.77 Falls die Ware nicht alle üblichen, sondern nur einzelne Gebrauchszwecke erfüllt, hat der Verkäufer den Käufer hierüber zu informieren, um die Haftung für eine Vertragsverletzung zu vermeiden.78 Über die Eignung für die gewöhnliche Gebrauchserwartung entscheiden vorbehaltlich besonderer Umstände die Standards, die im Land des Verkäufers gelten.79 Daher hat der Käufer den Verkäufer auf besondere Verwendungszwecke, die in dessen Land als gewöhnlich gelten, hinzuweisen. Andernfalls trifft den Verkäufer keine Haftung für die Unverwendbarkeit des Kaufgegenstands für diese besondere Zwecke. Die zweite Alternative des Art. 35 II CISG bezieht sich auf die Verwendbarkeit der Ware für einen bestimmten Zweck. Der Verkäufer haftet für eine Vertragswidrigkeit erst dann, wenn er über einen solchen besonderen Zweck ausdrücklich oder implizit in Kenntnis gesetzt wird.80 Diese Informationsverpflichtung ergibt sich aus Art. 35 II lit. b CISG i.V.m. dem Grundsatz von Treu und Glauben aus Art. 7 I CISG.81 Der Käufer wird aber nur dann durch die Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Ware geschützt, wenn er auf die Sachkenntnis und das Urteilsvermögen des Verkäufers hatte vertrauen dürfen. Ein Vertrauen des Käufers in die Sachkunde des Verkäufers ist bspw. dann nicht gerechtfertigt, wenn der Verkäufer nicht Hersteller der Ware, sondern einfacher Zwischenhändler ist und dem Käufer zu verstehen gibt, dass er über keine Spezialkenntnisse verfügt, sowie dann wenn das erforderliche Urteilsvermögen in der jeweiligen Handelsbranche unüblich ist.82 Die Haftung für Vertragswidrigkeit der Ware ist ausgeschlossen, wenn der Käufer diese bei Vertragsabschluss kannte oder hätte kennen müssen (Art. 35 III CISG). Maßgeblich sind hierfür allein die objektiven Kriterien der Vertragsmäßigkeit der Ware. Das CISG sieht eine Haftungsverschärfung für den Verkäufer für den Fall vor, wenn dieser die Tatsachen, die die Vertragswidrigkeit der Ware begründen, kannte oder hätte kennen müssen und diese dem Käufer nicht offenbarte (Art. 40 CISG). Der Verkäufer kann sich dann 76
Brunner, Art. 35 Rn. 8. Pazdan/Jagielska, Art. 35 Anm. 13. 78 Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, Art. 35 Rn. 13; Brunner, Art. 35 Rn. 8. 79 Piltz (2008), 255; Brunner, Art. 35 Rn. 10; Honsell/Magnus, Art. 35 Rn. 14; Bianca/Bonell/Bianca, Art. 35 Anm. 2.5.1. 80 Bianca/Bonell/Bianca, Art. 35 Anm. 2.5.2.; Pazdan/Jagielska, Art. 35 Anm. 19. 81 Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, Art. 35 Rn. 23; vgl. Honsell/Magnus, Art. 35 Rn. 23; Brunner, Art. 35 Rn. 15. 82 Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, Art. 35 Rn. 23. 77
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nicht auf die Verletzung der Untersuchungs- und Rügepflicht durch den Käufer berufen. Eine allgemeine Offenbarungspflicht begründet Art. 40 CISG jedoch nicht. Der Wortlaut des Art. 40 CISG beschränkt abschließend lediglich den Ausschluss der Anwendung zweier Vorschriften (Artt. 38, 39 CISG), die die Pflichten des Käufers wegen der Vertragswidrigkeit der Ware bestimmen. Eine generelle Informationspflicht lässt sich alleine aus Art. 40 CISG nicht ableiten.83 Den Verkäufer trifft weiter die Verpflichtung, die Ware frei von Rechten oder Ansprüchen Dritter zu liefern. Gemäß Art. 41 S. 1 CISG entfällt diese Verpflichtung, wenn der Käufer in die Annahme einer mit einem solchen Recht oder Anspruch behafteten Ware einwilligt. In diesem Fall kann sich der Verkäufer ähnlich wie bei der Vertragsmäßigkeit der Ware mit dem Vertrag von der Haftung befreien, wenn der Käufer die Ware vorbehaltlos annimmt, obwohl der Verkäufer auf den Rechtsmangel hingewiesen und dessen Beseitigung angeboten hat.84 Die nationalen Vorschriften über die Irrtumsanfechtung, die c.i.c. oder das Delikt wegen fahrlässiger Falschangaben kommen auch hier nicht zur Anwendung, da eine solche Anwendung Wertungswidersprüche mit der Konvention begründen würde.85 Eine Ausnahme besteht auch hier nur für die Ansprüche, die sich aus Arglist oder Betrug ergeben.86 Besondere Offenbarungspflichten ergeben sich auch aus Artt. 68 S. 3 sowie 79 IV CISG. Gemäß Art. 68 S. 3 CISG ist der rückwirkende Gefahrübergang ausgeschlossen, wenn der Verkäufer bei Abschluss des Kaufvertrages über die Ware, die sich auf dem Transport befindet, wusste oder hätte wissen müssen, dass die Ware untergegangen oder beschädigt war und er dies dem Käufer nicht offenbarte. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben des Art. 7 I CISG wird eine Informationspflicht des Verkäufers über den Zustand der Ware abgeleitet.87 Ähnliches gilt im Falle des Art. 79 IV CISG. Die Partei, die die versprochene Leistung nicht erfüllt, hat den Hinderungsgrund und dessen Auswirkung auf ihre Erfüllungsfähigkeit der anderen Partei mitzuteilen. Falls die Partei dieser Verpflichtung nicht nachgeht, haftet sie für den daraus resultierenden Schaden.
83 Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, Art. 40 Rn. 7; Honsell/Magnus, Art. 40 Rn. 9; Bamberger/Roth/Saenger, Art. 40 Rn. 4. 84 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 41 Rn. 10; Staudinger/Magnus, Art. 41 Rn. 22. 85 Schlechtriem/Schwenzer/Schwenzer, Art. 41 Rn. 23; MüKo/Gruber, Art. 41 Rn. 25; Staudinger/Magnus, Art. 41 Rn. 27; Brunner, Art. 41 Rn. 8. 86 MüKo/Gruber, Art. 41 Rn. 25; Staudinger/Magnus, Art. 41 Rn. 27; Brunner, Art. 41 Rn. 8. 87 Brunner, Art. 68 Rn. 5.
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2. Generelle Informationspflicht Die Konvention selbst beinhaltet keine Vorschrift zur generellen vorvertraglichen Informationspflicht der Parteien. Diese könnten als interne Regelungslücke durch den Grundsatz von Treu und Glauben aus Art. 7 I CISG ergänzt werden. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist nicht nur Auslegungshilfe, sondern auch Beurteilungsmaßstab für die Geschäftsverhältnisse zwischen den Parteien.88 Er verpflichtet die Parteien zur gegenseitigen Information und Kooperation, soweit dies für die Erreichung des Vertragszweckes notwendig und sachgerecht ist.89 Die Parteien sind im Rahmen des Zumutbaren zur fairen, angemessenen und zeitgerechten Unterrichtung des Verhandlungspartners verpflichtet, soweit die Information für diesen erkennbar entscheidungserheblich ist.90 Eine generelle Informationspflicht lässt sich jedoch auch durch erweiternde Auslegung der durch CISG mittelbar normierten Informations- und Mitteilungspflichten mittels des Grundsatzes von Treu und Glauben herleiten.91 Informationspflichten ergeben sich mittelbar aus den Regelungen zur Vertragsmäßigkeit der Ware (Art. 35 CISG) und der rechtlichen Stellung des Käufers bzw. Verkäufers (Artt. 68, 79 IV CISG). Verallgemeinerungsfähige Mitteilungspflichten lassen sich aus den Vorschriften über Vertragsabschluss (Artt. 19 II, 21 II CISG), Aufhebungsvertrag (Art. 26 CISG), Rügepflicht des Käufers (Artt. 39 I, 43 I CISG) und über sonstige Pflichten der Parteien (Artt. 32 III, 48 II CISG) ableiten.92 Die generelle Aufklärungspflicht ergibt sich daher nicht nur aus der Generalklausel des Grundsatzes von Treu und Glauben, sondern ist auch mittelbar in einer Vielzahl bestimmter Vorschriften verankert. 3. Rechtsfolgen der Verletzung von Informationspflichten Gemäß Art. 45 CISG kann der Käufer, falls der Verkäufer eine Vertragsverletzung begeht, die Erfüllung der Pflichten, eine Ersatzlieferung oder die Nachbesserung, die Vertragsaufhebung, eine Minderung sowie Schadensersatz verlangen. Der Verkäufer kann einen Mangel in der Erfüllung seiner Pflichten 88 Pazdan/Pazdan, Art. 7 Anm. 25; Hermanowski/Jastrzębski, Art. 7 Anm. 1; Staudinger/Magnus, Art. 7 Rn. 29; Zeller, in: Janssen/Meyer (2008), 133 (137–142); Napierała (1998), 49. 89 Staudinger/Magnus, Art. 30 Rn. 15; Brunner, Art. 30 Rn. 7; Honnold, Art.7 Rn. 100; Bamberger/Roth/Saenger, Art. 30 Rn. 5; Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art.7 Rn. 54; Herber/Czerwenka, Art. 7 Rn. 14; Benedick (2008), Rn. 1015; Sabbagh-Farshi (2008), 127–133 (mit ausführlicher Darstellung der Begründung einer generellen Informationspflicht); BGHZ 149, 113 (118); a.A. MüKo/Gruber, Art. 30 Rn. 10. 90 Staudinger/Magnus, Art. 7 Rn. 48; Benedick (2008), Rn. 1015, 1106 ff. 91 Benedick (2008), Rn. 1010; Sabbagh-Farshi (2008), 127–133. 92 Vgl. Benedick (2008), Rn. 1010 f.; Sabbagh-Farshi (2008), 127.
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
zwar gem. Art. 48 CISG auch nach dem Lieferungstermin auf eigene Kosten beheben, aber nur dann, wenn dies keine unzumutbare Verzögerung nach sich zieht und dem Käufer keine unzumutbaren Unannehmlichkeiten oder Ungewissheit über die Erstattung seiner Auslagen verursacht. Im Falle der Vertragswidrigkeit der Ware mit dem Vertrag kann der Käufer eine Ersatzlieferung verlangen; aber nur dann, wenn die Vertragswidrigkeit eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt.93 Eine Vertragsverletzung ist gem. Art. 25 CISG dann wesentlich, wenn sie für eine Partei dermaßen nachteilig ist, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen. Das bedeutet, dass die Abweichung ein solches Gewicht erreicht, dass es dem Käufer nicht zuzumuten ist, sich mit dem Schadensersatz oder der Minderung zu begnügen.94 Das ist nicht der Fall, wenn ein objektiv schwerwiegender Mangel leicht behebbar ist oder dem Käufer eine anderweitige Verarbeitung oder der Absatz der Ware im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich und zumutbar ist.95 Die Wesentlichkeit der Vertragsverletzung spielt aber dann keine Rolle, wenn die vertragsbrüchige Partei diese Folge nicht voraussah und eine vernunftbegabte Person diese Folgen unter den gleichen Umständen auch nicht hätte vorhersehen können. Die Nachbesserung kann dagegen dann verlangt werden, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände nicht unzumutbar ist. Die Nachbesserung ist nicht zumutbar, wenn sie mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden ist, insbesondere wenn sie die Kosten der Ersatzbeschaffung übersteigt.96 Von der wesentlichen Vertragsverletzung ist auch der Anspruch auf Vertragsaufhebung abhängig. Gemäß Art. 49 CISG kann der Käufer die Aufhebung des Vertrages dann erklären, wenn die Nichterfüllung einer dem Verkäufer nach dem Vertrag oder dem Übereinkommen obliegenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt. Als Vertragsverletzung gilt eine Lieferung der vertragswidrigen Ware. Für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung finden dieselben Kriterien Anwendung, die auch bei der Ersatzlieferung gelten. Der Käufer muss die Vertragsaufhebung erklären, wobei der Zugang der Aufhebungserklärung nicht erforderlich ist.97 Die Vertragsaufhebung muss innerhalb einer angemessenen Zeit erklärt werden, die Kenntnisnahme von der Vertragsverletzung oder der Ablauf der Frist zur Nacherfüllung ist dabei Fristbeginn (Art. 49 II lit. b CISG). Die Rechtsfolgen der Ver-
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Art. 46 II CISG. Bamberger/Roth/Saenger, Art. 25 Rn. 8a. 95 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 25 Rn. 8a; vgl. MüKo/Gruber, Art. 25 Rn. 24; Honsell/Schnyder/Straub, Art. 46 Rn. 59, 59c; Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem/Schroeter, Art. 25 Rn. 29. 96 Bamberger/Roth/Saenger, Art. 46 Rn. 12; Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 46 Rn. 40; Brunner, Art. 46 Rn. 19. 97 Staudinger/Magnus, Art. 49 Rn. 23 f.; Honsell/Schnyder/Straub, Art. 49 Rn. 36b. 94
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tragsaufhebung sind durch Artt. 81 bis 84 CISG geregelt. Die Aufhebung befreit beide Parteien von ihren Vertragspflichten. Falls der Vertrag ganz oder teilweise erfüllt wurde, sind die Parteien zur Rückgabe des Geleisteten verpflichtet. Durch die Vertragsaufhebung werden die Ansprüche auf Nacherfüllung und Minderung ausgeschlossen. Die Ansprüche auf Preisminderung sowie Schadensersatz sind von der Voraussetzung der Wesentlichkeit der Vertragsverletzung unberührt. Der Käufer kann gem. Art. 50 CISG die Herabsetzung des Preises in dem Verhältnis verlangen, in dem der Wert, den die tatsächlich gelieferte Ware im Zeitpunkt der Lieferung hatte, zu dem Wert steht, den die vertragsgemäße Ware zu diesem Zeitpunkt gehabt hätte. Die Minderung bildet ähnlich wie die Vertragsaufhebung ein Gestaltungsrecht, das durch eine Erklärung ausgeübt werden muss.98 Der Schadensersatz wird in Artt. 74 ff. geregelt. Ersetzt werden sowohl ein durch Vertragsverletzung entstandener Verlust als auch ein entgangener Gewinn. Es muss immer ein Ersatz in Geld geleistet werden, der verschuldensunabhängig ist.99 Eine absolute Haftung ist allerdings nicht vorgesehen. Der Schuldner hat nach Art. 79 I CISG für die Nichterfüllung seiner Pflichten nicht einzustehen, wenn er beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb seines Einflussbereiches liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihm vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund oder dessen Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. Die Entschuldigung betrifft lediglich die Forderung des Schadensersatzes (Art. 79 V CISG). Die Gewährleistungsvorschriften aus dem CISG haben im Falle der Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten Vorrang vor den Vorschriften des nationalen Rechts, es sei denn, dass Arglist oder Betrug vorliegen.100 Fraglich ist weiter, ob die Verletzung der generellen Aufklärungspflichten in den Regelbereich des CISG fällt. Das Schrifttum geht davon aus, dass Art. 35 II lit. b CISG diese Verpflichtung umfasst, was zum Ausschluss nationaler Vorschriften führt.101 Dafür spricht, dass Art. 45 I CISG die Rechtsbefehle für die Verletzung der Pflichten nicht nur nach dem Vertrag regelt, sondern auch nach dem Übereinkommen. Als mögliche Pflichtverletzungen, die durch das Übereinkommen geregelt sind, kommen dann die Informations- und Kooperationspflichten, zu deren Erfüllung die Parteien nach dem Grundsatz von Treu und Glauben102 verpflichtet sind, in Betracht. Ein Rückgriff auf sonstige CISG-Vorschriften ist in diesem Fall nicht notwendig. Die Verletzung der
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Staudinger/Magnus, Art. 49 Rn. 15. Herber/Czerwenka, Art. 74 Rn. 3 f.; vgl. Napierała, RPEiS 3–4/1998, 101 (109). 100 Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Vorbem zu Artt. 14–24 Rn. 40; Honsell/Siehr, Art. 4 Rn. 12; Brunner, Art. 4 Rn. 48; Witz et al./M. Lorenz, Art. 4 Rn. 12. 101 Schütz (1996), 230; von Caemmerer/Schlechtriem/Huber, Art. 45 Rn. 56; Benedick (2008), Rn. 816; Brunner, Art. 4 Rn. 48. 102 Vgl. Benedick (2008), Rn. 1223. 99
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Informations- und Kooperationspflicht wird mittels der allgemeinen Rechtsbefehle, die in Art. 45 CISG vorgesehen sind, sanktioniert.103 Dementsprechend können nicht nur ein Schadensersatz, sondern auch eine Vertragsaufhebung sowie Preisminderung verlangt werden. Für die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten ohne einen späteren Vertragsabschluss ist Schadensersatz nach CISG nicht vorgesehen.104 Vereinzelt wird im Schrifttum hier ein Ersatz des negativen Interesses über eine teleologische Reduktion des Art. 74 CISG vertreten.105 Demnach hat die geschädigte Partei Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die sie im Vertrauen auf die ordnungsgemäße Erfüllung der Informationspflichten des Verkäufers getätigt hat. Dagegen spricht jedoch bereits die abschließende Regelung des Abbruchs der Vertragsverhandlungen, die einen Schadensersatz für die frustrierten Aufwendungen nicht vorsieht.106 Darüber hinaus steht dies im Widerspruch zur Systematik der Regelung für die Verletzung der mittelbar erfassten vorvertraglichen Aufklärungspflichten, welche die Haftung erst bei Abschluss des Vertrages entstehen lässt. 4. Ergebnis Es hat sich gezeigt, dass das CISG für den vorvertraglichen Zeitraum abschließend die Verletzung der Aufklärungspflichten regelt. Der Rückgriff auf nationales unvereinheitlichtes Recht für die Haftung wegen der Aufklärungspflichtverletzung ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die Vorschriften des nationalen Rechts finden nur soweit Anwendung, als von der Pflichtverletzung ein Schutzbereich betroffen ist, der nicht vom CISG umfasst ist.107 Das CISG regelt sowohl die besonderen Informationspflichten hinsichtlich der Bestimmung der Vertragsmäßigkeit der Ware, als auch die allgemeinen Informationsund Kooperationspflichten, die sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ableiten. Die Rechtsfolgen für die Verletzungen beider Arten der Aufklärungspflichten werden durch Artt. 45 ff. CISG bestimmt. Die Verletzung der vorvertraglichen Informations- und Kooperationspflicht ohne späteren Vertragsschluss führt nach CISG nicht zu einem Schadensersatzanspruch.
103 Vgl. von Caemmerer/Schlechtriem/Huber, Art. 45 Rn. 3; Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 45 Rn. 3; Honsell/Schnyder/Straub, Art. 45 Rn. 18; Bamberger/Roth/ Saenger, Art. 45 Rn. 2. 104 Staudinger/Magnus, Art. 4 Rn. 43; Soergel/Lüderitz/Fenge, Art. 4 Rn. 12; Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 4 Rn. 46. 105 Benedick (2008), Rn. 1231 m.w.N. in Fn. 1439, Rn. 1236; Honsell/Schönle/Koller, Art. 74 Rn. 9; Honsell/Siehr, Art. 4 Rn. 13; vgl. Sabbagh-Farshi (2008), 134. 106 Siehe § 11 B I 4. 107 Schlechtriem/Schwenzer/Ferarri, Art. 4 Rn. 46; Schlechtriem/Schwenzer/Schlechtriem/Schroeter, vor Artt. 14–24 Rn. 39; Staudinger/Magnus, Art. 4 Rn. 43; Honsell/Siehr, Art. 4 Rn. 13.
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III. Beweislast Die Frage der Verteilung der Beweislast wird vom Übereinkommen nicht direkt geregelt, gehört aber aufgrund von Art. 7 II CISG zum Regelungsbereich des CISG.108 Es gilt das allgemeine Prinzip, nach welchem jede Partei für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs beweispflichtig ist.109 Im Falle des Schadensersatzes ist der Käufer für den Beweis der Tatsachen verantwortlich, aus denen heraus sich der Schaden und die Vertragswidrigkeit der Lieferung ergeben. Im Falle der Vertragsaufhebung muss er die Umstände beweisen, aus denen heraus sich die Vertragsverletzung selbst sowie deren wesentlicher Charakter ergeben. Der Verkäufer hat dagegen nach Art. 79 CISG den Entschuldigungsgrund zu beweisen, soweit er sich auf ihn beruft, sowie die ordnungsgemäße Erfüllung der ihm zukommenden Pflicht. IV. Verjährung Die Verjährung ist nicht durch das Übereinkommen geregelt und kann auch nicht mittels interner Lückenfüllung aus Art. 7 II abgeleitet werden.110 Als einschlägige Regelung kommt das UN-Übereinkommen vom 14. Juni 1974 über die Verjährung beim internationalen Warenkauf (VIWÜ) in Frage.111 Danach ist von einer vierjährigen Verjährungsfrist auszugehen,112 wenn Deutschland und Polen Signatarstaaten wären.113 Deutschland ist im Unterschied zu Polen114 der Konvention nicht beigetreten. Deshalb ist das nach der Rom I-VO anzuwendende Recht maßgebend. Dabei ist zu beachten, dass nach polnischem Recht die Regelung der Verjährung ein zwingendes Recht darstellt, weswegen die Fristen der Verjährung nicht durch Parteienvereinbarung modifiziert werden können (Art. 119 KC). Falls die Verjährungsregelung von einer anderen internationalen Konvention übernommen wird, ist Art. 25 Rom I-VO zu beachten.
108 Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 45 Rn. 9; Honsell/Schnyder/Straub, Art. 45 Rn. 68; Pazdan/Pazdan, Art. 4 Anm. 42; Napierała (1998), 39 f. 109 Schlechtriem/Schwenzer/Müller-Chen, Art. 45 Rn. 9; Honsell/Schnyder/Straub, Art. 45 Rn. 68; Ferrari et al./Mankowski, Art. 45 Rn. 11; Pazdan/Pazdan, Art. 4 Anm. 42. 110 Honsell/Schnyder/Straub, Art. 45 Rn. 66; Herber/Czerwenka, Art. 4 Rn. 19; Pazdan/Pazdan, Art. 4 Anm. 35; Napierała (1998), 56. 111 Übereinkommen über Verjährung beim internationalen Warenkauf v. 14.6.1974, UNTS Bd. 1511, 3. 112 Art. 8 VIWÜ. 113 Art. 3 VIWÜ. 114 Regierungserklärung v. 22.3.1996, Dz.U. 1997 Nr. 45 Pos. 282.
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V. Gesamtwürdigung Das CISG regelt die Folgen der Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungsund Loyalitätspflichten. In Umfang und Ausgestaltung ist seine Regelung aber nicht mit den einschlägigen Bestimmungen des nationalen deutschen und polnischen Rechts vergleichbar. Für den Abbruch der Verhandlungen vor Abgabe des Angebotes sieht die Regelung des CISG keinen Schadensersatzanspruch vor.115 Der besondere Schutz der auf den Vertragsabschluss vertrauenden Partei beginnt erst mit dem Empfang des Angebotes. Das Angebot ist dann bindend, wenn der Anbieter eine Vertrauenslage geschaffen hat und der Angebotsempfänger hierauf Aufwendungen getätigt hat oder der Anbieter auf sonstige Weise die Unwiderruflichkeit des Angebots zum Ausdruck gebracht hat. Der Angebotsempfänger kann Ansprüche wegen illoyalen Verhaltens des Anbieters aus einer (antizipierten) Vertragsverletzung erst nach Annahme des bindenden Angebots geltend machen. Grundsätzlich verbietet sich ein Rückgriff auf nationale Vorschriften, es sei denn, die Voraussetzungen der Haftung für Arglist sind erfüllt. Die Folgen der Verletzung der vorvertraglichen generellen sowie besonderen Informationspflichten des Verkäufers ist durch das CISG abschließend geregelt – sowohl für die Fälle mit als auch ohne späteren Vertragsabschluss. Die Rechtsfolgen für die Verletzungen beider Formen der Aufklärungspflichten bei einem im Anschluss an die Verhandlungen erfolgten Vertragsabschluss bestimmen sich nach Artt. 45 ff. CISG. Daher ist ähnlich wie im Falle des Abbruchs der Verhandlungen kein Rückgriff auf nationales Recht zulässig.116 Die opt-out-Formel des CISG vereinfacht die Anwendung seiner Regelung bezüglich der vorvertraglichen Pflichten auf die Vertragsverhandlungen, da es somit keiner vorherigen Vereinbarung über das anwendbare Recht bedarf. Das Übereinkommen ist geeignet, die ungleiche Verteilung von Rechten und Pflichten der Parteien im deutsch-polnischen Geschäftsverkehr in der vorvertraglichen Phase zu vermeiden. Die Regelungen des CISG stellen ein Kompromiss zwischen der am Schutz des Schuldners orientierten Haftung im polnischen und der am Gläubigerschutz orientierten Haftung im deutschen Recht dar. Zwar ist der Käufer durch die verschuldensfreie Haftung des Schädigers zunächst besser gestellt. Der Ausschluss des Ersatzes des immateriellen Schadens und der Naturalrestitution sowie das Erfordernis der Wesentlichkeit der Verletzung für die Vertragsaufhebung vermag jedoch die rechtliche Behandlung der Parteien auszugleichen. Das Instrument der Unwiderruflichkeit des
115
A.A. Bonell, RIW 1990, 693 (701). Vgl. Brunner, Art. 4 Rn. 48; Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 4 Rn. 46; Honsell/Siehr, Art. 4 Rn. 12; Schlechtriem (2007), Rn. 42a. 116
§ 12 Anknüpfung der c.i.c. außerhalb des CISG
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Angebots sowie die Ansprüche aus der antizipierten Vertragsverletzung gewährleisten einen ausreichenden Schutz des Käufers ohne den Verkäufer übermäßig zu belasten. Das Übereinkommen weist jedoch auch Schwächen auf. Zu kritisieren ist, dass das CISG ausschließlich für Kaufverträge über Waren zwischen Unternehmern anwendbar ist, und dies auch nur dann, wenn ein Verweis auf ein hypothetisches Vertragsstatut aus der Rom I-VO vorliegt. Die uneinheitliche117 nationale Rechtsprechung zu Regelungen des CISG führt zudem zu Rechtsunsicherheit und hat bisher eine weitgehende Akzeptanz der Anwendung des CISG für internationale Kaufverträge verhindert. UNCITRAL hat in der Vergangenheit mehrere Anstrengungen unternommen eine einheitliche Anwendung des CISG durch die nationale Rechtsprechung zu fördern, bspw. durch Vorbereitung eines in englischer Sprache verfassten Katalogs118 von Urteilsauszügen über das Netz der sog. national correspondents aus allen Vertragsstaaten oder Herausgabe eines offiziellen Kommentars in sechs UNOSprachen.119 Dies hat bisher allerdings nicht dazu geführt, alle Widersprüche in der Spruchpraxis zu beseitigen.120
§ 12 Anknüpfung der culpa in contrahendo außerhalb der Anwendung des CISG § 12 Anknüpfung der c.i.c. außerhalb des CISG
Soweit das CISG nicht zur Anwendung kommt, ist das anzuwendende Recht nach Art. 12 Rom II-VO zu ermitteln. Gemäß Art. 12 I Rom II-VO wird hierbei an das tatsächliche oder hypothetische Vertragsstatut angeknüpft. Dieses wird durch Art. 4 I Rom I-VO geregelt. Das zur Anwendung kommende Recht ist schließlich von der Bestimmung des Vertragstyps abhängig. Lässt sich das anzuwendende Recht so nicht feststellen, ist Art. 12 II Rom II-VO einschlägig. Danach wird das Recht des Staates angewendet, in welchem der Schaden eingetreten ist, oder, wenn die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Staat haben, das Recht dieses Staates. Andernfalls wird das Recht nach der offensichtlich engeren Verbindung angeknüpft.
117 Die Einschätzung der praktischen Anwendung des CISG bei Meyer, RabelsZ 69 (2005), 457 (474), wonach 43,21 Prozent der befragten Anwälte „die zu geringe Rechtssicherheit“ als Abwahlgrund genannt haben. 118 Case Law on UNCITRAL Texts (CLOUT), der durch die Internetseite des UNCITRAL kostenfrei zugänglich ist. Andere Datenbanken: Datenbank der Pace University, Cisg-online, Unilex, Juris-Datenbank – zitiert nach Meyer, RabelsZ 69 (2005), 457 (464); LEX (19 Urteile). 119 Staudinger/Magnus, Einl. zum CISG Rn. 27a. 120 Meyer, RabelsZ 69 (2005), 457 (484 f.).
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
A. Beziehung zwischen Art. 12 I und Art. 12 II Rom II-VO Zwischen beiden Absätzen des Art. 12 Rom II-VO besteht ein Stufenverhältnis, wobei Abs. 1 gegenüber Abs. 2 Vorrang genießt. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Abs. 2, nach dem dieser erst zur Anwendung kommt, wenn das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 bestimmt werden kann. Die Literatur schreibt dem Art. 12 II Rom II-VO eine marginale Bedeutung zu,121 da es schwer vorstellbar sei, dass die Parteien, die miteinander einen Vertrag aushandeln, nicht den Vertragstyp oder den Ort der Ausübung des Vertrages festlegten. Zwar sind Sachverhalte vorstellbar, in denen es z.B. nicht bestimmbar ist, in welchem Land die Arbeit ausgeübt werden sollte,122 in der Praxis sind solche Fallgestaltungen jedoch vermutlich eher selten anzutreffen. Es ist zu vermuten, dass der systematische Aufbau des Art. 12 Rom II-VO von Artt. 10 und 11 Rom II-VO ohne genauere Prüfung, ob dieser sinnvoll ist, übernommen wurde. B. Verhältnis der Anknüpfungen des Art. 12 II Rom II-VO zueinander Die Anwendungsreihenfolge der Anknüpfungen in Art. 12 II Rom II-VO ist im Unterschied zu Artt. 4, 10 oder 11 Rom II-VO strittig. Art. 12 II Rom IIVO ähnelt zwar strukturell den Artt. 4, 10, 11 Rom II-VO. Diese Artikel beinhalten aber im Gegensatz zu Art. 12 II Rom II-VO ein Stufenverhältnis zwischen den einzelnen Anknüpfungen. Für Art. 12 II Rom II-VO kann man kein vergleichbares Verhältnis bestimmen. Art. 12 II Rom II-VO unterscheidet sich nämlich von den genannten Artikeln der Rom II-VO durch das Wort „oder“, das am Ende jeder Anknüpfung steht. Anstatt eines Stufenverhältnisses wird deshalb ein Alternativverhältnis in Betracht gezogen.123 Nicht eindeutig sind die Kriterien, nach denen die Wahl zwischen den Alternativen des Art. 12 II Rom II-VO getroffen werden sollte. Dabei wird die Suche nach der Regel der engsten Verbindung124 als Kriterium bevorzugt, was bedeutet, dass Art. 12 II lit. b vor Art. 12 II lit. a angewendet werden kann, falls keine engere Verbindung gem. Art. 12 II lit. c feststellbar ist.125 Diese Anwendungsstruktur sorgt für mehr Rechtssicherheit und größeren Schutz vor Willkür bei der Rechtsbestimmung.
121
Rauscher/Jacob/Picht, Art. 12 Rom II-VO Rn. 26. Leible/Matthias Lehmann, RIW 2007, 721 (733). 123 Rauscher/Jacob/Picht, Art. 12 Rom II-VO Rn. 30. 124 Rauscher/Jacob/Picht, Art. 12 Rom II-VO Rn. 33. 125 Palandt/Thorn, Art. 12 Rom II-VO Rn. 4; PWW/Schaub, IPR-Anh 2/Art. 12 Rom IIVO Rn. 3; Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (2010), Kap. 38 Rn. 70; Reithmann/Martiny/Martiny, Rn. 4.49 ff.; Sujecki, EWS 2009, 310 (318); von Hein, VersR 2007, 440 (451); Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 (641). 122
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C. Ergebnis Für den Geschäftsverkehr zwischen polnischen und deutschen Parteien ist grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt genießt, es sei denn, die Regelung des CISG ist anwendbar. Daraus folgt eine rechtliche Schlechterstellung eines in Deutschland ansässigen Verkäufers gegenüber einem in Polen ansässigen Verkäufer.126 Diese ungleiche Lage kann durch eine bewusste Rechtswahl optimiert werden. Im Folgenden soll zunächst die Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts (GEK) analysiert werden. Sodann wird die Wahl des DCFR, welcher kein staatlich anerkanntes Recht darstellt näher untersucht.
§ 13 Rechtswahl des GEK-E § 13 Rechtswahl des GEK-E
Die Möglichkeit der Vornahme der Rechtswahl sieht Art. 14 Rom II-VO vor, der die objektiven Anknüpfungen verdrängt.127 Die Rom II-VO bestimmt keine besonderen Beschränkungen in der Anwendung der Rechtswahl für die Sachverhalte des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen.128 Zu prüfen ist, ob das GEK, das zurzeit durch die Europäische Union als Harmonisierungsinstrument vorbereitet wird, durch die Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO zur Anwendung kommt oder ob das Verhältnis zur Rom II-VO auf andere Art und Weise festgelegt wird. A. Verhältnis des GEK-VO-E zum Kollisionsrecht Fraglich ist, welche Bedeutung die Wahl des GEK in Bezug auf die Regelung der Rom II-VO hat. Gemäß ErwG Nr. 10 GEK-VO-E ist die Vereinbarung über die Verwendung des GEK eine Wahl, die innerhalb der einzelstaatlichen Rechtsordnung getroffen wird, die nach der Rom I-Verordnung bzw. in Bezug auf vorvertragliche Informationspflichten nach der Rom II-Verordnung als anwendbares Recht festgelegt wird. Die angesprochene Vereinbarung bildet keine Rechtswahl i.S.d. Kollisionsnormen, also i.S.d. Art. 14 Rom II-VO. Da-
126
Siehe § 10. Palandt/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 2; MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 38; PWW/Schaub, IPR-Anh 2/Art. 14 Rom II-VO Rn. 1; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 14 Rom II-VO Rn. 1; Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 6; von Hein, ZEuP 2009, 6 (20); Leible/Matthias Lehmann, RIW 2007, 721 (727). 128 Die besonderen Beschränkungen der Verwendbarkeit des Art. 14 Rom II-VO sind in Art. 6 IV und in Art. 8 III Rom II-VO (unlauterer Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkungen, Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums) vorgesehen. Die genannten Vorschriften schließen das Rechtswahlrecht aus. 127
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
raus folgt, dass die Verordnung nicht das 29. Rechtssystem schaffen soll, sondern in jedem Mitgliedstaat eine fakultative zweite Vertragsrechtsregelung.129 Das bedeutet, dass zuerst das zur Anwendung kommende Recht nach der Regelung der Rom II- bzw. der Rom I-VO festgelegt wird und danach erst das gewählte GEK-VO-E die einzelne Regelung dieses Rechts verdrängt. Dies ist ähnlich wie im Falle von Art. 1 I lit. b CISG eine Vorschaltlösung.130 Die zweite Vertragsrechtsregelung ist gem. ErwG Nr. 9 GEK-VO-E ein integraler Bestandteil der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates geltenden Rechtsordnung, die parallel zum bestehenden innerstaatlichen Vertragsrecht anzuwenden ist. B. Wählbarkeit des GEK-VO-E Anders als das CISG soll der GEK-VO-E nicht mittels einer opt-out-Formel zur Anwendung kommen, sondern aufgrund einer opt-in-Regel (Art. 3 GEKVO-E). Deswegen müssten die Parteien zuerst eine Vereinbarung über die Anwendung des GEK treffen. Den Abschluss der Vereinbarung regeln Artt. 8 sowie 9 GEK-VO-E. Außer Art. 8 I GEK-VO-E normieren die übrigen Bestimmungen die Gültigkeit der Vereinbarung über die Verwendung des GEK ausschließlich im Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer.131 Art. 8 II GEK-VO-E lässt sich aber dahingehend auslegen, dass eine Vereinbarung außerhalb des abzuschließenden Vertrages getroffen werden kann. Eine Auslegung des Art. 8 III GEK-VO-E spricht für die Verwendung von Teilen des GEK-VO-E in Rechtsverhältnissen zwischen Unternehmern.132 Auch ist davon auszugehen, dass die Wahl sowohl ausdrücklich als auch konkludent getroffen werden kann.133 Die Verordnung regelt keinen Zeitpunkt, in dem die Vereinbarung über die Wahl stattfinden soll. Im Falle des Vertrages zwischen den Unternehmern kann die Wahl des GEK auch nachträglich getroffen werden, da es sich anders als bei Verbrauchern nicht um schutzbedürftige Parteien handelt.134 Der Vorschlag für die Verordnung regelt auch das Verhältnis zum CISG. Gemäß ErwG Nr. 25 impliziert die Vereinbarung über die Verwendung des GEK einen Ausschluss der Anwendung des CISG. Falls die Vereinbarung der Parteien, das GEK anzuwenden, ungültig ist, regelt, nach dem durch das Parlament neu eingeführten ErwG Nr. 23a135, das nach den entsprechenden 129
Vgl. Stürner, GPR 2011, 236 (239); Stadler, AcP 212 (2012), 473 (478). Mankowski, RIW 2012, 97 (100); Leible, DNotI 2012, 21 (24); Mansel, WM 2012, 1253 (1263); Solomon, in: Gebauer (2013), 129 (139); Wendelstein, GPR 2013, 70; Stadler, AcP 212 (2012), 473 (478). Kritisch gegen diese Lösung: Flessner, ZEuP 2012, 726 (739). 131 Hierzu kritisch: Corneloup, ZEuP 2012, 705 (724). 132 Vgl. Corneloup, ZEuP 2012, 705 (724). 133 Vgl. Corneloup, ZEuP 2012, 705 (724); Hesselink, ERPL 2012, 195 (207). 134 Corneloup, ZEuP 2012, 705 (724); Hesselink, ERPL 2012, 195 (208). 135 Änderung des EP Nr. 13. 130
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Kollisionsnormen einschlägige einzelstaatliche Recht die Frage, ob und zu welchen Bedingungen ein Vertrag abgeschlossen wurde. C. Anwendungsbereich Art. 4 I GEK-VO-E sieht die Anwendung der Verordnung für Fernabsatzverträge, die grenzüberschreitende Verträge sind,136 vor. I. Räumlicher Anwendungsbereich Ein zwischen Unternehmern abgeschlossener Vertrag ist grenzüberschreitend, wenn die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben, von denen mindestens eines ein EU-Mitgliedstaat ist. Die Verordnung regelt in Art. 4 IV, was unter einem gewöhnlichen Aufenthalt zu verstehen ist. Der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen ist der Ort ihrer Hauptverwaltung. Der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes eines Unternehmers, bei dem es sich um eine natürliche Person handelt, ist dagegen der Hauptgeschäftssitz. Die Entscheidung über den internationalen Charakter des Vertrages wird im Zeitpunkt der Vereinbarung der Anwendung des GEK getroffen. Die Begrenzung der Anwendung auf die grenzüberschreitenden Verträge wird im Schrifttum kritisiert, insbesondere wegen der Konkurrenz zum CISG.137 Da das GEK auch für innerstaatliche Sachverhalte angewendet werden kann, kann ein Unternehmer seine nationalen und internationalen Geschäfte dem gleichen Recht unterstellen.138 Gemäß Art. 13 GEK-VO-E kann ein Mitgliedstaat entscheiden, dass das GEK auch dann Anwendung findet, wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt des Unternehmers in diesem Mitgliedstaat befindet. Problematisch ist aber, dass der Unternehmer das nationale Recht wählen muss, das solch eine Erweiterung der Anwendung vorsieht. Dann müsste mindestens eine Teilrechtswahlvereinbarung abgeschlossen werden. Im Ergebnis könnte dies dazu führen, dass ein Richter mit drei unterschiedlichen Rechtsordnungen konfrontiert ist, was die fehlerfreie Rechtsanwendung erschwert.
136
Mit der Änderung des EP Nr. 60. Perner, in: Wendehorst/Zöchling-Jud (2012), 21 (25); Herresthal, in: Hahn (2012), 83 (103 f.); Wernicke/Groß, in: Hahn (2012), 157 (160); Budde/Eckhoff, in: Hahn (2012), 113 (116); vgl. zum Schrifttum vor Veröffentlichung des Verordnungsvorschlags: Herresthal, EuZW 2011, 7 (10); Doralt, AcP 211 (2011), 1 (18). A.A. Tonner, EuZW 2010, 767 (769). 138 Herresthal, EuZW 2011, 7 (10); Budde/Eckhoff, in: Hahn (2012), 113 (116). 137
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
II. Sachlicher Anwendungsbereich Das GEK kommt ausschließlich bei Fernabsatzverträgen zum Einsatz (Art. 4 I GEK-VO-E).139 Der Vorschlag für die Verordnung beinhaltet eine Legaldefinition eines Fernabsatzvertrages. Gemäß Art. 2 lit. p GEK-E gilt als Fernabsatzvertrag jeder Vertrag, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher oder zwischen zwei Unternehmern im Rahmen eines organisierten Fernabsatzsystems, der ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers bzw. falls der Unternehmer eine juristische Person ist, der ihn vertretenden natürlichen Person und des Verbrauchers oder des anderen Unternehmers geschlossen wird, wobei bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet werden. Daraus folgt, dass die Regelung des GEK nach den Änderungen des Parlaments140 nicht für Verträge, die in körperlicher Anwesenheit der Parteien abgeschlossen werden, anzuwenden ist.141 Interessant ist, dass im Entwurf des Berichtes des Rechtsausschusses vom 6. März 2013142 in dessen Änderungsantrag Nr. 56 ein Art. 5 mit dem Abs. 1a vorgesehen ist, der die Anwendung der Verordnung auch dann zulässt, wenn die Parteien zuvor Verhandlungen führen oder andere vorbereitenden Schritte mit dem Ziel einleiten, einen Vertrag abzuschließen, und für all diese Schritte ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden – der Vertrag aber selbst nicht durch ein Fernkommunikationsmittel abgeschlossen wird. Allerdings befindet sich diese Regelung nicht mehr im Bericht des Ausschusses vom 25. September 2013143 und auch nicht mehr im mit dem Parlament abgestimmten Text vom 26. Februar 2014.144 Das Ziel dieser Änderung nach der Begründung des Berichtsentwurfs bestand darin, eine Verwendung des GEK zu ermöglichen, wenn Fernkommunikationsmittel bis zum Vertragsschluss, aber nicht beim Vertragsschluss
139
Nach der Änderung des EP Nr. 60. Änderung des EP Nr. 60. 141 Für die breitere Fassung des sachlichen Anwendungsbereiches, der nicht nur E-Commerce-Sachverhalte umfasst, plädierte bereits das Schrifttum vor Veröffentlichung des Entwurfs: Doralt, AcP 211 (2011), 1 (18 f.); Mathias Lehmann, GPR 2011, 218 (222); dagegen: Pisuliński, GPR 2013, 254 (256 f.). 142 Entwurf eines Berichts des Rechtsausschusses über den Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (COM(2011) 0635 – C7-0329/2011 – 2011/0284(COD)) v. 6.3.2013, PE505.998v02–00. 143 Bericht von Rechtsausschuss über den Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (COM(2011)0635 – C7–0329/2011 – 2011/0284(COD)) v. 25.9.2013, PE 505.998v03–00 (A7–0301/2013). 144 Legislative Entschließung des EP v. 26.2.2014 zum Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (COM(2011)0635 – C7-0329/2011 – 2011/0284(COD)) (Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: erste Lesung). 140
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selbst verwendet wurden. Es erschien als willkürlich, diese Fälle aus dem Anwendungsbereich des GEK auszuschließen.145 Das Parlament behielt sich jedoch eine mögliche zukünftige Erweiterung des Anwendungsbereiches des GEK auch auf die Verträge vor, die in Geschäftsräumen abgeschlossen werden (ErwG Nr. 35 GEK-VO-E), indem der Fokus in der Überprüfungsempfehlung besonders auf die Erweiterung des Anwendungsbereiches, auch unter Einbeziehung von innerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen gerichtet werden sollte. Die Verträge, die unter die Regelung des GEK-VO-E fallen, werden in Art. 5 aufgezählt und müssen zur Fernabsatzvertragsart gehören. Außer für Kaufverträge wird der GEK-VO-E für Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte sowie für Verträge über verbundene Dienstleistungen angewendet. Der Kommissionsvorschlag für die Verordnung beinhaltet die legalen Definitionen dieses Vertragstyps in Art. 2 lit. a, j, k, m. III. Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich wird in Art. 7 GEK-VO-E geregelt. Der GEK-VO-E ist danach nur einschlägig, wenn der Verkäufer der Waren oder der Lieferant digitaler Inhalte Unternehmer ist. Sind beide Parteien Unternehmer, so muss wenigstens eine der Parteien die Voraussetzungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erfüllen. Der Entwurf der Verordnung definiert KMU als ein Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro bzw. eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Millionen Euro. Diese Begrenzung der Anwendung der Verordnung wurde zu Recht kritisiert,146 da die Rechtsunterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten für die Geschäftsbeziehungen zwischen Großunternehmen kein minder großes Hindernis darstellen. Die Begrenzung der Anwendung des GEK auf KMU führt auch zu dem praktischen Problem, dass die Parteien jeweils erst prüfen müssen, ob ihr Verhandlungspartner nach der Verordnung als KMU zu qualifizieren ist. Bei irrtümlicher Qualifizierung eines Partners als KMU wäre der persönliche Anwendungsbereich des GEK nicht eröffnet, was dazu führen würde, dass die zwingenden Vorschriften des maßgeblichen Nationalrechts nicht verdrängt werden und der Zweck der
145
Begründung des Änderungsantrags Nr. 56, PE505.998v02-00, S. 40. Pfeiffer, DNotI 2012, 35 (38 f.); Schmidt-Kessel, in: ders. (2012), 29 (33); Corneloup, ZEuP 2012, 705 (709); Leible, DNotI 2012, 21 (32); Stadler, AcP 22 (2012), 473 (489); Perner, in: Wendehorst/Zöchling-Jud (2012), 21 (29); Wernicke/Groß, in: Hahn (2012), 157 (160); Budde/Eckhoff, in: Hahn (2012), 113 (116); Mansel, WM 2012, 1253 (1260); vgl. für die breite Fassung des persönlichen Anwendungsbereiches vor Veröffentlichung des Entwurfs: Herresthal, EuZW 2011, 7 (10); Doralt, AcP 211 (2011), 1 (19 f.). 146
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
Rechtswahl des GEK nicht erreicht wird.147 Der Kritik nach wurde durch die Änderung Nr. 70 der persönliche Anwendungsbereich des GEK auf die Fälle erweitert, in welchen beide Parteien Großunternehmen sind.148 Das Parlament begründete die Änderung damit, dass eine Beschränkung auf KMU willkürlich sei und der grenzüberschreitende Handel zwischen größeren Unternehmen ebenfalls vom GEK profitieren würde. Es stellt sich allerdings die Frage, warum das Parlament vor dem Hintergrund dieser Begründung den ErwG Nr. 21, welcher für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereiches explizit auf KMU als Vertragspartner für das Großunternehmen abstellt, nicht ebenfalls entsprechend geändert hat. Die Verordnung gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, den Anwendungsbereich des GEK zu erweitern. Gemäß Art. 13 GEK-VO-E kann ein Mitgliedstaat entscheiden, dass das GEK auch dann zur Anwendung kommt, wenn keines der Unternehmen KMU ist. Das Parlament beließ diesen Artikel in der ursprünglichen Fassung, obwohl der persönliche Anwendungsbereich des GEK erweitert wurde und nunmehr auch Verträge zwischen großen Unternehmen umfasst. IV. Zeitlicher Anwendungsbereich Art. 11 GEK-VO-E in der Fassung des Kommissionsvorschlags regelt die Folgen der Vereinbarung über die Anwendung der Verordnung. Der GEK-VO-E ist nicht nur für Fragen bezüglich des Vertrages maßgebend, sondern auch, falls der Vertrag tatsächlich zustande kommt, für die Erfüllung der vorvertraglichen Informationspflichten und die Abhilfen bei deren Verletzung. Des Weiteren sieht der Kommissionsentwurf eine rückwirkende Anwendung des GEK vor, was auf Kritik im Schrifttum traf.149 Kritisiert wurde, dass es unklar sei, welche Informationspflichten den Unternehmer in der frühen vorvertraglichen Phase, z.B. bei Werbung für sein Produkt treffen.150 Das Parlament lehnte rückwirkende Anwendung des GEK in der Änderung Nr. 74 ab und führte stattdessen Art. 11 Ia ein. Dieser erweitert den Anwendungsbereich des GEK auf Verhandlungen oder andere vorbereitende Schritte, die zum Ziel haben, einen Vertrag unter Einbeziehung des GEK abzuschließen. Auch für die Erfüllung der vorvertraglichen Informationspflichten und für die Regelung der Fol-
147 Ackermann, DNotI 2012, 49 (55); vgl. Pfeiffer, DNotI 2012, 35 (38 f.); Budde/Eckhoff, in: Hahn (2012), 113 (116 f.). 148 Änderungsantrag Nr. 9 der Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (11.10.2012) für den Rechtsausschuss zum Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (COM(2011)0635 – C70329/2011 – 2011/0284(COD)). 149 Mansel, WM 2012, 1253 (1265). 150 Mansel, WM 2012, 1253 (1265).
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gen ihrer Verletzung ist gemäß der Änderung des Parlaments das GEK einschlägig. In der Begründung des Änderungsantrags im Bericht des Rechtsausschusses kommt zum Ausdruck, dass das GEK für die vorvertragliche Phase ab dem Zeitpunkt gelten soll, in dem sich die Parteien bei den Verhandlungen auf das GEK beziehen. Soweit der Unternehmer es offenlässt, ob er den Vertrag nach dem GEK oder nach dem sonst anwendbaren Recht schließen möchte, hat er die Informationspflichten sowohl des GEK als auch des einschlägigen nationalen Rechts zu beachten. D. Haftung für die Verletzung vorvertraglicher Pflichten nach GEK-E Im Folgenden wird die Regelung der vorvertraglichen Aufklärungs- sowie Loyalitätspflichten durch das GEK näher untersucht. Zunächst werden die Vorschriften des GEK, die direkt oder indirekt Informationspflichten regeln, analysiert. Sodann wird geprüft, ob und in welchem Umfang das GEK eine Verpflichtung zur loyalen Durchführung von Verhandlungen regelt bzw. deren Verletzung sanktioniert. I. Vorvertragliche Informationspflichten nach GEK-E 1. Direkt verfasste vorvertragliche Informationspflichten Anders als das CISG regelt das GEK direkt die vorvertraglichen Informationspflichten. Die Aufklärungspflichten im Verhältnis zu Verbrauchern sowie im Verhältnis zwischen Unternehmern sind getrennt geregelt. Die vorvertraglichen Informationspflichten zwischen den Unternehmern befinden sich in Art. 23 GEK-E. Der Verkäufer, Lieferant bzw. Erbringer ist vor Abschluss eines Vertrages verpflichtet, dem anderen Unternehmer gegenüber auf jede nach den Umständen geeignete Weise alle Informationen in Bezug auf die wesentlichen Merkmale des Vertragsgegenstands, über die er verfügt oder verfügen müsste, offenzulegen. Die Nichtoffenlegung der Informationen gegenüber der anderen Partei verstößt gegen das Gebot von Treu und Glauben und gegen den Grundsatz des redlichen Geschäftsverkehrs. Umstände, die berücksichtigt werden müssen sind insbesondere eine besondere Sachkenntnis des Verkäufers, Lieferanten bzw. Erbringers, die Kosten der Beschaffung der Informationen, die Möglichkeit des Käufers, an die Informationen auf andere Weise zu gelangen, die Art der Informationen sowie die gute Handelspraxis im konkreten Fall. Gemäß Art. 28 I GEK-E muss die zur Aufklärung verpflichtete Person in angemessener Weise dafür Sorge tragen, dass die erteilten Informationen richtig und nicht irreführend sind. Die Rechtsfolgen der Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten sind in Art. 29 GEK-E geregelt. Die Partei, die zur Informationsweitergabe verpflichtet ist, haftet für jeden Verlust, der der anderen Partei durch diese Pflichtverletzung entsteht, falls sie ihre Pflicht nicht erfüllt. Die Verordnung
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
versteht unter einem Verlust sowohl den materiellen als auch den immateriellen Verlust in Form erlittener Schmerzen und erlittenen Leids, ausgenommen von anderen Formen des immateriellen Verlusts wie Beeinträchtigungen der Lebensqualität oder entgangene Freude. Aus der Definition des Schadensersatzes (Art. 2 lit. g GEK-VO-E) ergibt sich, dass der Ersatz in Geld zu leisten ist, eine Naturalrestitution in Form der Vertragsaufhebung ist nicht vorgesehen. Darüber hinaus besteht nach Art. 48 I lit. b Ziff. iii GEK-E die Möglichkeit der Anfechtung des Vertrages wegen Irrtums, wenn die andere Partei von dem Irrtum wusste oder wissen musste und den irrtumsbehafteten Vertragsschluss verursacht hat, indem sie auf die einschlägigen Informationen nicht hinwies, obwohl sie nach dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs dazu verpflichtet gewesen wäre. Dies konstituiert eine weit gefasste Verpflichtung zur Bekanntgabe von Informationen, die aber nicht näher bestimmt werden. Die Umstände, die die Offenlegungspflicht nach dem Gebot von Treu und Glauben sowie redlichen Geschäftsverkehr näher bestimmen, werden nicht näher beschrieben. Daher scheint es geboten, hierfür den Katalog des Art. 49 III GEK-E heranzuziehen. Problematisch ist das Verhältnis von Art. 48 zu Art. 23 GEK-E, da Art. 48 GEK-E die Aufklärungspflicht breiter definiert und außer der Anfechtung auch einen Schadensersatz begründet. Die Regelung des Art. 23 GEK-E in Bezug auf Art. 48 GEK-E scheint überflüssig zu sein, insbesondere weil die irrende Partei außer einer Vertragsaufhebung auch einen Schadensersatz verlangen kann. Das GEK regelt zudem die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung. Eine Anfechtung ist dann zulässig, wenn die Gegenpartei durch arglistiges Verschweigen von Informationen zum Vertragsabschluss bestimmt wurde. Voraussetzung ist, dass die verschwiegenen Informationen ihr gegenüber nach dem Gebot von Treu und Glauben und dem Grundsatz des redlichen Geschäftsverkehrs oder aufgrund vorvertraglicher Informationspflichten hätten offengelegt werden müssen (Art. 49 I GEK-E). Das Unterlassen der Aufklärung ist dann arglistig, wenn es in der Absicht geschieht, bei der Person, der die Informationen vorenthalten werden, einen Irrtum hervorzurufen (Art. 49 II GEK-E). Art. 49 III GEK-E stellt darüber hinaus die Beurteilungsmaßstäbe auf, die für die Feststellung maßgeblich sind, ob das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs die Offenlegung bestimmter Informationen verlangt. Es handelt sich dabei um einen offenen Katalog, der mit dem aus Art. 23 II GEK-E vergleichbar ist.151 Neben der Aufhebung des Vertrages hat die irrende Partei die Möglichkeit, einen Schadensersatz für 151 In Art. 49 III lit. e ist von einer offenkundigen Bedeutung der Informationen für die andere Partei die Rede, dagegen wird in Art. 23 II lit. e über eine wahrscheinliche Bedeutung gesprochen.
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Verluste geltend zu machen, die sie wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung erlitten hat, sofern die andere Partei die maßgebenden Umstände kannte oder kennen musste (Art. 55 GEK-E). Ferner ist eine Haftung für Verluste wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten aus Art. 29 I GEK-E denkbar. 2. Indirekt verfasste vorvertragliche Informationspflichten Das GEK regelt die Informationspflichten auch indirekt. Gemäß Art. 2 GEKE ist jede Partei verpflichtet, im Einklang mit dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs zu handeln. Ausgehend von diesem Grundsatz i.V.m. einzelnen Vorschriften lassen sich weitere vorvertragliche Informationspflichten ableiten.152 Die Vorschriften über die Kriterien für die Vertragsmäßigkeit der Waren und digitaler Inhalte könnten dann die spezifischen Aufklärungspflichten auf den Verkäufer zuweisen. Gemäß Art. 100 lit. a GEK-E ist die Ware bzw. der digitale Inhalt vertragsmäßig, wenn diese für jeden Zweck geeignet ist, der dem Verkäufer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Kenntnis gebracht wurde. Der Käufer kann sich nicht auf eine Vertragswidrigkeit des Kaufgegenstands berufen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass dieser zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht auf die Sachkenntnis bzw. das Urteilsvermögen des Verkäufers vertraute oder vernünftigerweise nicht hätte vertrauen dürfen. Mittelbar folgt hieraus eine Verpflichtung des Verkäufers zur Aufklärung über die Ungeeignetheit der Ware bzw. der digitalen Inhalte für den vom Käufer geäußerten Zweck. Eine Aufklärungspflicht trifft den Verkäufer auch dann, wenn der Vertragsgegenstand nicht für die Zwecke geeignet ist, für die Gegenstände der gleichen Art gewöhnlich gebraucht werden können. Hinsichtlich der Geschäftsverhältnisse zwischen den Unternehmern wird normalerweise an den im Land des Verkäufers üblichen Standards angeknüpft. Die Ware bzw. die digitalen Inhalte sind auch dann vertragsmäßig, wenn sie mit der Eigenschaften und der Tauglichkeit, die der Käufer erwarten darf, zu vereinbaren ist.153 In diesem Kriterium der Vertragsmäßigkeit wird ein Auffangtatbestand gesehen, für die Fälle, in denen sich die Beschaffenheit nicht auf die Verwendbarkeit der Ware auswirkt.154 Da der Maßstab, nach welchem sich die berechtigte Erwartung von Eigenschaften des Vertragsgegenstands bestimmt, nicht geregelt ist, ist der vom Verkäufer zu tragende Umfang der Informationspflicht über die Eigenschaft und die Tauglichkeit nicht offenkundig.
152
Vgl. Remien, in: Schmidt-Kessel (2012), 307 (310). Manche Autoren leiten davon eine allgemeine Pflicht zum Informieren ab – Piers, ZEuP 2012, 867 (880 f.); vgl. Faust, in: Schulze et al. (2008), 115 (123 ff.); Hager, in: Basedow (2000), 67 (71 f.). 153 Änderung des EP Nr. 185. 154 Faust, DNotI 2012, 161 (168).
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
Die Rechtsfolgen für die Lieferung einer vertragswidrigen Ware ergeben sich aus Art. 106 GEK-E. Der Käufer kann nach Art. 106 I GEK-E die Erfüllung verlangen (einschließlich der Reparatur oder des Ersatzes des Vertragsgegenstandes), seine eigene Leistung zurückhalten; den Vertrag beenden und die Erstattung des bereits gezahlten Preises verlangen, den Preis mindern sowie Schadensersatz beanspruchen. Bei Unternehmergeschäften hat die Heilung der Nichterfüllung durch den Verkäufer vor anderen Abhilfen des Käufers Vorrang (Art. 106 II lit. a GEK-E)155. Der Käufer darf sie nach Art. 109 IV GEK-E nur dann ablehnen, wenn sie nicht umgehend und nicht ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Käufer bewirkt werden kann oder, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass er sich nicht auf die künftige Leistung des Verkäufers verlassen kann oder wenn eine verspätete Erfüllung einer wesentlichen Nichterfüllung gleichkäme. Die Beendigung des Vertrages durch den Käufer wird durch Art. 114 GEKE geregelt. Ähnlich wie im CISG darf der Käufer nach dem GEK den Vertrag nur dann beenden, wenn die Nichterfüllung des Vertrages wesentlich ist. Die Nichterfüllung einer Leistungspflicht durch den Verkäufer bedeutet gem. Art. 87 I GEK-E jegliches Ausbleiben der Erfüllung der Verpflichtung – unabhängig davon, ob entschuldigt oder nicht entschuldigt – und umfasst unter anderem die Lieferung einer nicht vertragsgemäßen Ware sowie die Bereitstellung nicht vertragsgemäßer digitaler Inhalte. Abs. 2 des Art. 87 GEK-E bestimmt, wann die Nichterfüllung einer Verpflichtung durch eine Partei wesentlich ist. Dies soll dann der Fall sein, wenn der Verkäufer dem Käufer einen erheblichen Teil dessen vorenthält, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, es sei denn, der Verkäufer konnte das Gewicht der späteren Nichterfüllung156 zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht voraussehen oder lässt klar erkennen, dass sich der Käufer auf die Erfüllung der Verpflichtung nicht verlassen kann. Die Beendigung des Vertrages als ein Gestaltungsrecht muss dem Gegner mitgeteilt werden (Art. 118 GEK-E). Die Folgen der Beendigung des Vertrages sind in Art. 8 GEK-E beschrieben. Abs. 3 verweist auf Kap. 17 des GEK-E, der die Rückabwicklung regelt. Gemäß Art. 172 I GEK-E ist jede Partei bei einer Anfechtung oder der Beendigung des Vertrages verpflichtet, das zurückzugeben, was sie von der anderen Partei erlangt hat. Nach Art. 120 I GEK-E kann der Käufer eine Preisminderung verlangen. Ähnlich wie im CISG wird der Wert der vertragsgemäßen Leistung zum Zeitpunkt des Leistungsangebotes als Bemessungsmaßstab genommen. Gemäß Art. 159 I GEK-E ist der Gläubiger zum Schadensersatz berechtigt für den Verlust, der ihm durch die Nichterfüllung der Verpflichtung des Schuldners entstanden ist. Das ist ausgeschlossen, wenn die Nichterfüllung nach Art. 88 I GEK-E entschuldigt ist. Ein Entschuldigungsgrund liegt vor, 155 156
Mit Ausnahme der Zurückhaltung seiner Leistung. Vgl. Schmidt-Kessel/Schmidt-Kessel/Kramme, Art. 87 Rn. 13.
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245
wenn die Nichterfüllung auf einem Hindernis beruht, der außerhalb des Einflussbereiches der betroffenen Partei liegt, und wenn von dieser Partei nicht erwartet werden konnte, das Hindernis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Betracht zu ziehen oder das Hindernis oder dessen Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. Ein solcher Ausschluss der Haftung gilt nur für den Schadensersatz (Art. 106 IV GEK-E). Als Bemessungsgrundlage für den Schadensersatz ist auf den Betrag abzustellen, der den Gläubiger in die Lage versetzt, in der sich dieser befunden hätte, wenn die Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt worden wäre oder – wenn dies nicht möglich ist – der Betrag, der den Gläubiger soweit wie möglich in diese Lage versetzt (Art. 160 S. 1 GEKE). Davon umfasst ist nicht nur der erlittene Verlust, sondern auch der entgangene Gewinn. Das GEK stipuliert keine ausdrücklichen Anforderungen an die Kausalität. Mit Art. 161 GEK-E kann aber ein normaler Kausalzusammenhang dann angenommen werden, wenn sich die Haftung des Schuldners nur auf die Verluste beschränkt, die dieser als Folge der Nichterfüllung voraussah oder hätte voraussehen können, als der Vertrag geschlossen wurde. In Bezug auf die Informationspflichten ist von Bedeutung, dass auch ein immaterieller Schaden ersetzt werden kann. Darunter ist ein immaterieller Verlust in Form von erlittenen Schmerzen und erlittenem Leid zu verstehen, ausgenommen von anderen Formen des immateriellen Verlusts wie Beeinträchtigungen der Lebensqualität oder entgangene Freude. Nicht jede gefühlte Lebensbeeinträchtigung löst einen Schadensersatzanspruch aus, sondern nur solche, die mit der Beschreibung als „Schmerz“ oder „Leid“ charakterisiert werden können.157 Eine bloße Verletzung der Aufklärungspflicht erfüllt den Verletzungstatbestand daher nicht. Aufgrund des Ausschlusses des Schadensersatzes in Form der Naturalherstellung spielt dieser Ausschluss für den Fall der Vertragsaufhebung keine Rolle, da nur ein entgeltlicher Ersatz der Einbußen verlangt werden kann. II. Abbruch von Vertragsverhandlungen 1. Abbruch von Vertragsverhandlungen als Verletzung der Loyalitätspflicht Das GEK enthält im Unterschied zur Machbarkeitsstudie158 keine direkte Regelung für die Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen. Die Machbarkeitsstudie sieht in Art. 27 die Verpflichtung der Parteien zu einer Verhandlungsführung, die mit dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs vereinbar ist, sowie einen Schadensersatz für deren
157
Kieninger, in: Schulte-Nölke et al. (2012), 205 (217). Feasibility study for a future instrument in European Contract Law, abrufbar unter: (Stand: 6.2.2016): ). 158
246
3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
Verletzung vor. Der Verzicht auf die Regelung der Haftung für illoyale Führung der Verhandlungen ist hinsichtlich des durch den Kommissionsvorschlag vorgesehenen rückwirkenden zeitlichen Anwendungsbereichs des GEK für die Verletzung der vorvertraglichen Pflichten folgerichtig: Da das GEK seine Regelungswirkung erst durch den Vertragsschluss entfaltet,159 wäre eine Regelung des grundlosen Abbruchs der Vertragsverhandlungen durch das GEK gar nicht möglich. Die Nichtregelung des Verhandlungsabbruchs folgt auch aus der Gestaltung der GEK als opt-in-Regelung.160 Es stellt sich somit die Frage, ob sich die Haftung für einen grundlosen Abbruch von Verhandlungen auf indirekte Art und Weise aus dem GEK ergibt. Nach Art. 4 II GEK-E sind die Rechtsfolgen für Tatbestände, die zwar in den Anwendungsbereich des GEK fallen, jedoch nicht ausdrücklich geregelt sind, im Einklang mit den diesem zugrundeliegenden Zielen und Grundsätzen und den enthaltenen Bestimmungen auszulegen. Ein Rückgriff auf das einzelstaatliche Recht soll dabei vermieden werden. Im Folgenden werden daher zunächst die Bestimmungen über den Vertragsabschluss untersucht. Eine Möglichkeit des Vertragsabschlusses besteht nach der Verordnung in dem traditionellen Gespann von Angebot und Annahme (Art. 30 II GEK-E). Ähnlich wie das CISG geht das GEK von einer bindenden Wirkung des Angebots aus, wenn der Empfänger des Angebots vernünftigerweise auf die Unwiderruflichkeit des Angebots vertrauen konnte und er im Vertrauen auf das Angebot handelt (Art. 32 III lit. c). Das Angebot kann nach Art. 32 I GEK-E bis zu seiner Annahme zurückgenommen werden. Eine der Regelung des CISG entsprechende Rücknahme des Angebots gibt es im GEK nicht. Fraglich ist, ob dem Angebotsempfänger im Falle einer unwirksamen Rücknahme ein Schadensersatz für getätigte Aufwendungen und den entgangenen Gewinn zusteht. Nach Art. 2 I GEK-E sind die Parteien verpflichtet im Einklang mit dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs zu handeln. In Verbindung mit ErwG Nr. 31 GEK-E-VO, welcher die Definition des guten Glaubens enthält, lässt sich hieraus eine Verpflichtung zur loyalen Verhandlungsführung ableiten. Gemäß Art. 2 II GEK-E in der Fassung des Kommissionsvorschlags haften die Parteien für jeden Verlust, der der anderen Partei durch Verletzung der Pflicht aus Abs. 1 entsteht. Teilweise wird hierin eine unmittelbare Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz wegen des treuwidrigen Verhaltens gesehen.161 Wegen des beschränkten Anwendungsbereiches des GEK nur auf abgeschlossene Verträge ist Art. 2 II GEK-E für den grund-
159
Siehe § 13 C IV. Siehe § 13 B. 161 Vgl. Lurger, in: Wendehorst/Zöchling-Jud (2012), 63 (72 f.); Budde/Eckhoff, in: Hahn (2012), 113 (124); a.A. Herresthal, in: Schulte-Nölke et al. (2012), 85 (119); Anderson, ZEuP 2012, 834 (842 f.); Looschelders, AcP 212 (2012), 581 (587). 160
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losen Abbruch der Vertragsverhandlungen jedenfalls in der Fassung des Kommissionsvorschlags nicht einschlägig. Durch die parlamentarischen Änderung Nr. 74 wurde der zeitliche Anwendungsbereich zwar auf die vorvertragliche Phase erweitert, gleichzeitig wurden aber sowohl ErwG Nr. 31 als auch Art. 2 II GEK-E derart geändert, dass eine Verletzung des Grundsatzes des allgemeinen Gebots von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs keinen allgemeinen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen soll.162 Allerdings ist in Art. 159 GEK-E ein Anspruch auf Schadensersatz für einen durch Nichterfüllung einer Verpflichtung des Schuldners entstandenen Verlust vorgesehen. Gemäß Art. 87 I GEK-E bedeutet die Nichterfüllung einer Verpflichtung jegliches Ausbleiben der Erfüllung der Verpflichtung, unabhängig davon, ob diese entschuldigt ist. Folgende Fälle werden von der Vorschrift genannt die Nichtlieferung oder verspätete Lieferung der Waren/digitalen Inhalte, die Lieferung nicht vertragsgemäßer Waren/digitaler Inhalte, die Nichtzahlung oder verspätete Zahlung des Kaufpreises und jede sonstige nicht vertragsgemäße Erfüllung. Diese Aufzählung ist nicht abschließend.163 Daher könnte die Verletzung der Loyalitätspflicht aus Art. 2 I GEK-E eine Nichterfüllung der Verpflichtung i.S.d. Art. 87 I GEK-E darstellen und einen Anspruch des Käufers auf Schadensersatz aus Art. 159 GEK-E begründen. Dagegen spricht jedoch die Nichtaufnahme des Art. 27 der Machbarkeitsstudie, welcher noch eine Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen vorgesehen hatte. Ebenso steht der zeitliche Anwendungsbereich des GEK sowohl in der Fassung des Kommissionsvorschlags als auch gemäß Änderung des Parlaments der Annahme entgegen, dass aus Art. 159 i.V.m. Artt. 87 I, 2 I GEK-E die Haftung für die illoyale Verhandlungsführung abgeleitet werden kann. Nach dem Kommissionsvorschlag entfaltet das GEK erst mit dem Vertragsabschluss rechtliche Wirkung (Art. 11 GEK-VO-E). Auch der erweiterte zeitliche Anwendungsbereich gemäß Parlamentsänderung führt keine Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen ein. Der Regelungsbereich des GEK ist bezüglich der vorvertraglichen Phase auf die „vorvertraglichen Informationspflichten“ beschränkt. Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des neuen Art. 11 Ia GEK-VO-E als auch des Art. 11a GEK-VO-E. Der Unionsgesetzgeber beabsichtigte demzufolge ausschließlich die Aufklärungspflichtverletzungen durch das GEK zu regeln, nicht aber die Folgen eines Verhandlungsabbruchs. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das GEK zwar eine Verhandlungsführung im Einklang mit dem Grundsatz von Treu und Glauben stipuliert, aber deren Verletzung, bspw. in Form des Abbruchs der Verhandlungen, nicht mit einem Schadensersatz sanktioniert.
162 163
Änderung des EP Nr. 17 zu ErwG Nr. 31 und Nr. 83 zu Art. 2. Schmidt-Kessel/Schmidt-Kessel/Kramme, Art. 87 Rn. 3.
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
2. Abbruch der Vertragsverhandlungen als Verletzung der Aufklärungspflicht Einen möglichen Anknüpfungspunkt für eine Haftung wegen des grundlosen Abbruchs der Vertragsverhandlungen könnten die vorvertraglichen Informationspflichten darstellen. Fraglich ist, ob das Verschweigen des fehlenden Vertragsabschlusswillens während der Verhandlungen eine Informationspflicht verletzt. Gemäß Art. 23 I GEK-E sind die Vertragsparteien verpflichtet, der anderen Partei alle Informationen über die wesentlichen Merkmale des Vertragsgegenstandes offen zu legen. Der (fehlende) Vertragsabschlusswille bezieht sich auf die Umstände der Durchführung der Verhandlungen und nicht auf den Vertragsgegenstand. Art. 23 I GEK-E kann daher kein Anknüpfungspunkt für die Folgen des Abbruchs der Vertragsverhandlungen sein. In Betracht kommen weiter die Vorschriften über den Irrtum. Nach Art. 48 I lit. b Ziff. iii GEK-E kann eine Partei den Vertrag wegen Irrtums anfechten, wenn die andere Partei von dem Irrtum wusste oder wissen musste und den irrtumsbehafteten Vertragsschluss dadurch verursachte, dass sie die den Irrtum beseitigenden Informationen nicht mitteilte, obwohl sie dazu nach dem Gebot von Treu und Glauben und dem redlichen Geschäftsverkehr verpflichtet gewesen wäre. Nicht nur das absichtliche Verschweigen von Informationen, sondern auch die fahrlässige Vernachlässigung der Pflicht ist umfasst. Auch die unterlassene Benachrichtigung der anderen Partei über einen veränderten Vertragsabschlusswillen stellt einen unter Art. 48 I lit. b Ziff. iii GEK-E fallenden Tatbestand dar. Das Verschweigen der tatsächlichen Vertragsabschlussabsichten ist geeignet bei der anderen Partei einen Irrtum zu erzeugen. Die Verpflichtung zur Information über die Änderung der Absicht zum Vertragsschluss folgt nicht nur aus dem Gebot der Handlung nach dem Maßstab von Treu und Glauben, sondern auch aus der Kooperationspflicht der Parteien gem. Art. 3 GEKE. Darüber hinaus erfüllt das arglistige Verschweigen des fehlenden Vertragsabschlusswillens durch einen Verhandlungspartner die Voraussetzungen der in Art. 49 GEK-E geregelten arglistigen Täuschung. Neben der Anfechtung hat die irrende oder getäuschte Partei gem. Art. 55 GEK-E einen Anspruch auf Schadensersatz. Mithin kommt als Folge des Verschweigens des fehlenden Vertragsabschlusswillens während der Vertragsverhandlungen ein Schadensersatz entweder aus Art. 29 I oder Art. 55 GEK-E in Frage. Art. 29 GEK-E sieht Abhilfen nur für solche Schäden vor, die aus einer Verletzung der vorvertraglichen Informationspflicht aus dem Kapitel zwei des GEK-E beruhen. Wie bereits festgestellt, zählt die Information über die Absichten des Verkäufers nicht zu den wesentlichen Merkmalen der Ware. Dagegen bei der Anwendung des Art. 55 GEK-E ist der fehlende Vertragsschluss problematisch. Zwar stellt die Vorschrift selbst nur auf die Erfüllung des Irrtums- bzw. Täuschungstatbestandes und nicht auf die Anfechtungserklärung ab. Da jedoch nur ein abgeschlossener
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Vertrag zur Anfechtung berechtigt, können die Vorschriften über die Anfechtung nicht für den Abbruch der Vertragsverhandlungen angewendet werden. Und zwar auch dann, wenn man diese als eine unterlassene Aufklärung über die Änderung der Absicht zum Vertragsabschluss versteht. Daraus folgt, dass die Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen aus der Regelung der Verletzung der Informationspflicht nicht hergeleitet werden kann. Die Folgen des Verhandlungsabbruchs werden daher nicht durch das GEK umfasst. 3. Abbruch der Vertragsverhandlungen als eine externe Regelungslücke Abschließend ist zu klären, ob der Abbruch der Vertragsverhandlungen eine externe Regelungslücke darstellt, die durch das nach der Rom II-VO bestimmte Recht zu regeln ist. Es wird geprüft, ob das GEK doch die Frage des Abbruchs der Verhandlungen mit dem Anwendungsbereich umfasst, nur anders als im polnischen und deutschen Recht sanktioniert. Dafür könnte die Regelung der bindenden Wirkung des Angebots sowie der Anfechtung wegen Irrtums oder Täuschung sprechen. Die Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen wird ferner durch die Verordnung über GEK weder ausdrücklich ausgeschlossen noch mit einbezogen.164 Dagegen spricht aber, dass die Verordnung über das GEK einen direkten Hinweis darauf beinhaltet, dass es in Bezug auf die vorvertraglichen Pflichten aus der Rom II-VO nur um die vorvertraglichen Informationspflichten ginge.165 Dem Unionsgesetzgeber war bei der Vorbereitung des Vorschlags für das GEK bekannt, dass die Rom IIVO die c.i.c. regelt, die neben der Aufklärungspflichtverletzung auch den Abbruch der Vertragsverhandlungen umfasst. Daher widerspräche es dem gesetzgeberischen Willen, von dem GEK die Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen abzuleiten. Daraus ergibt sich, dass der Abbruch der Vertragsverhandlungen nicht vom Anwendungsbereich des GEK-E umfasst ist, sondern nach dem gem. den Kollisionsnormen anzuwendenden Recht zu regeln ist. Die Anwendung des nationalen Rechts könnte zwar dazu führen, dass die Partei, die vom nationalen Recht Gebrauch macht, weitaus bessergestellt wird als wenn sie das bindende Angebot annähme, aber der Unionsgesetzgeber nahm diesen Wertungswiderspruch bei der Vorbereitung der Verordnung in Kauf und fand sich damit ab. Damit steht dieser Widerspruch nicht der Betrachtung der Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen als externe Regelungslücke entgegen.
164 165
Art. 11a Abs. 1 und 2 nach Änderungen des EP Nr. 75 und 76. ErwG Nr. 10.
3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
250 III. Ergebnis
Die Analyse der Regelung des GEK hat ergeben, dass die vom Anwendungsbereich des GEK umfassten vorvertraglichen Pflichten, nur die direkt und indirekt verfassten Informationspflichten sind. Der Abbruch der Vertragsverhandlungen kann weder als eine grundlose Beendigung der Vertragsverhandlungen noch als eine Verletzung der Aufklärungspflicht über die Vertragsabschlussbereitschaft durch das GEK erfasst werden. Die Verhandlungsparteien sind vor einem grundlosen Abbruch der Vertragsverhandlungen allein durch die bindende Wirkung des Angebots gem. Art. 32 III GEK-E geschützt. Das GEK kommt als opt-in-Regelung nur dann zur Anwendung, wenn es von den Parteien ausdrücklich bzw. konkludent vereinbart wurde. Die fehlende Regelung des Abbruchs der Vertragsverhandlungen stellt eine externe Regelungslücke dar, die durch das einschlägige nationale Recht zu füllen ist. Die Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten kann abhängig davon, worauf sich die maßgeblichen Informationen beziehen, einen Schadensersatz (Artt. 29, 55 GEK), eine Anfechtung (Artt. 48, 49 GEK) oder eine vertragliche verschuldensunabhängige Haftung (Art. 106 GEK) verursachen. Das Verschweigen von Informationen, die sich direkt auf den Kaufgegenstand beziehen, kann zur Eröffnung des Anwendungsbereiches aller der genannten Ansprüche führen. Die Verursachung eines Motivirrtums durch Verletzung der Informationspflicht (Artt. 48 Abs. 1 lit. b Ziff. iii; 49 GEK) führt zu einem Anspruch auf Anfechtung und Schadensersatz (Art. 55 GEK) des Geschädigten. E. Beweislast Das GEK enthält mehrere Vorschriften, die sich auf die Beweislastverteilung beziehen. Unter anderem regeln Artt. 21, 26 GEK-E die Beweislast für das Verbrauchergeschäft, nicht aber für Geschäfte zwischen Unternehmen. Gemäß Art. 4 II GEK-E können interne Regelungslücken durch die dem GEK zugrundeliegenden Ziele und Grundsätze und all seine Bestimmungen ergänzt werden. Im Umkehrschluss zu der speziellen Regelung der Beweislastumkehr für das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer ergibt sich für die Geschäfte zwischen Unternehmen die Beweislastverteilung nach allgemeinen Grundsätzen. Das bedeutet, dass die Parteien für alle faktischen Tatsachen, auf welche sie sich berufen und aus welchen sie für sich positive Folgen ziehen können, die Beweislast tragen.166
166
Vgl. Herresthal, in: Schulte-Nölke et al. (2012), 85 (126).
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251
F. Verjährung Nach dem durch das Parlament bearbeiteten Art. 178 GEK-E167 unterliegen der Verjährung sowohl das Recht, die Erfüllung einer Verpflichtung zu vollstrecken, als auch etwaige Nebenrechte einschließlich des Rechts auf Abhilfe wegen Nichterfüllung mit Ausnahme der Zurückbehaltung der Leistung. Daraus folgt, dass nicht nur Ansprüche, sondern auch Gestaltungsrechte168 wie z.B. das Recht zur Minderung, der Verjährung unterliegen. Der Kommissionsentwurf enthielt zwei Verjährungsfristen. Die kürzere Frist beträgt nach Art. 179 I GEK-E zwei Jahre, die längere Frist zehn Jahre. Durch parlamentarische Änderung (Nr. 249) wurde die längere Verjährungsfrist auf sechs Jahre verkürzt.169 Die Verordnung regelt auch den Fristbeginn. Die kurze Verjährungsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Gläubiger von den das Recht begründenden Umständen Kenntnis erhielt oder hätte Kenntnis erhalten müssen (Art. 180 I GEK-E). Dagegen ist der maßgebende Zeitpunkt für die lange Verjährungsfrist der Moment, zu dem der Schuldner leisten muss, bzw. bei einem Recht auf Schadensersatz der Zeitpunkt, zu dem die das Recht begründende Handlung erfolgte (Art. 180 II GEK-E). Für den Schadensersatz wegen der Nichterfüllung der Informationspflichten ist dann der Zeitpunkt bedeutsam, in dem die verpflichtete Partei ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgegangen ist, sowie der Moment, in dem die geschädigte Partei von der Verletzung der Informationspflicht erfahren hat oder hätte erfahren müssen. Die Verjährung tritt nach Ablauf einer der Fristen ein, je nachdem, welcher früher abläuft.170 Nach Ablauf der einschlägigen Verjährungsfrist ist der Schuldner berechtigt, die Erfüllung der betreffenden Verpflichtung zu verweigern, während der Gläubiger alle ihm wegen Nichterfüllung zustehenden Abhilfen mit Ausnahme des Rechts, seine Leistung zurückzuhalten, verliert (Art. 185 I GEK-E). Die Fristen können durch Parteivereinbarung geändert werden (Art. 186 I GEK-E). Das GEK beinhaltet außerdem die Regelung bezüglich der Hemmung des Laufs der Verjährungsfristen (Artt. 181–183 GEK-E), des Neubeginns der Verjährungsfristen (Art. 184 GEK-E) sowie der Fristenberechnung (Art. 11 GEK-E).
167
Änderung des EP Nr. 248. So auch: M. Müller, in: Schmidt-Kessel (2012), 529 (531); ders., GPR 2012, 11 (12); Ayad/Schnell, BB 2012, 1487 (1494); a.A: Zöchling-Jud, in: Wendehorst/Zöchling-Jud (2012), 253 (256); Kleinschmidt, AcP 213 (2013), 538 (553, 557 f.). 169 Kritik der zehnjährigen Verjährung: Eidenmüller et al., JZ 2012, 269 (284); Wernicke/Groß, in: Hahn (2012), 157 (162). Die gebotene Verlängerung der kurzen Verjährungsfrist auf drei Jahre wurde nicht übernommen: Kleinschmidt, AcP 213 (2013), 538 (566). 170 Die Regelung wurde durch die Änderung des EP Nr. 250 eingeführt (Art. 179 IIa GEK-E). Der Mangel an einer solchen Regelung wurde im Schrifttum kritisiert: Eidenmüller et al., JZ 2012, 269 (285). 168
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
Neben den allgemeinen Vorschriften über die Verjährung beinhaltet das GEK auch besondere Fristen, innerhalb derer ein Recht durch den Gläubiger auszuüben ist. Dazu gehören die Anfechtungsmitteilung, die gem. Art. 52 II GEK-E nur dann wirksam ist, wenn sie im Falle des Irrtums innerhalb von sechs Monaten und im Falle der Täuschung innerhalb eines Jahres nach dem Zeitpunkt erklärt wird, zu dem die anfechtende Partei Kenntnis von den maßgebenden Umständen erlangt hat. Ferner regelt das GEK die Frist für die Vertragsbeendigungsmitteilung, die der Käufer innerhalb von zwei Monaten ab Entstehung des Rechts oder ab dem Zeitpunkt abzugeben hat, zu dem er von der Nichterfüllung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, je nachdem, welches Ereignis später eingetreten ist (Art. 119 GEK-E)171. G. Gesamtwürdigung Das GEK stellt hinsichtlich der Haftung für die c.i.c. keine Lösung für den Ausgleich der rechtlichen Stellung der Parteien in vorvertraglicher Phase der deutsch-polnischen Geschäftsbeziehungen. Es sieht erstens keine Haftungsgrundlage vor, die neben der Verletzung von Informationspflichten auch den grundlosen Abbruch von Vertragsverhandlungen umfasst. Die illoyale Verhandlungsführung ist als eine externe Regelungslücke zu betrachten, die durch die Anwendung des nationalen Rechts zu ergänzen ist. Zwar wurde durch den Änderungsbeschluss des Parlaments eine konkludente Wahl des GEK in der vorvertraglichen Phase eingeführt. Dies beeinflusst aber die Zuordnung des Abbruchs von Verhandlungen zu den externen Regelungslücken des GEK nicht. Daher kann das GEK keinen Ausgleich der rechtlichen Position der Parteien für Fälle der Haftung für den Abbruch der Vertragsverhandlungen herbeiführen. Selbst bei isolierter Betrachtung der Aufklärungspflichten vermag die Rechtswahl des GEK nicht die bei Anwendung von nationalem Recht festgestellte ungleiche materiell-rechtliche Stellung der Parteien des deutsch-polnischen Geschäftsverkehrs zu vermeiden. Die Einräumung eines Anfechtungsanspruchs neben dem Schadensersatzanspruch bereits bei nur fahrlässiger Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten verbessert die rechtliche Stellung des Geschädigten gegenüber der Gegenpartei übermäßig. Auch die verschuldensunabhängige vertragliche Haftung für die vertragswidrige Leistung der Ware oder der digitalen Inhalte sowie die freie Wahl des Rechtsbehelfs (Schadensersatz, Anfechtung und vertragliche Haftung) stärken die Position des Geschädigten unverhältnismäßig. Der Ausschluss des Schadensersatzes in natura, der Vorrang der Heilung der Nichterfüllung sowie die Wesentlichkeit der Pflichtverletzung als Voraussetzung für die Beendigung des Vertrages vermögen nicht die gegenüber dem Gläubiger schwächere rechtliche Stellung des Schuldners auszugleichen: Die Heilung der Nichterfüllung kann 171
Nach der Änderung des EP Nr. 201.
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vom Gläubiger auch ohne das Vorliegen schwerwiegender Gründe (Art. 109 IV GEK-E) abgelehnt werden. Außerdem kann der Geschädigte, falls die Aufklärungspflichtverletzung auch zur Anfechtung berechtigt, seinen Schadensersatzanspruch auf Art. 55 GEK-E begründen, der keinen vorherigen Heilungsversuch des Schädigers voraussetzt. Auch bei Nichtvorliegen der Wesentlichkeit der Pflichtverletzung als Voraussetzung der Vertragsbeendigung, kann der Geschädigte das Vertragsverhältnis durch Anfechtung „beenden“ (insbes. Art. 48 I lit. b Ziff. iii GEK). Darüber hinaus ist der Entschuldigungstatbestand für die Pflichtverletzung des Schuldners (Art. 88 GEK) auf Fälle beschränkt, in welchen der Umstand der Aufklärungspflichtverletzung außerhalb des Einflussbereiches des Schuldners lag und er dies beweisen kann. Aufgrund der damit verbundenen Beweisschwierigkeiten dürfte er in der Praxis kaum Bedeutung haben. Die doppelte Verjährungsfrist sowie die Beweislastverteilungsregeln kommen zwar dem Schuldner zugute, sind aber nicht ausreichend um die rechtlichen Stellung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger auszugleichen. Selbst hinsichtlich der Regelung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten stellt das GEK keine befriedigende vertragsrechtliche Lösung für den Ausgleich der ungleichen materiell-rechtlichen Stellung der Parteien im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr unter Anwendung des deutschen und polnischen Rechts dar. Gegen die Rechtswahl des GEK zur Regelung der vorvertraglichen Haftung im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr spricht zudem die inkohärente, unübersichtliche Regelung der Informationspflichten, welche z.B. in der Wiederholung identischer Informationspflichten an unterschiedlichen Stellen zum Vorschein kommt.172 Dies erschwert die Identifikation der konkreten rechtlichen Grundlage für die Verpflichtung zur Weitergabe bestimmter Informationen und die Feststellung der Folgen einer Informationspflichtverletzung. Eine weitere Schwäche des GEK liegt in der nicht abschließenden Regelung des Vertragsrechts. Das europäische Privatrecht ist kein schlüssiges Rechtssystem, das die komplexen Fragen des Vertragsrechts hilfsweise zum GEK regeln würde. Deswegen muss neben GEK ergänzend Gebrauch vom nationalen Recht gemacht werden, was jedoch gerade beim Grundgedanken der Rechtsvereinheitlichung möglichst vermieden werden sollte. Wegen der Verwendung einer Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen ist davon auszugehen, dass das GEK längere Zeit braucht, um gerichtlich „reifen“ zu können:173 Dafür muss es jedoch zu einer verbreiteten Anwendung in der Praxis kommen, was angesichts der geringen Popularität schon des CISG174 zweifelhaft ist. Zwar kann das GEK als Vorlage für Vorabentscheidungsverfahren dienen, jedoch ist 172
Vgl. Wernicke/Groß, in: Hahn (2012), 157 (161). Ernst, AcP 208 (2008), 248 (267); vgl. Budde/Eckhoff, in: Hahn (2012), 113 (121). 174 Ernst, AcP 208 (2008), 248 (265); Grigoleit, AcP 210 (2010), 354 (406); Meyer, RabelsZ 69 (2005), 457 (462). 173
3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
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es fraglich, ob hierfür beim EuGH die entsprechenden organisatorischen Kapazitäten vorliegen.175 Der EuGH verfügt derzeit noch nicht über eine Kammer, die auf das Kaufrecht spezialisiert ist und eine systematische Kohärenz der Entscheidungen herbeiführen könnte.176 Darüber hinaus entscheidet der EuGH nur über die Auslegung problematischer Regelungen des Europäischen Rechts, das Endurteil in einer Rechtssache trifft weiterhin der nationale Richter selbst. Auch das Fehlen eines Kassationsverfahrens vor dem EuGH177 steht einer einheitlichen und widerspruchsfreien Anwendung des GEK entgegen. Es fehlt damit an einer effizienten Gerichtsbarkeit, die gemeineuropäische Entscheidungen harmonisierte. Hiernach wurde bestätigt, dass das GEK keine Alternative für das nationale Recht im Falle der vorvertraglichen Haftung im Rahmen der deutsch-polnischen Geschäftsbeziehungen darstellen kann.
§ 14 Rechtswahl des DCFR nach Rom II-VO § 14 Rechtswahl des DCFR nach Rom II-VO
Im Folgenden wird überprüft, ob die Rechtswahl des DCFR eine kollisionsrechtliche Wahl i.S.v. Art. 14 Rom II-VO darstellt. Anschließend wird die Regelung des DCFR im Kontext der Haftung für die Verletzungen der vorvertraglichen Aufklärungs- und Loyalitätspflichten analysiert. A. Rechtswahl nach Art. 14 Rom II-VO Gemäß Art. 14 I 1 Rom II-VO können die Parteien das Recht wählen, dem das außervertragliche Schuldverhältnis unterliegen soll. Dies geschieht entweder durch eine Vereinbarung nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses, oder – falls alle Parteien kommerziell tätig sind und die Rechtswahl frei ausgehandelt wurde – bereits vor dessen Eintritt. Die Rechtswahlvereinbarung ist ein kollisionsrechtlicher Verweisungsvertrag.178 Den Parteien ist es erlaubt, die Rechtswahlklauseln abzuändern oder die Rechtswahl gar aufzuheben bis zum Erlöschen des außervertraglichen Schuldverhältnisses.179 Zwar sieht die Rom II-VO diese Möglichkeit nicht vor, aber aufgrund des ErwG Nr. 7 175
Vgl. Ernst, AcP 208 (2008), 248 (267); Maultzsch, in: Hahn (2012), 9 (19). Für die Entstehung einer solchen Kammer: Wernicke/Groß, in: Hahn (2012), 157 (165); Matthias Lehmann, GPR 2011, 218 (226); Maultzsch, in: Hahn (2012), 9 (20 f.); skeptisch dazu: Budde/Eckhoff, in: Hahn (2012), 113 (121). 177 Für die Entstehung eines speziellen Revisionsgerichts: Herresthal, EuZW 2011, 7 (12); Maultzsch, in: Hahn (2012), 9 (20); vgl. Grigoleit, DNotI 2012, 67 (71). 178 Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 26. 179 Palandt/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 11; MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 24; Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 26; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 14 Rom II-VO Rn. 4; PWW/Schaub, IPR-Anh. 2/Art. 14 Rom II-VO Rn. 4. 176
§ 14 Rechtswahl des DCFR nach Rom II-VO
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Rom II-VO kann eine entsprechende Anwendung des Art. 3 II Rom I-VO angenommen werden.180 Die Rechtswahl kann gem. Art. 14 I 2 Alt. 2 Rom IIVO ausdrücklich erfolgen oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falles ergeben. Bei der ausdrücklichen Rechtswahl wird expressis verbis erklärt, für welche Rechtsordnung sich die Parteien entscheiden.181 Dagegen soll das Gericht bei der konkludenten Rechtswahl gem. ErwG Nr. 31 Rom II-VO den Willen der Parteien beachten. Der hypothetische Parteiwille ist nicht ausreichend, es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für die Rechtswahl vorliegen.182 Als Indiz für eine stillschweigende Rechtswahl gelten die Vereinbarung eines Gerichtsstandes183 sowie das Prozessverhalten der Parteien.184 Im Falle eines Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen kann sowohl die nachträgliche als auch die anfängliche direkte sowie indirekte Rechtswahl erfolgen. Bei der direkten anfänglichen Rechtswahl wird von beiden Parteien das Verfolgen einer kommerziellen Tätigkeit verlangt. Darunter wird jede berufliche bzw. gewerbliche Tätigkeit verstanden.185 Für diese Auslegung des Begriffs der kommerziellen Tätigkeit spricht die autonome Auslegung der in der Gemeinschaft vorherrschenden Begriffe von Unternehmen und Verbrauchern. Diese Beschränkung der Privatautonomie soll die Verbraucher und Arbeitnehmer vor einem Erzwingen von für sie ungünstigen Bestimmungen schützen.186 Die zweite Voraussetzung ist eine frei ausgehandelte Vereinbarung der Rechtswahl. Sie ist bei den Rechtswahlklauseln in den AGB als problematisch betrachtet. Manche Autoren schließen die Möglichkeit der Rechtswahl in den AGB vollkommen aus,187 andere nur dann, wenn es um einseitig abgeschlossene Rechtswahlklauseln geht, die von der anderen Partei nicht bestätigt werden.188 Daneben gibt es Stimmen, die darauf abstellen, dass es im internationalen Handelsverkehr üblich sei, die Rechtswahlklausel in AGB zu
180
Ebenso: MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 24. MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 28. 182 Palandt/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 6; MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 29; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256 (278). 183 Leible, RIW 2008, 257 (260); vgl. Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 32; MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 31. 184 Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 31. 185 Vgl. Palandt/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 8; PWW/Schaub, IPR-Anh 2/Art. 14 Rom II-VO Rn. 4; von Hein, ZEuP 2009, 6 (20); Leible, RIW 2008, 257 (260); MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 23; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (13). 186 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (7). 187 Palandt/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 9; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (8); von Hein, ZEuP 2009, 6 (20); Leible, RIW 2008, 257 (260); PWW/Schaub, IPR-Anh 2/Art. 14 Rom II-VO Rn. 4. 188 Landbrecht, RIW 2010, 783 (785); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (8). 181
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schließen, und somit eine Rechtswahl unbeschränkt zulassen.189 Um die praktische Bedeutung des Art. 14 I lit. b Rom II-VO nicht zu beschneiden, sollte die Rechtswahl in den AGB möglich sein.190 Ein übermäßiger Schutz gewerblich tätiger Parteien gegenüber den anderen gewerblich tätigen Parteien ist sachlich unbegründet.191 Als nicht frei ausgehandelt sind nur die Fälle von überraschenden AGB-Rechtswahlklauseln sowie die Fälle einer Täuschung über die Rechtswahlklausel zu betrachten.192 Die Vermeidung der Sperrklausel des Art. 14 I lit. b Rom II-VO wird durch indirekte Rechtswahl ermöglicht.193 Die Parteien wählen zuerst ein Recht nach Art. 3 I Rom I-VO. Sodann wird aufgrund der akzessorischen Anknüpfung des Art. 12 I Rom II-VO das Recht angewendet, das von den Parteien für einen zukünftigen Vertrag gewählt worden ist.194 Aufgrund dieser Rechtswahl scheitert der durch Art. 14 I lit. b Rom II-VO eingeführte Verbraucherschutz, da auch gegenüber Verbrauchern die indirekte anfängliche Rechtswahl getroffen werden kann. Eine teleologische Korrektur dieses Wertungswiderspruches ist nicht möglich, da der Unionsgesetzgeber ihn in Kauf genommen hat.195 Die Rechtswahlfreiheit gilt nicht vorbehaltlos (Art. 14 I, II, III Rom IIVO). Eine erste Beschränkung bilden die Rechte Dritter, die durch die Rechtswahl unberührt bleiben. Die zweite Beschränkung stellen die zwingenden Normen eines Staates dar, von denen nicht abgewichen werden kann, falls alle Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses in diesem belegt sind. Die dritte Beschränkung stellen die Binnenmarktsachverhalte dar. Durch die Rechtswahl des Drittstaates bleiben die Bestimmungen des Unionsrechts unberührt, wenn alle Elemente des Sachverhaltes zum Zeitpunkt des schadensbegründenden Ereignisses in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegt sind. Sonstige Beschränkungen stellen die Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen (Art. 16 Rom II-VO), die Sicherheits- und Verhaltensregeln (Art. 17 Rom II-VO) sowie die ordre public des Gerichtsstaates (Art. 26 Rom II-VO) dar.
189 Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 23; Junker, RIW 2010, 257 (267); MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 36; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (13). 190 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (14). 191 MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 36; Junker, RIW 2010, 257 (267); a.A. Landbrecht, RIW 2010, 783 (785). 192 Palandt/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 9; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (14). 193 MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 10; Landbrecht, RIW 2010, 783 (787). 194 von Hein, ZEuP 2009, 6 (21); Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 17. 195 MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 10; Landbrecht, RIW 2010, 783 (787).
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B. Gegenstand der Rechtswahl Von Bedeutung ist weiter die Frage, welches Recht Gegenstand der Rechtswahl sein kann. Unproblematisch ist die Wahl eines staatlichen Rechts.196 Fraglich ist dagegen die Zulässigkeit der Rechtswahl von Regelwerken wie z.B. des DCFR oder der PECL, die kein anerkanntes staatliches Recht bilden. Gegen die Einbeziehung des Gemeinsamen Referenzrahmens (DCFR) spricht der Wortlaut von Artt. 14 II und 24 Rom II-VO, welcher auf „ein Recht eines Staates“ und nicht auf die in diesem Staat geltenden Vorschriften des Internationalen Privatrechts verweist.197 Dagegen spricht auch eine grammatische Auslegung der Artt. 3 III, 20 Rom I-VO, gem. der nur staatliches Recht als Gegenstand der Rechtswahl in Frage kommt. Die Wahl des nichtstaatlichen Rechts war zwar noch im Vorschlag der Kommission für die Rom I-VO198 vorgesehen und traf auf Zustimmung in der Literatur,199 wurde aber in die endgültige Fassung der Rom I-VO nicht übernommen. Um die Konsistenz zwischen beiden Verordnungen zu bewahren, ist die Rechtswahl des nichtstaatlichen Rechts nach der Rom II-VO abzulehnen.200 Dies hindert die Parteien freilich nicht gem. ErwG Nr. 13 Rom I-VO, in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Regelwerk Bezug zu nehmen – was eine bloße materiell-rechtliche Verweisung darstellt, welche die zwingenden Regeln des zur Anwendung kommenden Rechts nicht verdrängt.201 Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die nicht staatlich anerkannten Regelwerke nur als materiell-rechtliche Verweisung in Frage kommen. C. Wahl des DCFR Der Gemeinsame Referenzrahmen gehört zu den nichtstaatlichen Regelwerken,202 weswegen seine Wahl keine kollisionsrechtlichen Folgen nach sich ziehen kann. Daher ist zu überprüfen, ob die nationale Regelung der c.i.c. im 196 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (10); von Hein, ZEuP 2009, 6 (21); Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 36. 197 Leible, RIW 2008, 257 (261); Rühl, in: FS Kropholler, 187 (190). 198 Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I), Kom(2005) 650 eng. 199 MPI, RabelsZ 71 (2007), 225 (244); ders., RabelsZ 68 (2004), 1 (33); Leible, in: Ferrari/Leible (2007), 41 (47); Mankowski, IPRax 2006, 101 (102); Lein, YB PIL 7 (2005), 391 (400–402); dagegen: R. Wagner, IPRax 2008, 377 (380). 200 Vgl. Palandt/Thorn, Art. 14 Rom II-VO Rn. 5; MüKo/Junker, Art. 14 Rom II-VO Rn. 15; PWW/Schaub, IPR-Anh 2/Art. 14 Rom II-VO Rn. 2; Sujecki, EWS 2009, 310 (314); Leible, RIW 2008, 257 (261); Rühl, in: FS Kropholler, 187 (189–192); a.A. Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (11); mit Beziehung nur auf Regelwerke mit gemeinschaftsrechtlichem Hintergrund: Rauscher/Jacob/Picht, Art. 14 Rom II-VO Rn. 37. 201 Staudinger, in: Gebauer/Wiedmann (2010), Kap. 38 Rn. 75; Rauscher/von Hein, Art. 3 Rom I-VO Rn. 54. 202 Vgl. Mankowski, in: Schmidt-Kessel (2009), 379 (407 f.).
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polnischen und im deutschen Recht zwingende Vorschriften beinhaltet, die durch den DCFR nicht verdrängt werden können. I. Abdingbarkeit der Vorschriften zur culpa in contrahendo im deutschen Recht Die deutschen Vorschriften über die c.i.c. sind bis zur Grenze der §§ 134, 138 BGB abdingbar.203 Der Ausschluss der Haftung für die c.i.c. vor Vertragsverhandlungen ist als Haftungsbeschränkung zu sehen, der nachträgliche Ausschluss der Haftung bedeutet hingegen einen Erlass der Ansprüche des Geschädigten gem. § 397 BGB.204 Gemäß § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig, es sei denn, aus dem Gesetz ergibt sich etwas anderes. Eine solche Beschränkung der Privatautonomie beinhaltet § 276 III BGB, gemäß dem die Haftung wegen Vorsatzes dem Schuldner im Voraus nicht erlassen werden kann. Die Analyse bezieht sich im Weiteren darauf, inwieweit die Haftungsmaßstäbe aus § 276 BGB geändert werden können. Rechtsprechung und Schrifttum gehen davon aus, dass bei einer Pflichtverletzung, durch welche das Integritätsinteresse beeinträchtigt wird, am Haftungsmaßstab des § 276 BGB festzuhalten ist.205 Die Aufklärungspflichten sowie die loyale Führung von Verhandlungen zählen gerade nicht dazu. Das bedeutet, dass die Haftung bei einer Verletzung der beiden vorvertraglichen Pflichten durch eine Parteivereinbarung nicht nur verschärft, sondern auch gemildert werden kann. Zu beachten ist dabei, dass das Rechtsgeschäft selbst nicht gegen § 138 BGB verstoßen darf. § 138 BGB regelt die Nichtigkeit des sittenwidrigen Rechtsgeschäftes. Ein Rechtsgeschäft wird als nichtig betrachtet, wenn es gegen die guten Sitten verstößt. Die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses oder des Erlassvertrages darf deswegen nicht gegen das Anstandsgefühl des billig und gerecht Denkenden verstoßen.206 Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Verjährungsvorschriften durch die Parteien geändert werden können. Die Grundsätze der Abdingbarkeit der Verjährung regelt § 202 BGB. Nach Abs. 1 kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch ein Rechtsgeschäft erleichtert werden. Daraus folgt, dass die Fristen nur durch eine Parteivereinbarung verschärft werden können. Diese Autonomie wird durch Abs. 2 beschränkt, indem eine Verjährungsfrist auf höchstens dreißig Jahre ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn verlängert werden darf. Zudem muss die Abdingbarkeit der Beweislastregeln geprüft werden. Im Schrifttum wird allgemein anerkannt, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Verteilung der Beweislast treffen können, soweit sie sich auf materiell203
Palandt/Grüneberg, § 311 Rn. 58; MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 204; Erman/Kindl, § 311 Rn. 27; Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 112. 204 MüKo/Emmerich, § 311 Rn. 204; vgl. Bamberger/Roth/Sutschet, § 311 Rn. 112. 205 Bamberger/Roth/Unberath, § 280 Rn. 38; BGHZ 93, 23 (27). 206 Vgl. Palandt/Ellenberger, § 138 Rn. 2.
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rechtliche Tatbestandsmerkmale bezieht.207 Die Regeln über die Beweislastverteilung aus dem DCFR können bedingungslos angewendet werden. Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Regelung der Haftung für die c.i.c. vor der Entstehung des schadensbegründenden Ereignisses abdingbar sind, es sei denn, die Pflichtverletzung wurde vorsätzlich begangen. Diese Beschränkung gilt nicht nach der Entstehung der Haftung für die c.i.c. Die Parteien können somit bei der Rechtswahl des DCFR durch Vereinbarung sowohl die Verjährung als auch die Beweislastverteilung beeinflussen, soweit diese Vereinbarung im Einklang mit § 138 BGB steht und die Parteien sich bei der Rechtswahl der Folgen des abgeschlossenen Rechtsgeschäftes bewusst waren. II. Abdingbarkeit der Vorschriften zur culpa in contrahendo im polnischen Recht Aus der Vertragsfreiheit folgt die Möglichkeit, den Inhalt der Parteivereinbarungen selbst zu bestimmen. Das Prinzip der Privatautonomie gewährleistet des Weiteren die Möglichkeit, über die eigenen Rechte, darunter auch die Ansprüche, selbst zu entscheiden. Daraus folgt, dass die Vorschriften über die deliktische Haftung grundsätzlich kein ius cogens bilden (Art. 437 KC e contrario).208 Begrifflich bedeutet es: Der Ausschluss der zukünftigen Haftung findet vor dem Eintritt des Schadens statt, dagegen kommt es gem. Art. 508 KC nach der Entstehung des deliktischen Schuldverhältnisses zu einem Erlass der Schuld. Eine Ausnahme von der Abdingbarkeit der Haftung könnte aus einer gesetzlichen Regelung folgen. Ein Verstoß gegen solche gesetzliche Bestimmung führt gem. Art. 58 § 1 KC zur Nichtigkeit eines solchen Rechtsgeschäftes. Als eine solche gesetzliche Beschränkung kommt die Klausel des Art. 473 § 2 KC in Betracht, die eine absolute Haftung für vorsätzliche Handlungen vorsieht. Diese Vorschrift spricht zwar von „Schuldner“ und „Gläubiger“, die beim Ausschluss der deliktischen Haftung ex ante noch nicht bestimmt sind, und ist im II. Teil „Die Folgen der Nichterfüllung des Schuldverhältnisses“ verortet, aber geht zurecht das überwiegende Schrifttum209 davon aus, dass diese Beschränkung auch für unerlaubte Handlungen anzuwenden ist. Sonst wäre eine inkohärente Regelung der Abdingbarkeit der Haftung für vorsätzliches Verhalten im Recht des Schuldverhältnisses gegeben, was dann zur Verbesserung der Stellung des Schädigers in deliktischer Haftung 207
MüKo/Prütting, § 286 Rn. 166 m.w.N.; Stein/Jonas/Leipold, § 286 Rn. 211 m.w.N. Die Haftung für den Schaden aufgrund der Nutzung von Naturkräften für das Antreiben eines Unternehmens oder mechanischen Verkehrsmittels ist nicht zu begrenzen oder auszuschließen. Dazu gehört nicht die c.i.c. 209 Kidyba/Gawlik, Art. 473 Anm. 9; Rzetecka-Gil, Art. 473 Anm. 18; Pietrzykowski/Popiołek, Art. 473 Rn. 6; Osajda/Borysiak, Art. 473 Anm. 9; Jastrzębski, KPP 3/2007, 801 (824); vgl. Garnecki, SP 3–4/2000, 65 (72); Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 473 Rn. 13 (keine direkte Anwendung). 208
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führt. Das ist abzulehnen, da die deliktische Haftung im Unterschied zur vertraglichen gerade dem Schutz auch von absoluten Rechten dient. Durch die weite Auslegung des Art. 473 § 2 KC wird daher der Schutz der Parteien des gesetzlichen Schuldverhältnisses gewährleistet, falls sie zuerst eine vertragliche Regelung über den zukünftigen Ausschluss der Haftung für unerlaubte Handlungen erfassen. Somit darf vor Eintritt des Schadens eine vorsätzliche Haftung nicht ausgeschlossen werden. Nach der Schadenszufügung kann der Gläubiger den Schuldner von der Schuld befreien oder auf Befriedigung verzichten.210 Außer dem gesetzlichen Verbot bildet auch die Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens eine Schranke für die Haftungsbegrenzung durch Parteienvereinbarung. Art. 58 § 2 KC bestimmt, dass ein Rechtsgeschäft auch dann als nichtig zu betrachten ist, wenn es mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht übereinstimmt. An dieser Stelle gewinnt erneut die Beschränkung der Haftung für die vorsätzliche Zufügung eines Schadens an Relevanz.211 Da der Ausschluss der Haftung für einen zukünftigen Schaden gegen die guten Sitten verstößt, ist ein solches Rechtsgeschäft gem. Art. 58 § 2 KC nichtig. Nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses bleibt es nach Art. 508 KC dem Gläubiger überlassen, über die entstandene Forderung frei zu verfügen. Dazu muss der Gläubiger über die Forderung frei verfügen können und mit dem Schuldner dessen Befreiung von der Verbindlichkeit vereinbaren.212 Etwas anderes gilt hinsichtlich der Verjährungsvorschriften. Die Verjährungsregelung der c.i.c. (Art. 4421 KC) beinhaltet zwar keine explizite Beschränkung oder einen Ausschluss der Privatautonomie, jedoch wird eine Begrenzung durch die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung eingeführt. Gemäß Art. 119 KC dürfen die Verjährungsfristen durch die Parteivereinbarung nicht verkürzt oder verlängert werden. Auch dürfen Umstände, die den Fristbeginn bestimmen sowie gesetzlich vorgesehene Gründe zur Hemmung oder Unterbrechung des Ablaufes der Verjährung nicht geändert werden.213 Ebenso wie die Verjährungsvorschriften werden auch die Regeln über die Beweislastverteilung als ein ius cogens betrachtet.214 Im Ergebnis ist ein Ausschluss der Haftung für vorsätzlich begangene c.i.c. nicht zulässig. Dagegen ist ein Schulderlass nach der Entstehung der Forderung auch für den vorsätzlich zugefügten Schaden möglich. Die Vereinbarungen des Ausschlusses der Haftung sowie des Schulderlasses müssen jedoch
210
Rzetecka-Gil, Art. 473 Anm. 13; a.A. Garnecki, SP 3–4/2000, 65 (76). Vgl. Olejniczak/Śmieja (2014), 645 f. 212 Gniewek/Machnikowski/Zagrobelny, Art. 508 Rn. 1, 6; Pietrzykowski/Zawada, Art. 508 Rn. 1, 3. 213 Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 119 Rn. 2. 214 Safjan/Radwański/Zieliński (2012), 475 m.w.N.; a.A. Gniewek/Machnikowski/Machnikowski, Art. 6 Rn. 8; Osajda/Borysiak, Art. 471 Anm. 63. 211
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mit den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Einklang stehen. Die Verjährungsfristen sowie die Beweislastregel sind dagegen nicht abdingbar. D. Regelung der culpa in contrahendo durch DCFR I. Informationspflichten Im Folgenden ist zu untersuchen, welche Informationspflichten vom DCFR erfasst sind. Dafür sind die Regelungen des DCFR bezüglich der direkt verfassten vorvertraglichen Pflichten, des Irrtums, der Vertragsmäßigkeit des Vertragsgegenstands sowie der Verpflichtung zur Beachtung des Gebots von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs zu analysieren. 1. Direkt verfasste vorvertragliche Informationspflichten Die vorvertraglichen Informationspflichten befinden sich in Buch II, Kapitel III, Abschnitt 1 des DCFR. Dieser Abschnitt behandelt u.a. die Pflichten zur Weitergabe von Informationen über die Waren, über andere Vermögenswerte und Dienstleistungen (Art. II.-3:101), über den Preis und zusätzliche Gebühren (Art. II.-3:107) sowie über die den Geschäftssitz und die Identität des Unternehmers (Art. II.-3:108).215 Außerdem werden die besonderen Aufklärungspflichten in Bezug auf Geschäfte zwischen Verbrauchern und Unternehmern (Artt. II.-3:102; II-3:103), die Informationspflichten bei Geschäften unter Anwendung von Echtzeit-Fernkommunikationsmitteln (Art. II.-3:104) sowie die Informationspflichten bei Vertragsschluss mit elektronischen Mitteln (Art. II.-3:105) geregelt. Nach Art. II.-3:101 DCFR ist der Unternehmer verpflichtet, diejenigen Informationen (hinsichtlich der Waren, Vermögenswerte oder Dienstleistungen) weiterzugeben, die die andere Partei vernünftigerweise unter Berücksichtigung der nach den Umständen üblichen Qualitäts- und Leistungsstandards erwarten kann. Abs. 2 enthält eine Legaldefinition der vernünftigen Erwartung an die Aufklärung. Eine vernünftige Erwartung besteht, wenn die unterlassene Informationsweitergabe eine Abweichung von der guten Handelspraxis darstellt. Der Umfang der Informationspflicht aus Art. II.-3:101 DCFR steht der Annahme einer allgemeinen Informationspflicht, nach der alle entscheidungserheblichen Informationen dem Kunden weiterzugeben sind, entgegen.216 Die Informationspflicht beschränkt sich darauf, die Informationen zu offenbaren, die für die Feststellung von Qualität
215
Deutsche Übersetzung der Regelungen des DCFR nach H. Schulte-Nölke, DCFR Translation Project, 2012, abrufbar unter (Stand: 2.9.2014): . 216 von Bar/Clive (2009), Art. II.-3:101 Anm. A (200) in der Übersetzung von H. SchulteNölke (2012).
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und Leistung der Produkte von Bedeutung sind, und über welche die Gegenpartei eine Unterrichtung erwarten kann.217 Der Abschnitt zu den Informationspflichten enthält zudem Rechtsbefehle die aus einer Informationspflichtverletzung folgen (Art. II.-3:109 DCFR). Der Unternehmer muss, wenn er seine Aufklärungspflichten verletzt, gem. Art. II.-3:109 Abs. 2 DCFR alle Verpflichtungen aus dem geschlossenen Vertrag erfüllen, die die andere Partei vernünftigerweise in Folge der mangelhaften oder unrichtigen Aufklärung erwarten kann. Die Vorschriften über die Rechtsmittel wegen der Nichterfüllung von Schuldverhältnissen kommen in diesem Fall gem. Art. II.-3:109 Abs. 2 S. 2 DCFR zur Anwendung (Buch III, Kap. III). Der Art. II.-3:109 Abs. 3 DCFR enthält weitere Rechtsmittel für die geschädigte Partei. Ungeachtet dessen, ob ein Vertrag abgeschlossen wurde, haftet das Unternehmen für jeden Verlust, den die andere Partei durch eine Pflichtverletzung des Unternehmens während der Verhandlungen erlitten hat. Dieser Vorschrift findet keine Anwendung, wenn ein Rechtsmittel wegen Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung besteht. Die vorgesehenen rechtlichen Mittel im Falle der Verletzung der vorvertraglichen Pflichten stehen nicht in Konkurrenz zu den Ansprüchen, die für den Irrtum geregelt sind (Art. II.-3:109 Abs. 4 DCFR). Der zu ersetzende Schaden umfasst gemäß der im Anhang zum DCFR befindlichen Definition sowohl Vermögens- als auch Nichtvermögensschäden. Der Vermögensschaden schließt den Verdienst- und Gewinnverlust, Aufwendungen und die Wertminderung von Gegenständen ein. Immaterielle Schäden sind „erlittener Schmerz und Leid sowie Beeinträchtigungen der Lebensqualität”. Im Gegensatz zum GEK enthält das DCFR keine Einschränkung des Begriffs des immateriellen Schadens. Daher umfasst der immaterielle Schaden auch die Enttäuschung und Unzufriedenheit als Folge des Abschlusses eines unerwünschten Vertrages. Die weitere Regelung des Schadensersatzes für die Informationspflichtverletzung befindet sich in Art. II.-3:501 DCFR. Ein Verschulden des Schädigers ist nicht erforderlich. Somit kann ein Schadensersatz ohne Rücksicht auf die subjektive Einstellung der zur Aufklärung verpflichteten Partei gefordert werden. 2. Aufklärungspflichten nach den Vorschriften über den Irrtum Neben den explizit geregelten vorvertraglichen Informationspflichten ergeben sich Rechtsfolgen der Verletzung von Aufklärungspflichten auch aus Vorschriften über Irrtum. Gemäß Art. II.-7:201 Abs. 1 lit. b Ziff. iii DCFR ist eine Partei zur Anfechtung des Vertrages berechtigt, wenn sie aufgrund der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten von einer anderen Partei einem Irrtum unterliegt. Als Informationspflicht wird auch hier keine allgemeine 217
von Bar/Clive (2009), Art. II.-3:101 Anm. A (201) in der Übersetzung von H. SchulteNölke (2012).
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Pflicht verstanden, nach Treu und Glauben alle Informationen offenbaren zu müssen.218 Vielmehr geht es um Verletzung konkreter vorvertraglicher Informationspflichten, die im DCFR an anderer Stelle normiert sind wie z.B. im Buch II Kap. 3 Abschn. 1 (Informationspflichten) oder im Buch IV, die jeweils die vertragstypischen Informationspflichten betreffen.219 Der DCFR sieht nicht nur die Möglichkeit der Anfechtung sowie des Schadensersatzes (Art. II.-7:214) vor, sondern auch die Möglichkeit der Anpassung des Vertrages, falls die Gegenpartei zum Ausdruck bringt, die vertragliche Verpflichtung in dem Umfang erfüllen zu wollen, oder tatsächlich erfüllt, wie diese von der zur Anfechtung berechtigten Partei verstanden worden ist (Art. II.-7:203). Der Vertrag ist dann so auszulegen, als wäre er so abgeschlossen, wie er von der irrenden Partei verstanden worden ist. Anders als das GEK bestimmt der DCFR nicht nur die Haftung für Täuschung (Art. II.-7:205), sondern auch für die Weitergabe von Falschinformationen (Art. II.-7:204). Falls die Voraussetzungen für Rechtsbefehle wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und wegen Nichterfüllung nebeneinander vorliegen, darf die Partei gem. Art. II.-7:216 DCFR frei wählen. 3. Spezielle Aufklärungspflichten bei bestimmten Vertragsarten Informationspflichten können sich auch aus den Vorschriften über besondere Vertragsarten ergeben. Im Falle des Kaufvertrages können die Informationspflichten aus den Vorschriften über die Vertragsmäßigkeit der Ware abgeleitet werden (Art. IV.A.-2:302 DCFR). Ähnliche besondere Informationspflichten findet man auch beim Mietvertrag (Art. IV.B.-3:103 DCFR), beim Dienstleistungsvertrag (Artt. IV.C.-2:102; IV.C.-3:104 DCFR), dem Handelsvertreter-, Franchise- und Vertriebsvertrag (Art. IV.E.-2:101 DCFR). Die Vernachlässigung der besonderen Aufklärungspflichten, soweit diese die Mangelhaftigkeit des Vertragsgegenstandes verursacht, führt zu einer Haftung nach den Grundsätzen der Nichterfüllung. Die Partei kann nicht nur einen Schadensersatz verlangen, sondern auch vom Vertrag zurücktreten, den Preis mindern sowie ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich einer gegenseitigen Verpflichtung ausüben. Dem Gläubiger stehen somit mehrere Rechtsmittel zur Verfügung, die parallel geltend gemacht werden können, soweit sie sich nicht ausschießen (Art. III.-3:102 DCFR). Der Schuldner hat das Recht zur Heilung der Mangelhaftigkeit des Vertragsgegenstandes (Art. III.-3:202 DCFR) durch Nach- bzw. Ersatzerfüllung. Für die Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz reicht es aus, dass die Nichterfüllung der Verpflichtung nicht entschuldbar war (Art. III.-3:101 DCFR). Das Recht auf Preisminderung oder 218 von Bar/Clive (2009), Art. II.-7:201 Anm. F (461) in der Übersetzung von H. SchulteNölke (2012). 219 von Bar/Clive (2009), Art. II.-7:201 Anm. F (461) in der Übersetzung von H. SchulteNölke (2012).
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
Vertragsaufhebung besteht unbeachtlich einer entschuldigten Nichterfüllung (Art. III.-3:101 Abs. 2 DCFR). Was unter einer Entschuldigung genau zu verstehen ist, regelt Art. III.-3:104 DCFR. Die Nichterfüllung der Verpflichtung des Schuldners ist dann als entschuldigt zu betrachten, wenn sie auf einem außerhalb des Einflussbereiches des Schuldners liegenden Hinderungsgrund beruht und wenn vom Schuldner vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund oder dessen Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. Dem Gläubiger steht ein Recht auf Schadensersatz für den erlittenen Verlust zu (Art. III.-3:701 DFCR). Der Maßstab für die Höhe des Ersatzes bildet der Betrag, der den Gläubiger so weit wie möglich in die Lage versetzt, in der er sich befunden hätte, wenn die Verpflichtung ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Aus dem Wortlaut des Art. III.-3:701 DCFR lässt sich schlussfolgern, dass der Schadensersatz nur in Geld erfolgt. Dafür spricht auch Art. III.-3:713 DCFR, der regelt, in welcher Währung der Schadensersatz zu zahlen ist. Gemäß der im Anhang des DCFR enthaltenen Definition des Schadensersatzes handelt es sich dabei um den Geldbetrag, zu dem eine Person berechtigt sein kann oder der einer Person von einem Gericht als Entschädigung für einen bestimmten Schaden gewährt wird. Der Rücktritt vom Vertrag setzt die Wesentlichkeit der Nichterfüllung voraus (Art. III.-3:502 DCFR), welche vorliegt, wenn dem Gläubiger durch die verspätete Leistung im Wesentlichen das vorenthalten wird, was er nach dem Vertrag erwarten durfte, oder wenn er sich nach den Umständen nicht auf die künftige Leistung des Schuldners verlassen kann. 4. Allgemeine Informationspflicht Einzelne Autoren220 leiten aus Art. II.-3:301 DCFR, welcher die Übereinstimmung der Verhandlungsführung mit dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs stipuliert, eine allgemeine Informationspflicht zu Recht ab. Die Information muss allerdings einen Bezug zu den Verhandlungen aufweisen. Die Parteien sind verpflichtet diejenigen Informationen an den Verhandlungspartner weiterzugeben, die für die Erzielung der Vereinbarung am Ende des Verhandlungsprozesses von Bedeutung sind. II. Abbruch von Vertragsverhandlungen Im Gegensatz zum GEK und zum CISG enthält der DCFR eine explizite Verpflichtung zur Verhandlungsführung nach dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs, sowie zur Vermeidung eines gegen dieses Gebot verstoßenden Verhandlungsabbruchs (Art. II.-3:301 Abs. 2). Als Beispiel eines in diesem Sinne pflichtwidrigen Verhaltens, wird die Aufnahme von Verhandlungen oder deren Fortführung ohne das tatsächliche Ziel eine 220
Faust, in: Schulze et al. (2008), 115 (124).
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Vereinbarung abzuschließen, genannt. Art. II.-3:301 Abs. 3 DCFR bestimmt einen Schadensersatz für Verluste wegen des in Abs. 2 beschriebenen illoyalen Verhandlungsführung. Die geschädigte Partei kann demnach Ersatz des negativen Vertragsinteresses verlangen.221 Ähnlich wie bei der Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten wird kein Verschulden vorausgesetzt (Art. II.-3:501 DCFR). Für den Schadensersatzanspruch wegen des Verhandlungsabbruchs ist das Vorliegen einer besonderen Vertrauenslage zwischen den verhandelnden Parteien vorauszusetzen, da Art. II.-3:301 Abs. 1 DCFR den Grundsatz der freien Verhandlungsführung manifestiert, also das Recht jeder Partei, die Verhandlungen ohne Vertragsabschluss zu beenden. Ähnlich dem GEK und dem CISG stipuliert der DCFR ebenfalls ein Prinzip des bindenden Angebots. Gemäß Art. II.-4:202 Abs. 2 DCFR ist das Angebot unwiderruflich, wenn es diese Folge zum Ausdruck bringt, eine Annahmefrist festsetzt oder wenn der Angebotsempfänger auf die Unwiderruflichkeit des Angebots vernünftigerweise vertrauen dürfte und darauf basierend gehandelt hat. Dies bedeutet einen zusätzlichen Schutz der Gegenpartei, die im Vertrauen auf den Abschluss des Vertrages die Dispositionen getätigt hat. III. Ergebnis Die Analyse des DCFR hat gezeigt, dass der Gemeinsame Referenzrahmen sowohl den Abbruch der Vertragsverhandlungen als auch die vorvertraglichen Informationspflichten regelt. Die illoyale Führung der Verhandlungen wird durch einen Schadensersatzanspruch der Gegenpartei sanktioniert. Das Regelwerk beinhaltet eine Vielzahl vorvertraglicher Aufklärungspflichten: explizite vorvertragliche Informationspflichten, mittelbare Aufklärungspflichten aus den Vorschriften zum Irrtum und zur Vertragsmäßigkeit des Vertragsgegenstands sowie eine allgemeine vorvertragliche Informationspflicht, die sich aus dem Gebot von Treu und Glauben ableitet. Die Rechtsfolgen umfassen Schadensersatz, die Anfechtung und Vertragsanpassung als auch die vertragliche Haftung. Die verschieden verortete Regelung einer Vielzahl von Pflichten führt zu Unübersichtlichkeit und erschwert die Anwendung des DCFR. E. Beweislast Der DCFR enthält keine ausdrückliche Regelung der Beweislastverteilung. Er beinhaltet aber einzelne Regelungen wie Art. II.-1:110 Abs. 3 und 4, Art. II.2:105 sowie Art. II.-3:301 Abs. 3, welche eine besondere Verteilung der Beweislast festlegen. Daraus lässt sich ableiten, dass in den sonstigen nicht explizit geregelten Fällen die allgemeinen Regeln der Verteilung des Beweises
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von Bar/Clive (2009), Art. II.-3:301 Anm. H (248) in der Übersetzung von H. Schulte-Nölke (2012).
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ähnlich wie im GEK zur Anwendung kommen. Die Partei muss also im Regelfall die Einzelheiten für eine beanspruchte Rechtsfolge beweisen.222 F. Verjährung Nach Art. III.-7:101 DCFR verjährt das Recht auf Erfüllung einer Verpflichtung aus dem DCFR. Die allgemeine Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (Art. III.-7:201 DCFR). Sie beginnt ab dem Zeitpunkt, in dem der Schuldner seine Leistung zu erbringen hat oder, im Falle des Rechts auf Schadensersatz, ab dem Zeitpunkt der Handlung, auf der der Anspruch beruht (Art. III.7:203 Abs. 1). Der Prozess der Verjährung kann hinausgezögert werden (Artt. III.-7:301 ff.) oder wiederholt beginnen (Artt. III.-7:401 ff.). Nach Art. III.-7:501 Abs. 1 DCFR ist der Schuldner nach Ablauf der Verjährungsfrist berechtigt, die Leistung zu verweigern. Die Parteien haben aber gem. Art. III.-7:601 Abs. 1 DCFR die Möglichkeit, die Voraussetzungen der Verjährung frei zu gestalten. Sie sind nur in der Sache der Fristen beschränkt, da die kürzeste Verjährungsfrist ein Jahr beträgt und die längste dreißig Jahre (Art. III.-7:601 Abs. 2). Die Anfechtungsmitteilung ist anders als beim GEK innerhalb einer unter Umständen angemessenen Frist abzugeben, nachdem die anfechtende Partei die maßgeblichen Tatsachen kennenlernt oder hätte kennenlernen müssen (Art. II.-7:210 DCFR). G. Gesamtwürdigung Der Gemeinsame Referenzrahmen taugt nicht als Lösung für den Ausgleich der rechtlichen Stellung der Parteien in der vorvertraglichen Phase deutschpolnischer Geschäftsbeziehungen. Ein großer Nachteil des DCFR ist seine ausschließlich materiell-rechtliche Verweisung, die zwingende Vorschriften des nationalen Rechts nicht verdrängen kann. Die Rechtswahl ex ante ist daher beschränkt auf die Fahrlässigkeitshaftung. Für vorsätzliche Schadenszufügung ist eine nachträgliche, erneute Vereinbarung der Rechtswahl des DCFR nötig. Die Untersuchung der Abdingbarkeit der nationalen Regelung der c.i.c. hat insbesondere im Rahmen des polnischen Rechts die geringe Durchsetzungskraft der Wahl des DCFR deutlich gemacht. Da dort die Beweislast- und die Verjährungsregeln ein zwingendes Recht sind, ist bei Verträgen, die nach der Rom I-VO dem polnischen Recht unterliegen, eine Teilrechtswahl des deutschen Rechts erforderlich, damit die entsprechenden Regelungen des DCFR zur Anwendung kommen können. Zweitens vermag der DCFR keinen echten Ausgleich der rechtlichen Positionen der Parteien in der vorvertraglichen Phase herzustellen. Der DCFR regelt zwar mehrere vorvertragliche Informationspflichten sowie die Verpflichtung zur Führung der Verhandlungen 222
So Art. 6 KC.
§ 15 Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Beweislastverteilung
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nach dem Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs, bietet aber keine einheitliche Haftung für die Verletzungen dieser Pflichten. Die Haftungsgrundsätze für die Verletzung der vorvertraglichen Pflichten sind zudem schwach ausgeprägt. Die Einräumung eines entgeltlichen Ersatzes für immaterielle Verluste sowie einer verschuldensunabhängigen Haftung verbessern die rechtliche Stellung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner grob unverhältnismäßig. Die Berücksichtigung der Erwartungen des Geschädigten im Falle der Aufklärungspflichtverletzung vergrößert i.V.m. der Haftung ex contractu das Ungleichgewicht der rechtlichen Stellung der Parteien. Auch die alternative Konkurrenz von Anfechtungs- und Gewährleistungsvorschriften stärkt einseitig die rechtliche Stellung des Gläubigers: Dadurch kann der Gläubiger, falls der Anwendungsbereich von Irrtums- und vertraglicher Haftung eröffnet ist, die Beschränkung der Vertragsbeendigung durch die Voraussetzung der Wesentlichkeit umgehen sowie dem Schuldner die Heilungsmöglichkeit der Vertragsverletzung nehmen und direkt einen Schadensersatz sowie Aufhebung des Vertrages verlangen. Ein weiterer Nachteil des DCFR ist der Mangel an Rechtsprechung und Kommentierung, der eine einheitliche Anwendung verhindert. Da der DCFR kein EU-Recht ist, können Auslegungsprobleme nicht durch den EuGH ausgeräumt werden. Angesichts des Mangels an Dokumenten zur Entstehungsgeschichte sowie umfassender Kommentare sind eine starke Heterogenität der richterlichen Entscheidungen und eine daraus resultierende Rechtsunsicherheit zu erwarten. Aufgrund seiner inkohärenten Regelung der vorvertraglichen Pflichten, die einen Ausgleich der rechtlichen Stellung der Parteien nicht gewährleisten, sowie seine Eigenschaft als akademisches Regelwerk und nicht anerkanntes staatliches Recht stellt der DCFR keine taugliche rechtliche Lösung zur Vermeidung von Rechtsunterschieden im polnisch-deutschen Geschäftsverkehr dar.
§ 15 Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Beweislastverteilung nach Rom I- und Rom II-VO § 15 Kollisionsrechtliche Anknüpfung der Beweislastverteilung
Grundsätzlich wendet das Gericht für das Prozessverfahren die lex fori an.223 Die Parteien können jedoch eine Gerichtsstandsvereinbarung über das Prozessrecht abschließen. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann nach Art. 25 Brüssel Ia-VO224 sowohl für eine bereits entstandene als auch für eine künf-
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Ereciński/Ciszewski (2000), 51–53. Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 12 v. 16.1.2001, 1 ff., in der Neufassung von Verordnung (EU) Nr. 224
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3. Kapitel: Harmonisierung der Rechtsunterschiede
tige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis heraus entspringende Rechtsstreitigkeit vereinbart werden. Sie führt zur ausschließlichen Zuständigkeit des gewählten Gerichts oder der Gerichte, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Es stellt sich daher die Frage, ob eine Vereinbarung eines bestimmten Gerichtsstands geeignet ist, die Position der Parteien in Bezug auf Beweiserleichterungen auszugleichen. Hierzu müsste die Entscheidung über die Beweislastverteilung sowie die Zuordnung der Beweiserleichterungen kollisionsrechtlich unter die lex fori fallen. Nach Art. 22 I Rom II-VO ist das für das außervertragliche Schuldverhältnis maßgebende Recht insoweit anzuwenden, als es für außervertragliche Schuldverhältnisse gesetzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt. Eine vergleichbare Formel beinhaltet Art. 18 I der Rom I-VO. Da sich die Regelungen der allgemeinen Beweislastverteilung im polnischen und deutschen Recht nicht deutlich unterscheiden,225 scheint die kollisionsrechtliche Beweislastregelung für die deutsch-polnischen Sachverhalte auf den ersten Blick geringe Bedeutung zu haben. Allerdings bilden die Beweiserleichterungsmittel, wie die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens, die richterliche Beweislastumkehr im deutschen und der Anscheinsbeweis im polnischen Recht, Ausnahmen von der Grundregel der Beweislastverteilung, weswegen die Regelung des Art. 22 Rom II-VO bzw. des Art. 18 Rom I-VO für deren Anknüpfung im Prozessrecht doch eine Rolle spielt.226 Im Folgenden gilt es daher zu analysieren, wie die genannten Institute im internationalen Beweisverfahren anzuknüpfen sind. A. Beweiserleichterungen im deutschen Recht I. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens Eine gesetzliche Vermutung i.S.d. Rom-Verordnungen bedeutet die Entbindung einer Partei durch das materielle Recht von der Erbringung des Nachweises für das Vorhandensein einer für sie günstigen Sach- oder Rechtslage bei Vorliegen bestimmter Sachverhaltsvoraussetzungen.227 Die tatsächlichen Vermutungen, zu denen die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens gehört,228 beziehen sich im Gegensatz zu gesetzlichen Tatsachenvermutungen nicht auf ein Gesetz im materiellen Sinne, sondern auf die Lebenserfahrung. 229 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. L 351 v. 20.12.2012, 1 ff. 225 Vgl. Hess (2011), 203; Art. 6 KC; siehe § 5 A und B. 226 Siehe § 6. 227 Rauscher/von Hein, Art. 18 Rom I-VO Rn. 4; vgl. Rauscher/Jakob/Picht, Art. 22 Rom II-VO Rn. 6. 228 Vgl. Walter (1979), 211; Wieczorek/Schütze/Assmann, § 292 Rn. 13. 229 MüKo/Junker, Art. 22 Rom II-VO Rn. 7; vgl. MüKo/Spellenberg, Art. 18 Rom I-VO Rn. 19.
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Deshalb stellt die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens keine gesetzliche Vermutung i.S.v. Art. 22 Rom II-VO dar.230 Unter den Oberbegriff der Beweislast fallen die objektive und subjektive Beweislast sowie die Darlegungs-, die Behauptungs- sowie die Beweisführungslast.231 Die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens bewirkt, dass die zur Aufklärung verpflichtete Partei die Überzeugung des Richters über die Existenz eines kausalen Zusammenhangs erschüttern muss, indem sie ihn darauf hinweist, dass der anderen Partei mehrere plausible Verhaltensweisen offenstanden.232 Da diese Vermutung eng mit der Regelung des materiellen Rechts verbunden ist und nach der Rechtsprechung zur Verlagerung der objektiven Beweislast führt, fällt sie unter die Regeln des Art. 22 I Rom II-VO. Daraus folgt, dass die lex causae darüber entscheidet, ob eine solche Vermutung im Prozess in Frage kommt.233 II. Richterliche Beweislastumkehr Fraglich ist die kollisionsrechtliche Bewertung der richterlichen Verlagerung der Beweislast wegen der Berücksichtigung des Zwecks der Aufklärungspflichten.234 Eine solche Beweislastumkehr weicht von der gesetzlichen Regelung der Frage der Beweislastverteilung ab. Sie ist nicht durch das Verhalten der Parteien im Prozess begründet wie im Falle der Vernichtung von Beweismitteln, sondern wird von einer dringenden Notwendigkeit der Modifizierung der allgemeinen Beweislastregel235 verursacht.236 Aus diesem Grunde ist die richterliche Beweislastumkehr unter die Regeln des Art. 22 Rom II-VO zu stellen und nach der lex causae zu qualifizieren. III. Anscheinsbeweis Die Zuordnung des Anscheinsbeweises im Internationalen Prozessverfahren ist problematisch. Einerseits ist der Anscheinsbeweis mit der Beweiswürdi-
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Vgl. Erman/Hohloch, Art. 22 Rom II-VO Rn. 4. Rauscher/Jakob/Picht, Art. 22 Rom II-VO Rn. 10; Palandt/Thorn, Art. 22 Rom I-VO Rn. 3; Rauscher/von Hein, Art. 18 Rom I-VO Rn. 7. 232 Vgl. Prütting/Gehrlein/Laumen, § 284 Rn. 15; siehe § 6 A III 1 c. 233 AG Geldern, NJW 2011, 686 (687); vgl. Coester-Waltjen (1983), 264–272; a.A. aufgrund des Internationalen Verfahrensrechts: Linke/Hau (2011), Rn. 346; Nagel/Gottwald (2013), 512. 234 Siehe § 6 A III 1 c aa 1. 235 Prütting/Gehrlein/Laumen, § 286 Rn. 71. 236 MüKo/Spellenberg, Art. 18 Rom I-VO Rn. 19; Staudinger/Magnus, Art. 18 Rom IVO Rn. 26. 231
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gung i.S.v. § 286 ZPO verbunden und nicht mit den spezifischen Beweislastregeln, da es sich nur um eine Feststellung von Tatsachen handelt.237 Dem Anscheinsbeweis zugrundeliegende Erfahrungssätze sind Teil der Beweiswürdigung und damit Domäne des Richters.238 Der Normenadressat ist der Richter und nicht die Partei.239 Schließlich wird auch nur ein Beweisgegenstand verschoben, was die Beweislast erleichtert.240 Diesen Argumenten folgend wird im Schrifttum vertreten, dass der Anscheinsbeweis nach der lex fori anzuknüpfen ist.241 Andererseits ist anzuerkennen, dass das Ziel der Anwendung des Anscheinsbeweises eine materiell-rechtliche Begünstigung einer Partei ist, indem statt einzelner, schwer aufklärbarer Tatbestandsmerkmale bestimmte Indiztatsachen zum Beweisgegenstand gemacht werden.242 Die Zulässigkeit der Anwendung erfordert zunächst die abstrakte, rechtssatzmäßige Entscheidung darüber, ob bei einem typischen, regelhaften Geschehen ein bestimmter Ablauf unterstellt werden kann, der zu einer Veränderung oder faktischen Umkehr der Beweislast führt.243 Nach Ansicht eines Teils des Schrifttums sowie der Rechtsprechung bewirkt der Anscheinsbeweis mithin ähnlich wie die Vermutungen eine Verlagerung der Beweislast auf die Gegenpartei und soll daher unter die Regelung von Art. 22 I Rom II-VO fallen.244 Gegen die Anknüpfung des Anscheinsbeweises an die lex causae spricht allerdings, dass mit dessen Anwendung nur die konkrete Beweisführungslast geändert wird.245 Die konkrete Beweisführungslast betrifft die Frage, welche Partei in einer bestimmten Prozesssituation, in der das Gericht bereits eine vorläufige Überzeugung vom Vorliegen einer beweisbedürftigen Tatsache gewonnen hat, einen Beweis antreten muss, um den Prozess zu gewinnen – im Unterschied zur abstrakten Beweisführungslast, die die Frage regelt, welcher 237
MüKo/Spellenberg, Art. 18 Rom I-VO Rn. 24; Rauscher/von Hein, Art. 18 Rom IVO Rn. 8; Linke/Hau (2011), Rn. 346. 238 Schack (2014), Rn. 746; vgl. Rauscher/von Hein, Art. 18 Rom I-VO Rn. 8; Nagel/Gottwald (2013), 512; Thole, IPRax 2010, 285 (286); Riezler (1949), 466. 239 Riezler (1949), 466. 240 Schack (2014), Rn. 746; vgl. Prütting/Gehrlein/Laumen, § 286 Rn. 29. 241 Schack (2014), Rn. 746; Nagel/Gottwald (2013), 512; Thole, IPRax 2010, 285 (287); Erman/Hohloch, Art. 22 Rom II-VO Rn. 4; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 22 Rom II-VO Rn. 3 und Art. 18 Rom I-VO Rn. 4; Prütting/Gehrlein/Laumen, § 286 Rn. 29; MüKo/Prütting, § 286 Rn. 50; Riezler (1949), 466; BGH, NJW 1985, 554 f. 242 Schack (2014), Rn. 746. 243 Staudinger/Magnus, Art. 18 Rom I-VO Rn. 25. 244 Rauscher/von Hein, Art. 18 Rom I-VO Rn. 8; ders./Jakob/Picht, Art. 22 Rom II-VO Rn. 8; Staudinger/Magnus, Art. 18 Rom I-VO Rn. 25; MüKo/Spellenberg, Art. 18 Rom IVO Rn. 25; MüKo/Junker, Art. 22 Rom II-VO Rn. 8; Palandt/Thorn, Art. 22 Rom II-VO Rn. 1; Staudinger, NJW 2011, 650 (651 f.); Zöller/Geimer, § 363 Rn. 160; AG Geldern, NJW 2011, 686 (687). 245 Prütting/Gehrlein/Laumen, § 286 Rn. 31.
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Partei vor und zu Beginn des Prozesses die Beweisführungslast obliegt.246 Sie variiert typischerweise während der Gerichtsverhandlung dem jeweiligen Stand der richterlichen Überzeugung entsprechend, ohne die Verteilung der objektiven Beweislast zu berühren. Diese Änderung der subjektiven Beweislast folgt nicht aus dem materiellen Recht, sondern aus der Tätigkeit der Parteien im Prozess. Der Anscheinsbeweis ist deswegen nicht an die lex causae, sondern an die lex fori kollisionsrechtlich anzuknüpfen.247 IV. Beweismaßreduzierung nach § 287 I ZPO Für den Beweis des Entstehens und der Höhe des erlittenen Schadens sowie der haftungsausfüllenden Kausalität kann dem Geschädigten eine Beweismaßreduzierung aus § 287 I ZPO zugutekommen. Ein Rückgriff des Gerichts auf § 287 I ZPO setzt voraus, dass die Beurteilung des Beweismaßes im internationalen Verfahren zu den Regeln der lex fori gehören. Nach Art. 22 I Rom IIVO bestimmt das für das außervertragliche Schuldverhältnis anwendbare Recht auch die Beweislastverteilung. Die Reduzierung des Beweismaßes beeinflusst zwar die Verteilung der Beweisführungslast und somit die Sachentscheidung, was zunächst für die lex causae spricht. Ihre Anwendung führt aber nicht zur Verlagerung der objektiven Beweislast. Die Frage des Beweismaßes fällt vielmehr in den Bereich der Beweiswürdigung. Dem Richter ist es auch im Falle der Anwendung von fremdem Recht erlaubt, nach lex fori-Regeln zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung als wahr zu betrachten ist.248 Andernfalls wäre der Richter vor das Problem gestellt, die ausländischen Regelungen zur Beweiswürdigung zu ermitteln und richtig anzuwenden.249 Darüber hinaus steht die Überzeugungsbildung des Richters dem Überzeugungsmaß so nahe, dass sie nicht verschiedenen Rechtsordnungen zugeordnet werden dürfen.250 Durch die Anwendung der lex fori für die Beurteilung des § 287 I ZPO wird im Internationalen Prozessverfahren Entscheidungssicherheit und -homogenität gewährleistet, da die Gefahr, fremdes Recht falsch auszulegen, ganz ausgeschlossen wird.251 Die Anwendung von § 287 I ZPO durch den Richter bestimmt sich nach der lex fori.252
246
Prütting/Gehrlein/Laumen, § 286 Rn. 60. Vgl. Coester-Waltjen (1983), 302. 248 Stein/Jonas/Leipold, § 286 Rn. 1, 14; MüKo/Prütting, § 286 Rn. 20. 249 Vgl. Schack (2014), Rn. 776. 250 Linke/Hau (2011), Rn. 348; Nagel/Gottwald (2013), 512. 251 Vgl. Schack (2014), Rn. 776 f. 252 Siehe Rauscher/Jakob/Picht, Art. 22 Rom II-VO Rn. 12; a.A. Coester-Waltjen (1983), 278 ff. 247
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B. Beweiserleichterungen im polnischen Recht I. Anscheinsbeweis Nach einer Meinung des Schrifttums erfolgt die Zuordnung des Anscheinsbeweises nach der lex causae.253 Dies wird damit begründet, dass es sich nur um ein mit der tatsächlichen Vermutung vergleichbares Rechtsinstitut handle, was mit Nachweisen aus dem deutschen Schrifttum ergänzt wird. Gegen diese Ansicht spricht aber, dass das Rechtsinstitut des Anscheinsbeweises im deutschen Recht eher mit der polnischen tatsächlichen Vermutung vergleichbar ist. Zum anderen verkennt sie, dass der Anscheinsbeweis im polnischen Recht eine Verlagerung der objektiven Beweislast verursacht.254 Außerdem reicht die Glaubhaftmachung der Existenz der entscheidungserheblichen Tatsachen255 gegenüber dem Vollbeweis, was zu einer Beweismaßreduktion führt. Richtig ist daher, den Anscheinsbeweis als eine von der tatsächlichen Vermutung abweichende Beweiserleichterung zu definieren.256 Der Anscheinsbeweis ist nur ausnahmsweise anzuwenden,257 da seine Anwendung eine Änderung der Beweislast verursacht. Demnach entscheidet die lex causae über die Anwendung des Anscheinsbeweises in einem Prozessverfahren mit international-privatrechtlichem Bezug. II. Tatsächliche Vermutung Die tatsächliche Vermutung spielt im polnischen Recht eine mit dem Anscheinsbeweis im deutschen Recht vergleichbare Rolle. Die tatsächliche Vermutung im polnischen Recht wird anders als im deutschen Recht durch das Zivilprozessrecht legaldefiniert und ist mit der gesetzlichen Vermutung nicht vergleichbar.258 Diese Art der Vermutung verursacht keine Verlagerung der objektiven Beweislast oder der abstrakten subjektiven Beweisführungslast. Deswegen zählt sie zu den Regeln der Beweiswürdigung.259 Der Richter wendet für die Beweiswürdigung die lex fori an,260 weswegen für die tatsächliche Vermutung i.S.d. polnischen Rechts die lex fori gleichfalls zur Anwendung kommt.
253 Ereciński/Ciszewski (2000), 245 (vor allem Berufung auf Riezler (1949), 466); überhaupt gegen die Anwendung des Anscheinsbeweises im Prozess mit internationalem Element: Piasecki, in: Korzan (1986), 166 f. 254 Siehe § 6 B III. 255 Osajda/Sobolewski, Art. 6 Anm. 9. 256 Siehe § 6 B. 257 Siehe § 6 B III. 258 Siehe § 6 B. 259 Piasecki, in: FS Resich, 233 (237). 260 Pazdan/Pazdan, Art. 4 Anm. 44; Ereciński/Ciszewski (2000), 245; Piasecki, in: FS Resich, 233 (243).
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Eine ähnliche Funktion wie die tatsächliche Vermutung hat Art. 322 KPC, der eine richterliche Ermittlung nur der Schadenshöhe zulässt, wenn diese nicht bewiesen werden kann oder der Beweis erheblich erschwert ist. Trotz der Erleichterung der Beweisführung für die Schadenshöhe nach Art. 322 KPC müssen für die richterliche Bestimmung der Schadenshöhe ausreichende Anhaltspunkte im Beweismaterial vorliegen und alle übrigen Voraussetzungen des Tatbestands erfüllt sein. Art. 322 KPC ist ein Institut des Prozessrechts, das die Beweislastverteilung unbeeinflusst lässt.261 Deshalb ist er ähnlich wie die tatsächliche Vermutung mit der lex fori verbunden. C. Gesamtwürdigung Die Gerichtsstandsvereinbarung kann nur solche Beweisführungserleichterungen beeinflussen, die an die lex fori knüpfen. Das sind der Anscheinsbeweis im deutschen und die faktische Vermutung im polnischen Recht. Beide Rechtsinstitute dienen der Vereinfachung des Beweisverfahrens, ohne einen Einfluss auf die Verteilung der objektiven Beweislast auszuüben. Sie sind ähnlich gestaltet und erfüllen jeweils die gleiche Funktion im Verfahrensrecht. Bedeutende Beweiserleichterungen wie die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens, die richterliche Beweislastumkehr sowie die gesetzliche Vermutung des Verschuldens sind dagegen an die lex causae anzuknüpfen. Die Anwendung einer Gerichtsstandsvereinbarung ist daher nicht geeignet, die ungleiche prozessrechtliche Stellung der Parteien im Falle der c.i.c. auszugleichen.
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Marciniak/Piasecki/Markiewicz, Art. 322 Rn. 11.
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse 1. Als gemeinsamer Bezugspunkt für den deutsch-polnischen Rechtsvergleich wurde eine „gemeineuropäische“ Definition des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo, c.i.c.) ausgearbeitet. Die Definition konnte autonom anhand des europäischen Privatrechts ermittelt werden; ein Rückgriff auf nationales Recht war nicht erforderlich. Ausgangspunkt der Analyse war Art. 12 Rom II-VO, der das anwendbare materielle Recht für die Fälle des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen regelt. Die Untersuchung wurde durch die grammatische, systematische, historische sowie teleologische Auslegungsmethode konkretisiert. Nach der gemeineuropäischen Definition ist die c.i.c. eine Sonderverbindung, die nicht kraft eines Rechtsgeschäftes entsteht, sondern auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen. Diese Verbindung steht in einem unmittelbaren Sachzusammenhang mit den Verhandlungen, die als Aufnahme eines reinen rechtsgeschäftlichen Kontaktes zu verstehen sind. Die vorvertragliche Phase beschreibt den Zeitraum vor dem freiwilligen Eingang einer Verbindlichkeit. Ihre zeitlichen Grenzen sind funktional und stets unter Berücksichtigung des konkreten Zusammenhangs einer Handlung mit dem Vertrag auszulegen. Aus dem zeitlichen Anwendungsbereich der c.i.c. sind die Elemente des inneren und äußeren Vertragstatbestands herauszunehmen (§ 1). Die der Haftung aus der c.i.c. zugeordneten Fallgruppen sind die Verletzung der Offenlegungspflicht sowie der Abbruch der Vertragsverhandlungen (§ 2). 2. a) Der Rechtsvergleich der c.i.c. im deutschen und polnischen Recht hat gezeigt, dass die Aushilfsfunktion der Haftung im polnischen Recht, anders als im deutschen Recht, nicht erfüllt wird. Der Grund dafür ist die unterschiedliche Haftungsnatur der c.i.c. in den beiden Rechtsräumen. Während diese im deutschen Recht eine quasivertragliche Haftungsart darstellt, ist sie im polnischen Recht der deliktischen Haftung zugeordnet. Haftungsgrundlage der c.i.c. im polnischen Recht bildet Art. 415 KC (Hauptanspruchsgrundlage für unerlaubte Handlungen). Anders als im deutschen Recht ist die deliktische Haftung nicht auf den Schutz der absoluten Rechte beschränkt. Daher gehört zur Haftung für unerlaubte Handlungen nach polnischem Recht auch die schuldhafte Zufügung eines reinen Vermögensschadens (§ 3 B I 2 b, e). Die Verpflichtung zur Loyalität aus Art. 72 § 2 KC bildet entgegen der überwiegenden Meinung im Schrifttum keine Hauptrechtsgrundlage der Haftung für
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
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die c.i.c., da sie die vorvertraglichen Pflichten nicht abschließend regelt. Die Regelung des Art. 72 § 2 KC stellt vielmehr ein gesetzliches superfluum dar: Die Haftung für Illoyalität während der Verhandlungen nach Art. 72 § 2 KC unterscheidet sich von der aus Art. 415 KC nur insofern, dass der Schädiger auch einen zufälligen Eintritt des Schadens verantworten muss. Das gesetzgeberische Ziel einer Stärkung der rechtlichen Stellung des Geschädigten wird jedoch dadurch nicht erreicht. Zwar hat der Geschädigte nach Art. 72 § 2 KC, anders als bei Art. 415 KC, keinen Beweis für die Schuld zu führen. Da jedoch der Schwerpunkt der Beweisführung nicht im Nachweis der Schuld, sondern der Sittenwidrigkeit der Verhandlungsführung liegt, ergibt sich hieraus keine wesentliche Beweiserleichterung für den Gläubiger (§ 3 B I 2 c). b) Die weitere Analyse der Grundsätze der Haftung für das Verschulden bei Vertragsverhandlungen hat ergeben, dass diese nach polnischem Recht zwar keine Aushilfsfunktion, jedoch eine für die deliktische Haftung typische Kompensations- und Präventionsfunktion erfüllt. Darüber hinaus erfüllt die Haftung für die Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten eine Schutzfunktion hinsichtlich des Vertrauens der Parteien auf das loyale Verhalten des Verhandlungspartners, des Vermögens und der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. Die vorvertragliche Haftung gewährleistet ein faires Verhalten der Parteien und fördert dadurch die Bereitschaft der Marktteilnehmer in Verhandlungen einzutreten (§ 3 B II). 3. a) Die Untersuchung des Rechtsinstituts der c.i.c. nach deutschem Recht, welche gleichsam als Ausgangspunkt für die Analyse der Ausprägung der vorvertraglichen Haftung im polnischen Recht diente, hat gezeigt, dass sie in einem vorvertraglichen gesetzlichen Schuldverhältnis begründet ist, welches die Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei enthält (§ 3 A III 4). Diese gegenseitigen Pflichten entstehen bereits mit der Aufnahme der Verhandlungen (§ 4 A I 3). Dabei müssen alle Informationen offenbart werden, die für die Entscheidung über einen Abschluss einer vertraglichen Verbindung für die Gegenpartei von erheblicher Bedeutung sind (§ 4 A I 1 a). Auch die Unterlassung der Aufklärung über die fehlende Vertragsabschlussbereitschaft stellt eine Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten dar, falls entgegen dem tatsächlich fehlenden Abschlusswillen bei der anderen Partei ein Vertrauen auf den Vertragsabschluss erweckt wurde (§ 4 A I 2 b). Die Partei, die trotz des erweckten Vertrauens auf den Vertragsschluss die Verhandlungen ohne einen triftigen Grund abbricht, muss für die durch die andere Partei getätigten Vermögensdispositionen einstehen. Entsprechend können bis zur Entstehung eines Vertrauensverhältnisses die Vertragsverhandlungen ohne Vorliegen objektiver Gründe abgebrochen werden (§ 4 A I 3). b) Die Rechtsfolgen einer Verletzung der vorvertraglichen Pflichten sind durch § 280 I BGB geregelt. Der Geschädigte hat demnach einen Anspruch
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auf den Ersatz des entstandenen Schadens. Dieser kann auf drei Arten erfolgen. Die erste Möglichkeit ist der entgeltliche Schadensersatz, der sowohl die Verluste als auch den entgangenen Gewinn umfasst, ohne dass dabei die Höhe des Ersatzes auf die Höhe des positiven Interesses begrenzt wird (§ 5 A I, II). Unter der Voraussetzung, dass ein entsprechender Geschehensablauf bewiesen wird, kann auch das positive Interesse ersetzt werden. Als zweite Möglichkeit des Schadensersatzes kann der Geschädigte, soweit ein unerwünschter Vertrag abgeschlossen wurde, die Vertragsaufhebung verlangen (§ 5 A III). Das Vorliegen eines Vermögensschadens ist hierzu nicht erforderlich. Neben der Aufhebung des Vertrages können auch die in Erwartung des Vertragsabschlusses getätigten Aufwendungen ersetzt werden. Dagegen besteht ein Anspruch auf Naturalrestitution in Form des Vertragsabschlusses nicht. Die dritte Möglichkeit des Schadensersatzes ist der Ersatz des Rechtsvertrauensschadens bei Festhalten an dem unerwünschten Vertrag (§ 5 A IV). Die Höhe des zu ersetzenden Restvertrauensschadens für das verletzte negative Interesse ergibt sich aus der Differenz zwischen bezahltem Preis und objektivem Wert der Leistung. Soweit dagegen Ersatz des positiven Interesses verlangt wird, ist der Beweis der Bereitschaft des Schuldners, einen für den Geschädigten günstigeren Vertrag abzuschließen, erforderlich. Die Höhe des Schadensersatzes ergibt sich dann aus der Differenz zwischen bezahltem und erwartungsgerechtem Preis. Wegen des Vorrangs der Naturalrestitution kann Ersatz des Restvertrauensschadens nur verlangt werden, wenn die Vertragsaufhebung ausgeschlossen ist. c) Sämtliche Schadensersatzansprüche aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten unterliegen einer dreijährigen Verjährungsfrist (§ 7 A). Auf den Anspruch auf Vertragsaufhebung findet die Ausschlussfrist für die Anfechtung aus § 124 I BGB keine Anwendung. Zwischen den Ansprüchen aus Anfechtung und Vertragsaufhebung wegen der c.i.c. besteht alternative Konkurrenz (§ 8A I). Gewährleistungsansprüche hingegen schließen die Anwendung der c.i.c. aus (§ 8 A II). Für die Beweislastfrage gilt die Formel, gemäß welcher derjenige, der eine Rechtsfolge aus einer behaupteten Tatsache zieht, diese auch beweisen muss. Diese Formel findet hinsichtlich des Verschuldenstatbestands jedoch keine Anwendung. Dessen Vorliegen wird gem. § 280 I BGB gesetzlich vermutet. Für die Frage der Kausalität kommen im Falle der Aufklärungspflichtverletzung verschiedene Beweiserleichterungen in Betracht. Die von der Rechtsprechung angewandte und entweder mit der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens oder dem Schutzzweck der Aufklärungspflicht begründete Beweislastumkehr ist abzulehnen. Eine Beweislastumkehr als Folge der Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens ist mangels der Voraussetzungen für eine Analogie zur gesetzlichen Vermutung nicht vertretbar. Auch der Schutzzweck der Aufklärungspflichten liefert keine überzeugende Begründung für eine
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richterliche Beweisumkehr. Für den Kausalitätsnachweis kommen dem Geschädigten daher lediglich die Beweismaßreduzierung aus § 287 I ZPO sowie der Anscheinsbeweis zugute (§ 6 A). 4. a) Im polnischen Recht ist die schuldhafte Zufügung eines Schadens durch eine unerlaubte (rechtswidrige) Handlung einer der Verhandlungsparteien Voraussetzung für die Haftung aus der c.i.c. Der Begriff der Rechtswidrigkeit ist als Verletzung der allgemein geltenden Ver- und Gebote zu verstehen, die auf jedes Rechtssubjekt Anwendung finden und aus den allgemein geltenden Rechtsnormen und Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie aus dem Gebot des guten Glaubens erwachsen (§ 4 A II 1). Für die Begründung der Verpflichtung zur gegenseitigen Loyalität und informationellen Selbstbestimmung in der vorvertraglichen Phase wurden daher sowohl die Vorschriften, die explizit eine Pflicht zur Aufklärung und Loyalität regeln, als auch die nicht gesetzlich definierte Generalklausel der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens untersucht (§ 4 A II 2). Die Analyse der Grundlagen der vorvertraglichen Pflichten hat gezeigt, dass für die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Tuns bzw. Unterlassens in der vorvertraglichen Phase allein die Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens als Maßstab dienen können (§ 4 A II 2 h). Diese Generalklausel beschreibt die Summe der gesellschaftlichen Moralwerte und der hierauf aufbauenden typischen Verhaltensmuster. Es wurde gezeigt, dass für die vorvertraglichen Pflichten die moralische Norm des gegenseitigen Vertrauens die wichtigste Rolle spielt (§ 4 A II 2 h dd). Dieses Vertrauen bedeutet, dass die Verhandlungspartner sich darauf verlassen können, dass die andere Partei sich nicht widersprüchlich verhält und eine erweckte Erwartung auf einen Vertragsabschluss nicht durch einen grundlosen Abbruch der Verhandlungen enttäuscht. Darüber hinaus bedeutet das Vertrauen auch die berechtigte Erwartung der Verhandlungspartner, dass sie von der anderen Partei weder fahrlässig noch vorsätzlich über deren Vertragsabschlussbereitschaft getäuscht und bei Vorliegen eines entsprechenden Irrtums aufgeklärt werden. Das schützenswerte Vertrauen umfasst weiter auch die Übermittlung aller für den Vertragsschluss relevanten Informationen. Die moralisch konnotierte Verpflichtung zur Enthüllung der entscheidungserheblichen Informationen gründet auf eine quasi-Garantenstellung der zur Aufklärung verpflichteten Partei (§ 4 A II 2 h aa). Diese kann sich aus Ingerenz, der Eigenschaft der Gegenpartei als professioneller Marktteilnehmer oder aus der spezifischen Branche ergeben. Die Haftung wegen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen ist von der Schuld des Schädigers abhängig, die ähnlich wie im deutschen Recht Vorsatz und Fahrlässigkeit umfasst (§ 4 B II). Weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität, welche mittels Adäquanztheorie zu ermitteln sind (§ 4 D II). Der Schaden ist gleich dem deutschen Recht mittels der Differenzmethode zu berechnen und umfasst sowohl Vermögensschäden als auch immaterielle Einbußen (§ 4 C II).
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b) Das polnische Recht unterscheidet sich in der Rechtsfolgenebene der c.i.c. von der deutschen Regelung. Zwar sind übereinstimmend sowohl die Naturalrestitution in Form der Vertragsaufhebung als auch ein entgeltlicher Schadensersatz vorgesehen. Die konkrete Ausgestaltung der Rechtsfolgen unterscheidet sich jedoch deutlich vom deutschen Recht. Das polnische Recht weist dem Geschädigten eine freie Wahl der Art der Wiedergutmachung (§ 5 B I 1) zu. Dies ähnelt einer Wahlschuld, mit dem Unterschied, dass der Gläubiger und nicht der Schuldner die Entscheidung über die Leistungsart trifft. Auch ist der Schadensersatz in Geld nicht auf die Höhe des negativen Vertragsinteresses beschränkt (§ 5 B I 2 a). Er umfasst sowohl die Aufwendungen als auch den entgangenen Gewinn (§ 5 B I 1 b). Bei Beweis einer entsprechenden Kausalität kann auch Ersatz des Erfüllungsinteresses verlangt werden. Die Naturalrestitution in Form eines Vertragsabschlusses kann jedoch nicht gefordert werden, da diese nicht vom Schutzzweck der c.i.c. gedeckt ist und einen unzulässigen Kontrahierungszwang einführen würde (§ 5 B I 1 a aa). Anders als im deutschen Recht kann der Geschädigte aufgrund der Grundnorm der deliktischen Haftung bei Eintritt eines immateriellen Schadens keine Vertragsaufhebung verlangen (§ 5 B I 1 a bb 2). Eine entgeltliche deliktische Entschädigung für das Unrecht kann das Gericht nur dann zusprechen, wenn ein persönliches Gut verletzt wurde. Zwar gehört die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit zu den geschützten persönlichen Gütern, der Abschluss eines unerwünschten Vertrages überschreitet aber grundsätzlich nicht das erforderliche Maß an Intensität der Verletzung, welches einen Ersatz in Geld begründen kann (§ 5 B II 1). Ein Anspruch auf Vertragsaufhebung als Ersatz für einen immateriellen Schaden kann nur aufgrund der allgemeinen Vorschriften über den Schutz der persönlichen Güter (Art. 24 § 1 KC) entstehen (§ 5 B II 2). c) Für die Untersuchung der c.i.c. im polnischen Recht war die Frage der Beweislastverteilung von besonderer Bedeutung. Die Analyse der Beweislastverteilungsregeln hat gezeigt, dass sich das polnische und das deutsche Recht an den gleichen Grundregeln der Beweislastverteilung orientieren, sich aber hinsichtlich der Beweiserleichterungsmittel unterscheiden (§ 6 B III). Dies wird insbesondere beim Beweis der Kausalität einer Aufklärungspflichtverletzung deutlich. Die Vermutung des aufklärungsgerechten Verhaltens ist im polnischen Recht nicht zulässig (§ 6 B III 1). Zwar ist die ihr zugrundeliegende faktische Vermutung ein gesetzlich gem. Art. 231 KPC vorgesehenes Beweiserleichterungsmittel. Die tatsächliche Vermutung führt aber weder zu einer Beweislastverlagerung noch lässt sie sich verallgemeinern und auf andere, ähnliche Sachverhalte anwenden. Ein weiterer Unterschied wurde in den viel weitergehenden Rechtsfolgen des Anscheinsbeweises im polnischen Recht festgestellt. Der Anscheinsbeweis verlagert hier die objektive Beweislast auf die Gegenpartei. Die Anwendung des Anscheinsbeweises für den Kausalitäts-
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nachweis in den Fällen der Aufklärungspflichtverletzung ist mangels einer immanent schwächeren Stellung des Geschädigten sowie mangels erheblicher Beweisschwierigkeiten abzulehnen (§ 6 B III b). Der Rechtsvergleich der Beweiserleichterungsmittel hat weiter gezeigt, dass eine richterliche Beweislastumkehr außer im Falle der Beweisvereitelung im polnischen Prozessrecht nicht anerkannt ist. (§ 6 B III 3). Es wurde auch festgestellt, dass eine dem deutschen Recht entsprechende Beweismaßreduzierung (§ 287 ZPO) auch im polnischen Recht existiert (Art. 322 KPC). Anders als im deutschen Recht ist die für die Berechnung der Schadenshöhe vorgeschriebene Beweismaßreduzierung nicht auf den Nachweis der Kausalität übertragbar (§ 6 B I). Auf den Beweis der Kausalität ist nur die Beweiserleichterung in Form der tatsächlichen Vermutung gem. Art. 231 KPC anwendbar. d) Die Verjährung der Ansprüche aus der c.i.c. ist in beiden Rechtsräumen ähnlich geregelt. Sowohl das polnische als auch das deutsche Recht bestimmen eine dreijährige Verjährungsfrist. Die dreijährige (kurze) Verjährungsfrist beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schaden sowie die ersatzpflichtige Person bekannt werden (Art. 4421 KC). Die längere, zehnjährige Verjährungsfrist beginnt mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses zu laufen (§ 7 B I). Die Verjährung des Anspruchs auf Vertragsaufhebung gem. Art. 24 § 1 S. 2 KC (Verletzung der persönlichen Güter) ergibt sich aus analoger Anwendung des Art. 4421 KC. Zwar stellt die fehlende Verjährung der Ansprüche aus der Verletzung persönlicher Güter keine planwidrige gesetzliche Lücke dar. Die fehlende Verjährung des Anspruchs auf Vertragsaufhebung ist jedoch eine axiologische Regelungslücke, die ausnahmsweise durch die analoge Anwendung entsprechender Vorschriften ergänzt werden darf. Eine solche ergänzende Regelung bilden hier die deliktischen Verjährungsfristen, da sie eine große Ähnlichkeit zu der dem Schutz der persönlichen Güter dienenden Vertragsaufhebung aufweisen und denselben Regelungsgedanken verfolgen (§ 7 B II). e) Im polnischen Recht stehen, anders als im deutschen Recht, die Ansprüche aus der c.i.c. (Art. 415 KC) in freier Konkurrenz zu den Gewährleistungsansprüchen (vgl. Art. 443 KC). Das Gleiche gilt für das Verhältnis von Anfechtung und Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 KC bei Eintritt eines ausschließlich immateriellen Schadens. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass Anfechtung und Vertragsaufhebung aus Art. 24 § 1 S. 2 KC in keinem Verhältnis lex specialis – lex generalis stehen, da sie über keinen gemeinsamen Anwendungsbereich verfügen. Sie stehen vielmehr in einer freien Konkurrenz zueinander (§ 8 B I). Ein weiteres Konkurrenzproblem besteht hinsichtlich des Verhältnisses von deliktischer Vertragsaufhebung aus Art. 415 KC zur Anfechtung. Die Analyse der Schutzzwecke beider Anspruchsgrundlagen hat ergeben, dass diese in al-
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ternativer Konkurrenz zueinander stehen. Zwar schützen beide Anspruchsgrundlagen die Beeinträchtigung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, jedoch zielt die deliktische Haftung primär auf die Kompensation des Schadens ab, während die Anfechtung ausschließlich die rückwirkende Aufhebung der Willenserklärung bezweckt (§ 8 B I). 5. a) Ein Bedürfnis für eine Neukodifikation des KC besteht nicht. Das Zivilgesetzbuch hat durch sein Fortbestehen über den Zeitraum von 25 Jahren seit dem politischen Umbruch bewiesen, dass es grundsätzlich auch nach der Transformation seine Funktion erfüllt. Als Folge des Einflusses des europäischen Rechts hat es aber teilweise seine ursprüngliche Systematik eingebüßt. Eine Reform ist daher, insbesondere hinsichtlich des allgemeinen Teils des Schuldrechts, geboten. Die vorgelegten Reformentwürfe stellen hierfür einen guten Ausgangspunkt dar. Auch die erfolgreiche Schuldrechtsreform 2002 im deutschen Recht kann als Orientierung für die Reform des polnischen Schuldrechts herangezogen werden. b) Die Vorentwürfe für die Neukodifikation des polnischen Zivilgesetzbuches orientieren sich an Modellregelungen wie dem DCFR, dem CISG und den UP. Zu begrüßen ist die Regelung der Informationspflichten nicht nur für Verbraucher-, sondern auch für Unternehmergeschäfte. Kritikwürdig ist die Verschiebung der Haftung wegen Verletzungen der vorvertraglichen Pflichten von der deliktischen zu einer vertraglichen Haftungsgrundlage (§ 9). Hierdurch wird die vertragliche (verschuldensunabhängige) Haftung auf die vorvertragliche Phase ausgedehnt, ohne dass der Entwurf die Existenz eines gesetzlichen vorvertraglichen Schuldverhältnisses durch entsprechende Regelung anerkennt. Dazu kommt die nur schemenhafte Kommentierung der Regelungen, welche die konkreten dogmatischen Gründe für Änderungen der bestehenden Rechtslage nur schwer erkennen lässt. 6. Als ein Hauptunterschied zwischen dem polnischen und deutschen Recht wurde die ungleiche rechtliche Stellung der Parteien sowohl im materiellen Recht als auch im Prozessrecht identifiziert. Der Gläubiger muss nach polnischem Recht nicht nur die Pflichtverletzung des Schuldners und den Schadenseintritt beweisen, sondern auch das Verschulden sowie den Kausalzusammenhang zwischen unerlaubter Handlung und Schaden. Anders als im deutschen Recht stehen ihm weder die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens noch die richterliche Beweislastumkehr zur Verfügung. Er kann nur von der tatsächlichen Vermutung Gebrauch machen, die in ihrer Ausgestaltung mit dem deutschen Anscheinsbeweis vergleichbar ist. Den Schuldner treffen nach deutschem Recht ähnliche Schwierigkeiten. Er muss nicht nur beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, sondern dass sich der Gläubiger auch bei einer richtigen Aufklärung gleich verhalten hätte. Daraus folgt, dass es für den Schuldner immer günstiger ist, das polnische Recht zu wählen, wogegen der Gläubiger durch die Wahl des deutschen Rechts bessergestellt ist (§ 10).
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7. a) Um eine Lösung für die Probleme, welche aus den Differenzen zwischen der deutschen und polnischen Haftung für die c.i.c. resultieren, zu erarbeiten, wurden zunächst die Regelungen der vorvertraglichen Pflichten in CISG, GEK und DCFR untersucht. Die Analyse des UN-Kaufrechts hat ergeben, dass die Vorschriften des CISG die vorvertragliche Phase partiell hinsichtlich der Verletzung der Loyalitäts- als auch der Aufklärungspflichten regeln (§ 11 B). Bei einem Verhandlungsabbruch wird die andere Partei durch die Regelung des bindenden Angebots und über Ansprüche aus einer antizipierten Vertragsverletzung geschützt. Schadensersatz für getätigte Aufwendungen kann der Geschädigte einer vorvertraglichen Verletzung in Form eines Vertragsabbruchs weder aufgrund des UN-Kaufrechts noch nach nationalem Recht verlangen. Etwas anderes gilt nur im Falle von Betrug oder Täuschung, da hierdurch andere Schutzzwecke betroffen sind und somit ein Rückgriff auf das anwendbare nationale Recht zulässig ist. Die Haftung für Loyalitätspflichtverletzungen deckt die Verhandlungen zeitlich sowohl vor als auch nach der Abgabe des Angebots ab. Die allgemeinen und besonderen vorvertraglichen Aufklärungspflichten werden durch das UN-Kaufrecht abschließend geregelt. Die Rechtsfolgen für die Verletzungen beider Formen der Aufklärungspflichten bestimmen sich bei einem im Anschluss an die Verhandlungen erfolgten Vertragsabschluss nach Artt. 45 ff. CISG. Danach kann die geschädigte Partei den Vertrag aufheben, den Preis mindern oder Schadensersatz verlangen. Enden die Vertragshandlungen ohne Vertragsabschluss, besteht ein Schadensersatzanspruch nach dem CISG nicht. Die Haftungsvorschriften des nationalen Rechts für die Verletzungen der Aufklärungspflichten sind nur anwendbar, wenn das Verschweigen der Informationen zu einer Haftung wegen arglistiger Interessenverletzung führt. b) Als weiteres Mittel zur Überbrückung der nationalen Rechtsunterschiede wurde das durch die Europäische Union vorbereitete GEK hinsichtlich seiner Regelung der c.i.c. untersucht. Das GEK regelt den Abbruch der Vertragsverhandlungen selbst dann weder unmittelbar noch mittelbar, wenn man diesen als eine Verletzung der Aufklärungspflicht über die Vertragsabschlussbereitschaft begreift. Zwar regelt das GEK die bindende Wirkung des Angebots (Art. 32 III GEK). Seine Schutzfunktion wird aber dadurch begrenzt, dass es eine Vereinbarung der Anwendung des GEK (opt-in) bereits in der vorvertraglichen Phase voraussetzt. Ergibt sich der Wille des Anbietenden zur Anwendung des GEK aus dem Angebot nicht, muss für die Haftung wegen eines Verhandlungsabbruchs auf die nationalen Rechtsvorschriften zurückgegriffen werden (§ 13 D II). Die vorvertraglichen Aufklärungspflichten und die Folgen ihrer Verletzung sind durch das GEK umfassend geregelt. Das GEK enthält sowohl direkt (Art. 23 GEK-E) als auch indirekt (Artt. 48, 49, 100 GEK-E) verfasste Informationspflichten. Ihre Verletzung begründet, abhängig von den betroffenen
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Informationen, einen Schadensersatz (Artt. 29, 55 GEK-E), eine Anfechtung (Artt. 48, 49 GEK-E) oder eine vertragliche verschuldensunabhängige Haftung (Art. 106 GEK-E). Die systematisch nach Entstehungsphasen der Vertragsverpflichtungen unterteilte Regelung der Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten vereinfacht einerseits die Anwendung des Regelwerks, führt andererseits aber zu Zuordnungsproblemen. Das Verschweigen der Informationen, die sich direkt auf den Kaufgegenstand beziehen, berührt sowohl den Anwendungsbereich einer Verletzung der unmittelbaren Informationspflicht aus Art. 23 GEK-E als auch den des Irrtums aus Art. 48 I lit. b Ziff. iii GEK-E und den einer vertraglichen Pflichtverletzung aus Art. 87 I lit. c GEKE. Folglich kann es zu einer Eröffnung des Anwendungsbereichs dreier vergleichbarer Schadensersatzansprüche (Artt. 29, 55, 159 GEK-E) kommen, die frei miteinander konkurrieren (Artt. 29 III, 57 GEK-E). Dies ermöglicht eine Umgehung der den Schutz des Schuldners bezweckenden Schranken der vertraglichen Ansprüche auf Schadensersatz, Preisminderung und Vertragsaufhebung (Heilung und Wesentlichkeit der Vertragsverletzung). Ein Motivirrtum als Folge einer Verletzung der Aufklärungspflichten (Artt. 48 I lit. b Ziff. iii; 49 GEK-E) begründet nur einen Anspruch auf Anfechtung und einen diesbezüglichen Schadensersatz (Art. 55 GEK). Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Vernachlässigung der Aufklärung über alle entscheidungserheblichen Umständen besteht nach dem GEK nicht (§ 13 D I). c) Für die Untersuchung der vorvertraglichen Haftung nach Maßgabe des DCFR wurde zunächst untersucht, welche Vorschriften des deutschen und des polnischen Rechts über die c.i.c. zwingende Regelungen darstellen und daher durch einen Verweis auf den DCFR nicht verdrängt werden können. In beiden Rechtsordnungen stellt die Haftung für die vorsätzliche Zufügung eines Schadens aus der c.i.c. eine zwingende Regelung dar. Der Ausschluss dieser Haftung ist grundsätzlich erst ex post zulässig. Darüber hinaus sind im polnischen Recht auch die Vorschriften zur Verjährung und zur Verteilung der Beweislast das ius cogens. Nach dem deutschen Recht können die Parteien dagegen die Fristen der Verjährung im Rahmen des § 202 BGB ändern sowie eine veränderte Beweislastverteilung vereinbaren. Daraus folgt, dass in der Rechtspraxis eine Teilrechtswahl zugunsten des deutschen Rechts erforderlich ist, damit die Regelungen des DCFR zur Beweislast und zur Verjährung Anwendung finden (§ 14 C). d) Die anschließende Untersuchung der Haftung für die c.i.c. im DCFR hat gezeigt, dass der Gemeinsame Referenzrahmen sowohl den Abbruch der Vertragsverhandlungen als auch die vorvertraglichen Informationspflichten regelt. Illoyales Verhalten bei der Durchführung der Verhandlungen kann einen Schadensersatzanspruch des Verhandlungspartners begründen. Der DCFR enthält eine Vielzahl sowohl unmittelbarer vorvertraglicher Informationspflichten als auch aus den Vorschriften zum Irrtum und der Vertragsmäßigkeit des Vertragsgegenstands abgeleiteter, mittelbarer Aufklärungspflichten. Darüber
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hinaus regelt der DCFR auch eine allgemeine vorvertragliche, aus dem Gebot von Treu und Glauben abgeleitete Informationspflicht. Die Rechtsfolgen für die Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten umfassen den Schadensersatz, die Anfechtung und die Vertragsanpassung sowie die vertragliche Haftung. Die Zersplitterung der die Aufklärungspflichten regelnden Vorschriften und die daraus resultierende mangelnde Überschaubarkeit erschweren die Anwendung dieses Regelwerkes in der Rechtspraxis erheblich. Die Verletzung von Aufklärungspflichten wird regelmäßig zur Eröffnung mehrerer Anspruchsgrundlagen führen, die nebeneinander frei konkurrieren (§ 14 D). e) Des Weiteren wurde untersucht, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung die Folgen national ungleich gestalteter Beweisführungserleichterungen mildern kann. Dazu war zunächst zu ermitteln, an welches Recht die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens, die richterliche Beweislastumkehr sowie der Anscheinsbeweis anzuknüpfen sind. Die Analyse der Rom I- und der Rom IIVO hat gezeigt, dass außer dem Anscheinsbeweis und der Beweismaßreduzierung die genannten Beweiserleichterungen an die lex causae anzuknüpfen sind. Zu ähnlichen Ergebnissen kam die Analyse der polnischen Beweisführungserleichterungen. Der prima-facie-Beweis sowie die gesetzliche Vermutung sind an das anwendbare materielle Recht anzuknüpfen. Lediglich für die tatsächliche Vermutung, die in ihren Folgen dem Anscheinsbeweis im deutschen Recht entspricht, ist das Recht des Gerichtsstands maßgeblich. Da die wichtigsten Beweiserleichterungen an die lex causae anknüpfen, beeinflusst die Gerichtsstandsvereinbarung die rechtliche Position der Parteien im Prozess nicht (§ 15). 8. a) Wegen der festgestellten ungleichen Verteilung von Rechten und Pflichten der Parteien, je nach dem zur Anwendung kommenden nationalen Recht, war zu untersuchen, ob den Verhandlungspartnern des deutsch-polnischen Rechtsverkehrs mit der Wahl von CISG, GEK oder DCFR eine die Besserstellung einer Partei vermeidende Kompromisslösung zur Verfügung steht. Dabei wurde die rechtliche Stellung der Verhandlungsparteien sowohl im materiellen als auch im Prozessrecht berücksichtigt. Die Analyse von CISG, GEK und DCFR hat gezeigt, dass im Bereich der Haftung für die c.i.c. nur das UN-Kaufrecht als eine sinnvolle Alternative für nationales Recht in Betracht kommt. Dies folgt erstens aus dessen Anwendung mittels opt-out-Formel, weswegen auch die vorvertragliche Phase dem CISG unterstellt wird, ohne dass die Parteien dies vorab vereinbaren müssen. Zweitens ist das kollisionsrechtliche Verhältnis des UN-Kaufrechts zur Rom I-VO vorteilhaft. Die kollisionsrechtlichen Vorschriften der Europäischen Union werden durch das Einheitliche Kaufrecht verdrängt und das Kaufrecht sodann direkt, ohne Vorschaltung der nationalen Vorschriften angewendet. Drittens ist von Bedeutung, dass das CISG die vorvertraglichen Pflichten abschließend regelt, weswegen die Einbeziehung des nationalen Rechts nur ausnahmsweise in Betracht kommt.
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Entscheidender Vorzug des UN-Kaufrechts ist aber, dass es die rechtliche Position der beiden Parteien angemessen auszugleichen vermag. Zwar verbessert die verschuldensfreie vertragliche Haftung der Parteien die rechtliche Stellung des Käufers sogar im Vergleich zum deutschen Recht. Der Ausschluss des Ersatzes des immateriellen Schadens und der Naturalrestitution, die Begrenzung der Aufhebung des Vertrages auf Fälle wesentlicher Verletzungen sowie die Beschränkung des Schadensersatzes auf vermeidbare Schäden führen jedoch in der Gesamtschau zu einem ausgewogenen Verhältnis von Rechten und Pflichten der Parteien. Ein weiterer Ausgleich wird dadurch erzielt, dass die Haftung für vorvertragliche Pflichtverletzungen an den abgeschlossenen Vertrag gekoppelt ist. Darüber hinaus gewährleisten die Bindungswirkung des Angebots und der Schutz vor einer antizipierten Vertragsverletzung eine ausreichende Sicherheit des Käufers, ohne den Verkäufer dabei übermäßig zu belasten. Auch auf der prozessrechtlichen Seite vermag das UN-Kaufrecht einen Ausgleich der rechtlichen Positionen der Parteien herbeizuführen. Auf Ansprüche nach dem CISG kommen keine Beweiserleichterungen wie bspw. die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens oder andere national-gesetzliche Vermutungen zur Anwendung, da diese an die lex causae anknüpfen. Der Schuldner muss daher nicht den überaus schwierigen Beweis des hypothetischen Verhaltens des Gläubigers bei einer pflichtgemäßen Aufklärung erbringen. Ein Nachteil des UN-Kaufrechts ist allerdings dessen ausschließliche Anwendung auf Kaufverträge und Geschäfte zwischen Unternehmen (§ 11 C). b) Die Analyse des GEK hat ergeben, dass es ähnlich wie der DCFR keine Alternative zum nationalen Recht für die Regelung der Haftung aus der c.i.c. darstellt. Die Rolle des GEK ist vielmehr darauf begrenzt, als Modellregelung dem nationalen Gesetzgeber ein Werkzeug zur Reformierung des staatlichen Privatrechts zur Verfügung zu stellen. Es vermag die Rechtsunterschiede bei der Haftung aus der c.i.c. nicht auszugleichen. Ein erster Grund dafür ist seine Einbeziehung in der Form des opt-in. Für die vorvertragliche Phase ist dies problematisch, weil die Parteien sich schon vor dem eigentlichen Vertragsabschluss über das zur Anwendung kommende Recht einigen müssen. Zweitens wird die Anwendung des GEK durch die von der Kommission gewählte Vorschaltlösung erschwert. Demnach wird das GEK nicht als Übereinkommen betrachtet, das die Regelung der Rom-Verordnungen verdrängt, sondern als ein zweites Vertragsregime innerhalb eines staatlichen Rechts. Darüber hinaus führt eine fehlende Regelung der Pflicht zur loyalen Durchführung der Verhandlungen zur Anwendung des nationalen Rechts, was gerade vermieden werden sollte. Auch bei isolierter Betrachtung der Regelung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten vermag das GEK die rechtliche Stellung der Verhandlungsparteien nicht auszugleichen. Die unbestimmt formulierten vorvertraglichen Informationspflichten, die Anfechtbarkeit auch bei fahrlässiger Verletzung der Aufklärungspflichten und die verschuldensunabhängige vertragli-
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che Haftung verbessern die Stellung des Geschädigten gegenüber dem Schuldner einseitig. Der Ausschluss des Schadensersatzes in natura, der Vorrang der Heilung der Nichterfüllung sowie die Beschränkung der Vertragsbeendigung auf Fälle wesentlicher Pflichtverletzung vermögen bei genauerer Betrachtung nicht die nachteilige rechtliche Position des Schuldners auszugleichen. Darüber hinaus kann die Heilung der Nichterfüllung durch den Gläubiger ohne Vorliegen schwerwiegender Gründe (Art. 109 IV GEK-E) abgelehnt werden. Des Weiteren kann der Geschädigte, soweit die Aufklärungspflichtverletzung auch zur Anfechtung berechtigt, ohne eine vorherige Heilungsmöglichkeit des Schädigers Schadensersatz aus Art. 55 GEK-E verlangen. Die Schranke der Wesentlichkeit der Nichterfüllung für eine Vertragsbeendigung kann durch Anfechtung des Vertrages umgangen werden (insbes. Art. 48 I lit. b Ziff. iii GEK). Schließlich ist die Eignung des GEK für die Vereinheitlichung der Haftungsregeln für die c.i.c. auch durch seinen engen Anwendungsbereich begrenzt, welcher nur Kaufverträge, die im Fernabsatz abgeschlossen wurden, umfassen soll (§ 13 C II). c) Wie das GEK stellt der DCFR ein ausführliches rechtsvergleichendes Modell dar, welches den nationalen Gesetzgeber bei seinen Reformvorhaben unterstützen kann. Eine eigenständige Bedeutung in der internationalen Handelspraxis ist nicht zu erwarten. Dies folgt vor allem aus der materiellrechtlichen Verweisung. Daher ist die Bedeutung des DCFR auf die Verdrängung des dispositiven nationalen Rechts beschränkt. Seine Einbeziehung vermag auch nicht die rechtlichen Positionen der Verhandlungsparteien auszugleichen. Die Einräumung eines entgeltlichen Ersatzes für immaterielle Verluste sowie einer verschuldensunabhängigen Haftung verbessern die rechtliche Stellung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner unverhältnismäßig. Die Berücksichtigung der Erwartungen des Geschädigten im Falle der Aufklärungspflichtverletzung vergrößert i.V.m. der Haftung ex contractu das Ungleichgewicht der rechtlichen Stellung der Parteien. Ein weiterer Nachteil des DCFR resultiert aus dem Mangel an Rechtsprechung und Kommentierung, welcher eine einheitliche Anwendung seiner Normen verhindert. Da der DCFR kein EU-Rechtsakt ist, können Auslegungsprobleme nicht durch Vorlage an den EuGH gelöst werden. Die eingeschränkte Dokumentation der Vorarbeiten und der Mangel einer umfassenden Kommentierung lassen eine weitgehende Heterogenität der richterlichen Entscheidungen und eine daraus resultierende Rechtsunsicherheit erwarten (§ 14 G). 9. Der Rechtsvergleich des deutschen und polnischen Rechts hat ergeben, dass die Harmonisierung nationaler Rechtsordnungen am ehesten mit Hilfe optionaler Instrumente erreicht werden kann. Sowohl bei der deutschen Schulrechtsreform 2002 als auch bei der Novelle des polnischen Zivilgesetzbuches von 2003 haben die Modellregelungen von DCFR, PECL und CISG eine wesentliche Rolle gespielt und zu deren Erfolg beigetragen. Diese Form der Rechtsvereinheitlichung ermöglicht die Anpassung der Rechtsordnung an die
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jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Eine solche Anpassungsfähigkeit fehlt dem aufgrund völkerrechtlicher Verträge oder supranationaler Rechtsakte einbezogenen Recht, da der nationale Gesetzgeber dessen Inhalt im Nachhinein nicht abändern kann. Darüber hinaus fördert die Beachtung der Modellregelungen bei Reformvorhaben der nationalen Gesetzgeber die zwischenstaatliche Rechtsangleichung.
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Übersetzung ausgewählter Vorschriften des Kodeks cywilny∗ Art. 23 Die persönlichen Güter eines Menschen, insbesondere Gesundheit, Freiheit, Ehre, Gewissensfreiheit, Name oder Pseudonym, Abbild, Briefgeheimnis, Unversehrtheit der Wohnung sowie wissenschaftliches, künstlerisches, erfinderisches und innovatives Schaffen, sind durch das Zivilecht geschützt, unabhängig von dem Schutz, der durch andere Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Art. 24 § 1. Derjenige, dessen persönliches Gut durch das Handeln eines anderen gefährdet wird, kann die Unterlassung dieses Handelns verlangen, es sei denn es nicht rechtswidrig ist. Im Falle der vollendeten Verletzung eines persönlichen Gutes kann er verlangen, dass die Person, welche die Verletzung begangen hat, die zur Beseitigung ihrer Folgen notwendigen Handlungen vornimmt, insbesondere durch die Abgabe einer Erklärung mit einem bestimmten Inhalt und in einer bestimmten Form. Aufgrund der im Gesetzbuch vorgesehenen Regeln kann er auch entgeltliche Entschädigung oder Bezahlung einer Geldsumme für einen sozialen Zweck seiner Wahl verlangen. § 2. Falls infolge der Verletzung eines persönlichen Gutes ein Vermögensschaden zugefügt wurde, kann der Verletzte dessen Wiedergutmachung auf Grundlage der allgemeinen Grundsätze verlangen. § 3. Die vorstehenden Vorschriften lassen die Berechtigungen, die durch andere Rechtsvorschriften, insbesondere des Urheber- und Patentrechts, vorgesehen sind, unberührt. Art. 72 § 1. Falls die Parteien Verhandlungen zum Zweck des Vertragsabschlusses führen, gilt der Vertrag dann als abgeschlossen, wenn die Parteien bezüglich aller Bestimmungen, die Gegenstand der Verhandlungen waren, Einigung erzielt haben. § 2. Die Partei, welche Verhandlungen gegen die guten Sitten, insbesondere ohne Absicht einen Vertrag abzuschließen, aufgenommen oder fortgeführt hat, ist zur Wiedergutmachung des Schadens verpflichtet, den eine andere Partei dadurch erlitten hat, dass sie mit einem Vertragsabschluss gerechnet hat. Art. 361 § 1. Der zum Schadensersatz Verpflichtete haftet nur für die normalen Folgen der Handlung oder des Unterlassens, aus der bzw. dem der Schaden entstanden ist.
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Die Vorschriften wurden von der Autorin übersetzt.
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Anhang
§ 2. In den oben genannten Grenzen, soweit sich nichts anderes aus dem Gesetzestext oder der Vertragsbestimmung ergibt, umfasst die Wiedergutmachung des Schadens die Verluste, die der Verletzte erlitten hat, sowie die Gewinne, die er erzielt hätte, wenn ihm der Schaden nicht zugefügt worden wäre. Art. 363 § 1. Die Wiedergutmachung des Schadens sollte, nach Wahl des Verletzten, entweder durch eine Wiederherstellung des vorherigen Zustands oder durch Bezahlung einer entsprechenden Geldsumme erfolgen. Wenn die Wiederherstellung des vorherigen Zustands nicht möglich ist oder wenn sie mit übermäßigen Schwierigkeiten oder Kosten für den Verpflichteten verbunden wäre, ist der Anspruch des Verletzten auf die Leistung in Geld beschränkt. § 2. Hat die Wiedergutmachung des Schadens in Geld zu erfolgen, sollte die Höhe des Schadensersatzes anhand der zum Zeitpunkt der Festlegung des Schadensersatzes geltenden Preise bestimmt werden, es sei denn, besondere Umstände erfordern das Zugrundelegen eines anderen Zeitpunkts für die Preisberechnung. Art. 415 Wer schuldhaft einem anderen einen Schaden zugefügt hat, ist zur dessen Wiedergutmachung verpflichtet. Art. 445 § 1. In den durch die vorstehende Vorschrift vorgesehenen Fällen kann das Gericht dem Verletzten eine entsprechende Geldsumme als entgeltliche Entschädigung für erlittenes Unrecht zuerkennen. § 2. Die oben genannte Vorschrift wird auch im Falle der Freiheitsberaubung sowie dann angewendet, wenn jemand durch Hinterlist, Gewalt oder Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses veranlasst worden ist, sich einer Unzuchtshandlung zu unterwerfen. § 3. Der Anspruch auf Entschädigung geht auf die Erben nur dann über, wenn er schriftlich anerkannt wurde oder wenn die Klage zu Lebzeiten des Verletzten erhoben wurde. Art. 448 Im Falle der Verletzung eines persönlichen Gutes kann das Gericht dem, dessen persönliches Gut verletzt wurde, eine entsprechende Geldsumme als Entschädigung für das erlittene Unrecht zuerkennen oder auf dessen Verlangen eine entsprechende Geldsumme für einen durch den Verletzten bestimmten sozialen Zweck zusprechen, unabhängig von anderen Mitteln, die für die Beseitigung der Verletzungsfolgen erforderlich sind. Art. 445 § 3 ist anwendbar.
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Rechtsquellenverzeichnis
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Ustawa z dnia 23 listopada 2012 r. [Prawo pocztowe Gesetz v. 23.11.2012 – Postrecht], Dz.U. 2012 Pos. 1529 Deutsches Recht BGB Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung v. 2.1.2002 (BGBl. I 42, 2909; 2003, 738) das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes v. 21.4.2015 (BGBl. I S. 610) geändert worden ist; Bürgerliches Gesetzbuch in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Schuldrechtsmodernisierungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26.11.2001, BGBl. I S. 3138 ZPO Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung v. 5.12.2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S. 431; 2007 I S. 1781) die zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes v. 8.7.2014, (BGBl. I S. 890) geändert worden ist
Sachregister
Abbruch der Vertragsverhandlungen – CISG, siehe dort – DCFR, siehe dort – deutsches Recht 40, 43, 45, 52, 77, 80 ff., 86, 114, 131, 181 f. – GEK, siehe dort – polnisches Recht 69 f., 101 f., 104, 109, 277 – Rom II-VO 27 f., 209, 274 Anscheinsbeweis – Anknüpfung nach Rom-VO 269 ff., 272 f., 283 – deutsches Recht 145, 169 f., 171 ff., 176 f., 180 ff., 206 f., 277 – polnisches Recht 183 ff., 273, 278 Aufklärungspflicht, vorvertragliche, siehe auch Informationspflicht Aufwertungsfall, Entscheidung 38 Auslegungsmethoden – autonome 4, 6 f., 22 f., 221, 255, 274 – grammatische 4, 8, 12, 22, 66, 188, 257, 274 – historische 4, 8, 19 f., 22, 61, 86, 89 – systematische 4, 8, 12, 18, 22, 24, 26, 274 – teleologische 4, 8, 22 f., 199, 274 Beweislast, siehe auch Beweislastverteilung Beweislastverteilung – CISG, siehe dort – DCFR, siehe dort – deutsches Recht 168, 171, 173, 176, 179, 259 – GEK, siehe dort – polnisches Recht 181, 184 f., 260 – Rom II-VO 268 ff.
Beweislastumkehr – Anknüpfung nach Rom-VO 268 ff. – deutsches Recht 171, 173 ff., 276 – GEK-E 250 – polnisches Recht 186 f., 279 f. CISG – Abbruch der Vertragsverhandlungen 213, 216, 218, 223, 231, 233 – Anwendungsbereich 210 ff. – Beweislastverteilung 231 – Informationspflicht 213, 224, 226 f., 229 f., 230, 232 – Verhältnis zu Rom-VO 209 f. – Vertragsaufhebung 218, 227 ff. DCFR – Abbruch der Vertragsverhandlungen 265, 282 – Beweislastverteilung 259, 265 f. – Informationspflicht 18, 261 ff. – Rechtswahl nach Rom-VO 254 ff. – Vertragsaufhebung 264 – Verweisung, materiell-rechtliche 257, 266, 285 Entscheidungsfreiheit, rechtsgeschäftliche 34, 46 ff., 51, 73 f., 77, 117, 134, 140 f., 143, 162 ff., 179 f., 188, 190, 193, 195, 197, 275, 278, 280 Erfüllungsinteresse, siehe auch Interesse, positives GEK – Abbruch der Vertragsverhandlungen 245, 247 ff., 252, 281 – Anwendungsbereich 237 ff. – Beweislastverteilung 250, 253
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Sachregister
– Informationspflicht 16, 235, 240 ff., 245, 247 ff. – Verhältnis zum Kollisionsrecht 235 – Vertragsaufhebung 242, 245 Generalklausel der guten Sitten 3, 55, 58, 65, 67, 69, 88 f., 95 ff., 108, 113, 123, 127, 162, 200, 204, 258, 260. Gerichtsstandsvereinbarung 208, 267 f., 273, 283 Gewinn, entgangener 64, 119, 122 ff., 129 ff., 152, 158, 170, 229, 245 f., 276, 278 Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens 87 ff., 95, 98 ff., 103, 105 ff., 112, 116, 127, 154, 156, 165, 167, 190, 200, 206 f., 260 f., 277 Gut, persönliches 120, 153, 156, 158, 163 ff., 182, 188, 196, 278 f.
Naturalrestitution 131 ff., 136, 138 f., 141, 143, 145 f., 148, 152 ff., 156 ff., 165 f., 196, 203, 206 f., 232, 242, 276, 278, 284
immaterieller Schaden – deutsches Recht 117, 140 f., 143 – polnisches Recht 119 ff., 124, 152, 157 f., 162, 165 f., 188, 203, 206 Informationspflicht, vorvertragliche – CISG, siehe dort – DCFR, siehe dort – deutsches Recht 137, 141 – GEK, siehe dort – polnisches Recht 3, 69 f., 73, 91 ff., 103, 111 ff., 123, 127, 198, 200 ff. – Rom II-VO 19, 24 ff., 28 Interesse, positives 32, 117 f., 122 ff., 128 f., 131 f., 137 f., 145 f., 152, 158, 276
Unrecht, siehe auch immaterieller Schaden
Kreissägefall, Entscheidung 138 Kontrahierungszwang 11, 40, 82, 84, 118, 133 ff., 137 f., 154 ff., 159, 278 Linoleumrollenfall, Entscheidung 2, 37 f. Loyalitätspflicht, siehe auch Abbruch der Vertragsverhandlungen Luisinlichtfall, Entscheidung 33
Rechtswahl 5, 235 ff., 240, 252 f., 254 ff., 259, 266, 282 Rechtswidrigkeit 62, 64, 69, 86 ff., 94, 103, 105 f., 112, 127 ff., 165, 167, 182 f., 277 – relative 127 ff. Schadensersatz, entgeltlicher 131 f., 137 f., 191, 203, 206, 276 Selbstbestimmung, rechtsgeschäftliche, siehe auch Entscheidungsfreiheit Ständerfall, Entscheidung 38 Tacconi, Entscheidung 209
venire, Formel 81 ff. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens 174 ff., 180, 186, 206, 268 f., 276, 278, 280, 283 f. Vermutung, tatsächliche 174 ff., 180, 183 ff., 207, 268, 272 ff., 278 f. Vertragsanpassung 129, 143 ff., 159, 283 Vertragsaufhebung – CISG, siehe dort – DCFR, siehe dort – deutsches Recht 129, 138 ff., 144 ff., 190 ff., 207, 276 – GEK, siehe dort – polnisches Recht 151, 157 ff., 166 f., 188 ff., 195, 200, 206, 278 f. Weinsteinsäurefall, Entscheidung 38 Zielvertragstheorie 33, 77