Schuldverhältnis und Rechtskreisöffnung: Von der Lehre der culpa in contrahendo zum Rücksichtnahmeschuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB [1 ed.] 9783428525171, 9783428125173

Moritz Keller behandelt Voraussetzungen, Grenzen und dogmatische Grundlagen des neuen Rücksichtnahmeschuldverhältnisses.

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German Pages 266 Year 2007

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Schuldverhältnis und Rechtskreisöffnung: Von der Lehre der culpa in contrahendo zum Rücksichtnahmeschuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB [1 ed.]
 9783428525171, 9783428125173

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 365

Schuldverhältnis und Rechtskreisöffnung Von der Lehre der culpa in contrahendo zum Rücksichtnahmeschuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB

Von Moritz Keller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MORITZ KELLER

Schuldverhältnis und Rechtskreisöffnung

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 365

Schuldverhältnis und Rechtskreisöffnung Von der Lehre der culpa in contrahendo zum Rücksichtnahmeschuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB

Von Moritz Keller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-12517-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Das also war des Pudels Kern!“ Faust I, Vers 1323, Faust

Vorwort Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Grundfragen der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts, die durch die Schuldrechtsreform neue Aktualität gewonnen haben. Die Untersuchung wurde im Sommer 2006 fertiggestellt und im Wintersemester 2006 / 2007 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Sie entstand zu einem Großteil während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die Arbeit befindet sich insgesamt auf dem Stand von November 2006, soweit mir Änderungen und neue Stellungnahmen in der Literatur bekannt geworden sind, habe ich diese bis zum Sommer 2007 nachgetragen. Zuvorderst gilt mein Dank meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Jan Schapp, der die Arbeit durch zahllose Gespräche intensiv fördernd begleitet und mir dabei zugleich den notwendigen Freiraum zur Entfaltung gewährt hat. Die Herangehensweise an dogmatische Fragestellungen im Bürgerlichen Recht, mit der ich in meiner langjährigen Tätigkeit als Hilfskraft und Mitarbeiter an der Professur in Kontakt kam, hat Fortgang und Entwicklung der Arbeit intensiv beeinflusst. Herrn Professor Dr. Günter Weick danke ich für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Professor Dr. Bernd Hecker und Herrn Professor Dr. Thilo Marauhn spreche ich meinen Dank für eine überaus angenehme und interessante Disputation aus. Für zahlreiche anregende Diskussionen danke ich Herrn Privatdozent Dr. Wolfgang Schur sowie Herrn Dr. Kai Haberzettl, Herrn Dr. Patrick Gödicke, Herrn Clemens Kuhn, Herrn Kai Purnhagen, Herrn Oliver Langendorf sowie Herrn André Reck und Herrn Vassilis Bantis. Dank für die Durchsicht des Manuskripts geht an Frau Marlene Wallmann sowie Herrn Dr. Kai Haberzettl. Für ihre fortwährende Unterstützung bei der Verfolgung meiner Ziele möchte ich mich zudem bei meinen Eltern, Frau Dr. Brigitte Keller-Schumacher und Herrn Dr. Ekkehard Keller, bedanken. Mein tiefster Dank gilt schließlich meiner Frau, die für meine Belastung mit der Fertigstellung der Arbeit großes Verständnis aufgebracht und nicht zuletzt mit ihrer bedingungslosen Unterstützung diese erst mitermöglicht hat. Auch deshalb ist ihr dieses Buch gewidmet. Frankfurt, im Juni 2007

Moritz Keller

Inhaltsverzeichnis Einführung

19

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

I. Das Schuldverhältnis ohne Tatbestand: Der Anwendungsbereich des Instituts der culpa in contrahendo bis zur Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

II. Das rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB: Die Kodifikation ohne Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Teil Die Entwicklung von Entstehungstatbestand und Haftungslegitimation des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses bis zur Kodifikation

26

A. Der Ausgangspunkt: Das (gemeine) römische Recht und die frühen Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Die Regelungen in den frühen Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

II. Die Diskussion um die culpa in contrahendo auf der Grundlage (gemeinen) römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Jherings Theorie der culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

2. Die Rezeption der Schrift Jherings und ihre Bedeutung für die heutige Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

III. Resümee: Die frühe Diskussion um die Schrift Jherings als Beginn einer Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in der dogmatischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

I. Das Rücksichtnahmeschuldverhältnis als vertragliches Schuldverhältnis in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

1. Der Konsensgedanke in der Deutung als Haftungs- bzw. Erhaltungsvertrag zwischen den Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

10

Inhaltsverzeichnis 2. Der Konsensgedanke in der Deutung als Auskunftsvertrag zwischen den Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

3. Der Konsensgedanke in der Rechtsprechung zu den Gefälligkeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

4. Resümee: Die Fehldeutung einer Übereinstimmung zwischen den Parteien als rechtsgeschäftliche Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

a) Ungerechtfertigte Bewertung des Verhaltens der Beteiligten als Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

b) Keine rechtsgeschäftliche Einigung in den diskutierten Fallgruppen . .

41

c) Dogmatische Erwägungen gegen die Deutung als Vertragsschluss . . . .

43

d) Fehldeutung des Konsenses als rechtsgeschäftliche Einigung . . . . . . . . .

43

e) Gründe für die Fehldeutung als rechtsgeschäftliche Einigung . . . . . . . . .

44

f) Konsens zwischen den Beteiligten als nicht-rechtsgeschäftlicher Konsens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

II. Mittelbare Anknüpfung an den Konsens der Parteien in der Zielvertragslehre Leonhards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

1. Leonhards Lehre des Verschuldens beim Vertragsschluss: Pflichten als Folge der Vorwirkung des späteren vertraglichen Konsenses . . . . . . . . . . . . . .

45

2. Resümee: Vorwirkung des Vertrages kann Pflichten nicht begründen . . . . .

46

III. Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung als „faktisches Vertragsverhältnis“: Betonung eines Konsenses unterhalb der Ebene der Willenserklärungen

48

1. Begründung von Vertragsverhältnissen ohne Vertragsschluss im Rechtssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

2. Resümee: Betonung der sozialen Beziehungen unterhalb des Vertrages . . .

49

IV. Konsensgedanke als eine Leitlinie in der Entwicklung der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

I. Die Grundlegung der Vertrauenshaftungslehren in Heinrich Stolls Denkschrift für die Akademie für Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

1. Die Entstehung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nach Heinrich Stoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

2. Die Begründung der Pflichten zur Rücksichtnahme durch die Eröffnung von Einwirkungsmöglichkeiten auf den fremden Rechtskreis nach Heinrich Stoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

Inhaltsverzeichnis

11

3. Zusammenfassung: Grundsteinlegung der modernen Vertrauenshaftungslehren durch die Verknüpfung von Vertrauen und culpa in contrahendo unter Betonung der Rechtskreisöffnung der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

II. Die Begründung der subjektiv orientierten Strömung der Vertrauenshaftung durch die Lehren von Dölle und Ballerstedt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

1. Vertrauen als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses in der Lehre Dölles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

2. Vertrauen als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses in der Lehre von Ballerstedt: Die Geburt der Formel von Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

3. Zusammenfassung: Vertrauen als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses in der subjektiven Strömung der Vertrauenshaftungslehren . . . . . . . . .

57

III. Die Begrenzung der Bedeutung von Vertrauen in der objektiven Strömung der Vertrauenshaftungslehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

1. Loslösung des Tatbestands vom subjektiven Vertrauen der Beteiligten: Die allgemeine Redlichkeitserwartung im Tatbestand des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

2. Besonderes Vertrauen als Tatbestandsmerkmal der Fälle der Sachwalterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

3. Zusammenfassung: Vertrauen im Tatbestand des Schuldverhältnisses in den Grundfällen nicht erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

IV. Die Lehre vom geschäftlichen Kontakt in den Vertrauenshaftungslehren . . . . . .

61

1. Die Aufnahme von Vertragsverhandlungen bzw. der Beginn des geschäftlichen Kontakts als Tatbestand des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

2. Zusammenfassung: Begrenzung der Pflichten zur Rücksichtnahme auf geschäftliche Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

V. Die Lehre vom sozialen Kontakt in den Vertrauenshaftungslehren . . . . . . . . . . . .

64

1. Betonung des Anvertrauens von Rechtsgütern im Rahmen eines sozialen Kontakts als Tatbestand des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

2. Zusammenfassung: Pflichten zur Rücksichtnahme auch bei nicht-geschäftlichen Kontakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

VI. Weiterentwicklung und Ausweitung der Vertrauenshaftung durch die Lehre von Canaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

1. Die Fälle des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in Canaris’ Lehre von der Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

12

Inhaltsverzeichnis 2. Der Tatbestand des einheitlichen Schutzpflichtverhältnisses in der Lehre von Canaris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

a) Canaris’ Lehre vom einheitlichen Schutzpflichtverhältnis . . . . . . . . . . . . .

68

b) Entstehung und Anwendungsbereich des Schutzpflichtverhältnisses in Canaris’ Lehre von der Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

aa) Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

bb) Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

3. Die Legitimation des Schutzpflichtverhältnisses aus der Verknüpfung von Privatautonomie und Vertrauenshaftung in der Lehre von Canaris . . . . . . . .

71

4. Der Tatbestand des Anspruchs in der Lehre von Canaris . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

5. Zusammenfassung: Vertrauen als Legitimation des Schuldverhältnisses und Tatbestandsmerkmal des Anspruches im Rahmen einer Haftung im rechtsgeschäftlichen Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

VII. Vertrauenshaftung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

1. Die Vertrauenshaftung und ihre Funktion für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts seit Inkrafttreten des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

2. Die Vertrauenshaftung und ihre Funktion für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . .

78

3. Zusammenfassung: Multifunktionale, aber uneinheitliche Bedeutung von Vertrauen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

VIII. Resümee: Die Wirkungsmacht eines unscharfen Rechtsbegriffs oder die Ungeeignetheit von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal und Legitimationsmoment des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

1. Vertrauen: Eine Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

2. Die Ungeeignetheit von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal der Entstehung des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

a) Die Ungeeignetheit von Vertrauen als psychologischem Faktum . . . . . .

89

aa) Die Allgegenwärtigkeit von Vertrauen in der Gesellschaft . . . . . . .

90

bb) Die mangelnde Abgrenzungsfähigkeit des Vertrauensbegriffs im bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

cc) Die Diffusität des Vertrauensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

b) Die Ungeeignetheit von normativen oder objektivierten Vertrauensbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

c) Der Ausweg der Verknüpfung mit objektiven Tatbestandselementen . .

95

Inhaltsverzeichnis

13

3. Die Ungeeignetheit von Vertrauen zur Legitimation des Schuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

4. Zusammenfassung: Keine Bedeutung von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal und Legitimationsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

D. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln als eine Leitlinie für Entstehungstatbestand und Rechtfertigung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . 101 I. Haftung als notwendiges Korrelat des privatautonomen Rechts der Selbstgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Anknüpfung an privatautonomes Handeln im Sinne von rechtsgeschäftlichem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Resümee: Verkürzung der Bedeutung von Privatautonomie durch Reduktion des Selbstverantwortungsgedankens auf rechtsgeschäftliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Haftung in Anknüpfung an einseitig privatautonomes Handeln . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Anknüpfung an einseitige Leistungsversprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Anknüpfung an ein einseitiges Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Resümee: Betonung der Verpflichtung der an andere Beteiligte herangetretenen Beteiligten aus privatautonomem Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Selbstbindung als privatautonomes Handeln i.w.S. als Anknüpfungspunkt . . . . 107 1. Selbstbindung als Kontinuum zwischen Vertrag und Delikt . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Resümee: Privatautonomes Handeln i.w.S. als Anknüpfungspunkt einer Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln als eine Leitlinie in der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung: Ausweitung und Beschränkung des Anwendungsbereichs des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Die Fälle des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses als genuines Deliktsrecht . . 111 1. Pflichten zur Rücksichtnahme als Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Resümee: Überbewertung der Verkehrspflichten im Rahmen der verfolgten Neukonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Die verfolgte Neukonzeption des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Gefahren einer Übertonung der Bedeutung der Verkehrspflichten . . . . . 115 c) Schutz von Integritätsinteressen auch im Rahmen des Schuldverhältnisses i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

14

Inhaltsverzeichnis d) Die Anerkennung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses und der Pflichten (auch) zum Schutz der absoluten Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . 119 e) Zusammenfassung: Deliktische Ansätze im Widerspruch zur Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Begründung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses durch die berufliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Ein einheitlicher Berufshaftungstatbestand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Berücksichtigung der beruflichen Stellung außerhalb eines einheitlichen Haftungstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Resümee: Ungeeignetheit der Berufshaftungsansätze zur Bestimmung von Entstehungstatbestand und Legitimation des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Berufshaftungsansätze und deliktische Qualifikation des Schuldverhältnisses als Nebenlinien der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten als eine Leitlinie der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Der Begriff des Rechtskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Der Tatbestand der Sonderverbindung in den Lehren von der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Die Rechtskreisöffnung im Tatbestand der Sonderverbindung nach Frost . . . 128 a) Die willentliche Rechtskreisöffnung als Tatbestandsmerkmal einer Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Die Zielsetzung als Tatbestandsmerkmal einer Sonderverbindung . . . . . 131 c) Das Verhandlungsverhältnis als Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Der Tatbestand der Sonderverbindung in den Lehren von Krebs und Picker

133

a) Der Tatbestand der Sonderverbindung in der Lehre von Krebs . . . . . . . . 133 b) Merkmale einer Sonderverbindung in der Lehre von Picker . . . . . . . . . . . 134 III. Die Rechtfertigung der Sonderverbindung in den Lehren der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Die Legitimation der Sonderverbindung nach dem funktionalen Legitimationsansatz in der Lehre von Krebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Vertrauen als Legitimationsmoment in der Lehre von Frost . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Umkehrung der Legitimationsfrage in der Lehre von Picker: Beschränkung der Haftung für die Verletzung des Gebotes des „neminem laedere“ . 137

Inhaltsverzeichnis

15

IV. Die Rechtsfigur der Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Die Bedeutung der Sonderverbindung in der Lehre von Krebs . . . . . . . . . . . . 138 2. Das Verständnis von Sonderverbindung und Schuldverhältnis im weiteren Sinne bei Frost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 V. Resümee: Zurückführung der Diskussion auf die Rechtskreisöffnung der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die Tatbestandskonzeption der Rechtskreisöffnungslehren . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Betonung der erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten durch die Rechtskreisöffnung der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Der Abbau von Schutzbarrieren bei der Eingehung einer Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Die Zweck- oder Zielsetzung im Tatbestand der Sonderverbindung als notwendiges Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Legitimation durch funktionale Gesichtspunkte, Vertrauen und Haftungsbeschränkungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Sonderverbindung und Schuldverhältnis i.w.S. in den Lehren von der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Zusammenfassung: Neue Richtung für die dogmatische Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 G. Zusammenfassung: Konsens, Vertrauen, Anknüpfung an privatautonomes Verhalten und Rechtskreisöffnung als Leitlinien der dogmatischen Entwicklung . . . 147 2. Teil Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung im System des Bürgerlichen Rechts

152

A. Das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen bzw. Schuldverhältnissen . . 152 I. Das System der Ansprüche des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Actio und res in den Institutionen des Gaius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Schuldverhältnis und Eigentum als Quelle von Ansprüchen und Pflichten

154

II. Das System des Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Das System des Schuldrechts als System der Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . 155 2. Der Begriff des Schuldverhältnisses im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Die Unterscheidung von Schuldverhältnis i.w.S. und Schuldverhältnis i.e.S. innerhalb des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Die Fragwürdigkeit des Begriffs einer Sonderverbindung . . . . . . . . . . . . . 158

16

Inhaltsverzeichnis III. Die Entstehung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als entscheidende Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Die Funktion des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB für die Entstehung von Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Der Ausgangspunkt der Frage nach der Haftung: Bestand ein Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

B. Analyse des Entstehungstatbestandes des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses anhand der lebensweltlichen Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 I. Ausgangspunkt: Die Fälle des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Annäherung der Beteiligten: Aufgabe der deliktischen Isolation im Sinne eines Nebeneinanders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Öffnung der Rechtskreise der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Öffnung im Sinne eines Verzichts auf den bestehenden Schutz der Rechtsgüter, Rechte und Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Die Rechtskreisöffnung in den Ausgangsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Die Qualität der Rechtskreisöffnung in den Ausgangsfällen . . . . . . . . . . . 174 2. Anknüpfung an den Willen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Die Zweiseitigkeit der Öffnung oder das Einverständnis mit der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Das besondere Risiko der Rechtskreisöffnung als nicht-geschäftliches Risiko

181

V. Zusammenfassung: Der Tatbestand des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in den klassischen Fallgruppen als Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Einwirkungsmöglichkeiten durch Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Die Einverständlichkeit der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Loslösung von Vertrag, Rechtsgeschäft und Geschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Resümee: Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung als Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses i.w.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 C. Der Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung auf der Basis des Wortlauts der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Der inhaltliche Ablauf des Kodifikationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Der Kodifikationsvorschlag im Abschlussbericht der Kommission (1991)

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Inhaltsverzeichnis

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2. Der Kodifikationsvorschlag im Diskussionsentwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (2000) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Der Kodifikationsvorschlag in der konsolidierten Fassung des Diskussionsentwurfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4. Die endgültige Fassung der Vorschriften in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses und die Erläuterung der Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Der Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Der Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung charakterisiert durch die Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Das Verhältnis der Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB: Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Vertragsanbahnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 bb) Gewähren oder Anvertrauen von Einwirkungsmöglichkeiten . . . . . 197 d) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 e) Die Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB als generalklauselartige Beschreibung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . 200 aa) Die Rechtskreisöffnung in den Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 bb) Der geschäftliche Kontakt in den Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Der Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung charakterisiert durch die Fallgruppe des § 311 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 3 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Die klarstellende Funktion des § 311 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Zusammenfassung: Die Widerspiegelung des Tatbestandes des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in der generalklauselartigen Umschreibung der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Die Schutzgüter des Rechtskreises unter Berücksichtigung von § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 IV. Resümee: Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung als Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

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Inhaltsverzeichnis

D. Die Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB . . . . . . . 221 I. Die Willentlichkeit der Rechtskreisöffnung als Legitimationsmoment . . . . . . . . 222 II. Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung als Legitimationsmoment . . . . . . . 226 III. Die Interessenlage der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 IV. Die Vorgegebenheit der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . 230 E. Resümee: Tatbestand und Legitimation des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung: Ausblick

235

A. Die Lebenswelt als Welt der Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Der zukünftige Anwendungsbereich des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 C. Haftungspräzisierung statt Haftungsausweitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 D. Die Rechtskreisöffnung als Kern des Schuldverhältnisses und Grundlage für zukünftige Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Einführung A. Problemstellung Auch über vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Schuldrechts ist nicht klar, wie der Tatbestand des neu geschaffenen Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB genau gefasst sein soll. Das Problem ist dabei nicht neu. Schon der „Vorläufer“ des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses, das Schuldverhältnis der culpa in contrahendo, konnte zu Recht als Schuldverhältnis ohne Tatbestand bezeichnet werden (I.). Anstatt bei der Kodifikation in Form des rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses das Problem zu lösen, hat der Gesetzgeber in einer Art Umschreibung von Fällen eine Kodifikation ohne echten Tatbestand geschaffen (II.). Mit der vorliegenden Untersuchung soll aufgezeigt werden, wie der Tatbestand des Schuldverhältnisses beschaffen ist.

I. Das Schuldverhältnis ohne Tatbestand: Der Anwendungsbereich des Instituts der culpa in contrahendo bis zur Kodifikation Das heute in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB niedergelegte Schuldverhältnis geht in seinen Anfängen zurück auf die Haftung im Zusammenhang mit Vertragsschlüssen im römischen Recht, den frühen landesrechtlichen Kodifikationen und vor allem auch die Schrift „Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen“ von Jhering. Sowohl Jhering als auch den landesrechtlichen Kodifikationen ging es noch um die Erfassung von Irrtümern oder Aufklärungspflichtverletzungen im Rahmen von Vertragsverhandlungen. Heute kann in Retrospektive gesagt werden, dass sich aus diesen Anfängen in kurzer Zeit der Grundsatz der Rechtsprechung, dass auch schon vor Aufnahme von eigentlichen Vertragsverhandlungen „ein den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis mit vertragsähnlichen Charakter“ zustande kommt, entwickelte.1 Dieses 1 RGZ 78, S. 239, 240 (Linoleumrollen-Entscheidung). In der Literatur nahmen zuerst Heinrich Stoll und von Tuhr an, dass ein eigenes, vom Vertrag losgelöstes Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen existiert. Vgl. von Tuhr, AT II, S. 486 ff.; von Tuhr, AcP 121 (1923), S. 359, 360; Heinrich Stoll, LZ 1923, Sp. 537; ders., JW 1933, S. 34, 36. von Tuhr

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Einführung

Schuldverhältnis bringe Pflichten zur Rücksichtnahme in Form von Pflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter, aber auch in Form von Aufklärungspflichten hervor.2 Damit war die erste große Erweiterung des Anwendungsbereichs durch die Aufnahme der Fälle der Vertragsanbahnung bzw. des sog. geschäftlichen Kontakts gefunden. Erst unter dem Einfluss der Vertrauenshaftungslehren in Gefolgschaft von Heinrich Stoll kam es aber zu einer erheblichen Ausweitung des Anwendungsbereichs des Instituts der culpa in contrahendo. Mit der Einordnung der Beziehung als Vertrauensverhältnis3 und der Haftung als Vertrauenshaftung war ein Weg gefunden, auch in anderen Situationen, in denen es nach Auffassung der Richter um „enttäuschtes Vertrauen“ geht,4 die Haftung des Schädigers zu begründen. So konnten die Gefälligkeitsverhältnisse mit rechtsgeschäftlichem Charakter unter das Dach der Regelungen der Fallgruppe der culpa in contrahendo gezogen werden.5 Über das besondere persönliche Vertrauen, aber auch über Billigkeitskriterien wie das wirtschaftliche Eigeninteresse, wurde die Eigenhaftung des Vertreters bzw. des Sachwalters, der Einfluss auf den Vertrag nimmt ohne Vertreter zu sein, als Fall der culpa in contrahendo begründet.6 Unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten, typisierten Vertrauens wurden schließlich auch Fälle der nicht spezialgesetzlich geregelten Prospekthaftung in den Anwendungsbereich des Instituts der culpa in contrahendo einbezogen.7 Es drängte sich der Verdacht auf, dass das Institut der culpa in contrahendo als Allzweckwaffe zur Begründung von Billigkeitsentscheidungen eingesetzt wurde.8 In der Literatur, die zum Großteil ebenfalls den Anwendungsbereich auf geschäftliche Kontakte beschränkt,9 werden darüber hinaus teilweise auch andere soziale Kontakte als Anwendungsfall verstanden.10 Damit wären dann auch die differenziert – wie auch schon Siber – zwischen Aufklärungs- und Erhaltungspflichten. Nur erstere folgen nach seinen Ausführungen aus dem Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen. Vgl. aber bereits die Einordnung von Dernburg, unten unter Fn. 28. Im preußischen Recht hatte auch schon Eccius auf die Existenz eines Rechtsverhältnisses der Vertragsverhandlungen hingewiesen. Vgl. Förster-Eccius, S. 453 f. 2 Vgl. RG JW 1912, S. 743 ff. 3 Vgl. z. B. RGZ 120, S. 249, 251; BGH NJW 1960, S. 720, 721; BGHZ 47, S. 207, 211. 4 Vgl. BGH LM 28 zu § 276 BGB. 5 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 107 und noch unten unter 1. Teil, B. I. 3. 6 Vgl. BGHZ 63, S. 221, 223 ff.; BGHZ 56, S. 81, 85; BGH, NJW 1990, S. 1907, 1908. 7 Vgl. etwa BGH NJW 1993, S. 2865. 8 Formulierung nach Hopt, AcP 183 (1983), S. 608, 642, der von der Vertrauenshaftung als theoretisch-dogmatischen Allzweckwaffe redet. Vgl. in diese Richtung auch Gottwald, JuS 1982, S. 877; Geißler, ZIP 1997, S. 2184, 2186. Siehe auch Strauch, JuS 1992, S. 897, 900, der von einer „Überdehnung“ des Vertrauensgedankens und einer Verwischung systematischer Grenzen im Bürgerlichen Recht spricht. 9 Vgl. vor allem Larenz, MDR 1954, S. 515 ff. und noch unten unter 1. Teil, C. IV.

A. Problemstellung

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Gefälligkeitsverhältnisse mit umfasst.11 Teilweise werden zudem die Fälle der Auskunftshaftung bzw. der Sachverständigenhaftung als Fälle der culpa in contrahendo verstanden.12 Die Rechtsprechung hat mit der Betonung eines Vertrauensverhältnisses in diesen Fällen Parallelen zur klassischen Fallgruppe der culpa in contrahendo gezogen. Die Ausweitung der Haftung weg von der Haftung innerhalb von Vertragsverhandlungen hin zu einer weitgehend unbestimmten, von Fallgruppen geprägten Haftung für enttäuschtes Vertrauen im (rechts-)geschäftlichen Verkehr hatte vor allem eine Folge: Das Schuldverhältnis hat seinen Tatbestand nach und nach durch die „Aufweichung“ in der Rechtsprechung des BGH und der Diskussion der Literatur verloren.13 Für zusätzliche Verwirrung hat gesorgt, dass in der Diskussion die Fragen nach Entstehungstatbestand und rechtspolitischer Legitimation der Haftung oft nicht sauber von einander getrennt worden sind.14 Weitere Probleme ergeben sich, wenn in der Diskussion der Tatbestand der Pflichten zur Rücksichtnahme einerseits und des Schuldverhältnisses andererseits undifferenziert vermengt werden. Die Frage nach dem „Warum“ der Haftung ist eine andere, als die nach dem „Wodurch“, welches sich auf die Entstehung eines Schuldverhältnisses bezieht. Die Vermischung beider Fragen in der inhaltlichen Diskussion in der Rechtswissenschaft scheint – zumindest überwiegend – Resultat einer unklaren Terminologie zu sein. Ein Begriff wie „Haftungsgrund“ ist eben nicht eindeutig auf eine der beiden Fragestellungen zu beziehen – die Verwendung von „Begründung“ der Haftung oder aber „Rechtsgrund“ der Haftung ist dann zwar teilweise deutlicher, vermittelt aber noch nicht die gewünschte Klarheit. Zu trennen ist vielmehr präzise nach dem Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses und der Legitimation der Auferlegung besonderer Pflichten zur Rücksichtnahme innerhalb dieses Schuldverhältnisses. Ein wesentlicher Schwachpunkt der bisherigen Dogmatik bei der Herausarbeitung des Tatbestands liegt auch in dem Verlust des Fallbezuges bei der Herausbildung eines Rechtssatzes. In dem Kreislauf von Problementdeckung, Prinzipienbildung und Systemverfestigung zwischen Fallpraxis und Rechtslehre15 ist es in 10 11

Vgl. z. B. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67 ff. und noch unten unter 1. Teil, C. V. Vgl. z. B. Schwerdtner, NJW 1971, S. 1674 ff. und noch unten unter 1. Teil, B. I. 3. und

C. V. 12 Vgl. dazu insbesondere Canaris, JZ 1995, S. 441, 445 f.; ders., JZ 1998, S. 603, 605 ff.; ders., ZHR 163 (1999), S. 206 ff.; ders., 2. FS Larenz, S. 27, 94 f. 13 Vgl. Hohloch, JuS 1977, S. 302, 305, der von der Verwischung der Grenzen vertraglicher Haftung spricht. 14 Das erkennt auch Bohrer, S. 113 f., insbesondere Fn. 113. Der Versuch, mittels einer Neudefinition der Begriffe „Haftungsgrund“ und „Geltungsgrund“ das Problem zu lösen, kann aber angesichts der Vorbelastung der Begriffe durch die häufige Verwendung mit unterschiedlichster Bedeutung nicht gelingen. 15 Formulierung in Anlehnung an Esser, Grundsatz und Norm.

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Einführung

Folge der für den Juristen typischen Verallgemeinerung von Prinzipien und Begriffen zu einer Fehlentwicklung gekommen, bei der die Prinzipienbildung hinter der Begründung des Ergebnisses im Einzelfall zurückgeblieben ist. Bisher in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung angewendete und diskutierte Konzepte verlieren die spezifische lebensweltliche Situation aus dem Blick, die letztlich zur Begründung des Schuldverhältnisses führt. Die erforderliche Auseinandersetzung mit der Frage nach der Begründung des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nur mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB unterbleibt völlig oder führt auf Grund des Verlustes des Bezugs zur Typik der zugrunde liegenden Situation zu einem eher abstrakten Ergebnis. Unklar ist daher vor der Kodifikation gewesen, ob das Schuldverhältnis durch einen bestimmten oder jeden geschäftlichen Kontakt bzw. durch enttäuschtes, abstraktes oder besonderes Vertrauen zustande kommt. Die Frage, wann für die Verletzung von Pflichten zur Rücksichtnahme gehaftet wird, war nur noch auf Grundlage der Kasuistik entscheidbar. Ein einheitlicher Tatbestand war nicht zu erkennen.16 Zum Zeitpunkt der Schuldrechtsreform war das Schuldverhältnis der culpa in contrahendo daher ein Schuldverhältnis ohne Tatbestand.

II. Das rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB: Die Kodifikation ohne Tatbestand Die Gesetzgeber der Schuldrechtsreform haben das Problem erkannt und auf ihre eigene Weise „gelöst“: Anstatt den Tatbestand, den Falltypus in den entschiedenen Fallkonstellationen bzw. den in der Lehre diskutierten Ansätzen zu suchen und zu kodifizieren, wurde gleich von der Vorstellung Abstand genommen, dass dies im Augenblick möglich sei.17 Stattdessen sollte eine abstrakte Regelung vorgegeben werden, die – obschon konturenscharf – der weiteren Entwicklung und Ausdifferenzierung zugänglich ist.18 Mit den in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB niedergelegten, der Rechtsprechung und Literatur entnommen, „klassischen Fallgruppen“ der culpa in contrahendo ist jedenfalls das Ziel der Konturenschärfe nicht erreicht worden. Mit der Formulierung der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB bieten sich allenfalls Anhaltspunkte für die Typik der Fälle des Schuldverhältnisses mit Pflichten nur nach § 241 Abs. 2 BGB. Dieser erste Eindruck wird auch bei einem Blick auf die Diskussion in der Rechtswissenschaft bestätigt. Keinesfalls kann davon gesprochen werden, dass 16 Vgl. in diese Richtung auch Medicus, Schuldverhältnis, S. 23, der davon spricht, dass „keine brauchbare einheitliche Formulierung“ für die Voraussetzungen von Sonderverbindungen zu finden sei. 17 Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 162. 18 Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 162.

B. Gang der Darstellung

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klar ist, wie der Tatbestand des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB zu fassen ist. Im Gegenteil: Das Meinungsbild ist durch und durch heterogen. Weder besteht Einigkeit über das Verhältnis der einzelnen Fallgruppen zueinander,19 noch ist klar, wo die Grenze des Anwendungsbereichs des Schuldverhältnisses gezogen werden soll.20 Der Rechtsanwender findet keine Antwort auf die Frage, ob es sich bei Gefälligkeitsverhältnissen noch um Fälle des geschäftlichen Kontaktes handelt oder nur die deliktische Haftung einschlägig ist.21 Genauso unklar ist, ob jetzt ein Anvertrauen oder Vertrauen in irgendeiner Form notwendig ist, um ein Schuldverhältnis entstehen zu lassen.22 Aber nicht nur der Anwendungsbereich der einzelnen Fallgruppen der Vorschrift ist unklar. Der Tatbestand wurde darüber hinaus auch bewusst offen konzipiert, so dass auch andere Fälle erfasst werden können. Es handelt sich insoweit um einen in zweifacher Hinsicht unklaren Tatbestand. Der Kodifikation der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB fehlt daher, so kann rekapituliert werden, ein fassbarer Tatbestand.23

B. Gang der Darstellung Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, den Tatbestand der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB anhand einer Untersuchung typischer Fallkonstellationen und bis19 Vgl. dazu MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 68; jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 33; Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 44 für § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB als Grundtatbestand, der Nr. 1 mit umfasst. Dagegen etwa Jauernig-Stadler, § 311, Rdnr. 43 ff.; Henssler / von Westphalen-Muthers, § 311, Rdnr. 17 ff., und im Übrigen noch unten unter 2. Teil C. II. 1. a). 20 Vgl. z. B. für die Einbeziehung der klassischen Fälle der Auskunftshaftung als Anwendungsfall von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 49; Emmerich, § 6, Rdnr. 13; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 22; ähnlich Hk-BGB-Schulze, § 311, Rdnr. 17; Schwab / Witt, S. 137; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520; Palandt-Sprau, § 675, Rdnr. 40. Für die Einbeziehung der Fälle der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung. HkBGB-Schulze, § 311, Rdnr. 22; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 52; Petersen, Rdnr. 89; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 48. 21 Für die Einbeziehung von Gefälligkeitsverhältnissen mit rechtsgeschäftlichem Charakter MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 72; Palandt-Heinrichs, 65. Auflage, § 311, Rdnr. 18; Emmerich, § 6, Rdnr. 19; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 22; Schwab / Witt, S. 137; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 18; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520. Vgl. und im Übrigen noch unten unter 2. Teil C. II. 1. d). 22 Vgl. aus den Stellungnahmen in der Literatur nur Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 48; Henssler / von Westphalen-Muthers, § 311, Rdnr. 26; Emmerich, § 7, Rdnr. 82; jurisPK-BGBLapp, § 311, Rdnr. 42; Petersen, Rdnr. 86 zum „Vertrauen“ in § 311 Abs. 3 BGB. 23 So schon Jan Schapp, JZ 2001, S. 583, 589, der den modellhaften Charakter von §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB betont und hervorhebt, dass insgesamt ein Verzicht auf praktikable Tatbestände zu beobachten ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Warnung vor dem Tatbestand der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, die Keilmann, JA 2005, S. 500 kürzlich ausgesprochen hat. Vgl. aus den kritischen Anmerkungen zur Tatbestandsumschreibung in § 311 BGB außerdem nur Dauner-Lieb-Lieb, § 3, Rdnr. 44 „maulfaul“; Rieble, S. 137, 141 „Nebelkerze“; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520 „etwas dunkel“.

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Einführung

heriger Lösungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft aufzuzeigen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich also – fernab aller Fallgruppen und Einzelfragen – mit der großen Frage: Unter welchen Voraussetzungen entsteht das Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB? Das Hauptproblem des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, indem nur Pflichten zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB bestehen, scheint es dabei zu sein, dass infolge der historischen Entwicklung bis heute die tragenden Momente der typischen Fallkonstellationen nicht freigelegt wurden.24 Im 1. Teil der vorliegenden Untersuchung soll die Entwicklung der Dogmatik des Schuldverhältnisses bis zur Kodifikation der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nachgezeichnet werden. Die Darstellung ist zuvorderst nach systematischen Gesichtspunkten strukturiert, berücksichtigt aber auch die historische Entwicklung des Schuldverhältnisses. Vom Ausgangspunkt der frühen landesrechtlichen Kodifikationen (A.) werden unterschiedliche Ansätze für Tatbestand und rechtspolitische Legitimation des Schuldverhältnisses untersucht. In der Untersuchung wird sich zeigen, dass die dogmatische Entwicklung trotz der großen heterogenen Bandbreite der Ansätze in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung wesentliche Leitlinien erkennen lässt. Eine dieser Leitlinien ist der Konsens der Beteiligten in den typischen Fallkonstellationen des Schuldverhältnisses der culpa in contahendo (B.), der schon früh von den rechtsgeschäftlichen und vertragsnahen Strömungen in der Dogmatik in den Mittelpunkt gestellt wird. Eine andere große Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung ist der Vertrauensgedanke (C.), dessen Betonung sich vom Standpunkt der heutigen Analyse allerdings als verfehlt erweist. Als weitere Leitlinie kann die Anknüpfung an privatautonomes Handelns im weiteren Sinne festgemacht werden (D.). Im Zuge der Auseinandersetzung der verschiedenen Ansätze zu Tatbestand und Haftungslegitimation sollen dann auch Nebenlinien der Entwicklung, in denen neue Haftungskonzepte wie eine allgemeine Berufshaftung oder eine Ausweitung der deliktischen Haftung für Verkehrspflichtverletzung gefordert wurden, kritisch analysiert werden (E.). Als letzte große Leitlinie soll schließlich der Gedanke der Rechtskreisöffnung als Tatbestand des Schuldverhältnisses untersucht (F.), bevor die gewonnenen Ergebnisse der Analyse der dogmatischen Entwicklung abschließend zusammen gefasst werden (G.). Im 2. Teil der Arbeit soll dann auf Grundlage der im 1. Teil gewonnenen Erkenntnisse die Herausarbeitung von Tatbestand und Legitimation des heutigen Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB erfolgen. Nach einer Untersuchung der Einbettung des Schuldverhältnisses in das System des Bürgerlichen Rechts und der Herausarbeitung der Frage nach dem Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses als entscheidende Frage (A.) soll die lebensweltliche Situation 24 Im Folgenden wird das heute von §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB erfasste Schuldverhältnis auch als Rücksichtnahmeschuldverhältnis bzw. Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung bezeichnet.

B. Gang der Darstellung

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in typischen Fallkonstellationen zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht werden (B.). Die Basis der Analyse sind neun Ausgangsfälle, die sich inhaltlich grob an den klassischen Fallkonstellationen der culpa in contrahendo orientieren. Der so gefundene Tatbestand des Schuldverhältnisses ist in der willentlich begründeten Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung zu sehen. An die Herausarbeitung des Tatbestandes im Rahmen der beschreibenden Analyse typischer lebensweltlicher Situationen schließt sich dann eine genauere Analyse des Tatbestands der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB an (C.). In der Analyse zeigt sich, dass der Kern des dort in Form von Fallgruppen generalklauselartig umschriebenen Tatbestands in der Rechtskreisöffnung der Beteiligten zu sehen ist. Nachdem der Tatbestand des Schuldverhältnisses so gefunden ist, werden abschließend noch die wesentlichen Momente der Haftungslegitimation angeschnitten (D.). In dem die Untersuchung schließenden Ausblick nach einer kurzen Zusammenfassung (E.). werden schließlich die Perspektiven des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung angerissen. Die Erfassung einer Gemeinschaft auf Grund einer unterhalb der Ebene des Vertrages liegenden Einigung trägt in sich die Möglichkeit, die personalen Beziehungen der Lebenswelt genauer abzubilden, als dies durch die bisherige Dogmatik geschehen konnte. Diese Untersuchung wird von der Hoffnung getragen, den Blick auf diese Gemeinschaft als personale Beziehung und Grundlage von Schuldverhältnissen i.w.S. schärfen zu können.

1. Teil

Die Entwicklung von Entstehungstatbestand und Haftungslegitimation des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses bis zur Kodifikation Im 1. Teil der Untersuchung soll die Entwicklung der dogmatischen Ansätze zur Entstehung und Legitimation des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung nachgezeichnet werden. Auch die Entwicklung der Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang skizziert. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit einzelnen Fallgruppen der Rechtsprechung ist nicht gewollt und würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Nach einer kurzen Skizze des Ausgangspunkts der Entwicklung (A.), werden die wesentlichen Leitlinien der dogmatischen Entwicklung dargestellt und analysiert. Es handelt sich dabei um den Konsensgedanken (B.), den Vertrauensgedanken (C.), die Anknüpfung an privatautonomes Handeln i.w.S. (D.) sowie die Rechtskreisöffnung zwischen den Beteiligten (F.). Auch Nebenlinien der Entwicklung, in denen die Notwendigkeit der Existenz des Schuldverhältnisses in Frage gestellt wird bzw. eine Ausweitung im Rahmen von Spezialtatbeständen gefordert wird, sollen präsentiert und analysiert werden (E.). Eine Zusammenfassung der Ergebnisse mit Blick auf die Frage nach dem Tatbestand des heutigen Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB schließt den 1. Teil der Arbeit (G.).

A. Der Ausgangspunkt: Das (gemeine) römische Recht und die frühen Kodifikationen Als frühester erfassbarer Ausgangspunkt der Entwicklung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB können aus heutiger Sicht zwei Komplexe ausgemacht werden: zum einen die frühen Kodifikationen bürgerlichen Rechts in Form des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 17941, das österreichische ABGB und das sächsische BGB (I.), zum anderen die Diskussion um eine culpa in contrahendo im gemeinen römischen Recht, die wesentlich von der Schrift Jherings geprägt worden ist (II.). An die Darstellung beider Komplexe schließt sich 1

Im Folgenden nur noch ALR.

A. Ausgangspunkt: Das römische Recht und die frühen Kodifikationen

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eine kurze Würdigung der Bedeutung für das heutige Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB an.

I. Die Regelungen in den frühen Kodifikationen Das ALR enthielt die wohl umfassendsten Regelungen für die später als culpa in contrahendo diskutierten Sachverhalte. Herausstechend ist insbesondere die Generalklausel der ALR I 5 §§ 284, 285, nach der grundsätzlich eine Haftung für Pflichtverletzungen bei Vertragsschluss vorgesehen war.2 Neben diesen allgemeinen Vorschriften können ferner eine Vielzahl weiterer Vorschriften als Regelungen für Fälle des Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo angesehen werden.3 Die Frage, welche Fälle dabei als Regelungen der culpa in contrahendo angesehen werden, ist letztlich eine Frage des Verständnisses der culpa in contrahendo. Fälle, die noch Jhering als culpa in contrahendo aufgefasst hat, sind heute in der Einordnung wenigstens umstritten. In den Vorschriften werden Fälle des Irrtums vor Vertragsschluss, des absichtlichen Abschlusses eines Vertrags durch Geschäftsunfähige und ähnliche Fallgruppen behandelt. Die Beurteilung der Rechtsnatur der im ALR geregelten Pflichten vor Vertragsschluss wurde kontrovers diskutiert. So wurde teilweise angenommen, dass diese Pflichten vertraglicher Natur seien.4 Hildebrandt hat dagegen betont, dass im Falle eines nichtigen oder nicht zustande gekommenen Vertrages lediglich eine deliktische Haftung bestehe.5 Andere gingen von einer ausschließlich deliktischen Haftung im Falle der Verletzung vorvertraglicher Pflichten aus.6 2 „Was wegen des bey Erfüllung des Vertrages zu vertretenden Grades der Schuld Rechtens ist, gilt auch für den Fall, wenn einer der Contrahenten bei Abschließung des Vertrages die ihm obliegenden Pflichten vernachlässigt hat.“ (ALR I 5 § 284) „Wer bey Abschließung oder Erfüllung des Vertrags seine Pflichten vorsetzlich, oder aus grobem Versehen, verletzt hat, muß dem Andern sein ganzes Interesse vergüten.“ (ALR I 5 § 285). 3 Vgl. etwa ALR I 4 § 79, I 5 § 32, I 5 § 36, I 5 § 105, I 5 § 325, I 5 § 328, I 5 § 349, I 5 § 350, I 5 § 358 und I 13 § 89. Vgl. in diesem Zusammenhang Rehbein / Reincke, S. 204 Fn. 135a und Engelmann, S. 369. 4 Heldrich, S. 53; auch Fürstenthal, S. 70 f. erläutert ALR I 5 § 284 im Zusammenhang der Vertragsverletzung; ähnlich Dernburg, S. 37 ff. Besonders bemerkenswert ist, dass Dernburg bereits 1882 herausgestellt hat, dass die unabhängig von einem Vertragsschluss bestehenden Pflichten nicht lediglich Aufklärungspflichten gegenüber dem Vertragspartner umfassen, sondern auch Sorgfaltspflichten hinsichtlich etwa des Eigentums des intendierten Vertragspartners bestehen. Vgl. Dernburg, S. 39. 5 Vgl. auch Hildebrandt, S. 46. Auf diese sei dann ALR I 6 anzuwenden. Sofern ein Vertrag allerdings wirksam zustande gekommen ist, sei von der Verdrängung des Deliktsrechts durch die Regelung der ALR I 5 §§ 284 ff. im Wege der Spezialität auszugehen. 6 Vgl. Förster-Eccius, S. 453 f. Eccius wollte aus einzelnen Vorschriften im Wege der Rechtsanalogie einen allgemeinen Grundsatz der Haftung für Vermögensschäden ableiten, differenzierend Engelmann, S. 368 f.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Schließlich enthielten auch die sächsischen und österreichischen Gesetzbücher Regelungen, die als Vorschriften der von Jhering diskutierten culpa in contrahendo aufgefasst werden konnten.7 Eine allgemeine Regelung, wie sie das ALR zu Pflichten vor Vertragsschluss getroffen hat, findet sich in diesen Gesetzbüchern aber nicht. Die verschiedenen Regelungen des Preußischen ALR zeugen eindeutig von der Anerkennung von vorvertraglichen Pflichten bereits im 18. Jahrhundert. Eine Aussage darüber, was der Rechtsgrund für die Entstehung der Pflichten im Stadium der Vertragsverhandlungen ist, trifft das ALR nicht. Einige Indizien verdeutlichen jedoch, dass die Pflichten letztlich als vertragsähnliche Pflichten behandelt wurden, der Vertrag also als Schuldverhältnis i.w.S. Quelle der Pflichten sein sollte. Die Regelungen der sächsischen und österreichischen Gesetzbücher zeugen zwar ebenfalls von der Anerkennung vorvertraglicher Pflichten dem Grunde nach. Die Fallgruppen würden allerdings heute nicht mehr als Anwendungsfall des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB gehandhabt werden.

II. Die Diskussion um die culpa in contrahendo auf der Grundlage (gemeinen) römischen Rechts Neben den soeben geschilderten frühen Kodifikationen kann als zweiter Ausgangspunkt der Entwicklung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB die Diskussion um die culpa in contrahendo vor dem Hintergrund des römischen Rechts angesehen werden. Im Mittelpunkt steht dabei die berühmte Schrift Jherings (1.) und deren Rezeption (2.).

1. Jherings Theorie der culpa in contrahendo Ausgehend von der Diskussion der Folgen der Willenstheorie Savignys in seinen Vorlesungen,8 nach der die Willenserklärung in den Fällen des (erheblichen) Irr7 Kober, S. 3, nimmt an, dass alle deutschen Rechte vor 1900 mit Ausnahme des sächsischen Rechts eine Haftung für Verhalten vor Vertragsschluss bejaht haben. Ähnlich etwa auch Voswinkel, S. 7; Leonhard, Verschulden, S. 4. 8 „Bei dem Vortrage der Lehre vom wesentlichen Irrthum in meinen Vorlesungen machte mir schon seit Jahren ein Punkt große Schwierigkeiten, auf den ich eine befriedigende Auskunft zu ertheilen nicht im Stande war, nämlich die Frage: ob nicht der irrende Theil dem Gegner auf Ersatz des durch seine Schuld ihm verursachten Schadens hafte?“, Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 2. Jhering konnte aber an eine bereits verhalten geführte Diskussion zu den Haftungsfolgen des nichtigen Vertrages bei Savigny, von Wächter, Schweppe und Richelmann anknüpfen. Vgl. dazu und zur Untersuchung Jherings insgesamt vor allem die Arbeit von Byoung Jo Choe, dort zum Meinungsstand, den Jhering vorgefunden hat, vor allem S. 203 ff. Insbesondere Mommsen nahm an, dass eine Haftung in Jherings späteren Fällen der

A. Ausgangspunkt: Das römische Recht und die frühen Kodifikationen

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tums ebenso wie in den Fällen des fehlenden Erklärungsbewusstseins im heutigen Sinne nichtig war,9 nimmt die berühmte Schrift Jherings zwei Konstellationen als Ausgangspunkt für die Untersuchung.10 Die erste Konstellation betrifft Fälle, in denen der Vertrag nicht wirksam zustande gekommen ist, aber bereits Aufwendungen im Hinblick auf seine vermeintliche Wirksamkeit vorgenommen wurden.11 Die andere Grundkonstellation ist die des „Versehens des Boten“ bzw. die versehentlich falsche Übermittlung eines Telegramms.12 Jhering folgert, dass das gemeinsame Element dieser Fälle ist, dass ein Verschulden bei Gelegenheit eines zumindest intendierten Vertragsschlusses begangen werde (culpa in contrahendo).13 Unter Zuhilfenahme einiger Textstellen des römischen Rechts zu den Fallgruppen des Verkaufs einer res extra commercium und einer nicht existierenden Erbschaft leitet Jhering seine Theorie der culpa in contrahendo ab.14 Die Haftung folge aus dem Vertrag. Dessen Nichtigkeit treffe lediglich die auf Erfüllung gerichteten Verbindlichkeiten.15 Damit stehe auch fest, dass es sich um ein mit der Kontraktsklage geltend zu machendes Recht handele.16 Ausgehend von den zwei Konstellationen, die den Ausgangspunkt seiner Untersuchung bilden, fasst Jhering am Ende seiner Untersuchung die Fälle, die er durch seine Theorie der culpa in contrahendo gelöst sehen will, in drei Gruppen zusammen. die „Unfähigkeit des Subjects, Unfähigkeit des Objects und der Unzuverlässigkeit des contractlichen Willens“.17 2. Die Rezeption der Schrift Jherings und ihre Bedeutung für die heutige Kodifikation Jherings Schrift initiierte aus heutiger Sicht eine durchschlagende Diskussion der Fälle der culpa in contrahendo.18 culpa in contrahendo aus dem römischen Recht nicht zu rechtfertigen ist. Vielmehr – so führt er aus – würde das römische Recht nur die Alternativen der Arglisthaftung der actio doli außerhalb eines Vertrages einerseits oder die Haftung aus dem Vertrag selbst, die Kontraktsklage, kennen. Vgl. Mommsen, S. 136, Anm. 6. 9 Vgl. von Savigny, S. 98 ff.; S. 263 ff. 10 Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 2 ff. 11 Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 2. 12 Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 4 bzw. 6. 13 Über diese Fälle hinaus gebe es – so Jhering – ein ähnliches Problem bereits bei dem Widerruf des Angebotes bei Vertragsschluss unter Abwesenden. Im Gegensatz zu den vorgenannten Fällen sei dies bereits in der Rechtswissenschaft gesehen worden, vgl. Jhering, JhJb. 4 (1861) S. 1, 8. 14 Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 8. 15 Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 29. 16 Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 29 ff. 17 Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 48.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Bei genauerer Betrachtung der hier dargestellten Untersuchungen zur culpa in contrahendo im römischen Recht zeigt sich, dass Jherings „Theorie der culpa in contrahendo“ mit dem heutigen Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung nicht mehr viele Gemeinsamkeiten hat. Die Fälle des römischen Rechts, die Jhering u. a. diskutiert haben, sind innerhalb des heutigen Systems des bürgerlichen Rechts den speziell geregelten Tatbeständen der § 122 BGB, § 311a BGB bzw. dem Gewährleistungsrecht zuzuordnen. Ein Fall der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB wäre wohl nur in seltenen Einzelfällen denkbar. Jherings Bemühungen auch im Falle eines unwirksamen Vertrages bzw. einer unwirksamen Willenserklärung Ansprüche für den geschädigten Erklärungsempfänger zu finden, lagen in der Schutzlosigkeit des Erklärungsempfängers als Folge der Willentheorie von Savignys begründet.19 Im System des bürgerlichen Rechts des BGB werden diese Fälle von den Vorschriften der §§ 119 ff. BGB bzw. §§ 275, 311a BGB erfasst. Das Grundproblem Jherings ist heute in einem Ausgleich der Willens- und Erklärungstheorie im Wesentlichen gelöst.20 Da die Probleme der Willenstheorie von Savigny damit überwunden sind, hat auch die Theorie der culpa in contrahendo von Jhering heute keine Bedeutung mehr für die Falllösung. Ihm bleibt der bedeutende Verdienst, erstmals eine umfassende Theorie der Haftung für im Moment des Vertragsschlusses bereits bestehende Pflichten formuliert zu haben. Das Augenmerk der Rechtswissenschaft wurde auf ein bis dato unbeachtetes Problem gelenkt.21 Die rechtswissenschaftliche Diskussion – auch über bereits vor seiner Theorie existierende Regelungen von Pflichten vor Vertragsschluss – hat erst mit dem Erscheinen seiner Schrift begonnen und bis heute nicht an Fahrt verloren.

18 Vgl. etwa die frühe Schrift von Leonhard, der die Haftung des Verkäufers für fahrlässiges Verschulden vor Vertragsschluss als Weiterentwicklung des bona fides-Grundsatzes untersucht hat. Vgl. Leonhard, Verschulden, dort insbesondere S. 13 und 14 ff. zur Ausweitung der culpa-Haftung im römischen Recht. Heldrich hat nach der Schrift Jherings eine eigene Untersuchung des römischen Rechts präsentiert. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das klassische römische Recht eine Haftung für die Verletzung von Pflichten vor Vertragsschluss nur bei Arglist des Verkäufers in Form der actio doli kannte. Das habe sich erst mit den Byzantinern als Folge ihrer Abneigung gegen die actio doli geändert. Vgl. Heldrich, insbesondere S. 10 ff. 19 Vgl. das in Fn. 8 wiedergegebene Zitat aus Jherings Schrift, Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 2. Vgl. auch Bohrer, S. 274 f.; Luig, ZNR 1990, S. 68, 73; Choe, S. 198 f. 20 Vgl. dazu genauer Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 318 und Jan Schapp, Grundfragen, S. 36. 21 Nach Auffassung einiger Autoren war – auch ohne Jherings Theorie – bereits in der Rechtsprechung zum (gemeinen) römischen Recht eine Haftung für Pflichtverletzungen vor Vertragsschluss bestätigt worden. Dem Ausdruck „culpa in contrahendo“ kam aber noch kein spezifischer, über die wörtliche Übersetzung hinausgehender Sinn zu. Vgl. etwa Cabjolsky, S. 1 und Kober, S. 3. Ehrlich, S. 9, weist darauf hin, dass sich Jherings Lehre nur in Einzelfällen in der Rechtsprechung durchsetzen konnte. Eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Aussagen findet sich bei Giaro, S. 113, 120 f.

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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III. Resümee: Die frühe Diskussion um die Schrift Jherings als Beginn einer Entwicklung Aus der Diskussion von Jhering und den frühen Kodifikationen lassen sich nur wenige Rückschlüsse für die vorliegende Untersuchung ziehen. Festgehalten werden kann allerdings, dass sich bereits in der Diskussion der verschiedenen Fälle im römischen Recht gezeigt hat, dass Situationen existieren, in denen eine vertragsähnliche Haftung angemessen und richtig erscheint. Mit der langsamen Anerkennung von Fallgruppen vertragsähnlicher Haftung als Fälle der culpa in contrahendo haben Jhering und die anderen hier diskutierten Autoren eine dynamische Entwicklung in Gang gesetzt, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Kodifikation der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB gefunden hat.22

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in der dogmatischen Entwicklung Eine schon bald Jhering folgende Richtung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft nahm an, bei den Fällen der culpa in contrahendo handle es sich um Haftung für die Verletzung von vertraglichen Pflichten.23 Damit zeigte sich schon hier ein für die Diskussion bis heute bedeutsamer Moment des Entstehungstatbestandes des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses: der Konsens zwischen den Beteiligten. In der Diskussion ist der Gedanke zunächst im Rahmen von Haftungsvertragslehren zum Tragen gekommen, die darauf abgestellt haben, dass die Haftung auf der Verletzung einer Pflicht aus einem vertraglichen Schuldverhältnis beruht (I.). In etwas anderer Form zeigt sich der Konsensgedanke in Form einer überwiegend als rechtsgeschäftlich eingestuften Einigung auch in der Rechtsprechung zu den Gefälligkeitsverhältnissen, die aus diesem Grund im Abschnitt der Haftungsverträge erläutert werden sollen. Insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts weit verbreitet, wenn nicht dominierend, war die Anknüpfung der Haftung bereits während der Vertragsverhandlungen an die Einigung der Beteiligten im später geschlossenen Vertrag (hier Zielvertragstheorien) (II.). Neben dieser Deutung des Konsenses als rechtsgeschäftliche Einigung findet der Konsens der Beteiligten in der Lehre von den faktischen Ver22 Treffend ist die Aussage von Giaro, S. 113, 118, dass Jhering insoweit die vorvertragliche Haftung popularisiert hat. 23 Giaro, S. 113, 126, weist allerdings darauf hin, dass nach Inkrafttreten des BGB die wohl überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft die Rechtsfigur der culpa in contrahendo zurückgewiesen hat.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

tragsverhältnissen als Einigung unterhalb der rechtsgeschäftlichen Einigung Berücksichtigung (III.). Nach der Darstellung der angerissenen Ansätze von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zunächst aus sich heraus, schließt eine kurze Würdigung die Darstellung in diesem Kapitel (IV.).

I. Das Rücksichtnahmeschuldverhältnis als vertragliches Schuldverhältnis in der Rechtsprechung Die Begründung des heutigen Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung als Vertrag hat allgemein, d. h. in einer in allen Fällen Anwendung findenden Theorie, bis heute ersichtlich noch kein Gericht oder Autor in der Rechtswissenschaft vertreten. In der neueren Rechtsprechung finden sich allerdings bis heute Beispiele für die Annahme eines Haftungsvertrages in den Fällen der Auskunftshaftung (1.). Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreiteten Rechtsprechung, die annahm, dass mit dem Betreten eines Geschäftes oder einer Praxis etc. stillschweigend ein Vertrag mit Pflichten zur Rücksichtnahme abgeschlossen wurde (2.). Als Gefälligkeitsvertrag und damit letztlich als Haftungsvertrag werden von der Rechtsprechung oft auch sog. Gefälligkeitsverhältnisse eingeordnet (3.). An die Darstellung der in diesem Sinne eingeteilten Rechtsprechung schließt sich eine Gesamtwürdigung an (4.).

1. Der Konsensgedanke in der Deutung als Haftungs- bzw. Erhaltungsvertrag zwischen den Beteiligten Schon die reichsgerichtliche Rechtsprechung hat eine Art Konsens zwischen den Beteiligten entdeckt und in Übereinstimmung mit einigen Kommentarstimmen der frühen Jahre des 20. Jahrhunderts angenommen, dass die Beteiligten vor dem eigentlichen Vertragsschluss einen Haftungs- und Erhaltungsvertrag abschließen. Die Anforderungen für die Annahme dieser Verträge, die allein zur Rücksichtnahme auf den anderen Beteiligten verpflichten, wurden dabei niedrig gesteckt. Die reichsgerichtliche Rechtsprechung hat angenommen, dass ein Vertrag, der zur Rücksichtnahme verpflichtet, mit dem Betreten eines Gasthauses oder dem Vorlegen von Ware in einem Geschäft geschlossen wird.24 Ein Vertragsschluss al24 Vgl. RGZ 74, 124, 126; 85, 185 f.; 87, 128 f.; JW 1911, S. 360. So für die Gasthausfälle auch Goldscheider, Gruchot 60, S. 369, 370; Josef, Gruchot 52, S. 525, 535 f.; ähnlich Schmölder, DJZ 1905, S. 829. Sie nehmen an, dass der Betreiber einer Gastwirtschaft jedem einen Antrag unterbreitet, die Räume und Einrichtungen der Gastwirtschaft zu nutzen. Betritt

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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lein auf Grund des Betretens eines Warenhauses wurde dagegen überwiegend abgelehnt.25 Leonhard nimmt noch weitergehend an, dass ein Vertrag auch bei der Ausstellung von Ware gegen Eintrittsgeld, der Besichtigung eines zum Verkauf stehenden Hauses, der Vorführung einer Maschine und einer Probefahrt im Auto vorliege.26 Ein Vertrag sei aber nicht gegeben, wenn nur eine allgemeine Aufforderung an die Öffentlichkeit ergangen sei.27 Hildebrandt und Siber haben mit einem anderen Ansatz versucht, die Verträge nur mit Pflichten zur Rücksichtnahme auf eine breitere Grundlage zu stellen. Siber hat angenommen, dass schon durch Vertragsverhandlungen grundsätzlich ein Vertrag, der lediglich Pflichten zur Rücksichtnahme beinhaltet, abgeschlossen wird.28 Da die Anzahl der Schuldverträge im BGB nicht abschließend geregelt sei, sei es unproblematisch, einen Vertragsschluss in der Übergabe der Ware zur Besichtigung bzw. bei einer verlangten Ansichtssendung zu sehen.29 In ähnlicher Weise könne ein Vertrag zustandekommen, wenn etwa ein Kaufhaus öffnet, also Interessenten zur Besichtigung der Ware eingeladen werden.30 Der Kaufhausinhaber gibt nach Siber ein Angebot an eine unbestimmte Person, gerichtet auf den Abschluss eines Vertrags mit Pflichten „zur Erhaltung der persönlichen Sicherheit ab“.31 Das Angebot werde von Interessenten nach § 151 BGB unter Verzicht auf eine Annahmeerklärung auf Grund der Verkehrssitte angenommen.32 Dieses sei allerdings nur an die „eingeladenen“ Personen gerichtet. Aus diesem Grund läge ein Vertragsschluss z. B. im Verhältnis des Kaufhauses zu Bettlern, Dieben oder etwa Kauflustigen, die außerhalb der Geschäftszeit kommen, nicht vor.33 Siber verteidigt das Konzept der Erhaltungsverträge damit, dass die Auslegung nach § 157 BGB nicht nach dem inneren Willen zu forschen habe. Vielmehr sei das Ziel der Auslegung ein angemessenes Ergebnis auf der Grundlage von Treu und Glauben und der Verkehrssitte, mithin also ein objektiver Maßstab.34 Hildebrandt hat in ähnlicher Weise auf die ergänzende Auslegung der Willenserklärungen der Beteiligten abgestellt.35 Damit komme es nach Siber und Hildebrandt auf diese nun jemand mit der Absicht, die Gastwirtschaft zu den üblichen Bedingungen zu nutzen, so sei in dem Betreten die Annahme des Vertrages zu sehen. 25 Vgl. etwa RG JW 1913, S. 23 ff. Ebenso auch Josef, Gruchot 52, S. 525, 541. 26 Leonhard, Schuldrecht, S. 551, 552. 27 Leonhard, Schuldrecht, S. 551. 28 Planck-Siber, Vor §§ 275 – 292, S. 193 f. Siber differenziert weiter zwischen Erhaltungspflichten, die aus dem Vertrag folgen, und Erkundigungs- und Anzeigepflichten, die er als gesetzliche Pflichten einordnet. 29 Planck-Siber, Vor §§ 275 – 292, S. 193. 30 Planck-Siber, Vor §§ 275 – 292, S. 194. 31 Planck-Siber, Vor §§ 275 – 292, S. 194. 32 Planck-Siber, Vor §§ 275 – 292, S. 194. 33 Planck-Siber, Vor §§ 275 – 292, S. 194. 34 Vgl. Siber, JhJb. 70 (1921), S. 223, 259.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

den inneren Willen der Beteiligten überhaupt nicht an. Es sei angemessen, eine Willenserklärung gerichtet auf den Abschluss eines Erhaltungsvertrages anzunehmen – so Siber – wenn „die Parteien willentlich die Grenze des nur Gesellschaftlichen überschritten haben und bereits in das Gebiet der geschäftlichen Verhandlungen eingetreten sind.“36 In der frühen reichsgerichtlichen Rechtsprechung und den hier dargestellten Konzepten zeigt sich, dass der zwischen den Beteiligten beobachtete Konsens als Rechtgeschäft gedeutet wurde.

2. Der Konsensgedanke in der Deutung als Auskunftsvertrag zwischen den Beteiligten Der Konsens zwischen den Beteiligten hat auch in der Rechtsprechung zu einer weiteren Fallgruppe, die als Anwendungsfall der in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB aufgegangenen culpa in contrahendo diskutiert wird,37 eine Rolle gespielt: Der Haftung für die Erteilung falscher Auskünfte ohne vorherige Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien. Bis heute beruft sich die Rechtsprechung in diesen Fällen der sog. Auskunftshaftung zur Herleitung der Haftung auf konstruierte Auskunftsverträge. Die Rechtsprechung sah sich dem Problem ausgesetzt, dass der Wortlaut des damaligen § 676 BGB der Annahme einer nicht-deliktischen, aber dennoch außervertraglichen Auskunftshaftung entgegenstand. Nach dem damaligen Wortlaut musste also entweder ein Vertrag oder ein deliktischer Tatbestand zur Haftungsbejahung gegeben sein.38 Schon das Reichsgericht hatte sich über die Konstruktion des damaligen § 676 BGB hinweggesetzt und festgestellt, dass eine Bank sich nicht „schlechthin der Haftung für ihre Auskunft entziehen“ könne.39 Unter Berufung auf das Bedürfnis Vgl. Hildebrandt, S. 230 f. Siber, JhJb. 70 (1921), S. 223, 259. Ähnlich auch Hildebrandt, S. 227 f. Erklärungspflichten folgen nach Hildebrandt nur aus einem Verhandlungsverhältnis. Vgl. Hildebrandt, S. 225 f. Dieses ist nach Hildebrandt aber gerade kein vertragliches Schuldverhältnis. Hildebrandt, S. 230 f. 37 Vgl. etwa Werner Lorenz, 1. FS Larenz, S. 575, 618; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 539; siehe in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Jost, S. 254 ff.; Lammel, AcP 179 (1979), S. 337, 345 ff. 38 Der damalige § 676 BGB wurde 1997 mit nur geringfügigen Änderungen in § 675 Abs. 2 BGB übernommen. Dort heißt es: „§ 675 (Entgeltliche Geschäftsbesorgung) [ . . . ] (2) Wer einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, ist, unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergebenden Verantwortlichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstandenen Schadens nicht verpflichtet.“ Der Zusatz „einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung“ wurde erst im Zuge der Umsetzung der Überweisungsrichtlinie in den Wortlaut der Vorschrift übernommen. 35 36

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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nach richtigen Auskünften konstruierte das Reichsgericht auch ohne vorherige Vertragsbeziehungen stillschweigend abgeschlossene Auskunftsverträge.40 Im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts nahm der Bundesgerichtshof eine „stillschweigende Übernahme“ einer vertraglichen Haftung an, wenn die Auskunft für die Entscheidung des Auskunftsempfängers „erkennbar von maßgebender und wesentlicher Bedeutung ist“.41 Die damit gefundene Formel wurde in der Folgezeit weiter ausgebaut. Der Bundesgerichtshof fasste die Formel bis zur Mitte der achtziger Jahre wie folgt zusammen: Ein Auskunftsvertrag komme schon mit der Erteilung einer Auskunft zustande, wenn die Auskunft für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung war und dieser die erhaltenen Informationen zur Grundlage wesentlicher Entscheidungen machen wollte. Davon sei auszugehen, wenn der Auskunftsgeber für die Erteilung der Auskunft sachkundig ist oder wenn ein eigenes wirtschaftliches Interesse bei der Auskunftserteilung eine Rolle spielt.42 In späteren Entscheidungen haben die Richter des Bundesgerichtshofes dann die Bedeutung der Formel relativiert und dargelegt, dass es auf eine Gesamtbetrachtung ankomme.43 Entscheidend für die Beurteilung sei, ob die Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung den Schluss zulassen, dass die Beteiligten nach dem objektiven Gehalt ihrer Erklärungen die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten gemacht haben.44 Dabei seien unter anderem die in früheren Entscheidungen schon zum Tragen gekommenen Merkmale des wirtschaftlichen Interesses des Auskunftsgebers45, sein persönliches Engagement46, seine Hinzuziehung zu Vertragsverhandlungen47 oder anderweitig zwischen Auskunftsgeber und Auskunftsempfänger bestehende Vertragsbeziehungen zu berücksichtigen.48 Teilweise wurde dabei auch ein Vertragsschluss zwischen einer auskunftgebenden Bank und einem dritten Auskunftsempfänger nach den dargelegten Kriterien bestätigt.49 Erforderlich sei dann aber, dass die Bank in dem Bewusstsein gehandelt habe, dass die Auskunft für den Dritten bestimmt gewesen sei.50 Vgl. RGZ 126, S. 50, 52. Vgl. etwa RGZ 101, S. 297, 301. 41 Vgl. BGH NJW 1953, S. 60. 42 Vgl. so mit minimalen Abweichungen BGH WM 1964, S. 117; WM 1969, S. 36; WM 1966, S. 1148, 1149; WM 1971, S. 206, 207; NJW 1979, S. 1449; WM 1985, S. 451, 452; NJW 1986, S. 180, 181. 43 Vgl. BGH NJW 1986, S. 180, 181; im Übrigen auch NJW 1991, S. 32; NJW 1992, S. 2080, 2082. 44 Vgl. BGH NJW 1986, S. 180, 181; im Übrigen auch NJW 1991, S. 32; NJW 1992, S. 2080, 2082; NJW-RR 1992, S. 1011. 45 Vgl. BGH WM 1962, S. 1110, 1111. 46 Vgl. BGH NJW 1953, S. 60. 47 Vgl. BGH NJW 1972, S. 678, 680. 48 Vgl. BGH WM 1969, S. 39. 49 Vgl. so BGH ZIP 1998, S. 1434 ff. 50 Vgl. BGH ZIP 1998, S. 1434, 1435. 39 40

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Auch in der aktuellen Rechtsprechung zu Auskunftsverträgen spiegelt sich das Muster der Haftungs- und Erhaltungsverträge wider: Der zwischen den Beteiligten beobachtete Konsens wird als Vertragsabschluss gedeutet.

3. Der Konsensgedanke in der Rechtsprechung zu den Gefälligkeitsverhältnissen Haftungsvertragliche Züge weist auch die Rechtsprechung auf dem Gebiet der Gefälligkeitsverhältnisse auf. In der Literatur ist die Einordnung umstritten. Teilweise wurde ein Anwendungsfall der culpa in contrahendo angenommen.51 Es besteht jedenfalls Einigkeit, dass die Regeln über die Verletzung von Pflichten zur Rücksichtnahme analog anwendbar sind 52 Überwiegend wird dabei bei insgesamt nicht einheitlicher Terminologie zwischen Gefälligkeitsverträgen wie etwa der Leihe, sog. Gefälligkeiten des täglichen Lebens und den Gefälligkeitsverhältnissen mit rechtsgeschäftlichem Charakter unterschieden.53 Gemeinsam soll allen drei Verhältnissen sein, dass eine Gefälligkeit erbracht wird. Es wird eine unentgeltliche Handlung von einer Partei zu Gunsten einer anderen Partei vorgenommen, die keinen Anspruch auf Vornahme der Handlung hat.54 Zwischen diesen drei Gefälligkeitsverhältnissen grenzt die Rechtsprechung auf Grundlage des Rechtsbindungswillens ab.55 Sofern ein Gefälligkeitsvertrag vorliegt, müssen zwei Willenserklärungen vorliegen. Das wäre also in einem ersten Schritt der Abgrenzung zu prüfen. Auch für den zweiten Schritt der Abgrenzung – die Frage, ob ein Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter oder (lediglich) eine Gefälligkeit des täglichen Lebens vorliegt – soll erneut der Rechtsbindungswille maßgeblich sein.56 Die Rechtsbindung geht dabei dahin, dass wei51 So etwa die Lehren von Dölle und Thiele (vgl. dazu noch später unter C. V.); Schwerdtner, NJW 1971, S. 1674, 1675; Pallmann, insbesondere S. 97, 151 f.; Martel, S. 34 ff.; ähnlich Gerhardt, JZ 1970, S. 535, 538; Seetzen, VersR 1970, S. 1, 10 f.; Hoffmann, AcP 167 (1967), S. 394, 400; von Dewitz, S. 42 ff. (gesetzliches Schuldverhältnis); teilweise auch Michaelis, S. 25 (Zwischenstufe zwischen Gefälligkeit und Vertrag); Eylert, S. 63 und Etzbach, S. 79 f. (Vertrauenshaftung ähnlich der culpa in contrahendo); dagegen aber Maier, JuS 2001, S. 746, 749. Flume befürwortet generell eine Einordnung als gesetzliche Haftung. Vgl. Flume, AT, S. 84 ff. und 90 ff. 52 Vgl. etwa Palandt-Heinrichs, 65. Auflage, Einl v § 241, Rdnr. 8; Brox / Walker, AT, § 2, Rdnr. 30; Jauernig-Mansel, § 241, Rdnr. 25. 53 Vgl. etwa Jauernig-Mansel, § 241, Rdnr. 23 ff.; MünchKomm-Kramer, Einl. zu §§ 241 – 432, Rdnr. 30 ff.; Hk-BGB-Schulze, Vor §§ 241 – 853, Rdnr. 23; Pallmann, S. 14 f.; ähnlich Reuss, AcP 154 (1955), S. 485, 494 f.; vgl. auch die Übersicht zu der schon um 1940 uneinheitlichen Terminologie, Heyl, S. 5 f. 54 Vgl. dazu auch Pallmann, S. 5 ff. 55 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 106.

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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terhin keine Leistungsverpflichtung begründet werden soll.57 Begründet werden soll aber eine Haftung für die Verletzung von Pflichten zur Rücksichtnahme (Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter).58 Gefälligkeiten des täglichen Lebens seien dagegen rechtlich folgenlos.59 Die Rechtsprechung nimmt zur Beurteilung des Vorliegens oder Nichtvorliegens des Rechtsbindungswillens Rekurs auf objektive Bewertungskriterien. Entscheidend sei nicht der in Erscheinung getretene innere Wille des Leistenden. Vielmehr sei relevant, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste.60 Zu berücksichtigen seien dabei insbesondere die Art der Gefälligkeit, ihr Grund und Zweck sowie ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, insbesondere für den Empfänger.61 Gefälligkeiten im gesellschaftlichen Verkehr haben nach Auffassung des BGH in der Regel keinen rechtsgeschäftlichen Charakter.62 Die Anwendung dieser Kriterien ist in weiten Teilen uneinheitlich.63 Während der BGH dazu neigt,64 in der Regel die Annahme von Pflichten zur Rücksichtnahme infolge eines Gefälligkeitsverhältnisses zu verneinen, zeigt sich eine Tendenz der Untergerichte, Pflichten und damit eine Haftung eher zu bejahen.65 Ins56 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 106; OLG Celle, NJW 1965, S. 2348, 2349; OLG Nürnberg, OLGZ 1967, S. 139, 141. 57 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 106. 58 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 106. 59 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 106. 60 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 106 f.; 88, S. 373, 382; 92, S. 164, 168. 61 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 107; 88, S. 373, 382. 62 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 107; siehe auch BGHZ 97, S. 372 ff. zu Persönlichkeitsbereichen, die in aller Regel vertraglichen und vertragsähnlichen Regelungen entzogen sind. 63 Vgl. auch die Übersichten über die Diskussion etwa bei Pallmann, Willoweit oder Kallmeyer. 64 Vgl. BGH, NJW 1968, S. 1874, 1875 für die Beaufsichtigung von Kindern bei wechselseitigen Besuchen; BGH NJW 1980, S. 587 f. für die Mitnahme in einem Privatflugzeug; aber auch OLG München, NJW-RR 1993, S. 215 f. für das Überlassen einer Berghütte. Die Mitnahme eines anderen Fahrgastes in einem Pkw wird schon seit Zeiten des RG als bloße Gefälligkeit eingeordnet, ohne dass Pflichten zur Rücksichtnahme angenommen werden. Vgl. etwa RGZ 65, S. 17, 18. So auch LG Koblenz, VersR 1982, S. 143 f. (dann aber die deliktische Haftung bejahend). Dazu insgesamt auch Mersson, DAR 1993, S. 87 ff. mit weiteren Entscheidungen auf dem Gebiet der Gefälligkeitsfahrt. Siehe im Übrigen auch die umfassende Untersuchung von Fischer. Fischer gibt unter S. 7 ff. einen detaillierten Überblick über die Rechtsprechung des RG auf dem Gebiet der Gefälligkeitsfahrt. Er weist darauf hin, dass zu Reichsgerichtszeiten vereinzelte Oberlandesgerichte bei der Gefälligkeitsfahrt noch einen Beförderungsvertrag angenommen haben. Vgl. Fischer, S. 8, insbesondere Fn. 10. Siehe aber dagegen BGH, NJW 1977, S. 2120. Hier stellt der BGH fest, dass die Gratisbehandlung unter Arztkollegen auf vertraglicher Grundlage erfolgt. 65 Vgl. OLG Celle NJW-RR 1987, S. 138 in einem Fall der Beaufsichtigung von Kindern; OLG München, NJW-RR 1991, S. 420 f. für die Mitnahme in einem Fesselballon; OLG

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

gesamt ist die Rechtsprechung aber zurückhaltend, Pflichten zur Rücksichtnahme zwischen den Beteiligten anzunehmen.66 Sofern die Haftung durch die Gerichte bejaht worden ist, zeigt sich, dass meist 67 ein Gefälligkeitsvertrag angenommen wird, ohne auf das Vehikel des Gefälligkeitsverhältnisses mit rechtsgeschäftlichem Charakter abzustellen.68 Die Rechtsprechung ist also bei der dogmatischen Einordnung der Haftung innerhalb eines Gefälligkeitsverhältnisses mit rechtsgeschäftlichem Charakter vage geblieben. So wird einerseits davon gesprochen, dass es sich um die Haftung innerhalb eines vertragsähnlichen Vertrauensverhältnisses handle, andererseits eine „vertragliche Haftung“ angenommen.69 Dieses Hin und Her der Rechtsprechung zwischen Vertragsähnlichkeit, Vertrauensverhältnis und Vertrag ist in der Literatur mehrfach kritisiert worden.70 DageKöln, VersR 2004, S. 189, 190 für eine Fahrgemeinschaft. Ähnlich Mädrich, NJW 1982, S. 859 ff. Siehe in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des BGH in BGH, NJW 1992, S. 498 ff. 66 Verneinend daher auch OLG Frankfurt, NJW 1965, S. 1334 f. zum Winken zwischen zwei Teilnehmern im Straßenverkehr; RGZ 128, S. 39, 42 für die Durchführung einer gemeinsamen Treibjagd; BGH, NJW 1971, S. 1404 f. für die Ausübung politischer Widerstandstätigkeit; BGH, NJW 1974, S. 1705 f. für das Ausfüllen eines Lottoscheins in der Tippgemeinschaft; OLG Köln, OLGZ 1972, S. 213 ff. im Falle der Gewährung des Abstellens eines Pkws; OLG Karlsruhe, NJW 1961, S. 1866, 1867 für die unentgeltliche Überlassung einer Gaststätte; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, S. 595 f. und LG Hamburg, VersR 1989, S. 468 für die Beaufsichtigung des nachbarlichen Hauses. Streitig ist dagegen der Fall einer Spielsperre in der Spielbank, vgl. dazu vor allem BGHZ 131, S. 136 ff.; LG Leipzig, NJW-RR 2002, S. 1343. Vgl. dagegen aber OLG Hamm, NJW-RR 2003, S. 971 ff. (vertragliche Bindung) und KG, NJW-RR 2003, S. 1359 ff. Zu dem Themenkomplex insgesamt auch Peters, JR 2002, S. 177 ff.; Schulze, FS Jayme, S. 1561 ff. 67 Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1998, S. 1232 f. für die kostenlose Überführung eines Autos in die Werkstatt; OLG Koblenz, NJW-RR 1991, S. 25 f. für die Ausbildung eines Hundes; OLG Hamm, NJW-RR 2001, S. 455 f. für unentgeltlich übernommene Dachdeckungsarbeiten; AG Kaufbeuren, NJW-RR 2002, S. 382 f. für die Gewährung von Starthilfe für ein Auto; OLG München, MDR 1999, S. 744 und OLG Nürnberg, OLGZ 1967, S. 139 f. für die als Freundschaftsdienst gewährte Anlagevermittlung; ähnlich auch BGH, NJW 1995, S. 3389 zu einem Ausstellungsvertrag. Siehe auch OLG Celle, BauR 2002, S. 1427 ff., der die Überwachung eines Bauobjekts jedenfalls als vertragsähnlich eingestuft hat. 68 Vgl. aber OLG Celle, NJW 1965, S. 2348, 2349 für den Transport von Kleidung von Ost-Berlin nach West-Berlin in der Zeit des Mauerbaus; RG, LZ 1923, Sp. 275; für die Verwahrung eines Reisekorbs; BGHZ 21, S. 102 ff. für die Überlassung eines Fahrers unter Spediteuren. 69 Vgl. etwa BGHZ 21, S. 102, 107 (vertragsähnliche Vertrauensbeziehung), dagegen aber OLG Frankfurt NJW 1998, S. 1232; OLG Koblenz, NJW-RR 1991, S. 25 f.; OLG Hamm, NJW-RR 2001, S. 455 f. und AG Kaufbeuren, NJW-RR 2002, S. 382 (Gefälligkeitsvertrag). 70 Vgl. vor allem Flume, AT, S. 91 f. Vgl. auch die prägnante Feststellung von Kallmeyer, S. 1, dass in der Entscheidung BGHZ 21, S. 102 ff., die festgefügten Begriffe des Schuldrechts verschwimmen. Gehrlein hat dagegen lediglich kritisiert, dass die Rechtsprechung zumeist nur auf das Verständnis des Leistungsempfängers abstellt, anstatt beide Parteien hinreichend zu berücksichtigen. Vgl. Gehrlein, VersR 2000, S. 415, 416.

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gen haben andere Autoren eine Einordnung in den rechtsgeschäftlich-schuldrechtlichen Zusammenhang grundsätzlich begrüßt.71 Der kurze Blick auf die Rechtsprechung zu den Gefälligkeitsverhältnissen zeigt, dass auch hier ein Konsens der Beteiligten gesehen wird, der oft als Vertragsschluss gedeutet wird. Letztlich handelt es sich in weiten Teilen um die gleiche Argumentation wie bei der Rechtsprechung zu den Fällen der Auskunftshaftung oder den sog. Haftungsverträgen.

4. Resümee: Die Fehldeutung einer Übereinstimmung zwischen den Parteien als rechtsgeschäftliche Einigung Den soeben unter 1.-3. in diesem Kapitel dargestellten Rechtsansichten ist gemeinsam, dass die jeweilig hinter ihnen stehenden Autoren aus Rechtswissenschaft und Rechtsprechung ein rechtspolitisches Bedürfnis erkannt haben, dem zu Schaden Gekommenen einen Anspruch auf Schadensersatz zuzusprechen. Hinter diesem juristischen Gefühl, dass „der Schädiger haften muss, weil alles andere nicht billig und gerecht sein kann“, unterbleibt dann leider die sorgfältige Analyse der lebensweltlichen Situation und ihrer durch die Rechtssätze von Rechtswissenschaft, Rechtsprechung und Gesetzgeber vorgegebene Bewertung.72 Die Erfüllung des erkannten Bedürfnisses führt dann zu der Fehldeutung eines erkannten, tatsächlichen Konsenses zwischen den Parteien als Vertragsschluss. a) Ungerechtfertigte Bewertung des Verhaltens der Beteiligten als Willenserklärung Die Annahme eines Vertragsschlusses ist dennoch nicht pauschal abzulehnen. Die Beteiligten können im Rahmen ihrer vom Gesetzgeber gewährten Gestaltungsmöglichkeiten natürlich einen Vertrag, der lediglich zur Rücksichtnahme verpflichtet, abschließen.73 Im konkreten Fall müssen die Beteiligten die notwendigen Willenserklärungen aber auch abgegeben haben. Mit der Annahme eines Vertragsschlusses wird die Einordnung eines lebensweltlichen Sachverhalts als Willenserklärung durch eine juristische Wertung vorgenommen.74 71 Vgl. etwa Willoweit, JuS 1986, S. 96, 106; ders., JuS 1984, S. 909, 915; ders., S. 92 ff.; Fikentscher, Rdnr. 25; Kallmeyer, S. 84 ff. will eine Art positive Vertragsverletzung bei einem als Rechtsgrundabrede verstandenen Vertrag konstruieren. 72 Zutreffend ist die Einschätzung Heinrich Stolls, dass es sich um eine Notkonstruktion handelt. Heinrich Stoll, LZ 1923, Sp. 532, 539 und 542. 73 Die vertragliche Vereinbarung der Geltung von konkreten Pflichten zur Rücksichtnahme ist allerdings die Ausnahme – Regelfall ist die gesetzliche Anordnung der Geltung von Pflichten zur Rücksichtnahme innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses.

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Jan Schapp hat dies pointiert formuliert: „Ein Lebenssachverhalt ist nicht eine Willenserklärung, sondern wird vom Juristen [ . . . ] als Willenserklärung gewertet.“ Entscheidend ist, dass der lebensweltliche Zusammenhang die Bewertung als Willenserklärung im Rechtssinne auch rechtfertigt.75 Damit ein Lebenssachverhalt als Willenserklärung gedeutet werden kann, ist zu untersuchen, ob die Handelnden überhaupt mit Handlungswillen und dem Bewusstsein, eine rechtgeschäftliche Erklärung abzugeben, gehandelt haben.76 Weiterhin ist maßgeblich, ob die Beteiligten mit dem konkreten Geschäftswillen zum Abschluss eines Vertrages, der Pflichten zur Rücksichtnahme umfasst, gehandelt haben. Diese Bestandteile der Willenserklärung können von den Beteiligten auch durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden. Die oben angeführten Autoren wie auch die reichsgerichtliche und die heutige höchstrichterliche Rechtsprechung nehmen eine im Wesentlichen pauschale Wertung von einzelnen Tatsachen vor und deuten diese als Vertragsschluss. Schon diese Bewertung ist zu kritisieren. Sogar wenn diese Tatsachen im Einzelfall als konkludente Willenserklärung gedeutet werden könnten, können sich aus den Umständen der einzelnen Fälle stets gegenteilige Anhaltspunkte ergeben, so dass eine pauschale Deutung bereits aus diesem Grund fehl geht. Das zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit auch bei der Rechtsprechung auf dem Gebiet der Gefälligkeitsverhältnisse, die von Flume daher auch zu Recht als Fiktion des Willens der Beteiligten kritisiert worden ist.77 An Offenheit nicht zu übertreffen ist wohl die Aussage des BGH, dass es auf den nach außen in Erscheinung getretenen Willen der Beteiligten letztlich nicht ankomme.78 Die ähnliche Argumentation Sibers, nach der allein auf die Angemessenheit des Ergebnisses abzustellen ist, führt im Übrigen zu einer Umgestaltung des bekannten Begriffs der Willenserklärung. Siber scheint auch eher gesetzliche Pflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB im Blick zu haben, wenn er die Irrelevanz des wirklichen Willens der Handelnden unterstreicht, um ein billiges Ergebnis allein im Wege der „Auslegung“ einer Willenserklärung herbeizuführen. Auch Siber müsste eigentlich anerkennen, dass jedenfalls bei einem entgegenstehenden Willen, die Angemessenheit des Ergebnisses nicht maßgeblich sein kann. Ein solcher liegt hier bei lebensnaher Betrachtung vor. Im Übrigen wäre wohl eine unterstellte Willenserklärung im Sinne Sibers bei entgegenstehendem inneren Willen (mindestens) als anfechtbar zu betrachten. 74 Vgl. zum Verhältnis von lebensweltlichen Willem und Willenserklärung in diesem Sinne insbesondere Jan Schapp, Grundfragen, S. 8 ff. und Schapp / Schur, Rdnr. 333 ff. 75 Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 333. 76 Vgl. Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 351 ff. 77 Vgl. Flume, AT, S. 84 ff. 78 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 106 f.; 88, S. 373, 382; 92, S. 164, 168.

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Sibers Argumentation wird auch nicht durch einen Rückgriff auf die Grundsätze der Erklärungstheorie dahingehend gestützt, das Verhalten stelle sich einem objektiven Dritten nach Treu und Glauben als Antrag und Annahme dar. Der Sachverhalt in den hier besprochenen Fallgruppen rechtfertigt auch für einen objektiven Dritten unter Berücksichtigung von Treu und Glauben keinesfalls einen Vertragsschluss. Von einem objektiv erkennbaren Willen, Pflichten zu begründen, kann nicht die Rede sein. b) Keine rechtsgeschäftliche Einigung in den diskutierten Fallgruppen Zwar bereitet es keine Schwierigkeiten, die Eröffnung eines Restaurants oder die Vorlage von Ware bzw. die korrespondierenden Handlungen des Eintretens in das Restaurant und die Begutachtung der Ware dahingehend zu bewerten, dass die Beteiligten mit Handlungswillen gehandelt haben. Die Annahme, dass die Beteiligten sich bewusst waren, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, ist jedoch äußerst fragwürdig. Die Vorstellung, dass ein Kaufinteressent oder auch ein Gastwirt in dem Bewusstsein handeln, sich bereits zu verpflichten, ist fern liegend. Die Akteure sind sich bewusst, im Vorfeld eines eventuellen Vertrages zu handeln. Es liegt also gerade das Bewusstsein vor, keine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben. Das gilt natürlich ebenfalls, wenn nicht in besonderem Maße, für die Gefälligkeitsverhältnisse mit rechtsgeschäftlichem Charakter. Um zu der Annahme zu kommen, dass die Beteiligten in dem Bewusstsein handeln, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, braucht es eine gehörige Portion juristischen Vorstellungsvermögens. Würde man das Bewusstsein, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, noch bejahen, so verbietet sich jedenfalls, das Verhalten der Beteiligten im Sinne eines Vertragsschlusses zu deuten. Der Gastwirt, der sein Restaurant öffnet, will sich gerade noch die Option offen halten, etwaige Störer oder vielleicht sogar Wartende, die sich nur zum Aufwärmen in dem Restaurant aufhalten wollen, des Hauses zu verweisen. Die Feststellung von Goldscheider und Josef, dass der Vertragsschluss seitens des Gastwirtes schon mit dem Eintreten von Gästen, die die Gastwirtschaft zu den üblichen Bedingungen nutzen wollen, zustande kommt, erkennt das Problem. Durch das Eintreten allein kann der Gastwirt die Absichten des Eintretenden zu Beginn noch gar nicht beurteilen. Darüber hinaus kann das Öffnen einer Tür ohne weitere Tatsachen nicht gegenüber einer Gruppe von Personen als Willenserklärung und gegenüber einer anderen Gruppe von Personen nicht als Willenserklärung bewertet werden. Entsprechend ist ein Wille des Verkäufers zum Abschluss eines Erhaltungsvertrags durch die reine Übersendung oder Vorführung der Ware nicht anzunehmen. In all diesen Fällen darf nicht verwechselt werden, dass die Beteiligten, wie etwa der Gastwirt, der Ladeninhaber, aber auch der Kaufinteressent möglicherweise durchaus in dem Bewusstsein handeln, dass im Verhältnis zu ihrem jeweiligen Gegen-

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über gewisse Pflichten zur Rücksichtnahme bestehen. Ein Wille der Beteiligten, gerichtet auf Geltung dieser Pflichten, besteht dagegen nicht. Einen auf diese Pflichten gerichteten Willen anzunehmen, wäre daher eine reine Fiktion.79 Der Ladeninhaber will, dass Interessenten den Laden betreten, und er will mit einem Teil dieser Interessenten möglicherweise einen Kaufvertrag abschließen. Jegliche korrespondierenden Pflichten zur Rücksichtnahme hingegen sind nicht vom Willen des Ladeninhabers umfasst. Er nimmt sie allenfalls in Kauf. Keine andere Situation ergibt sich für die Verkäufer, Banken, Kaufinteressenten, Sachverständige als Auskunftsgeber und die Adressaten der Auskunft. Ein rechtsgeschäftlicher Wille gerichtet auf den Abschluss eines Vertrages mit Leistungspflichten und Pflichten zur Rücksichtnahme ist nicht feststellbar. Etwaige Pflichten sind gerade nicht vom Willen der Beteiligten umfasst und werden allenfalls in Kauf genommen. Im Fall der Bankauskunft wird die Auskunft z. B. nur erteilt um dem Bankkunden und Kontoinhaber eine Gefälligkeit im Innenverhältnis zukommen zu lassen bzw. eine im Innenverhältnis bestehende Pflicht zu erfüllen. Eine Pflicht gegenüber dem Auskunftsempfänger soll dagegen bei lebensnaher Würdigung der Situationen gerade nicht begründet werden. All das gilt in evidenter Weise für die Gefälligkeitsverhältnisse: Einen rechtsgeschäftlichen Willen der Beteiligten, wenn auch nur gerichtet auf die Hervorbringung von Pflichten zur Rücksichtnahme, anzunehmen, sollte in die Kategorie unerwünschter juristischer Konstruktionen verbannt werden. Das Eingeständnis des BGH ist immer wieder wie eine Offenbarung zu lesen: Nach Vorstellung der obersten Bundesrichter soll es für die Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses mit rechtsgeschäftlichem Charakter oder eines Gefälligkeitsvertrages nicht darauf ankommen, ob ein entsprechender Parteiwille nach außen in Erscheinung getreten ist. Nein, allein ausschlaggebend soll das Vorliegen oder Nichtvorliegen objektiver (Billigkeits-)Kriterien sein. Dieses Verhältnis dann als Verhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter oder gar Vertrag zu bezeichnen, ist nicht nur widersinnig, sondern in der Regel auch im Widerspruch zu den Vorstellungen der Parteien. Auf Grund dieses deutlichen Widerspruchs zu den erkennbaren Vorstellungen der Beteiligten verbietet sich im Regelfall die Annahme eines Vertragsschlusses auch unter Rückgriff auf Grundsätze der Erklärungstheorie.

79 Vgl. dazu auch schon Heinrich Stoll, JW 1933, S. 34, 36; Fischer, S. 62 ff.; Diers, S. 20 f.; Ballerstedt, AcP 151 (1951), S. 501, 505 weist darüber hinaus darauf hin, dass es sich bei der Annahme einer stillschweigenden Einigung nicht nur um eine Fiktion handelt, sondern auch missachtet wird, dass die Parteien eben nur verhandeln wollen, also gerade eine rechtsgeschäftliche Bindung in keiner Weise gewollt ist. Deutlich auch Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 70: „Vor allem sind diese Bemühungen dem Vorwurf ausgesetzt, daß sie dem Verhalten der Parteien einen Sinn beilegen, der mit der realen Intention der Beteiligten schlechthin nicht in Einklang zu bringen ist. [ . . . ] ist zu sagen, daß weder der Geschäftsinhaber noch der Kauflustige auch nur im mindesten daran denken und sich auch nicht dahin äußern, Erhaltungspflichten übernehmen und Erhaltungsansprüche erwerben zu wollen.“

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c) Dogmatische Erwägungen gegen die Deutung als Vertragsschluss In dogmatischer Hinsicht bleibt bei der Annahme eines Vertrages, der allein zur Rücksichtnahme verpflichtet, unklar, ob diese Pflicht als Pflicht zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB oder als Leistungspflicht gestaltet sein soll. Letzteres wäre eher ungewöhnlich, aber im Rahmen der freien Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch die Parteien in jedem Fall möglich. Handelt es sich hingegen um einen Vertrag, der lediglich Pflichten zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB umfasst, so läge ein Vertrag ohne Leistungspflichten vor, eine untypische Erscheinungsform für einen Vertrag. Auch das spricht gegen die Annahme von Haftungs- oder Erhaltungsverträgen. Bei konsequenter Weiterführung des Gedankens eines Erhaltungsvertrages sind ferner auch andere absurde Konsequenzen denkbar. So könnte etwa der vertragschließende Ladeninhaber oder Kunde den Erhaltungsvertrag anfechten und auf diesem Wege der Haftung entgehen.80

d) Fehldeutung des Konsenses als rechtsgeschäftlicher Einigung Es bleibt festzuhalten, dass das eingangs dieses Abschnitts bei den besprochenen Autoren und Gerichten festgestellte Bedürfnis, eine Haftung der Beteiligten in den besprochenen Fallgruppen zu legitimieren, dazu geführt hat, dass Verträge allein zum Zwecke der Haftung konstruiert werden, ohne dass der Lebenssachverhalt die Wertung als Willenserklärung trägt.81 Bedauerlichweise haben die besprochenen Autoren ebenso wie die Rechtsprechung die Flucht in die Fiktion gesucht.82 Insgesamt hätten die Autoren und Gerichte gut daran getan, die Erkenntnis Leonhards zu berücksichtigen, nach der ein Erhaltungsvertrag nur dann angenommen werden kann, wenn auch eine „greifbare Abrede“ vorliegt.83 Das ist nur der Fall, wenn die entsprechende Bewertung des Verhaltens der Beteiligten, als Willenserklärungen gerichtet auf einen Erhaltungsvertrag, durch den Lebenssachverhalt gestützt wird. Den Beteiligten wird ein Wille unterstellt, weil die Gerichte und Autoren in der Rechtswissenschaft ein Bedürfnis nach einer Haftung des Schädigers erkannt haben. Liegt schon in der Bewertung des Verhaltens der Parteien als Willenserklärung eine Fiktion, so ist die Annahme, die Beteiligten hätten in dem Bewusstsein gehandelt, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, aus der Luft gegriffen.84 Damit fehlt aber der Tatbestand der Willenserklärung.85 Schon an diesem fehlenDarauf weist zu Recht auch Haupt, FS Siber, S. 5, 11, hin. Ein ähnlicher Einwand findet sich auch bei Erman, AcP 139 (1934), S. 272, 323. 82 So auch Raiser, AcP 127 (1927), S. 1, 21; Fürst, LZ 1910, Sp. 177, 179. 83 Leonhard, Schuldrecht, S. 551. 84 Vgl. dazu auch Nirk, 1. FS Möhring (1965), S. 385, 394; Dömpke, S. 7 ff. 85 Das Erklärungsbewusstsein ist nach zutreffender Auffassung erforderlich, um ein Verhalten als Willenserklärung bewerten zu können. Vgl. Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 353 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427 ff., 548 ff.; Hübner, Rdnr. 677. Aber auch soweit man 80 81

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

den Erklärungsbewusstsein ist ersichtlich, dass es sich bei den Erklärungsansätzen um unglückliche Konstruktionen handelt. Damit sind die rechtsgeschäftlichen Erklärungsansätze aus Rechtswissenschaft und Rechtsprechung letztlich in Ermangelung eines entsprechenden Willens und Bewusstseins der Parteien insgesamt abzulehnen. e) Gründe für die Fehldeutung als rechtsgeschäftliche Einigung Wirft man einen Blick auf die hier dargestellten Fallgruppen, so fällt eines auf: Mit Ausnahme der Rechtsprechung zu den Auskunftsverträgen handelt es sich um Theorien und Urteile, die Anfang des 20. Jahrhunderts vertreten bzw. erlassen wurden. Die Rechtsprechung zur Auskunftshaftung und Gefälligkeitsverhältnissen, die auch heute noch aktuell ist, sticht dagegen als seltsamer Anachronismus hervor. Wie sich im Laufe dieser Untersuchung in den folgenden Kapiteln noch zeigen wird, ist der Grund für andere Theorien und Linien in der Rechtsprechung in späterer Zeit weggefallen. Dogmatische Leitlinien, die einen Abschied von den Fiktionen der Vertragslehren ermöglichten, sind gefunden worden. Nicht so auf dem Gebiet der Auskunftshaftung: Durch die Regelung des ehemaligen § 676 BGB war die Rechtsprechung wenigstens auf dem Papier bis 1997 gehindert, eine vertragslose Haftung nach den Grundsätzen der Fallgruppe der culpa in contrahendo zuzulassen. Wohl nur aus diesem Grund wurde der Weg in die Vertragsfiktionen weiter verfolgt. Nachdem einmal die dogmatische Linie gefunden ist, fehlt jetzt der entscheidende Anreiz, den Wechsel zu der in der Fallgruppe der culpa in contrahendo entwickelten Linie zu vollziehen. Den bisher verfolgten dogmatischen Konzepten in der Fallgruppe der culpa in contrahendo fehlt bisher möglicherweise auch ein brauchbarer Ansatz zur Erfassung der Fälle der Auskunftshaftung, jedenfalls im Hinblick auf Fälle der Drittweitergabe der Informationen. Im Falle der Gefälligkeitsverhältnisse ist eine Ursache für die auch noch bestehende Rechtsprechung nicht so deutlich sichtbar. Sie könnte auch in der auf diesem Gebiet ins Stocken geratenen Entwicklung der Dogmatik liegen. f) Konsens zwischen den Beteiligten als nicht-rechtsgeschäftlicher Konsens Die dargelegte Kritik und die aus ihnen folgende Ablehnung der Annahme eines Vertragsschlusses heißt dann aber nicht zugleich auch, dass den Ansätzen nicht eine zutreffende Beobachtung zu entnehmen ist. annimmt, das Erklärungsbewusstsein sei – zumindest soweit erkennbar gewesen ist, dass das Verhalten als Willenserklärung gedeutet werden könnte – kein zwingender Bestandteil einer Willenserklärung ist (vgl. insoweit Medicus, AT, Rdnr. 607, MünchKomm-Kramer, § 119, Rdnr. 100; Flume, AT, S. 449 f.), ergibt sich kein anderes Ergebnis der Betrachtung. Die derart konstruierte Erklärung ist dann regelmäßig nach § 119 Abs. 1 BGB in zumindest analoger Anwendung anfechtbar. Vgl. dazu nur Palandt-Heinrichs, § 119 Rdnr. 22; Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 354.

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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Die Gerichte und Autoren, die in den jeweiligen Situationen einen Vertragsschluss annehmen, haben erkannt, dass die Beteiligten in den lebensweltlichen Situationen aufeinander zugegangen sind und ein Konsens, ein abgestimmtes Handeln in gewisser Weise vorliegt. Die Deutung dieses aus den Beobachtungen noch nicht näher bestimmbaren Konsenses als rechtgeschäftliche Einigung geht allerdings fehl. Das Verhalten der Beteiligten kann nicht als Willen gerichtet auf die Geltung von Pflichten zur Rücksichtnahme oder die Herbeiführung einer rechtsgeschäftlichen Einigung gedeutet werden. Der Konsens zwischen den Beteiligten ist aber ein Aspekt, der in der weiteren Untersuchung im 2. Teil der Arbeit näher zu analysieren ist.

II. Mittelbare Anknüpfung an den Konsens der Parteien in der Zielvertragslehre Leonhards Im Rahmen der Lehren, die ein Rechtsgeschäft als Anknüpfungspunkt für vorvertraglichen Pflichten zur Rücksichtnahme angenommen haben, hat Leonhards Lehre des Verschuldens beim Vertragsschluss seinerzeit großen Zuspruch in Rechtswissenschaft und Praxis erhalten.86 Auch Leonhard knüpft die Geltung der Pflichten an einen Konsens der Parteien an, indem er die Pflichten von einem späteren Vertragsschluss abhängig macht. Nach einer kurzen Darstellung der Kernaussagen der Lehre (1.), erfolgt im Anschluss eine kurze Würdigung (2.).

1. Leonhards Lehre des Verschuldens beim Vertragsschluss: Pflichten als Folge der Vorwirkung des späteren vertraglichen Konsenses Leonhard, der bereits in seiner Dissertation 1896 eine Haftung für die Verletzung von vorvertraglichen Pflichten im römischen Recht bejaht hatte, kann in der Nachfolge Jherings als Begründer der Lehre vom Verschulden beim Vertragsschluss87 gesehen werden. Leonhard leitet die Existenz von Pflichten vor Vertragsschluss aus einer Analogie zu gesetzlichen Vorschriften wie etwa § 694 BGB, § 17 VVG oder der Arglisthaftung im Besonderen Schuldrecht ab.88 Für die Haftung spreche auch, dass schon im bisherigen (römischen) Recht Pflichten vor Vertragsschluss bestanden hätten, die im Falle ihrer Verletzung zu Schadensersatz verpflichten.89 EntscheiKritisch allerdings z. B. Geppert, Gruchot 69, S. 529 ff. In der Literatur dieser Zeit wurde oft zwischen Jherings Lehre von der culpa in contrahendo und Leonhards Lehre des Verschuldens beim Vertragsschluss unterschieden. Vgl. etwa Steinberg, S. 8 und Voswinkel, S. 1 sowie Leonhard selbst, Verschulden, S. 58. 88 Leonhard, Schuldrecht, S. 544 f. Die Beweisführung im Wege der Analogie wird von Regelsberger, Jh.Jb. 58 (1911), S. 146, 172, in Frage gestellt. 86 87

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dend sei aber letztlich, dass ein immenses praktisches Bedürfnis nach der Existenz von Pflichten bereits vor Vertragsschluss bestehe.90 Als „Haftungsgrund“ sieht Leonhard einen Vertrag an. Das folge schon aus der richtigen Qualifizierung der Haftung als vertragliche, wie dies schon seit dem römischen Recht praktiziert werde.91 Ein eigenständiges Rechtsverhältnis, gestützt etwa auf Vertrauen, Treu und Glauben oder auch § 276 BGB, lehnt er hingegen ab.92 Die Pflichten, die aus dem Vertrag folgen, bestehen nach den Ausführungen Leonhards schon im „Stadium des Abschlusses“.93 Dass bereits vor Vertragsschluss Pflichten entstehen können, folge aus der Annahme, dass der Vertragsschluss als ein „einheitliches Ganzes“ zu betrachten sei. Die früheren Handlungen seien aber noch von dem späteren Vertragsschluss abhängig.94 Konsequent nimmt er an, dass ein wirksamer Vertragsschluss Voraussetzung auch für die Entstehung von Pflichten im Rahmen der Vertragsverhandlungen sei.95 Die Fälle der Lehre Jherings unterscheiden sich demnach von denen der Lehre Leonhards. Leonhard nimmt an, dass die Fälle der Lehre Jherings, in denen trotz eines unwirksamen Vertrages eine Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz bestehen kann, mit der Kodifizierung des BGB abschließend geregelt sind.96 Vehement betont er, dass Jherings Lehre der culpa in contrahendo und seine Lehre des Verschuldens beim Vertragsschluss strikt zu trennen sind.97

2. Resümee: Vorwirkung des Vertrages kann Pflichten nicht begründen Die Annahme Leonhards, dass Vertragsschluss und Vertrag ein einheitliches Ganzes bilden und keine voneinander zu trennenden einzelnen Handlungen vorliegen, ist in dieser Form unscharf. Der Vertragsschluss ist stets ein Glied in einer Kette von lebensweltlichen Handlungen, die mit dem ersten Kontakt der Parteien 89 Leonhard, Schuldrecht, S. 546 und Verschulden, S. 4. Dies sei allerdings für das römische Recht verkannt worden. Allein darin sei der Grund zu sehen, dass die Verfasser des BGB eine ablehnende Haltung eingenommen hätten. 90 Leonhard, Schuldrecht, S. 547 f.; ihm folgend Oertmann, LZ 1914, Sp. 514 ff. Aus rechtspolitischen Gründen befürwortet auch Krückmann – trotz einiger Kritik – Leonhards Lösung. Vgl. Krückmann, Jh.Jb. 59 (1911), S. 233, 327. 91 Leonhard, Schuldrecht, S. 552. 92 Leonhard, Schuldrecht, S. 553 f. 93 Leonhard, Schuldrecht, S. 552; ebenso Richter, JW 1921, S. 664. 94 Leonhard, Schuldrecht, S. 553. 95 Leonhard, Schuldrecht, S. 555. Siehe. dazu auch Titze, JW 1931, S. 512, 513. 96 Leonhard, Schuldrecht, S. 555 f. 97 Leonhard, Schuldrecht, S. 554. Entsprechend wurden die beiden Lehren auch für eine geraume Dauer als etwas grundsätzlich Verschiedenes behandelt. Vgl. etwa Cabjolsky, S. 16. Später wurden dann beide Fälle i.d.R. wieder zusammengefasst und unter der Bezeichnung culpa in contrahendo oder Verschulden beim Vertragsschluss behandelt. Vgl. etwa schon Levy, JW 1922, S. 1313.

B. Der Konsensgedanke als eine Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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begonnen hat, eine wesentliche Zäsur mit dem Vertragsschluss enthält und schließlich mit dem Ende des im Zusammenhang mit dem Vertrag stehenden Kontaktes endet. Insofern ist Leonhard zuzustimmen, dass die Willenserklärungen, d. h. die Handlungen der Beteiligten, die am Ende eines Wertungsvorgangs als Vertragsschluss gewertet werden, keine zusammenhanglosen Handlungen sind. Das Schuldverhältnis i.w.S. gerade im Falle des Vertrages ist vielmehr nur als Prozess verständlich.98 Es macht keinen Sinn, ein Geschehen als Lebenssachverhalt in der rechtlichen Bewertung von diesem Lebenssachverhalt zu trennen, indem der Vertragsschluss als allein stehendes Element betrachtet wird.99 Indes ist dieser von Leonhard also zutreffend erkannte Gedanke nicht ausreichend, um damit das Konzept einer Begründung von Pflichten durch das erst später durch den Vertragsschluss entstehende vertragliche Schuldverhältnis im weiteren Sinne zu begründen. Diese als „Vorwirkung“ bezeichnete Begründung der Pflichten zur Rücksichtnahme bereits im vorvertraglichen Stadium ist aus einem einfachen Grund fern liegend: Ein Schuldverhältnis kann erst ab dem Moment der Entstehung zur Begründung von Pflichten jedweder Art führen. Bestehen schon vor der Begründung eines Schuldverhältnisses Pflichten, so können diese nur in einem anderen Schuldverhältnis begründet sein. Leonhard versäumt in diesem Zusammenhang, das Schuldverhältnis i.w.S. in Beziehung zu seiner Konzeption des „einheitlichen Ganzen“ von Vertragsschluss und Vertragsverhandlungen zu setzen. Hätte Leonhard das getan, wäre er möglicherweise zu dem Ergebnis gekommen, dass auf Grund der personalen Beziehung der Beteiligten, die auf einen Vertragsschluss gerichtet ist, bereits vor dem eigentlichen Vertragsschluss Pflichten entstehen können. Damit hätte sein Gedanke, Vertragsschluss und Vertragsverhandlungen nicht in gekünstelter Weise trennen zu wollen, bei zutreffender Betrachtung des Lebenssachverhaltes berücksichtigt werden können.100 Die Verhaftung Leonhards auf den Vertragsschluss verhindert aber jede Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Schuldverhältnis i.w.S., Vertrag und anderen vor dem Vertragsschluss stehenden Handlungen, die zur Begründung des Schuldverhältnisses führen. Gegen die Konzeption Leonhards sprechen daneben auch die bereits vorgetragenen Erwägungen zur Begründung von Pflichten zur Rücksichtnahme durch einen Vertragsschluss der Parteien. Leonhard macht in seiner Konzeption durch indirekte Anknüpfung an den Vertrag die Existenz von Pflichten zur Rücksichtnahme von diesem logisch abhängig. In dieser mittelbaren Anknüpfung an den späteren Vertragsschluss der Parteien sieht Leonhard, wie schon die oben unter I. besprochenen 98 Zur Deutung eines Vertrags im Zusammenhang mit seiner Geschichte vgl. insgesamt Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit; Wilhelm Schapp, Philosophie, S. 48 ff. und Jan Schapp, Sein und Ort, S. 117 ff. 99 Vgl. zu dieser Deutung insbesondere auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 230. 100 Vgl. zu einer weitergehenden Deutung unter dem Gesichtspunkt des einheitlichen, sowohl Vertragsverhandlungen als auch Vertragsabschluss umfassenden Geschehens, Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 232 ff.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Ansätze, eine ausschlaggebende Bedeutung des Konsenses. Auf die Kritik an dieser Deutung des Konsenses wird daher in weiten Teilen ergänzend verwiesen.

III. Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung als „faktisches Vertragsverhältnis“: Betonung eines Konsenses unterhalb der Ebene der Willenserklärungen Den Konsens der Beteiligten betont neben den rechtsgeschäftlichen Lehren vor allem auch die Lehre von den faktischen Vertragsverhältnissen (1.), die dem Konsens eine andere Bedeutung gibt (2.). 1. Begründung von Vertragsverhältnissen ohne Vertragsschluss im Rechtssinn Als Begründer der Lehre kann Haupt angesehen werden. In seiner Schrift „Über faktische Vertragsverhältnisse“ kritisiert er das verengte Verständnis von Vertragsschlüssen in der juristischen Dogmatik.101 Es sei zu überlegen, ob ein Vertragsschluss i. S. d. BGB zur Begründung von Vertragsverhältnissen wirklich stets Voraussetzung ist.102 Vertragsverhältnisse, so nimmt er weiter an, könnten eben auch durch tatsächliche Vorgänge begründet werden, die keinen Vertragsschluss im Rechtssinne darstellen.103 Faktische Vertragsverhältnisse kraft sozialen Kontakts lägen insbesondere bei den Fällen vor, die üblicherweise als culpa in contrahendo qualifiziert würden.104 Ein Vertragsschluss, etwa im Sinne von Sibers Lehre, sei aber nicht gegeben.105 Die besondere soziale Beziehung der Beteiligten hebe die Beteiligten aber aus dem Nebeneinander heraus und stelle die Beziehung zwischen Vertrag und nichtvertragliche Beziehung.106 Das entscheidende Element sei der besondere soziale Kontakt zwischen den Beteiligten.107 Haupt betont, dass weder die Anwendung des De101 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 6. Simitis, S. 540, nimmt an, dass Haupt die Willensübereinstimmung durch die Betätigung im Verkehr ersetzt habe. Haupts Schrift lässt sich das mit dieser Deutlichkeit nicht entnehmen. 102 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 7. 103 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 9. Siehe insgesamt zu den faktischen Vertragsverhältnissen auch die Untersuchung von Simitis, z. B. auf S. 103, der allerdings das Handeln in der Sozialsphäre besonders betont und die faktischen Vertragsverhältnisse als „Beweis der Daseinsberechtigung innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Wirklichkeit“ sieht. Dort für die Entstehung von Vertragsverhältnissen ohne übereinstimmende Willenserklärungen z. B. S. 539. 104 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 9. 105 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 11. 106 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 11. 107 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 11.

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liktsrechts noch die Unterstellung eines Vertragsschlusses den Lebenssachverhalt richtig erfasse.108 Zentrales Anliegen von Haupt ist es, die rechtliche Bewertung wieder stärker an die Wirklichkeit anzubinden:109 Die rechtliche Entscheidung des Falles solle aus dem tatsächlichen Sachverhalt folgen, aus diesem begründbar sein.110 Ein allgemeiner, konkret fassbarer Tatbestand wird von Haupt für die faktischen Vertragsverhältnisse nicht dargelegt.111

2. Resümee: Betonung der sozialen Beziehungen unterhalb des Vertrages Haupts Anliegen war wohl im Wesentlichen die Auflösung des Tatbestandes zweier übereinstimmender Willenserklärungen als Voraussetzung für die Entstehung eines vertraglichen Schuldverhältnisses. Die Lehre von Haupt ist unter diesem Gesichtspunkt teilweise heftig kritisiert worden.112 Die Kritik ist berechtigt. Mit Haupts Anliegen würde eine Auflösung dogmatischer Grundstrukturen beginnen, die nicht wünschenswert ist. Man darf Haupts Schrift dann aber auch nicht fehldeuten. Haupt hat versucht, mit seinem Vorstoß den Beginn einer Entwicklung anzuregen. Es handelt sich nicht um ein ausgearbeitetes, über lange Jahre entwickeltes Konzept, das entsprechend detaillierte und präzise Tatbestände präsentiert. Sieht man die Schrift als Denkanstoß, so enthält sie die zutreffende Beobachtung, dass die lebensweltlichen Zusammenhänge eine Vielfalt von sozialen Beziehungen unterhalb der rechtsgeschäftlichen Einigung aufzeigen.113 Haupt hat damit für die im Rahmen dieser Untersuchung interessierenden Sachverhalte des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB aufgezeigt, dass möglicherweise auch ein Konsens tatsächlicher, nicht rechtsgeschäftlicher Art für die Begründung des Schuldverhältnisses ausschlaggebend sein kann. Die Umschreibung des notwendigen Kontakts fehlt indes völlig. Aus diesem Grund kann Haupts Lehre in der von ihm präsentierten Form jedenfalls nicht zur Darlegung des Entstehungstatbestandes des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB dienen.

Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 11. Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 11 und 36 f. Das betont auch Simitis, S. 538 in seiner Untersuchung der faktischen Vertragsverhältnisse. Er hebt hervor, dass die Wirklichkeit Ausgangspunkt aller rechtlichen Erwägungen sein sollte. Vgl. Simitis, S. 545. 110 Vgl. Haupt, FS Siber, S. 5, 36 f. 111 Kritisch daher Barth, S. 35 und S. 49 „keine irgendwie verwertbaren Kategorien“. 112 Vgl. nur Lehmann, NJW 1958, S. 1, 5 „Atombombe zur Zerstörung gesetzestreuen juristischen Denkens“; Lehmann, JhJb. 90 (1942), S. 131, 134 „Angriff auf die Kategorie des Vertrags“ und Nipperdey, MDR 1957, S. 129 ff. 113 Das würdigt auch Lehmann, JhJb. 90 (1942), S. 131, 144, der es zu Haupts Verdiensten zählt, das Problem der Erfassung der sozialen Wirklichkeit in den von Haupt diskutierten Tatbeständen zur Diskussion gestellt zu haben. 108 109

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

IV. Konsensgedanke als eine Leitlinie in der Entwicklung der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Die Diskussion in diesem ersten Kapitel der Untersuchung hat gezeigt, dass verschiedenste heterogene Ansätze in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in groben Zügen auf einen Konsens, eine Übereinstimmung zwischen den Beteiligten zur Begründung des Schuldverhältnisses abstellen. Die einzelnen Ansätze zur Entstehung des Schuldverhältnisses haben auf Grund ihrer gravierenden Mängel allerdings im Ganzen nicht überzeugen können. Die Bedeutung des Konsenses der Beteiligten bleibt als Ergebnis für die weitere Untersuchung aber festzuhalten.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Die rechtsgeschäftlichen Erklärungsansätze zur Entstehung des heutigen Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB sind relativ bald in der Entwicklung von dem bis heute erfolgreichsten in die Diskussion eingebrachten Diskussionsansatz verdrängt worden: Den Vertrauenshaftungslehren. Wenn in der vorliegenden Arbeit von der Lehre von der „Vertrauenshaftung“ gesprochen wird, so sind damit die verschiedenen Argumentationsansätze im Bereich des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung gemeint, die „Vertrauen“ im Rahmen des Entstehungstatbestandes oder der Legitimation der Haftung heranziehen. Der Grundkonsens der Lehren ist auf die Einstufung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo als Vertrauenshaftung reduziert. In Retrospektive haben sich seit der dogmatischen Grundsteinlegung der Lehren durch Heinrich Stoll (I.) verschiedene Strömungen herausgebildet. Einerseits wird verstärkt Vertrauen als subjektives Tatbestandselement betont (II.), andererseits eher die Bedeutung von objektiven Ansatzpunkten betont (III.). Ein Teil der Lehre nimmt an, dass die Haftung auf den geschäftlichen Bereich begrenzt ist (IV.), während andere Autoren den Tatbestand nicht in diesem Sinne begrenzen wollen (V.). Die moderne Vertrauenshaftungslehre ist unabhängig von den hier zu schildernden Strömungen ferner wesentlich geprägt von Canaris’ Lehre einerseits (VI.) und der Rechtsprechungspraxis andererseits (VII.). Als Kernproblem der Lehren sticht die Diffusität und Allgegenwärtigkeit von Vertrauen hervor: Über den geschilderten Grundkonsens hinaus fehlt es in den Lehren an der letzten Klarheit über die Frage, ob und in welcher Form Vertrauen denn nun im Tatbestand eines Anspruchs bzw. zur Entstehung des Schuldverhältnisses erforderlich sein soll. Wie sich in der dieses Kapitel abschließenden Analyse zeigen wird, ist dieses Problem für die Vertrauenshaftungslehren nicht zu überwinden (VIII.).

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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I. Die Grundlegung der Vertrauenshaftungslehren in Heinrich Stolls Denkschrift für die Akademie für Deutsches Recht Im Sommer 1934 hatte Heinrich Stoll einen Bericht zu einer Lehre von den Verhaltensstörungen für den Ausschuss für Personen-, Vereins- und Schuldrecht der Akademie für Deutsches Recht anzufertigen.114 In diesem Bericht hat Stoll neue, einer früher vertretenen Ansicht widersprechende Gedanken vorgetragen. Die Ausführungen sind bis heute grundlegend für die Entwicklung der Theorie von der Vertrauenshaftung (1.). Stoll hat ferner insbesondere die Bedeutung der Rechtskreisöffnung der Beteiligten erstmals aufgezeigt (2.). Anschließend werden die Grundzüge seiner Lehre skizziert (1. – 2.), bevor sich eine Würdigung und Zusammenfassung der einzelnen Punkte anschließt (3.).

1. Die Entstehung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nach Heinrich Stoll Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Betonung des Gemeinschaftsgedankens und der Volksgenossenschaft hebt Stoll in seinem Bericht die Bedeutung von Treuepflicht und Treuegedanken im Schuldrecht besonders hervor.115 Er nimmt an, dass innerhalb des Schuldverhältnisses neben einem Leistungsverhältnis auch ein Vertrauensverhältnis besteht.116 Das gründet er auf den Gedanken, dass der Einzelne bei Verfolgung seiner eigenen Ziele in seinem Gegner einen Rechtsgenossen sehen muss.117 Diesen Schluss zieht er wiederum aus der Treuepflicht in der Gemeinschaft von Schuldner und Gläubiger als spezieller Ausprägung des Gemeinschaftsgedankens in der Volksgemeinschaft.118 Der unterbreitete Gesetzesvorschlag sah dann auch eine entsprechende Regelung vor: 114 Vgl. Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 1. Zur Akademie für Deutsches Recht, vgl. Hattenhauer, JuS 1986, S. 680 ff.; Sessler, S. 109 ff. Schur weist zu Recht darauf hin, dass für und in der Akademie entwickelte Begriffe und Theorien nicht pauschal als nationalsozialistisch zurückgewiesen werden sollten. Vgl. Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 33 ff., Fn. 2. In diesem Sinne auch Wieacker, S. 514 f., Fn. 2. 115 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 10 f. 116 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 26 f. An anderer Stelle findet sich dann sogar die Aussage, dass das Schuldverhältnis insgesamt ein Vertrauensverhältnis ist (vgl. Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 10). Aus dem Zusammenhang lässt sich allerdings schließen, dass er Leistungsverhältnis und Vertrauensverhältnis als Teile des Schuldverhältnisses als Organismus betrachtet. 117 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 10. 118 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 10. Auch Larenz ist zum damaligen Zeitpunkt von einer ähnlichen Anknüpfung an die Volksgemeinschaft als Grundlage für die vorvertraglichen Pflichten ausgegangen. Stolls Denkschrift stand er allerdings kritisch gegenüber, vgl. Larenz, Leistungsstörungen, S. 68 ff.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses „§ 2 (BGB § 242)119. Vertrauensverhältnis und Schutzpflicht (1) Schuldner und Gläubiger stehen vom Beginn der Vertragsverhandlungen bis zur Beendigung des Schuldverhältnisses in einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis (Treuepflicht). [ . . . ]“

Trotz der Bezeichnung als Vertrauensverhältnis sah Stoll also eine Anknüpfung an den Tatbestand der Vertragsverhandlungen, nicht aber an einen wie auch immer gestalteten Vertrauenstatbestand vor. Diese Anknüpfung bleibt vage, da Stoll ausführt, dass das Vertrauensverhältnis in dem Augenblick entsteht, wenn die Parteien sich erkennbar zum Zweck des Vertragsschlusses gegenüberstehen.120 Damit dient das Vertrauensverhältnis letztlich nur zur Legitimation des Schuldverhältnisses, ohne dass dieses eine konkrete Funktion im Tatbestand für die Entstehung des Schuldverhältnisses erhält. Dabei ist nicht das Schuldverhältnis Folge des Vertrauensverhältnisses, sondern das Vertrauensverhältnis folgt aus dem Schuldverhältnis.

2. Die Begründung der Pflichten zur Rücksichtnahme durch die Eröffnung von Einwirkungsmöglichkeiten auf den fremden Rechtskreis nach Heinrich Stoll Weiterer bedeutender Bestandteil der Lehre Heinrich Stolls sind die Ausführungen zur Begründung von Pflichten zur Rücksichtnahme. Diese entstehen nach Stoll dort, wo ein besonderes Schutzinteresse besteht.121 Das besondere Schutzinteresse folge aus der mit Begründung des Vertrauensverhältnisses entstehenden Sonderrechtsbeziehung, da diese Einwirkungsmöglichkeiten auf den fremden Rechtskreis eröffne.122 Diese Öffnung ermögliche eine besondere gegenseitige Einflussnahme, die über die allgemeine Berührung aller Glieder der Volksgemeinschaft hinausgehe.123 Dies rechtfertige dann, den Beteiligten neben den 119 Die Norm sollte anstelle des § 242 BGB treten. Vgl. Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 59 und 61. 120 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 26. Die Ansicht, dass das Schuldverhältnis durch ein einseitiges Rechtsgeschäft zustande kommt, hatte Stoll wohl bereits 1933 zu Gunsten der Begründung durch eine einseitige geschäftsähnliche Handlung aufgegeben (vgl. dazu unten unter 1. Teil, D. II. 2.). Wie sich Stolls Ansatz der Begründung des Schuldverhältnisses durch eine einseitige Handlung zu der hier dargestellten Begründung durch den Beginn der Vertragsverhandlungen verhält, bleibt unklar. Denkbar ist, Stolls Ausführungen dahingehend zu deuten, dass auch das nur einseitige Angebot der Eröffnung der Vertragsverhandlungen als Beginn der Vertragsverhandlungen zu sehen ist. Dies stünde allerdings im Widerspruch zu der Formulierung „erkennbar zum Zwecke des Vertragsschlusses gegenüberstehen“. Bemerkenswert ist, dass Stoll dann 1936 und folgend wieder seine Konzeption des einseitigen Rechtsgeschäfts vorgetragen hat, vgl. Heinrich Stoll, Vertrag und Unrecht, S. 176. 121 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 28. 122 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 28; ders., AcP 136 (1932), S. 257, 298. 123 Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 27.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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allgemeinen Rechtspflichten aller Rechtsgenossen besondere Rechtspflichten aufzuerlegen.124

3. Zusammenfassung: Grundsteinlegung der modernen Vertrauenshaftungslehren durch die Verknüpfung von Vertrauen und culpa in contrahendo unter Betonung der Rechtskreisöffnung der Beteiligten Stoll hat mit seiner Lehre das Schuldverhältnis in der Fallgruppe der culpa in contrahendo umfassend aus dem Vertrauen zu legitimieren gesucht. Inhaltlich steht die Anknüpfung an den Beginn der Vertragsverhandlungen als Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses in Übereinstimmung mit dem damaligen Stand von Rechtsprechung und Lehre. Die Legitimation der Pflichten zur Rücksichtnahme aus der Rechtskreisöffnung der Beteiligten einerseits und der Haftung aus dem Vertrauensverhältnis der Beteiligten andererseits ist dagegen in dieser Form erstmals vorgetragen worden. Dabei konnte Stoll auf die Rechtsprechung des Reichgerichts zurückgreifen, in der die Haftung für die Verletzung von Pflichten vor Vertragsschluss wiederholt auf das zwischen den Beteiligten bestehende Vertrauensverhältnis zurückgeführt worden war.125 Seine Ausführungen zum Verhältnis von Vertrauensverhältnis und Leistungsverhältnis innerhalb des Schuldverhältnisses i.w.S. zeigen zudem Erkenntnisse, die später Wegbereiter für Canaris’ Theorie des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses waren.126 Die Bedeutung von Stolls Lehre ist aus heutiger Sicht kaum zu überschätzen.127 Die beiden von ihm herausgearbeiteten Elemente, einerseits das Vertrauensverhältnis der Beteiligten untereinander, anderseits die Eröffnung von Einwirkungsmöglichkeiten auf den eigenen Rechtskreis für den jeweils anderen Beteiligten, haben die spätere Diskussion in erheblichem Maße geprägt. Der Begriff war bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Zusammenhang mit der Haftung für culpa in contrahendo in dieser Weise in Verbindung gebracht Heinrich Stoll, AcP 136 (1932), S. 257, 298. Vgl. zur Rechtsprechung des Reichsgerichts zur culpa in contrahendo und Vertrauenshaftung noch sogleich unter 1. Teil, C. VII 1. Die Verbindung eines Vertrauensprinzips einerseits und der Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo andererseits in Anknüpfung an die reichsgerichtliche Rechtsprechung wird heute als „juristische Entdeckung“ gefeiert. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 423. 126 Vgl. dazu sogleich unter 1. Teil, C. VI. 127 Vgl. dazu umfassend Sessler, S. 201 ff. Prägnant ist auch die Formulierung bei Giaro, S. 113, 153: „Das Reichsgericht glaubte, den Weg nach Indien entdeckt zu haben. Stoll hat das Ziel als Amerika richtiggestellt.“ 124 125

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

worden.128 Bedauerlicherweise lag allerdings der Schwerpunkt in der folgenden Debatte auf der von Stoll herbeigeführten Verbindung von Schuldverhältnis und Vertrauenshaftungslehre.129

II. Die Begründung der subjektiv orientierten Strömung der Vertrauenshaftung durch die Lehren von Dölle und Ballerstedt Weitere bedeutende Entwicklungsschritte der Vertrauenshaftungslehren werden insbesondere von den Schriften Dölles und Ballerstedts markiert. Anders als Heinrich Stoll, für den das Vertrauensverhältnis nur ein Legitimitätsmoment des Schuldverhältnisses darstelle, haben sowohl Dölle (1.) als auch Ballerstedt (2.) Vertrauen als subjektives Tatbestandsmerkmal, welches zur Entstehung des Schuldverhältnisses notwendig ist, angesehen.

1. Vertrauen als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses in der Lehre Dölles Nach Dölle ist das Vertrauen, das die Beteiligten sich in Form der bewussten Anvertrauung der eigenen Rechtsgüter in die Obhut des anderen Beteiligten gewähren, der „Grund“ der Haftung in Fällen sozialen Kontakts.130 Die Anvertrauung der Rechtsgüter diene als Indikator für besonderes gegenseitig entgegengebrachtes Vertrauen der Beteiligten und erfolge, um den mit dem sozialen Kontakt verfolgten Zweck zu erreichen.131 Dieser Rechtssatz gelte insbesondere bei der Aufnahme des anderen Beteiligten in den eigenen beherrschten Lebensbereich. In diesem Fall könne sogar auf das Kriterium des besonderen entgegengebrachten Vertrauens verzichtet werden, sofern der in den Lebensbereich Eindringende in diesen auf rechtmäßige Weise gelangt sei.132 Damit wäre der Entstehungstatbestand für das Schuldverhältnis wie folgt zu formulieren: Das Entgegenbringen besonderen Vertrauens durch die bewusste Anvertrauung von Rechtsgütern an den anderen Beteiligten im Rahmen eines sozialen Kontaktes133 führt zur Begründung des Schuldverhältnisses.134

128 Erste Andeutungen ähnlicher Gesichtspunkte fanden sich bei Raiser, AcP 127 (1927), S. 1, 24 f. mit dem Gedanken der Interessensphäre und bei Herholz, AcP 130 (1930), S. 257, 297 mit dem Interessenskreis. 129 Vgl. dazu Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 223, Fn. 53. 130 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74. 131 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74. 132 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74.

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Auf den Gedanken der Anvertrauung der Rechtsgüter an den anderen Beteiligten im Sinne Dölles, der letztlich zur Begründung von Pflichten zur Rücksichtnahme herangezogen wird, noch zurückzukommen sein. Hier zeigt sich der Gedanke der Einwirkungsmöglichkeiten auf den Rechtskreis des anderen Beteiligten in der Lehre von Heinrich Stoll in gewandelter Form: Bei Dölle reicht der bewusste Kontakt von Rechtsgütersphären in Form der Anvertrauung von Rechtsgütern aus, um ein Schuldverhältnis zu begründen. Mit dem Begriff der Rechtssphäre hatte Dölle allerdings einen kontrollierbaren Lebensbereich als einen Bereich von Schutzgütern im Auge, wohingegen der Rechtskreisbegriff von Heinrich Stoll eher auf die Summe aller Schutzgüter einer Person abzielt. Das Verhältnis zwischen der Entstehung des Schuldverhältnisses und der Legitimation der Haftung bleibt in der Lehre Dölles ebenso unbeantwortet wie die Frage nach der Legitimation der Haftung. Ausdrücklich spricht Dölle nur von der Begründung von Pflichten.135 Nimmt man an, dass er mit seinen Ausführungen zur Entstehung der unterschiedlichen Pflichten inhaltlich die Entstehung des Schuldverhältnisses i.w.S. im Blick hatte, so kann als Legitimation Dölles Bezugnahme auf das Rechtsgefühl genannt werden.136 Darüber hinaus lässt die Schrift durchaus die Deutung zu, dass Vertrauen bzw. die Vertrauensbeziehung der Beteiligten gleichermaßen als Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses als auch als dessen Legitimation dienen.137 Auch Dölle knüpft dabei – wie schon Heinrich Stoll – zur rechtspolitischen Legitimation an den Gedanken der Volksgemeinschaft an.138 2. Vertrauen als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses in der Lehre von Ballerstedt: Die Geburt der Formel von Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen Eine ähnliche Argumentation wie bei Dölle findet sich in der Lehre von Ballerstedt. Auch Ballerstedt deutet einen zunächst objektiven Tatbestand als Ausdruck subjektiven Vertrauens. Ballerstedt sieht in dem Eintritt der Beteiligten in Vertragsverhandlungen die Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen. Diese Inan133 Hier kann man mit Bohrer, S. 144 davon sprechen, dass der soziale Kontakt als Indiz für das Vorliegen von Vertrauen zwischen den Beteiligten genutzt wird. 134 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74. 135 Vgl. dazu noch sogleich unter V. 1. 136 Vgl. die Bezugnahmen Dölles auf das Rechtsgefühl, Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 73, 74, 76. Kritisch dazu etwa Kallmeyer, S. 77, der bemängelt, dass Dölle keine dogmatische Rechtfertigung seiner Lehre vorträgt. 137 Vgl. die einzelnen Bezugnahmen in Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67 ff., insbesondere auf S. 74, 75, 77, 78, 86, 87, 88. 138 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 80.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

spruchnahme und Gewährung von Vertrauen sei der Entstehungstatbestand der Schuldverhältnisse. Damit hat Ballerstedt zunächst die schon in seiner Zeit anerkannte Entstehungshandlung (die Aufnahme von Vertragsverhandlungen) umgedeutet.139 Durch die Bestimmung der Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen als wesentlich ist aber auch ein anderer Entstehungstatbestand denkbar, solange „auf der Seite des einen Partners ein Verhalten, das nach den Grundsätzen der Redlichkeit und nach seiner sozialen Erscheinungsform geeignet ist, ein Vertrauen zu erwecken und auf der Seite des anderen Partners die Gewährung von Vertrauen in eben dieses Verhalten“ festzustellen ist.140 Neben dem tatsächlich gewährten Vertrauen sei aber auch das Vertrauendürfen der Beteiligten entscheidend. Es müsse letztlich ein „Rechtsschein als gegenständliche Vertrauensgrundlage vorliegen oder es muß, soweit das Vertrauen in eine Person rechtlichen Schutz genießen soll, diese in einer sozialen Funktion, mit einem Maß faktischer Selbstbestimmung auftreten [ . . . ] der Partner muß vertrauensfähig sein“.141 Mit diesen Ausführungen verlässt Ballerstedt fast vollständig den Boden der Aufnahme von Vertragsverhandlungen als Entstehungstatbestand. Diese können zwar als „gegenständliche Vertrauensgrundlage“ das Schuldverhältnis begründen, sind aber nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist allein, ob Vertrauen gewährt und in Anspruch genommen wurde. Ob dies der Fall ist, wird anhand der Frage, ob eine gegenständliche Vertrauensgrundlage vorliegt oder zumindest ein Vertrauendürfen gegeben war, beurteilt. Ein Vertrauendürfen soll vorliegen, wenn dieses sich aus der sozialen Funktion der Person ergibt. Letztlich verbindet Ballerstedt hier das Vorliegen von subjektivem Vertrauen mit objektiven Merkmalen. Neben dieser Bedeutung des Vertrauens im Entstehungstatbestand ist das Vertrauen in Form der Vertrauensbeziehung zwischen den Beteiligten dann nach Auffassung von Ballerstedt auch zugleich die Legitimation für die Haftung auf Grund der Verletzung von Pflichten aus dem aus der Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen folgenden Schuldverhältnis.142 Vertrauen legitimiere als „Rechtswirkungsgrund“ die Entstehung des Schuldverhältnisses.143 Interessant ist in der Lehre Ballerstedts neben der Betonung der Bedeutung des Vertrauens aber auch ein anderer Punkt: Ballerstedt geht davon aus, dass es sich um ein „schuldrechtliches Rechtsgeschäft“ handelt, das auf einer Erweiterung des klassischen Begriffs des Rechtsgeschäftes beruht.144 Hier zeigt sich der Konsensgedanke in Form der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen, der vor 139 140 141 142 143 144

Vgl. Ballerstedt, AcP 151 (1951), S. 501, 507. Ballerstedt, AcP 151 (1951), S. 501, 507. Ballerstedt, AcP 151 (1951), S. 501, 508. Vgl. Ballerstedt, AcP 151 (1951), S. 501, 508. Vgl. Ballerstedt, AcP 151 (1951), S. 501, 508. Vgl. Ballerstedt, AcP 151 (1951), S. 501, 507.

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allem bei den vertraglichen Theorien maßgeblich im Vordergrund gestanden hat. Auch auf diesem Punkt beruht die Legitimation von Ballerstedts Gedanken der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen.

3. Zusammenfassung: Vertrauen als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses in der subjektiven Strömung der Vertrauenshaftungslehren Im Gegensatz zu Heinrich Stoll berücksichtigen sowohl Dölle als auch Ballerstedt Vertrauen in einer Art Doppelfunktion. Zunächst ist das durch objektive Momente indizierte Vertrauen erforderlich, um das Schuldverhältnis entstehen zu lassen. Die Indikation der Vertrauensbeziehung erfolgt durch die bewusste Anvertrauung der Rechtsgüter an den anderen Beteiligten in der Lehre Dölles145 bzw. in der Lehre Ballerstedts mit der Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen. Diesen Tatbestand sieht Ballerstedt zumindest in den die Vertragsverhandlungen eröffnenden Erklärungen der Beteiligten verwirklicht. Daneben ziehen Dölle und Ballerstedt Vertrauen auch zur rechtspolitischen Legitimation des Schuldverhältnisses und der aus ihm resultierenden Haftung heran. Mit der Berücksichtigung von Vertrauen als erforderlichem Tatbestandselement des Schuldverhältnisses können Dölle und Ballerstedt damit als Begründer einer subjektiven Strömung innerhalb der Vertrauenshaftung angesehen werden, die bis heute erheblichen Zulauf erhalten hat.146 Damit ist nicht gesagt, dass die jeweiligen Vertreter der eher subjektiven Strömung nicht auch normative Elemente berücksichtigen.147 Ballerstedt bezieht diese im Rahmen des „Vertrauendürfens“ mit in die Perspektive ein.

Vgl. auch Pouliadis, S. 58 f. Ähnlich wohl auch Diers, S. 53, der aus einem objektiven Tatbestand als Indikation auf das Vorliegen von Vertrauen schließen will. Eine an dieser subjektiven Strömung orientierte Vertrauenshaftungslehre wird in der Gefolgschaft von Dölle und Ballerstedt auch von Nirk, FS Hauß, S. 267, 280 und 2. FS Möhring, S. 70, 73 und 84 f. vertreten. Nirk nimmt ferner an, dass der BGH gewährtes und in Anspruch genommenes besonderes gesteigertes Vertrauen als Voraussetzung eines Anspruchs verlangt. Dagegen etwa Loges, S. 73, der annimmt, dies sei aus der Rechtsprechung des BGH unklar. Ebenfalls einer eher subjektiven Strömung zuzuordnen sind RGRK-Alff, § 276, Rdnr. 96; v. Craushaar, JuS 1971, S. 127, 129 ff.; Giesen, NJW 1968, S. 1401, 1402; Giesen, NJW 1969, S. 582, 583; Werner Lorenz, 1. FS Larenz, S. 575, 618 f.; wohl auch Crezelius, JuS 1977, S. 796, 797. Siehe auch etwa Herschel, DB 1976, S. 2451, 2452, der Pflichten als Korrelat eines gewährten Vertrauens annehmen will. 147 Vgl. z. B. Hohloch, NJW 1979, S. 2369, 2372, der Vertrauen und die Veranlassung des Vertrauens kombinieren will. 145 146

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

III. Die Begrenzung der Bedeutung von Vertrauen in der objektiven Strömung der Vertrauenshaftungslehren Im Gegensatz zu der eher an einem subjektiv feststellbaren Vertrauen der Beteiligten orientierten Strömung betont eine andere Strömung der Vertrauenshaftungslehren die Bedeutung eines eher objektiven Vertrauens. Larenz differenziert zwischen Fällen, in denen zwischen den Beteiligten ein Vertragsverhältnis intendiert war (1.) und den Fällen der Sachwalter- und Vertretereigenhaftung (2.). Die wesentlich von ihm mitgeprägte objektive Strömung in den Vertrauenshaftungslehren kann als Gegenposition zu der hauptsächlich von Dölle und Ballerstedt geprägten subjektiven Strömung verstanden werden (3.).

1. Loslösung des Tatbestands vom subjektiven Vertrauen der Beteiligten: Die allgemeine Redlichkeitserwartung im Tatbestand des Schuldverhältnisses Larenz führt aus, dass die Legitimation des Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo in den gewöhnlichen Fällen in der Erwartung der Beteiligten, „es mit einem redlich denkenden, sich loyal verhaltenden Partner zu tun zu haben“, liege.148 Diese allgemeine Redlichkeitserwartung sei der Grund für die Haftung. Von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal in der Person des Beteiligten ist hingegen für diese Fälle bei Larenz trotz der grundsätzlichen Einordnung der Haftung als Vertrauenshaftung keine Rede. Damit ist die Aufnahme von Vertragsverhandlungen bzw. ein geschäftlicher Kontakt in der Lehre von Larenz zunächst der einzig notwendige Entstehungstatbestand.149 Ob die nach Larenz erforderliche allgemeine Redlichkeitserwartung stets als gegeben angesehen werden kann, oder im Einzelfall doch denkbar ist, dass die Beteiligten nicht in dieser allgemeinen Redlichkeitserwartung handeln, bleibt unklar. Der Fall, dass ein potentieller Käufer etwa trotz der ihm bekannten Unseriosität des Verkäufers mit diesem Verhandlungen aufnimmt, wird nicht bedacht. Hier wäre zu fragen, ob das Schuldverhältnis dennoch auf Grund der allgemeinen Redlichkeitserwartung mit Eröffnung der Vertragsverhandlungen oder dem Beginn des geschäftlichen Kontakts entsteht, auch wenn der potentielle Käufer keine konkrete Redlichkeitserwartung hat. Obwohl diese Frage von Larenz nicht weiter behandelt wird, lassen die Gesamtausführungen den Schluss zu, dass die konkreten Erwartungen der Beteiligten irrelevant sind. Damit handelt es sich bei dem Erfordernis allgemeiner Redlichkeitserwartungen nicht um ein echtes Tatbestandsmerkmal. Vgl. Larenz, SR I, S. 106; ähnlich auch in Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 414 f. Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. So auch Krebs, S. 182. Kritisch in jüngster Zeit zur Formulierung einer allgemeinen Redlichkeitserwartung, Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 186. 148 149

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Die weiteren Ausführungen zur allgemeinen Redlichkeitserwartung bzw. zu dem gesteigerten Vertrauen können auch als rechtspolitische Legitimation der Haftung und der einzelnen entstehenden Pflichten interpretiert werden. So sollte auch Larenz’ Bezeichnung der Redlichkeitserwartung bzw. des gesteigerten Vertrauens als „Grund der Haftung“ gedeutet werden.150

2. Besonderes Vertrauen als Tatbestandsmerkmal der Fälle der Sachwalterhaftung Darüber hinaus nimmt Larenz an, dass es besondere Umstände gibt, bei denen die Beteiligten sich gesteigertes Vertrauen entgegenbringen.151 Dies sei etwa bei dem besonderen persönlichen Vertrauen, dass ein Vertreter oder anderer Mittler auf Grund seiner beruflichen Stellung genieße, der Fall.152 Auch dieses besondere Vertrauen sei als Grund der Haftung – etwa für weitergehende Aufklärungspflichten – denkbar.153 Nur in diesen Sonderfällen der Vertreter- und Sachwalterhaftung nimmt Larenz an, dass gerade das gewährte gesteigerte Vertrauen zur Entstehung des Schuldverhältnisses notwendig ist.154 150 Vgl. Larenz, SR I, S. 106. Larenz hat die Haftung für schuldhaftes Verhalten bei den Vertragsverhandlungen als eine von Lehre und Rechtsprechung vorgenommene „schöpferische Rechtsfortbildung“ im Übrigen schon früh als Gewohnheitsrecht gerechtfertigt. Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 421 ff. und SR I, S. 108 f. Mit der nunmehr vorliegenden Kodifikation hat sich diese Frage geklärt. Das kann auch als späte Bestätigung der Einordnung als Gewohnheitsrecht gesehen werden. 151 Larenz, SR I, S. 106. 152 Vgl. unter ausdrücklicher Berufung auf Ballerstedt, Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 415. 153 Vgl. Larenz, SR I, S. 106. Als Beispiel nennt er Verschwiegenheitspflichten, die aus der Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen und dem dort offensichtlich gewordenen „gesteigerten Vertrauen“ folgen. Vgl. Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 415. 154 Larenz bezieht sich wiederholt nur auf die Begründung von Pflichten, einer Haftung bzw. der Anwendung von § 278 BGB. Aus dem Gesamtzusammenhang sind diese Ausführungen aber als Aussagen zum Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses auszulegen. Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515 ff. Bohrer, S. 184 nimmt dagegen an, dass allein zur Begründung von weiteren Pflichten in diesen Fallgruppen „gesteigertes Vertrauen“ erforderlich ist. Wie aber in diesen Fällen z. B. der Vertretereigenhaftung das „gesteigerte Vertrauen“ pflichtenbegründend, aber nicht schuldverhältnisbegründend wirken soll, ist völlig unklar. Denkbar ist nur, durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen durch den Vertreter ein Schuldverhältnis sowohl zwischen dem Vertreter und der anderen Partei als auch dem Vertretenen und der anderen Partei in allen Fällen entstehen zu lassen. Dies würde dazu führen, dass im Regelfall ein Schuldverhältnis zwischen dem Vertreter und der anderen Partei zwar besteht, in diesem aber keine Pflichten bestehen. Die Ausführungen von Larenz in Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 415 sprechen für eine andere Deutung. Dort ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass nach Larenz „gesteigertes Vertrauen“ sowohl für weitergehende Pflichten als auch für die sog. Eigenhaftung des Vertreters Voraussetzung ist. Den Formulierungen von Larenz

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3. Zusammenfassung: Vertrauen im Tatbestand des Schuldverhältnisses in den Grundfällen nicht erforderlich Larenz hat den Tatbestand des Schuldverhältnisses in seiner Lehre grundsätzlich von einem subjektiv in der Person der Beteiligten erforderlichen Vertrauen gelöst. Die Betonung der allgemeinen Redlichkeitserwartung rechtfertigt es, hier schon eine Art objektivierten, normativen Vertrauensbegriff verwirklicht zu sehen, der im Gegensatz zur Betonung des materialisierten Vertrauens bei Ballerstedt und Dölle steht. Der von ihm so wesentlich mitgestaltete, eher objektiv orientierte Ansatz in den Vertrauenshaftungslehren, ist in der Rechtsprechung,155 aber auch in der Lehre etwa bei Thiele aufgenommen worden.156 Zur Entstehung des Schuldverhältnisses soll demnach die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder der Kontakt von Rechtsgütern maßgeblich sein (objektive Komponente).157 Zu diesem grundsätzlich objektiven Entstehungstatbestand tritt dann Vertrauen als zweite Komponente. Hier geht es eher um normatives Vertrauen.158 Es wird maßgeblich herangezogen, um nicht nur das durch die Vertragsverhandlungen entstehende Verhältnis der Parteien, sondern auch die entstehenden Pflichten zur Rücksichtnahme zu legitimieren. Schon wenn die Haftung von Sachwaltern und Vertretern im Raum steht, kippt das Verhältnis allerdings: In diesen Fällen soll es auf die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens durch den Vertreter für die Entstehung des Schuldverhältnisses ankommen. Die Anknüpfung an eine objektive Komponente ist in diesen Fällen nicht mehr so wesentlich. Insgesamt ist aber davon auszugehen, dass diese Strömung der Lehren eine Art objektiviertes oder normatives Vertrauen fordert, das als Grundlage der Haftung diese rechtfertigen soll.159 wie etwa „die Pflicht aus dem Verhandlungsverhältnis begründen“ sind allerdings nicht völlig eindeutig. 155 Vgl. dazu noch unten unter 1. Teil, C. VII. 2. 156 Trotz einiger Kritik ihnen folgend Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 186. Vgl. zu den teilweise verschieden gewerteten Aussagen einzelner Autoren in diesem Zusammenhang Fredy Müller, S. 103 f. 157 Allein auf die Vertragsverhandlungen bei nur schwachen Bezugnahmen auf Vertrauen stellt etwa Baumert, S. 48 und 78 ab. Vgl. im Übrigen etwa Gaisbauer, GewArch 1977, S. 254, 255 ff. 158 Vgl. etwa von Lackum, S. 101 f.; Horn, JuS 1995, S. 377, 378 spricht von „berechtigtem Vertrauen“. 159 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Bohrer, der als Kern herausstellt, dass eine zurechenbare Verhaltenserwartung im Rahmen eines Bereichs schutzwürdigen Vertrauens durch einen „Dispositionsgaranten“ erweckt wird. Aufgrund dieser Verhaltenserwartung werde dann eine Vermögensdisposition getroffen. Als maßgebliche Bereiche schutzwürdigen Vertrauens seien neben dem „Willenserklärungsverkehr“ das Stadium der Vertragsanbahnung und die geschäftliche Betätigung in einer Sonderstellung anzusehen. Auch hier zeigt sich ein objektivierter, normativer Vertrauensbegriff. Vgl. Bohrer, S. 303 ff., insbesondere S. 324.

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IV. Die Lehre vom geschäftlichen Kontakt in den Vertrauenshaftungslehren Zumeist korrespondierend mit dem objektiv orientierten Ansatz geht die Lehre vom geschäftlichen Kontakt innerhalb der Vertrauenshaftungslehren davon aus, dass Haftung in den Fällen der culpa in contrahendo nur im Rahmen von geschäftlichen Kontakten möglich ist. Im Tatbestand des Schuldverhältnisses sei die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, jedenfalls aber ein geschäftlicher Kontakt notwendig (1.). Die Annahme eines geschäftlichen Kontakts als Voraussetzung der Entstehung des Schuldverhältnisses entspricht der wohl überwiegenden Überzeugung in der Rechtswissenschaft (2.). 1. Die Aufnahme von Vertragsverhandlungen bzw. der Beginn des geschäftlichen Kontakts als Tatbestand des Schuldverhältnisses Das Schuldverhältnis kommt nach der Lehre vom geschäftlichen Kontakt, die zuvorderst von Larenz begründet wurde, durch die Aufnahme der Vertragsverhandlungen bzw. den Beginn des geschäftlichen Kontaktes zustande.160 Bei dieser Aufnahme der Verhandlungen bzw. des geschäftlichen Kontaktes handle es sich um einen Realakt, kein Rechtsgeschäft.161 Ein sozialer Kontakt, der seiner Art nach nicht geschäftlich ist, reicht nach Larenz nicht aus, um das Schuldverhältnis zu begründen.162 Insbesondere in Auseinandersetzung mit der Lehre von Dölle führt Larenz aus, dass die Verantwortlichkeit für die eigene Rechtssphäre oder das entgegengebrachte Vertrauen nicht genüge, um ein Schuldverhältnis zu begründen.163 Dies gelte auch für das bewusste Anvertrauen von Rechtsgütern in die Obhut und Sorgfalt des anderen.164 All diese Voraussetzungen lägen schließlich auch dann vor, wenn ein Autofahrer einem anderen an einer Kreuzung begegne.165 Das hier gewährte gegenseitige Vertrauen und Anvertrauen von Rechtsgütern sei nicht geeignet, eine Haftung in irgendeiner Form zu begründen.166 Vertrauen allein reiche nicht aus, um eine gegenüber dem Deliktsrecht verschärfte Haftung zu begründen. Um ein Schuldverhältnis annehBohrer setzt weiter voraus, dass die Verhaltenserwartung erkennbar gewesen sein muss, damit die „Vertrauensbeziehung“ zurechenbar ist. Vgl. Bohrer, S. 325 f. 160 So auch Bohrer, S. 184, der allerdings die Ausführungen von Larenz, FS Ballerstedt, S. 397 fehlinterpretiert, wenn er darlegt, dass sich Larenz zur Bedeutung von Vertrauen als „innerem Grund“ der Haftung bekannt hätte und von dieser Position später abgerückt wäre. 161 Vgl. Larenz, SR I, S. 109. 162 Vgl. insbesondere Larenz, MDR 1954, S. 515 ff. 163 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 517. 164 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 517. 165 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 517. 166 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 517.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

men zu können, müssten demzufolge weitere Umstände vorliegen.167 Die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder ein geschäftlicher Kontakt sind nach Larenz zwingend erforderlich.168 Dafür spreche auch der Regelungszweck von § 278 BGB, um dessen Anwendung es gehe.169 Dieser lege eine objektive Verantwortung für den eigenen Geschäftsbereich fest. Eine solche bestehe aber nur gegenüber dem Geschäftspartner.170 Anhand der Haftung des Inhabers von Räumen führt Larenz aus, dass allein das geschäftliche Interesse des Inhabers es nach dem Rechtsempfinden unserer Gesellschaft rechtfertige, eine Haftung wie im Rahmen von Vertragsverhandlungen auch bei Vorliegen eines geschäftlichen Kontaktes anzunehmen.171 Damit könne dem Inhaber von Räumen Verantwortung für (potentielle) Kunden in seinen Geschäftsräumen auferlegt werden.172 Da es nicht darauf ankommen könne, ob die Vertragsverhandlungen schon begonnen hätten oder nicht, und auch der Interessent ohne konkrete Kaufabsicht letztlich ein Verhalten zeigt, das typischerweise dazu geeignet sei, zum Vertragsschluss zu führen, seien auch die möglichen Kunden noch zu berücksichtigen.173 Dies ergäbe sich auch aus dem Interesse des Inhabers, der gerade mit diesem Verhalten rechne und dieses auch wolle.174 Anders sei es dagegen, wenn jemand ein Geschäft nur betrete, um sich zu erwärmen oder vor Regen zu schützen.175 Hier läge kein geschäftlicher Kontakt vor.176 Es käme also darauf an, ob ein Vertragsschluss als Folge des geschäftlichen Kontakts immerhin möglich erscheint.177

2. Zusammenfassung: Begrenzung der Pflichten zur Rücksichtnahme auf geschäftliche Kontakte Anhand der Formulierung der allgemeinen Redlichkeitserwartung ist schon deutlich geworden, dass Vertrauen als konkretes Tatbestandsmerkmal für Larenz im Regelfall keine Rolle spielt und daher in der Person des Anspruchstellers auch Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 517 f. Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 169 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 517 f. 170 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 171 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 517. 172 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 173 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 174 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 175 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 176 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. Bei einem Kaufhaus will Larenz allerdings eine Vermutung für das Vorliegen eines geschäftlichen Kontaktes annehmen. Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 177 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 515, 518. 167 168

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nicht erforderlich ist.178 Allein in den Sonderfällen, in denen gesteigertes Vertrauen zur Entstehung des Schuldverhältnisses notwendig ist, hält Larenz dieses Vertrauen wohl in der Person des Anspruchstellers für erforderlich (subjektive Komponente).179 Notwendiges Tatbestandsmerkmal ist für Larenz aber stets ein geschäftlicher Kontakt zwischen den Beteiligten (objektive Komponente). Diese damit von Larenz begründete Lehre vom geschäftlichen Kontakt hat in der weiteren Entwicklung der Dogmatik besondere Bedeutung erlangt.180 Die von ihm wesentlich dogmatisch ausgestaltete Teilströmung der Vertrauenshaftungslehren kann wohl als herrschend betrachtet werden und bildet den Gegenpol zu der von Dölle etablierten Lehre vom sozialen Kontakt. Neben einem Großteil der Literatur geht vor allem auch die Rechtsprechung davon aus, dass zur Begründung des Schuldverhältnisses in der Fallgruppe der culpa in contrahendo ein geschäftlicher Kontakt notwendig ist.181 Der Begriff „geschäftlich“ ist dabei wenig konturiert: Denkbar ist sowohl eine Auslegung als geschäftlich-unternehmerisch als auch als rechtsgeschäftlich. 182

178 So auch Krebs, S. 182. Kritisch in jüngster Zeit zur Formulierung einer allgemeinen Redlichkeitserwartung, Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 186. 179 Larenz fordert neben der eben beschriebenen Haftung im Rahmen von geschäftlichen Kontakten auch noch eine „allgemeine Vertrauenshaftung“ nach § 122 BGB analog. Eine solche läge vor, wenn ein Vertragspartner bei seinem Gegenüber die sichere Erwartung eines Vertragsschlusses hervorruft. Da es weder auf ein Verschulden noch auf eine Pflichtverletzung ankomme, läge eine „reine Vertrauenshaftung“ vor, die von den Fällen der „culpa in contrahendo“ getrennt werden müsse. Vgl. Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 416 f. 180 Vgl. etwa zur Beschränkung der Fälle der culpa in contrahendo auf geschäftliche Kontakte vor dem Hintergrund einer ökonomischen Analyse des Rechts bei grundsätzlicher Übernahme u. a. der Position von Larenz, Lehmann, Vertragsanbahnung S. 307 ff., vor allem S. 324. Lehmann nimmt an, dass bereits die geschäftliche Beziehung zu Zwecken der Vertragsanbahnung, die durch einen Kontakt mit einer Werbebotschaft entstehe, ausschlaggebend für die Entstehung von Pflichten sei. Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 397, dort auch Fn. 436. Siehe im Übrigen auch die Anknüpfung an privatautonomes Handeln als Handel im rechtsgeschäftlichen Verkehr im Sinne von Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 174, aber auch in der Lehre von Canaris. Dazu noch unten unter 1. Teil, D. I. 181 Vgl. zur Rechtsprechung noch unten unter 1. Teil, C. VII. 2. Siehe ferner Schleeh, S. 77 ff.; Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 187; Diers, S. 53 f.; Müller-Graff, JZ 1976, S. 153, 155 f.; Gottwald, JuS 1982, S. 877, 878 f.; Sticht, S. 35; Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 232 f. der auf den „institutionellen Schutz des Vertrages als Grundlage des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen“ abstellt. Siehe. im Übrigen die Übersicht zur aktuellen Literatur nach der Kodifikation unten unter 2. Teil, C. II. 1. d). 182 Ulrich Müller, NJW 1969, S. 2169, 2174, spricht etwa von Vertragsnähe; Medicus, JuS 1975, S. 209, 213, Fn. 37, spricht vom Vertrauen, das gerade auf die künftige Möglichkeit eines Vertragsschlusses gründet. Herschel, DB 1976, S. 2451, 2452, nimmt zwar noch Vertragsnähe an, will aber auch den Dieb ohne jegliche Kaufabsicht in den Anwendungsbereich mit einbeziehen; Diers, S. 56, fordert die beiderseitige Absicht, einen Vertrag abzuschließen.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

V. Die Lehre vom sozialen Kontakt in den Vertrauenshaftungslehren Die Gegenposition der Lehre vom geschäftlichen Kontakt hat wiederum Dölle in Form der Lehre vom sozialen Kontakt erheblich beeinflusst (1.). Die Lehre vom sozialen Kontakt stellt sich aus heutiger Sicht auf Grund des erfahrenen Zuspruchs als weitere wichtige Linie der Vertrauenshaftungslehren neben der Lehre vom geschäftlichen Kontakt dar (2.).

1. Betonung des Anvertrauens von Rechtsgütern im Rahmen eines sozialen Kontakts als Tatbestand des Schuldverhältnisses Während die Rechtsprechung und zuvor auch Heinrich Stoll davon ausgegangen waren, dass die Haftung nur bei der Aufnahme von Vertragsverhandlungen eintritt, ist nach Dölle die bewusste Berührung der Rechtsgütersphäre ausschlaggebend.183 Allein das bewusste Anvertrauen von Rechtsgütern als Ausdruck des besonderen Vertrauens der Beteiligten soll ausschlaggebend für die Entstehung des Schuldverhältnisses sein.184 Die von Heinrich Stoll betonte Rechtskreisöffnung findet sich hier in anderer Formulierung als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses wieder.185 Ein rechtsgeschäftlicher Kontakt ist nach Dölle nur bei Anzeige-, Aufklärungsund Mitteilungspflichten notwendig.186 Sei hingegen die Entstehung von Schutz-, Fürsorge- und Erhaltungspflichten fraglich, reiche ein sozialer, nicht notwendigerweise rechtsgeschäftlicher Kontakt zur Entstehung des Schuldverhältnisses aus.187

Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74. Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74. Wenn hier von dem Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses die Rede ist, dann ist dies nach Dölles Lehre ungenau. Dölle hat seine Untersuchung mit dem Titel „Aussergesetzliche Schutzpflichten“ unter dem Gesichtspunkt der Begründung von Pflichten vorgenommen. Der Gesichtspunkt der Begründung des Schuldverhältnisses i.w.S. bleibt (weitgehend) außer Betracht. Dölle hat aber inhaltlich die Begründung eines Schuldverhältnisses i.w.S. durch eine Vertrauensbeziehung in Form des nach ihm qualifizierten sozialen Kontaktes wohl im Auge gehabt. Diese Deutung ergibt sich letztlich (auch) aus einer Fußnote, in der Dölle immerhin den Begriff des Schuldverhältnisses in Bezug nimmt. Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74 in Fn. 1. Dass Dölle damit nicht den Anspruch als Schuldverhältnis im i.e.S. Sinne meint, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass Dölle die Pflichten zur Rücksichtnahme nicht als Ansprüche gesehen hat. Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67. Siehe dazu auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 240 f. 185 Heinrich Stoll hatte die Bedeutung der Rechtskreisöffnung für die Begründung von Pflichten zur Rücksichtnahme in den Mittelpunkt gestellt. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. I. 2. 186 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 86. 187 Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 87. An anderer Stelle findet sich eine Äußerung, die sich dahingehend verstehen lässt, dass bei einem rein gesellschaftlichen Kontakt, wie etwa dem Besuch eines Freundes, keine Haftung eintreten soll. Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 77. 183 184

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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Insbesondere die Fälle des Eintritts in eine von einem anderen beherrschte Lebenssphäre seien bedeutsam.188 In dieser Fallgruppe sei es ausreichend, wenn der Eintritt in die Rechtssphäre des anderen zwar nicht mit dessen Willen, aber unter Billigung der Rechtsordnung erfolgt sei. Mit dem Willen des Beteiligten gelte das ohnehin.189 Ein bloß zufälliger Kontakt ist demnach ebenso folgenlos wie das Eindringen in die Rechtssphäre des anderen ohne dessen Willen.190 Neben Dölle hat auch Ballerstedt – und das ist weitgehend unbeachtet geblieben – in seiner Lehre die Grundlagen für eine Loslösung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung von dem Entstehungstatbestand der Vertragsverhandlungen gelegt. Eine Beschränkung des Anwendungsbereiches seines Konzepts auf rechtsgeschäftliche Kontakte kann seiner Schrift allenfalls aus dem Gesamtzusammenhang entnommen werden. Seine Konzeption ist vielmehr auch für nicht-rechtsgeschäftliche Kontakte offen, solange der geforderte Vertrauenstatbestand gegeben ist.

2. Zusammenfassung: Pflichten zur Rücksichtnahme auch bei nicht-geschäftlichen Kontakten Mit dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs der culpa in contrahendo über die eigentlichen Vertragsverhandlungen hinaus, hat allen voran Dölle einen wesentlichen Schritt vollzogen und die Lehre vom sozialen Kontakt als eine der Hauptströmungen in der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses begründet.191 Innerhalb dieser Strömung, die als Grundkonsens annimmt, dass ein nicht-geschäftlicher Kontakt zur Entstehung des Schuldverhältnisses ausreichend sei, sind einige Autoren Dölle inhaltlich weitestgehend gefolgt.192 Andere haben Aus dem Zusammenhang der Ausführungen wird klar, dass Dölle hier wohl einen Wegfall der Haftung auf der späteren Ebene (etwa durch stillschweigenden Verzicht o.ä.) im Auge hat. Unklar ist die Deutung Dölles bei Thiemann, S. 34. 188 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 74 f. 189 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 75. Rechtssphäre ist bei Dölle als der einem Rechtssubjekt zugeordnete Lebenskreis, der seiner Größe und Art nach der Kontrolle und Beherrschung zugänglich ist. Vgl. genauer Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 77. 190 Vgl. Dölle, ZgS 103 (1943), S. 67, 76. 191 So hat sich etwa Barth, S. 59 ff. Dölle schon früh angeschlossen. Vgl. ferner Eylert, S. 63 f. In der Rechtsprechung konnte sich die Lehre dagegen nicht durchsetzen. Lediglich vereinzelt finden sich (ablehnende) Bemerkungen im Zusammenhang von Produkthaftungsfällen. Vgl. BGHZ 51, S. 91, 99; NJW 1974, S. 1503, 1504. Bohrer weist allerdings darauf hin, dass die Bemerkungen nicht endgültig ablehnend sind. Vgl. Bohrer, S. 141 / 142, Fn. 72. 192 Vgl. Esser-Schmidt, S. 136 ff., insbesondere S. 138, unter zusätzlicher Heranziehung von Ballerstedts Formel der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen; vgl. auch Baumert, S. 22 ff. und 30 f. unter teilweiser Loslösung vom Vertrauensgedanken; Hoffmann, AcP 167 (1967), S. 394, 400; Blomeyer hat sich unter Bezugnahme auf Lehmann und Dölle dafür ausgesprochen, auch bei der Aufnahme eines Gastes, ebenso wie bei der Herbeiführung des

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

unter teilweise abweichenden dogmatischen Gesichtspunkten jedenfalls eine Beschränkung der Verletzung von Pflichten zur Rücksichtnahme auf den geschäftlichen Bereich abgelehnt.193 Im Ergebnis kommen viele Autoren dieser Strömung dazu, dass auch Gefälligkeitsverhältnisse und nicht nur die Eröffnung von Vertragsverhandlungen Pflichten zur Rücksichtnahme begründen können.194

VI. Weiterentwicklung und Ausweitung der Vertrauenshaftung durch die Lehre von Canaris Handelte es sich schon bei den in diesem Kapitel skizzierten Strömungen der Vertrauenshaftungslehren jeweils um einzelne Meilensteine in der Entwicklung der Vertrauenshaftung, so ist die heutige Lehre der Vertrauenshaftung vor allem auch durch die Lehre von Canaris mitgeprägt worden. Aus den umfassenden Arbeiten von Canaris über die Bedeutung von Vertrauen im Zivilrecht, ist hier insbesondere die Integration des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in seine Lehre von der Vertrauenshaftung zu untersuchen (1.). In diesem Zusammenhang interessiert besonders die Konzeption von Entstehungstatbestand und rechtspolitischer Legitimation (2. und 3.).195 Um die Skizze der Bedeutung von Vertrauen abzurunden, wird nachstehend ferner kurz untersucht, welche Bedeutung Vertrauen als Tatbestandsmerkmal eines Schadensersatzanspruchs nach Auffassung von Canaris hat (4.), bevor eine Zusammenfassung das Kapitel schließt (5.). Rechtsgüterkontaktes zu sozial adäquaten Zwecken, ein Schuldverhältnis i.w.S. anzunehmen. Vgl. Blomeyer, S. 114 und 72 f.; ähnlich Gerhardt, JZ 1970, S. 535, 538. 193 Vgl. etwa bei Thiele die Gegenüberstellung von konkreter Verpflichtung gegenüber einem anderen Beteiligten einerseits und deliktischer Haftung andererseits, vgl. Thiele, JZ 1967, S. 649, 652. So im Übrigen auch schon Flume, AT, S. 85. Siehe im Übrigen auch Lehmann, der ebenfalls keine Beschränkung einer Vertrauenshaftung auf geschäftliche Kontakte sieht, ohne allerdings unmittelbar an die Lehre Dölles anzuknüpfen. Vgl. Enneccerus-Lehmann, S. 120 und S. 192. 194 Thiele, JZ 1967, S. 649, 652; ihm folgend auch Schwerdtner, NJW 1971, S. 1674, 1675; ähnlich Pallmann, insbesondere S. 97, 151 f.; Seetzen, VersR 1970, S. 1, 10 f.; in Einzelfällen Bydlinski, S. 210, Fn. 213a und Flume, AT, S. 84 ff. und 90 ff., der allerdings die Anwendung von § 278 BGB in familiären, freundschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen ausschließen will; unklar Hans Stoll, FS von Hippel, S. 517, 526. Teubner will dagegen in einem organisierten sozialen Kontakt u. a. auch deliktische Fallgruppen erfassen. Vgl. AK-BGBTeubner, § 242, Rdnr. 58 f. Kritisch gegen die Erfassung des sozialen Kontakts im Sinne von Thiele und Dölle insbesondere Larenz, MDR 1954, S. 515, 517 und Willoweit, JuS 1984, S. 909, 911 und 915 f. 195 Pflichten zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB werden in der Lehre von Canaris insgesamt als Schutzpflichten bezeichnet. Sofern im Folgenden teilweise von Schutzpflichten die Rede ist, so sind damit Pflichten zur Rücksichtnahme gemeint. Die Bezeichnung Schutzpflichten wird nur gebraucht, um die Wiedererkennung maßgeblicher Begriffe der Lehre von Canaris ebenso wie eine stimmige Darstellung derselben zu gewährleisten.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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1. Die Fälle des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in Canaris’ Lehre von der Vertrauenshaftung In der Annahme, dass es sich bei der „Vertrauenshaftung“ um ein eigenständiges Rechtsinstitut handelt, sucht Canaris eine „durchgängige Theorie“ der Vertrauenshaftung aufzustellen.196 Eine Vertrauenshaftung liege immer dann vor, wenn Vertrauen für die Rechtsfolge eine Rolle spielt, Vertrauen auch tatsächlich vorliegen muss und den tragenden Grund für die Rechtsfolge darstellt.197 Canaris unterscheidet innerhalb der Vertrauenshaftung zwischen vertrauensrechtlicher Erfüllungshaftung und vertrauensrechtlicher Schadensersatzhaftung.198 Die im Rahmen dieser Arbeit einzig interessierende Schadensersatzhaftung unterteilt er weiter in die zwei Kategorien der Erklärungs- und Anvertrauenshaftung.199 In den Fällen der Erklärungshaftung liege der ausschlaggebende Moment für das Bestehen einer Einstandspflicht in der Tatsache, dass der Erklärende für die Folgen einer abgegebenen fehlerhaften Erklärung aufzukommen habe.200 Als Fälle der Erklärungshaftung fasst Canaris Ansprüche aus § 122 BGB und § 179 BGB, aber auch die Regelungen der §§ 307, 309 BGB a.F. auf.201 Bei diesen Normen sei die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen offensichtlich eine erforderliche Vorraussetzung.202 Daher handle es sich um Fälle der Vertrauenshaftung.203 Eine vertrauensrechtliche Schadensersatzhaftung liege vor, wenn ein Tatbestand der Struktur dieser Normen ähnelt.204. Das sei bei den nicht geregelten Tatbeständen der culpa in contrahendo der Fall.205 Die Anvertrauenshaftung umfasst nach Canaris die Fälle von Verletzungen von Pflichten zur Rücksichtnahme, die nicht zur Kategorie der Erklärungshaftung gehören.206 Damit geht es insbesondere um Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB,207 d. h. um Eingriffs- oder Verletzungsschutz.208 Der Schutz ist dann allerdings nicht auf die Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB beschränkt. 209 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. VII. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 1 ff.; ders., FS Schimansky, S. 43, 55. 198 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129 ff. 199 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532 ff. 200 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532. 201 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 172; ders., FS Schimansky, S. 43, 50. 202 Vgl. Canaris, ZHR 163 (1999), S. 206, 221 f. 203 Vgl. Canaris, ZHR 163 (1999), S. 206, 222. 204 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 175; ders., FS Schimansky, S. 43, 51. Zu diesen Vorschriften zählt Canaris neben den zuvor genannten Anspruchsgrundlagen auch §§ 44 ff. BörsG, § 20 KAGG und § 12 AuslInvestmG. 205 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 173; Canaris, FS Schimansky, S. 43, 51 f. 206 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 540; ders., FS Schimansky, S. 43, 52. 207 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 176. 208 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 540. 196 197

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Die Haftung für die Verletzung von Pflichten zur Rücksichtnahme in diesen Fällen sei als Vertrauenshaftung einzuordnen, da der Geschädigte seine Rechtsgüter der Einwirkungsmöglichkeit des anderen anvertraut.210 Canaris gesteht allerdings einen nur losen Zusammenhang mit der Vertrauenshaftung ein.211 Dass es sich hierbei aber auch um einen Fall der Vertrauenshaftung handle, lasse sich an dem Fall, in dem im Rahmen von Vertragsverhandlungen ein Betriebsgeheimnis des anderen Beteiligten für eigene Zwecke ausgenutzt werde, verdeutlichen.212 Die im Rahmen dieser Arbeit interessierende Haftung auf Grund einer Verletzung einer Pflicht aus dem Rücksichtnahmeschuldverhältnis wird bei Canaris also – abhängig von der konkreten Art der verletzten Pflicht – entweder als Erklärungshaftung in Form der Vertrauenshaftung wegen Schutzpflichtverletzung oder als Anvertrauenshaftung eingeordnet.

2. Der Tatbestand des einheitlichen Schutzpflichtverhältnisses in der Lehre von Canaris Mit der Einordnung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in das von ihm entwickelte Institut der Vertrauenshaftung, hat Canaris noch keine Aussage über die Entstehung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung getroffen. Bei der Untersuchung der Ausgestaltung des Tatbestands des Schuldverhältnisses in der Konzeption von Canaris [b)] ist das Gesamtkonzept der Lehre von Canaris zu berücksichtigen [a)]. a) Canaris’ Lehre vom einheitlichen Schutzpflichtverhältnis Canaris geht davon aus, dass Pflichten zur Rücksichtnahme sowohl vor als auch nach Vertragsschluss aus einem einheitlichen gesetzlichen Schuldverhältnis herzuleiten sind, das er als einheitliches Schutzpflichtverhältnis bezeichnet.213 Unter Betonung der grundsätzlichen Verschiedenartigkeit der Schutzpflichten von den Leistungspflichten geht Canaris davon aus, dass alle Schutzpflichten „ihre Grundlage in einem einheitlichen Schutzverhältnis [ . . . ] finden.“214 Die Begründung des Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo sei der Beginn des „normalen“ Schuldverhältnisses, das vor der Entstehung von Leistungspflichten als SchutzverVgl. die Formulierung „vor allem“ in Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 107. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 540. 211 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 176. 212 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 52. 213 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 174. Ihm folgend etwa Lothar Müller, JuS 1998, S. 894, 897. 214 Vgl. Canaris, JZ 1965, S. 475, 479. 209 210

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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hältnis entstehe.215 Die verbreitete Auffassung, dass die Schutzpflichten vor Vertragsschluss aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis folgen und nach Vertragsschluss Pflichten aus einem vertraglichen Schuldverhältnis seien, ist nach Canaris abzulehnen.216 Das Schutzverhältnis sei gesetzlicher Natur und finde seine Rechtfertigung im „Vertrauensgedanken“. Grundlage sei zudem die Regelung des § 242 BGB.217 Mit der Vertrauenshaftung auf Grundlage des einheitlichen Schutzpflichtverhältnisses sei – so eine viel zitierte Aussage – eine „dritte Schiene“ der Haftung zwischen Vertrag und Delikt gefunden.218 b) Entstehung und Anwendungsbereich des Schutzpflichtverhältnisses in Canaris’ Lehre von der Vertrauenshaftung Das einheitliche Schutzpflichtverhältnis entsteht nach Canaris unabhängig vom Parteiwillen und findet seine „innere Rechtfertigung“ in der Gewährung in Anspruch genommenen Vertrauens.219 Ob die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen auch Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses ist, bleibt in den verschiedenen Schriften unklar. aa) Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal? So führt Canaris zwar einerseits an, der Rechtsgrund des Schutzpflichtverhältnisses sei die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen220 oder diese seien notwendige Voraussetzungen der Haftung221 bzw. der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes habe haftungsbegründende Wirkung.222 Andererseits finden sich in seinen Stellungnahmen gegenteilig zu deutende Aussagen dahingehend, dass Vertrauenshaftung nur innerhalb einer bestehenden Sonderverbindung stattfinde.223 Vgl. Canaris, JZ 1965, S. 475, 479. Vgl. Canaris, JZ 1965, S. 475, 479. 217 Vgl. Canaris, JZ 1965, S. 475, 479. 218 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 176 ff.; Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 84 ff., 102 ff. Vgl. dagegen Brüggemeier, AcP 182 (1982), S. 385, 423, der zwar im Falle der Verletzung von Integritätsinteressen ein gesetzliches Schutzpflichtverhältnis ebenfalls anerkennt, dieses aber als deliktisch einordnet. 219 Vgl. Canaris, JZ 1965, S. 475, 476. 220 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 538. 221 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 55. 222 Vgl. Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 107. 223 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 197. Bemerkenswert ist, dass Canaris eine Aussage mit dieser Deutlichkeit erst als Erwiderung auf Kritik im Jahre 2000 (!) getroffen hat. 215 216

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Die zuletzt genannte Aussage spricht alleinstehend dafür, dass die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen zur Entstehung des Schuldverhältnisses nicht erforderlich ist. Die anderen angeführten Aussagen lassen aber an dieser Aussage von Canaris zweifeln. Letztlich lassen seine Schriften Deutungen in beide Richtungen zu. Nimmt man an, dass Canaris der Auffassung ist, die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen sei zur Entstehung des Schuldverhältnisses nicht erforderlich, so steht dies – zumindest teilweise – im Widerspruch zu der Aussage, dass die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen möglicherweise pflichtenbegründend wirken könnte.224 Mit der Begründung von Pflichten würde dann aber wohl auch ein Schutzpflichtverhältnis im Sinne von Canaris entstehen. Unklar ist ferner die Beziehung zwischen Sonderverbindung und Schutzpflichtverhältnisses. Damit ist letztlich nicht eindeutig, ob die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen bei Canaris ein zur Entstehung des Schutzpflichtverhältnisses erforderliches Merkmal ist, obschon die letzten Stellungnahmen von Canaris dagegen sprechen. bb) Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr als Tatbestandsmerkmal Canaris hat weiter ausgeführt, dass es die Sonderverbindung der Beteiligten sei, die das notwendige Abgrenzungsmerkmal in der Frage, ob die Grundsätze der Vertrauenshaftung anwendbar seien oder nicht, darstelle.225 Eine Sonderverbindung entstehe durch die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr.226 Eine tatbestandliche Verbindung mit dem rechtsgeschäftlichen Bereich müsse bestehen, da die schadensersatzrechtlichen Rechtsfolgen identisch mit denen innerhalb eines bestehenden Vertrages seien.227 Diese tatbestandliche Verbindung hat Canaris zunächst in Anknüpfung an Larenz im geschäftlichen Kontakt gesehen.228 Später hat er die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr für maßgeblich erklärt.229 Durch die Voraussetzung der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr sei das einheitliche Schutzpflichtverhältnis damit zwingend und folgerichtig an den Bereich privatautonomen Handelns gebunden.230 Die Erforderlichkeit des Merkmals der Teilnahme am rechtsgeschäft224 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 57. Die Stellungnahme von Canaris an dieser Stelle ist allerdings nicht eindeutig. 225 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 196. 226 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 197. 227 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 197. 228 Vgl. Canaris, JZ 1965, S. 475, 479 und NJW 1964, S. 1987, 1988. 229 Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 197; ders., Vertrauenshaftung, S. 538 f., insbesondere Fn. 72. 230 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 538.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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lichen Verkehr leitet er dabei aus dem Verhältnis von Privatautonomie und Vertrauenshaftung ab.231

3. Die Legitimation des Schutzpflichtverhältnisses aus der Verknüpfung von Privatautonomie und Vertrauenshaftung in der Lehre von Canaris Neben der Legitimation des Schutzpflichtverhältnisses aus dem Vertrauen, bezieht Canaris auch den Gedanken der Privatautonomie als Legitimationsgesichtspunkt in seine Argumentation mit ein. Canaris sieht die Trennungslinie zwischen rechtsgeschäftlicher Bindung und Vertrauenshaftung im Tatbestandsmerkmal des Erklärungsbewusstseins im Rahmen der Willenserklärung.232 Liegt kein Erklärungsbewusstsein beim Handelnden vor, könne nicht von privatautonomer Selbstbestimmung bei der Gestaltung der Rechtsverhältnisse gesprochen werden.233 Der Gedanke der Selbstverantwortung ergänze allerdings die Selbstbestimmung.234 Bei einer Bindung des Handelnden auf Grund seiner Selbstverantwortung handle es sich aber eben nicht um eine Bindung kraft Rechtsgeschäft.235 Die Vertrauenshaftung, die eine Haftung „ex lege“ und nicht „ex voluntate“ sei236, übernehme eine Ergänzungsfunktion.237 Privatautonomes Handeln sei, so Canaris, stets auf die Regelung von Rechtsverhältnissen gerichtet. Daher gehe es immer um Einflussnahme auf für den Handelnden fremde Rechtskreise.238 Aus einer derartigen Einwirkungsmöglichkeit folge stets eine erhöhte Gefahrenlage für die Interessen der anderen Beteiligten.239 Diese erhöhte Gefahrenlage führe dann spiegelbildlich zu einer gesteigerten Verantwortlichkeit.240 Aus der Tatsache, dass die Rechtsordnung die privatautonome Gestaltungsfreiheit anerkennt, folge auch, dass die Rechtsordnung gewissermaßen im Ausgleich für die entstandenen Risiken Rechtspflichten schaffen müsse.241 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 538. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427; ders., FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 142. 233 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427 f. 234 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 428. 235 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 428. 236 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 428 f. 237 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440 ff. 238 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. 239 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. Damit knüpft Canaris an die grundlegenden Untersuchungen Heinrich Stolls an. Vgl dazu oben unter 1. Teil, C. I. 240 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. 241 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. 231 232

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Hier macht er den Vertrauensgedanken fruchtbar: Da die Gefahren des rechtsgeschäftlichen Handelns vor allem durch das „Verlassen“ auf Erklärungsakte und das „Anvertrauen“ von Rechtsgütern entstünden, sei klar, dass es die Vertrauenshaftung sei, die hier die privatautonome Selbstbindung ergänze.242 Nach Canaris handelt es sich bei der Vertrauenshaftung damit um ein Korrelat der privatautonomen Gestaltungsfreiheit.243

4. Der Tatbestand des Anspruchs in der Lehre von Canaris Während die Frage, ob Vertrauen in der Person der Beteiligten zur Entstehung des Schuldverhältnisses nach Canaris erforderlich sein soll, offen bleiben musste, ist auf Grund der Einordnung in seine Lehre von der Vertrauenshaftung klar, dass Vertrauen jedenfalls ein Tatbestandsmerkmal im Rahmen eines Schadenersatzanspruchs darstellen soll.244 Er nimmt an, dass es im Wesentlichen um zwei Tatbestandsmerkmale gehe: zum einen der Kenntnis des Anspruchstellers von dem Vertrauenstatbestand, zum anderen die Kausalität des Vorliegens des Vertrauenstatbestands für die Handlungen des Anspruchstellers.245 Ein Vertrauenstatbestand sei in jedem Sachverhalt zu sehen, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu erwecken.246 Als bedeutende Beispiele führt er Einträge im Handelsregister, aber auch mündliche Erklärungen oder Urkunden an.247 Vertrauen als psychische Tatsache müsse dabei nicht stets bewiesen werden. Es könne sich vielmehr auch um das Fehlen von Misstrauen handeln.248 Das sei schließlich die intensivste Form des Vertrauens.249 Es sei dann weiter zu prüfen, Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440. Zustimmend Hönn, S. 37. Damit knüpft Canaris letztlich an Ausführungen von Frotz an, die dieser allerdings gerade losgelöst von einer Begründung der Haftung oder der Entstehung des Schuldverhältnisses von Vertrauen konzipiert hatte. Vgl. dazu Frotz, Verkehrsschutz, und Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 173 ff. 244 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 56. 245 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 56. Für das Tatbestandsmerkmal der Kausalität sei auf Grund der Beweisschwierigkeiten mit einer „inneren Tatsache“ allerdings in der Regel eine Beweislastumkehr oder zumindest eine Beweiserleichterung anzunehmen. 246 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 491. 247 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 492. Die Beispiele beziehen sich im Wesentlichen auf die vertrauensrechtliche Erfüllungshaftung. Nach Canaris können diese aber auch – insbesondere in Form der mündlichen Erklärungen oder Urkunden – als Vertrauenstatbestand im Rahmen der vertrauensrechtlichen Schadensersatzhaftung dienen. Dies ergibt sich etwa aus Canaris’ Verweisen auf §§ 122, 179 BGB hinsichtlich der Bedeutung von Erklärungen als Vertrauenstatbestand. Siehe dazu ders., FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 172; ders., FS Schimansky, S. 43, 50. 248 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 56. 249 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 56. 242 243

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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ob das Vertrauen auch schutzwürdig ist.250 Der Bewertungsmaßstab für die Schutzwürdigkeit ergebe sich im Bereich der Schadensersatzhaftung aus §§ 122 Abs. 2, 179 Abs. 3 BGB bzw. aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB aF. Zuvor sei aber natürlich die Frage zu entscheiden, ob überhaupt ein objektiver Vertrauenstatbestand vorliege. Dies sei bei den gesetzlich geregelten Fällen klar. Bei den ungeschriebenen Tatbeständen der Vertrauenshaftung könne dies aber problematisch sein.251 Ein Sonderproblem sei es, wenn ein Beteiligter in Wirklichkeit misstrauisch sei, obwohl er eigentlich vertrauen durfte.252 In diesem Fall sei das Misstrauen nicht maßgeblich. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob die Kenntnis des Vertrauenstatbestandes kausal für sein Verhalten war.253 Dies folge aus der Tatsache, dass es dem Beteiligten nicht schaden dürfe, wenn er misstrauischer sei, als von der Rechtsordnung gefordert. Alles andere führe zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch.254 Für die erste Gruppe der Erklärungshaftung ist also zu fordern, dass der Anspruchsteller Kenntnis von der unzutreffenden Erklärung des anderen Beteiligten hat und dies kausal für das letztlich schädigende Ereignis war. Ob der Anspruchsteller tatsächlich auf die Richtigkeit der Erklärung des anderen Beteiligten vertraut, ist nach den zuvor dargestellten Ausführungen von Canaris wohl im Ergebnis irrelevant. Für die zweite Gruppe der Anvertrauenshaftung ist die Übertragung der zuvor dargestellten allgemeinen Ausführungen von Canaris zur Bedeutung von Vertrauen kaum möglich. Im Tatbestand wäre das Anvertrauen von Rechtsgütern an die Einwirkungsmöglichkeiten des anderen Beteiligten einzuordnen. Wie das Merkmal der Kenntnis des Vertrauenstatbestandes übertragen werden soll, bleibt unklar. Überträgt man es, so wird Kenntnis des Anvertrauens wohl stets vorliegen. Die Kausalität dieser Kenntnis als Merkmal ist dann sinnlos. Zu fragen wäre eher nach der Kausalität des Anvertrauens für den entstandenen Schaden.255 Dieses etwas verquere Ergebnis erscheint folgerichtig, da Canaris die beiden zuvor genannten Merkmale im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der vertrauensrechtlichen Erfüllungshaftung entwickelt hat.256 Vergleichbar mit dieser ist nach Canaris’ eigener Konzeption allenfalls noch die Schadensersatzhaftung in Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 57. Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 57. 252 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 57. 253 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 57. 254 Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 57. 255 Canaris nimmt zu diesem Problem keine Stellung. Einzig die Bemerkung, dass in der Unterkategorie der Anvertrauenshaftung eine nur lose Anknüpfung durch das „anvertrauen“ an den Vertrauensgedanken vorliege, mag so gedeutet werden. Sie kann das Problem der Bedeutung von Vertrauen im Tatbestand allerdings nicht auflösen. Es handelt sich offensichtlich – auch in Canaris’ Konzeption – um heterogene, nicht kompatible Tatbestände. 256 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 503 ff. 250 251

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Form der Erklärungshaftung, nicht aber die Schadensersatzhaftung in Form der Anvertrauenshaftung.257

5. Zusammenfassung: Vertrauen als Legitimation des Schuldverhältnisses und Tatbestandsmerkmal des Anspruches im Rahmen einer Haftung im rechtsgeschäftlichen Verkehr Zusammenfassend ist für Canaris die Entstehung des einheitlichen Schutzpflichtverhältnisses von zwei unterschiedlichen Faktoren abhängig. Zum einen – wohl in Anknüpfung an Ballerstedt258 – von der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen, zum anderen von der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr. Die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr nehme eine haftungsbegrenzende Funktion wahr, dem Vertrauensschutz komme eine haftungsbegründende Funktion zu.259 Unklar bleibt in seiner Darstellung, in welchem Verhältnis die beiden Merkmale der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr und der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen zueinander stehen. Sind diese kumulativ notwendig, um das einheitliche Schutzpflichtverhältnis zur Entstehung zu bringen? Oder handelt es sich etwa bei der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr nur um den Ausdruck der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen? Die Bedeutung von Vertrauen im Tatbestand des Schutzpflichtverhältnisses bleibt damit offen. Vertrauen nimmt in der Lehre von Canaris aber noch eine andere Funktion ein. Canaris nimmt an, dass Vertrauen als Tatbestandsmerkmal eines Anspruchs wegen der Verletzung von Pflichten im Rahmen von Vertragsverhandlungen erforderlich ist.260 Dieses vermeintliche Tatbestandsmerkmal wird allerdings von ihm selbst sinnentleert, wenn er es zunächst auf die Kenntnis eines Vertrauenstatbestands und die Kausalität dieser Kenntnis für den entstandenen Schaden reduziert, dann aber zumindest die Abwesenheit von Misstrauen fordert. In einem letzten Schritt will er selbst im Falle von positiv festgestelltem Misstrauen nicht zu einer Verneinung eines Anspruchs kommen: Damit ist das vermeintlich erforderliche Vertrauen im Tatbestand eines Anspruchs wegen Verletzung einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis i. S. d. § 311 Abs. 2 BGB letztlich nichts weiter als das unstreitig erforderliche Merkmal der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung des Schädigers und dem Schaden des anderen Beteiligten.261 257

Vgl. dazu auch Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 176; ders., 2. FS Larenz, S. 27,

107. Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. II. 2. Vgl. Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 107. 260 So dann auch ausdrücklich Canaris, FS Schimansky, S. 43, 56. 261 Vgl. dazu auch Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 169, insbesondere auch Fn. 46 und 47. Ähnliche Kritik findet sich auch bei Flume, AT, S. 129. 258 259

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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Weiterhin zieht Canaris Vertrauen als Legitimation für die Existenz des von ihm angenommenen einheitlichen Schutzverhältnisses heran. Er führt aus, dass dieses aus dem Vertrauensgedanken begründet sei. In der Ausweitung des Tatbestands der Lehre des geschäftlichen Kontakts auf die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr liegt eine wesentliche Erweiterung des Entstehungstatbestandes.262 Mit der durch Canaris ferner mit erheblichem Erfolg betriebenen Stützung eines Verständnisses der culpa in contrahendo als auf Vertrauen basierender Haftung hat er für Rechtsprechung und Rechtswissenschaft dogmatische Grundlagen zur Ausweitung der Haftung bereitgestellt. In der weiteren Entwicklung war dies von herausragender Bedeutung. Auf Grund seiner umfassenden Auseinandersetzung mit dem Gebiet wird kein anderer Autor bis heute so als Galionsfigur der Vertrauenshaftung angesehen. Bemerkenswert in der Zusammenschau der verschiedenen dogmatischen Ansätze ist, wie das Element der Rechtskreisöffnung in der Lehre von Heinrich Stoll in der Vertrauenshaftungstheorie von Canaris in die Anvertrauenshaftung transformiert wird. Mit der argumentativen Anleihe des Anvertrauenselements bei Dölle in Form des Anvertrauens von Rechtsgütern, ist der Gedanke der Rechtskreisöffnung als Anvertrauenshaftung bei Canaris wieder zu finden. Auch Canaris’ Ausführungen zur Einwirkung auf fremde Rechtskreise im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Privatautonomie und Vertrauenshaftung zeugen von der Wirkung der Lehre Heinrich Stolls. In Punkten der Unterscheidung einzelner Pflichten ebenso wie bei der Entwicklung des einheitlichen Schutzpflichtverhältnisses ist der Einfluss Heinrich Stolls nicht zu verkennen. Wiegt man die beiden Momente von Heinrich Stolls Lehre – zum einen die Vertrauensbeziehung der Beteiligten, zum anderen die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Schutzgüter des anderen Teils – in der Lehre von Canaris ab, so wird offenbar, wie durchschlagend der Gedanke einer Verknüpfung von culpa in contrahendo und Vertrauensbeziehung war. Der Moment der Rechtskreisöffnung tritt klar in den Hintergrund und übernimmt lediglich assistierende Funktionen.

VII. Vertrauenshaftung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes Nach diesem Überblick über die wesentlichen Strömungen der Vertrauenshaftungslehren soll in diesem Abschnitt untersucht werden, inwieweit Vertrauen in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs eine Rolle spielt. Dabei wird sich zeigen, dass Vertrauen sowohl vom Reichsgericht (1.) als auch vom Bundesgerichtshof (2.) zu verschiedenen Zwecken instrumentalisiert wird. Das sich abzeichnende Bild der Vertrauenshaftungslehren in der Rechtspre262

Siehe Canaris folgend etwa Nirk, FS Hauß, S. 267, 280.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

chung stimmt im Ergebnis mit der Lehre insoweit überein, als dass eine klare Linie kaum zu finden ist. Vor einer inhaltlichen Zusammenfassung und Würdigung (3.), sollen nun zunächst die Rechtsprechung von Reichsgericht (1.) und Bundesgerichtshof (2.) kurz skizziert werden.

1. Die Vertrauenshaftung und ihre Funktion für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts seit Inkrafttreten des BGB Das Reichsgericht, das bereits 1905 Ansprüche wegen Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme im Bereich von Vertragsverhandlungen für möglich hielt263, hatte schon in der berühmten Linoleumteppichentscheidung 1911 angenommen, dass durch Vertragsverhandlungen „ein den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis mit vertragsähnlichen Charakter“ zustande kommt.264 Mit dieser Entscheidung wurden erstmals Pflichten zur Rücksichtnahme auf die (absoluten) Rechtsgüter im Sinne von Erhaltungspflichten anerkannt.265 Nur ein Jahr später, 1912, beriefen sich die Richter des Reichsgerichts in der Luisinelichtentscheidung erstmals auf ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten, um eine Offenbarungspflicht (Aufklärungspflicht) zu begründen.266 Das Vertrauensverhältnis sah das Reichsgericht – in Anknüpfung an Leonhards Lehre vom Verschulden beim Vertragsschluss – als Folge des Vertrages, da Vertragsverhandlungen und Vertrag ein einheitliches Ganzes seien.267 In einem anderen Fall nahm das Reichsgericht an, dass ein „vertragsähnliches Vertrauensverhältnis“ durch Abgabe eines Vertragsantrags und dessen Empfang durch den anderen Beteiligten zustande komme.268 Vgl. RGZ 55, S. 17, 18 f. RGZ 78, S. 239, 240; vgl. dagegen noch RGZ 74, S. 124 ff. und RG, JW 1913, S. 23 ff. 265 Vgl. RGZ 78, S. 239, 240. Die Entscheidung wurde allerdings erst später in Retrospektive der culpa in contrahendo zugeordnet. Vgl. dazu unten unter Fn. 294. 266 Vgl. RG JW 1912, S. 743 ff. In dieser Entscheidung findet sich, wie etwa auch in RGZ 88, S. 103, 105, noch die lange weit verbreitete Unterscheidung zwischen der Lehre vom Verschulden beim Vertragsschluss bei zustande gekommenem Vertrag (nach Leonhard) unter Heranziehung des aus einem Vertrag folgenden Vertrauensverhältnisses und der Lehre von der culpa in contrahendo (nach Jhering). Vgl. dazu auch oben unter 1. Teil, B. II. Siehe ferner insgesamt auch Bohrer, S. 122. Erst in RGZ 95, S. 58, 60 stellt das Reichsgericht dann erstmals eine klare Verbindung zwischen den beiden Lehren her und bezeichnet die Haftung im Falle eines zustande gekommenen Vertrages als auch die Haftung im Falle eines nicht zustande gekommenen Vertrages einheitlich. In der Folge werden beide Lehren nicht mehr voneinander getrennt behandelt. Vgl. etwa RGZ 98, S. 325, 327 und S. 336, 339; 104, S. 265, 267 f. Die noch in RGZ 88, S. 103, 105 ausgesprochene Beschränkung der Haftung auf die Fälle des in Folge eines Vertrages entstandenen Vertrauensverhältnisses wurde allerdings erst in RGZ 107, S. 357, 362 ausdrücklich aufgegeben. 267 Vgl. RG JW 1912, S. 743 ff. 268 Vgl. RGZ 107 S. 240, 242. 263 264

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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In einem bald darauf erlassenen Urteil führt das Reichsgericht aus, dass „jeder Teil darauf vertrauen“ können muss, „dass seine Vertragsinteressen nicht gegen Treu und Glauben von dem anderen Teile missachtet wurden.“269 Im Übrigen wurde von der reichsgerichtlichen Rechtsprechung später zumeist ohne weitere Begründung angenommen, dass Pflichten schon im Rahmen von Vorverhandlungen bzw. beim Abschluss eines Vertrages bestünden.270 In der Folge setzte sich auch der Schutz des Integritätsinteresses bereits durch vorvertragliche Pflichten durch271, auch wenn noch nicht von einer Anerkennung von Schutzpflichten neben den ohne weiteres anerkannten Aufklärungspflichten gesprochen werden konnte. Erst 1926 nahm das Reichsgericht explizit Stellung zur Frage der Entstehung des Schuldverhältnisses ebenso wie zur Beurteilung der Legitimation der Haftung.272 Die Verpflichtung gegenüber dem anderen Beteiligten folge „aus einem durch die Vertragsverhandlungen als solche begründeten Rechtsverhältnis“.273 Zusätzlich zieht das Reichsgericht dann den schwebend unwirksamen Vertrag als Begründung für das Entstehen des Schuldverhältnisses heran.274 Beginnend mit einer Entscheidung vom 1. März 1928 hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts dann ihre abschließende Formulierung gefunden.275 Demnach würden „schon bloße Vertragsverhandlungen selbst dann, wenn sie nicht zum Vertragsschluss führen, ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis unter den Beteiligten erzeugen, das sie zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verpflichtet.“276 In der darauf folgenden Rechtsprechung findet sich dann nur noch die formelhafte Wiederholung dieser Feststellung277, zumeist verbunden mit einem Hinweis darauf, dass die Haftung für Verschulden beim Vertragsschluss oder culpa in contrahendo278 seit langem in der Rechtsprechung des Reichsgerichts anerkannt sei.279 Im Übrigen finden sich teilweise Ausführungen dahingehend, dass dem auf Vgl. RGZ 95, S. 58 , 60. Vgl. RGZ 98, S. 325, 327 und S. 336, 339; 103, S. 47, 49 ff. 271 Vgl. RGZ 108, S. 408 ff.; 93, S. 163 ff. Auch in der Linoleumrollenentscheidung (RGZ 78, S. 239 ff.) könnte man bereits von einer Anerkennung des Schutzes des Integritätsinteresses sprechen – der Bezug zu einem Schuldverhältnis in der Fallgruppe der culpa in contrahendo war hier allerdings noch nicht hergestellt. In RGZ 114, S. 16, 18 wird der Fall dann aber in Retrospektive der Fallgruppe der culpa in contrahendo zugeordnet. 272 Vgl. RGZ 114, S. 155 ff. 273 RGZ 114, S. 155, 159. 274 RGZ 114, S. 155, 159. 275 Vgl. RGZ 120, S. 249 ff. 276 RGZ 120, S. 249, 251. 277 Vgl. RGZ 162, S. 129, 156; 159, S. 33, 54 f. 278 Der Gebrauch beider Bezeichnungen dürfte in der früheren Unterscheidung der Lehren Jherings und Leonhards begründet sein. Siehe dazu oben unter Fn. 111 und 121. 279 Vgl. RGZ 151, S. 357, 358; 143, S. 219, 222; 162, S. 129, 156; 132, S. 76, 79; 159, S. 33, 54 f. 269 270

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die Gültigkeit des Vertrages Vertrauenden Schadensersatz zu leisten sei280 bzw. dass der in Folge dieses Vertrauens erlittene Schaden zu ersetzen sei.281 Das Reichsgericht hat mit seiner Entscheidung in RGZ 120, S. 249 ff. Abschied von der noch in der Luisinelichtentscheidung vertretenen Lehre, dass es sich letztlich um das Vertragsverhältnis handelt, welches verpflichtet, genommen. In Übereinstimmung mit der Lehre Heinrich Stolls wird angenommen, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien die Folge der Eröffnung von Vertragsverhandlungen sei. Funktion dieses Vertrauensverhältnisses ist die Bestimmung der Frage, ob und in welchem Umfang Pflichten zwischen den Beteiligten bestehen, nicht aber die Beantwortung der Frage nach der Entstehung oder Nichtentstehung des Schuldverhältnisses. In eben dieser Entscheidung nimmt das Reichsgericht auch erstmals an, dass den Vertreter eine Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo selbst treffen kann.282 Voraussetzung sei aber, dass dieser als procurator in rem suam anzusehen sei und lediglich aus formalen Gründen in fremden Namen auftrete.283 Auffallend ist, dass das Reichsgericht zu keinem Zeitpunkt seine Annahme, dass durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ein Schuldverhältnis entsteht, begründet hat. Die Richter des Reichsgerichtes ziehen sich allein auf die Aussage zurück, dass dies allgemein anerkannt sei.284 2. Die Vertrauenshaftung und ihre Funktion für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Dieses uneinheitliche, wenig stimmige Bild setzt sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fort. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat mit einem Urteil aus dem Jahr 1952 an die vorhergehende Rechtsprechung des Reichsgerichtes angeknüpft und festgestellt, dass die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss aus einem in Ergänzung des geschriebenen Rechts geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis folgt.285 Dieses entstehe mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen und verpflichte zur verkehrsüblichen Sorgfalt im Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegner.286 Die Wendung des Reichsgerichts, dass durch Vertragsverhandlungen ein 280 In RGZ 143, S. 219, 222 ist dagegen von der unbegründet erweckten Hoffnung auf die Möglichkeit eines Geschäftsabschlusses die Rede. 281 Vgl. RGZ 151, S. 357, 358. 282 Vgl. RGZ 120, S. 249, 254. 283 Vgl. RGZ 120, S. 249, 253; später auch 132, S. 76, 81; und 159, S. 33, 54. 284 Vgl. RGZ 151, S. 357, 358; 143, S. 219, 222; 162, S. 129, 156; 132, S. 76, 79; 159, S. 33, 54 f. 285 Vgl. BGHZ 6, S. 330, 333. 286 Vgl. BGHZ 6, S. 330, 333.

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vertragsähnliches Vertrauensverhältnis entsteht, wurde unkommentiert weiter verwendet.287 Damit war die Funktion des Vertrauens im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo zunächst auf die Entscheidung über Fragen der Pflichtenbegründung und des Pflichtenumfangs beschränkt – ebenso wie schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts.288 Die Charakterisierung des durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen entstehenden Schuldverhältnisses als Vertrauensverhältnis blieb zunächst folgenlos. 1961, in der bekannten Bananenschalenentscheidung, erweiterte der Bundesgerichtshof schließlich erstmals ausdrücklich die den Beteiligten im Rahmen des Schuldverhältnisses in der Fallgruppe der culpa in contrahendo auferlegten Pflichten um Erhaltungspflichten zum Schutz von Rechtsgütern.289 In einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung bezeichnete der Bundesgerichtshof schließlich auch das Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter290 als vertragsähnliches Vertrauensverhältnis.291 Als zumindest der culpa in contrahendo ähnlicher Fall wurde auch die dauernde Geschäftsbeziehung als Vertrauensverhältnis anerkannt.292 Dem Vertrauen wurde dann später eine weitere Funktion zugewiesen. Nachdem die Richter des höchsten deutschen Zivilgerichtes Vertrauen zur Entstehung des Schuldverhältnisses in Fällen der Vertretereigenhaftung herangezogen hatten293, wurde dieser Gedankengang auch auf den Normalfall der Zwei-Personen-Beziehung übertragen.294 In den Fällen der Vertreter- oder Sachwaltereigenhaftung ist nach Ansicht des BGH erforderlich, dass der Vertreter besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt.295 Dieses könne in der außergewöhnlichen Sachkunde, persönlichen Zuverlässigkeit oder einer eigenen Einflussmöglichkeit auf die VertragsabwickVgl. BGH NJW 1960, S. 720, 721; BGHZ 47, S. 207, 211. Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. VII. 1. 289 Vgl. BGH NJW 1962, S. 31, 32. In der Entscheidung RGZ 78, S. 239 ff. waren derartige Pflichten den Beteiligten noch nicht ausdrücklich auferlegt worden. Diese ist erst im Nachhinein in der Rechtsprechung des Reichsgerichts in die Fallgruppe der culpa in contrahendo übernommen worden. In den anderen Entscheidungen des Reichsgerichts war der Schutz der Rechtsgüter eher nebenher behandelt worden. Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. VII. 1. 290 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, B. I. 3. 291 Vgl. BGHZ 21, S. 102, 107. Einige Obergerichte sind allerdings gefolgt. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, B. I. 3. 292 Vgl. BGHZ 13, S. 198, 200 (noch vage); 49, S. 167, 168 (deutlich). 293 Vgl. BGHZ 56, S. 81, 83 ff. 294 Vgl. BGHZ 63, S. 221, 223 ff. 295 Vgl. BGHZ 56, S. 81, 85. 287 288

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lung begründet werden.296 In einer anderen Formulierung haben die Richter des BGH die Formel geschaffen, dass der Vertreter eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität und Erfüllung des Geschäfts bieten müsse.297 Daneben hat der BGH – gewissermaßen als objektiven Grund – angenommen, dass das besondere wirtschaftliche Eigeninteresse am Vertragsschluss zur Eigenhaftung des Vertreters führen könne.298 Als Fallgruppe des besonderen wirtschaftlichen Eigeninteresses war neben der Eigenhaftung des Gebrauchtwagenhändlers, der als Vertreter des Verkäufers auftritt und dem Vertragsgegenstand besonders nahe steht299, lange Zeit insbesondere die Haftung des Gesellschaftergeschäftsführers anerkannt.300 Bereits 1985 schränkte das Gericht diese Fallgruppe aber dahingehend ein, dass allein das persönliche wirtschaftliche Interesse des Gesellschaftergeschäftsführers nicht mehr ausreichen solle.301 Hinzutreten müsse vielmehr ein zweites Moment, wie etwa die Übernahme unbeschränkter selbstschuldnerischer Bürgschaften für die Verbindlichkeiten der GmbH. Denkbar sei auch ein Tätigwerden des Geschäftsführers, das allein auf die Betätigung von Schäden abziele, für die er ansonsten persönlich haftbar gemacht werden könne.302 In einer weiteren Entscheidung schränkte der Bundesgerichtshof die Fallgruppe nochmals ein und machte deutlich, dass auch die finanzielle Verknüpfung von Geschäftsführer und GmbH über persönlich übernommene Verbindlichkeiten nicht mehr grundsätzlich zur Bejahung der Eigenhaftung ausreichen soll.303 Hinzutreten muss nach dem heutigen Stand der Rechtsprechung im Grunde ein Tätigwerden in eigener Sache durch den Gesellschaftergeschäftsführer.304 Eine Übertragung auf Zwei-Personen-Beziehungen erfolgte in einem Fall einer öffentlich-rechtlichen Ausschreibung. Der Bundesgerichtshof nahm an, dass während des Ausschreibungsverfahrens zwischen den Beteiligten ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis entstehe.305 Ein Anspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss folge aus dem besonderen Vertrauen des Beteiligten, der sich zum Zwecke von Vertragsverhandlungen in den Einflussbereich des anderen Beteiligten begebe. Die Rechtfertigung hierfür sieht der BGH in den aus dem Vertrauen sowie dem Gebot von Treu und Glauben folgenden Verhaltenspflichten. 306 Der Anspruch Vgl. BGHZ 56, S. 81, 85. Vgl. BGH ZIP 2003, S. 571, 573; BGHZ 88, S. 67, 69. 298 Vgl. BGHZ 14, S. 313, 318. 299 Vgl. etwa BGHZ 87, S. 302, 304. 300 Vlg. etwa BGHZ 87, S. 27, 33. 301 Vgl. BGH NJW 1986, S. 586 ff. 302 Vgl. BGH NJW 1986, S. 586, 588. 303 Vgl. BGHZ 126, S. 181 ff.; in diesem Zusammenhang sind auch die Beschlüsse des BGH in ZIP 1993, S. 763 und NJW 1993, S. 2391 bedeutsam, die eine Wende in der Rechtsprechung zur Haftung des Gesellschaftergeschäftsführers einläuteten. 304 Vgl. BGHZ 126, S. 181, 185. 305 Vgl. BGHZ 49, S. 77, 79; VersR 1966, S. 630 ff. 306 Vgl. BGHZ 63, S. 221, 224. 296 297

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folge damit also aus dem Erfordernis eines Vertrauensschutzes.307 Das Rechtsverhältnis entstehe durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen.308 Teilweise wird hier also eine haftungsbegründende Funktion des Vertrauens wie in den Fällen der Vertretereigen- bzw. Sachwalterhaftung angedacht. Insoweit sind die Grundsätze übertragen worden. Im Ergebnis bleibt aber unklar, welche Funktion das Vertrauen einnimmt. An anderer Stelle in derselben Entscheidung ist die Rede von einem Anspruch in Folge enttäuschten Vertrauens.309 Zum einen wird Vertrauen als Rechtfertigung der Haftung im Rahmen von Vertragsverhandlungen herangezogen; zum anderen wird ausgeführt, dass das „Vertrauensschutz fordernde Rechtsverhältnis“ durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen entstehe. In weiteren Entscheidungen bleibt das Verhältnis zwischen der Aufnahme von Vertragsverhandlungen als notwendigem Merkmal zur Entstehung des Schuldverhältnisses und einem wie auch immer ausgestalteten Vertrauensmerkmal dunkel.310 So stellt der BGH in einem Urteil aus der Fallgruppe des Abbruchs von Vertragsverhandlungen darauf ab, „dass der andere Teil berechtigterweise auf das Zustandekommen des Vertrags mit dem ausgehandelten Teil vertrauen durfte und vertraut hat.“311 An wieder anderer Stelle weist der Bundesgerichtshof das Vorbringen des Klägers zurück, da es an der Grundlage für eine Haftung aus einem Verschulden bei Vertragsschluss fehle, dem enttäuschten Vertrauen.312 In der berühmten Gemüseblattentscheidung schließlich, in der die Richter des Bundesgerichtshofs das Konstrukt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter mit dem Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo verbinden, wurde Stellung bezogen. Zur Begründung des Schuldverhältnisses reiche die Aufnahme von Vertragsverhandlungen aus.313 Darüber hinaus wird dann auch die Anbahnung von Vertragsverhandlungen bzw. der geschäftliche Kontakt als genügend bezeichnet.314 Die Haftung wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem durch die Anbahnung oder Aufnahme von Vertragsverhandlungen entstandenen Schuldverhältnis, wird allerdings durch die Heranziehung von Vertrauen gerechtfertigt.315 Der Geschädigte habe sich in den Einflussbereich des anderen Teils begeben und dabei redlicherweise auf die gesteigerte Sorgfalt des anderen Beteiligten vertrauen können.316 Vgl. BGHZ 63, S. 221, 224. Im konkreten Fall durch die Ausschreibung der Bauleistungen und die Abgabe des Angebotes durch den anderen Beteiligten. Vgl. BGHZ 63, S. 221, 224. 309 Vgl. BGHZ 63, S. 221, 226 unter zweifelhafter Bezugnahme auf RGZ 120, S. 249 ff. Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. VII. 1. 310 Vgl. BGH LM 28 zu § 276 BGB. 311 Vgl. BGH LM 28 zu § 276 BGB. 312 Vgl. BGH NJW 1976, S. 892, 893. 313 Vgl. BGHZ 66, S. 51, 54. 314 Vgl. BGHZ 66, S. 51, 58. Der Bundesgerichtshof bezieht sich ausdrücklich auf die verschiedenen Stellungnahmen von Larenz. 315 Vgl. BGHZ 66, S. 51, 54. 307 308

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Erstaunlicherweise ist diese Entscheidung zur Haftung in den Warenhausfällen recht vereinzelt geblieben.317 In vielen weiteren Entscheidungen hat die Rechtsprechung die Haftung als Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch den Warenhausinhaber bejaht.318 Teilweise sehen die Gerichte dann insgesamt davon ab, überhaupt eine Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo zu prüfen.319 In anderen Entscheidungen werden dagegen beide Haftungssysteme gleichberechtigt behandelt.320 Die Grundsatzentscheidungen des RG ebenso wie des BGH dahingehend, dass die Fallgruppe der culpa in contrahendo auch in so genannten Vertragsanbahnungsfällen bzw. im Rahmen geschäftlicher Kontakte anwendbar ist, sind dennoch bis heute nicht aufgehoben worden. Zu bedenken ist auch, dass die Entscheidung in BGHZ 66, 51 (Gemüseblattfall) trotz einer zu diesem Zeitpunkt bereits existenten Linie von Urteilen, die auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten abstellen, eine Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo bejaht hat.321 Im Rahmen der sog. bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung haben die Richter des BGH einen weiteren Vertrauensbegriff begründet:322 das typisierte Vertrauen. Die Prospekthaftungsgrundsätze knüpfen, so der BGH, an ein typisiertes Vertrauen des Anlegers auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der von den Prospekthaftungsverantwortlichen gemachten Angaben an.323 In den Fällen bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung sei davon auszugehen, dass der Anleger typischerweise den Prospektverantwortlichen Vertrauen schenkte.324 Auch hierbei handle es sich um einen Fall der Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss.325 Kenntnis von den Vgl. BGHZ 66, S. 51, 54. Vgl. aber zuletzt wieder LG Trier, NJW-RR 2006, S. 525 ff. 318 Vgl. BGH, VersR 1966, S. 1190 f.; VersR 1968, S. 993 f.; NJW 1986, S. 2757 f.; NJW 1994, S. 2617 f. bei teilweise missverständlichem Gebrauch der Begriffe Sorgfaltspflicht und Verkehrssicherungspflicht; ebenso OLG Nürnberg, LRE 34, S. 236 ff.; AG Marbach, MDR 1986, S. 406; mit klarer Terminologie OLG Karlsruhe, MDR 2005, S. 92 f.; OLG Hamm, BB 1992, S. 1957 f.; AG Menden, NJW-RR 2003, S. 385 f.; OLG Hamm, VersR 1995, S. 187; VersR 1973, S. 1072 f.; OLG Hamburg, VersR 1972, S. 650 f.; OLG München, VersR 1974, S. 268; zum Ganzen auch von Bar, Verkehrspflicht, S. 248 ff. 319 Vgl. BGH, VersR 1966, S. 1190 f.; VersR 1968, S. 993 f.; NJW 1994, S. 2617 f.; OLG Nürnberg, LRE 34, S. 236 ff.; AG Marbach, MDR 1986, S. 406; OLG Karlsruhe, MDR 2005, S. 92 f.; OLG Hamm, BB 1992, S. 1957 f.; OLG Hamm, NJW-RR 2002, S. 171; AG Menden, NJW-RR 2003, S. 385 f.; OLG Hamm, VersR 1995, S. 187; VersR 1973, S. 1072 f. 320 So BGH, VersR 1969, S. 850 f.; NJW 1986, S. 2757 f.; LG Berlin, NJW 1961, S. 1926 f.; OLG Hamburg, VersR 1972, S. 650 f.; OLG München, VersR 1974, S. 268. 321 Darauf weist auch Hohloch, JuS 1977, S. 302, 304, hin. 322 Der Anwendungsbereich der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung ist allerdings mit Inkraftfttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes erheblich eingeschränkt worden. Durch die Änderung von § 8 f. des Verkaufsprospektgesetzes sind nunmehr fast alle Anlageformen durch die spezialgesetzliche Prospekthaftung des Verkaufsprospektgesetzes erfasst. 323 Vgl. BGH NJW 1993, S. 2865. 324 Vgl. BGH NJW 1978, S. 1625 ff. 316 317

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Verantwortlichen sei nicht erforderlich.326 Mit dieser letzten Steigerung des Vertrauensbegriffs in der Rechtsprechung ist die Loslösung von tatsächlichem Vertrauen in der Rechtsprechung abgeschlossen. Tatsächlich hatte der BGH schon früher davon Abstand genommen, Vertrauen als psychologisches Faktum positiv in der Person des Anspruchstellers als Tatbestandsmerkmal vorauszusetzen.327 Damit kann zusammenfassend festgehalten werden, dass die Bedeutung von Vertrauen bzw. einer Vertrauenshaftung für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo insgesamt mehrdeutig ist. Der Bundesgerichtshof hat zu keinem Zeitpunkt eine begründete Stellungnahme zur Bedeutung des Vertrauens oder zur Rechtfertigung der Entstehungsmerkmale des Schuldverhältnisses abgegeben. Insbesondere die Anknüpfung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts entbehrt jeden Erklärungswertes: Schon das Reichsgericht hatte eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Fragen gemieden.328 Aus dem Zusammenhang der spärlichen, vereinzelten Bemerkungen in den Urteilen lässt sich dann aber doch das folgende Bild zeichnen: Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo entsteht durch die Aufnahme bzw. die Anbahnung von Vertragsverhandlungen im Sinne eines die Vertragsverhandlungen vorbereitenden geschäftlichen Kontaktes. Gerechtfertigt ist die Haftung – nach der Vorstellung des Bundesgerichtshofes – durch das Begeben in den Einflussbereichs des anderen Teils sowie das (rechtmäßige) Vertrauen, dass der andere Beteiligte mit gesteigerter Sorgfalt handelt. Nur in den Fällen der Sachwalterhaftung und möglicherweise in den Ausschreibungsfällen,329 ist in der Anspruchnahme von (besonderem persönlichen) Vertrauen ein Teil des Entstehungstatbestandes des Schuldverhältnisses zu sehen.

3. Zusammenfassung: Multifunktionale, aber uneinheitliche Bedeutung von Vertrauen in der Rechtsprechung Betrachtet man die Rechtsprechung von Reichsgericht und Bundesgerichtshof, so bietet sich ein uneinheitliches, ja konfuses Bild. Hatte das Reichsgericht – immerhin insoweit konsequent – das Vertrauen nur zur Charakterisierung des Schuldverhältnisses und Bestimmung des Umfangs bzw. der Existenz von Pflichten herangezogen, so fächert sich die Anwendung von Vertrauen beim Bundesgerichtshof auf. Fanden sich schon in der Rechtsprechung des Reichsgerichts unklare Aussagen zur Bedeutung von Vertrauen (etwa in Form des 325 Vgl. etwa BGH NJW 1978, S. 1625; NJW 1981, S. 1449, 1450; NJW 1982, S. 1514 ff.; NJW-RR 1991, S. 1246 ff. 326 Vgl. BGH NJW 1979, S. 71; NJW 1981, S. 1449, 1450. 327 Darauf weist schon Daum, NJW 1968, S. 372, 375 f., hin. 328 Vgl. dazu schon oben unter 1. Teil, C. VII. 1. 329 Die Formulierungen sind aber auch dort nicht eindeutig.

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Vertrauens auf die Gültigkeit des Vertrages oder auf die Nichtmissachtung der eigenen Interessen durch den anderen Beteiligten), so ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Bedeutung noch stärker verwischt. Vertrauen scheint multi-funktional einsetzbar geworden zu sein. Es dient zur Bestimmung des Pflichtenumfanges bzw. der Beantwortung der Frage, ob Pflichten entstehen, ebenso wie zur Begründung des Entstehens des Schuldverhältnisses in den Fällen der Vertretereigenhaftung oder im Zusammenhang mit den dargestellten Ausschreibungsfällen. Bedenklich erscheint in diesem Zusammenhang nicht nur, dass weder das Reichsgericht noch der Bundesgerichtshof zu irgendeinem Zeitpunkt eine Begründung dieser Verwendung des Vertrauens gegeben haben, sondern auch, dass – ohne weitergehende Reflektion – Vertrauen zum gerade für opportun gehaltenen Zweck benutzt wird.330 Dabei ist insbesondere die unterschiedliche Verwendung von Vertrauen in der „normalen“ Zwei-Personen-Beziehung (Rechtfertigung und Pflichtenbegründung sowie in unklaren Fällen Entstehung des Schuldverhältnisses) gegenüber der Verwendung bei Einbeziehung des Vertreters (in erster Linie Entstehung des Schuldverhältnisses) bedenklich. Man sollte sich an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass es sich – auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofes – um denselben Typus eines Schuldverhältnisses handeln soll. Dieses wird jedoch in der Vorstellung des Bundesgerichtshofes durch grundsätzlich unterschiedliche Tatbestände begründet. Die Fragwürdigkeit von Kategorien wie der eines typisierten Vertrauens ist damit noch gar nicht angesprochen. Bei der Lektüre der jeweiligen Urteile drängt sich der Gedanke auf, dass gerade die Dehnbarkeit des Vertrauensbegriffs dafür verantwortlich ist, dass eine Vielzahl von Tatbeständen – insbesondere die der Prospekthaftung nach culpa in contrahendo-Grundsätzen – überhaupt als solche qualifiziert werden. Insgesamt kann daher nur festgestellt werden, dass die Bedeutung von Vertrauen für die Begründung des Schuldverhältnisses in der Rechtsprechung vage bleibt und darüber hinaus jeder Begründung entbehrt. Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zufolge soll Vertrauen im Normalfall rechtfertigende und pflichtenbegründende bzw. konkretisierende Funktionen einnehmen. In den Fallgruppen der Vertretereigenhaftung bzw. den Ausschreibungsfällen soll hingegen die Begründung des Schuldverhältnisses aus diesem folgen.

330 Vgl. auch die unter dem Gesichtspunkt der Gefahr einer Billigkeitsrechtsprechung kritischen Anmerkungen von Nirk, 2. FS Möhring, S. 70, 98 f.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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VIII. Resümee: Die Wirkungsmacht eines unscharfen Rechtsbegriffs oder die Ungeeignetheit von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal und Legitimationsmoment des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Trotz der hier unter C. vorgenommenen groben Einteilung bleibt das Feld der Vertrauenshaftungslehren letztlich unübersichtlich. Dem Leser stellt sich bei allen Lehren immer wieder die Frage, ob Vertrauen für die Entstehung des Schuldverhältnisses oder immerhin im Rahmen des Tatbestandes eines aus diesem folgenden Schadensersatzanspruches erforderlich ist. Bei nahezu allen Verfassern fehlt es an der letzten Klarheit über die Frage, ob bzw. in welcher Form Vertrauen im Tatbestand eines Anspruchs bzw. zur Entstehung des Schuldverhältnisses erforderlich sein soll. In der Vertrauenshaftungslehre wird schließlich kaum sauber zwischen einer Rechtfertigungs- und Tatbestandsebene unterschieden.331 Insgesamt ist das Feld der Vertrauenshaftungslehren auch zu heterogen, um genau diese Fragen beantworten zu können. Das wird auch die nachstehende Gesamtwürdigung der Lehren zeigen. Die Darstellung und Untersuchung der weit verzweigten Lehren der Vertrauenshaftung und der letztlich in großen Teilbereichen korrespondieren Rechtsprechung von Reichsgericht und Bundesgerichtshof hat vor allen Dingen auch eins gezeigt: Beginnend mit der Lehre Heinrich Stolls hat das Vertrauen in den verschiedensten Funktionen im Dunstkreis der Fallgruppe der culpa in contrahendo einen wohl einzigartigen Siegeszug332 in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft angetreten.333 Dieser Siegeszug hat im Wesentlichen einen Grund: Mit der Verwendung des Vertrauensbegriffs in den unterschiedlichsten Variationen und abenteuerlich vagen Umschreibungen wurde insbesondere der Rechtsprechung, aber auch der Literatur ein Begriff an die Hand gegeben, der nahezu unmöglich klar zu erfassen ist.334 Diese Unschärfe des Begriffs hat dazu geführt, dass letztlich kaum klar ist, wann Vertrauen in welcher Form erforderlich ist – und was genau von dem Terminus umfasst sein soll.335 Dies ist einer, aber nicht der So auch Fredy Müller, S. 111; Loges, S. 27. Vgl. ähnlich Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 419, der von einem „epidemischen Vordringen“ spricht und an anderer Stelle das „Wuchern“ der Lehre betont. Vgl. zudem auch Picker, FS Medicus, S. 397, 415 und Medicus, JuS 1975, S. 209, 214, der von einer „übermäßig wuchernden“ culpa in contrahendo spricht. Hohloch, NJW 1979, S. 2369 betont die „schillernde Vieldeutigkeit“. 333 Vertrauen wurde auch früher im Rahmen der Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo immer wieder herangezogen. Vgl. Jhering, JhJb. 4 (1861), S. 1, 2 oder etwa Hildebrandt, S. 125. Erst mit der Einstufung des Schuldverhältnisses als „Vertrauensverhältnisses“ in der Lehre Heinrich Stolls begann aber die umfassende Verwendung von Vertrauen in diesem Zusammenhang. 334 Vgl. dazu auch Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 410, der auf die signifikanten Schwierigkeiten der Lehre mit ihren eigenen Termini hinweist. 331 332

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einzige Grund, der gegen die Utilitarisierung eines letztlich vor allem im psychologischen Umfeld und in Alltagssituationen gebrauchten Begriffs spricht. Weitere erhebliche Gründe sprechen gegen die Vertrauenshaftungslehren. Im Folgenden soll nach einer kurzen Begriffsbestimmung (1.) genauer dargelegt werden, warum Vertrauen sowohl als Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses (2.), als auch als Legitimationsargument für das Schuldverhältnis ungeeignet ist (3.). Eine kurze Zusammenfassung schließt das Unterkapitel (4.). 1. Vertrauen: Eine Begriffsbestimmung Vertrauen unterliegt einer Vielzahl soziologischer, psychologischer und philosophischer Deutungen ebenso wie einer kaum überschaubaren Anzahl unterschiedlicher Verwendungen im Alltag.336 Ursprünglich aus dem mittelhochdeutschen „truwen“ (trauen) entwickelt337, wird Vertrauen allgemein als Alltagsphänomen und nicht als wissenschaftlicher Begriff gesehen.338 In der Wissenschaft sind dennoch verschiedenste Bedeutungen von Vertrauen herausgearbeitet worden.339 So sehen etwa Busse / Schierwagen unter anderem folgende Bedeutungen des Vertrauensbegriffs: Vertrauen als positive Erwartung gegenüber einem anderen, Vertrauen als Tragen des Risikos bei der Gewissheit und Ungewissheit eigenen und fremden Handelns, als sittlich-moralische Norm und die Einbindung der Person an Personen, Autoritäten, Institutionen und Gott durch Vertrauenserwartungen.340 Vertrauen wird auch im Sinne der Bezeichnung des vernünftigen Maßes zwischen „blindem“ Vertrauen und Misstrauen benutzt.341 In der Philosophie ist Vertrauen in vielfältiger Weise erfasst worden.342 Bei Thomas von Aquin wird Vertrauen zu anderen Menschen ebenso wie Vertrauen zur 335 Auch Hopt, AcP 183 (1983), S. 608, 642, weist auf die Gefahren des Fehlgebrauchs einer Vertrauenshaftung als „theoretisch-dogmatische“ Allzweckwaffe hin, ohne allerdings die Vertrauenshaftung generell in Frage zu stellen. 336 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung, dass etymologisch ein ganzes Bedeutungsnetz von verwandten und ähnlichen Begriffen zum Vertrauen zu finden ist. Vgl. Busse / Schierwagen, Enzyklopädie, S. 719. Vgl. aber z. B. auch die Übersicht von Petermann über die diversen Definitionen von Vertrauen in der Psychologie. Petermann, S. 11. 337 Vgl. Duden, Herkunftswörterbuch, Etymologie der deutschen Sprache, S. 861. 338 Vgl. Busse / Schierwagen, Enzyklopädie, S. 719. 339 Vgl. zu verschiedenen Bedeutungen des Vertrauensbegriffs auch Eichler, insbesondere S. 3 ff.; und Hartmann / Offe. Vgl. auch Köndgen, S. 115, der hervorhebt, dass bereits die umgangssprachliche Wortbedeutung äußerst vage ist. 340 Vgl. Busse / Schierwagen, Enzyklopädie, S. 719 f. 341 Vgl. Busse / Schierwagen, Enzyklopädie, S. 720. 342 Einen umfassenderen Überblick gibt Gloyna, Historisches Wörterbuch, Sp. 986 ff.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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eigenen Person als durch Erfahrungswissen bestärkte Hoffnung auf die Erfüllung von erwarteten Zuständen in der Zukunft gesehen.343 Hobbes sieht Vertrauen – ebenso wie Fichte – auch als notwendige Bedingung für Verträge.344 Kant sieht in der moralischen Freundschaft eine Beziehung völligen Vertrauens zwischen zwei Personen bei wechselseitiger Mitteilung von Empfindungen und Urteilen.345 Die bestehende Diskretion im Vertrauen zwischen den Menschen interpretiert er als einen Vertrag der Sicherheit.346 Bei Fichte wird Vertrauen für alle interpersonellen Beziehungen und Verträge im häuslichen Bereich maßgeblich.347 Konträr dazu sei der Staat auf Misstrauen aufgebaut.348 Ferner sei Vertrauen in Form des Vertrauens in die Erfüllung eines Vertrages aber auch – so Fichte – Bedingung für alle Verträge.349 In der Soziologie hat Simmel eine Definition von Vertrauen versucht. Simmel sieht Vertrauen als die Hypothese künftigen Handelns, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen.350 Diese sei ein mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen.351 Das Maß an Wissen und Nichtwissen, welches im Einzelnen vorliege, sei dann in verschiedenen Zeitaltern und Interessengebieten bzw. bei verschiedenen Individuen verschieden.352 Neben dieser „Art“ des Vertrauens nimmt Simmel dann aber auch an, dass es auch ein Vertrauen „jenseits von Wissen und Nichtwissen“ gebe, das eher in eine Kategorie mit dem religiösen Glauben gehöre.353 Dieses Vertrauen im Sinne von Glauben an einen anderen Menschen könne ohne jede Beweise dafür bestehen, dass der andere Mensch dieses Vertrauens würdig sei, und sei ein primäres Verhalten der Seele in bezug auf einen anderen.354 Auch Luhmann hat sich mit Vertrauen auseinandergesetzt. Luhmann beschreibt, dass Vertrauen der „Geschichte als Hintergrundsicherung“ bedürfe.355 Ohne jede 343 Formulierung nach Gloyna, Historisches Wörterbuch, Sp. 986. Die Originalformulierung von Thomas von Aquin lautet: „[ . . . ] darum kann von Vertrauen auch die Rede sein, wenn einer Hoffnung auf etwas fasst auf Grund von etwas, was er gesehen hat.“ Vgl. von Aquin, S. Theol. Bd. II, S. 129, 6. 344 Vgl. Hobbes, Vom Bürger, S. 164: „Denn wo kein Vertrauen ist, kann auch kein Vertrag sein [ . . . ]“. 345 Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten II, Tugendlehre, § 47, S. 156, 158. 346 Vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, § 88, S. 279. 347 Vgl. Fichte, Grundlage, § 19, S. 237 ff. 348 Vgl. Fichte, Grundlage, § 19, S. 238. 349 Vgl. Fichte, Versuch, § 6, S. 52. 350 Simmel, S. 263. 351 Simmel, S. 263. 352 Simmel, S. 263. 353 Simmel, S. 263, Fn. 1. 354 Simmel, S. 263, Fn. 1. 355 Luhmann, S. 20.

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vorherige Erfahrung sei Vertrauen gegenüber einem anderen nicht möglich.356 Vertrauen überziehe Informationen aus der Vergangenheit und riskiere eine Bestimmung der Zukunft. Damit werde im Akt des Vertrauens die Komplexität der Welt in der Zukunft reduziert.357 Die in der Psychologie verbreitete Sicht von Vertrauen wird z. B. von Gloyna als ein Sich-Verlassen auf ein Gegenüber angesichts eines ungewissen und risikobehafteten Ausgangs einer Handlung unter freiwilligem oder erzwungenem Kontrollverzicht zusammengefasst.358 Petermann fasst als Kern von insgesamt elf Vertrauensdefinitionen in der Psychologie ein Moment des Risikos und der Ungewissheit auf.359 Darüber hinaus sieht er bei diversen Autoren Vertrauen als Erwartung, sich auf Versprechen des Gegenübers verlassen zu können.360 Aus der Sicht der Pädagogik schreibt Schweer dem „zwischenmenschlichen Vertrauen“ Ungewissheit, das damit verbundene potentielle Risiko und eine unzureichende Beeinflussbarkeit und Zukunftsorientierung als Merkmale zu.361 Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Begriffen ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung selbstverständlich nicht beabsichtigt. Die Aufmerksamkeit des Lesers soll mittels dieser kurzen tour d’horizon nur auf die Vielzahl der heterogenen Begriffe, Vorstellungen und Definitionen gelenkt werden, die mit Vertrauen zwangsläufig stets verbunden sind.

2. Die Ungeeignetheit von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal der Entstehung des Schuldverhältnisses In der Vertrauenshaftungslehre wird der Begriff des Vertrauens in den unterschiedlichsten Funktionen gebraucht. Die verschiedenen Verwendungen des Begriffs als allgemeine Legitimation der Haftung (auch im Sinne der Existenz eines Schuldverhältnisses), der Legitimation der Entstehung und des Umfangs der Pflichten aber auch als Tatbestandsmerkmal eines Schadensersatzanspruchs oder im Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses verfolgen zunächst ein Ziel: Sie sollen die Fälle der „Vertrauenshaftung“ abgrenzen von allen anderen Fällen, in denen lediglich die allgemeine Verhaltensordnung des Deliktsrechts eingreift. Die Luhmann, S. 20. Luhmann, S. 20. In Luhmanns Konzeption spielt dann auch noch die Unterscheidung von Vertrautheit und Vertrauen eine Rolle. Luhmann unterscheidet weiter Vertrauen, Hoffnung, Kontinuitäts- und Verhaltenserwartungen, wobei die Begriffe insgesamt aber in Luhmanns Darstellung nicht präzise herausgearbeitet werden. 358 Vgl. die Zusammenfassung bei Gloyna, Historisches Wörterbuch, Sp. 988 unter Verweis auf die umfassende Darstellung bei Platzköster, S. 20 – 43; Petermann, S. 11 – 86; Schweer, S. 3 – 35. 359 Vgl. Petermann, S. 17. 360 Vgl. Petermann, S. 17 f. 361 Vgl. Schweer, S. 8. 356 357

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Voraussetzungen für eine Haftung in der besonderen Verhaltensordnung innerhalb eines Schuldverhältnisses sollen bestimmt oder gerechtfertigt werden. Fraglich ist dann, ob Vertrauen als Abgrenzungsmerkmal geeignet ist. Für die Lehren der Vertrauenshaftung ist daher relevant das alltägliche Vertrauen, die alltäglichen Verhaltenserwartungen in zwischenmenschlichen Beziehungen von denjenigen zu trennen, die nach Ansicht der Vertreter der Vertrauenshaftungslehren durch Gewährung von Pflichten zur Rücksichtnahme im Rahmen des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung zu schützen sind.362 Die Frage, ob und zu welchem Zweck Vertrauen nach den Lehren der Vertrauenshaftung zur Entstehung des Schuldverhältnisses erforderlich ist, bleibt damit schon völlig ungeklärt. Das gilt in gleicher Weise für die Frage nach einem eventuellen Erfordernis von Vertrauen im Tatbestand eines Anspruchs wegen einer Verletzung einer Pflicht aus diesem Schuldverhältnis.363 a) Die Ungeeignetheit von Vertrauen als psychologischem Faktum Eine Vielzahl von Autoren stellt jedenfalls formal auf das Vorhandensein von Vertrauen in der Person der Beteiligten als Tatbestandsmerkmal ab.364 Das „entleerte“ Tatbestandsmerkmal des Vertrauens im Anspruchsaufbau in der Lehre von Canaris, das letztlich nicht mehr als ein reines Kausalitätserfordernis darstellt, bleibt dabei ein Einzelfall.365 Bei Dölle und Ballerstedt, die die Eröffnung von Vertragsverhandlungen bzw. das Anvertrauen von Rechtsgütern an den anderen nur als einen Ausdruck der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen sehen, ist Vertrauen in dieser Form zur Entstehung des Schuldverhältnisses zwar erforderlich.366 Letztlich liegt der eigentliche Anknüpfungspunkt für die Eröffnung des Schuldverhältnisses aber in der Verwendung eines Anvertrauens von Rechtsgütern bzw. der (beidseitigen) Eröffnung der Vertragsverhandlungen als Ausdruck des Vertrauens. Dennoch betonten die Vertreter dieser eher subjektiven Strömung der Vertrauenshaftungslehren die Erforderlichkeit von Vertrauen im Tatbestand des Schuldverhältnisses. Teilweise wird dies ausdrücklich gefordert.367 In der Rechtsprechung, aber auch in der Lehre von Larenz findet sich neben der Ein362 Ähnlich auch Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 420, der davon spricht, dass die wesentliche Abgrenzungsproblematik für die Vertrauenshaftungslehren in der Unterscheidung von haftungsbegründendem und unbeachtlichemVertrauen liegt. 363 Vgl. dazu auch Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 419 f. 364 Tatsächlich reduziert sich die Bedeutung auf Grund der Heranziehung von objektiven Indikatoren aber erheblich, vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. II. 365 Vgl. dazu auch Flume, AT, S. 129, Fn. 36a. Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 86, weist darauf hin, dass das entsprechende „reliance“-Kriterium im amerikanischen Recht kein Vertrauensmerkmal, sondern ein Kausalitätserfordernis darstellt. 366 Dagegen für den Bereich der Schutzpflichten vehement Baumert, S. 27 ff. 367 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. II. 3.

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stufung des Schuldverhältnisses als Vertrauensverhältnis auch noch das „besondere persönliche Vertrauen“, das zur Begründung von Pflichten bzw. eines Schuldverhältnisses mit am Vertrag nicht beteiligten Personen (wie etwa Vertretern oder Sachwaltern) führen soll.368 aa) Die Allgegenwärtigkeit von Vertrauen in der Gesellschaft Schon die Allgegenwärtigkeit von Vertrauen schließt letztlich die Verwendung von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal zur Begründung eines Schuldverhältnisses, einer Pflicht oder eines Anspruchs aber aus.369 Vertrauen ist prägend für alle Arten von zwischenmenschlichen Beziehungen. Es handelt sich um ein ubiquitäres, immer verschieden ausgeprägtes Element.370 Wenn Vertrauen ein Element aller zwischenmenschlichen Beziehungen sein kann371, stellt sich die Frage, welche Intensität oder Form von Vertrauen nun vorliegen muss, um ein Schuldverhältnis begründen zu können. Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen – um einmal die gängige Formel der Lehren der Vertrauenshaftung zu benutzen – findet sich in nahezu allen zwischenmenschlichen Beziehungen. Nicht berücksichtigt werden dabei die Beziehungen, die ausschließlich von einem Misstrauen gegenüber den anderen Beteiligten geprägt sind. Nur ein geringer Teil dieser Beziehungen, in denen die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen zu finden ist, wird in Rechtsprechung und Lehre tatsächlich zum Anlass genommen, den Tatbestand der Entstehung des Schuldverhältnisses als erfüllt anzusehen.372 Einprägsam ist hier das Beispiel von Picker, das auch bei Larenz373 in anderem Zusammenhang diskutiert wird.374 Der im Straßenverkehr in einer unübersichtVgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. III. 2. und 3. sowie C. VII. 2. Kritisch auch Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 186; ähnlich Wiegand, S. 271 „nichtssagend“. 370 Vgl. dazu auch die Bemerkung Luhmanns, dass Vertrauen und Recht sich nicht zur Deckung bringen lassen, da „Vertrauen ein viel zu allgemeines und diffuses soziales Erfordernis“ ist. Vgl. Luhmann, S. 36. Ähnlich auch Fredy Müller, S. 110 „leerer Begriff“; ebenso Köndgen, S. 70: „Vertrauen ist ein ubiquitäres soziales Phänomen und auch als juristische Kategorie viel zu diffus, als daß man es allein zum Gradmesser rechtserheblicher Selbstbindung machen könnte.“ Vgl. im Übrigen zu weiterer Kritik in diesem Sinne auch Picker, JZ 1987, S. 1041, 1046. 371 Vgl. auch Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 172: „[ . . . ] das [Anm.: Vertrauen] man ohne weiteres im Gemeinschaftsleben als Konstante ansetzen darf.“ In diese Richtung auch Pohlmann, S. 57 f. Siehe im Übrigen Eike Schmidt, AcP 170 (1970), S. 502, 508 f., der betont, dass von einem „besonderen Vertrauen“, das die Beteiligten sich entgegenbringen, nicht die Rede sein kann. 372 Kritisch aus diesem Grund auch Loges, S. 78 ff. 373 Vgl. Larenz, MDR 1954, S. 517 f. 374 Vgl. dazu auch Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 421 f. 368 369

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lichen Lage befindliche Verkehrsteilnehmer, der dem Winken eines anderen hilfreichen Verkehrsteilnehmers folgt, vertraut diesem offensichtlich.375 Picker hebt hervor, dass – trotz offenkundig vorliegendem Vertrauen in den anderen Verkehrsteilnehmer – niemand eine Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme im Rahmen eines Schuldverhältnisses als Tatbestand einer Vertrauenshaftung erwägt. Im Gegenteil: Vertrauen spielt keine Rolle.376 Neben diesem Beispiel ist aber auch an Fälle im geschäftlichen Leben zu denken, in denen die Beziehung zwischen den Beteiligten – auch bei möglicherweise schon seit langer Zeit bestehenden Geschäftsverhältnissen – immer von Misstrauen geprägt bleiben wird. Das trifft für viele geschäftliche Beziehungen zu. Handelsbeziehungen sind in vielen Fällen sogar von der beidseitigen Annahme geprägt, dass der anderen Partei letztlich nicht zu trauen ist. Vertragsverhandlungen werden unter diesem Gesichtspunkt geführt. In laufenden Geschäftsbeziehungen wird sorgsam darauf geachtet, der anderen Partei nicht zu viele Informationen zukommen zu lassen. Niemand – auch nicht die Vertreter der Vertrauenshaftungslehren – wird in diesen Fällen den Gedanken hegen, dass zwischen den Parteien keine Pflichten zur Rücksichtnahme bestehen bzw. entstehen, nur weil das Geschäftsverhältnis oder der geschäftliche Kontakt von normalem, aber auch unüblich großem Misstrauen geprägt ist.377 Allein die unzählbaren Fälle auf dem Gebiet des Gebrauchtwagenkaufes untermauern dies eindrucksvoll. Die Verhältnisse der Beteiligten sind hier nahezu immer von einem mindestens unterschwelligen Misstrauen geprägt.378 Dennoch handelt es sich hier um einen klassischen Schauplatz für Haftungsfälle, welche die Vertrauenshaftungslehren als ebensolche Vertrauenshaftung qualifizieren würden.379 Daneben gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen Vertrauen im Sinne eines (psychologischen) Gefühls der Sicherheit und Verlässlichkeit besteht, nach den Lehren von der Vertrauenshaftung aber kaum jemand annehmen dürfte, dass ein Schuldverhältnis bzw. Pflichten zur Rücksichtnahme entstehen. Zu denken ist hier z. B. an Fälle einer „Gefahrengemeinschaft“ bei gemeinsamen gefährlichen Sportunternehmungen wie Segeln, Bergsteigen u. a. Weiter gibt es Situationen, in denen die Beteiligten durchaus auf ein Handeln der anderen Seite „vertrauen“ im Sinne eines „Verlassens“, also eine Verhaltenserwartung besteht.380 So führt eine – durchaus von objektiven Tatsachen gestützte – Verhaltenserwartung gegenüber eiVgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 422. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 422. Das bemängelt auch Fredy Müller, S. 110 f. 377 Vgl. die „verräterische“ Formulierung bei Canaris, FS Schimansky, S. 43, 57: „Denn es würde zu einem untragbaren Wertungswiderspruch führen, wenn es ihm schaden würde, daß er mehr Misstrauen an den Tag legt als die Rechtsordnung von ihm verlangt.“ 378 Ähnlich Schmitz, S. 44; Pohlmann, S. 59 f. 379 Vgl. in diese Richtung auch Schmitz, S. 37, der betont, dass bei „unvoreingenommener Betrachtung“ nicht davon gesprochen werden könne, dass die Kunden z. B. dem Inhaber einer Werkstatt oder eines Warenhauses besonderes Vertrauen entgegenbringen. 380 So etwa Schmitz, S. 44. 375 376

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nem Unternehmen, mit dem bisher keine Geschäftsbeziehung bestand, nicht zur Begründung eines Schuldverhältnisses. Denkbar ist z. B., dass ein Wettbewerber mittels Pressemitteilungen einen bestimmten Eindruck über zukünftige Produktund Marktstrategien bei einem anderen Unternehmen (bewusst) erweckt hat. Keine der Vertrauenshaftungslehren würde hier wohl annehmen, dass auf diesem Wege ein Schuldverhältnis oder Pflichten entstanden sind. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Allgegenwärtigkeit von Vertrauen in den verschiedensten Bedeutungen in unserer Gesellschaft es verhindert, dass dem Vertrauensbegriff Nutzen im Rahmen der Abgrenzung bei der Entstehung des Schuldverhältnisses oder von Pflichten zukommen könnte.381 bb) Die mangelnde Abgrenzungsfähigkeit des Vertrauensbegriffs im bürgerlichen Recht Wenn das Vertrauen zwischen den Parteien im Rahmen eines geschäftlichen oder anderen Kontaktes zur Abgrenzung gegenüber anderen Fallkonstellationen genutzt werden soll, ist ferner fraglich, wie eine Abgrenzung überhaupt möglich sein soll. Schließlich stellt Vertrauen in zahlreichen anderen Rechtsgebieten ebenfalls einen wesentlichen Gesichtspunkt dar.382 Auch bei anderen Formen von Schuldverhältnissen wie etwa Verträgen, aber auch beim Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag ist Vertrauen als Verhaltenserwartung oder Gefühl der Verlässlichkeit und Sicherheit vorstell- und feststellbar.383 Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde in der Vergangenheit – etwa in der Philosophie – Vertrauen als notwendige Voraussetzung für Verträge gesehen.384 381 Die Entgegnung von Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 106 gegen ähnliche, von Köndgen vorgebrachte Kritik, dass dies nicht vorbringen dürfe, wer selbst fragwürdige Kategorien vorschlage, erschreckt angesichts der mangelnden inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesem wesentlichen Argument. 382 In der Untersuchung von Schmitz betont dieser zu Recht, dass Vertrauen „in gewisser Weise der gesamten Rechtsordnung und insbesondere der Rechtsgeschäftslehre zugrundeliegt“. Vgl. Schmitz, S. 41. 383 Vgl. etwa Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 426, der anführt, dass der Grundsatz „pacta sunt servanda“ selbstverständlich auch das Vertrauen zwischen den Parteien schütze und vgl. Picker, FS Medicus, S. 397, 420, der Vertrauen als „Ingredienz letztlich jeder schadensrechtlichen Haftung“ bezeichnet. Siehe zudem auch Eichler, S. 4, der annimmt, dass es Voraussetzung eines „gedeihlichen“ Zusammenlebens ist, dass die Beteiligten in einer von gegenseitigem Vertrauen getragenen Sphäre leben. Siehe im Übrigen die Kritik etwa bei Philippsen, S. 221. 384 Vgl. Hobbes, S. 164: „Denn wo kein Vertrauen ist, kann auch kein Vertrag sein [ . . . ]“; Fichte, Versuch, § 6, S. 52; Luhmann, S. 36: „Besonders im Rechtsinstitut des durch bloße Willenserklärungen zustandegekommenen Vertrags wird das Vertrauensprinzip juristisch griffig formuliert und so verselbstständigt, daß es weder als Tatbestand noch als Geltungsgrund-

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Hier wird Vertrauen allerdings keine ausschlaggebende Bedeutung für die Entstehung des Schuldverhältnisses oder für die Entstehung von Ansprüchen zugesprochen. Ausschlaggebend ist aber, dass Vertrauen in jeglichem Sinne sicher in ebenso großem Maße besteht oder nicht besteht wie in den Situationen, in denen die Lehren der Vertrauenshaftung dieses zur Entstehung von Pflichten oder eines Schuldverhältnisses nutzbar machen.385 Eine Klärung der Frage, warum in einem Fall Vertrauen ausschlaggebend sein soll, in einem anderen aber nicht, ist bis heute nicht erfolgt.386 Darüber hinaus spielt Vertrauen in der Auffassung vieler Autoren auch im Deliktsrecht eine bedeutende Rolle. So sollen einzelne Verkehrspflichten unter dem Gesichtspunkt des „Eröffnen eines Verkehrs“, der „Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle“ oder der „Übernahme einer Aufgabe“ aus dem „Vertrauensgedanken“ gerechtfertigt sein.387 Auch im Straßenverkehrsrecht spielt Vertrauen eine maßgebliche Rolle.388 Erstaunlicherweise spricht Canaris selbst davon, dass in den Fällen der Übernahme einer Aufgabe regelmäßig die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen gegeben sei. Damit lägen in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Verkehrspflicht vor.389 Wie dann noch angenommen werden kann, dass die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen zugleich auch die Entstehung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses hervorbringt, ist nicht ersichtlich. Auch in den dargestellten Fallgruppen des Deliktsrechts scheint also Vertrauen im gleichen Maße wie in den Fällen, in denen die Lehren der Vertrauenshaftung dieses zur Entlage eine Rolle mehr spielt.“ Luhmann erkennt allerdings generell das „Vertrauensprinzip“ im Recht an. Vgl. Luhmann, S. 37. 385 Vgl. ähnlich etwa auch Loges, S. 70 f. 386 Der Hinweis von Canaris, FS Schimansky, S. 42, 55, dass ein Fall der Vertrauenshaftung nur vorliege, wenn diese das konstituierende Prinzip darstelle und die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen notwendige Voraussetzung der Haftung sei, stellt keine Klärung dieser Frage dar. Darauf weist auch Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 170 f., hin. Frotz führt dann auch an, dass insbesondere Heinrich Stoll, der oft als derjenige angeführt wird, der die Begründung von vorvertraglichen Pflichten überzeugend formuliert hätte, schlicht behauptet hat, dass ein Schuldverhältnis durch die Eröffnung von Vertragsverhandlungen zustande kommt. Vgl. Frotz, Verkehrsschutz, S. 65. 387 Vgl. etwa Raab, JuS 2002, S. 1041, 1045; Larenz / Canaris, SR II / 2, § 76 III 3b; Ulmer, JZ 1969, S. 163, 169 ff.; MünchKomm-Mertens, 3. Auflage, Vor §§ 823 – 853, Rdnr. 47und von Bar, Verkehrspflichten, S. 117 ff. und S. 235; von Bar, JuS 1982, S. 637, 644 unter Verweis auf BGH, JZ 1971, S. 63, 64; OLG Celle, VersR 1979, S. 1154, 1155; OLG Karlsruhe, VersR 1979, S. 61. von Bar hat dann auch einen Kodifikationsvorschlag unterbreitet, der eine Regelung für die Auskunftshaftung auf Grund der Inanspruchnahme von Vertrauen bzw. einer besonderen Vertrauensstellung im Deliktsrecht vorsieht. Vgl. von Bar, Gutachten, S. 1681, 1761, 1771 f. 388 Vgl. aus der Rechtsprechung etwa OLG Frankfurt, NJW 1965, S. 1334, 1335. 389 Vgl. Larenz / Canaris, SR II / 2, § 76 III 3b a.E.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

stehung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses nutzen, vorzuliegen. Wiederum stellt sich dann die Frage, wieso Vertrauen in der einen Fallgruppe zur Entstehung eines Schuldverhältnisses genügen soll, in der anderen Fallgruppe auf einmal aber „nur“ zur Entstehung von Verkehrspflichten führen soll. Auch im Rahmen anderer Schuldverhältnisse zeigen sich im Übrigen ähnliche Konstellationen. Der Geschäftsführer einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag wird in vielen Fällen die Geschäftsführung nur in der Erwartung übernehmen, dass der Geschäftsherr ihn für entstehende Kosten schadlos stellen werde. Mit anderen Worten: Er handelt auf Grund einer Verhaltenserwartung gegenüber dem Geschäftsherrn, die auch als „Vertrauen auf Schadloshaltung“ bezeichnet werden kann. Vertrauen liegt also vor. In diesem Fall wird Vertrauen aber nicht als tragender Grund zur Rechtfertigung des Schuldverhältnisses angeführt.390 Anhand dieser kurzen Darstellung zeigt sich einmal mehr die Allgegenwärtigkeit des Begriffs. Darüber hinaus lässt sie die Ungeeignetheit des Begriffs zur Begründung des Schuldverhältnisses erkennen. Würde man die Formel konsequent zur Entstehung des Schuldverhältnisses anwenden, wäre kaum eine Beziehung davon ausgenommen. Diese Beispiele, die ohne weiteres um ein Vielfaches ergänzt werden könnten, untermauern die Ungeeignetheit von Vertrauen sowohl als konkretem Tatbestandsmerkmal eines Anspruchs oder zur Entstehung des Schuldverhältnisses.391 cc) Die Diffusität des Vertrauensbegriffs Ein weiterer Grund, der verhindert, dass Vertrauen als Tatbestandsmerkmal sinnvoll verwendet werden kann, liegt in der kaum fassbaren Vielschichtigkeit des Begriffes, dessen Bedeutungen auch – erschwerend (!) – teilweise im Gefühls- bzw. Glaubensbereich und damit teilweise unbewusster und daher nicht zur versprachlichender Ebene liegen. Vor allem auf Grund dieser gleichzeitigen Allgegenwärtigkeit und Diffusität kann die Verwendung von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal eines Anspruchs392, einer Pflicht oder zu Entstehung des Schuldverhältnisses nicht gelingen.393 Dem Begriff fehlt letztlich jegliche Abgrenzungskraft.394 Die VerwenVgl. den Überblick bei MünchKomm-Seiler, Vor § 677, Rdnr. 1 ff. Vgl. MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 61: „Tatsächlich ist das bloße Vertrauen ein so allgemeiner und deshalb so wenig greifbarer Umstand, dass sich mit ihm (allein) nahezu nichts erklären lässt.“ Ebenso auch Köndgen, S. 70: „Vertrauen ist ein ubiquitäres soziales Phänomen und auch als juristische Kategorie viel zu diffus, als daß man es allein zum Gradmesser rechtserhebliche Selbstbindung machen könnte.“, und Jost, S. 254. 392 Vgl. etwa Nirk, 2. FS Möhring, S. 70, 76, der annimmt, dass ein Gesprächspartner besonderes Vertrauen erwecken muss, um in den Bereich rechtlich relevanten Verhaltens zu gelangen. 393 Fredy Müller, S. 119 untersucht daher die Verbindung mit anderen Haftungskonzepten zur Konkretisierung der Haftung in Fällen der sog. Auskunfts- und Berufshaftung. 390 391

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dung von abenteuerlichen Begriffen (wie denen des besonderen persönlichen oder abstrakten, typisierten Vertrauens) ist darüber hinaus angesichts deren Inhaltsleere nicht hilfreich.395 b) Die Ungeeignetheit von normativen oder objektivierten Vertrauensbegriffen Die soeben unter a) skizzierten Probleme treffen die Vertrauenshaftungslehren auch bei Abstellung auf einen normativen oder objektivierten Vertrauensbegriff. Ein solcher normativer Begriff zeigt sich etwa in der Verwendung des „allgemeinen Rechtsempfindens“ in der Lehre von Larenz, aber auch bei Thiele, der auf die praktisch unbestrittenen Elementarsätze gerechten Handelns bzw. der Verkehrsmoral als Ausdruck eines rechtsethischen Prinzips zur Rechtfertigung der Haftung abstellen will. Es ist bei genauerer Betrachtung auch nicht zu übersehen, dass auch die Typisierungen bestimmter Vertrauenslagen und Vertrauensbegriffe in der Rechtsprechung letztlich nur dem Ziel dienen, ein konkret festzustellendes Vertrauen der Beteiligten als Tatbestandsmerkmal hinfällig werden zu lassen.396 Auch hier zeigt sich in versteckter Form eine objektivierte, kasuistische Betrachtung. Löst man die Betrachtung aber von der Frage, ob Vertrauen positiv feststellbar ist, bleibt zu beantworten, in welchen Situationen normatives Vertrauen vorliegen soll. Dies müsste aus objektiven Gesichtspunkten heraus begründet werden.397 Diese Frage versuchen die Vertrauenshaftungslehren gerade durch den Rekurs auf den Vertrauensbegriff zu beantworten: Hier offenbart sich ein Zirkelschluss. c) Der Ausweg der Verknüpfung mit objektiven Tatbestandselementen Es ist daher konsequent, dass fast ausnahmslos alle der weit verästelten Lehren ihr Heil in der Verbindung des (wie auch immer ausgestalteten) Vertrauensaspektes mit einem weiteren, im weitesten Sinne „objektiven“ Merkmal suchen, um die Entstehung des Schuldverhältnisses bzw. konkrete Pflichten zwischen den Beteiligten eintreten zu lassen und rechtfertigen zu können.398 394 Vgl. auch Luhmann, S. 36: „Vertrauen ist ein viel zu allgemeines, diffuses soziales Erfordernis, als daß beides [Anm.: Vertrauen und Recht] sich zur Deckung bringen ließe.“ 395 Vgl. z. B. Jauernig-Stadler, § 311 Rdnr. 34 zu „einfachem“ und „gesteigertem“ Vertrauen. Zur Kritik am Begriff des typisierten Vertrauens vgl. auch von Bar, ZGR 1983, S. 476, 496 ff.; Fleischer, Schuldrechtsreform, S. 255, spricht von einer „gedanklichen Sackgasse.“ 396 So zu Recht auch schon Leenen, Symposium Wieacker, S. 108, 113. 397 Vgl. dazu auch Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 420 ff. Im Rahmen seiner Untersuchung der „Selbstbindung ohne Vertrag“ schlägt dann auch Köndgen, S. 116, vor, den Begriff des Vertrauens durch den der legitimen Erwartung zu ersetzen. Ähnlich weist Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 83 ff. auf das „reliance“ Kriterium bei ähnlichen Tatbeständen im amerikanischen Recht hin. Siehe auch Schmitz, S. 43.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Die vorherrschende Strömung innerhalb der Lehren der Vertrauenshaftung und insbesondere auch die Rechtsprechung sehen dieses objektive Merkmal, welches zur Begründung des Schuldverhältnisses erforderlich ist, in einem geschäftlichen Kontakt, der Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr bzw. der Aufnahme oder dem Beginn von Vertragsverhandlungen.399 Warum in diesen Fällen nach Vorbringen dieser Strömung das „Vertrauen“ stärker geschützt sein soll als in anderen Fällen, lässt sich allerdings mit einem wie auch immer gearteten Vertrauensgedanken nicht begründen.400 Eine andere Strömung sieht keine solche Begrenzung des objektiven Merkmals auf geschäftliche Kontakte o.ä. und hält auch Kontakte in anderen sozialen Bereichen, wie etwa in Gefälligkeitsverhältnissen, für grundsätzlich geeignet, um in Kombination mit einem Vertrauensmerkmal in unterschiedlicher Funktion ein Schuldverhältnis zu begründen.401 Ansatzpunkt für viele Befürworter dieses Ansatzes ist ein Kontakt, etwa in Form des Eindringens in den beherrschten Lebensbereich eines anderen mit dessen Willen oder die bewusste Anvertrauung von Rechtsgütern an den Einfluss des anderen Beteiligten.402 Dieses objektive Merkmal neben dem Vertrauensmerkmal – beide in den verschiedensten Ausprägungen der einzelnen Lehren – ist letztlich für die Entstehung des Schuldverhältnisses ausschlaggebend. Die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen bzw. ähnlich gestaltete Vertrauensbegriffe als Rechtfertigungsgrund stehen dann unverbunden neben dem eigentlich ausschlaggebenden objektiven Merkmal des geschäftlichen Kontakts bzw. der Anvertrauung von Rechtsgütern u.ä.

3. Die Ungeeignetheit von Vertrauen zur Legitimation des Schuldverhältnisses Die Lehren nutzen Vertrauen auf der Ebene der Rechtfertigung, um die Haftung wegen Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme aus einem Schuldverhältnis in den Fällen der culpa in contrahendo oder die Entstehung des Schuldverhältnisses selbst zu legitimieren.403 Der benutzte Vertrauensbegriff wird als „allgemeines 398 Loges, S. 77 ff. sieht diese Lehren daher schon nicht mehr als Vertrauenshaftungslehren. Es komme danach nicht mehr auf Vertrauen, sondern allein auf das Vorliegen anderer objektiver Kriterien an. 399 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. IV. 400 So auch Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 171. 401 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. V. 402 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. V. 403 Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 166 geht allerdings davon aus, dass die einzelnen Autoren trotz der verwendeten vagen Formulierungen letztlich sachlich mit Ballerstedt übereinstimmen. Damit wäre die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen auch schon im Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses von Bedeutung.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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Rechtsempfinden“404 oder die „Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen“405, aber auch z. B. als praktisch unbestrittene Elementarsätze gerechten Handelns bzw. der Verkehrsmoral als Ausdruck eines rechtsethischen Prinzips bezeichnet.406 Schlussfolgert man das Vorliegen des Vertrauensmerkmals noch aus einem „Vertrauendürfen“ (also Konstrukten wie der „allgemeinen Redlichkeitserwartung“ oder den “praktisch unbestrittenen Elementarsätzen gerechten Handelns bzw. der Verkehrsmoral als Ausdruck eines rechtsethischen Prinzips zur Rechtfertigung der Haftung“) und folgert dies aus dem Gebot von Treu und Glauben, so bleibt Vertrauen aber auch in der Funktion als Rechtfertigung der Haftung ohne Wert für eine Abgrenzung.407 Wie kann schließlich die allgemeine Redlichkeitserwartung als Abgrenzungsmerkmal dienen, wenn doch eine allgemeine Redlichkeitserwartung offensichtlich stets gegeben ist?408 Der Rückzug auf die rechtliche Schutzwürdigkeit oder die Elementarsätze gerechten Handelns fordert eine Erklärung, was denn das allgemeine Rechtsempfinden, das typisierte Vertrauen, die Verkehrsmoral, die praktisch unbestrittenen Elementarsätze gerechten Handelns tatsächlich für Verhaltensanforderungen darstellt. Oder noch genauer: Bei der Bestimmung dieser Begriffe ist letztlich danach gefragt, in welchen Fallkonstellationen denn eine Haftung eines Schädigers nach unserer Rechtsordnung zu bejahen ist. Diese Frage haben die Lehren der Vertrauenshaftung durch den Rekurs auf Vertrauen zu beantworten gedacht: Hier bewegt sich die Argumentation offensichtlich im Kreis.409 Vgl. zur Verwendung des Begriffs bei Larenz, oben unter 1. Teil, C. III. Vgl. Canaris, FS Schimansky, S. 43, 55. Bei Canaris ist allerdings unklar, ob die Inanspruchnahme und Gewährung von (rechtlich schutzwürdigem) Vertrauen nicht auch zur Entstehung des Schuldverhältnisses (neben der Rechtfertigung der Haftung) dienen soll. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VI. 2. b) bb). 406 Vgl. Thiele, JZ 1967, S. 649, 652. 407 Ähnlich auch Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 420, der ausführt, dass der Vertrauenshaftung bzw. den von den Vertrauenshaftungslehren geforderten Voraussetzungen jede Spezifität und Abgrenzungskraft fehlt. Eine vergleichbare Beobachtung findet sich auch in der Untersuchung von Loges, S. 78 ff. 408 Vgl. dazu auch Thiemann, S. 53 ff., der annimmt, dass die Vertrauenshaftungslehren übereinstimmend ein objektiviertes, typisiertes oder normatives Vertrauen zur Begründung der Pflichten bzw. des Schuldverhältnisses voraussetzen. Thiemann stellt fest, dass all diese Vertrauensbegriffe letztlich keine Abgrenzung zu einer allgemeinen, stets vorhandenen Redlichkeitserwartung im Deliktsrecht leisten können. Auch der Gedanke Fleischers, dass es um den Schutz eines generalisierten Vertrauens aus makro-juristischer Perspektive zum Schutze des Geschäftsverkehrs insgesamt gehe, hilft nicht, obgleich sicher die Betrachtungsweise einiges Zutreffendes enthält. Auch in diesem Fall fehlt die Begründung, warum im Einzelfall gehaftet werden soll. Weiterhin ist das Schuldverhältnis i.w.S. und damit auch die lebensweltliche Situation völlig aus dem Blickfeld entrückt. Vgl. Fleischer, Schuldrechtsreform, S. 255 f. 409 Vgl. hierzu auch Köndgen, S. 98 ff., insbesondere S. 98: „Bare Tautologie ist etwa der Rekurs auf Zumutbarkeit oder auf Treu und Glauben als Maß für schutzwürdiges Vertrauen.“, 404 405

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Der Vertrauensbegriff, der mit all diesen Umschreibungen einer Verkehrsmoral u.ä. wohl gemeint ist, sollte besser gefasst werden als ein „Verlassenkönnen“ auf den sicheren Rechtsstaat.410 Damit soll hier nicht in Frage gestellt werden, dass Vertrauen reduziert auf seinen jeweiligen Sinngehalt, etwa in den Fällen des öffentlichen Glaubens oder bei anderen Rechtsscheinstatbeständen des Sachenrechts eine sinnvolle Funktion zukommen kann. In diesen Fällen geht es allerdings eher um eine staatliche und daher gesetzlich angeordnete „Garantie“ (im untechnischen Sinne) von Tatbeständen, die gesetzgeberisch notwendig ist, um die Sicherheit und Verlässlichkeit des Rechtsverkehrs durch staatlich abgesicherte Institutionen sicherstellen zu können.411 Der Tatbestand, der die Grundlage für den Rechtsschein auslöst, ist in den hier angesprochenen Fällen darüber hinaus auch deutlich genauer beschrieben. Dieses „Verlassenkönnen“ auf den Rechtsstaat und die daraus folgende Vorstellung einer Garantie einer gewissen Rechtssicherheit kann aber die argumentative Legitimation der Haftung bzw. der Entstehung des Schuldverhältnisses nicht leisten. Wenn dies alles ist, was bei vielen Vertretern der Vertrauenshaftung von Vertrauen bleibt, dann ist der Bezug auf ein Vertrauen nicht nur sinnlos, sondern er verschleiert auch den Blick darauf, dass zur Legitimation der Haftung letztlich nur auf ein Rechtsempfinden oder Rechtssätze verwiesen wird, die es gerade erst zu begründen gilt. Ausschlaggebend bei der Entstehung des Schuldverhältnisses ist – nachdem die Bedeutungslosigkeit eines Vertrauensmerkmals erst einmal aufgezeigt ist – letztlich das objektive, zusätzliche Merkmal, das nach allen Ansichten erforderlich ist, um das Schuldverhältnis zu begründen. Damit steht auch für die Legitimationsebene fest, dass das Abgrenzungsmerkmal das objektive Merkmal der Lehren ist: der geschäftliche Kontakt, die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr, die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder das Anvertrauen von Rechtsgütern an den anderen Beteiligten bzw. das Eindringen in eine von einem anderen beherrschte Lebenssphäre (zur Erreichung des mittels des Kontaktes verfolgten Zwecks).

und auch S. 98, Fn. 11: „[ . . . ] Verschwenderischen Umgang mit Billigkeitsformeln und Evidenzargumenten [ . . . ]“. von Bar, ZGR 1983, S. 476, 500 hebt mit Recht für den Prospekthaftungsbereich hervor, dass die Rechtsprechung letztlich einen „gedanklichen Zirkel“ vollzieht: „Vertrauen darf man, weil eine Anspruchsgrundlage besteht, diese aber entsteht, weil man vertraut“. 410 Ähnlich auch Loges, S. 84 ff. 411 Vgl. dazu auch Loges, S. 45.

C. Der Vertrauensgedanke als Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung

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4. Zusammenfassung: Keine Bedeutung von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal und Legitimationsargument Für die vorliegende Untersuchung kann festgehalten werden, dass die verschiedenen Lehren der Vertrauenshaftung infolge der soeben skizzierten Probleme nicht überzeugen können. Ausschlaggebend ist, dass es bis heute keinem Vertreter einer Vertrauenshaftungslehre in Rechtswissenschaft oder Rechtsprechung gelungen ist, zu erklären, warum Vertrauen in jedweder Form dazu geeignet ist, die Verhältnisse, in denen ein Rücksichtnahmeschuldverhältnis entstehen soll, von den Beziehungen zu trennen, in denen ein solches nicht entsteht.412 Der wesentliche Grund für dieses Problem liegt im Begriff des Vertrauens selbst. Dieses ist – wie in diesem Abschnitt aufgezeigt werden konnte – sowohl in der Gesellschaft als auch im System des Bürgerlichen Rechts vor allen Dingen geprägt durch seine bunt schillernde Bedeutungsvielfalt. Wie Wurzelwerk strecken sich diese in viele hundertfach verästelte Richtungen aus.413 Diese Bedeutungsvielfalt, Diffusität und Verschwommenheit des Vertrauensbegriffs in Lebenswelt und Rechtssystem hat zunächst zwei unmittelbare Folgen: Zum einen ist Vertrauen auf Grund der Weite des Begriffs in nahezu allen Situationen und Beziehungen in der Lebenswelt wie auch in den verschiedenen Schuldverhältnissen innerhalb des Systems des Bürgerlichen Rechts zu finden. Es ist also ubiquitär. Zum anderen führt diese Allgegenwärtigkeit und Unbestimmtheit dazu, dass sich viele Vertreter der Rechtswissenschaft, aber auch der Rechtsprechung, mit dem Begriff identifizieren können. Die Verschwommenheit lädt geradezu dazu ein, die eigenen Vorstellungen unter das Dach des Vertrauens zu subsumieren.414 Dabei bleiben zwischen den Vertretern der Lehre ebenso wie in der Anwendung der Tatbestände letztlich entscheidende Fragen ungeklärt.415 Die Nähe eines Vertrauensbegriff, der die psychologische Qualität einer Beziehung beschreibt, zur Gefühlsund Glaubenswelt des mit der Vertrauenshaftung Befassten, führt dazu, dass – zumindest teilweise – der Gesichtspunkt, dass hier jemand haftet, der das Vertrauen eines anderen gebrochen hatte, das Gefühl des Befassten auf den ersten, oberflächigen Blick überzeugt.416 Auch das ist eine Folge des nicht präzise determinierten 412 Vgl. Eichler, S. 11, der die Bedeutung der Vertrauensbeziehung in diesem Zusammenhang als „eigenartig“ bezeichnet. Eichler stellt die Vertrauenskonzeption allerdings nicht insgesamt in Frage. 413 Daher müssen die Versuche eine „Rechtslehre des Vertrauens“ zu schaffen, auch erfolglos bleiben. Vgl. etwa die Monographie von Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen. 414 Vgl. dazu auch Picker, FS Medicus, S. 397, 422, der in ähnlichem Zusammenhang davon spricht, dass der entscheidende gemeinsame Nenner hinter einem Kriteriensynkretismus verborgen bleibe, der von rechtlichen Assoziationen und psychologischen Spekulationen inspiriert sei; im Übrigen die Kritik bei Philippsen, S. 220 f. 415 Vgl. nur die zahlreichen Diskrepanzen innerhalb der Lehre über grundsätzliche Fragen wie etwa der Existenz von Vertrauen als Tatbestandsmerkmal oben 1. Teil, C. II. und III.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Vertrauensbegriffs, der aufgrund dessen in der Lage ist, nahezu jedes Verhalten zu umfassen. Das gilt natürlich umso mehr, wenn sogar ein „Anvertrauen“ noch unter den Vertrauensbegriff gefasst werden soll.417 Beides – die Allgegenwärtigkeit und die Identifikation mit den Begriffen Vertrauen und Vertrauenshaftung – sind natürlich letztlich Kehrseiten der gleichen Medaille, der Unbestimmtheit des Vertrauensbegriffs. Den Erfolg oder die „Wirkungsmacht“418 eines solchen Begriffs oder einer solchen Lehre anzuführen, der nur aus der Weite des Begriffs herrührt, ist kein inhaltliches Argument, das irgendeine Aussagekraft besitzt.419 Es könnte aber insgesamt in Frage gestellt werden, ob sich nicht ein gewisser Grad an Ungenauigkeit in allen Rechtsfragen zeigt, wenn man die Fragen mit der notwendigen Tiefe erörtert, und daher die Verschwommenheit eines Begriffs kein ausschlaggebendes Argument ist. Dem ist zuzugeben, dass bei genauerer Untersuchung von Einzelfragen in der Rechtswissenschaft nie hundertprozentige Genauigkeit vorliegt, die Vorstellung eines „sicheren“ Rechtssatzes daher fehlgeht.420 Dennoch bleibt es notwendig, dass die Dogmatik neben einem festen Gerüst von Ansprüchen im System des Bürgerlichen Rechts auch die einzelnen Rechtssätze zumindest für den „Normalfall“ in verlässlicher Weise vorgibt.421 Darüber hinaus muss die Abgrenzung einzelner Typen von Schuldverhältnissen sowohl auf Legitimations- als auch auf Entstehungsebene mit einer nachvollziehbaren Begründung möglich sein, die auch die Unterscheidung zu den Fällen, in denen keine Haftung eintritt, trägt. Obgleich völlige Präzision nicht möglich ist, bleibt es aber Funktion der Dogmatik, zumindest für den „Normalfall“ verlässliche und überzeugend abgrenzbare Lösungen zu entwickeln. Mittels eines derart unklaren und uferlosen Begriffes wie dem des Vertrauens gelingt dies nicht. Beeindruckend ist in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung, die mit ihrem zweigleisigen Modell Vertrauen grundsätzlich nur zur Rechtfertigung der 416 Canaris’ Bemerkung, dass der Gesichtspunkt der Vertrauenshaftung spontane Überzeugungskraft besitze, kann daher nicht als Argument „für“ eine Vertrauenshaftung gelten. Vgl. Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 106. Treffend ist daher die Beobachtung von Loges, S. 56, der von einem „dumpfen Rechtsempfinden“ spricht. 417 Vgl. dazu oben 1. Teil, C. VI. 1. 418 Canaris bezeichnet die Lehre von der Vertrauenshaftung als „wirkungsmächtig“ in der Rechtsprechung des BGH. Vgl. Canaris, FG 50 Jahre BGH I, S. 129, 191. Vgl. auch Loges, S. 13, der Aussagen zu „Sogwirkung“ und „magischer Kraft“ des Vertrauens wiedergibt. 419 So aber Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 106 ff., der davon spricht, dass die Vertrauenshaftung in der culpa in contrahendo eine gesicherte und auch anerkannte Heimstatt in der Rechtsprechung gefunden hat. 420 Vgl. dazu die prägnante Formulierung bei Corbin: „[ . . . ] certainty in the law is largely an illusion at best, and altogether too high a price may be paid in the effort to attain it.“ Corbin, § 609; aber auch Gödicke, S. 282. 421 Vgl. in diesem Zusammenhang vor allem Gödicke, S. 159 ff., insbesondere S. 162 ff. und auch S. 282.

D. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln

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Haftung bzw. zur Qualifizierung des Verhältnisses zwischen den Beteiligten nutzt, andererseits aber Begriffe wie das „besondere persönliche Vertrauen“ oder das abstrakte „typisierte Vertrauen“ hervorbringt. Hier wird in markanter Weise deutlich, woher der „Erfolg“, die „Wirkungsmacht“ der Lehren der Vertrauenshaftung herrührt. Es ist nicht die Schlagkraft der Argumente, die dazu beigetragen hat. Der Grund ist der Vertrauensbegriff, der es zulässt, die unterschiedlichsten Vorstellungen zu vereinen und darüber hinaus auf Grund seiner Diffusität keine klaren Grenzen setzen kann.422 Dies hat insbesondere zur Ausweitung der Haftung durch die abenteuerlichen Vertrauensbegriffe der Rechtsprechung geführt und in anschaulicher Weise demonstriert, dass die Lehren der Vertrauenshaftung nicht in der Lage sind, sowohl einen Tatbestand als auch die Legitimation der Haftung für eine Pflichtverletzung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo überzeugend zu formulieren. Mit der Ablehnung der Vertrauenshaftungslehren soll nicht negiert werden, dass ein wie auch immer gefasstes Vertrauen als psychologisches Faktum in vielen klassischen Fällen eines Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo als Motiv der Beteiligten eine Rolle gespielt hat. Dennoch: Neben diesem Motiv stehen eine Vielzahl anderer gegebener oder zumindest denkbarer Motive, die ebenso bedeutsam sind und ebenso wie ein Vertrauen auf Motivebene hinweg gedacht werden können, ohne dass sich an der rechtlichen Beurteilung des Falls irgendetwas ändert.423 Vertrauen in diesem Sinne ist also ein denkbares, aber nicht notwendiges Motiv in den klassischen Fällen des Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo. Ein Punkt der Vertrauenshaftungslehren erscheint für die weitere Untersuchung außerdem von Bedeutung. Alle Formen der Lehre zielen mit der Betonung von Vertrauen auch auf die Hervorhebung eines verbindenden Elements zwischen den Beteiligten, eine Art gefühlten Zusammenhalt der Beteiligten. Dieser Aspekt wird im 2. Teil der Arbeit noch zu untersuchen sein.

D. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln als eine Leitlinie für Entstehungstatbestand und Rechtfertigung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Neben dem Vertrauensgedanken einerseits und dem Konsensgedanken andererseits lassen sich noch weitere Leitlinien in der Entwicklung der Dogmatik des 422 Vgl. dazu auch Picker, FS Medicus, S. 397, 422, der anschaulich von einer „bloßen Kompilation von Gesichtspunkten und Kriterien“ bzw. einem „Kriteriengemisch“ in der „vertrauenstheoretischen Mystik“ spricht. 423 Vgl. nur die Ausführungen von Canaris zur Bedeutung des Misstrauens oben unter 1. Teil, C. VI. 4.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Rücksichtnahmeschuldverhältnisses ausmachen. Eine davon liegt in der Anknüpfung an ein privatautonomes Handeln der Beteiligten. Die Form der Anknüpfung, die herangezogen wird, ist insgesamt aber heterogen: Neben der Heranziehung von privatautonomen Handeln zur Begründung von Pflichten als Korrelat (I.), wird auch die Anknüpfung an einseitige Akte im Sinne von Versprechen (II.) bzw. einseitigen Rechtsgeschäften, aber auch als Selbstbindungsakte i.w.S. betont (III.). Die verschiedenen Ansatzpunkte werden nachstehend erläutert (I. – III.), bevor die Bedeutung der Leitlinie in der Dogmatik skizziert wird (IV.).

I. Haftung als notwendiges Korrelat des privatautonomen Rechts der Selbstgestaltung Eine der in der Rechtswissenschaft favorisierten Anknüpfungen an die Privatautonomie geht im Wesentlichen zurück auf Frotz zurück. Unter Kritik der Vertrauenshaftungslehren hatte dieser versucht, die Fälle der culpa in contrahendo sowohl auf Tatbestandsebene, als auch im Sinne einer Legitimation der Haftung mit dem Gedanken der Privatautonomie zu verbinden. Die zugrunde liegende Reduktion eines Selbstverantwortungsmoments auf rechtsgeschäftliches Handeln ist indes verkürzt, wie die Analyse (2.) der Darstellung von Frotz’ Konzeption zeigen wird (1.).

1. Anknüpfung an privatautonomes Handeln im Sinne von rechtsgeschäftlichem Handeln Die Gewährung von Privatautonomie, so Frotz, bringe als Sozialbindung der Selbstbestimmungs- und -gestaltungsmacht immer auch soziale Verantwortung mit sich.424 Aus dieser folge die Verantwortung gegenüber dem anderen Beteiligten, der sich in den für ihn fremden Einflussbereich begebe und daher einem größeren Schadensrisiko als im allgemeinen Zusammenleben ausgesetzt sei.425 Dies gelte allerdings nur im Rahmen eines geschäftlichen Kontaktes, da es hier um die gesetzlich bereitgestellte Möglichkeit privatautonomer Gestaltung zur Anbahnung rechtsgeschäftlicher Beziehungen gehe.426 Um „Rücksichtslosigkeit“ und „Unbekümmertheit“ zu vermeiden, müsste die Rechtsordnung eine gesteigerte Haftung im Rahmen der privatautonomen Gestaltung vorgeben.427 Aus diesem Grund seien mit dem rechtsgeschäftlichen Kontakt per gesetzlicher Anordnung entstehende Pflichten der Beteiligten anzuerkennen.428 424 425 426 427

Vgl. Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 173; ders., Verkehrsschutz, S. 64. Vgl. Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 173 f.; ders., Verkehrsschutz, S. 63. Vgl. Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 173. Vgl. Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 174.

D. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln

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Damit hat Frotz die Lehren der Vertrauenshaftung hinsichtlich des Tatbestandes des Schuldverhältnisses auf das objektive Merkmal des geschäftlichen Kontaktes, hier im Sinne eines rechtsgeschäftlichen Kontakts reduziert.

2. Resümee: Verkürzung der Bedeutung von Privatautonomie durch Reduktion des Selbstverantwortungsgedankens auf rechtsgeschäftliches Handeln Die alleinige Heranziehung von Selbstverantwortung als Rechtfertigung für die Entstehung des Schuldverhältnisses in den Fällen der culpa in contrahendo erscheint aber infolge des zugrunde gelegten Verständnisses von Privatautonomie bedenklich. Frotz geht von einem engen Verständnis privatautonomem Handelns aus. Er nimmt an, dass von privatautonomer Gestaltung nur gesprochen werden könne, wenn die Rechtsfolge eine Entsprechung des auf den Eintritt dieser Rechtsfolge gerichteten rechtsgeschäftlichen Parteiwillens ist. Die von Frotz und anderen Autoren faktisch vorgenommene Gleichstellung von Vertrag und privatautonomen Handeln bzw. von Vertragsfreiheit und Privatautonomie beinhaltet eine Verkürzung des Begriffs der Privatautonomie. Dies führt dazu, dass der Privatautonomie (nur) im Rahmen des Vertragsrechts eine Bedeutung zugesprochen wird. Ein solch enges Verständnis entspricht weder dem Wortsinn noch der philosophisch-historischen Bedeutung des Begriffes. Privatautonomie wird letztlich in allen Teilbereichen des Bürgerlichen Rechts in anderer Weise verwirklicht. Eine (freie) Gestaltung i. S. d. Wortsinns des Begriffs kann auch in der Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Bürger im Delikt oder bei der Entstehung und Ausgestaltung von anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen wie etwa der Geschäftsführung ohne Auftrag gesehen werden.429 In den verschiedenen Schuldverhältnissen kommt Privatautonomie jeweils in einer anderen Fasson zum Tragen. Anders gesagt: Momente, die zum Gesamtzusammenhang der Privatautonomie gehören, finden sich in allen Schuldverhältnissen, wobei nicht verleugnet werden soll, dass die Schwerpunktsetzung unterschiedlich ist.430 Zugestanden ist dabei, dass der Vertrag ein wichtiges Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie ist. Die Ebene der Privatautonomie und des Vertrags als eines wichtigen Mittels zur Durchsetzung derselben sollten allerdings strikt getrennt werden.431 Vgl. Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 174. Vgl. dazu insbesondere noch unten unter 2. Teil, D. I. 430 Vgl. dazu auch Jan Schapp, Grundfragen, S. 56 f., der betont, dass unterschiedliche Momente des Prinzips der Privatautonomie nicht herausgelöst einzelnen Rechtsbereichen zugeordnet werden sollten. 431 Ebenso Jan Schapp, Grundfragen, S. 56. 428 429

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Es erscheint daher bedenklich, der Selbstverantwortung als Teilmoment der Privatautonomie im Bereich rechtsgeschäftlichen Handelns eine derart hohe Bedeutung zuzusprechen.432 Damit würde die Selbstverantwortung in einem Teilbereich des Bürgerlichen Rechts anders gewertet werden als in den übrigen Bereichen.433 Im Übrigen würden auch die besseren Argumente dafür sprechen gerade der Selbstbestimmung und nicht der Selbstverantwortung im Bereich rechtsgeschäftlichen Handelns besondere Bedeutung zukommen zu lassen. Wenn die Selbstverantwortung als Kehrseite der Selbstbestimmung letztlich zur Rechtfertigung der Haftung dienen soll, so stellt sich die Frage, wieso in anderen Bereichen der Selbstbestimmung die Privatautonomie nicht zur Rechtfertigung von Pflichten und Schuldverhältnissen herangezogen werden kann. Es kommt dann die Frage auf, warum in diesen anderen Fällen der Selbstbestimmung keine Schuldverhältnisse bzw. Pflichten zur Rücksichtnahme entstehen. Allein die Reduktion auf den Bereich des Vertrags bzw. der rechtsgeschäftlichen Handlung führt zur Deutung, dass in diesem Bereich besondere Verantwortung geschuldet ist. Das ist aber letztlich schon in der Verkürzung des Begriffs angelegt und kann daher bei genauer Betrachtung nicht aufrechterhalten werden. Die Frage, wann das Schuldverhältnis in den Fällen der culpa in contrahendo zustande kommt, ist damit ohnehin nicht beantwortet. Mit der Anknüpfung an die privatautonome Gestaltungsfreiheit scheint Frotz zwar mittelbar eine Erklärung dafür gefunden zu haben, dass er das Schuldverhältnis der culpa in contrahendo auf rechtsgeschäftliche Kontakte beschränken und (rein) soziale Kontakte nicht einbeziehen will. Dieser Aspekt wurde später auch von Canaris in seine Konzeption des Instituts Vertrauenshaftung gerade an diesem Punkt integriert.434 Dies gelingt aber nur, weil hier ein zu enges Verständnis von Privatautonomie zu Grunde gelegt wird. Aus diesen Erwägungen ist der von Frotz vorgetragene Ansatz insgesamt abzulehnen.

II. Haftung in Anknüpfung an einseitig privatautonomes Handeln Andere Autoren haben die Anknüpfung an privatautonomes Handeln in einem anderen Sinne als Grundlage für eine Haftung in Fällen der culpa in contrahendo angenommen. Sowohl Hans Stoll (1.), als auch Heinrich Stoll (2.) haben Konzepte präsentiert, die auf einseitigem Verhalten als Tatbestand eines Schuldverhältnisses basieren. Kern der Ansätze ist die Anknüpfung der Haftung an einseitiges privatautonomes Handeln (3.). 432 Kritisch zur Rechtfertigung der Haftung in Fällen der culpa in contrahendo allein aus dem Gesichtspunkt der Selbstverantwortung auch Köndgen, S. 111. 433 Kritisch in anderem Zusammenhang auch Jan Schapp, Grundfragen, S. 56. 434 Vgl. zu den Bezügen bei Canaris oben unter 1. Teil, C. VI. 3.

D. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln

105

1. Anknüpfung an einseitige Leistungsversprechen In seiner Untersuchung entwickelt Hans Stoll in Anlehnung an die Grundsätze des „promissory estoppel“ aus der amerikanischen Rechtslehre eine Vertrauenshaftung bei einseitigen Leistungsversprechen.435 Die Haftung folge in diesen Fällen aus der Inanspruchnahme berechtigten Vertrauens.436 Immer, wenn mittels eines einseitigen Leistungsversprechens um Vertrauen geworben werde und der Empfänger oder Dritte auf Grund dessen in vorhersehbarer Weise disponiere, sei der Tatbestand erfüllt.437 Damit entstehe ein gesetzliches Schuldverhältnis durch die Inanspruchnahme gewährten Vertrauens.438 Es handle sich aber im Kern um eine Haftung für das gegebene Wort und nicht für die Inanspruchnahme von Vertrauen und das Hervorrufen von Vermögensdispositionen. Ausschlaggebend sei damit das Leistungsversprechen.439 Anwendungsfälle seien z. B. die Haftung für die Verweigerung des Vertragsschlusses, die Versprechen für eine Auskunft oder einen Rat einstehen zu wollen, aber auch die Eigenhaftung des Vertreters als Fall der culpa in contrahendo.440 Eine Beschränkung der Vertrauenshaftung auf rechtsgeschäftliche Kontakte, wie sie etwa Canaris annimmt, lehnt Stoll ab. Daher sei die Haftung auch in familiären Fragen oder im Rahmen allgemein menschlicher Beziehungen grundsätzlich denkbar.441 Hier ergebe sich allerdings häufig aus dem Rahmen, in dem eine Erklärung abgegeben wird, dass ein Versprechen außerhalb der Rechtssphäre vorliegt.442

2. Anknüpfung an ein einseitiges Rechtsgeschäft Im Gegensatz zu Hans Stoll betont Heinrich Stoll keinen Vertrauensaspekt im Tatbestand. Die Haftung in den Fällen der culpa in contrahendo folge vielmehr aus einem eigenständigen einseitigen Rechtsgeschäft, welches ein eigenes Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen begründe.443 Begründungstatbestand des 435 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741 ff. und zum Gesamtzusammenhang auch Hans Stoll, FS Riesenfeld, S. 275 ff. Diese steht recht unverbunden neben anderen Untersuchungen, in denen er lediglich eine Einteilung und Analyse der culpa in contrahendo im Rahmen von groben Fallgruppen vorgenommen hat. Vgl. Hans Stoll, FS von Caemmerer, S. 435 ff. 436 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 773. 437 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 773. 438 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 754. 439 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 754 f. 440 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 773. 441 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 770. 442 Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 770. 443 Vgl. Heinrich Stoll, JW 1933, S. 34, 36. Eine ähnliche Äußerung soll Titze 1925 auf einer Sitzung der Juristischen Gesellschaft Berlin abgegeben haben. Vgl. DJZ 1925, Sitzungsbericht, Sp. 490 – 491. Die Existenz von Pflichten bereits vor Vertragsschluss folgert er aus

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Schuldverhältnisses ist – nach Stoll – die einseitige Eröffnung der Vertragsverhandlungen durch Abgabe einer Erklärung durch einen Beteiligten.444 Diese Erklärung wird von Stoll teilweise als Rechtsgeschäft, in späteren Schriften auch als geschäftsähnliche Handlung eingeordnet.445 An anderer Stelle spricht er sogar nur noch von dem „Eintritt in die Vertragsverhandlungen“ als Entstehungstatbestand.446 Trotz seiner gegenteiligen Äußerungen in der Denkschrift für die Akademie für Deutsches Recht447 hat Stoll die Auffassung von der Begründung des Schuldverhältnisses in Fällen der Vertragsverhandlungen durch einseitiges Rechtsgeschäft später erneut bekräftigt.448

3. Resümee: Betonung der Verpflichtung der an andere Beteiligte herangetretenen Beteiligten aus privatautonomem Handeln Beiden in diesem Abschnitt kurz skizzierten Ansätzen liegt der Gedanke zu Grunde, dass das willentliche Herantreten an einen anderen Beteiligten Pflichten zur Rücksichtnahme zur Folge haben. Insoweit knüpfen beide an das privatautonome Handeln des Akteurs an. Hans Stoll stützt seine Lehre dabei zusätzlich auf den größeren Zusammenhang der (eher) subjektiven Strömung in den Vertrauenshaftungslehren,449 wenn er die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen zwischen den Beteiligten betont. Das gilt sowohl für die Rechtfertigung als auch für die Entstehung des Schuldverhältnisses. Mit der grundsätzlichen Maßgabe, dass auch nicht-geschäftliche Kontakte zur Begründung des Schuldverhältnisses ausreichend sein können, knüpft er an Dölles Lehre vom sozialen Kontakt an. Insgesamt bleibt seine Konzeption aber – wie auch die anderen Strömungen in der Vertrauenshaftungslehren – weitgehend vage. So bleibt unklar, wann ein Versprechen außerhalb der Rechtssphäre liegt und der Anerkennung diverser Pflichten in verschiedenen Normen des BGB. Vgl. Heinrich Stoll, LZ 1923, Sp. 532, 537. 444 Vgl. Heinrich Stoll, JW 1933, S. 34, 36; ähnlich wohl auch Ottensmeyer, S. 45 und von Alberti, AcP 118 (1920), S. 154 ff., der annimmt, dass bereits mit der Abgabe eines Angebotes Pflichten des Abgebenden entstehen. In einzelnen Fallgruppen ähnlich auch Fürst, LZ 1910, Sp. 177 ff. und Herholz, AcP 130 (1930), S. 257, 295. Die Ausführungen von Herholz beschäftigen sich insgesamt mehr mit Fragen zum Schuldverhältnis im weiteren Sinne und sind daher in Bezug auf die unter Umständen einseitige Begründung des Schuldverhältnisses wenig konkret. 445 Vgl. Heinrich Stoll, JW 1933, S. 34, 36; JW 1927, S. 1086 und insbesondere LZ 1923, Sp. 532, 544. Diese Entschärfung ist nach Erman, AcP 139 (1934), S. 272, 319, Fn. 55 auf eine Entgegnung von Hildebrandt zurückzuführen. 446 Vgl. Heinrich Stoll, JW 1928, S. 1285. 447 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. I. 448 Vgl. Heinrich Stoll, Vertrag und Unrecht, S. 165. 449 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. II.

D. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln

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somit keine Haftung mehr vorliegen kann. Nicht geklärt ist auch, wann ein einseitiges Leistungsversprechen als Vertrauenswerbung angesehen werden kann. Hans Stoll hat diese Probleme selbst gesehen und für klärungsbedürftig erachtet.450 Abzulehnen ist auch die Qualifikation der Erklärung als Rechtsgeschäft oder Versprechen in beiden Lehren. Letztlich ist ausschlaggebend, dass die Annahme der Eröffnung von Vertragsverhandlungen durch Rechtsgeschäft eine Konstruktion in Verkennung der lebensweltlichen Situation ist: Ein Bewusstsein der Parteien rechtsgeschäftlich zu handeln, ist nicht gegeben. Ebenso wenig rechtfertigen die lebensweltlichen Vorgänge die Annahme, die Parteien würden eine Verpflichtung zur Rücksichtnahme wollen. Das gilt für einseitige Rechtsgeschäfte ebenso wie für Verträge als zweiseitige Rechtsgeschäfte.451 Das scheint Heinrich Stoll in seinen späteren Schriften dann auch bewusst gewesen zu sein, wenn er eingesteht, dass die Erklärung wohl eher eine geschäftsähnliche Handlung ist. Trotz dieser Kritikpunkte ist aber für die weitere Untersuchung festzuhalten, dass auch in den Ansätzen von Hans und Heinrich Stoll eine Anknüpfung an privatautonomes Handeln als Grundlage der Haftung im Sinne eines Tatbestands einerseits, aber auch als Legitimationsgesichtspunkt andererseits herangezogen wird. Gemeinsamkeit beider Lehren ist auch die Umschreibung eines Herantretens an den jeweils anderen Beteiligten im Sinne eines gerichteten Handelns.

III. Selbstbindung als privatautonomes Handeln i.w.S. als Anknüpfungspunkt Durchaus als teilweise Fortführung der Ansätze von Hans und Heinrich Stoll kann das Konzept von Köndgen angesehen werden, das einen neuen Blickwinkel auf unseren Begriff vom privatautonomen Handeln ermöglicht. Im Folgenden soll zunächst das Konzept, die Idee eines Kontinuums zwischen Vertrag und Delikt (Selbstbindung) skizziert werden (1.), bevor sich eine kurze Analyse der Bedeutung anschließt (2.).

1. Selbstbindung als Kontinuum zwischen Vertrag und Delikt Köndgens Intention ist es, unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung eine neue dogmatische Figur in das bestehende System des Bürgerlichen Recht zu integrieren.

450 451

Vgl. Hans Stoll, FS Flume, S. 741, 773. Vgl. dazu bereits die Kritik oben unter 1. Teil, B. I. 4.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Dabei geht er davon aus, dass zwischen Vertrag und Delikt ein fließender Bereich der Selbstbindungen besteht. Mit diesem Bereich geht es ihm unter anderem darum, die alleinige Konzentration der Dogmatik auf die beiden Begriffe der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung aufzubrechen.452 Es gehe um privatautonomes Handeln in einem weiteren Sinne, bei dem allerdings die Haftung letztlich unabhängig von einem darauf gerichteten rechtsgeschäftlichen Willen bzw. einer unerlaubten Handlung i. S. d. Deliktsrechts begründet wird.453 Die damit einhergehende Aufgabe der Zweiteilung in vertragliche und deliktische Handlungen sei das Ergebnis einer durch die Rechtsprechung vollzogenen Evolution des Vertragsrechtes, die er als Selbstbindung ohne Vertrag bzw. ohne Willenserklärung charakterisiert.454 Dem Schwerpunkt nach untersucht Köndgen in nach eigener Bezeichnung rechtsvergleichend-rechtssoziologischer Weise die Entwicklung des angloamerikanischen Vertragsrechtes des Common Law.455 Anstelle einer Konzentration auf Vertrag und Delikt als entgegengesetzte Pole findet Köndgen als Ergebnis seiner Untersuchung auch in Deutschland ein Kontinuum zwischen den Polen Freiheit und sozialer Kontakt vor.456 Bei der neu gefundenen Kategorie der Selbstbindung ohne Vertrag handle es sich um Verpflichtung aus Handeln zu kommunikativen Zwecken. Aus dem Handeln folgen bei den anderen Beteiligten bestimmte Erwartungen oder Handlungen. Es gehe also um den Schutz legitimer Erwartungen457. Dieses Handeln zu kommunikativen Zwecken umfasse gerade keine Willenserklärung im technischen Sinn.458 Maßgeblich für das Hervorrufen von Erwartungen als Selbstbindung sei die Selbstdarstellung der Akteure unter besonderer Berücksichtigung von Rollenerwartungen als qualifizierte Form der Selbstdarstellung und des Hervorrufens von Erwartenshaltungen459: Hier legt Köndgens Untersuchung einen Schwerpunkt auf die Berufsrollen.460 Ist durch die Selbstdarstellung eine Erwartenshaltung entstanden, ist in Köndgens Konzept die Reziprozität der Beziehung der Beteiligten notwendig, um der Selbstbindung zu Bestand zu verhelfen.461

Vgl. Köndgen, S. 2 f.; 100 f. und 111. Vgl. Köndgen, S. 6 f. 454 Köndgen, S. 7. 455 Vgl. Köndgen, S. 19 ff. 456 Vgl. Köndgen, S. 64 f. 457 Vgl. Köndgen, S. 114. Den Begriff der legitimen Erwartung setzt Köndgen an die Stelle von Vertrauen, vgl. Köndgen, S. 116. 458 Vgl. Köndgen, S. 114. 459 Vgl. Köndgen, S. 156 ff. 460 Vgl. Köndgen, S. 192 ff. 461 Vgl. Köndgen, S. 233 ff. 452 453

D. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln

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Dieses Konzept wendet er auf verschiedene Fallgruppen an und unterteilt diese in eher dem Delikt nahe stehende Quasi-Delikte bzw. eher dem Vertrag nahe stehende Quasi-Verträge.462 Werbeaussagen, sofern diese Informationsgehalt haben, ordnet er z. B. als Fall der quasi-vertraglichen Selbstbindung und damit als verbindlich ein.463 Für den Verkäufer fließe die Selbstbindung in die vertragliche Leistungspflicht ein, für den Hersteller hingegen begründe sie – etwa im Falle einer Qualitätszusicherung – ein selbstständiges quasi-vertragliches Schuldverhältnis mit einer analog § 463 BGB a.F. bestehenden Leistungspflicht.464 Im Falle der beruflichen Auskunftshaftung handle es sich wiederum im Falle vorhandener Rollenerwartungen gegenüber dem Berufsträger um eine quasi-vertragliche Haftung. Im Falle der Schädigung Dritter sei dagegen deliktische Haftung gegeben.465 Bei letzterer Fallgruppe gehe es um die Personen, die weder vertraglich noch außer-vertraglich mit dem Berufspraktiker verbunden seien.466 Auch in den Fällen der Sachwalterhaftung, die Köndgen auf Fälle sog. selbstständiger Vertragsgehilfen reduziert, handle es sich um eine quasi-vertragliche Haftung auf der Grundlage von Selbstbindungsakten.467

2. Resümee: Privatautonomes Handeln i.w.S. als Anknüpfungspunkt einer Haftung Die Darstellung von Köndgens Überlegungen in diesem Abschnitt zeigt, dass seine Konzeption einer Selbstbindung ohne Vertrag nicht so ungewöhnlich bzw. eine so „fragwürdige Kategorie“ ist, wie teilweise angenommen wurde.468 Insgesamt bleibt sein Entwurf aber vage. Das Kontinuum von Haftungen zwischen Vertrag und Delikt wird im Gesamtverlauf der Arbeit nicht wirklich fassbar gemacht. Die Kriterien der Selbstdarstellung bzw. des Rollenverhaltens als Selbstbindung, wenn und soweit Reziprozität gegeben ist, sind selbst zu unbestimmt, als dass sie als Merkmal zur Bejahung eines Anspruchs oder zur Entstehung eines Schuldverhältnisses i.w.S. genügen könnten. Fraglich ist auch, welcher Art dieser von Köndgen als quasi-vertraglich bezeichnete Anspruch letztlich wirklich wäre. Handelt es sich dabei um einen Anspruch auf Grund der Verletzung einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis, was bei der Bezeichnung als quasi-vertraglich an sich nahe läge, so bleibt unklar, wann ein Schuldverhältnis entsteht. Köndgen verdeutlicht an keiner Stelle, ob durch sein 462 463 464 465 466 467 468

Vgl. Köndgen, S. 283 ff. Vgl. Köndgen, S. 284 ff., insbesondere das Resümee auf S. 309. Vgl. Köndgen, S. 352. Vgl. Köndgen, S. 352 ff. Vgl. Köndgen, S. 353. Vgl. Köndgen, S. 403 ff., insbesondere S. 412 f. Vgl. Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 106.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

System der Selbstbindung und Reziprozität nun direkt Pflichten entstehen sollen, oder ob es hier eigentlich um die Begründung eines Schuldverhältnisses nur mit Pflichten zur Rücksichtnahme gehen soll. Die Unterscheidung ist dann möglicherweise in dem Konzept auch gar nicht angelegt. Ebenfalls fraglich ist, ob Köndgen überhaupt noch mit einem fassbaren Begriff des Schuldverhältnisses arbeitet. Die Vorstellung eines „Kontinuums zwischen Freiheit und sozialem Kontakt“ scheint im Widerspruch zu dem im BGB zugrunde gelegten System der Schuldverhältnisse zu stehen. Auf Grund dieser Bedenken kann seine Untersuchung für die hier verfolgte Fragestellung nicht überzeugen. Die Ausführungen bleiben im Einzelnen zu vage und allgemein. Auch die von ihm entwickelten Kriterien bei der Beurteilung der Frage, ob ein Fall der Selbstbindung vorliegt bzw. wie sich diese Selbstbindung rechtlich auswirkt, sind kaum fassbar. Daneben fehlt auch insgesamt eine Konzeption, wie ein Verständnis der Selbstbindung in die bisherige Dogmatik – insbesondere unter Berücksichtigung des Begriffs des Schuldverhältnisses – bzw. das System des Bürgerlichen Rechts integriert werden soll und kann. Köndgen ist es aber zu verdanken, dass er mit einem unvoreingenommenen Blick auf den Stand der Dogmatik privatautonomen Handelns aufgezeigt hat, dass privatautonomes Handeln nicht allein durch Rechtsgeschäfte verwirklicht wird. Damit zeigt er mit seiner Untersuchung der Selbstbindung nicht zuletzt neue Wege für die Dogmatik auf.

IV. Die Anknüpfung an privatautonomes Handeln als eine Leitlinie in der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Die verschiedenen skizzierten Ansätze haben auf unterschiedlichste Art und Weise privatautonomes Handelns zum Ausgangspunkt eines Tatbestandes oder Legitimation des Schuldverhältnisses gemacht. Dabei hat sich gezeigt, dass der alleinigen Betonung der Selbstverantwortung als Korrelat rechtsgeschäftlichen Handelns eine Übertonung der Selbstverantwortung in einem Teilbereich rechtsgeschäftliche Handelns zugrunde liegt. Dennoch hat auch der Ansatz von Frotz gezeigt, dass privatautonomes Handeln als wichtiger Gesichtspunkt in der Diskussion des Schuldverhältnisses gesehen wird. Den anderen Ansätzen ist als gemeinsamer Gedanke zu entnehmen, dass an ein willentliches, in diesem Sinne privatautonomes Handeln anzuknüpfen ist. Alle Konzepte basieren weiter darauf, dass das privatautonome Handeln an einen anderen Beteiligten (oder eine Gruppe von anderen Beteiligten) gerichtet ist. Zuletzt ist – insbesondere im Sinne Köndgens – für die Bedeutung privatautonomen Handelns in der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses festzuhalten, dass der Be-

E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung

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griff privatautonomen Handelns nicht allein auf Rechtsgeschäfte beschränkt werden darf, sondern auch andere Selbstbindungsakte mit einzubeziehen sind. Mit Herausarbeitung dieser Leitlinie zeigen sich weiterhin Bezüge zu den anderen in dieser Untersuchung betonten Ansätzen. Auch der unter B. betonte Konsensgedanke ist letztlich eine besondere Form der privatautonomen Anknüpfung. Bei den unter B. diskutierten Theorien spielte die Gerichtetheit des Handelns ebenso wie die Anknüpfung an willentliches, privatautonomes Handeln eine wesentliche Rolle. Die Bedeutung des privatautonomen Handelns trat dann auch in Verbindung mit dem hier unter C. abgelehnten Vertrauensgedanken hervor. Letztlich knüpfen die Vertrauenshaftungslehren in verklausulierter Form ebenfalls an ein willentliches Handeln, welches gerade an einen anderen Beteiligten gerichtet ist, an.

E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung: Ausweitung und Beschränkung des Anwendungsbereichs des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Neben den bisher dargestellten Leitlinien in der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses lassen sich auch Strömungen der Dogmatik erkennen, die als Nebenlinien bezeichnet werden können. Zum einen lässt sich eine große Gruppe von Autoren ausmachen, die das Schuldverhältnis grundsätzlich für eine zu korrigierende dogmatische Fehldeutung hält, jedenfalls aber den Anwendungsbereich deutlich einschränken wollen (I.). Zum anderen haben verschiedene Autoren gefordert, die Anwendung des Schuldverhältnisses in der Praxis zu einem einheitlichen Berufshaftungstatbestand auszubauen (II.). Die Nebenlinien werden folgend skizziert und analysiert, bevor die Bedeutung für die dogmatische Entwicklung die vorliegende Untersuchung zusammengefasst wird (III.).

I. Die Fälle des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses als genuines Deliktsrecht Nach einer in der Rechtswissenschaft von verschiedener Seite vorgetragenen Ansicht handelt es sich bei Pflichten zur Rücksichtnahme letztlich um deliktische Pflichten.469 Sie sprechen daher dem Rücksichtnahmeschuldverhältnis die Existenzberechtigung dem Grunde nach ab. Im Folgenden sollen zunächst die Argumente der Autoren skizziert werden (1.), bevor eine Gesamtwürdigung und Kritik den Abschnitt schließt (2.).

469

Vgl. etwa Ulrich Huber, Gutachten, S. 737.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

1. Pflichten zur Rücksichtnahme als Verkehrspflichten Eine große Anzahl von Autoren um von Bar haben die „Existenzberechtigung“ des Schuldverhältnisses in den Fällen der culpa in contrahendo im Laufe der dogmatischen Entwicklung in Frage gestellt.470 Ein wesentliches Argument der Autoren ist, dass das Wesen des Vertragsrechts die Regulierung gestörter Leistung sei.471 Im Deliktsrecht gehe es dagegen um Rechtsgüterschutz.472 Die Fallgruppe der culpa in contrahendo, insbesondere im Bereich der Schutzpflichten für absolute Rechtsgüter,473 sei daher nach Zweck und Ursprung des Schuldverhältnisses eine Ergänzung des Deliktsrechts.474 Systematisch handle es sich um die Verletzung von Verkehrspflichten.475 Darüber hinaus sei eine Abgrenzung zwischen den von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und der culpa in contrahendo einerseits und der Verkehrspflicht anderseits nicht sinnvoll unter Heranziehung von quantitativen Erwägungen bzw. der Intensität eines sozialen Kontaktes durchführbar. Die Intensität des sozialen Kontakts sei im Rahmen 470 Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 226; Thiemann, S. 148 ff.; Bälz, Strukturwandel, S. 30 im Rahmen seiner Konzeption einer „Vorkehrhaftung“. Ähnlich auch Ulrich Huber, FS von Caemmerer, S. 837, 862 ff., insbesondere 865, der davon ausgeht, dass es sich bei der Fallgruppe der sog. Schutzpflichten letztlich um Verkehrspflichten handelt. Bei Huber bleibt aber dann mit Blick u. a. auf die Vorschrift des § 278 BGB ein gewisser Anwendungsbereich für das Schuldverhältnis erhalten. Es war wohl zuerst von Caemmerer, FS Juristentag, S. 49, 56 ff., der davon gesprochen hat, dass typische Deliktstatbestände in den Bereich vertraglicher Haftung gezogen worden seien. 471 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637. 472 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637. In diesem Zusammenhang ebenso Kreuzer, JZ 1976, S. 778, 780 und Bälz, Strukturwandel, S. 51 und 55, der hieraus folgert, dass es sich bei der culpa in contrahendo um Deliktsrecht handle. Ähnlich auch Nirk, 2. FS Möhring, S. 70, 77; Battes, JZ 1969, S. 683, 688. 473 Teilweise ist die Kritik auf die sog. Schutzpflichten für absolute Rechtsgüter beschränkt. Siehe von Bar, JuS 1982, S. 637, 638 f.; Hohloch, JuS 1977, S. 302, 306; vgl. Brüggemeier, AG 1982, S. 268, 275; in diese Richtung auch Loges, S. 186. Aus Sicht des österreichischen Rechts ähnlich Posch, ZfRV 1974, S. 165, insbesondere 184 ff. 474 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637, 639; ähnlich Battes, JZ 1969, S. 683, 688; Hohloch, JuS 1977, S. 302, 306. In der Vorstellung Brüggemeiers handelt es sich bei den Fällen der culpa in contrahendo allerdings um ein eigenständiges Sonderdelikt, das die Haftung für die fahrlässige Verletzung sozialbereichsspezifischer Verkehrspflichten regelt (deliktische Haftung in einer Sonderbeziehung). Vgl. Brüggemeier, AcP 182 (1982), S. 385, 424. 475 Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 312 f. von Bar weist darauf hin, dass der BGH sowohl Verkehrspflichten als auch das Schuldverhältnis in der Fallgruppe der culpa in contrahendo nach seiner Auffassung bereits als gesetzliche Schuldverhältnisse qualifiziert habe. Diese Einschätzung von Bars wird im Schrifttum teilweise geteilt. Vgl. die ähnlichen Äußerungen bei von Caemmerer, FS Juristentag, S. 49, 57 ff.; Hohloch, JuS 1977, S. 302, 305; Eike Schmidt, AcP 170 (1970), S. 502, 506 ff.; Hans Stoll, AcP 176 (1976), S. 145, 162 (im Rahmen von Erörterungen zur Beweislast). Thiemann geht dagegen davon aus, dass es sich der Art nach um eine tatbestandlich beschränkte deliktische Generalklausel handle. Vgl. Thiemann, S. 154.

E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung

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der deliktsrechtlichen Anspruchsgrundlage mindestens identisch, wenn nicht deutlich größer.476 Allein Schwächen des Deliktsrechts seien schließlich für die Ausweitung der Anwendung des Schuldverhältnisses verantwortlich. Die weitgehende Entlastungsmöglichkeit des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB in den Fällen einer schuldhaften Verletzung durch den Gehilfen sei insbesondere in den berühmten Linoleumrollen- und Bananenschalenfällen über das Schuldverhältnis der culpa in contrahendo umgangen worden.477 Daneben sei mittels der culpa in contrahendo der Schutz des Vermögens über den durch das Deliktsrecht gewährten Schutz hinaus erweitert478 und die deliktische Verjährungsfrist ausgehebelt worden.479 Auch die Begründung deliktischer Verkehrssicherungspflichten und die Anwendung der Beweislastumkehr der §§ 282, 285 BGB a.F. seien Funktionen, die der Ergänzung oder Umgehung der deliktischen Haftung dienen würden.480 Dasselbe gelte im Übrigen auch für die Rechtsfiguren der positiven Vertragsverletzung und des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte.481 Das Schuldverhältnis in der Fallgruppe der culpa in contrahendo habe also Funktionen des Deliktsrechts übernommen, um dort vorhandene empfundene Defizite auszugleichen.482 Die so kreierte Haftung könne nur in legitimer Weise im System des Bürgerlichen Rechts Bestand haben, wenn die Funktionen nicht durch das geltende oder ein zu reformierendes Deliktsrecht übernommen werden können.483 Die damaligen Schwächen des Deliktsrechts seien heute aber weitestgehend ausgeräumt. Insbesondere die Anwendung der Beweisregeln der §§ 282, 285 BGB a.F. sei nicht mehr als Vorteil gegenüber dem Deliktsrecht zu sehen, da die von der Rechtsprechung eingeführte Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen bereits dieselbe Funktion sicherstelle. Das Problem der zu weit gefassten Exkulpationsmöglichkeit bei der Gehilfenhaftung sei im Wege der durch die Rechtsprechung begründeten Verkehrssicherungspflichten in Form von Organisationspflichten ebenfalls im Rahmen des Deliktsrechts gelöst worden.484 Der Schutz primärer VerVgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 313; ähnlich Thiemann, S. 78 ff. Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 222; von Bar, JuS 1982, S. 637, 639; Hohloch, JuS 1977, S. 302, 306; ähnlich Schwark, JZ 1980, S. 741, 745; Hartwieg, JuS 1973, S. 733, 736; Pouliadis, S. 23; Schütz, S. 80; Loges, S. 40. 478 Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 223; von Bar, JuS 1982, S. 637, 639; vgl. ähnlich auch Zweigert, RabelsZ 1949 / 1950, S. 5, 18. 479 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637, 640; Hohloch, JuS 1977, S. 302, 306. 480 Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 233; von Bar, JuS 1982, S. 637, 640; Hohloch, JuS 1977, S. 302, 306. Vgl. dazu auch Hans-Joachim Mertens, VersR 1980, S. 397, 408, der ausführt, es handle sich letztlich um eine deliktische Haftung nach vertraglichen Grundsätzen. 481 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637, 641 ff. 482 Thiemann, S. 26, spricht insofern bildlich von einer „Vehikelfunktion“. 483 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637, 643. 476 477

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

mögensinteressen sei im Deliktsrecht durch die Schaffung bzw. Ausweitung der Rahmenrechte des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs und des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes sowie die objektivierende Auslegung des § 826 BGB durch die Rechtsprechung deutlich erweitert worden.485 Nach Auffassung einzelner Autoren weise das Deliktsrecht hier noch Defizite auf, die durch die Anerkennung von Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens zu beheben seien.486 Da der Begriff des Schutzgesetzes dem nicht entgegenstehe487, seien diese im Tatbestand des § 823 Abs. 2 BGB zu verorten, solange noch keine andere Regelung de lege ferenda getroffen worden sei.488 2. Resümee: Überbewertung der Verkehrspflichten im Rahmen der verfolgten Neukonzeption Alle vorgenannten Ansätze, die das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung im Deliktsrecht verorten, haben eine Neukonzeption des Deliktsrechts im Auge, die mit dem jetzigen BGB nicht vereinbar ist. a) Die verfolgte Neukonzeption des Deliktsrechts Den Ansätzen ist gemeinsam, dass eine Verstärkung der Haftung für die Verletzung von Verkehrspflichten unmittelbare Folge der jeweiligen Konzeptionen wäre. 484 Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 248 f.; von Bar, JuS 1982, S. 637, 645; ebenso Kreuzer, JZ 1976, S. 778, 780. Die Rechtsprechung greife heute auch gar nicht mehr auf das Schuldverhältnis in der Fallgruppe der culpa in contrahendo zurück, sondern sehe der Linoleumrollen- und Bananenschalenentscheidung vergleichbare Fälle mittlerweile als deliktisch an. Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 250 ff. Diese Aussage trifft nur zum Teil zu, vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VII. 2. 485 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637, 645. 486 Vgl. von Bar, JuS 1982, S. 637, 645. Im Rahmen seines Vorschlags zur Reform des Deliktsrechts sind allerdings Verkehrspflichten zum Schutze reiner Vermögensinteressen nur im geringen Umfang für Fälle der Auskunftshaftung berücksichtigt. Vgl. von Bar, Gutachten, S. 1681, 1719 ff. und 1765 ff.; von Bar, Verkehrspflichten, S. 237. Dort wird ausgeführt, dass primäre Vermögensinteressen nur im Ausnahmefall ersatzfähig seien und die Diskussion in der Rechtswissenschaft noch nicht in ausreichendem Maße geführt worden sei, um neben der Auskunftshaftung einen konkreten Tatbestand formulieren zu können. Siehe von Bar, Gutachten, S. 1681, 1720 f. Vgl. im Sinne von Bars insgesamt auch Konrad Huber, FS von Caemmerer, S. 359, 383 ff. Vgl. dazu auch MünchKomm-Mertens, 3. Auflage, § 823, Rdnr. 472 ff., der fordert anzuerkennen, dass hinter der erfolgten Ausdehnung des Deliktsrechts durch quasi-vertragliche Konstruktionen, Verkehrssicherungspflichten u.ä. ein differenziertes Haftungssystem in Form von Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens stehe. Die bereits herausgebildeten Merkmale sollen nach Auffassung von Mertens dann Anhaltspunkte für die im Wege der Rechtsfortbildung zu schaffenden Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens sein. Vgl. dazu auch die Thesenzusammenstellung bei Hans-Joachim Mertens, AcP 178 (1978), S. 227, 261 f. 487 Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 163 ff. 488 Vgl. von Bar, Verkehrspflichten, S. 319.

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In der Lehre von Bars wäre eine erhebliche Ausweitung der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB die unmittelbare Folge. Thiemann formuliert das Hauptproblem der deliktischen Ansätze prägnant: Es geht um die Formulierung einer Generalhaftungsklausel deliktischer Natur.489 Über den Umweg der Verkehrspflichtverletzung im Sinne von Bars bzw. einer Generalhaftungsklausel wäre damit die Grundlage für eine Auflösung des heutigen Systems des Deliktsrechts gelegt. Entgegen der bereits im römischen Recht mit der lex aquilia begründeten Regel, nur in klar definierten Fällen die deliktische Haftung auch für Fahrlässigkeit zuzulassen, wäre das deutsche Deliktsrecht dann auf der Grundlage einer allgemeinen Generalklausel konzipiert. b) Gefahren einer Übertonung der Bedeutung der Verkehrspflichten Diese Gefahr haben die Befürworter der deliktischen Ansätze gesehen. Sie fordern daher, die Ausgestaltung von konkreten Tatbeständen durch die Rechtsprechung. Die Ausgestaltung der Tatbestände der Rechtsprechung zu überlassen, nimmt der Haftung aber nicht den Charakter als generalklauselartig. Die damit verbundene und von den Autoren auch gewollte Neukonzeption des Deliktsrechts ist weder notwendig noch sinnvoll. Da die Rechtsanwender, also sowohl Richter, als auch Rechtsanwälte, Unternehmensinhaber und andere auf konkrete Rechtssätze angewiesen sind, um klare Vorgaben zu erhalten, welches Verhalten möglicherweise zu einer Schadensersatzpflicht führt, ist die Ausarbeitung von konkreten Tatbeständen unerlässlich. In Common Law Rechtsystemen ebenso wie in Civil Law geschieht dies durch konkrete Tatbestände kodifizierten Rechts oder durch die Konkretisierung allgemeiner Tatbestände kodifizierten Rechts durch konkrete am Fall orientierte Rechtssätze des Richters. In einem Common Law Rechtsystem ist dabei das Gesamtsystem eher durch am Fall orientierte Rechtssätze geprägt, während in einem Civil Law Rechtssystem das System eher durch konkrete Rechtssätze kodifizierten Rechts geprägt ist. Insgesamt ist aber offenbar, dass konkrete Rechtssätze vorgegeben werden müssen. Im Bereich des Haftungsrechts ist dies unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit von Risiken und Schadensverteilung von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Bestimmung, wann ein Verhalten dabei zu einer Schadensersatzpflicht führt bzw. wann ein Verhalten zwar einen Schaden hervorruft, aber dennoch nicht mit einer Schadensersatzpflicht sanktioniert wird, steht dabei im Spannungsverhältnis von Handlungsfreiheit und den berechtigten Interessen des Geschädigten. Gewinnt die Handlungsfreiheit in diesem Verhältnis die Oberhand, weil zu wenig Tatbestände als haftungsauslösend bestimmt sind, leiden Gesellschaft und 489

Vgl. Thiemann, S. 154.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Wirtschaftsverkehr unter einer Kumulierung von Schäden, für die Geschädigte keine Restitution erlangen können. Indem das Sicherheitsempfinden in Wirtschaft und Gesellschaft leidet, nimmt die Gesellschaft insgesamt Schaden. Setzt sich andererseits eine an einer vollkommenen Totalreparation orientierte Regelung durch, bei der für jedes verletzende Verhalten Schadensersatzpflichten angeordnet werden, so leidet die Risikobereitschaft in der Wirtschaft angesichts der Schadensrisiken enorm. Insbesondere wenn jede Verletzung von Vermögensinteressen – möglicherweise auch unmittelbar – ohne besondere Reduzierung auf spezifische Beziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem ersatzpflichtig macht, ist damit zu rechnen, dass die Schadensrisiken sowohl für Unternehmen als auch für Einzelpersonen nicht mehr kontrollierbar werden. Neben diesem Mangel an Kontrolle über Schadensrisiken würde auch eine erhebliche Gefahr der Kumulation großer Schadenssummen bei Unternehmen und Einzelpersonen bestehen. Mit Blick speziell auf das sozial erträgliche Maß an Kompensation durch eine Einzelperson steht dann zu befürchten, dass die Grenze der zumutbaren Belastung nicht nur im Einzel-, sondern sogar im Regelfall überschritten wird. Schon vor diesem Hintergrund ist eine Reduzierung der Haftung auf die Fälle geboten, in denen besondere Situationen oder rechtlich als besonders schützenswert angesehene Positionen (wie etwa die Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB) diese Haftung in besonderem Maße rechtfertigen. Daher ist zur Vermeidung einer ausufernden Haftung ein wesentlicher, für das Haftungsrecht zu lösender Gesichtspunkt die Frage der Reduzierung der Sachverhalte, die eine Haftung auslösen können. Das Deliktsrecht des BGB, so wie es heute vorgefunden wird, hat mit § 823 Abs. 1 BGB den Weg gewählt, die Rechtsgüter und Rechte zu benennen, die in jedem Fall geschützt werden sollen. Für die Sanktionierung als besonders vorwerfbar empfundenen Verhaltens ist in § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB mit „kleinen“ Generalklauseln eine Regelung gefunden. Insbesondere § 826 BGB ist dann wieder durch die Fallgruppen der Rechtsprechung konkretisiert worden. Hier wie in den anderen Vorschriften des Deliktsrechts des BGB, aber auch der Nebengesetze, ist deutlich, dass die Haftung auf konkret bestimmte Fallgruppen und Sachverhalte mittels der Vorgabe von Rechtssätzen beschränkt werden soll. Durch dieses System ist es gelungen, die oben genannten Risiken eines Missverhältnisses zwischen der Handlungsfreiheit und den berechtigten Interessen der Geschädigten zu vermeiden. Hier zeigt sich, dass Generalklauseln grundsätzlich sinnvoll begrenzt werden können und müssen. Eine solche Begrenzung wäre aber deutlich schwieriger, wenn Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens anerkannt würden. Die Diskussion würde sich dann um die Begrenzung der Haftung drehen, während heute die Begründung der Haftung im Mittelpunkt der Debatte steht. Bei Anwendung der hier vorgestellten Modelle würde eine deutliche Verschiebung innerhalb des gesetzlichen Systems erfolgen. Das Deliktsrecht würde – im Wege der durch die Rechtsprechung gebildeten Pflichten – konkrete Pflichten für Einzelpersonen vorgeben. Darüber hinaus würde auf Grund der auf diesem Wege

E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung

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erreichten Neukonzeption des Deliktsrechts die Herausbildung der konkreten Tatbestände letztlich allein in der Hand der Rechtsprechung liegen. Diese hätte die soeben entwickelte gebotene Beschränkung zu leisten. Damit wäre nicht nur – mangels Kodifikation – eine erhebliche Rechtsunsicherheit die Folge, sondern auch eine immense Ausweitung der Haftung. Ist die „Bremse“ des Tatbestandsmerkmals der Verletzung eines absoluten Rechtsguts oder Rechts bzw. der Erfüllung der besonderen Voraussetzungen der Sondervorschriften des Deliktsrechts erst einmal gelöst, weil ohne die Voraussetzung einer spezifischen Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem konkrete Handlungspflichten als Verkehrspflicht anerkannt sind, so ist die Bejahung der Haftung im konkreten Fall fast schon Formsache. Die Ansätze der Autoren um von Bar verkennen die erhebliche Bedeutung der Verletzung eines Rechtsgutes oder sonstigen geschützten Rechts bzw. der spezifischen Tatbestandsvoraussetzungen der deliktischen Normen in gravierender Weise. Die Überbetonung der Verkehrspflicht und ihre Adelung zur konkreten Handlungspflicht, würden letztlich zu einer enormen Ausdehnung der Haftung führen. Dessen ist sich von Bar bewusst. Er erkennt das Sprengpotential seiner Forderung, wenn er mit großer Zurückhaltung an die Formulierung von Verkehrspflichten zum Schutze von Vermögensinteressen herangehen will. Schon auf Grund der angerissenen Gefahren sind die deliktischen Konzepte abzulehnen. Die gewollte Neukonzeption des Deliktsrechts über den Umweg der Verkehrspflicht birgt die Gefahr einer erheblichen Haftungsausweitung auf Kosten eines gut funktionierenden Systems. c) Schutz von Integritätsinteressen auch im Rahmen des Schuldverhältnisses i.w.S. Darüber hinaus gibt es weitere erhebliche Gründe, warum keine Eingliederung der Haftung für die Verletzung von Pflichten zur Rücksichtnahme aus einem Rücksichtnahmeschuldverhältnis in das Deliktsrecht erfolgen sollte. Die Autoren um von Bar gehen davon aus, dass es sich bei der Kompensation von Integritätsinteressen um eine alleinige Aufgabe des Deliktsrechts handelt. Trotz seiner Popularität auch bei Autoren, die keinesfalls der Auffassung sind, dass es sich bei dem Rücksichtnahmeschuldverhältnis um ein deliktisches handelt,490 ist dieser Ausgangspunkt verfehlt. Schon vor Umsetzung der Schuldrechtsreform war stets anerkannt, dass im Rahmen von gesetzlichen und vertraglichen Schuldverhältnissen Pflichten bestehen, bei deren Verletzung auch das Integritätsinteresse ersatzfähig ist. 490 Vgl. z. B. Köndgen, S. 84, der annimmt, dass das Schuldverhältnis in der Fallgruppe der culpa in contrahendo ein „illegitimes Kind des deliktischen culpa-Prinzips“ sei. Der Tatbestand der Haftung für die Verletzung von Pflichten aus einem solchen Schuldverhältnis erfülle „kryptodeliktische Funktionen“.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Hier kann etwa auf die Regelung der Haftung für die Einbringung von Sachen bei Gastwirten nach § 701 BGB oder auf die besonderen Pflichten in einem Dienstvertrag nach §§ 617 und 618 BGB verwiesen werden. Weiterhin sanktioniert auch § 694 BGB mit einem Anspruch für den Verwahrer die Verletzung von Pflichten zum Schutz der Integritätsinteressen. Ebenso gewährt § 678 BGB dem Geschäftsherrn im Falle der unberechtigten Übernahme der Geschäftsführung einen Schadensersatzanspruch, der den Schutz von Integritätsinteressen bezweckt. Insbesondere im Fall des Eigentums ist darüber hinaus der Schutz der Integrität auch außerhalb des Deliktsrechts besonders ausgeprägt. Die Ansprüche aus §§ 985 und 1004 Abs. 1 BGB nehmen hier eine herausragende Stellung ein.491 In einem gewissen – mittelbaren – Sinn kann auch das Bereicherungsrecht mit der Eingriffskondiktion des § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt BGB sowie der Schutz vor der angemaßten Eigengeschäftsführung in § 687 Abs. 2 BGB als Schutz des Eigentums als absoluten Rechtsgutes begriffen werden.492 Auch hier zeigt sich also der Bestandsschutz im Sinne eines Schutzes des Integritätsinteresses. Sogar bei Reduzierung des Vertrages auf die Leistungsbeziehung ist nicht gesagt, dass im Vertragsrecht der Rechtsgüterschutz keine Rolle spielt. Der Leistungsanspruch auf Erfüllung dient ebenfalls dem Schutz der Rechtsgüter – auch wenn es dabei um den Schutz der Güterbewegung statt des Güterbestands geht.493 Daneben kann auch insgesamt in Frage gestellt werden, ob die ehemaligen Vorschriften der §§ 463 BGB a.F. bzw. 635 BGB a.F. und die entsprechend neu eingeführten Regelungen in § 437 Nr. 3 BGB i.V.m. § 280 BGB oder § 281 BGB nicht letztlich auch Integritätsinteressen mit umfassen. Es erscheint zumindest nicht ausgeschlossen, schon den Mangelschaden als einen unter das Integritätsinteresse fallenden Schaden anzusehen. Dafür spricht auch die schon früher geführte Diskussion um die Abgrenzung von Mangel- und Mangelfolgeschäden. Der Mangelfolgeschaden fällt als Schadensposten in die Kategorie des Bestandsschutzes. Die Abgrenzung zwischen Mangel- und Mangelfolgeschäden bzw. zwischen „nahen“ und „fernen“ Mangelfolgeschäden erscheint auch vor dem Hintergrund der Problematik des weiterfressenden Mangels bisweilen willkürlich. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Abgrenzungsprobleme kann sich der unvoreingenommene Betrachter die Frage stellen, ob die Abgrenzung zwischen Integritäts- und Leistungsinteresse überhaupt gerechtfertigt ist. Auch das Leistungsinteresse kann Rechtsgüter betreffen, die durch § 823 Abs. 1 BGB deliktisch geschützt sind. Die strikte Trennung beider Interessensarten, die von den in diesem Abschnitt dargestellten Autoren vertreten wird, verkennt zuvor491 Auf diesen Aspekt, der von den Autoren um von Bar nicht berücksichtigt wird, hat auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 220, hingewiesen. 492 Auch auf diesen Aspekt hat schon Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 220, mit Recht hingewiesen. 493 In diese Richtung auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 221.

E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung

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derst den Bestandsschutz der absoluten Rechtsgüter durch Vorschriften aus allen Bereichen des Bürgerlichen Rechts.494 Weiterhin wird die Bedeutung des Schuldverhältnisses i.w.S. verkannt und – soweit ersichtlich – von diesen Autoren auch nicht berücksichtigt. Mit dem Vertrag, aber auch durch anderes Verhalten (z. B. durch die Übernahme der Geschäftsführung im Rahmen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag) wird ein Rechtsverhältnis gesetzlicher Natur begründet, das als Schuldverhältnis i.w.S. verstanden wird.495 Dieses Schuldverhältnis ist eine personale Beziehung, die Beteiligte aus der Allgemeinheit in der Gesellschaft hervorhebt.496 Im Deliktsrecht hingegen ist eine personale Beziehung zwischen den Beteiligten gerade nicht erforderlich. Erst die Verletzung eines Rechtsgutes des § 823 Abs. 1 BGB oder die Erfüllung eines anderen deliktischen Tatbestandes begründet eine personale Beziehung zwischen den Beteiligten und damit auch das Schuldverhältnis i.w.S. Hier ist das ausschlaggebende Moment in der Unterscheidung von deliktischer Haftung und der Haftung innerhalb einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis zu sehen. Allein aus der Tatsache, dass Integritätsinteressen betroffen sind, kann also nicht geschlossen werden, dass das Rücksichtnahmeschuldverhältnis deliktische Funktionen übernimmt. Anhand dieser Überlegungen wird zugleich deutlich, dass die starre Gegenübersetzung von Delikt und Vertrag unangemessen ist. Der deliktischen Haftung ist nicht die Vertragshaftung als Gegenpol gegenüberzustellen. Vielmehr wäre der deliktischen Haftung die Haftung in allen anderen Schuldverhältnissen gegenüberzustellen. Eine starre, dichotomische Gegenüberstellung wird zumeist auch den lebensweltlichen Situationen nicht wirklich gerecht. d) Die Anerkennung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses und der Pflichten (auch) zum Schutz der absoluten Rechtsgüter Zuletzt soll hier auf die Entwicklung der Dogmatik im Bürgerlichen Recht seit dem Inkrafttreten des BGB im Jahr 1900 hingewiesen werden. Diese Entwicklung hat in gewisser Weise einen Höhepunkt in der Kodifizierung der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB gefunden. Mit der Schuldrechtsreform hat eine Regelung in das BGB Einzug gefunden, die das Rücksichtnahmeschuldverhältnis in Abschnitt 3 (Schuldverhältnisse aus Verträgen) unter der Überschrift „Rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnisse“ eindeutig in den Zusammenhang des vertraglichen und nicht des deliktischen Schuldverhältnisses stellt.497 Damit ist mit der Kodifizierung in 494 Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 222, kritisiert darüber hinaus auch schon die Gegenüberstellung von Leistungsaustausch und Bestandsschutz überhaupt. 495 Vgl. dazu noch unten unter 2. Teil, A. II. 496 Vgl. dazu noch unten unter 2. Teil, A. II. 497 Vgl. aber Pohlmann, S. 77, der auch mit Blick auf die Kodifikation teilweise eine deliktische Haftung befürwortet.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Anknüpfung an die Lehre von Heinrich Stoll ebenso wie an die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des BGH498 die Einordnung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses als rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis gesetzlich festgeschrieben worden. Schon aus diesem Grund ist das Konzept der deliktischen Ansätze abzulehnen. e) Zusammenfassung: Deliktische Ansätze im Widerspruch zur Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Die Untersuchung hat ergeben, dass die Einordnung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in den deliktischen Zusammenhang insgesamt verfehlt ist. Schon die Analyse und Betrachtung des Deliktsrechts durch die besprochenen Autoren offenbart, dass diese mit der beabsichtigten zentralen Stellung der Verkehrspflicht letztlich eine Neukonzeption des Deliktsrechts – möglicherweise in Anlehnung an eine Konzeption des Deliktsrechts in der Rechtsprechung – verfolgen. Diese wird der Konzeption unseres Deliktsrechts, das gerade darauf ausgerichtet ist, klare Tatbestände und geschützte Einzelpositionen im Gegensatz zu einer allgemeinen Generalklausel vorzugeben, insgesamt nicht gerecht. Die beabsichtigte Neukonzeption betont die Funktion der Verkehrspflichten in unangemessener Weise. Dies führt zu der erheblichen Gefahr einer ausufernden deliktischen Haftung. Durch die Hintertür würde eine deliktische Generalklausel eingeführt werden. Das insgesamt gut funktionierende System unseres Deliktsrechts würde damit zu Gunsten einer rechtsprechungslastigen Generalklausel in den Hintergrund treten. Die Gefahren sind enorm und stellen hier einen erheblichen Ablehnungsgrund für die vorgetragenen Ansätze dar. Auch die Grundannahme der oben referierten Ansätze hat sich in der Untersuchung als problematisch erwiesen. Die Gleichsetzung des Vertrages mit der Güterbewegung und dem Leistungsinteresse auf der einen Seite und des Delikts mit dem Bestandsschutz und dem Schutz von Integritätsinteressen andererseits, vernachlässigt sowohl den absoluten Schutz der Rechtsgüter, der durch das Gesamtsystem des Bürgerlichen Rechts gewährleistet wird, als auch das Schuldverhältnis i.w.S. als Organismus.499 Schon auf Grund dieser zu kurz greifenden Grundannahme, gehen die dargestellten deliktischen Theorien fehl. Darüber hinaus vernachlässigen sie insbesondere die personale Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem, die in den Fällen des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung oder eines vertraglichen Schuldverhältnisses bereits vor der schädigenden Handlung bestand. Im Deliktsrecht schafft dagegen die schädigende Handlung in aller Regel erst das Schuldverhältnis; eine zuvor bestehende Beziehung ist in jedem Fall nicht Voraussetzung für die Haftung. 498 499

Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 162 f. Vgl. dazu noch unten unter 2. Teil, A. II.

E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung

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Auch die mit der Schuldrechtsreform in das BGB aufgenommene Vorschrift ist ein deutliches Zeichen gegen eine Einordnung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in den deliktischen Zusammenhang. Hier wird u. a. auch im Wortlaut deutlich, dass eben bereits vor der schädigenden Handlung eine Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigten besteht – anders als im Deliktsrecht. Darüber hinaus spricht der Wortlaut von Überschrift und Norm selbst eine deutliche Sprache: Es handelt sich im Sinne der Gesetzesverfasser in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Dogmatik und Rechtsprechung seit langer Zeit um ein rechtsgeschäftsähnliches und nicht um eine deliktisches Schuldverhältnis. Zuletzt ist anzumerken, dass die populäre Auffassung von der ungewollten Ausweitung der culpa in contrahendo-Haftung allein auf Grund der Mängel des Deliktsrechts in Deutschland von Entwicklungen in anderen Ländern in Frage gestellt wird.500 So ist etwa auch Italien und den USA eine Haftung für in Deutschland der culpa in contrahendo zugeordneten Fällen nicht fremd.501

II. Begründung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses durch die berufliche Stellung In der rechtswissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte gab es immer wieder auch Stimmen, die einen eigenständigen Anwendungsbereich eines „Berufshaftungstatbestands“ annehmen.502 In unterschiedlichster Weise wird versucht, an die berufliche Stellung jedenfalls eines Handelnden zur Herleitung einer Haftung anzuknüpfen. Die verschiedenen Ansätze sollen in diesem Abschnitt – grob systematisch untergliedert – kurz präsentiert werden (1. – 2.), bevor ihre Bedeutung für die vorliegende Arbeit untersucht wird (3.).

1. Ein einheitlicher Berufshaftungstatbestand? Die Stellungnahmen zu einem einheitlichen Berufshaftungsrecht oder gar einem Berufshaftungstatbestand variieren dabei erheblich. Lang503 geht etwa davon aus, dass Berufshaftungstatbestände nur in Ausnahmefällen pflichtenbegründend wirVgl. dazu etwa die Nachweise oben in Fn. 477. Vgl. zu Italien etwa Schütz, S. 90; zur Herausbildung einzelner Tatbestände in den USA vor allem die neuere Untersuchung von Moritz Berger. Siehe im Übrigen zum Gesamtzusammenhang noch unten unter 2. Teil, D. IV. 502 Vgl. dagegen Littbarski, NJW 1984, S. 1667, 1670, die anlässlich eines BGH-Urteils ein Einschreiten des Gesetzgebers auf dem Gebiet der Berufshaftung fordert. Der BGH geht bereits seit einiger Zeit davon aus, eine Berufshaftung „herausgebildet“ zu haben. Dabei wird aber nicht von einem eigenen selbstständigen Tatbestand ausgegangen. Vgl. in diesem Zusammenhang Zugehör, NJW 2000, S. 1601 ff. 503 Vgl. Lang, AcP 201 (2001), S. 451, 577 f. 500 501

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

ken.504 In partieller Anknüpfung an Köndgen nimmt er an, dass sowohl die Lehren von der Selbstbindung505 wie auch von der Vertrauenshaftung506 große Bedeutung für das Verständnis einer eigenen Kategorie einer Berufshaftung haben können.507 Diese Wirkung sei jedoch in der Regel nur pflichtendifferenzierend oder pflichtenverstärkend.508 Jost sieht dagegen in den Fällen der Auskunftshaftung einen berufsbezogenen vertragsähnlichen Haftungstatbestand, der unmittelbar an den „beruflichen Bezug“ des Auskunftsgebers anknüpft.509 Es handle sich um ein Schuldverhältnis, das sich auf berufliche Informationstreuhänderschaft des Fachmannes gründe.510 Ein anderer Ansatz geht dagegen von einer (eigenständigen) modifizierten Vertrauenshaftung aus.511 Im Rahmen einer Untersuchung der Auskunftshaftung nimmt Lammel an, dass eine berufsspezifische Vertrauenshaftung (wohl neben der vertraglichen und deliktischen Haftung) existiert.512 Diese knüpfe direkt an die Berufsstellung als Haftungsgrundlage an und sei gegeben, wenn ein Rat oder ähnliches „auf berufsbezogenen Gebiet erteilt wurde und dieser das in die berufspezifische Sachkunde legitimerweise gesetzte Vertrauen infolge mangelhafter Überprüfung der Grundlage enttäusche“513. In ähnlicher Hinsicht fordert auch Grunewald einen eigenen Haftungstatbestand für Fachleute.514 Diese „Erklärungshaftung für fachmännische Angaben“ liege der Rechtsprechung bereits heute zu Grunde.515 Dass die Rechtsprechung die Haftung dann jeweils anders als Haftung aus culpa in contrahendo, positiver Forderungsverletzung, Auskunftsvertrag oder in analoger Anwendung von § 328 BGB konstruiere, sei nicht ausschlaggebend.516 Der zugrunde liegende Satz könne wie folgt Vgl. Lang, AcP 201 (2001), S. 451, 577 f. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, D. III. 506 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. 507 Vgl. Lang, AcP 201 (2001), S. 451, 578. 508 Vgl. Lang, AcP 201 (2001), S. 451, 578. 509 Vgl. Jost, S. 255 ff. 510 Vgl. Jost, S. 258. 511 Vgl. Lammel, AcP 179 (1979), S. 337, 365 f. Vgl. dazu auch die Arbeit von Karin Messer, die eine Art Berufsdritthaftung für unwahre Aussagen von Vorstandmitgliedern am Kapitalmarkt auf der Grundlage von § 311 Abs. 3 BGB als Vertrauenshaftung konzipieren will. 512 Vgl. Lammel, AcP 179 (1979), S. 337, 345 ff. 513 Lammel, AcP 179 (1979), S. 337, 366. Auch Herrmann, JZ 1983, S. 422 ff. befürwortet im Anschluss an eine Untersuchung der Rechtsprechung zur Sachwalterhaftung eine Ausweitung der Sachwalterhaftung auf alle vermögenssorgenden Berufe unter Anknüpfung an Vertrauen. 514 Vgl. Grunewald, JZ 1982, S. 627, 632. 515 Vgl. Grunewald, JZ 1982, S. 627, 631. 516 Vgl. Grunewald, JZ 1982, S. 627, 631. 504 505

E. Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung

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formuliert werden: „Fachleute haften für die durch ihre Sachkunde autorisierten Angaben verschuldensunabhängig.“517 Die Regeln des jeweiligen Berufsstandes würden bestimmen, ob noch Verschulden erforderlich sei.518 Es handle sich damit um einen Sonderfall der Vertrauenshaftung.519 Die ausschlaggebende „Grundwertung“ sei, ob der Nachfrager auf die Angaben von Spezialisten vertraut bzw. vertrauen darf.520 An anderer Stelle nimmt Grunewald eine Haftung des Sachverständigen aus einer mit dem Gutachten verbundenen Garantieerklärung an, die sie ebenfalls als Fall der Vertrauenshaftung einordnet.521 Nach eigener Stellungnahme handelt es sich dabei um eine Weiterentwicklung der zuvor dargestellten allgemeineren Überlegungen.522

2. Berücksichtigung der beruflichen Stellung außerhalb eines einheitlichen Haftungstatbestandes Neben diesen fortgeschrittenen Überlegungen, einen eigenen Haftungstatbestand der Berufshaftungen zu schaffen, gibt es eine kaum überschaubare Vielzahl von Untersuchungen, die anregen, eine berufliche Stellung anders zu berücksichtigen. Starke Gefolgschaft hat die deliktische Einbindung der Berufshaftung gefunden. So sehen sowohl Mertens als auch von Bar berufsrechtliche Verkehrspflichten vor.523 Konrad Huber betont, dass der deutschen Rechtsprechung schon heute der Satz entnommen werden könne, dass derjenige, zu dessen Berufspflichten die Wahrung fremder Vermögensinteressen gehört, für den durch die Verletzung dieser Pflichten entstandenen Vermögensschaden einzustehen hat. Dies gelte auch, wenn der Geschädigte nicht sein Auftraggeber sei.524 Die dogmatische Anwendung dieses Rechtssatzes durch die Rechtsprechung – teils durch Anwendung quasi-vertraglicher Haftungsmodelle, teils durch Anwendung deliktischer Normen wie insbesondere § 826 BGB – sei unbefriedigend.525 Dies sei indes durch die Anerkennung von Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB zu lösen.526 Die Berufspflichten seien der wichtigste Anwendungsfall Grunewald, JZ 1982, S. 627, 631. Vgl. Grunewald, JZ 1982, S. 627, 631. 519 Vgl. Grunewald, JZ 1982, S. 627, 631. 520 Grunewald, JZ 1982, S. 627, 631. 521 Vgl. Grunewald, AcP 187 (1987), S. 285, 305 und 307 ff. Ähnlich auch Strauch, JuS 1992, S. 898, 902, der annimmt, dass eine „berufsbezogene Erklärung“ als „allgemeine Haftungsgrundlage“ dienen könne. 522 Vgl. Grunewald, AcP 187 (1987), S. 285, 299, Fn. 34. 523 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, E. I. 524 Konrad Huber, FS von Caemmerer, S. 359, 366. Ähnlich auch schon Werner Lorenz, 1. FS Larenz, S. 575, 591. 525 Vgl. Konrad Huber, FS von Caemmerer, S. 359, 368 ff. 517 518

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

dieser Verkehrspflichten für die Praxis.527 Auch Brüggemeier nennt im Rahmen seiner Kategorie des Sonderdelikts eine Anknüpfung an die Berufsstellung.528 Einzelne Anknüpfungspunkte finden sich daneben in der Lehre von der Selbstbindung bei Köndgen.529 Andere Analysen nehmen einen verschiedene Rechtsgebiete „überlappenden Anwendungsbereich“ der Berufshaftung an.530 3. Resümee: Ungeeignetheit der Berufshaftungsansätze zur Bestimmung von Entstehungstatbestand und Legitimation des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Die hier referierten Ansätze der Berufshaftung erörtern einen allgemeinen Berufshaftungstatbestand überwiegend ohne Bezug auf ein zwischen den Beteiligten bestehendes Schuldverhältnis. Jost folgert aus der Stellung des Berufsfachmanns sogar, dass ein Schuldverhältnis besteht.531 Mit diesen Überlegungen gehen die Lehren insgesamt an der ausschlaggebenden Frage vorbei, ob ein personales Verhältnis, das die Qualifizierung als Schuldverhältnis rechtfertigt, zwischen den Beteiligten besteht. Damit ist nicht gesagt, dass die berufliche Stellung eines Beteiligten insgesamt bedeutungslos oder die Anordnung besonderer Pflichten für die Angehörigen bestimmter Berufsgruppen unerwünscht ist.532 Letzteres ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Die berufliche Stellung spielt auch heute schon eine Rolle in der Bestimmung des Pflichtenumfangs im Schuldverhältnis. Die gesetzliche Regelung der Pflichten zur Rücksichtnahme verdeutlicht darüber hinaus, dass der Inhalt des Schuldverhältnisses wesentlich von den beteiligten Personen abhängt. Die berufliche Stellung eines Beteiligten ist selbstverständlich ein wichtiger Punkt, der bei der Bestimmung der Existenz und des Umfangs von Pflichten zur Rücksichtnahme im Einzelfall zu berücksichtigen ist. Für die Bestimmung der Frage, wann ein Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten besteht, das die Annahme von Pflichten überhaupt rechtfertigt, spielt die berufliche Stellung keine Rolle. Soweit gefordert wird die Entstehung des Schuldverhältnisses an die berufliche Stellung direkt anzuknüpfen, wird übersehen, dass diese Stellung allein die zwingend erforderliche personale Beziehung nicht zu begründen vermag. Die Frage, welcher Art diese personale Beziehung sein muss, um bereits ein Schuldverhältnis annehmen zu können, kann mit dem Verweis auf die berufliche Stellung nicht gelöst werden. Diese sagt letztlich nichts über die BezieVgl. Konrad Huber, FS von Caemmerer, S. 359, 383 ff., insbesondere S. 388. Vgl. Konrad Huber, FS von Caemmerer, S. 359, 383 ff., insbesondere S. 388. 528 Vgl. Brüggemeier, AG 1982, S. 268, 276. 529 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, D. III. 530 Vgl. etwa aus der Vielzahl der Veröffentlichungen Hopt, AcP 183 (1983), S. 608 ff. 531 Vgl. Jost, S. 258. 532 Vgl. auch von Bar, ZGR 1983, S. 476, 507, der in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hinweist, dass „Berufshaftung“ keine rechtssystematische Kategorie darstellt. 526 527

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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hung zwischen den Beteiligten aus. Aus diesen Gründen sind die einen eigenen berufsrechtlichen Haftungstatbestand propagierenden Ansätze hier insgesamt abzulehnen.

III. Berufshaftungsansätze und deliktische Qualifikation des Schuldverhältnisses als Nebenlinien der Entwicklung Die Analyse der Berufshaftungsansätze wie auch der deliktischen Konzeptionen hat gezeigt, dass diese im Ergebnis die Frage nach Entstehungstatbestand und Legitimation des Schuldverhältnisses und damit die Grundfrage der vorliegenden Untersuchung nicht beantworten können. Aus Retrospektive und mit Blick auf die vorliegende Kodifikation kann ferner festgehalten werden, dass die verfolgte Neukonzeption des Deliktsrechts keinen Niederschlag in der heutigen Dogmatik gefunden hat. Wesentliche Momente der Entstehung des Schuldverhältnisses wurden in den Lehren nicht aufgezeigt. Die Diskussion der Berufshaftungsansätze zeigt mögliche Tätigkeitsgebiete für zukünftige Gesetzgeber auf – die dogmatische Entwicklung des Schuldverhältnisses hat sie ebenfalls nicht beeinflusst. Beide Themen – die Berufshaftung und der Versuch, die Fälle der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als Deliktsrecht zu qualifizieren – können daher als Nebenlinien der dogmatischen Entwicklung in der weiteren Untersuchung außer Betracht bleiben.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten als eine Leitlinie der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses Neben den bereits skizzierten Leitlinien der Entwicklung in Form des Konsensund Vertrauensgedankens (B. und C.) und der Anknüpfung an privatautonomes Handeln ist gerade in den letzten Jahren noch eine andere Leitlinie sichtbar geworden: die Anknüpfung an eine Rechtskreisöffnung der Beteiligten. Den verschiedenen Ansätzen der Rechtskreisöffnung ist gemeinsam, dass im Mittelpunkt der Tatbestandskonzeption einer Sonderverbindung (II.), eine Rechtskreisöffnung der Beteiligten steht (I.). Anknüpfend an das vorherrschende Verständnis des Rechtskreises und den bereits von Heinrich Stoll und Dölle betonten Gedanken der Rechtskreisöffnung (I.), zeigt sich ein neuer Ansatz in der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses. Auch bei Fragen der Rechtfertigung der Haftung zeigen sich neue Denkansätze (III.), in deren Mittelpunkt die Rechtsfigur der Sonderverbindung anstelle des Schuldverhältnisses i.w.S. steht (IV.). Der Leitlinie ist es aus heutiger Sicht zu verdanken, dass die Diskussion in den letzten Jahren teilweise eine Wende weg von den Vertrauenshaftungslehren gemacht hat (VI.).

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

I. Der Begriff des Rechtskreises Der Begriff des Rechtskreises findet sich bereits in den Motiven zum ersten Entwurf des BGB in Zusammenhang mit der Diskussion um die culpa in contrahendo. Zur Frage, wie die Haftung einzuordnen sei, findet sich dort die folgende Stellungnahme: „Ob begrifflich die Haftung für culpa in contrahendo auf einen Eingriff in einen fremden Rechtskreis, mithin auf eine unerlaubte Handlung oder auf die Verletzung einer rechtgeschäftlichen Pflicht zurückzuführen ist, ist eine Konstruktionsfrage, deren Lösung der Wissenschaft überlassen werden darf.“533

Dieser Aussage lässt sich noch keine Festlegung der durch den Rechtskreis geschützten Güter entnehmen. Das Deliktsrecht wird charakterisiert als das Recht des Eingriffs in einen fremden Rechtskreis.534 Der Anwendungsbereich oder besser der Umfang des Rechtskreises der einzelnen Person ist dann in den Protokollen zum zweiten Entwurf des BGB noch einmal im Zusammenhang mit der nicht umgesetzten deliktischen Generalklausel des § 704 BGB umschrieben worden. Dort heißt es wörtlich: „Der Rechtskreis des Einzelnen umfasse, so wurde hervorgehoben, zunächst seine eigentlichen Vermögensrechte, dingliche wie obligatorische, sodann aber auch seine sogen. Persönlichkeitsrechte (Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit, Ehre), welche durch das an Jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffs ebenso geschützt seien, wie die Rechte an Sachen.“535

Die Charakterisierung des Deliktsrechts als das Recht der Kompensation eines ungewollten Eingriffs in den Rechtskreis wird in den Protokollen neben dem eben zitierten Absatz auch an anderer Stelle immer wieder betont: „[ . . . ] Er könne ferner verlangen, daß der in Folge des Eingriffs dem Inhalte des Rechts wiedersprechende Zustand beseitigt werde. [ . . . ] Eine Ergänzung finden diese dem Berechtigten zur Erhaltung seines Rechtskreises gewährten Mittel in dem Anspruch auf Schadensersatz, durch welchen die ihm aus dem widerrechtlichen Eingriff erwachsenen Nachtheile ausgeglichen werden sollen.“536

Später war der Begriff des Rechtskreises auch von Tuhr noch geläufig.537 Vorläufer des Gedankens des Rechtskreises bei der culpa in contrahendo finden sich Mot. I, S. 195. Ähnlich schon Larenz, Leistungsstörungen, S. 73; Ehrlich, S. 37. 535 Prot. II, S. 567, 568. 536 Prot. II, S. 567, 568. Ein ähnliches Verständnis des Rechtskreises findet sich auch bei Ulmer, JZ 1969, S. 163, 169 f. 537 Vgl. von Tuhr, AT I, S. 246, zum absoluten Anspruch: „Anders beim Anspruch aus absolutem Recht [ . . . ] sondern Innerhaltung der Grenzen zwischen den Rechtskreisen des Berechtigten und seines Gegners.“, und zum „obligatorischen“ Anspruch: „[ . . . ] der obligatorische Anspruch dient dazu, eine dem Berechtigten günstige Verschiebung zwischen den Rechtskreisen des Gläubigers und des Schuldners herbeizuführen.“ 533 534

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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mit den Begriffen der Interessensphäre bzw. des Interessenkreises dann bei Raiser und Herholz.538 Bei Heinrich Stoll taucht der Gedanke wieder auf, wenn er davon spricht, dass mit dem Vertrauensverhältnis eine Sonderrechtsbeziehung entsteht, die Einwirkungsmöglichkeiten auf den Rechtskreis des anderen Beteiligten eröffnet.539 In der Lehre von Dölle zeigt sich die Rechtskreisöffnung im Tatbestand des Schuldverhältnisses in Form eines Anvertrauens von Rechtsgütern.540 Im Übrigen ist die Vorstellung eines Rechtskreises der einzelnen Rechtssubjekte in der Diskussion in den späteren Jahren im Wesentlichen untergegangen. Evans-von Krbek baut in ihrer Untersuchung aus dem Jahr 1979 wieder auf dem Verständnis von Tuhrs auf.541 Sie nimmt an, dass insbesondere in der klassischen Fallgruppe der Warenhausfälle der Grund für die Berührung der Rechtskreise der potentiellen Käufer und Verkäufer rechtsgeschäftlicher Art sei.542 Die Begegnung gehe über den Schutz der eigenen Rechtskreise hinaus und finde innerhalb eines Rechtsgeschäftskreises statt, der seiner Natur nach eine bewusste Rechtsgüterbegegnung der Parteien beinhalte.543 Auf der Basis des so definierten Rechtsgeschäftskreises sei die Grundlage für Pflichten zur Rücksichtnahme geschaffen. Es handle sich um ein rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis.544 Evans-von Krbek will mittels dieser Konstruktion im Ergebnis die Regeln über die Nichterfüllung von Leistungspflichten innerhalb des Rechtsgeschäftskreises anwenden.545 Ein solches rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis bestehe, wenn dies als Ergebnis einer Abwägung feststehe.546 Im Rahmen dieser Abwägung sei als Kriterium die vom Verkehr geforderte Sorgfalt innerhalb des in Frage kommenden Schuldverhältnisses heranzuziehen. 547 Mittels des in Frage kommenden Schuldverhältnisses mit Leistungspflichten bestimme sich auch der vom Schuldner beherrschte und beherrschbare Rechtsgeschäftskreis.548 Ihre Ausführungen zeigen eine eher vage Vorstellung der Begründung eines Schuldverhältnisses. Der Ansatz erweist sich schon deshalb als ebenso unpräzise wie die von ihr kritisierten Vertrauenshaftungsansätze. Schon aus diesem Grund kann die Konzeption nicht überzeugen. Vgl. Raiser, AcP 127 (1927), S. 1, 24 f. und Herholz, AcP 130 (1930), S. 257, 297. Vgl. Heinrich Stoll, Leistungsstörungen, S. 28; Heinrich Stoll, AcP 136 (1932), S. 257, 298. Ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei Unger, S. 111 ff., der allerdings das Vertrauensverhältnis dann als (quasi-)deliktisch qualifizieren will. 540 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. V. 541 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 97. 542 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 98. 543 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 99. 544 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 100, 106. 545 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 142 f. 546 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 146. 547 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 145. 548 Vgl. Evans-von Krbek, AcP 179 (1979), S. 85, 142 f. 538 539

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

II. Der Tatbestand der Sonderverbindung in den Lehren von der Rechtskreisöffnung 1981 hat Frost dann in ihrer Arbeit erstmals eine Rechtskreisöffnung der Beteiligten als Tatbestand einer Sonderverbindung und Ursache von Pflichten zur Rücksichtnahme in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt (1.) Ausgehend von der Aussage, dass die Einordnung des Verhandlungsverhältnisses als Schuldverhältnis eine „unbewiesene Behauptung“ sei,549 erarbeitet Frost einen Tatbestand der Sonderverbindung, der die Rechtskreisöffnung in den Mittelpunkt stellt (1.). Frosts Konzeption war der Ausgangspunkt für spätere Tatbestandsansätze von Krebs und Picker (2.).

1. Die Rechtskreisöffnung im Tatbestand der Sonderverbindung nach Frost Zunächst sei darzulegen – so Frost – dass überhaupt eine Sonderverbindung bestehe, die schuldrechtliche Pflichten und damit erst das Schuldverhältnis hervorbringe.550 Frost arbeitet sodann einen Mindesttatbestand für eine Sonderverbindung anhand der rechtsgeschäftlichen Bindung, die sie als die intensivste Form einer Sonderverbindung charakterisiert, heraus.551 a) Die willentliche Rechtskreisöffnung als Tatbestandsmerkmal einer Sonderverbindung Bei einem Vertragsschluss sei es zwingende Voraussetzung, dass die Beteiligten das deliktische „Nebeneinander“ aufgeben und sich aufeinander einlassen.552 Die Freiheit, bei dem eigenen Handeln nicht auf die Belange eines anderen Rücksicht nehmen zu müssen, weiche dem Zwang, die Vorstellungen hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen gemeinsam zu einer Übereinstimmung bringen zu müssen.553 Obschon die eigentliche Eingehung der Bindung durch die jeweils abgegebenen Willenserklärungen der Beteiligten also freiwillig ist, ist nach Abgabe der Willenserklärungen die Aufgabe des „Miteinanders“ nicht mehr einfach möglich – eine Art „Fesselung“ der Partner aneinander ist eingetreten. Diese Fesselung der Beteiligten durch den gemeinsamen Nenner der Interessen, der im Vertragsschluss festgehalten wurde, fordert beide Parteien zur Öffnung ihrer 549 550 551 552 553

Vgl. Frost, S. 47. Vgl. Frost, S. 47. Vgl. Frost, S. 53 und S. 55 ff. Vgl. Frost, S. 53. Vgl. Frost, S. 53.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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Rechtskreise. Diese kann sich zu einer teilweisen Verschmelzung der beteiligten Rechtskreise ausweiten, soweit das zur Durchführung des Leistungsaustausches erforderlich ist.554 Die Öffnung erfordert eine Handlung der Beteiligten im Sinne eines Hinwendens in Richtung des anderen: Die Rechtskreise müssen einander zugänglich gemacht werden. Dieses Verhalten wird in der Beobachtung Frosts vom Willen der Beteiligten getragen.555 Die Zugänglichmachung zeige sich in einem Abbau von Schutzbarrieren für den eigenen Rechtskreis sowie in der Aufgabe der allgemein gegebenen Distanzhaltung, die Frost aus einer allgemeinen Pflicht zur Rücksichtnahme folgert. Die teilweise Verschmelzung der Rechtskreise ersetze diese Distanzhaltung zur Erreichung des gemeinsamen Ziels der Beteiligten, des Vertragsschlusses und der Vertragsdurchführung.556 Mit dieser Beobachtung glaubt Frost, die Grundlegung für einen Mindesttatbestand einer Sonderverbindung gefunden zu haben.557 Sie nimmt an, dass bei den nicht rechtsgeschäftlichen Sonderverbindungen das Maß an Abstimmung und Verbindung nicht sehr intensiv sein muss, da die rechtsgeschäftliche Sonderverbindung die intensivste, überhaupt vorstellbare Form einer Sonderverbindung sei.558 Strukturmerkmal echter schuldrechtlicher Pflichten sei ja die Auflösung des Konflikts infolge der Zuordnung von gemeinsamen Interessen an einem Gegenstand, einem Geschäft oder einer Leistung. Damit sei mit der Zuordnung auch der Tatbestand für die Entstehung einer Sonderverbindung gefunden. Festzustellen seien daher die Merkmale einer Zuordnung. Die Zuordnung müsse aber – wie die rechtgeschäftliche Bindung – von einem Miteinander geprägt sein und daher eine Überschneidung der Rechtskreise beinhalten. Diese Verschmelzung könne sich sowohl auf Geschäfts- und Vermögensinteressen als auch auf den körperlichen Kontakt von Rechtsgütern beziehen. Im Falle des körperlichen Kontaktes ließe sich die Verschmelzung an einem tatsächlichen Miteinander festmachen, wohingegen im Falle von Geschäfts- und Vermögensinteressen das Miteinander nur aus einer rechtlichen Wertung folge. Typisches Beispiel für ein tatsächliches Miteinander seien die gesetzlichen Schuldverhältnisse mit Bezug auf ein dingliches Recht. Ein rechtliches Miteinander liege hingegen auch im Falle des Vertragsschlusses vor.559 Gemeinsames Merkmal der Zuordnungstatbestände sei stets die Zuwendung der Beteiligten zueinander im Gegensatz zu den übrigen rein deliktischen Beziehungen.560 Im Deliktsrecht seien die Rechtskreise der Beteiligten dagegen durch BarVgl. Frost, S. 54. Vgl. Frost, S. 54. 556 Vgl. Frost, S. 54. 557 Vgl. Frost, S. 55. 558 Vgl. Frost, S. 55. 559 Vgl. Frost, S. 56. 560 Vgl. Frost, S. 57. Ähnlich hat dann auch Schur den Gedanken der Öffnung der Rechtskreise im Rahmen der Personalität des Schuldverhältnisses hervorgehoben. In der Öffnung 554 555

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

rieren geschützt, die entweder auf dem Gesetz oder auf dem Verhalten der Beteiligten beruhen. Solange keine ausdrückliche Einwilligung vorliege, sei jede Verschmelzung der Rechtskreise unerwünscht. Es bestehe eine starre Abkapselung, die der deliktischen Beziehungslosigkeit innewohnend sei. Das sei auch eine Folge der auf Seiten aller Beteiligten gewährten und ausgeübten Handlungsfreiheit. Zur Aufhebung der Isolation der Einzelnen sei es notwendig, dass ein Beteiligter sich dem Anderen zuwendet und dieser die Zuwendung annimmt.561 Wird die Zuwendung indes nicht angenommen, so ist die Berührung des Rechtskreises widerrechtlich, und das Verhalten des Zuwendenden kann als unerlaubte Handlung bewertet werden.562 Die Widerrechtlichkeit ist nur dann nicht gegeben, wenn der andere Beteiligte seinen Rechtskreis willentlich öffnet und sich dies in einem offenkundigen Entgegenkommen zeigt. Ausreichend ist dabei der natürliche Wille, den Rechtskreis zu öffnen, ein rechtsgeschäftlicher Wille ist dagegen nicht erforderlich. Die Überschneidung der Rechtsgüterkreise auf Grund einer verbindenden Zuwendung im zuvor dargelegten Sinn, sei aber noch von den Fällen der deliktischen Berührung zu unterscheiden, die auf Grund einer Einwilligung des Rechtskreisträgers nicht widerrechtlich sind.563 Hier spiele der von den Beteiligten mit der Rechtskreisberührung verfolgte Zweck eine wesentliche Rolle.564 Unter Berufung auf Dölle führt Frost aus, dass jede Verschmelzung von Rechtskreisen als Folge einer Rechtsgüterberührung erhöhte Gefahren für die jeweiligen Rechtsgüter zur Folge habe.565 Die Entscheidung, die abwehrbereite Isolation zu verlassen und die mit der Berührung verbundenen Gefahren zu riskieren, sei daher von beachtlichem Ausmaß.566 Dieses Risiko werde von den Beteiligten nur zu einem besonderen Zweck, der mit der Rechtsgüterberührung verbunden sei und verfolgt werden solle, übernommen.567 Dieser Zweck müsse entgegen der überwiegenden Position in Lehre und Rechtsprechung nicht zwingend geschäftlicher Natur sein.568 Dagegen hat Weber bei grundsätzlicher Übernahme der Position Frosts angenommen, dass der Rechtskreise durch die Beteiligten, so Schur, liege die Ausgestaltung des Schuldverhältnisses als personales Rechtsverhältnis. Dies habe zur Folge, dass Pflichten zum Schutz der Rechtsgüter entstehen. Vgl. Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 223 ff., insbesondere S. 227. 561 Vgl. Frost, S. 57. 562 Vgl. Frost, S. 57. 563 Vgl. Frost, S. 57. 564 Vgl. Frost, S. 59. 565 Vgl. Frost, S. 59. Die Berufung auf Dölle ist indes verfehlt, da der Gedanke auf Heinrich Stoll zurück geht und Dölle wissentlich oder unwissentlich die Argumentation Stolls übernommen hat. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. V. 566 Vgl. Frost, S. 59. 567 Vgl. Frost, S. 59. 568 So Frost, S. 60 f. Vgl. dagegen Heiseke, MDR 1961, S. 461, 464, der jedenfalls ein geschäftsähnliches Element auch bei Vorliegen einer Rechtskreisöffnung im Übrigen verlangt.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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die Rechtskreisöffnung nur bei der Teilnahme im rechtsgeschäftlichen Verkehr zu einer Haftung führen könne.569 b) Die Zielsetzung als Tatbestandsmerkmal einer Sonderverbindung Mit Bezug auf diesen Zweck unterteilt Frost Sonderverbindungen in zwei Typen: Sonderverbindungen mit positiver und negativer Zielsetzung.570 Sonderverbindungen mit positiver Zielsetzung sind demnach insbesondere die Geschäftführung ohne Auftrag, der Fund, aber auch der Vertragsschluss.571 Im Falle des Vertragsschlusses sei die positive Zielsetzung im gemeinsamen Zusammenwirken zum Austausch der gegenseitigen Leistungsbeiträge am deutlichsten ausgeprägt.572 Bei Fund und Geschäftsführung ohne Auftrag sei zumeist nur der eine Teil aktiv. Allerdings sei das Handeln fremdnützig und am Interesse bzw. Willen des anderen Beteiligten orientiert, so dass auch hier der Abbau von Schutzbarrieren im Sinne einer positiven Zielsetzung zu beobachten sei.573 Die Erreichung des Ziels der Sonderverbindung müsse also einen Vorteil für alle Beteiligte oder zumindest einen Teil verwirklichen.574 Sonderverbindungen mit negativer Zielsetzung nehmen dagegen auf ein dingliches Recht Bezug. Die Rechtskreisöffnung liege hier in der Gewährung von Besitz an einen anderen Beteiligten durch den Eigentümer.575 Das Miteinander der Beteiligten folge hier (nur) aus der doppelten Zuordnung einer Sache, letztlich also aus einem tatsächlichen Verhältnis.576 Im Unterschied zur im Rahmen einer deliktischen Berührung stets gegebenen Möglichkeit, auf eine Sache einzuwirken, sei hier die Einwirkungsmöglichkeit ungleich höher. Dies folge aus der gegebenen Besitzstellung bzw. aus der Möglichkeit der Ziehung von Nutzungen an der Sache. Zu denken sei hier etwa an den Nießbrauch oder an den Berechtigten einer Grunddienstbarkeit.577 Die Beteiligten sollen zur gegenseitigen Rücksichtnahme angehalten werden, was durch eine Vielzahl von gesetzlich normierten Rechten und Pflichten gewährleistet wird. Diese (einzige) Zielsetzung dieses Typs von Sonderverbindungen rechtfertige auch die Bezeichnung als Sonderverbindungen mit negativer Zielsetzung.578 Maßgebliches Merkmal zur Abgrenzung der Tatbestands569 570 571 572 573 574 575 576 577 578

Vgl. Weber, FS Giger, S. 730, 753 f. Vgl. Frost, S. 61. Vgl. Frost, S. 61. Vgl. Frost, S. 61 f. Vgl. Frost, S. 62. Vgl. Frost, S. 64. Vgl. Frost, S. 62 und 65. Vgl. Frost, S. 62 f. Vgl. Frost, S. 63. Vgl. Frost, S. 63.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

merkmale der Sonderverbindung (als Miteinander) zum Deliktsrecht (als Zustand der Isolation) sei also die verbindende Berührung. Im Deliktsrecht fehle gerade der gemeinsame oder fremdnützige Zweck.579 c) Das Verhandlungsverhältnis als Sonderverbindung Nachdem auf diesem Weg für Frost der Tatbestand gefunden ist, überträgt sie die gefundenen Tatbestandsmerkmale auf das Verhandlungsverhältnis und ordnet dieses im Ergebnis als Sonderverbindung ein.580 Mit der Einladung eines Beteiligten an sein Gegenüber, sich einen Eindruck von den Angeboten zu verschaffen, sei eine Öffnung des Rechtskreises verbunden. Diese sei in der Aussetzung von Leben und Eigentum in den Einfluss des anderen bzw. andernfalls in der Offenbarung von Geschäfts- und Vermögensinteressen zu sehen. Der die Einladung annehmende andere Beteiligte öffnet mit der Annahme ebenfalls seinen Rechtskreis, indem er seine Rechtsgüter Leben und Eigentum in die Rechtssphäre des anderen einbringt.581 Der Kontakt ist in diesem Fall nach Frost auch vom natürlichen Willen beider Parteien getragen und dient dem gemeinsamen Ziel des Interessen- und Positionsaustausches. Beide wollen die jeweiligen Angebote prüfen, ihre Positionen darlegen und diskutieren.582 Die Rechtskreise stehen damit also im Sinne Frosts nicht mehr unverbunden nebeneinander. Eine Sonderverbindung (mit positiver Zielsetzung) ist nach den von ihr darlegten Tatbestandsmerkmalen entstanden.583 Der verfolgte Zweck könne im Rahmen des Verhandlungsverhältnisses als geschäftlicher qualifiziert werden. Damit bestünde aber die Gefahr, dass die Schlussfolgerung gezogen wird, dass eine Sonderverbindung stets eine geschäftliche Zwecksetzung voraussetze,584 obwohl dies nicht zutreffend sei. Vielmehr reiche jedes gemeinsame Ziel, verbunden mit einer zu diesem Zweck erfolgten Verschmelzung der Rechtskreise zur Entstehung einer Sonderverbindung aus.585 Dies sei ein wesentlicher Punkt, der in der Vergangenheit von der Lehre vom geschäftlichen Kontakt586 missdeutet oder übersehen worden sei.587

Vgl. Frost, S. 65. Vgl. Frost, S. 66 f. 581 Vgl. Frost, S. 66. 582 Vgl. Frost, S. 66. 583 Vgl. Frost, S. 66 f. 584 Vgl. Frost, S. 67. 585 Vgl. Frost, S. 67. 586 Siehe dazu oben unter 1. Teil, C. IV. 587 Vgl. Frost, S. 67 f. Siehe dazu auch Weber, FS Giger, S. 730, 748 f., der Frosts Lehre von der Rechtskreisöffnung in seine Darstellung in Canaris’ Lehre vom einheitlichen Schutzpflichtverhältnis integriert. 579 580

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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2. Der Tatbestand der Sonderverbindung in den Lehren von Krebs und Picker Auch bei Picker und Krebs lässt sich eine Tatbestandskonzeption der Sonderverbindung finden, die wesentlich auf der Rechtskreisöffnung zwischen den Beteiligten aufbaut. a) Der Tatbestand der Sonderverbindung in der Lehre von Krebs Im Rahmen von Krebs’ Lehre erschließt sich der Tatbestand allerdings nur auf dem Umweg über die Untersuchung seines funktionalen Legitimationsansatzes. 588 Danach liegt eine Sonderverbindung immer dann vor, „wenn eine Beziehung auf die Erbringung einer legalen Leistung oder Unterlassung ausgerichtet ist und diese Beziehung mit erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Güter der Gegenseite und verringerten Verteidigungsmöglichkeiten des Rechtsgutinhabers verbunden ist. Dies schließt die Beziehungen ein, in denen der Bestand von Leistungs- und Unterlassungspflichten unklar ist. Um keine Sonderverbindung in diesem Sinne handelt es sich bei der Erbringung von leistungsähnlichen Handlungen ohne Rechtspflicht, die den Umfang einer Gefälligkeit nicht übersteigen und bei denen keine nennenswerte, vom Deliktsrecht nicht erfaßte Gefährdung erheblicher Rechtsgüter oder Vermögenswerte der Gegenseite vorliegt.“589

Gefälligkeitsverhältnisse werden vom Anwendungsbereich der Sonderverbindung ausgenommen, da die Verrechtlichung nach Auffassung von Krebs den Intentionen der Beteiligten widerspreche.590 Unter funktionalen Gesichtspunkten sei es auch nicht notwendig, Gefälligkeitsverhältnisse als Sonderverbindungen zu qualifizieren, da außerrechtliche Regelungsmechanismen die möglicherweise bestehenden Risiken nach dem Standpunkt von Krebs hinreichend kompensiert werden.591 In Krebs’ Konzeption zeigt sich die Rechtskreisöffnung verklausuliert in Form der erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Güter der anderen Seite. Eine Beschränkung im Vergleich zum Ansatz von Frost liegt zum einen im expliziten Ausschluss von Gefälligkeitsverhältnissen, zum anderen in der Einschränkung, dass die Beziehung auf eine legale Leistung oder Unterlassung „ausgerichtet“ sein muss. Der Kern des Tatbestands ist aber auch bei Krebs in der Rechtskreisöffnung der Beteiligten zu sehen.

588 Vgl. auch die Zusammenfassung bei Krebs, S. 634 f. Zum funktionalen Legitimationsansatz gleich noch unter 1. Teil, F. III. 1. 589 Krebs, S. 267. 590 Vgl. Krebs, S. 237 f. 591 Vgl. Krebs, S. 238.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

b) Merkmale einer Sonderverbindung in der Lehre von Picker Picker hat jedenfalls für die von ihm als Fälle konkreter faktischer Leistungsbeziehung bezeichneten Konstellationen ebenfalls Voraussetzungen für die Annahme einer rechtlichen Sonderbeziehung formuliert. Erforderlich sei (mindestens) eine bewusste und von beiden gewollte individuelle Verbindung.592 Personale Bezogenheit und sachliche Finalität müssten einen Kontakt auszeichnen, um eine rechtliche Sonderbeziehung begründen zu können.593 Ebenfalls notwendig sei eine bewusste und gezielte Adressierung des Partners,594 in der zugleich auch die Aufforderung liegen müsse, die angebotene Leistung in das eigene Vermögen zu integrieren und zur Grundlage von Dispositionen zu machen.595 Als Konstellationen faktischer Leistungsbeziehung sieht Picker etwa die Fälle der Auskunftshaftung und der Sachverständigen- oder Prospekthaftung an.596 Durch die Individualität und Vereinzelung der Beziehung werden – so Picker – die Vermögensinteressen des anderen Beteiligten in einer Art und Weise offenbar, wie es sonst nur im Falle der absoluten Rechte geschehe.597 Damit werde der Rechtskreis des anderen Beteiligten in seiner Gesamtheit für den anderen Teil eine zumindest sozialtypisch offenkundige Sphäre.598 Ohne die Sonderverbindung würde dagegen dem Vermögen keine sozialtypische Offenkundigkeit in gleicher Weise wie den absoluten Rechten des Deliktsrechts zukommen.599 Die Aufdeckung und Präzisierung weiterer Sonderverbindungen sei aber eine Aufgabe für die Zukunft.600 Bei dieser Aufgabe sei die „verbreitete Vorstellung“, dass eine solche Beziehung – neben den Fällen der gesetzlichen Schuldverhältnisse – nur in Betracht komme, wenn ein Vertragsschluss im Rahmen eines individuellen Kontaktes zumindest geplant sei, zu überwinden.601 In der Konzeption Pickers zeigt sich der Gedanke der Rechtskreisöffnung weniger deutlich als bei Krebs und Frost. Dennoch ist er in der von Picker beschriebenen Offenkundigkeit des Rechtskreises sichtbar, wird allerdings nicht ausdrücklich zum Tatbestandsmerkmal erhoben. In der Maßgabe, dass keine Beschränkung auf Fälle intendierter Vertragsverhältnisse anzunehmen sei, ist Picker auf einer Linie mit der Konzeption Frosts.

592 593 594 595 596 597 598 599 600 601

Vgl. Picker, JZ 1987, S. 1041, 1058. Vgl. Picker, JZ 1987, S. 1041, 1058. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 493. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 493. Vgl. Picker, JZ 1987, S. 1041, 1058. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 482. Vgl. Picker, JZ 1987, S. 1041, 1054; ders., AcP 183 (1983), S. 369, 482. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 481. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 490. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 490.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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III. Die Rechtfertigung der Sonderverbindung in den Lehren der Rechtskreisöffnung Sind die Ansätze der Rechtskreisöffnungslehren auf Tatbestandsebene noch recht kongruent, differieren die Ansätze zur rechtspolitischen Legitimation des Schuldverhältnisses stärker. War es auf Tatbestandsebene Frost, die den wohl durchdachtesten Tatbestandsentwurf präsentiert hat (2.), ist es jetzt Krebs, der einen Schwerpunkt auf die Legitimation der Sonderverbindung legt (1.).

1. Die Legitimation der Sonderverbindung nach dem funktionalen Legitimationsansatz in der Lehre von Krebs Krebs wählt den Weg einer sog. funktionalen Legitimation.602 Die notwendige „wertungsmäßige Rechtfertigung“ sucht er in einem Rückschluss von den Rechtsfolgen der Sonderverbindung auf die angestrebte Zweckerreichung.603 Die Rechtsfolgen der Sonderverbindung, d. h. die Existenz von ausdifferenzierten Schutzpflichten für das Vermögen und einer allgemeinen Treuepflicht zwischen den Beteiligten einer Sonderverbindung, die das Deliktsrecht in dieser Form nicht kenne, seien sämtlich aus den verfolgten Zwecken gerechtfertigt.604 Insbesondere Schutzund Treuepflichten seien durch die beabsichtigte Kompensation spezifischer Einwirkungsmöglichkeiten innerhalb der Sonderverbindung und der damit einhergehenden eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit gerechtfertigt.605 Die Rechtfertigung von Schutz- und Treuepflichten folge außerdem auch aus dem Zweck der Sonderverbindung, das vertrauensvolle Miteinander zwischen den Beteiligten zu fördern.606 Dem Verfahren der funktionalen Legitimierung folgt bei Krebs eine „wertungsmäßige“ Überprüfung des gefundenen, soeben dargestellten Ergebnisses. Innerhalb dieser wertungsmäßigen Überprüfung stellt er heraus, dass die gefundene Lösung einerseits die Entscheidung problematischer Konstellationen ermöglicht, andererseits die Haftung in einem zumutbaren Rahmen hält. Darüber hinaus sei auch eine übermäßige Verrechtlichung nicht zu befürchten.607 Weiterhin betont Krebs im Rahmen der Legitimation der Sonderverbindung den von Frost herausgearbeiteten Gedanken der Rechtskreisöffnung bzw. -überschnei602 603 604 605 606 607

Vgl. Krebs, S. 210 ff. Vgl. Krebs, S. 210. Vgl. Krebs, S. 211. Vgl. Krebs, S. 212. Vgl. Krebs, S. 216. Vgl. Krebs, S. 232 – 250.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

dung.608 Die Verbindung von Sonderverbindung und Rechtskreisgedanken sei schlüssig.609 Mit dem Gedanken der Rechtskreisöffnung bzw. -überschneidung werde der Gedanke der erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten innerhalb der Sonderverbindung wieder aufgegriffen.610 Dabei handle es sich um einen zentralen Gesichtspunkt innerhalb der bisherigen Dogmatik.611

2. Vertrauen als Legitimationsmoment in der Lehre von Frost Neben Frost kommen bei der Frage nach der Legitimation des Schuldverhältnisses bzw. der Haftung in jüngster Zeit auch andere Autoren auf den zweiten Baustein der Lehre von Heinrich Stoll zurück: Vertrauen.612 In dem nach außen deutlich werdenden Willen eines Rechtskreisträgers eine Sonderverbindung einzugehen, (z. B. in der Einladung zur Eröffnung von Vertragsverhandlungen), sei ein Vertrauenstatbestand zu sehen.613 Mit dieser Handlung sei die Aussage verbunden, dass Bereitschaft bestehe, auf fremde Schutzinteressen Rücksicht zu nehmen.614 Vertrauend auf diese Bereitschaft, bringe letztlich der andere Teil seine Rechtsgüter in den fremden Rechtskreis ein und lasse sich auf Verhandlungen ein.615 Mittels des Vertrauens sei ein geeigneter Wertungsmaßstab vorgefunden, um die allgemeine Regel des § 242 BGB, dass innerhalb bestehender Sonderverbindungen auf fremde Schutzinteressen Rücksicht genommen werden müsse, in eine konkrete Verhaltenspflicht der Beteiligten zu wandeln.616 Dabei gehe es aber nicht um ein Vertrauen in subjektiver Weise dahingehend, dass dieses zwischen den Beteiligten als innerer Tatbestand nachgewiesen werden müsse.617 Vielmehr handle es sich bei den geschilderten Handlungen im Rahmen einer Rechtskreisöffnung um einen objektiven Vertrauenstatbestand, der nicht mit einem natürlich-sittlichen Vertrauen identisch sei.618 Frost präsentiert auf Legitimationsebene damit eine Verbindung von Vertrauen und Rechtskreisöffnung wie schon in der Konzeption von Dölle bzw. von Heinrich Stoll in der Denkschrift für die Akademie für Deutsches Recht. 608 609 610 611 612 613 614 615 616 617 618

Vgl. Krebs, S. 228. Vgl. Krebs, S. 197. Vgl. Krebs, S. 197. Vgl. Krebs, S. 197. Vgl. Weber, FS Giger, S. 730, 743; Reischl, FS Musielak, S. 411, 419 und 429. Vgl. Frost, S. 87. Vgl. Frost, S. 87. Vgl. Frost, S. 89 und 93. Vgl. Frost, S. 89. Vgl. Frost, S. 105. Vgl. Frost, S. 105.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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3. Umkehrung der Legitimationsfrage in der Lehre von Picker: Beschränkung der Haftung für die Verletzung des Gebotes des „neminem laedere“ Picker befürwortet dagegen einen radikal anderen Ansatz. Es sei davon auszugehen, dass das Ergebnis, nicht aber die Rechtsfigur der culpa in contrahendo einer verfestigten Überzeugung in Gesellschaft und Recht entspräche, womit von Gewohnheitsrecht gesprochen werden könne.619 Dieser Überzeugung, die nicht zuletzt auch einer zeitlosen Gerechtigkeits- und Richtigkeitsüberzeugung entspräche, fehle aber das dogmatische Fundament.620 Der Gedanke, eine besondere Haftung bei der rechtlichen Sonderverbindung rechtfertigen zu wollen, die Suche nach Pflichtverstärkungsfaktoren gegenüber dem Deliktsrecht, sei aber schon im Ansatz verkehrt.621 Der Anknüpfungspunkt der Haftung unterscheide sich nicht von der deliktischen Einstandspflicht.622 Die Verpflichtung zur Wiedergutmachung eines durch ein Verhalten hervorgerufenen Verlusts oder Nachteils, das zudem rechtswidrig und zurechenbar sei, folge aus einem Elementarsatz unserer Rechtsanschauung.623 Dieses ideale Grundpostulat, das bei seiner Verwirklichung „schiere Gerechtigkeit“ darstelle, könne im Gebot des „neminem laedere“ auf den Punkt gebracht werden.624 Nicht erfasst seien Handlungen, die von vornherein – also vorpositiv – zur Sicherung bestimmter vorrangiger Werte erlaubt bleiben sollten.625 Aus der Tatsache, dass grundsätzlich jede rechtswidrige und schuldhafte Schadenszufügung eine Pflicht zur Wiedergutmachung zur Folge habe, folge daher zwingend: Nicht der Eintritt der Haftung, sondern der Nichteintritt einer dem Grunde nach gebotenen Haftung sei zu begründen.626 Es geht – im Sinne Pickers – also nicht um die Suche nach Pflichtverstärkungsfaktoren, sondern um die Legitimation einer Beschränkung der Haftung.627 Eine Beschränkung der Haftung sei im Übrigen aber auch rechtspraktisch und rechtspolitisch zwingend notwendig.628 Die völlige Gleichbehandlung aller Schädigungsfälle widerspreche elementarem Gerechtigkeitsdenken.629 Zudem folge aus jeder neuen oder erweiterten Schadenshaftung auch eine Einschränkung des Bewe619 620 621 622 623 624 625 626 627 628 629

Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 459. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 459 f. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 430. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 431. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 462. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 462. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 463. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 465. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 466. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 470 f.; ders., JZ 1987, S. 1041, 1052. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 470.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

gungs- und Handlungsfreiraums des Einzelnen.630 Dem soeben dargestellten Gerechtigkeitspostulat des neminem laedere sei daher als diametral entgegengesetztes Prinzip, die für das Zusammenleben notwendige vernünftige und sozialadäquate Handlungsfreiheit entgegenzusetzen.631 Im deutschen Bürgerlichen Recht ist nach Picker die Austarierung dieser Prinzipien durch die Gestaltung des Deliktsrechts erreicht worden.632 Durch die Aufzählung der haftungsrelevanten Rechtspositionen bzw. Verhaltensweisen sei die Beschränkung der Haftung sichergestellt.633 Der Grund dieser Beschränkung liege allein in einer Begrenzung der Zahl der potentiellen Gläubiger.634 Die Ausklammerung primärer Vermögensverletzungen sei lediglich das Mittel zur sinnvollen Beschränkung der Haftung.635 Die Begrenzung der potentiellen Gläubiger werde außerhalb der vom Deliktsrecht erfassten Zufallskontakte durch die Figur der rechtlichen Sonderverbindung erreicht.636 Damit sieht Picker die Sonderverbindung allein als legitimes Mittel zur Begrenzung einer grundsätzlich aus dem Gesichtspunkt des neminem laedere legitimierten und als zeitlos richtig anerkannten Haftung.637

IV. Die Rechtsfigur der Sonderverbindung Im Mittelpunkt der Rechtskreisöffnungslehren von Frost und Krebs steht anstelle des Begriffs des Schuldverhältnisses der Begriff der Sonderverbindung. Während Frost eine Sonderverbindung als Voraussetzung des Schuldverhältnisses i.w.S. ansieht (1.), hat Krebs letztlich eine Erweiterung des Begriffs des Schuldverhältnisses im Blick (2.).

1. Die Bedeutung der Sonderverbindung in der Lehre von Krebs Gebraucht wird der Begriff der Sonderverbindung nach Krebs heute im Wesentlichen in zwei Zusammenhängen: zum einen als Bezeichnung jeder Beziehung, in Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 471. Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 471. 632 Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 472. 633 Vgl. Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 472. 634 Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 477; ders., JZ 1987, S. 1041, 1053. 635 Vgl. Picker, JZ 1987, S. 1041, 1053. 636 Picker, AcP 183 (1983), S. 369, 478. 637 Die entscheidende Frage ist dann aber eben doch wieder, ob eine Sonderverbindung in der Terminologie Pickers bestanden hat. Darauf haben in der an den dem AcP-Aufsatz zugrunde liegenden Vortrag anschließenden Diskussion auch schon Wilhelm und Kreutzer hingewiesen. Vgl. den Diskussionsbericht von Schilken, AcP 183 (1983), S. 521, 523 f. 630 631

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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denen mindestens eine außerdeliktische Schutzpflicht besteht. Damit werde an die Beobachtung angeknüpft, dass sich bei einer „gewünschten und bejahten“ Schutzpflichthaftung Schädiger und Geschädigter nicht beziehungslos gegenüberstehen.638 Zum anderen sei der Begriff schon verhältnismäßig früh genutzt worden, um den Anwendungsbereich der §§ 242 und 278 BGB zu erweitern.639 Beide Vorschriften setzen ein bestehendes Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten voraus. Damit liegt nach Krebs in dieser zweiten Verwendung eine Erweiterung des Begriffs des Schuldverhältnisses: Neben Schuldverhältnissen mit Leistungs- oder Unterlassungspflichten erfasse der Begriff der Sonderverbindung eben auch Beziehungen, in denen nur Schutzpflichten bestehen.640 Die Sonderverbindung sei daher vom engeren Schuldverhältnisbegriff des § 241 BGB a.F. zu unterscheiden bzw. diesem gegenüber zu rechtfertigen.641 Dieser erfasse nur Verhältnisse, in denen (zumindest auch) Leistungspflichten bestünden.642 Es sei nicht möglich, mittels des Begriffes des Schuldverhältnisses die Existenz von Treue- und Schutzpflichten zu legitimieren.643 Bei der Sonderverbindung handle es sich um eine Erweiterung des Schuldverhältnisses des § 241 BGB a.F.,644 die nicht mit einer Analogie erfasst werden könne. Das folge aus der Tatsache, dass es keine dogmatische Erfassung der Fälle gäbe, in denen zwar Treue- und Schutzpflichten bestünden, letztlich aber kein Schuldverhältnis i. S. d. § 241 BGB a.F. gegeben sei.645 Der Einführung des neuen § 241 Abs. 2 BGB, die er als Erweiterung des Schuldverhältnisbegriffs begreift, stand Krebs ablehnend gegenüber.646 Eine solche Erweiterung könne den Rechtsfortbildungsbedarf auf dem Gebiet der Sonderverbindungen nicht beseitigen, da die notwendige Systematisierung von Schutzpflichtverhältnissen und Schutzpflichten ausbleibe.647 Auch werde damit nicht klar, dass auch in Schuldverhältnissen i. S. d. § 241 BGB a.F. Schutzpflichten bestehen.648 Der Begriff der Sonderverbindung sei damit gegenüber dem Begriff des Schuldverhältnisses – auch wie er im BGB seit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform verwendet werde – vorzugswürdig.649 Die Unterscheidung von Schuldverhältnis im engeren und im weiteren Sinne sei bei Verwendung des Begriffs der Sonderverbindung überflüssig.650 638 639 640 641 642 643 644 645 646 647 648 649

Vgl. Krebs, S. 6. Vgl. Krebs, S. 7. Vgl. Krebs, S. 7. Vgl. Krebs, S. 265. Vgl. Krebs, S. 273. Vgl. Krebs, S. 636. Vgl. Krebs, S. 265. Vgl. Krebs, S. 265. Vgl. Krebs, S. 266. Vgl. Krebs, S. 266 f. Vgl. Krebs, S. 266. Vgl. AnwKomm-Krebs, § 241, Rdnr. 9.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Sonderverbindungen seien also alle Schuldverhältnisse i. S. d. § 241 BGB a.F., aber auch alle sonstigen Verhältnisse, in denen Schutz- und Treuepflichten bestünden.651 Insbesondere letztere würden auf diesem Wege der nur geringfügigen Erweiterung des Schuldverhältnisbegriffs durch die Sonderverbindung systematisch in das Schuldrecht integriert.652 Krebs versucht also, mit seiner Konzeption der Sonderverbindung letztlich den Begriff des Schuldverhältnisses i.w.S. für weite Teile des Anwendungsbereichs zu ersetzen.

2. Das Verständnis von Sonderverbindung und Schuldverhältnis im weiteren Sinne bei Frost Die Tatbestandskonzeption von Frost hat schon gezeigt, dass für Frost neben dem Begriff des Schuldverhältnisses i.w.S. der Begriff der Sonderverbindung eine entscheidende Rolle im System des BGB spielt. Frost offenbart in ihrer Untersuchung ein Verständnis der Sonderverbindung, das wesentlich von dem bei Krebs diskutierten Ansatz abweicht. Mit den Begriffen Schuldverhältnis und Sonderverbindung sei zwar Verwandtes, aber doch Verschiedenes bezeichnet.653 Mit der Sonderverbindung, für die eine willentliche Überschneidung zweier Rechtskreise wesentlich sei, werden in der Vorstellung Frosts die Voraussetzungen für ein Schuldverhältnis erst geschaffen.654 Die Existenz besonderer Pflichten zwischen den Beteiligten in einem Schuldverhältnis i.w.S. sei damit gerade auf die Existenz der Sonderverbindung zurückzuführen.655 Bei dem Schuldverhältnis i.w.S. handle es sich um die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner.656 Die Einzelrechte entsprängen dann diesem Schuldverhältnis i.w.S.657 In der Konzeption von Frost haben damit also Sonderverbindung und Schuldverhältnis i.w.S. als sich ergänzende, nicht ausschließliche Begriffe einen jeweils eigenen Platz.

650 651 652 653 654 655 656 657

Vgl. AnwKomm-Schuldrecht-Krebs, § 311, Rdnr. 22. Vgl. Krebs, S. 267. Vgl. Krebs, S. 267 ff. Vgl. Frost, S. 213. Vgl. Frost, S. 216. Vgl. Frost, S. 216. Vgl. Frost, S. 145. Vgl. Frost, S. 145.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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V. Resümee: Zurückführung der Diskussion auf die Rechtskreisöffnung der Beteiligten Beginnend mit der Arbeit von Frost hat sich eine neue Leitlinie in der dogmatischen Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses gezeigt, deren Kern in der Betonung der Rechtskreisöffnung der Beteiligten liegt (1.).658 Hinsichtlich der Legitimation zeigen die einzelnen Lehren der Leitlinie ein eher heterogenes Bild, in dem die Ansätze von Krebs und Picker aber als neuartig hervorstechen (2.). Im Kern verfehlt ist der Begriff der Sonderverbindung, den die Lehren in den Mittelpunkt der Diskussion stellen (3.). Insgesamt ist es den Rechtskreisöffnungslehren zu verdanken, dass die Entwicklung der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses jedenfalls neue Denkimpulse bekommen hat (4.).

1. Die Tatbestandskonzeption der Rechtskreisöffnungslehren Auf Tatbestandsebene ist den Rechtskreisöffnungslehren, allen voran Frost, die Hervorhebung der erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten infolge der Rechtskreisöffnung zu entnehmen. a) Betonung der erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten durch die Rechtskreisöffnung der Beteiligten Der umfassenden Untersuchung von Schutzpflichten, die Frost vorgelegt hat, haben wir vor allen Dingen eines zu verdanken: Die Auseinandersetzung, Umsetzung und Anwendung der Lehre von Heinrich Stoll659, die für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo eine überragende Bedeutung gehabt hat, wird von Frost erstmals wieder weggeführt von der übermäßigen Betonung des Vertrauensgedankens. Frost vollzieht die Hinwendung zum zweiten Aspekt in Heinrich Stolls Lehre: der Eröffnung erhöhter Einwirkungsmöglichkeiten, die zur Annahme von Schutzpflichten führt, die Gefährdungen als Folge der Einwirkungsmöglichkeiten kompensieren. Dabei konzentriert sie sich, wie auch später Krebs, auf eine Rechtsgüterkreisöffnung bzw. -überschneidung. Die Rechtskreisöffnung bzw. Rechtsgüterkreisüber658 Vgl. zuletzt auch die Untersuchung von Dannhorn zur Übertragung der Konzeption von Krebs und Frost auf das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern. Sie fasst zu diesem Zweck die Kriterien zur Begründung einer Sonderverbindung, die Frost und Krebs entwickelt haben, zusammen. In der anschließenden Prüfung kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Eltern-KindBeziehung eine Sonderverbindung in diesem Sinne darstellt. Vgl. Dannhorn, S. 113 ff., insbesondere S. 120. 659 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. I.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

schneidung, die Frost als Tatbestandsmerkmal einer Sonderverbindung feststellt, ist die Ursache der erhöhten Einwirkungsmöglichkeit. Frosts Beobachtung, dass an diesem Punkt ein wesentliches Merkmal einer Sonderverbindung in ihrer Terminologie liegt, ist treffend und zeigt eine präzise Erfassung des typischen Vorgangs z. B. im Falle von Vertragsverhandlungen: Allein die Charakterisierung der betroffenen Rechtsgüter und Interessen in einem Rechtsgüterkreis bleibt leider unklar – der Begriff wird überhaupt nicht erläutert. b) Der Abbau von Schutzbarrieren bei der Eingehung einer Sonderverbindung Eine treffende und sehr präzise Beobachtung von Frost ist auch die Tatsache, dass die Beteiligten einer Sonderverbindung, um hier noch in ihrer Terminologie zu bleiben, bei Eingehung Schutzbarrieren abbauen, die grundsätzlich erst einmal gegenüber allen Mitmenschen bestehen. In welcher Art und wie genau dieser Abbau stattfindet, bedarf allerdings noch weiterer Untersuchung.660 c) Die Zweck- oder Zielsetzung im Tatbestand der Sonderverbindung als notwendiges Merkmal Auch die Frage nach der tatsächlichen Bedeutung der Zwecksetzung sollte noch weiter erörtert werden. Die Frage ist, ob ein gemeinsamer Zweck oder eine gemeinsame Zielsetzung tatsächlich zwingend gegeben sein muss, um eine Sonderverbindung in der Terminologie Frosts vom Deliktsrecht abzugrenzen. Wenn der maßgebliche Punkt derjenige der willentlichen Rechtskreisöffnung bzw. die teilweise Rechtsgüterkreisverschmelzung ist, dürfte sich die Betonung des Zweckes als verfehlt erweisen.661 Sofern zudem keine besondere Qualität des Zwecks gefordert wird, dürfte sich das Tatbestandsmerkmal auch als sinnlos erweisen. Im Zusammenhang mit dem Zweck der Sonderverbindung überzeugt auch die von Krebs vorgenommene Beschränkung des Anwendungsbereichs der Sonderverbindung nicht. Warum Gefälligkeiten von der Anwendung ausgeschlossen sein sollen, ist nicht überzeugend dargelegt.

2. Legitimation durch funktionale Gesichtspunkte, Vertrauen und Haftungsbeschränkungsgesichtspunkte Die Rechtskreisöffnungslehren knüpfen zur Legitimation an funktionale Gesichtspunkte, Vertrauen oder das Gebot des „neminem laedere“ an. 660 661

Vgl. dazu noch unten unter 2. Teil, B. II. und III. Vgl. dazu noch unten unter 2. Teil, B.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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Dass die Anknüpfung an Vertrauen in diesem Zusammenhang insgesamt äußerst problematisch ist und daher im Ergebnis auch abgelehnt werden sollte, wurde bereits dargelegt.662 Eine generelle Auseinandersetzung mit dem methodischen Ansatz, Rechtsnormen mittels einer sog. funktionalen Legitimation zu rechtfertigen, ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht gewollt. Dennoch drängt sich die Frage auf, ob Krebs nicht (jedenfalls im vorliegenden Fall) die Rechtfertigung der Haftung mit einer Nachzeichnung ihrer tatsächlichen Ausgestaltung verwechselt. Der Rückschluss von bestehenden Rechtsfolgen auf die Zwecke, die mittels dieser Rechtsfolgen erreicht werden sollen und die Gleichsetzung dieser Zwecke mit einer Rechtfertigung der Rechtsfigur insgesamt, leiden unter einem gravierenden Mangel, der Krebs sehr wohl bewusst ist: Ein Unterschied zwischen der „wertungsmäßigen Legitimation“ und der inhaltlichen Funktion des zu rechtfertigenden Rechtsinstituts besteht letztlich nicht. Das Problem ist, präziser formuliert, dass die Existenz des Rechtsinstitutes in der vorgegebenen Form, d. h. auch hinsichtlich des Haftungsumfanges etc., bei diesem Ansatz Voraussetzung und Startpunkt der Untersuchung ist. Eine kritische Hinterfragung findet kaum statt. Auf Grund der dargestellten inhärenten Beschränkungen des funktionalen Legitimationsansatzes, ist dieser – mit Blick auf die vorliegende Untersuchung – als zu unkritisch abzulehnen. Bei Picker finden sich auf den ersten Blick keine Aussagen zu einer Legitimation des Schuldverhältnisses bzw. der Haftung, vielmehr ersetzt bei ihm das Prinzip des „neminem laedere“ zunächst die Rechtfertigungsebene. Die Vorstellung, dass z. B. die Regelungen des § 823 Abs. 1 BGB lediglich Ausschlussfunktionen übernehmen, setzt allerdings voraus, dass er der Verletzung des Gebots des „neminem laedere“ eine Art Anspruchsfunktion zuspricht. Mit dieser Konzeption verliert Picker aus den Augen, dass unsere Gesellschaft und unsere Rechtsordnung eben nicht jedes schädigende Verhalten als rechtswidrig klassifizieren.663 Gerade der Ausgleich zwischen verschiedenen ethischen Prinzipien etwa soll dabei von den Rechtsvorschriften – etwa im Rahmen der Qualifikation eines Verhaltens als rechtswidrig – gewährleistet werden. In der Vorstellung von Picker geschieht die Qualifikation als rechtswidrig bereits im vorpositiven Bereich im Rahmen der Feststellung, ob eine Verletzung des Gebotes des „neminem laedere“ gegeben ist. Damit setzt er ein ethisches Prinzip nahezu nahtlos in ein rechtliches Haftungsprinzip um und degradiert die gesetzlichen Regelungen zu reinen Ausschlusstatbeständen. Die Funktion des Rechts wird so erheblich verkürzt. Insbesondere der erwähnten Ausgleichsfunktion des Rechts kommt im Hinblick auf die Qualifikation eines Verhaltens als rechtswidrig kaum noch Bedeutung zu. Gerade hier liegt aber eine ganz entscheidende Funktion des Rechts.664 Vgl. dazu schon oben unter 1. Teil, C. VIII. Vgl. zur Kritik an Pickers Begriff der Rechtswidrigkeit auch Möschel, AcP 186 (1986), S. 187, 224 f. 664 Vgl. zu ähnlicher Kritik an der Konzeption Pickers insbesondere auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 244 ff. 662 663

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Unter diesem Gesichtspunkt kann auch Picker keine überzeugende Grundlage für die Legitimation des Schuldverhältnisses bieten. Dennoch soll festgehalten werden, dass Picker mit der Herausarbeitung der ethischen Basis der Schadensersatzhaftung auch den Blick auf die vorpositiven Grundlagen und Wertungen des Haftungsrechts wieder in wünschenswerter Weise geschärft hat.

3. Sonderverbindung und Schuldverhältnis i.w.S. in den Lehren von der Rechtskreisöffnung Die verschiedenen aufgezeigten Bedeutungen der Sonderverbindung in den Lehren von der Rechtskreisöffnung sind indes verfehlt. Frost vertritt die Auffassung, dass zunächst eine Sonderverbindung entsteht. Ist die Sonderverbindung entstanden, so sei diese Grund für die Entstehung von Pflichten zwischen den Beteiligten und damit für das Schuldverhältnis i.w.S. Unklar ist damit in der Konzeption von Frost die Abgrenzung der Funktionen von Sonderverbindung und Schuldverhältnis i.w.S. Als Beschreibung des Tatbestandes des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses ist der Begriff der Sonderverbindung zu vage. Aus der Sicht der Dogmatik bietet der Begriff keinen Gewinn gegenüber dem Begriff des Schuldverhältnisses i.w.S. Das Verhältnis von Sonderverbindung und Schuldverhältnis i.w.S. in der Konzeption von Krebs wird im Gesamtverlauf der Untersuchung nicht völlig deutlich, weicht aber ersichtlich von dem Verständnis von Frost ab. In der Vorstellung von Krebs scheint es sich bei einer Sonderverbindung um eine Verbindung zu handeln, die kein Schuldverhältnis i. S. d. § 241 a.F. BGB darstellt. In § 241 a.F. BGB, dem jetzigen § 241 Abs. 1 BGB, ist das Schuldverhältnis i.e.S., der Anspruch, erfasst.665 Krebs scheint davon auszugehen, dass Schuldverhältnisse nur vorliegen, wenn (zumindest) ein Anspruch zwischen den Beteiligten besteht. Krebs folgert aus diesem Verständnis des Schuldverhältnisses, dass Beziehungen, in denen lediglich Pflichten zur Rücksichtnahme bestehen, kein Schuldverhältnis darstellen. Damit verkennt er zwei Punkte: § 241 BGB ist nicht die einzige Fundstelle im Gesetzestext, in der das Verständnis des Begriffs des Schuldverhältnisses durch den Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht wurde. Das gilt auch und insbesondere im Fall der Überschrift von § 241 BGB. Hier wird deutlich, dass der Gesetzgeber eben auch mit einem Begriff des Schuldverhältnisses arbeitet, der dieses als Ursprungsverhältnis von Ansprüchen und Pflichten sieht.666 Das Schuldverhältnis 665 Vgl. dazu Medicus, AT, Rdnr. 63, 75; Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 82 aber auch BGHZ 10, S. 391, 395, a.A. aber Planck-Siber, Vorbem. zu Bd. II 1 Anm. I 1 a und II 2 a; offen Gernhuber, S. 7. 666 Vgl. dazu noch unter 2. Teil, A. II. 2.

F. Die Rechtskreisöffnung der Beteiligten

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i.w.S. umfasst dann ohne weiteres auch die Entstehung von Pflichten zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB. Auf Grund des verengten Verständnisses des Schuldverhältnisbegriffs nimmt Krebs aber an, dass eine Erweiterung durch den Begriff der Sonderverbindung notwendig sei. Mit diesem könnten dann insgesamt alle Beziehungen erfasst werden, in denen lediglich Pflichten zur Rücksichtnahme bestehen. Damit ist aber völlig unklar, in welchem Punkt nach der Konzeption von Krebs noch ein Unterschied zwischen dem Schuldverhältnis i.w.S. und einer Sonderverbindung bestehen soll. Krebs argumentiert, dass die Sonderverbindung auch die Beziehungen umfassen soll, in denen nur Pflichten zur Rücksichtnahme und eben keine schuldrechtlichen Ansprüche zwischen den Beteiligten bestehen. Das kann nicht überzeugen. Aus dem Begriff der Sonderverbindung lässt sich diese Bedeutung dem Wortsinn nach nicht ableiten. Ferner soll der Begriff alle Beziehungen erfassen, in denen schuldrechtliche Pflichten zwischen den Beteiligten bestehen. Das ist aber der Anwendungsbereich, der vom Begriff des Schuldverhältnisses i.w.S., verstanden als personale Beziehung, die zugleich Quelle von Ansprüchen und Pflichten ist, ebenfalls erfasst wird. Ein eigener Anwendungsbereich des Begriffs der Sonderverbindung ist nicht erkennbar. In diesem Zusammenhang sollte auch berücksichtigt werden, dass der Begriff der Sonderverbindung im Gesetzestext nicht vorkommt. Aus diesem Grund bestehen erhebliche Zweifel hinsichtlich der Abgrenzungskraft des Begriffes. Unter Berücksichtigung des Wortsinns werden diese Bedenken noch verstärkt. Von einer Sonderverbindung im Rahmen des Bürgerlichen Rechts ist zunächst einmal nur eine Beziehung zu erwarten, die sich von den Beziehungen zur Allgemeinheit abhebt. Damit ist noch nichts über das Bestehen oder Nichtbestehen von Pflichten innerhalb dieser Beziehung gesagt. Vom Wortsinn erfasst wären also auch Beziehungen, in denen keine Pflichten bestehen. Diese Beziehungen möchte Krebs gerade aus dem Anwendungsbereich des Begriffs ausschließen. Auf Grund all dieser Bedenken kann das Verständnis der Sonderverbindung in der Konzeption von Krebs so nicht überzeugen. Ein eigener Anwendungsbereich neben dem Schuldverhältnis i.w.S. konnte im Rahmen seiner Untersuchung nicht aufgezeigt werden. Unabhängig von dieser Frage, kann der Begriff auch im Rückgriff auf den Wortsinn nicht überzeugen. Zuletzt handelt es sich auch nicht um einen rechtlichen Begriff. Auch das spricht gegen eine Verwendung in der von Krebs vorgeschlagenen Weise. Allein als „facon de parler“ ist der Begriff aber dogmatisch überflüssig.667 In Frosts Untersuchung ist faktisch ebenfalls kein Unterschied zwischen Sonderverbindung und Schuldverhältnis i.w.S. feststellbar, da sie davon ausgeht, dass die 667 Vgl. Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 34 zum Begriff und nachfolgend insgesamt noch unter 2. Teil, A. II. 2. Die mangelnde dogmatische Verankerung bemängelt auch Fredy Müller, S. 176.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Sonderverbindung pflichtenbegründend ist und das Schuldverhältnis i.w.S. nur als Folge im Sinne eines Inbegriffs von Rechtsfolgen existiert. Dieser pflichtenbegründende Charakter macht aber gerade den Charakter des Schuldverhältnisses i.w.S. aus.668 Hätte Frost diesen Charakter erkannt, wäre ein Ausweichen auf einen Begriff der Sonderverbindung nicht notwendig gewesen. Letztlich resultiert all das aus einem verengten Verständnis des Begriffs des Schuldverhältnisses. Mit der Schuldrechtsreform ist das zuvor erwähnte Verständnis des Schuldverhältnisses i.w.S. gerade mit Blick auf Verhältnisse, in denen lediglich Pflichten zur Rücksichtnahme bestehen, nochmals deutlich herausgestellt und bestätigt worden. Das Schuldverhältnis i.w.S. umfasst ausweislich §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB gerade auch Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB.

4. Zusammenfassung: Neue Richtung für die dogmatische Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses In jeder Hinsicht begrüßenswert ist die Loslösung des Tatbestands und der Legitimation des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung von der Vertrauenshaftung in den hier diskutierten Ansätzen. Die Hinwendung zu dem Aspekt der erhöhten Einwirkungsmöglichkeit eröffnet die Perspektive, die zumeist unerörterte Frage nach der Entstehung des Schuldverhältnisses durch Rechtskreisöffnung unvoreingenommen zu untersuchen und zu lösen. Insofern kann hier ein Beginn einer neuen Untersuchung des Schuldverhältnisses in der Fallgruppe der culpa in contrahendo gesehen werden. Im Einzelnen wird noch aufzuzeigen sein, inwiefern insbesondere die Annahmen Frosts im Ergebnis haltbar sind. Nicht zuletzt sollte gewürdigt werden, dass Frost eine Fragestellung in ihrer Arbeit präzise herausgearbeitet hat, die einige Autoren bis zu diesem Zeitpunkt vernachlässigt oder nicht erkannt hatten: Bevor eine Diskussion über die Frage des Bestehens, des Nichtbestehens oder des Umfangs von Pflichten sinnvoll ist, ist die vorgelagerte Frage zu erörtern, ab welchem Zeitpunkt eigentlich ein Schuldverhältnis i.w.S. begründet wird und damit eine Quelle für Pflichten überhaupt besteht.669 Das Konzept einer Rechtskreisöffnung als entscheidendes Moment der Begründung eines Schuldverhältnisses i.w.S. konnte sich bisher in der Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses nicht durchsetzen. Allerdings hat die Rezeption aus langer Sicht gerade erst begonnen. Bereits jetzt kann allerdings festgehalten werden, dass die Untersuchung von Frost einen Wendepunkt markieren könnte. Nachdem jahrzehntelang die Diskus668 669

Vgl. dazu noch unter 2. Teil, A. II. 2. Vgl. dazu auch unter 2. Teil, A. III. 2.

G. Zusammenfassung

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sion von den Vertrauenshaftungslehren geprägt war, könnte jetzt der zweite, andere Bestandteil der Lehre von Heinrich Stoll zurück in den Mittelpunkt der Diskussion gelangen: die durch die Öffnung des Rechtskreises geschaffenen erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Schutzgüter der anderen Seite. Die neue Strömung in der Rechtswissenschaft ist aus diesem Grund an Bedeutung nicht zu unterschätzen: Grundlagen für die (weitere) Entwicklung weg von der Vertrauenshaftung sind gelegt.670

G. Zusammenfassung: Konsens, Vertrauen, Anknüpfung an privatautonomes Verhalten und Rechtskreisöffnung als Leitlinien der dogmatischen Entwicklung Bevor sich eine detaillierte Analyse von Entstehungstatbestand und Legitimation des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in den Fallgruppen der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB im 2. Hauptteil der Arbeit anschließt, sollen die bisherigen Feststellungen aus der Analyse der Entwicklung der Diskussion in Rechtsprechung und Rechtwissenschaft noch einmal zusammengefasst werden. In Retrospektive können dabei insgesamt vier Leitlinien der dogmatischen Entwicklung ausgemacht werden: Es handelt sich zunächst um die Betonung des Konsenses der Beteiligten bzw. die Hervorhebung der Bedeutung des Vertrauens zwischen den Beteiligten. Daneben hat auch die Anknüpfung an privatautonomes Handeln der Beteiligten eine wesentliche Rolle gespielt. Zuletzt hat die Rechtskreisöffnung der Beteiligten eine Rolle in der Diskussion in der Dogmatik gespielt. In der Diskussion ist deutlich geworden, dass die Annahme, dass die Haftung letztlich auf einem Vertrag beruht,671 nicht haltbar ist. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich um eine Fiktion.672 Dennoch ist durch die rechtsgeschäftlichen und vertragsnahen Ansätze in der Diskussion aufgezeigt worden, dass dem Konsens der Beteiligten des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Bedeutung zukommt. Auch die Vertrauenshaftungslehren stellen mit ihrer Formel von der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen in gewisser Weise auf den Konsens der Beteiligten ab. Mit dem Konsens der Beteiligten als Leitlinie der dogmatischen Entwicklung ist ein Punkt gefunden, der in der Analyse von Tatbestand und Legitimation des Schuldverhältnisses im 2. Teil der Arbeit noch eine Rolle spielen wird. 670 Vgl. auch Koziol, JBl. 1994, S. 209 ff., der jetzt aus österreichischer Sicht die Rechtskreisöffnung in den Vordergrund rückt. Siehe im Übrigen schon Steffen, JR 1968, S. 287, 290 f., der in der Produkthaftungsdiskussion die Einflussnahme auf die Rechtssphäre in den Mittelpunkt stellen wollte. 671 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, B. I. 4. 672 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, B. I. 4.

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1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

Von herausragender Bedeutung für die Entwicklung der Argumentationslinien in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft war ohne Zweifel die 1934 von Heinrich Stoll für die Akademie für Deutsches Recht vorgelegte Untersuchung „Die Lehre von den Leistungsstörungen“.673 In dieser Untersuchung hat Stoll für die spätere Diskussion vor allem zwei Aspekte des Schuldverhältnisses herausgearbeitet: Zum einen folgerte er vor dem Hintergrund der Bedeutung der Treuepflicht als einer Ausprägung des nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedanken in der Volksgemeinschaft, dass innerhalb eines Schuldverhältnisses neben dem Leistungsverhältnis stets auch ein Vertrauensverhältnis als Folge des Eintritts in Vertragsverhandlungen besteht. Als zweiten Punkt betonte Heinrich Stoll, dass ein besonderes – Pflichten zur Rücksichtnahme hervorrufendes – Schutzinteresse zwischen den Beteiligten immer dann bestehe, wenn innerhalb der mit dem Vertrauensverhältnis entstehenden Sonderbeziehung der Rechtskreis des jeweils anderen Beteiligten den Einwirkungsmöglichkeiten des Gegenübers eröffnet werde. Beide Aspekte haben in der folgenden Entwicklung des Schuldverhältnisses die Diskussion geprägt: Das Vertrauen als Anker für die Frage der Legitimität einer Haftung hat die fachliche Auseinandersetzung im späteren Verlauf allerdings in erheblichem Maße dominiert.674 Im Rahmen dieses Siegeszugs wurde Vertrauen seit den Lehren von Dölle und Ballerstedt als Tatbestandsmerkmal im Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses vorausgesetzt. Insbesondere durch die Lehren von Larenz und Canaris und die Rechtsprechung des BGH sowie der Instanzgerichte hat Vertrauen erhebliche Bedeutung als Legitimation der Haftung für die Verletzung von Pflichten aus dem heutigen Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung gewonnen.675 Der BGH ist dabei in seinen Urteilen teilweise sehr nah an den Formulierungen von Heinrich Stoll zum Vertrauensverhältnis geblieben.676 Unzählige Varianten und Variationen der verschiedenen Vertrauenshaftungslehren werden bis heute vertreten.677 Damit ging auch eine erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereiches der culpa in contrahendo oder Vertrauenshaftung einher, die ihre Spitze in Konstruktionen wie dem „typisierten Vertrauen“ fand.678 Hier wird eine wesentliche Schwäche der Vertrauenshaftungslehren insgesamt offenbar. Vertrauen in seinen verschiedenen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erscheinungsformen679 ist zu diffus und allgegenwärtig, um als rechtlicher Begriff zur Abgrenzung gebraucht werden zu könVgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. I. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VIII. 675 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VII. 676 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. In der Rechtsprechung des RG gab es aber auch vor der Lehre Heinrich Stolls Urteile, die von einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis ausgingen. 677 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. 678 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VII. 2. 679 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VIII. 673 674

G. Zusammenfassung

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nen. Ferner ist es den Vertrauenshaftungslehren bis heute nicht gelungen, die Gründe, warum Vertrauen in den von den Vertretern der Vertrauenshaftungslehren angeführten Situationen zur Begründung eines Schuldverhältnisses dienen soll, überzeugend darzulegen. Die Analyse hat dann auch gezeigt, dass es auf Vertrauen im Rahmen des Tatbestands nicht ankommen kann. Auf Grund der Schwächen der vertrauenstheoretischen Ansätze ist auch nicht wünschenswert, dass die Vertrauenshaftungslehren als Leitlinie der Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses von Bedeutung bleiben werden. Der zweiten großen Feststellung von Heinrich Stoll in dem hier relevanten Zusammenhang – die durch die Beziehung der Beteiligten eröffneten Einwirkungsmöglichkeiten auf den anderen Rechtskreis – ist im Rahmen der Frage nach der Begründung des Schuldverhältnisses zunächst deutlich weniger Beachtung geschenkt worden. Lediglich Dölle und Canaris haben den Gedanken im Sinne eines Anvertrauens der Rechtsgüter an die Einwirkungsmöglichkeiten des anderen Teils verwertet.680 Daneben wurde das Anvertrauen der eigenen Rechtsgüter an die Einwirkungsmöglichkeiten des anderen Beteiligten immer wieder zur Begründung von Pflichten zum Schutz absoluter Rechtsgüter herangezogen.681 Die Arbeit von Frost hat den Gedanken eines geöffneten Rechtskreises zwischen den Beteiligten aus der Lehre von Heinrich Stoll aufgegriffen und als wesentliches Element der Entstehung einer Sonderverbindung identifiziert. Der Untersuchung haben wir es zu verdanken, dass der Blickwinkel erstmals weg vom Vertrauensgedanken und hin zu einer willentlichen Öffnung der Rechtskreise gelenkt wurde. Dieser Gesichtspunkt wird im Rahmen des 2. Teils der Arbeit noch weiter zu untersuchen sein. Der Begriff des Rechtskreises ist noch unpräzise geblieben und bedarf weiterer Untersuchung. Sowohl anhand der Analyse der Lehre von Frost, als auch bei der in der Tatbestandsfrage identischen Untersuchung von Krebs wurde deutlich, dass die Verwendung des Begriffs der Sonderverbindung, insbesondere unter Berücksichtigung des Begriffs des Schuldverhältnisses i.w.S. und i.e.S., wie er im Gesetzestext verwendet wird, keinen Sinn macht. Durch die Einführung bzw. Verwendung des Begriffs wird die Diskussion letztlich von der Frage weggeführt, wann ein Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten entsteht. Auch in der Auseinandersetzung mit den Positionen von Krebs und Frost ist deutlich geworden, dass ein klares Verhältnis von Schuldverhältnis i.w.S., der Beziehung zwischen den Beteiligten und der Be680 Darauf stellt etwa auch Eylert, S. 63, für die Einordnung von Gefälligkeitsbeziehungen als Fall der culpa in contrahendo ab. 681 Vgl. dazu z. B. Diers, S. 59; Motzer, JZ 1983, S. 884, 885; auch den Verweis auf das Einbringen von Rechtsgütern in die Rechtssphäre eines anderen bei von Lackum, S. 101. Zur Heranziehung bei der Begründung von gesetzlichen Schuldverhältnissen in „Gefälligkeitsbeziehungen“ Etzbach, S. 79 und 82 (Einwirkungsmöglichkeit auf ihre Rechtsgüterwelt). Teilweise wurden die Einwirkungsmöglichkeiten allerdings auch von deliktischen Theorien berücksichtigt, die gerade die Existenz eines Schuldverhältnisses verleugnen (vgl. Heyl, S. 74; Unger, S. 110 ff.), aber doch dieselben Fälle erfassen sollen.

150

1. Teil: Entwicklung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses

gründung von Pflichten für eine Beantwortung der Frage nach dem Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses zwingend notwendig ist. Darüber hinaus hat es sich gezeigt, dass die Anknüpfung an privatautonomes Handeln der Beteiligten als eine Leitlinie der dogmatischen Entwicklung für das Rücksichtnahmeschuldverhältnis eine Rolle spielt. In der Analyse der diskutierten Ansätze ist offenbar geworden, dass es nicht um die alleinige Anknüpfung an Selbstverantwortungsgesichtspunkte geht. Von Bedeutung für das Schuldverhältnis könnte aber das willentliche Handeln der Beteiligten als privatautonome Verwirklichung im weiteren Sinne sein. Hier zeigen sich Querverbindungen zur Bedeutung des Konsensgedankens, der auch als Verwirklichung privatautonomen Handelns gesehen werden kann. Das zu untersuchende Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB ist im vorliegenden Teil der Untersuchung bereits ansatzweise sichtbar geworden. Anhand einer kurzen Analyse der bisherigen dogmatischen Leitlinien der dogmatischen Entwicklung kann zumindest schon ein vager Umriss des in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB niedergelegten Schuldverhältnisses erkannt werden. Klar geworden ist, dass die Entstehung eines Schuldverhältnisses in der Entwicklung der Fallgruppe der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB und die mit dieser Entstehung verbundenen Pflichten zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB nicht aus dem Willen der Parteien oder einem solchen durch die Rechtsordnung anerkannten Willen der Parteien folgen. Die Betonung des Konsenses, insbesondere einer Vielzahl früherer Begründungsansätze, aber auch noch in den heute vorherrschenden Konzepten, scheint aber eine gewisse Relevanz zu haben. Neben diesem Gegenseitigkeitselement hat sich in der Untersuchung der Lehre von der Vertrauenshaftung in all ihren Mutationen gezeigt, dass Vertrauen offensichtlich kein ausschlaggebendes Moment für die Begründung des Schuldverhältnisses ist. Versteht man die ständige Berufung auf das Vertrauen als das Anpreisen einer legitimen Verhaltenserwartung, die notwendigerweise geschützt werden müsse, ist das wenig hilfreich, da damit letztlich nicht mehr gesagt ist als: „Wir fühlen, der Schädiger sollte hier haften, weil er die Verhaltenserwartungen seines Gegenübers verletzt hat.“ Unabhängig davon, welche Bedeutung dem Rechtsgefühl in der heutigen Rechtsfindung tatsächlich zukommt682, hilft eine solche Begründung jedenfalls bei der Suche nach Typik und Rechtfertigung einer Fallgruppe nicht weiter. Im Dunstkreis der Vertrauenshaftung ist – mehr am Rande – ein augenscheinlich wichtiges Element des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses hervorgekommen. Heinrich Stolls Begründung der Schutzpflichten für absolute Rechtsgüter aus dem Gedanken der durch eine Sonderbeziehung begründeten Einwirkungsmöglichkeit auf einen fremden Rechtskreis ist eine präzise Beschreibung der typischen lebens682

Isay.

Vgl. dazu vor allem die Untersuchung Rechtsnorm und Entscheidung von Herrmann

G. Zusammenfassung

151

weltlichen Situation. Insbesondere Frost hat den Gedanken noch erheblich präzisieren können, indem sie die Öffnung der Rechtskreise und die Aufgabe des Nebeneinanders für ein Miteinander in den Mittelpunkt stellt. Damit ist im Wesentlichen – unter Einbeziehung anderer soeben in diesem Unterabschnitt rekapitulierend zusammengefasster Aspekte – der große Rahmen für die weitere Untersuchung im anschließenden Teil gefunden. Es gilt weiter und präziser herauszuarbeiten, wo das gemeinsame Moment der Fallgruppen liegt, und die gefundenen Merkmale im Rahmen des Wortlauts der Normen und des System des Bürgerlichen Rechts weiter zu untersuchen.

2. Teil

Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung im System des Bürgerlichen Rechts Im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung soll die Herausarbeitung der für die Entstehung eines Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB notwendigen Tatbestandsmerkmale unter Berücksichtigung der im vorigen Teil gewonnenen Erkenntnisse in systematisch-beschreibender Weise erfolgen. Im Folgenden soll vor dem Hintergrund dieses Ziels zunächst das System des Bürgerlichen Rechts skizziert werden, in das sich das Schuldverhältnis einfügen muss. Die bisherige Entwicklung der Dogmatik hat gezeigt, dass es von Bedeutung ist, zunächst einmal die genaue Fragestellung herauszuarbeiten. Nur allzu oft hat sich die Diskussion im Zusammenhang mit dem Rücksichtnahmeschuldverhältnis zu sehr auf die Debatte von Kasuistik und einzelnen Pflichten beschränkt. Die Einbettung des Schuldverhältnisses in das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen bzw. Schuldverhältnissen, ist daher das Thema des ersten Abschnittes des 2. Teils dieser Arbeit (A.). Anschließend erfolgt die eigentliche Untersuchung der Typik des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB anhand typischer Fallkonstellationen (B.). Im Anschluss sollen zunächst Entstehungsprozess und Diskussionsstand zum Tatbestand der heutigen §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB dargestellt werden. Eine Analyse des Wortlauts und damit des kodifizierten Schuldverhältnisses rundet den Abschnitt ab (C.). Zuletzt soll die Legitimation des Schuldverhältnisses noch kurz untersucht werden (D.), bevor ein Resümee und ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen die Untersuchung abschließen (E.).

A. Das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen bzw. Schuldverhältnissen Unser heutiges Verständnis des Bürgerlichen Rechts ist maßgeblich geprägt vom Aktionensystem des römischen Rechts: Das BGB ist konzipiert als ein System der Ansprüche (I.). Daneben lässt das Schuldrecht ein System von Schuldverhältnissen erkennen (II.).

A. Das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen / Schuldverhältnissen

153

I. Das System der Ansprüche des BGB Das System des Bürgerlichen Rechts ist im Wesentlichen von drei Aspekten geprägt: Zum einen nutzt das BGB das römisch-rechtliche Aktionensystem als Grundlage. Dies umfasst insbesondere die Unterscheidung von res und actiones, die Gaius herausgearbeitet hat1, und ist die Basis für das heutige Anspruchssystem des BGB, wie im folgenden ersten Unterabschnitt kurz dargestellt werden soll (1.). Ein weiterer Schwerpunkt des Systems liegt auf der Unterscheidung von dinglichem und schuldrechtlichem Vertrag und damit auf der Differenzierung von Schuldrecht und Sachenrecht. Zuletzt ist das Regelungswerk davon geprägt, dass allgemeine Aussagen gewissermaßen vor die Klammer gezogen werden.2 Auf dieser Grundlage hat sich ein Verständnis von Eigentum und Schuldverhältnis als Quelle von Ansprüchen entwickelt, das im zweiten Unterabschnitt dieses Kapitels diskutiert wird (2.).

1. Actio und res in den Institutionen des Gaius Das römische Recht – wie es von Gaius in seinen Institutionen aus dem Jahre 162 n. Chr. beschrieben wird – baut wesentlich auf der Unterscheidung von res und actio auf.3 Als eine der zentralen Aussagen seines Werkes kann der folgende Satz verstanden werden: „Alles Recht aber, dessen wir uns bedienen, erstreckt sich entweder auf Personen oder auf Sachen oder auf Klagen.“4

Für die heutige Konzeption ist vor allem wichtig, dass dem Begriff der res, der Sache, die res corporalis (Eigentum) und die res incorporalis (Obligation) unterfallen.5 Die Klageerhebung ebenso wie die eigentliche Klage wurde dagegen als actio – also als Handlung – bezeichnet.6 Im römischen Recht entwickelte sich ein regelrechtes Aktionensystem, das verschiedene Klagen zur Durchsetzung der Rechte vorsah.7 Die actio war also lediglich das Mittel zur Rechtsdurchsetzung. Das eigentliche Recht war in dem Begriff der Sache – der res – zu finden.

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. dazu Jan Schapp, JA 2003, S. 125. Vgl. Jan Schapp, JA 2003, S. 125. Vgl. dazu vor allem Jan Schapp, JA 2002, S. 939, 940; ders., Methodenlehre, S. 54 f. Vgl. Gaius, Institutionen, 1. Buch, § 8. Vgl. dazu vor allem Jan Schapp, JA 2002, S. 939, 940; ders., Methodenlehre, S. 54. Vgl. dazu vor allem Jan Schapp, JA 2002, S. 939. Vgl. Jan Schapp, Methodenlehre, S. 55.

154

2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

2. Schuldverhältnis und Eigentum als Quelle von Ansprüchen und Pflichten Mit dem Begriff der res hatte Gaius in der heutigen Terminologie die Rechtsverhältnisse im Blick, während mit den actiones die Klagen zur Durchsetzung von Rechten im Streitfalle erfasst werden. Damit lässt sich als Kernaussage der Satz bilden, dass die Klagen in bestimmten Rechtsverhältnissen – nämlich Obligation und Eigentum – begründet sind. Dieses Verständnis zeigt sich noch heute in der Grundkonzeption des BGB, ist aber durch die Betonung des Rechtsgeschäfts als einem zentralen Mittel zur Verwirklichung der Autonomie des Menschen auf den ersten Blick etwas in den Hintergrund getreten.8 Bei genauerer Betrachtung ist es aber maßgeblich für die Struktur des BGB. An die Stelle des Begriffes der „Obligation“ ist als Folge einer langen historischen Entwicklung in der Diktion der Verfasser des BGB der Begriff des Schuldverhältnisses getreten.9 Die Stelle der actio hat in unserem System des BGB der Anspruch eingenommen.10 Windscheid hat herausgearbeitet, dass jede Klage auf einen materiell-rechtlichen Anspruch gestützt wird, und die Klage das Mittel zur Durchsetzung dieses Anspruches ist.11 Damit hat er für das römisch-rechtliche Verständnis der actio einen Bezugspunkt im materiellen Recht herausgearbeitet, der sich in der Folge als bestimmend für das Bürgerliche Recht erwies. Im materiellen Recht hat der Anspruch daher die Bedeutung der actio im römischen Recht gewissermaßen übernommen. Zusammenfassend ist also der so herausgearbeitete materiellrechtliche Anspruch in bestimmten Rechtsverhältnissen – nämlich den Schuldverhältnissen i.w.S. und dem Eigentum – begründet. Er fließt gewissermaßen aus dem Schuldverhältnis i.w.S. oder dem Eigentum als Quelle des Anspruchs.12 Gleiches gilt ausweislich § 241 Abs. 2 BGB auch für die Pflichten zur Rücksichtnahme.13

Vgl. dazu vor allem Jan Schapp, JA 2002, S. 939, 940. Diese Entwicklung zeichnet Hattenhauer, Grundbegriffe, S. 87 ff. nach. Vgl. auch Jan Schapp, Methodenlehre, S. 57. 10 Vgl. Jan Schapp, Methodenlehre, S. 56. 11 Vgl. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts. Dazu vor allem Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 51. 12 Ähnlich auch Enneccerus-Lehmann, Schuldverhältnisse, S. 2: „Zwischen dem Schuldverhältnis im weiteren Sinne und der einzelnen schuldrechtlichen Forderung besteht also ein ähnliches Verhältnis wie zwischen dem Eigentum in dem aus ihm entspringenden Ansprüchen. Jenes ist die Quelle, ein ansprucherzeugender Tatbestand (von manchen als Organismus bezeichnet), dieses der daraus erwachsene einzelne schuldrechtliche Anspruch.“ 13 Vgl. zum Begriff des Schuldverhältnisses in § 241 Abs. 2 BGB noch unten unter 2. Teil, A. II. 2. b). 8 9

A. Das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen / Schuldverhältnissen

155

II. Das System des Schuldrechts Im zweiten Buch des BGB, dem Recht der Schuldverhältnisse, findet sich ein System des Schuldrechts im großen System des BGB (1.), das im anschließenden Abschnitt kurz aufgezeigt werden soll. Neben diesem Aspekt spielt die Unterscheidung von Schuldverhältnis i.w.S. und Schuldverhältnis i.e.S. eine wesentliche Rolle für das Schuldrecht insgesamt, aber auch für das Verständnis des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung (2.).

1. Das System des Schuldrechts als System der Schuldverhältnisse Bei genauerer Betrachtung der Gliederung des BGB wird deutlich, dass der Schwerpunkt des Schuldrechts und zu einem großen Teil sicher auch des gesamten Bürgerlichen Rechts im 8. Abschnitt des zweiten Buches auf dem Recht der Schuldverhältnisse liegt. Hier tritt hervor, dass das System des Schuldrechts in dem Verhältnis der einzelnen Schuldverhältnisse i.w.S. zueinander zu sehen ist.14 Drei große Gruppen lassen sich auf den ersten Blick unterscheiden: Schuldverhältnisse aus Verträgen, aus ungerechtfertigter Bereicherung und aus unerlaubter Handlung.15 Das in § 311 BGB mit rechtsgeschäftsähnlich überschriebene Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung steht etwas verquer zu den drei herkömmlichen Gruppen der Schuldverhältnisse, ebenso wie auch das Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag, der Einbringung von Sachen bei Gastwirten und schließlich der Auslobung. Die bedeutendste Gruppe der Schuldverhältnisse i.w.S. stellen die Schuldverhältnisse aus Verträgen dar. Diese werden durch das BGB in vielfältiger Weise in weitere Untertypen diversifiziert.

2. Der Begriff des Schuldverhältnisses im BGB Mit diesem System des Schuldrechts ist ein maßgeblicher Moment des Schuldrechts noch nicht erfasst: der Begriff des Schuldverhältnisses. Das BGB unterscheidet zwei voneinander abzugrenzende Bedeutungen des Begriffs, die nachfolgend herauszuarbeiten sind [a)]. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutungen ist der weit verbreitete Gebrauch des Begriffs der Sonderverbindung abzulehnen [b)].

Vgl. dazu vor allem Jan Schapp, JA 2003, S. 125, 127. Vgl. dazu auch Jan Schapp, JuS 1992, S. 537, 541 f., der auf die Bedeutung der Schuldverhältnistypen als Ordnung hinweist. 14 15

156

2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

a) Die Unterscheidung von Schuldverhältnis i.w.S. und Schuldverhältnis i.e.S. innerhalb des BGB Neben der oben im 2. Teil unter A. I. 2. herausgearbeiteten Bedeutung des Begriffs des Schuldverhältnisses als Quelle von Ansprüchen findet sich im BGB noch ein zweiter, anderer Begriff des Schuldverhältnisses. In §§ 243 Abs. 2, 362 Abs. 1, 364 Abs. 1, 397 Abs. 1 BGB und vor allem auch in § 241 Abs. 1 BGB verwendet der Gesetzgeber diesen Begriff des Schuldverhältnisses in einem engeren Sinne als zuvor erarbeitet.16 Gemeint ist der schuldrechtliche Anspruch (Forderung) als Schuldverhältnis.17 Das Gesetz gebraucht den Ausdruck also in zweifacher, unterschiedlicher Weise: Zum einen trifft der Begriff des Schuldverhältnisses – verstanden im weiteren Sinne – die personale Beziehung der Beteiligten, die obligatio als Quelle von Ansprüchen.18 Zum anderen wird dann eine mögliche Rechtsfolge eben solch eines Schuldverhältnisses i.w.S. mit dem schuldrechtlichen Anspruch als Schuldverhältnis – jetzt verstanden im engeren Sinne – bezeichnet. Die Verwendung mit unterschiedlicher Bedeutung ist nach Auffassung von Jürgen Schmidt auf eine Auseinandersetzung im gemeinen Recht im Zusammenhang mit der Kodifizierung des BGB zurückzuführen und in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich anerkannt.19 Streitig war, ob das BGB als ein System der Rechte oder als ein System der Rechtsverhältnisse konzipiert werden sollte.20 Die Auseinandersetzung hat bis heute zu Diskrepanzen über die genaue Deutung der Begriffe des Schuldverhältnisses i.e.S. und i.w.S. geführt – nicht einmal über die grundsätzlichen Bedeutungen besteht heute völlige Einigkeit.21 Von Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist hier, dass das oben unter A. I. 2. im 2. Teil aus dem römischen Recht her entwickelte Verständnis des Schuldverhältnisses als Quelle von Ansprüchen und Pflichten nicht unumstritten ist. So besteht zwar Einigkeit darüber, dass der Begriff des Schuldverhältnisses im BGB nicht immer (nur) den einzelnen Anspruch bezeichnet. Entgegen der hier vorgetragenen Konstruktion wird aber teilweise das Schuldverhältnis i.w.S. nur als Gesamtheit von Rechtswirkungen eines Vertrages, vertragsähnlichen Verhältnisses Vgl. dazu etwa MünchKomm-Kramer, Einl. zu Bd. 2a, Rdnr. 13 ff. Für den Fall von § 241 Abs. 1 BGB ist das allerdings umstritten. Vgl. dazu Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 82. 18 Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, A. I. 2. 19 Vgl. dazu aus der Rechtsprechung BGHZ 10, S. 391, 395, aus der Literatur nur Brox / Walker, AT, § 2, Rdnr. 1 – 3; Looschelders, Rdnr. 7 ff. und die Überblicke bei MünchKommKramer, Einl. zu Bd. 2a, Rdnr. 13 ff.; Staudinger-J. Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff., Rdnr. 199 ff. 20 Vgl. Staudinger-J. Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff., Rdnr. 199. 21 Vgl. etwa die Übersicht bei Staudinger-J. Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff., Rdnr. 199 ff.; MünchKomm-Kramer, Einl. zu Bd. 2a, Rdnr. 13, jeweils m. w. N. 16 17

A. Das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen / Schuldverhältnissen

157

oder Schuldbeziehung gesehen.22 Bei dem Schuldverhältnis i.w.S. handle es sich also um eine Einheit der vielfältigen Rechtsfolgen eines gesetzlichen schuldrechtlichen Tatbestandes, einem sinnhaften Gefüge von Rechtsfolgen.23 Entgegen der hier zugrunde gelegten Auffassung gehe es nicht um die Quelle eines Rechtsverhältnisses. Die Quelle der einzelnen Elemente des Schuldverhältnisses i.w.S. stelle allein die Rechtsordnung in Gestalt der konkreten die Rechtsfolge anordnenden Norm dar.24 Lebenswelt und Rechtsnorm sind – so insbesondere Larenz – streng zu trennen.25 Ohne abschließend feststellen zu wollen, dass mit der Bezeichnung als sinnhaftes Gefüge nicht auch ein zutreffender Teilaspekt des Schuldverhältnisses i.w.S. betont wird, ist die Auffassung von einem Schuldverhältnis i.w.S. als Inbegriff von Rechtsfolgen allerdings abzulehnen. Wie insbesondere Steinbach hervorgehoben hat, geht es den Kritikern der hier zugrunde gelegten Auffassung letztlich darum, die Begründung von Rechtsfolgen in Lebensverhältnissen in Frage zu stellen.26 Das setzt ein Normverständnis voraus, das allein die Rechtsnorm als letzten, nicht in Frage zu stellenden Grund einer Rechtsfolge, ansieht.27 Dem ist entgegenzusetzen, dass nach zutreffender Auffassung, der Tatbestand einer Rechtsnorm gerade die Begründung der Rechtsfolge und damit des Anspruchs oder einer Pflicht als Konfliktentscheidung vorgibt.28 Das Schuldverhältnis ist eben nicht nur bloßer Begriff, sondern auch wirkliche menschliche Beziehung.29 Der Tatbestand nimmt auf lebensweltliche Vorgänge und Situationen Bezug. Ansprüche und Pflichten sind also gerade in der lebensweltlichen Situation verwurzelt. Es handelt sich nicht um getrennte „Seinsschichten“, sondern vielmehr um eng verwobene, meist in einer Wenn-dann-Beziehung stehende Zusammenhän22 Vgl. Larenz, SR I, S. 26 f.; Staudinger-J. Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff., Rdnr. 199 ff. insbesondere Rdnr. 207; Looschelders, Rdnr. 7 ff.; Brox / Walker, AT, § 2, Rdnr. 1 – 3; Henke, JA 1989, S. 186, 189. Nach Henke ergibt sich allerdings das Wie der Erfüllung direkt aus dem Schuldverhältnis i.w.S. Er bezeichnet dieses zumindest für die Nebenpflichten auch als „Quelle“. Vgl. Henke, JA 1989, S. 186, 188. Wieder abweichende, aber nicht wesentliche Auffassungen verfolgen etwa Zepos, AcP 155 (1956), S. 486, 490 ff. mit seiner „gestalttheoretischen“ Linie und Herholz, AcP 130 (1930), S. 257, 261 f. mit seiner Konzeption des Schuldverhältnisses i.w.S. als „konstante Rahmenbeziehung“. Eine „Kombination“ beider Ansichten findet sich auch bei jurisPK-BGB-Toussaint, § 241 Rdnr.12. 23 Vgl. Medicus, SR I, Rdnr. 8; Larenz, SR I, S. 26 und JZ 1962, S. 105, 108. 24 Vgl. Staudinger-Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff., Rdnr. 207; Gernhuber, Schuldverhältnis, S. 9 – 10. Larenz, JZ 1962, S. 106, 108 Fn. 17 formuliert, dass es des „Einschiebens eines Schuldverhältnisses i.w.S.“ als „Zwischenursache“ nicht bedürfe. 25 Vgl. Larenz, JZ 1962, S. 106, 108 Fn. 17. 26 Vgl. Steinbach, S. 156. 27 Vgl. Steinbach, S. 156. 28 Vgl. Jan Schapp, JuS 1992, S. 537, 539 f. 29 So zutreffend auch Ernst Wolf, FG Herrfahrdt, S. 197, 200.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

ge.30 Folglich ist klar, dass Rechtsfolgen nicht nur aus Lebensverhältnissen hervorgehen können, sondern dies geradezu die Regel ist. Damit ist aufgezeigt, dass es eben die personale Beziehung zwischen den Beteiligten als obligatio ist, die das Schuldverhältnis i.w.S. und damit Pflichten und Ansprüche zwischen den Beteiligten hervorbringt.31 Ferner ist mit der bereits unter A. I. 2. im 2. Teil dargelegten, von Jan Schapp herausgearbeiteten Fundierung der Begriffe im römisch-rechtlichen Verständnis, schon die überzeugende Begründung des Schuldverhältnisses i.w.S. als Quelle von Ansprüchen gelungen.32 Nicht zuletzt spricht auch der Wortlaut des neuen § 241 Abs. 2 BGB dafür, das Schuldverhältnis i.w.S. im hier entwickelten Sinne als Quelle von Ansprüchen zu betrachten. Dort heißt es schließlich, dass das Schuldverhältnis die Beteiligten zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils anderen Beteiligten verpflichten kann. Da ausweislich des eindeutigen Wortlauts des § 311 Abs. 2 BGB im Gesetz klargestellt worden ist, dass ein Schuldverhältnis auch ohne Leistungspflichten möglich ist, kann § 241 Abs. 2 BGB nicht auf das Schuldverhältnis i.e.S. verweisen. Damit ist also das Schuldverhältnis i.w.S. als Quelle von Pflichten in das BGB mit eindeutigem Wortlaut aufgenommen worden.33 Die Tatsache, dass in § 311 Abs. 2 BGB nicht von Leistungspflichten, sondern allein von Pflichten zur Rücksichtnahme gesprochen wird, macht zusätzlich deutlich, dass es hier allein um das Schuldverhältnis i.w.S. als Quelle von Ansprüchen und Pflichten geht. Die Kritik am hier entwickelten Verständnis als Ursprungsverhältnis und Quelle von Pflichten und Ansprüchen kann daher nicht überzeugen. b) Die Fragwürdigkeit des Begriffs einer Sonderverbindung Mit dem nun herausgearbeiteten Verständnis des Schuldverhältnisses i.w.S. als Quelle von Ansprüchen und Pflichten soll noch einmal auf die bereits oben unter F. V. 3. im 1. Teil dargelegte Kritik am Begriff der (rechtlichen) Sonderverbindung zurückgekommen werden. Das Schuldverhältnis i.w.S. umfasst ausweislich des eindeutigen Wortlauts der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB und § 241 Abs. 2 BGB auch Schuldverhältnisse, in 30 Vgl. Ernst Wolf, FG Herrfahrdt, S. 197, 201. Interessanterweise findet sich die Vorstellung von einer Sozialbeziehung als maßgeblichem Bindungsgrund teilweise auch im angloamerikanischen Rechtsraum. Vgl. Oechsler, RabelsZ 60 (1996), S. 91, 115. 31 I.E. ebenso etwa Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 81 f.; Enneccerus-Lehmann, S. 2, Kreß, § 4, 3a; Planck-Siber, Vorbem. zu Bd. II 1 Anm. I 1a; Ernst Wolf, FG Herrfahrdt, S. 197, 200 f.; Fikentscher, Rdnr.19. 32 Vgl. dagegen den Ansatz von Golla, S. 104 ff., der beide Sichtweisen gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen will. 33 Vgl. dazu Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 82.

A. Das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen / Schuldverhältnissen

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denen nur Pflichten zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB bestehen. Schuldverhältnisse, die Leistungspflichten beinhalten, werden vom Begriff des Schuldverhältnisses i.w.S. ohnehin umfasst.34 Es besteht also kein Bedarf für einen Begriff einer (rechtlichen) Sonderverbindung neben dem bereits bestehenden Begriff des Schuldverhältnisses i.w.S. Der Begriff der Sonderverbindung hat auch keinen – neben dem schon nicht vorhandenen eigenen Anwendungsbereich – Nutzen etwa in der wissenschaftlichen Diskussion.35 Sofern zwischen den Beteiligten Pflichten zur Rücksichtnahme oder Leistungspflichten bestehen, liegt ein Schuldverhältnis i.w.S. vor.36 Bestehen solche Pflichten nicht, aber irgendeine Art von Verbindung zwischen den Personen, mag man von einer Sonderverbindung sprechen. Diese hat dann aber jedenfalls keine rechtliche Bedeutung und damit auch keinen Nutzen für die Diskussion im Rahmen des Schuldrechts. Im Bereich des Schuldrechts besteht entweder ein Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten, oder die Rechtssubjekte befinden sich im Bereich des lediglich deliktischen Kontakts zwischen Unbeteiligten. Im letzteren Fall macht es dann aber keinen Sinn, von einer Sonderverbindung zu sprechen. Die Argumentation, dass der Begriff der Sonderverbindung notwendig sei, um die Anwendbarkeit von § 278 BGB und § 242 BGB im jetzt von § 241 Abs. 2 BGB erfassten Bereich zu begründen, war schon vor der Schuldrechtsreform nicht überzeugend. Beide Vorschriften waren ausweislich ihres Wortlauts ohne Weiteres innerhalb von Schuldverhältnissen anwendbar: Ein Bedürfnis für die Einführung des Begriffs bestand damit schon damals nicht.37

34 Das erkennt jetzt auch Krebs. Vgl. AnwKomm-Krebs, § 241, Rdnr. 9. Er führt aber an, der Begriff der Sonderverbindung sei präziser. Im Übrigen könne so die sprachliche Einheitlichkeit mit Österreich und der Schweiz erhalten bleiben. Dagegen spricht aber dennoch, dass das Gesetz den Begriff der Sonderverbindung nicht kennt und vielmehr von einem Schuldverhältnis in den verschiedenen hier entwickelten Bedeutungen spricht. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, F. V. 3. 35 Man mag die Sonderverbindung mit Canaris als facon de parler für eine besondere Haftung neben der allgemeinen nach §§ 823 ff. BGB bezeichnen und nutzen. Vgl. Canaris, 2. FS Larenz, S. 27, 34. Gewonnen ist für die Diskussion damit nichts. Es wäre insofern besser, einfach die Haftung innerhalb und außerhalb eines Schuldverhältnisses gegenüberzustellen. 36 Dagegen geht die Untersuchung von Jürgen Schmidt, GS Schulz, S. 341 ff., von einem beschränkten, auf Rechtsgeschäft und Delikt begrenzten Begriff des Schuldverhältnisses aus, der dem Schuldverhältnis i.w.S. schon in der Gestalt vor der Schuldrechtsreform nicht gerecht wird. Mit der Kodifikation von § 241 Abs. 2 BGB ist das Schuldverhältnis i.w.S. als Grundlage einer besonderen Verhaltensordnung ohnehin in besonderem Maße durch den Gesetzgeber betont worden. 37 Der Bemerkung von Krebs (vgl. AnwKomm-Krebs, § 241, Rdnr. 5), dass § 278 BGB nach der Stellungnahme in der Begründung des Regierungsentwurfes in BT-Drucks. 14 / 6040, S. 125, auch auf allgemeine Verkehrssicherungspflichten und damit also außerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses anwendbar sei, liegt ein Missverständnis der entsprechenden Textstelle zugrunde.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Um unnötige Missverständnisse und Unklarheiten im Sprachgebrauch zu vermeiden, sprechen daher erhebliche Argumente – insbesondere seit der klarstellenden Kodifizierung in § 311 Abs. 2 BGB und § 241 Abs. 2 BGB – dafür, auf den Begriff in der rechtswissenschaftlichen Diskussion in Zukunft zu verzichten.

III. Die Entstehung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als entscheidende Frage Bei Verzicht auf einen Begriff der Sonderverbindung rückt das Schuldverhältnis i.w.S. in den Mittelpunkt der Untersuchung. Aus der zuvor dargelegten Funktion des Schuldverhältnisses i.w.S. als Quelle von Ansprüchen und Pflichten (1.), ergibt sich der Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung (2.).

1. Die Funktion des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB für die Entstehung von Ansprüchen In §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB ist das Schuldverhältnis i.w.S. als Quelle von Ansprüchen und Pflichten bezeichnet, ein Entstehungstatbestand gewissermaßen umrandet. Das ist der erste Schritt auf dem Weg zu einem Anspruch. Ausweislich des eindeutigen Wortlautes handelt es sich bei dem Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB um ein Schuldverhältnis, in dem lediglich Pflichten zur Rücksichtnahme bestehen. Das heißt dann aber, dass in einem zweiten Schritt geklärt werden muss, in welchem Umfang Pflichten entstanden sind, wenn zunächst in einem ersten Schritt das Zustandekommen eines Schuldverhältnisses bejaht wurde. Zuzugeben ist, dass in gewissem Umfang in einem Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, also bei Bejahung des Entstehungstatbestandes, denknotwendig immer Pflichten zur Rücksichtnahme bestehen. In weiteren Schritten ist dann zu untersuchen, ob eine dieser Pflichten durch einen Beteiligten schuldhaft verletzt wurde und in adäquat kausaler Weise einen Schaden hervorgerufen hat, wobei die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu beachten ist.38 Nur wenn alle diese Punkte zu bejahen sind, folgt aus einem Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB überhaupt – in auch nur mittelbarer Weise – ein Anspruch. In diesem Fall wäre ein Schadensersatzanspruch der geschädigten Partei nach den Vorschriften der §§ 280 Abs. 1 i.V.m. 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und / oder Abs. 3 BGB gegeben.

38 Zur Frage des im Schuldrecht nach der Schuldrechtsreform zugrunde gelegten Haftungsmodells generell Haberzettl, S. 50 ff.

A. Das Bürgerliche Recht als System von Ansprüchen / Schuldverhältnissen

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Das Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB spielt hier nur eine pflichtenbegründende Hilfsrolle.

2. Der Ausgangspunkt der Frage nach der Haftung: Bestand ein Schuldverhältnis zwischen den Beteiligten? Aus der bisherigen Darstellung folgt, dass zwischen der Entstehung von Pflichten zwischen den Beteiligten und der Entstehung eines Schuldverhältnisses i.w.S. zu unterscheiden ist. Das gilt, wie Ernst Wolf zutreffend unterstrichen hat, sowohl begrifflich als auch tatbestandlich.39 Die begriffliche Unterscheidung folgt bereits aus der Tatsache, dass der Bestand eines Schuldverhältnisses i.w.S. noch keine Aussage über Umfang und Existenz der Pflichten zur Rücksichtnahme innerhalb eines solchen Schuldverhältnisses zulässt. Dem steht nicht entgegen, dass mit Entstehung eines Schuldverhältnisses i.w.S. in gewissem Umfang immer Pflichten zur Rücksichtnahme folgen. Die tatbestandliche Unterscheidung hat noch eine andere, nicht zu unterschätzende Bedeutung. Der Tatbestand einer Norm stellt, wie insbesondere Jan Schapp herausgearbeitet hat, stets zugleich auch eine Rechtfertigung der Rechtsfolge der Norm dar.40 Mit dem in der Norm niedergelegten Tatbestand hat der Gesetzgeber die Entscheidung getroffen, dass in den Fällen, in denen die angegebenen Merkmale verwirklicht wurden, die Rechtsfolge gerechtfertigt ist.41 Unter Berücksichtigung des unter A. III. 1. im 2. Teil dargelegten Normverständnisses ist hier das Bestehen eines Schuldverhältnisses i.w.S. die Voraussetzung und Rechtfertigung für die innerhalb des Schuldverhältnisses i.w.S. bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme. Dieses Verständnis wird durch den Wortlaut von § 241 Abs. 2 BGB bestätigt. Dort ist zu lesen, dass das Schuldverhältnis die Beteiligten zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils seinem Inhalt nach verpflichtet. Es ist also als Tatbestandsmerkmal Voraussetzung für die Existenz von Pflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB. Damit ist zugleich auch gesagt, dass das Schuldverhältnis i.w.S. die Existenz von Pflichten zur Rücksichtnahme für die Beteiligten rechtfertigt. Aus diesem Grund ist die Frage nach der Existenz von Pflichten zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB zwischen den Beteiligten stets streng von der Frage nach der Existenz eines Schuldverhältnisses i.w.S. als Voraussetzung bzw. Quelle42 Ernst Wolf, FG Herrfahrdt, S. 197, 200. Vgl. ähnlich auch Diers, S. 7. Vgl. dazu Jan Schapp, Hauptprobleme, S. 47 ff., insbesondere S. 50 und ders., Methodenlehre, S. 75 und 78. Prägnant ist auch die Aussage bei Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 11: „Insofern gibt der Rechtssatz mit dem Tatbestand auch schon eine kurz gefasste Begründung der Rechtsfolge, so dass sich die ,Wenn-Dann‘-Struktur bei genauerer Betrachtung zu dem Schema ,Weil-Deshalb‘ konkretisiert.“ 41 Zur Deutung von Rechtssätzen als gesetzgeberische Entscheidung von Fällen im Sinne von Fallreihen vgl. Jan Schapp, Hauptprobleme, S. 31 ff. 39 40

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

dieser Pflichten zu unterscheiden. Nicht die Pflichten sind es, die zu einem Schuldverhältnis führen. Vielmehr begründet das Schuldverhältnis als personale Beziehung Pflichten und rechtfertigt sie zugleich. Anders gesagt: Die Verbundenheit der Beteiligten führt zur Verpflichtung, nicht die Verpflichtung zur Verbundenheit.43 Diese Erkenntnis ist für die anderen Schuldverhältnisse i.w.S. ebenso richtig. Die Verbundenheit der Parteien im vertraglichen Schuldverhältnis, im Schuldverhältnis der Geschäftsführung ohne Auftrag und den anderen Schuldverhältnissen führt zur Verpflichtung zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB. Beim deliktischen Schuldverhältnis wird die Verbundenheit erst durch das Delikt einseitig begründet. Damit ist herausgearbeitet, dass die entscheidende Frage stets die nach Bestehen oder Nichtbestehen des Schuldverhältnisses ist. Wenn diese Frage positiv beantwortet worden ist, ist klar, dass die Beteiligten grundsätzlich zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet sind. Wie weit der Grad der Rücksichtnahme geht und wie daher der Einzelfall zu lösen ist, kann wieder nur auf Grundlage des Schuldverhältnisses i.w.S. beantwortet werden. Die Frage nach dem Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses i.w.S. nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB steht daher folgend im Mittelpunkt der Untersuchung.

B. Analyse des Entstehungstatbestandes des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses anhand der lebensweltlichen Situation Mit dem soeben angerissenen Verständnis des Tatbestandes als Grund für die Anordnung der Rechtsfolge wird ein Wegweiser für das Verhältnis von Entstehungstatbestand und Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB vorgegeben. Der Tatbestand der Entstehung des Schuldverhältnisses rechtfertigt die Rechtsfolge der Entstehung von Pflichten zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Die schuldhafte Verletzung dieser Pflichten, die zu einem Schaden führt, rechtfertigt nach §§ 280 Abs. 1 i.V.m. 241 Abs. 2 und 311 Abs. 2 bzw. Abs. 3 BGB die Rechtsfolge eines Schadensersatzanspruches. Die Frage nach der Legitimation stellt sich mit der Schuldrechtsreform allerdings nur noch in entschärfter Form: Mit der Normierung eines Tatbestandes – wenn auch nur in Form einer Zusammenstellung von Fallgruppen – hat der Gesetzgeber die schon lange anerkannte Haftung bereits mit erheblicher Legitimität ausgestattet. Durch die Kodifizierung liegt eine Entscheidung der Konflikte – der Fallreihe – dem Grunde nach bereits vor. Dennoch bleibt es Aufgabe der Dogmatik Vgl. dazu oben unter 2. Teil, A. I. 2. Vgl. die ähnliche Formulierung schon bei Dömpke, S. 16: „[ . . . ] begründet ein Anspruch nicht ein Schuldverhältnis, sondern er entspringt aus ihm.“ 42 43

B. Analyse des Entstehungstatbestandes anhand lebensweltlicher Situation

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herauszuarbeiten, wie der genaue Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, der nur in beispielhafter, fallgruppenartiger Umschreibung normiert wurde, zu fassen ist. Damit sind auch die in dem Entstehungstatbestand bzw. dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt beinhalteten Wertungen festzustellen. Letztlich wird auf diesem Weg die Legitimation des jetzt kodifizierten Schuldverhältnisses und der aus diesem folgenden Pflichten, die bei einer Verletzung einen Schadensersatzanspruch zur Folge haben, nochmals unterstrichen. Im folgenden Abschnitt soll nun als erster Schritt der Feststellung des Entstehungstatbestandes des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB untersucht werden, welche entscheidenden Charakteristika der lebensweltlichen Situationen dazu geführt haben, dass die Entstehung eines Schuldverhältnisses mit Pflichten zur Rücksichtnahme angenommen wird. Als Merkmale werden in diesem Zusammenhang die Annäherung der Beteiligten (II.), die Öffnung der Rechtskreise der Beteiligten (III.) sowie die Bedeutung eines potentiellen Vertragsschlusses (IV.) eine Rolle spielen. Ausgangspunkt der Untersuchung sollen hauptsächlich die ganz oder teilweise anerkannten Fälle der Fallgruppe der culpa in contrahendo sein (I.) Nachdem die wesentlichen gemeinsamen Merkmale dieser Falltypen herausgearbeitet wurden, soll untersucht werden, in welcher Form die Falltypen Aufnahme im Wortlaut der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB gefunden haben (sogleich unter C.).

I. Ausgangspunkt: Die Fälle des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Ausgangspunkt der Betrachtung sind die klassischen Fälle des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB in Abgrenzung zu Grenzfällen, bei denen die Einordnung als Fall der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nicht sofort klar ist. Um dennoch die fallorientierte Untersuchung nicht im Umfang ausufern zu lassen, sind nicht alle denkbaren Konstellationen in die Untersuchung einbezogen. Die Konstellationen sollen anhand der folgenden beispielhaften Ausgangsfälle diskutiert werden. Die Fälle sind als Ausgangspunkt der Untersuchung zu wählen, da die Dogmatik des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses letztlich aus den klassischen Konstellationen entwickelt wurde. Die Umschreibung von Fällen im Wortlaut der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB unterstreicht dies deutlich. Mit der Zusammenstellung von Fallbeispielen ist allerdings keine Typisierung der Fälle des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB beabsichtigt. 1. Beispielsfall Die K-Aktiengesellschaft (K-AG) plant die Übernahme eines noch auszugliedernden Teilbereichs der V-Aktiengesellschaft (V-AG). Die Unternehmen sind in

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

dem fraglichen Teilbereich Konkurrenten. Im Laufe der eingeleiteten Vertragsverhandlungen gewährt die V-AG der K-AG Einblick in vertrauliche Unternehmensdaten im Zuge einer sog. „Due Diligence“-Prüfung. Die K-AG bricht später die Vertragsverhandlungen ab, da der von der V-AG geforderte Kaufpreis nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Später stellt sich heraus, dass die K-AG im Laufe der Vertragsverhandlungen gewonnene vertrauliche Daten über Vertrieb, Kunden und Preispolitik der V-AG im Wettbewerb genutzt hat. Der Schaden kumuliert zu einer Gesamtsumme von mehreren Millionen Euro. 2. Beispielsfall Die LG-GmbH (LG) vertreibt Jahreswagen der Marke M im Wege eines sog. Operatingleasings. Auf der Suche nach Dienstwagen für ihre Außendienstmitarbeiter schließt die LN-GmbH (LN) einen Operatingleasingvertrag über etwa 100 Fahrzeuge mit der LG. Dabei hat die LG es unterlassen, die LN darauf hinzuweisen, dass es sich um ehemalige Mietwagen handelt. Im laufenden Betrieb fallen die Fahrzeuge überdurchschnittlich oft aus. Hätte LN gewusst, dass es sich um ehemalige Mietwagen handelt, hätte sie auf Grund schlechter Erfahrungen mit derartigen Fahrzeugen in der Vergangenheit den Vertrag nicht abgeschlossen. Sie verlangt die Rückgängigmachung des Vertrages von LG. 3. Beispielsfall Im Rahmen eines Stadtbummels betritt Herr Kaiser (K) auch das Kaufhaus der Shoppingparadies-AG (S). In der Feinkostabteilung rutscht er auf ausgelaufenem Speiseöl aus und bricht sich ein Bein. 4. Beispielsfall Im Rahmen eines Stadtbummels betritt Herr Kaiser (K) das Kaufhaus der Shoppingparadies-AG (S). Auf Grund einer Auseinandersetzung über eine Reklamation in der Vergangenheit hat er für sich beschlossen, unter keinen Umständen jemals wieder etwas bei S zu kaufen. Ein von einer Angestellten der S nicht richtig befestigter Kleiderständer löst sich just in dem Moment, als K vorbeigeht, von einer Seitenwand und begräbt K unter sich. Dieser erleidet mehrere Knochenbrüche und Rippenprellungen. 5. Beispielsfall Die beiden befreundeten Hobbybergsteiger S und G haben schon öfter zusammen lange und gefährliche Bergtouren unternommen. Bei einer gemeinsamen Tour unterlässt es S grob fahrlässig, den G hinreichend zu sichern, woraufhin dieser abstürzt und sich erhebliche Verletzungen zuzieht. 6. Beispielsfall A hat einen sechs Jahre alten Sohn, S. Seine Nachbarin, B, hat eine ebenso alte Tochter, T. Eines Tages bittet A die B, den S bei einem gemeinsamen Spielnach-

B. Analyse des Entstehungstatbestandes anhand lebensweltlicher Situation

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mittag der beiden Kinder im Hause von B zu beaufsichtigen. B lässt die Kinder mit ihrer Haushaltshilfe, H, einige Stunden alleine. Als H einen Moment nicht aufpasst, verbrennt S sich an einer noch heißen Herdplatte. 7. Beispielsfall Der wohlhabende P lädt Geschäftsfreunde, Freunde und Bekannte zu einer Dinnerparty ein. Während des opulenten Abendessens kommt es zu einem Ungeschick der Haushaltshilfe, H. Beim Servieren des Kaffees verschüttet sie siedend heißen Kaffee und verletzt so den Geschäftsfreund (G) des P und den S, einen alten Studienkollegen des G. 8. Beispielsfall Bei einem Shoppingbummel in der Stadt trifft Herr A seine entfernte Bekannte Frau B, kurz nachdem Herr A sich ein Eis gekauft hat. Sie unterhalten sich eine Weile und beschließen, ein Stück gemeinsam zu gehen. Aus Ungeschicklichkeit rempelt Frau B Herrn A an, so dass Eis herunterfällt und seine teure Hose erheblich verschmutzt wird. 9. Beispielsfall Herr B steht als Fußgänger an einer größeren Verkehrskreuzung. Als er sieht, wie Frau A versucht, sich mit ihrem Auto vorsichtig in die etwas unübersichtliche Kreuzung zu tasten, will er ihr aushelfen. Er gibt ihr mit einem Winken das Zeichen, dass die Kreuzung frei sei. Frau A fährt hocherfreut in die Kreuzung ein und wird vom Auto des Herrn S mit voller Wucht erfasst. S begeht Unfallflucht. Am Auto der A entsteht erheblicher Sachschaden. Zudem trägt sie gravierende Prellungen und ein Schleudertrauma davon. Als erstes Anschauungsobjekt sollen die Fälle dienen, in denen die Beteiligten Vertragsverhandlungen aufgenommen haben (vgl. oben Ausgangsfälle 1 und 2). Als nächste Fallgruppe sollen die üblicherweise als Fall des geschäftlichen Kontaktes eingestuften sog. Warenhaus- oder Kaufhausfälle berücksichtigt werden (vgl. Ausgangsfälle 3 und 4). Anschauungsobjekt sind neben den einhellig anerkannten Fallgruppen auch die nur teilweise als Anwendungsfall dieser Fallgruppen verstandenen sog. Gefälligkeitsverhältnisse bzw. Fälle des nicht-geschäftlichen Kontaktes (vgl. Ausgangsfälle 5, 6 und 7). Bei Auseinandersetzung mit der letzten Fallgruppe wird berücksichtigt, dass Uneinigkeit über die Grenzen der anerkannten Fälle des Schuldverhältnisses besteht. Darüber hinaus sollen im Rahmen der Diskussion auch die anderen Schuldverhältnisse des BGB herangezogen werden.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

II. Annäherung der Beteiligten: Aufgabe der deliktischen Isolation im Sinne eines Nebeneinanders Ein wesentlicher Unterschied zwischen der deliktischen Haftung und der Haftung für die Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB liegt in der Tatsache, dass die deliktische Haftung keinen Kontakt zwischen Schädiger und Geschädigtem vor der eigentlichen Verletzungshandlung voraussetzt.44 Das gilt für die Tatbestände der Verschuldenshaftung wie §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, aber auch für Tatbestände der Gefährdungshaftung oder des widerleglich vermuteten Verschuldens wie etwa § 833 S. 1 BGB oder §§ 7 Abs. 1, Abs. 3 1. HS StVG einerseits und §§ 834, 836 – 838 BGB andererseits. Das Deliktsrecht ist – in Form der Norm mit der größten Bedeutung innerhalb desselben, § 823 Abs. 1 BGB – wesentlich auf der Grundlage der absoluten Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB konzipiert. Diese lassen sich als einen Kreis darstellen, der in alle Richtungen geschlossen ist.45 Ist als Erfolg einer Handlung ein Eindringen in diesen Rechtskreis festzustellen, ist eine Verletzung desselben gegeben.46 Die hier in diesem Sinne entwickelte Konzeption der absoluten Rechte und Rechtsgüter zeigt sich auch in der in § 903 S. 1 BGB wiederzufindenden Einwirkungs- und Ausschließungsbefugnis des Eigentümers.47 Gemeinsames Merkmal aller Deliktstatbestände unseres Bürgerlichen Rechts ist daher der rechtswidrige Eingriff in bestimmte festgelegte Rechte und Rechtsgüter des anderen.48 Zweck des Deliktsrechts ist insoweit also die Abgrenzung der Rechtskreise der Einzelnen in privatrechtlicher Hinsicht.49 Damit ist auch das Verständnis, das die Verfasser des BGB vom Deliktsrecht hatten, getroffen: Hier wurde das Deliktsrecht als Recht der Kompensation des Eingriffs in fremde Rechtskreise begriffen.50 Vor dem Hintergrund des Deliktsrechts als eines Rechts unter Fremden51 bzw. eines Zustands der Isolation52 zeigt sich, dass in den Fällen eines Schuldverhält44 Vgl. z. B. den Überblick über die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB bei MünchKomm-Wagner, § 823, Rdnr. 297 ff.; Jauernig-Teichmann, Vor § 823, Rdnr. 1. 45 So bereits Schapp / Schur, Sachenrecht, Rdnr. 4 für das Eigentum und Steinbach, S. 17; für die Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB insgesamt. Schapp / Schur, Einführung, Rdnr. 216, begrenzen die Funktion allerdings insoweit, als das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Rahmenrechte von der Konzeption ausgenommen werden. 46 So auch Steinbach, S. 17 und schon Holz, S. 42; Krauße, S. 9. 47 Vgl. dazu Schapp / Schur, Sachenrecht, Rdnr. 2 – 4. 48 Vgl. ähnlich Hk-BGB-Staudinger, Vor §§ 823 – 853, Rdnr. 1; Jauernig-Teichmann, Vor § 823, Rdnr. 1 und vor dem Hintergrund der Diskussion über Erfolgs- und Verhaltensunrecht MünchKomm-Wagner, § 823, Rdnr. 5 ff., insbesondere Rdnr. 7. 49 So schon Ulmer, JZ 1969, S. 163, 169. 50 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, F. I. 51 Vgl. Bogusch, S. 55; Motzer, JZ 1983, S. 884, 888. 52 Vgl. Frost, S. 55.

B. Analyse des Entstehungstatbestandes anhand lebensweltlicher Situation

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nisses, vor allem auch in den Fällen der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB keine Isolation im Moment der Verletzungshandlung mehr besteht. Die Beteiligten stehen vielmehr bereits in Kontakt zueinander. Mit dem Begriff der Isolation, scheint das Deliktsrecht aber noch nicht präzise erfasst zu sein. Besser geeignet ist dagegen die Vorstellung des Deliktsrechts als eines Rechts zwischen Fremden.53 Im Deliktsrecht selbst wird stets die Perspektive des „Verkehrs“ oder der „Allgemeinheit“ bemüht.54 Die Verkehrssicherungs- und Verkehrspflichten haben die Beziehung des Einzelnen zur Gesamtgesellschaft und die Anforderungen an sein Handeln in dieser Gesamtgesellschaft im Blick. Frost verwendet den Begriff des „Nebeneinanders“ für die Beziehung der einzelnen Glieder der Gesellschaft55, der ebenso geeignet wie der Begriff des Verkehrs erscheint. Mit der Herausarbeitung dieser Perspektive ist nicht gesagt, dass Deliktsrecht nicht auch anwendbar ist, wenn die Beteiligten in engerem Kontakt als die Glieder der Gesellschaft insgesamt stehen, wie etwa bei deliktischen Handlungen innerhalb von Vertragsbeziehungen. Der Verkehr und der Maßstab der Gesamtgesellschaft sind darüber hinaus im Hintergrund für die besonderen Beziehungen Einzelner innerhalb der Gesellschaft von Bedeutung. Ebenso wie bei einem Vertrag, sind die Beteiligten bei den Fällen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB aufeinander zugegangen. Die Beziehung zu einer Person oder einem Personenkreis wird damit individualisiert und konkretisiert. In den ersten Fällen – hier den Ausgangsfällen 1 und 2 –, die schon früh als Fälle der culpa in contrahendo anerkannt waren, lag die Annäherung der Beteiligten in Form der Eröffnung von Vertragsverhandlungen vor.56 Diese kann dabei durchaus physischer Art sein, indem ein Kaufinteressent die Räume des potentiellen Vertragspartners aufsucht und dort Vertragsverhandlungen aufnimmt. Meist wird jedoch im kaufmännischen Verkehr Abfrage und Erhalt eines Angebots per Telefax, Internet und Telefon der übliche Weg zur Eröffnung von Vertragsverhandlungen sein, die in mehr oder minder kurzem Zeitraum zu einem Vertragsschluss führen können. Neben eigentlichen Vertragsverhandlungen ist die Annäherung sicher in dauernden Geschäftsverbindungen am ausgeprägtesten.57 53 Vgl. dazu Bogusch, S. 55; Jauernig-Teichmann, Vor § 823, Rdnr. 1 spricht von „beliebigen Dritten“. Vgl. dagegen von Lackum, S. 108, der das Deliktsrecht als Recht der tangentialen Rechtskreisberührung bezeichnet und diesem das Vertragsrecht als rechtsgeschäftliche Rechtskreisberührung gegenüberstellt. 54 Vgl. z. B. Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 201; MünchKomm-Wagner, § 823, Rdnr. 221. 55 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, F. II. 1. 56 Diese Beobachtung wird auch international – ohne Rücksicht auf die dogmatische Einordnung – geteilt. Vgl. z. B. für Puerto Rico, Silva-Ruiz, S. 267, 269: „Preliminary negotiations, however, generate a social relationship [ . . . ]“. 57 Vgl. Palandt-Heinrichs, 65. Auflage, § 311, Rdnr. 31, der diese als neben der eigentlichen Fallgruppe der culpa in contrahendo liegende Fälle einordnen will. Vgl. dagegen zur

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

In den schon bald auch als Fälle der culpa in contrahendo eingeordneten Warenhausfällen – hier den Ausgangsfällen 3 und 4 – liegt die Annäherung im Vorfeld von konkreten Vertragsverhandlungen. In den bekannt gewordenen Fällen wurde stets ein Schuldverhältnis der culpa in contrahendo zwischen potentiell Kauflustigen und dem Kaufhausbetreiber angenommen. Die Frage, ob auch Ladendiebe und nur vor Unwetter schutzsuchende Personen als Beteiligte des Schuldverhältnisses in Frage kommen sollen, ist bis heute unklar geblieben.58 Einigkeit herrscht insoweit, als dass keine konkrete Kaufabsicht gefordert wird: Auch diejenigen, die nur einen „Schaufensterbummel“ unternehmen, sollen Beteiligte eines Schuldverhältnisses der culpa in contrahendo mit dem Kaufhausbetreiber sein.59 Auch in den Ausgangsfällen 3 und 4 kann eine individualisierende und konkretisierende Annäherung der Beteiligten festgestellt werden. In der Betrachtung mag täuschen, dass etwa der Kaufhausinhaber die Annäherung gegenüber einer großen Vielzahl von Personen betreibt. Dennoch ist sie nicht allgemein – die Sphäre des Verkehrs ist noch nicht erreicht. Geöffnet wird das Kaufhaus nicht gegenüber jedermann – Sicherheitsdienste setzen gerade deshalb das Hausrecht der Betreiber gegen unerwünschte Besucher durch. Diese Annäherung ist ähnlich auch in anderen Fällen, die in der Vergangenheit in die Fallgruppe der culpa in contrahendo eingeordnet wurden, sichtbar. Im Bereich der öffentlichen Ausschreibungen hebt die Ausschreibung und die Bewerbung auf diese bzw. die Abfrage von weiteren Informationen im Vorfeld der Ausschreibung, die Teilnehmer konkretisierend und individualisierend aus dem Verkehr hervor. Bei den teilweise als Fallgruppe der culpa in contrahendo anerkannten oder zumindest als ähnlich eingestuften Gefälligkeitsverhältnissen, ist eine ähnliche Annäherung zu beobachten. Fälle aus der insgesamt allerdings uneinheitlichen Rechtsprechung umfassen die ehrenamtliche Hilfe bei der Bearbeitung von Behördenanträgen60 ebenso wie die Feier eines Kindergeburtstages.61 Vor dem Hintergrund dieser zu beobachtenden Annäherung, scheint es dann auch verständlich, dass Begriffe wie die „Sonderverbindung“ erhebliche Popularität in der Auseinandersetzung um Fragen der culpa in contrahendo und das Schuldverhältnis i.w.S. genossen haben und noch genießen. Beobachten lässt sich bereits bei diesem ersten Merkmal des den Fällen der culpa in contrahendo zugrundeliegenden lebensweltlichen Sachverhaltes eines. Die Ähnlichkeit zur Annäherung der Vertragsparteien ist erheblich. Der Grund liegt nicht zuletzt darin, dass Rechtsprechung des BGH oben unter 1. Teil, C. VII. 2., wonach die Fälle als ähnlich angesehen werden. 58 Vgl. dazu auch noch unten unter 2. Teil, C. II. b) – d). 59 Vgl. dazu noch unten unter 2. Teil, C. II. b) – d). 60 OLG Nürnberg, OLGZ 1967, S. 139, 141. 61 OLG Celle, NJW-RR 1987, S. 1384.

B. Analyse des Entstehungstatbestandes anhand lebensweltlicher Situation

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die Ursprungsfallgruppe der culpa in contrahendo die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ist. Dennoch: Spielen Verträge als Motiv eine große Rolle in der Fallgruppe der Vertragsverhandlungen, so wird doch insbesondere im Bereich der Warenhausfälle und der Gefälligkeitsverhältnisse (mit rechtsgeschäftlichem Charakter) deutlich, dass der Lebenssachverhalt losgelöst von Verträgen ist. Auch in der Fallgruppe der Vertragsverhandlungen ist der Vertragsbezug eben nur ein Motiv bzw. der Zweck der Annäherung. Ist damit herausgearbeitet, dass in allen Fallgruppen übereinstimmend eine Annäherung der Beteiligten im Gegensatz zur Ebene des Verkehrs zu beobachten ist, so ist die nächste zu beantwortende Frage, ob die Annäherung der Beteiligten eine bestimmte Qualität erreicht.

III. Öffnung der Rechtskreise der Beteiligten Im Rahmen der weiter zu untersuchenden Qualität der Annäherung der Beteiligten in den Fällen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB sollen die typischen Fälle als Ausgangspunkt genommen werden, um von dort die Annäherung als Öffnung im Sinne eines Verzichts auf den Schutz von Rechten, Rechtsgütern und Interessen weiter herauszuarbeiten (1.). In der weiteren Analyse wird sich die Bedeutung der Anknüpfung an den Willen der Beteiligten (2.) ebenso zeigen wie die Notwendigkeit einer Gegenseitigkeit des Verhaltens (3.).

1. Öffnung im Sinne eines Verzichts auf den bestehenden Schutz der Rechtsgüter, Rechte und Interessen Dass in allen Fällen eine Annäherung gegenüber einer allgemeinen Ebene des Verkehrs stattgefunden hat, wurde bereits unter B. II. im 2. Teil herausgearbeitet. Bei Betrachtung der Fälle der Vertragsverhandlungen fällt ein weiterer Aspekt ins Auge: Die Tatsache, dass es sich bei Vertragsverhandlungen überhaupt um ein derart großes Thema der Rechtswissenschaft handelt, hat zuvorderst eine praktische Ursache. Offensichtlich kommt es im Rahmen von Vertragsverhandlungen ungleich öfter zu Schädigungen der Beteiligten, als bei Kontakten auf der Ebene des allgemeinen Verkehrs. Das Risiko einer Schädigung der Beteiligten im Rahmen von Vertragsverhandlungen scheint also im Vergleich zur Teilnahme am Verkehr allgemein höher zu sein. Wo liegt jetzt der Moment, der eine Schädigung der Beteiligten in ihren Rechtsgütern, Rechten und Interessen so wahrscheinlich werden lässt?

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

a) Die Rechtskreisöffnung in den Ausgangsfällen Die Ausgangsfälle sind zunächst durchaus verschiedenartig: Der eingetretene Schaden bei den Beteiligten kann in einem unerwünschten bzw. für einen Beteiligten nachteiligen Vertrag liegen. Daneben kann unmittelbar oder mittelbar eines der absoluten Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB verletzt worden sein. Insbesondere Eigentums-, Körper-, Lebens- und Gesundheitsverletzungen wird man häufig finden. Weiterhin sind immer wieder auch andere Rechte betroffen. Schäden der Beteiligten treten auch in Form von Vermögensschaden auf, die etwa aus dem Missbrauch von im Rahmen von Vertragsverhandlungen offenbarten Informationen entstehen. Es scheint sich damit um Schädigungen zu handeln, die gerade die Rechte, Rechtsgüter und Interessen betreffen, die typischerweise im Rahmen von Vertragsverhandlungen unmittelbarem Kontakt ausgesetzt sind. Neben die Annäherung der Beteiligten, die bereits festgestellt werden konnte, tritt also eine Annäherung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beteiligten. Dieser Befund zeigt sich auch in den weiteren anerkannten Fallgruppen des Schuldverhältnisses in der Fallgruppe der culpa in contrahendo. In den Warenhausfällen sind die absoluten Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 betroffen. Ebenso ist es in den Fällen, in denen die Haftung im Rahmen eines sog. Gefälligkeitsverhältnisses zugesprochen wurde. Für die Fälle der Vertragsverhandlungen fällt ins Auge, dass neben den Rechten und Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB immer auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit mitbetroffen ist. Die Annäherung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen ist also nicht immer umfassend, alle Rechte, Rechtsgüter und Interessen miteinbeziehend. Dass in den jeweiligen Situationen stets bestimmte Schäden bei den Beteiligten auftreten, ist kein Zufall. In den Situationen liegt zwar eine Annäherung der Beteiligten – ein Heraustreten aus der Ebene des Verkehrs – jeweils vor. Die Annäherung der Rechtsgüter, Rechte und Interessen ist aber immer auf bestimmte Rechte, Rechtsgüter und Interessen beschränkt. Das Auftreten der verschiedenen Schäden ist also Folge der beobachteten Annäherung. Bei Vertragsverhandlungen kann sich die Annäherung in zweifacher Weise zeigen. Zunächst ist eine Annäherung in Bezug auf die Rechtsgüter Eigentum, Körper, Leben und Gesundheit in der möglichen physischen Annäherung der potentiellen Vertragspartner zu sehen. Daneben findet aber (auch) z. B. bei Verhandlungen über den späteren Vertrag eine nicht-physische Annäherung statt. Das hier betroffene Schutzgut62 ist die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit.63 Soweit wesentliche Informationen in Zusammenhang mit einem Unternehmen im Rahmen 62 Der Begriff des Schutzgutes als Bezeichnung der geschützen Güter des Rechtskreises soll hier in Abgrenzung zum Begriff des absoluten Rechtsgutes bzw. des absoluten Rechts des § 823 Abs. 1 BGB gebraucht werden. 63 Vgl. zur rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit als Schutzgut von Pflichten zur Rücksichtnahme insbesondere Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 267 ff.

B. Analyse des Entstehungstatbestandes anhand lebensweltlicher Situation

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von Vertragsverhandlungen offenbart werden, ist auch eine Annäherung der verschiedenen Rechte, die üblicherweise im Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Rahmenrecht erfasst werden, zu beobachten. Soweit eigentliche Vertragsverhandlungen noch nicht begonnen haben oder gar nicht begonnen werden sollen, wie etwa in den Warenhausfällen, ist allein die physische Annäherung der Rechtsgüter zu beobachten. Ebenso ist es in den Fällen der sog. Gefälligkeitsverhältnisse. Mit der Annäherung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen ist ein wichtiges Element der typischen Fälle des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB in den Blick gerückt. Allein eine Annäherung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen kann man auch in Fällen beobachten, die ohne weiteres (lediglich) in den deliktischen Bereich gerückt werden. Die Konfrontation von Rechtsgütern ist deliktstypisch: Gerade eine Eigentumsverletzung ist ohne „Kollision“ von Gegenständen oder von Personen und Gegenständen schlecht vorstellbar. Die Annäherung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beteiligten muss also in einer Weise geschehen, die doch anders ist als in den Fällen, die nur in die Kategorie des Delikts fallen. Die Frage wird im Folgenden anhand der Ausgangsfälle 1. – 7. erläutert. Im Fall des gescheiterten Unternehmenskaufvertrages zwischen der K-AG und der V-AG im Ausgangsfall 1 hat die K-AG vertrauliche, im Rahmen der Vertragsverhandlungen erlangte Daten im Wettbewerb zum Schaden der V-AG verwendet. Die K-AG hat damit das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der V-AG verletzt. Diese Verletzung wurde der K-AG aber erst durch die Gelegenheit zur Einwirkung auf die Daten als Bestandteil dieses Rechtes ermöglicht. Ohne diese Möglichkeit wäre die Verletzung nicht oder jedenfalls nicht in dieser Form möglich gewesen. Im Ausgangsfall 2 hat die LG es unterlassen, die LN auf die für diese erhebliche Eigenschaft der Leasingfahrzeuge hinzuweisen. Dies hat für die LN zu einem lästigen und auch wirtschaftlich nachteiligen Vertragsabschluss geführt.64 Das war nur möglich, weil die LN der LG im Rahmen der Vertragsverhandlungen die Möglichkeit eingeräumt hat, die eigene rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit durch die unterlassene Aufklärung zu beeinflussen. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit wurde durch den für die LN nachteiligen Vertragsabschluss auch verletzt. Diese Verletzung wäre ohne die zuvor eingeräumte Einwirkungsmöglichkeit nicht möglich gewesen. 64 Der Vertrag ist auch dann nachteilig, wenn LN z. B. aus einem abgetretenen Anspruch gegen dem Lieferanten des LG Schäden kompensieren kann. Nachteilig sind schließlich insbesondere auch die massive Störung des Tagesgeschäfts, die Einbußen in der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit sowie entfallene Vertragsabschlüsse im Außendienst. Letztere werden möglicherweise nicht oder nicht vollständig durch Ansprüche des LN gegenüber dem Lieferanten des LG kompensiert. Zu denken ist schließlich auch an eventuelle Prozessrisiken des LN und die überhaupt erhöhte Wahrscheinlichkeit von Rechtsstreitigkeiten auf Grund der Unzuverlässigkeit und (u.U. auch) Fehleranfälligkeit der Fahrzeuge.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

In den Ausgangsfällen 3 und 4 hat K den Laden der S-AG ohne die bestimmte Absicht eines Vertragsschlusses bzw. mit der festen Absicht, mit der S-AG keinen Vertrag zu schließen, betreten. Innerhalb des Kaufhauses ist er dann in seinem Körper verletzt worden. Diese Verletzung war nur denkbar, weil er seinen Körper der Einwirkungsmöglichkeit der S-AG in deren Kaufhaus ausgesetzt hat. Nicht anders war es auch in den Ausgangsfällen 5 und 7. Mit dem Betreten des Hauses des Gastgebers bzw. mit der gemeinsamen Durchführung der Bergtour wurden besondere Einwirkungsmöglichkeiten für den jeweils anderen Beteiligten geschaffen. Gerade diese haben sich dann auch in den eingetretenen Schäden verwirklicht. Auch im Ausgangsfall 6 ist es nicht anders: Hier liegt aber die Besonderheit vor, dass die Einwirkungsmöglichkeit durch Handeln des gesetzlichen Vertreters geschaffen wurde. In allen Fällen war die gewährte besondere Einwirkungsmöglichkeit ausschlaggebend für die Verletzung von Rechten, Rechtsgütern und Interessen des anderen Teils.65 Beide Parteien haben auf einer bestimmten Ebene des Schutzes ihrer Rechtsgüter, Rechte und Interessen gerade gegenüber dem anderen Teil verzichtet. Diese Ebene des Schutzes, auf den die Beteiligten verzichtet haben, ist nicht einheitlich ausgestaltet. Das lässt sich nur unter Heranziehung der Konzeption der einzelnen betroffenen Rechte erklären und verdeutlichen. Die Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB sind absolut ausgestaltet. Diese Ausgestaltung zeigt sich beispielhaft in der in § 903 S. 1 BGB niedergelegten Einwirkungs- und Ausschließungsbefugnis für den Fall des Eigentums.66 Diese Konzeption eines nach außen gegenüber der Allgemeinheit geschützten Rechtskreises lässt sich auf alle anderen Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB übertragen. Das Mittel zum Schutz sind Abwehransprüche. Für das Eigentum ist das zunächst vor allem § 1004 BGB. Die absoluten Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB sind auch durch quasi-negatorische Unterlassungsansprüche nach §§ 823, 1004 BGB analog umfassend geschützt.67 Für die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit gilt diese Konzeption dagegen auf den ersten Blick nicht. Der Konzeption der Vertragsfreiheit als einer Verwirklichung des Grundsatzes der Privatautonomie lässt sich der Gedanke aber dennoch entnehmen. Der Gedanke der Vertragsfreiheit ist in § 311 Abs. 1 BGB niedergelegt. Die negative Abschlussfreiheit als Teil der Vertragsfreiheit gibt damit eine Regelung vor: Grundsätzlich gibt es keine Verpflichtung, einen Vertrag abzuschließen. Insoweit hat auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit zunächst absoluten Charakter.68 Damit ist nicht ausgeschlossen, dass eine gewisse BeeinflusSo dem Grunde nach auch Eike Schmidt, AcP 170 (1970), S. 502, 508. Vgl. dazu Schapp / Schur, Sachenrecht, Rdnr. 2. 67 Vgl. Bamberger / Roth-Fritzsche, § 1004, Rdnr. 2 ff.; Jauernig-Jauernig, § 1004, Rdnr. 2. 68 So auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 276, der aber kein absolutes Moment in der positiven Abschlussfreiheit sieht. Nach der hier vertretenen Auffassung handelt es sich bei 65 66

B. Analyse des Entstehungstatbestandes anhand lebensweltlicher Situation

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sung im Rahmen des durch Gesetz und Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht erlaubten Maßes zulässig ist. Ähnlich ist auch das Eigentum durch gesetzliche Regelungen – etwa zur Duldung von Emissionen – einer gewissen Beeinflussung ausgesetzt. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit ist durch diese Einordnung nicht als absolutes Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB qualifiziert.69 Von diesem unterscheidet sie sich wesentlich dadurch, dass Ausprägung und Umfang des Schutzes der Entscheidungsfreiheit nicht klar feststellbar sind. Gegenseitige Einflussnahme und Begrenzung der jeweiligen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit gehören in einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft zum Leitbild von Vertragsverhandlungen und -verhältnissen.70 Der genaue Umfang der positiven Abschlussfreiheit, d. h. des Rahmens der geschützten Ungestörtheit und Unbeeinflusstheit des Vertragsabschlusses, kann nicht scharf umrissen werden. Zu stark sind gegenseitige Einflussnahme und Grenzsetzung im Prozess der Vertragsverhandlungen gewollt und angelegt.71 Klar feststellbar sind nur die stets als Verletzung einzustufenden Fälle der arglistigen Täuschung und der widerrechtlichen Drohung, die in § 123 BGB schon ihre Regelung gefunden haben. Daher handelt es sich nicht um ein Rechtsgut des § 823 Abs. 1 BGB, bei dem eine Verletzung bereits die Rechtswidrigkeit indizieren könnte.72 Die Frage nach Verletzung oder Nicht-Verletzung liegt vielmehr in der personalen Beziehung begründet. Grenzen werden hier ausgetestet und gesetzt und können deshalb auch nur aus dieser heraus beantwortet werden.73 Für die hier zu beantwortende Frage des Charakters des Rechts-, Rechtsgüter- und Interessenkontakts kann aber festgehalten werden, dass auch das im Ausgangsfall 2 maßgeblich betroffene Schutzgut der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit auf einer ersten Ebene als negative Abschlussfreiheit Schutz gegenüber jedermann gewährt. Es hat sich damit anhand der beispielhaften Untersuchung der Ausgangsfälle gezeigt, dass gerade die Einwirkung auf diese Rechtsgüter zur Schädigung der Beteiligten geführt hat. Die Untersuchung könnte für andere anerkannte Fälle des der positiven Abschlussfreiheit schon um einen Fall der Öffnung des Rechtskreises. Durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen wird der absolute Schutz aufgegeben und den Einwirkungen des anderen ausgesetzt. Damit bestehen grundsätzlich Pflichten zum Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, die in ihrem Umfang allerdings sehr begrenzt sind. Die gegenseitige Einflussnahme und Einschränkung zwischen den (potentiell) Vertragsbeteiligten ist gerade gewollt. 69 In diese Richtung aber Ernst Wolf, Schuldrecht, S. 519 f.; Leinemann, S. 97 ff.; Eckert, JuS 1994, S. 625, 630 f.; Hammen AcP 199 (1999), S. 591, 600 f. 70 Vgl. dazu auch Bälz, AcP 176 (1976), S. 373; Hönn, S. 278 ff.; Stephan Lorenz, S. 232 und insbesondere 487 f. sowie ZIP 1998, S. 1053, 1056; Manfred Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 114; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), S. 130, 160. Vgl. zu Schmidt-Rimpler vor allem Jan Schapp, Grundfragen, S. 54 ff.; ders., Freiheit, Moral und Recht, S. 209. 71 Huda, S. 110 ff., begreift die Vertragsverhandlungen als Prozess moralischer Läuterung der Vertragswillen der Beteiligten, die ihr Ziel in der vertraglichen Einigung findet. 72 I.E. ebenso Stephan Lorenz, S. 380 f.; Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 277. 73 I.E. ähnlich Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 277.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Schuldverhältnisses ohne weiteres wiederholt werden. Die besondere Möglichkeit, auf diese Rechte, Rechtsgüter und Interessen einzuwirken, ist Folge der Annäherung der Beteiligten unter Verzicht auf Schutz für die eigenen Rechte, Rechtsgüter und Interessen. Damit tritt klar hervor, dass gerade in dieser durch die Annäherung der Parteien herbeigeführten Einwirkungsmöglichkeit, das besondere Risiko der Beziehungen liegt.74 Um den oben bildhaft entwickelten Begriff des absoluten Rechtsgutes als einen gegenüber der Außenwelt geschlossen und geschützten Rechtskreis jetzt auf alle Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beteiligten zu übertragen: Der Rechtskreis ist zunächst in der Ebene des Verkehrs mit allen enthaltenen Rechten, Rechtsgütern und Interessen geschlossen und geschützt. Es handelt sich um einen abgeschlossenen Schutz. Der Schutz hat absoluten Charakter insofern, als dass ein Eingriff in diesen Rechtskreis ohne Rechtfertigung als rechtswidrig zu qualifizieren ist. Abseits der absoluten Rechte und Rechtsgüter des Deliktsrechts ist die genaue Grenze des Rechtskreises in Einzelfall, wie z. B. bei der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, fließend. In den hier besprochenen Fällen liegt eine gezielte Öffnung dieses Rechtskreises gegenüber den anderen Beteiligten vor, die eine erhöhte Einwirkungsmöglichkeit auf die Schutzgüter dieses Rechtskreises schafft. In dieser Einwirkungsmöglichkeit liegt das besondere Risiko der Beziehung gegenüber einer Ebene des Verkehrs. b) Die Qualität der Rechtskreisöffnung in den Ausgangsfällen Anhand der beschriebenen Ausgangsfälle als Diskussionsgrundlage, lässt sich die Öffnung des Rechtskreises weiter konkretisieren, indem die einzelnen betroffenen Rechtsgüter benannt werden und zudem festgestellt wird, welche Qualität die Rechtskreisöffnung im Einzelnen hat. Im Ausgangsfall 1 ist die Öffnung des Rechtskreises zunächst auf das Schutzgut der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit bezogen. Die V-AG hat gegenüber der K-AG auf den Schutz ihrer rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit im Sinne einer negativen Abschlussfreiheit durch die Aufnahme der Vertragsverhandlungen verzichtet. Diese Öffnung des Rechtskreises im Gegensatz zur Öffnung mit Bezug auf den Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ist allerdings nicht durch einen Anspruch charakterisiert. Die Öffnung zeigt sich nur im grundsätzlichen Verzicht auf ihr Recht, mit der V-AG keine Verträge schließen und damit auch keine Vertragsverhandlungen beginnen zu müssen. Letztere Öffnung des Rechtskreises, bezogen auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit, war zeitlich wohl die erste Öffnung. Diese Öffnung hat dann die Einwirkungsmöglichkeit für alle im Rahmen der andauernden Beziehung zwischen den Parteien in engen Kontakt geratenen Rechte, Rechtsgüter und Interessen zur Folge gehabt. 74

Siehe dazu auch Eike Schmidt, AcP 170 (1970), S. 502, 508.

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Später lässt sich (mindestens) eine weitere Rechtskreisöffnung erkennen. Sie bezieht sich auf den Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs und zeigt sich auch rechtlich. Hier läge bei bereits unmittelbar drohender Gefährdung ein Verzicht auf einen Unterlassungsanspruch nach §§ 823 i.V.m. 1004 BGB analog vor.75 Ein solcher Anspruch wäre zunächst dem Grunde nach gegenüber Eingriffen in den Rechtskreis der V-AG – charakterisiert durch den Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs – gegeben. An dem Ausgangsfall 1 zeigt sich daher, dass die einmal durch die auf ein Schutzgut bezogene Öffnung des Rechtskreises eröffnete Beziehung einem Prozess gleichkommt. Weitere Rechtsgüter, Rechte und Interessen können später hinzutreten. Im Ausgangsfall 2 verzichten die Beteiligten LG und LN durch die Aufnahme der Verhandlungen über einen Leasingvertrag ebenfalls auf die grundsätzlich negativ garantierte Abschlussfreiheit im Rahmen des Schutzgutes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. In diesem Fall ist dann auch eine Verletzung der positiven Abschlussfreiheit dem Grunde nach denkbar. Die Frage muss hier nicht entschieden werden. Der Rechtskreis ist jedenfalls in einem ersten Schritt durch Verzicht auf den garantierten Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit in Form der negativen Abschlussfreiheit geöffnet worden. In den Ausgangsfällen 3 und 4 lässt sich in ähnlicher Weise eine Öffnung des Rechtskreises festmachen. Betroffen sind aber andere Rechtsgüter. Indem die S-AG ihr Kaufhaus öffnet, verzichtet sie gegenüber dem gewollten Besucherkreis auf einen Anspruch aus § 1004 BGB. Dass tatsächlich ein Verzicht auf Schutz in gewissem Umfang stattfindet – auch wenn dieser gegenüber einer breiten Masse von Besuchern gilt –, zeigt sich an den Fällen, in denen der Kaufhausinhaber von seinem Hausrecht Gebrauch macht und Einzelpersonen den Zutritt verweigert. Auch der K öffnet seinen Rechtskreis. Durch Betreten des Kaufhauses verschafft er der S-AG besondere Einwirkungsmöglichkeiten auf sein Eigentum, seinen Körper, sein Leben und seine Gesundheit. Rechtlich ist dies allerdings nicht als Verzicht auf Schutzansprüche nach §§ 823 i.V.m. 1004 BGB analog fassbar, da noch keine unmittelbar drohende Gefahr eines Eingriffs in diese Rechtsgüter feststellbar ist. Der Verzicht auf Schutz liegt direkt in der Verschaffung der Einwirkungsmöglichkeiten durch das Begeben in den von der S-AG beherrschten Bereich, ohne dass hier ein Verzicht auf ein bestehendes Recht vorliegt. Der Rechtskreis im Sinne eines lückenlosen Schutzes für die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Einzelnen ist durch die Ermöglichung dieser Einwirkungsmöglichkeit dennoch geöffnet worden. Ebenso ist es in den Ausgangsfällen 5, 6 und 7. Betroffen sind im Fall der gemeinsamen Bergtour Körper und Gesundheit. In den Fällen der Beaufsichtigung des Nachbarsohnes bzw. des Abendessens sind auf beiden Seiten vor allen anderen Körper und Leben betroffen. Eine besondere Einwirkungsmöglichkeit auf Seiten des Grundstückseigentümers ist dann aber auch für das Eigentum ge75

Vgl. dazu Palandt-Sprau, Einf v § 823, Rdnr. 18.

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schaffen worden. Das trifft also die Nachbarin B und den Gastgeber P. Der maßgebliche Verzicht läuft dabei jeweils analog zu der Schilderung für die Ausgangsfälle 3 und 4. Zusammenfassend kann damit die Qualität des durch die Annäherung der Beteiligten herbeigeführten Rechtsgüterkontakts in den klassischen Fällen des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB in der Fallgruppe der culpa in contrahendo als Öffnung des Rechtskreises näher beschrieben werden.76 Die Öffnung liegt in einem Verzicht auf den grundsätzlich gegenüber allen Personen bestehenden Schutz vor Einwirkung auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Rechtskreisinhabers. Der Verzicht auf Schutz liegt stets in der Kreation einer Einwirkungsmöglichkeit auf ein Recht, Rechtsgut und Interesse für den anderen Beteiligten. Weder der Rechtskreisbegriff noch die Einwirkungsmöglichkeit sind dabei auf räumliche Beziehungen beschränkt, wie schon das Beispiel der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zeigt. In Einzelfällen hat der Verzicht die Qualität eines Verzichts auf einen Unterlassungsanspruch. Dafür müsste nach dem Sachverhalt aber bereits die Verletzung des Schutzgutes drohen und zudem das Recht einen Anspruch zur Verfügung stellen.77 Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, dass in den Ausgangsfällen 8 und 9 gerade keine Rechtskreisöffnung vorliegt. Von den Beteiligten wurde für den jeweilig anderen Beteiligten keine besonderen Einwirkungsmöglichkeiten geschaffen. Im Ausgangsfall 8 etwa verwirklicht sich in dem eingetretenen Schaden ein Risiko, das in keinerlei Zusammenhang mit einer willentlich geschaffenen Einwirkungsmöglichkeit steht.78 Das Verhalten der B, das Beschmutzten der Kleidung des A, hätte ohne weiteres auch ohne besonders geschaffene Einwirkungsmöglichkeiten eintreten können. Auch ist nicht feststellbar, dass A in irgendeiner Weise 76 Die rechtliche Erfassung der Rechtskreisöffnung ist kein auf Deutschland beschränktes Phänomen, vgl. z. B. Legrand jr., S. 273, 277, für Quebec: „[ . . . ] there arises between the parties, from the moment they cease to be strangers to one another, a factual connection that the law rightly deems worthy of conversion into a genuine legal relationship. [ . . . ] In other words, the interaction between the two private spheres cristallizes the general obligation to act in good faith [ . . . ]“. 77 Zu der drohenden Verletzung als Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs vgl. etwa MünchKomm-Medicus, § 1004, Rdnr. 11; Jauernig-Jauernig, § 1004, Rdnr. 11. Zu den mit einem Unterlassungsanspruch geschützten Gütern vgl. Bamberger / Roth-Fritzsche, § 1004, Rdnr. 2 ff. 78 Damit soll kein Kausalitätsmerkmal für den Entstehungstatbestand gefordert werden. Im Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses wäre ein Kausalitätsmerkmal widersinnig. Eine entsprechende Voraussetzung besteht allerdings im Tatbestand des Anspruchs in Form der notwendigen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden bzw. des Schutzzwecks der Pflicht. Hier wäre der angesprochene Zusammenhang zu prüfen. Unabhängig davon können natürlich deliktische Ansprüche ohne Bezug auf eine Rechtskreisöffnung gegeben sein. Hier sollte nur aufgezeigt werden, dass es in der besprochenen Fallkonstellation keinesfalls um ein Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung geht.

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den Schutzlevel für ein Recht, Rechtsgut oder Interesse im Vergleich zu dem allgemein gewährten Schutz verringert, also auf Schutz verzichtet hätte. So wird als Rückschluss deutlich, dass eine Rechtskreisöffnung wie in den teilweise oder gänzlich anerkannten Fallgruppen der culpa in contrahendo nicht vorliegt. In Ausgangsfall 9 ist die Lage noch deutlicher. Hier ist der eingetretene Schaden auch ohne Handeln des B vorstellbar. Dieser ist ja fast schon nur zufällig kausal geworden und könnte ohne viel Phantasie hinweg gedacht werden. Besondere Einwirkungsmöglichkeiten wurden durch die A nicht geschaffen. Ein Verzicht auf den Schutz einer Position des eigenen Rechtskreises ist nicht feststellbar. Eben solche haben sich in dem durch einen Anderen verursachten Schaden auch nicht verwirklicht. In den Ausgangsfällen 8 und 9 liegt daher schon keine Rechtskreisöffnung vor – im Gegensatz zu den klassischen Fallgruppen des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses. Mit Herausarbeitung dieser Qualität der Annäherung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen zeigt ein Blick auf andere Schuldverhältnisse vergleichbare Situationen. Bei dem durch Vertrag begründeten Schuldverhältnis i.w.S. ist eine Öffnung des Rechtskreises in gleicher Weise feststellbar, wie in den klassischen Fallgruppen der culpa in contrahendo. Die besondere Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechte, Rechtsgüter oder Interessen eines Anderen ist dann auch ein bedeutendes Moment anderer Schuldverhältnisse des Bürgerlichen Rechts. Bei Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertiger Bereicherung im Falle der Nichtleistungskondiktion und Delikt wird diese allerdings – um im hier entwickelten Bild zu bleiben – durch einen Eingriff in den Rechtskreis des anderen, ohne vorherige Öffnung, geschaffen und gesetzlich legitimiert. Im Falle des Delikts ist der Eingriff in den Rechtskreis zudem in der Regel zugleich Verletzung eines Rechts, Rechtsgutes oder Interesses. 2. Anknüpfung an den Willen der Beteiligten Mit der soeben herausgearbeiteten Rechtskreisöffnung als Qualität des Kontakts der Beteiligten in den klassischen Fällen des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses ist ein wesentlicher Punkt erfasst. Er bedarf aber noch weiterer Konkretisierung. In den diskutierten Ausgangsfällen 1 – 4 zeigt sich, dass die Öffnung der jeweiligen Rechtskreise der Beteiligten willentlich geschah. Die Einwirkungsmöglichkeiten wurden jeweils auf Grund eines willensgesteuerten Akts geschaffen.79 Für die Vertragsverhandlungsfälle lässt sich diese Aussage präzisieren. Die Beteiligten haben die Annäherung, die Aufnahme der Vertragsverhandlungen jeweils willentlich vorgenommen. Damit ist keine Einordnung in eine rechtsgeschäftliche Kategorie des „Willens“ im Sinne der einen oder anderen Bedeutung angespro79 Die Willentlichkeit betonen auch Schleeh, S. 76 und Baumert, S. 35 in ihren Arbeiten. Vgl. im österreichischen Recht Welser, ÖJZ 1973, S. 281, 285.

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chen. Gemeint ist allein der natürliche Wille der Beteiligten. Die Beteiligten haben die Vertragsverhandlungen in der Regel freiwillig aufgenommen. Die Ebene des Motivs, auf der es möglicherweise Gründe gibt, die Freiwilligkeit in Frage zu stellen, ist in diese Betrachtung nicht miteinbezogen. In seltenen Fällen ist denkbar, dass Vertragsverhandlungen nur auf Grund gesetzlicher Verpflichtung zum Vertragsschluss aufgenommen werden.80 Ebenso ist die Situation in den Warenhausfällen: Die Besucher eines Kaufhauses oder eines kleinen Geschäfts setzen durch Betreten des Geschäfts Körper, Leben, Gesundheit und Eigentum bewusst in erhöhtem Maße der Einwirkung des Geschäftsinhabers aus. Vice versa ist die Situation auf der Seite des Inhabers des Geschäfts. Durch die Öffnung seines Eigentums in Form des Einlasses der Personen schafft er für die eingelassenen Personen bewusst erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf sein Eigentum.81 Aus diesem Grund wird er auch bekannten Ladendieben, auffällig gewordenen Querulanten oder etwa Kindern auf Rollerblades den Einlass und damit die Einwirkungsmöglichkeit verweigern. Auch in den Ausgangsfällen 5, 6 und 7 zeigt sich kein anderes Bild: Die Beteiligten treffen jeweils willentlich die Entscheidung, ihre Güter den Einwirkungsmöglichkeiten der anderen Beteiligten in erhöhtem Maße auszusetzen. Ausgangsfall 6 weist wieder die Besonderheit auf, dass der gesetzliche Vertreter ausschlaggebend ist. Mit der Feststellung, dass die Öffnung des Rechtskreises in den klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB willentlich geschah, ist nicht gesagt, dass rechtsgeschäftliche Willenserklärungen erforderlich sind. Um das Verhalten der Beteiligten in den diskutierten Fällen als Willenserklärung i. S. d. § 151 S. 1 1. HS BGB bewerten zu können, müssten die Beteiligten mit Handlungswillen, Erklärungsbewusstsein und dem konkreten Geschäftswillen, ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zu begründen, gehandelt haben. Eine solche Bewertung wäre hier bare Unterstellung. Die Beteiligten werden schon nicht in dem Bewusstsein handeln, überhaupt ein Rechtsgeschäft abzuschließen. Auch anzunehmen, dass der Wille der Beteiligten dahingeht, Pflichten zur Rücksichtnahme zur übernehmen, wäre gekünstelt. Es bleibt daher festzuhalten, dass das Verhalten der Beteiligten – die Öffnung der Rechtskreise im Sinne der Schaffung von Einwirkungsmöglichkeiten – zwar willentlich ist, aber dennoch kein Rechtsgeschäft vorliegt. Die Auferlegung von Pflichten zur Rücksichtnahme ist dagegen in der Regel nicht vom Willen der Beteiligten getragen. Allein die Schaffung der Einwirkungsmöglichkeiten ist willentlich.

Vgl. etwa den Kontrahierungszwang § 5 Abs. 2 PflVG. Das betont zu Recht auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 224 ff., insbesondere S. 226. 80 81

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3. Die Zweiseitigkeit der Öffnung oder das Einverständnis mit der Rechtskreisöffnung Damit steht als Merkmal der klassischen Fallgruppen im Rahmen des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB die Annäherung der Beteiligten unter willentlicher Öffnung der Rechtskreise fest. Ein wesentlicher Aspekt scheint damit aber noch nicht erfasst zu sein. Die beteiligten Personen handeln nicht unkoordiniert und allein. Im Gegenteil: Sowohl in den Fällen der Vertragsverhandlungen – wie etwa in den Ausgangsfällen 1 und 2 – als auch in den sog. Warenhausfällen – wie etwa in den Ausgangsfällen 3 und 4 – kann beobachtet werden, dass beide Beteiligten ihre Rechtskreise dem jeweils anderen Beteiligten gegenüber geöffnet haben. Auch in den anderen Fällen ist auf den ersten Blick Zweiseitigkeit gegeben. Ein weiteres Merkmal neben der Annäherung in Form der Öffnung der Rechtskreise, scheint damit also die Gegenseitigkeit der Rechtskreisöffnung zu sein. Erst die Gegenseitigkeit der Beteiligten begründet die Beziehung, die es rechtfertigt, ihnen Pflichten gegenüber den anderen Beteiligten aufzuerlegen. Diese Gemeinschaft der Beteiligten ist es, die eine Abgrenzung zum „Nebeneinander“ des Deliktsrechts rechtfertigt. Zu überlegen ist daher, wie diese Gegenseitigkeit hergestellt wird. Denkbar ist zunächst, dass jeder Rechtskreisöffnung der einen Seite eine Rechtskreisöffnung der anderen Seite gegenüberstehen muss. Denkbar ist aber auch, dass einer dem anderen Beteiligten gegenüber seinen Rechtskreis öffnet und dieser die ihm gewährten Einwirkungsmöglichkeiten gewissermaßen (nur) akzeptiert. Beide Varianten sind in der einen oder anderen Weise richtig. In den klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB steht der Rechtskreisöffnung des einen Beteiligten stets auch eine Rechtskreisöffnung des anderen Beteiligten gegenüber. Jeder Verhandlungspartner eröffnet dem anderen Verhandlungspartner gegenüber seinen Rechtskreis, indem er diesem erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf seine rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Nicht anders ist es in den Warenhausfällen. Hier gewähren die Besucher des Geschäfts im Rahmen der Rechtskreisöffnung erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf Körper, Gesundheit, Leben und Eigentum. Der Geschäftsinhaber gewährt dagegen jedenfalls im Wege der Rechtskreisöffnung erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf sein Eigentum. In dieser gegenseitigen Gewährung von Einwirkungsmöglichkeiten liegt dann – jeweils in der zeitlich nachfolgenden Gewährung – auch immer das Einverständnis mit der gewährten Einwirkungsmöglichkeit. Um das Gesagte noch einmal an den geschilderten Ausgangsfällen zu verdeutlichen: Der Beteiligte, der die Vertragsverhandlungen initiiert, (hier etwa die V-AG) öffnet als erster seinen Rechtskreis gegenüber dem anderen Beteiligten. Der andere Beteiligte (hier etwa die K-AG), der auf das Angebot Vertragsverhandlungen zu eröffnen, einsteigt, öffnet damit

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ebenfalls seinen Rechtskreis. Er erklärt damit konkludent zugleich das Einverständnis mit den angebotenen Einwirkungsmöglichkeiten. Die V-AG hatte durch ihr Angebot, Vertragsverhandlungen aufzunehmen, bereits zu verstehen gegeben, dass sie die ihr eventuell folgend angebotenen Einwirkungsmöglichkeiten gewissermaßen akzeptiert. Nicht anders ist es auch bei den Warenhausfällen: Bereits durch die Öffnung des Geschäftes, erklärt sich der Geschäftsinhaber mit den angebotenen Einwirkungsmöglichkeiten der Besucher einverstanden. Umgekehrt willigt der Besucher in die angebotenen Einwirkungsmöglichkeiten durch Betreten des Geschäfts ein. Die Einwirkungsmöglichkeiten werden hier geradezu sofort genutzt. In der in diesem Sinne herausgearbeiteten Gegenseitigkeit der Rechtskreisöffnung liegt also auch ein nicht-rechtsgeschäftliches Einverständnis mit den jeweils angebotenen Einwirkungsmöglichkeiten. Erst dieses Einverständnis kann die Grundlage für ein Miteinander der Beteiligten, das an die Stelle eines bloßen Nebeneinanders tritt, sein. Darin liegt die Begründung einer Gemeinschaft.82 Diese Gemeinschaft wird konstituiert durch die einem anderen gewährten Einwirkungsmöglichkeiten auf eigene Rechte, Rechtsgüter und Interessen und das Einverständnis des anderen Teils zu dieser Gewährung. Dieses Einverständnis lässt es möglich erscheinen, an diese willentlich übernommene Verantwortungsstellung anzuknüpfen und dem jetzt in der Verantwortungsposition Stehenden Pflichten zur Rücksichtnahme gegenüber dem anderen Beteiligten aufzuerlegen. Aus der durch Rechtskreisöffnung und Gemeinschaft folgenden Verantwortungsposition erwachsen also die Pflichten zur Rücksichtnahme. In den hier besprochenen Ausgangsfällen wurde beiden Beteiligten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils gewährt. Sie haben jeweils ihr Einverständnis mit dieser Gewährung signalisiert. Damit stehen sie in der Verantwortung für das gewährte Risikopotential. Folgerichtig können aus dieser geschaffenen Gemeinschaft und der angenommenen Verantwortungsposition, Pflichten zur Rücksichtnahme auf Grund der gewährten Einwirkungsmöglichkeiten folgen. Hier kann auch das viel diskutierte Vertrauen noch einmal ins Spiel kommen. Es ist durchaus vorstellbar, dass Vertrauen verstanden als psychologisches Faktum für die Gemeinschaft eine Rolle spielt. Denkbar sind aber auch andere Motive, wie etwa geschäftliche oder familiäre Interessen. Vertrauen ist also nur ein mögliches Motiv unter vielen. Obschon in den klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB jeweils beide Beteiligte dem anderen Teil Einwirkungs82 Vgl. zum Gemeinschaftsbegriff als eine „gegenseitig-gemeinsame, verbindende Gesinnung“ Tönnies, S. 17 f. Siehe zur Anknüpfung an eine Gemeinschaft im Bürgerlichen Recht auch schon Haupt, FS Siber, S. 5, 16, der die Einordnung in ein Gemeinschaftsverhältnis als konstituierendes Element der faktischen Vertragsverhältnisse ansah. Haupt verweist auch auf die faktischen Arbeitsverträge und die faktische Gesellschaft als Fälle der Einordnung in ein Gemeinschaftsverhältnis.

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möglichkeiten gewährt haben, ist nicht denkunmöglich, dass nur der eine Teil dem andere Beteiligten im Wege der Rechtskreisöffnung Einwirkungsmöglichkeiten verschafft. Dies folgt aus der Bedeutung des soeben beschriebenen Einverständnisses.83 Die Gewährung von Einwirkungsmöglichkeiten durch den einen Beteiligten und das Einverständnis durch den anderen Beteiligten begründen bereits eine Gemeinschaft, ein Miteinander zwischen den Beteiligten. Damit ist vorstellbar, dass auch eine einseitige Rechtskreisöffnung und das Einverständnis der anderen Seite bereits ein Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB nach sich ziehen können. Ein praktischer Anwendungsfall für eine solche Konstellation hat sich allerdings noch nicht gezeigt. Bisher folgte auf die Gewährung von Einwirkungsmöglichkeiten durch den einen Teil stets spiegelbildlich dasselbe durch den anderen Beteiligten. Das Einverständnis mit den Einwirkungsmöglichkeiten wurde durch die wechselseitige Gewährung zum Ausdruck gebracht. Aus der Tatsache, dass aber auch schon die einseitige Gewährung und das Einverständnis mit dieser gemeinschaftsstiftend wirken können, folgt noch ein Weiteres. Es müssen im Falle der gegenseitigen Verschaffung von Einwirkungsmöglichkeiten nicht identische Rechte, Rechtsgüter und Interessen betroffen sein. Dies war in der klassischen Fallgruppe des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB auch schon bisher in den Warenhausfällen nicht der Fall. Zusammenfassend tritt also noch ein weiteres Merkmal neben die Gewährung von Einwirkungsmöglichkeiten in Form der Rechtskreisöffnung: Die nicht-rechtsgeschäftliche Akzeptanz der (angebotenen) Einwirkungsmöglichkeiten. Durch diese beiden Akte wird eine Gemeinschaft zwischen den Beteiligten gestiftet, die es ermöglicht, dem jeweils in der Verantwortungsposition Stehenden Pflichten zur Rücksichtnahme aufzuerlegen.

IV. Das besondere Risiko der Rechtskreisöffnung als nicht-geschäftliches Risiko Aus der Diskussion in der Dogmatik seit Inkrafttreten des BGB ist bekannt, dass oftmals der Anwendungsbereich des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB auf den Bereich des geschäftlichen Kontakts beschränkt wurde.84 Der hier soeben herausgeschälte Kern der lebensweltlichen Situation in den klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB hat zunächst andere Merkmale hervorgebracht. Maßgeblich ist demnach eine Annäherung der Beteiligten, die sich als willentliche Rechtskreisöffnung darstellt, die erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen 83 Auch Koendgen, S. 268, betont das nicht-rechtsgeschäftliche Einverständnis zwischen den Beteiligten, welches die Beziehung der Beteiligten von deliktischen Kontakten abhebt. 84 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. IV.

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des jeweils anderen Teils begründet. Durch die Akzeptanz der gewährten Einwirkungsmöglichkeiten wird eine Verantwortungsposition des Akzeptierenden geschaffen, die es rechtfertigt, diesem eine Pflicht zum verantwortungsvollen Umgang mit diesen Möglichkeiten aufzuerlegen. In den Ausgangsfällen 1 und 2 hat die Rechtskreisöffnung in einem Bereich stattgefunden, der sowohl als geschäftlich-unternehmerisch, als auch als rechtsgeschäftlich bezeichnet werden kann. In den Ausgangsfällen 3 und 4 ist dagegen allenfalls eine entfernte Anbindung an den geschäftlich-unternehmerischen Bereich feststellbar. Die vorherrschende Strömung würde Ausgangsfall 4 wohl schon nicht mehr in den Zusammenhang des geschäftlichen Kontaktes stellen, da ein Vertragsschluss nicht (auch nur entfernt) möglich erscheint. Die herausgearbeiteten Merkmale einer Rechtskreisöffnung lassen sich auch im oben dargestellten Ausgangsfall 5 finden. S und G haben sich angenähert und gegenseitig Einwirkungsmöglichkeiten auf ihren Körper, ihr Leben, ihre Gesundheit und das Eigentum verschafft. Diese Annäherung hat in keinerlei Bezug zu einem geschäftlich-unternehmerischen Zweck oder Kontakt gestanden. So ist es auch in den Ausgangsfällen 6 und 7, mit der Einschränkung, dass ein geschäftlicher Kontakt möglicherweise für den Geschäftsfreund G im Ausgangsfall 7 bejaht werden könnte. Verwirklicht hat sich allerdings jeweils kein besonderes rechtsgeschäftliches oder geschäftlich-unternehmerisches Risiko. Die gewährten Einwirkungsmöglichkeiten auf die eigenen Güter stellen vielmehr gerade das typische Risiko in den Fallgruppen dar.85 Dieses Risiko ist hier auch verwirklicht. Der geschäftlich-unternehmerische Zweck einer Rechtskreisöffnung stellt daher kein weiteres notwendiges Merkmal zur Abgrenzung der klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 dar. Jedes andere Ergebnis wäre auch unstimmig. Trotz gleicher Sachlage, würde es etwa in den Fällen 4 und 7 zu überraschenden Ergebnissen kommen. Im Fall 4 würde trotz identischer Situation hinsichtlich der Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beteiligten im Vergleich zu Fall 3 kein Schuldverhältnis entstehen. Nur weil K einen Vertragsschluss mit der S-AG bei seinem Stadtbummel ausschließt, würde kein Schuldverhältnis entstehen. Im Fall 7 würde ein Schuldverhältnis und damit eine Haftung nur gegenüber dem Geschäftsfreund, nicht aber gegenüber dem Studienkollegen bestehen. Die Risikolage für die meisten Güter der Beteiligten ist allerdings identisch. Das gilt insbesondere für die Rechtsgüter, für die in den Beispielsfällen die Gefährdung in einen Schaden umgeschlagen ist. Einzig für die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit ist nach den diskutierten Fällen relevant, ob ein rechtsgeschäftlicher Kontakt vorliegt – allerdings nur für den Bereich der Verletzung eben dieser Entscheidungsfreiheit. Bei den anderen, im gleichen Lebenszusammenhang betroffenen Schutzgütern ist kein rechtsgeschäftlicher Zusammenhang zu erkennen. 85 Das betonen in diesem Zusammenhang auch Weber, FS Giger, S. 740, 753; Eike Schmidt, AcP 170 (1970), S. 502, 508.

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Im Übrigen verwirklicht sich das Risiko einer besonderen Einwirkungsmöglichkeit, nicht aber ein spezifisch rechtsgeschäftliches oder geschäftlich-unternehmerisches.86 Ein rechtsgeschäftlicher Zweck oder Zusammenhang ist in den Ausgangsfällen 1 und 2 erkennbar, in den Ausgangsfällen 3 und 4 aber gerade nicht. Nur soweit man einen rechtsgeschäftlichen Zusammenhang in jedem Handeln innerhalb eines rechtsgeschäftlichen Umfelds sehen würde, könnte auch in den Ausgangsfällen 3 und 4 ein rechtsgeschäftlicher Zusammenhang gesehen werden. Eine solche Deutung des rechtsgeschäftlichen Zusammenhangs würde dann aber dazu führen, dass nahezu in jeder Situation ein solcher gegeben wäre. Rechtsgeschäfte, dazu gehören etwa auch Schenkungen bei einem gemeinsamen Abendessen und ähnliches, werden tagtäglich in unserem Umfeld abgeschlossen.87 Ein Handeln in einem rechtsgeschäftlichen Umfeld läge daher nahezu immer vor, z. B. auch in den hier vorgestellten Ausgangsfällen 5, 6 und 7. Die von vielen Autoren postulierte Haftungsbegrenzung ist auf diesem Wege nicht herbeizuführen. Schon aus diesem Grund handelt sich nicht um ein Merkmal, das die Situationen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB von anderen Fallgruppen abgrenzbar macht. Den Fallgruppen ist kein gemeinsames Merkmal eines Handelns im rechtsgeschäftlichen oder rechtsgeschäftlich-unternehmerischen Bereich oder zu solchen Zwecken zu entnehmen. Insbesondere die jeweils verwirklichte Gefährdungslage lässt keine solche Beschränkung erkennen. Es verwirklicht sich vielmehr das besondere Risiko der mit einem Anderen eingegangenen Beziehung.

V. Zusammenfassung: Der Tatbestand des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses in den klassischen Fallgruppen als Ergebnis der Untersuchung Nach der Herausarbeitung der Merkmale der lebensweltlichen Situation in den klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB folgt nun eine Zusammenfassung des so festgestellten Tatbestandes. Dabei werden zunächst die geschaffenen Einwirkungsmöglichkeiten (1.), sodann die notwendige Akzeptanz derselben (2.) und die dadurch geschlossene Gemeinschaft der Beteiligten (3.) erörtert. Der mit diesen Punkten schon umschriebene Grundtatbestand bedeutet zugleich eine Loslösung des Tatbestandes von Vertrag, Rechtsgeschäft und Geschäft (4.), die vor einem abschließenden Resümee und Ausblick auf die weitere Untersuchung erläutert werden soll (5.).

Vgl. ebenso Weber, FS Giger, S. 740, 753; Eike Schmidt, AcP 170 (1970), S. 502, 508. Vgl. zur Qualifikation von derartigen Anstandsschenkungen als Schenkungen im Rechtssinn etwa MünchKomm-Kollhosser, § 534, Rdnr. 7; Bamberger / Roth-Gehrlein, § 534, Rdnr. 1; Jauernig-Mansel, § 534, Rdnr. 2. 86 87

184

2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

1. Einwirkungsmöglichkeiten durch Rechtskreisöffnung Als erstes gemeinsames Merkmal der Fallgruppen konnte die Öffnung des Rechtskreises gegenüber dem anderen Beteiligten festgestellt werden. Die Vorstellung einer Rechtskreisöffnung setzt ein Verständnis der geschützten Rechte als eines grundsätzlich gegenüber jedermann vor jeglichen äußeren Einflüssen geschützten Kreises voraus. Diese Rechte bilden zusammen den Rechtskreis. Durch die Öffnung des Rechtskreises wird dieser Schutz erheblich gemindert. Für den anderen Beteiligten werden dadurch Einwirkungsmöglichkeiten geschaffen, die im Verkehr nicht bestehen. Das Merkmal ist also zweistufig: Auf der ersten Stufe wird vorausgesetzt, dass ein Recht, Rechtsgut oder Interesse dem Grunde nach gegenüber jedermann im Verkehr gegen Einwirkungen geschützt ist (Rechtskreis). Mit der zweiten Stufe wird eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Güter des Rechtskreises geschaffen und der Schutz gegenüber dem konkreten Beteiligten auf diesem Wege gemindert (Rechtskreisöffnung). Diese sind gegenüber den Einwirkungsmöglichkeiten unter Fremden durch den Verzicht auf Schutz in besonderem Maße erhöht. Die in diesem Sinne herausgearbeiteten Merkmale sind bereits früh in der Dogmatik grundsätzlich erkannt worden. Die Vorstellung eines Rechtskreises als Gesamtheit von grundsätzlich gegenüber allen geschützten Rechten, Rechtsgütern und Interessen, ergibt sich schon aus den Motiven und Protokollen.88 Dieses Stadium entspricht dem deliktischen Stadium. Bereits Heinrich Stoll hatte erkannt, dass es die Einwirkungsmöglichkeiten auf den Rechtskreis des jeweils anderen sind, die eine wesentliche Rolle spielen.89 Auch Dölle hatte schon früh die Bedeutung der besonderen Einwirkungsmöglichkeiten im Rahmen des Kontakts der Beteiligten betont.90 Insbesondere Frost und Krebs heben die Bedeutung der Rechtskreisöffnung hervor91. Schur stellt die Relevanz für die Begründung der personalen Beziehung heraus.92 Die Entwicklung der Dogmatik hatte es gerechtfertigt, die Rechtskreisöffnung als eine – wenn auch junge – Leitlinie zu bezeichnen.93 Die besonderen Einwirkungsmöglichkeiten haben im Übrigen in der Diskussion stets eine hervorgehobene Rolle bei der Frage der Legitimation einzelner Pflichten gespielt94, ohne dass ihre Bedeutung für die Begründung des Schuldverhältnisses erkannt wurde. Vgl. dazu oben unter 1. Teil, F. I. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. I. Ähnlich auch schon Martel, S. 35 und 38; Betti, FS Lehmann, S. 252, 257. 90 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. V. 91 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, F. II. und III. 92 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, F. I. 93 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, F. 94 Vgl. dazu etwa Lehmann, NJW 1958, S. 1, 2. Interessant ist auch die Übersicht bei Stöcker, S. 71, aber auch schon die Erwähnung in der Untersuchung von Geiß, S. 23. Die 88 89

B. Analyse des Entstehungstatbestandes anhand lebensweltlicher Situation

185

2. Die Einverständlichkeit der Rechtskreisöffnung Diese Einwirkungsmöglichkeiten allein beschreiben die Situation der untersuchten Fallgruppen noch nicht ausreichend. Der, dem die Einwirkungsmöglichkeiten gewährt werden, muss diese auch akzeptieren, ohne dass damit auf eine rechtsgeschäftliche Einigung hingedeutet werden soll. Auf diesem Wege muss also ein Einverständnis zwischen den Beteiligten hergestellt werden. In den untersuchten Fallgruppen wurde dieses Einverständnis jeweils durch das wechselseitige Gewähren der Einwirkungsmöglichkeiten und die damit zum Ausdruck gebrachte Akzeptanz der gewährten Einwirkungsmöglichkeiten hergestellt. Das in diesem Sinne herausgearbeitete Akzeptanz- oder Einverständnismerkmal ist in der Dogmatik in verschiedenster Form auch früher schon erkannt worden. Übersteigerte Bedeutung hatte es bei den frühen Vertrags- und Rechtsgeschäftslehren, die davon ausgingen, dass die Parteien mit dem Willen handeln, sich rechtsgeschäftlich zu verpflichten.95 Die Bedeutung des Konsenses in der Entwicklung der Dogmatik des Schuldverhältnisses hatte es gerechtfertigt, den Konsensgedanken als eine Leitlinie der Entwicklung zu bezeichnen.96 Aber auch bei den Vertrauenshaftungslehren spielt die Gegenseitigkeit, die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen eine erhebliche Rolle.97 Nach der vorliegenden Untersuchung drängt sich die Frage auf, ob die Formulierung „Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen“ nicht nur eine andere Umschreibung für den hier herausgearbeiteten Zusammenhang von Rechtskreisöffnung und Akzeptanz derselben darstellt. 3. Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung Das als nicht rechtsgeschäftlich verstandene Einverständnis der Beteiligten über Gewährung und Akzeptanz der Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der jeweils anderen Beteiligten, fügt diese zu einer Gemeinschaft zusammen.98 Sie sind im Sinne Frosts gefesselt.99 Es besteht eine VerbunAnknüpfung an die besonderen Einwirkungsmöglichkeiten in diesem Zusammenhang dürfte ebenfalls auf Heinrich Stoll zurückzuführen sein. Auch die Untersuchung Dölles wird erheblichen Einfluss auf diese Entwicklung gehabt haben. 95 Vgl. aber in anderem Zusammenhang etwa Mayer-Maly, FS Wilburg, S. 129, 141 f., der annimmt, eine schlichte Einigung sei zur Begründung von faktischen Vertragsverhältnissen erforderlich. 96 Vgl. oben unter 1. Teil, B. 97 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. II. Darauf weist auch Hartwieg, JuS 1973, S. 73, 739, hin. 98 Vgl. zu einer Untersuchung der Bedeutung von Gemeinschaften im Privatrecht in anderem Zusammenhang Paschke, AcP 187 (1987), S. 60 ff., dort zur Verwendung des Rechtskreisbegriffes S. 83 f. 99 Vgl. dazu unter 1. Teil, F. II. 1. a).

186

2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

denheit zwischen den Beteiligten, welche das unverbundene Nebeneinander im Verkehr durch ein Miteinander ersetzt.100 Aus den Fremden der Deliktsebene werden jetzt Bekannte der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft beinhaltet in der gewährten und akzeptierten Einwirkungsmöglichkeit immer auch eine Verantwortungsposition für die jeweiligen Rechtsgüter des anderen Teils. Der Gemeinschafts- und Verantwortungsaspekt, der in der Analyse der klassischen Fallgruppen der culpa in contrahendo herausgearbeitet wurde, ist in der Dogmatik insbesondere bei Canaris hervorgetreten, wenn dieser von einem „Anvertrauen“ der Güter an den anderen Beteiligten spricht.101 Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung wurde in dem hier verstandenen Sinn noch nie herausgearbeitet.102 Ansätze können allenfalls in dem Begriff der Sonderverbindung gesehen werden. 4. Loslösung von Vertrag, Rechtsgeschäft und Geschäft Die anhand der klassischen Fallgruppen herausgeschälten Merkmale des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB stellen eine wesentliche Loslösung von Vertrag, Rechtsgeschäft und Geschäft dar. War auch in der bisherigen Dogmatik anerkannt, dass die Entstehung des Schuldverhältnisses in der Fallgruppe der culpa in contrahendo unabhängig von einem späteren Vertragsschluss möglich war, wurde doch stets ein zumindest geschäftlicher Zusammenhang zur Voraussetzung der Entstehung erhoben. Die Analyse der klassischen Fallgruppen hat jetzt dem widersprechend ergeben, dass ausschlaggebend vielmehr die willentlich geschaffenen Einwirkungsmöglichkeiten für den jeweils anderen Beteiligten und das Einverständnis des Beteiligten sind. Das besondere Risiko in den klassischen Fallgruppen folgt aus diesen Einwirkungsmöglichkeiten. Es ist weder spezifisch rechtsgeschäftlicher, noch spezifisch geschäftlicher Natur. Entscheidend ist die besondere Beziehung der Beteiligten.

5. Resümee: Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung als Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses i.w.S. Als Ergebnis der Analyse der klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB kann der Tatbestand wie folgt zusammengefasst werden: 100 Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch im Verständnis einer Gemeinschaft als „partielle Verschmelzung von Persönlichkeitssphären“. Auf diesen Gedanken im Gesellschaftsrecht weist Hartig, S. 14, hin. 101 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, C. VI. 1. 102 Vgl. allerdings die Terminologie bei Heiseke, MDR 1961, S. 461 ff., der die Diskussion um das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis darstellt.

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

187

Auf die willentliche Öffnung des Rechtskreises im Sinne der Eröffnung von erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten auf die eigenen Rechte, Rechtsgüter und Interessen folgt das Einverständnis des anderen Beteiligten. Die mittels dieser nichtrechtsgeschäftlichen Übereinstimmung geschlossene Gemeinschaft zwischen den Beteiligten beinhaltet eine Verantwortungsposition für denjenigen, dem die Einwirkungsmöglichkeiten eröffnet wurden. Diese Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung ist der Anknüpfungspunkt für das Schuldverhältnis i.w.S. Der gefundene Tatbestand rechtfertigt es, das Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung zu bezeichnen. Im folgenden Kapitel soll nun untersucht werden, wie dieser Befund, der anhand der wenigstens zum Großteil anerkannten Fallgruppen des Schuldverhältnisses entwickelt wurde, im Wortlaut der Vorschrift widergespiegelt wird.

C. Der Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung auf der Basis des Wortlauts der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Nachdem in der beschreibenden Analyse der Tatbestand in diesem Sinne festgestellt worden ist, soll nun auf dieser Grundlage der Tatbestand des Schuldverhältnisses im Wortlaut der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB untersucht werden. Als Basis für die Untersuchung wird zunächst der inhaltliche Ablauf des Kodifikationsverfahrens bis zur heutigen Fassung der Vorschrift zusammengefasst (I.). Anschließend wird der Entstehungstatbestand auf der Grundlage des Ergebnisses der beschreibenden Untersuchung sowie des Diskussionstandes in der Rechtswissenschaft analysiert (II.). Hier wird sich zeigen, dass es von besonderer Bedeutung ist, den Begriff des Rechtskreises anhand der Schutzgüter des Rechtskreises weiter zu konkretisieren. Die Analyse der Schutzgüter erfolgt daher in einem nächsten Schritt (III.), bevor eine kurze Zusammenfassung das Kapitel schließt (IV.).

I. Der inhaltliche Ablauf des Kodifikationsverfahrens Die Gesetzgebungsgeschichte des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung ist von nur wenigen Ereignissen geprägt und könnte dennoch kaum lebhafter sein. Nachdem die ursprünglichen Verfasser des BGB sich gegen eine generelle Kodifikation entschieden hatten und nur einzelne, aus damaliger Sicht als Fälle der culpa in contrahendo einzuordnende Tatbestände, kodifiziert wurden, schlug der Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts 1991 eine andere Vorgehensweise vor.

188

2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

1. Der Kodifikationsvorschlag im Abschlussbericht der Kommission (1991) Die Kommission unterbreitete den Vorschlag, eine „grundsätzliche Aussage zur culpa in contrahendo103“ in das BGB aufzunehmen.104 Der Text der Vorschrift sollte wie folgt lauten: „§ 305 BGB-KE (Begründung vertraglicher oder vorvertraglicher Schuldverhältnisse) [...] (2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB-KE kann bereits durch Anbahnung eines Vertrages entstehen.“105 § 241 Abs. 2 BGB-KE sollte entsprechend gefasst werden: „§ 241 BGB-KE (Pflichten aus dem Schuldverhältnis) [...] (2) Das Schuldverhältnis kann unter Berücksichtigung seines Inhalts und seiner Natur jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils verpflichten. Hierauf kann sich das Schuldverhältnis beschränken.“

Die Kommission war zu dem Ergebnis gekommen, dass sich noch kein gesicherter und abgeschlossener Kanon von Einzelregeln herausgebildet hatte.106 Daher sollte mit der vorgeschlagenen Lösung eine Abweichung von der geltenden Rechtslage vermieden und zugleich eine Regelung gefunden werden, die nicht hinter den Grundsätzen der Rechtsprechung zurückblieb.107 Insbesondere sollte aber „genügend Raum für Rechtsentwicklung und dogmatische Weichenstellungen“ bleiben.108 Grundlage des Berichts waren vor allem die Gutachten von Medicus und Ulrich Huber. Medicus hatte betont, dass eine Erfassung nur in Fallgruppen möglich sei, und aus diesem Grund eine Generalklausel abgelehnt.109 Für den Schutz sog. vertragsfremder Rechtsgüter sei die deliktische Haftung ausreichend, sofern und sobald die Gehilfenhaftung reformiert worden sei.110 Für die Fallgruppen der Nichtigkeit des Vertrages und der Verletzung für den Vertragsinhalt wesentlicher vorvertraglicher Pflichten hatte er jeweils detaillierte Regelungen vorgeschlagen.111 Abschlussbericht, S. 144. Vgl. Abschlussbericht, S. 142 ff. 105 Abschlussbericht, S. 142. 106 Abschlussbericht, S. 143. 107 Abschlussbericht, S. 143. 108 Abschlussbericht, S. 144. 109 Vgl. Medicus, Gutachten, S. 475, 486 – 487. Zustimmend auch Lieb, AcP 183 (1983), S. 327, 334 f. unter Berufung auf die nach seiner Auffassung sonst gefährdete Transparenz und Rechtssicherheit. Lieb fordert weiter möglichst konkrete Regelungen der Einzelpflichten. Vgl. Lieb, AcP 183 (1983), S. 327, 338. 110 Vgl. Medicus, Gutachten, S. 475, 494. 103 104

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

189

Die Fälle des Abbruchs von Vertragsverhandlungen sollten nicht gesetzlich geregelt werden.112 Ulrich Huber hatte sich den Aussagen von Medicus insoweit angeschlossen, als dass eine Generalklausel nach seiner Auffassung nicht hilfreich wäre.113 Vielmehr wäre eine solche Vorschrift nur „Quelle neuer Schwierigkeiten und Missverständnisse.“114 In der Diskussion innerhalb der Kommission, scheinen im Ergebnis die Zweifler einer Kodifikation generell überwogen zu haben. Anders ist die unklare und insgesamt offene Formulierung kaum zu erklären. 2. Der Kodifikationsvorschlag im Diskussionsentwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (2000) Der Neuauftakt der Kodifikationsbemühungen im Diskussionsentwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes knüpft nahtlos an den Abschlussbericht aus dem Jahr 1991 an. Einziger Unterschied war, dass die Regelung nicht mehr in einem eigenen Absatz in § 305 BGB-KE zu finden, sondern nunmehr für S. 2 des Abs. 1 von § 305 BGB-DE geplant war.115 Die Begründung war identisch mit der Begründung im Abschlussbericht.116 § 241 BGB-DE ist ebenfalls wortgleich mit § 241 BGB-KE.117 Die Reaktionen auf die vorgeschlagene Regelung waren geteilt.118 Dauner-Lieb hob auf dem Symposium zur Schuldrechtsmodernisierung in Regensburg hervor, dass ihr die Formulierung „kann . . . entstehen“ missfiel. Stattdessen forderte sie eine Formulierung im Sinne von „entsteht“ oder „wird . . . begründet“.119 Ferner habe sich für die Rechtssicherheit nichts gebessert, solange die Fallgruppen nicht abgegrenzt würden.120 Kurz: Die Norm sei nicht subsumtionsfähig121 und biete zudem keinerlei Hilfestellung bei der Lösung aktueller Probleme.122 Eine solche Kodifikation als Blankettermächtigung sei nicht hilfreich.123 Vgl. Medicus, Gutachten, S. 475, 518 – 519 und 543. Vgl. Medicus, Gutachten, S. 475, 503. 113 Vgl. Ulrich Huber, Gutachten, S. 647, 743. 114 Ulrich Huber, Gutachten, S. 647, 743. 115 Vgl. Diskussionsentwurf, S. 20. 116 Vgl. Diskussionsentwurf, S. 340 ff. 117 Vgl. Diskussionsentwurf, S. 15. 118 Kritisch generell etwa Dauner-Lieb, JZ 2001, S. 8 ff.; Dauner-Lieb, Zivilrechtswissenschaft, S. 305 – 316 ff.; Wetzel, ZRP 2001, S. 117, 125; Ulrich Huber, Zivilrechtswissenschaft, S. 31, 37 und 159. Zu einzelnen Punkten vgl. auch Grigoleit, Schuldrechtsreform, S. 269 ff. Siehe aber auch den Hinweis auf die positivere Grundhaltung beim Münsteraner Symposium bei Arzt, NJW 2001, S. 1703 f. 119 Vgl. die Wiedergabe ihres Vortrags im Tagungsbericht von Jakobs, JZ 2001, S. 27, 28 und Schwab, JuS 2001, S. 311, 312. Ähnlich auch Krebs, DB 2000, Beil. 14, S. 1, 9. 120 Vgl. die Wiedergabe ihrer Stellungnahme im Tagungsbericht von Schwab, JuS 2001, S. 311, 312. 121 Vgl. Dauner-Lieb, Zivilrechtswissenschaft, S. 305, 318. 111 112

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Jan Schapp betonte in der Diskussion, dass schon auf Grund des Charakters der culpa in contrahendo als Schuldverhältnis im weiteren Sinne eine Regelung der Pflichten zur Rücksichtnahme eher in § 242 BGB als in § 241 BGB verortet werden müsse.124 Wetzel hob in ähnlicher Weise hervor, dass niemandem damit geholfen sei, wenn „rein symbolische Floskeln in das Gesetz aufgenommen werden.“125 Ulrich Huber setzte die vorgeschlagene Generalklausel kritisch in den schönen Klartext: „Unter Umständen kann auch eine Haftung aus culpa in contrahendo in Betracht kommen“, um.126 Gegenvorschläge zur Fassung des Diskussionsentwurfs haben Krebs und Fleischer vorgelegt.127 Andere Stellungnahmen waren deutlich positiver. Medicus betonte, dass es nichts ausmache, dass die Norm nicht subsumtionsfähig geworden sei.128 Ein Vorgriff auf eine europäische Regelung könne nicht gewollt sein.129 Zudem sei die Vorschrift so – wie der ebenfalls nicht subsumtionsfähige § 242 BGB – in der Lage, als eine „Triebfeder der Rechtsentwicklung“ zu wirken.130 Andere Diskussionsteilnehmer betonten, dass gegen eine solche Merkzettelgesetzgebung nichts einzuwenden sei und auf Rechtsfortbildung in diesem Bereich ohnehin nicht verzichtet werden könne.131 Noch während des Symposiums in Regensburg gab es eine erste Reaktion aus dem Justizministerium. Weis kündigte an, dass die Formulierung „kann“ durch eine andere ersetzt werden solle, die der Entstehung des Schuldverhältnisses stärker Rechnung trage.132

Vgl. Dauner-Lieb, Zivilrechtswissenschaft, S. 305, 319 f. Vgl. Dauner-Lieb, Zivilrechtswissenschaft, S. 305, 317. Köndgen, Schuldrechtsreform, S. 231, 241 f., sprach sich dagegen grundsätzlich für eine Generalklausel aus. 124 Vgl. die Wiedergabe im Diskussionsbericht bei Jansen, Zivilrechtswissenschaft, S. 329, 330. 125 Wetzel, ZRP 2001, S. 117, 125. 126 Vgl. Ulrich Huber, Zivilrechtswissenschaft, S. 31, 37. 127 Vgl. Krebs, DB 2000, Beil. 14, S. 1, 9; Fleischer, Schuldrechtsreform, S. 243 ff., insbesondere S. 253 und 267. 128 Vgl. die Wiedergabe seiner Stellungnahme im Tagungsbericht von Schwab, JuS 2001, S. 311, 312 und wörtlich in Medicus, Zivilrechtswissenschaft, S. 607, 609. 129 Vgl. Medicus, Zivilrechtswissenschaft, S. 607, 609. 130 Vgl. Medicus, Zivilrechtswissenschaft, S. 607, 609. 131 Vgl. die Wiedergabe der Stellungnahmen im Tagungsbericht von Schwab, JuS 2001, S. 311, 312. 132 Vgl. die Wiedergabe im Diskussionsbericht bei Jansen, Zivilrechtswissenschaft, S. 611. 122 123

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

191

3. Der Kodifikationsvorschlag in der konsolidierten Fassung des Diskussionsentwurfes Die Kritik fiel, wie wir heute wissen, auf fruchtbaren Boden. §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB-KF und § 241 Abs. 2 BGB in der im März 2001 vorgelegten konsolidierten Fassung des Diskussionsentwurfes waren teilweise erheblich überarbeitet worden.133 Während der vormalige § 305 Abs. 1 BGB-DE nunmehr in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB-KF seine endgültige Form gefunden hatte134, weicht der heutige § 241 Abs. 2 BGB von dem damaligen § 241 Abs. 2 BGB-KF noch ab. § 241 Abs. 2 BGB-KF lautete wie folgt: „§ 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis [...] (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.“135

4. Die endgültige Fassung der Vorschriften in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses und die Erläuterung der Entwürfe Während also §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB in den weiteren Dokumenten in der jetzigen Form erhalten blieben, dauerte es noch bis zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses im Oktober 2001, bis § 241 Abs. 2 BGB seine heutige Fassung erhielt.136 In der Begründung des Gesetzesentwurfes werden die Einzelvorschriften und die hinter diesen stehenden Erwägungen erläutert. Zu §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB wird ausgeführt, dass eine Regelung des „Instituts der culpa in contrahendo“ in allen Einzelheiten nicht gewollt und auch nicht machbar gewesen sei.137 Dagegen habe man eine konturenscharfe und präzise Norm schaffen wollen, die als abstrakte Regelung die weitere Fortentwicklung und Ausdifferenzierung erlaube. Die Vorschrift sei an der gewählten Stelle im BGB platziert worden, weil das gesetzliche Schuldverhältnis im Vorfeld eines Vertrages entstehe. § 311 Abs. 2 BGB regele ferner nur das Zustandekommen des Schuldverhältnisses und treffe kein Aussage über den Umfang der entstehenden Pflichten.138 Der Tatbestand der drei Fallgruppen, Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), Anbahnung eines Vertrags (Nr. 2) und ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3) wird nur rudimentär besprochen. 133 134 135 136 137 138

Vgl. konsolidierte Fassung, S. 10 und 23. Vgl. konsolidierte Fassung, S. 23. Vgl. konsolidierte Fassung, S. 10. Vgl. BT-Drucks. 14 / 7052, S. 11, 175 und 182. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 162. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 162.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Zur ersten Fallgruppe heißt es, dass culpa in contrahendo ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis voraussetze, dessen „erste“ und „klassische“ Form das „Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen“ sei.139 Daher entstehe das Schuldverhältnis durch die Aufnahme der Vertragsverhandlungen und ende mit deren Beendigung durch den Abbruch der Verhandlungen oder Vertragsschluss. Im Fall der Anbahnung eines Vertrags in der zweiten Fallgruppe gebe es hingegen gerade keine Vertragsverhandlungen, sondern allein eine potentielle rechtsgeschäftliche Beziehung. Die Vorschrift solle die klassischen Warenhausfälle erfassen. Soweit der eine Teil dem anderen Teil die Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen ermögliche, entstünden ähnliche Pflichten in der ersten Fallgruppe. Mit „Rechten“ und „Rechtsgütern“ seien die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter bezeichnet. Unter Interessen seien hingegen Vermögensinteressen, insbesondere die Entscheidungsfreiheit, zu verstehen. In der dritten Fallgruppe der ähnlichen geschäftlichen Kontakte sollen nach dem Willen der Verfasser der Gesetzesbegründung die Fälle unterkommen, in denen ein Vertrag noch nicht angebahnt, aber schon vorbereitet wird. Voraussetzung sei aber, dass es sich um an einem potentiellen Vertrag beteiligte Personen handele. Dritte Personen, die (nur) in einem Näheverhältnis zu den potentiellen Vertragsparteien stehen, seien – so die Verfasser der Begründung – nur geschützt, wenn sie in den Schutzbereich des Schuldverhältnisses miteinbezogen würden. Die Einbeziehung sei nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu behandeln.140 In § 311 Abs. 3 BGB soll dagegen nach dem Willen der Verfasser der Begründung die Haftung von an einem (späteren) Vertrag nicht beteiligten Personen nur „angesprochen“ werden.141 Dieser bestimme, dass ein vertragsähnliches Schuldverhältnis auch mit Personen entstehen kann, die gar nicht selbst Vertragspartei werden sollen.142 Hier habe man mit der Regelung in S. 1 an die Eigenhaftung der Vertreter und Verhandlungsgehilfen gedacht. In S. 2 seien die Fälle der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens exemplarisch für die Fälle des S. 1 angesprochen. Mit dieser Vorschrift habe man auch die Sachwalterhaftung erfassen wollen. Demnach könnten Auskunftspersonen oder Sachverständige, die – ohne Eigeninteresse am Abschluss des Vertrages – maßgeblich am Vertragsschluss mitwirken, in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen.143 Die Erläuterungen des Tatbestandes von § 241 Abs. 2 BGB fallen knapp aus. Es wird lediglich kurz herausgestellt, dass die Lehre von der Schutzpflicht mittels der Vorschrift umgesetzt werden solle und das Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und 139 140 141 142 143

Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 163. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 163. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 163. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 163. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 163.

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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Abs. 3 BGB einen Hauptanwendungsfall der Vorschrift bilde.144 Zudem sei anhand des Wortlauts verdeutlicht, dass neben dem Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB auch das bloße Vermögen geschützt sei.145 Umfasst seien daher alle Vermögensinteressen, aber auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit.146 Zusammenfassend gehen die Verfasser der Begründung des Gesetzesentwurfes davon aus, dass es sich bei den Tatbeständen in §§ 311 Abs. 2 Nr. 1-Nr. 3 und Abs. 3 BGB um jeweils selbstständige Tatbestände des Schuldverhältnisses handelt. Welche Pflichten in welchem Umfang innerhalb dessen bestehen, wird der Regelung des § 241 Abs. 2 BGB überlassen, der darüber allerdings ebenfalls keine fassbare Aussage trifft.

II. Der Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB Der Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung ist in den §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB niedergelegt. Mit der Formulierung „Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch [ . . . ]“ ist die Rechtsfolge in § 311 Abs. 2 BGB festgelegt (1.). Der Tatbestand soll demnach in der folgenden Fallgruppenaufzählung innerhalb der Vorschrift zu finden sein. In § 311 Abs. 3 BGB ist dann ein weiterer (Ausnahme-)Entstehungstatbestand geregelt (2.). Letztlich ergibt erst die Zusammenfassung beider Tatbestände ein vollständiges Bild des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung (3.).

1. Der Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung charakterisiert durch die Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB Der in drei Fallgruppen umschriebene Tatbestand des Schuldverhältnisses in § 311 Abs. 2 BGB geht von einem Entstehen des Schuldverhältnisses in den Fällen der Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), der Anbahnung eines Vertrags (Nr. 2) und bei ähnlichen geschäftlichen Kontakten (Nr. 3) aus [dazu sogleich unter b) – d)]. In der Fallgruppe Nr. 2 tritt nach dem Wortlaut als zweite Voraussetzung die Gewährung oder Anvertrauung der eigenen Rechte, Rechtsgüter und Interessen an den anderen Beteiligten hinzu. Als dritte Voraussetzung im Wortlaut der zweiten Fallgruppe muss das Gewähren und Anvertrauen im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung erfolgt sein. 144 145 146

Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 125. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 125. Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 125.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Bevor sich eine intensive Auseinandersetzung mit Tatbestand und Anwendungsbereich der einzelnen Fallgruppen nachfolgend anschließt [b) – d)] und Zusammenfassung wie auch Analyse das Unterkapitel abschließen [e)], soll der Diskussionsstand zum Verhältnis der Fallgruppen kurz erläutert werden [a)]. a) Das Verhältnis der Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB: Diskussionsstand Der Anwendungsbereich der einzelnen Fälle ist, wie auch das Verhältnis der einzelnen Fallgruppen untereinander, weitgehend unklar.147 Die Rechtsprechung hat – soweit ersichtlich – noch nicht klar Stellung bezogen. Unter dem Gesichtspunkt, dass die Anbahnung eines Vertrags die Aufnahme von Vertragsverhandlungen stets mitumfasst, wird vorgebracht, dass Fallgruppe Nr. 2 – die Anbahnung eines Vertrages – den Grundtatbestand der Vorschrift darstellt.148 Eine Vielzahl von Kommentatoren umschreibt den Anwendungsbereich der einzelnen Fallgruppen dann allerdings identisch mit der oben im 2. Teil unter C. I. 4. bereits erläuterten Begründung des Gesetzesentwurfs.149 In § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB wird – sofern noch ein eigener Anwendungsbereich neben § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB angenommen wird – ein Auffangtatbestand gesehen.150 Im Folgenden soll der Diskussionsstand zum Anwendungsbereich der einzelnen Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB kurz zusammengefasst werden, bevor § 311 Abs. 3 BGB näher betrachtet wird. b) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand Soweit der Vorschrift § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Verhältnis zu Nr. 2 der Vorschrift ein eigener Anwendungsbereich zugestanden wird151, ist die Meinungslage auf den ersten Blick nicht überraschend. 147 Teilweise wird die Formulierung der Fallgruppen auf die „rivalisierenden Begründungsansätze“ zurückgeführt. Vgl. so AnwKomm-Krebs, § 311 Rdnr. 38. 148 Vgl. MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 68; jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 33; Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 44, 46; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 41; Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 203; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 19; Huber / Faust, S. 70; Eckert, Rdnr. 80; auch Rieble, S. 137, 141, der allerdings betont, dass dies nur für das „Ob“ des Schuldverhältnisses gelte, ähnlich auch Dauner-Lieb-Lieb, § 3, Rdnr. 37, der davon spricht, dass es sich bei Nr. 1 nur um einen „überflüssigerweise speziell geregelten Unterfall“ der Fallgruppe in Nr. 2 handle. In ähnlicher Weise wird auch in Westermann / Bydlinski / Weber, 11 / 12 – 11 / 13, Fn. 26 eine „weite Auslegung“ von Nr. 2 befürwortet. 149 So die Darstellung etwa bei Looschelders, Rdnr. 185 ff.; Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 4 ff.; Jauernig-Stadler, § 311, Rdnr. 43 ff.; Henssler / von Westphalen-Muthers, § 311, Rdnr. 17 ff. 150 Vgl. jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 38; Schwab / Witt, S. 136 f.

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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Es herrscht Einigkeit darüber, dass im Falle der Aufnahme von Vertragsverhandlungen in Übereinstimmung mit dem Wortlaut ein Schuldverhältnis entsteht.152 Wo die Grenzen des Terminus „Aufnahme von Vertragsverhandlungen“ genau liegen, ist aber umstritten. Unklar ist, ob bereits einseitige Maßnahmen, die einen anderen zum Vertragsschluss verleiten sollen, eine Aufnahme von Vertragsverhandlungen darstellen.153 In der Zusendung eines Angebotes sehen einige Autoren einen Fall der Vertragsanbahnung, aber keinen Anwendungsfall von Nr. 1 der Vorschrift.154 Umstritten ist auch, ob unverbindliche Gespräche ausreichen, sofern diese sich nicht darauf beschränken, lediglich die Interessen der Beteiligten auszuloten.155 Eine Vielzahl von Stellungnahmen zu der neuen Vorschrift setzt neben der Aufnahme von Vertragsverhandlungen als weiteres Tatbestandsmerkmal voraus, dass – wie auch in Nr. 2 der Vorschrift – Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils bestehen müssen.156 Das sei aber nicht gesondert zu prüfen, da es bei Vertragsverhandlungen wenigstens zu vermuten sei.157 Gehrlein / Grünberg betonen in diesem Zusammenhang, dass unverbindliche Gespräche als Aufnahme von Vertragsverhandlungen im Sinne der Vorschrift einzuordnen sind, da im Rahmen derselben „die typischen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter und Interessen der Gegenseite“ bestünden.158

Vgl. dazu soeben unter a). Vgl. etwa Palandt-Grüneberg, § 311, Rdnr. 22; Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 5; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 11. 153 Dafür Palandt-Grüneberg, § 311, Rdnr. 22, dagegen Westermann / Bydlinski / Weber, 11 / 8; ähnlich auch Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 20. Die Annahme von Soergel-Wiedemann, Vor § 275, Rdnr. 244 (noch vor der Kodifikation), dass der BGH in MDR 1954, S. 346 Ähnliches angenommen hat, trifft indes nicht zu. Siehe zum sog. „letter of intent“ differenzierend Bergjan, ZIP 2004, S. 395 ff. 154 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 44; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 12; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 20. Noch weitgehender ordnet Faust bereits Produktinformationen in Zeitungsanzeigen als Aufnahme von Vertragshandlungen ein. Vgl. Huber / Faust, S. 70. 155 Dafür Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 45; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 12; dagegen Schimmel / Buhlmann-Blenske, Kap. C, Rdnr. 20. 156 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 44; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 20; Dauner-Lieb / Lieb, § 3, Rdnr. 37; Rieble, S. 137, 143; Eckert, Rdnr. 79; Ehmann / Sutschet, S. 152, die allerdings ihren Begriff der Schutzpflicht zugrundelegen. 157 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 44. 158 Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 45; ähnlich auch AnwKommKrebs, § 311, Rdnr. 40, der derartige Fälle allerdings entweder unter Nr. 1 oder unter Nr. 2 fassen will. 151 152

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c) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand Die Diskussion des Anwendungsbereiches der Fallgruppe der Vertragsanbahnungen nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist ähnlich lebhaft. Grundsätzlich lässt sich der Tatbestand in zwei Merkmale unterteilen. Die Vertragsanbahnung stellt das erste Merkmal dar. Im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung müssen dann Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils gewährt oder anvertraut worden sein (zweites Merkmal). aa) Vertragsanbahnung In der Literatur ist zu lesen, dass das erste Merkmal der Vertragsanbahnung weit zu fassen sei.159 Ein konkreter Vertragsabschluss sei noch nicht erforderlich. Gelegentlich wird die Voraussetzung dahingehend weiter umschrieben, dass der Kontakt von beiden Seiten auf einen Vertragsschluss gerichtet sein müsse.160 Die Eröffnung der Einwirkungsmöglichkeit müsse aber im Hinblick auf eine rechtsgeschäftliche Beziehung zwischen den Beteiligten zu erfolgen.161 Es müsse also ein Zusammenhang mit einem eventuellen Vertragsschluss bestehen.162 Teilweise wird angenommen, dass auch die einseitige Zusendung eines Angebotes oder von irreführenden Werbematerials noch in den Anwendungsbereich der Vorschrift falle.163 Ebenso sei die Einsicht in Geschäftsunterlagen – etwa im Rahmen eines Unternehmenskaufes in einem Data Room – oder die Überlassung eines Vertragsgegenstandes zur Probe als Fall der Vertragsanbahnung erfasst.164 Ferner werden insbesondere die bekannten Fälle des Kaufhausbummels zum Anwendungsbereich der Vorschrift gezählt.165 Hier zeigt sich deutlich die Diffusität der Fallgruppe. 159 Vgl. AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 42; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 14; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 21; jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 33; Eckert, Rdnr. 80; ähnlich Petersen, Rdnr. 74, der annimmt, dass ein „irgendwie gearteter Zusammenhang mit einem möglichen Vertragsschluss“ bestehen müsse. 160 Vgl. Petersen, Rdnr. 74. 161 Vgl. Looschelders, Rdnr. 186; Hk-BGB-Schulze, § 311, Rdnr. 16. 162 Vgl. Petersen, Rdnr. 74; Hk-BGB-Schulze, § 311, Rdnr. 16; Henssler / von WestphalenMuthers, § 311, Rdnr. 19; ähnlich Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 21, der davon spricht, dass das Geschehen sich vor dem „Hintergrund eines möglichen Vertragsschlusses“ abspielen muss. So jetzt wohl auch LG Trier, NJW-RR 2006, S. 525 („potentielle Kundin“). 163 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 44; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 12; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 20; für einseitige Handlungen, die auf die Aufnahme von Vertragsverhandlungen gerichtet sind, generell jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 33. Dagegen Staudinger-Löwisch, § 311, Rdnr. 100. 164 Vgl. Schimmel / Buhlmann-Blenske, Kap. C, Rdnr. 39 mit Bezug auf die Einwirkungsmöglichkeiten.

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Nach Ansicht einiger Autoren ist wetterbedingtes Unterstellen in einem Kaufhaus nicht als Vertragsanbahnung zu sehen.166 Sobald der vor dem Regen Schutzsuchende aber den Eingangsbereich verlässt und weiter in das Kaufhaus hineingeht, liege ein Fall der Vertragsanbahnung vor.167 Vertragabschlüsse kämen jetzt schließlich grundsätzlich in Betracht.168 Ob Personen, die ein Geschäft nur zur Durchführung von kriminellen Handlungen betreten würden, noch vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst sind, ist umstritten.169 Eine differenzierende Lösung präsentiert Busche. Er stellt allein darauf ab, ob das Betreten eines Geschäftslokals erkennbar gegen den Willen des Geschäftsinhabers erfolgt.170 Dies sei etwa dann anzunehmen, wenn eine Person die Geschäftsräume zu dem Zweck betritt, den Geschäftsinhaber durch einen Diebstahl zu schädigen.171 bb) Gewähren oder Anvertrauen von Einwirkungsmöglichkeiten Hinsichtlich des zweiten Merkmals – der „Gewährung“ bzw. des „Anvertrauens“, von Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils – sind die Stellungnahmen recht einheitlich. Der Formulierung im Sinne eines „Gewährens“ oder „Anvertrauens“ ist demnach nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Die Wortwahl sei „irreführend“ bzw. eine „sprachliche Verbeugung“ vor oder „Hommage“ an Canaris.172 Trotz der Formulierung „Gewähren“ und „Anvertrauen“, seien keine besonderen Anforderungen an die Einräumung der Einwirkungsmöglichkeit zu stellen.173 Hervorgehoben wurde in der Diskussion, dass bereits die tatsächliche, gewillkürte Eröffnung der Einwirkungsmöglichkeiten ausreiche.174 Allerdings wird vereinzelt 165 Vgl. Looschelders, Rdnr. 186; Hk-BGB-Schulze, § 311, Rdnr. 16; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520; Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 46; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 42. Unklar ist, warum Bydlinski in diesem Fall einen einseitigen Fall der Vertragsanbahnung sehen will, vgl. Westermann / Bydlinski / Weber, 11 / 12. 166 Vgl. Kropholler, § 311, Rdnr. 2; Jauernig-Stadler, § 311, Rdnr. 44; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 42; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 15; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520; ähnlich Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 6, der einen Wärme suchenden Obdachlosen als nicht mehr vom Anwendungsbereich erfasst ansieht. 167 Vgl. KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 15; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 42. 168 Vgl. AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 42. 169 Dafür Palandt-Grüneberg, § 311, Rdnr. 23; dagegen AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 42. 170 Vgl. Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 204; ähnlich aus Beweisgründen auch MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 70; Emmerich, § 6, Rdnr. 16. 171 Vgl. Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 204. 172 So AnwKomm-Krebs, § 311 Rdnr. 46; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 16; kritisch auch Ehmann / Sutschet, S. 153. 173 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 47; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 46. 174 Vgl. Dauner-Lieb / Lieb, § 3, Rdnr. 38; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 17; Eckert, Rdnr. 81.

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vorgetragen, dass ein Gewährens- oder Vertrauensmerkmal vorliegen müsse und die rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit nicht ausreiche.175 d) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand Wenn der Anwendungsbereich des § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB schon allenfalls als unscharf umrissen bezeichnet werden kann, so ist die Frage, was ein Schuldverhältnis mittels eines „ähnlichen geschäftlichen Kontakts“ im Sinne von Nr. 3 darstellt, nach dem Stand der Diskussion nicht zu beantworten. Der als Auffangtatbestand angesehene Nr. 3 des § 311 Abs. 2 BGB wird von den Autoren auch entsprechend stiefmütterlich behandelt. Alles, was nach Auffassung der einzelnen Kommentatoren nicht in die Fallgruppen Nr. 1 und Nr. 2 gepasst hat, wird jetzt in Nr. 3 des § 311 Abs. 2 BGB verortet, soweit das Rechtsempfinden des Verfassers das Entstehen eines Schuldverhältnisses in dem besprochenen Fall fordert. So wird angeführt, dass es zur Eröffnung des Anwendungsbereichs von Nr. 3 ausreiche, wenn ähnliche geschäftliche Kontakte tatsächlich hergestellt werden, wobei offen bleibt, wie dieser Tatbestand konkret ausgefüllt werden soll.176 Hierher gehören nach Auffassung vieler Autoren die Gefälligkeitsverhältnisse mit geschäftlichem Charakter.177 Unter dieser Umschreibung seien insbesondere die Fälle der Auskunftserteilung anzusiedeln, bei der die Auskunft für den Empfänger wesentliche wirtschaftliche Bedeutung habe.178 Auch die Fälle der rechtmäßigen Abmahnung und des gemeinsamen Verkaufs einer Sache, seien als ähnlicher geschäftlicher Kontakt einzuordnen.179 Bei den Pflichten zur Rücksichtnahme bei der Durchführung eines nichtigen Vertrages handle es sich ebenfalls um Pflichten aus einem Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB.180 Auch die Eigenhaftung nicht am Vertrag beteiligter Personen auf Grund besonderen wirtschaftlichen Eigeninteresses ist nach Auffassung von Lapp in Fallgruppe Nr. 3 zu verorten.181 Vgl. jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 42. Vgl. Eckert, Rdnr. 81. 177 Vgl. MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 72; Palandt-Heinrichs, 65. Auflage, § 311, Rdnr. 18; Emmerich, § 6, Rdnr. 19; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 22; Schwab / Witt, S. 137; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 18; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520. Dagegen aber jetzt aber wohl Palandt-Grüneberg, § 311, Rdnr. 24. 178 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 49; Emmerich, § 6, Rdnr. 13; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 22; ähnlich Hk-BGB-Schulze, § 311, Rdnr. 17; Schwab / Witt, S. 137; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520; Palandt-Sprau, § 675, Rdnr. 40; Klaus Peter Berger, ZBB 2001, S. 238, 245 f. Dagegen Staudinger-Löwisch, § 311, Rdnr. 97. 179 Vgl. Palandt-Grüneberg, § 311, Rdnr. 24; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 22; anders allerdings jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 42. 180 Vgl. Schwab / Witt, S. 137. 181 Vgl. jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 40. 175 176

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Daneben wird behauptet, dass auch die Fälle der Schutzwirkungen zugunsten Dritter im vorvertraglichen Stadium unter den Anwendungsbereich der Vorschrift zu fassen seien.182 Auch für Nr. 3 wird dann hervorgehoben, dass erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils eröffnet werden müssen, um den Tatbestand von Nr. 3 der Vorschrift zu erfüllen.183 Fortwährend wird zudem formelhaft wiederholt, dass ein „rein sozialer Kontakt“ jedenfalls nicht ausreiche, um ein Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 BGB zu begründen.184 Insoweit habe die Nr. 3 des § 311 Abs. 2 BGB klarstellende Funktion.185 Die Beschränkung auf geschäftliche Kontakte gelte damit für alle Fallgruppen des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses. Damit bleibt eine Frage aber unbeantwortet: Was macht eigentlich einen geschäftlichen Kontakt aus? In Betracht kommt sowohl die Auslegung als geschäftlich-unternehmerisch, wie auch als rechtsgeschäftlich. Die wohl überwiegende Mehrzahl der Autoren entnehmen der Vorschrift eine Beschränkung des Anwendungsbereiches auf rechtsgeschäftliche Kontakte.186 Teilweise wird aber auch ausgeführt, dass rein gesellschaftliche Kontakte nicht zur Begründung eines Schuldverhältnisses nach § 311 Abs. 2 BGB genügen dürften.187 Die Formulierung lässt darauf deuten, dass der Begriff des geschäftlichen in diesem Sinne als geschäftlich-unternehmerisch angesehen wird. Einen neuen Ansatz hat Reischl vorgebracht.188 Er nimmt an, dass ein Kontakt geschäftlichen Charakter hat, „wenn diese [Leistung] so vorgenommen wird, dass sie genauso gut GegenVgl. MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 72; unklar Canaris, JZ 2001, S. 499, 520. Vgl. Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 7; Huber / Faust, S. 70; Westermann / Bydlinski / Weber, 11 / 13; Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 49; dagegen StaudingerLöwisch, § 311, Rdnr. 101. 184 Vgl. Schimmel / Buhlmann-Blenske, Kap. C, Rdnr. 16; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 19; Lorenz / Riehm, Rdnr. 369; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 68; Henssler / von Westphalen-Muthers, § 311, Rdnr. 20; Palandt-Grüneberg, § 311, Rdnr. 24; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520. Ähnlich jetzt auch LG Bonn, MMR 2004, S. 181 ff. 185 Vgl. MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 68; Ehmann / Sutschet, S. 153. 186 Vgl. Jauernig-Stadler, § 311, Rdnr. 45; unklar Hk-BGB-Schulze, § 311, Rdnr. 17; jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 42; Krebber, VersR 2004, S. 150, 155, der geschäftlich als „vertragsnah“ begreift; ähnlich Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 49, die geschäftlich als Erweiterung von rechtsgeschäftlich verstehen wollen, die keinesfalls einen unternehmerischen Charakter voraussetzt. Blenske wirft in diesem Zusammenhang – zu Recht – die Frage auf, wie denn familienrechtliche Beziehungen unter diesem Gesichtspunkt behandelt werden müssten. Vgl. Schimmel / Buhlmann-Blenske, Kap. C, Rdnr. 48. Nach der Formulierung von Blenske handelt es sich bei einem geschäftlichen Kontakt um eine Kombination von rechtsgeschäftlichen und geschäftlich-unternehmerischen Aspekten. Der Austausch der Leistungen sei geschäftlich, der notwendige Austausch von Willenserklärungen als zumindest potentielles Ziel dagegen rechtsgeschäftlich. 187 Vgl. Eckert, Rdnr. 81; Looschelders, Rdnr. 187. 188 Vgl. Reischl, FS Musielak, S. 411 ff. 182 183

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stand einer Vertragsbindung hätte sein können.“189 Davon seien unverbindliche Freundschaftsdienste in einem ersten Schritt ausgenommen.190 In einer zweiten Stufe sei dann festzustellen, ob auf Grund der hohen Bedeutung der typischerweise gefährdeten Rechtsgüter gesteigerte Sorgfaltspflichten bestehen müssen.191 Diese seien auch im Sinne von Krebs’ funktionalem Legitimationsansatz taugliche Abgrenzungskriterien.192 e) Die Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB als generalklauselartige Beschreibung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung Aus der Diskussion um die Reichweite der einzelnen Fallgruppen und der Gesamtvorschrift wird vor allem deutlich, dass sowohl Konstruktion als auch Formulierung der Vorschrift – um es vorsichtig zu sagen – kein Meisterstück der Gesetzgebungskunst darstellen.193 Es wundert dann auch nicht, dass schon die Aussage des Kommissionsmitgliedes Canaris, dass es sich um eine subsumtionsgeeignete Norm handele194, nur bei Teilen des Schrifttums Zustimmung findet.195 Die Kritik, die § 311 Abs. 2 BGB erfahren hat196, ist eine zwingende Folge der angewandten Gesetzgebungsmethodik. Wer sich vornimmt, Grundsätze der Rechtsprechung zu kodifizieren, bekommt eben auch nicht mehr als Ergebnis serviert.197 Der Gesetzgeber hätte, in der Absicht ein in der Rechtsprechung „geformtes“ Schuldverhältnis zu kodifizieren, eine Entscheidung eines Falltyps, einer Fallreihe, vorgeben müssen, anstatt einzelne in der Rechtsprechung entschiedene Fälle in Gesetzesform zu gießen. Es gilt den Typus, die Fallreihe in den entschiedenen Sachverhalten zu suchen. Die Vorschrift, die der Gesetzgeber nun geschaffen hat, ist allein aus der historischen Entwicklung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung zu verstehen. In der Rechtsprechung waren zunächst die Fälle der Vertragsverhandlungen anerkannt: In diesen Fällen ging es um die Verletzung von Pflichten zum Schutz Reischl, FS Musielak, S. 411, 425. Vgl. Reischl, FS Musielak, S. 411, 425. 191 Vgl. Reischl, FS Musielak, S. 411, 425; auch schon ders., JuS 2003, S. 40, 44. 192 Vgl. Reischl, FS Musielak, S. 411, 426; zu Krebs’ funktionalen Legitimationsansatz vgl. oben unter 1. Teil, F. III. 1. 193 So auch Zimmer, NJW 2003, S. 1, 7 und 12. 194 Vgl. Canaris, JZ 2001, S. 499, 520. 195 Vgl. dafür etwa Petersen, Rdnr. 70; dagegen Dauner-Lieb / Lieb, § 3, Rdnr. 36; Rieble, S. 137. 196 Vgl. z. B. Dauner-Lieb / Lieb, § 3, Rdnr. 44 „maulfaul“; Rieble, S. 137, 141 „Nebelkerze“; Canaris, JZ 2001, S. 499, 520 „etwas dunkel“. 197 Zur Kodifikation des Ist-Zustandes Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. XIX, der von einer Kodifikation des „derzeitigen Rechtszustandes“ in Form der „anerkannten Fälle“ spricht. 189 190

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der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit. 198 In einem nächsten Schritt erkannte das Reichsgericht, dass auch die Fälle der Vertragsanbahnung – verstanden als die Fallkonstellationen, die sich im Vorfeld der Aufnahme von Vertragsverhandlungen abspielen – identisch oder wenigstens wesentlich vergleichbar sind mit den Fällen der „tatsächlichen“ Vertragsverhandlungen.199 Mit einem „ähnlichen geschäftlichen Kontakt“ sind die Fälle umschrieben, in denen die Rechtsprechung in späteren Jahren weitere Fallgruppen hinzugezogen hat.200 In allen drei Fallgruppen wurde erkannt, dass eine personale Beziehung zwischen den Beteiligten besteht, die eine Auferlegung von Pflichten zur Rücksichtnahme rechtfertigt. Diese personale Beziehung ist die durch Rechtskreisöffnung geschaffene Gemeinschaft.201 Damit ist ein erster Anhaltspunkt für die Analyse der Vorschrift des § 311 Abs. 2 BGB gefunden. Rechtsfolge des Vorliegens einer der Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB ist das Entstehen eines Schuldverhältnisses mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB. Wie in der Literatur dabei zutreffend herausgearbeitet wurde, ist die Fallgruppe Nr. 1 ein Unterfall der Fallgruppe der Nr. 2. Jede Aufnahme von Vertragsverhandlungen ist zwingend auch Vertragsanbahnung. Die teilweise fast hilflos anmutenden Versuche, die einzelnen Tatbestände zu trennen, könnten das nicht besser belegen.202 Die Trennung der Fallgruppen ist nur aus dem historischen Zusammenhang überhaupt verständlich. Die in Nr. 3 umschriebene Fallgruppe des geschäftlichen Kontakts ist letztlich eine weitere Ausdehnung. Jede Vertragsanbahnung ist selbstverständlich auch geschäftlicher Kontakt, soweit man diesen als rechtsgeschäftlichen Kontakt versteht. Damit stellt Nr. 3 also die Minimalanforderungen für den nicht abschließend konzipierten Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses in § 311 Abs. 2 BGB auf. Auch hier ist die Trennung von Fallgruppe Nr. 3 von den anderen Fallgruppen, nur aus der historischen Entwicklung nachzuvollziehen. Hätten wir eine Vorschrift, die eine Entstehung eines Schuldverhältnisses mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB im Falle eines geschäftlichen Kontakts unter Schaffung von Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils anordnet, so würde niemand dagegen protestieren, die Fälle der Vertragsverhandlung und -anbahnung als Fall des geschäftlichen Kontakts anzusehen. Allein die Verwendung des Wortes „ähnlicher“ stellt eine Beziehung zu den Fallgruppen Nr. 1 und Nr. 2 her, die dagegen sprechen könnte, Nr. 3 als Generaltatbestand zu verstehen. Um eine Vorstellung der wesentlichen Tatbestandselemente für die Entstehung eines Schuldverhältnisses mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zu gewinnen, wird man die Fallgruppen aber nicht allein heranziehen können: Vielmehr sind alle Fallgrup198 199 200 201 202

Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VII. 1. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VII. 1. Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VII. 2. Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, B. V. 5. Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, C. II. 1. a).

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pen gemeinsam zu untersuchen. In diese Richtung gehen auch die Erwägungen in der Literatur, die von einem generalklauselartigen Charakter der Vorschrift sprechen:203 Die Generalklausel ist in den drei Fallgruppen bei eher unglücklicher Anknüpfung an die historische Entwicklung umschrieben worden. Zu Recht wurde in der Literatur betont, dass in allen drei Fallgruppen die willentlich gewährten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils ein wesentliches, in allen Fallgruppen vorhandenes Element sind. aa) Die Rechtskreisöffnung in den Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB Damit ist die der Rechtsprechung zugrunde liegende Situation der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommen. Zu bedauern ist aber die verklausulierte Form, mit der die Rechtskreisöffnung Eingang in den Wortlaut der Vorschrift gefunden hat. Letztlich entspricht dies aber der Verkennung der Rechtskreisöffnung in den vorherrschenden Vertrauenshaftungslehren in der Vergangenheit. Die Formulierung der Vorschrift hinsichtlich des Merkmals der Rechtskreisöffnung kann insgesamt nur als verunglückt bezeichnet werden. Dass die Herausarbeitung der eigentlich entscheidenden Merkmale fast gänzlich unterbleibt, ist aber wohl die Folge einer Kodifizierung einzelner Fallgruppen im Sinne der QuasiKodifikation einzelner Fälle. Um den Tatbestand klar erfassen zu können, ist daher auf die in der Analyse der Fallgruppen herausgearbeiteten entscheidenden Momente zurückzukommen.204 Letztlich waren es auch diese Fallgruppen, die der Kodifikation zugrunde liegen. § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB erwähnt die dem anderen Teil verschafften Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Eine Vielzahl von Autoren hat aber zutreffend hervorgehoben, dass die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils auch notwendige Voraussetzung der anderen normierten Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB sind:205 In der Fallgruppe Nr. 1 sind die Einwirkungsmöglichkeiten denknotwendiger Bestandteil der Aufnahme von Vertragsverhandlungen.206 In der Fallgruppe Nr. 3 schließlich kann das Merkmal aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie dem Vergleich mit den anderen Fallgruppen gefolgert werden. Damit ist klar, dass die Rechtskreisöffnung Tatbestandsmerkmal des Schuldverhältnisses ist. Vgl. z. B. Reischl, JuS 2003, S. 40, 43; Dauner-Lieb / Lieb, § 3, Rdnr. 48 und 37. Vgl. dazu oben unter 2. Teil, B. V. 205 Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, C. II. 1. b) – d). 206 Vgl. so auch Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 44 und oben unter 1. Teil, C. II. 1. b). 203 204

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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In der beschreibenden Analyse des dem Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung zugrunde liegenden Lebenssachverhalts unter Heranziehung der Dogmatik des Schuldverhältnisses i.w.S. wurde deutlich, dass das Schuldverhältnis i.w.S. als Gegenpol zu der Haftung unter Fremden in der Gesellschaft zwingend eine personale Beziehung im Sinne einer Gemeinschaft unter den Beteiligten voraussetzt. Die durch die Rechtskreisöffnung im Sinne der Eröffnung von Einwirkungsmöglichkeiten geschaffene Gemeinschaft ist der wesentliche Anknüpfungspunkt beim Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Eine Gemeinschaft ist aber nur in einem gegenseitigen Verhältnis vorstellbar.207 Die dem anderen Teil willentlich ermöglichte Einwirkung muss daher spiegelbildlich zumindest mit einem Einverständnis in die angebotene Stellung oder aber einer ebenfalls willentlich ermöglichten Einwirkung reflektiert werden.208 Das kommt im Wortlaut der Vorschrift bedauerlicherweise nicht mit dieser Deutlichkeit zum Ausdruck. In der Literatur zeigen sich aber ähnliche Erwägungen z. B. bei Busche, der den Willen der Beteiligten bei der Eröffnung der Einwirkungsmöglichkeiten betont.209 Die Verwendung der Begriffe „gewähren“ und „anvertrauen“ bringt darüber hinaus keine Klarheit für die Anforderungen an die Einwirkungsmöglichkeit. Sie verdunkeln im Gegenteil die Bedeutung durch eine redundante Bezugnahme auf die Einordnung in das System der Vertrauenshaftung von Canaris.210 Damit steht als erstes, in den Fallgruppen umschriebenes Tatbestandsmerkmal, die Gemeinschaft der Beteiligten durch Rechtskreisöffnung fest. Die Rechtskreisöffnung hat, wie die beschreibende Analyse der Fallkonstellationen ergeben hat, willentlich und gegenseitig zu erfolgen. Als zweites Tatbestandsmerkmal der in § 311 Abs. 2 BGB beschriebenen Fallgruppen kommt ferner ein geschäftlicher Kontakt, der die Fallgruppen der Vertragsanbahnung und Vertragsverhandlungen umfasst, in Betracht. bb) Der geschäftliche Kontakt in den Fallgruppen des § 311 Abs. 2 BGB Die Beschränkung der Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo unter dem Gesichtspunkt des geschäftlichen Kontakts war seit jeher ein Anliegen vieler Autoren – die Angst vor der immer wieder beschworenen „uferlosen“ Haftung allgegenwärtig. Daneben tritt die historische Anknüpfung der Haftung an die Vertragshaftung: zunächst im Wege der „Vorwirkung“ oder sogar eines eigenen Haftungsvertrages, später immerhin noch insoweit, als dass stets das Bekenntnis zur „Vertragsähnlichkeit“, „quasi-vertraglichen“ Natur oder geschäftlichem Kontakt zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung gehörte. Was sind aber die genauen 207 208 209 210

Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, B. III. 3. und V. 3. Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, B. III. 3. und V. 3. Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, C. II. 1. c) aa). Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, C. II. 1. c) bb).

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Anforderungen an einen geschäftlichen Kontakt, wie er von der überwiegenden Strömung in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung gefordert wird? Die Auseinandersetzung um den Anwendungsbereich des neuen § 311 Abs. 2 BGB hat gezeigt, dass die Auslegung als rechtsgeschäftlich oder als geschäftlich-unternehmerisch in Frage kommt. Für eine Auslegung als geschäftlich-unternehmerisch spricht, dass auf diesem Wege die Unterscheidung in zwei Stufen der Haftung gut begründet werden könnte. Dies ist zum einen die rein gesellschaftliche Ebene, auf der keiner der Beteiligten unternehmerisch haftet und daher allein deliktische Haftung möglich ist. Zum anderen die unternehmerische Ebene, auf der mindestens einer der Beteiligten unternehmerisch handelt und daher – so könnte argumentiert werden – die erhöhte Haftung als gerechtfertigt erscheint. Dagegen spricht allerdings, dass eine Unterscheidung in unternehmerisches und privates Handeln als Grundlage für die Entscheidung über das „Ja“ oder „Nein“ der Haftung unserem Recht in diesem Maße fremd ist. Für eine Auslegung als rechtsgeschäftlich finden sich dagegen weder Anhaltspunkte im BGB außerhalb des § 311 BGB selbst, noch in den Interessenlagen der Beteiligten. Zuzugeben ist allerdings, dass der Wortlaut von §§ 311 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 S. 1 BGB eine Auslegung als rechtsgeschäftlich impliziert. Zum einen wird in § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB von der Eröffnung der Einwirkungsmöglichkeit im Hinblick auf eine rechtsgeschäftliche Beziehung gesprochen, zum anderen legt ein Umkehrschluss aus § 311 Abs. 3 S. 1 BGB nahe, dass im Abs. 2 der Vorschrift zunächst nur potentielle Vertragspartner erfasst werden sollen.211 Die Kommission Leistungstörungsrecht wollte – soviel ist bekannt – daran festhalten, dass ein „rechtsgeschäftlicher Kontakt“ Tatbestandsvoraussetzung ist.212 Zuvorderst sollte aber klargestellt werden, dass die Haftungsbeschränkung, die Befürworter eines Anwendungsbereichs nur im Bereich rechtsgeschäftlicher Kontakte herbeiführen wollen, durch eine Auslegung von „geschäftlich“ als rechtsgeschäftlich nicht gewährleistet wird. Auch im gesellschaftlichen (nicht-unternehmerischen) Bereich werden laufend Verträge geschlossen. Im Ausgangsfall 7 etwa werden – bei wirklich genauer Betrachtung – laufend Verträge im Sinne einer Rechtsgrundabrede über die erhaltenen und verzehrten Lebensmittel bzw. die ausgetauschten Gastgeschenke abgeschlossen.213 Hat der Gastgeber dem Gast Wein über das Jackett gegossen und verzichtet dieser die Reinigungskosten geltend zu machen, so kann ein stillschweigender Erlassvertrag vorliegen. Ein ebensolcher kann vorliegen, wenn ein Gast aus Ungeschicklichkeit eine Vase im Haus des Gast211 Die verschiedenen Stellungnahmen in der Literatur, etwa von Canaris, die Fälle der Schutzwirkung Dritter nach klassischem Verständnis (zumindest auch) in § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB verorten wollen, zeigen aber deutlich, wie unklar auch das ist. Vgl. zu den Stellungnahmen oben unter 2. Teil, C. II. 1. b) – d). 212 Vgl. Canaris, Schuldrechtsreform 2002, S. XIX. 213 Vgl. dazu schon oben unter 2. Teil, B. III. 3. und V. 3.

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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gebers zerbricht und dieser zur Erhaltung der freundschaftlichen Beziehung mit dem Gast einen „Verzicht“ auf Schadensersatzansprüche vereinbart.214 Mit anderen Worten: Auch im privaten Bereich sind wir laufend von Verträgen umgeben. Es erscheint fast unmöglich, den in diesem Sinne laufend beschworenen (rein) sozialen Kontakt zu finden. Die Beschränkung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB auf rechtsgeschäftliche Kontakte ist bereits aus diesem Grund nicht sinnvoll. Hinzukommt, dass das BGB den Begriff des „Geschäfts“ nicht in einem auf Rechtsgeschäfte beschränkten Sinn gebraucht. Der im Recht der Geschäftsbesorgungen ebenso wie bei der Geschäftsführung ohne Auftrag verwendete Begriff des Geschäfts umfasst rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche ebenso wie tatsächliche Handlungen.215 Es ist in diesem Zusammenhang offenbarend, dass nur in wenigen Fällen überhaupt der Versuch gemacht wurde, die Abgrenzung der Haftung auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen geschäftlichen und sozialen Kontakten zu rechtfertigen. Larenz hat versucht, die Unterscheidung mit dem geschäftlichen Interesse des Geschäftsinhabers zu rechtfertigen.216 Zur Legitimation bemüht er das Rechtsempfinden.217 Im Übrigen folge auch aus § 278 BGB nur eine Verantwortlichkeit für den Geschäftsbereich.218 Die Argumentation kann insgesamt nicht überzeugen. Damit sagt er nicht mehr als: Die Haftung im geschäftlichen Kontakt ist erwünscht und deswegen auch gerechtfertigt. Auch der Verweis auf § 278 BGB überzeugt nicht. Dieser ist eben auch außerhalb des rechtsgeschäftlichen Kontexts in gesetzlichen Schuldverhältnissen anwendbar und enthält keine Beschränkung auf den Geschäftspartner, sondern eben nur auf die Haftung gegenüber den anderen Beteiligten innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses.219 Als anderer großer Erklärungsversuch steht die Aussage von Frotz, an die u. a. Canaris angeknüpft hat, im Raum, nach der es sich bei der Haftung um das Korrelat der privatautonomen Vertragsgestaltungsfreiheit handle.220 Auch dieses Argument greift nicht. Letztlich spricht diese Argumentation dafür, „Handeln im rechtsgeschäftlichen Verkehr“ überhaupt mit Pflichten zur Rücksichtnahme zu belegen. Die Formulierungen bei Canaris scheinen das auch immer wieder in der Konsequenz nahezulegen. Im rechtsgeschäftlichen Verkehr bewegen wir uns aber tagtäglich. Eine Handlung außerhalb des rechtsgeschäftlichen Verkehrs ist faktisch 214 Ob ein Erlassvertrag bzw. ein negatives Schuldanerkenntnis i. S. d. § 397 BGB vorliegt oder nur ein Fall der „tatsächlichen Resignation“, ist eine Frage des Einzelfalls. Vgl. aus der Rechtsprechung OLG Nürnberg, VersR 1964, S. 1156 ff.; OLG Bamberg, VersR 1969, S. 1012 ff. 215 Vgl. etwa Palandt-Heinrichs, § 662, Rdnr. 6. 216 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. IV.; ähnlich auch Sticht, S. 33 ff. 217 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. IV. 1. 218 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. IV. 1. 219 Vgl. etwa Palandt-Heinrichs, § 278, Rdnr. 2; aber auch schon Diers, S. 45 f.; Baumert, S. 33 gegen die Argumentation von Larenz. 220 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, D. I.

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kaum vorstellbar. Nahezu jede soziale Beziehung ist geprägt von Verträgen und Vereinbarungen, auch wenn das in der rechtswissenschaftlichen Diskussion kaum hervorgehoben wird. Die Begründung eines Schuldverhältnisses im Einzelfall, kann eine solche Argumentation daher nicht leisten. Dennoch zeigt das Argument einen ernst zu nehmenden Gesichtspunkt der Legitimation des Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit überhaupt. In diesem Zusammenhang ist es offenbarend, wenn die gleichen Vertreter, die einen geschäftlichen Kontakt für das Schuldverhältnis fordern, Gefälligkeitsverhältnisse mit rechtsgeschäftlichem Charakter in den Anwendungsbereich von § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB miteinbeziehen wollen.221 In diesen Fällen einen rechtsgeschäftlichen Kontakt zu sehen, erscheint konstruiert.222 Dass die Vertreter einer Lehre vom geschäftlichen Kontakt die Fälle dennoch mit einbeziehen wollen, zeigt, wie unergiebig die Heranziehung eines geschäftlichen Kontakts ist. Von den Befürwortern eines Rechtskreisöffnungsansatzes hat Krebs Gefälligkeitsverhältnisse unter zwei funktionalen Erwägungen nicht in sein Konzept der Sonderverbindung miteinbeziehen wollen. Zum einen führt er aus, dass von den Beteiligten gerade keine „Verrechtlichung“ gewollt sei.223 Zum anderen nimmt er an, dass – jedenfalls in der Regel – außerrechtliche Selbstregulierungsmechanismen existieren, die rechtliches Eingreifen überflüssig machen. Diese Argumente überzeugen nicht: Die von Krebs befürchtete Verrechtlichung wird durch die Feststellung, ob ein Schuldverhältnis vorliegt oder nicht, kaum berührt. Gesetze und Vorschriften sind stets anwendbar, unabhängig davon, ob die Beteiligten eine Verrechtlichung wünschen oder nicht. Die Möglichkeit deliktischer Ansprüche besteht in jedem Fall. Eine „Verrechtlichung“ liegt damit ohnehin vor und ist in unserer Gesellschaft selbstverständlich. Die Problematik, die Krebs im Blick hat, ist eine andere. Die Frage, ob ein Recht besteht und die Überlegung, ob dieses auch ausgeübt wird, sind scharf zu trennen. In innerfamiliären und freundschaftlichen Beziehungen, aber oftmals auch schon in langjährigen Geschäftsbeziehungen wird in einer Vielzahl von Situationen von der Geltendmachung von Ansprüchen abgesehen. Niemand wird deshalb die Existenz z. B. von vertraglichen Ansprüchen zwischen Familienmitgliedern oder auch Geschäftsfreunden in diesen Fällen in Frage stellen wollen. Beim Eintritt eines gewichtigen Schadens und dem möglichen Bruch in Familie und Freundschaft, werden dann im ein oder anderen Fall die Intentionen der Beteiligten hinsichtlich einer Verrechtlichung der Beziehung auch auf einmal überraschend divergieren. Auch die von Krebs angeführten Regulierungsmechanismen werden dann häufig nicht mehr im Takt funktionieren. Aus diesen Erwägungen heraus ist auch die Abgrenzung von Krebs abzulehnen. Vgl. dazu oben unter 2. Teil, C. II. 1. d). Hier handelt sich letztlich um den gleichen Vorwurf, der auch der Rechtsprechung zur Haftung aus Gefälligkeitsverhältnissen gemacht werden kann. Dazu unter 1. Teil, B. I. 3. 223 Vgl. dazu schon oben unter 1. Teil, F. II. 2. und III. 1. 221 222

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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Die beschreibende Untersuchung des dem Schuldverhältnis üblicherweise zugrunde liegenden Lebenssachverhalts hat ferner keine besonderen Risiken im rechtsgeschäftlichen oder geschäftlich-unternehmerischen Bereich aufdecken können.224 Vielmehr hat sich gezeigt, dass es die mit den erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten verbundenen Risiken sind, die zu einem Schaden führen. Insofern erscheint es fraglich, wie und in welchem Umfang der geschäftliche Kontakt notwendiges Merkmal des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses bleiben wird. Sofern die Begrenzung der Haftung gewollt ist, müsste der Begriff des geschäftlichen Kontakts als geschäftlich-unternehmerisch interpretiert werden. Eine Auslegung als rechtsgeschäftlich kann die von vielen offensichtlich herbeigesehnte Begrenzungswirkung aus den dargelegten Gründen nicht gewährleisten. Berücksichtigt werden sollte auch, dass die Angst vor einer Haftungsausweitung bei Ersetzung des Merkmals des geschäftlichen Kontakts durch das (alleinige) Merkmal einer Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung unberechtigt sein dürfte. Andernfalls müssten Staaten mit anderen Rechtssystemen, etwa einer deliktischen Generalklausel, erheblich weitgehendere Haftung erfahren als unser Rechtssystem. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Letztlich ist die in allen Rechtssystemen grob zu beantwortende Frage die, ob der Schädiger eine ihm obliegende Pflicht gegenüber dem Geschädigten verletzt hat. Das deutsche Recht bedient sich der feinsinnigen Unterscheidung zwischen Haftung in Schuldverhältnissen und Haftung außerhalb von im Verletzungszeitpunkt bestehenden Schuldverhältnissen. Andere Rechtssysteme konzentrieren sich eher auf die Frage, ob eine Pflicht besteht. Unser insoweit feineres System beantwortet letztlich dieselbe Frage.225 Eine strengere, exzessive Haftung, wie sie hierzulande für den Fall der Aufgabe des Kriteriums der geschäftlichen Haftung befürchtet wird, ist – mit Ausnahme des Strafschadensersatzes (punitive damages) auf der Rechtsfolgenseite226 – in anderen Staaten wohl nicht zu beobachten. Und das, obwohl die Unterscheidung zwischen geschäftlichen und sozialen Kontakten im Rahmen der anglo-amerikanischen negligence-Haftung nicht dieselbe Rolle spielt wie bei uns. Damit ist auch die Beschränkung des Rücksichtnahmeschuldverhältnisses auf geschäftliche Kontakte nur historisch überhaupt verständlich. Sofern man tatsächlich eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 311 Abs. 2 BGB weiterhin Darauf weist für den Bereich der Erhaltungspflichten auch Schmitz, S. 43 f., hin. Vgl. dazu insbesondere auch die rechtsvergleichende Untersuchung von Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 237 ff., der die großen Gemeinsamkeiten bei der Beurteilung von Fällen der Verletzung von Aufklärungspflichten im US-amerikanischen und deutschen Recht hervorhebt. Er betont zu Recht die erhebliche Annäherung zwischen Amerika und Kontinentaleuropa, die keine Rücksicht auf etwaige dogmatische Unterschiede in der Konstruktion der Haftung nimmt. Vgl. dazu auch mit Blick auf das englische Recht die Arbeit von Schneider, dort insbesondere die Anmerkungen auf S. 233 ff. und 22 f. 226 Auch die oft spürbare Angst vor punitive damages in der europäischen Gesellschaft und Rechtswissenschaft liegt meist im Grenzbereich zur urbanen Legende, vgl. Wenglorz / Ryan, RIW 2003, S. 598 ff. 224 225

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für wünschenswert hält, sollte der Begriff im Sinne eines geschäftlich-unternehmerischen Kontakts ausgelegt werden. Andernfalls hat er keinerlei Abgrenzungskraft. Überwiegende Argumente sprechen aber für die Aufgabe des Merkmals und die Konzentration auf die durch Rechtskreisöffnung entstandene Gemeinschaft der Beteiligten. Zum einen spricht der Wortlaut des § 311 Abs. 2 BGB nicht gegen die Aufgabe des Merkmals als notwendige Tatbestandsvoraussetzung. Zum anderen sind §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als offene Tatbestände konzipiert worden, so dass Schuldverhältnisse durch nicht-geschäftliche Kontakte durch das „auch“ im Wortlaut gedeckt wären. Damit ist für die vorliegende Untersuchung festzuhalten, dass nach der Analyse der in § 311 Abs. 2 BGB niedergelegten Fallgruppen und der beschreibenden Analyse der Fallgruppen als Tatbestandsvoraussetzung allein die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung feststeht.

2. Der Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung charakterisiert durch die Fallgruppe des § 311 Abs. 3 BGB Der weitere Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung, so wie er durch die zusätzlichen Fallgruppen des § 311 Abs. 3 BGB charakterisiert wird, soll nachfolgend zunächst allein auf Grundlage des Diskussionsstandes in der Wissenschaft dargestellt werden [a)]. Anschließend folgt eine kurze Zusammenfassung, einschließlich einer Würdigung von Diskussionsstand und Wortlaut für die vorliegende Untersuchung [b)]. Unter (3.) schließt sich eine Gesamtzusammenfassung hinsichtlich des Tatbestandes auf der Grundlage des Wortlauts der Vorschrift an. a) Der Anwendungsbereich von § 311 Abs. 3 BGB: Der aktuelle Diskussionsstand In § 311 Abs. 3 S. 1 BGB hat der Gesetzgeber in Ergänzung der Regelung in § 311 Abs. 2 BGB nur festgestellt, dass ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch zu Personen entstehen kann, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Vereinzelt wird behauptet, dass mit dem „Kann“ ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis für derartige Schuldverhältnisse formuliert worden sei.227 Das Schuldverhältnis entsteht – ausweislich des S. 2 der Vorschrift – insbesondere bei der Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße und der erheblichen Beeinflussung der Vertragsverhandlungen oder des Vertragsschlusses. Unter den Kommentatoren herrscht hinsichtlich § 311 Abs. 3 BGB Einigkeit, dass die Vorschrift keinen abschließenden Charakter hat.228 Die Regelung in § 311 227

Vgl. AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 102.

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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Abs. 3 S. 2 BGB wird auf Grund des Worts „insbesondere“ als nur beispielhaft kodifizierte Fallgruppe der Entstehung eines Schuldverhältnisses zu Personen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen, gesehen.229 Bei der Formulierung der Vorschrift standen den Verfassern die Fälle der Eigenhaftung von Vertretern und Verhandlungsgehilfen Pate. Die Regelung ist anhand der von der Rechtsprechung formulierten Voraussetzungen für die Entstehung eines Schuldverhältnisses in diesen Fällen konzipiert worden.230 Nach der Debatte in der Rechtswissenschaft stellt S. 2 zwei Voraussetzungen auf. Zunächst müsse der Dritte, nicht am Vertrag Beteiligte, in seiner Person Gewähr für das ordnungsgemäße Zustandekommen und die Durchführung des Vertrages übernehmen.231 Teilweise wird hervorgehoben, dass es darauf ankommt, dass er „für sich“ und nicht für einen potentiellen Vertragspartner Vertrauen in Anspruch nimmt, also eine eigenständige Position einnehmen muss, die indes kein „persönliches Vertrauen“ im Sinne einer personalen Intensität darstellen soll.232 Die geforderte Vertrauensqualität ist von Koch mit Blick auf die Fälle der Sachverständigenhaftung als Vertrauensstellung, die eine parteigleiche Vertrauenswürdigkeit begründet, umschrieben worden.233 In diesem Zusammenhang wird unterstrichen, dass es sich um ein „besonderes Vertrauen“ handle, das dem Begriff des „persönlichen Vertrauens“ entspreche, den der BGH entwickelt habe.234 Vereinzelt wird betont, dass es sich um einen normativen Vertrauensbegriff handle.235 Dieses müsse, so wird teilweise gefordert, auch rechtgeschäftlicher Natur sein, da es sich beim Schuldverhältnis der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB um ein Schuldverhältnis aus rechtsgeschäftlichem Kontakt handle.236 Zweites Merkmal der Vorschrift ist nach der Debatte in der Literatur, dass die Vertragsverhandlungen bzw. der Vertragsschluss erheblich durch die Gewährübernahme beeinflusst worden seien.237 Im Regelfall sei aber davon auszugehen, dass dieses Kausalitätserfordernis erfüllt ist.238 Einige Autoren nehmen sogar eine Beweislastumkehr zu Lasten des in Anspruch Genommenen an.239 228 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 114; Palandt-Grüneberg, § 311, Rdnr. 60; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 201; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 47. 229 Vgl. etwa Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 10; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 202; Eckebrecht, MDR 2002, S. 425, 428. 230 Vgl. Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 47; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 201 ff. 231 Vgl. Henssler / von Westphalen-Muthers, § 311, Rdnr. 26; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 205. 232 Vgl. Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 48; Henssler / von Westphalen-Muthers, § 311, Rdnr. 26; Emmerich, § 7, Rdnr. 82. 233 Vgl. Koch, AcP 204 (2004), S. 59, 78. 234 Vgl. Petersen, Rdnr. 86. 235 Vgl. Koch, AcP 204 (2004), S. 59, 78. 236 Vgl. Koch, AcP 204 (2004), S. 59, 75. 237 Vgl. MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 205.

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Neben dieser exemplarisch erfassten Fallgruppe ziehen einzelne Autoren aber auch in Erwägung, Abs. 3 auf andere Fallgruppen anzuwenden.240 Insoweit sei die bisherige Rechtsprechung zu berücksichtigen. Zu denken wäre also an die als Fortbildung der Eigenhaftung der Vertreter und Verhandlungsgehilfen entwickelte Sachwalterhaftung241, aber auch an die Haftung der Gesellschaftergeschäftsführer bzw. generell die Haftung auf Grund des unmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninteresses bzw. des Felds der Berufshaftung insgesamt.242 Unter diesem Gesichtspunkt versuchen einige Autoren – allen voran Canaris – auch die Fälle der Haftung von Sachverständigen gegenüber Dritten, zu denen keine vertragliche Beziehung besteht, insgesamt als Fall des § 311 Abs. 3 BGB zu etablieren und nicht mehr als einen Fall des Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu behandeln.243 Die Möglichkeit, die bisher teilweise über die Konstruktion eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erfassten Fälle als Fall des § 311 Abs. 3 BGB zu fassen, sollte nach dem Willen der Verfasser der Gesetzesbegründung mit der Vorschrift auch aufgezeigt werden.244 Von einigen Stimmen in der Literatur wird § 311 Abs. 3 S. 1 BGB auch als gesetzliche Grundlage für die Fälle der Schutzwirkung zugunsten Dritter im vorvertraglichen Stadium245 oder sogar als Grundlage für die Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter insgesamt gesehen. Der in der Rechtsprechung entwickelte Voraussetzungskatalog solle aber beibehalten werden.246 Andere verneinen eben dies.247 Zuletzt wollen einige Autoren auch die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung als Fall des § 311 Abs. 3 BGB ansehen.248 238 Vgl. jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 67; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 24; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 205; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 50. 239 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 117; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 47; Looschelders, Rdnr. 215. 240 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 114; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 206. 241 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. VII. 1. 242 Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 118 ff.; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 50 f.; Petersen, Rdnr. 89; MünchKomm-Emmerich, § 311, Rdnr. 208 ff.; hinsichtlich der Fallgruppe des wirtschaftlichen Eigeninteresses wird allerdings auch vertreten, diese als Anwendungsfall des § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB anzusehen, vgl. in diesem Sinne jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 40 und 64; Lorenz / Riehm, Rdnr. 376. 243 Vgl. Canaris, JZ 2001, S. 499, 520; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 27; Looschelders, Rdnr. 218 ff.; Henssler / von Westphalen-Muthers, § 311, Rdnr. 26; Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 11. 244 Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 163. 245 Vgl. etwa KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 25 ff.; Henssler / von WestphalenMuthers, § 311, Rdnr. 23. 246 Vgl. Canaris, JZ 2001, S. 499, 520; Schwab / Witt, S. 147 f.; Ehmann / Sutschet, S. 157 f.; Huber / Faust, S. 71; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 26; Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 13; Emmerich, § 7, Rdnr. 78; Eckebrecht, MDR 2002, S. 425, 428. 247 Vgl. so wohl Sutschet, FS Ehmann, S. 95 ff.; Teichmann, BB 2001, S. 1485, 1492; Finn, ZGS 2003, S, 189, 190; Schumacher / Lada, ZGS 2002, S. 451, 454.

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Im Übrigen sei die Vorschrift aber völlig offen für Fortentwicklungen.249 Umstritten ist in der Literatur dann auch, ob andere, nicht in Abs. 3 explizit erfasste Konstellationen mit den Fällen des S. 2 vergleichbar sein müssen.250

b) Die klarstellende Funktion des § 311 Abs. 3 BGB Bei der Lektüre des Wortlauts von § 311 Abs. 3 BGB wird erneut deutlich, dass die Vorschrift ohne Wissen um die historische Entwicklung der Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo kaum verständlich ist. Die Debatte in der Literatur zeigt, dass der Wortlaut keinen Tatbestand vorgibt, der eine Eingrenzung des Anwendungsbereichs ermöglicht. In § 311 Abs. 3 S. 1 BGB hat der Gesetzgeber festgestellt, dass Rücksichtnahmeschuldverhältnisse für ihre Beteiligten keineswegs die Beteiligtenstellung in einem – möglicherweise – ins Auge gefassten Vertrag voraussetzen. In S. 2 der Vorschrift wird weiter auf die Fallgruppe der Haftung von Vertretern, Verhandlungsgehilfen und sog. Sachwaltern Bezug genommen. Der Gesetzgeber beabsichtigte, einen Tatbestand zu bilden, der sich aus den beiden Tatbestandsvoraussetzungen der Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße und der erheblichen Beeinflussung der Vertragsverhandlungen bzw. des Vertragsschlusses zusammensetzt. Die Probleme einer Umschreibung von Fällen und Formeln der Rechtsprechung – gewissermaßen als Tatbestandsersatz – treten offen zur Tage. Die Diskussion in der Rechtswissenschaft ist dafür ein eindrucksvolles Zeugnis. Sinn lässt sich der Vorschrift geben, wenn bei der Anwendung nicht zu sehr am Wortlaut gehaftet wird. Die Klarstellung, dass Schuldverhältnisse mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB unabhängig von einer potentiellen Beteiligtenstellung in einem Vertrag entstehen können, ist ohne weiteres begrüßenswert, ergibt aber allein keinen Tatbestand. So stellt sich die Frage, ob § 311 Abs. 3 BGB überhaupt einen eigenen Entstehungstatbestand eines Schuldverhältnisses mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB darstellt. Wäre dies der Fall, müsste die Vorschrift auch eigene Voraussetzungen aufstellen. Das ist nicht ersichtlich. S. 1 hat also lediglich klarstellenden Charakter und verdeutlicht, dass eine Beteiligtenstellung an einem auch nur potentiellen Vertrag keine Bedingung für die Entstehung eines Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB ist. 248 Vgl. Hk-BGB-Schulze, § 311, Rdnr. 22; Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 52; Petersen, Rdnr. 89; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 48. 249 Vgl. etwa Erman-J. Kindl, § 311, Rdnr. 47; Huber / Faust, S. 71 f. „exemplarisch“; Medicus, Rdnr. 111 „Regelbeispiel“; AnwKomm-Krebs, § 311, Rdnr. 48 „beispielhaft“; jurisPK-BGB-Lapp, § 311, Rdnr. 63; Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 10. 250 Dagegen Schimmel / Buhlmann-Blenske, Kap. C, Rdnr. 55; anders wohl Lorenz / Riehm, Rdnr. 376, wenn diese die Inanspruchnahme von Vertrauen in besonderem Maße auch für S. 1 fordern; ähnlich auch Sutschet, FS Ehmann, S. 95, 115.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Denkbar wäre dann, dass die in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB umschriebene Fallgruppe des Schuldverhältnisses zusätzliche eigene Tatbestandsvoraussetzungen aufstellt. Das ist aber nicht der Fall. Wie schon in § 311 Abs. 2 BGB bedient sich der Gesetzgeber einer Fallgruppe der Rechtsprechung und umschreibt diese: Auch nach den verschiedenen Stellungnahmen in der Literatur geht es letztlich darum, dass es zur Entstehung des Schuldverhältnisses ausreichen soll, wenn eine nicht am Vertrag beteiligte Person, die Möglichkeit zur Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit (mindestens) einer Partei wie in parteigleicher Weise erhalten hat und dies auch den Prozess der Vertragsverhandlungen beeinflusst hat. In verklausulierter Form ist also umschrieben, dass eine Einwirkungsmöglichkeit auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit einer nicht am Vertrag beteiligten Person eingeräumt wurde. Hier handelt es sich – einmal mehr – um die Umschreibung einer Rechtskreisöffnung, in diesem Fall mit sachlichem Bezug auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und personalem Bezug zu einer nicht am Vertrag beteiligten Person. Dem steht nicht entgegen, dass in der Vorschrift von der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen die Rede ist. Es handelt sich – wie die Stellungnahmen aus der Rechtswissenschaft in beeindruckender Weise zeigen251 –, nur um die Umschreibung der „parteigleichen Vertrauenswürdigkeit“; um ein „normatives Vertrauen“, das eine „Gewährsübernahme“ für das Zustandekommen und die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages in sich tragen müsse. Es geht also letztlich nur um die Möglichkeit der Einflussnahme auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des anderen Teils. Die Möglichkeit der Einflussnahme wäre ohne eine parteigleiche Stellung neben der eigentlichen Partei nicht gegeben. Die Verwendung des Vertrauensbegriffs in der Vorschrift ist zu bedauern, zeigen die Stellungnahmen aus der Literatur doch einmal mehr, wie unklar die Bedeutung und Verwendung von Vertrauen ist. Damit sind die gravierenden Bedenken gegen die Verwendung von Vertrauen zur Begründung einer Haftung im Anwendungsbereich der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB noch nicht einmal angesprochen. Wäre die von vielen Autoren und in dieser Untersuchung vorgetragene Kritik berücksichtigt worden und hätte der Gesetzgeber auf die Verwendung der Formulierung verzichtet, wären die Chancen für eine klar formulierte Vorschrift sicher deutlich höher gewesen. Mit dem Wortlaut der Vorschrift muss der Rechtsanwender nun wohl oder übel leben: Vertrauen ist im hier dargelegten Sinne als Möglichkeit der Einflussnahme auf die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des anderen Teils im Sinne einer parteigleichen Stellung zu lesen.252 Auch § 311 Abs. 3 BGB baut allein auf das Tatbestandsmerkmal der (Gemeinschaft durch) Rechtskreisöffnung auf. Vgl. dazu schon oben unter 2. Teil, C. II. 2. a). Vgl. dazu auch die interessanten Äußerungen von Canaris in anderem Zusammenhang in JZ 1998, S. 603, 605. Canaris unterstreicht mit Blick auf Fälle der Sachverständigenhaftung, dass die Einwirkungsmöglichkeit des von der Gegenpartei beauftragten Sachverständigen auf die geschädigte Partei das maßgebliche Wertungskriterium sei. Auch Canaris’ Unter251 252

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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3. Zusammenfassung: Die Widerspiegelung des Tatbestandes des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in der generalklauselartigen Umschreibung der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Die Untersuchung der generalklauselartigen Vorschriften in den §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB hat bestätigt, dass die durch eine Rechtskreisöffnung geschaffenen (erhöhten) Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils den wesentlichen Moment des Entstehungstatbestands ausmachen. § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB, der von einer Vielzahl von Autoren als Grundtatbestand gesehen wird, umschreibt die Rechtskreisöffnung anschaulich im Wortlaut. Soweit das nicht direkt bei den einzelnen umschreibenden Vorschriften zum Ausdruck kommt, ergibt sich dies aus dem in den Vorschriften umschriebenen Sachverhalt mittelbar. Auf Grund der identischen Rechtsfolge können die Fallgruppen nur gemeinsam sinnvoll betrachtet werden. Element aller Fallgruppen ist die willentlich geschaffene Einwirkungsmöglichkeit gegenüber dem anderen Teil (Rechtskreisöffnung). Nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen ist dabei der bereits näher beschriebene gegenseitige Charakter der Rechtskreisöffnung. Nur diese Gegenseitigkeit ist letztlich gemeinschaftsstiftend. Ein Grund mag darin liegen, dass kein Fall der Fallgruppen vorstellbar ist, in dem die Rechtskreisöffnung einseitig bleibt. Das in der Literatur diskutierte Beispiel einer Begründung des Schuldverhältnisses durch einseitige Werbung, konnte sich daher zu Recht nicht durchsetzen. Gezeigt hat sich auch, dass dem Wortlaut – neben dem Gedanken der willentlich geschaffenen Einwirkungsmöglichkeit zwischen den Beteiligten – Indizien für die oft geforderte zweite Tatbestandsvoraussetzung des geschäftlichen Kontakts zu entnehmen sind. Der Wortlaut von §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB legt auf den ersten Blick die Auslegung nahe, dass die Rechtskreisöffnung in einem rechtsgeschäftlichen Zusammenhang, im Rahmen eines rechtsgeschäftlichen Kontaktes, erfolgen müsse. Ein geschäftlicher Kontakt im Sinne der Vorschrift soll also ein rechtsgeschäftlicher Kontakt sein. Dem BGB insgesamt lässt sich hingegen eine solche Bedeutung des Begriffs „Geschäft“ oder „geschäftlich“ nicht entnehmen. Vielmehr enthält die Verwendung der Begriffe im BGB weder eine Beschränkung auf rechtsgeschäftliches noch auf geschäftlich-unternehmerisches Handeln. Eine Beschränkung des Anwendungsbereiches der Vorschrift mittels eines „rechtsgeschäftlichen Kontakts“ würde zudem den Begrenzungsbemühungen der suchung der besonderen Vertrauensstellung unter Tatherrschafts- und Teilnahmegesichtspunkten stellt wiederholt auf die tatsächliche Beeinflussung als maßgeblich ab. Vgl. Canaris, FS Giger, S. 91, 104 und 109. In frühen Schriften hat Canaris dagegen deutlich die Funktion von persönlichem Vertrauen als haftungsbegründend unterstrichen. Siehe dazu etwa Canaris, VersR 1965, S. 114, 118.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Anhänger der Lehre vom geschäftlichen Kontakt253 kaum Genüge tun. Da unsere Lebensumgebung nahezu vollständig von Verträgen durchsetzt ist, wäre der Begrenzungserfolg gering. Darüber hinaus ist es den Vertretern der Lehre vom geschäftlichen Kontakt bis heute nicht gelungen darzulegen, warum die Beschränkung auf den Bereich von rechtsgeschäftlichem Kontakt erfolgen soll. Die Unterscheidung ist letztlich nicht argumentativ nachzuvollziehen und allein aus der Historie der Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo verständlich. Sinnvoll wäre eher eine Auslegung im Sinne eines geschäftlich-unternehmerischen Kontaktes. Die Gegenüberstellung mit rein privaten Kontakten ermöglicht es, einen qualitativen Unterschied in der Haftung nachvollziehbar zu begründen. Eine ähnliche Unterscheidung in der Bewertung wird auch zwischen kaufmännischem und nicht-kaufmännischem Verkehr sowie zwischen Verbraucherverträgen und anderen Verträgen gezogen. Eine Unterscheidung derart, dass allein die Frage, ob sich die Handlung im geschäftlich-unternehmerischen Bereich oder im privaten Bereich abgespielt hat, entscheidend ist, wäre allerdings ein völliges Novum für das Zivilrecht. Eine Auslegung im Sinne der Entstehung eines Schuldverhältnisses nur im geschäftlich-unternehmerischen Bereich, findet im Übrigen auch im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Im Ergebnis steht fest, dass die von der herrschenden Strömung angenommene Beschränkung des Entstehungstatbestandes durch Hinzufügen des Merkmals „rechtsgeschäftlicher Kontakt“ weder überzeugend begründet wurde noch den verfolgten Zweck erreichen kann. Die Auslegung als geschäftlich-unternehmerisch wäre wohl begründbar und könnte auch den Zweck einer Haftungsbegrenzung erreichen, findet aber im System des BGB keine Stütze. Im Ergebnis ist daher das von der überwiegenden Mehrzahl in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung geforderte zweite Element des Entstehungstatbestandes – der geschäftliche Kontakt – abzulehnen. Dies ist auch durch den Wortlaut der Vorschrift gedeckt: Der generalklauselartige, in den Fallgruppen umschriebene Anwendungsbereich stellt ausweislich des Wortes „auch“, nur Beispiele eines Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB dar.254 Dass die Beispielsfallgruppen so gewählt wurden, wie sie uns in der Vorschrift gegenüberstehen, lässt sich allein aus der historischen Entwicklung der Vorschrift verstehen. Gleiches gilt für die Umschreibung des geschäftlichen Kontakts. Die Verfasser der Gesetzesbegründung wollten sich bewusst auf einige Merkzettel beschränken und die weitere Entwicklung nicht behindern.255 Die Fallgruppenumschreibung ist also nicht abschließend und kann daher ohne weiteres auch Fälle des nicht-geschäftlichen Kontakts tatbestandlich erfassen.256 Vgl. dazu bereits oben unter 1. Teil, C. IV. Anders wohl nur Krebber, VersR 2004, S. 150, 156 f., unter der „üblichen“ Berufung auf die notwendige Begrenzung der Haftung. Siehe dagegen Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 179, der unterstreicht, dass eine Festschreibung der Fallgruppen nur „andeutungsweise“ vorliegt und die notwendige Offenheit erhalten werden sollte. 255 Vgl. BT-Drucks. 14 / 6040, S. 162. 253 254

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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Dem Wortlaut der Vorschrift ist auch keine Entscheidung zugunsten einer wie auch immer gearteten Lehre von der Vertrauenshaftung zu entnehmen.257 Als Ansatzpunkt können weder das „Anvertrauen“ in § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB, noch die „Inanspruchnahme besonderen Vertrauens“ in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB dienen. Bei ersterem besteht zu Recht Einigkeit darüber, dass dem Begriff des „Anvertrauens“ in § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB keine selbstständige Bedeutung zugesprochen werden sollte und diese nur eine sprachliche „hommage“ an Canaris darstellt. Zudem bleibt zu berücksichtigen, dass es sich bei einem „Anvertrauen“ im Sinne von Canaris nur um einen aufgezwungenen Zusammenhang zu einer Vertrauenshaftung handelt, der nicht nachvollziehbar zu begründen ist. Die Vertrauensbezugnahme in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB ist bei verständiger Auslegung, nicht als Vertrauenserfordernis zu lesen.258 Sogar bei Unterstellung einer Aussage zugunsten einer Vertrauenshaftung für die in § 311 Abs. 3 S. 2 BGB genannte Fallgruppe, würde sich keine Änderung der Gesamtbetrachtung ergeben. Letztlich handelt es sich um eine einzige Fallgruppe innerhalb einer Vorschrift, die verdeutlicht, dass eine Beschränkung des Anwendungsbereichs nicht gewollt ist. Eine Entscheidung zugunsten einer Vertrauenshaftung kann daher aus dem Wortlaut nicht gefolgert werden.259 Die Untersuchung des Wortlauts von §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB bestätigt daher das bereits in der beschreibenden Analyse der klassischen Fallgruppen des Schuldverhältnisses in der Fallgruppe der „culpa in contrahendo“ gefundene Ergebnis: Der Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses ist allein in der willentlichen Rechtskreisöffnung im Sinne der Schaffung von erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen für den anderen Beteiligten und der Akzeptanz der Einwirkungsmöglichkeiten durch diesen zu sehen. Die so geschaffene Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung ist der Anknüpfungspunkt für die Entstehung des Schuldverhältnisses i.w.S. nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Dass die Rechtskreisöffnung eine erhebliche Rolle für die Entstehung des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB spielt, wird und wurde in der Literatur immer wieder erkannt, allen voran von Heinrich Stoll, der die Einwirkungsmöglichkeit für ein entscheidendes Merkmal des Schuldverhältnisses in den Fällen der „culpa in contrahendo“ hielt.260 Möglicherweise hat nur die unglück256 257

Ähnlich Reischl, JuS 2003, S. 40, 43. So aber Huber / Faust, S. 70; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 9, 11; Lang / Welter,

S. 44. Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, C. II. 2. b). Vgl. zur Ablehnung der Vertrauenshaftung insgesamt aus dogmatischen Gründen schon oben unter 1. Teil, C. VIII. 260 Vgl. zu Lehre Heinrich Stolls schon oben unter 1. Teil, C. I.; siehe im Übrigen die Bezugnahmen auf eine Rechtskreisöffnung (teilweise wird der Rechtskreis dabei als Rechtsoder Interessensphäre bezeichnet) bei Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 204 f.; Martel, S. 35 und 38; Emmerich, § 6, Rdnr. 17; Erman, AcP 139 (1934), S. 273, 321; Westermann / Bydlinski / Weber, 11 / 13; KompaktKom-Hirse, § 311, Rdnr. 9; deutlich auch Erman-H.P. Wester258 259

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

liche Vermengung mit Kriterien der Vertrauenshaftung einerseits und der Lehre vom geschäftlichen Kontakt andererseits dazu geführt, dass die Bedeutung der Rechtskreisöffnung für den Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses nicht präzise herausgearbeitet werden konnte. Die Möglichkeit, sich gegen diese Vermengung zu entscheiden, besteht nun trotz der unglücklich formulierten Vorschrift der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Kriterien für eine Annäherung an ein präziseres Verständnis des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung wurden in diesem und dem vorhergehenden Kapitel vorgestellt. Die Kodifizierung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung ist in ihrer Form für das BGB ein Novum. Ein klarer Tatbestand wurde nicht geschaffen.261 Durch die Umschreibung der verschiedenen – teilweise aus der Rechtsprechung bekannten – Fallgruppen wird ein Tatbestand nur generalklauselartig umschrieben.262 Eine derart lose Beschreibung von Fällen und Fallgruppen als Kodifikation hat es bisher noch nicht gegeben. Der hervorscheinende Rechtssatz, dass die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB hervorbringt, ist durch die nebulöse Formulierung des Tatbestandes verdeckt.263 Subsumtionsfähig ist die Vorschrift daher aus sich heraus nicht.264 Allein soweit man die bekannten Fallgruppen verinnerlicht und den zugrunde liegenden Sachverhalt – eine Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung – bewusst macht, ist es möglich, einen fassbaren Tatbestand herauszuarbeiten. Das ist nur bei teilweiser Vernachlässigung der kryptisch formulierten Vorschrift möglich.

mann, § 241, Rdnr. 11; auch die Formulierung in Brox / Walker, AT, § 5, Rdnr. 6 lässt auf eine Berücksichtigung der Rechtskreisöffnung schließen. Vgl. auch die Bezugnahmen auf die ausschlaggebenden Einwirkungsmöglichkeiten bei Eike Schmidt, AcP 170 (1970), S. 502, 508; Weber, FS Giger, S. 740, 753. 261 Vgl. in diese Richtung auch Jan Schapp, JZ 2001, S. 583, 589, der von einem Verzicht auf praktikable Tatbestände spricht und die Anwendbarkeit der Vorschrift in Frage stellt. In diesem Sinne auch Dauner-Lieb / Dötsch, S. 23, die in der Vorschrift eine „völlig undifferenzierte Pauschalabsegnung“ sehen und aus diesem Grund einen „Zuwachs an operationalem Gehalt“ verneinen. 262 So auch Reischl, JuS 2003, S. 40, 43. 263 Vgl. dazu etwa auch die Kritik von Rieble, S. 137, 139, „inhaltsleere Generalklausel“; Dauner-Lieb-Lieb, § 3, Rdnr. 48 und 37, der von der „Lückenhaftigkeit bezüglich (fast) aller konkreten Tatbestandsmerkmale“ spricht und die Subsumtionsfähigkeit der „generalklauselartige[n] Umschreibung der in Betracht kommenden Konstellationen“ anzweifelt; Schumacher / Lada, ZGS 2002, S. 450, 453, „tatbestandliche Unbestimmtheit“. 264 Vgl. in diesem Sinne auch Rieble, S. 137.

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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III. Die Schutzgüter des Rechtskreises unter Berücksichtigung von § 241 Abs. 2 BGB Der Mindesttatbestand besteht also in der willentlichen Öffnung des Rechtskreises gegenüber dem anderen Beteiligten und der Akzeptanz dieser Öffnung. Die Öffnung bedeutet, wie in der vorliegenden Untersuchung festgestellt wurde, den teilweisen Verzicht auf Schutz der Rechte, Rechtsgüter und Interessen gegenüber dem anderen Beteiligten, mit der erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Steht damit der Tatbestand des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung auch angesichts der neuen Regelung fest, bleibt noch die Frage nach den geschützten Gütern des Rechtskreises zu klären. § 241 Abs. 2 BGB stellt fest, dass die Pflichten zur Rücksichtsnahme innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern und Interessen dienen. Damit ist inzident zugleich auch eine grundsätzliche Aussage über den Schutzbereich des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung getroffen. Die von § 241 Abs. 2 BGB und damit im Rechtskreis des Einzelnen erfassten Positionen, sollen im Folgenden als Schutzgut in Abgrenzung zu den absoluten Rechtsgütern und Rechten des § 823 Abs. 1 BGB bezeichnet werden. Klar ist zunächst, dass mit der Formulierung „Rechte und Rechtsgüter“ diejenigen des § 823 Abs. 1 BGB miteinbezogen sind.265 Der Anwendungsbereich ist aber nicht auf diesen Umfang beschränkt. Zunächst liegt den Pflichten zur Rücksichtnahme des § 241 Abs. 2 BGB keine Begrenzung auf absolute Rechte und Rechtsgüter zu Grunde. Daher können insbesondere auch relative Rechte, wie etwa Forderungen und Ansprüche, Schutzgut von Pflichten zur Rücksichtnahme sein. Hier ist der Rechtskreis indes abweichend konstruiert. Anders als bei den Rechten und Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB ist bei den relativen Rechten und anderen Vermögenspositionen die Grenze des Rechtskreises nicht völlig klar bestimmbar, ein gewisses Maß an Einflussnahme auch im Verkehr denkbar. Dennoch sind auch diese Positionen grundsätzlich gegenüber jedermann, wenn auch in beschränktem Umfang geschützt. Das zeigt sich z. B. anhand des Schutzes des eigenen Rufs oder von Forderungen im Strafrecht, der sich auch zivilrechtlich auswirkt. Das Vermögen „als solches“ soll sowohl nach der Auffassung der Gesetzesverfasser als auch der meisten Stellungnahmen aus der Rechtswissenschaft ein Schutzgut des § 241 Abs. 2 BGB sein.266

Vgl. Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 206. Vgl. Bamberger / Roth-Gehrlein / Grünberg, § 311, Rdnr. 42; Jauernig-Mansel, § 241, Rdnr. 10; Huber / Faust, S. 68; Hk-BGB-Schulze, § 241, Rdnr. 5; Brox / Walker, AT, § 25, Rdnr. 13; Looschelders, Rdnr. 190; Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 2046; jurisPK-BGBToussaint, § 241, Rdnr. 41. 265 266

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Auf Anregung von Canaris ist ferner auch das „Interesse“ des jeweils anderen Teils als Schutzgut in die Vorschrift mitaufgenommen worden.267 Im Blick war dabei die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit268, die von Canaris als über die „reinen Vermögensinteressen“ hinausgehend verstanden wird.269 Die Intention, die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit als Schutzgut des Schuldverhältnisses mit aufzunehmen, war dabei sicher auch von dem nicht vordergründig geführten Streit um den durch die Fallgruppe der culpa in contrahendo verfolgten Zweck geprägt. Der BGH nahm in der Vergangenheit stets an, dass Schutzgut der culpa in contrahendo vor allem (auch) das Vermögen ist.270 Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit sei dagegen vom Schutzzweck des § 123 BGB erfasst.271 Daraus folgerten die Richter, dass stets ein Vermögensschaden vorliegen müsse, um im Ergebnis eine Haftung nach der culpa in contrahendo bejahen zu können.272 Dieser lag nach Auffassung des BGH allerdings schon vor, wenn ein Vertrag nach der Verkehrsanschauung als unvernünftig und aus diesem Grund als nachteilig empfunden wurde.273 Aus den unterschiedlichen Schutzzwecken hat der BGH die Anspruchskonkurrenz zwischen der culpa in contrahendo und dem Institut der arglistigen Täuschung in den Fällen des nicht erwartungsgerechten Vertrages begründet.274 Die Literatur hat sich teilweise der Vorstellung des BGH angeschlossen.275 Von anderen Stimmen wurde dagegen das Erfordernis eines Vermögensschadens verneint, da der Schutzzweck der culpa in contrahendo auch die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit umfasse.276 Mit der Kodifikation des § 241 Abs. 2 BGB nimmt die wohl überwiegende Meinung nunmehr an, dass das Erfordernis des Vermögensschadens unerheblich geworden ist.277 Nur vereinzelt wird ausgeführt, dass die Norm zu der Frage nicht Vgl. Canaris, JZ 2001, S. 499, 519; Huber / Faust, S. 68. Vgl. Hk-BGB-Schulze, § 241, Rdnr. 5; Staudinger-Busche, Eckpfeiler, S. 206; jurisPKBGB-Toussaint, § 241, Rdnr. 41. 269 Vgl. Canaris, JZ 2001, S. 499, 519; so auch Bernd Mertens, AcP 203 (2003), S. 818, 847, der ausführt, dass auch nicht-vermögensrechtliche Interessen wie die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit geschützt seien. 270 Vgl. etwa BGH NJW 1998, S. 302, 304; BGH NJW 1998, S. 898; BGH NJW 2001, 436 ff. zweifelnd für Prospekthaftungsfälle. 271 Vgl. etwa BGH NJW 1979, S. 1983, 1984; NJW 1998, S. 302, 304. 272 Vgl. etwa BGH NJW 1998, S. 302, 304; BGH NJW 1998, S. 898. 273 Vgl. BGH NJW 1998, S. 302, 304; NJW-RR 2002, S. 308, 310. 274 Vgl. BGH NJW 1979, S. 1983, 1984; NJW 1998, S. 302, 304. 275 Vgl. etwa Paefgen, insbesondere S. 24 f., 87. 276 So mit Unterschieden im Einzelnen Canaris, AcP 200 (2000), S. 273, 304 ff.; Stephan Lorenz, ZIP 1998, S. 1053, 1055; Grigoleit, NJW 1999, S. 900, 901 f.; ders., Informationshaftung, insbesondere S. 66 ff.; Fleischer, AcP 200 (2000), S. 91, 108 ff., insbesondere S. 118. 267 268

C. Tatbestand des Schuldverhältnisses auf Basis der §§ 311 Abs. 2 und 3 BGB

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Stellung nehme und § 241 Abs. 2 BGB darüber hinaus auch innerhalb des vertraglichen Schuldverhältnisses Anwendung finde.278 Hier sei aber gerade kein Raum für einen Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit.279 Neben der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit, die scheinbar als Interesse, aber nicht als Vermögensinteresse verstanden wird, kommen auch andere Interessen als Schutzgut des § 241 Abs. 2 BGB in Frage. Als ein Fall des Interesses in diesem Sinne wird das Geheimhaltungsinteresse verstanden, soweit es nicht schon in den Anwendungsbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fällt.280 Bei dem Vermögen als solchem handelt es sich um einen unkonturierten Bereich, ein Konglomerat von Rechten und anderen geldwerten Positionen einer Person.281 Daher scheidet das Vermögen als Schutzgut von Pflichten zur Rücksichtnahme aus. Es überrascht daher auch nicht, dass neben der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit noch kein Schutzgut innerhalb des Vermögens in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung herausgearbeitet werden konnte.282 Die Vorstellung, dass Pflichten zur Rücksichtnahme auch das Vermögen „schützen“, ist aber insoweit richtig, als Vermögensschäden – also auf Rechtsfolgeseite – grundsätzlich im Rahmen eines Anspruchs wegen Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme ersatzfähig sein können. Nichts anderes gilt aber auch für das Deliktsrecht.283 Um zu einer Ersatzpflicht zu kommen, müsste allerdings erst einmal eine Pflicht zum Schutz eines klar konturierten Gutes verletzt werden. Innerhalb des Vermögens existieren konkrete, fassbare Positionen, wie etwa das Eigentum, aber auch Forderungen oder andere Ansprüche, die als solches Gegenstand von Pflichten zur Rücksichtnahme sein können. Schutzgut des § 241 Abs. 2 BGB sind neben den Rechten und Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB daher auch alle anderen relativen Rechte. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit ist ein von der Rechtsprechung herausgearbeitetes Schutzgut. Als Schutzgut könnte dann etwa auch die wirtschaftliche Wertschätzung i. S. d. § 824 BGB verstanden werden. Schur hat in diesem Zusammenhang mit Recht hervorgehoben, dass die Bestimmung dessen, was als konturiertes Schutzgut innerhalb des Vermögens fassbar 277 Vgl. AnwKomm-Krebs, § 241, Rdnr. 23; Lorenz / Riehm, Rdnr. 372; Bernd Mertens, AcP 203 (2003), S. 818, 847. 278 Vgl. Rieble, S. 137, 146. 279 Vgl. Rieble, S. 137, 146. 280 Vgl. AnwKomm-Krebs, § 241, Rdnr. 23. 281 Vgl. dazu auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 263 f.; Deutsch, Rdnr. 801 ff. 282 Vgl. aber die Überlegungen von Karin Messer, Dritthaftung, S. 144 ff. zur Einordnung von Anlegerinteressen im Rahmen von § 241 Abs. 2 BGB. 283 Vgl. dazu insbesondere Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 260 f., der klarstellt, dass natürlich auch im Deliktsrecht Vermögensschäden ersatzfähig sind. Hiervon zu unterscheiden ist die Tatsache, dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB bei einer reinen Vermögensverletzung ausgeschlossen ist. In diesem Sinne auch schon Leonhard, Verschulden, S. 32.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

ist, dem Wandel der Zeit unterliegt.284 Die Bestimmung der hinreichend konturierten Schutzgüter ist Aufgabe von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung in einem andauernden Prozess. Die Aufnahme von Interessen in den Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB sollte daher dahingehend verstanden werden, dass Schutzgüter des § 241 Abs. 2 BGB auch relative Rechte und andere rechtlich geschützte Positionen als Bestandteil des Vermögens sein können. Damit ist zugleich auch zum Ausdruck gebracht, dass der Schutzbereich der Pflichten nicht auf absolute Rechte und Rechtsgüter beschränkt ist.285 Der Rückschluss von den Schutzgütern des § 241 Abs. 2 BGB hat demnach entsprechend auszufallen: Der Inhalt des Rechtskreises, der Inhalt der rechtlich geschützten Vermögenspositionen insgesamt, unterliegt dem Wandel der Zeit. Klar ist insoweit, dass es sich um Vermögenspositionen handeln muss, d. h. hinreichend konturierte, rechtlich geschützte Positionen mit geldwertem Charakter. Nur eine auf diese bezogene Rechtskreisöffnung ist als Rechtskreisöffnung i. S. d. §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB anzusehen.

IV. Resümee: Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung als Tatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung Damit kann abschließend das Ergebnis dieses Abschnitts der Untersuchung wie folgt zusammengefasst werden. Der Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung, der sich schon in der beschreibenden Analyse des Lebenssachverhalts der klassischen Fallgruppen gezeigt hat, findet sich auch im Wortlaut der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Der notwendige Entstehungstatbestand eines Schuldverhältnisses kann daher zusammenfassend nachstehend beschrieben werden. Auf der ersten Stufe wird vorausgesetzt, dass ein Schutzgut dem Grunde nach gegenüber jedermann im Verkehr gegen Einwirkungen geschützt ist (Rechtskreis). Die Schutzgüter des Rechtskreises umfassen alle rechtlich anerkannten Vermögenspositionen, wobei diese hinreichend konturiert sein müssen. Auf einer zweiten Stufe wird willentlich eine erhöhte Einwirkungsmöglichkeit auf die Güter des Rechtskreises geschaffen und der Schutz gegenüber dem konkreten Beteiligten auf diesem Wege gemindert (Rechtskreisöffnung). Diese von einer Seite willentlich geschaffene Einwirkungsmöglichkeit, wird von dem anderen Beteiligten akzeptiert. Dies erfolgt in der Regel dadurch, dass auch dem Gegenüber entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten verschafft werden. Die jetzt durch die erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten geschaffene Verantwortungsposition begrün284 285

Vgl. Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 264. So auch Rieble, S. 137, 147.

D. Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB

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det eine Gemeinschaft zwischen den Beteiligten, die Rücksichtnahme auf die Schutzgüter des anderen Teils fordert. Diese Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung ist der Anknüpfungspunkt für das Schuldverhältnis i.w.S. nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Auf Grund der gewollten Offenheit der Vorschrift durch die Gesetzesverfasser sowie der Art der Kodifikation als reine „Merkzettelgesetzgebung“ spricht nichts dagegen, anzunehmen, dass ein Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB auch in Fällen des nicht-rechtsgeschäftlichen Kontakts zustande kommt. Dies sind bei verständiger Würdigung im Übrigen auch die von der Lehre des geschäftlichen Kontakts als Fall der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB verstandenen Fälle der Gefälligkeitsverhältnisse und andere Fälle sozialen Kontakts. Eine Beschränkung auf rechtgeschäftliche Kontakte ist hingegen aus der Natur der Lebenssachverhalte nicht überzeugend zu begründen. Eine Beschränkung auf geschäftlich-unternehmerische Kontakte scheint möglich, müsste aber gesetzgeberisch klargestellt werden. Eine Untersuchung der von § 241 Abs. 2 BGB erfassten Schutzgüter hat ergeben, dass infolge der Unkonturiertheit des Vermögens dieses als solches nicht als Schutzgut in Frage kommt. In Betracht kommen aber alle hinreichend konturierten Vermögenspositionen. In der Bezugnahme auf ein Interesse als Schutzgut im Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB kommt lediglich die grundsätzliche Offenheit des Tatbestandes zum Ausdruck, die verdeutlicht, dass eben auch im deliktischen Sinne nicht absolut geschützte Positionen als Schutzgut erfasst werden können. Mittelbar ist aber der Inhalt des Rechtskreises auf die konturierten Positionen des Vermögens zu beschränken. Damit ist auch der Inhalt des Rechtskreises der ständigen Entwicklung der Dogmatik unterworfen, befindet sich also im Wandel der Zeit.

D. Die Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB Nachdem der Tatbestand des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB herausgearbeitet wurde, stellt sich die Frage nach der Legitimation der Haftung. Obwohl mit einer gewissen Berechtigung die Auffassung vertreten werden könnte, dass durch die Kodifikation die Legitimation der Haftung bewiesen ist286, 286 Herbert Messer, FS Steindorff, S. 743 hat schon nach der Anerkennung der Pflichten aus Vertragsverhandlungen in § 11 Nr. 7 AGBG die Ansicht vertreten, dass Bemühungen um die dogmatische Rechtfertigung überflüssig geworden seien. Mit Blick auf den nur umrissenen Tatbestand in §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 i.V.m. 241 Abs. 2 BGB kann das jedenfalls für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung mit dieser Deutlichkeit nicht aufrechterhalten werden. Ähnlich auch Herschel, DB 1976, S. 2451, 2452, der annimmt, dass aus dem gewohnheitsrechtlichen Charakter schon früher folgte, dass eine dogmatische Begründung überflüssig ist.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

soll der Frage hier – wenn auch nur kurz – nachgegangen werden. Nicht zuletzt die Art der Kodifikation als derart lose generalklauselartige Umschreibung von Fallgruppen könnte schließlich auch zum Anlass genommen werden, die Legitimationswirkung einer solchen Vorschrift zu hinterfragen. Nachfolgend sollen verschiedene Legitimationsgesichtspunkte, die aus der hier dargelegten Tatbestandskonzeption folgen, dargestellt werden. Es handelt sich hierbei um die Willentlichkeit der Rechtskreisöffnung (I.), die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung (II.), die Interessenlage der Beteiligten (III.) sowie den Gesichtspunkt einer Vorgegebenheit der Gemeinschaft (IV.).

I. Die Willentlichkeit der Rechtskreisöffnung als Legitimationsmoment Ein erster Anknüpfungspunkt für die Legitimation des Schuldverhältnisses und damit auch der Haftung im Falle der Verletzung einer aus diesem entspringenden Pflicht ist das willentliche Verhalten der Parteien. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist klar geworden, dass die willentlich geschaffenen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Schutzgüter des eigenen Rechtskreises letztlich zur Begründung des Schuldverhältnisses i.w.S. führen. Damit ist zwar nicht die Entstehung der Pflichten vom Willen der Beteiligten gedeckt, jedenfalls aber der pflichtenstiftende Tatbestand.287 Die Beteiligten haben sich also – und zwar alle Beteiligten, da sonst keine Gemeinschaft im hier entwickelten Sinne vorläge – willentlich und freiwillig in die Situation der Rechtskreisöffnung begeben, die der Anknüpfungspunkt für das Schuldverhältnis i.w.S. der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB ist.288 Den typischen Fällen deliktischer Haftung ist dagegen zueigen, dass es zu einer Konfrontation von Rechtsgütern kommt, die nicht auf gegenseitiger freiwilliger Basis erfolgt. Zwar mag der Deliktstäter noch aus autonomem Entschluss die Rechtsguts- oder Schutzgesetzverletzung willentlich und freiwillig begehen. Für den Geschädigten trifft dies indes nicht zu. Die Entstehung der Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem kann damit gerade nicht als willentlich und 287 Entgegen Loges, S. 97 f., kann keine Kompensation in den wirtschaftlichen Vorteilen gesehen werden, die in vielen Fällen der Zweck einer Rechtskreisöffnung sein können. Die Tatsache, dass wirtschaftliche Vorteile aus einem Handeln folgen können, führt auch im Vertragsrecht nicht zu einem Ausschluss von Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB. Im Deliktsrecht würde der Gedanke so ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen ist bei einem Anspruch aus §§ 311 Abs. 2 oder Abs. 3 BGB i.V.m. 280 Abs. 1 BGB das Verhalten des Geschädigten, welches mitursächlich für die Schädigung war, im Rahmen des § 254 BGB zu berücksichtigten. 288 Vgl. ähnlich von Lackum, S. 104 ff., der von der willentlichen Akzeptanz eines Kontaktes spricht. von Lackum geht grundsätzlich davon aus, dass auch ein einseitiger Kontakt ausreichen kann.

D. Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB

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freiwillig bezeichnet werden. Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch noch in einer bestehenden, willentlich und freiwillig aufgenommenen Beziehung deliktische Tatbestände verwirklicht werden können. Eine derartige Beziehung ist aber weder Voraussetzung der Verwirklichung eines deliktischen Tatbestandes, noch wird sie typischerweise vorliegen.289 Mit der Anknüpfung der Rechtskreisöffnung an freiwilliges Handeln ist ein starkes Legitimationsmoment gefunden. Es ist das autonome Eingehen einer Beziehung, der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung, die das Entstehen eines Schuldverhältnisses i.w.S. mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB rechtfertigt. Die Beteiligten des Schuldverhältnisses verwirklichen damit auch ihr Recht auf privatautonome Gestaltung der eigenen Rechtsverhältnisse.290 Die Institution der Privatautonomie (im zivilrechtlichen Sinn) wird durch unsere Verfassung vorausgesetzt und zugleich geschützt.291 Privatautonomie bezeichnet das Prinzip der Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach eigenem Willen.292 Überwiegend wird privatautonome Gestaltung im Wesentlichen auf die Fälle der Vertragsfreiheit und der Testierfreiheit bezogen.293 Verträge sind mit Sicherheit bedeutendes Handlungsmittel zur Gestaltung der Rechtsverhältnisse des Einzelnen.294 Dennoch ist eine derartige Sichtweise insgesamt verkürzt. Privatautonomes Handeln heißt, dass der Einzelne aus freiem Willen Verhältnisse eingeht, aus denen er berechtigt und verpflichtet wird.295 Es findet sich daher sowohl beim Abschluss von Schuldverträgen, bei einer Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung, wie auch bei einem Delikt.296 Die freien Handlungen des Einzelnen sind der Anknüpfungspunkt für Ansprüche und Pflichten der Beteiligten.297 Mit dieser Anknüpfung wird oft betont, dass dem privatautonomen Handeln als Selbstbestimmungselement der Privatautonomie ein Selbstverantwortungselement, sprich die Verantwortung für dieses Handeln, gegenübersteht.298 289 Die Unterscheidungen der Beziehungen der Menschen in freiwillige und unfreiwillige findet sich schon bei Aristoteles, Nikomachische Ethik, Rdnr. 1131 a. 290 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Stöcker, S. 100 f., der in den (klassischen) Fällen der culpa in contrahendo eine Form der Lebens- und Daseinsgestaltung sieht. 291 Vgl. so schon Jan Schapp, ZBB 1999, S. 30, 36. 292 Vgl. Flume, FS Juristentag, S. 135, 136. 293 Vgl. dazu auch Medicus, Privatautonomie, S. 1 ff. und Flume, AT, S. 12, der darauf hinweist, dass Vertragsfreiheit und Privatautonomie oft synonym gebraucht werden. 294 So auch Flume, AT, S. 7. 295 Vgl. Jan Schapp, Methodenlehre, S. 62; zur Herleitung der Privatautonomie aus dem Begriff der Autonomie, insbesondere seinen philosophischen Wurzeln vgl. vor allem Jan Schapp, JZ 1998, S. 913, 914 f. und ders., FG Stock, S. 171, 172 ff. 296 Vgl. so für Schuldvertrag und Delikt schon Jan Schapp, Methodenlehre, S. 62; für die faktischen Vertragsverhältnisse in ähnlicher Weise Betti, FS Lehmann, S. 252, 269. 297 Vgl. so Jan Schapp, Methodenlehre, S. 62. 298 Vgl. Flume, AT, S. 61; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 427 ff.; Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 172 f. Vgl. aber auch Jan Schapp, Grundfragen, S. 56 f., der zu Recht unterstreicht,

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Damit ist nicht gesagt, dass die Beteiligten des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung die Entstehung von Pflichten zur Rücksichtnahme wollen. Willentliche Handlung ist das Eingehen der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung.299 Die Anknüpfung an die willentliche Handlung ist insofern mittelbar, als das die Pflichten zur Rücksichtnahme an das Schuldverhältnis i.w.S. als Entstehungstatbestand anknüpfen. Insoweit steht das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung näher am Delikt, als am Vertrag. Der Schädiger des Delikts will die Entstehung von Schadensersatzansprüchen nicht; die das Delikt verwirklichende Handlung ist indes willentlich. Neben das Selbstbestimmungselement privatautonomen Handelns tritt im Falle des Delikts auch ein starkes Element der Selbstverantwortung. Für das Delikt kann gesagt werden, dass das Selbstverantwortungsmoment in der Wahrnehmung das Element der Selbstbestimmung bei weitem überwiegt. Die Vorwerfbarkeit der deliktischen Handlung ist so stark, dass der Blick auf die selbstbestimmte Handlung des Schädigers fast verdeckt wird. Bei den sogenannten vertraglichen Schuldverhältnissen bietet sich ein anderes Bild. Die Vertragsparteien nehmen wenigstens den Leistungserfolg und damit die Leistungsansprüche in ihren Willen auf. Das Selbstbestimmungselement überwiegt daher in erheblichem Maße. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch auch beim vertraglichen Schuldverhältnis ein Selbstverantwortungselement in Form der Pflichten zur Rücksichtnahme bzw. der sanktionierten Verletzung der Leistungspflichten.300 Hier kann nur an die Begründung des Schuldverhältnisses als privatautonome Handlung mittelbar angeknüpft werden.301 Die mit der Entstehung des vertraglichen Schuldverhältnisses begründeten Pflichten zur Rücksichtnahme und das insgesamt zur Anwendung kommende Leistungsstörungsrecht im Falle der Pflichtverletzung unterstreichen, dass im Rahmen des vertraglichen Schuldverhältnisses eben auch beide Elemente, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, eine Rolle spielen. Dabei überwiegt durch die vom Willen umfassten Leistungsansprüche zwischen den Beteiligten das Selbstbestimmungselement. Bei dem Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung ist das Selbstverantwortungselement weniger stark ausgeprägt als beim Delikt, aber ebenfalls vorhanden. Die durch Rechtskreisöffnung erhöhte Einwirkungsmöglichkeit in der Gemeinschaft schafft eine Verantwortungsstellung für den Beteiligten, die im Falle der Verletzung einer Pflicht zur Rücksichtnahme dem Selbstverantwortungselement ähnlich dass einzelne Teilaspekte des Prinzips der Privatautonomie nicht herausgelöst zur Begründung einzelner Rechtsgebiete herangezogen werden sollten. 299 Der Kritik Flumes (vgl. Flume, AT, S. 129 und AcP 161 (1962), S. 52, 63), dass es sich bei der Fallgruppe der culpa in contrahendo und damit also bei dem heutigen Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung lediglich um einen Tatbestand rechtlich relevanten Verhaltens handle, liegt ein insoweit verkürztes Verständnis von privatautonomer Gestaltung als rechtsgeschäftlichem Handeln zu Grunde. 300 Vgl. Flume, AT, S. 3 „gesetzliche Rechtsfolgen auf Grund privatautonomer Gestaltung.“ 301 Vgl. dazu schon Jan Schapp, FG Stock, S. 171, 179.

D. Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB

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hohe Bedeutung zukommen lässt, wie im Falle deliktischen Handelns. Die Verantwortungsstellung selbst ist allerdings durch die freien Handlungen der Einzelnen zustande gekommen; die Gemeinschaft ist durch willentliches gegenseitiges Tätigwerden erst entstanden. Die Willentlichkeit bezieht sich dabei auf die begründenden Handlungen, nicht aber auf die möglicherweise mittelbar folgenden Pflichten. Die Entstehung des Schuldverhältnisses knüpft also an privatautonomes Handeln der Beteiligten an. Damit besteht eine mittelbare Anknüpfung an privatautonomes Handeln.302 Insofern kommt hier dem Selbstbestimmungselement ebenfalls erhebliche Bedeutung zu. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung haben jeweils ähnlich große Bedeutung. Im Falle der Verletzung dürfte in der Wahrnehmung das Selbstverantwortungselement überwiegen; im Übrigen dürfte die privatautonome Gestaltung der eigenen Rechtsverhältnisse das stärkere Element darstellen. Daraus ergibt sich, dass das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung – zumindest unter dem Gesichtspunkt der privatautonomen Gestaltung der Rechts- und Lebensverhältnisse – nach der Analyse der Selbstbestimmungs- und Selbstverantwortungselemente eine Zwischenstellung zwischen vertraglichem und deliktischem Schuldverhältnis einnimmt. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass eine Vielzahl von Autoren die Freiwilligkeit der eingegangenen Beziehung durch die Beteiligten als Legitimationsgesichtspunkt explizit oder implizit annimmt.303 Hier zeigt sich die im 1. Teil unter D. betonte Leitlinie der Dogmatik, die eine Anknüpfung an privatautonomes Handeln hervorgehoben hatte. Die Einordnung als Fall (auch) privatautonomer Gestaltung wird dagegen kaum erkannt.304 Köndgen hat allerdings ebenfalls ein weites Verständnis privatautonomer Gestaltung im Blick gehabt.305 Er hat mit seiner Untersuchung für die Erweiterung der überkommenen Vorstellung von Selbstbindung (nur) als Vertragsschluss einen Grundstein für ein weniger begrenztes Verständnis in der späteren Dogmatik gelegt.306 Mit der Hervorhebung des Elements privatautonomer Selbstgestaltung ist ein Legitimationsgesichtspunkt für das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung ge302 Zu dieser mittelbaren Anknüpfung über das Schuldverhältnis i.w.S. für die Fälle des vertraglichen Schuldverhältnisses auch schon Jan Schapp, FG Stock, S. 171, 179. 303 Vgl. etwa Picker, JZ 1987, S. 1041, 1058; Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 172 f.; Weber, FS Giger 1989, S. 735, 753 f. und insgesamt alle Lehren, die Haftung in Anknüpfung an privatautonomes Verhalten i.w.S. begründen wollen (oben unter 1. Teil, D.) oder den Konsensgedanken zur Begründung heranziehen (oben unter 1. Teil, B.). 304 Vgl. einzig Teichmann, BB 2001, S. 1485, 1492, der zu §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB von einem auf parteiautonomer Gestaltung beruhenden Akt spricht. In diese Richtung geht auch Larenz, NJW 156, S. 1897, 1899, der für die Fälle des faktischen Vertragsverhältnisses davon spricht, dass „es sich zwar nicht um ein Rechtsgeschäft, aber doch um ein Handeln im Rahmen der Privatautonomie handelt“. 305 Vgl. dazu oben unter 1. Teil, D. III. 306 Vgl. dazu auch Krebs, S. 171 f., der einen ähnlichen Gesichtspunkt mit Selbstbindung im weiteren Sinne bezeichnet. So auch Köndgen, Schuldrechtsreform, S. 231, 239, Fn. 45.

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funden. Privatautonome Gestaltung bedarf – wenn sie durch unsere Rechtsordnung als Korrelat anerkannt wird – wie Flume hervorgehoben hat, „keiner anderen Rechtfertigung, als dass der einzelne sie will“.307 Die Feststellung, dass die rechtliche Bewertung an die durch die Beteiligten geschaffene Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung anknüpft, zeigt die systematische Einordnung des Schuldverhältnisses auf: Es handelt sich um ein gesetzliches Schuldverhältnis. Bei Ziehung der Trennlinie zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen sollte allerdings stets berücksichtigt werden, dass die durch diese Unterscheidung zum Ausdruck kommende saubere Trennung nicht der tatsächlichen Lage entspricht.308 Das vertragliche Schuldverhältnis i.w.S. weist mit den Pflichten zur Rücksichtnahme innerhalb des Schuldverhältnisses oder auch dem an die vertraglichen Leistungspflichten anknüpfenden gesetzlichen Leistungsstörungsrecht ebenfalls verschiedene Merkmale eines gesetzlichen Schuldverhältnisses auf.309 Auch die Ausgestaltung der Leistungspflichten an sich ist mit einem Wechselspiel zwischen dem Willen der Beteiligten und den beschränkenden und gestaltenden Regeln der Rechtsordnung am besten umschrieben.310

II. Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung als Legitimationsmoment Mit der einverständlich durch Rechtskreisöffnung begründeten Gemeinschaft, hat sich im Laufe der Untersuchung ein weiterer starker Legitimationsgesichtspunkt gezeigt. Mit dieser Betonung der Existenz von einer Vielzahl von Gemeinschaften unterhalb des Vertragsniveaus in der Gesellschaft, ist ein Aspekt der Gesellschaft in einer zivilrechtlichen Konzeption der bürgerlichen Rechtsbeziehungen herausgearbeitet, der allein in der Unterscheidung von Vertrag und Delikt nicht zum Ausdruck kommt.311 Das differenzierte Geflecht von Beziehungen, in denen die Ein307 Flume, FS Juristentag, S. 135, 141, allerdings bezugnehmend auf vertragliche Schuldverhältnisse. 308 Schur hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auch das vertragliche Schuldverhältnis gesetzliche Momente in sich trägt. Die von den Parteien gewollten Leistungspflichten sind nur deshalb Leistungspflichten, weil sie durch die Rechtsordnung anerkannt werden. Ferner sind – wie in diesem Abschnitt aufgezeigt – eine Vielzahl von Pflichten innerhalb des „vertraglichen“ Schuldverhältnisses letztlich gesetzlicher Natur. Der entscheidende Moment liegt insoweit in der Begründung eines „gesetzlichen Schuldverhältnisses“ durch einen Vertrag. Vgl. Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 248. 309 Vgl. in diesem Zusammenhang Picker AcP 183 (1983), S. 359, 393 ff., der betont, dass die Verpflichtung zum Schadensersatz auch beim Vertrag ex lege eintritt. Picker stellt der „rechtsgeschäftlichen Leistungspflicht“ alle Schadensersatzverpflichtungen als gesetzlich gegenüber. 310 Vgl. dazu vor allem auch Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 248 ff.

D. Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB

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zelnen sich tagtäglich in der Gesellschaft bewegen, ist mit der rechtlichen Unterteilung in Vertrag und Delikt nur unzureichend erfasst.312 Die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung stellt eine Möglichkeit dar, einen Teil der Beziehungen, die nach dem heutigen Stand der Dogmatik rechtlich erfassbar sind, präziser abzubilden.313 Die Gemeinschaft trägt gedanklich einen ihr eigenen Legitimationsaspekt in sich. Der Gedanke einer einverständlichen Gemeinschaft zwischen den Beteiligten, ist in der bisherigen Dogmatik ja auch schon in den Erfordernissen einer gegenseitigen Beziehung, der Freiwilligkeit des Kontakts und vor allem auch dem Begriff der Sonderverbindung möglicherweise aber auch im Kern der Vertrauenshaftungslehren zum Ausdruck gekommen.314 Insbesondere in der im 1. Teil unter A. herausgearbeiteten Leitlinie der Dogmatik spielte die Gemeinschaft letztlich eine große Rolle. Hier wurde allerdings der erkannte Konsens der Beteiligten als Vertragsschluss fehl gedeutet. Andere Beispiele innerhalb des BGB zeugen ebenfalls von der Bedeutung der Gemeinschaften im Bürgerlichen Recht.315 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Gemeinschaft nach Bruchteilen, die Miterbengemeinschaft, die eheliche Gemeinschaft, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie die weiteren Kapitalund Personengesellschaften. Der Gemeinschaftscharakter ist sicher nicht in allen Gesellschaftsformen in demselben Maße ausgeprägt. In einer großen Kapitalge311 Die Gemeinschaften im Zivilrecht hat letztlich auch Jürgen Schmidt, GS Schulz, S. 341 ff. bei seiner Untersuchung im Blick. Auch Haupt, FS Siber, S. 5, 16 ff. und die sich an seine Schrift anschließende Diskussion der faktischen Vertragsverhältnisse z. B. bei Betti, FS Lehmann, S. 252, 260 f., hatte für einen Teil der Fallgruppen den Gedanken der Gemeinschaft zwischen den Beteiligten etwa im Falle der fehlerhaften Gesellschaft betont. 312 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bemerkung Thieles, dass die Institute der culpa in contrahendo, der positiven Vertragsverletzung und des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter möglicherweise den noch unscharfen Ausdruck einer verfeinerten Strukturerkenntnis darstellen. Vgl. Thiele, JZ 1967, S. 649. Auch die Bemerkung von Jürgen Schmidt, GS Schulz, S. 341, 374, dass es neben der allgemeinen Beziehung der Bürger noch „eine Vielzahl von Sonderstatus für den einzelnen gibt“, zielt letztlich in dieselbe Richtung. Die Erfassung der Gegebenheiten in Form der besonderen Beziehungen der Beteiligten durch das Recht betont auch Betti, FS Lehmann, S. 252, 255. 313 Die Erfassung der sozialen Wirklichkeit spielt auch in der Rechtsphänomenologie von Wilhem Schapp eine Rolle. In der Untersuchung „Der Vertrag als Vorgegebenheit“ spricht er davon, dass die Gesamtheit der Wertbeziehungen das soziale Leben darstellen und sucht in diesem Sinne, Vertrag und Eigentum in der sozialen Wirklichkeit zu verankern. Vgl. Wilhelm Schapp, Vertrag, S. 13. Zu der Auslegung der Lehre Wilhelm Schapps in diesem Sinne vgl. im Übrigen Jan Schapp, Sein und Ort, S. 39 ff. 314 Eine Interessengemeinschaft im Rahmen der Vertragsverhandlungen hat die Arbeit von Mabillard, S. 111 ff., zum Schweizer Recht im Blick. Mabillards Versuch, einen Gesellschaftsvertrag als Grundlage des Verhandlungsverhältnisses anzunehmen, dürfte allerdings etwas weitgehend sein. Er weist aber auf S. 226 f. nochmals auf das Erfordernis eines entsprechenden Geschäftswillens in seiner Konzeption hin. 315 Vgl. zur Erfassung des Gemeinschaftsgedankens in anderem Zusammenhang im BGB auch Paschke, AcP 187 (1987), S. 60 ff.

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sellschaft ist er weniger ausgeprägt als bei einer eng personell verbundenen Gemeinschaft auf der Ebene eines kleinen Familienunternehmens als GmbH oder gar einer Miterbengemeinschaft als eine der intensivsten Gemeinschaftsformen. In all diesen Fällen ist die teilweise gesetzlich oktroyierte, zumeist aber freiwillig begründete Gemeinschaft Anknüpfungspunkt und Legitimation für Pflichten zur Rücksichtnahme, die im Verhältnis zu den allgemeinen Pflichten des Deliktsrechts deutlich erhöht sind.

III. Die Interessenlage der Beteiligten Neben der Gemeinschaft der Beteiligten und der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung als Mittel der Verwirklichung privatautonomer Gestaltungsfreiheit, rechtfertigt sich die Annahme eines Schuldverhältnisses mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB auch aus der typischen Interessenlage der Beteiligten der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung. Zunächst ist festzustellen, dass die Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung in aller Regel mit einem Motiv der Beteiligten in Verbindung steht. Die Beteiligten verfolgen einen Zweck mit der Rechtskreisöffnung, der entweder direkt durch diese mitbedingt ist oder in einem weiteren Zusammenhang zu dieser steht. In einem der häufigsten Fälle – der Rechtskreisöffnung im Wege von Vertragsverhandlungen – ist der von den Beteiligten auf beiden Seiten verfolgte Zweck der Vertragsschluss. Mit diesem kleinsten gemeinsamen Nenner wird man sich zufrieden geben müssen. Die Interessen der Parteien werden regelmäßig höchst unterschiedlich sein. Zu unterscheiden sind daher die folgenden zwei Ebenen: Die Beteiligten eines Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung verfolgen in den Fällen der Vertragsverhandlungen den gemeinsamen Zweck eines Vertragsschlusses (1. Ebene). Dieser ist aber wiederum nur Mittel zur Verwirklichung der eigenen Interessen (2. Ebene). Der Erwerber eines Grundstücks könnte z. B. ein sicheres Zuhause für seine Familie zu einem angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnis suchen. Der Verkäufer und Eigentümer des Grundstücks sucht hingegen eine Möglichkeit, geerbtes Vermögen in liquides Kapital umzuwandeln. Versucht etwa ein Kaufhausbetreiber, potentielle Kunden durch verlockende Auslagen und Promotionaktionen zu einem Vertragsschluss zu locken, während die Schaufensterbummelnden möglicherweise nur das viel gerühmte Innendesign eines berühmten Architekten in den Shoppingarkaden bewundern möchten, kann ein gemeinsam verfolgter Zweck der Beteiligten kaum festgestellt werden. Denkbar wäre, allein den Kaufhausbesuch als gemeinsamen Zweck herauszustellen. Die Durchführung des Schuldverhältnisses wäre dann kaum noch zu trennen von dem verfolgten Zweck. Der gemeinsame Zweck als Zwischenschritt zur Verwirklichung der eigenen Interessen der Beteiligten hat also hier eine weniger starke Bedeutung.

D. Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB

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Nicht anders liegt der Fall in denkbaren Konstellationen außerhalb des rechtsgeschäftlichen Verkehrs. In Fällen einer Gefahrengemeinschaft etwa, wird der gemeinsame Zweck z. B. in der Durchführung der Bergtour liegen. Die verfolgten Interessen können wieder erheblich voneinander abweichen. In Betracht kommt, dass die Bergtour allein der Freude an der sportlichen Betätigung dient. Weiterhin könnte sie allein zum Gefallen des anderen Beteiligten durchgeführt werden. Das Interesse, das mit der Bergtour verfolgt wird, könnte dann der Aufrechterhaltung einer geschäftlichen Beziehung, aber auch eines freundschaftlichen Verhältnisses dienen. In den Fällen der sog. Gefälligkeitsverhältnisse ist die Lage nicht anders: Mittels einer Mitfahrgemeinschaft oder eine Geburtstagsparty für Kinder, verfolgen die Beteiligten jeweils eigene Interessen. Der gemeinsame Zweck der Rechtskreisöffnung liegt in der Durchführung des Schuldverhältnisses und kann daher kaum von diesem unterschieden werden. Es handelt sich um die reibungslose Durchführung der Party, den problemlosen Ablauf einer andauernden Mitfahrgemeinschaft. Gemeinsam ist allen klassischen Fällen, die hier noch einmal unter dem Gesichtspunkt der Interessenlage der Beteiligten untersucht wurden, aber dann ein wichtiger Punkt: Zur Verfolgung ihrer höchst unterschiedlichen Interessen sind die Beteiligten bereit, auf Rechtsgüterschutz zu verzichten.316 Dies geschieht freiwillig und bewusst gegenüber gerade den anderen Beteiligten.317 Damit geht ein starkes Interesse einher, dass gerade dieser Beteiligte, gegenüber dem auf den Rechtsgüterschutz verzichtet – der Rechtskreis also geöffnet – wurde, auch in verstärktem Maße zur Rücksichtnahme verpflichtet sein soll.318 Diese Interessenlage zeigt sich besonders deutlich in der Überlegung, dass eine Rechtskreisöffnung nie gegenüber beliebigen Personen erfolgen wird. Mit welchem Kollegen eine Mitfahrgemeinschaft gegründet wird bzw. welcher Begleiter auf die Wildwasserkanufahrt mitgenommen wird, ist eine bewusste Entscheidung, gerade unter Berücksichtigung der Risikolage für die eigenen Rechtsgüter. Nicht anders ist die Lage bei der Eröffnung von Vertragsverhandlungen: Der potentielle Vertragspartner ist in aller Regel wohl ausgesucht. Die Sorge um die dem anderen Beteiligten ausgesetzten eigenen Rechtsgüter zeigt sich deutlich an den illustrierten Beispielen und ist spiegelbildlicher Ausdruck der Interessen der Beteiligten. Diese Interessen gilt es zu schützen. Das ist in 316 Das unterscheidet Fälle der Rechtskreisöffnung nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB von anderen Fällen, in denen z. B. lediglich erhöhte Gefahren aus besonderen technischen Risiken folgen. Das verkennt Loges, S. 98, bei seiner Kritik an Rechtskreisöffnungskonzepten insgesamt. 317 Auf die wechselseitige Begebung des Einzelnen mit seinen Gütern in den Bereich des Anderen zur Verwirklichung der Interessen des jeweiligen Gegenüber, stellt auch Welser, ÖJZ 1973, S. 281, 285, ab. 318 Vgl. im Zusammenhang mit klassischen Vertragsverhandlungsfällen Sticht, S. 36. Zu diesem Bedürfnis der Parteien im Übrigen auch schon Geiß, S. 23.

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

der frühen Rechtsprechung und Kodifikationen zuerst für die Vertragsverhandlungen erkannt worden. Im Laufe der Jahrzehnte ist der Gedanke ausgeweitet worden und hat seinen vorläufigen Endpunkt in der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung gefunden. Die Rechtskreisöffnung bedingt gewissermaßen die zuvor dargelegte Interessenlage.319 Da diese auf Grund der Gegenseitigkeit des Verhältnisses in aller Regel reziprok sein wird, begründet ein Interesse an erhöhten Pflichten zur Rücksichtnahme zeitgleich auch die Angemessenheit der eigenen Pflichten zur Rücksichtnahme. Das gilt auch in dem seltenen Fall, in dem eine einseitige Rechtskreisöffnung vorliegen sollte, die aber durch den anderen Beteiligten akzeptiert wird. In der Akzeptanz der Rechtskreisöffnung der jeweils anderen Situationen liegt auch die Anerkennung der Verantwortungsposition und damit der Interessenlage der Gegenseite. Diese ist, wie bereits dargelegt wurde320, wesentlicher Bestandteil des Entstehungstatbestands der Gemeinschaft. Der Legitimationscharakter der Interessenlage ist in diesem Fall sicher weniger stark als der in der einverständlichen Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung.

IV. Die Vorgegebenheit der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung Ein weiterer Punkt ist bis jetzt noch nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen. Rechtsvergleichende Untersuchungen haben ergeben, dass die Verletzung von Pflichten in Situationen, die nach deutschem Recht in den Anwendungsbereich der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB fallen, üblicherweise zur Entstehung einer Schadensersatzpflicht nach dem jeweilig anwendbaren nationalen Recht führen.321 Diese Erkenntnis ist nicht beschränkt auf nationales Recht: Auch im Völkervertragsrecht oder etwa im UN-Kaufrecht ist ein weiter Bereich von Fallgruppen anerkannt, in denen eine Haftung ähnlich der Haftung nach deutschem Recht angenommen Vgl. dazu auch schon die Ausführungen von Canaris unter 1. Teil, C. VI. 3. Vgl. dazu bereits oben unter 2. Teil, B. III. 3. und V. 3. 321 Vgl. aus den zahlreichen rechtsvergleichenden Arbeiten zuletzt Widmer aus der Perspektive des Schweizer Rechts; Pilpel zum israelischen Recht; Chi zum chinesischen Recht, der dort auf S. 162 f. darlegt, dass die Haftung in der chinesischen Literatur entweder als selbstständige zivilrechtliche Haftung mit Ergänzungsfunktion oder als vertragliche Haftung angesehen wird. In der Praxis hat sich die Haftung trotz teilweise vorhandener gesetzlicher Regelungen aber noch nicht durchgesetzt, vgl. Chi, S. 7; ferner zum amerikanischen Recht die Untersuchung von Moritz Berger, Treu und Glauben, insbesondere S. 237 ff. und früher schon Kessler, FS von Caemmerer, S. 873 ff. sowie Kessler / Fine, Harv. L. Rev. 77 (1946), S. 401 ff., insbesondere 448; zum französischen Recht Chaussade-Klein; zum Schweizer Recht etwa Wahrenberger, S. 27 ff. und Bühler-Reimann, SJZ 1979, S. 357 ff., die auch einen Überblick über die dogmatische Einordnung in der Schweiz gibt; zum englischen Recht Schneider, insbesondere S. 233 ff.; insgesamt auch die Ausführungen bei Nickl und den rechtsvergleichenden Überblick bei Fleischer, AcP 200 (2000), S. 91, 105 ff. 319 320

D. Legitimation des Schuldverhältnisses der §§ 311 Abs. 2, Abs. 3 BGB

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wird.322 Einen ähnlichen Gesichtspunkt unterstreichen Picker und andere Autoren, wenn sie von einer zeitlosen Gerechtigkeits- und Richtigkeitsüberzeugung sprechen.323 Die Ergebnisse variieren zweifelsohne auf der Grundlage der verschiedenen Rechtssysteme. In einer Vielzahl von Ländern wird nur ein enger Teilbereich der klassischen Fallgruppe der culpa in contrahendo als nicht-deliktische Haftungsart angesehen, ein Großteil denkbarer Konstellationen hingegen im Deliktsrecht verortet. Entscheidend ist aber, dass über die eigentliche Frage des „Ob“ der Haftung grundsätzlich nur wenig Diskrepanzen bestehen.324 Damit ist natürlich nicht gesagt, dass in Einzelfragen, wie des Umfangs der Haftung und einzelner Tatbestandsvoraussetzungen der einzelnen nationalen Rechtsysteme, nicht erhebliche Differenzen bestehen können und bestehen. Die Frage des „Wie“ der Umsetzung in der nationalen Dogmatik ist abhängig von der spezifischen Ausgestaltung des Haftungsrechts durch das jeweilige Rechtssystem.325 In der phänomenologischen Rechtslehre von Wilhelm Schapp und Adolf Reinach ist der Gedanke entwickelt worden, dass Rechtsfiguren losgelöst von positivem Recht existieren.326 Während Reinach in seiner Untersuchung lediglich den Vertrag im Wege der Abhandlung des Versprechens behandelt, untersucht Wilhelm Schapp sowohl die Vorgegebenheit von Vertrag als auch von Eigentum. Eine der Intentionen Wilhelm Schapps war es, die rechtlichen Gebilde in der sozialen Wirklichkeit zu verankern.327 In seiner Untersuchung der Vorgegebenheit des Vertrags kommt es ihm auch darauf an, die Bedeutung der Werte als Grundlage des Rechts herauszuarbeiten. Vgl. zum UN-Kaufrecht vor allem die Untersuchung von Schütz. Vgl. zu Picker schon oben unter 1. Teil, F. III. 3.; ferner etwa Stephan Lorenz, ZIP 1998, S. 1053, 1054 („grundlegendes ethisches Bedürfnis“). 324 Auf diese interessante Beobachtung für die Ergebnisse der Beurteilung von Rechtsfragen in verschiedenen Rechtssystemen weist auch Zweigert, RabelsZ 1949 / 1950, S. 5, 13, hin. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die frühe Feststellung von Kessler und Fine aus dem Jahr 1946 über klassische Fälle der culpa in contrahendo in den Vereinigten Staaten: „Although the cases do not use the term culpa in contrahendo its underlying philosophy of responsibility for „blameworthy“ conduct has found expression in numerous ways.“ 325 Vgl. dazu auch Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 238, der betont, dass die unterschiedliche dogmatische Einordnung der Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo in den Rechtssystemen im großen Bild nicht von Bedeutung ist. Ähnlich auch Schütz, S. 42 f. Auch die neuere Untersuchung von Schneider, S. 22 f., hebt trotz Betonung der Unterschiede im englischen Recht hervor, dass die Unterschiede weniger beträchtlich sind, als angenommen. Vgl. auch den Hinweis von Fehlmann, S. 120 f., dass in der Schweiz teilweise gefordert wird, die Frage nach der Natur der Haftung aus culpa in contrahendo dahin stehen zu lassen. Eine Übersicht insgesamt gibt Hondius, S. 25 f. 326 Vgl. dazu insgesamt Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit und Adolf Reinach, Zur Phänomenologie des Rechts. 327 Vgl. Wilhelm Schapp, Vertrag, S. 13; vgl. im Übrigen zu diesem Zusammenhang auch Jan Schapp, Sein und Ort, S. 39 f. 322 323

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

Nach den Feststellungen über die in bemerkenswert vielen nationalen Rechtssystemen anerkannte Haftung in Fallgruppen des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung nach deutschem Recht drängt sich der Gedanke auf, ob auch die Rücksichtnahme innerhalb einer Gemeinschaft der Rechtskreisöffnung als vorgegeben betrachtet werden kann. Genauer gesagt stellt sich die Frage, ob das Aussetzen von Schutzgütern der Einwirkung eines Anderen an sich die Erwartung von Rücksichtnahme durch den anderen Beteiligten voraussetzt. Die in dieser Untersuchung aufgezeigten Aspekte wie auch die rechtsvergleichenden Arbeiten sprechen dafür. Eine umfassende Analyse der rechtsphänomenologischen Grundlagen ist nicht beabsichtigt und würde den Umfang der vorgelegten Arbeit sprengen. Der Rahmen für eine Untersuchung in diesem Sinne ist damit aber aufgezeigt.

E. Resümee: Tatbestand und Legitimation des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB Der letzte Teil der vorliegenden Untersuchung hat einige auf den ersten Blick erstaunliche, aber doch in der bisherigen Entwicklung der Dogmatik verwurzelten Ergebnisse zum Vorschein gebracht. In der Nachzeichnung der Entwicklung in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung war hervorgetreten, dass nach dem Beginn der lebhaften Diskussion durch Jherings Schrift 1861 die Fallgruppe der culpa in contrahendo zunächst auf die Fälle echter Vertragsverhandlungen beschränkt war. Ferner war der Anwendungsbereich – ganz im Sinne Jherings – zunächst beschränkt auf die Fälle, in denen kein wirksamer Vertrag zustande gekommen war. In der weiteren Debatte setzte sich dann unter Einfluss von Leonhard die Ansicht durch, dass auch im Falle von wirksamen Verträgen eine Haftung in der Fallgruppe der culpa in contrahendo während der Vertragsverhandlungen denkbar war. Noch zu Zeiten des Reichsgerichts wurden schließlich sog. Warenhausfälle, in denen keine Vertragsverhandlungen im eigentlichen Sinne stattgefunden hatten, der Fallgruppe der culpa in contrahendo zugeordnet. Die weitere Entwicklung stand im Bann der Lehre von den Leistungsstörungen von Heinrich Stoll. In seiner bahnbrechenden Schrift führte er die Fälle der culpa in contrahendo auf ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten zurück. Ferner betonte Stoll, dass ein besondere Pflichten zur Rücksichtnahme hervorrufendes Schutzinteresse zwischen den Beteiligten immer dann bestehe, wenn innerhalb der mit dem Vertrauensverhältnis entstehenden Sonderbeziehung der Rechtskreis des jeweils anderen Beteiligten den Einwirkungsmöglichkeiten des Gegenübers eröffnet werde. Mit diesen beiden Punkten – Vertrauen und Rechtskreisöffnung – waren zwei große Eckpfeiler für die weitere Entwicklung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung gesetzt.

E. Resümee

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Rechtsprechung und Rechtswissenschaft – dort allen voran Canaris – konzentrierten sich bedauerlicherweise auf den Vertrauensgedanken und zogen diesen mal auf Legitimations-, mal auf Tatbestandsebene des Schuldverhältnisses heran. Dabei wurde verkannt, dass es eben gerade nicht auf das Vorliegen von Vertrauen ankommt und Vertrauen – auch in objektivierter oder normativer Form – allein kein Legitimationsgrund ist. Das folgt schon aus der Ubiquität von Vertrauen. Die Rechtskreisöffnung wurde allenfalls als zusätzlicher Legitimationsaspekt herangezogen, z. B. zur Rechtfertigung der Existenz der Pflichten zur Rücksichtnahme. Eine an die klassischen Fallgruppen der culpa in contrahendo angelehnte Haftung wurde in der Folge auch in Fällen der Prospekthaftung sowie teilweise bei der Haftung im Rahmen von Gefälligkeitsverhältnissen bzw. der Auskunftshaftung anerkannt. Mit dem immer weiter fortschreitenden Siegeszug der Vertrauenshaftung in Rechtsprechung ebenso wie in Rechtwissenschaft wurden Legitimationsgrundlage und Tatbestand des Schuldverhältnisses zunehmend verwischt. Ein wahrer Wildwuchs an vertrauenshaftungsähnlichen Theorien entstand. Die Rechtsprechung nahm die Vertrauenshaftungslehre als dankbare Grundlage, um die als wünschenswert empfundene Haftung im Einzelfall auszusprechen. Die grundsätzliche Festlegung, nach der in den genannten Fallgruppen eine Haftung gewollt ist, wurde nur in seltenen Fällen in Frage gestellt. Das Verwischen und Vernebeln von Legitimationsgrundlage und Tatbestand des Schuldverhältnisses in der Fallgruppe der culpa in contrahendo hat später Kritiker ihre Stimme erheben lassen. Neben dem Versuch, das Deliktsrecht neu zu ordnen und diese Fallgruppe dort zu verorten, haben wir es vor allem Frost zu verdanken, dass das Licht der Diskussion wieder auf die zweite Komponente in der Lehre Heinrich Stolls gelenkt wurde: Die Rechtskreisöffnung als entscheidendes Tatbestandsmerkmal für das Schuldverhältnis in der Fallgruppe der culpa in contrahendo. Vor diesem Hintergrund – der Bedeutung des Merkmals der Rechtskreisöffnung wie der verfehlten Betonung des Vertrauens –, waren Tatbestand und Legitimation des Schuldverhältnisses in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB zu untersuchen. In der vorliegenden Untersuchung anlässlich des Kodifikationsversuchs in den §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB wurde in einem ersten Schritt untersucht, welche lebensweltliche Situation den klassischen Fällen, die als culpa in contrahendo behandelt oder an diese angelehnt wurden, zugrunde liegt. Dabei hat sich gezeigt, dass die willentliche Öffnung der Rechtsgüterkreise im Sinne eines Verzichts auf Schutz gegenüber bestimmten Personen durch ihre Einverständlichkeit eine Gemeinschaft zwischen den Beteiligten begründet. Die durch die Öffnung der Rechtsgüterkreise herbeigeführten erhöhten Einwirkungsmöglichkeiten auf die Schutzgüter der Gegenseite begründen eine Verantwortungsposition, die eine Auferle-

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2. Teil: Das Schuldverhältnis im System des Bürgerlichen Rechts

gung von Pflichten zur Rücksichtnahme rechtfertigt. Die Gemeinschaft ist Anknüpfungspunkt und Grundlage für das Schuldverhältnis i.w.S. Bei dem Tatbestand handelt es sich letztlich um den von Vertrauensbegriffen befreiten Tatbestand des Schuldverhältnisses, wie er auch schon in der dogmatischen Diskussion hervorgetreten ist. Die anschließende Analyse des Tatbestands der Vorschrift hat nichts anderes ergeben. Die bisher vorliegenden Stellungnahmen aus der Rechtswissenschaft legen ein deutliches Zeugnis von der missglückten Formulierung des Tatbestands vor. In den verschiedenen beispielhaft aufgeführten Fallgruppen kommt eins zum Ausdruck: Notwendig ist die erhöhte Einwirkungsmöglichkeit auf die Schutzgüter der anderen Seite. Die Frage, ob darüber hinaus auch noch eine weitere Qualität des Kontakts als Voraussetzung verlangt wird, musste nach weiterer Analyse des Tatbestands verneint werden. Die Argumentation dahingehend, dass es sich um einen rechtsgeschäftlichen Kontakt handeln müsse, ist – wie aufgezeigt wurde – allein aus historischer Sicht verständlich und zu keinem Zeitpunkt überzeugend begründet worden. Eine Beschränkung auf geschäftlich-unternehmerische Kontakte könnte rechtspolitisch begründet werden, widerspricht allerdings den hier herausgearbeiteten Interessen. Der nicht abschließende Charakter der Vorschrift bestätigt dieses Ergebnis. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, den Entstehungstatbestand des Schuldverhältnisses auf die Rechtskreisöffnung zu beschränken. Einen geschäftlich-unternehmerischen Kontakt zu fordern, scheint auf Grundlage der Vorschrift ebenfalls möglich. Mit dem so gefundenen Tatbestand waren auch wesentliche Legitimationsaspekte gefunden. Die Willentlichkeit der Eingehung der Beziehung ebenso wie der Gemeinschaftsgedanke rechtfertigen die Entstehung eines Schuldverhältnisses i.w.S. mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB in den Fällen der Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung. Auch die Interessenlage der Beteiligten spiegelt dies wider. Tatbestand und Legitimation greifen so ineinander über. Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung ist daher im Tatbestand wie folgt zu fassen: Erforderlich ist allein eine willentliche, einverständliche Rechtskreisöffnung, die erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Schutzgüter der anderen Seite beinhaltet.

Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung: Ausblick A. Die Lebenswelt als Welt der Schuldverhältnisse Ein Aspekt, der dabei hervorgetreten ist, ist die Unbrauchbarkeit einer Dichotomie von Delikt und Vertrag zur Erfassung der lebensweltlichen Beziehungen und Gemeinschaften. Der Lebenswelt entspricht eher ein Netz von Beziehungen, das auf rechtlicher Ebene zu einem Großteil von Schuldverhältnissen gespiegelt wird. Eines dieser Schuldverhältnisse ist das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung. Die Pflichtenbindung innerhalb dieses Schuldverhältnisses ist in der jeweiligen Gefährdungssituation für den Rechtskreis der Beteiligten stärker oder schwächer. Dieses Schuldverhältnis kann, soweit die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit betroffen ist, zu einem vertraglichen Schuldverhältnis heranreifen. Es handelt sich dann um einen progressiven Prozess von einem einfachen Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung zu einem vertraglichen Schuldverhältnis.1 Ebenso vorstellbar und sicher weit häufiger ist aber ein Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung, das nicht zu einem vertraglichen Schuldverhältnis wird. So ist es etwa bei den diskutierten Fällen der Gefahrengemeinschaft und den klassischen Fällen der Gefälligkeitsverhältnisse, soweit eine Gemeinschaft durch Rechtskreisöffnung begründet wird. Denkbar sind dann aber auch Fälle, die bisher von den üblicherweise diskutierten Fallgruppen nicht erfasst werden. Gegenübergesetzt werden sollten daher – wenn überhaupt – die bestehenden Schuldverhältnisse im Einzelfall mit der Beziehungslosigkeit des Deliktsrechts.2 Zwischen der Beziehungslosigkeit des Delikts und der Begründung von Schuldverhältnissen durch die Beziehungen der Beteiligten, dürfte dann aber auch noch ein Zwischenbereich bestehen.3 Eine starre Gegenübersetzung sollte daher besser überhaupt vermieden werden.4 Mit den Bereichen des Delikts einerseits und den 1 Vgl. dazu auch Hartig, S. 71; im Übrigen auch zur Deutung eines Vertrags vor dem Hintergrund seiner Geschichte insgesamt Wilhelm Schapp, Der Vertrag als Vorgegebenheit; ders., Philosophie, S. 48 ff. und Jan Schapp, Sein und Ort, S. 117 ff. 2 Vgl. so Motzer, JZ 1983, S. 884, 888. 3 Auf diesen Zwischenbereich weist in einer historischen Analyse etwa auch Mayer-Maly, FS Wilburg, S. 129 ff., hin. 4 Zu Recht nimmt Koziol, JBl. 1994, S. 209, 215 f. daher an, dass es eine Zwischenzone des fließenden Übergangs zwischen Vertrag und Delikt gibt. Hier sind die Fälle der Rechtskreisöffnung einzuordnen.

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Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung: Ausblick

Bereichen innerhalb der Schuldverhältnisse andererseits sind allerdings Eckpfeiler klar markiert.

B. Der zukünftige Anwendungsbereich des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung Thema der vorliegenden Untersuchung ist das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung in der durch die dogmatische Entwicklung und lebensweltliche Situation vorgegebenen Weise unter Berücksichtigung der Kodifikation der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Eine Vielzahl von Problemen und Folgefragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, ist damit noch gar nicht angesprochen. Aus den aufgezeigten Tatbestandsvoraussetzungen ergibt sich, dass der Anwendungsbereich der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB in Zukunft weiter zu fassen sein wird. In Betracht kommt vor allem die Einbeziehung der Gefälligkeitsverhältnisse, Gefahrengemeinschaften und anderer Fälle nicht-rechtsgeschäftlichen Kontakts. Als weiterer wichtiger Fall der §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB sind auch die bisher über fiktive Verträge gelösten Konstellationen der Auskunftshaftung bereits am Horizont sichtbar. Dies erscheint aus heutiger Sicht einer der Anwendungsbereiche zu sein, dem die Rechtsprechung in der nahen Zukunft offen gegenüberstehen könnte. Ferner können nach den aufgezeigten Merkmalen bisherige Fälle sog. Dritthaftung nunmehr dahingehend gelöst werden, dass ein Anspruch des geschädigten Dritten in bisheriger Terminologie unmittelbar aus einem eigenen Schuldverhältnis zwischen Geschädigtem und Drittem hergeleitet wird.5 Das trifft die klassischen Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ebenso wie Fälle der Gutachterhaftung, die bisher mittels des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gelöst wurden. Die Frage bedarf noch genauerer Untersuchung, der Lösungsweg kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nur aufgezeigt werden. Neben den hier untersuchten Fällen erscheint es darüber hinaus auch denkbar, neben der Gemeinschaft durch willentliche Rechtskreisöffnung auch eine Gemeinschaft durch gesetzlich herbeigeführte (angeordnete) Rechtskreisöffnung als Grundlage eines Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB anzuerkennen.6 Die Willentlichkeit der Begründung der Gemeinschaft würde sowohl als Tatbestandsmerkmal als auch auf Legitimationsebene durch die gesetzlich angeordnete Gemeinschaft ersetzt werden. Ein 5 Schon jetzt ist teilweise eine Tendenz der Rechtsprechung zu beobachten, in Fällen eines Vertrags mit Schutzwirkung die Haftung auf ein eigenes Schuldverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem zu stützen. Vgl. dazu jüngst Frassek, JuS 2004, S. 285, 287 unter Verweis auf BGH, NJW–RR 2003, S. 1035 ff. 6 Vgl. schon die Überlegungen bei Dölle unter 1. Teil, C. V. 1.

C. Haftungspräzisierung statt Haftungsausweitung

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möglicher Anwendungsfall könnte in dem rechtmäßigen Betreten einer Wohnung durch die Staatsanwaltschaft oder den Gerichtsvollzieher liegen. Aber auch etwa der Umgang von Behörden mit vertraulichen Informationen z. B. im Rahmen von versicherungs- oder bankrechtlichen Aufsichtsverfahren, könnte sich hier ebenfalls als Anwendungsbereich erweisen. Auch diese Fragestellung bedarf aber genauerer Untersuchung, die Lösung in diesem Sinne soll hier nur angedacht sein. Der Anwendungsbereich des Schuldverhältnisses nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB wird nach dem festgestellten Tatbestand wohl eine Ausweitung erfahren. Es bleibt zu hoffen, dass damit jedenfalls in hier aufgezeigten Teilbereichen, etwa bei der Auskunftshaftung, eine klarere Herausarbeitung der Haftungsvoraussetzungen und damit eine präzisere Trennung der Haftungsfälle von rechtlich unbeachtlichen Fällen erfolgen kann. Es ist möglich, dass die weitere Erkenntnis einzelner Fallgruppen in der Rechtsprechung auch das Schuldverhältnis nach §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB in Zukunft deutlicher formen kann, als dies dem Gesetzgeber in der Formulierung des Wortlauts gelungen ist. Die hier vorgelegte Untersuchung soll einen Beitrag zur weiteren Formung des Anwendungsbereiches liefern.

C. Haftungspräzisierung statt Haftungsausweitung Sicher werden sich Stimmen finden, die angesichts des jetzt in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB zu findenden Schuldverhältnisses die Befürchtung einer Haftungsausweitung ins Spiel bringen. Der Gesichtspunkt trifft aber aus folgenden Erwägungen nicht zu: Mit der Lebenswelt als Welt der Schuldverhältnisse werden Bereiche des Lebens präzise in der rechtlichen Bewertung gespiegelt. Nichts anderes versuchen auch die Rechtslehren anderer Staaten. Daher kann es auch nicht erstaunen, wenn etwa auch im englischen Deliktsrecht versucht wird, die Frage zu beantworten, ob denn eine Nähebeziehung zwischen den Beteiligten besteht, die eine Existenz von besonderen Pflichten rechtfertigt.7 Hier wird ebenfalls der Versuch unternommen, die Beziehungen der Lebenswelt möglichst präzise im Recht abzubilden. Der Weg des deutschen Rechts über die Rechtsfigur des Schuldverhältnisses i.w.S. ist ungleich präziser. Je präziser aber die rechtliche Erfassung der Lebenswelt ist, desto vorhersehbarer sind die Konsequenzen des Verhaltens für die handelnden Rechtssubjekte. Schon aus diesem Grund ist die Furcht vor einer Haftungsausweitung auf Grund der Kodifizierung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung in §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB unbegründet. Die Vorhersehbarkeit der Folgen einerseits wirkt als Ausgleich für die möglicherweise aus der präziseren 7 Vgl. z. B. den Hinweis auf die Begriffe der proximity und der sufficiently proximate relationship im Rahmen der Auskunftshaftung bei Fredy Müller, S. 319. Darauf weist auch MünchKomm-Wagner, § 823, Rdnr. 218 mit Blick auf die Kritiker der Haftung innerhalb von Schuldverhältnissen i.w.S. in Deutschland hin.

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Das Schuldverhältnis der Rechtskreisöffnung: Ausblick

Erfassung lebensweltlicher Sachverhalte folgende bessere Erfassung von Haftungssachverhalten. Damit ist auch die von Jürgen Schmidt beobachtete Tendenz zur rechtlichen Erfassung von Sozialbeziehungen auf der Grundlage ihrer Dichte angesprochen.8

D. Die Rechtskreisöffnung als Kern des Schuldverhältnisses und Grundlage für zukünftige Entwicklungen Mit Koziol kann zum Schluss gesagt werden, dass in der Rechtskreisöffnung der wahre Kern der Vertrauenshaftungslehren liegt.9 Dieser Kern ist in der historischen Entwicklung des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung leider allzu lang durch die Unzulänglichkeiten der Vertrauenshaftungslehren verborgen geblieben. Weiter dürfen wir mit Rieble hoffen, dass die generalklauselartige Umschreibung des Schuldverhältnisses in den §§ 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB als „dogmatische Stunde Null“ genutzt wird, um Fehlentwicklungen der Vergangenheit zu korrigieren.10 Die Chance, den Entstehungstatbestand auf den Kern der Rechtskreisöffnung und der aus ihr erwachsenen Gemeinschaft zu reduzieren, und die Entwicklung weg von den Vertrauenshaftungslehren zu vollziehen, sollte genutzt werden. Die Weiterentwicklung der ehemaligen Lehre von der culpa in contrahendo mag beendet sein, die jetzige des Schuldverhältnisses der Rechtskreisöffnung hat damit gerade begonnen.11 Ein wesentliches Arbeitsfeld dürfte mit der Herausarbeitung bzw. Konturierung von Schutzgütern im Rahmen des Vermögens schon gefunden sein.

Vgl. Jürgen Schmidt, GS Schulz, S. 341, 369. Vgl. Koziol, JBl. 1994, S. 209, 213. 10 Vgl. Rieble, S. 15. 11 Wie die rege Diskussion in den letzten 30 Jahren zeigt, kann entgegen Moritz Berger, Treu und Glauben, S. 177, keinesfalls davon gesprochen werden, dass die Entwicklung abgeschlossen ist. 8 9

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Stichwortverzeichnis ABGB 26 Abschlussfreiheit – negativ garantierte 175 – positive 172, 173, 175 absolute Rechtsgüter 112, 150 actio doli 29, 30 actiones 153, 154 Aktionensystem 152, 153 allgemeine Redlichkeitserwartung 58 – 60, 62, 63, 97 Anknüpfung an privatautonomes Handeln 102 Annäherung der Beteiligten 163, 166 – 170, 174, 176, 179, 181 Anspruch 64, 80, 109, 118, 126, 144, 154, 156, 160, 162, 171, 174 – 176, 209, 219, 222 Anspruchssystem 153, 255 Anvertrauenshaftung 67, 68, 73 – 75 Anvertrauen siehe auch Vertrauen 23, 61, 64, 72, 73, 89, 98, 100, 149, 186, 193, 197, 215 Anvertrauung 54, 55, 57, 96, 193 Aufklärungspflicht 20, 27, 59, 77, 207, 240, 253, 256, 259 Auskunftshaftung 21, 23, 32, 34, 39, 44, 93, 109, 114, 122, 134, 233, 236, 237, 252 Auskunftsverträge 34, 35 Bananenschalenentscheidung 79, 114 Berufshaftung 24, 94, 121 – 125, 210, 247, 249, 250 Civil Law 115 Common Law 108, 115 culpa in contrahendo 19 – 22, 25 – 31, 34, 36, 44 – 46, 48, 50, 53, 54, 58, 61, 63, 65, 67, 68, 75 – 79, 81 – 85, 96, 100 – 105, 112 – 114, 117, 121, 122, 126, 137, 141, 146, 148, 149, 163, 170, 176, 177, 186,

190 – 192, 203, 214, 215, 218, 223, 224, 227, 231 – 233, 238 – 242, 245, 246, 248 – 253, 255 – 259 Delikt 69, 103, 107 – 109, 119, 159, 162, 177, 223, 224, 226, 235, 240, 248, 253 deliktische Isolation 166 Deliktsrecht 61, 93, 97, 111 – 117, 119 – 121, 125, 126, 129, 132, 133, 135, 137, 138, 142, 166, 167, 219, 222, 231, 233, 237, 239, 240, 251, 258 Diskussionsentwurf 189, 240, 242, 247, 251 Dogmatik 21, 24, 25, 44, 48, 50, 63, 65, 100, 101, 108, 110, 111, 119 – 121, 125, 136, 141, 144, 147, 149, 152, 162, 163, 181, 184 – 186, 203, 221, 225, 227, 231, 232, 245, 247, 249 – 251, 256 Eigentum 132, 153, 154, 166, 170, 172, 173, 175, 178, 179, 182, 219, 227, 231 Einflussnahme 52, 71, 147, 173, 212, 217 Eingriff in fremde Rechtskreise 166 einheitliches Schutzpflichtverhältnis 69, 70, 74 Einverständnis 179 – 181, 185 – 187, 203 Einwirkungsmöglichkeiten 52, 53, 55, 73, 75, 127, 133, 135, 136, 141, 147 – 149, 172, 175 – 187, 195 – 197, 199, 201 – 203, 207, 213, 215 – 217, 220, 222, 232 – 234 Entstehungstatbestand 21, 24, 26, 53 – 56, 58 – 60, 64 – 66, 88, 96, 101, 106, 124, 125, 147, 148, 150, 160, 162, 163, 176, 186, 187, 193, 201, 211, 215, 216, 220, 224, 234, 238 Erhaltungsverträge 33, 36 Erklärungsbewusstsein 29, 71 Erklärungshaftung 67, 68, 73, 74, 122, 246, 258 Erklärungstheorie 30, 41, 42

262

Stichwortverzeichnis

faktische Vertragsverhältnisse 48, 240, 246 Fallgruppen 21, 22, 24 – 29, 31, 41, 43, 44, 59, 66, 84, 93, 105, 106, 109, 112, 116, 147, 151, 162, 165, 169, 170, 177 – 189, 191, 193, 194, 198 – 203, 208, 210, 213 – 216, 220, 222, 227, 230, 232 – 235, 237 Fallreihe 162, 200 Falltypus 22 Fiktion 40, 42, 43, 147 Forderung 217, 219 Freiheit 108, 110, 126, 128, 173, 241, 243, 247, 250, 255, 259 funktionale Legitimation 135, 143 Gefährdungshaftung 166 Gefährdungslage 183 Gefahrengemeinschaft 91, 229, 235 Gefälligkeiten des täglichen Lebens 36, 37 Gefälligkeitsverhältnis 20, 21, 23, 31, 32, 36, 39 – 42, 44, 66, 96, 133, 165, 168, 169, 171, 198, 206, 221, 229, 233, 235, 236, 242, 248, 253 Gefälligkeitsverhältnis mit rechtsgeschäftlichem Charakter 38, 42 Gefälligkeitsverträge 32, 36, 38, 251 Geltungsgrund 21 Gemeinschaft 25, 51, 179 – 181, 183, 185 – 187, 201 – 203, 207, 208, 212, 215 – 217, 220 – 224, 226 – 228, 230, 232 – 236, 238, 240, 258 Gemeinschaftsgedanke 51, 227 Gemüseblattentscheidung 81 Generalhaftungsklausel 115 Geschäft 32, 62, 129, 183, 186, 197, 213 geschäftlich-unternehmerisch 63, 182, 199, 204, 207, 214 geschäftliches Interesse 62 Geschäftsbeziehung 79, 92 Geschäftswillen 40, 178 Gesetzgebungsmethodik 200, 248 Gewohnheitsrecht 59, 137 Glauben 33, 37, 41, 46, 58, 60, 63, 77, 80, 87, 89, 90, 95, 97, 207, 230, 231, 238, 240, 255, 256 Haftungsgrund 21, 46, 239 Haftungslegitimation 24 – 26, 55, 98, 101, 221

Haftungsvertrag 31 Handlungsfreiheit 115, 116, 130, 138 Handlungswille 40, 41, 178 Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen 55 – 57, 67, 70, 74, 90, 93, 97, 185 innerer Wille 37 Integritätsinteresse 77, 118 Interessen 71, 84, 132, 142, 158, 161, 169 – 172, 174 – 177, 180 – 182, 184, 185, 187, 191 – 193, 195 – 197, 199, 201, 202, 213, 215, 217 – 220, 228, 229, 234, 241 Kausalität 72 – 74, 176 Kodifikation 19, 22 – 24, 28 – 32, 34, 36, 38, 40, 42, 44, 46, 48, 50, 52, 54, 56, 58 – 60, 62 – 64, 66, 68, 70, 72, 74, 76, 78, 80, 82, 84, 86, 88, 90, 92, 94, 96, 98, 100, 102, 104, 106, 108, 110, 112, 114, 116 – 120, 122, 124 – 126, 128, 130, 132, 134, 136, 138, 140, 142, 144, 146, 148, 150, 159, 187, 189, 195, 200, 202, 216, 218, 221, 236, 242, 255 Konfrontation von Rechtsgütern 171, 222 Konsens 24, 31, 32, 34, 36, 39, 43 – 45, 48 – 50, 125, 147, 150, 185, 227 Kontakt – geschäftlicher Kontakt 20, 58, 61 – 63, 65, 66, 75, 96, 106, 181, 182, 191, 198, 199, 201, 203, 206 – 208, 213, 214, 221, 254 – sozialer Kontakt 20, 48, 54, 55, 63 – 66, 106, 112, 205, 221 Kontakte, geschäftlich-unternehmerische 221, 234 Korrelat der privatautonomen Gestaltungsfreiheit 72 Lebensbereich 54, 55, 96 Lebenswelt 25, 99, 157, 235, 237 Legitimationsgrundlage 233 Lehre vom geschäftlichen Kontakt 61, 63, 64, 132, 206, 214, 216 Lehre vom sozialen Kontakt 64 Lehre von den Leistungsstörungen 148, 232, 256, 258 Lehre von der Schutzpflicht 192 Leistungsbeziehung 118, 134 Leistungsinteresse 118, 120

Stichwortverzeichnis Leistungspflichten 42, 43, 68, 127, 139, 158, 159, 224, 226 Linoleumteppichentscheidung 76 Luisinelichtentscheidung 76, 78 Mangelfolgeschaden 118 Mangelschaden 118 Misstrauen 72 – 74, 86, 87, 90, 91 Miteinander 128, 129, 131, 135, 151, 180, 181, 186 Motiv 101, 169, 180, 228 Näheverhältnis 192 Nebeneinander 48, 128, 179, 186 neminem laedere 137, 138, 142, 143 Normalfall 79, 84, 100 Obligation 153, 154 Öffnung der Rechtskreise der Beteiligten 163, 169 parteigleiche Stellung 212 parteigleiche Vertrauenswürdigkeit 209 personale Beziehung 25, 119, 120, 124, 145, 156, 158, 162, 201, 203 Pflichten zur Rücksichtnahme 20 – 22, 24, 32, 33, 36, 37, 39, 40, 42, 47, 52, 60, 62, 64 – 68, 76, 89, 91, 104, 106, 110, 117, 124, 127, 128, 144 – 146, 148, 150, 154, 158 – 163, 170, 178, 180, 181, 190, 198, 201, 205, 217, 219, 224, 226, 228, 230, 232 – 234 Pflichtverstärkungsfaktoren 137 phänomenologische Rechtslehre 231 Preußisches Allgemeines Landrecht (ALR) 26, 27 Prinzipienbildung 21 privatautonomes Handeln 26, 63, 101, 102, 104, 107, 108, 110, 111, 125, 147, 150, 225 Privatautonomie 71, 75, 102 – 104, 172, 223 – 225, 244, 251, 255 promissory estoppel 105 Prospekthaftung 20, 23, 82, 84, 134, 210, 233, 239 quasi-negatorische Unterlassungsansprüche 172

263

Rahmenrechte 114, 166 Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 166, 171 Rechtsbindungswille 36, 37 Rechtsgenossen 51, 53 Rechtsgeschäft 45, 52, 56, 61, 71, 105 – 107, 159, 178, 183, 186, 225, 244, 247, 258 rechtsgeschäftlich 31, 39, 63, 107, 182, 183, 185, 199, 204, 207 rechtsgeschäftliche Beziehung 192, 193, 196, 204 rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit 170, 173 – 176, 201, 206, 219 Rechtsgüter 20, 54, 55, 57, 67, 68, 76, 79, 116, 118 – 120, 130, 132, 133, 136, 142, 149, 158, 161, 166, 169 – 177, 180 – 182, 185, 187, 188, 191 – 193, 195 – 197, 199 – 202, 213, 215, 217, 220, 229 Rechtsgüterberührung 130 Rechtsgüterkreise 130, 233 Rechtsgüterschutz 112, 118, 229 Rechtskreis 52, 53, 55, 126, 127, 129, 130, 132, 134, 136, 148 – 150, 166, 174, 175, 177, 179, 184, 215, 217, 220, 229, 232, 235 Rechtskreisöffnung 24 – 26, 28, 30, 32, 48, 50, 51, 53, 64, 65, 68, 75, 76, 78, 79, 81, 83, 89, 114, 120, 121, 125, 127, 128, 130 – 136, 141, 142, 144, 146 – 148, 152, 155, 170, 174 – 177, 179 – 182, 184 – 187, 193, 200 – 203, 207, 208, 212 – 217, 220 – 230, 232 – 238 rechtspolitische Legitimation 55, 57, 135 Rechtssatz 21, 54, 161, 216 Rechtssphäre 55, 61, 65, 105, 106, 132, 147, 149 Rechtssysteme 207, 231 Rechtsverhältnis 43, 71, 103, 154, 156, 223, 225 Rechtswirkungsgrund 56 relative Rechte 217, 220 reliance-Kriterium 89 res 29, 153, 154 Risikolage 182, 229 Rücksichtnahme 32, 38, 39, 42, 43, 47, 66, 76, 91, 96, 107, 124, 129, 131, 145, 158, 160 – 162, 166, 180, 217, 219, 221, 224, 229, 230, 232

264

Stichwortverzeichnis

Rücksichtnahmeschuldverhältnis 26, 31, 50, 51, 53, 55, 57, 59, 61, 63, 65 – 67, 69, 71, 73, 75, 77, 79, 81, 83, 85, 87, 89, 91, 93 – 95, 97, 99, 101 – 103, 105, 107, 109 – 111, 119 – 121, 124, 125, 141, 144, 146, 149, 150, 162, 163, 177, 183, 199, 207 Sachverständigenhaftung 21, 209, 212, 256 Sachwalter 20 Sachwaltereigenhaftung 79 Sachwalterhaftung 59, 81, 83, 109, 122, 192, 210, 246, 259 Schadensverteilung 115, 240 Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 189, 240, 242, 247, 251, 258 Schuldverhältnis i.e.S. 139, 144, 155, 156, 158 Schuldverhältnis i.w.S. 25, 28, 47, 53, 55, 64, 66, 97, 109, 117, 119, 120, 125, 138, 140, 144 – 146, 149, 154 – 162, 168, 177, 186, 187, 203, 215, 221 – 226, 234, 237 Schutzgut 170, 173 – 175, 217 – 221 Schutzpflichten 64, 66, 68, 77, 89, 112, 135, 139, 141, 150, 241, 242, 244, 249, 252, 258, 259 Schutzpflichtverhältnis 53, 68 – 71, 74, 75 Selbstbestimmung 56, 71, 104, 108, 224, 225 Selbstbestimmungselement 223 – 225 Selbstbindung 72, 90, 94, 95, 107 – 110, 122, 124, 225, 248 Selbstverantwortung 71, 103, 104, 108, 110, 224, 225 Selbstverantwortungselement 223, 224 Sich-Verlassen 88 Sonderbeziehung 112, 134, 148, 150, 232 Sonderrechtsbeziehung 52, 127 Sonderverbindung 69, 70, 125, 128, 129, 131 – 142, 144, 145, 149, 155, 158 – 160, 168, 186, 206, 227, 249 subjektive Strömung 57, 58, 89, 106 subjektives Tatbestandsmerkmal 54 Systemverfestigung 21 Tatbestand 19, 21 – 24, 26, 34, 43, 49, 50, 52, 55, 57, 58, 60, 61, 64, 67, 68, 72 – 74, 85, 89 – 92, 98, 101, 104, 105, 114, 117,

121, 127 – 129, 132, 133, 136, 142, 147, 152, 154, 157, 161, 162, 176, 183, 186, 187, 189, 191, 193 – 199, 201 – 203, 205, 207 – 209, 211, 213, 215 – 217, 219 – 222, 224, 232 – 234, 237, 239 Tatbestandsersatz 211 Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr 70, 74, 75, 96, 98 Treuegedanke 51 Treuepflicht 51, 52, 135, 148 UN-Kaufrecht 230, 231, 256 Verantwortungsposition 180 – 182, 186, 187, 220, 230, 233 Verkehrsmoral 95, 97, 98 Verkehrspflichten 93, 94, 112 – 117, 120, 123, 167, 239, 241, 247, 251 Vermögen 134, 135, 193, 217 – 219, 228 Vermögensinteressen 114, 116, 117, 123, 129, 132, 134, 192, 193, 218, 251 Vermögenspositionen 217, 220, 221 Verschulden bei Vertragsschluss 78, 81, 82 Verschuldenshaftung 166 Vertrag 19, 20, 27 – 29, 31 – 34, 36, 38, 39, 42, 43, 46 – 48, 52, 63, 69, 76, 77, 87, 90, 92, 103, 106 – 109, 119, 147, 153, 164, 167, 170 – 172, 177, 183, 186, 192, 198, 209 – 212, 218, 224, 226, 227, 231, 232, 235, 239, 240, 243, 248, 250 – 253, 255, 258 Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 81, 112, 192, 210 Vertragsanbahnung 20, 60, 63, 195 – 197, 201, 203, 246, 250, 258 Vertragsverhandlungen 19, 21, 28, 31, 33, 35, 46, 47, 52, 53, 56 – 65, 68, 74, 76 – 81, 83, 89, 91, 93, 96, 98, 105 – 107, 136, 142, 148, 164, 165, 167 – 171, 173, 174, 177, 179, 189, 191 – 196, 200 – 203, 208, 209, 211, 212, 221, 227 – 230, 232, 242, 243, 246, 248, 251, 252, 254, 258, 259 Vertrauen 20, 22, 23, 46, 50, 53 – 63, 65 – 67, 69 – 75, 79 – 101, 105, 106, 108, 122, 136, 142, 143, 147, 148, 150, 180, 185, 208, 209, 211 – 213, 232, 233, 239, 240, 243, 245, 246, 253, 255, 256 – als psychische Tatsache 72

Stichwortverzeichnis – – – – – – –

als psychologisches Faktum 83, 101 besonderes persönliches Vertrauen 59 besonderes Vertrauen 54, 60, 64, 192, 215 enttäuschtes Vertrauen 20, 21 gegenseitiges Vertrauen 54 gesteigertes Vertrauen 57, 59, 63 Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen 56, 57 – normatives Vertrauen 60, 95, 212 – objektives Vertrauen 58 – typisiertes Vertrauen 82 – Vertrauensverhältnis 21, 52, 76, 78, 85 Vertrauendürfen 56, 97 Vertrauenshaftung 20, 34, 36, 43, 50, 51, 53, 54, 57, 58, 63, 66 – 73, 75, 76, 78, 83, 85, 86, 88 – 91, 93, 96 – 101, 103 – 105, 122, 123, 146 – 148, 150, 203, 215, 216, 223, 233, 239 – 241, 243, 247, 252 – Vertrauensverhältnis 20, 38, 51 – 54, 76 – 80, 90, 127, 148, 192, 232 Vertrauenshaftungslehren 20, 50, 51, 53, 54, 57, 58, 60, 61, 63, 64, 66, 75, 85, 86, 89,

265

91, 92, 95 – 97, 101, 102, 106, 111, 125, 147, 148, 185, 202, 227, 238 Vertrauenstatbestand 52, 65, 72, 73, 136 Vertreter 20 Vertretereigenhaftung 58, 59, 79, 84 Völkervertragsrecht 230 Volksgemeinschaft 51, 52, 55, 148 Vorgegebenheit 47, 222, 227, 230, 231, 235, 255 Vorkehrhaftung 112 vorvertragliche Pflichten 28, 45, 51, 93 Vorwirkung 45 – 47, 203 Warenhausfälle 82, 127, 168 – 171, 178 – 181, 192, 232 Willenserklärung 28, 30, 34, 39 – 41, 43, 71, 108, 178 Willenstheorie 28, 30 Zielvertragstheorien 31