Europapolitische Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung: Die Umsetzung der parlamentarischen Mitwirkungs- und exekutiven Kooperationspflicht nach Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG [1 ed.] 9783428544776, 9783428144778

Die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung in EU-Angelegenheiten bleibt ein aktuelles Thema, zuletzt im R

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German Pages 321 Year 2015

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Europapolitische Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung: Die Umsetzung der parlamentarischen Mitwirkungs- und exekutiven Kooperationspflicht nach Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG [1 ed.]
 9783428544776, 9783428144778

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Beiträge zum Parlamentsrecht Band 73

Europapolitische Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung Die Umsetzung der parlamentarischen Mitwirkungs- und exekutiven Kooperationspflicht nach Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG

Von

Franziska Brand

Duncker & Humblot · Berlin

FRANZISKA BRAND

Europapolitische Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung

Beiträge zum Parlamentsrecht Band 73

Europapolitische Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung Die Umsetzung der parlamentarischen Mitwirkungs- und exekutiven Kooperationspflicht nach Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG

Von

Franziska Brand

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Jahr 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 978-3-428-14477-8 (Print) ISBN 978-3-428-54477-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84477-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die demokratische Legitimation des hoheitlichen Handelns der Europäischen Union bedarf der Legitimationsvermittlung der nationalen Parlamente. Diese Auf­ gabe wächst in den vergangenen Jahren im Deutschen Bundestag in ihren norma­ tiven wie organisatorischen Strukturen. Eine Konsolidierungsphase ist auch fünf Jahre nach der Einführung der Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon nicht eingetreten. Ausgehend von diesem Befund vertieft diese Arbeit den Blick auf das Grundgesetz, das den Weg und die Mittel zur Erfüllung dieser Aufgabe mit der in Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG skizzierten europapolitischen Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung vorgibt. Die Mitwirkung des Bundes­ tages in Angelegenheiten der Europäischen Union und die darauf abgestimmte Kooperation der Bundesregierung mit dem Bundestag sind die grundlegenden ­ Elemente dieser Kommunikation. Basis der Argumentation ist das Verständnis so­ wohl dieser parlamentarischen als auch der exekutiven Aufgaben als Verfassungs­ pflichten. Die sich daraus ergebende fordernde Dimension der Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesregierung in der Europapolitik ebnet den Weg für die Entwicklung einer Kommunikationsstruktur, die die europapolitische Kommunika­ tion zum effektiven Mittel macht, um die demokratische Legitimationskraft des Bundestages auch auf die europäische Ebene zu heben. Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde Mitte Dezember 2013 abgeschlossen. Die zu diesem Zeitpunkt beginnende europapolitische Kommunikation in der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundesta­ ges sowie neuere Literatur und Rechtsprechung konnten bis November 2014 be­ rücksichtigt werden. Mein größter Dank gilt Professor Dr. Frank Schorkopf, der die Arbeit hervor­ ragend betreut und das Promotionsverfahren zügig durchgeführt hat. Besonders bedanken möchte ich mich auch bei Privatdozent Dr. Stefan Ruppert, der als Mit­ glied des 17. Deutschen Bundestages nicht nur dieses Thema angeregt, sondern die Arbeit gerade in der Anfangsphase grundlegend inhaltlich wie strukturell begleitet hat. Privatdozent Dr. Marcus Schladebach sei für die rasche Erstellung des Zweit­ gutachtens gedankt. Professor Dr. Sven Hölscheidt danke ich sehr herzlich für die Unterstützung im letzten Teil des Promotionsverfahrens. Danken möchte ich auch den Mitgliedern des Deutschen Bundestages sowie den Mitarbeitern der Fraktionen und der Bundestagsverwaltung, mit denen ich über die Praxis der europapolitischen Kommunikation sprechen konnte. Mein herzlicher Dank gilt außerdem Susanna Wiegand und Leonie Brand für ihre Unterstützung. Mein wertvollster Dank gehört meinem Mann, Dr. Peter-Andreas Brand, der dieses Projekt mit Begeisterung begleitet hat und mich stets uneingeschränkt un­ terstützt. Ihm und unserer Tochter ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im Februar 2015

Franziska Brand

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundlagen der europapolitischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Der Bundestag zwischen der Einschränkung seiner Entscheidungs­ gewalt und der Herstellung demokratischer Legitimation der Europa­ politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Die Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag in europäischen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Die grundgesetzlichen Regeln über die europapolitische Kommunika­ tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen und ihre Berücksichtigung durch die Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 VI. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Die Unterrichtung des Bundestages  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Die Organisation der Informationen im Bundestag   . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Die Analyse europapolitischer Dossiers im Bundestag . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Die Beratung europapolitischer Dossiers im Bundestag . . . . . . . . . . . . 174 V. Die parlamentarische Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 VI. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 C. Die Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation als Verfassungsauftrag und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen durch den Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Die europapolitische Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag als Verfassungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 III. Die Grenzen der europapolitischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 271 IV. Jenseits der Kommunikationsgrenzen: Parlamentarisches Vertrauen und nachträgliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundlagen der europapolitischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Der Bundestag zwischen der Einschränkung seiner Entscheidungs­ gewalt und der Herstellung demokratischer Legitimation der Europa­ politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Die Einschränkung der Entscheidungsgewalt des Bundestages  . . . . 25 2. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Übertragung von ­Entscheidungskompetenzen auf die Europäische Union . . . . . . . . . . 31 3. Der Bundestag als Hersteller demokratischer Legitimation der Unionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. Die Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag in europäischen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Die Mitwirkung des Bundestages in europäischen Angelegenheiten . 40 a) Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Mitwirkungsrechts. . 40 b) Die Elemente der europapolitischen Kommunikation . . . . . . . . . 42 c) Die Macht der Mehrheit des Bundestages und die Rolle der Oppositionsfraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Die Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die europapolitische Kommunikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Das Konzept der Integrationsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Die Bedeutung der Integrationsverantwortung für die europa­ politische Kommunikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den ­parlamentarischen Informationsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Die unionsrechtlichen Mitwirkungsregeln für nationale Parlamente . 58 III. Die grundgesetzlichen Regeln über die europapolitische ­Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Die Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung  . . . 61 2. Die Unterrichtungsrechte nach Art. 23 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Überblick über die historische Entwicklung der Informations­ rechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Das parlamentarische Informationsrecht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 aa) Unterrichtungsgegenstand: „Angelegenheiten der Europäi­ schen Union“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 bb) Der Bundestag als Informationsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . 69

10 Inhaltsverzeichnis cc) Umfassende Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt . 71 (1) Umfassende Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (2) Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt . . . . . . . 73 (3) Schriftliche Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Die Schaffung und Bedeutung des Ausschusses für die Angelegen­ heiten der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Überblick über die Entstehungsgeschichte des Europa­ ausschusses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 b) Die Bedeutung des Europaausschusses für die europapolitische Kommunikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 IV. Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 1. Das Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union . . . . . . 82 a) Überblick über die Informationspflichten nach dem EUZBBG . . 83 b) Die EUZBBG-Novelle im Jahr 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Das Informationsrecht zur Wahrung der Mitwirkungsrechte nach dem Integrationsverantwortungsgesetz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Die Unterrichtungsrechte in Bezug auf den Europäischen Stabili­ tätsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Die Grundsätze der Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Die Unterrichtung des Haushaltsausschusses  . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Die Einschränkung der Informationsrechte auf ein Sonder­ gremium des Bundestages  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Die Pläne zur Schaffung eines Europagesetzbuches . . . . . . . . . . . . . 100 V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen und ihre Berücksichtigung durch die Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 1. Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben . . . . . 103 2. Die Bindungswirkung von Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Die Herstellung des Einvernehmens zwischen Bundesregierung und Bundestag in besonderen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Die Öffentlichkeitsfunktion der Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 113 VI. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Die Unterrichtung des Bundestages  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Die Unterrichtung auf der Basis des EUZBBG . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Unterbliebene oder verspätete Unterrichtung des Bundestages . . 119 aa) Finanzstabilisierungsverordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Berichtspflichten im Zusammenhang mit Stellungnahmen des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 cc) Unterrichtung über den Abschluss eines Gesetzgebungsver­ fahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Probleme im Ablauf des Unterrichtungsverfahrens . . . . . . . . . . . 124

Inhaltsverzeichnis11 aa) Koordination der Unterrichtung auf Seiten der Bundes­ regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Erläuternde Berichte zu neuen Dossiers . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Keine Überforderung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 aa) Eindämmung der Dokumentenflut in besonderen Fällen . . . . 127 bb) Sehr kurzfristige Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Unterrichtung durch nicht deutschsprachige Dokumente . . . . 131 d) Die Unterrichtung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und ­Verteidigungspolitik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Die Unterrichtung zur Wahrung der Mitwirkungsrechte nach dem Integrationsverantwortungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3. Bewertung der Unterrichtung des Bundestages durch die Bundes­ regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Die Organisation der Informationen im Bundestag   . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die Aufbereitung der europapolitischen Informationen  . . . . . . . . . . 142 a) Die Entstehung der Unterabteilung Europa der Bundestagsver­ waltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Die Entgegennahme und Bereitstellung der Dokumente  . . . . . . 144 c) Das Priorisierungs- und Überweisungsverfahren für europäische Dokumente  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 d) Bewertung der Aufarbeitung der Informationen . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Die Beschaffung ergänzender und erläuternder Informationen . . . . . 149 a) Die Publikationen und Gutachten der Bundestagsverwaltung  . . 149 b) Die Arbeit des Verbindungsbüros Brüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Europa­ ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 d) Der Informationsaustausch im Rahmen der COSAC . . . . . . . . . . 157 e) Die interparlamentarische Kommunikationsdatenbank IPEX . . . . 163 f) Die Information durch öffentlich zugängliche Presse- und Medien­berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 g) Die sonstigen Kontakte des Bundestages und seiner Mitglieder  . 165 h) Die Bedeutung der ergänzenden und erläuternden Informationen  . 166 III. Die Analyse europapolitischer Dossiers im Bundestag . . . . . . . . . . . . . 167 1. Die Informationsanalyse durch Mitglieder des Bundestages und die Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu europäischen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Bewertung der Analyse von europapolitischen Dossiers . . . . . . . . . . 173 IV. Die Beratung europapolitischer Dossiers im Bundestag . . . . . . . . . . . . 174 1. Der Umfang der Beratung in den Ausschüssen und im Plenum . . . 174 2. Die Beratung im Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro­ päischen Union  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

12 Inhaltsverzeichnis 3. Die Beratung in den Fachausschüssen, insbesondere im Haushalts­ ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Bewertung der parlamentarischen Beratung europapolitischer ­Dossiers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 V. Die parlamentarische Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Herstellung des Einvernehmens zwischen Bundesregierung und Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Übergangsregelungen zur Erhöhung der Sitze des Europäischen Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island, Montenegro und Serbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Ergänzung des Art. 136 AEUV für die Errichtung des Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 d) Regierungskonferenz zur Annahme des Protokolls zu dem Anliegen der irischen Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 e) Einführung des Euro in Lettland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 f) Einführung des Euro in Litauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 g) Die Bedeutung des Einvernehmens für die europapolitische ­Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Die parlamentarische Mitwirkung durch sonstige Stellungnahmen . . 192 a) Die Pflicht der Bundesregierung, dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Die Stellungnahmen des Bundestages zu R ­ echtsetzungsvorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Besonderheit: Geltendmachung von Parlamentsvorbehalten in zwei Fällen durch den deutschen Regierungsvertreter . . . . 194 bb) Der Einfluss der Stellungnahmen auf die deutsche Position im Rat und die Ratsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Die Stellungnahmen des Bundestages zu sonstigen europäischen Vorhaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Die Stellungnahmen des Europaausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Die direkte parlamentarische Mitwirkung gegenüber den ­europäischen Organen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 a) Die Subsidiaritätsprüfung in den Ausschüssen des Bundestages . 205 b) Subsidiaritätsrügen und -klagen des Bundestages  . . . . . . . . . . . . 206 c) Die sonstigen direkten Mitwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . 209 4. Bewertung der Mitwirkung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 VI. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 C. Die Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation als Verfassungsauftrag und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 I. Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen durch den Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Die maßgeblichen Gründe für eine zurückhaltende Mitwirkung des ­Deutschen Bundestages  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

Inhaltsverzeichnis13 a) Exekutive Entscheidungsstrukturen und parlamentarische ­Arbeitsabläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Interessenkongruenz von Bundesregierung und Regierungs­ fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Fehlendes öffentliches Interesse an europäischen Angelegen­ heiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Die Leistungsfähigkeit des Bundestages in europäischen Angele­ genheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Einrichtung einer Kammer der nationalen Parlamente auf euro­ päischer Ebene? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Die europapolitische Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag als Verfassungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 1. Der Kompensationsgedanke als nicht ausreichende Basis der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag in der Europa­ politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Die Mitwirkung des Bundestages als Verfassungspflicht . . . . . . . . . 242 a) Die Mitwirkungspflicht des Bundestages  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Der Mitwirkungsauftrag an die Mitglieder des Bundestages . . . . 247 c) Die Umsetzung der Mitwirkungspflicht in der parlamentarischen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Die organisatorische und strukturelle Umsetzung im ­Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 bb) Der Maßstab für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht . . . . . 254 4. Die europapolitische Kooperation der Bundesregierung als ­Verfassungsauftrag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Unterrichtung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Entschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Berücksichtigung der Mitwirkungshandlungen des Bundestages . 262 5. Die Bewertung und Durchsetzbarkeit der Einflussnahme des Bundes­tages auf die nationale Europapolitik  . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Prüfung der Pflichterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Durchsetzung der Pflichterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . 266 (1) Verfahren bei Pflichtverletzung der Bundesregierung . . . 266 (2) Verfahren bei Pflichtverletzung des Bundestages . . . . . . 267 bb) Politische Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 III. Die Grenzen der europapolitischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Grenze des Informationsrechts des Bundestages: Interner Willens­ bildungsprozess der Bundesregierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 2. Technische Details und hochkomplexe Sachgebiete . . . . . . . . . . . . . 278 3. Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 4. Politisch nicht gewollte Einengung des Verhandlungsspielraumes der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

14 Inhaltsverzeichnis IV. Jenseits der Kommunikationsgrenzen: Parlamentarisches Vertrauen und nachträgliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 1. Parlamentarisches Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 2. Nachträgliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Einleitung „Und natürlich muss sich jede Regierung nach den Entscheidungen des Parla­ ments richten. Aber jede Regierung hat auch die Pflicht, das Parlament zu erziehen.“1

So beschrieb der damalige Ministerpräsident Italiens, Mario Monti, im Sommer des Jahres 2012 das Verhältnis der nationalen Regierungen zu ih­ ren Parlamenten, insbesondere im Zusammenhang mit der Abwendung der Finanz- und Staatsschuldenkrise in Europa. Er löste damit erhebliche Auf­ regung aus. Die deutsche Politik beantwortete dies nahezu geschlossen mit einem Bekenntnis zu der Bedeutung der nationalen Parlamente für die Entwicklungen der Europäischen Union.2 Dennoch hat Mario Monti den Finger in eine Wunde gelegt, die bis heute noch nicht vollständig geheilt ist. Hinter der zugespitzten Aussage steht die Frage, welche Stellung den nationalen Parlamenten im europäischen Mehrebenensystem zukommen soll. In der politischen Diskussion geht es oft vordringlich um Macht und Einfluss der beteiligten Verfassungsorgane. Das Verfassungsrecht fragt hin­ gegen vor allem nach den demokratischen Grundlagen für die Handlungen der Regierungen auf Unionsebene und für die Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Union selbst. Dabei hat die Entwicklung des Primärrechts seit dem Jahr 2009 eine andere Richtung eingeschlagen als die Politik, die seit dieser Zeit von der Krise geprägt war. Mit dem Vertrag von Lissabon, der im Dezember 2009 in Kraft trat, wurde den nationalen Parlamenten eine größere Teilhabe an europäischen Entscheidungen eingeräumt. Dieser Vertrag führte erstmals ein demokratietheoretisches Konzept der Union auf Primärrechtsebene ein. Nach diesem Konzept soll die demokratische Legitimation der Union zum einen über das Europäische Parlament (erster Strang) und zum anderen über die nationalen Parlamente (zweiter Strang) hergestellt werden (Art. 10 Abs. 2 EUV). In diesem Zusammenhang erhielten die Parlamente weitere Informations- und Beteiligungsrechte, die in Art. 12 EUV zusammengefasst 1  Interview des Magazins „Der Spiegel“ mit dem italienischen Ministerpräsiden­ ten Prof. Mario Monti, Der Spiegel, 32 / 2012, 06.08.2012, S. 44, 46. 2  Vgl. die Zusammenfassung der politischen Reaktionen in der Frankfurter Allge­ meine Zeitung vom 07.08.2012, S. 9: „Montis Parlamentskritik stößt auf Unver­ ständnis“, sowie den Kommentar von Frankenberger „Nicht ohne meinen Bundestag – Schon der Anschein der Entparlamentarisierung der Europapolitik ist gefährlich“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.08.2012, S. 8.

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sind. Die sich kurz nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ein­ stellende Staatsschuldenkrise löste jedoch eine ganze Reihe exekutiv gesteu­ erter Akutmaßnahmen aus, z. B. zur Stabilisierung Griechenlands und Ret­ tung verschiedener europäischer Banken. Diese Entscheidungen wurden zum großen Teil auf intergouvernementaler Basis getroffen,3 so dass das Europäische Parlament in diese Entscheidungen nicht eingebunden war. Die nationalen Parlamente waren oft nur nachrichtlich einbezogen.4 Die durch den Vertrag von Lissabon beabsichtigte Stärkung der nationalen Parlamente konnte – jedenfalls bei den Maßnahmen zur Abwendung der Krise – nicht umgesetzt werden.5 In Deutschland vollzog sich jedoch ab der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (2009 bis 2013) eine Entwicklung, die dazu führte, dass der Bundestag auch bei diesen Entscheidungen stärker beteiligt werden muss. Die entscheidende Rolle spielte hier das Bundesverfassungsgericht, das sich innerhalb von etwas über drei Jahren in sieben Entscheidungen mit den Mitwirkungsrechten des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union zu befassen hatte.6 Hinzu kam im Jahr 2014, d. h. in der 18. Wahl­ periode des Bundestages, die Entscheidung in der Hauptsache zur Verfas­ 3  Zu der Bedeutung dieser intergouvernementalen Methode oder auch so genann­ ten Unionsmethode im Verhältnis zur Gemeinschaftsmethode siehe Schorkopf, Me­ thodenpluralismus in der europäischen Integration – Zur Errungenschaft der Ge­ meinschaftsmethode und zur Notwendigkeit einer Unionsmethode, Manuskript des Vortrags im Rahmen des XIII. Walter-Hallsein-Kolloquiums, Stand 24.03.2014. 4  Calliess, Der Kampf um den Euro: Eine „Angelegenheit der Europäischen ­Union“ zwischen Regierung, Parlament und Volk, NVwZ 2012, 1, 2. 5  Ruppert, Der „Sixpack“ in der Hand des Monarchen, in: Frankfurter Allgemei­ ne Zeitung, 15.12.2011, S. 8. 6  1.  Entscheidung vom 30.06.2009 über den Lissabon-Vertrag und die Begleitge­ setzgebung (BVerfGE 123, 267 – Lissabon); 2. Entscheidung vom 09.06.2010 über die Beteiligung des Bundestages an Ent­ scheidungen über Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro – Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung – (BVerfGE 126, 158 – Griechenland-Hilfe / Euro-Ret­ tungsschirm / Eilverfahren); 3. Entscheidung vom 07.09.2011 über die Beteiligung des Bundestages an Ent­ scheidungen über Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro – Hauptsacheverfahren – (BVerfGE 129, 124 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm); 4. Entscheidung vom 27.10.2011 über § 5 Abs. 1 bis 7 Euro-Stabilisierungsme­ chanismus-Gesetzes (StabMechG), nach dem besonders eilige oder vertrauliche Entscheidungen über Finanzierungsgeschäfte zur Rettung von Euro-Mitgliedstaaten auf ein Unter-Gremium („Sondergremium“) des Haushaltsausschusses übertragen werden durften – Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – (Az.: – 2 BvE 8 / 11 – Sondergremium / Eilverfahren); 5. Entscheidung vom 28.02.2012 über § 5 Abs. 1 bis 7 Euro-Stabilisierungsme­ chanismus-Gesetzes (StabMechG), nach dem besonders eilige oder vertrauliche Entscheidungen über Finanzierungsgeschäfte zur Rettung von Euro-Mitgliedstaaten

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sungsmäßigkeit des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitäts­ mechanismus7 und des Fiskalvertrags8, in der sich das Bundesverfassungs­ gericht ebenfalls mit den europapolitischen Beteiligungsrechten des Bundes­ tags befasste.9 Bis auf die Entscheidung zum Vertrag von Lissabon hatten alle anderen Verfahren Maßnahmen zum Gegenstand, mit denen die Krise abgewendet werden sollte. In diesen Entscheidungen schaffte es das Ge­ richt, dass der Bundestag in der Krise ebenso informiert und beteiligt wer­ den muss wie bei sonstigen europäischen Vorhaben oder sogar noch inten­ siver.10 In der Folge wurden für besonders bedeutende Entscheidungen, z. B. im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, darauf abgestimmte gesetzliche Beteiligungsrechte des Bundestages geschaffen. Im Übrigen gelten die allgemeinen Rechte des Bundestages auch in der Krise. Die Rechte des Bundestages und die europapolitische Kommunikation ma­ chen hier keinen Unterschied. Diesen Richtungswechsel, den das Bundesverfassungsgericht der deut­ schen Europapolitik verordnete und der von der Politik in seiner Tragweite zunächst nicht erkannt wurde, war schon in der Entscheidung zum Vertrag auf ein Unter-Gremium („Sondergremium“) des Haushaltsausschusses übertragen werden durften (BVerfGE 130, 318 – Sondergremium); 6.  Entscheidung vom 19.06.2012 über die Informationsrechte des Bundestages in Bezug auf intergouvernementale Vorhaben, die in einem Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen (BVerfGE 131, 152 – parlamentarische Informa­ tionsrechte); 7.  Entscheidung vom 12.09.2012 über den Vertrag zur Einrichtung eines Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus und den Fiskalvertrag – Antrag auf Erlass einer einst­ weiligen Anordnung – (BVerfGE 132, 195 – Europäischer Stabilitätsmechanismus /  Eilverfahren – die zu dieser Entscheidung im Folgenden angegebenen Randnum­ mern beziehen sich auf die Randnummern, die erstmals im 132. Band der Veröffent­ lichungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vorhanden sind und nicht auf die Absatznummern („AbsNr.“), die in den Veröffentlichung der Entschei­ dungen auf der Internet-Seite des Gerichts stets angegeben sind. Bei allen anderen Entscheidungen des Gerichts wird nachfolgend auf diese Absatznummern verwie­ sen). 7  Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, BGBl. 2012 II, S. 981. 8  Vertrag über die Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, BGBl. 2012 II, S. 1006. 9  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a. – Europäi­ scher Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 10  Vgl. auch die Untersuchung des Einflusses der „Europa-Entscheidungen“ des Bundesverfassungsgerichts auf die europäische Integration aus der Sicht des natio­ nalen Verfassungsrechts: Baumann, Die europäische Integration unter Wahrung der nationalen Verfassung – Die „Europa-Entscheidungen“ des Bundesverfassungsge­ richts, in: Baumann / Elser (Hrsg.), Das letzte Wort – Rechtsetzung und Rechtskont­ rolle in der Demokratie: 53. Assistententagung Öffentliches Recht, 2014, S. 121.

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von Lissabon angelegt. Das Gericht sprach dem Europäischen Parlament weiterhin die Repräsentationsfunktion ab und rückte die nationalen Parla­ mente bzw. den Deutschen Bundestag in das Zentrum der demokratischen Aufmerksamkeit.11 Es führte das Konzept der Integrationsverantwortung ein, die der Regierung, dem Bundestag und dem Bundesrat gemeinsam obliegt.12 Dieser Bedeutungszuwachs kam selbst für die deutschen Parla­ mentarier teilweise überraschend.13 Dennoch erließ der 16. Deutsche Bun­ destag nur etwa zwei Monate nach dem Lissabon-Urteil und kurz vor den Bundestagswahlen im September 2009 eine neue Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon,14 in der diese Vorgaben umgesetzt wurden. Die Verwaltungen der Fachressorts und des Bundestages führten in der Folge umfangreiche Verhandlungen, durch die erstmals Verfahren geschaf­ fen werden sollten, um eine strukturierte europapolitische Unterrichtung und 11  BVerfGE 123, 267, 372, AbsNr. 280 – Lissabon. Zur Rezeption des Urteils: Classen, Legitime Stärkung des Bundestages oder verfassungsrechtliches Prokrustes­ bett?, JZ 2009, 881; Ruffert, An den Grenzen des Integrationsverfassungsrechts: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon, DVBl 2009, 1197; Kottmann / Wohlfahrt, Der gespaltene Wächter? – Demokratie, Verfassungsidentität und Integrationsverantwortung im Lissabon-Urteil, ZaöRV 2009, 443; Calliess, Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parlamentarische Integrations­ verantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1; Mayer, F. C., Rashomon in Karlsruhe, NJW 2010, 714; Nettesheim, Die Integrationsverantwortung – Vorgaben des BVerfG und gesetzgeberische Umsetzung, NJW 2010, 177; ders., „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11; Ohler, Herr­ schaft, Legitimation und Recht in der Europäischen Union – Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des BVerfG, AöR 2010, 153; Daiber, Die Umsetzung des LissabonUrteils des Bundesverfassungsgerichts durch Bundestag und Bundesrat, DÖV 2010, 293; Wittreck, Wächter wider Willen, ZG 2011, 122; Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integration, DÖV 2012, 105; Klein, Die Macht des Bundestages, ZG 2012, 209; Engels, Die Integrationsverantwortung des Deut­ schen Bundestags, JuS 2012, 2010; Mayer, M., Die Europafunk­tion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012. 12  BVerfGE 123, 267, 351 f., AbsNr. 236 ff. sowie Ls. 2a) – Lissabon. 13  Zum Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Bundestag siehe Hölscheidt, Parlamentarische Kontrolle in der Eurokrise, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 105, 122 ff. 14  Vgl. insbesondere das Gesetz über die Wahrnehmung der Integrationsverant­ wortung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (Integrationsverantwortungsgesetz – IntVG) vom 22.09.2009, BGBl. 2009 I, S. 3022, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 01.12.2009 (BGBl. 2009 I, S. 3822) und das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deut­ schem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG), das durch das Gesetz vom 12.03.1993 (BGBl. 1993 I, S. 311) maßgeblich erweitert und zuletzt im Jahr 2013 novelliert (Gesetz vom 04.07.2013, BGBl. 2013 I, S. 2170) wurde.

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Mitwirkung des Bundestages sicherzustellen. Die Wahlperiode des 17. Deut­ schen Bundestages war von diesen Entwicklungen geprägt. Nicht nur auf der Arbeitsebene wurden neue Strukturen und Verfahren geschaffen, sondern auch zwischen der Regierung und den Mitgliedern sowie den Fraktionen des Bundestages stellten sich immer neue Fragen über Umfang und Reich­ weite der Mitwirkung des Bundestages. Dies waren die Gelegenheiten, in denen das Bundesverfassungsgericht seine entscheidenden Impulse geben konnte, wie z. B. bei der Zustimmung des Haushaltsausschusses vor der Übernahme von Gewährleistungen für Notkredite an Griechenland,15 bei der Beschränkung der Unterrichtung auf ein neunköpfiges Sondergremium des Bundestages im Falle besonders geheimhaltungsbedürftiger finanzpolitischer Entscheidungen16 oder bei der Unterrichtung über intergouvernementale Vorhaben wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus17. So wurden am Ende der 16. Wahlperiode, aber vor allem in der 17. Wahlperiode, die ver­ fassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundlagen sowie die Verfah­ ren geschaffen, durch die die europapolitische Kommunikation möglich ist. Diese europapolitische Kommunikation umfasst die folgenden vier Ele­ mente: Erstens, die Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregie­ rung in Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG); zweitens, das Recht des Bundestages, gegenüber der Bundesregierung europapolitische Stellungnahmen abzugeben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 GG), drittens, die Berücksichtigung der Stellungnahmen durch die Bundesregierung in den europäischen Verhandlungen (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) und, viertens, die weiteren Berichtspflichten der Bundesregie­ rung über den Fortgang der Verhandlungen unter Einbeziehung der Stand­ punkte des Bundestages.18 Die so umrissene Kommunikation hat jedoch keinen Selbstzweck.19 Sie dient dazu, sowohl den Handlungen der Bundes­ regierung auf Unionsebene als auch der Hoheitsausübung der Union einen Teil ihrer demokratischen Legitimation zu verschaffen. Das Grundgesetz sieht diese Mitwirkung des Bundestages ausdrücklich vor (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG) und geht damit über eine nachträgliche Kontrolle des Regie­ rungshandelns hinaus. Die Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag muss dazu führen, dass der Bundestag einen effektiven Einfluss auf die nationale europapolitische Willensbildung erhält. Mit anderen Wor­ ten: Die Kommunikation muss die Mitwirkung des Bundestages über die 15  BVerfGE

129, 124 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm. 130, 318 – Sondergremium. 17  BVerfGE 131, 152 – parlamentarische Informationsrechte. 18  Zu den Stellungnahmen und den Berichtspflichten finden sich detaillierte ein­ fachgesetzliche Regelungen insbesondere in § 8, § 9 und § 9a EUZBBG. 19  Ebenso Hölscheidt, Parlamentarische Mitwirkung bei der europäischen Rechts­ setzung, KritV 77 (1994), 405, 429. 16  BVerfGE

20 Einleitung

Bundesregierung auf die Ebene der Union transportieren. Die hier unter­ suchte Praxis zeigt jedoch, dass innerhalb der Kommunikation bei der Un­ terrichtung durch die Bundesregierung und der Einflussnahme des Bundes­ tages auf die nationale europapolitische Willensbildung Probleme bestehen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Bundestag noch nicht über einen ausreichenden europapolitischen Einfluss verfügt. Zwar hat der Bundestag in den vergangenen zwei Jahrzehnten verstärkt auch eigene Kontakte zu den Organen der Union aufgebaut und im Jahr 2007 ein Verbindungsbüro in Brüssel eingerichtet, doch reicht dies nach verfassungsrechtlichen Maßstä­ ben und auch von ihrer praktischen Wirkung nicht aus, um auf diese Weise die Legitimationskraft des Bundestages auf die Ebene der Union zu heben. Das grundlegende Problem der Kommunikation zwischen Bundesregie­ rung und Bundestag liegt darin, so die hier vertretene These, dass die beiden Verfassungsorgane die effektive europapolitische Mitwirkung des Bundesta­ ges bisher nicht als Verfassungspflicht verstehen. Die Mitwirkung wurde als ein Recht des Bundestages eingeführt, mit dem der exekutive Primat der Regierung in auswärtigen Angelegenheiten beschnitten wurde. Die Mitwir­ kungsrechte galten als innerstaatliche Kompensation für die auf die Europä­ ischen Gemeinschaften und später die Union übertragenen Gesetzgebungs­ kompetenzen, an deren Ausübung nunmehr nicht der Bundestag, sondern die Bundesregierung beteiligt ist. Dem Bundestag sollte somit ein Vorteil, aber keine Pflicht eingeräumt werden. Dieser Kompensationsgedanke griff aber schon bei der Einführung der Mitwirkungsrechte zu kurz. Zum einen können parlamentarische Beteiligungsrechte, zumal sie die Bundesregierung nicht vollumfänglich binden, eigene Gesetzgebungskompetenzen nicht kom­ pensieren. Zum anderen lässt dieser Gedanke die legitimationsschaffende Aufgabe der Mitwirkung außer Acht und richtet seinen von Scheuklappen geleiteten Blick allein auf das nationale Kompetenzgefüge der beteiligten Verfassungsorgane. Demzufolge wurde bisher nur die Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung im Rahmen der europapolitischen Kommunikation als Pflicht angesehen. „Informationsasymmetrie“ wurde ein häufig in diesem Zusammenhang gebrauchtes Schlagwort.20 Dahinter steht die Beobachtung, dass die Bundesregierung aufgrund ihrer Mitarbeit im Europäischen Rat und im Rat über einen Informationsvorsprung gegenüber dem Bundestag verfügt. Zum Ausgleich dieser Asymmetrie muss die Bun­ desregierung diese Informationen dem Bundestag zur Verfügung stellen. Neben diese spezifisch europapolitischen Beobachtungen tritt das generelle Gefühl des Parlaments, von der Regierung grundsätzlich unzureichend in­ 20  BVerfGE 131, 152, 203, 209 f., 214, Rdnrn. 109, 123, 132 – parlamentarische Informationsrechte; Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Er­ gänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 144; Mellein, Die Rolle von Bundestag und Bundesrat in der Europäischen Union, EuR-Bei 2011, 13, 41.

Einleitung21

formiert zu werden. Zu Recht wird dem entgegnet, dass sich dieses Gefühl zwar mildern, aber nicht gänzlich beseitigen lässt.21 In der Praxis der Europapolitik führen die Bemühungen, die Informations­ asymmetrie auszugleichen, dazu, dass dem Bundestag im Wesentlichen ohne weitere Strukturierung alle Dokumente weitergeleitet werden. Dies beläuft sich auf etwa 20.000 Dokumente pro Jahr. Die Aufbereitung dieser Informa­ tionen wird dem Bundestag überlassen, dem jedoch die Umsetzung der Infor­ mationen in eine effektive Mitwirkung noch nicht vollständig gelingt. Der Bundestag trägt neben der Bundesregierung (und dem Bundesrat) Integrationsverantwortung. Wenn er aber Verantwortung trägt, dann muss er selbst sicherstellen, dass die europäischen Entwicklungen den verfassungs­ rechtlichen Vorgaben entsprechen, und gegebenenfalls steuernd eingreifen. Diese fordernde Dimension der Integrationsverantwortung wurde bisher in der Literatur und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht eingehender untersucht.22 Sie führt jedoch dazu, dass der Bun­ destag verpflichtet ist, seine Mitwirkungsrechte wahrzunehmen. Wie der Bundestag diese Pflicht erfüllen kann, wird im Folgenden vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Grundlagen der parlamentari­ schen Mitwirkung und ihrer Umsetzung in der Praxis entwickelt. Es werden Wege aufgezeigt, wie sich der Bundestag stärker auf die wichtigen europa­ politischen Dossiers konzentrieren kann, um gerade in diesen Fällen seinen Einfluss besser geltend machen zu können. Damit korrespondierend muss die Bundesregierung sich stärker bemühen, die Mitwirkungshandlungen des Bundestages erkennbar in die europäischen Verhandlungen einfließen zu lassen. Diese qualifizierte Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesre­ gierung in Angelegenheiten der Europäischen Union lässt einen neuen, ei­ genständigen Politikbereich „Europapolitik“ entstehen, der den klassischen Dualismus von Außenpolitik und Innenpolitik ablöst. Gang der Arbeit Diese Vorschläge für die zukünftige effektivere Kommunikation entwi­ ckeln sich aus einer Betrachtung des politischen und normativen Rahmens der europapolitischen Mitarbeit des Bundestages (Kapitel A.) sowie seiner Umsetzung in der Praxis (Kapitel B.). Aus diesem Vergleich zwischen An­ 21  Wewer, Regierung und Parlament – fünfzehn Thesen, in: Magiera / Sommer­ mann (Hrsg.), Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, 2013, S. 51 (These Nr. 15). 22  Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklamme­ rung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 27.

22 Einleitung

spruch und Praxis der Kommunikation können ihre grundlegenden Probleme erkannt sowie Möglichkeiten der Verbesserung und ihre Grenzen aufgezeigt werden (Kapitel C.). Bei der einführenden Untersuchung der Situation des Bundestages im 1. Kapitel (A.) zeigt sich, wie die europäische Integration, die darauf reagie­ renden Vorgaben des positiven Rechts und die Rechtsprechung ineinander­ greifen. Das so entstehende Bild ist dadurch geprägt, dass die Entschei­ dungsmöglichkeiten des Bundestages und seine Verantwortung in der Euro­ papolitik auseinanderfallen. Auf der einen Seite wurden Hoheitsrechte auf die Union übertragen, so dass der Bundestag nicht mehr über ihre Ausübung, insbesondere durch Gesetzgebung, entscheiden kann.23 Auf der anderen Seite ist er für die Ausübung dieser Hoheitsrechte durch die Union mitver­ antwortlich. Da das Recht eine Verantwortung ohne Handlungsmöglichkeit nicht kennt, werden dem Bundestag Alternativen in Form der Stellungnah­ me gegenüber der Bundesregierung oder direkte Mitwirkungsmöglichkeiten gegenüber den Organen der Union angeboten. Dabei liegt allerdings gerade im nationalen Recht der Schwerpunkt noch sehr auf der Weiterleitung von Dokumenten und Informationen an den Bundestag. Die Unterrichtung des Bundestages ist nicht alleinige Bedingung für seine Mitwirkung. Die Frage, wie eine effektive Mitwirkung ausgestaltet sein muss und welcher Maßstab anzusetzen ist, um die verfassungs- wie unionsrechtliche Forderung nach demokratischer Legitimation der Union durch den Bundestag zu erfüllen, bleibt unbeantwortet. Diesen Erkenntnissen folgt im 2. Kapitel (B.) die Betrachtung der euro­ papolitischen Kommunikation in der 17. und den ersten zehn Monaten der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages. Die Betrachtung umfasst da­ mit einen Zeitraum von rund fünf Jahren.24 Neben Veröffentlichungen über die parlamentarische Praxis auf diesem Gebiet stützt sich die Darstellung auch auf rund fünfzehn Gespräche, die für diese Arbeit im Herbst 2012 mit Mitgliedern des Bundestages, Mitarbeitern der Abgeordneten, der Bundes­ tagsfraktionen sowie der Bundestagsverwaltung geführt wurden. Alle Ge­ sprächspartner waren im 17. Deutschen Bundestag überwiegend mit europäi­ schen Fragen und dem Ablauf der Kommunikation mit der Bundesregierung betraut. Diese Gespräche fließen in die Arbeit ein, ohne dass ihr Wortlaut wiedergegeben oder Erkenntnisse daraus ausdrücklich dargestellt werden. Die Gespräche wurden von Anfang an zwar strukturiert, aber nicht anhand einer festgelegten Forschungsmethode geführt, wie sie bei politikwissen­ 23  Dies gilt vor allem dann, wenn die Gesetzgebungszuständigkeiten in die aus­ schließliche Zuständigkeit der Union fallen oder das Subsidiaritätsprinzip die Rege­ lung durch die Union zulässt (Art. 5 Abs. 3 EUV). 24  Herbst 2009 bis Herbst 2014.

Einleitung23

schaftlichen Studien üblich ist.25 Sie führen jedoch zu einem Verständnis der politischen Zusammenhänge und parlamentarischen Stimmungen, das nah an den tatsächlichen Gegebenheiten bleibt. Inhaltlich nimmt dieser praktische Teil den Fokus auf die Unterrichtung des Bundestages auf und betrachtet zunächst die dabei auftretenden Probleme. Auch wenn das Ver­ fahren und die Dichte der Unterrichtung mittlerweile als befriedigend und eingespielt gelten können, bestätigt sich der bereits mit Blick auf die recht­ lichen Grundlagen vermutete fehlende Zuschnitt der Unterrichtung auf die Bedürfnisse des Bundestages. Es wird gezeigt, dass der Bundestag versucht, dies auf verschiedenen Wegen aufzufangen. Dennoch bleibt er und insbe­ sondere seine Ausschüsse sowohl bei der Beratung von europapolitischen Dossiers als auch bei der Abgabe von Stellungnahmen oft zurückhaltend. Dabei spielen die systeminhärenten Strukturen des parlamentarischen Regie­ rungssystems eine wichtige Rolle. Hinzu kommen aber auch noch andere Gründe, die eher politisch oder organisatorisch geprägt sind. Die These der Arbeit und die darauf aufbauenden praktischen Vorschläge im 3. Kapitel (C.) folgen aus diesen Beobachtungen. Um seiner Mitwir­ kungspflicht nachzukommen, sollte der Bundestag ein vertieftes Priorisie­ rungsverfahren in Form einer Kategorisierung der Dossiers nach ihrer poli­ tischen Bedeutung einführen und diese auch bei der weiteren parlamentari­ schen Behandlung der Dossiers berücksichtigen. Besonders bedeutsam ist bei allem, einen Maßstab für eine ausreichende Mitwirkung des Bundestages zu finden. Dieser kann im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ordnung nur durch den Bundestag selbst bestimmt werden. Dabei trifft der Bundestag auf eine Reihe von Grenzen seiner Mitwirkungskraft, die gleichzeitig den Grenzverlauf der Legitimationsvermittlung des Bundestages für die Aus­ übung von Hoheitsrechten durch die Union beschreiben. Vermutlich hat Mario Monti auf diese Grenzen hinweisen wollen, wenn er auch seine eingangs zitierte Formulierung unglücklich gewählt hat.26 Denn innerhalb der Kommunikationsgrenzen ist eine Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag „auf Augenhöhe“ erforderlich. Das mit der „Erziehung der Parlamente“ einhergehende Bild eines Ober- und Unterord­ nungsverhältnisses ist verfassungsrechtlich auf der Basis der erreichten eu­ ropäischen Integration nicht haltbar. 25  Vgl. zur politikwissenschaftlichen Durchführung und Auswertung von Inter­ views in diesem Themenbereich: z. B. die Arbeit von Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angelegenheiten, 2011, S. 20 ff. 26  Mit Presseerklärung vom 07.08.2012 versuchte Ministerpräsident Monti seine Aussagen zu relativieren, vgl. die Darstellung in der Onlineausgabe der Wochenzei­ tung „Die Zeit“ vom 07.08.2012, im Internet aufrufbar: http://www.zeit.de / wirt schaft / 2012-08 / monti-aeusserungen-parlament.

A. Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundlagen der europapolitischen Kommunikation Das Recht ist der Rahmen für die europapolitische Kommunikation. Die Situation des Bundestages ist in diesem Rahmen durch die europäische In­ tegration geprägt, in deren Verlauf stetig Gesetzgebungskompetenzen auf die Union übertragen wurden. Der Bundestag hat in der Folge Entschei­ dungskompetenzen abgegeben. Gleichzeitig wurde spätestens mit dem Ver­ trag von Maastricht1 die Legitimationskraft der nationalen Parlamente für die Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Union erkannt (dazu unten I.). Normatives „Heilmittel“ für die verlorenen Gesetzgebungskompetenzen und gleichzeitig „Transportmittel“ der parlamentarischen Mitwirkung ist die europapolitische Kommunikation. Das Bundesverfassungsgericht nahm sich dieser Situation an und konzentrierte sich darauf, die Rechte des Bundesta­ ges und sein Gewicht innerhalb dieser Kommunikation zu stärken (dazu unten II.). Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Informations­ rechte des Bundestages sind daher stark durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt (dazu unten III. und IV.). Das wichtigs­ te formale Mitwirkungsinstrument des Bundestages, die Stellungnahme, bindet die Bundesregierung gleichwohl nicht. Allerdings kann davon ein nicht unerheblicher politischer Druck ausgehen, der sich zu einem politi­ schen Direktionsrecht verdichten kann, wenn die Bundesregierung in be­ stimmten Fällen vor einer Entscheidung auf Unionsebene Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen hat (dazu unten V.).

I. Der Bundestag zwischen der Einschränkung seiner Entscheidungsgewalt und der Herstellung demokratischer Legitimation der Europapolitik Die Einschränkung der Entscheidungsgewalt des Bundestages ist notwen­ dige Folge der europäischen Integration (dazu unten 1.). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht weiteren Integrationsschritten Grenzen aufgezeigt (dazu unten 2.), dennoch soll der Bundestag auch die Ausübung der Gesetz­ gebungskompetenzen durch die Union begleiten und so ihre demokratische Legitimation stärken (dazu unten 3.). 1  Zustimmungsgesetz

des Bundestages: BGBl. 1993 II, S. 1947.



I. Die Entscheidungsgewalt des Bundestages in der Europapolitik25

1. Die Einschränkung der Entscheidungsgewalt des Bundestages Der Bundestag hat im Zuge der europäischen Integration durch die Über­ tragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union eigene Gesetzge­ bungszuständigkeiten abgegeben. Diese verbreitete Erkenntnis wird häufig unter dem Begriff „Entparlamentarisierung“2, aber z. B. auch unter den Schlagworten „nationale Parlamente als Integrationsverlierer“3, „Einschrän­ kung der Legislativfunktion des Parlaments“4 oder „Externalisierungstrend“5 diskutiert.6 Neben der europäischen Integration umfasst diese Entparlamen­ 2  Vgl. z. B. Puhl, Entparlamentarisierung und Auslagerung staatlicher Entschei­ dungsverantwortung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Auflage 2005, § 48; Herdegen, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, in: VVDStRL Band 62 (2003), S. 7; Kokott, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Eu­ ropäisierung und Internationalisierung, in: VVDStRL Band 63 (2004), S. 7, 28; Huber, Die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtssetzung der Europäischen Union, Studie für die Hanns-Seidel-Stiftung, 2001, S. 10 f.; Hölscheidt, Formale Aufwertung – geringe Schubkraft: die Rolle der nationalen Parlamente gemäß dem Lissabonner Vertrag, integration 2008, 254, 258, 264 f. 3  Ausführlich: Abels, Parlamentarische Kontrolle im Mehrebenensystem der EU – ein unmögliches Unterfangen?, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / ders. (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 79 ff. 4  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 30 ff. 5  Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL Band 60 (2001), S. 246, 267. 6  Die Literatur zum Thema Entparlamentarisierung ist kaum noch zu überbli­ cken: vgl. z. B. Klein, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 60. Ergänzungs­ lieferung (Stand: Oktober 2010), Art. 38 Rdnr. 57 ff.; Puhl, Entparlamentarisierung und Auslagerung staatlicher Entscheidungsverantwortung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Auflage 2005, § 48, Rdnr. 1; Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL Band 60 (2001), S. 246, 267; Kirchhof, Demokratie ohne parlamentarische Gesetzgebung?, NJW 2001, 1323 ff.; ders., Ent­ parlamentarisierung der Demokratie?, in: Demokratietheorie und Demokratieent­ wicklung, 2004, S. 359, 361 ff.; Ruffert, Entformalisierung und Entparlamentarisie­ rung politischer Entscheidungen, DVBl 2002, 1145, 1149; Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 90 ff.; Morlok, Gefährdungen demokratischer Entschei­ dungskultur durch Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entschei­ dungen, in: Gosewinkel / Schuppert (Hrsg.), Politische Kultur im Wandel von Staat­ lichkeit, 2007, S. 267, 274; Papier, Reform an Haupt und Gliedern – Eine Rede gegen die Selbstentmachtung des Parlaments, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.01.2003, Seite 8; von Bogdandy, Entmachtung der Parlamente?, in: Frank­ furter Allgemeine Zeitung vom 03.05.2005, S. 8. Aus der politikwissenschaftlichen Literatur: Schüttemeyer, Modewort oder Alarm­ signal? Befunde und Überlegungen zur Entparlamentarisierung, in: Patzelt / Sebaldt /  Kranenpohl (Hrsg.), Res publica semper reformanda – Wissenschaft und politische Bildung im Dienste des Gemeinwohls, 2008, S. 240 f.; Töller, Dimensionen der

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

tarisierungsdebatte auch andere Sachverhalte, die die Entscheidungsmacht des Bundestages einschränken.7 Alle Sachverhalte sind jeweils dadurch gekennzeichnet, dass eine parlamentarische Entscheidung in Teilen oder insgesamt auf die Regierung, supranationale Einrichtungen oder sonstige Dritte verlagert wird. Im Unterschied zu den entparlamentarisierenden Vor­ gängen, die auf einer inhaltlichen Vergesellschaftung legislativer Entschei­ dungen8 beruhen, z.  B. bei Absprachen zwischen Regierung und Wirt­ schaftsvertretern über die Nichtanwendung eines Gesetzes („paktierendes Staatshandeln“9), erfolgt der parlamentarische Kompetenzverlust im Bereich der europäischen Angelegenheiten völlig offen. Er ist die Kehrseite der Teilnahme Deutschlands an der europäischen Integration. Der Bundestag trägt von Beginn an mit seinen Zustimmungsgesetzen zu den europäischen Verträgen, in denen die Gesetzgebungskompetenzen auf die Europäische Union übergehen, selbst10 zum Verlust seiner Entscheidungsrechte bei und trägt auch die p ­ olitische Verantwortung dafür.11 ­ uropäisierung – Das Beispiel des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 25, 26 ff. E Zur historischen Entwicklung vgl. auch Brück, Europäische Integration und Ent­ machtung des Deutschen Bundestages: Ein Unterausschuss ist nicht genug, ZParl 1988, 220. 7  Im Rahmen der allgemeinen Entparlamentarisierungsdebatte werden unter­ schiedliche Tatbestände diskutiert, die jedoch sämtlich die Tendenz einer kontinuier­ lichen Entmachtung des Gesetzgebers befürchten lassen. In diesem Zusammenhang werden z. B. die Entscheidung von politischen Themen in Expertenrunden, techno­ kratischen Gremien, im Ethikrat, in Entscheidungsgremien unter Einbeziehung von Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen, die von dem Thema stark betroffen ist, aber auch neuere Entwicklungen wie Festlegung der politischen Linie durch Regie­ rungsmitglieder in TV-Runden, genannt. Vgl. Puhl, Entparlamentarisierung und Auslagerung staatlicher Entscheidungsverantwortung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Auflage 2005, § 48, Rdnr. 2 ff.; Herdegen, Informalisierung und Entpar­ lamentarisierung politischer Entscheidungen als Gefährdungen der Verfassung?, in: VVDStRL, Band 62 (2003), S. 7, 11 ff.; Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungs­ staat, 1984, S. 46 ff. 8  Herdegen, Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entschei­ dungen als Gefährdung der Verfassung?, in: VVDStRL, Band 62 (2003), S. 7, 16 ff.; Klein, Die Macht des Bundestages, ZG 2012, 209, 213. 9  Als aktuellere Beispiele können das Atommoratorium von März 2011 und die Nichteinberufung von Wehrpflichtigen im ersten Quartal 2011, trotz des Inkrafttre­ tens der entsprechenden Gesetzänderung erst zum 01.04.2011, d. h. im zweiten Quar­ tal 2011, genannt werden. 10  Allerdings hat die Fraktion Die Linke den mit der Integration einhergehenden Kompetenzverlust des Bundestages stets kritisiert (insbesondere eine Volksabstim­ mung über die Verträge gefordert) und auch als einzige Fraktion nahezu geschlossen der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon nicht zugestimmt (Enthaltungen), vgl. PlProt. 16 / 157, S. 16460 (A) ff. (Rede von MdB Lothar Bisky) sowie das Abstim­ mungsergebnis auf S. 16479. 11  BVerfGE 89, 155, 183 f., AbsNr. 94 – Maastricht.



I. Die Entscheidungsgewalt des Bundestages in der Europapolitik27

Problematisch ist diese Entwicklung vor allem aus der Sicht eines iden­ titär-holistischen Verständnisses von demokratischer Legitimation. Diese basiert auf der vorrechtlichen Annahme, dass das Parlament über eine be­ sondere Legitimationskraft verfügt, die sich durch die unmittelbare Wahl seiner Mitglieder durch das Volk ergibt und hinter der die legitimierende Kraft aller anderen Verfassungsorgane zurückbleibt. Wenn schon das Volk nicht selbst entscheiden kann, so soll dies „wenigstens“ das von ihm ge­ wählte Parlament tun. Auf dieser Basis führt jeder Verlust von parlamenta­ rischen Entscheidungskompetenzen zu einem Legitimationsdefizit bei der Ausübung der Kompetenzen durch ein anderes, nicht in gleichem Maße legitimiertes Organ.12 Die Ausgestaltung der repräsentativen Demokratie im Grundgesetz folgt dieser Sichtweise jedoch nicht. Die Hoheitsübertragungen auf die Europäi­ sche Union und damit auch die Einschränkungen der Gesetzgebungsbefug­ nisse des Bundestages lässt das Grundgesetz ausdrücklich zu. Dies gilt je­ denfalls unter der Maßgabe, dass die Union den demokratischen, rechts­ staatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG). Nach der Übertragung der Hoheitsrechte ist es jedoch nicht der Bundestag, sondern zunächst nur die Bundesregierung, die bei der Ausübung der Ho­ heitsgewalt durch die Union mitwirkt.13 Auch wenn die Einzelheiten der Kompetenzen der Bundesregierung im Bereich der auswärtigen Gewalt in der Literatur kontrovers diskutiert werden,14 fällt die Außenvertretung Deutschlands in ihren Kompetenzbereich.15 Die Vertreter der Bundesregie­ rung arbeiten auf Unionsebene im Europäischen Rat und im Rat mit. Daraus folgt eine Verlagerung von Legislativbefugnissen auf die Bundesregierung. 12  Vgl. zum ganzen Absatz, insbesondere zur identitär-holistischen Sichtweise demokratischer Legitimation und der Kritik daran: Nettesheim, „Integrationsverant­ wortung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 39 ff., mit Verweis auf Bockenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Auf­ lage 2004, § 24, Rdnr. 26 ff. Zu dieser Sichtweise differenzierend: Klein, in: Maunz /  Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 60. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2010), Art. 38 Rdnr. 57 ff. 13  Die Kritik daran geht insbesondere in die Zeit vor Einführung der Informa­ tions- und Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in Art. 23 GG im Jahr 1992 zurück, vgl. z. B. Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäi­ schen Gemeinschaft, in: VVDStRL, Band 50 (1991), S. 9, 39 f. 14  Zur Diskussion um die Funktionenteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt vgl. statt aller: Nettesheim, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 54. Ergän­ zungslieferung (Stand: Januar 2009), Art. 59 Rdnr. 24 ff. 15  Vgl. dazu näher unten S. 41.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Selbst wenn dem Bundestag noch Entscheidungsrechte verbleiben, wie etwa die Umsetzung einer Richtlinie in deutsches Recht, wird mit Blick auf die Praxis einschränkend festgestellt, dass die Richtlinien oft nur einen sehr geringen Umsetzungsspielraum gewähren und dem Bundestag in diesen Fällen nur ein „Abnicken“ in Form eines (unveränderten) Gesetzesbeschlus­ ses abverlangt wird.16 Der „Ratifikationsdruck“ gerade auf die Mitglieder der Regierungsfraktionen17 sei sehr hoch, da sie bei Weigerung oder erheb­ lichen Änderungen „ihre“ Regierung politisch bloßstellen würden.18 Die Diskussion über diese offene „Selbstentmachtung des Parlaments“19 geht in Deutschland bis in die Zeit der Verhandlungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1951 zurück. Schon damals beklagten die Bundesländer, dass ihnen in die­ sem Zuge eigene Entscheidungskompetenzen abgeschnitten würden. Dage­ gen stand der Bundestag dieser Entwicklung bis in die 1980er Jahre eher unkritisch gegenüber.20 Das „rechtswissenschaftliche Entsetzen“ über die Entparlamentarisierung ist bis heute teilweise groß,21 bisweilen wird sogar von einer „verfassungs­ 16  Ruffert, in: Calliess / ders. (Hrsg.), EUV / AEUV, Kommentar, 4. Auflage 2011, AEUV Art. 288, Rdnr. 25; Morlok, Gefährdungen demokratischer Entscheidungskul­ tur durch Informalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen, in: Gosewinkel / Schuppert (Hrsg.), Politische Kultur im Wandel von Staatlichkeit, S. 267; Hölscheidt, Formale Aufwertung – geringe Schubkraft: die Rolle der natio­ nalen Parlamente gemäß dem Lissabonner Vertrag, integration 2008, 254, 258. 17  Soweit von „Regierungsfraktionen“ die Rede ist, umfasst dies auch den Fall, dass es nur eine Regierungsfraktion im Bundestag gibt. Die Wahl des Plurals reflek­ tiert die Tatsache, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands bisher allein in den Jahren von 1960 bis 1961 nur eine Regierungsfraktion gab. Zwar hat­ te die CDU unter Konrad Adenauer in den Wahlen von 1953 und 1957 die absolute Mehrheit im Bundestag erreicht, sie koalierte dennoch mit weiteren bürgerlichen Parteien. Erst als im Jahr 1960 die beiden einzigen bis dahin nicht der CDU ange­ hörenden Minister (damals noch „Deutsche Partei“) der CDU beitraten, bestand die Regierung allein aus Mitgliedern der CDU und es gab im Bundestag mithin auch nur eine Regierungsfraktion. 18  Michael, Rechtssetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, S. 453; Klein, Die Macht des Bundestages, ZG 2012, 209, 213. 19  Papier, Reform an Haupt und Gliedern – Eine Rede gegen die Selbstentmach­ tung des Parlaments, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.01.2003, Seite 8. 20  Ausführliche Darstellung der Haltung des Bundestages bei Lang, Die Mitwir­ kungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäi­ schen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 31 f. 21  Kirchhof, Demokratie ohne parlamentarische Gesetzgebung?, NJW 2001, 1323 ff.; ders., Entparlamentarisierung der Demokratie?, in: Kielmansegg / Kaiser et al. (Hrsg.), Demokratietheorie und Demokratieentwicklung, 2004, S. 359, 361 ff.; Papier, Reform an Haupt und Gliedern – Eine Rede gegen die Selbstentmachtung des Parlaments, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.01.2003, Seite 8; Ruf-



I. Die Entscheidungsgewalt des Bundestages in der Europapolitik29

politischen Krise“22 gesprochen. Die Problematik erfährt ständig neue Ak­ tualität, zuletzt durch die Frage, wie die Verhandlungen zwischen den EuroMitgliedstaaten zur Bewältigung der Finanz- und Staatsschuldenkrise unter Einbeziehung der nationalen Parlamente möglichst effektiv geführt werden können.23 Das Grundgesetz beantwortet diese Situation mit der Gewährung von Informations- und Mitwirkungsrechten des Bundestages in Angelegen­ heiten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2 GG). Die Einführung dieser Rechte beruhte maßgeblich auf dem Gedanken, dass sie die verlorene Ent­ scheidungsgewalt des Bundestags kompensieren sollen.24 In diesem Zusammenhang darf aber nicht übersehen werden, dass es für den Bundestag nicht nur nachteilig ist, wenn seine Entscheidungsrechte auf die Union übertragen werden. Als Mitgliedstaat der Europäischen Union ist fert, Entformalisierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen, DVBl 2002, 1145, 1149; Puhl, Entparlamentarisierung und Auslagerung staatlicher Entscheidungsverantwortung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Auflage 2005, § 48, Rdnr. 47; Herdegen, Informalisierung und Entparlamentarisierung politi­ scher Entscheidungen als Gefährdung der Verfassung?, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Band 62, 2003, S. 21 ff. 22  Puhl, Entparlamentarisierung und Auslagerung staatlicher Entscheidungsverant­ wortung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Auflage 2005, § 48, Rdnr. 1, zur „Krise“ des Post-Parlamentarismus vgl. auch Schüttemeyer, Modewort oder Alarmsi­ gnal? Befunde und Überlegungen zur Entparlamentarisierung, in: Patzelt / Se­ baldt / Kranenpohl (Hrsg.), Res publica semper reformanda – Wissenschaft und politi­ sche Bildung im Dienste des Gemeinwohls, 2008, S. 240 f.; zur Situation des Staates im offenen Verbundstaat auch: Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 104 ff. 23  Vgl. dazu die Darstellung der Situation des Bundestages und seiner Entschei­ dungskompetenzen in Bezug auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise bei Nettesheim, Verfassungsrecht und Politik in der Staatsschuldenkrise, NJW 2012, 1409 f. und Daiber, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an den Maßnahmen zur Ein­ dämmung der Staatsschuldenkrise im Euroraum, DÖV 2014, 809; sowie aus dem politischen Blickwinkel statt vieler den Kommentar von Frankenberger „Nicht ohne meinen Bundestag – Schon der Anschein der Entparlamentarisierung der Europa­ politik ist gefährlich“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.08.2012, S. 8. 24  Allgemeine Auffassung, vgl. z. B.: BVerfGE 131, 152, 197, AbsNr. 96 a. E. – parlamentarische Informationsrechte; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kom­ mentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 93 und 98 ff.; Calliess, Absicherung der parla­ mentarischen Integrations- und Budgetverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 53 m. w. N. aus der rechtswissenschaftlichen Literatur in Fn. 63; Durner, Verfassungsbindung deutscher Europapolitik, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR X, 3. Auflage 2012, § 216, Rdnr. 3; Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 4 ff.; Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: Bog­ dandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 121, 150; Saberzadeh, Parlamentsbeteiligung im Rahmen der Europäischen Integration, in: Schubel / Kirs­ te / Müller-Graff / Diggelmann / Hufeld (Hrsg.), Jahrbuch für Vergleichende Staats und Rechtswissenschaften – 2013, S. 159, 164; vgl. jedoch zur Tragfähigkeit dieses Gedankens unten S. 230 ff.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Deutschland an der Gesetzgebung der Union beteiligt und entscheidet daher auch über die Gestaltung der Rechtsverhältnisse in anderen Mitgliedstaaten. Soweit der Bundestag diese Entscheidungen direkt oder indirekt mitgestal­ ten kann, kommt es zu einer „seitlichen“ Erweiterung seines Einflussberei­ ches.25 Die Harmonisierung des Rechts in allen Mitgliedstaaten ist zunächst ein wirtschaftlicher, aber auch ein rechtsstaatlicher Vorteil, sollen doch die gemeinsamen Werte, wie Demokratie, Gleichheit und Menschenrechte, durch die Harmonisierung gewahrt werden (Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 EUV). Für die deutschen Handelsbeziehungen, die deutsche Wirtschaft und schließ­ lich für den Wohlstand und die Lebensverhältnisse in Deutschland wirkt es sich umso positiver aus, je stabiler und einheitlicher diese Rechtsverhältnis­ se der anderen Mitgliedstaaten sind. So brachten z. B. die Verordnungen Rom I und Rom II26 erhebliche justizielle Vereinfachungen der vertraglichen und außervertraglichen (Handels- und Dienstleistungs-)Beziehungen zwi­ schen den Mitgliedstaaten.27 Flankierende Rechtsgebiete, die zu einer Sta­ bilisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in den anderen Mitgliedstaa­ ten führen sollen, wie z. B. die Arbeitnehmer- und Sozialrechte28, dienen ebenfalls einer beständigen Wirtschaftsunion. Allerdings gewinnt dabei das politische Ziel, möglichst einheitliche Lebensstandards in allen Teilen der Union zu erreichen, immer größere Bedeutung.29 Der Einflussbereich des Bundestages geht innerstaatlich zwar durch die fortschreitende europäische 25  von Bogdandy spricht in diesem Zusammenhang von einer „seitlichen Öff­ nung“: von Bogdandy, Prinzipien von Staat, supranationalen und internationalen Organisationen, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR XI, 2013, § 232, Rdnr. 22 ff. Vgl. zu diesem „Vorteil“ auch: BVerfGE 89, 155, 182 f. – Maastricht; sowie Kadelbach, Autonomie und Bindung der Rechtsetzung in gestuften Rechtsordnungen, in: VVDStRL Band 66 (2006), 7, 26; Kaufmann, Europäische Integration und Demo­ kratieprinzip, 1997, S. 464 f. m. w. N. in Fn. 172; Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S.  389 f. 26  Verordnung (EG) Nr. 593 / 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) und Verordnung (EG) Nr. 864 / 2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“). 27  Dazu mit Bezug zur Praxis: Brand, Das anwaltliche Mandat im internationalen Schuldrecht, in: Hüßtege / Mansel (Hrsg.), NomosKommentar, BGB – Rom Verord­ nungen, 2014, S. 8, Rdnr. 3 ff. 28  Vgl. Art. 9 i. V. m. Art. 145 ff. und Art. 151 ff. AEUV sowie die Kommentierung dazu bei Marauhn / Simon, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Eu­ ropäischen Union, Art. 145 ff. EUV, 44. Ergänzungslieferung (Stand: Mai 2011) und Langenfeld / Benecke, in: ebenda, Art. 151 ff. EUV, 43. Ergänzungslieferung (Stand: März 2011). 29  Dazu grundlegend: Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union – Aus­ gestaltung und Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV, 2000, S. 42 ff., 78 ff.



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Integration zurück, vergrößert sich jedoch über die deutschen Grenzen hin­ weg („zur Seite“), wenn er effektiven Einfluss auf die Ausgestaltung dieses Rechts durch die Union nehmen kann. 2. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf die Europäische Union Die Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Union findet jedoch ihre Grenze in dem Konzept der Verfassungsidentität, das das Bun­ desverfassungsgericht insbesondere in seiner Entscheidung zum LissabonVertrag entwickelt hat. Es hatte zuvor schon in der Entscheidung zum Vertrag von Maastricht verdeutlicht, dass das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und das Wahlrecht (Art. 38 Abs. 1 GG) als Ausdruck der repräsentativen Volksherrschaft durch die Hoheitsübertragungen nicht ausgehöhlt werden dürfen. Dies wäre der Fall, wenn die auf die Union übertragenen Kompetenzen einen solchen Umfang annehmen, dass die Ge­ staltungsmacht des Bundestages und damit das demokratische Prinzip, so­ weit es von Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG geschützt ist, einen wesentlichen Substanzverlust erlitte.30 Das Bundesverfassungsgericht setzt dem weiteren Entzug von Entscheidungskompetenzen des Bundestages somit zunächst eine ausdrückliche Grenze: Der Europäischen Union dürfen keine Hoheitsrechte übertragen werden, die selbst der Änderung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen sind.31 In seiner LissabonEntscheidung geht das Bundesverfassungsgericht noch einen Schritt weiter und definiert die Integrationsgrenze auch anhand von Kompetenzbereichen. Der wesentliche Kern der Hoheitsrechte, die die wirtschaftlichen, kulturel­ len und sozialen Lebensverhältnisse in den Mitgliedstaaten gestalten, könne nicht auf die Europäische Union übertragen werden (Verfassungsidentität des demokratischen Primärraums32). Zu diesen wesentlichen Hoheitsrechten 30  BVerfGE 89, 155, 171 f., AbsNr. 61 ff. – Maastricht; ebenso und darauf Bezug nehmend: BVerfGE 123, 267, 341, AbsNr. 210 – Lissabon; dies näher erläuternd: Di Fabio, Spielräume des Grundgesetzes und Grenzen Karlsruher Rechtsschöpfung, in: Baus / Borchard / Gelinsky / Krings (Hrsg.), Die Finanzkrise als juristische Zeitenwen­ de? Zur Zukunft von europäischer Integration und Grundgesetz, 7. Berliner Rechts­ politische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, Sankt Augustin / 2012, S. 125, 128 ff. 31  Vgl. in Bezug auf das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das diesen Gedanken ebenfalls aufgreift: Schorkopf, Die Europäische Union im Lot – Karlsruhes Rechtsspruch zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2009, 718, 719. 32  BVerfGE 123, 267, 411, AbsNr. 360 – Lissabon; zum Identitätsbegriff weiter­ führend: Schorkopf, Die Grenzen des Grundgesetzes für die Übertragung von Ho­ heitsrechten, in: Baus / Borchard / Gelinsky / Krings (Hrsg.), Die Finanzkrise als juris­ tische Zeitenwende? Zur Zukunft von europäischer Integration und Grundgesetz,

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gehören: die Staatsbürgerschaft, das materielle und formelle Strafrecht, die Verfügung über das Gewaltmonopol polizeilich nach innen und militärisch nach außen, die fiskalischen Grundentscheidungen über Einnahmen und – gerade auch sozialpolitisch motivierte – Ausgaben der öffentlichen Hand, die sozialstaatliche Gestaltung von Lebensverhältnissen und kulturell beson­ ders bedeutsame Entscheidungen etwa im Familienrecht, Schul- und Bil­ dungssystem oder über den Umgang mit religiösen Gemeinschaften.33 Diese Aufzählung sowie das Konzept der Verfassungsidentität wurden in der rechtswissenschaftlichen Literatur in der Folge der Lissabon-Entschei­ dung kontrovers diskutiert.34 Die Kritik an dieser Aufzählung stützt sich dabei auf den Vorwurf, dem so vom Bundesverfassungsgericht definierten demokratischen Primärraum fehle eine stringente verfassungsrechtliche Her­ 7. Berliner Rechtspolitische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, Sankt Augus­ tin / 2012, S. 89, 91 f.; zur Identität der deutschen Verfassung auch im Verhältnis zur Union grundlegend: Kirchhof, Die Identität der Verfassung, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Auflage 2004, § 21, Rdnr. 52 ff. 33  BVerfGE 123, 267, 350 ff., AbsNr. 252 ff. – Lissabon. 34  Auf eine Darstellung der Diskussion wird an dieser Stelle verzichtet. Die Ar­ gumente wurden in der Literatur bereits umfangreich dargestellt und besprochen: vgl. Die Beiträge in dem Tagungsband: Baus / Borchard / Gelinsky / Krings (Hrsg.), Die Finanzkrise als juristische Zeitenwende? Zur Zukunft von europäischer Integra­ tion und Grundgesetz, 7. Berliner Rechtspolitische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, 2012; Denninger, Identität versus Integration?, JZ 2010, 969; Di Fabio, Der Auftrag zur Europäischen Union und seine Grenzen, in: Ruffert (Hrsg.), Dyna­ mik und Nachhaltigkeit des Öffentlichen Rechts, Festschrift für Meinhard Schröder, 2012, S. 169, 175 f.; Isensee, Integrationswille und Integrationsresistenz des Grund­ gesetzes – Das Bundesverfassungsgericht zum Vertrag von Lissabon, ZRP 2010, 33; Ohler, Herrschaft, Legitimation und Recht in der Europäischen Union – Anmerkun­ gen zum Lissabon-Urteil des BVerfG, AöR 2010, 153, 172 ff.; Schorkopf, Die Euro­ päische Union im Lot – Karlsruhes Rechtsspruch zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2009, 718, 719 ff.; Calliess, Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsge­ richts: Parlamentarische Integrationsverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1, 32 ff., ders., Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 267 ff.; Classen, Legitime Stärkung des Bundestages oder verfas­ sungsrechtliches Prokrustesbett?, JZ 2009, 881, 887; Cremer, Lissabon-Vertrag und Grundgesetz, JURA 2010, 296, 298; Ruffert, An den Grenzen des Integrationsver­ fassungsrechts: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissa­ bon, DVBl 2009, 1197, 1202 ff.; Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Identitätskontrolle: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 491, 508 ff.; Kottmann / Wohlfahrt, Der gespaltene Wächter? – Demokratie, Verfassungsidentität und Integrationsverantwortung im Lissabon-Urteil, ZaöRV 2009, 443, 454 ff.; Nettesheim, Ein Individualrecht auf Staatlichkeit? Die LissabonEntscheidung des BVerfG, NJW 2009, 2867, 2861 f.; Schönberger, Lisbon in Karls­ ruhe: Maastricht’s Epigones At Sea, GLJ Vol. 10 No. 8 2009, 1201, 1201 f.; Terhechte, Souveränität, Dynamik und Integration – making up the rules as we go along? Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, EuZW 2009, 724.



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leitung.35 Für den Bundestag könnte es sich in der Praxis tatsächlich als schwierig erweisen, dass eine Begründung für die Aufzählung gerade dieser Bereiche im Lissabon-Urteil fehlt. Das Gericht führt lediglich aus, dass die genannten Bereiche „seit jeher“ als „besonders sensibel für die demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit eines Verfassungsstaates gelten“36. Auch die genaue Reichweite der integrationsfesten Hoheitsrechte bleibt unklar.37 Von den im Lissabon-Urteil genannten integrationsfesten Sachbereichen geht jedenfalls für die betroffenen Staatsorgane ein Warn- und Gefahrenhinweis aus, wann die Grenzen der Integrationsfähigkeit des Grundgesetzes erreicht sein können.38 Dadurch, dass sich das Bundesverfassungsgericht selbst zum Hüter der Verfassungsidentität macht, indem es sich die Identitätskontrolle zuspricht,39 liegt es letztlich in seiner eigenen Hand, in kommenden verfas­ 35  Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Identitätskontrolle: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 491, 509, m. w. N.; Kottmann / Wohlfahrt, Der gespaltene Wächter? – Demokratie, Verfassungsidentität und Integrationsverantwortung im Lissabon-Urteil, ZaöRV 2009, 443, 461; heftige Kritik an der Liste der integrationsfesten Bereiche bei Schönberger, Lisbon in Karls­ ruhe: Maastricht’s Epigones At Sea, GLJ Vol. 10 No. 8, 2009, 1201, 1209 f. 36  BVerfGE 123, 267, 350, AbsNr. 252 – Lissabon. 37  Calliess, Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parlamen­ tarische Integrationsverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1, 33. 38  Ohler, Herrschaft, Legitimation und Recht in der Europäischen Union – An­ merkungen zum Lissabon-Urteil des BVerfG, AöR 2010, 153, 175; Baumann, Die europäische Integration unter Wahrung der nationalen Verfassung – Die „EuropaEntscheidungen“ des Bundesverfassungsgerichts, in: Baumann / Elser (Hrsg.), Das letzte Wort – Rechtsetzung und Rechtskontrolle in der Demokratie: 53. Assisten­ tentagung Öffentliches Recht, 2014, S. 121, 133. 39  BVerfGE 123, 267, 353  f., AbsNr. 240 f. – Lissabon; später auf hinreichend qualifizierte Kompetenzverstöße einschränkend: BVerfGE 126, 286, 304, AbsNr. 61 und Ls. 1 – Honeywell. Zu diesem Aspekt des Lissabon-Urteils siehe: Schorkopf, Die Europäische Union im Lot – Karlsruhes Rechtsspruch zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2009, 718, 722; Di Fabio, Spielräume des Grundgesetzes und Grenzen Karlsruher Rechtsschöp­ fung II, in: Baus / Borchard / Gelinsky / Krings (Hrsg.), Die Finanzkrise als juristische Zeitenwende? Zur Zukunft von europäischer Integration und Grundgesetz, 7. Berli­ ner Rechtspolitische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, 2012, S. 125. Eher kritisch dazu: Bergmann / Karpenstein, Identiäts- und Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht – Zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Vorla­ geverpflichtung, ZEuS 2009, 529; Häde, Grenzen bundesverfassungsgerichtlicher Ultra-Vires- und Identitäts-Kontrollen, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwor­ tung, 2012, S. 163; Calliess, Das Ringen des Zweiten Senats mit der Europäischen Union: Über das Ziel hinausgeschossen …, ZEuS 2009, 559, 569; ders., Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parlamentarische Integrationsverant­ wortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1, 32 ff.; Nettesheim, Ein Individualrecht auf Staatlichkeit? Die Lissabon-Entscheidung des BVerfG, NJW 2009, 2867, 2869; Classen, Legitime Stärkung des Bundestages oder verfassungs­

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sungsgerichtlichen Verfahren die Grenzen genauer zu bestimmen,40 auch wenn in den acht dem Lissabon-Urteil folgenden Entscheidungen zu wich­ tigen europäischen Integrationsschritten41 keiner dieser Schritte an der Identitätskontrolle gescheitert ist.42 In dem Verfahren um die Notmaßnahmen des im Jahr 2010 geschaffenen vorläufigen Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus43 hat das Bun­ desverfassungsgericht mit der Budgethoheit des Bundestages einen weiteren Bereich definiert, der nicht auf internationale Einrichtungen übertragen werden kann.44 Das Gericht vertieft seine Rechtsprechung aus dem Lissa­ bon-Urteil zu den Integrationsgrenzen und entwickelt das Konzept der Budgetverantwortung ebenfalls aus dem Wahlrecht und Demokratieprinzip (Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG). Danach muss der Bundestag, als gewählter Repräsentant des Volkes, auch in einem intergouvernementalen System die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten („haushaltspolitische Gesamt­ verantwortung“). Folglich darf die Entscheidung über die Art und Höhe der rechtliches Prokrustesbett?, JZ 2009, 881, 887; Kottmann / Wohlfahrt, Der gespaltene Wächter? – Demokratie, Verfassungsidentität und Integrationsverantwortung im Lissabon-Urteil, ZaöRV 2009, 443, 463 ff.; Lhotta / Kettelhut, Integrationsverantwor­ tung und parlamentarische Demokratie: Das Bundesverfassungsgericht als Agent des „verfassten politischen Primärraums“?, ZParl 2009, 864. 40  Schorkopf weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Ermittlung der Reichweite der einzelnen Bereiche anhand der von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Rechte nach Art. 1 und 20 GG durch eine „erhebliche Auslegungsleistung ermittelt“ werden muss; Schorkopf, Die Europäische Union im Lot – Karlsruhes Rechtsspruch zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2009, 718, 722. An anderer Stelle erläutert er weiterführend, dass der Identitätsbegriff und die Verortung von Themen im nationa­ len Rechtskreis durch die Bürger entscheidende Hinweise dafür gegeben kann, ob damit verbundene Hoheitsrechte im Nationalstaat verbleiben müssen: ders., Die Grenzen des Grundgesetzes für die Übertragung von Hoheitsrechten, in: Baus / Bor­ chard / Gelinsky / Krings (Hrsg.), Die Finanzkrise als juristische Zeitenwende? Zur Zukunft von europäischer Integration und Grundgesetz, 7. Berliner Rechtspolitische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, Sankt Augustin / 2012, S. 89, 91 f. 41  Vgl. die Nachweise oben in der Einleitung, Fn. 6 und Fn. 9. 42  Auf diese Beobachtung verweist auch Baumann, Die europäische Integration unter Wahrung der nationalen Verfassung – Die „Europa-Entscheidungen“ des Bun­ desverfassungsgerichts, in: Baumann / Elser (Hrsg.), Das letzte Wort – Rechtsetzung und Rechtskontrolle in der Demokratie: 53. Assistententagung Öffentliches Recht, 2014, S. 121, 133. 43  Dieser setzte sich aus zwei Komponenten zusammen: Einem auf eine EUVerordnung gestützten europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und der europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), einer auf zwischenstaatlicher Vereinbarung der Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe beruhenden Zweckgesellschaft zur Gewährung von Darlehen und Kreditlinien. 44  BVerfGE 129, 124 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm.



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Abgaben nicht in einem wesentlichen Umfang auf die Union oder sonstige supranationale Einrichtungen übertragen und damit dem Bundestag entzo­ gen werden.45 Diese Rechtsprechung wurde durch das Bundesverfassungsgericht in sei­ ner Hauptsacheentscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus und des Fiskalpaktes im März 2014 leicht differenziert.46 Das Gericht hielt die vom Gesetzgeber getroffene Einschät­ zung, dass die aus der Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus folgenden Zahlungspflichten Deutschlands in einer absoluten Höhe von 190,0248 Milliarden Euro nicht zu einem vollständigen Leerlaufen der Haushaltsautonomie führen, jedenfalls für nicht evident fehlerhaft. Sie sei daher vom Gericht hinzunehmen. Es führte jedoch auch aus, dass die Ent­ scheidungen der Organe des Europäischen Stabilitätsmechanismus auch die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen können und diese daher auf einem ununterbrochenen Legitimationszusammenhang mit dem Bundes­ tag beruhen müssen.47 Die deutschen Vertreter in den Organen des Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus seien daher bei solchen Entscheidungen an die parlamentarischen Weisungen des Bundestages gebunden.48 Im Zusammenhang mit dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanis­ mus war die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch so zu verstehen, dass grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen nicht auf eine zwischenstaatliche Einrichtung übertragen werden dürfen, da sie an­ dernfalls der Dispositionsbefugnis des Bundestages entzogen werden wür­ den.49 In der Entscheidung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus hält 45  BVerfGE 129, 124, 178 ff., AbsNr. 124, 126 und 128 – Griechenland-Hilfe / EuroRettungsschirm. In der Entscheidung selbst folgert das Gericht aus der Budgethoheit des Bundestages, dass der Bundestag der Übernahme von Gewährleistungen zur Ret­ tung notleidender Euro-Staaten vorher zwingend zustimmen muss. Die entsprechenden Gesetze sahen dies so nicht vor. Die Bundesregierung musste sich vor der Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen des EFSF lediglich „bemühen“, ein Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages herzustellen (§ 1 Absatz 4 StabMechG). Unklar blieb, wie verfahren werden sollte, wenn kein Einvernehmen hergestellt werden kann. In der Entscheidung stellte das BVerfG daher klar, dass diese Vorschrift dahingehend verfassungskonform auszulegen sei, dass die Bundesregierung grundsätzlich verpflichtet ist, vor Übernahme von Gewährleistungen jeweils die Zu­ stimmung des Haushaltsausschusses einzuholen (vgl. S. 185 f., Abs­Nr. 141). 46  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., AbsNr. 165 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 47  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., AbsNr. 185 ff. – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 48  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., Rdnr. 237 ff. – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 49  BVerfGE 129, 124 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm; ähnlich auch schon BVerfGE 123, 267, 411, AbsNr. 360 – Lissabon.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

das Gericht hingegen die Übertragung von Entscheidungen, die die haus­ haltspolitische Gesamtverantwortung betreffen können, auf diese zwischen­ staatliche Einrichtung nicht für verfassungswidrig, soweit der Bundestag die Letztentscheidungskompetenz darüber behält.50 Es entsteht so zwischen dem unübertragbaren Identitätskern und den übertragbaren Hoheitsrechten – je­ denfalls für die Budgetverantwortung – ein dritter, identitätsnaher Bereich, in dem wesentliche Teile der Hoheitsrechte auf eine supranationale Einrich­ tung übertragen werden dürfen, deren Ausübung durch diese Einrichtung jedoch nur mit Zustimmung des Bundestages erfolgen kann. Die so von der Verfassungsidentität und der Budgetverantwortung abge­ steckten (absoluten) Grenzen dürfen nicht überschritten werden. Eine voll­ ständige Übertragung von Entscheidungskompetenzen des Bundestages, die zu dem Identitätskern der Verfassung gehören, wäre in diesem Bereich verfassungswidrig. Außerhalb dieser Grenzen bedarf es einer fortgesetzten demokratischen Legitimation, wenn Hoheitsrechte auf die Europäische ­Union übertragen und von der Union ausgeübt werden. 3. Der Bundestag als Hersteller demokratischer Legitimation der Unionspolitik Das Grundgesetz gibt den Rahmen, wie weit und auf welcher Basis (Art. 23 Abs. 1 GG) Hoheitsrechte auf die Union übertragen werden dürfen, somit vor. Die demokratische Legitimation des europäischen Primärrechts leitet sich unmittelbar von den Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ und dort insbesondere durch die Zustimmungsgesetze der nationalen Parla­ mente ab. Über die demokratische Legitimation des Sekundärrechts und der sonstigen Handlungen der Union51 schweigt das Grundgesetz hingegen. Dabei ist hinreichend geklärt, dass die von den europäischen Organen und Einrichtungen ausgeübte Hoheitsgewalt auch aus Sicht des deutschen Ver­ fassungsrechts demokratischer Legitimation bedarf.52 Erwähnt ist die demo­ 50  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., Rdnr. 191 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 51  Vgl. zu der seit langem diskutierten These des Demokratiedefizits der Europä­ ischen Union: vgl. grundlegend: Kaufmann, Europäische Integration und Demokra­ tieprinzip, 1997, S. 21 ff.; Häberle, Europäische Verfassungslehre, 7. Auflage 2011, S.  307 ff. m. w. N.; Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2005, S. 271 ff. m. w. N.; Ruffert, in: Calliess / ders. (Hrsg.), EUV / AEUV, Kommentar, 4. Auflage 2011, EUV Art. 9 Rdnr.  4 ff.; Huber, Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker – Zur Demo­ kratiefähigkeit der Europäischen Union, in: Drexl et.al. (Hrsg.), Europäische Demo­ kratie, 1999, S. 27. 52  BVerfGE 89, 155, 184 ff., AbsNr. 96 ff. – Maastricht; BVerfGE 123, 267, 364, AbsNr. 262 – Lissabon; aus der Literatur umfassend: Kaufmann, Europäische Integ­



I. Die Entscheidungsgewalt des Bundestages in der Europapolitik37

kratische Legitimation der Arbeitsweise der Union im Primärrecht selbst. Das dort festgeschriebene Konzept der dualen Legimitation (Art. 10 Abs. 2 EUV) bezieht die nationalen Parlamente in die Herstellung der demokrati­ schen Absicherung der Europäischen Union ein. Neben dem ersten Legiti­ mationsstrang über das Europäische Parlament vermittelt die demokratische Rückbindung der Regierungsvertreter im Europäischen Rat und im Rat an ihre nationalen Parlamente den Handlungen der Union demokratische Legi­ timation (zweiter Legitimationsstrang).53 Nur eine effektive Verzahnung der europäischen mit den nationalen parlamentarischen Strukturen führt dazu, dass durch beide Legitimationsstränge zusammen ein hinreichendes Legiti­ mationsniveau für die Hoheitsausübung der Union erreicht wird.54 Die nationalen Parlamente und damit auch der Deutsche Bundestag neh­ men an der Herstellung demokratischer Legitimation für die Union in zwei­ facher Hinsicht teil. Der Bundestag schafft zum einen durch die Kreation des Bundeskanzlers (Art. 63 Abs. 1 GG), der wiederum die Minister be­ stimmt (Art. 64 Abs. GG), die personelle Legitimation der deutschen Vertre­ ter im Europäischen Rat und im Rat. Zum anderen sollen die nationalen Parlamente durch eine ständige Begleitung der europäischen Entwicklungen (Ex-ante-Betrachtung) und eine nachträgliche Kontrolle der Regierungstä­ tigkeit auf europäischer Ebene (Ex-post-Betrachtung) auch eine sachlichration und Demokratieprinzip, 1997, insbesondere S. 430 ff.; Brosius-Gersdorf, Die doppelte Legitimationsbasis der Europäischen Union, EuR 1999, 133, 137 ff.; aus der neueren Literatur: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 42 ff.; Nettesheim, „Integra­ tionsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11 ff.; Oeter, Föderalismus und Demokratie, in: Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S.  73, 112 ff.; Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Euro­ päischen Union, 2008, S. 41 ff. 53  Oeter weist darauf hin, dass die Legitimationsverteilung zwischen Europäi­ schen Parlament und den Parlamenten der Mitgliedstaaten einem Wandel unterlie­ gen kann. Die Rolle des Europäischen Parlaments entscheidet, wie stark die direk­ te unionale Legitimationskraft ist bzw. sein muss. Oeter, Föderalismus und Demo­ kratie, in: Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 73, 97 ff. 54  BVerfGE 89, 155, 182, AbsNr. 92 – Maastricht: „Entscheidend ist, daß ein hinreichend effektiver Gehalt an demokratischer Legitimation, ein bestimmtes Legitimationsniveau, erreicht wird“; mit Verweis auf BVerfGE 83, 60, 72, AbsNr. 39 – Ausländerwahlrecht II; in Bezug auf den Vertrag von Lissabon: BVerfGE 123, 267, 370 ff., AbsNr. 274 ff. – Lissabon; zur Bedeutung der nationalen Parlamente für die Legitimation der Union ausführlich: Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 19 ff.; Brosius-Gersdorf, Die doppelte Legitimationsbasis der Europäischen Union, EuR 1999, 133, 166 ff.; a. A. Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL Band 60 (2001), S. 246, 251 f., S. 257: „Verantwortungsverschiebebahnhof“.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

inhaltliche Legitimation vermitteln.55 Zur weiteren Stärkung ihres Einflusses sieht das Primärrecht eine Reihe von direkten Informations-, Mitwirkungs-, Kontroll- und Bewertungsrechten vor (Art. 12 EUV). Die Einführung dieser Rechte mit dem Vertrag von Lissabon soll die Umsetzung der sachlich-in­ haltlichen Mitwirkung der nationalen Parlamente in der Praxis ermöglichen, damit sich ihre Legitimationskraft tatsächlich zugunsten der Union entfalten kann.56 Da dem ersten Legitimationsstrang über das Europäische Parlament weiterhin eine nur eingeschränkte Legitimationskraft zugesprochen wird, liegt der Fokus auf den nationalen Parlamenten.57 Dieser zweite Legitimationsstrang korrespondiert im nationalen Verfas­ sungsrecht mit dem Mitwirkungsrecht des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Dabei erschöpfen sich die nationalen Mitwirkungsrechte nicht in Kompetenzverteilungsnormen, die die Teilnahme von Bundestag und Bundesrat an der nationalen europa­ politischen Willensbildung sicherstellen sollen. Sie werden vielmehr Teil einer supranationalen institutionellen Architektur, die die Legitimationskraft der nationalen Parlamente auch für das Handeln der Union fruchtbar ma­ chen soll.58 Der Bundestag behält seine Schlüsselfunktion nicht nur für die demokratische Legitimation der deutschen, sondern auch der europäischen Hoheitsgewalt.59 Mit Blick auf die politische Praxis könnte sich jedoch die Mitwirkung des Deutschen Bundestages als zu schwach erweisen, um der Union hinreichen­ de demokratische Legitimation vermitteln zu können.60 Die sachlich-inhalt­ 55  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 62; Saberzadeh, Parlamentsbeteiligung im Rahmen der Europäischen Integration, in: Schubel / Kirste / Müller-Graff / Diggelmann / Hufeld (Hrsg.), Jahrbuch für Vergleichende Staats und Rechtswissenschaften – 2013, 2014, S. 159, 165. 56  Hölscheidt, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 12 EUV, 41. Ergänzungslieferung (Stand: Juli 2010), Rdnr. 6 ff. 57  BVerfGE 123, 267, 373 ff., AbsNr. 284 ff. – Lissabon; vgl. aus der Literatur statt aller: Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S.  347 ff.; Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbin­ dung und überstaatlicher Einbindung, 2005, S. 292 ff. A. A. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 210 ff., 306 ff. 58  BVerfGE 131, 152, 198, AbsNr. 98 – parlamentarische Informationsrechte, unter Verweis auf: Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundes­ tages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S.  279 f. 59  Zu diesen Gedanken: Voßkuhle, Über die Demokratie in Europa: Aus Politik und Zeitgeschichte (Bundeszentrale für politische Bildung) 13 / 2012, 3, 8. 60  Dieser Frage intensiv nachgehend: Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 453 ff.; Dann ist der Auffassung, dass die nationalen Parlamente schon aufgrund der Struktur des Mehrebenensystems nicht in der Lage



I. Die Entscheidungsgewalt des Bundestages in der Europapolitik39

liche Mitwirkung und die daraus folgende Legitimationsvermittlung der nationalen Parlamente wären dann besonders stark, wenn sie die Entschei­ dungen des Rates maßgeblich bestimmen könnten. Das ist jedoch weder dem Bundestag noch den anderen nationalen Parlamenten möglich. Ganz praktisch liegt dies schon daran, dass die Parlamente nicht über die entspre­ chenden Ressourcen verfügen, um jedes einzelne europäische Vorhaben zu beraten und darüber eine Entscheidung zu treffen bzw. eine Stellungnahme abzugeben. Rechtlich schwerwiegender ist jedoch, dass die überwiegende Zahl der nationalen Parlamente das Abstimmungsverhalten der Vertreter „ihrer“ Regierung im Rat – außerhalb von Primärrechtsänderungen – nicht bestimmen kann.61 Das große Problem der nationalen Parlamente besteht mithin darin, dass sie die Handlungen der europäischen Organe begleiten und kontrollieren sollen, obwohl sie keinen Zugang zu diesen Organen ha­ ben und auch ihre Regierungen rechtlich nicht an bestimmte Entscheidungen binden können.62 Soweit die nationalen Parlamente allerdings Richtlinien in nationales Recht in Form eines Gesetzes überführen, tragen sie dafür die Verantwor­ tung. Mit der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht bestätigt der Bundestag das Handeln der Bundesregierung auf Unionsebene und über­ nimmt so und selbst dann, wenn nur ein sehr eingeschränkter Umsetzungs­ spielraum gegeben war, die Verantwortung für die Entscheidung der Regie­ rung im Rat. Dies gilt natürlich nur dann, wenn diese dem Erlass der Richtlinie zugestimmt hat.63 Außerhalb der Umsetzung von Richtlinien kann sich eine wirksame sachlich-inhaltliche Begleitung somit nur auf die Fälle beschränken, in de­ sind, einen erheblichen Beitrag zur Legitimation der Union zu leisten: Dann, Parla­ mente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 210  ff., 267  f.; vgl. dazu auch unten S.  224 ff. 61  Hier bildet Dänemark eine Ausnahme. Der Europaausschuss des Folketings kann den Verhandlungsplan der dänischen Regierung bindend ablehnen. Hat er dem Verhandlungsplan zugestimmt und zeichnet sich in den Ratsverhandlungen ab, dass der dort gefundene Kompromiss wesentlich vom dänischen Verhandlungsplan ab­ weicht, ist der Europaausschuss über die neue Verhandlungssituation zu informie­ ren. Zu den Einzelheiten der dänischen Regelung vgl. Mayer, M., Die Europafunk­ tion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 188 ff. Zu den Besonderheiten der österreichischen, schwedischen, slowakischen und estnischen Rechtslage vgl. Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: Bogdan­ dy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 121, 153. 62  Zeh spricht in Bezug auf die Kontrollaufgabe des Bundestages gegenüber den europäischen Organen daher von „Patchwork-Kontrolle“, Zeh, in: Eberbach-Born /  Kropp / Stuchlik / ders. (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 6 (Einleitung). 63  Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 393.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

nen die nationalen Parlamente effektiven Einfluss auf ihren jeweiligen Re­ gierungsvertreter im Rat ausüben können. Es stellt sich jedoch die auch im Weiteren entscheidende Frage, wie diese ausgestaltet sein muss, um die sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich (Art. 10 Abs. 2 und Art. 12 EUV) geforderte Legitimationswirkung herstellen zu können. Eine Antwort gibt das Grundgesetz nur indirekt. Sie entwickelt sich aus der in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG festgelegten Mitwirkung von Bundestag und Bun­ desrat in europäischen Angelegenheiten.64 Mit den europapolitischen Infor­ mations- und Stellungnahmerechten des Bundestages entsteht die europa­ politische Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag. Diese muss sowohl im Hinblick auf ihre rechtlichen Grundlagen als auch auf ihre praktische Umsetzung so „stark“ sein, dass eine Rückbindung der Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Union an den Bundestag und damit das deut­ sche Volk deutlich zutage tritt.

II. Die Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag in europäischen Angelegenheiten Die Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gibt das Grundgesetz ausdrücklich vor (dazu unten 1.). Die Anforde­ rungen an diese Mitwirkung wurden durch die Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts weiterentwickelt und vertieft (dazu unten 2.). Sie wird flankiert durch die unionsrechtlichen Mitwirkungsregeln für nationale Par­ lamente (dazu unten 3.). 1. Die Mitwirkung des Bundestages in europäischen Angelegenheiten a) Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Mitwirkungsrechts Die Aufgaben und Rechte von Bundesregierung und Bundestag in euro­ päischen Angelegenheiten sind verfassungsrechtlich vorgegeben (Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG).65 64  Die direkten Mitwirkungsrechte des Bundestages gegenüber den Organen der Europäischen Union spielen für den Bundestag natürlich auch eine wichtige Rolle, bleiben jedoch hinter der Bedeutung der nationalen europapolitischen Kommunika­ tion zurück und sind nur sehr am Rande Gegenstand dieser Arbeit; vgl. unten S.  58 ff. 65  Vgl. zu den Einzelheiten der Kompetenzverteilung in auswärtigen und europäi­ schen Angelegenheiten mit Darstellung der verschiedenen Interpretationen der Ver­ fassung: Nettesheim, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 54. Ergänzungslie­ ferung (Stand: Januar 2009), Art. 59 Rdnr. 24 ff.; Baach, Parlamentarische Mitwir­



II. Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag41

Die Außenvertretungskompetenz der Bundesregierung besteht im Bereich der europäischen Angelegenheiten weiter.66 Zwar gibt das Grundgesetz dies nicht ausdrücklich vor, durch die Anordnungen, dass die Bundesregierung den Bundestag und den Bundesrat über europäische Angelegenheiten zu unterrichten (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) und dem Bundestag vor ihrer Mit­ wirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG), wird die Außen­ vertretungskompetenz der Bundesregierung jedoch verfassungsrechtlich vo­ rausgesetzt.67 Hintergrund dieser verfassungsrechtlichen Kompetenzzuord­ nung ist die Annahme, dass nur die Bundesregierung über die notwendigen personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, um auf die volatilen Beziehungen mit anderen Staaten zu reagieren und so die auswärtigen Beziehungen bestmöglich zu erfüllen.68 Anders als bei völkerrechtlichen Verträgen ordnet das Grundgesetz in europäischen Angelegenheiten auch eine inhaltliche Einflussnahme von Bundestag und Bundesrat auf die nationale Willensbildung an (Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 7 GG).69 Bundestag und Bundesrat können gegenüber der Bundesregierung Stellungnahmen zu europäischen Vorhaben abgeben, die in unterschiedlichem Maße von der Bundesregierung zu „beachten“ sind (Art. 23 Abs. 3 und Abs. 5 GG). Die detaillierte Ausgestaltung des Zusam­ menwirkens von drei Verfassungsorganen in einem Politikbereich in nur einer Verfassungsnorm ist einzigartig.70 Dieses Verhältnis wird durch den Oberbegriff71 der „Mitwirkung“ von Bundestag und Bundesrat in europäi­ schen Angelegenheiten (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG) bestimmt. Diese Mitwir­ kung wird im Grundgesetz selbst und auf dieser Basis einfachgesetzlich für kung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 64 ff.; Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S.  111 ff. 66  So ausdrücklich: BVerfGE 92, 203, 235, AbsNr. 133 – Fernsehrichtlinie. 67  Statt aller: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergän­ zungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 127. 68  BVerfGE 131, 152, 195 f., AbsNr. 91 – parlamentarische Unterrichtungsrechte, m. w. N. aus der Rechtsprechung. 69  Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage 2014, § 23 Rdnr. 103 f.; von Heinegg, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum Grund­ gesetz, Edition 17, Januar 2013, Art. 23 Rdnr. 33. 70  Dies hat allerdings auch einige Kritik erfahren. Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), NVwZ 1994, 417; vgl. auch die Nachweise bei Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Uni­ on, 2012, S. 220, in Fn. 63. 71  Wilhelm spricht von „Generalklausel“: Wilhelm, Europa im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, BayVBl. 1992, 705, 708; Scholz von „Generalnorm“: Scholz, Eu­ ropäische Union und deutscher Bundesstaat, NVwZ 1993, 817, 822.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

den Bundestag und den Bundesrat weiter ausgestaltet.72 Mittel der Zusam­ menarbeit sind die Elemente der europapolitischen Kommunikation. b) Die Elemente der europapolitischen Kommunikation Diese Kommunikation besteht zusammengefasst aus vier in der Regel zeitlich aufeinanderfolgenden Elementen: Dazu gehört die lückenlose Infor­ mation des Bundestages durch die Bundesregierung, das Recht des Bundes­ tages, gegenüber der Bundesregierung europapolitische Stellungnahmen abzugeben, die Berücksichtigung der Stellungnahmen durch die Bundesre­ gierung in den europäischen Verhandlungen und die weiteren Berichts­ pflichten der Bundesregierung über den Fortgang der Verhandlungen unter Einbeziehung der Standpunkte des Bundestages. Damit diese Kommunikation in der Praxis umgesetzt werden kann, be­ steht auch noch die Pflicht des Bundestages, eine parlamentsinterne Orga­ nisation zu schaffen, die dies ermöglicht.73 Dabei ist die effektive Verarbei­ tung der Regierungsinformationen mindestens genauso wichtig wie die Unterrichtung des Bundestages selbst.74 Jede parlamentarische Handlung des Bundestages bedarf einer internen Verfahrensorganisation, die unter anderem die strukturierte Bereitstellung der notwendigen Informationen, die Organisation der parlamentarischen Beratung in den Ausschüssen und im Plenum sowie die förmliche Erfassung und Weitergabe der Entscheidungen des Bundestages ermöglicht. Der Bundestag schafft diese Verfahren auf der Basis seiner Organisationsautonomie (Art. 40 Abs. 1 GG). Für den Bereich der europäischen Angelegenheiten hat das Bundesverfassungsgericht daher in seiner Entscheidung zu den Informationsrechten des Bundestages deut­ lich gemacht, dass der Bundestag für eine sachgerechte Sichtung und Be­ wertung der europäischen Entwicklungen sorgen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Verarbeitung der europapolitischen Informationen schaffen muss.75 Die Finanz- und Staatsschuldenkrise führt zudem zu im­ mer komplexeren, schwierigeren und teilweise eiligen Fragen. Der Bundes­ tag darf auch in diesem Bereich seine Arbeitsfähigkeit nicht einbüßen und 72  Die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 7 GG findet sich im Integrationsverantwortungsgesetz und im EUZBBG sowie für den Bundesrat im „Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union“ (EUZLBG) vom 12.03.1993 (BGBl. 1993 I, S. 313), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. September 2009 (BGBl. 2009 I, S. 3031). 73  Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage 2014, § 23 Rdnr. 107. 74  Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 214. 75  BVerfGE 131, 152, 201 f., AbsNr. 121 – parlamentarische Informationsrechte.



II. Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag43

muss Strategien für ein effektives arbeitsteiliges Zusammenwirken und eine koordinierte politische Willensbildung seiner Mitglieder entwickeln.76 Diese organisatorischen Pflichten des Bundestages werden verfassungsrechtlich durch Art. 45 GG weiter ausgestaltet. Danach muss der Bundestag einen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union schaffen und so die Beratung der entsprechenden Themen grundsätzlich ermöglichen.77 Der Aufbau einer effektiven internen Organisation zur Begleitung der europäi­ schen Entwicklungen gehört demnach genauso zur Kommunikation mit der Bundesregierung, wie die Unterrichtung und die Stellungnahmen des Bun­ destages selbst. c) Die Macht der Mehrheit des Bundestages und die Rolle der Oppositionsfraktionen Die europapolitischen Kommunikationsinstrumente können nur aufgrund einer Mehrheitsentscheidung des Bundestages genutzt werden (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG).78 Die Mehrheit des Bundestages und damit in der Regel die Regierungs­ fraktionen entscheiden, ob und wie sich der Bundestag gegenüber der Re­ gierung zu einem europapolitischen Thema positioniert. Anders als in histo­ rischen monarchistischen Staaten stehen sich Regierung (Monarch) und Parlament daher nicht als zwei konkurrierende Gewalten gegenüber.79 Es kommt vielmehr zu einer Gewaltenhäufung im Lager der Regierungsfrak­ tionen und der durch sie getragenen Regierung. Jedenfalls für die Öffent­ lichkeit besteht der Dualismus heute zwischen der Regierung und der par­ lamentarischen Mehrheit einerseits und der Opposition andererseits.80 Dies 76  BVerfGE

130, 318, 348, AbsNr. 115 m.w.N – Sondergremium. jedoch dazu, welche europapolitischen Themen vom Europaausschuss und welche von den Fachausschüssen des Bundestages beraten werden, unten S.  178 ff. 78  Die als Minderheitsrecht ausgestaltete Subsidiaritätsklage (Art.  23 Abs. 1a Satz 2 GG i. V. m. § 12 Abs. 1 Satz 1 IntVG für die 18. Wahlperiode außerdem i. V. m. § 126a Abs. 1 Nr. 4 GO BT) bildet zwar eine Ausnahme, da sie jedoch eher zu den direkten Mitwirkungsrechten der nationalen Parlamente gegenüber der Union gehören, spielt sie für die Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregie­ rung nur eine untergeordnete Rolle. 79  Vgl. dazu auch den erfrischenden Blick auf die politischen Realitäten unter Rückbindung an überkommene und moderne Ansprüche an das Verhältnis von Par­ lament und Regierung bei Zeh, Parlament und Regierung, in: Magiera / Sommermann (Hrsg.), Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, 2013, S. 39. 80  Herzog / Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 62. Ergän­ zungslieferung (Stand: 2011), Art. 20 V., Rdnr. 30; Schorkopf, Grundgesetz und 77  Vgl.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, ist doch das Grundgesetz darauf angelegt, dass die Regierung durch ihre parlamentarische Veranke­ rung die größtmögliche Handlungsfähigkeit besitzt.81 Diese Handlungsfä­ higkeit schließt auch ein, dass der Bundeskanzler die parlamentarische Mehrheit „hinter sich weiß“.82 Es ist somit Folge des verfassungsrechtlichen Systems des Grundgesetzes, dass die parlamentarischen Entscheidungen von den Regierungsfraktionen getroffen werden und die Regierungskontrolle maßgeblich durch die Opposition erfolgt.83 Die Entscheidung seiner Mehr­ heit wird dem Bundestag als Gesamtorgan zugerechnet.84 Die Opposition im Bundestag kann somit ohne die Zustimmung der Regierungsfraktionen die europapolitischen Kommunikationsmittel, wie die Stellungnahme gegen­ über der Regierung, nicht nutzen. In wichtigen europapolitischen Fragen ist jedoch zu beobachten, dass im Bundestag häufig ein fraktionsübergreifender Konsens zu der inhaltlichen Fragestellung, aber auch zu der Haltung gegenüber der Bundesregierung besteht.85 So wollte z. B. im Falle des vereinfachten Vertragsänderungsver­ fahrens zur Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV, auf dessen Basis der Europäische Stabilitätsmechanismus gegründet werden sollte, nur die Frak­ tion Die Linke das Einvernehmen des Bundestages zu dem Beginn der Verhandlungen nicht erteilen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 i.  V.  m. Abs. 1 Nr. 2 Überstaatlichkeit, 2007, S. 290; Kissler, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 36 Rdnr. 20; Schneider, Opposition und Information, AöR 1974, 621 f.; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 228 ff.; Vogel, H.-J., Gewaltenvermischung statt Gewal­ tenteilung?, NJW 1996, 1505, 1507; Auel, Democratic Accountability and National Parliaments: Redefining the Impact of Parliamentary Scrutiny in EU Affairs, ELJ 2007, 487, 501; Brüning, Der informierte Abgeordnete, Der Staat 2004, 511, 517; H. Meyer, spricht sogar davon, dass das „durch Art. 63 I GG etablierte parlamentarische Regierungssystem […] vielmehr eine flagrante Verletzung der Idee der Gewaltenteilung“ sei, Meyer, H., in: Schneider / Zeh, Parlamentsrecht und Parla­ mentspraxis, 1989, § 4 Rdnr. 27. 81  Der Grundsatz der Gewaltenteilung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „nirgends rein verwirklicht“: vgl. die Nachweise der ständigen Rechtsprechung bei: BVerfGE 95, 1, 15, AbsNr. 43 – Südumfahrung Stendal. 82  BVerfGE 114, 121, 149, AbsNr. 133 f. – Vertrauensfrage III. 83  BVerfGE 114, 121, 149, AbsNr. 133 f. – Vertrauensfrage III; vgl. auch Schneider, Opposition und Information, AöR 1974, 621 f.; Meyn, Kontrolle als Verfas­ sungsprinzip, 1982, S. 307 ff.; Steffani, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 49 Rdnr. 9. 84  Klein, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 39. Ergänzungslieferung (Stand: Juli 2001), Art. 42 Rdnr. 82. 85  Ruppert, Die Rolle der nationalen Parlamente nach dem Vertrag von Lissabon, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2011 / I, 2012, S. 109.



II. Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag45

EUZBBG).86 Ebenfalls nur mit Ausnahme der Fraktion Die Linke haben alle Bundestagsfraktionen dem Protokoll zum Vertrag von Lissabon zu den besonderen Anliegen der irischen Bevölkerung87 am 31. Januar 2013 zuge­ stimmt.88 Die Gewährung einer Stabilitätshilfe an die Republik Zypern in Form einer Finanzhilfefazilität des Europäischen Stabilitätsmechanismus89 fand am 18. April 2013 ebenfalls eine breite Mehrheit im Bundestag mit der jeweils überwiegenden Zahl der Stimmen der Fraktionen der CDU / CSU, SPD, FDP und Bündnis 90 / Die Grünen.90 Die Opposition hat darüber hinaus immer dann einen entscheidenden Einfluss auf die nationale Europapolitik, wenn für einen Beschluss die Zu­ stimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages notwendig ist und die Regierungsfraktionen über diese Mehrheit nicht verfügen. Einer solchen Mehrheit bedürfen Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union und vergleichbare Regelungen, durch die das Grundge­ setz seinem Inhalt nach geändert wird (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG). Dieses Zustimmungserfordernis gibt der Opposition ein erhebliches Druckmittel in die Hand, mit dem es auch andere Ziele durchsetzen kann. In der 17. Wahl­ periode verfügten die Regierungsfraktionen aus CDU / CSU und FDP nicht über eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Im Juni 2012 sollte der Bundestag neben der Änderung des Art. 136 AEUV und dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus auch dem sogenannten Fiskalpakt91 zustimmen. Für die Zustimmung sowohl zu dem Fiskalpakt als auch zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus war die 86  Vgl. den Antrag der Fraktion Die Linke zu diesem Dossier, in dem sie das Einvernehmen verweigert und fordert, dass die Änderung im ordentlichen Ände­ rungsverfahren durchgeführt wird: BT-Drs. 17 / 4882, S. 3. 87  Vgl. zu dieser Angelegenheit ausführlich die Beschlussempfehlung und den Bericht des Europaausschusses vom 29.01.2013, BT-Drs. 17 / 12169. 88  BT-PlProt. 17 / 219, S. 27105 (C). 89  Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf einen zustimmenden Be­ schluss des Deutschen Bundestages vom 13.04.2013, BT-Drs. 17 / 13060. 90  BT-PlProt. 17 / 234, S. 29179 (D) ff. 91  In dem „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirt­ schafts- und Währungsunion“ (BT-Drs. 17 / 9046, S. 6 ff.) verpflichten sich 25 Mit­ gliedstaaten (ohne das Vereinigte Königreich und Tschechien) zu einer verbesserten Haushaltskonsolidierung durch die Einführung von im Vertrag vorgegebenen natio­ nalen Vorschriften zur Schuldenbegrenzung. Vgl. zu den Maßnahmen und ihren Zustimmungserfordernissen nach Art. 23 Abs. 1 GG die dazu durchgeführte Anhö­ rung des Europaausschusses des Bundesrates am 25.04.2012, die stenographische Niederschrift der Anhörung ist auf der Internet-Seite des Bundesrates aufrufbar un­ ter: http://www.bundesrat.de / cln_340 / nn_8396 / SharedDocs / Auschuesse-TermineTo / eu / termine-to / 2012-04-25-Politische-Stenografische-Niederschrift.html sowie Lorz / Sauer, Verfassungsändernde Mehrheiten für die Stabilisierung des Euro?, EuR 2012, 682.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages notwendig.92 Die SPD-Fraktion machte erfolgreich ihre Zustimmung zu den Verträgen davon abhängig, dass die Bundesregierung neben dem Fiskalpakt auf euro­ päischer Ebene auch einen sogenannten Wachstumspakt durchsetzt.93 Eine ebenso gute Verhandlungsposition hat die Opposition gegenüber den Regie­ rungsfraktionen im Bundestag und gegenüber der Bundesregierung, wenn für ein Gesetz die Zustimmung des Bundesrates notwendig ist und die Oppositionsparteien des Bundestages dort die Mehrheit haben.94 In europäi­ schen Angelegenheiten betrifft dies vor allem die Zustimmungsgesetze zu Primärrechtsänderungen (Art. 23 Abs. 1 GG, § 2 Integrationsverantwor­ tungsgesetz – IntVG). Freilich können die Oppositionsfraktionen – wie alle Fraktionen – auch in europäischen Angelegenheiten alle „klassischen“ parlamentarischen Kommunikations- und Kontrollmittel gegenüber der Regierung nutzen. Hierzu gehören die parlamentarischen Fragen in Form der Kleinen und der Großen Anfrage, der Fragestunde und der schriftlichen Einzelfragen sowie die Beantragung einer Aktuellen Stunde, die jeweils als Minderheitenrechte ausgestaltet sind.95 Auch wenn die entscheidenden Mitwirkungshandlungen und Kommuni­ kationsmittel von der Mehrheit des Bundestages, d. h. in der Regel von den 92  Im Falle des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanis­ mus wurde die Zwei-Drittel-Mehrheit des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG jedoch nur vorsorglich angestrebt. Der Haushaltsausschuss des Bundestages führte dazu aus, die Zustimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus „[…] im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 (2 BvE 4 / 11) vorsorglich zur Vermeidung eventueller verfassungsrechtlicher Risiken mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu beschließen. […] ­Vorliegend steht der ESM-Vertrag in einem solch engen sachlichen und politischen Zusammenhang mit dem einer Zweidrittelmehrheit unterliegenden Vertragsgesetz zum Fiskalpakt.“ (Bericht des Haushaltsausschusses des Bundestages vom 28.06.2012, BT-Drs. 17 / 10172, S. 10). 93  Siehe zu dem politischen Handel die Berichterstattung in der Presse: Brügge, Die Ergebnisse des Berliner Kuhhandels, in: Financial Times Deutschland (OnlineAusgabe), 21.06.2012; Böll / Ehlers / Hammerstein u. a., Geisel des Südens, Magazin Der Spiegel, vom 02.07.2012, S. 18 ff. 94  In der 17. Wahlperiode erlangten die Parteien von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen nach der Wahl im Bundesland Niedersachsen am 20. Januar 2013 die Mehr­ heit im Bundesrat. 95  Große Anfrage (§ 100 i.  V. m. § 75 Abs. 1 Buchstabe f) i. V. m. § 76 Abs. 1 GO-BT), die Kleine Anfrage (§ 104 i. V. m. § 75 Abs. 3 i. V. m. § 76 Abs. 1 GO-BT), die Fragen einzelner Mitglieder des Bundestages (§ 105 GO-BT i. V. m. Anlage 4: Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen Ziff. I. 1. Satz 1 und Ziff. IV. 13. Satz 1) und die Fragen im Rahmen einer Aktuellen Stunde (§106 GO-BT i. V. m. Anlage 5: Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allge­ meinem aktuellen Interesse Ziff. I.1.).



II. Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag47

Regierungsfraktionen maßgeblich bestimmt werden, hat die Opposition in der 17. Wahlperiode eine vergleichsweise starke Rolle gefunden. Diese stützte sich zwar vornehmlich auf die Kontrolle der Regierung durch parla­ mentarische Anfragen. Durch die zur Abwendung der Finanz- und Staats­ schuldenkrise durchgeführten Primärrechtsänderungen, die nur mit ihrer Zustimmung möglich waren, hat die Opposition jedoch die Möglichkeit erhalten, eigene wichtige europapolitische Anliegen durchzusetzen. Insge­ samt gibt es eine politische Tendenz, wichtige europapolitische Fragen, auch wenn dies normativ nicht zwingend ist, auf einer breiten fraktionsübergrei­ fenden Basis zu entscheiden. Nach der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag im Herbst 2013 konnten die Oppositionsfraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke auch zusammen nicht ein Viertel der Sitze des Bundestages auf sich vereinigen. Sie verfügten zusammen über 127 Sitze und damit rund 20 % der Stimmen. Da eine Reihe von Antragsrechten jedoch nur für eine Minderheit von min­ destens 25 % der Stimmen des Bundestages bestehen, wurde in die Ge­ schäftsordnung des Deutschen Bundestages eine besondere Regel für die 18. Wahlperiode aufgenommen, nach der die betreffenden Antragsrechte auch schon von 120 Stimmen des Bundestags wahrgenommen werden kön­ nen (§ 126a GO BT96). So ist der Bundestag in der 18. Wahlperiode ver­ pflichtet, aufgrund eines Antrags von 120 seiner Mitglieder eine Subsidiari­ tätsklage vor dem EuGH zu erheben (Art. 23 Abs. 1a Satz 2 GG i. V. m. § 126a Abs. 1 Nr. 4 GO BT). Aufgrund eines Antrags von 120 Abgeordneten ist er außerdem verpflichtet, von der Bundesregierung zu verlangen, dass diese im Rahmen einer Plenardebatte die Gründe erläutert, warum nicht alle Belange einer Stellungnahme des Bundestages in den europäischen Verhandlungen berücksichtigt worden sind (§ 8 Abs. 5 Satz 3 EUBBG i. V. m. § 126a Abs. 1 Nr. 5 GO BT). Zudem wurden auch die Minderheiten­ rechte des ESM-Finanzierungsgesetzes und des Stabilisierungsmechanis­ musgesetzes durch diese besondere Ergänzung der Geschäftsordnung auf 120 Stimmen und somit an die Größe der beiden Oppositionsfraktionen in der 18. Wahlperiode angepasst (§ 126a Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 8 GO BT). Neben dieser Erweiterung der Minderheitenrechte war aber auch in den ersten 10 Monaten der 18. Wahlperiode erkennbar, dass bei wichtigen euro­ papolitischen Fragen fraktionsübergreifende Beschlüsse angestrebt werden. So haben z. B. alle Fraktionen einstimmig die Abgabe einer Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung zu dem Vorhaben der Europäischen Union, eine europäische Staatsanwaltschaft zu errichten, beschlossen.97 Die Koali­ 96  BGBl.

2014 I, S. 534.

97  Beschlussempfehlung

und Bericht vom 04.06.2014, BT-Drs. 18 / 1658, einstim­ mige Annahme in der Plenarsitzung am 05.06.2014, BT-PlProt. 18 / 39, S. 3470 (C).

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

tionsfraktionen der CDU / CSU und der SPD stimmten außerdem gemeinsam mit der Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen für die Abgabe einer Stel­ lungnahme des Bundestages (Herstellung des Einvernehmens) im Rahmen des Verfahrens zum Beitritt der Republik Litauen zur Euro-Währungsunion (Art. 23 Abs. 3 GG i. V. m. § 9a Abs. 2 EUZBBG).98 Der Trend, wichtige europäische Fragen unter Einbeziehung der Opposition zu entscheiden, wur­ de somit zu Beginn der 18. Wahlperiode fortgesetzt. 2. Die Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die europapolitische Kommunikation Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat schon häufig entscheidend in die Anpassung des nationalen Rechtes an den jeweiligen Integrationsstand der Europäischen Union eingegriffen.99 Mit dem Konzept der Integrationsverantwortung hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon vom 30. Juni 2009 den deutschen Staatsorganen eine dauerhafte Verantwortung für die europäische Integration übertragen. Die europapolitische Kommunikation erhält dadurch eine zu­ sätzliche Dimension. Einen angemessenen Umgang der Regierung mit dem Bundestag und eine enge europapolitische Zusammenarbeit dieser Verfas­ sungsorgane fordert das Bundesverfassungsgericht auch in seinem Urteil zu den parlamentarischen Informationsrechten vom 19. Juni 2012. a) Das Konzept der Integrationsverantwortung In jüngerer Vergangenheit wurde kaum eine Entscheidung des Bundesver­ fassungsgerichts so umfangreich rezipiert wie die Entscheidung zum Vertrag von Lissabon. Gerade das Konzept der Integrationsverantwortung wurde ausführlich beschrieben und diskutiert.100 Neben dem folgenden Überblick wird auf diese Arbeiten verwiesen. 98  Antrag der Fraktionen CDU / CSU, SPD und Bündnis 90 / Die Grünen vom 23.06.2014, BT-Drs. 18 / 1800; Annahme des Antrags von allen Fraktionen außer der Fraktion Die Linke in der Plenarsitzung am 24.06.2014, BT-PlProt. 18 / 41, S. 3598 (A). 99  Vgl. dazu die Darstellung bei Möllers / Redcay, Das Bundesverfassungsgericht als europäischer Gesetzgeber oder als Motor der Union?, EuR 2013, 409. 100  Vgl. zunächst die umfangreichen Nachweise bei Ohler, Herrschaft, Legitima­ tion und Recht in der Europäischen Union – Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des BVerfG, AöR 2010, 153, Fn. 5. Im Übrigen den Tagungsband von Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, mit verschiedenen Beiträgen zum Thema sowie: Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts, Die Ver­ waltung Beiheft 10, 2010, S. 229; Schorkopf, Die Europäische Union im Lot –



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Auch wenn das Bundesverfassungsgericht den Begriff „Integrationsver­ antwortung“ das erste Mal in seiner Lissabon-Entscheidung verwendet, hatte es die Grundkonzeption bereits vor dieser Entscheidung entwickelt.101 Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass supranationale Verträge durch sekun­ däre Rechtsetzung oder Vertragsauslegung eine Eigendynamik entwickeln können, die dazu führt, dass sich der Vertragsinhalt ohne Beteiligung der nationalen Parlamente verändert. Werden die nationalen Parlamente an die­ sen dynamischen Entwicklungen nicht beteiligt, fehlt diesen Entwicklungen die demokratische Legitimation.102 In der Lissabon-Entscheidung sieht das Gericht diese grundsätzliche Gefahr der überschießenden Eigendynamik auch im Falle der Europäischen Union. Gleichzeitig erkennt es an, dass das Grundgesetz die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der euro­ päischen Integration vorsieht („Europarechtsfreundlichkeit des Grundge­ setzes“).103 Diese Spannungslage löst das Bundesverfassungsgericht über das Konzept der Integrationsverantwortung. Danach dürfen dynamische Vertragsklauseln, die es den Organen der Europäischen Union erlauben, das Vertragsrecht ohne Ratifikationsverfahren zu verändern, nur vereinbart wer­ den, wenn das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV) gewahrt bleibt und die Union keine Kompetenz-Kompetenz104 Karlsruhes Rechtsspruch zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2009, 718; Isensee, In­ tegrationswille und Integrationsresistenz des Grundgesetzes – Das Bundesverfas­ sungsgericht zum Vertrag von Lissabon, ZRP 2010, 33; Calliess, Die neue Europäi­ sche Union nach dem Vertrag von Lissabon, Tübingen 2010; ders., Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parlamentarische Integrationsverant­ wortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1; Classen, Legitime Stärkung des Bundestages oder verfassungsrechtliches Prokrustesbett?, JZ 2009, 881; Denninger, Identität versus Integration?, JZ 2010, 969; Nettesheim, Die Integ­ rationsverantwortung – Vorgaben des BVerfG und gesetzgeberische Umsetzung, NJW 2010, 177; Wittreck, Wächter wider Willen, ZG 2011, 122; Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integration, DÖV 2012, 105; Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Identitätskontrolle: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 491; Terhechte, Sou­ veränität, Dynamik und Integration – making up the rules as we go along? Anmer­ kungen zum Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, EuZW 2009, 724. 101  BVerfGE 104, 151, 208, AbsNr. 150 – NATO-Konzept; BVerfGE 121, 135, 157 f., AbsNr. 64 – AWACS-Einsatz-Türkei. 102  Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts, Die Verwaltung Beiheft 10, 2010, S. 229, 232. 103  BVerfGE 123, 267, Ls. 4. – Lissabon; vgl. dazu und zum Ganzen Absatz auch Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts, Die Ver­ waltung Beiheft 10, 2010, S. 229, 233. 104  Oeter sieht die Übertragung dieser Denkfigur auf die föderale Ordnung der Europäische Union aufgrund ihrer unitarischen Ausrichtung kritisch: Oeter, Födera­ lismus und Demokratie, in: Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2009, S. 73, 95 f.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

erhält. Für die so auf ein gestalterisches Minimum beschränkten dynami­ schen Vertragsklauseln obliegt den deutschen Staatsorganen die Verantwor­ tung dafür, „bei der Übertragung von Hoheitsrechten und bei der Ausgestaltung der europäi­ schen Entscheidungsverfahren dafür Sorge zu tragen, dass in einer Gesamtbetrach­ tung sowohl das politische System der Bundesrepublik Deutschland als auch das der Europäischen Union demokratischen Grundsätzen im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG entspricht.“.105

Dynamische Vertragsklauseln dürfen daher nur unter der Mitwirkung des Gesetzgebers, d. h. des Bundestages und gegebenenfalls des Bundesrates, genutzt werden. Diese Mitwirkung erfolgt allerdings allein auf nationaler Ebene gegenüber der Bundesregierung und richtet sich nach den Vorgaben des Art. 23 GG.106 Im Vertrag von Lissabon finden sich dynamische Vertragsklauseln, die eine Änderung des Primärrechts ohne Ratifikationsverfahren herbeiführen können und die daher diesen Vorgaben entsprechen müssen.107 Da das ur­ 105  BVerfGE

123, 267, 356, AbsNr. 245 – Lissabon. ganzen Absatz vgl.: BVerfGE 123, 267, 351 f., AbsNr. 236 ff. sowie Ls. 2a) – Lissabon. Schmahl weist in diesem Zusammenhang kritisch darauf hin, dass durch diese Rechtsprechung die „Grundlagenverantwortung“ des Gesetzgebers, d. h. die Verantwortung des Gesetzgebers für die Veränderung der Verträge (Primär­ recht) nivelliert werde, da er nun auch Zustimmungsrechte bei der Schaffung von Sekundärrecht erhalte: Schmahl, Singuläre Integrationsverantwortung des Parlaments – oder kumulative Integrationsverantwortung der Parlamente?, DÖV 2014, 501, 503 f. 107  Dabei handelt es sich um folgende Klauseln: • Das vereinfachte Änderungsverfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV, das kein Ratifika­ tionsgesetz wie das ordentliche Verfahren, sondern „nur“ die Zustimmung der Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften fordert, sowie die dementsprechenden Vorschriften in Art. 42 Abs. 2 UAbs. 1 EUV, Art. 25 Abs. 2, Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 Satz 2, Art. 223 Abs. 1 UAbs. 2, Art. 262, Art. 311 Abs. 3 AEUV. •  Allgemeine und spezielle Brückenklauseln, nach denen die Mehrheitserfordernisse bei Abstimmungen von Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit geändert wer­ den oder der Übergang von besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden kann und den nationalen Parlamenten ein Vetorecht zusteht (Art. 48 Abs. 7 EUV, 81 Abs. 3 UAbs. 2, 3 AEUV). • Die weiteren speziellen Brückenklauseln, die kein Vetorecht zugunsten der natio­ nalen Parlamente vorsehen (Art. 31 Abs. 3 EUV, Art. 153 Abs. 2 UAbs. 4, Art. 192 Abs. 2 UAbs 2, Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 333 Abs. 1, 2 AEUV). • Die Flexibilitätsklausel, nach der die Organe der Europäischen Union bestehende Kompetenzen zielgebunden „abrunden“ können, ohne echte materielle Vertragsän­ derungen vorzunehmen (Art. 352 AEUV). • Die Kompetenzerweiterungsklauseln, die Vertragsänderungen in einem erleichter­ ten Änderungsverfahren auf dem Gebiet der Straftaten mit grenzüberschreitender Dimension (Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV), zur Ausdehnung der Befugnisse der 106  Zum



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sprüngliche Begleitgesetz zum Zustimmungsgesetz des Lissabon-Vertrages108 für diese Vertragsklauseln jedoch keine ausreichenden Mitwirkungsrechte des Bundestages vorsah, erklärte das Bundesverfassungsgericht es für ver­ fassungswidrig. Der daraus folgende Gesetzgebungsauftrag des Bundesver­ fassungsgerichts wurde im Integrationsverantwortungsgesetz, nahezu wört­ lich umgesetzt. Darüber hinaus wurden das EUZBBG und das EUZLBG geändert, um die flankierenden Informationsrechte des Bundestages und des Bundesrates den Mitwirkungsrechten anzupassen.109 Der Gedanke der Integrationsverantwortung erfasst nicht nur Primär­ rechtsänderungen, sondern auch die weitere Fortentwicklung der Integration durch Sekundärrecht.110 Dies folgt schon daraus, dass sich die Handlungen und Strukturen der Union an den Vorgaben der Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 GG und den demokratischen Grundsätzen des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG messen lassen müs­ sen.111 Die Struktursicherungsklausel sieht ausdrücklich vor, dass der Grundsatz der Subsidiarität von der Union beachtet werden muss. Dieser Grundsatz bezieht sich auf die Fortentwicklung des Sekundärrechts, die außerhalb der ausschließlichen Zuständigkeit der Union nur zulässig ist, wenn die Union die mit der Rechtsetzung verfolgten Ziele besser als die Mitgliedstaaten verwirklichen kann (Art. 5 Abs. 3 EUV). Die Prüfung, ob die jeweiligen Gesetzesvorhaben der Union diesem Grundsatz entsprechen, fällt einerseits über die Regelung im Subsidiaritätsprotokoll112 insbesondere den nationalen Parlamenten zu, andererseits obliegt dies als Teil der Integ­ Europäischen Staatsanwaltschaft (Art. 86 Abs. 4 AEUV) und zur Satzungsände­ rung der Europäischen Investitionsbank (308 Abs. 3 AEUV) ermöglichen. 108  Artikel 1 § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 6 sowie § 5 des Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union (BT-Drs. 16 / 8489) – nicht verkündet. 109  vgl. zu den Informationsrechten des IntVG und EUZBBG unten S. 82 ff. 110  Wernsmann / Sandberg, Parlamentarische Mitwirkung bei unionaler Sekundär­ rechtsetzung, DÖV 2014, 49, 50; Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bun­ desverfassungsgerichts, Die Verwaltung, Beiheft 10, 2010, S. 229, 233, 236; Durner, Verfassungsbindung deutscher Europapolitik, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR X, 3. Auflage 2012, § 216, Rdnr. 34 f.; Nettesheim beschränkt die aus der Integrationsver­ antwortung folgende Mitbestimmung des Bundestages auf „normale“ Entscheidungen, d. h. auf Entscheidungen, die eine „hinreichende politische Dimension“ aufweisen: Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung po­ litischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 31 f. 111  Durner, Verfassungsbindung deutscher Europapolitik, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR X, 3. Auflage 2012, § 216, Rdnr. 34 f.; Schorkopf, in: Bonner Kom­ mentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 131. 112  Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Ver­ hältnismäßigkeit vom 13. Dezember 2007, Abl. Nr. C 306 S. 150.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

rationsverantwortung allen Verfassungsorganen und damit neben dem Bun­ destag auch der Bundesregierung. Die Integrationsverantwortung avancierte damit zum „Schlüsselbegriff“ vor allem für die Rolle des Gesetz­gebers.113 Allerdings ist mit der Integrationsverantwortung und den erweiterten einfachgesetzlichen Mitwirkungsrechten zunächst keine rechtliche Besser­ stellung des Bundestages verbunden. Dies wurde jedoch in der Folge des Lissabon-Urteils und der Schaffung der Mitwirkungsrechte im Integrations­ verantwortungsgesetz sowie der Ausweitung der Informationsrechte im EUZBBG teilweise angenommen.114 Sogar von „Reparlamentarisierung“ war die Rede.115 Unbestritten sind die Mitwirkungsrechte des Bundestages im Vergleich zwischen der ursprünglichen Begleitgesetzgebung zum Lissa­ bon-Vertrag und den nun geltenden Mitwirkungsrechten erweitert worden. Dies gilt jedoch nicht im Vergleich der Entscheidungskompetenzen des Bundestages vor und nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages. Durch den Lissabon-Vertrag haben Qualität und Quantität der dynamischen Ver­ tragsklauseln deutlich zugenommen.116 In erster Linie wurden so die Kom­ 113  Zur Integrationsverantwortung siehe Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts, Die Verwaltung Beiheft 10, 2010, S. 229; Kritik im Hinblick auf die Frage, ob durch die Idee der Integrationsverantwortung die Legiti­ mation der Union gestärkt werden könnte, klingt an bei: Nettesheim, Zeit zur Ablö­ sung des Grundgesetzes?, in: Baus / Borchard / Gelinsky / Krings (Hrsg.), Die Finanz­ krise als juristische Zeitenwende? Zur Zukunft von europäischer Integration und Grundgesetz, 7. Berliner Rechtspolitische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, Sankt Augustin / 2012, S. 103, 107. 114  Ohler, Herrschaft, Legitimation und Recht in der Europäischen Union – An­ merkungen zum Lissabon-Urteil des BVerfG, AöR 2010, 153, 176; Classen, Legitime Stärkung des Bundestages oder verfassungsrechtliches Prokrustesbett?, JZ 2009, 881; Hahn, J.-U., Die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegen­ heiten nach dem neuen Integrationsverantwortungsgesetz, EuZW 2009, 758, 763; Chardon, Mehr Transparenz und Demokratie – die Rolle nationaler Parlamente nach dem Vertrag von Lissabon, in: Weidenfeld (Hrsg.), Lissabon in der Analyse – der Reformvertrag der Europäischen Union, 2008, S. 171, 182, Engels, Die Integrations­ verantwortung des Deutschen Bundestags, JuS 2012, 2010, 211; eher zurückhaltend: Hölscheidt, Formale Aufwertung – geringe Schubkraft: die Rolle der nationalen Par­ lamente gemäß dem Lissabonner Vertrag, integration 2008, 254, 264 f. Zu der diese Linie weiterfolgenden europa- und parlamentsrechtlichen Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts: Kielmansegg, Parlamentarische Informationsrechte in der Euro-Rettung – Anmerkung zum ersten ESM-Urteil des BVerfG vom 19.06.2012, EuR 2012, 655 ff. 115  Bundestagspräsident Norbert Lammert im Interview „Der Parlamentarier ist nicht täglich mutig“, FAZ 16.10.2011 (im Internet abrufbar unter: http://m.faz. net / aktuell / politik / inland / denk-ich-an-deutschland / bundestagspraesident-norbertlammert-im-gespraech-der-parlamentarier-ist-nicht-taeglich-mutig-11495445.html). 116  Die Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV geht auf die Vertragsabrundungs­ kompetenz des Art. 308 EGV a. F. zurück. Art. 352 AEUV hat jedoch gegenüber der Vorgängervorschrift einen erheblich erweiterten Anwendungsbereich. Die neue Fle­



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petenzen der Organe der Europäischen Union sowie die Kompetenzen der in den Organen mitwirkenden Bundesregierung gestärkt. Die Einführung der erweiterten Mitwirkungsrechte ist dann aber keine Stärkung des Bun­ destages, sondern eine notwendige Maßnahme, um die demokratische Legi­ timation der durch den Lissabon-Vertrag auf die Union übergehenden Ho­ heitsrechte, insbesondere in der Form der dynamischen Vertragsklauseln, herzustellen. Dennoch hat sich die Rolle des Bundestages in Angelegenheiten der Eu­ ropäischen Union nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der Einführung der Integrationsverantwortung jedenfalls in der öffent­ lichen Wahrnehmung und im politischen Diskurs verändert.117 Schon die erneute Feststellung des Bundesverfassungsgerichts im Lissabon-Urteil, dass das Europäische Parlament keine ausreichende demokratische Legitimation herstellen kann und diese daher weiterhin über die Parlamente der Mitglied­ staaten vermittelt werden muss,118 rückt aus deutscher Sicht die Bedeutung des Bundestages als Verfassungsorgan mit der größten Legitimationskraft für die europäische Integration ins demokratische Rampenlicht. b) Die Bedeutung der Integrationsverantwortung für die europapolitische Kommunikation Hatte die ältere völkerrechtsbezogene Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts häufig die Einbeziehung des Parlaments in bestimmte supra­ nationale Entscheidungen im Blick,119 verfolgt es in der Lissabon-Entschei­ xibilitätsklausel ist nicht mehr auf die Zielverwirklichung im Rahmen des Gemein­ samen Marktes beschränkt, sondern nimmt nunmehr auf die „in den Verträgen festgelegten Politikbereiche“ – allerdings ohne die Gemeinsame Außen- und Sicher­ heitspolitik – Bezug. Andere Klauseln, wie z. B. die Kompetenzerweiterungsklausel des Art. 308 Abs. 3 Satz 2 AEUV, nach der der Rat die Satzung der Europäischen Investitionsbank insgesamt ändern kann, findet sich zwar ähnlich schon in Art. 266 EGV a. F., dort war aber nur die Änderung bestimmter Satzungsartikel durch den Rat möglich. Außerdem haben z. B. die spezielle Brückenklausel des Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV aus dem Bereich des Umweltrechts und die Kompetenzerweite­ rungsklausel des Art. 31 Abs. 3 EUV n. F. aus dem Bereich der Gemeinsamen Au­ ßen- und Sicherheitspolitik keine Vorgängerregelungen. Vgl. dazu auch Hahn, M., Mehr Demokratie wagen: „Lissabon“-Entscheidung und Volkssouveränität, ZEuS 2009, 583, 592 f. 117  Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklamme­ rung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 51. 118  BVerfGE 123, 267, 373 ff., AbsNr. 284 ff. – Lissabon. 119  Vgl. aus der Rechtsprechung z.  B. BVerfGE 118, 244, 251 f., AbsNr. 42 – Afghanistan-Einsatz; BVerfGE 121, 135, 157 f., AbsNr. 64 – AWACS-Einsatz-Türkei.

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dung einen bereiteren Ansatz und überträgt die Integrationsverantwortung und den damit verbundenen Handlungsauftrag erstmals auf alle mit diesen Entscheidungen befassten deutschen Staatsorgane.120 Danach tragen die beteiligten Staatsorgane jeweils ihre organspezifische Verantwortung, die sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Instrumenten wahrnehmen. Diese geteilte Integrationsverantwortung macht eine Kooperation der Staatsorgane notwendig, durch die die Integrationsverantwortung als Ganzes erfüllt wer­ den kann.121 Dieser Gedanke geht über die schlichte Mitwirkung, in Form einer einmaligen Zustimmung und Kontrolle der weiteren Entwicklungen durch den Bundestag hinaus. Diese Kooperation der Verfassungsorgane ist bereits in den im Grundgesetz vorgesehenen Mitwirkungsrechten von Bun­ destag und Bundesrat angelegt (Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG). Sie werden nun zu einer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des materiell-rechtlichen In­ halts der Integrationsverantwortung.122 Ein Übergriff in den Kompetenzbe­ reich eines anderen Verfassungsorgans oder etwa eine „Ersatzvornahme“ der Mitwirkungshandlungen eines anderen Verfassungsorgans ist allerdings auch im Rahmen der Integrationsverantwortung nicht zulässig. Aus der Integrationsverantwortung folgt auch die Pflicht der beteiligten Verfassungsorgane, dafür zu sorgen, dass der Teil der Verantwortung, der einem anderen Verfassungsorgan obliegt, von diesem auch erfüllt werden kann. Hier ist nach allgemeiner Auffassung von besonderer Bedeutung, dass die Bundesregierung ihren Informationspflichten gegenüber dem Bundestag und dem Bundesrat nachkommt, damit diese ihre Mitwirkungs- und Prü­ fungsrechte wahrnehmen können.123 Das Bundesverfassungsgericht erklärt Kritisch dazu Schmahl, Singuläre Integrationsverantwortung des Parlaments – oder kumulative Integrationsverantwortung der Parlamente?, DÖV 2014, 501, 505 ff. 120  Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts, Die Verwaltung Beiheft 10, 2010, S. 229, 234. 121  Vgl. auch unten S. 233  ff. Zum Gedanken der Kooperation zwischen den Organen der Union und den nationalstaatlichen Verfassungsorganen: Huber, Europäi­ sches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL Band 60 (2001), S. 194, 228 ff. 122  Durner, Verfassungsbindung deutscher Europapolitik, in: HStR X, 3. Auflage 2012, § 216, Rdnr. 35, mit Verweis auf Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 131. 123  Vgl. aus der Rechtsprechung: BVerfGE 123, 195, 241 f., AbsNr. 111 – Euro­ päischer Stabilitätsmechanismus / Eilverfahren; sowie aus der Vielfalt der Literatur zum Thema z. B.: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergän­ zungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 136 f.; Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 232 ff. und 301 f.; Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integra­ tion, DÖV 2012, 105, 108; Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 196 ff.; Dann, Parlamente im Exekutivföderalis­ mus, 2004, S. 192 ff., Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, 211; Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bun­



II. Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag55

daher in seiner Lissabon-Entscheidung ausdrücklich, wenn auch an etwas versteckter Stelle, dass die Unterrichtungspflicht der Bundesregierung ge­ genüber Bundestag und Bundesrat Teil der Integrationsverantwortung ist.124 Die gemeinsame Integrationsverantwortung fordert somit einen Dialog zwi­ schen Bundesregierung und Bundestag, der aus der Informationsübermitt­ lung durch die Bundesregierung und der Mitwirkung des Bundestages be­ steht. Dieser Dialog hat jedoch zwei Ausprägungen. Zum einen steht er unter einer politischen Spannungslage. Die Regierung ist bestrebt, möglichst weitreichende Kompetenzen und größtmögliche Flexibilität zu behalten. Der Bundestag soll demgegenüber die Regierung nicht nur nachträglich kontrol­ lieren, sondern auch möglichst effektiven Einfluss auf die europäischen Entwicklungen haben. Zum anderen dient der Dialog der Erfüllung der verfassungsrechtlich vorgegebenen gemeinsamen Integrationsverantwortung, die eine kooperative Zusammenarbeit notwendig macht. In der Praxis müs­ sen diese widerstreitenden Interessen ständig ausgeglichen werden. Es ent­ steht so ein konstruktiv-kritischer Dialog,125 der die im Grundgesetz vorge­ gebene Kommunikation der Verfassungsorgane (Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG) weiter vertieft.

desrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 283; Möller / Limpert, Informations- und Mitwir­ kungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, ZParl 1993, 21, 25. 124  Das Bundesverfassungsgericht erwähnt dies im Zusammenhang mit der Un­ terrichtung des Bundestages über die Welthandelsrunden, in denen sich Deutschland häufig von der Kommission vertreten lässt: Wenn die Bundesregierung den Bundes­ tag darüber unterrichtet „und ihm dadurch die Prüfung der Einhaltung des Integrationsprogramms durch die Europäische Union und die Kontrolle der Tätigkeit der Bundesregierung ermöglicht, handelt es sich nicht nur um die selbstverständliche Wahrnehmung ihrer allgemeinen Informationsaufgabe […]; sie ist hierzu angesichts der gemeinsamen Integrationsverantwortung und der gewaltenteilenden Aufgabendifferenzierung unter den Verfassungsorganen auch verfassungsrechtlich verpflichtet“ (BVerfGE 123, 267, 419 f., AbsNr. 375 – Lissabon). Vgl. dazu auch den Aufsatz von Mayer, der als eine Interpretationen des Lissabon-Urteils die Informationsrech­ te des Bundestages gegenüber der Bundesregierung als ganz besonders bedeutend herausstellt: Mayer, F. C., Rashomon in Karlsruhe, NJW 2010, 714, 716 (Sichtweise des Optimistica). 125  Calliess, Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundes­ rates zu den Gesetzesentwürfen im Rahmen der Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon, 25.08.2009, S. 10.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

c) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den parlamentarischen Informationsrechten „Demokratie hat ihren Preis. Bei ihr zu sparen, könnte aber teuer werden.“ Dies waren die einleitenden Sätze des Präsidenten des Bundesverfas­ sungsgerichts bei der Urteilsverkündung am 19. Juni 2012 in einer der wichtigsten Entscheidungen zur europapolitischen Kommunikation.126 In diesem Verfahren hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob die Verhand­ lungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus127 und die intergou­ vernementale Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungs­ gebietes (so genannter „Euro-Plus-Pakt“)128 der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag unterfallen. Beide Vorhaben basieren auf völkerrechtlichen Verträgen bzw. Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten der Union. Daher sah die Bundesregierung diese nicht als „Angelegenheiten der Europäischen Union“ an und war der Auffassung, der Bundestag dürfe dabei nicht bereits im Vorfeld (Art. 23 Abs. 2 GG), sondern erst nach einer abschließenden Entscheidung auf europäischer Ebene mit­ wirken (Art. 59 Abs. 2 GG). Zwar hatte die Bundesregierung den Bundestag mündlich und zu einzelnen Fragen auch schriftlich über die Verhandlungen informiert, sie lehnte es jedoch ab, die Dokumente mit den Vertragsentwür­ fen dem Bundestag zur Verfügung zu stellen.129 Das zu dieser Frage von der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen angerufene Bundesverfassungsgericht 126  BVerfGE 131, 152 – parlamentarische Informationsrechte. Die einleitenden Sätze sind zitiert nach: Janisch, Mehr Rechte für Bundestag bei Euro-Rettung, Süd­ deutsche Zeitung vom 20.06.2012, S. 1. 127  Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Re­ publik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, dem Großherzogtum Lu­ xemburg, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik und der Republik Finnland vom 11.07.2011, in der Fassung vom 02.02.2012, aufrufbar unter: http://www.european-council.europa.eu / media / 582866 / 02-tesm2.de12.pdf. 128  Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes vom 11.03.2011. Dieser Vereinbarung sind als Nicht-EuroLänder mittlerweile Bulgarien, Dänemark, Litauen, Polen und Rumänien beigetreten. Im Internet aufrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu / uedocs / cms_data /  docs / pressdata / de / ec / 119824.pdf. 129  Vgl. die Sachverhaltsdarstellung in BVerfGE 131, 152, 155 ff., AbsNr. 5 bis 42 – parlamentarische Informationsrechte, sowie den Bericht in der Süddeutschen Zeitung über das Schreiben von Bundestagspräsident Lammert an die Bundeskanz­ lerin Merkel wegen der unzureichenden Information zu diesen Vorgängen: Süddeut­ sche Zeitung vom 11.03.2011, „Lammert kritisiert Merkel“, S. 1; Kielmansegg, Parlamentarische Informationsrechte in der Euro-Rettung – Anmerkung zum ersten ESM-Urteil des BVerfG vom 19.06.2012, EuR 2012, 654, 656.



II. Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag57

entschied, dass es sich bei diesen völkerrechtlichen Verträgen aufgrund ihres Näheverhältnisses zum Recht der Europäischen Union um Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG handelte, so dass die Bundesregierung die geforderten Dokumente hätte vorlegen müssen. Ohne bereits an dieser Stelle auf die Aussagen des Gerichts zu den ­ atbestandsmerkmalen der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung ein­ T zu­gehen,130 ist die Entscheidung für das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag von grundlegender Bedeutung. Das Bundesverfassungsge­ richt greift in dieses Verhältnis nicht nur durch die weite Auslegung des verfassungsrechtlichen Unterrichtungsrechtes, sondern vor allem durch die Diktion und die Darstellung des Sachberichts in seinem Urteil maßgeblich ein. Es erzählt in großem Detail, wie der Bundestag immer wieder insbe­ sondere durch Medienberichte und informelle Quellen von den Verhandlun­ gen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und Euro-Plus-Pakt er­ fuhr, die Bundesregierung jedoch die Vorlage der entsprechenden Dokumen­ te stets ablehnte. Das Gericht begnügt sich jedoch nicht mit der Erwähnung dieser Weigerung, sondern gibt im Einzelnen die Antworten der Bundes­ kanzlerin, der Fachminister und Ministerialbeamten auf die Forderung des Bundestages und seiner Mitglieder, die Unterlagen vorzulegen, wieder. So lehnte z. B. der Bundesminister der Finanzen eine schriftliche Unterrichtung des Bundestages ab, da diese die Handlungsfähigkeit der Regierung beein­ trächtigen131 und ein „Übermaß an Beteiligung“ des Bundestages die Lei­ tungsfähigkeit Stabilitätsmechanismus herabsetzen würde.132 Der Parlamen­ tarische Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen lehnte eine fraktionsübergreifend vom Haushaltsausschuss geforderte genauere Darstel­ lung des geplanten Stabilitätsmechanismus ab, da das Parlament erst über das auf europäischer Ebene beschlossene Gesamtpaket unterrichtet werde.133 Die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begründete die eingeschränkte Unterrichtung gegenüber dem Europaausschuss damit, dass „die gegenwärtige Situation […] aufgrund täglicher Änderungen der Umstände und Tatsachen einzigartig [sei], so dass die Bundesregierung dem Parlament nur Informationen mit einer ,endlichen Halbwertszeit‘ geben und für den Europäi­ schen Rat am 24. / 25. März 2011 lediglich Ergebnisoptionen benennen könne.“134

Ein Beamter des Bundesministeriums der Finanzen informierte darüber, dass die Finanzminister verabredet hätten, die Entscheidungen den nationa­ 130  Vgl.

dazu unten S. 67 ff. 131, 152, 158, 132  BVerfGE 131, 152, 158, 133  BVerfGE 131, 152, 159, 134  BVerfGE 131, 152, 161, 131  BVerfGE

AbsNr. 9 – parlamentarische Informationsrechte. AbsNr. 26 – parlamentarische Informationsrechte. AbsNr. 11 – parlamentarische Informationsrechte. AbsNr. 14 – parlamentarische Informationsrechte.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

len Parlamenten nicht „kleckerweise“, sondern in einem Paket vorzulegen.135 Später erhielt der Bundestag die Entwürfe zu den Verträgen zum Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus und Euro-Plus-Pakt von Mitgliedern des ­österreichischen Nationalrates.136 In den Urteilsgründen widerlegt das Gericht die Haltbarkeit der Argumen­ te der deutschen Bundesregierung. Wenn sich das Gericht der Haltung der Bundesregierung widmet, geschieht dies häufig nicht ohne einen Anflug von Ironie.137 Insgesamt entsteht durch das Urteil ein Bild, in dem die Bundes­ regierung den Bundestag nicht als Partner, sondern als Last bei der Suche nach einer Lösung der Finanz- und Staatsschuldenkrise betrachtet. Die Antworten der Bundesregierung scheinen zudem eher von unangemessenem Hochmut gegenüber einem wissbegierigen Kind als von politischer Achtung gegenüber einem anderen Verfassungsorgan getragen zu sein. Neben dem Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht als solcher, prangert das Bundes­ verfassungsgericht so den Umgang der Bundesregierung mit dem Bundestag unmissverständlich an.138 Inhaltlich steht die Urteilsbegründung in einer Linie mit der Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts zur Rolle des Bundestages in europäi­ schen Angelegenheiten, in der es stets seine Mitwirkung eingefordert hat.139 Es geht jedoch einen Schritt darüber hinaus und fordert eine echte Zusam­ menarbeit der beiden Verfassungsorgane auf Augenhöhe. Zur Durchsetzung dieses Anliegens schreckt das Bundesverfassungsgericht nicht davor zurück, auch die Haltung und das Auftreten der Bundeskanzlerin, des Bundesfinanz­ ministers sowie ihrer Beamten in dem Urteil offenzulegen und so das Bild einer Regierung mit autokratischen Tendenzen zu zeichnen. 3. Die unionsrechtlichen Mitwirkungsregeln für nationale Parlamente Die seit dem Vertrag von Maastricht immer weiter gestärkten unions­ rechtlichen (direkten) Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente flan­ kieren ihre innerstaatlichen Rechte. Mit Art. 12 EUV, der durch den Ver­ 135  BVerfGE

131, 152, 162, AbsNr. 15 – parlamentarische Informationsrechte. Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteili­ gungsgesetzes EUZBBG, Integration 2013, 199, 201, Fn. 11. 137  Geyer, Anatomie einer Hintergehung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.06.2012, S. 29. 138  Westdörp spricht von einer „schallenden Ohrfeige“ für die Regierung, Westdörp, Der Demokratie geschadet, in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 20.06.2012, S. 2. 139  BVerfGE 123, 267 – Lissabon; BVerfGE 129, 124 – Griechenland-Hilfe / Eu­ ro-Rettungsschirm; BVerfGE 130, 318 – Sondergremium. 136  Schäfer / Schulz,



II. Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag59

trag von Lissabon in das Primärrecht eingefügt wurde, haben die nationa­ len Parlamente unionsrechtlich den Auftrag erhalten, in dem dort beschrie­ benen Rahmen zur „guten Arbeitsweise der Union“ beizutragen. Diese Stärkung des zweiten Legitimationsstranges der Europäischen Union (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 EUV) war bereits im Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 angelegt. Dort wurde in der Schlussakte140 in Erklärung Nr. 13 zur Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Uni­ on festgelegt, dass die nationalen Parlamente stärker an der Tätigkeit der Union beteiligt werden sollten. Als Vertreter der Mitgliedstaaten und Un­ terzeichner der Verträge verpflichteten sich die nationalen Regierungen so­ mit selbst, ihre Parlamente über die Entwicklungen auf europäischer Ebene zu informieren. Zudem sollte die Kooperation der nationalen Parlamente untereinander und mit dem europäischen Parlament gestärkt werden. Mit dem Vertrag von Amsterdam im Jahr 1997 nahmen die Mitgliedstaaten diese Ziele in das Protokoll Nr. 9 über die Rolle der nationalen Parlamen­ te auf und verankerten sie so im Primärrecht. Im Vertrag von Lissabon wurde das Protokoll über die nationalen Parlamente („Protokoll nationale Parlamente – Lissabon“) schließlich als 1. Protokoll an die erste Stelle vor 36 weitere Protokolle gestellt und erhielt damit einen besonderen Stellen­ wert.141 Neben den Unterrichtungsrechten142 sieht Art. 12 EUV auch eine Reihe von Kontroll- und Mitwirkungsrechten der nationalen Parlamente vor.143 Nach dem Verständnis des Primärrechts seit dem Vertrag von Lissabon kommt dabei der Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritäts- und Verhält­ nismäßigkeitsgrundsatzes bei Änderung des Sekundärrechts durch die na­ tionalen Parlamente und ihrer Beteiligung am Konventverfahren zur Ände­ rung des Primärrechts besondere Bedeutung zu (Art. 12 Buchstaben b) und d) i. V. m. Art. 48 Abs. 3 Satz 1 EUV). Die nationalen Parlamente sind mit der Prüfung betraut, ob ein Gesetzgebungsvorhaben der Union die Grund­ 140  Diese und damit auch die Erklärung Nr. 13 sind nicht Bestandteil des Vertra­ ges selbst (Art. 31 Abs. 2 Buchstabe a) WVK), vgl. Dörr, in: Grabitz / Hilf / Nettes­ heim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 51 EUV, Ergänzungslieferung 45 (Stand: August 2011), Rdnr. 5. 141  Vgl. zur Entwicklung der Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente aus­ führlich: Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 93 ff. 142  Art. 12 Buchstabe a) und e) EUV i.  V. m. Art. 1, Art. 2, Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3, Art. 5 bis Art. 7 Protokoll nationale Parlamente – Lissabon. 143  Zu der Ausgestaltung der Zusammenarbeit von nationalen Parlamenten und der Union im Rahmen von Art. 12 EUV ausführlich Kluth, Einwirkung von Bundes­ tag, Bundesrat und Landesparlamenten auf die gemeinschaftliche Rechtsetzung als Ausdruck von Integrationsverantwortung, in: ders. / Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 22 Rdnr. 32 ff.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

sätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit einhält (Art. 12 Buchstabe b) EUV).144 Kommt ein Parlament zu dem Ergebnis, dass diese Grundsätze nicht eingehalten werden, kann es gegenüber dem Präsidenten des Europä­ ischen Parlaments, des Rates und der Kommission eine Subsidiaritätsrüge erheben (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Subsidiaritätsprotokoll145). Ein Gesetzge­ bungsvorhaben muss dann durch die Organe der Union überprüft werden, wenn mindestens ein Drittel146 der nationalen parlamentarischen Kammern („notwendiges Quorum“ auch „yellow card“ genannt) eine solche Subsidia­ ritätsrüge erhebt (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 Subsidiaritätsprotokoll). Ein besonderes Überprüfungsverfahren sieht das Subsidiaritätsprotokoll vor, wenn im Rahmen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahren sogar die Mehrheit der nationalen parlamentarischen Kammern, d. h. mindestens 29 der 56 Kammern, eine Subsidiaritätsrüge erhebt (Art. 7 Abs. 3 Subsidiari­ tätsprotokoll – auch „red card“ genannt).147 Darüber hinaus kann vor dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Subsidiaritätsklage gegen das Vorhaben erhoben werden (Art. 8 Subsidiari­ tätsprotokoll). Bundestag und Bundesrat sind nach dem Grundgesetz be­ rechtigt, eine solche Subsidiaritätsklage zu erheben (Art. 23 Abs. 1a Satz 1 GG).148 Mit dem Auftrag, die europäische Rechtsetzung einer fortlaufenden Subsidiaritätskontrolle zu unterziehen, „hüten“ die nationalen Parlamente 144  Zur Idee der Subsidiarität: Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2005, S. 320 ff.; zur Geschichte des Subsidiaritätsprinzips: Molsberger, Das Subsidiaritätsprinzip im Prozess europäischer Konstitutionalisierung, 2009; zu der Subsidiaritätskontrolle und den Verfahren ausführlich: Calliess, Subsidiaritätskontrolle durch Bundestag, Bundesrat und Landesparlamente, in: Kluth / Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 23. 145  Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Ver­ hältnismäßigkeit vom 13. Dezember 2007, Abl. Nr. C 306 S. 150. 146  Dieses Quorum wird auf ein Viertel aller nationalen parlamentarischen Kam­ mern bei Gesetzgebungsvorhaben gesenkt, die den Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts betreffen (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 76 i. V. m. Art. 82 – Art. 89 und Art. 74 AEUV). 147  Siehe zum Ganzen und zur Bewertung dieses Frühwarnsystems Hölscheidt, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Loseblattsamm­ lung, 51. Ergänzungslieferung (Stand: September 2013), Art. 12 EUV, Rdnr. 47 ff. 148  Für die Subsidiaritätsrüge: Art. 6, i.  V. m. Art. 3 des Subsidiaritätsprotokoll i. V. m. Art. 5 Abs. 3 EUV i. V. m. § 11 IntVG i. V. m. § 93a Abs. 1 und § 93c GO-BT. Für die Subsidiaritätsklage: Art. 8 i. V. m. Art. 3 des Protokolls über die Anwen­ dung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit i. V. m. Art. 5 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 23 Abs. 1a GG i. V. m. § 12 Abs. 1 IntVG i. V. m. § 93d GO-BT. Vgl. zu dem damit zusammenhängenden europäischen Verfahren aus der neueren rechtswissenschaftlichen Literatur statt vieler: Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 126 ff.



III. Grundgesetzliche Regeln über die europapolitische Kommunikation61

gleichsam ihre eigenen Gesetzgebungszuständigkeiten und schützen die Demokratie auf nationaler Ebene.149

III. Die grundgesetzlichen Regeln über die europapolitische Kommunikation Für die Kommunikation spielen verfassungsrechtlich die Unterrichtungs­ pflichten der Bundesregierung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) eine hervorgeho­ bene Rolle (dazu unten 1.). Das Bundesverfassungsgericht hat bedeutende Vorgaben für die Auslegung dieser Unterrichtungsplichten gemacht (dazu unten 2.). Das Grundgesetz sieht zur Stärkung der Europafunktion des Bun­ destags darüber hinaus die Einrichtung eines Europaausschusses vor, dem die Wahrnehmung von europapolitischen Mitwirkungsrechten des Bundesta­ ges übertragen werden kann (dazu unten 3.). 1. Die Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung Die grundlegende Pflicht der Bundesregierung im Rahmen der europa­ politischen Kommunikation ist die Information des Bundestages (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG). Da nur die Bundesregierung durch ihre Vertreter im Europäischen Rat und im Rat unmittelbar an den europäischen Vorhaben beteiligt ist, entsteht zwischen Bundesregierung und Bundestag eine Infor­ mationsasymmetrie, die die Informationsrechte auflösen sollen.150 In der Entscheidung im Eilverfahren über den Europäischen Stabilitätsmechanis­ mus verankert das Bundesverfassungsgericht den Kern des parlamentari­ schen Unterrichtungsanspruchs in der Ewigkeitsgarantie151 des Art. 79 Abs. 3 GG. Das Bundesverfassungsgericht entwickelt dies zwar anhand der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages, überträgt dies jedoch auch auf die Angelegenheiten der Europäischen Union: „Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet daher, dass der Deutsche Bundestag an diejenigen Informationen gelangen kann, die er für eine Abschätzung der wesentlichen Grundlagen und Konsequenzen seiner Entschei­ dung benötigt […]. In seinem Kern ist dieser parlamentarische Unterrichtungsan­ spruch deshalb auch in Art. 79 Abs. 3 GG verankert. […]. Dieser Grundsatz gilt 149  Calliess, Absicherung der parlamentarischen Integrations- und Budgetverant­ wortung auf europäischer und nationaler Ebene, in: Pechstein (Hrsg.), Integrations­ verantwortung, 2012, S. 53, 70 f. 150  BVerfGE 131, 152, 203, 201 f., 214, AbsNr. 109, 123, 132 – parlamentarische Informationsrechte. 151  BVerfGE 123, 267, 343, AbsNr. 216 – Lissabon; Herdegen, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 52. Ergänzungslieferung (Stand: Mai 2008), Art.  79 Rdnr. 59.

62

A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

nicht nur im nationalen Haushaltsrecht (vgl. etwa Art. 114 GG), sondern auch in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG).“152

Folglich sind die Informationsrechte des Bundestages in europäischen Angelegenheiten Teil des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und gehören zum unabänderlichen Verfassungskern des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG). Sie werden so zu einem der bedeutendsten parlamen­ tarischen Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung. Diese Entwicklung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist kon­ sequent. Sie ist schon in den Entscheidungen zur Notwendigkeit einer öf­ fentlichen parlamentarischen Beratung angelegt. Danach verstößt eine unter­ bliebene parlamentarische Beratung nicht nur gegen den aus dem Öffent­ lichkeitsprinzip folgenden Grundsatz der öffentlichen Plenardebatte (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG), sondern auch gegen das Demokratieprinzip. Die von strenger Förmlichkeit geprägten Vorgaben zum Gesetzgebungsverfahren, zu denen die parlamentarische Beratung gehört, zielen darauf ab, die demokra­ tische Legitimation der zu treffenden Gesetze und sonstigen Beschlüsse si­ cherzustellen.153 Werden diese Vorgaben verletzt, folgt daraus auch eine Verletzung des Demokratieprinzips. Eine (umfassende) parlamentarische Beratung unterbleibt auch dann, wenn der Bundestag zwar über ein Vorha­ ben berät, ihm jedoch nicht alle relevanten Informationen darüber vorlie­ gen.154 Das Demokratieprinzip und die Information des Bundestages sind somit schon unter diesem Blickwinkel eng mit einander verbunden. Mit Bezug auf das Demokratieprinzip und die Ewigkeitsklausel stellt das Bun­ desverfassungsgericht in der Lissabon-Entscheidung klar, dass der Bundes­ tag eigene Aufgaben von substantiellem politischem Gewicht behalten müsse (demokratischer Primärraum).155 Soweit Hoheitsrechte übertragen werden dürfen, gilt die ebenfalls auf das Demokratieprinzip gestützte Integrationsverantwortung,156 die neben den Mitwirkungsrechten auch die Informationsrechte des Bundestages einschließt.157 Es war daher nur folge­ richtig, die Informationsrechte des Bundestages ebenfalls ausdrücklich über 152  Zum ganzen Absatz: BVerfGE 132, 195, 241  f., Rdnr. 111 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Eilverfahren. Im Hauptsacheverfahren wird dies bestätigt: BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u.a, AbsNr. 166 – Eu­ ropäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 153  BVerfGE 120, 56, 78, AbsNr. 69 – Vermittlungsausschuss II. 154  BVerfGE 70, 324, 355, AbsNr. 132 – Haushaltskontrolle der Nachrichten­ dienste. Außerdem mit Verweis darauf, dass die parlamentarische Verantwortung des Bundestages gegenüber dem Volk als Teil des Demokratieprinzips nur erfüllt werden kann, wenn der Bundestag öffentlich und umfassend informiert berät: BVerfGE 131, 152, 205 f., AbsNr. 113 f. – parlamentarische Informationsrechte. 155  BVerfGE 123, 267, 356, AbsNr. 246 – Lissabon. 156  BVerfGE 123, 267, 356, AbsNr. 245 – Lissabon. 157  Vgl. oben S. 54 und Kapitel A., Fn. 124.



III. Grundgesetzliche Regeln über die europapolitische Kommunikation63

das Demokratieprinzip dem Verfassungskern des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG) zuzuordnen und ihren Kern damit einer Änderung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber zu entziehen. Hinter diesen parlamentarischen Unterrichtungsrechten des Grundgesetzes – vor allem in ihrer Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht – steht die Logik, dass eine umfassende Unterrichtung des Bundestages zwin­ gend zu einer europapolitischen Mitwirkung des Bundestages führen muss, die sowohl einen Ausgleich für die übertragenen Entscheidungskompetenzen als auch eine ausreichende Legitimation der Ausübung dieser Kompetenzen durch die Union schafft. Mit anderen Worten: Je mehr Informationen der Bundestag bekommt, desto mehr wirkt der Bundestag in europäischen An­ gelegenheiten mit. Das verfassungsrechtliche Verständnis der Unterrich­ tungsrechte und ihre einfachgesetzliche Ausgestaltung führen daher dazu, dass dem Bundestag ungefiltert nahezu alle europapolitischen Informationen zugeleitet werden müssen, die die Bundesregierung erhält. Ob diese Logik trägt, ist allerdings zweifelhaft. Zweifellos ist die umfassende Unterrichtung des Bundestages notwendige, sie ist jedoch nicht hinreichende Bedingung für eine effektive europapolitische Mitwirkung des Bundestages. Gerade mit Blick auf die Praxis führt diese Herangehensweise eher zu der Besorgnis einer Informationsflut158 und damit Überforderung des Bundestages, als zu einer strukturierten Basis für parlamentarische Mitwirkungshandlungen. Es bedarf einer ganzen Reihe weiterer, gerade organisatorischer und verfah­ rensleitender Maßnahmen, um die Mitwirkung zu ermöglichen. Dies schlägt sich in der Ausgestaltung der Informationsrechte jedoch so nicht nieder. 2. Die Unterrichtungsrechte nach Art. 23 Abs. 2 GG a) Überblick über die historische Entwicklung der Informationsrechte Die Geschichte der Informationsrechte des Bundestages ist bereits umfas­ send aufgearbeitet worden,159 so dass neben dem folgenden Überblick auf diese Arbeiten verwiesen werden kann. 158  Classen, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 6. Auflage 2010, Art. 23, Rdnr. 76; ders., Legitime Stärkung des Bundesta­ ges oder verfassungsrechtliches Prokrustesbett?, JZ 2009, 881, 262; Nettesheim, Die Integrationsverantwortung – Vorgaben des BVerfG und gesetzgeberische Umsetzung, NJW 2010, 177, 182; Mellein, Die Rolle von Bundestag und Bundesrat in der Eu­ ropäischen Union, EuR-Bei 2011, 13, 45. 159  Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Ange­ legenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 68 ff.; Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 1 ff.; König, Die Übertragung von Hoheitsrech­

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Die Rolle, die der Deutsche Bundestag bei der Gründung der Gemein­ schaften spielte, war denkbar gering. Die Beratungen zu den Gründungsver­ trägen für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft im Jahr 1957 verliefen weitgehend ohne Beteiligung und Information der Mitglieder des Deutschen Bundestages oder seiner Fraktio­ nen.160 Allerdings forderte der Bundesrat bereits zu diesem Zeitpunkt bes­ sere Beteiligungsrechte an der innerstaatlichen Willensbildung in europäi­ schen Angelegenheiten.161 Zwar erhielten weder der Bundesrat noch der Bundestag für lange Zeit echte Mitwirkungsrechte in europäischen Angele­ genheiten, jedoch wurden vor dem Hintergrund dieser Forderungen in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum EWG-Vertrag162 Informationsrechte zuguns­ ten der beiden Verfassungsorgane aufgenommen.163 Die Forderungen nach einer stärkeren Mitwirkung des Gesetzgebers rissen auch in den Folgejahren nicht ab. Sie wurde von den Ländern immer weiter vorangetrieben.164 Ins­ besondere der Freistaat Bayern, unter den Ministerpräsidenten Franz Josef ten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses – Anwendungsbereich und Schranken des Art. 23 des Grundgesetzes, 2000, S. 138 ff. Siehe auch die Zusam­ menstellung der Dokumente zur Entstehung und Außenwirkung des Art. 23 GG bei: Leonardy (Hrsg.), Europäische Kompetenzabgrenzung als deutsches Verfassungspos­ tulat, 2002. 160  Bomhoff / Porsch, Die römischen Verträge, Aktueller Begriff der Wissenschaft­ lichen Dienste des Deutschen Bundestages, Nr. 14 / 07, 16.03.2007 (im Internet auf­ rufbar unter http://www.karinkortmann.de / downloads / aktuellerbegriff / Der_Vertrag_ von__1199800117.pdf); vgl. auch die Kritik an der späten Einbindung des Deutschen Bundestages durch die Abgeordneten Margulies (FDP) und Dr. Mommer (SPD) in der Debatte über die Ratifikation der Römischen Verträge am 05.07.1957: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Stenographische Berichte, 1957, Band 38, S. 13314 ff. 161  Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Ange­ legenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 31, m. w. N. in Fußnote 2.; Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), § 23 Rdnr. 2 f. 162  Das Zustimmungsgesetz wurde am 27.07.1957 verkündet (BGBl. 1957 II, S. 753) und trat am gleichen Tag in Kraft. 163  Die Vorschrift lautete: „Die Bundesregierung hat Bundestag und Bundesrat über die Entwicklungen im Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Europäischen Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Soweit durch den Beschluss eines Rats innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht geschaffen wird, soll die Unterrichtung vor der Beschlussfassung des Rats erfolgen.“ Die Vorschrift ist bis heute in Kraft. 164  Vgl. die ausführliche Darstellung der Position der Bundesländer bei: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 2 ff.; Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 33 ff.; Fischer, Die Europäische Union im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, ZParl 1993, 32, 35 ff.



III. Grundgesetzliche Regeln über die europapolitische Kommunikation65

Strauß und Max Streibl (beide CSU), beharrte über lange Jahre auf einer Erweiterung der Beteiligungsrechte für die Länder.165 Der Bundestag ver­ hielt sich dazu indifferent. Eigene Mitwirkungsrechte forderte er lange nicht und stand der Idee der Länder sogar teilweise abwehrend gegenüber. Er stützte so eher die Haltung der Regierung, nach der eine verstärkte Mitwir­ kung des Gesetzgebers die internationale Handlungsfähigkeit der Bundesre­ publik Deutschland erheblich einschränken würde. Eine solche Mitwirkung würde von den europäischen Partnern als Zurückhaltung in Bezug auf die Einbindung Deutschlands in die europäische Integration gewertet, was im Jahr 1990 vor dem Hintergrund der anstehenden Wiedervereinigung Deutschlands als politisch äußert problematisch angesehen wurde.166 Die Zurückhaltung der Bundesregierung und der Mehrheitsfraktionen im Bundestag änderte sich, als nach der Wiedervereinigung und im Rahmen der Ratifizierung des Maastrichter Vertrages in den Jahren 1992 / 1993 Be­ ratungen über eine Änderung des Grundgesetzes notwendig geworden wa­ ren.167 In den Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission168 wurde bald deutlich, dass die Hoheitsrechte und Rechtsetzungskompetenzen, die mit dem Vertrag von Maastricht169 auf die Europäische Union übergehen sollten, einen solchen Umfang angenommen hatten, dass Art. 24 GG nicht mehr als Grundlage für die Ratifizierung dieses Vertrages ausreichte.170 Es sollte daher der nach der deutschen Einheit aufgehobene und damit „freige­ wordene“ Art. 23 GG genutzt werden, um die europäische Integration nicht nur im Grundgesetz zu verankern, sondern sie auch in den Rang eines Staatszieles zu erheben.171 165  Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Ange­ legenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 52 f. m. w. N. 166  Vgl. zur Haltung der Regierung: Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 13.06.1990, in dem vorgesehen war, in Art. 24 Abs. 1 GG Mitwirkungsrechte des Bundesrates aufzunehmen: BT-Drs. 11 / 7391, S. 6. 167  Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 10. 168  Die Gemeinsame Verfassungskommission (GVK) wurde Ende des Jahres 1991 durch den Bundestag und den Bundesrat eingesetzt. Ihr oblag es, die Entscheidungen der beiden Gesetzgebungsorgane über die notwendigen Änderungen des Deutschen Grundgesetzes vorzubereiten, vgl. im Einzelnen zur Einsetzung, zum Auftrag und zur Arbeit der GVK den Bericht der GKV vom 05.11.1993, BT-Drs. 12 / 6000, 5 ff. 169  Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag vom Maastricht ist am 01.11.1993 in Kraft getreten, BGBl. 1993 II, S. 1947. 170  Vgl. die umfangreiche Darstellung der Beratungen über die Einführung des neuen Art. 23 GG bei: Fischer, Die Europäische Union im Grundgesetz: Der neue Artikel 23, ZParl 1993, 32, 36 f. 171  Die Beratungen über die Ratifikation des Maastrichter Vertrages erfolgten im Bundestag in dem eigens zu diesem Zweck für zwei Monate eingerichteten Ad-hoc-

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Politisch waren dem Bundesrat in der Gemeinsamen Verfassungskommis­ sion bereits Mitwirkungsrechte zugestanden worden. Spätestens dies weckte den Bundestag aus seinem „Dornröschenschlaf “172. Die Mitwirkung an der europäischen Gesetzgebung sollte nicht allein der Bundesregierung und dem Bundesrat überlassen bleiben. Andernfalls wäre der Bundestag als Reprä­ sentant des Souveräns außen vor geblieben.173 Um diesen Forderungen nach stärkeren Mitwirkungs- und Informationsrechten nachzukommen, wurden für den Bundestag und den Bundesrat im Jahr 1993 in dem neuen Europa­ artikel (Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 7 GG n. F.)174 entsprechende Rechte gegen­ über der Bundesregierung vorgesehen.175 Seinen maßgeblichen Schub erhielt die gesetzliche Ausgestaltung der Informationsrechte nach der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungs­ gerichts im Jahr 2009. Im Zuge der Neugestaltung der Begleitgesetzgebung wurden wesentliche Teile der im Jahr 2006 zwischen Bundesregierung und Bundestag abgeschlossenen Zusammenarbeitsvereinbarung (BBV)176 in das EUZBBG übernommen und die Informationspflichten weiter ausgestaltet. In diesem Zusammenhang wurden auch die organisatorischen Einheiten der Bundestagsverwaltung ausgebaut, um die Kommunikation und die Bearbei­ tung der europapolitischen Informationen durch den Bundestag erst möglich zu machen. Damit hat sich die europapolitische Kommunikation – wie sie heute erwartet und in der Praxis umgesetzt wird – im Grunde erst ab dem Ausschuss „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“, der mit Vertretern aus allen mit dem Thema beteiligten Fachausschüssen besetzt war. vgl. dazu: Hellwig, Die Europa-Institutionen des Bundestages und seine großen Europa-Initiativen, in: dies. (Hrsg.), Der Deutsche Bundestag und Europa, S. 21, 26; sowie den Abschluss­ bericht dieses Ausschusses BT-Drs. 12 / 3895, 12 / 3896. 172  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 4. 173  Vgl. die Darstellung mit weiteren Nachweisen aus den Sitzungen der GVK bei: Möller / Limpert, Die Parlamentarisierung der politischen Willensbildung in eu­ ropäischen Angelegenheiten, ZG 2013, 44 f. 174  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1992, BGBl. 1992 I, S.  2086 ff. 175  Vgl. zu den Entstehungsgründen für Art. 23 Abs. 2 und 3 GG die ausführli­ chen Darstellungen bei: Kövel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in An­ gelegenheiten der Europäischen Union, München 2000, S. 4 ff., mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 176  Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union in Ausfüh­ rung des § 6 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deut­ schem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 28. September 2006 (BGBl. 2006 I, S. 2177). Dazu ausführlich: Hoppe, Drum prüfe, wer sich niemals bindet – Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, DVBl. 2007, 1540.



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Jahr 2009 entwickelt und ist im Verhältnis zu der über sechzigjährigen Ge­ schichte der europäischen Integration ein recht junger Bereich, dem etwaige Kinderkrankheiten zugestanden werden müssen. b) Das parlamentarische Informationsrecht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist die verfassungsrechtliche Ausgangsvorschrift für die europapolitischen Informationsrechte des Deutschen Bundestages: „Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.“ aa) Unterrichtungsgegenstand: „Angelegenheiten der Europäischen Union“ Der Gegenstand des Informationsrechts wird in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich genannt. Satz 2 ist jedoch im Zusammenhang mit Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG zu lesen, der die Mitwirkung von Bundestag und Bun­ desrat in „Angelegenheiten der Europäischen Union“ vorsieht. Die Bundes­ regierung hat daher über die „Angelegenheiten der Europäischen Union“ zu unterrichten.177 Dieser unbestimmte Begriff wurde seit seiner Einführung sehr weit verstanden, um die Mitwirkungs- und Informationsrechte umfas­ send auszugestalten.178 Die Informationspflicht bezieht sich daher auf die gesamte europäische Rechtsetzung, jede Mitwirkung der Bundesregierung in den Institutionen der Europäischen Union und die Beteiligung an Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.179 Der einfachgesetzliche Katalog der 177  BVerfGE 131, 152, 199, AbsNr. 99 – parlamentarische Informationsrechte; ebenso: von Kielmansegg, Parlamentarische Informationsrechte in der Euro-Rettung – Anmerkung zum ersten ESM-Urteil des BVerfG vom 19.06.2012, EuR 2012, 654; Günther, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Euro­ päischen Union, 1998, S. 55 f. 178  BVerfGE 131, 152, 199 ff., AbsNr. 100 ff. – parlamentarische Informations­ rechte; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 147; Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 127; Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 23 Rdnr. 75; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kom­ mentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 96; zur historischen Auslegung des Art. 23 Abs. 2 GG siehe Saberzadeh, Parlamentsbeteiligung im Rahmen der Europäischen Integration, in: Schubel / Kirste / Müller-Graff / Diggelmann / Hufeld (Hrsg.), Jahrbuch für Vergleichende Staats und Rechtswissenschaften – 2013, 2014, S. 159, 168 f. 179  Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 23 Rdnr. 70.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

„Vorhaben“ (§ 5 Abs. 1 EUZBBG) definiert den Unterrichtungsgegenstand genauer. Dieser nicht abschließende Katalog listet in seinen zwölf Ziffern die geplanten Primär- und Sekundärrechtsänderungen sowie viele weitere (auch nichtlegislative) Handlungen der Union (Dossiers) auf, über die die Bundesregierung berichten muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Informa­ tionsrechten des Bundestages180 sind auch der auf völkerrechtlichen Verträ­ gen basierende Europäische Stabilitätsmechanismus und der sogenannte Euro-Plus-Pakt „Angelegenheiten der Europäischen Union“, da sie „in einem Ergänzungs- oder sonstigen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen“.181 Dieses Näheverhältnis lasse sich nicht anhand eines abschließenden trennscharfen Merkmals bestimmen, maßgebend sei viel­ mehr die Gesamtbetrachtung der geplanten Regelungsinhalte, -ziele und -wirkungen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus weise ein solches Näheverhältnis auf, da der Gründungsvertrag in seiner Gesamtschau subs­ tantielle Berührungspunkte mit dem Integrationsprogramm der Europäischen Union habe. Er werde durch eine Erweiterung von Art. 136 AEUV um einen Abs. 3 unionsrechtlich ermöglicht und abgesichert. Diese neue Regelung binde den Europäischen Stabilitätsmechanismus an die Voraussetzung, dass sein Tätigwerden für die Stabilisierung des Währungsraumes insgesamt unabdingbar ist. Damit werde an den Politikbereich der Wirtschafts- und Währungspolitik angeknüpft, der in die ausschließliche Zuständigkeit der Union (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c AEUV) falle. Der Vertrag übertrage schließlich der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentral­ bank im Wege der Organleihe weitere Zuständigkeiten, die auch in diesem Rahmen an die tragenden Grundsätze der Europäischen Union, wie dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EUV), gebunden sind.182 Der Euro-Plus-Pakt richte sich an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so dass eine Ausrichtung auf das unionale Integrationsprogramm und damit ein Näheverhältnis zur Union indiziert sei. Er betreffe die qualitative Verbesserung der Wirtschaftspolitik und der öffentlichen Haushaltslage so­ wie eine Stärkung der Finanzstabilität und sei daher an die Politikbereiche der Union angelehnt. Durch das jährlich von der Kommission durchzufüh­ rende Benchmarking über die Erfüllung der von den Mitgliedstaaten einge­ gangenen Verpflichtungen unterlägen die Regierungen der Mitgliedstaaten einer Rechenschaftspflicht gegenüber den europäischen Organen. Schließ­ 180  Vgl.

dazu auch oben S. 56 ff. 131, 152, 191 f., AbsNr. 100 – parlamentarische Informationsrechte. 182  Zum ganzen Absatz: BVerfGE 131, 153, 215 ff., AbsNr. 135 ff. – parlamenta­ rische Informationsrechte. 181  BVerfGE



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lich seien Teile des Paktes bereits in Normen des Sekundärrechts umgesetzt worden, was einen substantiellen Berührungspunkt mit der Europäischen Union belege.183 Das Bundesverfassungsgericht sichert auf diese Weise die Information des Bundestages auch bei intergouvernementalen Vereinbarungen zur Wei­ terentwicklung der Union. Es erweitert das Informationsrecht in „Angele­ genheiten der Europäischen Union“ um das rechtliche Umfeld des Unions­ rechts, soweit eine Verzahnung mit dem Unionsrecht gegeben ist. Das Ge­ richt verzichtet dabei auf eine scharfe Trennlinie und belässt es bei dem Merkmal des „Näheverhältnisses“. Jedoch können die Erläuterungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus und zum Euro-Plus-Pakt für die Zu­ kunft als Orientierung und Fallbeispiele dienen.184 bb) Der Bundestag als Informationsempfänger Inhaber des Unterrichtungsrechts ist der Bundestag als Ganzer. Damit ist gewährleistet, dass alle Mitglieder des Bundestages gleichermaßen und ­unterschiedslos unterrichtet werden. Eine Unterrichtung, z. B. „inoffiziell“ gegenüber einzelnen Abgeordneten, zu der es im Rahmen der Verhandlun­ gen um den Europäischen Stabilitätsmechanismus und Euro-Plus-Pakt durch die Regierung gekommen war, wird den grundgesetzlichen Anforderungen nicht gerecht. In diesem Zusammenhang mahnt das Bundesverfassungsge­ richt aber auch den Bundestag, seiner Pflicht zur effektiven Aufbereitung und Bereitstellung der ihn erreichenden Informationen nachzukommen, da­ mit sie Grundlage der parlamentarischen Willensbildung sein können.185 Da es sich bei dem europapolitischen Informationsrecht um aktives Fremdinformationsrecht186 handelt, bei dem die Bundesregierung ohne spe­ zifische Aufforderung durch den Bundestag informieren muss, ist im Grund­ gesetz auch nicht weiter explizit geregelt, ob einzelne Untergruppen, wie 183  BVerfGE 131, 152, 223 ff., AbsNr. 154 ff. – parlamentarische Informations­ rechte. 184  Vgl. zum Absatz: Kielmansegg, Parlamentarische Informationsrechte in der Euro-Rettung – Anmerkung zum ersten ESM-Urteil des BVerfG vom 19.06.2012, EuR 2012, 654, 660 f. 185  BVerfGE 131, 152, 213 f., AbsNr. 130 – parlamentarische Informationsrechte. 186  Das Informationsrecht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gehört zu den aktiven Fremdinformationsrechten (vgl. dazu Teuber, Parlamentarische Informationsrechte, 2007, S. 69 ff.). Der Bundestag muss nicht um diese Information bitten, sondern die Regierung ist ihrerseits verpflichtet, den Bundestag unaufgefordert (aktiv) zu unter­ richten. Ein Selbstinformationsrecht im klassischen Sinne, d. h. durch Akteneinsicht, Zeugenbefragung u. ä., ist als spezielles Informationsrecht für die Angelegenheiten der Europäischen Union im deutschen Recht nicht vorgesehen.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Ausschüsse, einzelne Mitglieder, Fraktionen oder bestimmte Minderheiten Informationen fordern können. In der Praxis können alle genannten Gremi­ en und Personen über das Referat „Europa-Dokumentation“ (PE 5) der Bundestagsverwaltung Informationen erfragen, das – wenn diese von der Bundesregierung übermittelt werden müssen, aber noch nicht übermittelt wurden – sich in dieser Sache an die Bundesregierung wendet. Allerdings kann der Bundestag auf die Unterrichtung zu einzelnen oder mehreren Vorhaben verzichten, wenn nicht eine Fraktion oder fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages widersprechen (§ 3 Abs. 5 EUZBBG). Da­ mit kann das Unterrichtungsrecht aus Sicht einzelner Abgeordneter unge­ wollt eingeschränkt werden, wenn sie nicht in Fraktionsstärke oder mit mindestens fünf Prozent der Stimmen widersprechen können. Zwar ist die praktische Relevanz dieses Verzichts fraglich,187 dennoch hat allein seine theoretische Möglichkeit verfassungsrechtliche Bedenken ausgelöst.188 Die Integrationsverantwortung des Bundestages sei umfassend und könne nicht in Bezug auf einzelne Materien vom Bundestag aufgegeben werden. Der Verzicht könne außerdem gegen die grundgesetzlich gesicherten Rechte der Abgeordneten verstoßen (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG), da der einzelne Abge­ ordnete in europäischen Angelegenheiten nur mitwirken könne, wenn ihm sämtliche Informationen zur Verfügung stehen.189 Die Bedenken wären be­ rechtigt, wenn die Mehrheit des Bundestages tatsächlich durch Beschluss auf Dokumente zu ganzen Themenbereichen verzichten würde. Betrifft der Verzicht jedoch nur Dokumente oder sonstige Informationen, die sonst z. B. mehrfach übermittelt würden, kann er zur Verhinderung einer Informations­ flut sogar geboten sein.190 Es kommt insoweit auf die Betrachtung des 187  Bisher wurde ein solcher Verzicht vom Bundestag noch nicht beschlossen: Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 19 f. 188  Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 142, mit Verweis auf: Hillgruber, Stellung­ nahme zur Gemeinsamen Anhörung von Bundesrat und Bundestag zur Begleitge­ setzgebung II zum Vertrag von Lissabon, Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des 16. Deutschen Bundestages, 90. Sitzung am 26. / 27. August 2009, A-Drs. Nr. 16(21)904, S. 8, sowie Nettesheim, Die Integrationsverantwortung – Vorgaben des BVerfG und gesetzgeberische Umsetzung, NJW 2010, 177, 182. 189  Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 142.; Hillgruber, Stellungnahme zur Ge­ meinsamen Anhörung von Bundesrat und Bundestag zur Begleitgesetzgebung II zum Vertrag von Lissabon, Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des 16. Deutschen Bundestages, 90. Sitzung am 26. / 27. August 2009, A-Drs. Nr. 16(21)904, S. 8. 190  Ähnlich Saberzadeh, in: Arnauld / Hufeld (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, 2011, 11. Abschnitt, Rdnr. 5.



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Einzelfalles an, wobei es praktisch sehr unwahrscheinlich ist, dass der Bun­ destag in Zukunft auf Dokumente und Informationen in erheblichem Um­ fang verzichten wird und – selbst wenn dies geschähe – nicht mindestens eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten dies verhindern würden. cc) Umfassende Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt Nach dem Wortlaut des Grundgesetzes hat die Unterrichtung umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erfolgen (Art. 23 Abs. 2 Satz GG).191 Das Bundesverfassungsgericht verlangt außerdem eine schriftliche Unter­ richtung, wie sie auch einfachgesetzlich vorgesehen ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG, § 13 Abs. 1 Satz 1 IntVG). (1) Umfassende Unterrichtung Die umfassende Unterrichtung soll dem Bundestag die Möglichkeit ge­ ben, europäische Dossiers zu begleiten und über Mitwirkungsmaßnahmen entscheiden zu können.192 Es handelt sich um eine dynamische Unterrich­ tungspflicht, die fortlaufend an den Entwicklungsstand der Verhandlungen über das Dossier auf europäischer Ebene angepasst werden muss. Die In­ formationen sind von der Bundesregierung daher immer dann zu aktualisie­ ren, wenn sich in der Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, Entwicklungen ergeben haben oder die Bundesregierung ihre Hal­ tung zu dem Dossier ändert. Mit zunehmender Konkretisierung des Vorha­ bens und Annäherung an die endgültige Entscheidungsfindung muss der Bundestag intensiver unterrichtet werden, um seine Haltung überprüfen und gegebenenfalls (erneut) Einfluss nehmen zu können.193 Das Bundesverfassungsgericht fordert in seiner Entscheidung zu den In­ formationsrechten des Bundestages allerdings auch dann eine intensivere Unterrichtung, „je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert“.194 Damit erhält das Infor­ mationsrecht über die unbestimmten Rechtsbegriffe „komplexer Vorgang“ 191  Zur Entstehung dieser Formulierung in den Beratungen der GVK: Möller / Limpert, Die Parlamentarisierung der politischen Willensbildung in europäischen Angelegenheiten, ZG 2013, 45 f. 192  BVerfGE 131, 152, 206 f., AbsNr. 117 – parlamentarische Informationsrechte. 193  Zum ganzen Absatz: BVerfGE 131, 152, 201 f., AbsNr. 122 f. – parlamentari­ sche Informationsrechte. 194  BVerfGE 131, 152, Ls. 2 und S. 206 f., AbsNr. 117 – parlamentarische Infor­ mationsrechte.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

und „intensivere Unterrichtung“ Elemente einer qualitativen und quantitati­ ven Abstufung, die zuvor in der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Informationsrechts noch nicht vorhanden waren. Daran knüpfen sich zu­ nächst eine Reihe praktischer Fragen; z. B. in wessen Beurteilungsspielraum es fällt, ob es sich – außerhalb der vom Bundesverfassungsgericht entschie­ denen Sachverhalte195 – um einen komplexen Vorgang handelt, der eine intensivere Unterrichtung erfordert. Dies kann sich nur mit Blick auf die Zielrichtung des verfassungsrechtlichen Unterrichtungsrechts lösen: Benö­ tigt der Bundestag weitere Informationen, um ein europäisches Dossier prüfen und über die weiteren Schritte entscheiden zu können, ist der verfas­ sungsrechtlich geforderten Intensität der Unterrichtung durch die Bundesre­ gierung noch nicht Genüge getan. Es kommt somit auf den Informationsbe­ darf des Bundestages an und nicht auf die Unterrichtungsbereitschaft der Bundesregierung. Unter diesem Blickwinkel ist in dieser Aussage jedoch etwas angelegt, das bisher in der Rezeption der Entscheidung noch nicht ausreichend gewürdigt wurde. Nach einer Übermittlung der Ausgangsdoku­ mente zu einem europäischen Dossier sollte sich die Dichte und Tiefe der nachfolgenden Informationen daran orientieren, welche politische Bedeu­ tung das Vorhaben hat. Mit dem Merkmal, „wie tief“ in den Zuständigkeits­ bereich des Bundstages eingegriffen wird, klingt die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts196 an. Voraussetzung für einen solchen abge­ stuften Informationsumfang muss jedoch eine Bewertung des Dossiers durch den Bundestag selbst sein.197 Bisher ist dieser Gedanke jedoch weder in der einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Informationsrechte noch in der Praxis aufgenommen worden. Die umfassende Unterrichtungspflicht erstreckt sich außerdem nicht nur auf offizielle Dokumente und Informationen, die die Bundesregierung er­ hält, sondern auch auf solche, die sie auf inoffiziellem Wege erlangt hat (z.  B. sogenannte non papers). Nach der Sichtweise des Bundesverfas­ sungsgerichts steht die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit dieser In­ formationen der (vertraulichen) Weitergabe an den Bundestag nicht entge­ gen, da dieser eine Geheimschutzordnung geschaffen hat und die Informa­ tionen entsprechend einstufen kann.198 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass in der Praxis die Geheimschutzordnung nicht immer die Ge­ 195  Europäischer

Stabilitätsmechanismus und Euro-Plus-Pakt. zur so genannten Wesentlichkeitsrechtsprechung: BVerfGE 58, 257, 268 – Schulentlassung; weiterführend: BVerfGE 101, 1, 34, AbsNr. 124, m. w. N. aus der umfangreichen späteren Rechtsprechung – Hennenhaltungsverordnung. 197  Vgl. zu dem Vorschlag dieser Arbeit über eine stärkere politische Gewichtung der Dossiers durch den Bundestag ausführlich unten S. 250 ff. 198  Zum ganzen Absatz: BVerfGE 131, 152, 207 f., AbsNr. 119 – parlamentarische Informationsrechte. 196  Grundlegend



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heimhaltung der Informationen sicherstellen kann.199 Dies erklärt die Zu­ rückhaltung, mit der die Bundesregierung dem Bundestag vertrauliche In­ formationen überlässt. Die normative Wirklichkeit ändert sich durch dieses verbotene „Durchstecken von Informationen“ vor allem an die Presse je­ doch nicht. (2) Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt Die Unterrichtung hat zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ zu erfolgen. Der Bundestag soll über Vorgänge informiert werden, bevor in langwierigen Verhandlungen Entscheidungen getroffen werden, die später schwer zu ver­ ändern sind. In den frühen Jahren der Europäischen Gemeinschaften – vor den Änderungen im Zuge der Ratifizierung des Maastrichter Vertrags – konnte der Bundestag kaum auf die europäischen Entwicklungen Einfluss nehmen, weil er erst zu einem Zeitpunkt beteiligt oder unterrichtet wurde, als der Verhandlungsprozess nahezu oder sogar gänzlich abgeschlossen war.200 Durch die frühzeitige Unterrichtung werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Bundestag schon im Anfangsstadium der euro­ päischen Willensbildung auf die Bundesregierung Einfluss nehmen kann. Werden die jeweiligen Fachpolitiker und Fachausschüsse frühzeitig über ein geplantes europäisches Vorhaben informiert, können sie sich schon im Lau­ fe der Verhandlungen auf europäischer Ebene mit dem Thema vertraut machen und gegebenenfalls auch innerhalb von kurzen Fristen auf anstehen­ de Entscheidungen reagieren. Dem Bundestag muss es möglich sein, Stel­ lungnahmen zu erarbeiten und vorzulegen, bevor die Bundesregierung bin­ dende Erklärungen abgibt.201 In der Praxis bedeutet dies, dass die Bundesregierung den Bundestag informieren muss, sobald sie durch ihre Mitglieder oder Mitarbeiter, durch die Ständige Vertretung Deutschlands bei der Europäischen Union oder auf anderem Wege über ein geplantes Vorhaben Kenntnis erlangt. Der Bundes­ regierung steht kein Ermessen hinsichtlich des Weiterleitungszeitpunktes zu. Auch über geplante Sitzungen und informelle Beratungen der europäischen Organe ist bereits im Voraus zu unterrichten, auch wenn noch keine Vor­ schläge und Beratungsunterlagen existieren. Über den Verlauf und die er­ 199  Wewer, Regierung und Parlament – fünfzehn Thesen, in: Magiera / Sommer­ mann (Hrsg.), Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, 2013, S. 47, 50 f. (Thesen Nr. 12 und Nr. 14). 200  BVerfGE 131, 152, 211, AbsNr. 126 – parlamentarische Informationsrechte. 201  BVerfGE 131, 152, 212, AbsNr. 127 – parlamentarische Informationsrechte; vgl. dazu auch Möller / Limpert, Die Parlamentarisierung der politischen Willensbil­ dung in europäischen Angelegenheiten, ZG 2013, 44, 50 f.

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zielten Zwischen- und Endergebnisse ist unmittelbar nach den Beratungen zu informieren.202 (3) Schriftliche Unterrichtung Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG sieht die Schriftform für die Unterrichtung des Bundestages nicht ausdrücklich vor. Einfachgesetzlich ist jedoch festgelegt, dass der Bundestag in der Regel schriftlich zu informieren ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG und § 13 Abs. 1 Satz 1 IntVG). Die mündliche Unterrich­ tung hat nur ergänzenden, keinen die schriftliche Information ersetzenden Charakter (§ 3 Abs. 1 Satz 3 EUZBBG). Das Schriftformerfordernis leitet das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu den Informations­ rechten des Bundestages direkt aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ab und verleiht ihm damit das größere, verfassungsrechtliche Gewicht. Das Gericht verlangt für die förmliche Unterrichtung des Bundestages ein hohes Maß an „Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit“ der Informationen. Nur die schriftliche Unterrichtung werde diesen Maßstäben einer effektiven Infor­ mation des Bundestages gerecht. Entsprechend komme der mündlichen Unterrichtung nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu. Das Gericht sieht aber auch das Spannungsfeld, das in Eilfällen zwischen einer frühest­ möglichen einerseits und einer schriftlichen Unterrichtung andererseits ent­ stehen kann. In diesen Fällen überwiege das Interesse des Bundestages an der Information, auch wenn sie nur mündlich erfolgen kann. Dies gelte insbesondere dann, wenn vor einer auf europäischer Ebene sehr kurzfristig zu treffenden Entscheidung, wie es teilweise bei der Finanz- und Staats­ schuldenkrise in den Jahren ab 2010 der Fall war, noch keine schriftlichen Dokumente vorhanden sind und auch nicht hergestellt werden können. So­ bald die Dokumente jedoch vorliegen, seien sie dem Bundestag unverzüg­ lich nachzureichen.203 Das Bundesverfassungsgericht gibt somit für die Ausgestaltung des ver­ fassungsrechtlichen Informationsanspruchs genau das vor, was einfachge­ setzlich bereits festgelegt ist. Durch die Verankerung der Grundsätze direkt im Grundgesetz sind sie nicht nur der Änderung durch den einfachen204, sondern auch durch den verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen. Der 202  Zum ganzen Absatz: BVerfGE 131, 152, 212 f., AbsNr. 128 – parlamentari­ sche Informationsrechte. 203  Zum ganzen Absatz: BVerfGE 131, 152, 214, AbsNr. 131 f. – parlamentari­ sche Informationsrechte. 204  Vgl. zu dem hier nicht maßgeblichen Streit, ob der Gesetzgeber an die Inter­ pretation des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht gebunden ist: dafür z. B. Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit: Strukturfragen, Organisation, Legiti­ mation, NJW 1999, 9, 12; dagegen z. B.: Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / 



III. Grundgesetzliche Regeln über die europapolitische Kommunikation75

Kern des parlamentarischen Informationsrechts in europäischen Angelegen­ heiten ist als Teil des Demokratieprinzips von der Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes geschützt.205 Das Bundesverfassungsgericht gestaltet die Schriftform als ein grundlegendes Element der Unterrichtung des Bundesta­ ges aus, so dass es ebenfalls dem Kern des parlamentarischen Informations­ rechts zugeordnet werden muss. 3. Die Schaffung und Bedeutung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union a) Überblick über die Entstehungsgeschichte des Europaausschusses Die Entstehungsgeschichte206 des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union beginnt mit der Einsetzung eines „IntegrationsÄltestenrats“ im Jahr 1961, erstreckt sich über die Schaffung verschiedener Kommissionen und Unterausschüsse207 und endet mit der Einsetzung eines eigenständigen Europaausschusses im Jahr 1991208, der ab dem Jahr 1992 mit der Einführung des Art. 45 in das Grundgesetz Verfassungsrang erhielt. Den Gremien, die vor dem selbständigen Europaausschuss eingesetzt wur­ den, wird wenig europapolitischer Einfluss zugesprochen, was im Wesentli­ chen an strukturellen Problemen wie der mangelnden Kompetenzausstattung oder ihrer schwachen Stellung als Unterausschuss lag.209 ders., Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 38. Ergänzungslieferung (Stand: Juli 2012), § 67 Rdnr. 57 ff. 205  BVerfGE 132, 195, 241  f., Rdnr. 111 – Europäischer Stabilitätsmechanis­ mus / Eilverfahren; vgl. dazu auch oben S. 61 f. 206  Vgl. dazu ausführlich: Süssmuth, Die Rolle des Deutschen Bundestages im Europäischen Einigungsprozeß zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Hellwig (Hrsg.), Der Deutsche Bundestag und Europa, 1993, S. 10, 12; Kabel, Die Mitwir­ kung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, in: Grabitz / Randelzhofer et  al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S.  241, 241 f.; Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uni­ on des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3, 4 ff.; Leonardy, Bundestag und Eu­ ropäische Gemeinschaft: Notwendigkeit und Umfeld eines Europa-Ausschusses; ZParl 1989, 527. 207  1983: „Europa-Kommission“ in Form einer Enquête-Kommission nach § 56 GO-BT; 1987: „Unterausschuss für Fragen der Europäischen Gemeinschaften“ beim Auswärtigen Ausschuss; vgl. zu den Einzelheiten: Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3 ff. 208  Der erste eigenständige Europaausschuss wurde am 04.09.1991 gebildet. 209  Dazu ausführlich Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro­ päischen Union des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3, 4 ff.

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Die Schaffung eines eigenständigen Europaausschusses im Jahr 1991 steht in engem Zusammenhang mit den Verhandlungen des Maastrichter Vertrags, die im Dezember 1990 begonnen hatten. Im Bundestag entwickel­ te sich die Erkenntnis, dass die Bundesregierung den Vertrag von Maastricht im Wesentlichen ohne Beteiligung des Bundestages verhandelte und der Bundestag daher darauf keinen Einfluss hatte.210 Die Fraktionen der CDU / CSU, SPD und FDP strebten daher die Einsetzung des eigenständigen Europaausschusses an,211 um dessen Stellung und Kompetenzen jedoch zwischen diesen Fraktionen erheblich gestritten wurde. In der Plenardebatte um die Einsetzung des neuen Europaausschusses wurde dieser Streit von dem Abgeordneten Dr. Fritz Gautier (SPD) wie folgt beschrieben: „Wir Sozialdemokraten haben in dieser Legislaturperiode von Beginn an erneut gesagt: Wir wollen einen Europa-Ausschuß. Wir haben jetzt sechs Monate über diese Frage mühsam verhandelt und gesprochen. Es ist teilweise wirklich schon peinlich gewesen, mit welchen Argumenten einige Gruppierungen und Kreise dieses Hauses die Meinung vertreten haben, man bräuchte keinen Europa-Aus­ schuß, man könnte das alles so erledigen.“212

In diesem Streit ging es darum, ob zukünftig der neue Europaausschuss (im Weiteren zur Unterscheidung von dem heutigen Europaausschuss „EGAusschuss“ genannt) oder weiterhin die Fachausschüsse die Federführung für europapolitische Fachfragen erhalten sollten. Vordergründig wurde da­ bei um die Frage gestritten, ob von dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Bundesministerien und Bundestagsausschüssen zugunsten des EG-Aus­ schusses abgewichen werden solle, da in Deutschland kein Bundeseuropa­ ministerium existiert. Tatsächlich wollten jedoch die Fachausschüsse keine Zuständigkeiten an den neuen EG-Ausschuss abgeben. Dabei wurden sie besonders durch die Fraktion der FDP unterstützt, die wohl zu diesem Zeitpunkt einen Machtverlust des von ihr gestellten Bundesaußenministers durch einen zu starken EG-Ausschuss des Bundestages befürchtete.213 Da 210  Vgl. die Darstellung der Entwicklung in der Plenardebatte zur Schaffung des eigenständigen Europaausschusses am 13. Juni 1991, BT-PlProt. 12 / 31, S. 2435 (D) ff. Darin kommentierte der Abgeordnete Dr. Fritz Gautier (SPD) die durch den damaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher geführten Verhandlungen pointiert mit folgender Beobachtung: „Das macht im Augenblick alles die Regierung. Wir sagen ganz deutlich: Dies kann keine Ein-Mann-Veranstaltung von Bundesaußenminister Genscher sein, so nett wir ihn auch finden mögen. Es geht darum, wie wir es selber politisch-parlamentarisch dort behandeln.“, BT-PlProt. 12 / 31, S. 2438 (A). 211  Antrag der Fraktionen CDU / CSU, SPD und FDP zur Einsetzung eines EGAusschusses vom 12.06.1991, BT-Drs. 12 / 739. 212  BT-PlProt. 12 / 31, S. 2437 (A) f. vom 13. Juni 1991. 213  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 242; Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S. 276.



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auch die CDU / CSU-Fraktion befürwortete, dass die Fachausschüsse die Federführung bei der Beratung europapolitischer Fachfragen behalten sollten,214 einigte man sich darauf, dass der EG-Ausschuss nur für integ­ rationspolitische und organisatorische Fragen, wie die Änderung der Ver­ träge der Europäischen Gemeinschaften, die institutionellen Angelegenhei­ ten der Europäischen Gemeinschaften, die Zusammenarbeit mit dem Euro­ päischen Parlament und die Zusammenarbeit der nationalen Parlamente der EG bzw. Union und die Beratung von europäischen Vorlagen zuständig sein sollte.215 Dies sollte aber auch nur dann gelten, wenn der Schwer­ punkt der Themen nicht in den Bereich der Fachausschüsse falle, die in diesem Fall dafür zuständig sein sollten. Die mangelnde Federführung in vielen europapolitischen Fragen blieb der Schwachpunkt des EG-Ausschusses, der sich am 4. September 1991 konsti­ tuiert hatte. Er konnte sich gegen den traditionell starken Auswärtigen Ausschuss und den Ausschuss für Wirtschaft nicht durchsetzen.216 Obwohl der EG-Ausschuss oftmals bei europäischen Themen und Gesetzgebungs­ vorhaben um die Federführung gerungen hatte, wurden diese regelmäßig den Fachausschüssen übertragen.217 Ein weiteres Problem lag in der noch schwierigen Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Die Mitwirkung des Bundestages hing weitestgehend von der Bereitschaft der Bundesregierung und den Institutionen der Europäischen Union ab, den Bundestag in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Dies kam jedoch äußerst selten vor. Die Umsetzung von europäischen Regelungen wurde von den Mitgliedern des EG-Ausschusses häufig als ein „Abnicken“ empfunden. Zwar wurden dem Bundestag in den Jahren 1991 / 1992 insgesamt 560 EG-Ratsdokumen­ te zugeleitet. Diese Ratsdokumente bezogen sich jedoch ganz überwiegend auf Vorgänge oder Regelungen, über die der Rat bereits endgültig entschie­ den hatte.218 Schließlich soll auch der EG-Ausschuss selbst nur wenige Bestrebungen gehabt haben, die europäischen Entwicklungen zu beeinflus­ sen. Der allergrößte Teil der zugeleiteten Dokumente sei nur „zur Kenntnis“ 214  Vgl. die Rede des Abgeordneten Peter Kittelmann (CDU / CSU) in der Ple­ nardebatte um die Einsetzung des EG-Ausschusses am 13. Juni 1991, BT-PlProt. 12 / 31, S. 2439 (D) ff. 215  Antrag der Fraktionen CDU / CSU, SPD und FDP zur Einsetzung eines EGAusschusses vom 12.06.1991, BT-Drs. 12 / 739. 216  Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3, 6. 217  Lorenz, Entstehung und Arbeitsweise des Ausschusses für die Angelegenhei­ ten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, 2004, S. 34. 218  Zum Ganzen ausführlich: Hellwig, Die Europa-Institutionen des Bundestages und seine großen Europa-Initiativen, in: dies. (Hrsg.), Der Deutsche Bundestag und Europa, 1993, S. 21, 22.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

genommen und nicht beraten worden.219 Besonders deutlich wird die schwache Stellung des EG-Ausschusses schließlich daran, dass das wich­ tigste europäische Vorhaben in den Jahren 1991 / 1992, die Begleitung und Ratifizierung des Vertrags von Maastricht, nicht dem EG-Ausschuss, son­ dern einem für zwei Monate gegründeten Ad-hoc-Ausschuss „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ übertragen wurde.220 In den Beratungen dieses Ausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ wurde dennoch entschieden, dem „Ausschuss für die Angele­ genheiten der Europäischen Union“221 des Bundstages Verfassungsrang zu verleihen. Die in Art. 23 GG neu eingeführten Mitwirkungsrechte des Bun­ destages in Angelegenheiten der Europäischen Union sollten durch den neuen Europaausschuss institutionell abgesichert werden.222 Art. 45 GG bestimmt seither, dass der Bundestag einen Europaausschuss einsetzen muss (Satz 1) und ihn ermächtigen kann, seine nationalen Mitwirkungsrechte nach Art. 23 GG für ihn wahrzunehmen (Satz 2).223 Neben der Schaffung eines weiteren Ausschusses mit Verfassungsrang, liegt eine große Besonder­ heit dieser neuen Verfassungsnorm darin, dass erstmals einem Ausschuss Beschlussrechte übertragen werden, die sonst nur dem Plenum des Bundes­ tages zustehen. Alle sonstigen Ausschüsse des Bundestages, auch die sons­ tigen Ausschüsse mit Verfassungsrang – wie der Auswärtige Ausschuss, der Verteidigungs- und der Petitionsausschuss –, haben nur die Befugnis, Ent­ scheidungen des Bundestages vorzubereiten und zu empfehlen, über die dann aber das Plenum beschließen muss.224

219  Hauck, Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäi­ schen Union, 1999, S. 39. 220  Hellwig, Die Europa-Institutionen des Bundestages und seine großen EuropaInitiativen, in: dies. (Hrsg.), Der Deutsche Bundestag und Europa, 1993, S. 21, 26. 221  Der „Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union“ nach Art. 45 GG wird in Abgrenzung zum EG-Ausschuss (ohne Verfassungsrang) teilweise auch „Unions-Ausschuss“ genannt, z. B. bei Kabel, Die Mitwirkung des Deutschen Bun­ destages in Angelegenheiten der Europäischen Union, in: Grabitz / Randelzhofer et al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 241, 263 ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Okto­ ber 2009), Art. 45. 222  Vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 05.11.1993, BTDs. 12 / 6000, S. 24. 223  Der heutige Art. 45 Satz 3 GG wurde erst im Zuge der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon im Jahr 2009 eingeführt; zur Begründung vgl. BT-Drs. 16 / 13928, S. 5. 224  Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 45 Rdnr. 7.



III. Grundgesetzliche Regeln über die europapolitische Kommunikation79

b) Die Bedeutung des Europaausschusses für die europapolitische Kommunikation Der Bundestag (Plenum) kann den Europaausschuss berechtigen, die Rechte des Bundestages gemäß Art. 23 GG gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen (Art. 45 Satz 2 GG). Wichtigstes Recht ist in diesem Zu­ sammenhang die Abgabe einer plenarersetzenden Stellungnahme zu europäi­ schen Vorhaben.225 Damit soll erreicht werden, dass der Bundestag seine Mitwirkungsrechte auch in Eilfällen wahrnehmen kann.226 Nach der Geschäftsordnung des Bundestages kann der Europaausschuss entweder aufgrund einer Einzelermächtigung des Plenums in Bezug auf ein bezeichnetes Unionsdokument oder Vorhaben (§ 93b Abs. 2 Satz 1 GO-BT), aber auch aufgrund der „Generalermächtigung“ (§ 92b Abs. 2 Satz 3 GOBT) ohne vorherige Entscheidung des Plenums im Einvernehmen mit den mitberatenden Fachausschüssen plenarersetzende Entscheidungen treffen. Die Einzelermächtigung des Plenums ergeht auf Antrag einer Fraktion oder fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages und muss das Unionsdo­ kument oder darauf bezogene Vorlagen ausdrücklich benennen. Das Plenum kann das Entscheidungsrecht jedoch jederzeit wieder durch Ausübung an sich ziehen (§ 93 Abs. 2 Satz 6 GO-BT). Will der Europaausschuss eine Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung abgeben, so hat er vor der Beschlussfassung eine Stellungnahme der beteiligten Fachausschüsse dazu einzuholen (§ 93 Abs. 3 Satz 1 GO-BT). Die Beschleunigungseffekte dieser plenarersetzenden Stellungnahme durch den Europaausschuss sind – wenn überhaupt – minimal, da mit dem Vorhaben zunächst das Plenum und später die mitberatenden Fachausschüsse befasst werden müssen. In der parlamen­ tarischen Praxis spielt diese Delegationsmöglichkeit daher keine Rolle und ist bisher auch noch nicht zur Anwendung gekommen. Die „Generalermächtigung“ (§ 93 Abs. 2 Satz 3 GO-BT) kann eine ge­ wisse Beschleunigung schaffen, weil der Europaausschuss auf dieser Basis plenarersetzende Entscheidungen treffen kann, ohne zuvor vom Plenum in Bezug auf das jeweilige europäische Vorhaben ermächtigt worden zu sein. Allerdings gilt die „Generalermächtigung“ nicht für Entscheidungen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie für Be­ schlüsse über die Anwendung des Notbremsemechanismus durch den deut­ 225  Vgl. zu den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Regelungen über die Abgabe von Stellungnahmen durch den Bundestag, unten S. 103 ff. 226  Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3, 15; ders., Art. 23 GG in der Bewährung, DÖV 2001, 233, 283; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 245.

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schen Vertreter im Rat im Sinne von § 9 Abs. 1 IntVG (§ 93 Abs. 2 Satz 4 GO-BT). Die Abgabe einer planersetzenden Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung erfordert jedoch auch hier, dass der Europaausschuss Stel­ lungnahmen der beteiligten Fachausschüsse dazu einholt und diese dem geplanten Beschluss des Europaausschusses nicht widersprechen (§ 93 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 GO-BT). Folglich ist das Beschleunigungspo­ tenzial auch hier nicht übermäßig groß. In der Praxis macht der Europaaus­ schuss auch von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch.227 Daher hat die Delegation trotz ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung bisher keine besondere Bedeutung für die europapolitische Kommunikation erlangt. Auch die Einbindung des Haushaltsausschusses in die parlamenta­ rische Beteiligung an bestimmten Entscheidungen des Europäischen Stabili­ tätsmechanismus228 hat die Bedeutung des Europaausschusses für die euro­ papolitische Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung nicht gestärkt. Das Potenzial eines Europaausschusses, der Rechte des Ple­ nums wahrnehmen kann, wird im Deutschen Bundestag nicht ausgeschöpft. Dies liegt neben den ungünstigen Verfahrensvorschriften in der Geschäfts­ ordnung auch daran, dass dem Europaausschuss kein ausreichendes inner­ parlamentarisches Gewicht zukommt. Die Fachausschüsse ziehen weiterhin die Beratung der politisch wichtigen europäischen (Fach-)Fragen an sich. Eine organisatorisch einfache, doch politisch bedeutende Änderung der Wahrnehmung des Europaausschusses könnte dadurch herbeigeführt werden, dass der Ausschussvorsitz stets von der stärksten Oppositionsfraktion besetzt wird. Dieser parlamentarische Brauch besteht bereits für den Haushaltsaus­ schuss. Dahinter steht der Gedanke, den Vorsitz dieses für die Kontrolle der Regierung besonders bedeutsamen Ausschusses gerade nicht einem Mitglied der Regierungsfraktionen zu überlassen und so die hergebrachte Bindung zwischen Regierungsfraktionen und Regierung an dieser Stelle aufzubre­ chen.229 In der 12. bis zur 15. Wahlperiode (1990 bis 2009) war der Vorsit­ zende des Europaausschusses auch stets ein Mitglied der Oppositionsfraktio­ nen. Dies wurde erst in der 16. Wahlperiode geändert. Seitdem waren mit Matthias Wissmann (bis Mai 2007) und danach mit Gunther Krichbaum je­ weils Mitglieder der CDU / CSU-Fraktion Vorsitzende, obwohl die CDU / CSU zunächst mit der SPD (16. Wahlperiode), danach mit der FDP (17. Wahl­ periode) und sodann wieder mit der SPD (18. Wahlperiode) die Regierung stellte. Auch wenn die Einführung des Brauches, der Opposition den Vorsitz 227  Vgl.

dazu unten S. 203 f. unten S. 98 ff. 229  Eickenboom, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspra­ xis, 1989, § 44 Rdnr. 1. Vgl. zur Verbindung von Regierungsfraktionen und Regie­ rung im parlamentarischen Regierungssystem oben S. 43 ff. 228  Vgl.



III. Grundgesetzliche Regeln über die europapolitische Kommunikation81

im Europaausschuss zu überlassen, in erster Linie ein Zeichen für ein ge­ stärktes europapolitisches Selbstbewusstsein des Bundestages gegenüber der Regierung wäre, könnte dies auch die innerparlamentarische Stellung des Eu­ ropaausschusses hervorheben. Eine weitere Rolle, die der Europaausschuss erfüllen könnte, die aber nicht ausreichend wahrgenommen wird, ist die Sicherstellung einer kontinu­ ierlichen europapolitischen Arbeit des Bundestages, auch über die Wahl eines neuen Bundestages und den Grundsatz der „Diskontinuität“ hinweg. Mit jeder Bundestagswahl können sich die Mehrheitsverhältnisse oder auch nur die personelle Zusammensetzung des Bundestages grundlegend ändern. So müssen sich z. B. neue Abgeordnete in europäische Dossiers neu einar­ beiten, weil diese auf die Wahlperioden der nationalen Parlamente natürlich keine Rücksicht nehmen. Die europapolitische Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesregierung muss sich gegebenenfalls neu einspielen. Der Europaausschuss des Bundestages könnte hier ein Gegengewicht bil­ den, würde man bei der Verteilung der Sitze des Ausschusses in einem neuen Bundestag darauf achten, dass dieser möglichst mit Mitgliedern des Bundestages besetzt wird, die diese Position bereits in der vergangenen Wahlperiode innehatten.230 Bei der Besetzung des Europaausschusses des 17. Bundestages wurde dies jedoch nicht berücksichtigt. Nachdem im Euro­ paausschuss in der 16. Wahlperiode viele erfahrene Abgeordnete, die die Abläufe im Rat und die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung gut kannten,231 tätig waren, wurden 21 der 35 Sitze des Europaausschusses zu Beginn der 17. Wahlperiode neu besetzt. Insgesamt 17 Sitze erhielten Abge­ ordnete, die in der 17. Wahlperiode zum ersten Mal in den Deutschen Bun­ destag gewählt wurden. Im Laufe der 17. Wahlperiode erhöhte sich diese Zahl aufgrund von verschiedenen Ab- und Zugängen auf 19 Abgeordnete und damit auf mehr als die Hälfte der Mitglieder des Ausschusses. Dieser Trend setzte sich auch zu Beginn der 18. Wahlperiode fort. Von den erneut 35 Sitzen des Europaausschusses wurden 18 Sitze mit Abgeordneten be­ setzt, die das erste Mal ein Mandat für den Bundestag erhalten hatten (rund 50 % der Sitze). Darüber hinaus erhielten sieben Abgeordnete je einen Sitz im Europaausschuss, die zuvor zwar schon Mitglieder des Bundestages, jedoch nicht des Europaausschusses waren. Damit wurden rund 70 % der Sitze des Europaausschusses an Abgeordnete vergeben, die in diesem Aus­ schuss zuvor noch nicht mitgearbeitet hatten. Betrachtet man nur die Mit­ 230  Zier,

Nationale Parlamente in der EU, 2005, S. 352. waren in der 16. Wahlperiode insbesondere die ehemaligen Bundes­ minister, Hans Eichel (SPD), Kurt Bodewig (SPD), Jürgen Trittin (Bündnis 90 / Die Grünen) und der Ausschussvorsitzende Matthias Wissmann (CDU). Vgl. dazu aus­ führlich: Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Ange­ legenheiten, 2011, S. 112 ff. 231  Darunter

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

glieder der Koalitionsfraktionen (CDU / CSU und SPD), so haben diese Fraktionen zusammen sogar rund 80 % ihrer Sitze im Europaausschuss mit Abgeordneten besetzt, die über keine Erfahrungen mit der Arbeit des Euro­ paausschusses und den laufenden Dossiers verfügten.232 Damit soll keine Wertung der Arbeit des Ausschusses verbunden sein, für die „neuen“ Abgeordneten dürfte es jedoch zu Beginn ihrer Tätigkeit im Europaausschuss nicht ganz einfach sein, sich in die Entscheidungsabläufe auf europäischer und nationaler Ebene einzuarbeiten.

IV. Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte Die Informationsrechte des Bundestages werden im Gesetz über die Zu­ sammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) im Detail ausgestaltet (dazu unten 1.). Die für die Mitwirkungsrechte des Bundestages nach dem Integrationsverant­ wortungsgesetz (IntVG) notwendigen Informationsrechte finden sich in § 13 IntVG (dazu unten 2.). Schließlich regelt das Gesetz zur finanziellen Beteili­ gung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMFinG)233 die speziell darauf zugeschnittenen Unterrichtungspflichten der Bundesregierung (dazu unten 3.). Die Pläne, die einfachgesetzlichen Regelungen über die Rechte des Bundestages in europäischen Angelegenheiten in einem „Europagesetzbuch“ zusammenzufassen, sind nicht umgesetzt worden (dazu unten 4.). 1. Das Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union Nach der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2009 wurde das EUZBBG geändert.234 Hintergrund für die Änderung war der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, dass die bis dahin für die Un­ terrichtungspraxis maßgebliche Zusammenarbeitsvereinbarung (BVV) we­ gen ihrer nicht eindeutigen Rechtsnatur und ihres Inhaltes für die Beteili­ 232  Die Zahlen beruhen auf der Zusammensetzung des Europaausschusses im September 2014. 233  Eng mit dem ESMFinG verbunden sind die Unterrichtungsrechte nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz (StabMechG), das sich auf die vorläufige Europäi­ sche Finanzstabilisierungsfazilität bezieht. Auch wenn die Institute zunächst neben­ einander bestehen, soll der Europäische Stabilitätsmechanismus diese vorläufige Fazilität ablösen. Folglich spielen ab diesem Zeitpunkt die Unterrichtungsrechte im StabMechG, die im Übrigen in ihren Grundstrukturen nicht vom ESMFinG abwei­ chen, keine Rolle mehr, so dass sie auch an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden. 234  BGBl. 2009 I, S. 3026.



IV. Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte83

gung des Bundestages nicht ausreichend sei.235 Es wurde daher entschieden, diese Regelungen weitestgehend in das EUZBBG aufzunehmen. Dabei flossen auch die Erfahrungen, die die Bundestagsverwaltung mit der Umset­ zung der Informationspflichten gemacht und in zwei Evaluierungsberichten zusammengefasst hatte, in die neuen Regelungen ein.236 Die nächste beu­ tende Änderung erfuhr das EUZBBG im September 2012 nach der Ent­ scheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Informationsrechten des Bundestages.237 In das EUZBBG wurden zusätzliche Themen aufgenommen, über die die Bundesregierung zu informieren hat. Dazu gehören völkerrecht­ liche Verträge, die in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Nähe­ verhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen, Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Fiskalvertrag238 und sonstige die Wirtschafts- und Währungsunion betreffenden völkerrechtlichen Verträge und Vereinbarungen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 15 und Nr. 16 EUZBBG i. d. F. von September 2012). Im Jahr 2013 wurde das EUZBBG schließlich grundlegend novelliert. Die­ se Änderungen wurden für notwendig erachtet, um die Systematik des Ge­ setzes klarer zu fassen und um die Ergebnisse der im Jahr 2011 durchge­ führten Evaluierung der europapolitischen Unterrichtung239 sowie weitere inhaltliche Ergänzungen in das Gesetz einfließen zu lassen.240 a) Überblick über die Informationspflichten nach dem EUZBBG Das EUZBBG legt der Bundesregierung umfassende Unterrichtungs­ pflichten gegenüber dem Bundestag auf (§§ 3 bis 7, 9 Abs. 1, 9a Abs. 1 und 10 EUZBBG). Zunächst wird in den Grundsätzen der Unterrichtung die umfassende, frühestmögliche und fortlaufende Information festgeschrieben, die sich auf die Handlungen der Organe der Europäischen Union, intergou­ vernementale Gremien, wie z. B. die Eurogruppe, und informelle Minister­ treffen bezieht (§ 3 Abs. 1 bis Abs. 3 EUZBBG). Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung bleibt von der Informationspflicht frei (§ 3 Abs. 4 235  BVerfGE

123, 267, 433 f., AbsNr. 410 – Lissabon. Die neue Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon, EuGRZ 2009, 534, 536. 237  BVerfGE 131, 152 – parlamentarische Informationsrechte. 238  Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion; siehe dazu die Erläuterungen bei Fischer-Lescano / Oberndorfer, Fiskalvertrag und Unionsrecht, NJW 2013, 9. 239  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601. 240  Vgl die Begründung des Gesetzesentwurfs vom 10.03.2013, BT-Drs. 17 / 12816, S. 8. 236  Baddenhausen / Schopp / Steinrück,

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

EUZBBG).241 Das Recht des Bundestages, auf einzelne Unterrichtungen zu verzichten, findet sich hier ebenfalls (§ 3 Abs. 5 EUZBBG).242 Welche Do­ kumente und Berichte die Bundesregierung vorzulegen hat, wird im Einzel­ nen aufgezählt (§ 4 EUZBBG). Dies umfasst auch Berichte über Sitzungen, interne Dokumente, wie z. B. die Weisungen an den deutschen Vertreter im Ausschuss der Ständigen Vertreter bei der Europäischen Union, Frühwarn­ berichte und Unterlagen sowie Informationen zu den Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Der Katalog der „Vorhaben“ ist eine der bedeutendsten Regelungen des EUZBBG (§ 5 EUZBBG). Darin werden alle „Vorhaben“ aufgeführt, über die die Bundesregierung zu informieren hat. Der Katalog ist nicht abschlie­ ßend. Seine zwölf Ziffern erfassen (nahezu) alle Handlungen und Planungen der Europäischen Union. Dies bezieht sich auf die Weiterentwicklung des Primärrechts (Ziff. 1 und Ziff. 2) und des Sekundärrechts (Ziff. 4), auf Ent­ wicklungen in Bezug auf die Einführung des Euro in einem Mitgliedstaat (Ziff. 3), auf die Tätigkeit der Europäischen Kommission zum Abschluss völ­ kerrechtlicher Verträge der Union (Ziff. 5) und – im Rahmen der gemeinsa­ men Handelspolitik und der Welthandelsrunden (Ziff. 6) – auf nichtlegislati­ ve Entwicklungen wie Grün- und Weißbücher, interinstitutionelle Vereinba­ rungen oder die Haushalts- und Finanzplanung der Union (Ziff. 7 bis Ziff. 10), auf den Abschluss oder die Weiterentwicklung von völkerrechtlichen Verträ­ gen, die in einem Näheverhältnis zur Europäischen Union stehen, sowie die unter diesem Regime geplanten Maßnahmen (Ziff. 11 und Ziff. 12). Die In­ formationspflichten über Entwicklungen im Rahmen des Europäischen Stabi­ litätsmechanismus und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität regeln sich nach den jeweils für diese Einrichtungen geltenden Gesetzen (§ 5 Abs. 3 EUZBBG). Die Bundesregierung ist verpflichtet, das Ausgangsdokument ei­ nes jeden Vorhabens der Europäischen Union dem Bundestag förmlich zuzu­ leiten, wobei das Gesetz an die Informationen, die das Zuleitungsschreiben enthalten muss, besondere Anforderungen stellt (§ 6 Abs. 1 EUZBBG). Die­ ses Dokument ist die Basis für ein europäisches Dossier, das daneben aus den verschiedenen weiteren Berichten der Bundesregierung und den Folgedoku­ menten zu diesem Vorhaben besteht. Zu diesen Berichten gehört der Be­ richtsbogen gemäß der Anlage zum EUZBBG, der dem Bundestag spätestens zwei Wochen nach der förmlichen Zuleitung übermittelt werden muss (§ 6 Abs. 2 EUZBBG). Bei Vorschlägen über Gesetzgebungsakte hat die Bundes­ regierung außerdem eine Umfassende Bewertung des Vorhabens vorzulegen (§ 6 Abs. 3 EUZBBG). Diese muss gegenüber dem Berichtsbogen erweiterte bzw. vertiefte Angaben zur Zuständigkeit der Europäischen Union zum Er­ 241  Vgl. 242  Vgl.

dazu unten S. 272 ff. dazu oben S. 70 f.



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lass des vorgeschlagenen Gesetz­gebungsaktes und zu dessen Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit vorsehen. Au­ ßerdem muss sie eine umfassende Abschätzung der Folgen für die Bundesre­ publik Deutschland und Aussagen insbesondere in rechtlicher, wirtschaftli­ cher, finanzieller, sozialer und ökologischer Hinsicht zu Regelungsinhalt, Alternativen, Kosten, Verwaltungsaufwand und Umsetzungsbedarf enthalten. Bei besonders komplexen und bedeutsamen Vorhaben erstellt die Bundesre­ gierung auf Anforderung des Bundestages vertiefte Berichte (§ 6 Abs. 5 EUZBBG).243 Die im Berichtsbogen und vor allem in der Umfassenden Be­ wertung enthaltenen Informationen geben dem Bundestag einen ersten Über­ blick über die Bedeutung des Vorhabens und seine rechtliche Zulässigkeit. Schließlich informiert die Bundesregierung den Bundestag über den Ab­ schluss eines Gesetzgebungsverfahrens und teilt ihm im Falle von Richtlinien die Fristen für die innerstaatliche Umsetzung und den Umsetzungsbedarf mit (§ 6 Abs. 6 ­EUZBBG). In der Entscheidung über die Informationsrechte des Bundestages hat es das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offengelassen, ob und inwieweit die Maßnahmen244 in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicher­ heitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs­ politik (GSVP) vom verfassungsrechtlichen Informationsrecht (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) erfasst werden.245 Hatte das EUZBBG vor der Novellierung im Jahr 2013 diesen Bereich aus dem Vorhaben-Katalog ausdrücklich ausge­ nommen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG a. F.), schweigt das neue EUZBBG dazu und verweist in diesem Zusammenhang auf § 7 EUZBBG (§ 5 Abs. 3 Ziff. 3 EUZBBG n. F.). Die Unterrichtung orientiert sich in diesem Bereich (§ 7 EUZBBG n. F.) an den allgemeinen Grundsätzen. Die Bundesregierung hat den Bundestag umfassend, fortlaufend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt und in der Regel schriftlich zu unterrichten. Sie übermittelt dem Bundestag eine Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte, deren Be­ wertung und eine Einschätzung über den weiteren Beratungsverlauf. Diese Übersicht dient der im intergouvernementalen Bereich besonders bedeutsa­ men Frühwarnung. Schließlich kann der Bundestag auch im Bereich der GASP und GSVP eine förmliche Zuleitung von Dokumenten mit grundsätz­ 243  Vgl.

zu dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift allerdings unten S. 88 f. und Art.  42 ff. EUV. 245  BVerfGE 131, 152, 202, AbsNr. 105 – parlamentarische Informationsrechte. In der Literatur wird dies allerdings überwiegend befürwortet: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 139; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 96; Kövel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in An­ gelegenheiten der Europäischen Union, 2000, S. 71 ff.; Hauck, Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, 1999, S. 135 f. 244  Art.  23 ff.

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licher Bedeutung und die Übermittlung eines zugehörigen Berichtsbogens verlangen. Ergänzend ist zeitnah und fortlaufend mündlich zu unterrichten. Die zuständigen Ausschüsse werden außerdem mündlich über die Sitzungen des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees informiert. Ein besonderes Beteiligungsrecht des Bundestages sieht das EUZBBG vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, bei sonstigen geplanten Ver­ tragsänderungen und Vorschlägen im Hinblick auf die Einführung des Euro in einem neuen Mitgliedstaat vor (§ 9 und § 9a EUZBBG). Vor einer ab­ schließenden Entscheidung im Rat oder im Europäischen Rat soll die Bun­ desregierung Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Zwar kann die Bundesregierung aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen von der Position des Bundestages abweichen, politisch führt dieses Einver­ nehmen jedoch zu einer starken Rolle des Bundestages schon im Vorfeld dieser wichtigen Entscheidungen.246 Schließlich ist die Bundesregierung verpflichtet, dem Bundestag Zugang zu den europäischen Datenbanken zu verschaffen, zu denen sie ihrerseits Zu­ gang hat (§ 10 Abs. 1 EUZBBG). Bei geheimhaltungsbedürftigen Informati­ onen hat der Bundestag Vorkehrungen zu treffen, damit die Geheimhaltung auch in seinem Hause nicht verletzt wird (§ 10 Abs. 2 und Abs. 3 EUZBBG). b) Die EUZBBG-Novelle im Jahr 2013 Die Novelle des EUZBBG wurde am 18. April 2013 vom 17. Deutschen Bundestag einstimmig beschlossen247 und trat am 4. Juli 2013 in Kraft.248 Sie sollte unter anderem zu einer besseren Übersichtlichkeit des Gesetzes führen. Übersichtlicher erscheint das neue EUZBBG jedoch nur im Vergleich mit der alten Fassung. Insgesamt erschließt sich das Gesetz weiterhin nur schwer. Dies liegt im Wesentlichen an den sehr detaillierten und auf die Unterrich­ tungspraxis zugeschnittenen Regelungen.249 Es konkretisiert das Kommuni­ kationsverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag und ist daher nur an diese beiden Verfassungsorgane gerichtet. Die wesentlichen Teile des EU­ ZBBG werden von Mitarbeitern der jeweiligen Verwaltungen umgesetzt. Au­ ßerhalb dieses Personenkreises wird es nur selten wahrgenommen. Neben dieser sehr praktischen Ausrichtung nimmt das neue EUZBBG auch die in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungs­ 246  Vgl.

zu diesem Einvernehmen ausführlich unten S. 111 ff. 17 / 234, S. 29311 (D). 248  BGBl. 2013 I, S. 2170. 249  Dies geben auch diejenigen offen zu, die an der Entwicklung und Verhand­ lung der Novelle beteiligt waren: Schäfer / Schulz, Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteiligungsgesetzes EUZBBG, Integration 2013, 199, 202. 247  BT-PlProt.



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gerichts auf und gibt sie teilweise im Wortlaut wieder.250 Auch dies ist ohne Kenntnis der Sachverhalte und Hintergründe dieser Entscheidungen nicht leicht zu verstehen. Der Anspruch an Normenklarheit wird durch das EU­ ZBBG nicht erfüllt. Davon darf auch nicht ablenken, dass das EUZBBG in erster Linie das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag in europäi­ schen Angelegenheiten regelt und die mit der Umsetzung betrauten Mitarbei­ ter der Bundestagsverwaltung, der zuständigen Ministerialverwaltungen so­ wie der Fraktionen mit den Regelungen schon deshalb vertraut sind, weil ei­ nige von ihnen an der Novelle mitgearbeitet haben.251 Innerhalb der Struktur des Gesetzes ergeben sich deutliche, wenn auch für die Praxis wohl keine entscheidenden Veränderungen. Das EUZBBG war in seiner alten Fassung insbesondere von dem Katalog der „Vorhaben“ (§ 3 EUZBBG a. F.). geprägt. Da in der alten Fassung die Vorschriften über die Grundsätze der Unterrichtung und die vorzulegenden Dokumente erst nach dem Vorhaben-Katalog folgten, schien es, als ob sie nur für die Vor­ haben gelten sollten. Erst § 6 EUZBBG a. F. machte deutlich, dass der Vorhaben-Katalog vor allem für die Unterscheidung zwischen förmlicher Zuleitung (Vorhaben-Dokumente) und allgemeiner Zuleitung (alle Folgedo­ kumente und sonstige Ratsdokumente) von Bedeutung war. Die grundlegen­ den Vorschriften sollten jedoch für sämtliche Unterrichtungspflichten gelten. Folglich wurden die Regelungen über die „Grundsätze der Unterrichtung“ (§ 3 EUZBBG n. F.) und die „Übersendung von Dokumenten und Berichts­ pflichten“ (§ 4 EUZBBG n. F.) nunmehr vor den Katalog der „Vorhaben“ (§ 5 EUZBBG n. F.) gezogen und damit von den „Vorhaben“ entkoppelt. Dadurch verschiebt sich die Nummerierung des EUZBBG ab dem dritten Paragraphen. Der Katalog der Vorhaben prägt damit nicht mehr die gesam­ ten Informationspflichten, sondern wird erkennbar zum Ausgangspunkt für die förmlich zuzuleitenden Dokumente (§ 5 und § 6 EUZBBG n. F.). Die Regelung zur allgemeinen Zuleitung (§ 6 Abs. 2 EUZBBG a. F.) entfällt gänzlich. Für die ehemals unter diese Vorschrift fallenden Dokumente gel­ ten jedoch die allgemeinen Regeln. Dies wurde in den allgemeinen Rege­ lungen auch dadurch deutlich gemacht, dass alle Bezugnahmen auf „Vorha­ ben“ gestrichen wurden.252 Die geänderte Reihenfolge der Vorschriften 250  In der 4,5 seitigen Gesetzesbegründung der EUZBBG-Novelle (BT-Drs. 17 / 12816, S. 8 ff.) wird 19 Mal die Entscheidung vom 19.06.2012 (BVerfGE 131, 152 – parlamentarische Informationsrechte) zitiert bzw. darauf verwiesen. 251  Vgl. die Rede von Axel Schäfer, MdB (SPD), im Rahmen der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zur Neufassung des EUZBBG im Plenum am 22.03.2013, BTPlProt. 17 / 232, S. 290 (C), in der er die Namen der Fraktionsmitarbeiter nennt, die an der Novelle mitgearbeitet haben. 252  Hieß es in § 4 Abs. 1 Satz 4 EUZBBG a. F. noch „Die Bundesregierung stellt sicher, dass die Unterrichtung über Vorhaben die Befassung des Bundestages ermög-

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verändert ihren Inhalt zwar nicht maßgeblich, versucht jedoch, eine klarere Struktur in das Gesetz zu bringen. Dies erschließt sich allerdings nur bei einem Vergleich mit der alten Fassung.253 Inhaltlich sieht die Novelle zunächst eine Reihe von Konkretisierungen vor, die nur die Vorgaben des Grundgesetzes oder der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Informationsrechten des Bundestages in das EUZBBG übernehmen. So wurde in § 2 EUZBBG n. F. auch noch die Möglichkeit der plenarersetzenden Entscheidungen des Europaausschusses aufgenommen (Art. 45 Satz 2 und 3 GG). Die Grundsätze der Unterrichtung wurden an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst (§ 3 Abs. 1 EUZBBG n. F.). Inhaltlich neu ist dabei, dass sich die Unterrichtungs­ pflicht der Bundesregierung nicht nur in der Weiterleitung von Dokumenten erschöpft, sondern auch die Erstellung eigener Berichte für den Bundestag umfasst. Dies wird aufgegriffen in der neuen Verpflichtung der Bundesregie­ rung, auf Anforderung des Bundestages vertiefte Berichte für komplexe und bedeutsame Vorhaben vorzulegen (§ 6 Abs. 5 EUZBBG n. F.). Solche eigens für den Bundestag erstelle Berichte sind für das Verständnis der europäischen Entwicklungen unerlässlich.254 Folglich liegt in diesen neuen Vorschriften grundsätzlich eine Verbesserung aus Sicht des Bundestages, sofern die Bun­ desregierung dieser Verpflichtung in der Praxis nachkommt. Allerdings heißt es dazu in der Gesetzesbegründung, dass das Gebot der intensiven und um­ fassenden Unterrichtung ohnehin immer gelte und die Bundesregierung dem schon in der Summe ihrer Informationen – in die auch die mündliche Unter­ richtung einbezogen ist – nachkommen werde. Die vertieften Berichte seien daher eine Ausnahme.255 Damit wird die potentiell erhebliche Verbesserung für das Verständnis der Informationen durch die Abgeordneten und ihre Mit­ arbeiter wieder auf ein Minimum reduziert. Es ist zu vermuten, dass dies in den Verhandlungen zwischen Bundestag und Bundesregierung über die EU­ ZBBG-Novelle nicht anders durchzusetzen war. Die Bereiche und Organe, auf die sich die Unterrichtung der Bundesre­ gierung „insbesondere“ erstreckt,256 werden in einem eigenen Absatz zu­ licht.“, heißt es in der Folgevorschrift (§ 3 Abs. 1 Satz 4 EUZBBG n. F.): „Die Bundesregierung stellt sicher, dass diese Unterrichtung die Befassung des Bundestages ermöglicht.“ 253  Vgl. zum Ganzen auch: Schäfer / Schulz, Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteiligungsgesetzes EUZBBG, Integration 2013, 199, 203. 254  Vgl. dazu unten S. 121 ff. und S. 258 ff. 255  Begründung des Gesetzesentwurfs vom 10.03.2013, BT-Drs. 17 / 12816, S. 11. 256  Willensbildung der Bundesregierung, die Vorbereitung und den Verlauf der Beratungen innerhalb der Organe der Europäischen Union, die Stellungnahmen des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und der anderen Mitglied­ staaten der Europäischen Union sowie die getroffenen Entscheidungen.



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sammengefasst (§ 3 Abs. 2 EUZBBG n. F.). Die Willensbildung der Bundes­ regierung ist darin weiterhin als Unterrichtungsgegenstand genannt. Gleich­ zeitig wurde in dieselbe Vorschrift ein weiterer Absatz eingeführt, nach dem der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Bundesregierung von den Unterrichtungspflichten frei bleibt (§ 3 Abs. 4 EUZBBG n. F.). Da die Willensbildung der Bundesregierung ein maßgeblicher Teil der exekutiven Eigenverantwortung ist, führt dies zu dem ungelösten Widerspruch, dass die Bundesregierung einerseits über ihre Willensbildung unterrichten muss, an­ dererseits aber die Unterrichtung mit Hinweis auf ihre Eigenverantwortung verweigern kann. Die neue Ausnahmeregelung zum Schutz der exekutiven Eigenverantwortung wurde aufgenommen, weil dies das Bundesverfassungs­ gericht in seiner Entscheidung zu den Informationsrechten des Bundesta­ ges257 erwähnt hatte. Obwohl das Gericht darin klargestellt hat, dass zu dieser Eigenverantwortung auch die Willensbildung der Regierung gehört,258 sollte auf die Unterrichtung über die Willensbildung, wie sie bereits im EUZBBG vorgesehen war, nicht verzichtet werden. Daraus ergab sich der Widerspruch. Neben den im Einzelnen aufgeführten Organen der Union ist nun auch klargestellt, dass die Bundesregierung über informelle Ministertreffen, den Eurogipfel, die Eurogruppe sowie vergleichbare Institutionen auf völker­ rechtlicher bzw. intergouvernementaler Grundlage, die in einem Ergänzungsoder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen, und die Sitzungen aller vorbereitenden Gremien und Arbeits­ gruppen unterrichten muss (§ 3 Abs. 2 und Abs. 3 EUZBBG). Die Einbezie­ hung aller vorbereitenden Gremien und Arbeitsgruppen kann jedoch zu einer erheblichen Zunahme der dem Bundestag zuzuleitenden Dokumente füh­ ren.259 In der Praxis wird sich erweisen müssen, ob die mit dieser neuen Regelung beabsichtigte sehr frühzeitige Unterrichtung, die zu einem Zeit­ punkt erfolgen soll, in dem auf Unionsebene die Entscheidungen nicht schon faktisch abschließend getroffen wurden, tatsächlich zu einer effekti­ veren Mitwirkung des Bundestages führt, die die Zunahme der Dokumen­ tenzahlen und des Aufwands für die Dokumentenaufbereitung recht­fertigt. Neu ist die Festlegung, dass der Bundestag jeweils bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden muss, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen sowie die Position der Bundesregierung eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregie­ rung Einfluss nehmen kann (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG n. F.). Bisher 257  Vgl.

dazu ausführlich unten S. 272 ff. 131, 152, 206, AbsNr. 115 – parlamentarische Informationsrechte. 259  Schäfer / Schulz, Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteiligungs­ gesetzes EUZBBG, Integration 2013, 199, 206. 258  BVerfGE

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werden insbesondere die wichtigen Weisungen an den Vertreter der Bundes­ regierung im Rat erst kurz vor der jeweiligen Sitzung oder sogar erst danach dem Bundestag übersandt. Kommt die Bundesregierung dieser neuen Infor­ mationspflicht nach und befasst sich der Bundestag vor Sitzungen der euro­ päischen Organe tatsächlich damit, wäre dies eine deutliche Stärkung der europapolitischen Kommunikation. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob dies im politischen Alltag so umgesetzt werden kann. In Bezug auf Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde durch die Novelle des EUZBBG nun auch die Antwort der Bundesregierung auf das entsprechende Mahnschreiben der Kommission als zu übermittelndes Dokument aufgenommen (§ 4 Abs. 6 Nr. 1 EUZBBG n. F.). Über eine solche Verpflichtung bestand zuvor Streit zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag, da dies bis dahin im EUZBBG nicht ausdrücklich geregelt war.260 Dieser Streit ist nun im Sinne des Bundestages entschieden. Die Novelle hat den Vorhaben-Katalog nicht nur im EUZBBG verscho­ ben, sondern auch die nichtlegislativen Vorhaben, die zuvor in sechs Ziffern aufgeführt waren, in zwei Ziffern zusammengefasst (§ 5 Abs. 1 Ziff. 7 und Ziff. 8 EUZBBG n. F.). In den Katalog wurden außerdem Vorschläge und Initiativen für die Einführung des Euro in einem weiteren Mitgliedstaat aufgenommen (§ 5 Abs. 1 Ziff. 3 EUZBBG n. F. i. V. m. Artikel 140 Absatz 2 AEUV). Dies steht im Zusammenhang mit der ebenfalls neu eingeführten Pflicht der Bundesregierung, die in einem solchen Fall nicht nur zu unter­ richten, sondern auch vor der endgültigen Entscheidung im Rat Einverneh­ men mit dem Bundestag herzustellen hat (§ 9a Abs. 2 EUZBBG). Schon bevor die EUZBBG-Novelle mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt am 4. Juli 2013 in Kraft trat, kam es zu einem Fall, der in den Anwendungsbe­ reich dieser neuen Einvernehmensregelung fiel. Dabei handelte es sich um den Antrag der Republik Lettland vom 5. März 2013, den Euro als Währung einzuführen. Die Kommission und die Europäische Zentralbank kamen in ihren Prüfberichten vom 5. Juni 2013 zu dem Ergebnis, dass diesem Antrag zugestimmt und der Euro in Lettland zum 1. Januar 2014 eingeführt werden kann. Da die EUZBBG-Novelle bereits am 18. April 2013 im Bundestag verabschiedet, jedoch nur wegen der ausstehenden Verkündung noch nicht in Kraft getreten war, kamen die Bundesregierung und der Bundestag über­ ein, dass zu diesem Vorgang bereits das Einvernehmen der beiden Ver­fas­ 260  Vgl. zu diesem Konflikt etwa die ablehnende Antwort der Bundesregierung auf die schriftlichen Fragen in der Woche vom 22. September 2008, Antwort auf Fragen Nr. 15 und Nr. 16, BT-Drs. 16 / 10396 (26.09.2008), S. 12 f. sowie die Ant­ wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen, BT-Drs. 17 / 421 (12.01.2010), Seite 2.



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sungs­organe hergestellt werden sollte. Der Bundestag erteilte sein Einver­ nehmen am 13. Juni 2013.261 Das Verhältnis des EUZBBG zum ESMFinG und StabMechG, die spe­ ziellere Informations- und Mitwirkungsrechte vorsehen, wurde am Ende des Vorhaben-Katalogs festgelegt. Die Regelungen der spezielleren Gesetze gehen insbesondere im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte dem EUZBBG vor. Die allgemeinen Regeln der Unterrichtung wie sie in den §§ 1 bis 4 EUZBBG festgeschrieben sind, bleiben aber von den spezielleren Re­ geln unberührt, so dass im Zweifel für die Unterrichtung des Bundestages stets die weiterreichende Regelung gelten soll.262 Dies führt allerdings zu der ungewöhnlichen Situation, dass das allgemeinere und das speziellere Gesetz gleichrangig sind. Etwaige Widersprüche könnten nicht aufgelöst werden. 2. Das Informationsrecht zur Wahrung der Mitwirkungsrechte nach dem Integrationsverantwortungsgesetz Auch das Integrationsverantwortungsgesetz enthält Informationsrechte zu­ gunsten des Bundestages und des Bundesrates (§ 13 IntVG).263 Davor sieht es jedoch zunächst einmal die verschiedenen Rechte vor, die dem Bundestag bei Änderungen des europäischen Primär- (§§ 2 bis 10) und des Sekundär­ rechts (§§ 11 und 12 – Subsidiaritätsrüge und -klage) zustehen. So darf z. B. der deutsche Vertreter im Rat oder im europäischen Rat einem Beschluss zur Nutzung des allgemeinen264 und des speziellen Brückenverfahrens im grenz­ überschreitenden Familienrecht265, der Kompetenzerweiterungsklauseln266 und der Flexibilitätsklausel267 nur zustimmen, wenn der Bundestag zuvor ein zustimmendes Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 GG erlassen hat. Der deutsche Ver­ treter im Europäischen Rat oder im Rat darf außerdem der Nutzung der wei­ teren speziellen Brückenklauseln nicht zustimmen, bevor der Bundestag ei­ 261  BT-PlProt.

17 / 246, S. 31428 (A)f. Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteili­ gungsgesetzes EUZBBG, Integration 2013, 199, 205. 263  Vgl. zum IntVG insgesamt: Hölscheidt / Menzenbach / Schröder, Das Integra­ tionsverantwortungsgesetz – Ein Kurzkommentar, ZParl 2009, 758, Kluth, Einwir­ kung von Bundestag, Bundesrat und Landesparlamenten auf die gemeinschaftliche Rechtsetzung als Ausdruck von Integrationsverantwortung, in: ders. / Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 22 Rdnr. 43 ff. 264  § 4 Abs. 1 IntVG i. V. m. Art. 48 Abs. 7 UAbs. 1 Satz 1 oder UAbs. 2 EUV. 265  § 4 Abs. 2 IntVG i. V. m. Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2 AEUV. 266  § 7 Abs. 1 IntVG i. V. m. Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV, Art. 86 Abs. 4 AEUV und § 7 Abs. 2 IntVG i. V. m. Art. 308 Abs. 3 AEUV. 267  § 8 IntVG i. V. m. Art. 352 AEUV. 262  Schäfer / Schulz,

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nen Zustimmungsbeschluss gefasst hat.268 Um solche Entscheidungen ord­ nungsgemäß treffen zu können, bedarf der Bundestag umfassender Informa­ tionen über das jeweils geplante Vorhaben. Die Informationsrechte des § 13 IntVG erschließen sich – ähnlich wie die des EUZBBG – jedoch nur schwer. Durch die oft doppelte Bezugnahme sowohl auf die Vorschriften des Integra­ tionsverantwortungsgesetzes als auch auf die europäischen Regelungen ist der Gesetzestext als solcher oft nicht verständlich. In den Unterrichtungsrechten finden sich viele Tatbestandsmerkmale, wie sie so oder ähnlich auch im EUZBBG vorhanden sind. Die Unterrichtungs­ pflichten des EUZBBG bleiben von denen des Integrationsverantwortungs­ gesetzes unberührt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 IntVG). Das EUZBBG bestimmt, dass Vorschläge und Initiativen der Europäischen Union, bei denen der Bundestag nach dem Integrationsverantwortungsgesetz mitwirken muss, „Vorhaben“ im Sinne des EUZBBG sind (§ 5 Abs. 2 EUZBBG). Somit sind die Ausgangsdokumente in diesen Fällen immer förmlich zuzuleiten und es muss spätestens nach zwei Wochen ein Berichtsbogen übermittelt werden (§ 6 Abs. 1 und Abs. 2 EUZBBG). Darüber hinaus muss die Bundesregie­ rung eine ausführliche Erläuterung über die Folgen des Vorhabens für die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union sowie eine Bewertung der integrationspolitischen Notwendigkeit und der Auswirkungen vorlegen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 IntVG). Sie muss dabei auch mitteilen, ob die anstehen­ de Entscheidung auf europäischer Ebene eines Gesetzes des Bundestages nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 GG bedarf (§ 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 IntVG).269 Die ausführliche Erläuterung ersetzt in diesen Fällen die Umfas­ sende Bewertung im Sekundärrechtsbereich (§ 6 Abs. 3 EUZBBG). Die Grundsätze der Unterrichtung sind in diesem Bereich an die des EUZBBG angelehnt. Auch hier hat die Bundesregierung den Bundestag umfassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schriftlich zu unterrichten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 IntVG). Die Unterrichtung bezieht sich auf die „Angelegenheiten dieses Gesetzes“ und damit auf den gesamten Anwendungsbereich des Integrationsverantwortungsgesetzes. Die Bundesregierung hat den Bundestag schon bei der ersten Befassung des Rates zur Nutzung der Brückenklauseln270 zu informieren (§ 13 Abs. 2 268  § 5 Abs. 1 IntVG i. V. m. Art. 31 Abs. 3 EUV oder Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV und § 6 Abs. 1 IntVG i. V. m. Art. 153 Abs. 2 UAbs. 4 oder Art. 192 Abs. 2 UAbs 2 oder Art. 333 Abs. 1 oder 2 AEUV. In diesen Fällen genügt ein einfacher Mandatsbeschluss, da sie sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „auf Sachbereiche beschränken, die im Vertrag von Lissabon bereits ausreichend bestimmt sind“ (BVerfGE 123, 267, 392, AbsNr. 320, 435, AbsNr. 416 – Lissabon). 269  Eines solchen Gesetzes bedarf es nur in den Fällen der §§ 2–4 und 7–8 IntVG. 270  Art. 48 Abs. 7 EUV, Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2 AEUV, Art. 81 Abs. 3 UAbs. 3 Satz 1 AEUV.



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IntVG). Da das nationale Informationsrecht bereits eintritt, wenn der Rat nur befasst ist, aber noch nicht entschieden hat, setzt dieses nationale Recht noch vor den unionsrechtlich vorgesehenen Übermittlungspflichten271 ein, die an eine entsprechende Entscheidung des Rates gebunden sind. Besonde­ re zusätzliche Erläuterungspflichten ergeben sich, wenn das europäische Recht das Notbremseverfahren272 vorsieht und dem Bundestag daher beson­ dere Mitwirkungsrechte (§ 9 Abs. 1 IntVG) zustehen (§ 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2). Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat außer­ dem unverzüglich273 schriftlich darüber zu unterrichten, wenn ein anderer Mitgliedstaat von dem Notbremsemechanismus Gebrauch macht, und die Gründe des Antragstellers weiterzugeben (§ 13 Abs. 5 IntVG). Auch in Bezug auf Subsidiaritätsrügen und -klagen finden sich im In­ tegrationsverantwortungsgesetz Informationsrechte des Bundestages (§ 13 Abs. 6 und Abs. 7 IntVG, wobei Abs. 7 auch für die Unterrichtung des Bundesrates gilt). Allerdings wird hier nur die Verpflichtung der Bundesre­ gierung wiederholt, bei Vorschlägen zu Gesetzgebungsakten eine Umfassen­ de Bewertung vorzulegen und den Bundestag über den Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens zu informieren. Diese Vorgaben entsprechen den Regelungen im EUZBBG (§ 6 Abs. 3 und Abs. 6), so dass das Integrations­ verantwortungsgesetz diese Informationspflicht nicht weiter ausgestaltet.

271  Nach Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 Satz 1 EUV sind die nationalen Parlamente über das Ergreifen einer Initiative zur Nutzung der Brückenklauseln des Art. 48 Abs. 7 UAbs. 1 und 2 AEUV durch den Europäischen Rat zu informieren. Ab dem Zeit­ punkt dieser Übermittlung beginnt die sechsmonatige Frist, innerhalb der die natio­ nalen Parlamente die Nutzung der Brückenklauseln ablehnen können (Art. 48 Abs. 7 UAbs. 3 Satz 2 AEUV). 272  Art. 48 Abs. 2 Satz 1 (Harmonisierung im Bereich des Sozialrechts), Art. 82 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 1 und Art. 83 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 1 (Harmonisierung im Be­ reich des Strafrechts) AEUV. 273  Im Unterschied zu den sonstigen Unterrichtungen, die schnellstmöglich zu erfolgen haben (Grundsatz des § 13 Abs. 1 Satz 1 IntVG), ist diese Information über die Nutzung des Notbremsemechanismus durch einen anderen Staat „unver­ züglich“ zu übermitteln. Da die nach gängigem rechtswissenschaftlichem Verständ­ nis die Information damit nicht schnellstmöglich, sondern „nur“ ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss, wird darin eine Abstufung gesehen. Da die Bundesregierung die Unterlagen des entsprechenden Mitgliedstaates ohne weitere Bearbeitung an den Bundestag und den Bundesrat weiterleiten kann, wäre wohl in der Regel eine nicht schnellstmögliche Weiterleitung gleichzeitig ein schuldhaftes Zögern und da­ mit auch nicht unverzüglich. Die praktische Auswirkung dieser Abstufung ist daher zweifelhaft.

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3. Die Unterrichtungsrechte in Bezug auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus Das Bundesverfassungsgericht hat sowohl in der Eilentscheidung zum Eu­ ropäischen Stabilitätsmechanismus vom 12. September 2012274 als auch in der Entscheidung in der Hauptsache vom 18. März 2014275 die Informations­ rechte des Bundestages über die Entscheidungen des Europäischen Stabili­ tätsmechanismus, wie sie im Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europä­ ischen Stabilitätsmechanismus (ESMFinG)276 festgeschrieben sind, für ver­ fassungsgemäß erklärt. Im Hinblick auf die Regelungen des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMV) forderte das Gericht jedoch auch, dass vor seiner Ratifizierung völkerrechtlich sicherge­ stellt wird, dass die Informationsrechte des Bundestages nicht durch die Ge­ heimhaltungs- und Schweigepflichten in diesem Vertrag eingeschränkt wer­ den dürfen.277 Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seinem Urteil vom 19. Juni 2012 entschieden, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus eine „Ange­ legenheit der Europäischen Union“ im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG ist und die Informationsrechte daher auch für diesen Bereich gelten.278 Folglich hätte es nicht unbedingt eigener Unterrichtungsrechte im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus bedurft. Die Entwicklungen und Ent­ scheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen jedoch mit dem Haushalts- und Finanzbereich so spezifische Fragen, dass es gerade für die Praxis notwendig war, eigene, eindeutig darauf zugeschnittene Regeln zu schaffen. Die allgemein in europäischen Angelegenheiten geltenden In­ formationsvorschriften (EUZBBG) werden von den speziellen Informations­ 274  BVerfGE 132, 195 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Eilverfahren. Vgl. die Besprechung dieser Entscheidung bei: Schorkopf, „Startet die Maschinen“ – Das ESM-Urteil des BVerfG vom 12.09.2012, NVwZ 2012, 1273; Karpen, Demokratie und parlamentarische Kontrolle der Entscheidungen im Europäischen StabilitätsMechanismus und Fiskalpakt, ZParl 2013, 645 sowie die Ausführungen des Vorsit­ zenden Richters des im ESM-Verfahren erkennenden Zweiten Senats des Bundesver­ fassungsgerichts Voßkuhle, Der Rechtsanwalt und das Bundesverfassungsgericht – Aktuelle Herausforderungen der Verfassungsrechtsprechung, NJW 2013, 1329, 1332 f. 275  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., Abs­ Nr. 223 ff. – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. Siehe dazu Daiber, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an den Maßnahmen zur Ein­ dämmung der Staatsschuldenkrise im Euroraum, DÖV 2014, 809. 276  BGBl. 2012 I, S. 1918. 277  BVerfGE 132, 195, 257 ff., Rdnr. 150 ff. – Europäischer Stabilitätsmechanis­ mus / Eilverfahren. 278  BVerfGE 131, 152, 199 ff., AbsNr. 99 ff. – parlamentarische Informationsrechte.



IV. Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte95

rechten über den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht verdrängt, sondern bleiben daneben bestehen (§ 7 Abs. 10 ESMFinG). a) Die Grundsätze der Unterrichtung Die Informationspflichten der Bundesregierung sehen auch in diesem Be­ reich umfangreiche Regeln über die Information des Bundestages vor (§ 7 Abs. 1 bis 6 und Abs. 9 ESMFinG).279 Auch hier ist der Bundestag umfas­ send, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, fortlaufend und in der Regel schrift­ lich zu unterrichten (§ 7 Absatz 1 Satz 1 ESMFinG). Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang dem Bundestag und dem Bundesrat alle ihr zur Verfügung stehenden Dokumente zur Ausübung der Beteiligungsrechte zu übermitteln (§ 7 Abs. 2 ESMFinG). Eine genaue Definition oder Auflistung, welche Dokumente dies sind, ist nicht vorhanden. Damit wird das Unterrich­ tungsrecht offen gehalten. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass sich in der Praxis unterschiedliche Auffassungen ergeben können, ob ein bestimmtes Dokument zugeleitet werden muss oder nicht. Der Entscheidung des Bundes­ verfassungsgerichts zu den Informationsrechten im Rahmen des Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus ist jedoch zu entnehmen, dass Dokumente im Zweifel dem Bundestag nicht vorenthalten werden dürfen, da das verfas­ sungsrechtliche Informationsrecht sehr weit verstanden werden muss.280 Der Bundestag ist jedoch verpflichtet, dem besonderen Schutzbedürfnis der lau­ fenden Verhandlungen durch eine vertrauliche Behandlung der darauf bezo­ genen Informationen Rechnung zu tragen (§ 7 Abs. 3 ESMFinG). Dies gilt auch für sonstige Informationen, die ebenfalls der Vertraulichkeit un­terliegen (§ 7 Abs. 10 ESMFinG i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 EUZBBG). Stellt einer der Vertragsstaaten einen Antrag auf Stabilitätshilfe (Art. 13 ESMV), hat die Bundesregierung innerhalb von sieben Tagen nach Antrag­ stellung dem Bundestag und dem Bundesrat eine erste Einschätzung über den Inhalt und den Umfang der beantragten Hilfen vorzulegen (§ 7 Abs. 4 Satz 1 ESMFinG). Will die Bundesregierung der Gewährung zustimmen, übermittelt sie außerdem eine Stellungnahme zu der von der Kommission zu erstellenden Bewertung des Hilfeersuchens und eine Abschätzung der 279  § 7 Abs. 7 ESMFinG regelt die Einschränkung des Informationsrechts für die in § 6 ESMFinG genannten Fälle, in denen wegen besonderer Vertraulichkeit ein Sondergremium des Bundestages entscheidet, vgl. dazu unten S. 99 ff. § 7 Abs. 8 Satz 1 ESMFinG bestimmt, dass die Bundesregierung die Informationen, die sie nach Abs. 5 dem Haushaltausschuss übermitteln muss, auch dem Bundesrat zur Ver­ fügung stellt. Außerdem hat die Bundesregierung den Bundesrat auch darüber zu unterrichten, inwiefern die Stellungnahmen des Bundesrates bei den Verhandlungen berücksichtigt wurden (§ 7 Abs. 8 Satz 2 ESMFinG). 280  BVerfGE 131, 152, 201, AbsNr. 103 – parlamentarische Informationsrechte.

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finanziellen Folgen (§ 7 Abs. 4 Satz 2 ESMFinG). Aufgrund der oft kom­ plizierten ökonomischen und finanzwissenschaftlichen Sachverhalte muss sich der Bundestag die Vorarbeiten der Bundesregierung für seine Entschei­ dung zunutze machen. Für die Vorgabe, dass die vorgenannten Informatio­ nen „rechtzeitig“ erfolgen müssen, ist von Bedeutung, dass der deutsche Finanzminister im Gouverneursrat der Gewährung der beantragten Hilfe nur zustimmen oder sich enthalten darf, wenn das Plenum des Bundestages zuvor einen entsprechenden Beschluss gefasst hat (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 ESMFinG). Dem Bundestag muss nach der Zuleitung der Informationen daher so viel Zeit bleiben, das Hilfegesuch sowie die mög­ lichen Folgen selbst prüfen und vor dem im Gouverneursrat festgesetzten Abstimmungstermin darüber entscheiden zu können. Die Bundesregierung hat außerdem den Haushaltsausschuss regelmäßig über das Finanzmanagement des Europäischen Stabilitätsmechanismus281 zu informieren und ihm den zusammengefassten Quartalsabschluss sowie die Gewinn- und Verlustrechnung des Europäischen Stabilitätsmechanismus282 zu übermitteln (§ 7 Abs. 5 ESMFinG). Dieses Informationsrecht des Haus­ haltsausschusses bezieht sich auf die Beteiligungsrechte des Bundestages, die in zwei Gruppen aufgeteilt sind. Die erste Gruppe umfasst Fragen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages betreffen.283 Über diese entscheidet allein das Plenum des Bundestages (§ 4 Abs. 1 ESM­ 281  Art. 22 ff. ESMV: Das betrifft Informationen über die Anlage- und Dividen­ denpolitik, die Entwicklung des Reserve- und gegebenenfalls weiterer Fonds des ESM, den Haushalt und Jahresabschluss, interne Revision und externe Prüfung so­ wie die Tätigkeit des Prüfungsausschusses des ESM. 282  Art. 27 Abs. 2 ESMV. 283  Welche Fälle dies sind, ist in § 4 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 bis Ziff. 3 ESMFinG (nicht abschließend) festgelegt. Dabei handelt es sich um die Entscheidungen über Stabilitätshilfe für einen ESM-Mitgliedstaat (Ziff. 1), über den Vorschlag des ge­ schäftsführenden Direktors des ESM nach Art. 13 Abs. 3 Satz 3 ESMV, der die Fi­ nanzierungsbedingungen sowie die gewählten Instrumente der Stabilitätshilfe enthält (Ziff. 2), und die Beschlüsse des Direktoriums des ESM über die Veränderung des genehmigten Stammkapitals nach Art 10 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 ESMV (Ziff. 3). In der Hauptsachenentscheidung zum ESM vom 18.03.2014 stellt das Bundesverfas­ sungsgericht außerdem klar, dass auch die von Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV eröffne­ te Möglichkeit, Anteile am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem vom Nennwert abweichenden Kurs abzugeben, der Zustimmung des Bun­ destages bedarf. Zwar sei im ESMFinG kein entsprechender Zustimmungsvorbehalt vorgesehen, allerdings folge dieser aus der allgemeinen Regel des § 4 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 ESMFinG. Danach bedürfen Beschlüsse „in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen“, der vorherigen Zustimmung des Bundestages. Die Entscheidung, Anteile am Stammkapital zu einem vom Nenn­ wert abweichenden Kurs auszugeben, betreffe diese haushaltspolitische Gesamtver­ antwortung und falle daher unter diesen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt (BVerfG,



IV. Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte97

FinG). Die andere Gruppe bezieht sich auf alle übrigen Angelegenheiten, die „nur“ die Haushaltsverantwortung des Bundestages betreffen. In diesen Fällen wird der Haushaltsausschuss beteiligt (§ 5 Abs. 1 Satz 1 ESMFinG).284 Der Haushaltsausschuss überwacht die Vorbereitung und Durchführung der Vereinbarung von Stabilitätshilfen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ESMFinG). Seine Aufgaben werden durch die ihm zustehenden Unterrichtungsrechte (§ 7 Abs. 5 ESMFinG) flankiert. Die Bundesregierung hat den Bundestag auch in Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus darüber zu unterrichten, inwieweit die Stellungnahmen des Bundestages (§ 7 Abs. 1 Satz 2 ESMFinG) oder des Haushaltsausschusses bei den Verhandlungen berücksichtigt wurden.285 Schließlich darf sich der deutsche Vertreter im Gouverneursrat und im Direktorium des Europäischen Stabilitätsmechanismus gegenüber einem Auskunftsverlangen des Bundestages oder eines seiner Gremien nicht auf die Schweigepflicht nach Art. 34 ESMV berufen (§ 7 Abs. 9 ESMFinG). Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Themenbereich außerdem ausgeführt, dass nicht nur die Schweigepflicht, sondern auch die Bestim­ mungen über die Unverletzlichkeit der Archive und Unterlagen des Euro­ päischen Stabilitätsmechanismus (Art. 32 Abs. 5 ESMV) und die Immunität der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrates und des Direktoriums, des Geschäftsführenden Direktors sowie aller Bedienste­ ten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (§ 35 Abs. 1 ESMV) einer hinreichenden parlamentarischen Kontrolle nicht entgegenstehen dürfen.286 Zwar seien die Vorschriften für die Auslegung offen, dass sie nicht gegen­ über den nationalen Parlamenten gelten. Da dies aber nicht ausdrücklich vorbehalten sei, könnten die Vorschriften auch anders interpretiert werden, was jedoch gegen den unveränderlichen Kern des Wahlrechts287 im Grund­ gesetz verstoßen würde, weil eine ausreichende parlamentarische Kontrolle Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., AbsNr. 227 f. – Europäi­ scher Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren). 284  In § 5 Abs. 2 ESMFinG ist festgelegt, dass der deutsche Vertreter im Gouver­ neursrat oder im Direktorium in bestimmten Fällen einer Beschlussvorlage nur zu­ stimmen darf, wenn der Haushaltsausschuss zuvor einen zustimmenden Beschluss gefasst hat. 285  Vgl. zu der stetigen Verletzung dieser Unterrichtungspflicht zu allgemeinen Stellungnahmen des Bundestages in europäischen Angelegenheiten unten S. 121 ff. 286  BVerfGE 132, 195, 257 ff., Rdnr. 150 ff., – Europäischer Stabilitätsmechanis­ mus / Eilverfahren. Dies wurde in der Hauptsacheentscheidung noch einmal aufge­ griffen und im Hinblick auf die demokratische Legitimation und Weisungsgebunden­ heit der deutschen Vertreter im Gouverneursrat vertieft: BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., AbsNr. 240 ff. – Europäischer Stabilitätsme­ chanismus / Hauptsacheverfahren. 287  Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG.

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des Europäischen Stabilitätsmechanismus dann nicht mehr möglich sei. Das Bundesverfassungsgericht gab der Bundesregierung daher auf, völker­ rechtlich sicherzustellen, dass die genannten Regelungen nicht der umfas­ senden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates entgegenste­ hen.288 Mit Schreiben vom 21. September 2012 hat das Bundesministerium der Finanzen den Bundestag darüber informiert,289 dass die Vertragspartei­ en des Europäischen Stabilitätsmechanismus eine imperative Erklärung zur Auslegung des Vertrages über den Europäischen Stabilitätsmechanismus abgeben und die Bundesrepublik Deutschland zudem in einer weiteren ein­ seitigen Erklärung die darin enthaltenen Aussagen noch einmal ausdrück­ lich bestätigt.290 b) Die Unterrichtung des Haushaltsausschusses Die Informationsrechte zum Europäischen Stabilitätsmechanismus umfas­ sen auch ein als Minderheitenrecht ausgestaltetes Informations- und Aus­ kunftsrecht des Haushaltsausschusses (§ 5 Abs. 4 ESMFinG). Danach haben der deutsche Finanzminister in seiner Funktion als Mitglied des Gouver­ neursrates des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Art. 5 Abs. 1 ESMV) und sein Stellvertreter den Haushaltsausschuss zu informieren und ihm Auskünfte zu erteilen. Diese Verpflichtung besteht auf Verlangen von min­ destens einem Viertel seiner Mitglieder, das mindestens von zwei Fraktionen unterstützt werden muss.291 Die Besonderheit dieser Unterrichtungspflicht liegt im Unterschied zu den allgemeinen Informationspflichten der Bundes­ regierung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (§ 7 ESMFinG) darin, dass die Auskunftspflicht den deutschen Gouverneur und damit den deut­ 288  BVerfGE 132, 195, Tenor Ziff. 2 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Eil­ verfahren. 289  BT-Drs. 17 / 10767. 290  Die Erklärung der Vertragsparteien gilt gemäß Art. 31 Abs. 2 Buchstabe b) des Wiener Vertragsrechts-Übereinkommens (WVRK) als allgemeine Auslegungsregel für den Inhalt des völkerrechtlichen Vertrags, auf den sie sich bezieht. Sie bleibt zwar hinter einem völkervertraglichen Vorbehalt (Art. 2 Buchstabe d), Art. 19 ff. WVRK) zurück, da die Erklärung jedoch ausdrücklich als „wesentliche Grundlage für die Zustimmung der vertragsschließenden Staaten“ bezeichnet ist (vgl. BT-Drs. 17 / 10767), besteht bei Änderung dieser Auslegung oder Änderung der diesbezüg­ lichen Umstände gemäß Art. 62 Abs. 1 Buchstabe a) WVRK) ein Kündigungsrecht. Vgl. dazu Schorkopf, „Startet die Maschinen“ – Das ESM-Urteil des BVerfG vom 12.09.2012, NVwZ 2012, 1273, 1275. 291  Dieses Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages erreichten die Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90 / Die Grünen in der 18. Wahl­ periode des Bundestages allerdings nicht. Daher wurde dieses Quorum durch § 126a Abs. 1 Ziff. 7 GO-BT auf die Stimmen aller Ausschussmitglieder, die nicht die Bundesregierung tragen, herabgesenkt.



IV. Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte99

schen Bundesfinanzminister292 und seinen Stellvertreter persönlich trifft. Zwar ist der Bundesfinanzminister Mitglied der Bundesregierung, die der allgemeinen Auskunftspflicht (§ 7 ESMFinG) unterliegt, der Bundestag kann auf dieser Basis jedoch nicht verlangen, dass der Bundesfinanzminister persönlich die Auskunft erteilt. Dasselbe gilt für den Stellvertreter des Fi­ nanzministers im Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Der Bundestag kann sich mit der persönlichen Auskunftspflicht nach § 5 Abs. 4 ESMFinG Informationen aus erster Hand sichern. Er kann außerdem durch direkte Fragen an den Finanzminister oder seinen Stellvertreter erhöh­ ten politischen Druck ausüben. Von diesen persönlichen Antworten und Schilderungen sind gegebenenfalls gerade für den politischen Bereich auf­ schlussreichere Erkenntnisse zu erwarten als von den allgemeinen Informa­ tionen. Auch politische Stimmungen und Tendenzen im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus werden persönlichen Antworten besser zu entnehmen sein. Allerdings ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die persönliche Auskunfts­ pflicht (§ 5 Abs. 4 ESMFinG) nicht auch mit einem Zitierrecht verbunden, was die politische Schlagkraft der Minderheit im Haushaltsausschuss be­ grenzt. Rechtlich kann somit nur die Mehrheit des Bundestages den Finanz­ minister – nicht seinen Stellvertreter im Gouverneursrat – herbeirufen (Art. 43 Abs. 1 GG). In der Praxis wird es jedoch zum guten politischen Stil gehören, dass sich der Bundesfinanzminister und sein Stellvertreter den Fragen des Haushaltsausschusses zum Europäischen Stabilitätsmechanismus persönlich stellen. Die Auskunftspflicht gilt allerdings nicht, wenn Tatbestände betroffen sind, über die das Sondergremium des Bundestages entscheidet (§ 6 ESM­ FinG). Sie gilt außerdem nicht für das deutsche Mitglied im Direktorium des Europäischen Stabilitätsmechanismus und seinen Stellvertreter. c) Die Einschränkung der Informationsrechte auf ein Sondergremium des Bundestages Die Beschränkung der Beteiligungs- und Informationsrechte des Bundes­ tages auf ein kleines Sondergremium für den Fall, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt293 aufkaufen will (§ 7 Abs. 7 i. V. m. § 6 ESMFinG), war schon im Rahmen der Euro­ päischen Finanzstabilisierungsfazilität vorgesehen (§ 3 Abs. 3 StabMechG). 292  Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 ESMV ist der Gouverneur eines ESM-Vertragsstaa­ tes dessen Finanzminister. 293  Vgl. Art. 18 ESMV.

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Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts,294 dass dieses Sondergremium nur im Zusammenhang mit dem Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Se­ kundärmarkt beteiligt werden darf, wurde bei der Ausgestaltung der Betei­ ligungsrechte berücksichtigt. Die Befugnisse des Sondergremiums wurden auf diesen Sachverhalt begrenzt (§ 6 ESMFinG). Die Beteiligungsrechte in allen anderen Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus nehmen das Plenum (§ 4 ESMFinG) oder der Haushaltsausschuss (§ 5 ESMFinG) wahr. Das Sondergremium setzt sich aus gewählten Mitgliedern des Haushalts­ ausschusses zusammen (§ 6 Abs. 2 ESMFinG). Die Anzahl seiner Mitglieder ist die kleinstmögliche, bei der jede Fraktion zumindest ein Mitglied (und ein stellvertretendes Mitglied) benennen kann und die Mehrheitsverhältnisse und die Zusammensetzung des Plenums gewahrt werden. In der 17. Wahl­ periode wurde für das Sondergremium in Bezug auf die Europäische Fi­ nanzstabilisierungsfazilität die Anzahl auf neun Mitglieder (und neun Stell­ vertreter) berechnet. Dieses Gremium nahm auch die Rechte des Bundesta­ ges in Bezug auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus war. Plant der Europäische Stabilitätsmechanismus den Ankauf von Staatsanlei­ hen auf dem Sekundärmarkt und hat die Bundesregierung daher die besonde­ re Vertraulichkeit der Angelegenheit geltend gemacht (§ 6 Abs. 1 ESMFinG), können die Informationsrechte des Bundestages auf die Mitglieder des Son­ dergremiums beschränkt werden (§ 7 Abs. 7 ESMFinG). Die Entscheidung, ob Anleihen auf dem Sekundärmarkt gekauft werden, hängt allerdings nicht von einem zustimmenden Beschluss des Sondergremiums ab. Es ist in diesen Fällen nur zu „beteiligen“ und kann Stellungnahmen abgeben, die die Bun­ desregierung zwar „berücksichtigen“ muss (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 ESMFinG), die jedoch keine Letztverbindlichkeit haben.295 Entfallen die Gründe für die­ se Beschränkung – in der Regel nach Abschluss des Ankaufs der Staatsanlei­ hen –, hat die Bundesregierung die Unterrichtung des gesamten Bundestages nachzuholen. Auch das Sondergremium selbst hat das Plenum nach Wegfall der Vertraulichkeitsgründe über den Inhalt und das Ergebnis seiner Beratun­ gen zu informieren (§ 6 Abs. 4 ESMFinG). 4. Die Pläne zur Schaffung eines Europagesetzbuches Die europapolitischen Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundes­ tages sind somit auf viele unterschiedliche Rechtsnormen verteilt. Darin liegt ein Teil ihrer Komplexität begründet. So ist beispielsweise das Zusam­ 294  BVerfGE

130, 318, AbsNr. 150 – Sondergremium. zu dem Begriff „berücksichtigen“ im Zusammenhang mit parlamentari­ schen Stellungnahmen zu europäischen Angelegenheiten ausführlich unten S. 106 ff. 295  Vgl.



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menspiel von EUZBBG einerseits und den spezielleren Regelungen im ESMFinG und StabMechG andererseits nicht eindeutig.296 Wegen dieser komplexen Verflechtung der verschiedenen Informations- und Mitwirkungs­ rechte wird vorgeschlagen, die entsprechenden Vorschriften in ein einheitli­ ches „Europagesetzbuch“ zu überführen.297 Danach sollen die Mitwirkungsund Informationsregelungen des Grundgesetzes, des Integrationsverantwor­ tungsgesetzes, des EUZBBG, ESMFinG und des StabMechG sowie in den Geschäftsordnungen von Bundestag und Bundesrat in dem „Europagesetz­ buch“ zusammengefasst werden.298 Dieser Vorschlag wird von dem Wunsch nach einer strukturellen Ordnung und Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften getragen. Diese Ordnung soll es insbesondere den Rechtsbetroffenen leichter machen, die für sie gelten­ den Regeln aufzufindenden und zu verstehen. Der Betroffene muss nur ein „Buch“ in die Hand nehmen und findet darin alles, was er wissen möchte. Die Umsetzung eines vergleichbaren „Wunsches“ wurde rund drei Jahrzehn­ te im Rahmen der Schaffung eines einheitlichen Umweltgesetzbuches erwo­ gen und diskutiert.299 Das Projekt „Umweltgesetzbuch“ gilt heute jedoch als gescheitert, was freilich in erster Linie auf den Besonderheiten dieses Vor­ habens, insbesondere im Hinblick auf die föderalen Schwierigkeiten der Vereinheit­lichung, beruht.300 Auch das neuere Vorhaben, alle gesetzlichen Vorgaben im Zusammenhang mit der Nutzung des Internets in einem „Netz­ gesetzbuch“ (NetGB) zusammenzufassen,301 war von dem Harmonisierungsund Vereinfachungswunsch getragen, wurde aber politisch nicht umgesetzt. 296  Die spezielleren Regelungen des ESMFinG und StabMechG gehen den allge­ meinen Regeln des EUZBBG nicht vor. Widersprüche sind damit nicht auflösbar. Siehe dazu oben S. 91. 297  Calliess plädiert für ein einheitliches „Europagesetzbuch“: Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 287 mit Verweis auf Hahn, J.-U., Die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in EU-Angele­ genheiten nach dem neuen Integrationsverantwortungsgesetz, EuZW 2009, 758, 762; Calliess / Beichelt, Auf dem Weg zum Europäisierten Bundestag? Vom Zuschauer zum Akteur?, Kurzfassung der Gesamtstudie, Bertelsmann-Stiftung, 2013, S. 3 (Handlungsempfehlung Nr. 7), S. 17 und 36. 298  Calliess / Beichelt, Auf dem Weg zum Europäisierten Bundestag? Vom Zu­ schauer zum Akteur?, Kurzfassung der Gesamtstudie, Bertelsmann-Stiftung, 2013, S. 17. 299  Vgl. zur Geschichte des Vorhabens „Umweltgesetzbuch“ den Überblick bei Kloepfer, in: ders. (Hrsg.), Das kommende Umweltgesetzbuch, 2007, S. 9 ff. 300  Siehe zu den Einzelheiten: Weber / Riedel, Brauchen wir das Umweltgesetzbuch noch? Wider die Legendenbildung über das gescheiterte UGB, NVwZ 2009, 998. 301  Vorschlag der damaligen Bundesjustizministerin Zypries vom 10.06.2010, die Einzelheiten zu diesem Vorschlag können im Internet nachgelesen werden unter: http://blogs.spdfraktion.de / netzpolitik / 2010 / 06 / 10 / freiheit-statt-anarchie-wir-brau chen-ein-netgb / .

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Hinter diesem jedenfalls vorerst gescheiterten Vorhaben mag auch die Er­ kenntnis stehen, dass mit einer Zusammenfassung der in verschiedenen Gesetzen verteilten Vorschriften letztlich doch kein ausreichender Harmonisierungs­effekt erreicht werden kann. Auch im Zusammenhang mit dem Vorschlag, ein „Europagesetzbuch“ zu schaffen, erscheint es unwahrscheinlich, dass die damit erhoffte Vereinfa­ chung dieses Rechtsgebietes gewissermaßen „automatisch“ durch die Zu­ sammenfassung der Vorschriften eintreten wird. Zunächst würde es bei der Verteilung zumindest auf das Grundgesetz, das einfache Gesetz und die Geschäftsordnungen verbleiben. Auch der verfassungsändernde Gesetzgeber darf die betreffenden Regelungen im Grundgesetz nicht ersatzlos streichen und in ein einfachgesetzliches „Europagesetzbuch“ überführen, weil die europapolitischen Mitwirkungs- und Informationsrechte des Bundestages zum unveränderlichen Verfassungsrecht (Art. 79 Abs. 3 GG) gehören.302 Die geschäftsordnungsrechtlichen Regeln über das innerparlamentarische Ver­ fahren in europäischen Angelegenheiten (§ 93 ff. GO BT) sollten ebenfalls nicht in ein einfaches Gesetz übernommen werden. Dagegen spricht vor allem die Rechtsnatur der Geschäftsordnung als parlamentarisches Binnen­ recht, das gerade den Regeln des Zustandekommens der einfachen Gesetze – mit den entsprechenden Einflussnahmemöglichkeiten der anderen Verfas­ sungsorgane – (Art. 76 ff. GG) entzogen ist.303 Die somit allenfalls mögliche Zusammenfassung des Integrationsverant­ wortungsgesetzes, des EUZBBG, EUZLBG, ESMFinG und StabMechG erscheint aber ebenfalls nicht sinnvoll, da die darin festgelegten Mitwir­ kungs- und Informationsrechte zu dem jungen Rechts- und Politikbereich der europapolitischen Kommunikation gehören. Das EUZBBG und das EUZLBG erhielten ihre heutige Bedeutung letztlich erst als Begleitgesetz­ gebung zum Vertrag von Lissabon im Jahr 2009. Das StabMechG wurde 2010, das ESMFinG erst im Jahr 2012 geschaffen. Das EUZBBG wurde zudem im Jahr 2013 novelliert. Seit dem Jahr 2009 ergingen insgesamt acht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu diesen Vorschriften, die teilweise die Änderung und Ergänzung dieser Gesetze notwendig machten. Dies zeigt, dass diese Themen derzeit noch häufig erheblichen Veränderun­ gen unterliegen. Es ist vor allem in der politischen Praxis einfacher, ein themenspezifisches Gesetz der Rechtsprechung oder den politischen Gege­ benheiten anzupassen, als jedes Mal ein ganzes „Europagesetzbuch“ anfas­ sen zu müssen und damit möglicherweise die politische Diskussion über weite Teile des Gesetzbuches zu eröffnen („Wenn wir schon Kapitel 1 än­ 302  BVerfGE 123, 267, 356, AbsNr. 245 f. – Lissabon; BVerfGE 132, 195, 241 f., Rdnr. 111 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Eilverfahren. 303  Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 325 f.



V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen103

dern müssen, könnten wir doch auch gleich Kapitel 2 und 3 ändern.“). Ob es in diesem Politikfeld jemals zu einer Konsolidierungsphase kommen wird, ist zweifelhaft, da es sich ständig den europäischen Entwicklungen anpassen und sie im besten Falle sogar antizipieren muss. Noch im Haupt­ sacheverfahren zum Europäischen Stabilitätsmechanismus betonte das Bun­ desverfassungsgericht, dass die „Beteiligungsrechte […] – sei es durch Gesetzesänderung, sei es durch Ausle­ gung – mit der Vertragsentwicklung Schritt halten [müssen], so dass die effektive Wahrnehmung der parlamentarischen Haushalts- und Integrationsverantwortung in jedem Fall sichergestellt ist.“304

Der grundsätzlich berechtigte Wunsch nach einer übersichtlicheren Rechtslage wird daher im Bereich der europapolitischen Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat wohl ebenfalls nicht – jedenfalls nicht in absehbarer Zukunft – durch Schaffung eines „Europagesetzbuches“ umge­ setzt werden.

V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen und ihre Berücksichtigung durch die Bundesregierung Die Abgabe einer Stellungnahme ist die Antwort des Bundestages auf die Unterrichtung durch die Bundesregierung. Diese beiden Elemente bilden das Herzstück der europapolitischen Kommunikation. Auch die Stellung­ nahme ist im Grundgesetz verankert und einfachgesetzlich genauer ausge­ staltet (dazu unten 1.). Im Hinblick auf die Direktionskraft der parlamenta­ rischen Stellungnahmen muss zwischen ihrer rechtlichen und politischen Bindungswirkung unterschieden werden (dazu unten 2.). Vor Änderungen des Primärrechts oder der Erweiterung des Euro-Währungsgebietes kommt den Stellungnahmen eine besondere Bedeutung zu, da die Bundesregierung in diesen Fällen Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen hat (dazu unten 3.). Schließlich erfüllen die Stellungnahmen eine wichtige Funktion bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit über europapolitische Entwicklun­ gen (dazu unten 4.). 1. Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben Das Grundgesetz sieht das Recht des Bundestages vor, durch Stellung­ nahmen an der nationalen Willensbildung in europäischen Angelegenheiten mitzuwirken (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG). Die Bundesregierung hat dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, bevor sie an Rechtset­ 304  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., Rdnr. 226 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

zungsakten der Europäischen Union mitwirkt (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG). Diese zeitliche Vorgabe gilt verfassungsrechtlich nur für Rechtsetzungsak­ te.305 Einfachgesetzlich wird dies jedoch auf alle „Vorhaben“ der Europäi­ schen Union ausgedehnt, d. h. auch auf nichtlegislative Vorhaben wie Akti­ onspläne, Grün- und Weißbücher, Aktionspläne und organisatorische Vorha­ ben (§ 8 Abs. 1 Satz 1 EUZBBG). Die Unterscheidung zwischen Stellung­ nahmen des Bundestages zu geplanten Rechtsetzungsakten (legislative Stellungnahmen) und Stellungnahmen zu sonstigen Vorhaben (nichtlegisla­ tive Stellungnahmen) der Union spielt allerdings für die Verhandlungsfüh­ rung der Bundesregierung auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle. Zwar ist die rechtliche Bindungswirkung in beiden Fällen gleich, an legis­ lativen Stellungnahmen des Bundestages knüpfen sich jedoch besondere Pflichten der Bundesregierung (§ 8 Abs. 4 EUZBBG). Stellungnahmen zu nichtlegislativen Vorhaben fallen verfassungsrechtlich unter das Mitwir­ kungsrecht von Bundestag und Bundesrat in europäischen Angelegenheiten nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG. Um die Stellungnahme zum richtigen Zeitpunkt und nicht erst, wenn die Verhandlungen auf europäischer Ebene bereits nahezu abgeschlossen sind, abgeben zu können, hat die Bundesregierung den Bundestag fortlaufend über den Stand der Beratungen zu informieren und mitzuteilen, bis zu wel­ chem Zeitpunkt eine Stellungnahme angemessen erscheint (§ 8 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG). Nach Abgabe einer Stellungnahme kann der Bundestag diese im Verlauf der weiteren Beratungen des Dossiers auf europäischer Ebene anpassen und ergänzen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). Besondere Kommunikationsvorgaben bestehen für legislative Stellung­ nahmen (§ 8 Abs. 4 EUZBBG).306 Hat der Bundestag eine Stellungnahme zu einem Rechtsetzungsvorhaben der Union abgegeben und kann die darin enthaltene Position in ihren wesentlichen Belangen in den europäischen Verhandlungen nicht durchgesetzt werden, so ist der jeweilige Vertreter der 305  „Rechtssetzungsakte“ sind formelle, rechtsbegründende Handlungen der euro­ päischen Organe. Das Unionsrecht nach dem Vertrag von Lissabon definiert „Rechts­ akte“ als „Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse und Empfehlungen“ der europäi­ schen Organe (Art. 288 Abs. 2 bis Abs. 4 AEUV). Die begriffliche Abweichung zwischen dem Begriff des „Rechtsetzungsaktes“ im Grundgesetz und dem europa­ rechtlichen „Rechtsakt“ hat im Ergebnis keine inhaltliche Bedeutung. Ausführlich dazu: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 152 ff.; Günther, Die Mitwirkung des Bun­ destages in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 GG, 1998, S.  65 ff. 306  Zur Verfassungsmäßigkeit dieser im Vergleich zu Art. 23 Abs. 3 GG einge­ schränkten Handlungsmöglichkeiten der Bundesregierung: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 60.



V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen105

Bundesregierung verpflichtet, einen Parlamentsvorbehalt einzulegen (Satz 1). Dies bedeutet, dass der Regierungsvertreter in dem jeweiligen Gremium seine Handlungen unter den Vorbehalt stellt, dass der Bundestag diesen später noch zustimmt.307 Das Gesetz definiert den unbestimmten Begriff der „wesentlichen Belange“ nicht. Damit obliegt es in der konkreten Situa­ tion der Bundesregierung zu entscheiden, ob es sich um einen wesentli­ chen Belang des Bundestages handelt, der nicht durchgesetzt werden kann. Allerdings kann der Bundestag bereits durch die Formulierung seiner Stel­ lungnahme deutlich machen, welche Punkte für ihn von wesentlicher Be­ deutung sind, so dass er auf diese Weise die Gewichtung seiner Anliegen selbst vornehmen kann.308 Die Bundesregierung informiert den Bundestag über den Parlamentsvorbehalt in einem gesonderten Bericht (Satz 2), der so abgefasst sein muss, dass die zuständigen Gremien auf dieser Basis das weitere Vorgehen beraten können (Satz 3). Vor einer abschließenden Ent­ scheidung muss die Bundesregierung sodann versuchen, Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen (Satz 4). Das Recht der Bundesregierung, aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen vom Inhalt der Stellungnahme des Bundestages abzuweichen, bleibt von diesen Regelun­ gen jedoch unberührt (Satz 6). In der Neufassung des EUZBBG im Jahr 2013 blieb dieses Verfahren im Wesentlichen unverändert. Allerdings be­ zog sich die Vorgängervorschrift über den Parlamentsvorbehalt (§ 9 Abs. 4 Satz 1 EUZBBG a. F.) ausdrücklich nur auf die Verhandlungen im Rat. Dies lief jedoch in der Praxis häufig ins Leere, da in vielen Fällen wich­ tige Entscheidungen in den Vorbereitungsgremien des Rates abschließend getroffen werden und auf der Ratstagung nur noch ohne Aussprache – als sogenannte A-Punkte – angenommen werden. Durch den Wegfall der Be­ zugnahme auf den Rat im neuen § 8 Abs. 4 Satz 1 EUZBBG soll deutlich gemacht werden, „dass die Bundesregierung wann und wo immer sie zu einem Vorhaben verhandelt auf eine Stellungnahme des Bundestages hinweisen und gegebenenfalls einen Parlamentsvorbehalt einlegen muss.“309 Inwieweit es tatsächlich möglich ist, in den Vorbereitungsgremien und in­ offiziellen Treffen Parlamentsvorbehalte einzulegen, wird offengelassen. Die Akzeptanz eines solchen Parlamentsvorbehaltes außerhalb von Sitzun­ gen des Rates und seinen Arbeitsgruppen wird sich daher in der Praxis erweisen müssen. 307  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 238; Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 168. 308  So im Ergebnis auch: Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parla­ mente in der Europäischen Union, 2012, S. 238. 309  Gesetzesbegründung zum Entwurf des neuen § 8 EUZBBG: BT-Drs. 17 / 12816, S. 11.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Die Bundesregierung hat den Bundestag unverzüglich über die abschlie­ ßende Entscheidung auf europäischer Ebene schriftlich zu unterrichten und auch anzugeben, in welchem Maße die Stellungnahme des Bundestages durchgesetzt werden konnte und – gegebenenfalls – aus welchen Gründen einzelne Belange nicht berücksichtigt wurden. (§ 8 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 EUZBBG). Auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Bundestages erläutert die Bundesregierung diese Gründe im Rahmen einer Plenardebatte (§ 8 Abs. 5 Satz 3 EUZBBG). Die Ausgestaltung dieser Forderung als Min­ derheitenrecht erfolgte erst durch die EUZBBG-Novelle im Jahr 2013. Zu­ vor war dafür ein Mehrheitsbeschluss des Bundestages notwendig (§ 9 Abs. 5 Satz 3 EUZBBG a. F.). Die neue Regelung kann die Kontrollrechte der Bundestagsminderheit bzw. der Opposition erheblich stärken, sofern sie zusammen über ein Viertel der Bundestagssitze verfügen.310 Bisher bleiben die schriftlichen Erläuterungen der Bundesregierung über die Durchsetzung bzw. Nichtdurchsetzung der Belange des Bundestages hinter den gesetz­ lichen Vorgaben zurück.311 Daher gibt dies der Opposition die Möglichkeit, hier größeren Druck auf die Bundesregierung auszuüben, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. 2. Die Bindungswirkung von Stellungnahmen Grundsätzlich haben Stellungnahmen des Bundestages als schlichte Par­ lamentsbeschlüsse keine rechtliche Bindungswirkung.312 Dies wird durch das Grundgesetz für Stellungnahmen des Bundestages zu Rechtsetzungsak­ ten der Europäischen Union (legislative Stellungnahmen) modifiziert. Der Begriff „berücksichtigen“ (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) spricht zunächst ein­ mal dafür, dass den legislativen Stellungnahmen des Bundestages auch eine gewisse rechtliche Bindungswirkung zukommt. Wie weit diese Bindungs­ wirkung gehen soll, beantwortet der Wortlaut der Verfassung jedoch nicht. Eindeutig ist nur, dass sie hinter der „maßgeblichen“ Berücksichtigung zu­ rückbleiben muss, die für Stellungnahmen des Bundesrates für Gesetzesvor­ haben der Union gilt, wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind (Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG).313 310  Für die 18. Wahlperiode wurde dieses Quorum für das Antragsrecht auf 120 Stimmen des Bundestages herabgesetzt und so der Größe der Opposition in dieser Wahlperiode angepasst (§ 126a Abs. 1 Ziff. 6 GO-BT). 311  Vgl. dazu ausführlich unten S. 121 ff. 312  Herrschende Meinung in der Literatur; vgl. statt aller: Wichmann, Die Bin­ dungswirkung von Stellungnahmen des Deutschen Bundestages in Rahmen der Zu­ sammenarbeit mit der Bundesregierung in EU-Angelegenheiten, ZParl 2012, 278, 281, m. w. N. in Fn. 15.



V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen107

Abweichend von dem Begriff „berücksichtigen“ in Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG ist einfachgesetzlich festgelegt, dass die Bundesregierung die Stellung­ nahmen des Bundestages ihren Verhandlungen „zugrunde zu legen“ hat und dies auch für nichtlegislative Stellungnahmen gilt (§ 8 Abs. 2 Satz 1 EU­ ZBBG). Es ist umfassend diskutiert worden, wie weit die Bindungswirkung dieser beiden Formulierungen reicht und welche Pflichten sowie praktischen Handlungsanweisungen sich daraus für die Bundesregierung ergeben.314 Der Bundestags-Sonderausschuss „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ führte dazu aus, dass „berücksichtigen“ den gesamten Willensbildungspro­ zess der Bundesregierung zu unionalen Rechtsakten erfasst (vom Beginn bis zur Schlussabstimmung), die Worte „zugrunde legen“ sich hingegen nur auf den Anfang des Willensbildungsprozesses beziehen.315 Auf dieser Basis ist „berücksichtigen“ in seiner zeitlichen Komponente weiter als der Begriff „zugrunde legen“, da sich letzterer nur auf den Beginn der Verhandlungen bezieht. Allerdings wird den Worten „zugrunde legen“ eine stärkere Bin­ dungswirkung des Inhalts der Stellungnahme gegenüber der Bundesregie­ rung zugesprochen, weil sich die Bundesregierung danach bei der Fest­legung ihrer Verhandlungsposition an der Stellungnahme zu orientieren habe.316 313

313  Vgl. dazu statt aller: vgl Möller / Limpert, Informations- und Mitwirkungsrech­ te des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, ZParl 1993, 21, 27 ff. Dieses Ergebnis hält Di Fabio allerdings in für verfassungswidrig: Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, Der Staat 23 (1993), 191, 201 f., 215. 314  Vgl. zum ganzen Absatz aus der umfangreichen Literatur z. B.: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 162 ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 158; Uerpmann-Wittzack, in: von Münch / Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 23 Rdnr. 86; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 104; Saberzadeh, in: Arnauld / Hufeld (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, 2011, 11. Abschnitt, Rdnr. 34; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S.  233 ff.; Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäi­ schen Union, 2008, S. 213 m. w. N. in Fn. 172; Dann, Parlamente im Exekutivföde­ ralismus, 2004, S. 197; Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, 227 ff.; Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union ge­ mäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 307 ff.; Wichmann, Die Bindungswirkung von Stellungnahmen des Deutschen Bundestages in Rahmen der Zusammenarbeit mit der Bundesregierung in EU-Angelegenheiten, ZParl 2012, 278, 281 ff.; König, Die Über­ tragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses – Anwendungsbereich und Schranken des Art. 23 des Grundgesetzes, 2000, S. 392 ff. 315  Beschlussempfehlung und Bericht des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ vom 01.12.1992, BT-Drs. 12 / 3896, S. 19. 316  Saberzadeh, in: Arnauld / Hufeld (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, 2011, 11. Abschnitt, Rdnr. 34; Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S. 229 f.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Durch den Begriff „berücksichtigen“ gebe das Grundgesetz der Bundesre­ gierung demgegenüber nur vor, dass sie den Inhalt der Stellungnahme zur Kenntnis nehmen, sich mit ihr auseinanderzusetzen und sie in ihre Willens­ bildung einzubeziehen habe.317 Um diesen Gegensatz aufzuheben, wurde vorgeschlagen, dass die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesta­ ges im ersten Verhandlungsstadium ihrer Position zugrunde zu legen hat, sie im weiteren Verhandlungsverlauf jedoch nur noch berücksichtigen müsse.318 Für die Praxis gibt dieser Vorschlag genauso wie die gesamte Diskussion jedoch nur wenig Hilfestellung319. Eindeutig ist nur, dass die Bundesregie­ rung nicht streng an die Stellungnahmen gebunden ist und im Zuge der Verhandlungen davon abweichen darf.320 Aus der einfachgesetzlichen Vorgabe, dass die Bundesregierung aus wich­ tigen außen- oder integrationspolitischen Gründen von einer legislativen Stellungnahme des Bundestages abweichen darf (§ 8 Abs. 4 Satz 6 EU­ ZBBG), könnte allerdings in einem Umkehrschluss gefolgert werden, dass die Bundesregierung aus anderen Gründen, z. B. zur Erfüllung eines „packa­ ge deals“,321 jedenfalls von legislativen Stellungnahmen nicht abweichen darf. Dies wäre jedoch verfassungsrechtlich nicht haltbar, da das Grundge­ setz für legislative Stellungnahmen nur eine einfache Berücksichtigungs­ pflicht vorgibt, die durch einfachgesetzliche Ausgestaltung nicht verändert werden kann. Daher ist das eingeschränkte Abweichungsrecht der Bundes­ regierung aus außen- oder integrationspolitischen Gründen nur als Verfah­ rensregelung zu sehen. Es steht im Zusammenhang mit der Pflicht der Bundesregierung, einen Parlamentsvorbehalt in den jeweiligen europäischen Gremien einzulegen, wenn wichtige Anliegen des Bundestages in den Ver­ handlungen nicht durchgesetzt werden können (§ 8 Abs. 4 Satz 1 EUZBBG). 317  Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, 2010, S. 221. 318  Möller / Limpert, Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in Ange­ legenheiten der Europäischen Union, ZParl 1993, 21, 28; demgegenüber sehr kritisch: Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 105. 319  Breuer spricht in Bezug auf diese Diskussion daher auch von einem „juristi­ schen Glasperlenspiel“ mit nicht mehr justitiablen Differenzierungen: Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), NVwZ 1994, 417, 426. 320  Herrschende Meinung; dazu ausführlich: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 165 und 170; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 159; Uerpmann-Wittzack, in: von Münch /  Kunig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 23 Rdnr. 86; Risse, in: Hömig (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Grundgesetz, 10. Auflage 2013, Art. 23 Rdnr. 6; Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integration, DÖV 2012, 105, 109. 321  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union2012, S. 238.



V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen109

An diesen Parlamentsvorbehalt knüpft sich in der Folge ein besonderes Kommunikationsverfahren, das der Bundesregierung Berichts- und Konsul­ tationspflichten gegenüber dem Bundestag auferlegt (§ 8 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 EUZBBG). Von diesem Kommunikationsverfahren kann die Bundesregie­ rung aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen abweichen und auf die Einlegung eines Parlamentsvorbehalts verzichten.322 Der Bun­ destag erfährt auch in diesem Falle davon, dass wesentliche Belange seiner Stellungnahme nicht durchgesetzt werden konnten, da die Bundesregierung nach der abschließenden Entscheidung auf Unionsebene den Bundestag über das Ergebnis informieren muss (§ 8 Abs. 5 EUZBBG). In diesen Fällen kann der Bundestag jedoch nur noch Rechenschaft von der Regierung über ihr Vorgehen verlangen, die Einflussnahme auf die europäische Entschei­ dung ist nicht mehr möglich. Es bleibt somit auch unter diesem Blickwinkel dabei, dass die Stellungnahmen des Bundestages keine vollumfängliche Bindungswirkung gegenüber der Bundesregierung entfalten können.323 In der Praxis kann von den Stellungnahmen allerdings eine nicht uner­ hebliche politische Bindungswirkung ausgehen.324 Dies war auch so vorge­ sehen, wie sich aus den Ausführungen des Bundestags-Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ zur Begründung des neuen Europaartikels ergibt: „Der Gesetzesvorbehalt des Artikels 23 Abs. 3 Satz 3 GG gibt nach übereinstim­ mender Auffassung des Sonderausschusses dem Bundestag das Recht, im Rahmen seiner nationalen Zuständigkeit alle Materien zu beraten und der Bundesregierung für ihr Verhalten im Rat Empfehlungen und Vorgaben zu geben, an die die Bundes­ regierung innerstaatlich im Verhältnis zum Bundestag politisch gebunden ist.“325 322  Vgl. zum ganzen Absatz ausführlich: Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 170; Calliess, Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bun­ destages und des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates zu den Gesetzesentwürfen im Rahmen der Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon, 25.08.2009, S. 11; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parla­ mente in der Europäischen Union, 2012, S. 239 f. 323  Im Ergebnis ebenso Wernsmann / Sandberg, Parlamentarische Mitwirkung bei unionaler Sekundärrechtsetzung, DÖV 2014, 49, 53. 324  Risse, in: Hömig (Hrsg.), Nomos Kommentar zum Grundgesetz, 10. Auflage 2013, Art. 23 Rdnr. 6; siehe auch König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses – Anwendungsbereich und Schran­ ken des Art. 23 des Grundgesetzes, 2000, S. 393, die zu Recht darauf hinweist, dass die politische Bindungswirkung maßgeblich von der Formulierung der Stellungnah­ me abhängen. 325  Beschlussempfehlung und Bericht des Sonderausschusses „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ vom 01.12.1992, BT-Drs. 12 / 3896, S. 19 (kursive Hervor­ hebung durch die Verfasserin).

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Für eine vorrangig politische Bindung spricht auch das Verhältnis von Regierungsfraktionen und Bundesregierung im deutschen parlamentarischen Regierungssystem.326 Eine Stellungnahme ist ein Parlamentsbeschluss, der nur mit den Stimmen der Mehrheit des Bundestages abgegeben werden kann. Die Mehrheitsfraktionen des Bundestages tragen die Regierung. In diesem Verhältnis werden Stellungnahmen des Bundestages, deren Inhalt nicht der Haltung der Bundesregierung entspricht, nur in Ausnahmefällen abgegeben, um die Regierung politisch nicht bloßzustellen.327 Stellungnah­ men werden in der Regel sogar eher als politisches Instrument eingesetzt, um die Position der Bundesregierung in den Verhandlungen auf Unionsebe­ ne zu stärken.328 Von der Möglichkeit, im Rat bzw. in den Ratsarbeitsgrup­ pen einen Parlamentsvorbehalt einzulegen, wenn wesentliche Belange der Stellungnahme des Bundestages in den Verhandlungen nicht durchgesetzt werden können (§ 8 Abs. 4 Satz 1 EUZBBG), macht die Bundesregierung aus verhandlungstaktischen Gründen sogar dann Gebrauch, wenn der Bun­ destag noch gar keine solche Stellungnahme abgegeben hat.329 Haben sich die Mehrheitsfraktionen dennoch entschieden, gegen die Hal­ tung der Bundesregierung eine Stellungnahme abzugeben, wird sich die Bundesregierung bemühen, diese Position so weit wie möglich in den Ver­ handlungen durchzusetzen, um ihrerseits den Bundestag nicht bloßzustel­ len.330 Diese politische Haltung der Regierung wird auch von dem verfas­ sungsrechtlichen Gedanken der Loyalitätspflicht im Rahmen eines koopera­ tiven Verfassungssinns aller Staatsorgane sowie von der damit verwandten Pflicht zur Verfassungsorgantreue vorgegeben.331 Die Verfassungsorgane 326  Vgl.

dazu auch oben S. 43 ff. Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integra­ tion, DÖV 2012, 105, 109; Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angelegenheiten, 2011, S. 160 f. 328  Töller, Dimensionen der Europäisierung – Das Beispiel des Deutschen Bun­ destages, ZParl 2004, 25, 40; außerdem mit Blick auf die Praxis der ersten 15 Mo­ nate der 17. Wahlperiode: Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bun­ destages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 27 f.; dies umfasst auch die Stellungnahmen nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG, die sich nicht auf Rechtsetzungsakte beziehen. 329  So auch Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7.  Auflage 2014, § 23 Rdnr. 114, Fn. 316. 330  Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 398. 331  Vgl. zum kooperativen Verfassungssinn: Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, S. 52 ff.; zur Verfassungsorgantreue als Komplementärfunktion des Demokra­ tieprinzips: Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht, 2001, S. 38 ff.; Voßkuhle, Der Grundsatz der Verfassungsorgantreue und die Kritik am BVerfG, NJW 1997, 2216; zum Gedankengang insgesamt: Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kom­ mentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 159; Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 398. 327  Hölscheidt,



V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen111

müssen danach „bei Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Tätigkeit harmonisch zusammenwirken und alles unterlassen, was das Ansehen der anderen Verfassungsorgane schädigt und damit die Verfassung selbst gefährden könnte“.332 3. Die Herstellung des Einvernehmens zwischen Bundesregierung und Bundestag in besonderen Fällen Eine besondere europapolitische Kommunikation ist vorgesehen, bevor sich die Bundesregierung an einer abschließenden Entscheidung im Rat über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit einem weiteren Staat oder über sonstige Primärrechtsänderungen (§ 9 Abs. 2 EUZBBG) sowie über die Einführung des Euro in einem weiteren Mitgliedstaat333 (§ 9a Abs. 2 EUZBBG) beteiligt. In diesen Fällen muss die Bundesregierung den Bundestag zusammen mit der förmlichen Zuleitung des Ausgangsdokuments auf sein Recht zur Stellungnahme ausdrücklich hinweisen und Einverneh­ men mit dem Bundestag herstellen (§ 9 und § 9a EUZBBG). Da der Wort­ laut der Norm nicht entsprechend eingeschränkt ist, muss die Bundesregie­ rung auch dann das Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen, wenn der Bundestag keine Stellungnahme abgegeben hat. Die Konsultationspflicht im Falle der Erweiterung der Euromitgliedstaaten wurde mit der Novelle des EUZBBG im Jahr 2013 eingeführt. Diese Erweiterung ist Ausdruck der erheblichen politischen Bedeutung, die einer weiteren Vertiefung der Wirt­ schafts- und Währungsunion vor dem Hintergrund der Finanz- und Staats­ schuldenkrise zugemessen wird.334 332  Ausführungen des BVerfG zum Rechtsgutachten von Thoma im Rahmen einer Statusdebatte aus dem Jahre 1953. Zitiert nach Voßkuhle, Der Grundsatz der Verfas­ sungsorgantreue und die Kritik am BVerfG, NJW 1997, 2216, 2217. 333  Es geht hier genauer um die Entscheidungen des Rates nach Art. 140 Abs. 2 AEUV. Hintergrund ist, dass bis auf das Vereinigte Königreich und Dänemark alle Mitgliedstaaten der Union der Währungsunion beigetreten sind. Nach Artikel 139 Absatz 1 AEUV haben einige Mitgliedstaaten einen besonderen Ausnahmestatus erhalten und den Euro noch nicht eingeführt, da der Rat noch nicht beschlossen hat, dass sie die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Gemäß Art. 140 Abs. 2 AEUV beschließt der Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments und nach Ausspra­ che im Europäischen Rat auf Vorschlag der Kommission, welche der Mitgliedstaaten die Voraussetzungen zur Einführung des Euro erfüllen und hebt den Ausnahmestatus auf. Damit ist allerdings die Währung des Euro in dem Mitgliedstaat noch nicht eingeführt. Dies erfolgt erst im Nachgang zu einem Ratsbeschluss nach Art. 140 Abs. 3 AEUV. Zur Vereinfachung und besseren Verständlichkeit wird im Text jedoch weiter von einer Entscheidung zur Einführung des Euro in einem neuen Mitglied­ staat gesprochen. 334  Begründung des Gesetzesentwurfs vom 10.03.2013, BT-Drs. 17 / 12816, S. 12.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

Allerdings sieht das Gesetz auch hier vor, dass die Bundesregierung aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen von der Position des Bundestages abweichende Entscheidungen treffen darf (§ 9 Abs. 2 Satz 2 und § 9a Abs. 2 Satz 2 EUZBBG). Hier ist zwischen der Aufnahme von Beitritts­ verhandlungen und Primärrechtsänderungen einerseits und der Einführung des Euro in einem neuen Mitgliedstaat andererseits zu unterscheiden. Der Beitritt und die sonstigen Primärrechtsänderung hängen von der Zu­ stimmung der nationalen Parlamente (Art. 48 Abs. 4 UAbs. 2, Art. 49 UAbs. 2 Satz 2 EUV) und damit auch des Bundestages (Art. 23 Abs. 1 GG) ab. Der Bundestag verfügt somit über das Letztentscheidungsrecht. Es wür­ de nicht nur dem Prinzip der Organtreue widersprechen, sondern wohl auch eine Regierungskrise hervorrufen, wenn die Bundesregierung in diesen Fällen ohne Rücksprache von einem wesentlichen Standpunkt des Bundes­ tages aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Gründen abwiche. Das Abweichungsrecht der Bundesregierung läuft in diesem Bereich (§ 9 Abs. 2 Satz 2 EUZBBG) somit letztlich leer. Die Entscheidungskompetenz des Bundestages, wie sie hier europarechtlich und verfassungsrechtlich vor­ gesehen ist, wird durch die Pflicht der Herstellung des Einvernehmens nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG somit zeitlich noch vor die Entscheidungen im Rat gezogen. Das Einvernehmen verdichtet sich zu einem Direktionsrecht des Bundestages. Bei der Entscheidung zur Einführung des Euro in einem neuen Mitglied­ staat (§ 9a EUZBBG) steht dem Bundestag hingegen kein solches Letztent­ scheidungsrecht zu. Insofern wäre es der Bundesregierung auch politisch möglich, von einer Stellungnahme bzw. der Position des Bundestages abzu­ weichen. Allerdings wurde mit der Einführung dieser Konsultationspflicht die Bedeutung der Ausweitung des Euro-Währungsgebietes besonders unter­ strichen und durch die wortgleiche Regelung auf die Ebene von Beitritten und Vertragsänderungen gehoben. Die Nichtberücksichtigung der Position des Bundestages in einer solch bedeutenden Frage würde daher wohl eben­ so zu einem offenen politischen Konflikt zwischen der Regierungsmehrheit im Bundestag und der von ihr getragenen Regierung führen. Vor diesem Hintergrund wird es in der politischen Praxis voraussichtlich nicht dazu kommen, dass die Bundesregierung von diesem Abweichungsrecht Gebrauch macht.



V. Das Recht des Bundestages zur Abgabe von Stellungnahmen113

4. Die Öffentlichkeitsfunktion der Stellungnahmen Im Unterschied zu den Dokumenten der Bundesregierung sind die Druck­ sachen des Bundestages öffentlich zugänglich.335 Sie können nicht nur von jedermann gedruckt bezogen oder in Bibliotheken eingesehen, sondern auch auf der Internetseite des Bundestages entweder über die Drucksachennum­ mer oder über eine Volltextsuche aufgerufen werden.336 Soweit der für ein bestimmtes europäisches Vorhaben federführende Bundestagsausschuss die Abgabe einer Stellungnahme empfiehlt, erfolgt dies in dem Dokument „Be­ schlussempfehlung und Bericht“ des Ausschusses. Dieses wird als Bundes­ tagsdrucksache ausgefertigt. Beantragt eine Fraktion, dies gilt für die Regie­ rungsfraktionen genauso wie für die Oppositionsfraktionen, die Abgabe einer Stellungnahme, wird diese ebenfalls als Bundestagsdrucksache veröffent­ licht. Die Empfehlung oder die Anträge enthalten alle notwendigen Infor­ mationen zu dem Dossier in stark komprimierter Form. Dazu gehört eine kurze Beschreibung des europäischen Vorhabens, die empfohlene bzw. be­ antragte Position des Bundestages, die Aufforderung an die Bundesregierung (Stellungnahme), den Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen sowie ein Abdruck des europäischen Vorhabens selbst.337 Durch diese Darstellung werden politische Wertungen und (mögliche) Kritikpunkte an dem europäi­ schen Vorhaben auch für die Öffentlichkeit zugänglich.338 Die Bewertung der Bundesregierung ist hingegen nicht öffentlich. Der Berichtsbogen und die Umfassende Bewertung (§ 6 Abs. 2 und Abs. 3 EUZBBG) zu einem Dossier sowie die weitere Unterrichtung der Bundesregierung über den Fortgang der Verhandlungen sind nicht öffentlich. Sie unterliegen teilweise sogar der Geheimhaltung, wie z. B. die Nachberichte zu Tagungen des Ra­ tes, der Ratsarbeitsgruppen oder des Ausschusses der Ständigen Vertreter. Von Seiten der deutschen Verfassungsorgane tragen somit nur der Bundestag und der Bundesrat dazu bei, dass die Bewertung von europäischen Vorhaben und die Haltung der deutschen Verfassungsorgane öffentlich nachvollzogen 335  Allerdings sind seit dem Lissabon-Vertrag auch die Sitzungen des Rates öf­ fentlich, soweit er über Entwürfe zu Gesetzgebungsakten berät oder abstimmt (Art. 16 Abs. 8 Satz 1 EUV, Art. 15 Abs. 2 2. Halbsatz AEUV). Vgl. dazu Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S.  72 ff. 336  http://www.bundestag.de / dokumente / drucksachen / index.html. 337  Vgl. dazu als Beispiele die in Kapitel B., Fn. 254 genannten Beschlussemp­ fehlungen und Berichte für Stellungnahmen des Bundestages. 338  Dies gilt auch für Dokumente des Bundesrates über europäische Vorhaben, wie z. B. Stellungnahmen des Bundesrates, die ebenfalls öffentlich zugänglich sind, z. B. über die Suchfunktion auf der Internet-Seite des Bundesrates: http://www.bun desrat.de / cln_350 / nn_8336 / DE / parlamentsmaterial / berat-vorg / suche-beratungsvor gaenge-node.html?__nnn=true.

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A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

werden können. Neben vereinzelten Erläuterungen zur Europapolitik aus den Fachressorts, wird die Europapolitik der Bundesregierung durch ihre Antworten auf parlamentarische Fragen339 und Aussprachen im Bundestag, wie etwa die regelmäßigen Regierungserklärungen zu den Tagungen des Europäischen Rates, öffentlich gemacht. Die Stellungnahmen des Bundestages und des Bundesrates zu europäi­ schen Vorhaben erfüllen daher eine wichtige Funktion für die Öffentlichkeit. Da die Sitzungen der Ausschüsse des Deutschen Bundestages in der Regel nichtöffentlich sind,340 wird die Beratung eines europäischen Vorhabens durch den Bundestag nur dann öffentlich, wenn der federführende Ausschuss die Abgabe einer Stellungnahme empfiehlt oder eine Fraktion dies bean­ tragt.341 Zwar folgt aus dem Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht, dass alle Informationen und politischen Vorhaben, über die das Parlament Kenntnis erlangt, öffentlich gemacht werden müs­ sen, doch „stärkt die öffentliche parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen für die Interessen und Überzeugungen der Bürger“.342 Obwohl die europapolitischen Aktivi­ täten des Bundestages in der Vergangenheit erkennbar zugenommen haben,343 bleibt die Anzahl der Stellungnahmen des Bundestages, gemessen an der Vielzahl der europäischen Vorhaben, gering.344 Würde der Bundestag mehr Stellungnahmen zu europapolitischen Vorhaben abgeben, könnte dies dazu beitragen, das Verständnis der europapolitischen Zusammenhänge und die Akzeptanz der deutschen Europapolitik insgesamt zu stärken. Bei der Entscheidung, ob der Bundestag eine Stellungnahme zu einem Dossier ab­ gibt oder nicht, sollte stets bedacht werden, dass dem Bundestag auch die Aufgabe zukommt, die europapolitischen Informationen an die deutsche Öffentlichkeit weiterzureichen.

339  Vgl.

zu den parlamentarischen Fragerechten oben, Fn. 95. Abs. 1 Satz 1 GO-BT. 341  Hinzu kommen natürlich auch noch europapolitische Debatten des Bundesta­ ges im Anschluss an Regierungserklärungen und in Aktuellen Stunden. 342  BVerfGE 131, 152, 205, AbsNr. 113 – parlamentarische Informationsrechte. 343  Dazu mit ausführlichem Zahlenmaterial: Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, 184 f. 344  Vgl. unten S. 199 f. 340  § 69



VI. Zusammenfassung und Bewertung115

VI. Zusammenfassung und Bewertung Der Bundestag ist im Rahmen des europäischen Mehrebenensystems in keiner einfachen Position. Er hat in der Vergangenheit mit jedem Integra­ tionsschritt Gesetzgebungskompetenzen und damit Entscheidungsrechte an die Union abgegeben. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht der weite­ ren Übertragung von Hoheitsrechen Grenzen gesetzt hat, nach denen dem Bundestag Aufgaben von substantiellem Gewicht erhalten bleiben müssen, hat die bisherige Integration zu einer Machtverschiebung zugunsten der Bundesregierung geführt. Denn bei der Ausübung dieser Kompetenzen bzw. Hoheitsrechte durch die Union ist nicht der Bundestag, sondern nur die Bundesregierung im Rat und im Europäischen Rat direkt beteiligt. Gleich­ zeitig entwickelte sich seit dem Vertrag von Maastricht und später mit dem Vertrag von Lissabon die Tendenz, die demokratische Legitimation der Union auch über eine – wenn auch zurückhaltende – Einbeziehung der nationalen Parlamente herzustellen. Das Grundgesetz sieht die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat an den europäischen Entwicklungen ebenfalls vor, wobei hier zunächst eher der innerstaatliche Kompetenzausgleich im Vordergrund stand. Heute ist jedoch geklärt, dass auch aus der Sicht des nationalen Verfassungsrechts die Mitwirkung und Kontrolle des Bundesta­ ges die Handlungen der Bundesregierung in den europäischen Organen le­ gitimieren muss. Dem Bundestag obliegt somit eine schwierige Aufgabe: Er muss ohne über eigene bindende Entscheidungsrechte zu verfügen, die von anderen auf Unionsebene getroffenen Entscheidungen legitimieren. Um diesen Balanceakt zu erfüllen, sieht das Grundgesetz die europapoliti­ sche Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag vor. Diese besteht in ihrem Kern in der Unterrichtung des Bundestages durch die Bun­ desregierung und dem Recht des Bundestages, Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung zu europäischen Dossiers abzugeben. Dieses Verhältnis wurde durch die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich gesteuert. Mit der Integrationsverantwortung, die der Bundesre­ gierung, dem Bundestag und dem Bundesrat gemeinsam obliegt, fordert das Gericht eine Zusammenarbeit der Verfassungsorgane, die nicht nur für Pri­ märrechtsänderungen, sondern auch für die Weiterentwicklung des Sekundär­ rechts gilt. Die Informationsrechte des Bundestages sind der erste bedeutende Teil dieser Zusammenarbeit. Das Informationsrecht des Grundgesetzes (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) wird sehr weit interpretiert. Auch in diesem Zu­ sammenhang hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 eine richtungs­ weisende Entscheidung getroffen und darin die Informationsrechte auch auf intergouvernementale Sachverhalte mit einem Näheverhältnis zur Union aus­ gedehnt. In der Eilentscheidung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus hat das Gericht nur wenige Monate später die Informationsrechte dem unver­

116

A. Grundlagen der europapolitischen Kommunikation

änderlichen Verfassungskern (Art. 79 Abs. 3 GG) zugeordnet und sie so zu einem verfassungsrechtlichen „Schwergewicht“ gemacht. Die Verankerung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäi­ schen Union im Grundgesetz (Art. 45 GG) hat zwar zu einer stärkeren eu­ ropapolitischen Ausrichtung des Bundestages geführt, allerdings bezieht sich dies im Wesentlichen nur auf integrationspolitische und institutionelle Fragen der Union. Europapolitische Fachfragen werden weiterhin von den Fachausschüssen federführend beraten. Im Rahmen der Finanz- und Staats­ schuldenkrise ist zudem der Haushaltsausschuss ins Zentrum der europapo­ litischen Aufmerksamkeit gerückt. Seine Bedeutung bei der Weiterentwick­ lung des Sekundärrechts kann der Europaausschuss auch nicht dadurch steigern, dass ihm das Recht zusteht, plenarersetzende Stellungnahmen dazu abzugeben. Die Verfahren, die die Geschäftsordnung für diese plenarerset­ zenden Entscheidungen vorsieht, sind zu schwerfällig, um die damit beab­ sichtigte Beschleunigung herbeizuführen. Der Bundestag nutzt damit die vom Grundgesetz vorgesehene Schlagkraft des Europaausschusses nicht. An der Ausgestaltung der Informationsrechte im EUZBBG, im Integra­ tionsverantwortungsgesetz und im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus zeigt sich die weite Interpretation dieser Rechte. Gerade die – teilweise schwer verständlichen – einfachgesetzlichen Rege­ lungen führen dazu, dass der Bundestag zunächst einmal nahezu alle Infor­ mationen erhält, über die die Bundesregierung verfügt. Bis auf wenige er­ läuternde Informationen (Berichtsbogen, Umfassende Bewertung) sieht das Gesetz jedoch keine weitere Strukturierung dieser Informationen vor. Die durch den umfassenden Unterrichtungsanspruch entstehende Gefahr einer Überforderung des Bundestages (Informationsflut) muss der Bundestag im Rahmen seiner Selbstorganisation abwenden. Dieses Konzept beruht auf der Logik, dass eine umfassende Unterrichtung des Bundestages zwangsläufig zu einer effektiven Mitwirkung des Bundestages führt. Die zwingend vorab zu klärende Frage, wann eine effektive Mitwirkung erreicht ist, beantwortet das Gesetz nicht.345 Die große verfassungsrechtliche Bedeutung der Informationsrechte spie­ gelt sich in dem Recht des Bundestages, gegenüber der Bundesregierung Stellungnahmen zu europäischen Dossiers abzugeben, nicht wider. Bisher haben sich die normative Gestaltung und die Rechtsprechung sehr auf die Informations- und die Zustimmungsrechte (Integrationsverantwortungsge­ setz) des Bundestages konzentriert. Die Stellungnahme ist im Grundgesetz und im EUZBBG als Recht, nicht als Pflicht des Bundestages ausgestaltet. Sie vermag die Bundesregierung im Ergebnis nicht zu binden. Allenfalls der 345  So auch: Nettesheim, Die Integrationsverantwortung – Vorgaben des BVerfG und gesetzgeberische Umsetzung, NJW 2010, 177, 182.



VI. Zusammenfassung und Bewertung117

politische Druck kann durch eine entsprechende Formulierung der Stellung­ nahme zu einer stärkeren Beachtung der Position des Bundestages führen. Allerdings sieht das EUZBBG vor den wichtigen Entscheidungen über Vertragsänderungen und der Erweiterung des Euro-Währungsgebietes vor, dass die Bundesregierung darüber Einvernehmen mit dem Bundestag herzu­ stellen hat. In diesem Falle ist der Bundestag somit verpflichtet, die anste­ hende Frage zu beraten und seine Position der Bundesregierung mitzuteilen. Von den Stellungnahmen des Bundestages im Rahmen dieses Einverneh­ mens geht ein erhöhter politischer Druck aus. In der Pflicht, das Einverneh­ men über ein wichtiges europäisches Thema herzustellen, liegt ein bedeu­ tender Schritt auf dem Weg zu einer effektiven Zusammenarbeit und Kommunikation der Verfassungsorgane. In diesem Rahmen ordnet das Ge­ setz das einzige Mal eine Kooperation von Bundesregierung und Bundestag „auf Augenhöhe“ an. Gibt der Bundestag eine Stellungnahme ab, knüpfen sich daran verschie­ dene Berichtspflichten der Bundesregierung, insbesondere dazu, ob und in­ wieweit die Position des Bundestages in den europäischen Verhandlungen durchgesetzt werden konnte. Diese Berichtspflichten machen einen wichti­ gen Teil der europapolitischen Kommunikation aus. Auf ihrer Basis kann der Bundestag die Bundesregierung nicht nur kontrollieren, sondern auch den Erfolg seiner Mitwirkung messen und aus dem Ergebnis eventuell Kon­ sequenzen für zukünftige Stellungnahmen ziehen. Die Erfüllung dieser Pflicht durch die Bundesregierung ist somit von großer Bedeutung. Mit der Abgabe der Stellungnahme ist die europapolitische Kommunikation nicht beendet. Sie endet erst dann, wenn auf Unionsebene eine endgültige Ent­ scheidung getroffen wurde.

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis Die Untersuchung der europapolitischen Kommunikation in der Praxis bezieht sich im Schwerpunkt auf die 17. Wahlperiode des Deutschen Bun­ destages (Herbst 2009 bis Herbst 2013). Dieser Zeitraum bietet dafür eine fruchtbare Grundlage, weil zu seinem Beginn nicht nur der Lissabon-Vertrag, sondern auch die Begleitgesetzgebung (IntVG und die Neufassung des EU­ ZBBG) in Kraft getreten ist. In dieser Wahlperiode musste sich somit eine erweiterte europapolitische Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag etablieren und auf die parlamentarischen Abläufe des Bundes­ tages abgestimmt werden. Hinzu kamen die im Zusammenhang mit der Abwendung der Staatsschul­ den- und Finanzkrise geschaffenen Mitwirkungs- und Informationsrechte, insbesondere in Bezug auf die Maßnahmen der Europäischen Stabilisie­ rungsfazilität und des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Auch diese brachten neue Aspekte in die Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung, z. B. in Bezug auf die finanziellen Hilfsmaßnahmen für Griechenland oder auf die geheimhaltungsbedürftigen Maßnahmen zur Sta­ bilisierung des Euro, die im Bundestag nur von einem neunköpfigen Son­ dergremium begleitet werden. Diese und andere Fragen beschäftigten nicht nur Bundesregierung und Bundestag, sondern auch das Bundesverfassungs­ gericht, das dazu eine Reihe von Entscheidungen treffen musste. Diese Entwicklungen prägten nicht nur die normativen Grundlagen, sondern auch die Praxis der europapolitischen Kommunikation erheblich. In der Praxis hat sich das Unterrichtungsverfahren zwischen Bundesregie­ rung und Bundestag zwar recht gut eingespielt, es kommt jedoch gerade bei erläuternden Informationen der Bundesregierung weiterhin zu Schwierigkei­ ten (dazu unten I.). Der Bundestag hat sich in der 17. Wahlperiode stark darauf konzentriert, die parlamentsinterne Verarbeitung der europapoliti­ schen Informationen zu verbessern und sonstige Informationsquellen zu erschließen (dazu unten II.). Die Prüfung und Analyse der europapolitischen Informationen fällt vor allem den Fraktionen zu (dazu unten III.), bevor sie in den Ausschüssen beraten werden (dazu unten IV.). Die Mitwirkungshand­ lungen des Bundestages, insbesondere die Abgabe von Stellungnahmen, bleiben weiterhin zurückhaltend (dazu unten V.).



I. Die Unterrichtung des Bundestages119

I. Die Unterrichtung des Bundestages Da die Unterrichtungsrechte im Zusammenhang mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus noch recht jung sind und teilweise der Geheimhal­ tung unterliegen, sind bisher noch keine Erkenntnisse über die Informati­ onspraxis in diesem Bereich veröffentlicht worden. Allerdings wurde auch noch nicht berichtet, dass sich hier erhebliche Probleme ergeben hätten. Erkenntnisse gibt es jedoch über die Unterrichtungspraxis auf der Basis des EUZBBG (dazu unten 1.) und des Integrationsverantwortungsgesetzes (dazu unten 2.). 1. Die Unterrichtung auf der Basis des EUZBBG Die Bundestagsverwaltung hat für den Bundestag einen Evaluierungsbe­ richt erstellt, in dem die Anwendung der Begleitgesetzgebung zum Vertrag von Lissabon in den ersten 15 Monaten der 17. Wahlperiode betrachtet wurde. Dieser Bericht wurde als Unterrichtung durch den Bundestagspräsi­ denten veröffentlicht.1 Die nachfolgende Darstellung und Bewertung der Unterrichtungspraxis stützt sich in größeren Teilen auf diesen Bericht. Die Praxis wird von vier wichtigen Themen bestimmt. Als Erstes und grundlegend geht es immer darum, dass die gesetzlichen und verfassungs­ rechtlichen Vorgaben eingehalten, d. h. die Informationen und Dokumente überhaupt (rechtzeitig) zugeleitet werden. Als Zweites stellt sich die Aufga­ be, die Vorschriften des EUZBBG so auszulegen und umzusetzen, dass sinnvolle Abläufe und Verfahren entstehen können. Bei den eingehenden Dokumenten muss drittens sichergestellt sein, dass diese eine effektive Un­ terrichtung des Bundestages herbeiführen können. Das bedeutet, dass sie aussagekräftig und leicht verständlich sein müssen. Viertens darf es nicht zu einer Überflutung des Bundestages mit Dokumenten und Informationen kommen, die die vorgesehene parlamentarische Mitwirkung verhindert. Die Unterrichtung im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheits­ politik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik unter­ liegt in der Praxis ihren eigenen Abläufen. a) Unterbliebene oder verspätete Unterrichtung des Bundestages Die unterbliebene Zuleitung der Dokumente über den Entwurf des euro­ päischen Stabilitätsmechanismus und den Euro-Plus-Pakt im Frühjahr 2011 1  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601. Vgl. auch Schröder, Die Mitwirkung des Bundestages in EU-Angelegen­ heiten nach dem EUZBBG in der Praxis – ein Kurzkommentar, ZParl 2012, 250.

120

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

hat aufgrund der dazu ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsge­ richts2 wohl die größte Aufmerksamkeit erhalten. Die Weigerung der Bun­ desregierung, die Vertragsentwürfe dem Bundestag zur Verfügung zu stellen, gründete sich allerdings auf die bis dahin noch offene verfassungsrechtliche Frage, ob völkerrechtliche Verträge der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch „Angelegenheiten der Europäischen Union“ (Art. 23 Abs. 2 GG) sein können. Das Bundesverfassungsgericht bejahte dies, soweit die Verträge ein Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union aufweisen.3 Mit dieser Entscheidung ist einer der größten Streitpunkte zwischen Bun­ destag und Bundesregierung in diesem Politikbereich weggefallen. Die Bundesregierung kam in der Vergangenheit in verschiedenen Zusam­ menhängen ihrer Unterrichtungspflicht nicht rechtzeitig nach. In vielen Fällen konnte die Unterrichtung nachgeholt werden oder die damit zusam­ menhängende Frage wurde durch eine Klarstellung im EUZBBG inzwischen gelöst.4 Ein in der Praxis prominenter Fall der unterbliebenen (rechtzeitigen) Unterrichtung des Bundestages war der Erlass der Finanzstabilisierungsver­ ordnung5, über den der Bundestag zu spät informiert wurde. Ungelöst bleibt das Problem, dass der Bundestag seinen schriftlichen Berichtspflichten nach der Abgabe von Stellungnahmen des Bundestages in der Regel nicht nach­ kommt. Gleiches gilt auch für die Unterrichtung über den Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens auf Unionsebene. aa) Finanzstabilisierungsverordnung Zur Stabilisierung des Euro und zur Unterstützung einzelner Mitgliedstaa­ ten der Euro-Gruppe sollte im Mai 2010 ein Rettungspaket beschlossen werden, das als erste Säule die Einrichtung eines Finanzstabilisierungsme­ chanismus vorsah, über den aus dem Haushalt der Union Kredite in einer Höhe bis zu 60 Milliarden Euro an notleidende Mitgliedstaaten gewährt werden sollten. Der Europäische Rat bat den Rat Wirtschaft und Finanzen 2  BVerfGE

131, 152 – parlamentarische Informationsrechte. zu der Begründung des Gerichtes oben S. 56 ff. 4  Letzteres betrifft z. B. die Initiativen der Bundesregierung, die die Bundesre­ gierung vor ihrer Vorstellung auf Unionsebene teilweise nicht dem Bundestag vorab vorgelegt hatte (vgl. dazu die Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 22). Im Zuge der Novelle des EUZBBG im Juli 2013 wurde daher in § 4 Abs. 4 Satz 2 EUZBBG n. F. ausdrücklich aufgenommen, dass die Bundesregierung über Initiativen zu unterrichten hat, bevor sie diese auf europäischer Ebene vorstellt. 5  Verordnung (EU) des Rates zur Einführung eines europäischen Finanzstabili­ sierungsmechanismus vom 11. Mai 2010 (407 / 2010), ABl. L 118 / 1. 3  Vgl.



I. Die Unterrichtung des Bundestages121

daher, über einen Entwurf der Kommission für eine Finanzstabilisierungs­ verordnung kurzfristig zu entscheiden. Dieser Entwurf wurde dem Rat Wirtschaft und Finanzen am Sonntag, 9. Mai 2010, gegen 15 Uhr als Tisch­ vorlage übersandt. Die Verhandlungen dauerten bis in den frühen Montag­ morgen (10. Mai 2010). Der Rat sollte am folgenden Tag (Dienstag, 11. Mai 2010) über die Verordnung endgültig beschließen. Statt dem Bundestag den Verordnungsentwurf und die in den Verhandlungen erzielten Ergebnisse zuzuleiten, unterrichtete die Bundeskanzlerin am 10. Mai 2010 die Frak­ tionsvorsitzenden des Bundestages mündlich. Dies geschah somit zwar vor der endgültigen Beschlussfassung, jedoch ohne die Vorlage der Dokumente und nur gegenüber einzelnen Abgeordneten. Der Haushaltsausschuss wurde erst am Tag der Beschlussfassung über die Verordnung und das geplante Rettungspaket in Kenntnis gesetzt. Die Dokumente wurden ebenfalls erst an diesem Tag zugeleitet (11. Mai 2010).6 Dem Vertreter der Bundesregierung im Rat Wirtschaft und Finanzen lag der Verordnungsentwurf damit bereits am 9. Mai 2010 vor. Somit wäre die Bundesregierung verpflichtet gewesen, die Dokumente an diesem Tag, spä­ testens aber am Montag, 10. Mai 2010, gegebenenfalls im Rahmen der mündlichen Unterrichtung durch die Bundeskanzlerin dem Bundestag zu übergeben. Dann wäre es dem Bundestag möglich gewesen, auf dieser Basis eine Stellungnahme abzugeben. Als der Bundestag die Dokumente erhielt (11. Mai 2010), war eine Einflussnahme nicht mehr möglich. bb) Berichtspflichten im Zusammenhang mit Stellungnahmen des Bundestages Wenn der Bundestag zu einem europäischen Dossier eine Stellungnahme abgibt, hat der Vertreter der Bundesregierung in den Verhandlungen einen Parlamentsvorbehalt einzulegen, wenn wesentliche Belange des Bundesta­ ges nicht durchgesetzt werden können (§ 8 Abs. 4 Satz 1 EUZBBG). An diesen Sachverhalt knüpfen sich verschiedene Berichtspflichten, denen die Bundesregierung in der Regel nicht nachkommt und damit eine effektive Mitwirkung des Bundestages erheblich erschwert. Nachdem die Bundesregierung einen Parlamentsvorbehalt eingelegt hat, hat sie den Bundestag darüber unverzüglich in einem gesonderten Bericht zu informieren (§ 8 Abs. 4 Satz 2 EUZBBG). In der 17. Wahlperiode hat die Bundesregierung nur in zwei Fällen einen Parlamentsvorbehalt aufgrund 6  Vgl. zum Sachverhalt: Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Steffen Kampeter vom 7. Juni 2010 auf die Frage des Abgeordneten Ulrich (Die Linke), BT-Drs. 17 / 2060, S. 29; Rohleder, Die Beteiligung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung in Theorie und Praxis, ZG 2011, 105, 120 ff.

122

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

einer Stellungnahme des Bundestages eingelegt.7 In beiden Fällen unterrich­ tete sie den Bundestag nicht unverzüglich in einem gesonderten Bericht.8 Dass ein Parlamentsvorbehalt eingelegt wurde, ergibt sich nur aus den Be­ richten des Vertreters der Bundesregierung im Rat für das jeweilige Fach­ ministerium. Dies sind jedoch interne Dokumente, die der Bundestag zwar erhält, die jedoch keine auf den Bundestag zugeschnittenen gesonderten Erläuterungen enthalten. Erst über den Parlamentsvorbehalt, den die Bun­ desregierung im November 2014 (18. Wahlperiode) einlegte,9 unterrichtete sie den Bundestag unverzüglich.10 Auch wenn die Bundesregierung in den Verhandlungen keinen Parla­ mentsvorbehalt eingelegt hat, ist sie verpflichtet, nach der abschließenden Entscheidung auf Unionsebene den Bundestag unverzüglich schriftlich über die Durchsetzung seiner Stellungnahme zu informieren und dabei gegebe­ nenfalls auch zu begründen, warum nicht alle Belange der Stellungnahme berücksichtigt worden sind (§ 8 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 EUZBBG). Solche Berichte erstellt die Bundesregierung bisher ebenfalls nicht. Der Bundestag kann sich den Inhalt der Verhandlungen und die Berücksichtigung seiner Belange auch hier nur aus den Tagungsberichten der deutschen Vertreter im Rat für die Fachministerien erschließen. Ohne diese Berichte muss die Abgabe von Stellungnahmen durch den Bundestag zwingend hinter dem Ziel einer effektiven Einflussnahme des Bundestages auf die europäische Willensbildung zurückbleiben. Gibt der Bundestag Stellungnahmen zu einem europäischen Dossier ab und macht damit von seinem wichtigsten verfassungsrechtlichen Kommunikationsmit­ tel gegenüber der Bundesregierung Gebrauch, muss diese selbstverständlich den Bundestag über das Schicksal seiner Anliegen in eigens für den Bun­ destag erstellten Berichten informieren. Die Tagungsberichte der deutschen Vertreter in den Ratsgremien, die diese für die zuständigen Bundesministe­ rien anfertigen und die dem Bundestag weitergeleitet werden, ersetzen diese Pflichten nicht. Denn die Tagungsberichte beziehen sich nicht gesondert auf die inhaltlichen Forderungen des Bundestages in seiner Stellungnahme und 7  Vgl.

dazu ausführlich unten S. 194 ff. enthalten die öffentlichen (DIP – http://dipbt.bundestag.de / dip21. web / bt) und internen Datenbanken (EuDoX) solche Berichte nicht (auf solche Be­ richte in Bezug auf die 17. WP zuletzt geprüft am: 05.12.2013). 9  Den Parlamentsvorbehalt legte der Vertreter der Bundesregierung im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten am 20.11.2014 ein. Es ging dabei um den Vorschlag, den Anwendungsbereich des Verfahrens für geringfügige Forderun­ gen von bisher 2.000 Euro auf 10.000 Euro anzuheben (KOM(2013) 794 endg.). Der Bundestag hatte sich gegen diese Erhöhung in einer Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung ausgesprochen (BT-Drs. 18 / 2647). 10  Siehe BT-Drs. 18 / 3385. 8  Jedenfalls



I. Die Unterrichtung des Bundestages123

geben häufig nur die Verhandlungen zu bestimmen Artikeln des Rechtset­ zungsvorhabens wieder. Zudem finden sich in der Datenbank EuDoX zu einem Vorhaben oft mehr als 40 solcher Tagungsberichte zu einem Dossier, die von den Abgeordneten oder ihren Mitarbeitern durchgesehen werden müssten, um sich ein Bild von den Verhandlungen auf Unionsebene ver­ schaffen zu können. Daher ist es auf dieser Basis – wenn überhaupt – nur mit erheblichem Aufwand möglich, den Einfluss der Stellungnahmen auf die europäischen Entscheidungen zu bewerten. In der Praxis werden der Bundestag bzw. einzelne Abgeordnete oder Fraktionsarbeitsgruppen oft mündlich über das Schicksal der Stellungnahme von Vertretern der Fachmi­ nisterien informiert. Eine solche mündliche Unterrichtung, noch dazu ge­ genüber nur einzelnen oder Gruppen von Abgeordneten ist jedoch verfas­ sungsrechtlich nicht ausreichend.11 Die Kommunikation der Bundesregierung bleibt in diesem Punkt daher unvollständig. Den Abgeordneten stellt sich die eigene Einflussnahme auf die Regierung durch Stellungnahmen nicht als Gesamtbild dar. Nur auf der Basis eines solchen vollständigen Bildes kann jedoch der Bundestag beurteilen, ob seine Anliegen durchgesetzt wurden, und so die Verhandlungen der Regierung im Nachhinein kontrollieren. In diesem Bereich muss es zu einer deutlichen Verbesserung kommen. cc) Unterrichtung über den Abschluss eines Gesetzgebungsverfahrens Die Bundesregierung hat den Bundestag über den Abschluss eines Ge­ setzgebungsverfahrens zu unterrichten und dieser Unterrichtung auch eine Bewertung, ob sie den Gesetzgebungsakt mit den Grundsätzen der Subsi­ diarität und Verhältnismäßigkeit für vereinbar hält, beizufügen (§ 6 Abs. 6 EUZBBG). Dies ist für den Bundestag von nicht unerheblicher Bedeutung, da für ihn mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens die Frist für die Erhebung einer Subsidiaritätsklage12 beginnt. In der Vergangenheit kam die Bundesregierung dieser Unterrichtungspflicht in etwa 40 % der Fälle jedoch nicht nach.13 Zwar werden die Gesetzgebungs­ akte im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, so dass der Bundes­ tag – unterstützt durch die Bundestagsverwaltung – den Abschluss des Ge­ setzgebungsverfahrens auch eigenständig verfolgen könnte. Da dabei jedoch immer die Gefahr besteht, dass Gesetzgebungsakte vom Bundestag, der im 11  So ausdrücklich: BVerfGE 131, 152, 213 f., AbsNr. 130 f. – parlamentarische Informationsrechte. 12  Die Frist beträgt zwei Monate und beginnt mit der Bekanntgabe des Gesetz­ gebungsaktes: Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls i. V. m. Art. 263 Abs. 6 AEUV. 13  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 14.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Unterschied zur Bundesregierung daran nicht unmittelbar mitwirkt, auch übersehen werden können, ist die Unterrichtung durch die Bundesregierung sehr wichtig. Auch die Einschätzung der Bundesregierung zur Vereinbarkeit des Gesetzgebungsaktes mit den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhält­ nismäßigkeit ist für die eigene Prüfung des Bundestages eine wichtige Hilfe. b) Probleme im Ablauf des Unterrichtungsverfahrens Auch wenn sich die Zusammenarbeit zwischen dem Bundestag und den Fachministerien im Hinblick auf das Unterrichtungsverfahren auf der „Ar­ beitsebene“ recht gut eingespielt hat, fehlt es auf Seiten der Bundesregie­ rung an einer zentralen, umfassend verantwortlichen Koordinierungsstelle für die Unterrichtung des Bundestages.14 Darüber hinaus bleiben die erläu­ ternden Berichte bei neuen Dossiers (Berichtsbogen und Umfassende Bewer­ tung) teilweise hinter den Anforderungen an eine umfassende und effektive Unterrichtung des Bundestages zurück. aa) Koordination der Unterrichtung auf Seiten der Bundesregierung Zwar hat sich das Bundeswirtschaftsministerium in der Praxis als Hauptan­ sprechpartner der Bundestagsverwaltung entwickelt, jedoch fallen einzelne Bereiche weiterhin in die Verantwortung verschiedener Fachressorts, deren einheitliche, lückenlose Arbeit nicht zentral geprüft wird. So kommt es z. B. bei der Weiterleitung nicht deutschsprachiger Dokumente teilweise zu Schwierigkeiten. Die Unterrichtung über ein Vorhaben beginnt mit der förm­ lichen Zuleitung der Ausgangsdokumente eines neuen europäischen Dossi­ ers.15 In der Praxis werden die Dokumente fast ausschließlich in ihrer Ausfer­ tigung als Ratsdokumente übersandt. Das für den großen Teil der Zuleitungen zuständige Bundeswirtschaftsministerium prüft anhand der Dokumentenda­ tenbank ZEUS des Rates, ob neue Dokumente eingegangen sind, die unter den Vorhaben-Katalog (§ 5 Abs. 1 EUZBBG) fallen, und leitet diese dem Bundestag zu. Das Ministerium beschränkt seine Prüfung allerdings auf deutschsprachige Ratsdokumente. Die Pflicht, nicht deutschsprachige Doku­ 14  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 12. 15  Vgl. § 6 Abs. 1 EUZBBG. Für den Fall, dass mehrere Dokumente zu einem Vorhaben der Bundesregierung vorliegen, ist – soweit nicht alle Dokumente zugeleitet werden sollen – für die förmliche Zuleitung das Dokument auszuwählen, das den Anforderungen an eine frühestmögliche, aber vor allem an eine aussagekräftige und umfassende Information am besten gerecht wird. Vgl. zu diesen Überlegungen: Un­ terrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 10 ff.



I. Die Unterrichtung des Bundestages125

mente16 darauf zu überprüfen, ob sie dem Bundestag zugeleitet werden müs­ sen, obliegt den jeweils zuständigen Fachministerien. Diese zeigen die Not­ wendigkeit einer förmlichen Zuleitung eigeninitiativ gegenüber dem Bundes­ wirtschaftsministerium an. Das Bundeswirtschaftsministerium leitet die ent­ sprechenden Dokumente an den Bundestag weiter, prüft jedoch nicht, ob tatsächlich alle Vorhaben identifiziert wurden.17 In der Vergangenheit führte dies dazu, dass dem Bundestag wichtige Vorhaben, deren Ausgangsdokumen­ te nur auf Englisch vorlagen, nicht zugeleitet wurden. Dies betraf unter ande­ rem das Mandat für die Kommission, das sogenannte SWIFT-Abkommen mit den USA18 zu verhandeln. Der Bundestag erhielt das englischsprachige Do­ kument vom 23. Juli 2009 erst mehr als drei Wochen später am 14. August 2009. Da das Abkommen noch im November 2009 abschließend verhandelt und durch den Rat genehmigt werden sollte, wurde durch die dreiwöchige Verzögerung die Bearbeitungszeit für den Bundestag erheblich verkürzt. Die­ ses Abkommen erlaubt den USA, auf Überweisungen und andere private Bankverbindungsdaten von Bürgern der Union über das SWIFT-Rechenzent­ rum zuzugreifen und hat damit erhebliche Auswirkungen auf den Schutz per­ sönlicher Daten auch deutscher Bürger.19 Die inhaltliche Brisanz des Abkom­ mens zeigt sich auch daran, dass seine erste Fassung vom Europäischen Par­ lament abgelehnt wurde und es umfassend nachverhandelt werden musste. Die Abläufe innerhalb der deutschen Fachministerien müssen daher so koor­ diniert werden, dass auch fremdsprachige Dokumente lückenlos und recht­ zeitig übermittelt werden. Die Einrichtung einer zentralen Koordinierungs­ stelle bei der Bundesregierung wäre daher die beste Möglichkeit, um zu ver­ meiden, dass sich Schwierigkeiten in den Abläufen der Fachministerien auf die Unterrichtung des Bundestages auswirken. bb) Erläuternde Berichte zu neuen Dossiers Probleme ergeben sich auch immer wieder im Zusammenhang mit den erläuternden Berichten zu neuen europäischen Dossiers. Während die Qua­ lität der Zuleitungsschreiben (§ 6 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG) als zufriedenstel­ 16  Siehe zu dem Problem mit nicht deutschsprachigen Dokumenten auch unten S.  131 ff. 17  Die Darstellung des Ablaufs beruht auf den Erläuterungen in: Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwen­ dung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 12. 18  Ratsdok. 11715 / 3 / 09 REV 3: Negotiating directives for negotiations between the European Union and the United States of America for an international agreement to make available to the United States Treasury Department financial payment mes­ saging data to prevent and combat terrorism and terrorist financing. 19  Vgl. zu den Bedenken die Nachricht der Redaktion der Zeitschrift EuZW „SWIFT-Abkommen: Datenschützer warnen vor Ratifizierung“, EuZW 2010, 86.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

lend bewertet wird, bleiben die Berichtsbögen, die die Bundesregierung spätestens zwei Wochen nach der förmlichen Zuleitung übersenden muss (§ 6 Abs. 2 EUZBBG) dahinter zurück. Der Schwerpunkt des Berichtsbo­ gens soll in der Bewertung des Vorhabens hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit liegen. Die Berichtsbögen bilden die entscheidende Basis für die Beratung des Vorhabens in den Ausschüssen des Bundestages. Dennoch musste der Bun­ destag in den ersten 15 Monaten der 17. Wahlperiode immer noch die Übermittlung von rund 10 % der Berichtsbögen beim Bundeswirtschaftsmi­ nisterium anmahnen. Auch die darin teilweise zu häufig und oberflächlich verwendeten Textbausteine führen nicht zu einer effektiven inhaltlichen Unterrichtung des Bundestages.20 Bei Vorschlägen für Gesetzgebungsakte hat die Bundesregierung außer­ dem eine Umfassende Bewertung (§ 6 Abs. 3 EUZBBG) vorzulegen. Auch hier muss die Bundestagsverwaltung noch etwa 40 % dieser Bewertungen gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium anmahnen. Im Unterschied zu den Berichtsbögen ist der Inhalt der Umfassenden Bewertungen in der Regel zufriedenstellend. Die Aussagen zur Subsidiaritäts- und Verhältnismä­ ßigkeitsprüfung sind überwiegend ausreichend begründet und die Folgenab­ schätzung nachvollziehbar. Allerdings werden häufig keine zuverlässigen Aussagen zum Verhandlungsstand und der Verhandlungsplanung – insbeson­ dere im Rat – getroffen.21 Dass dies vor allem die Verhandlungen im Rat betrifft, ist umso weniger verständlich, da die Bundesregierung in diesem Gremium direkt mitarbeitet und für die Weisungen an ihren jeweiligen Ver­ treter in den Ratsarbeitsgruppen sowohl den Verhandlungsstand als auch die Verhandlungsplanung kennen muss. Der Bundestag benötigt für ihn erstellte, auf ihn zugeschnittene zusam­ menfassende und erläuternde Berichte von der Bundesregierung. Dies ist im EUZBBG so vorgesehen, die Praxis muss diesem Anspruch jedoch noch lückenlos gerecht werden. c) Keine Überforderung des Bundestages Nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages (1. Dezember 2009) hat sich die Zahl der Ausgangsdokumente zu europäischen Dossiers (Vorhaben), 20  Vgl. zu diesen Ergebnissen: Unterrichtung durch den Präsidenten des Deut­ schen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 13. 21  Siehe dazu die Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundesta­ ges, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissa­ bon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 14.



I. Die Unterrichtung des Bundestages127

die dem Bundestag zugeleitet werden, um etwa 20 % erhöht. Daraus ergibt auch eine erhebliche Zunahme der Zahl der zu diesen Dossiers gehörenden Folgedokumente, die ebenfalls den Bundestag erreichen. In der 17. Wahlpe­ riode erhielt der Bundestag daher pro Jahr rund 1.000 Ausgangsdokumente zu europäischen Dossiers. Hinzu kommen etwa 1.000 erläuternde Berichte (Berichtsbogen und Umfassende Bewertung) sowie weitere 21.000 Doku­ mente (Folgedokumente und sonstige Unterrichtungen).22 Vor diesem Hin­ tergrund muss in der Praxis trotz des erheblichen Informationsbedarfs des Bundestages immer darauf geachtet werden, dass die Masse der Dokumen­ te die politische Arbeit des Bundestages nicht erschwert oder gar „lahm­ legt“. Eine zu große Masse unbedeutender Informationen kann dazu führen, dass die entscheidungsrelevanten Informationen nicht oder nicht rechtzeitig identifiziert werden und so eine effektive parlamentarische Mitarbeit un­ möglich wird.23 Der Bundestag hat vor allem organisatorische Maßnahmen getroffen, um dies zu verhindern. Dazu gehört die strukturierte Aufarbeitung und Bereit­ stellung der Dokumente in der Datenbank EuDoX24 sowie die Priorisierung der Dossiers in beratungsrelevant und nicht beratungsrelevant25. Daneben muss aber schon bei der Unterrichtung darauf geachtet werden, dass dem Bundestag ausreichend Zeit bleibt, vor einer endgültigen Entscheidung auf Unionsebene das Vorhaben beraten zu können. Außerdem erschweren fremdsprachige Dokumente die Einarbeitung der Abgeordneten in das Vor­ haben und die nachfolgende Beratung. aa) Eindämmung der Dokumentenflut in besonderen Fällen Die Unterrichtung über die Beratungen zur Handelspolitik war eines der Themen, die zwischen dem Bundestag und den Ressorts abgestimmt werden mussten, um eine Informationsflut zu vermeiden. Nach dem Vorhaben-Ka­ talog hat die Bundesregierung über „Beratungsgegenstände, Initiativen sowie Verhandlungsmandate und Verhandlungsrichtlinien für die Europäische 22  Vgl. die Dokumentenzahlen bei Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehr­ ebenenparlamentarismus, 2011, S. 177. 23  So schon eingehend: Lutterbeck, Entscheidungstheoretische Bemerkungen zum Gewaltenteilungsprinzip. Zur Problematik parlamentarischer Informationsreche im Datenschutzrecht, in: Kilian / Lenk / Steinmüller (Hrsg.), Datenschutz, 1973, S. 187, 196 f. 24  Vgl. dazu unten S. 144 ff. 25  Vgl. dazu unten S. 145 ff.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Kommission im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik und der Welthandelsrunden“ zu unterrichten (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 EUZBBG).26 Dazu gehören auch Dokumente zu Verhandlungen der Kommission mit Drittländern oder internationalen Organisationen.27 Innerhalb von einem Jahr hätten dem Bun­ destag allein auf dieser Grundlage rund 1.200 Dokumente zugeleitet werden müssen. Dies erwies sich nicht nur wegen der Menge der Dokumente, sondern auch aufgrund ihrer geringen Aussagekraft als ungeeignet. Es wur­ de daher zunächst vereinbart, dass das Bundesministerium der Wirtschaft und Technologie wichtige Beratungsdokumente des Handelspolitikausschus­ ses heraussucht und dem Bundestag zusammen mit näheren Erläuterungen in Form eines Berichtsbogens zuleitet. Diese Unterrichtung erwies sich je­ doch als ungeeignet, da sie sich zum einen nicht in die Beratungsabläufe des Bundestages einfügte und zum anderen die nur punktuelle Unterrichtung das Verständnis der Zusammenhänge und Hintergrunde erheblich erschwer­ te. Zur Lösung dieses Problems wird vorschlagen, dass die Ressorts nicht mehr ein Dokument zur Unterrichtung des Bundestages heraussuchen, son­ dern regelmäßig einen umfassenden Bericht der Bundesregierung zur ge­ meinsamen Handelspolitik und den Welthandelsrunden erstellen, der laufen­ de und zu erwartende Entwicklungen dieses Politikbereichs darstellt.28 Bisher wurde dieser Vorschlag jedoch noch nicht umgesetzt. Koordinierungsbedarf gab es auch in Bezug auf die im Vorhaben-Katalog genannten „Organe der Europäischen Union“29, um eine mehrfache Zulei­ tung von Dokumenten zu verhindern. Das Europäische Parlament ist eben­ falls ein Organ der Europäischen Union (Art. 13 EUV). Es übersendet je­ doch seine Berichte, Programme und sonstigen Beschlüsse im Rahmen der interparlamentarischen Zusammenarbeit dem Bundestag direkt. Es wurde daher zwischen Bundestag und Bundesregierung vereinbart, dass diese Do­ 26  Dies überschneidet sich mit den „Vorhaben“-Definitionen in anderen Ziffern des § 5 Abs. 1 EUZBBG. Die Verordnungen nach Art. 207 Abs. 2 AEUV, die die Maßnahmen festlegen, mit denen der Rahmen für die Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik bestimmt wird, werden als Gesetzgebungsakte bereits von § 5 Abs. 1 Ziff. 4 EUZBBG erfasst. Werden im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik bila­ terale, multinationale oder internationale Abkommen ausgehandelt, fällt dies unter die „Vorhaben“-Begriffe der Ziffern 5 und 7. Alle übrigen Beratungsgegenstände und Initiativen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik, für die die Europäische Union die ausschließliche Zuständigkeit besitzt (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b EUV), fallen allein unter Ziff. 6. 27  Art. 207 Abs. 3 UAbs. 3 Satz  1 AEUV. 28  Zum ganzen Absatz: Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 9. 29  „Organe der Europäischen Union“ sind in § 5 Abs. 1 Ziff. 7, 8 und 9 EU­ ZBBG genannt.



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kumente dem Bundestag nicht auch noch einmal durch die Bundesregierung auf der Basis des EUZBBG zugeleitet werden müssen.30 Dokumente der den Organen der Europäischen Union nachgeordneten Be­ hörden werden von dem Vorhaben-Katalog nicht erfasst. Daher bestand zu­ nächst Unsicherheit, ob Dokumente dieser Einrichtungen dennoch übersandt werden sollten. So wurde dem Bundestag z. B. der Jahresbericht der Europäi­ schen Polizeiakademie zugeleitet. Dieser erschien dem Bundestag jedoch für die parlamentarische Begleitung der Europäischen Union nicht erheblich. Auch wegen der Menge der entsprechenden Dokumente wurde daher in die­ sem Zusammenhang mit der Bundesregierung vereinbart, dass die Unterla­ gen und Informationen der nachgeordneten Behörden nicht zugeleitet werden müssen, es sei denn der Bundestag bittet ausdrücklich darum.31 bb) Sehr kurzfristige Entscheidungen Der Bundestag wird vor erhebliche Herausforderungen gestellt, wenn zwischen seiner Unterrichtung und der Entscheidung, die auf Unionsebene getroffen werden soll, nur sehr wenig Zeit bleibt. Dies war vor allem bei Entscheidungen im Rahmen der Finanz- und Staatsschuldenkrise immer wieder der Fall. Die Entscheidung über das so genannte zweite Anpassungs­ programm für Griechenland im November 2012 ist ein anschauliches Bei­ spiel dafür, dass sich die Abgeordneten innerhalb einer sehr kurzen Frist in hochkomplexe Themen einarbeiten müssen.32 Der Antrag des Bundesfinanz­ ministeriums an den Bundestag, den Änderungen im bestehenden Anpas­ sungsprogramm und der nächsten Auszahlungstranche in Höhe von 43,7 Milliarden Euro für Griechenland zuzustimmen,33 ging am Dienstag, 30  Zum ganzen Absatz: Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 8. 31  So bat der Bundestag beispielsweise um Übersendung der Berichte des EUKoordinators für Terrorismusbekämpfung und um die Berichte von Eurojust und Europol, bei deren Bewertung und Kontrolle die nationalen Parlamente nach Art. 85 und Art. 88 AEUV zu beteiligen sind. Vgl. die Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 8; ebenso: Schröder, H., Die Mit­ wirkung des Bundestages in EU-Angelegenheiten nach dem EUZBBG in der Praxis – ein Kurzkommentar, ZParl 2012, 250, 259. 32  Vgl. zu den einfachgesetzlich vorgesehenen Fristen für die Unterrichtung des Bundestages: § 13 Abs. 4 IntVG und § 6 Abs. 2 bis 4 EUZBBG, nach denen bei der Änderung einer Frist stets ausreichend Zeit bleiben muss, um eine angemessene Behandlung im Bundestag und eine Stellungnahme zu gewährleisten. 33  Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf einen zustimmenden Be­ schluss des Bundestages nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 StabMechG über

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

27. November 2012, im Bundestag ein. Wegen der innerhalb von zwei bis drei Tagen zu treffenden Entscheidung berieten die zuständigen Ausschüsse des Bundestages den Antrag im Wege der Selbstbefassung (§ 62 Abs. 1 Satz 3 GO-BT) bereits am Folgetag (28. November 2012) und warteten eine Überweisung durch das Plenum nicht ab. Der für die Entscheidung maßgebliche Bericht der sogenannten Troika (im Original und in einer Ar­ beitsübersetzung ins Deutsche) wurde dem Bundestag erst im Laufe dieses Tages, 28. November 2012, nachgereicht und verteilt.34 Der Antrag und die entscheidenden Informationen umfassten rund 240 teilweise eng bedruckte Seiten.35 Die Spitzen der Regierungsfraktionen (CDU / CSU / FDP) wollten über den Antrag zunächst bereits am Donnerstag, 29. November 2012, im Plenum des Bundestages entscheiden lassen. Nach Widerständen in den Fraktionen der SPD und Bündnis 90 / Die Grünen einigte man sich auf eine Verschiebung um einen Tag auf Freitag, 30. November 2012.36 Dies bedeu­ tet, dass die Mitglieder des Haushaltsausschusses, die den Antrag am Mitt­ woch um 14 Uhr berieten, weniger als 24 Stunden und die übrigen Abge­ ordneten nur zwei Tage Zeit hatten, die Unterlagen zu studieren, bevor sie darüber abstimmen mussten. Da die Abgeordneten in einer Sitzungswoche von Dienstag bis Freitag viele weitere Termine wahrnehmen müssen, war ihnen eine umfassende Beschäftigung mit den Unterlagen im Ergebnis nicht oder nur sehr wenigen Abgeordneten möglich. Diese kurze Zeitspanne mag auf die besondere Situation im Rahmen der Bewältigung der Finanz- und Staatsschuldenkrise zurückgehen. Dabei gehen allerdings die politischen Meinungen über die Notwendigkeit einer so kurzfristigen Entscheidungsfin­ dung auseinander.37 Ein ähnlich kurzer Zeitrahmen stand dem Gesetzgeber, d. h. Bundestag und Bundesrat, auch bei der Entscheidung über das Finanzmarktstabilisie­ rungsgesetz im Jahr 2008 zur Verfügung. Der Gesetzesentwurf wurde am 14. Oktober 2008 zur Umgehung der ersten Vorlage beim Bundesrat und damit auch der Fristen des Art. 76 Abs. 2 GG von den Koalitionsfraktionen (CDU / CSU / SPD) in den Bundestag eingebracht, der nur drei Tage später, Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland vom 27.11.2012, BT-Drs. 17 / 11647, 17 / 11848 (Anlagen 2-5a), 17 / 11649 (Anlage 1) und 17 / 11669 (Anlage 1a als Übersetzung von Anlage 1). 34  BT-Drs. 17 / 11649 (englische Originalversion) und BT-Drs. 17 / 11669 (Arbeits­ übersetzung). 35  BT-Drs. 17 / 11647, 17 / 11848, 17 / 11649 und 17 / 11669. 36  Zum ganzen Verfahren vgl. die Reden im Plenum zu diesem Antrag am 30.11.2012, BT-PlProt. 17 / 212, S. 25972 (B) ff., insbesondere die Rede von MdB Volker Kauder (CDU) S. 25979 (D) ff. 37  Vgl. die Rede des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Frank-Walter Steinmeier, am 30.11.2012 zu dem beschriebenen Antrag des Bundesfinanzministers: BT-PlProt. 17 / 212, S. 25972 (C).



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am 17. Oktober 2008, das Finanzmarktstabilisierungsgesetz – mit einigen Änderungen – verabschiedete.38 Zwar konnten sich einige Abgeordnete mit diesen Vorhaben noch befas­ sen, dennoch steht in Frage, ob eine echte inhaltliche Entscheidung bzw. Mitwirkung erfolgt ist. Bei Entscheidungen, für die nur eine sehr kurze Frist zur Verfügung steht, müssen die parlamentarischen Abläufe regelmäßig verkürzt werden oder teilweise sogar entfallen. Daher haftet solchen Eilent­ scheidungen stets der Verdacht einer nicht ausreichenden demokratischen Legitimation an.39 cc) Unterrichtung durch nicht deutschsprachige Dokumente Die überwiegende Zahl der von der Bundesregierung an den Bundestag übersandten Dokumente ist bereits in die deutsche Sprache übersetzt. Prob­ leme sind in der Praxis jedoch bei den Empfehlungen der Kommission für Verhandlungsmandate sowie bei den Berichten und Aktionsplänen der übri­ gen Organe der Europäischen Union, insbesondere des Rates, aufgetreten. In diesen Fällen wird das Dokument entweder nicht als deutschsprachiges Dokument auf europäischer Ebene ausgefertigt oder die Übersetzung verzö­ gert sich so erheblich, dass eine angemessene Befassung des Bundestages vor der Mitwirkung der Bundesregierung an dem Vorhaben gefährdet ist.40 Nach der Übersetzungsstrategie der Europäischen Union41 werden techni­ sche Anhänge und andere nachgeordnete Dokumente häufig nicht übersetzt, so dass beratungs- und entscheidungsrelevante Informationen nur auf Eng­ lisch oder / und Französisch vorhanden sind.42 38  Vgl. zum Gesetzesverfahren und zur verfassungsrechtlichen Bewertung: Kroll, Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz – Ein Belastungstest für das Grundgesetz, in: Emmenegger / Rensen (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge­ richts, Band 1, 2009, S. 355, 361 ff.; Becker / Mock, FMStG – Finanzmarktstabilisie­ rungsgesetz, Kommentar, 2009, Einleitung Rdnr. 6 f. 39  Vgl. dazu unten S. 258 ff. 40  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 11. 41  Siehe zu den Einzelheiten des Sprachenregimes: Hayder, Das Sprachenregime der Europäischen Union, ZEuS 2011, 343. 42  Vgl. den Antrag der Fraktionen CDU / CSU, SPD, FDP und Bündnis 90 / Die Grünen vom 18.06.2008: „EU-Übersetzungsstrategie überarbeiten – Nationalen Par­ lamenten die umfassende Mitwirkung in EU-Angelegenheiten ermöglichen“, BTDrs. 16 / 9596, S. 1, sowie den Antrag der Fraktionen CDU / CSU und FDP vom 22.05.2012: „Übersetzungserfordernisse der nationalen Parlamente in der mehrjähri­ gen EU-Finanzplanung 2014–2020 berücksichtigen – Übersetzung auch im intergou­ vernementalen Rahmen sicherstellen“, BT-Drs. 17 / 9736.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Allerdings bemüht sich die Bundesregierung gerade bei politisch wichti­ gen und öffentlichkeitswirksamen Dokumenten europäischer Institutionen, die nicht ins Deutsche übersetzt wurden, dem Bundestag eigene Arbeits­ übersetzungen zur Verfügung zu stellen. Auch bei entsprechenden Nachfra­ gen durch die Bundestagsverwaltung werden von der Bundesregierung oft Arbeitsübersetzungen nachgereicht. So wurden beispielsweise im Rahmen des sogenannten zweiten Griechenlandpaketes43 (zweites Anpassungspro­ gramm) im November 2012 alle zugehörigen, die Entscheidung tragenden Dokumente44, vor allem der Bericht der sogenannten Troika45, von der Bundesregierung ins Deutsche übersetzt. Dabei handelte es sich um ein Dokument von etwa 240 Seiten in englischer Sprache, das innerhalb von wenigen Stunden übersetzt werden musste, um eine kurzfristige Entschei­ dung des Bundestages zu ermöglichen. Da es sich dabei allerdings um Arbeitsübersetzungen und nicht um offizielle juristisch, ökonomisch und ­ politisch geprüfte Übersetzungen handelt, ist die Gefahr von sprachlichen ­Ungenauigkeiten groß.46 Die fehlende Übersetzung von EU-Dokumenten, einschließlich der Doku­ mente von intergouvernementalen Institutionen oder Vereinbarungen im unionsnahen Bereich wird daher immer wieder vom gesamten Bundestag bemängelt.47 In seinem Beschluss vom 14. Juni 2012 wurde das Problem wie folgt zusammengefasst: „In der 17. Wahlperiode sind bereits über 50 EU-Vorlagen wegen fehlender bzw. nicht vollständiger deutscher Sprachfassung von den Ausschüssen des Deutschen Bundestages zurückgewiesen bzw. nicht abschließend beraten worden. Die Euro­ päische Kommission hat in der Vergangenheit wiederholt Nachübersetzungen der betreffenden Dokumente abgelehnt. Auch die im Rahmen einer Stellungnahme des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 2007 (Drucksache 16 / 5766) und eines ein­ stimmig angenommenen Beschlusses vom 16.  Oktober 2008 (Drucksache 16 / 10556) aufgestellten Forderungen nach einer grundlegenden Reform des EUÜbersetzungsregimes wurden nicht aufgegriffen, obwohl die Kommission in den vergangenen Jahren verschiedentlich die Vorlage einer neuen Übersetzungsstrate­ 43  Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf einen zustimmenden Be­ schluss des Bundestages nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 StabMechG über Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland vom 27.11.2012, BT-Drs. 17 / 11647, 17 / 11848 (Anlagen 2-5a), 17 / 11649 (Anlage 1) und 17 / 11669 (Anlage 1a als Übersetzung von Anlage 1). 44  Vgl. BT-Drs. 17 / 11647, 17 / 11848, 17 / 11649 und 17 / 11669. 45  Bericht der EU-Kommission in Zusammenarbeit mit der EZB und dem IWF: „Das zweite wirtschaftliche Anpassungsprogramm für Griechenland – Erste Über­ prüfung“, November 2012 (BT-Drs. 17 / 11669). 46  Vgl. dazu den Artikel von Müller, Freundlich auf die Übersetzung warten, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2014, S. 4. 47  Siehe zur Bedeutung der deutschen Sprache für Recht und Staat: Kirchhof, Deutsche Sprache, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 3. Auflage 2004, § 20.



I. Die Unterrichtung des Bundestages133 gie angekündigt hatte. Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum 1. Dezember 2009 hat sich das Problem angesichts der deutlich gewachsenen Aufgaben für die nationalen Parlamente verschärft und betrifft in zunehmenden Maße nicht mehr nur von der Kommission vorgelegte Dokumente, sondern auch Dokumente im Bereich des intergouvernementalen Handelns der Mitgliedstaaten, vor allem im Bereich der Gemeinsamen Außen- bzw. Sicherheits- und Verteidi­ gungspolitik sowie Dokumente, die im Rahmen der Politik der Eurozone vorgelegt werden.“48

In diesem Beschluss gab der Bundestag auch eine Stellungnahme zu den Verhandlungen des mehrjährigen Finanzrahmens der Union ab.49 Der Bun­ desregierung wurde dabei unter anderem aufgegeben, in den Verhandlungen des mehrjährigen Finanzrahmens darauf hinzuwirken, dass die veranschlag­ ten bzw. benötigten Mittel für die Übersetzungen künftig gesondert ausge­ wiesen und aufgeschlüsselt werden, damit ein möglicher finanzieller Mehr­ bedarf ermittelt werden kann.50 Durch die Verknüpfung dieser Forderung mit den Verhandlungen des mehrjährigen Finanzrahmens der Union sollte politischer Druck auf die Union in Zusammenhang mit ihrer Finanzausstat­ tung ausgeübt werden. Schließlich forderte der Bundestag die Bundesregierung in einer Stellung­ nahme vom 27. Juni 2013 auf, darauf hinzuwirken, dass auf Unionsebene Deutsch als Amtssprache gleichberechtigt genutzt wird und sich diese Gleichberechtigung durch Übersetzung aller Dokumente auch ins Deutsche niederschlägt. Außerdem sollte die Bundesregierung darauf hinwirken, dass deutsche Beamte in Gremien der Union möglichst die deutsche Sprache nutzen.51 Bisher blieben diese Anliegen des Bundestages jedoch weitgehend erfolg­ los. Allerdings ist die pauschale Zurückweisung von bzw. Nichtbefassung 48  Siehe zum Inhalt dieses Beschlusses den Antrag der Fraktionen von CDU / CSU und FDP: BT-Drs. 17 / 9736: „Übersetzungserfordernisse der nationalen Parlamente in der mehrjährigen EU-Finanzplanung 2014–2020 berücksichtigen – Übersetzung auch im intergouvernementalen Rahmen sicherstellen“; zustimmend: Beschlussemp­ fehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vom 13.06.2012, BT-Drs. 17 / 10003. Der Antrag wurde vom Plenum am 14.06.2012 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen (CDU / CSU / FDP) unter Ent­ haltung der Oppositionsfraktionen angenommen, vgl. BT-PlProt. 17 / 184, S. 22010 (A). 49  Der mehrjährige Finanzrahmen nach Art. 312 AEUV ist eine Art übergeord­ neter Haushaltsplan der Union, an dem sich die jährlichen Haushaltspläne (Art. 313 ff. AEUV) auszurichten haben. Siehe die Kommentierung dazu bei Magiera, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 47. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: April 2012), Art. 312 AEUV Rdnr. 1 ff. 50  BT-Drs. 17 / 9736, S. 3. 51  Der Inhalt der Stellungnahme kann nachgelesen werden in dem Antrag vom 26.06.2013, BT-Drs. 17 / 14114, insbesondere S. 5.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

mit anderssprachigen Dokumenten durch die Ausschüsse des Bundestages letztlich wirkungslos, weil damit – im Unterschied zu einer solchen Haltung des Europäischen Parlaments – der europäische Gesetzgebungsprozess nicht aufgehalten wird. Dies würde nur zu einem Verzicht des Bundestages auf seine parlamentarischen Kontroll- und Mitwirkungsrechte führen. Der Bun­ destag – wie auch andere nationale Parlamente – befindet sich hier in einem Dilemma. Einerseits können die Mitwirkungs- und Kontrollrechte der nati­ onalen Parlamente und damit auch des Bundestages nur dann lücken­ los wahrgenommen werden, wenn beratungsrelevante Dokumente rechtzeitig und in einer Weise zur Verfügung stehen, dass sie auch tatsächlich beraten werden können. Dies ist aber bei umfangreichen fremdsprachigen Doku­ menten häufig nur schwer durchzuführen. Auch der Grundsatz der Parla­ mentsöffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG) gebietet, dass entscheidungs­ relevante Dokumente in deutscher Sprache vorliegen und so von der Öffent­ lichkeit gegebenenfalls nachgelesen werden können. Andererseits kann der Bundestag nicht deutschsprachige Dokumente nicht einfach ignorieren, da er schon durch das Konzept der Integrationsverantwortung zur Begleitung der Dossiers verpflichtet ist. Zur Lösung dieses Konflikts wäre die in dem zitierten Antrag des Bun­ destages geforderte Reform des EU-Übersetzungsregimes wünschenswert. Allerdings wäre ein lückenlose Übersetzung von allen Dokumenten und ihrer (technischen) Anlagen in alle 24 Amtssprachen der Union mit sehr hohen Kosten verbunden, die die Union derzeit nicht zur Verfügung stellen kann bzw. will.52 Die Forderung, alle Dokumente jedenfalls in die drei Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch zu übersetzen, würde zwar für das Anliegen Bundestages ausreichen, wäre aber vermutlich politisch nur schwer durchzusetzen,53 da diese drei Sprachen unionsrechtlich den ande­ ren Sprachen nicht vorgehen.54 Da somit eine Lösung auf Unionsebene offensichtlich nicht geplant ist, fragt sich, ob Deutschland das Problem auf nationaler Ebene lösen kann. Auch dies ist im Ergebnis eine Frage der Kosten für die entsprechenden Übersetzungen. Grundsätzlich könnte der Bundestag entweder der Bundes­ regierung durch Gesetz aufgeben, alle Unionsdokumente in deutscher Spra­ 52  Siehe dazu die Antwort der Kommission auf eine entsprechende Forderung des des Bundestagsvizepräsidenten Singhammer (18. Wahlperiode), wiedergegeben in dem Artikel von Müller, Freundlich auf die Übersetzung warten, Frankfurter All­ gemeine Zeitung, 17.09.2014, S. 4. 53  Ebenso: Hayder, Das Sprachenregime der Europäischen Union, ZEuS 2011, 343, 350 f. 54  Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirt­ schaftsgemeinschaft, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1791 / 2006 vom 20.11.2006 (Abl. L 363, S. 1).



I. Die Unterrichtung des Bundestages135

che bereitzustellen. Der Bundestag müsste dann jedoch auch die entspre­ chenden Übersetzungskosten in den Haushaltsplänen der betroffenen Res­ sorts genehmigen. Alternativ könnte der Bundestag auch den eigenen Haushalt erhöhen und seinen Sprachendienst deutlich verstärken. In jedem Falle wird sich bei diesen Entscheidungen die Frage des Verhältnisses von Kosten und Nutzen stellen. Eine Frage, die sich im Übrigen auch die Uni­ onsorgane im Rahmen der Entscheidung über ihr Übersetzungsregime stel­ len. Wenn Dokumente auf Unionsebene nicht in alle Amtssprachen übersetzt werden, z. B. technische Anhänge, so beruht dies auf der Entscheidung, dass der Inhalt der entsprechenden Dokumente nicht von grundlegender Bedeu­ tung ist und dies daher die erheblichen Kosten für die Übersetzung dieser oft umfangreichen Dokumente nicht rechtfertigt. Erhält der Bundestag auf der Grundlage dieser Entscheidung auf Unionsebene fremdsprachige Doku­ mente, muss er anhand seines Beratungsbedarfs entscheiden, ob sich die Übersetzung lohnt. Damit dies nicht in jedem Einzelfall und für jedes fremdsprachige Dokument gesondert entschieden werden muss, könnte all­ gemein festgelegt werden, dass entweder die Bundesregierung oder der Sprachendienst des Bundestages unter Aufwendung der notwendigen Kos­ ten, generell alle fremdsprachigen Dokumente zu europapolitischen Dossiers übersetzt, die der Bundestag als besonders wichtig einstuft.55 Lediglich er­ gänzend könnten auch die Mitglieder des Bundestages – soweit notwendig – ihre eigenen Fremdsprachenkenntnisse oder die ihrer Mitarbeiter ausbau­ en, um gerade die für ihr Politikfeld wichtigen Dokumente möglichst ohne die durch die Übersetzung entstehende Verzögerung erfassen zu können. d) Die Unterrichtung im Bereich der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheitsund Verteidigungspolitik Bis zur Änderung des EUZBBG im Jahr 2009 wurden dem Bundestag nur Informationen über Maßnahmen im Bereich der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidi­ gungspolitik vorgelegt, über die bereits entschieden war. Die Bereitschaft der Mitglieder des Bundestages, sich mit diesen abgeschlossenen Maßnah­ men vertieft zu beschäftigen, war gering. Seit der Änderung des EUZBBG im Jahr 2009 muss nun auch in diesen Bereichen im Vorfeld von Entschei­ dungen möglichst frühzeitig unterrichtet werden (§ 7 EUZBBG). Die sich an diese Änderung anschließenden Verhandlungen zwischen der Bundesre­ gierung und dem Bundestag über die rechtzeitige Bereitstellung der Infor­ 55  Siehe zu dieser politischen Einstufung der Wichtigkeit von Dossiers unten S.  250 ff.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

mationen gestalteten sich besonders schwierig. Einer der Gründe lag darin, dass diese Dokumente nicht wie die anderen Informationen überwiegend vom Bundeswirtschaftsministerium, sondern vom Auswärtigen Amt über­ sandt werden müssen. Dieses Ministerium war zuvor mit der Unterrichtung des Bundestages nur sehr am Rande befasst, so dass dafür eine neue Ver­ fahrenspraxis innerhalb des Auswärtigen Amtes geschaffen werden musste. Bei der Unterrichtung des Bundestages war zu berücksichtigen, dass in diesen Politikbereichen Beschlüsse häufig so kurzfristig getroffen werden, dass zwischen der Vorlage eines Entwurfs für eine Maßnahme und der Ent­ scheidung darüber für eine vorherige Beratung und Stellungnahme der na­ tionalen Parlamente nicht ausreichend Zeit bleibt.56 Die Pflicht der Bun­ desregierung, dem Bundestag eine Übersicht der absehbar zur Beratung anstehenden Rechtsakte, deren Bewertung und eine Einschätzung über den weiteren Beratungsverlauf bereitzustellen (Art. 7 Abs. 1 Satz 3 EUZBBG), ist daher für die Mitwirkung und Kontrolle des Bundestages von entschei­ dender Bedeutung. In der Praxis werden diese Berichte, die sogenannte „Indikative Vorschau auf Rechtsakte im Bereich der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, jeweils für einen Zeitraum von drei Monaten im Voraus vom Auswärtigen Amt übersandt. Soweit innerhalb dieser drei Monate weitere Rechtsakte zur Beratung anstehen, die in der ursprünglichen Liste nicht enthalten waren, werden die entsprechenden Informationen nachgeliefert.57 Da das EUZBBG keine weiteren Reglungen darüber trifft, über welche Rechtsakte in der Indikativen Vorschau unterrichtet werden soll, wurde dies in Verhandlungen zwischen dem Bundestag und dem Auswärtigen Amt festgelegt.58 Die Bundesregierung kommt ihren Unterrichtungspflichten bis auf wenige Ausnahmen59 in der Praxis nach.60 Allerdings fallen die Aussagen über die 56  Schröder, H., Die Mitwirkung des Bundestages in EU-Angelegenheiten nach dem EUZBBG in der Praxis – ein Kurzkommentar, ZParl 2012, 250, 268. 57  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 31. 58  Die Rechtsakte sind abgedruckt bei Schröder, H., Die Mitwirkung des Bun­ destages in EU-Angelegenheiten nach dem EUZBBG in der Praxis – ein Kurzkom­ mentar, ZParl 2012, 250, 261 f., in Fn. 70. 59  So wurde beispielsweise das Dokument mit einem Vorschlag eines Beschlus­ ses des Rates zur Verlängerung der Maßnahmen gegenüber Simbabwe (Art. 96 Co­ tonou-Abkommen / Beschluss 2000 / 483 / EG) bereits am 07.08.2012 im Rat abschlie­ ßend beschlossen, jedoch erst am 23.08.2012 dem Bundestag übersandt. Eine Bera­ tung dieses Vorhabens im Bundestag war daher vor der Beschlussfassung im Rat nicht möglich. Die Bundesregierung beruft sich in diesem Fall auf ein Büroversehen. Vgl. die Antwort des Staatsministers Michael Link auf die Frage des Abgeordneten



I. Die Unterrichtung des Bundestages137

anstehenden Entscheidungen in aller Regel recht kurz aus und bleiben oft vage.61 Hier dürfte der Abstimmungsprozess zischen dem Bundestag und dem Auswärtigen Amt zur umfassenden Unterrichtung des Bundestages noch nicht abgeschlossen sein. 60

2. Die Unterrichtung zur Wahrung der Mitwirkungsrechte nach dem Integrationsverantwortungsgesetz Auch wenn das Integrationsverantwortungsgesetz teilweise als „Sonntags­ gesetz“ bezeichnet wird,62 d. h. als ein Gesetz, das nur in seltenen Fällen zur Anwendung kommen wird, hat es schon einige Anwendungsfälle erlebt.63 Im Zusammenhang mit diesen Anwendungsfällen wurden die relevanten Dokumente jeweils zeitnah und umfassend dem Bundestag zur Verfügung gestellt. Insgesamt wird die Unterrichtung in diesem Bereich daher als zu­ friedenstellend bewertet.64 Schwierigkeiten traten nur bei der Übermittlung ergänzender Informationen auf. Diese wurden teilweise nicht zur Verfügung gestellt oder waren inhaltlich zu knapp gefasst. Die Bundesregierung muss dem Bundestag und dem Bundesrat zwei Wo­ chen nach der Zuleitung eines neuen Dossiers eine ausführliche Erläuterung seiner Folgen für die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union sowie eine Bewertung seiner integrationspolitischen Notwendigkeit und Auswirkungen vorlegen (§ 13 Abs. 2 IntVG). Bei den folgenden Vorhaben, die jeweils auf die Flexibilitätsklausel (Art. 352 AEUV) gestützt wurden Uwe Kekerits (Bündnis 90 / Die Grünen) vom 01.11.2012, BT-Drs. 17 / 11426, S. 3, Frage Nr. 7. 60  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 32 f. 61  Recherche der Verfasserin in der Datenbank EuDoX im Oktober 2013. 62  Calliess, Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parla­ mentarische Integrationsverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1, 27; Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integration, DÖV 2012, 105, 110; Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Identitätskontrolle: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 491, 519; Hahn, J.-U., Die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten nach dem neuen Integrationsverantwortungsgesetz, EuZW 2009, 758, 762. 63  Siehe zu den Anwendungsfällen bis Anfang des Jahres 2012 ausführlich: Daiber, Das Integrationsverantwortungsgesetz in der Praxis des Deutschen Bundestages, ZParl 2012, 293, 294 ff. 64  Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 34 ff. und S. 39.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

und daher die Mitwirkung des Bundestages notwendig machten, wurde die Unterrichtungspflicht nach § 13 Abs. 3 IntVG nicht vollständig erfüllt:65 •• Die Vorlage zum Erlass einer Verordnung über die Finanzbeiträge der Europäischen Union zum Internationalen Fonds für Irland vom 5. Februar 2010 (Ratsdokument, im Weiteren: Ratsdok., 6254 / 10) wurde dem Bun­ destag zwar unverzüglich vorgelegt. Die Erläuterungen waren jedoch weder ausführlich noch wurden sie in einem gesonderten Schreiben über­ mittelt, sie waren sehr knapp in den Berichtsbogen (§ 6 Abs. 2 EUZBBG) integriert. •• Zu dem Vorschlag zur Änderung des Mehrjahresrahmens für die Grund­ rechteagentur vom 2. Dezember 2010 (Ratsdok. 17564 / 10) übermittelte die Bundesregierung in der Anlage zu ihrem Berichtsbogen zusätzliche Informationen. Diese Anlage enthielt jedoch keine ausführliche Erläute­ rung der Folgen des Vorhabens für die vertraglichen Grundlagen der Eu­ ropäischen Union und auch keine Bewertung seiner integrationspolitischen Notwendigkeit und Auswirkungen. Dies wurde von Abgeordneten mehre­ rer Fraktionen im Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses kritisiert. Daraufhin übersandte die Bundesregierung eine überarbeitete Unterrichtung. In den folgenden Fällen fehlten die ausführlichen Erläuterungen nach § 13 Abs. 3 IntVG gänzlich66: •• Vorschlag eines Rahmenabkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau über die allgemeinen Grundsätze für die Teilnah­ me der Republik Moldau an den Programmen der Union vom 30. April 2010 (Ratsdok. 9362 / 10 und Ratsdok. 9363 / 10)67; •• Vorschlag einer Verordnung über den gewerbsmäßigen grenzüberschrei­ tenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten der Euro-Zone vom 4. Juli 2010 (Ratsdok. 12675 / 10); •• Vorschlag eines Rahmenabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine über die allgemeinen Grundsätze für die Teilnahme der 65  Die nachfolgend aufgeführten Vorschläge und die zugehörigen Ausführungen stützen sich auf die Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundesta­ ges, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissa­ bon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 36 ff. 66  Zu den ersten drei Vorschlägen finden sich nähere Ausführungen in der Un­ terrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 36 ff. Die übrigen Vorschläge ergeben sich aus einer Recherche der Verfasserin in der Bundestagsdatenbank EuDoX am 20.02.2013. 67  Allerdings wurde das Rahmenabkommen später nicht mehr auf die Flexibili­ tätsklausel nach Art. 352 AEUV gestützt, so dass eine Mitwirkung des Bundestages nach § 8 IntVG unterblieb.



I. Die Unterrichtung des Bundestages139

Ukraine an den Programmen der Union vom 28. Juli 2010 (Ratsdok. 13039 / 10 und das zugehörige Protokoll Ratsdok. 13034 / 10)68; •• Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ für den Zeitraum 2014 bis 2020 vom 14. De­ zember 2011 (Ratsdok. 18719 / 11 + ADD 1 und 2); •• Vorschlag für eine Verordnung zur Ausdehnung der Anwendung des Ak­ tionsprogramms in den Bereichen Austausch, Unterstützung und Ausbil­ dung zum Schutz des Euro gegen Geldfälschung auf die nicht teilnehmen­ den Mitgliedstaaten vom 19. Dezember 2011 (Ratsdok. 18939 / 11); •• Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungsund der Dienstleistungsfreiheit 13. März 2012 (8042 / 12 + ADD 1, 2 und 3; später KOM (2012) 130, sogenannte Monti II-Verordnung69). •• Vorschlag für die Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Europäi­ schen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusam­ menarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts und Vorschlag für den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts vom 1. Juni 2012 (Ratsdok. 10785 / 12 und 10786 / 12); •• Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung einer Fazilität des finan­ ziellen Beistands für Mitgliedstaaten, deren Währung nicht der Euro ist, vom 22. Juni 2012 (Ratsdok. 12201 / 12); •• Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 354 / 83 im Hinblick auf die Bestimmung des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz zum Standort der historischen Archive der Europäischen Organe vom 16. August 2012 (Ratsdok. 13183 / 12). Die Liste zeigt, dass die Bundesregierung ihrer Pflicht zur weiterführen­ den Unterrichtung des Bundestages häufig nicht nachkommt. Alle Vorschlä­ ge betreffen bedeutende Politikbereiche, die auch erheblichen Einfluss auf das nationale Recht haben. Zwar ergibt sich ein großer Teil der Informa­ tionen auch aus den nach dem EUZBBG vorzulegenden weiterführenden Dokumenten,70 gerade die Frage zur integrationspolitischen Notwendigkeit 68  Auch dieses Rahmenabkommen wurde später nicht mehr auf die Flexibilitäts­ klausel nach Art. 352 AEUV gestützt, so dass hier ebenfalls eine Mitwirkung des Bundestages nach § 8 IntVG unterblieb. 69  Vgl dazu auch die Ausführungen über die dagegen von mehreren Mitgliedstaa­ ten vorgebrachten Subsidiaritätsrügen unten S. 207 f. 70  Dies betrifft den Berichtsbogen (§ 7 Abs. 1 EUZBBG) und – soweit vorzule­ gen – die Umfassende Bewertung (§ 7 Abs. 2 EUZBBG).

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

der Vorhaben (§ 13 Abs. 3 IntVG) wird in diesen Dokumenten jedoch nicht beantwortet. 3. Bewertung der Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Informati­ onsrechten des Bundestages,71 in der das Gericht intergouvernementale Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die ein besonderes Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union aufweisen, als Angelegenheiten der Europäischen Union im Sinne von Art. 23 Abs. 2 GG bewertet hat, ist die größte und kontrovers geführte Diskussion zwi­ schen Bundesregierung und Bundestag beendet. Die Bundesregierung leitet die bei ihr eingehenden europäischen Dokumente sowie die zwischen ihr und ihren Vertretern in den Europäischen Gremien ausgetauschten Doku­ mente (Weisungen und Tagungsberichte) in der Regel lückenlos und zeitnah an den Bundestag weiter. Diesbezüglich kann die Unterrichtungspraxis der Bundesregierung insgesamt als gut bewertet werden.72 Die Zusammenarbeit des Bundestages mit den Ressorts, insbesondere dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt, hat sich mittlerweile eingespielt. Allerdings würde eine zentrale Koordinierungsstel­ le auf Seiten der Bundesregierung, die sowohl alleiniger Ansprechpartner als auch für die Letztkontrolle der Erfüllung der Unterrichtungspflichten verantwortlich wäre, die Arbeit des Bundestages und seiner Verwaltung er­ leichtern. Mit Blick auf die Praxis ist jedoch auch zu beobachten, dass die Bundesregierung gerade nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesver­ fassungsgerichts im Zusammenhang mit der Abwendung der Finanz- und Staatsschuldenkrise73 sehr bemüht ist, den Bundestag auch bei eiligen, aber hochpolitischen Entscheidungen umfassend und fortlaufend zu unterrichten,74 auch wenn dies in der Krise nicht immer einfach ist. In den Zeiten krisen­ hafter Zuspitzung sind die Verfassungsorgane Bundesregierung und Bundes­ tag in der 17. Wahlperiode näher zusammengerückt. 71  BVerfGE

131, 152 – parlamentarische Informationsrechte. Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, 186; Mellein, Die Rolle von Bundestag und Bundesrat in der Europäischen Union, EuR-Bei 2011, 13, 44. 73  Vgl. die Auflistung der Entscheidungen oben in A., Fn. 4. 74  Siehe z. B. die Unterrichtung zu den Änderungen im bestehenden Anpassungs­ programm für Griechenland im November 2012, dazu oben S. 129. 72  Vollrath,



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag141

Als größte Schwierigkeit erweist sich, dass die Bundesregierung ihrer Pflicht, erläuternde Berichte für den Bundestag zu erstellen, nur selten nachkommt. Diese Erläuterungen benötigt der Bundestag jedoch, weil er in den Gremien der Europäischen Union nicht selbst vertreten ist und daher den Zusammenhang, in dem die ihn erreichenden Dokumente stehen, nicht (offiziell) kennt. Er benötigt sie auch deshalb, weil er sich die darin ent­ haltenen Bewertungen und Folgeabschätzungen der Fachressorts zu Nutze machen muss. Die Fachressorts der Bundesregierung verfügen mit etwa 270.000 Beamten und Beschäftigten über eine erheblich größere Mitarbei­ terzahl als der Bundestag mit insgesamt rund 8.600 Mitarbeitern75 in den Abgeordnetenbüros, Fraktionen und der Bundestagsverwaltung. Die Mitar­ beiter der Fachressorts verfügen über eine vertiefte Expertise in den Fach­ gebieten, in denen auch auf Unionsebene Entscheidungen getroffen wer­ den. Sie können daher – betrachtet man die europäischen Vorhaben in ihrer Gesamtheit – viel schneller und mit weniger Aufwand Erläuterungen zu europäischen Dossiers für den Bundestag zusammenstellen. Die Bun­ desregierung versucht teilweise, die Wünsche nach schrift­ lichen Erläute­ rungen, die über die gesetzlichen Berichtspflichten hinausgehen, mit Ver­ weis auf ihre bestehende Arbeitsüberlastung zu verweigern.76 Dies ist je­ doch angesichts der grundgesetzlichen Unterrichtungs- und Mitwirkungs­ rechte des Bundestages kein durchgreifendes Argument. Hier muss die Bundesregierung ihre Prioritäten gegebenenfalls verschieben, um die um­ fassende Unterrichtung des Bundestages auch über erläuternde Berichte sicherzustellen.

II. Die Organisation der Informationen im Bundestag Dem Bundestag obliegt die Pflicht, die bei ihm eingehenden Informatio­ nen so zu organisieren, dass sie einer parlamentarischen Beratung zugäng­ lich sind. Dazu gehört zunächst die Aufbereitung der Dokumente in Form ihrer Entgegennahme, Priorisierung und Überweisung an die zuständigen Ausschüsse (dazu unten 1.). Darüber hinaus muss sich der Bundestag wei­ tere Informationen beschaffen, um die Regierungsinformationen ergänzen und prüfen zu können (dazu unten 2.).

75  Angaben auf der Internet-Seite des Bundestages: http://www.bundestag.de / bun destag / verwaltung / index.html. 76  Schöne, Alltag im Parlament, 2010, S. 276 ff.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

1. Die Aufbereitung der europapolitischen Informationen Der Bundestag erhält eine Fülle von Dokumenten und Informationen von der Bundesregierung77 im Rahmen der europapolitischen Kommunikation. Pro Jahr erreichen den Bundestag auf diese Weise rund 23.00078 Dokumen­ te, d. h. durchschnittlich etwa 2.000 pro Monat oder 100 Dokumente pro Arbeitstag. Ohne eine sorgfältige Aufbereitung („Veredelung der Informatio­ nen“79), Priorisierung und strukturierte Verfahrensgestaltung können die Informationen vom Bundestag, seinen Mitgliedern, Ausschüssen und Gremi­ en nicht genutzt werden. Das Zentrum dieser Aufbereitung der Informatio­ nen sind die Referate „EU-Grundsatzangelegenheiten, Fragen der Wirt­ schafts- und Währungsunion“ (PE 2), „Analyse, Beratung, Prioritätenset­ zung“ (PE 3) und „Europa-Dokumentation“ (PE 5) der Bundestagsverwal­ tung. Diese gehören zu der im Januar 2013 neu geschaffenen Unterabteilung „Europa“ (PE), in der alle Einheiten der Bundestagsverwaltung, die für die Europapolitik zuständig sind, zusammengefasst wurden. a) Die Entstehung der Unterabteilung Europa der Bundestagsverwaltung Nach seiner ersten Konstituierung im Jahr 1991 übernahm zunächst der Europaausschuss des Bundestages die Sammlung der europäischen Doku­ mente und Informationen.80 Das später beim Sekretariat des Europaausschus­ ses angesiedelte Europabüro ging dazu über, die Informationen nicht nur zu sammeln, sondern auch die Registrierung und Weiterleitung zu übernehmen.81 77  Vgl. zu der Informationssammlung, Bearbeitung, internen Kommunikation und Positionserarbeitung innerhalb der Bundesregierung: von Bogdandy, Information und Kommunikation in der Europäischen Union: föderale Strukturen in supranatio­ nalem Umfeld, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, 2000, S. 133, 167 ff. 78  Vgl. zu den Zahlen im Einzelnen: Vollrath, Herausforderung bei der Umset­ zung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bun­ destag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, und oben S. 126 f. 79  Kluth, Einwirkung von Bundestag, Bundesrat und Landesparlamenten auf die gemeinschaftliche Rechtsetzung als Ausdruck von Integrationsverantwortung, in: ders. / Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 22 Rdnr. 15. 80  Zu den Problemen bei der Organisation der Dokumente, insbesondere dazu, dass zu dieser Zeit europäische Vorhaben häufig erst nach ihrem Inkrafttreten im Bundestag beraten wurden, ausführlich: Hölscheidt, Mitwirkungsrechte des Deut­ schen Bundestages in Angelegenheiten der EU, Aus Politik und Zeitgeschichte (Bundeszentrale für politische Bildung) B 28 / 2000, Kap. III. 81  Vgl. dazu die Darstellung der Arbeit des beim Europaausschuss angesiedelten Europabüros: Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 236 f.



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag143

Die heute vom Europaausschuss getrennte Organisation der Sammlung, Auf­ bereitung und Priorisierung der Informationen in europäischen Angelegenhei­ ten geht zurück auf den Ratifizierungsprozess des Vertrages über eine Verfas­ sung für Europa im Jahr 2004. Dieser nicht in Kraft getretene Verfassungsver­ trag sah erstmals das Recht der nationalen Parlamente vor, die Einhaltung der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit europäi­scher Gesetzesvorhaben zu prü­ fen. Auf dieser Basis begann eine vertiefte Diskussion darüber, wie dieses Recht innerparlamentarisch effektiv ausgestaltet werden könnte.82 Zu diesen Überlegungen trat im Jahr 2005 die Kritik des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zum Europäischen Haftbefehl an der Art der Behandlung des Rahmenbeschlusses zum Europäi­schen Haftbefehl und seiner Umsetzung in das deutsche Recht durch den Bundestag.83 Zur Lösung dieser Fragen und besseren Koordinierung europapolitischer Abläufe im Bundestag wurde im Jahr 2006 das Europabüro von dem Europaausschuss getrennt und in ein neu geschaffenes, eigenständiges Referat „Europa“ überführt. Zu diesem Referat gehörte auch das im Februar 2007 eingerichtete Verbindungsbüro des Bun­ destages in Brüssel. Im Januar 2013 wurden schließlich alle Einheiten des Bundestages und der Bundestagsverwaltung mit Europabezug in einer neuen Unterabteilung „Eu­ ropa“ (PE) zusammengefasst. Hintergrund für diese Entscheidung war die erhöhte Arbeitsbelastung der bisherigen europapolitischen Einheiten, d. h. des Sekretariats des Europaausschusses, des Referates „Europa“ und des Fachbe­ reichs „Europa“ der Wissenschaftlichen Dienste aufgrund der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Es wurde deutlich, dass der Bundestag in diesem Be­ reich eine höhere Personalkapazität, vor allem im Bereich der europapolitisch und volkswirtschaftlich geprägten Referentenstellen, benötigte. Darüber hin­ aus erschien es sinnvoll, alle mit europäischen Themen befassten Einheiten in einer Unterabteilung zusammenzufassen, um die Kommunikation inner­ halb dieser Einheiten zu stärken und ihre Koordination von Seiten der Bun­ destagsverwaltung in einem zentralen Dienstposten, dem Leiter der Unterab­ teilung „Europa“, zusammenzufassen. Der Bundestag gibt damit ein zwar zunächst nur organisatorisch anmutendes, doch in seiner Wirkung deutliches Signal, nach dem er sich bestmöglich rüstet, um seinen zukünftigen europa­ politischen Aufgaben noch besser gerecht werden zu können. 82  Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S.  177, 178 f. 83  BVerfGE 113, 273 – Europäischer Haftbefehl; vgl. dazu auch die Darstellung des Verfahrens einschließlich der Dokumente und des Protokolls der mündlichen Verhandlung bei Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundes­ verfassungsgericht, 2006.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Zu der Unterabteilung „Europa“ gehören nun neben dem Sekretariat des Europaausschusses drei Referate, die die Sammlung, Dokumentation und Auswertung der Informationen übernehmen und die Priorisierung und Überweisung der Dokumente an die zuständigen Ausschüsse unterstützen.84 Das Verbindungsbüro des Bundestages in Brüssel, zuvor ein Teil des Re­ ferates „Europa“, ist nun bei gleicher Struktur ein eigenständiges Referat.85 Der Fachbereich „Europa“ gehörte zuvor zu den Wissenschaftlichen Diens­ ten des Bundestages (Unterabteilung WD). Der Wechsel zur Unterabteilung „Europa“ wird jedoch an der Arbeitsweise und Zuständigkeit des Fachbe­ reiches nichts ändern, der sich weiterhin als „Wissenschaftlicher Dienst“ für die Abgeordneten versteht. Insgesamt wurde die Unterabteilung um etwa 15 Mitarbeiter erweitert und verfügt derzeit über rund 60 Mitarbeiter, davon 22 mit wissenschaftlicher Hochschulausbildung (Referentenstellen). Damit stehen dem Deutschen Bundestag im Vergleich zu den anderen na­ tionalen Parlamenten der Union mit großem Abstand die meisten Mitarbei­ ter zur Verfügung. Die französische Assemblée Nationale und das britische House of Lords verfügen mit 28 bzw. 24 Mitarbeitern noch nicht einmal über die Hälfte der Mitarbeiter des Bundestages. In den meisten nationalen Parlamenten der Union sind nur fünf bis neun Mitarbeiter mit europäi­ schen Angelegenheiten beschäftigt.86 Die Ausstattung des Bundestages ist somit in diesem Bereich weit überdurchschnittlich, so dass dies kein Grund dafür sein kann, die europäischen Entwicklungen parlamentarisch nicht zu begleiten. b) Die Entgegennahme und Bereitstellung der Dokumente Alle Dokumente, die dem Bundestag von der Bundesregierung in europäi­ schen Angelegenheiten zugeleitet werden, gehen im Referat „Europa-Doku­ mentation“ (PE 5) ein. Ausgenommen sind davon allerdings die Dokumen­ te, die nur das Sondergremium des Haushaltsauschusses erhält (§ 7 Abs. 7 84  Dies umfasst die Referate „EU-Grundsatzangelegenheiten, Fragen der Wirt­ schafts- und Währungsunion“ (PE 2), „Analyse, Beratung, Prioritätensetzung“ (PE 3) und „Europa-Dokumentation“ (PE 5). 85  Da das Verbindungsbüro jedoch nicht direkt mit der Aufbereitung der Infor­ mationen, sondern mit der Beschaffung zusätzlicher Informationen direkt von den Europäischen Organen beschäftigt ist, wird die Arbeit des Verbindungsbüros unten im Zusammenhang mit der Beschaffung weiterer Informationen dargestellt, vgl. unten S.  150 ff. 86  Die Mitarbeiterzahlen ergeben sich aus dem 20. Halbjahresbericht der COSAC (Oktober 2013), Tabelle 1, S. 19; der Bericht kann im Internet aufgerufen werden unter: http://www.cosac.eu / documents / bi-annual-reports-of-cosac / .



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag145

i. V. m. § 6 ESMFinG). Seit der 17. Wahlperiode verfügt der Bundestag über eine interne Datenbank EuDoX, auf die alle Mitglieder des Bundestages, die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung und alle sonstigen Gremien des Bun­ destages Zugriff haben. Diese Datenbank enthält sämtliche Dokumente, die dem Bundestag seit Beginn der 17. Wahlperiode von der Bundesregierung und den Organen der Europäischen Union zugeleitet wurden. Das Referat übernimmt die Kennzeichnung und Kategorisierung sowie ihre Erfassung und Übernahme in die Datenbank EuDoX. Die Pflege der Datenbank erfolgt ebenfalls in diesem Referat. Die Such- und Abruffunktionen werden dort ständig weiterentwickelt, um einen möglichst einfachen Zugang zu den Dokumenten zu ermöglichen. Die Entwicklung und Einführung dieser Datenbank wird als erhebliche Erleichterung bei der Arbeit mit den Unionsdokumenten und den europäi­ schen Themen empfunden. Dennoch finden sich zu sehr allgemeinen oder übergeordneten europäischen Themen wie z. B. „Strategie Europa 2020“87 bei einer Suche in der Datenbank EuDoX insgesamt 2.780 Dokumente.88 Auch wenn durch verschiedene Funktionen in der „erweiterten Suche“ von EuDoX die Trefferzahl verringert werden kann, ist es bei dieser Dokumen­ tenanzahl aufwendig, die relevanten Informationen zu finden. In der Praxis wird daher weiter über die Fülle von Informationen geklagt. c) Das Priorisierungs- und Überweisungsverfahren für europäische Dokumente Die jährlich rund 23.000 Dokumente könnte der Bundestag ohne eine weitere Aufarbeitung nicht beraten. Daher sieht die Geschäftsordnung des Bundestages ein strukturiertes Priorisierungs- und Überweisungsverfahren für die Unionsdokumente vor (§ 93 Abs. 3, Abs. 5 und Abs. 6 GO-BT). In diesem Verfahren wird zunächst festgelegt, welche europäischen Dossiers beratungsrelevant sind und welche nicht. Die nicht beratungsrelevanten Dossiers werden den Ausschüssen nicht überwiesen und bleiben daher par­ lamentarisch unbeachtet. Hinsichtlich der beratungsrelevanten Dossiers wird außerdem entschieden, welche Ausschüsse diese federführend beraten und welche Ausschüsse nur mitberatende Funktion haben. Die Referate PE 2, PE 3 und PE 5 der Bundestagsverwaltung überneh­ men eine wichtige Aufgabe im Rahmen des Priorisierungs- und Überwei­ 87  Vgl. dazu die Erläuterungen auf den Internet-Seiten der Europäischen Kom­ mission: http://ec.europa.eu / europe2020 / index_de.htm. 88  EuDoX-Suche (Volltext-Suche) vom 04.12.2013. Bei einer Suche am 21.12.2012 waren es 2.191 Dokumente. Dies bedeutet, dass sich die Anzahl der Dokumente zu diesem Thema in etwa einem Jahr um rund 600 Dokumente erhöht hat.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

sungsverfahrens.89 Die Referate erstellen die sogenannte „Liste der einge­ gangenen Unionsdokumente“, aus der sich ergibt, welche Dokumente sie für beratungsrelevant halten und an welche Ausschüsse die Dokumente feder­ führend und an welche sie mitberatend überwiesen werden sollten. Diese Liste wird den Ausschüssen des Bundestages übermittelt. Die Ausschüsse können dann innerhalb von sechs Tagen Änderungswünsche zur Beratungs­ relevanz der Dokumente und zu den Überweisungsvorschlägen anzeigen (sogenannte „Ausschussabfrage“). Nach erfolgter Ausschussabfrage wird der gegebenenfalls daran angepasste Überweisungsvorschlag dem Vorsitzen­ den des Europaausschusses zur Zeichnung vorgelegt. Danach wird der ge­ zeichnete Überweisungs- und Priorisierungsvorschlag den Fraktionen zur Entscheidung übermittelt (§ 93 Abs. 3 Satz 2 GO-BT). Die Fachreferenten der Fraktionen geben ihre Voten zu den Vorschlägen der Bundestagsverwal­ tung ab. In der Praxis stimmen die Fachreferenten mit den Vorschlägen der Bundestagsverwaltung meist überein.90 Die parlamentarischen Geschäftsfüh­ rer stellen am Donnerstag einer Sitzungswoche in der Nachbesprechung zur Sitzung des Ältestenrates das Benehmen über die Überweisung bzw. Nicht­ überweisung der Dossiers her, so dass die relevanten Dossiers vom Bundes­ tagspräsidenten überwiesen werden können (§ 93 Abs. 5 Satz 2 GO-BT).91 Ein Dokument muss überwiesen werden, wenn eine Fraktion oder 5 % der Abgeordneten dies verlangen (§ 93 Abs. 3 Satz 3 GO-BT). Im Anschluss an das Benehmen und die Überweisung durch den Präsidenten erstellt das Parlamentssekretariat die Sammelübersicht (§ 93 Abs. 6 GO-BT). Diese gliedert sich in einen Teil A „Überwiesene Unionsdokumente“ (§ 93 Abs. 6 Satz 1 GO-BT) und einen Teil B „Nicht für eine Überweisung vorgesehene Unionsdokumente“ (§ 93 Abs. 6 Satz 2 GO-BT) und wird als Bundestags­ drucksache verteilt. In der 17. Wahlperiode wurde etwa die Hälfte der Unionsdokumente an die Ausschüsse zur Beratung überwiesen (Teil A); die andere Hälfe der Dossiers blieb als nicht beratungsrelevant unberücksichtigt (Teil B).92 In 89  Dabei teilen sich die Referate die europäischen Dossiers nach ihren Themen­ gebieten: Das Referat PE 2 ist zuständig für die Politikbereiche Finanzen, Haushalt, Wirtschaft und Technologie sowie EU-Angelegenheiten. Das Referat PE 3 über­ nimmt alle übrigen Politikbereiche der Union. Die „Liste der eingegangenen ­Unionsdokumente“ wird vom Referat PE 5 erstellt. 90  Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angele­ genheiten, 2011, S. 68. 91  Zum Ganzen: Referat Europa (PA 1) der Verwaltung des Deutschen Bundes­ tages, Leitfaden zur Behandlung von EU-Vorlagen im Deutschen Bundestag, Stand: 10.11.2010, S. 4 (nicht veröffentlicht). 92  Rund 46 % der Dokumente wurden überwiesen, 56 % der Dokumente wurden nicht überwiesen. Diese Zahlen basieren auf einer Recherche der Verfasserin in der bundestagsinternen Datenbank „SysiVuS“ vom 01.11.2013.



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag147

den ersten zehn Monaten der 18. Wahlperiode wurden rund zwei Drittel der Dossiers nicht an die Ausschüsse überwiesen und daher nicht beraten.93 Die beratungsrelevanten Dossiers werden in dem Priorisierungsverfahren nicht weiter nach ihrer politischen Bedeutung gewichtet. Den Ausschüssen wer­ den somit jährlich rund 500 Dossiers überwiesen, deren politische Bewer­ tung vor allem dem jeweils federführenden Ausschuss obliegt. Dabei erhal­ ten die zehn Ausschüsse, denen die meisten Dossiers federführend überwie­ sen werden,94 rund 85 % aller Dossiers, d. h. ca. 425 Dossiers. Zusammen mit der Bearbeitung der Folgedokumente zu diesen Dossiers bedeutet dies eine erhebliche Arbeitsbelastung für die betroffenen Ausschüsse. Eine Ent­ lastung könnte dadurch erreicht werden, dass die politische Bedeutung der Dossiers schon vor ihrer Überweisung an die Ausschüsse bewertet wird und sich an diese Bewertung eine gestufte Beratungsintensität der Ausschüsse knüpft.95 Folgedokumente zu europäischen Dossiers (Vorhaben) müssen dieses Priorisierungs- und Überweisungsverfahren nicht durchlaufen. Der Bundes­ tag hat die Beratung dieser Dokumente in seiner Geschäftsordnung dadurch erleichtert, dass die Ausschüsse die Folgedokumente zu den ihnen überwie­ senen Unionsdokumenten direkt in ihre Beratungen einbeziehen können.96 So wird vermieden, dass ein Folgedokument (versehentlich) einem anderen Ausschuss federführend überwiesen wird als das Ausgangsdokument. Au­ ßerdem kann der Bundestag durch den direkten Zugriff auf das Folgedoku­ ment von der Möglichkeit, eine Stellungnahme auch während der Beratun­ gen in den EU-Gremien anzupassen oder zu ergänzen (§ 9 Abs. 3 Satz 1 EUZBBG), schneller Gebrauch machen. Das Priorisierungs- und Überweisungsverfahren nimmt von dem Versand der „Liste der eingegangenen Unionsdokumente“ bis zur Überweisung an die Ausschüsse und Erstellung der Sammelübersicht insgesamt fast drei Wochen in Anspruch. Bei Rechtsetzungsvorhaben der Union beträgt die Frist für die Erhebung der Subsidiaritätsrüge acht Wochen. Dies bedeutet, dass für die 93  Diese Zahlen basieren auf einer Recherche der Verfasserin in der bundestags­ internen Datenbank „SysiVuS“ vom 11.09.2014. 94  In der 17. Wahlperiode handelt es sich nach einer Recherche der Verfasserin dabei um den Ausschuss für Wirtschaft und Technikfolgenabschätzung, den Auswär­ tigen Ausschuss, den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher­ schutz, den Haushaltsauschuss, den Europaausschuss, den Innenausschuss, den Fi­ nanzausschuss, den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, den Umwelt­ ausschuss und den Ausschuss für Arbeit und Soziales. 95  Vgl. zu diesem Konzept unten S. 250 ff. 96  Vgl. § 93a Abs. 2 Satz 1 GO-BT. Allerdings können die betreffenden Doku­ mente nach § 93 Abs. 3 S. 3 GO-BT auf Verlangen einer Fraktion oder 5 % der Mitglieder des Bundestages dem Überweisungsverfahren unterzogen werden.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Beratung des Dossiers im Ausschuss, die Entscheidung, dem Plenum die Er­ hebung einer Subsidiaritätsrüge vorzuschlagen, die Erarbeitung dieses Vor­ schlags und die Beschlussfassung im Plenum lediglich fünf Wochen verblei­ ben. Dieser Zeitrahmen kann zwar eingehalten werden, stellt die parlamenta­ rischen Abläufe, vor allem in Abhängigkeit von der Anzahl der Sitzungs­ wochen in dieser Zeit, vor nicht unerhebliche Herausforderungen.97 d) Bewertung der Aufarbeitung der Informationen Die Bundestagsverwaltung hat mit dem zunächst an den Europausschuss angegliederten Europabüro bzw. den heute eigenständigen Referaten (PE 2, PE 3 und PE 5) Organisationseinheiten geschaffen, die sehr effektiv und mit großer Sachkenntnis die enorme Menge der dem Bundestag zugeleiteten Dokumente strukturieren und sie der parlamentarischen Beratung zuführen. Auch diese gute Aufbereitung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die große Anzahl der eingehenden Dokumente weiterhin Schwierigkei­ ten gerade für Abgeordnete bereitet, die nicht täglich mit europapolitischen Themen beschäftigt sind. Durch die Zusammenfassung aller mit europäischen Themen befassten Einheiten der Bundestagsverwaltung und die erhebliche Erweiterung ihrer Personalkapazitäten in diesem Bereich hat der Bundestag seine Möglichkei­ ten weiter verbessert, um zukünftig die quantitativ und qualitativ steigenden Anforderungen der Europapolitik erfüllen zu können. Von dieser Umstruk­ turierung geht auch das Signal aus, dass der Bundestag seine Mitwirkungsund Kontrollrechte umfassend wahrnehmen will. Das Priorisierungs- und Überweisungsverfahren hat sich in der Praxis gut eingespielt. Diese Zusammenarbeit zwischen der Bundestagsverwaltung, den Fraktionen und den Abgeordneten führt zu einer Entlastung der Aus­ schussarbeit, die jedoch durch eine weitere politische Bewertung der Dos­ siers vor der Überweisung an die Ausschüsse noch weiter gesteigert werden könnte. Dabei haben die demokratisch nicht legitimierten Mitarbeiter der Bundes­ tagsverwaltung in dem aktuellen Priorisierungs- und Überweisungsverfahren eine nicht unerhebliche Steuerungskraft erlangt.98 Zwar unterliegen die Ent­ scheidungen der ständigen Kontrolle der Fraktionen und Abgeordneten, wie stetig und umfassend diese ist, ist jedoch fraglich. In der Praxis werden die 97  Vgl. dazu ausführlich mit Beispielen: Sensburg, Wahrnehmung der Integra­ tionsverantwortung durch den Bundestag in der Praxis, in: Pechstein (Hrsg.), Inte­ grationsverantwortung, 2012, S. 117, 125 f. 98  Ebenso: Zier, Nationale Parlamente in der EU, 2005, S. 286.



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag149

Vorschläge der Bundestagsverwaltung in Bezug auf die Beratungsrelevanz und die Zuordnung zu den Ausschüssen nur selten von den Ausschüssen und Fraktionen verändert. Eine weitergehende politische Gewichtung der bera­ tungsrelevanten Dossiers dürfte daher nicht von der Bundestagsverwaltung vorgenommen werden, sondern müsste einem Ausschuss oder Gremium überlassen bleiben, das mit Mitgliedern des Bundestages besetzt ist. 2. Die Beschaffung ergänzender und erläuternder Informationen Zu einer parlamentarischen Organisation, die die Begleitung von euro­ päischen Dossiers ermöglichen soll, gehört neben der Entgegennahme und Aufarbeitung der Regierungsdokumente auch die Beschaffung ergänzender und erläuternder Informationen. Bei ergänzenden Informationen handelt es sich um Informationen, die in den von der Regierung zugeleiteten Doku­ menten so nicht enthalten sind. Erläuternde Informationen dienen hingegen dazu, die bereits vorhandenen Informationen besser verstehen und prüfen zu können. Hier kommt es naturgemäß zu vielen Überschneidungen, so dass eine scharfe Trennung von ergänzenden und erläuternden Informationen in der Regel nicht möglich ist. Der Bundestag hat in den letzten Jahren gerade diesen Bereich erheblich gestärkt. Hier spielen erneut die Referate der Unterabteilung Europa der Bun­ destagsverwaltung99 eine große Rolle. Die schon länger existierenden Aus­ tauschmöglichkeiten mit den mitwirkungsberechtigten Mitgliedern des Euro­ päischen Parlaments im Europaausschuss des Bundestages und zwischen den Mitgliedern der Europaausschüsse der nationalen Parlamente (COSAC) blei­ ben in ihrer Bedeutung dahinter zurück. Viele weitere wichtige Informatio­ nen erhalten die Abgeordneten aufgrund ihrer verschiedenen formellen und informellen Kontakte sowie durch die Medien und die Fachpresse. a) Die Publikationen und Gutachten der Bundestagsverwaltung Die Bundestagsverwaltung, insbesondere die Unterabteilung Europa, un­ terstützt die Arbeit des Bundestages auch durch eine Reihe von Publikatio­ nen, die die Informationen selektieren und verdichten sollen. Dazu gehören neben verschiedenen Gutachten (Sachstandsberichte und Vermerke) zu be­ stimmten Themen die folgenden Publikationen, die für Beratung europa­ politischer Themen in den Ausschüssen von besonderer Bedeutung sind:100 99  Die Referate PE 2 und PE 3 und insbesondere das Verbindungsbüro des Bun­ destages in Brüssel (PE 4). 100  Diese Publikationen werden nur im Intranet des Bundestages veröffentlicht und stehen der Öffentlichkeit damit nicht zur Verfügung.

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•• Europapolitische Vorausschau Dieses Dokument wird jährlich für jeden Fachausschuss erstellt und ba­ siert auf dem Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission, ihrem Vorausplanungsprogramm sowie den Programmen der Ratspräsidentschaften für das jeweils kommende Jahr. Die Europapolitische Vorschau ist mit rund 10 bis 15 Seiten ein umfangreiches Dokument. Darin werden alle geplanten Vorhaben aufgeführt, näher erläutert und der voraussichtliche Zeitplan zur Umsetzung des Vorhabens dargestellt. Das Dokument enthält darüber hinaus eine Tabelle mit den im betreffenden Jahr anstehenden Terminen. Auf dieser Basis können die Ausschüsse und die Ausschusssekretariate die Ausschuss­ arbeit auf die im Folgejahr anstehenden europäischen Entwicklungen und Entscheidungen anpassen. •• Vermerke zur Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle Auf Anforderung der Ausschüsse oder Fraktionen erstellten verschiedene Referate der Unterabteilung „Europa“ ausführliche Vermerke zur Einhal­ tung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit eines Ge­ setzgebungsvorhabens der Union. Die Vermerke werden an die zuständigen Ausschüsse und die Fraktionen weitergeleitet. Sie enthalten Angaben zu dem Gesetzgebungsvorhaben und eine Zusammenfassung der Ausführun­ gen der Kommission und gegebenenfalls der Bundesregierung zur Einhal­ tung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Vermer­ ke schließen mit einer Beurteilung, die jedoch nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages oder der Bundestagsverwaltung, sondern nur der Verfasserin oder des Verfassers des Vermerks wiedergeben. Sie dienen den Ausschüssen bei der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung von europäischen Rechtsetzungsakten (§ 93a Abs. 1 Satz 1 GO-BT). In der 17. Wahlperiode hat die Bundestagsverwaltung über 15 Subsidiaritätsver­ merke erstellt.101 b) Die Arbeit des Verbindungsbüros Brüssel Der Einrichtung und Eröffnung des Verbindungsbüros in Brüssel im März 2007 ging ein Entschließungsantrag des Bundestages voraus,102 in dem sich die wichtigsten Grundsätze finden, nach denen das Verbindungsbüro arbei­ 101  Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, 186. 102  Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU / CSU, Bündnis 90 / Die Grü­ nen und FDP vom 11.05.2005, BT-Drs. 15 / 5493, S. 4.



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag151

tet: Es dient vornehmlich der Informationsbeschaffung und versteht sich nicht als Interessenvertretung des Deutschen Bundestages bei den europäi­ schen Institutionen. Es wirkt nicht gegenüber den europäischen Einrichtun­ gen an der europäischen Gesetzgebung mit. Die Aufgabe des Verbindungs­ büros ist die Sammlung von Informationen aus „erster Hand“, d. h. direkt von den europäischen Institutionen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Vorfeldbeobachtung und Frühwarnfunktion,103 die es dem Bundestag er­ möglichen soll, politische Positionen zu entwickeln, bevor möglicherweise kurze Reaktionsfristen beginnen. Mit der Novelle des EUZBBG im Jahr 2013104 wurden die Aufgaben des Verbindungsbüros einfachgesetzlich fest­ gehalten (§ 11 EUZBBG). Mit dem Verbindungsbüro macht sich der Bundestag unabhängiger von der Unterrichtung durch die Bundesregierung. Darüber hinaus soll das Ver­ bindungsbüro die parlamentarische Kontrolle der Regierung in europäischen Angelegenheiten unterstützen und effektiver machen.105 Durch die direkte Verbindung zu Mitarbeitern der europäischen Institutionen und anderer na­ tionaler Parlamente erhält das Verbindungsbüro Informationen, die nicht durch die Bundesregierung gefiltert werden können. In dem Verbindungsbüro arbeiten sechs Mitarbeiter der Bundestagsverwal­ tung und zudem insgesamt 12 bis 14 Mitarbeiter der verschiedenen Fraktio­ nen106. Die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung sind zur politischen Neut­ ralität verpflichtet. Sie müssen mithin versuchen, Informationen zu allen ak­ tuellen europapolitischen Themen zu bekommen. Die Fraktionsmitarbeiter können sich hingegen von dem politischen Programm ihrer jeweiligen Frak­ tion leiten lassen und ihre Bemühungen auf diese Themen konzentrieren. Ins­ besondere treffen sie sich häufig offiziell oder inoffiziell mit den Mitarbei­ tern derselben Fraktionsfamilie im Europäischen Parlament, um die jeweili­ gen Standpunkte auszutauschen oder aktuelle Fragen zu klären. Die Frak­ tionsmitarbeiter des Verbindungsbüros nehmen an den frak­ tionsinternen Gremiensitzungen in Berlin zu Beginn jeder Sitzungswoche des Bundestages 103  „Vorfeldbeobachtung, Frühwarnung und Networking“ so beschreibt der Bun­ destag die Aufgaben des Verbindungsbüros auf seiner Internet-Seite: http://www. bundestag.de / bundestag / europa_internationales / eu / verbindungsbuero / index.html. 104  Vgl. oben S. 86 ff. 105  Deutscher Bundestag (Hrsg.), Bundestag und Europa – Europäische Union und Europapolitik im Parlament, 2006, S. 26; dieses Informationsmaterial ist nur noch im Internet veröffentlicht unter: http://webarchiv.bundestag.de / cgi / show. php?id=1087&jahr=2008, Pfad: Startseite > Service > Informationsmaterial > Grundlegende Informationen > Bundestag und Europa). 106  Die Fraktion der CDU / CSU beschäftigte in der 17. WP in der Regel vier, die Fraktionen der SPD und der FDP jeweils zwei, die Fraktion Die Linke einen und die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vier Mitarbeiter im Verbindungsbüro.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

teil.107 Auf diese Weise können sie über die neuesten Informationen und die aktuelle politische Stimmung in Brüssel persönlich berichten und erfahren gleichzeitig aus erster Hand, welche politischen Themen von ihrer Fraktion in Berlin derzeit für besonders wichtig gehalten werden. In diese Treffen werden die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung nicht einbezogen. Dennoch bilden sie ebenfalls Informationsnetzwerke und schaf­ fen Kontakte in alle Richtungen. So haben sie Ansprechpartner in den EUInstitutionen, im Europäischen Parlament, in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, in den Vertretungen der Bundes­ länder in Brüssel, in den Verbindungsbüros anderer nationaler Parlamente und bei Stiftungen und Organisationen.108 Durch diese Verbindungen erhal­ ten die Mitarbeiter neben den offiziellen auch inoffizielle Informationen, Hintergrundinformationen und bekommen politische Stimmungen mit. Diese unterschiedlichen Informationen fließen in eines der wichtigsten Dokumente ein, das die Bundestagsverwaltung aus eigenen Informations­ quellen für die aktuelle europapolitische Arbeit des Bundestages erstellt. Dieser „Bericht aus Brüssel“ wird zu Beginn jeder Sitzungswoche des Bundestages nach Berlin übermittelt, im Intranet des Bundestages veröffent­ licht und an die Abgeordnetenbüros verschickt, die um regelmäßige Über­ sendung gebeten haben. Der „Bericht aus Brüssel“ enthält zu allen wichti­ gen, aktuell in den europäischen Institutionen behandelten Themen eine kurze Zusammenfassung und eine längere Beschreibung des Inhalts, aktuel­ len Standes und der Haltung der beteiligten Institutionen und interessierten Gruppen. Die besondere Bedeutung dieses Dokumentes besteht aber auch darin, dass sich darin Hintergrund- und inoffizielle Informationen finden. In den „Berichten aus Brüssel“ finden sich z. B. Formulierungen wie: „Aus Kommissionskreisen ist zu hören, dass der Vorschlag trotz des Widerstands einiger Mitgliedstaaten vorgelegt werden soll.“, „Hinsichtlich des Termins der Verabschiedung des Vorschlags ist aus Ratskreisen zu hören …“, „Auf Arbeits­ ebene hieß es aus der Kommission hingegen …“, „In der auf die Vorstellung des Berichtsentwurfs folgenden Aussprache kritisierten zahlreiche wortnehmende MdEP anderer Fraktionen diese Erweiterung des Kommissionsvorschlags und sprachen sich vielmehr für eine Beibehaltung der derzeitigen Regelung aus. All­ gemein wird davon ausgegangen, dass der Berichterstatter für [seinen Vorschlag] keine Mehrheit im Ausschuss finden wird. Teilweise wird darauf verwiesen, dass man sich als Kompromiss auf die von der Kommission vorgeschlagene [Ände­ rung] einigen könnte.“109 107  Zum ganzen Absatz: Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angelegenheiten, 2011, S. 245 f. 108  Darstellung der Arbeit des Verbindungsbüros auf den Intranet-Seiten des Deutschen Bundestages (nicht im Internet aufrufbar).



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Der „Bericht aus Brüssel“ transportiert damit nicht nur Informationen über anstehende Vorhaben, abzusehende Neuerungen und Termine, sondern auch Tendenzen und die Stimmungslage in den europäischen Institutio­ nen.110 109

Darüber hinaus werden je nach Eilbedürftigkeit „Kurzmitteilungen“ zu einzelnen Themen erstellt. Darin wird über aktuelle Beratungen und Ar­ beitsergebnisse der EU-Institutionen, den Stand der Behandlung wichtiger EU-Vorhaben und ihrer Beratung in den anderen nationalen Parlamenten sowie über Veranstaltungen und Konferenzen in Brüssel, die für den Bun­ destag von Interesse sein könnten, informiert.111 Solche „Zwischentöne“ und Berichte über die Stimmungslage in Brüssel finden sich in den von der Bundesregierung übermittelten Dokumenten nicht. Der Bundestag hat sich daher mit der Einrichtung des Verbindungs­ büros Brüssel einen direkten „Draht“ zu den auf europäischer Ebene han­ delnden Akteuren geschaffen. Dabei läuft der Informationsfluss in zwei Richtungen. Es werden nicht nur Informationen für den Deutschen Bundes­ tag zusammengestellt, sondern das Verbindungsbüro wird auch als An­ sprechpartner vor Ort wahrgenommen.112 Allerdings achten gerade die Verwaltungsmitarbeiter sehr darauf, dass sich das Büro lediglich als neutra­ le Verbindungsstelle versteht und nicht als Interessenvertretung des Deut­ schen Bundestages angesehen wird. Das Verbindungsbüro des Bundestages in Brüssel wird von den Mitglie­ dern des Bundestages als besonders wichtig beurteilt.113 Dies bezieht sich nicht nur auf die geschilderte Beschaffung und Aufbereitung weiterer Infor­ mationen, sondern auch auf seine Funktion als Brücke und „Türöffner“ zu den Europäischen Institutionen in Brüssel. Für den Bundestag war es zur Stärkung seiner Position im europäischen Mehrebenensystem von großer Bedeutung, in Brüssel „vor Ort“ zu sein und so direkt mit den dort handeln­ den Personen und Institutionen in Kontakt treten zu können.

109  Die Zitate stammen aus dem Bericht aus Brüssel 13 / 2012 vom 24.09.2012, der nur auf der Intranet-Seite des Bundestages veröffentlicht und damit nicht öffent­ lich zugänglich ist. 110  Ebenso: Schulz / Broich, Die Zusammenarbeit zwischen MdB und MdEP – An­ sichten aus dem Maschinenraum, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 131, 142. 111  Darstellung der Arbeit des Verbindungsbüros auf den Intranet-Seiten des Deutschen Bundestages (nicht öffentlich zugänglich). 112  Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angele­ genheiten, 2011, S. 243. 113  Vgl. Sach, Die Europa-Sensoren, Das Parlament vom 03.05.2010, S. 6.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

c) Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments im Europaausschuss Ausgewählte deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments dürfen an den Sitzungen des Europaausschusses des Bundestages teilnehmen (§ 93b Abs. 8 Satz 1 GO-BT). Diese Mitglieder werden vom Bundestagspräsiden­ ten auf Vorschlag der Fraktionen berufen (Satz 2). Sie dürfen die Beratung von Verhandlungsgegenständen anregen, während der Beratungen des Euro­ paausschusses Auskünfte erteilen und dazu Stellung nehmen (Satz 3). Auf dieser Grundlage soll ein direkter Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern des Bundestages und des Europäischen Parlaments gefördert werden. In der gemeinsamen Beratung haben beide Seiten die Gelegenheit, die aktuellen Entwicklungen in den jeweiligen Parlamenten zu diskutieren, Anregungen zu geben und gemeinsame Standpunkte und Strategien zu ent­ wickeln. In der 17. Wahlperiode wurden 16 Mitglieder des Europäischen Parlaments als mitwirkungsberechtigte Mitglieder im Europaausschuss aus­ gewählt. Das Ziel einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Bundestag und dem Europäischen Parlament ist nicht neu. Schon die in den drei Gründungsver­ trägen genannte „Versammlung“114 setzte sich aus Mitgliedern der Parlamen­ te der Mitgliedstaaten zusammen. Aus diesem sogenannten „obligatorischen Doppelmandat“ sollte sich eine „organische Verbindung“ zwischen den natio­ nalen Parlamenten und der europäischen Versammlung ergeben, die besonde­ re Kooperations- und Informationsmechanismen überflüssig machte. Auch wenn diese Idee vor dem Hintergrund der Überlegungen, eine Versammlung von Vertretern der Parlamente der Mitgliedstaaten als europäische Institution zu schaffen,115 sehr fortschrittlich scheint, sahen laut einer Umfrage aus dem Jahr 1977 viele Träger des Doppelmandats ihre „Doppelrolle“ als ungeeigne­ ten Informationskanal an. Zudem führe das Doppelmandat zu einer erhebli­ chen Doppelbelastung, die ihre Arbeit insgesamt ineffektiv mache.116 Mit der 114  Art. 21

EGKS V, Art. 107 EAGV, Art. 137 EWGV. diesem Zusammenhang wird häufig auf die Rede des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer im Rahmen der Vortragsreihe: Forum Constitutio­ nis Europae verwiesen: Vom Staatenverbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration, Vortrag an der Humboldt Universität zu Ber­ lin am 12.05.2000, Rdnr. 34 f., im Internet aufrufbar unter: http://www.whi-berlin. eu / documents / fischer.pdf); vgl. außerdem: Töller, Dimensionen der Europäisierung – Das Beispiel des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 25, 46 f., m. w. N.; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S.  553 ff. 116  Vgl. zum ganzen Absatz und zur Geschichte des Doppelmandats: Seider, Zu­ sammenarbeit von deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und des Deutschen Bundestages und ihr Beitrag zum Abbau des parlamentarischen Defizits in der Europäischen Gemeinschaft, 1990, S. 175 ff. 115  In



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Einführung der Direktwahl zum Europäischen Parlament im Jahr 1979 entfiel das „obligatorische Doppelmandat“. Zwar konnten weiterhin Mitglieder des Deutschen Bundestages auch in das Europäische Parlament gewählt werden („fakultatives Doppelmandat“), bis 1988 ging das Doppelmandat jedoch auf rund 6 % der Mitglieder des Europäischen Parlaments zurück. Nach der Bun­ destagswahl im Jahr 1983 gab es kein Mitglied des Deutschen Bundestages mehr, das auch Mitglied des Europäischen Parlaments war.117 Dennoch wur­ de die Grundidee, deutsche Europaabgeordnete an der Mitwirkung des Deut­ schen Bundestages in europäischen Angelegenheiten zu beteiligen, nicht fal­ lengelassen.118 In den Folgejahren kam es zur Einrichtung verschiedener eu­ ropapolitischer Kommissionen und Gremien des Bundestages.119 Zwar hatten diese verschiedenen Gremien noch recht geringen Einfluss auf die nationale Europapolitik,120 dennoch gehörten ihnen stets auch deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments an. Die heute berechtigten Mitglieder des Europäischen Parlaments nehmen jedoch in der Praxis nur selten an den Sitzungen des Europaausschusses 117  Vgl. zum Absatz erneut: Seider, Zusammenarbeit von deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und des Deutschen Bundestags und ihr Beitrag zum Abbau des parlamentarischen Defizits in der Europäischen Gemeinschaft, 1990, S.  175 f.; Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3, 4; Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bun­ desrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 76. 118  Vgl. zu den weiteren historischen Entwicklungen: Süssmuth, Die Rolle des Deutschen Bundestages im Europäischen Einigungsprozeß zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Hellwig (Hrsg.), Der Deutsche Bundestag und Europa, 1993, S. 10, 12; Kabel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Eu­ ropäischen Union, in: Grabitz / Randelzhofer et  al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 241, 241 f.; Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegenhei­ ten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3, 4 ff. 119  1983: „Europa-Kommission“ in Form einer Enquête-Kommission nach § 56 GO-BT; 1987:„Unterausschuss für Fragen der Europäischen Gemeinschaften“ beim Auswärtigen Ausschuss; 1991: „EG-Ausschuss“ als eigenständiger Bundestagsaus­ schuss. 120  Vgl. zu den Einzelheiten: Süssmuth, Die Rolle des Deutschen Bundestages im Europäischen Einigungsprozeß zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Hellwig (Hrsg.), Der Deutsche Bundestag und Europa, 1993, S. 10 ff.; Seider, Zusammenar­ beit von deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlamentes und des Deutschen Bundestags und ihr Beitrag zum Abbau des parlamentarischen Defizits in der Euro­ päischen Gemeinschaft, 1990, S. 175 ff.; Fuchs, Der Ausschuss für die Angelegen­ heiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, ZParl 2004, 3 ff.; Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtset­ zung, 2001, S. 278; Lorenz, Entstehung und Arbeitsweise des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, 2004, S.  20 ff.; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 240 ff.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

teil.121 Dies liegt in erster Linie an den sich oft überschneidenden Sitzungs­ wochen von Europäischem Parlament und Bundestag. So lagen z. B. im Jahr 2012 alle Sitzungswochen des Bundestages in derselben Woche wie eine Sitzungswoche (Plenum oder Ausschüsse)122 des Europäischen Parlaments. In den Sitzungswochen des Bundestages tagt der Europausschuss – wie alle Bundestagsausschüsse – am Mittwoch. In Sitzungswochen des Europäi­ schen Parlaments ist Mittwoch ebenfalls der Hauptsitzungstag, so dass es den Mitgliedern des Europäischen Parlaments schon aufgrund dieser zeit­ lichen Überschneidung schwerfällt, an Sitzungen des Europaausschusses teilzunehmen. Allerdings tagt der Europaausschuss etwa ein- bis zweimal im Jahr in Brüssel oder verschiebt seine Sitzung in Berlin auf einen Freitag, um den Mitgliedern des Europäischen Parlaments die Teilnahme zu ermög­ lichen.123 Gerade an den Sitzungen in Brüssel nimmt ein großer Teil der mitwirkungsberechtigten Mitglieder teil, aber auch sonstige Mitglieder des Europäischen Parlaments. Da dies jedoch eher seltene Ereignisse sind, füh­ ren sie nur bedingt zu dem eigentlich vorgesehenen steten Informationsaus­ tausch. Die gemeinsame Beratung scheint für beide Seiten aufgrund der unter­ schiedlichen Arbeitsinhalte im Übrigen auch inhaltlich nicht ausreichend attraktiv zu sein, um die dargestellten organisatorischen Hürden zu beseiti­ gen. Dabei könnte es eine Rolle spielen, dass vor allem die Zielrichtung der Einflussnahme, aber auch die Informationsbasis zwischen dem Bundestag und dem Europäischen Parlament oft nicht kongruent sind. Die Beratungen des Europaausschusses dienen im Wesentlichen der innerstaatlichen Mitwir­ kung des Bundestages an europapolitischen Entwicklungen gegenüber der Bundesregierung und hier insbesondere mit Schwerpunkt auf den institutio­ nellen europäischen Fragen. Das Europäische Parlament hingegen nimmt allein an der Willensbildung auf Unionsebene und insbesondere gegenüber 121  Laut Sekretariat des Europaausschusses nehmen Mitglieder des Europäischen Parlaments überschlägig an etwa einem Viertel der Ausschusssitzungen teil. Dann handelt es sich jedoch in der Regel auch jeweils nur um ein bis zwei der insgesamt 16 mitwirkungsberechtigten Mitglieder des Europäischen Parlaments. Vgl. zu die­ sem schon länger bestehenden Problem: Kabel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, in: Grabitz / Randelzhofer et al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 241, 261 f. 122  Der Kalender des Europäischen Parlaments besteht aus zwölf viertägigen Plenarwochen in Straßburg und sechs zweitägigen Plenarwochen in Brüssel pro Jahr, 28 Wochen pro Jahr für Sitzungen der Ausschüsse und interparlamentarischen Dele­ gationen (plus eine Woche pro Monat für Fraktionssitzungen, die allerdings jeweils in der Woche der Ausschusssitzungen liegen) und somit aus insgesamt rund 40 Wochen pro Jahr. 123  In der 17. Wahlperiode tagte der Europaausschuss z. B. am 24.06.2010 (19. Sitzung) und am 07.12.2011 (52. Sitzung) in Brüssel.



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der Kommission und dem Rat teil. Die Arbeitsschwerpunkte sind daher teilweise unterschiedlich, so dass eine Zusammenarbeit nicht in allen Berei­ chen effektiv erscheint. Der Informationsaustausch findet somit nur eingeschränkt statt. Dennoch führt die Mitwirkungsberechtigung der deutschen Mitglieder des Europäi­ schen Parlaments dazu, dass sich die Mitglieder des Europäischen Parla­ ments und des Europaausschusses des Bundestages persönlich kennen und so auf informeller Ebene bei Bedarf ein schneller und direkter Informations­ austausch, z. B. per Telefon oder per E-Mail, stattfinden kann. d) Der Informationsaustausch im Rahmen der COSAC Die „Conférence des Organes Parlementaires Spécialisés dans les Affaires de l’Union des Parlements de l’Union Européenne“ (COSAC) ist die Ver­ sammlung der Europaausschüsse der Parlamente aller Mitgliedstaaten.124 Sie soll dem regelmäßigen Informations- und Meinungsaustausch zwischen den beteiligten Parlamentariern dienen. Im Rahmen dieser Konferenz treffen sich jeweils sechs Vertreter der Europaausschüsse125 der nationalen Parla­ mente und sechs Vertreter des Europäischen Parlaments zweimal im Jahr. Diese Treffen finden in dem Mitgliedstaat statt, der gerade die Ratspräsi­ dentschaft innehat. Für die deutschen Parlamente nehmen in der Regel vier Vertreter des Europaausschusses des Bundestages und zwei Vertreter des Ausschusses für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates teil.126 Der Bundestag wird stets von dem Vorsitzenden des Europaausschusses vertreten. Von den weiteren drei Plätzen entfallen zwei auf die großen Frak­ tionen von CDU / CSU und SPD. In der 17. Wahlperiode teilten sich die kleineren Fraktionen von FDP, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke den vierten Platz, der im Rotationsverfahren besetzt wurde. Die Mitglieder die­ ser kleineren Fraktionen nahmen daher nur an jeder dritten Konferenz (alle 18 Monate) teil. In der 18. Wahlperiode teilen sich nur die Fraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke diesen vierten Platz, so dass ihre Vertreter an jeder zweiten Konferenz teilnehmen können. Etwa drei Monate vor den jeweiligen Konferenzen treffen sich die Vorsitzenden der nationalen 124  Vgl. zur Geschichte der COSAC die Darstellung auf der Internet-Seite der COSAC: http://www.cosac.eu / about / . 125  Oder vergleichbarer Gremien der nationalen Parlamente. 126  Siehe die Darstellungen auf den Internet-Seiten des Bundestages: http://www. bundestag.de / bundestag / ausschuesse17 / a21 / cosac / index.html und des Bundesrates, Pfad: www.bundesrat.de > Gremien und Konferenzen > Interparlamentarische Zu­ sammenarbeit > Konferenz der Ausschüsse für Unionsangelegenheiten der Parla­ mente der Europäischen Union.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Europaausschüsse, um die nächste Konferenz vorzubereiten.127 Die Vorsit­ zenden der Europaausschüsse treffen sich in diesem Rahmen somit viermal, die übrigen Teilnehmer zweimal im Jahr, soweit sich die personelle Zusam­ mensetzung der Delegation nicht ändert. Die COSAC wurde erstmals im Protokoll Nr. 9 zum Amsterdamer Ver­ trag128 von 1999 erwähnt. In Art. 10 des Protokolls Nr. 1 zum Lissabon-Ver­ trag über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union (Protokoll nationale Parlamente – Lissabon) ist die Rolle der Konferenz der Europa-Ausschüsse der Parlamente primärrechtlich umrissen. Danach kann die Konferenz im Wesentlichen auf zwei Wegen handeln: Sie kann zum einen auf europäischer Ebene gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission „Beiträge“ („Contributions“),129 d. h. Anregungen und Vorschläge, zu jedem Thema vorlegen (Art. 10 Satz 1 Protokoll nationale Parlamente – Lissabon). Diese „Beiträge“ der Konferenz binden allerdings die nationalen Parlamente nicht und greifen ihrem Standpunkt nicht vor (Art. 10 Satz 4 Protokoll nationale Parlamente – Lissabon). Zum anderen soll sie auf interparlamentarischer Ebene den Austausch von Informationen und bewährten Verfahrensweisen („best practice“) zwischen den Parlamenten und dem Europäischen Parlament einschließlich der Fachausschüsse fördern (Art. 10 Satz 2 Protokoll nationale Parlamente – Lissabon). Primärrechtlich ist außerdem vorgegeben, dass die nationalen Parlamente aktiv zur guten Arbeitsweise der Union beitragen, indem sie sich an der interparlamentarischen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamen­ ten einerseits und dem Europäischen Parlament andererseits beteiligen (Art. 12 Buchstabe f) EUV). Auch wenn dabei weder ausdrücklich noch ausschließlich auf die Beteiligung an der COSAC verwiesen wird, kommt der COSAC eine hervorgehobene Rolle bei der Stärkung der interparlamen­ tarischen Zusammenarbeit zu.130 127  Vgl. Ziff. 2.3 der COSAC-Geschäftsordnung (Geschäftsordnung der Konfe­ renz der Ausschüsse für Unionsangelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union – EU-Abl. 2011 / C 229 / 01). 128  Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union. 129  Der Inhalt der Beiträge ist darauf gerichtet, von den europäischen Organen bei weiteren europäischen Entwicklungen berücksichtigt zu werden. Allerdings sind sie – aufgrund des Konsensprinzips – eher allgemein gehalten. Konkrete Forderungen oder Vorschläge zu einem aktuellen Gesetzgebungsvorschlag enthielten die Beiträge der COSAC bisher nicht. Vgl. dazu ausführlich Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 158 ff.; sowie die einzel­ nen Beiträge in englischer oder französischer Sprache auf der Internet-Seite der COSAC: http://www.cosac.eu / documents / contributions-and-conclusions-of-cosac / . 130  Calliess, in: ders. / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, Kommentar, 4. Auflage 2011, EUV Art. 12 Rdnr. 53.



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag159

Allerdings setzt das Primärrecht nicht ausschließlich auf die COSAC, um die interparlamentarische Zusammenarbeit zu fördern, wie sich aus Art. 9 des Protokolls nationale Parlamente – Lissabon ergibt. Danach legen das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente gemeinsam fest, „wie eine effiziente und regelmäßige Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten innerhalb der Union gestaltet und gefördert werden kann“131. Bisher ist es neben teilweise regelmäßigen, aber nicht institutionalisierten („ad-hoc“) „Gemeinsamen parlamentarischen Treffen“ und „Gemeinsamen Treffen der parlamentarischen Ausschüsse“ jedoch noch nicht zu einer systematischen institutionalisierten Zusammenarbeit außerhalb der COSAC gekommen.132 Das erste Ziel der COSAC, durch interparlamentarische Zusammenarbeit auf die Entscheidungen auf Unionsebene aktiv Einfluss zu nehmen, konnte die Konferenz in der Vergangenheit nicht umsetzen. Inhaltlich beschäftigen sich die COSAC-Konferenzen sowohl mit aktuellen als auch mit zukunfts­ orientierten Themen. Da ihre „Beiträge“ jedoch gegenüber den europäischen Institutionen nicht bindend sind, wird ihnen in der Wissenschaft,133 aber auch in der Praxis134 eine sehr geringe Wirkung zugesprochen. Der An­ spruch, der heute an die Arbeit der COSAC gestellt wird, hat sich vor diesem Hintergrund verändert. Es wird nicht erwartet, dass die COSAC einen direkten, messbaren Einfluss auf die europäische Politik hat, sie soll sich vielmehr auf ihre zweite Zielrichtung konzentrieren, nämlich ein Forum für den interparlamentarischen Informationsaustausch zu bieten und so die Bildung von Netzwerken zwischen den Parlamentariern zu ermöglichen.135 131  Art. 9

Protokoll nationale Parlamente-Lissabon. den Bericht des Europäischen Parlaments über die Entwicklung der Be­ ziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten im Rahmen des Vertrags von Lissabon (2008 / 2120(INI) – P6_A(2009)0133 FULL), in dem die Zusammenarbeit des Europäischen Parlaments und den nationalen Parla­ menten als „relativ positiv, wenn auch noch nicht in hinreichendem Maße, entwickelt“ bewertet wird (Erwägungsgrund 2.; der Bericht ist im Internet aufrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu / RegistreWeb / search / simple.htm?fulltext=2008 %2F2 120 %28INI%29&language=DE); außerdem dazu: Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 162 ff. 133  Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 207 f. m. w. N.; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S.  160 f.; Schulz / Broich, Die Zusammenarbeit zwischen MdB und MdEP – Ansich­ ten aus dem Maschinenraum, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Par­ lamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 131, 135. 134  Vgl die Wiedergabe einzelner Aussagen in den Gesprächen, die Fabian Schulz im Jahr 2009 mit Mitgliedern des Bundestages, der Fraktionen und der Bundestags­ verwaltung zum Thema geführt hat: Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundes­ tages in europäischen Angelegenheiten, 2011, S. 193 f. 135  Zu diesen Erwartungen an die COSAC für die Wissenschaft: Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 166; 132  Vgl.

160

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Aus diesen Gründen hat sich der Europaausschuss des Bundestages bereits im Jahr 1997 gegen eine weitere Institutionalisierung der COSAC ausge­ sprochen, gleichzeitig aber ausdrücklich den Status der COSAC „als flexible Form des offenen Informations- und Meinungsaustausches zwischen den Mitgliedern der nationalen Parlamente“ betont.136 Die COSAC selbst hat auf diese Entwicklung reagiert und legt einen deutlichen Schwerpunkt darauf, einen regen Informationsaustausch zwischen den nationalen Parlamenten zu ermöglichen. So finden sich auf der Inter­ netseite der COSAC umfängliche Darstellungen der nationalen Europagre­ mien der Parlamente, ihrer Kompetenzen und der Kontaktdaten.137 Darüber hinaus untersucht der 17. Halbjahresbericht (April 2012)138 der COSAC unter anderem sehr ausführlich den Austausch von Informationen zwischen den nationalen Parlamenten, insbesondere über die Datenbank „Interparlia­ mentary EU Information Exchange“ (IPEX)139. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass der interparlamentarische Informationsaustausch über diese Datenbank, aber auch auf sonstigem Wege weiter zunimmt und damit im­ mer wichtiger wird.140 In diesem Rahmen geht es den Parlamenten vor­ nehmlich um die Frage, wie die anderen mitgliedstaatlichen Parlamente die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit bei neuen Gesetzgebungsvorschlägen bewerten.141 Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angelegenhei­ ten, 2011, S. 191 f.; Lorenz, Entstehung und Arbeitsweise des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages, 2004, S. 98 ff., 104. Für die Praxis: Interview mit Gabriele Molitor, MdB (FDP-Obfrau im Europa­ ausschuss), im Jahr 2012, veröffentlicht auf der Internet-Seite des Deutschen Bun­ destages: http://www.bundestag.de / dokumente / textarchiv / 2012 / 40913642_kw41_in terview_molitor / index.html; Interview mit Michael Stübgen, MdB (Obmann der CDU / CSU-Fraktion im Europaausschuss) im Jahr 2012 (im Internet aufrufbar unter: http://www.bundestag.de / dokumente / textarchiv / 2012 / 38645319_kw16_stuebgen_ cosac / index.html); Interview mit Gunter Krichbaum, MdB (Vorsitzender des Euro­ paausschusses des Bundestages), im Jahr 2011 (veröffentlicht auf der Internet-Seite des Deutschen Bundestages: http://www.bundestag.de / dokumente / textarchiv / 2011 /  34565674_kw21_cosac / index.html). 136  Bericht vom 03.02.1997, BT-Drs. 13 / 6891, S. 1 f. 137  Vgl. die Darstellungen und Informationen im Rahmen des Menüpunktes „Par­ liamentary Information“ auf der Internet-Seite der COSAC: http://www.cosac. eu / parliaments / . 138  17. Halbjahresbericht in englischer Sprache im Internet aufrufbar unter: http:// www.cosac.eu / documents / bi-annual-reports-of-cosac / ; der Bericht wurde der 47. COSAC-Konferenz im April 2012 vorgelegt. 139  Internet-Seite der IPEX: http://www.ipex.eu / IPEXL-WEB / home / home.do?app Lng=DE, vgl. dazu auch unten S. 163 ff. 140  17. Halbjahresbericht der COSAC, S. 12, Graph 4. 141  17. Halbjahresbericht der COSAC, S. 12.



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag161

Neben diesem interparlamentarischen Dialog unterstützt die COSAC die nationalen Parlamente aber auch bei ihren Bemühungen, Informationen di­ rekt von den europäischen Organen zu erhalten. In ihrem Dokument „Be­ richt und Schlussfolgerungen“ drängt die 47. COSAC-Konferenz (April 2012) die Kommission, ihren politischen Dialog („political dialogue“142) mit den nationalen Parlamenten, insbesondere in Bezug auf das Europäische Semester und die Binnenmarktregeln, zu erweitern. Dabei soll den nationa­ len Parlamenten auch die Möglichkeit gegeben werden, ihre Standpunkte in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Die Kommission wird daher in dem Bericht gebeten, die nationalen Parlamente vor öffentlichen Anhörun­ gen143 zu informieren, damit sie sich schon in diesem Stadium an dem Gesetzgebungsprozesses beteiligen können.144 Auch wenn die Kommission auf dieses Drängen positiv geantwortet und einen verstärkten politischen Dialog mit den nationalen Parlamenten versprochen hat,145 bittet die CO­ SAC die Kommission in ihrem Beitrag in der Folge ihrer 48. Konferenz (Oktober 2012) erneut, ihre Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamen­ ten zu verstärken. Dabei möge die Kommission inhaltlich ausführlichere und schnellere Antworten auf Fragen und Vorschläge der nationalen Parla­ mente geben. Darüber hinaus solle der Jahresbericht der Kommission über die Beziehungen zu nationalen Parlamenten deutlicher darstellen, welchen Einfluss die Anregungen der nationalen Parlamente auf den jeweiligen Ge­ setzesentwurf der Kommission hatten.146 Der COSAC geht es somit ver­ stärkt darum, dass die nationalen Parlamente weder von den notwendigen Informationen noch von dem politischen Dialog mit der Kommission abge­ schnitten werden.147 Die nationalen Parlamente sollen so selbst, und nicht über die COSAC, direkten Einfluss auf die europäischen Organe ausüben können. Die Zahl der Mitarbeiter, die mit europapolitischen Fragen und der Un­ terstützung der Abgeordneten in diesem Politikfeld betraut sind, ist in den 142  Vgl.

dazu unten S. 209. Art. 2 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidia­ rität und der Verhältnismäßigkeit („Subsidiaritätsprotokoll“ – EU-Abl. Nr. C 306, S. 150). 144  Beitrag und Schlussfolgerungen („Contribution and Conclusions“) der 47. COSAC, April 2012, Ziff. 6.1. ff.; (im Internet aufrufbar unter: http://www.cosac. eu / documents / contributions-and-conclusions-of-cosac / ). 145  Vgl. den Beitrag („Contribution“) der 48. COSAC, Oktober 2012, Ziff. 5.2.; (im Internet aufrufbar unter: http://www.cosac.eu / documents / contributions-and-con clusions-of-cosac / ). 146  Beitrag („Contribution“) der 48. COSAC, Oktober 2012, Ziff. 5.3. 147  Vgl. dazu auch den 18. Halbjahresbericht der COSAC vom 27.09.2012, Kapitel 1.2., Seite 9 (im Internet in englischer Sprache aufrufbar unter: http://www.cosac. eu / 48-cyprus-2012 / plenary-meeting-of-the-xlviii-cosac-14-16-october-2012-nicos / ). 143  Vgl.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

mitgliedstaatlichen Parlamenten sehr unterschiedlich. Der Deutsche Bundes­ tag verfügt mit rund 60 Mitarbeitern mit Abstand über die meisten Mitar­ beiter auf diesem Gebiet.148 Der größte Teil der nationalen Parlamente und Kammern beschäftigt in diesem Bereich jedoch nur fünf bis neun Mitarbei­ ter. Diesen Parlamenten ist es somit nur eingeschränkt möglich, jedenfalls die wichtigen europapolitischen Entscheidungen umfassend parlamentarisch zu begleiten. Die COSAC kann insofern gerade diesen Parlamenten bei der Beschaffung von Informationen und der Vernetzung der Parlamente unter­ einander entscheidende Hilfestellung geben. Auch wenn sich die Arbeit der COSAC nicht in messbaren Erfolgen niederschlägt, ist sie für die regelmäßig an der Konferenz teilnehmenden Mitglieder des Bundestages und deren Mitarbeiter eine wichtige Einrich­ tung. Allerdings geht es auch hier weniger um den Einfluss, den die CO­ SAC direkt ausüben kann, sondern um die informellen Kontakte, die auf den Konferenzen mit den Parlamentariern anderer nationaler Parlamente geknüpft werden.149 Die Vorsitzenden der Europaausschüsse treffen sich vier Mal im Jahr, dies führt dazu, dass „man sich gut kennt“. Soweit die Vorsitzenden nicht häufig wechseln, kommt es so zu einem steten Informa­ tionsaustausch. Dies macht es z. B. dem Vorsitzenden des Europaausschus­ ses des Bundestages leichter, seinen französischen, britischen oder spani­ schen Kollegen anzurufen, um ein bestimmtes europäisches Vorhaben und die Haltung der nationalen Parlamente zu diskutieren. Nicht zu unterschät­ zen sind in diesem Zusammenhang auch die Kontakte, die auf den COSACKonferenzen zwischen den die jeweilige Delegation begleitenden Mitarbei­ tern der Parlamentsverwaltungen (Mitarbeiter des Ausschusssekretariats) entstehen. Diese Mitarbeiter sind teilweise deutlich länger in ihrer Position als die Mitglieder des Parlaments selbst, die sich spätestens mit jeder Wahl ändern können. Die Parlamentsmitarbeiter haben häufig mehr COSACKonferenzen mitgemacht als die Mitglieder der Parlamente und kennen sich daher oft sehr gut untereinander. Auch diese Kontakte sind für die Vernet­ zung der nationalen Parlamente untereinander sehr hilfreich, da sie die Hürde herabsetzen, auf der Arbeitsebene mit einem Ansprechpartner in ei­ nem anderen nationalen Parlament direkt und gegebenenfalls ohne formale Ankündigung Kontakt aufzunehmen.

148  Vgl. dazu bereits oben S. 144. Sowie die Zahlen aus dem 20. Halbjahresbe­ richt der COSAC (Oktober 2013), Tabelle 1, S. 19; aufrufbar auf der Internetseite der COSAC: http://www.cosac.eu / documents / bi-annual-reports-of-cosac /. 149  Dies wird bestätigt in dem 21. Halbjahresbericht der COSAC vom 19. Juni 2014, S. 8 ff., aufrufbar auf der Internetseite der COSAC: http://www.cosac.eu / docu ments / bi-annual-reports-of-cosac / .



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag163

e) Die interparlamentarische Kommunikationsdatenbank IPEX Eng mit diesen Aktivitäten der COSAC verbunden ist das Angebot der internetbasierten Datenbank IPEX. Auf ihren Konferenzen in den Jahren 2000, 2003 und 2004 beschlossen die Parlamentspräsidenten eine Daten­ bank aufzubauen, die die interparlamentarische Kommunikation in europäi­ schen Angelegenheiten unterstützen soll.150 Seit Beginn des Jahres 2006 kann die Datenbank151 genutzt werden. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt der nationalen Parlamente, einschließlich der Parlamente der Beitrittskandidaten und des Europäischen Parlaments. Das sogenannte IPEX-Board trifft nach den Vorgaben der Parlamentspräsidenten Beschlüsse über die Entwicklung von IPEX. Den Vorsitz des IPEX-Boards hat seit dem Jahr 2010 der Deut­ sche Bundestag. Dieser Vorsitz wird vom Direktor beim Deutschen Bundes­ tag wahrgenommen. In der Datenbank finden sich zu jedem Vorhaben der Union Informatio­ nen über den Stand und die Ergebnisse der Prüfung des Vorhabens durch die mitgliedschaftlichen Parlamente oder deren Kammern. Mittels der sehr übersichtlich und umfassend ausgestalteten Suchfunktion können zu jedem Vorhaben die Informationen der anderen Parlamente und Kammern abgeru­ fen werden, soweit diese bereits eingestellt wurden. Durch ein leicht zu verstehendes System von Symbolen, die sich neben den von den Parlamen­ ten eingestellten Informationen und Dokumenten befinden, kann schnell erfasst werden, ob ein Parlament eine Subsidiaritätsrüge abgegeben hat. Auch Dokumente im Rahmen des politischen Dialogs zwischen den Parla­ menten und der Kommission werden in die Datenbank aufgenommen. So können die Antworten der Kommission auf Fragen eines nationalen Parla­ ments auch von den anderen Parlamenten eingesehen werden. In der parlamentarischen Praxis wird von IPEX reger Gebrauch gemacht. Im Rahmen eines Subsidiaritätstestlaufs152 der COSAC im Herbst 2009 haben mehr als die Hälfte der an dem Testlauf teilnehmenden Parlamente oder Kammern angegeben, dass sie bei ihrer Prüfung der Subsidiarität des betreffenden Gesetzesvorhabens die Ergebnisse und Stellungnahmen der 150  Vgl. die Darstellung der Geschichte und des Aufbaus von IPEX (in englischer Sprache): IPEX Factsheet 1 und IPEX Factsheet 2, die auf der Internet-Seite der IPEX aufgerufen werden können: http://www.ipex.eu / IPEXLWEB / about / guidelines. do?appLng=DE; siehe auch die kurze, aber informative Darstellung von IPEX von Jaensch, „Aktueller Begriff – Europa“ vom 13.11.2012, Bundestagsverwaltung, Re­ ferat PA 1 Europa (auf der Internet-Seite des Bundestages aufrufbar unter http:// www.bundestag.de / dokumente / analysen / 2012 / IPEX.pdf.). 151  www.ipex.eu. 152  Vgl. zu den Subsidiaritätstestläufen der COSAC unten Kapitel B., Fn. 309.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

anderen Parlamente verfolgt haben.153 Auch im Bundestag wird IPEX vor allem von den mit der Subsidiaritätsprüfung eines europäischen Gesetzes­ vorhabens betrauten Parlamentariern und Mitgliedern der Bundestagsver­ waltung als gute Informationsquelle angesehen.154 IPEX stellt sich daher heute als eine nützliche Kommunikationsplattform dar, die die Vernetzung und den Informationsaustausch über die parlamentarischen Subsidiaritäts­ prüfungen weiter vertieft. Da die Plattform im Internet der Öffentlichkeit zugänglich ist, ist diese Form der interparlamentarischen Kommunikation zudem in hohem Maße transparent. f) Die Information durch öffentlich zugängliche Presse- und Medienberichte Große Bedeutung haben die Informationen, die die Mitglieder des Bun­ destages der Presse und den Medien entnehmen. Sehr anschaulich wurde dies dargestellt im Sachverhalt der Entscheidung des Bundesverfassungsge­ richts zu den Informationsrechten des Bundestages vom 19. Juni 2012.155 Demnach wurden im Frühjahr 2011 Informationen und Vertragsentwürfe zum geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus und Euro-Plus-Pakt, über die zunächst nur die Bundesregierung aufgrund ihrer (intergouverne­ mentalen) Verhandlungen mit den anderen Vertragspartnern verfügte, an die Presse „durchgesteckt“. Mitglieder des Bundestages lasen dies und forderten von der Regierung, diese Informationen ebenfalls offiziell zu erhalten. Die Weigerung, die entsprechenden Dokumente zu übersenden, und die Erläute­ rungen der Bundesregierung zu diesen Vorhaben waren nach Ansicht vieler Parlamentarier nicht befriedigend. Das angerufene Bundesverfassungsgericht erklärte diese Informationspolitik der Bundesregierung für verfassungswid­ rig.156 Aber auch bei weniger krisengeprägten Themen entnehmen die Ab­ geordneten einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Informationen der Presse und sonstigen Medien. Dabei geht es in der Regel jedoch weniger um dem Bundestag bisher noch nicht vorliegende Dokumente, sondern eher um die kompakte Darstellung eines Themas, um Hintergrundinformationen aus an­ 153  Vgl. die Antworten der nationalen Parlamente und Kammern jeweils auf Fra­ ge Nr. 10 im Annex des Berichtes zum letzten Testlauf (zu COM (2009) 154). Der Annex kann im Internet auf den Seiten der COSAC aufgerufen werden unter http:// www.cosac.eu / report-09_154 / b-annex.pdf. 154  Siehe auch Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäi­ schen Angelegenheiten, 2011, S. 220; Mellein, Die Rolle von Bundestag und Bun­ desrat in der Europäischen Union, EuR-Bei 2011, 13, 51. 155  BVerfGE 131, 152, 155 ff., AbsNr. 5 bis 42 – parlamentarische Informations­ rechte. 156  Vgl. die Darstellung der Entscheidung oben S. 56 ff.



II. Die Organisation der Informationen im Bundestag165

deren Mitgliedstaaten, aber auch um die Ansichten und Bewertungen ande­ rer Parteien, politischer und gesellschaftlicher Gruppen sowie der Presse selbst. Dies wird ergänzt durch wissenschaftliche Literatur und Artikel in einschlägigen Fachzeitschriften, auf die die Abgeordneten und ihre wissen­ schaftlichen Mitarbeiter zurückgreifen. Diese Medien werden somit vor al­ lem dazu genutzt, bereits vorliegende Informationen zu ergänzen, damit ein Gesamtbild entstehen kann, auf dessen Basis anschließend die Analyse der Information erfolgt. g) Die sonstigen Kontakte des Bundestages und seiner Mitglieder Neben diesen stetigen Informationsquellen verfügen die Gremien des Bundestages und die Abgeordneten über vielfältige Kontakte, über die sie weitere Informationen austauschen. So lädt z. B. der Europaausschuss des Bundestages regelmäßig Gesprächspartner und Gäste zu seinen Sitzungen ein, die er zu aktuellen europapolitischen Themen befragt und diese mit ihnen diskutiert. Unter diesen Gesprächspartnern und Gästen finden sich häufig Mitglieder der Regierungen anderer Mitgliedstaaten, Mitglieder der Bundesregierung, Vertreter der Institutionen der Union und Experten, die zu einem Gespräch über besondere europapolitische und -rechtliche Themen eingeladen werden.157 Zudem führen viele Fachausschüsse des Bundestages regelmäßig auswärtige Ausschusssitzungen in Brüssel und Delegationsreisen nach Brüssel zu den Europäischen Institutionen durch. Dabei besprechen sie aktuelle europapolitische Themen ihres jeweiligen Politikbereichs mit Mit­ gliedern des Europäischen Parlaments, Vertretern der Kommission und an­ deren Institutionen der Union. Auch einzelne Abgeordnete reisen häufig nach Brüssel, um dort über europapolitische Themen, bei denen sie z. B. Berichterstatter sind, das Gespräch zu suchen. Sie nehmen an zahlreichen interparlamentarischen Treffen beim Europäischen Parlament, an Anhörun­ gen seiner Ausschüsse zu bestimmten Gesetzgebungsverfahren sowie an parlamentarischen Begegnungen auf Einladung der jeweiligen Ratspräsi­ dentschaft teil.158 Die Zahl dieser interparlamentarischen Treffen wird in der Zukunft – schon durch die in der Finanz- und Staatsschuldenkrise verstärk­ te interparlamentarische Zusammenarbeit – voraussichtlich weiter steigen. 157  Eine Auswahl der vom Europaausschuss in der 17. Wahlperiode eingeladenen Gesprächspartner und Gäste und der mit ihnen besprochenen Themen ist im Inter­ net aufrufbar unter: https://www.bundestag.de / bundestag / ausschuesse17 / a21 / gaeste. html. 158  Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S.  177, 188 f.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Schließlich verfügen viele Abgeordnete, die sich regelmäßig mit europa­ politischen Themen beschäftigen und oft an Treffen in Brüssel teilnehmen, über informelle Kontakte zu Mitgliedern und Mitarbeitern der europäischen Institutionen, die dort in demselben Politikbereich tätig sind. Diese Kontak­ te sind für die Arbeit der Abgeordneten äußerst wichtig und werden sorg­ fältig von den Abgeordnetenbüros gepflegt. Der Vorgabe, dass die nationalen Parlamente aktiv zur guten Arbeitswei­ se der Union beitragen, indem sie sich an der interparlamentarischen Zu­ sammenarbeit beteiligen (Art. 12 Buchstabe f) EUV), kommt der Bundestag nicht zuletzt durch diese formellen und informellen Treffen nach. Durch sie erhalten die Abgeordneten nicht nur Fakten, sondern auch Hintergrundinfor­ mationen und politisch wichtige Hinweise, wie z. B. die Gründe, warum verschiedene Personen und Institutionen gerade an einer bestimmten Posi­ tion festhalten. Durch diesen regen Informationsaustausch bildet sich ein politischer Raum, innerhalb dessen die Politiker verhandeln und Entschei­ dungen treffen. Normativ kann dieser Raum weder durchdrungen noch strukturiert werden, dennoch wird seine Existenz auch im Recht vorausge­ setzt, wie sich z. B. an Art. 12 Buchstabe f) EUV zeigt. h) Die Bedeutung der ergänzenden und erläuternden Informationen Mit diesen sehr unterschiedlichen weiteren Informationsquellen macht sich der Bundestag unabhängiger von der Unterrichtung durch die Bundes­ regierung und stärkt seine Stellung in zwei Richtungen. Zum einen können die Mitglieder des Bundestages durch die ergänzenden und erläuternden Informationen die Regierungsinformationen auf Vollständigkeit und Richtig­ keit und die darin enthaltenen Bewertungen und Handlungsvorschläge auf mögliche Alternativen prüfen. Durch die zusätzlichen Informationen ver­ breitert sich die Informationsgrundlage, auf der der Bundestag Entscheidun­ gen über die Wahrnehmung und den Inhalt von Mitwirkungsmaßnahmen treffen kann. Zum anderen führt gerade der direkte Informationsaustausch mit den Organen der Union und anderen nationalen Parlamenten dazu, dass sich der Bundestag eine eigene Position im Mehrebenensystem der Union aufbauen kann.159 Der Bundestag wird – wie die anderen nationalen Parla­ mente – so zu einem eigenen Akteur im Rahmen der europäischen Politik­ gestaltung, wie dies im Lissabon-Vertrag vorgesehen ist (Art. 12 EUV). Die Hoffnung, mit der COSAC eine Institution zu etablieren, die aktiven Einfluss auf die Gestaltung des Unionsrechts nehmen kann, wurde ent­ täuscht. Die Konferenz wurde nicht mit verbindlichen Handlungsinstrumen­ 159  Abels / Eppler, Auf dem Weg zum „Mehrebenenparlamentarismus“?, in: dies. (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 17, 27.



III. Die Analyse europapolitischer Dossiers im Bundestag167

ten ausgestattet, die dies ermöglichen. Auch wenn sie in Einzelfällen, in denen sich alle Parlamente einig sind, durchaus Druck auf die Kommission ausüben kann, handelt es sich dabei eher um institutionelle Fragen als um eine Mitgestaltung der europäischen Fachpolitiken. Die COSAC ist auf ihre Funktion als Forum des Informationsaustauschs der nationalen Parlamente zurückgestutzt worden. Auch wenn die Bedeutung der ergänzenden und erläuternden Informatio­ nen und die entstehenden Kontakte nicht unterschätzt werden darf, bleiben die Regierungsinformationen weiterhin der Ausgangspunkt und die Basis für die europapolitische Arbeit des Bundestages.160 Er ist trotz aller Bestrebun­ gen, sich von den Regierungsinformationen unabhängiger zu machen, auf diese angewiesen. Andererseits ist eine umfassende Bewertung von europa­ politischen Entscheidungen ohne die ergänzenden und erläuternden Infor­ mationen nicht möglich. Folglich kann erst die Nutzung aller Informations­ quellen zu einer effektiven europapolitischen Arbeit und einer starken Posi­ tion des Bundestages führen.

III. Die Analyse europapolitischer Dossiers im Bundestag Nachdem sich der Bundestag durch die verschiedenen Informationsquel­ len eine ausreichende Informationsbasis geschaffen hat, ist die Analyse der europapolitischen Dossiers eine „Schlüsselstelle“ im parlamentarischen Mitwirkungsverfahren.161 Die Analyse erfolgt durch die Mitglieder des Bun­ destages, ihre Mitarbeiter und durch die Mitarbeiter der Fraktionen. In den Fraktionsarbeitsgruppen und -kreisen werden auf dieser Basis die politischen Entscheidungen auf Fraktionsebene gefasst (dazu unten 1.). Die Wissen­ schaftlichen Dienste des Bundestages unterstützen die Abgeordneten bei der politischen Arbeit mit den Informationen (dazu unten 2.). 1. Die Informationsanalyse durch Mitglieder des Bundestages und die Fraktionen Die Sichtung und Analyse von Informationen erfolgt in den Abgeordneten­ büros in der Regel stetig durch die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Abge­ ordneten. Durchschnittlich beschäftigt jeder Abgeordnete 2,5 wissenschaft­ 160  Risse, Haben sich die Beteiligungsverfahren nach Art. 23 GG bewährt?, in: Hill / Sommermann / Wieland / Ziekow (Hrsg.), Brauchen wir eine Verfassung? Zur Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes, 2014, S. 183. 161  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 511.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

liche Mitarbeiter in seinem Büro.162 Ist der Abgeordnete Sprecher seiner Fraktion für ein bestimmtes Themengebiet (z. B. europapolitischer Sprecher) oder Berichterstatter (§ 65 und § 66 GO-BT) für ein europapolitisches Dossi­ er in seinem Fachausschuss163, so ist eine vertiefte Analyse der damit zusam­ menhängenden Informationen notwendig. Hierbei helfen neben den Mitarbei­ tern des Abgeordneten auch die Mitarbeiter der Fraktionen. Handelt es sich um einen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, kann dieser für die vertiefe Analyse bei Bedarf – ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gäbe – auch die Ressourcen der Fachressorts in den Bundesministerien in Anspruch nehmen. Die Berichterstatter betreuen das Thema in der gesamten Ausschuss­ phase bis zur Beratung im Plenum. Der Berichterstatter trägt die Ergebnisse seiner Analyse in der Arbeitsgruppe seiner Fraktion und – soweit das Thema von breiterem Interesse ist – auch in der Fraktionssitzung vor. Jede Arbeitsgruppe einer Fraktion164 verfügt über mehrere Fachreferenten,165 die die Arbeit des Gremiums und insbesondere des Arbeitsgruppenvorsitzen­ 162  Die Abgeordneten verfügen über ein festgelegtes Budget, aus dem die Kosten ihrer Mitarbeiter gezahlt werden (§ 12 Abs. 3 AbgG). Die Abgeordneten können selbst entscheiden, wie viele Mitarbeiter sie beschäftigen und welche Qualifikation diese haben müssen. Dies gilt für die Mitarbeiter am Parlamentssitz in Berlin und in den Wahlkreisbüros. Bis in das Jahr 2003 war die Anzahl der Sachbearbeiter, d. h. Mitar­ beiter in der Regel ohne Hochschul- oder Fachhochschulabschluss, in den Abgeordne­ tenbüros regelmäßig höher als die Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die über einen solchen Abschluss verfügen müssen. Seit dem Jahr 2004 ist die Zahl der wissen­ schaftlichen Mitarbeiter stetig gewachsen (2011: 1662 wissenschaftliche Mitarbeiter). Sie übersteigt seitdem die Anzahl der Sachbearbeiter (2011: 1158), die etwa konstant bleibt. Aus der Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter für das Jahr 2011 (1662) folgt, dass jeder Abgeordnete im Durchschnitt 2,5 wissenschaftliche Mitarbeiter be­ schäftigt. Im Jahr 1990 waren es durchschnittlich nur 1,2 wissenschaftliche Mitarbeiter pro Abgeordnetenbüro. Die Bedeutung der wissenschaftlichen Mitarbeiter hat mithin in den letzten 20 Jahren für die Arbeit der Abgeordneten erheblich zugenommen. Vgl. zu den Zahlen die statistische Übersicht zur Zahl der Abgeordneten-Mitarbeiter von 1990 bis 2011: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Datenhandbuch des Deutschen Bundes­ tages, Ziff. 17.4 „Statistische Übersicht zur Zahl der Abgeordneten-Mitarbeiter“. 163  Vgl. zu den Aufgaben des Berichterstatters auch die ausführliche, praxisnahe Darstellung bei Dach, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlaments­ praxis, 1989, § 40 Rdnr. 56 ff. 164  In den Fraktionen der SPD, CDU / CSU und Die Linke werden die fraktions­ internen Sitzungen der Abgeordneten, die einem Bundestagsausschuss oder be­ stimmten zusammengefassten Politikfeldern angehören, „Arbeitsgruppe“, bei den Fraktionen der FDP und von Bündnis 90 / Die Grünen hingegen „Arbeitskreis“ ge­ nannt. Um den Text zu entlasten werden sie, soweit es nicht auf die Fraktionszuge­ hörigkeit ankommt, wertungsfrei „Arbeitsgruppen“ genannt. Vgl. zu der Arbeitswei­ se der Arbeitsgruppen und Arbeitskreise die ausführliche Empirie-Studie von Schöne, Alltag im Parlament, 2010, S. 274 ff. 165  Die Fraktionen verfügten in der 17. Wahlperiode zusammen über 397 Mitar­ beiter mit wissenschaftlicher Qualifikation (CDU / CSU: 116; SPD: 88; FDP: 41;



III. Die Analyse europapolitischer Dossiers im Bundestag169

den, der jedenfalls bei den großen Fraktionen zumeist auch gleichzeitig der Sprecher seiner Fraktion für den fachpolitischen Themenbereich ist, unter­ stützen. In den größeren Fraktionen von SPD und CDU / CSU sind die Ar­ beitsgruppen entsprechend der Ausschussstruktur organisiert. Die Abgeord­ neten einer Fraktion, die demselben Ausschuss angehören, bilden eine Ar­ beitsgruppe. Da die kleineren Fraktionen von FDP (bis 17. Wahlperiode), Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke über zu wenige Abgeordnete verfü­ gen, um zu jedem Bundestagsausschuss eine Arbeitsgruppe zu bilden, haben sie in diesen Gremien mehrere Themenbereiche und Bundestagsausschüsse zusammengefasst. Europapolitische Dossiers, die Fachfragen betreffen, wer­ den entsprechend der Aufteilung der Bundestagsausschüsse maßgeblich von den Fach-Arbeitsgruppen der Fraktionen beraten. An den Arbeitsgruppensitzungen der Regierungsfraktionen nehmen in der Regel auch die Minister, der Parlamentarische Staatssekretär oder hohe Ministerialbeamte des zugehörigen Fachministeriums teil, soweit der Minis­ ter derselben Partei angehört.166 So nahm in der 17. Wahlperiode beispiels­ weise die Justizministerin der FDP regelmäßig an den Sitzungen des FDPArbeitskreises IV (Innen- und Rechtspolitik) oder der kleineren Arbeitsgrup­ pe Recht167 teil. Damit erhält gerade diese Arbeitsgruppe viele weitere In­ formationen, Hintergrundinformationen und Erläuterungen zu Einzelfragen, über die nur die Regierung verfügt. Diese Informationen erhalten die ent­ sprechenden Gremien anderer Fraktionen nicht oder gegebenenfalls erst später und auch nicht aus „erster Hand“ des Ministers. Die Arbeitsgruppen der Fraktionen, deren Partei der jeweilige Fachminister angehört, verfügen somit über eine direkte Informationsquelle, die zu einem Informationsvorteil gegenüber den anderen Fraktionen führen kann. Darüber hinaus erhalten diese Arbeitsgruppen einen erheblichen Einfluss auf ihren Minister und damit die Regierung. Durch die verfassungsrechtlich freilich nicht vorgesehene, aber politisch bestehende Möglichkeit, „ihren“ Minister jederzeit abzuberufen, sofern er das Vertrauen seiner Fraktion ver­ Bündnis 90 / Die Grünen: 79; Die Linke: 73) allerdings arbeiten davon nicht alle, jedoch der größte Teil als wissenschaftliche Mitarbeiter. Siehe zu den Zahlen Deutscher Bundestag (Hrsg.), Datenhandbuch des Deutschen Bundestages, Ziff. 5.9 „Mit­ arbeiter der Fraktionen und Gruppen“. 166  Wewer, Regierung und Parlament – fünfzehn Thesen, in: Magiera / Sommer­ mann (Hrsg.), Gewaltenteilung im Verfassungsstaat, 2013, S. 47, 49 f. (These Nr. 10). 167  Da die Arbeitskreise der kleinen Fraktionen oft mehrere Themengebiete be­ handeln, haben sich als kleine Gremien wie Arbeitsgruppen oder Gesprächskreise gebildet, die nur einen Themenbereich behandeln. Diese kleineren Gremien umfas­ sen meist die Abgeordneten der kleineren Fraktion, die in dem jeweiligen Fachaus­ schuss mitwirken. Zu dem Informationsaustausch zwischen Abgeordneten und Ver­ tretern der Bundesregierung in Arbeitskreisen und -gruppen, deren Partei auch den Minister stellt, ausführlich: Schöne, Alltag im Parlament, 2010, S. 299.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

liert, lastet auf dem jeweiligen Minister und seiner Ressortverwaltung ein nicht zu unterschätzender Druck. Dieser Druck führt in den internen Sitzun­ gen häufig dazu, dass Vertreter des Ministeriums weitere Informationen und Erläuterungen zusammenstellen müssen.168 Stark fachpolitisch geprägte Fragen werden durch die Arbeitsgruppen häufig faktisch für die Fraktion entschieden, dies gilt auch für die teilweise sehr technischen Einzelheiten der europäischen Rechtsetzung. Soweit die Entscheidung nicht mit den Interessen anderer Arbeitsgruppen oder der Fraktionsspitze ausnahmsweise kollidiert, wird die Position der Arbeitsgrup­ pe in der Regel in der Fraktionssitzung so übernommen. Die Arbeitsgruppen haben daher auf die politische Haltung der Fraktionen einen erheblichen Einfluss.169 Die so gefundene Entscheidung geht in die Beratungen der Bundestagsausschüsse ein, in denen die Entscheidungen des Bundestages (Plenum) vorbereitet werden. 2. Die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu europäischen Fragen Die Wissenschaftlichen Dienste unterstützen die Mitglieder des Bundes­ tages weniger bei der Beschaffung, sondern eher bei der Analyse der Infor­ mationen. Sie erläutern auf der Basis vorhandener Informationen aus euro­ papolitischen Dossiers schwierige Probleme, zeigen basierend auf wissen­ schaftlicher Betrachtung auf, wie ein Problem gelöst werden könnte und welche weiteren Schritte möglich sind. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages wurden geschaffen, um den Bundestag insbesondere bei der Aufgabe der Regierungskontrolle zu unterstützten. Die Ministerialverwaltung der Bundesregierung verfügt über eine große Zahl von Mitarbeitern und Wissenschaftlern, die die Regierungs­ politik insgesamt, aber vor allem die Erarbeitung von Gesetzesentwürfen mitgestalten. Über einen solchen Mitarbeiterapparat verfügt der Bundestag nicht. Es obliegt ihm dennoch, die Regierungspolitik zu kontrollieren und an der europapolitischen Willensbildung mitzuwirken. Die Mitglieder der Regierungsfraktionen können sich bei Fragen gegebenenfalls an die Exper­ ten der Fachministerien wenden. Den Mitgliedern der Oppositionsfraktionen ist dies in der Praxis nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen mög­ lich. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages wurden daher ge­ schaffen, um den Abgeordneten die Möglichkeit zu geben, wissenschaftliche 168  Vgl. zu erheblichen Einflussmöglichkeit auf die Regierung durch Arbeitsgrup­ pen, an denen ein Minister derselben Partei teilnimmt, die ausführliche Schilderung einer solchen Sitzung bei: Schöne, Alltag im Parlament, 2010, S. 274 ff. 169  Schöne, Alltag im Parlament, 2010, S. 251 f., m. w. N.



III. Die Analyse europapolitischer Dossiers im Bundestag171

Gutachten und Analysen zu mandatsbezogenen Fragen anfertigen zu lassen. Dabei geht es jedoch nicht vordringlich um die Stärkung der Opposition,170 sondern darum, dem Bundestag eine Einheit von Wissenschaftlern zur Seite zu stellen, um ein Gegengewicht zu den – jedenfalls in Bezug auf die An­ zahl der Mitarbeiter – übermächtigen Fachministerien zu schaffen. Wie die gesamte Bundestagsverwaltung sind die Wissenschaftlichen Dienste und die dort tätigen Wissenschaftler den Grundsätzen der Ausge­ wogenheit und politischen Neutralität verpflichtet. Dies bedeutet nicht, dass sie zu politisch strittigen Fragen, die z. B. die Bundesregierung schon für sich entschieden hat, die jedoch eine Fraktion anders sieht, kein Gut­ achten erstellen dürfen. Ihre Antwort muss allerdings neutral ausfallen, d. h. der betreffende Wissenschaftler darf sich weder von der Meinung der Bundesregierung, seiner eigenen Meinung noch einer sonstigen politischen Meinung leiten lassen. Er muss seine Antwort wissenschaftlich entwickeln und belegen. Dabei kommt es natürlich regelmäßig vor, dass eine Frage unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten auf verschiedene Weise beant­ wortet werden kann. Die politische Neutralität gebietet den Wissenschaft­ lern in diesem Falle, die möglichen Antworten aufzuzeigen und sich gege­ benenfalls allein auf der Basis wissenschaftlicher Argumentation für eine zu entscheiden. Die Unterabteilung „Wissenschaftliche Dienste“ der Bundestagsverwal­ tung ist derzeit in zehn Fachbereiche untergliedert, die jeweils für eine Gruppe von Sachgebieten zuständig sind, die sich an den Aufgabenberei­ chen und Zuständigkeiten der Bundestagsausschüsse und der Bundesminis­ terien orientieren. In den Fachbereichen werden im Auftrag von Abgeord­ neten oder auch in eigener Initiative Analysen und Hintergrundinformationen zu politischen, parlamentarischen und weiteren aktuellen Themen erstellt. Fragen, die den Kernbereich des europäischen Primärrechts, insbesondere das Recht der Organe und Institutionen der Union betreffen („Grundsatzfra­ gen“), werden vom Fachbereich „Europa“171 beantwortet, der seit Anfang 170  Zum Ganzen Absatz: Steffani, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 49 Rdnr. 51. 171  Laut Aktenplan der Bundestagsverwaltung hat der Fachbereich „Europa“ (PE 6) folgende Zuständigkeiten: „Beobachtung und Aufbereitung des für den Deutschen Bundestag relevanten Geschehens auf europäischer Ebene; Analyse ausgewählter Legislativvorschläge aus dem Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht, Betreuung und Redaktion der Schriftenreihe „Europa“ des Bundestages; Gutachten, Dokumentatio­ nen, Sachstände und Aktive Informationen zu Grundsatzfragen der EU einschließlich Vertrag von Lissabon und Subsidiarität, zukünftige Entwicklung der EU, zu institu­ tionellen Fragen der EU und EG sowie zum Gemeinschafts- und Unionsrecht; Un­ terrichtung der Mitglieder und Ausschüsse des Bundestages über aktuelle Entwick­ lungen in den Bereichen:

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

des Jahres 2013 der Unterabteilung Europa (PE)172 zugeordnet ist. Mit eu­ ropapolitischen oder -rechtlichen Themen, die einen stärkeren Bezug zum nationalen Recht oder Verfassungsrecht aufweisen, beschäftigt sich im Schwerpunkt der Fachbereich „WD 3 – Verfassung und Verwaltung“. Dieser Fachbereich ist daher auch für Fragen zur innerstaatlichen Mitwirkung des Bundestages in europäischen Angelegenheiten zuständig. Fachfragen mit europapolitischem Bezug werden – spiegelbildlich zum Zuständigkeitsbe­ reich der Ausschüsse – von den anderen, sachlich näheren Fachbereichen der Wissenschaftlichen Dienste bearbeitet.173 Bei vielen Anfragen sind die Zuständigkeitsbereiche jedoch nicht klar zu trennen, so dass die verschiede­ nen Fachbereiche in diesen Fällen zusammenarbeiten. Der Fachbereich „Europa“ (PE 6) bemerkt seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon Ende des Jahres 2009 deutlich, dass das Interesse der Abgeordneten an Fragen zur Subsidiarität von europäischen Rechtset­ zungsvorhaben zugenommen hat. Von den Abgeordneten werden in diesem Zusammenhang vermehrt Fragen zur Rechtsgrundlage eines europäischen Rechtsetzungsvorhabens und zur Haltung der anderen nationalen Parlamen­ te gestellt. Außerdem hängen etwa ein Drittel der Fragen, die den Fachbe­ reich „Europa“ seit dem Jahr 2009 erreichen, direkt oder indirekt mit der Finanz- und Staatsschuldenkrise zusammen. Die Wissenschaftlichen Diens­ te beobachten hier ein deutlich gestiegenes Informationsbedürfnis der Ab­ geordneten. So wurden zu finanz- und volkswirtschaftlichen oder wäh­ rungspolitischen Themen häufig gleichartige Fragen von Abgeordneten verschiedener Fraktionen gestellt, was üblicherweise so nicht vorkommt. In diesem Zusammenhang waren die Wissenschaftlichen Dienste außerdem vielfach damit beschäftigt, aus den Vertragswerken und Vorschlägen, z. B. zu den Rettungspaketen und -maßnahmen, überhaupt erst einmal die we­ sentlichen Fragestellungen zu identifizieren. Daneben ist allerdings die An­ zahl der Fragen zu anderen europäischen Themen nicht gesunken. Der europapolitische und vor allem der europarechtliche Informations- und Be­ Institutionelles System, Rechtssetzungsverfahren, Legislativakte, Geltung von EURecht, Rechtsschutzsystem, Verhältnis Gemeinschafts- und Unionsrecht zum natio­ nalen Recht ‒  Erweiterung / Assoziation, Europäische Nachbarschaftspolitik, Gemeinsame Au­ ßen- und Sicherheitspolitik, Lissabon-Strategie ‒  Interinstitutionelle Vereinbarungen, Behandlung von EU-Vorlagen, Rolle der Na­ tionalen Parlamente in der EU, Europa der Regionen, Subsidiarität […]“. 172  Vgl. zur Struktur dieser Unterabteilung oben S. 142 ff. 173  Rohleder / Schöler, Die Europäisierung und andere aktuelle Herausforderungen für die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, in: EberbachBorn / Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 151, 154. ‒ 



III. Die Analyse europapolitischer Dossiers im Bundestag173

ratungsbedarf der Abgeordneten ist in diesem Bereich folglich erheblich gestiegen.174 Häufig geht es bei den Aufträgen, die der Fachbereich „Europa“ erhält, auch um Fragen, die sich nicht unmittelbar mit Hilfe der gängigen europa­ rechtlichen Kommentare und sonstiger Literatur lösen lassen. In diesen Fällen müssen die Gutachter eigene Lösungswege entwickeln und können so den Abgeordneten einen wissenschaftlich begründeten Weg für ihre po­ litischen Entscheidungen aufzeigen. Bei der Bearbeitung greifen die Gut­ achter selbstverständlich auch auf sonstige Informationen zurück, die von der Bundesregierung, den europäischen Institutionen oder von Dritten be­ reitgestellt werden. Eine Lücke ergibt sich hier zumeist, wenn für die Be­ antwortung einer Frage ökonomische Daten, z. B. über die finanzielle Situ­ ation von Mitgliedstaaten, die ökonomische oder finanzielle Stabilität ihres Finanz- und Bankensystems oder über die Situation des Anleihemarktes insgesamt, benötigt werden. Diese Informationen sind in der Regel nicht frei verfügbar. Es ist auch oft nicht klar, ob die Bundesregierung über diese – teilweise allein die Privatwirtschaft betreffenden – Daten verfügt. Im Übrigen wären diese Informationen auch nicht von den Informationsrechten des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, des EUZBBG und des § 13 IntVG erfasst. Daher muss der Fachbereich „Europa“ bei einigen Gutachten die ökonomi­ sche Basis offen lassen. 3. Bewertung der Analyse von europapolitischen Dossiers Die europapolitischen Informationen werden von den in diesem Themen­ bereich tätigen Mitgliedern des Bundestages, den Fraktionen und ihren je­ weiligen Mitarbeitern analysiert. Diese Personalausstattung erlaubt es den Abgeordneten, bedeutende europapolitische Dossiers zu prüfen. Dabei ste­ hen ihnen auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zur Seite, deren Dienste gerade in der Finanz- und Staatsschuldenkrise verstärkt in Anspruch genommen werden. Für eine umfassende Prüfung jedes europapo­ litischen Dossiers reicht diese Personalausstattung jedoch nicht aus. Auf­ grund der teilweise nicht vorhandenen Expertise und der oft beschränkten Zeit können sich die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter nicht vollumfäng­ lich mit allen (in ihr Themengebiet fallenden) Dossiers beschäftigen. Schon im Rahmen der Analyse muss daher entschieden werden, in welche Dossiers sich die Abgeordneten und Fraktionen vertieft einarbeiten. Die Geschäfts­ 174  Zum Ganzen: Rohleder / Schöler, Die Europäisierung und andere aktuelle He­ rausforderungen für die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Euro­ päische Union, 2013, S. 151, 156 ff.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

ordnung des Bundestages und die Verfahren in den Ausschüssen suchen dies durch die Benennung von Berichterstattern zu den jeweiligen Beratungsge­ genständen zu strukturieren. Dennoch bleibt die Arbeitsbelastung groß. Dieser arbeitsteiligen Struktur würde es daher helfen, wenn die politische Bedeutung der beratungsrelevanten Dossiers vor ihrer Einspeisung die par­ lamentarischen Abläufe stärker gewichtet würde. Dies könnte auch in den Abgeordnetenbüros zu einer erheblichen Entlastung führen und zur Konzen­ tration auf die wesentlichen Fragen beitragen.

IV. Die Beratung europapolitischer Dossiers im Bundestag Bevor das Plenum des Bundestages europapolitische Entscheidungen trifft, werden die entsprechenden Dossiers in der Regel zunächst in den Ausschüssen beraten (dazu unten 1.). Die federführende Beratung über­ nimmt bei institutionellen und integrationspolitischen Fragen der Europäi­ schen Union der Europaausschuss (dazu unten 2.). Europapolitische Fach­ fragen werden von dem für das jeweilige Thema zuständigen Fachausschuss beraten (dazu unten 3.). 1. Der Umfang der Beratung in den Ausschüssen und im Plenum In der 17. Wahlperiode wurden rund 17 % der beratungsrelevanten Dos­ siers federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, 13 % an den Auswärtigen Ausschuss, 10 % an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und 9 % an den Haushaltsausschuss überwiesen. Die Federführung von jeweils etwa 6 % der überwiesenen Dos­ siers erhielten der Europaausschuss und der Innenausschuss.175 Dies ver­ schob sich etwas in den ersten zehn Monaten der 18. Wahlperiode. In diesem Zeitraum wurden jeweils ca. 15 % der beratungsrelevanten Dossiers dem Auswärtigen Ausschuss, 14 % dem Innenausschuss, 9 % dem Europaaus­ schuss, 8 % dem Ausschuss für Wirtschaft und Energie und jeweils 7 % dem Rechtsausschuss und dem Finanzausschuss überwiesen. Der vormals mit 9 % recht stark mit europapolitischen Dossiers befasste Haushaltsausschuss erhielt wie der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft nur rund 5 % der Dossiers in Federführung.176 Diese Verschiebung beruht jedoch wohl nicht auf einer grundsätzlichen Veränderung der parlamentarischen Schwer­ 175  Die Zahlen für die 17. Wahlperiode ergeben sich aus einer Recherche der Verfasserin in der bundestagsinternen Datenbank für die Ausschussdokumente ­„SysiVuS vom 01.11.2013.



IV. Die Beratung europapolitischer Dossiers im Bundestag175

punktsetzung, sondern liegt eher an den aktuellen politischen Themen, die in den ersten zehn Monaten der 18. Wahlperiode den Bundestag beschäftig­ ten. So war der Auswärtige Ausschuss intensiv mit Maßnahmen der Union im Zusammenhang mit der Krise in der Ukraine im Frühjahr / Sommer 2014 befasst. Der Innenausschuss beschäftigte sich verstärkt mit europäischen Dossiers zu den damals aktuellen politischen Fragen, wie z. B. den Flücht­ lingswellen im Mittelmeerraum oder zum Datenaustausch zwischen der Union und den USA. Darüber hinaus beruht die Verschiebung auch auf dem in der 18. Wahlperiode veränderten Ressortzuschnitten.177 So wurde der Politikbereich Verbraucherschutz, der in der Regel stark durch Unionsrecht geprägt ist, nicht mehr wie in der 17. Wahlperiode dem Bundeministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sondern dem Bundesjustizministerium übertragen. Die Energiepolitik, die in der 17. Wahlperiode im Wesentlichen dem Bundesumweltministerium zugeordnet war und ebenfalls häufig von unionspolitischen Regelungen beeinflusst wird, wurde dem Bundeswirt­ schaftsministerium zugeschlagen. Aufgrund des Prinzips der in den Bundes­ tagsausschüssen gespiegelten Ressortzuständigkeiten wurden auch die Zu­ ständigkeiten der Bundestagsausschüsse entsprechend geändert.178 Diese Zuständigkeitsänderungen wirken sich auch auf den Anfall der in den Ausschüssen zu bearbeitenden europapolitischen Dossiers aus. 176

Die Ausschüsse können die Unionsdokumente entweder „nur“ zur Kennt­ nis nehmen oder sie mit einer Beschlussempfehlung dem Plenum zur Ent­ scheidung vorlegen (Art. 93a GO-BT). Die schlichte Kenntnisnahme kann mit oder ohne Aussprache im Ausschuss erfolgen. Mit dieser Kenntnisnahme ist der parlamentarische Vorgang erledigt. Das Plenum wird in diesem Fall mit dem betreffenden Dossier nur befasst, wenn es zum Gegenstand eines Antrags (§ 76 GO-BT) einer Fraktion oder einer Gruppe von Abgeordneten gemacht wird. Dem Plenum wird mitgeteilt, welche Unionsdokumente die Ausschüsse zur Kenntnis genommenen haben. Wird das Unionsdokument hingegen dem Plenum vorgelegt, so geschieht dies zumeist in Verbindung mit der Empfehlung, eine Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 2 oder Abs. 3 GG dazu gegenüber der Regierung abzugeben oder eine Subsidiaritätsrüge gegenüber der Kommission zu erheben.179 176  Die Zahlen für die 18. Wahlperiode ergeben sich aus einer Recherche der Verfasserin in der bundestagsinternen Datenbank für die Ausschussdokumente ­„SysiVuS“ vom 24.08.2014. 177  Siehe zu den Einzelheiten den Organisationserlass der Bundeskanzlerin vom 17.12.2013, BGBl. I, S. 4310 ff. 178  Zur Parallelität von Ausschusssystem und Regierungsgliederung vgl. Zeh, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 39 Rdnr. 10 ff. 179  Vgl. beispielsweise BT-Drs. 17 / 11847 (Stellungnahme gegenüber der Bundes­ regierung) oder BT-Drs. 17 / 11882 (Subsidiaritätsrüge).

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

In der 17. Wahlperiode legten die Ausschüsse dem Plenum allerdings nur 37 Unionsdokumente zur Beratung vor.180 Damit wurden von den jährlich rund 500 Dossiers, die den Ausschüssen überwiesenen wurden, nur etwa 7,5 % durch die Initiative der Ausschüsse im Plenum beraten. Wenngleich diese Zahl gering anmutet, übersteigt sie die Zahlen für die 16. Wahlperiode und die ersten zehn Monate der 18. Wahlperiode deutlich. In der 16. Wahl­ periode wurden von den Ausschüssen nur 2 %,181 in den ersten zehn Mona­ ten der 18. Wahlperiode sogar nur ein einziges Dossier182 dem Plenum von den Ausschüssen zur Beratung und Entscheidung vorgelegt. Von diesen 37 in der 17. Wahlperiode von den Ausschüssen vorgelegten Dossiers wurden zudem nur fünf im Plenum mündlich verhandelt.183 Zu allen übrigen Dokumenten bzw. den Beschlussempfehlungen des jeweiligen Ausschusses wurden entweder die Reden zu Protokoll gegeben (§ 78 Abs. 6 GO-BT)184 oder es wurde ohne Aussprache185 entschieden.186 Die fehlende mündliche Debatte über europäische Vorhaben – jedenfalls über eine Vorla­ ge der Ausschüsse – könnte Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem verfas­ sungsrechtlichen Öffentlichkeitsprinzip (Art. 42 Abs. 1 Satz 1GG) aufwer­ fen. Das Öffentlichkeitsprinzip ist jedoch nicht verletzt, da das Plenum des 180  Die Zahlen beruhen auf einer Recherche der Verfasserin in der Datenbank EuDoX vom 01.11.2013. 181  Rohleder, Die Beteiligung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung in Theorie und Praxis, ZG 2011, 105, 113. 182  Dabei handelt es sich um die Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom 04.06.2014 zur Abgabe einer Stellungnahme des Bundesta­ ges gegenüber der Bundesregierung zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO), BT-Drs. 18 / 1658. Dieses Ergebnis beruht auf einer Recherche der Verfasserin in der Daten­ bank EuDoX vom 24.08.2014. 183  Die Zahlen ergeben sich aus einer Recherche der Verfasserin vom 01.11.2013 in der Bundestagsdatenbank für Dokumente und Beratungsabläufe „DIP“, auf die über die Internet-Seite des Bundestag zugegriffen werden kann: http://dipbt.bundes tag.de / dip21.web / bt. 184  Die Möglichkeit, Reden zur Verkürzung der Plenarsitzungen zu Protokoll zu geben, besteht seit der 12. Wahlperiode im Bundestag als parlamentarische Praxis, zunächst jedoch ohne geschäftsordnungsrechtliche Grundlage. Im November 2007 wurde im Ältestenrat eine vorläufige Vereinbarung geschlossen, die dieses Verfahren stärker formalisieren sollte (BT-PlProt. 16 / 131, S. 13745). Schließlich wurde das Verfahren im Juli 2009 in die Geschäftsordnung des Bundestages aufgenommen. Vgl. zum Thema: Kornmeier, Rede zu Protokoll – Der Bundestag formalisiert ein lange praktiziertes Verfahren, DÖV 2010, 676. 185  Nach den §§ 79 Satz 1, 81 Abs. 1 Satz 1, 84 Satz 1 GO-BT findet eine Aus­ sprache immer nur dann statt, wenn sie vom Ältestenrat empfohlen oder von einer Fraktion oder 5 % der anwesenden Abgeordneten verlangt wird. 186  Die Zahlen ergeben sich aus einer Recherche der Verfasserin vom 01.11.2013 in der Bundestagsdatenbank für Dokumente und Beratungsabläufe „DIP“.



IV. Die Beratung europapolitischer Dossiers im Bundestag177

Bundestages eine ganze Reihe weiterer Unionsdokumente im Zusammen­ hang mit Anträgen der Fraktionen berät. Dabei handelt es sich teilweise um Anträge der Oppositionsfraktionen, die sich damit gegen die Ausschuss­ mehrheit richten, aufgrund deren Votum der Ausschuss ein bestimmtes Dossier lediglich zur Kenntnis genommen hat. In solchen Anträgen wird häufig auch der Beschluss einer Stellungnahme des Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 oder Abs. 3 GG gegenüber der Regierung beantragt.187 Sie können aber auch jede andere Aufforderung an die Regierung oder einen Beschluss des Bundestages in Bezug auf die deutsche Europapolitik zum Inhalt haben. Soweit das Plenum nicht sofort selbst über die Anträge ent­ scheidet, werden sie an die jeweils zuständigen Ausschüsse überwiesen, so dass sich die Ausschüsse damit inhaltlich auseinandersetzen und dem Ple­ num eine Entscheidung darüber vorschlagen muss. In der 17. Wahlperiode haben die drei Oppositionsfraktionen (SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke) insgesamt 153188 solcher Anträge gestellt, über die das Plenum entscheiden musste. Die Regierungsfraktionen (CDU / CSU und FDP) haben im gleichen Zeitraum 38 solcher Anträge gestellt.189 In den ersten zehn Monaten der 18. Wahlperiode ging die Anzahl entsprechender Anträge der Oppositionsfraktionen merklich zurück (22 Anträge, auf 4 Jahre bzw. eine gesamte Wahlperiode hochgerechnet ca. 105 Anträge),190 was wohl dadurch zu erklären ist, dass es sich nur noch um zwei und nicht mehr um drei Oppositionsfraktionen handelte (Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke). Durchschnittlich wurden rund 50 % dieser Anträge im Plenum mündlich beraten, d. h. der politische Diskurs wurde in den Reden der Abgeordneten wiedergegeben. Auch wenn die Ausschüsse dem Plenum nur vergleichswei­ se wenige Dossiers zur Beratung vorlegen, finden vor allem durch die Ini­ tiative der Fraktionen eine ganze Reihe europapolitischer Debatten im Bundestag statt.191

187  Vgl. für die 17. Wahlperiode z. B. BT-Drs. 17 / 12482; 17 / 12394; 17 / 12519; 17 / 11144; 17 / 7024; 17 / 11329. 188  Recherche der Verfasserin vom 01.11.2013 in der Bundestagsdatenbank für Dokumente und Beratungsabläufe „DIP“. 189  Diese Zahlen stammen ebenfalls aus der Recherche vom 01.11.2013 in der Datenbank „DIP“ des Bundestages. 190  Diese Zahlen stammen aus einer Recherche der Verfasserin vom 24.08.2014 in der Datenbank „DIP“ des Bundestages. 191  Eine Übersicht der in der 17. Wahlperiode stattgefundenen mündlichen Debat­ ten im Plenum zu europapolitischen Themen kann auf der Internet-Seite des Bun­ destages aufgerufen werden:  http://www.bundestag.de / bundestag / ausschuesse17 /  a21 / europapolitische_debatten / index.html.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

2. Die Beratung im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union In der 13. Wahlperiode192 konstituierte sich der Europaausschuss erstmals nach dem neu eingeführten Art. 45 GG.193 Im Unterschied zu seinem unmit­ telbaren Vorgänger enthielt der Ausschuss im Einsetzungsbeschluss zwar keinen ausformulierten Katalog seiner Zuständigkeiten, diese änderten sich unter dem Regime des Art. 45 GG aber nicht grundlegend. Der Ausschuss erhält die Federführung für Angelegenheiten von integrations­ politischer Bedeutung. Von der Möglichkeit, die Rechte des Bundestages anstelle des Plenums wahrzunehmen,194 macht der Europaausschuss jedoch auch im in­ tegrationspolitischen Bereich nur wenig Gebrauch.195 Die stärker inhaltli­ chen und fachlichen europäischen Fragen bzw. Vorhaben werden weiterhin den Fachausschüssen federführend zugewiesen, der Europaausschuss wird dabei nur mitberatend tätig. Die Möglichkeit, einen Unionsausschuss als Fachausschuss für alle europäischen Angelegenheiten zu bilden, wird in der Praxis für nicht umsetzbar gehalten, weil ein einzelner Ausschuss die inhalt­ liche und quantitative Vielfalt der europäischen Vorhaben nicht bewältigen könne.196 Neben seiner integrationspolitischen Rolle wird teilweise auch die Quer­ schnittsfunktion des Europaausschusses betont.197 Diese Funktion führt in der Praxis jedoch nicht dazu, dass der Europaausschuss Vorhaben, die im Schwerpunkt keinem Themengebiet zugeordnet werden können, federfüh­ rend berät.198 Die Querschnittsfunktion besteht eher in der federführenden Beratung von nichtlegislativen Vorhaben, insbesondere von Zukunftspro­ grammen, Planungen und der Einrichtung von europäischen Agenturen, deren Tätigkeitsfeld mehrere Politikbereiche betrifft.199 192  10.11.1994 – 26.10.1998. 193  Vgl.

den Einsetzungsbeschluss vom 23.11.1994, BT-Drs. 13 / 35. Satz 2 und Satz 3 i. V. m. § 93b Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 GO-BT. 195  Vgl. zur der Abgabe von plenarersetzenden Stellungnahmen durch den Euro­ paausschuss in der Praxis unten S. 203 ff. 196  Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 45 Rdnr. 9; Kabel, Die Mitwirkung des Deutschen Bun­ destages in Angelegenheiten der Europäischen Union, in: Grabitz / Randelzhofer et al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 241, 264.; Hauck, Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, 1998, S. 55. 197  Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 45 Rdnr. 9; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 9. 198  Schulz, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in europäischen Angele­ genheiten, 2011, S. 100 ff. 194  Art. 45



IV. Die Beratung europapolitischer Dossiers im Bundestag179

Das europapolitische Tagesgeschäft übernehmen somit die Fachausschüs­ se des Bundestages. Der Europaausschuss konzentriert sich auf die integra­ tionspolitischen Fragen und Themen, die die Organisation der Europäischen Union betreffen. So beriet der Europaausschuss in der 17. Wahlperiode fe­ derführend unter anderem die folgenden Themen: Übergangsmaßnahmen zur Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, Beitrittsantrag der Republik Island zur Europäi­ schen Union, Europäische Bürgerinitiative (EBI), Herstellung des Einver­ nehmens zwischen Bundestag und Bundesregierung zur Einführung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus und den mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2014–2020.200 199

3. Die Beratung in den Fachausschüssen, insbesondere im Haushaltsausschuss Die Fachausschüsse des Bundestages beraten europäische Vorhaben fe­ derführend, wenn das Vorhaben im Schwerpunkt in ihren jeweiligen The­ menbereich fällt. Berührt es diesen eher am Rande, so wird ihnen das Dossier zur Mitberatung überwiesen. Seit der Finanz- und Staatsschulden­ krise, insbesondere mit der Gewährung von Notkrediten an Griechenland ab dem Jahr 2010, rückte der Haushaltsausschuss in das Zentrum der eu­ ropapolitischen Wahrnehmung. Insgesamt waren allerdings an den Bera­ tungen über die zur Abwendung der Krise geschaffenen Gesetze, wie z. B. das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz201, das Stabilisierungsmechanis­ mus-Gesetz202 und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus203, sechs Ausschüsse beteiligt. Die Federfüh­ rung übernahm in der Regel der Haushaltsausschuss. Dieser führte seit Beginn der Beratungen über die Notkredite und ihre gesetzlichen Grund­ lagen insgesamt fünf öffentliche Anhörungen204 mit Sachverständigen 199  Vgl. die eigene Darstellung dieses Aufgabenbereichs durch den Europaaus­ schuss des 17. Deutschen Bundestag auf der Internet-Seite des Bundestages: http:// www.bundestag.de / bundestag / ausschuesse17 / a21 / aufgaben_und_arbeit / index.html. 200  Vgl. die Zusammenstellung der Beschlussempfehlungen und Berichte des Europaausschusses mit den jeweiligen Verweisen auf die zugehörigen Bundestags­ drucksachen auf der Webseite des Bundestages unter: http://www.bundestag.de / bun destag / ausschuesse17 / a21 / beschlussempfehlung_und_bericht / index.html. 201  BGBl. 2010 I, S. 537. 202  BGBl. 2010 I, S. 627. 203  BGBl. 2012 I, S. 1918. 204  Diese Anhörungen betrafen das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz im Mai 2010, die Einrichtung der Europäische Finanzstabilisierungsfazilität und das Stabilisierungsmechanismusgesetz ebenfalls im Mai 2010, die haushalts- und wirt­ schaftspolitische Koordinierung der EU im März 2011, die Reform der EFSF und

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

durch.205 Dem Haushaltsausschuss – und nicht dem Europaausschuss – wurde die Federführung zu diesen Themen aufgrund seiner ökonomischen und haushaltspolitischen Expertise übertragen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu den Hilfen für Grie­ chenland (Euro-Rettungsschirm)206 den Haushaltsausschuss als das Gre­ mium innerhalb des Bundestages benannt, das bei den Entscheidungen über Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro beteiligt werden muss.207 In der parlamentarischen Praxis zeigt sich jedoch auch, dass bedeutende Vorhaben zur Abwendung und Vermeidung der Krise aufgrund der Vielfäl­ tigkeit der damit zusammenhängenden Themen häufig nicht von einem Ausschuss allein federführend beraten werden können. So wurden z. B. Teile des Europäischen Semesters im Europaausschuss, andere Teile im Wirtschaftsausschuss und wieder andere im Haushalts- oder Finanzausschuss federführend beraten.208 Bei einer solchen Zersplitterung fällt es im Bundes­ tag schwer, eine homogene parlamentarische Begleitung des Dossiers si­ cherzustellen und einheitliche Mitwirkungsmaßnahmen zu beschließen. Auch wenn der Haushaltsausschuss gerade in der 17. Wahlperiode sehr stark geworden und dadurch der Europaausschuss etwas in den Hintergrund ge­ drängt worden ist, sollte der Europaausschuss in solchen Fällen eine stärke­ re koordinierende Funktion erhalten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich der Bundestag bei komplexen europäischen Dossiers aufgrund interner Zersplitterung seiner Mitwirkungsmöglichkeiten begibt. 4. Bewertung der parlamentarischen Beratung europapolitischer Dossiers Obwohl den Ausschüssen eine große Anzahl europäischer Dossiers zur Beratung überwiesen wird, legen sie nur einen kleinen Bruchteil davon dem Plenum des Bundestages zur Kenntnisnahme und Entscheidung vor. In die­ Änderung des Stabilisierungsmechanismusgesetz im September 2011 und den Fis­ kalpakt sowie den Europäischen Stabilitätsmechanismus im Mai 2012. Eine Über­ sicht der vom Haushaltsausschuss durchgeführten Anhörungen in der 17. Wahlperio­ de mit allen zugehörigen Dokumenten und stenographischen Protokollen kann auf der Internet-Seite des Bundestages aufgerufen werden unter: http://www.bundestag. de / bundestag / ausschuesse17 / a08 / anhoerungen / index.html. 205  Zum ganzen Absatz; Kietz, Politisierung trotz Parteienkonsens: Bundestag, Bundesrat und die Euro-Krise, 2013, Studie für die Bertelsmann-Stiftung, S. 15. 206  BVerfGE 129, 124, 178, AbsNr. 124 ff. – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm. 207  BVerfGE 129, 124, 185 f., AbsNr. 141 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm. 208  Schäfer / Schulz, Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteili­ gungsgesetzes EUZBBG, Integration 2013, 199, 211.



IV. Die Beratung europapolitischer Dossiers im Bundestag181

sem Zusammenhang ist weiter zu beobachten, dass die Ausschüsse, die dem Plenum die meisten Dossiers zur Beratung vorlegen, solche sind, denen im Verhältnis nur wenige Dossiers federführend überwiesen werden. So hat z. B. der Rechtsausschuss in der 17. Wahlperiode dem Plenum 13 Dossiers zur Beratung empfohlen, d. h. mehr als ein Drittel der dem Plenum von den Ausschüssen vorgelegten Dossiers (insgesamt 37 Dossiers). Der Rechtsaus­ schuss hat in diesem Zeitraum hingegen nur 4 % der überwiesenen Dossiers federführend beraten. Ähnliches gilt für den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, der sechs Dossiers dem Plenum vorgelegt, aber nur 5 % der überwiesenen Dossiers federführend beraten hat. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, mit 17 % der Dossiers in Federführung, hat hingegen nur zwei Dossiers dem Plenum zur Beratung empfohlen. Andere Ausschüsse, die sehr viele Dossiers erhalten, wie der Auswärtige Ausschuss (13 %) oder der Europaausschuss (6 %), haben dem Plenum gar kein Dos­sier vorgelegt und so auch keine Stellungnahme vorgeschlagen. Ein Grund für dieses Ergebnis könnte sein, dass die Ausschüsse, die häufig mit europa­ politischen Fachfragen befasst sind, es sich zutrauen, auf anderen informel­ len Wegen Einfluss auf die Bundesregierung zu nehmen, statt eine formelle Stellungnahme des Bundestages vorzuschlagen. Möglich ist aber auch, dass es den Ausschüssen, die sehr viele Dossiers federführend beraten, aufgrund ihrer Beratungsabläufe oder Mehrheitsverhältnisse nicht leicht fällt, die be­ deutsamen auszuwählen, damit das Plenum darüber beraten kann. Auch um hier die Balance wiederherzustellen, sollten die Dossiers vor ih­ rer Überweisung an die Ausschüsse stärker politisch gewichtet werden. Die Arbeit der Ausschüsse könnte so entlastet und die Durchlässigkeit der The­ men an das Plenum verbessert werden. Damit würde sich gegebenenfalls auch die Zahl der von den Fraktionen gestellten europapolitischen Anträge verringern und das Plenum insoweit entlastet. Bei den von den Fraktionen gestellten Anträgen kommt hinzu, dass sie sich nicht notwendigerweise auf Vorhaben beziehen müssen, die im Priorisierungsverfahren als beratungsrele­ vant bewertet wurden. Die Fraktionen können jedes europapolitische Thema zum Gegenstand eines Antrags machen. Dies könnte dazu führen, dass das bisherige Priorisierungsverfahren nicht zu einer Entlastung des Plenums führt. Dabei ist die Belastung des Plenums ein nicht unerhebliches Problem. In der Rede nach seiner Wahl zum Präsidenten des 18. Deutschen Bundesta­ ges hat Norbert Lammert dies herausgestellt. Gelöst werden könnte dies nach seiner Auffassung entweder durch die Erhöhung der Sitzungswochen des Bundestages oder durch einen zurückhaltenden Umgang mit parlamentari­ schen Initiativ-, Frage- und Antragsrechten.209 Die stärkere Gewichtung der europäischen Dossiers könnte hier ebenfalls eine Lösung sein. 209  BT-PlProt.

18 / 1, S. 7 (D)f.

182

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

V. Die parlamentarische Mitwirkung In welchem Maße der Bundestag seine Mitwirkungsrechte wahrnimmt, hängt zunächst von der Art des Mitwirkungsrechts selbst ab. Soweit der Bundestag bei Primärrechtsänderungen oder in den Fällen des Integrations­ verantwortungsgesetzes dem Vorhaben zustimmen oder ein zustimmendes Votum des deutschen Vertreters genehmigen muss, kommt ihm normativ eine starke Position zu. Dabei ist im Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag die Tendenz zu erkennen, dass der Bundestag auch dann in die Entscheidung über wichtige Vorhaben einbezogen wird, wenn ein sol­ ches parlamentarisches Mitwirkungsrecht in Zweifel gezogen wird. Beispiel hierfür ist die Entscheidung über die so genannte Single-Supervisory-Me­ chanism-(SSM)-Verordnung210 kurz vor dem Ende der 17. Wahlperiode. Auf Unionsebene wurde im April 2013 ein Vorschlag für die Verordnung vorge­ legt, mit der der Europäischen Zentralbank weitreichende Zuständigkeiten für Aufgaben der Bankenaufsicht über sogenannte systemrelevante Finanz­ institute übertragen werden sollten (SSM-Verordnung). Die Verordnung ist ein Teil der geplanten Bankenunion211 und wurde auf die Rechtsgrundlage des Art. 127 Abs. 6 AEUV gestützt. Danach kann der Rat der Europäischen Zentralbank durch Verordnungen besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute übertra­ gen. Da die neuen Aufgaben der Europäischen Zentralbank bislang auf na­ tionaler Ebene wahrgenommen wurden,212 hatte die Bundesregierung Zwei­ fel, ob die Verordnung auf diese Rechtsgrundlage gestützt werden darf. Die deutschen Vertreter hatten daher im Rat dafür geworben, die Verordnung auf die Flexibilitätsklausel (Art. 352 AEUV) zu stützen oder die Regelung durch ein vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 Abs. 6 AEUV) in das Primärrecht einzuführen, waren damit jedoch nicht durchgedrungen. Im Unterschied zu der Flexibilitätsklausel und der vereinfachten Vertragsände­ rung sieht das Integrationsverantwortungsgesetz eine Zustimmung des Bun­ destages zu einer Verordnung nach Art. 127 Abs. 6 AEUV nicht vor. Im nationalen Recht stellte sich daher die Frage, ob der Bundestag das Vorha­ ben nach Maßgabe der gemeinsamen Integrationsverantwortung dennoch genehmigen muss, bevor der deutsche Vertreter im Rat der Verordnung zustimmen darf.213 Dies war unter den Fraktionen des Bundestages strittig. 210  Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammen­ hang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, KOM(2012)511, Ratsdok. 7776 / 1 / 13 REV 1. 211  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Fahrplan für eine Bankenunion, KOM(2012)510 final. S. 6 ff. 212  Vgl. die Ausführungen im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU / CSU und FDP vom 14.05.2013, BT-Drs. 17 / 13470, S. 1.



V. Die parlamentarische Mitwirkung183

Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vertrat die Ansicht, dass die Auf­ sichtskompetenz bereits mit dem Vertrag von Maastricht auf die europäische Ebene verlagert worden sei und die SSM-Verordnung danach lediglich eine Aktualisierung dieser Kompetenz darstelle, die keiner nationalen Umset­ zungs- oder Zustimmungsgesetzgebung bedürfe.214 Nach Auffassung der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen handelte es sich bei Art. 127 Absatz 6 AEUV um eine bereits angelegte, aber der Konkretisierung durch weitere Rechtsakte bedürftige Zuständigkeitsveränderung, der der Bundes­ tag zustimmen müsse.215 Um den Mitwirkungserfordernissen in jedem Falle gerecht zu werden, gestattete der Bundestag durch ein Gesetz nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG, dass der deutsche Vertreter im Rat dem Verordnungsvor­ schlag zustimmt.216 An diesem Fall zeigt sich deutlich, dass die Mitwir­ kungsrechte des Bundestages nach der langen Kette entsprechender verfas­ sungsgerichtlicher Entscheidungen ernst genommen und ihm sogar über den Wortlaut des Integrationsverantwortungsgesetzes hinaus Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte eingeräumt werden. Zudem führt die Einbeziehung des Bundestages gerade in solchen Zweifelsfällen, vor allem wenn sie politisch brisante Fragen enthalten, zu einer besonderen politischen Absicherung der Bundesregierung. Erhält sie die Zustimmung des Bundestages, ist ihre eu­ ropapolitische Entscheidung weniger politisch angreifbar, da sie von dem Verfassungsorgan mit der höchsten demokratischen Legitimationskraft ge­ billigt wurde.217 213

Soweit die Bundesregierung bereits im Vorfeld der Entscheidung auf europäischer Ebene verpflichtet ist, mit dem Bundestag Einvernehmen dar­ 213  Der Finanzausschuss des Bundestages führte zu dieser Frage am 03.06.2013 eine öffentliche Expertenanhörung durch; das Protokoll der Anhörung sowie die schriftlichen Stellungnahmen sind im Internet aufrufbar unter: http://webarchiv.bun destag.de / archive / 2013 / 1212 / bundestag / ausschuesse17 / a07 / anhoerungen / 2013 /  142 / index.html. Für die Zustimmungspflicht des Bundestages sprach sich auch der Sachverständige Wernsmann aus: Wernsmann / Sandberg, Parlamentarische Mitwir­ kung bei unionaler Sekundärrechtsetzung, DÖV 2014, 49, 55 f.; ebenso Wolfers / Voland, Europäische Zentralbank und Bankenaufsicht – Rechtsgrundlage und demokra­ tische Kontrolle des Single Supervisory Mechanism, BKR 2014, 177, 180 f.; eher kritisch dazu Schmahl, Singuläre Integrationsverantwortung des Parlaments – oder kumulative Integrationsverantwortung der Parlamente?, DÖV 2014, 501, 504 f. 214  Vgl. den Antrag dieser Fraktion vom 12.06.2013, BT-Drs. 17 / 13910, S. 2 f., mit Verweis auf die Stellungnahme von Mayer für die Öffentliche Anhörung des Finanzausschusses des Bundestages zu diesem Thema am 03.06.2013; vgl. dazu auch den Aufsatz von Mayer / Kollmeyer, Sinnlose Gesetzgebung? Die Europäische Bankenunion im Bundestag, DVBl 2013, 1158. 215  BVerfGE 123, 267, 355 f., AbsNr. 243 – Lissabon. 216  BT-PlProt. 17 / 246, S. 31416 (C). 217  Siehe zur Wirkung der Zustimmung des Bundestages für die Verantwortlich­ keit der Bundesregierung unten S. 284 ff.

184

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

über herzustellen, kommt eine vertiefte europapolitische Kommunikation zustande (dazu unten 1.). Steht dem Bundestag außerhalb von Primärrechts­ änderungen oder vergleichbaren Entscheidungen nur ein Stellungnahmerecht zu, ist seine Position normativ schwächer und wird in der Praxis auch eher zurückhaltend wahrgenommen (dazu unten 2.). Seine direkten parlamentari­ schen Mitwirkungsrechte gegenüber der Union nutzt der Bundestag eben­ falls nur selten (dazu unten 3.). 1. Herstellung des Einvernehmens zwischen Bundesregierung und Bundestag Der Bundestag hat bei Primärrechtsänderungen eine normativ starke Posi­ tion, da diese stets von seiner Zustimmung abhängig sind (Art. 23 Abs. 1 GG). Diese Zustimmung erfolgt jedoch erst, wenn auf europäischer Ebene bereits alles ausverhandelt und beschlossen ist. Inhaltlich kann der Bundestag dann in der Regel nicht mehr auf die Verträge Einfluss nehmen. Daher wurde für Primärrechtsänderungen und bestimmte andere Entscheidungen schon vor der abschließenden Beschlussfassung auf europäischer Ebene ein wichtiges Mitwirkungsinstrument des Bundestages geschaffen. Bevor Beitrittsverhand­ lungen mit neuen Staaten, sonstige Vertragsänderungen oder die Einführung des Euro in einem neuen Mitgliedstaat auf europäischer Ebene beschlossen werden, muss die Bundesregierung den Bundestag auf sein Recht zur Stel­ lungnahme hinweisen und vor der abschließenden Entscheidung im Rat oder Europäischen Rat das Einvernehmen mit dem Bundestag dazu herstellen (§ 9 und § 9a EUBBG). In diesen Fällen ist somit die Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag zwingend vorgeschrieben.218 Der Bundestag verbindet die Erklärung des Einvernehmens in der Regel mit einer Stellungnahme zu dem Vorhaben. Der Bundestag nutzt so die Möglichkeit, bereits auf die Verhandlungen Einfluss zu nehmen. In der 17. Wahlperiode kam es zu sieben Fällen, in den ersten zehn Monaten der 18. Wahlperiode zu einem Fall, in denen zwischen Bundestag und Bundes­ regierung ein solches Einvernehmen hergestellt werden musste. a) Übergangsregelungen zur Erhöhung der Sitze des Europäischen Parlaments Das erste Einvernehmen bezog sich auf das ordentliche Änderungsverfah­ ren nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages. Dabei ging es um die Schaf­ fung von Übergangsregelungen zur Erhöhung der Mitgliederzahl des Euro­ 218  Vgl.

zu den rechtlichen Grundlagen oben S. 111 ff.



V. Die parlamentarische Mitwirkung185

päischen Parlaments. Da der Vertrag von Lissabon erst nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2009 in Kraft getreten war, konnte das Europäische Parlament nur nach dem alten Recht mit 736 Sitzen statt mit den nach dem Lissabon-Vertrag vorgesehenen 750 Sitzen219 gebildet wer­ den. Durch die Übergangsregelungen sollte die Sitzanzahl bis zum Ende der Wahlperiode des Europäischen Parlaments im Jahr 2014 auf 754 Sitze220 erhöht werden. Die neuen Mitglieder des Europäischen Parlaments sollten jedoch nicht durch eine Nachwahl oder auf der Basis des Ergebnisses der Wahl im Juni 2009, sondern durch die mitgliedstaatlichen Parlamente be­ stimmt werden. Nachdem die Bundesregierung den Bundestag darüber un­ terrichtet hatte, legten alle Fraktionen des Bundestages Anträge221 dazu vor, die dem Europaausschuss federführend überwiesen wurden. Den Anträgen war gemein, dass sie sich ausdrücklich gegen die Bestimmung der zusätz­ lichen Mitglieder des Europäischen Parlaments durch die nationalen Parla­ mente aussprachen. Das Plenum des Bundestages beriet das Vorhaben am 6. Mai 2010 in einer dreiviertelstündigen Debatte.222 Entsprechend der Be­ schlussempfehlung des Europaausschusses223 erklärte es nicht sein Einver­ nehmen mit den Übergangsregelungen, sondern stimmte „nur“ der Aufnah­ me von Verhandlungen über dieses Vorhaben auf Unionsebene zu.224 In seiner damit verbundenen Stellungnahme gab der Bundestag der Bundesre­ gierung auf, in den Verhandlungen die Bedenken des Deutschen Bundesta­ ges im Hinblick auf die Bestimmung der neuen Mitglieder des Europäischen Parlaments durch die mitgliedstaatlichen Parlamente deutlich zu machen.225 Er forderte die Bundesregierung außerdem auf, vor der abschließenden Entscheidung im Rat Einvernehmen mit dem Bundestag zu suchen, der Bundestag werde dann abschließend darüber beraten.226 Auch wenn die Formulierungen des Bundestages zurückhaltend sind, geht daraus seine ab­ lehnende Haltung zweifelsfrei hervor. Allerdings ergab sich in den Verhand­ lungen auf europäischer Ebene, dass sich der von der Sitzerhöhung betrof­ fene Mitgliedstaat Frankreich aufgrund seiner Rechtsordnung nicht in der Lage sah, entweder eine Nachwahl durchzuführen oder die neuen Mitglieder 219  Art. 14

Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 EUV. kein Mitgliedstaat durch die Neuberechnung in der Wahl gewonnene Sitze verlieren sollte, wurde in dieser laufenden Wahlperiode die Anzahl um vier Sitze gegenüber der Anzahl des Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 EUV erhöht. 221  BT-Drs. 17 / 1179 (CDU / CSU und FDP); 17 / 235 (SPD); 17 / 1417 (Bündnis 90 / Die Grünen); 17 / 1568 und 17 / 2049 (Die Linke). 222  BT-PlProt. 17 / 40, S. 3910 (D) ff. 223  Beschlussempfehlung und Bericht vom 21.04.201, BT-Drs. 17 / 1460. 224  BT-PlProt. 17 / 40, S. 3921 (B)f. 225  BT-Drs. 17 / 1179, S. 2 f. 226  BT-Drs. 17 / 1179, S. 3. 220  Da

186

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

auf der Basis der Wahlergebnisse von Juni 2009 zu bestimmen. Die Bun­ desregierung teilte dem Bundestag daraufhin am 2. Juni 2010 mit, dass sie aufgrund des bilateralen Verhältnisses zu Frankreich den Übergangsvor­ schriften trotz der Bedenken zustimmen wolle.227 Der Bundestag erklärte in seiner Sitzung am 17. Juni 2010, ohne weitere Überweisung des Vorgangs an die Ausschüsse, sein Einvernehmen auf der Basis eines entsprechenden Antrags der Koalitionsfraktionen zu den Übergangsvorschriften.228 Der zü­ gige Beschluss des Bundestages über das Einvernehmen gründet sich darauf, dass die Übergangsregelungen bereits auf der Tagung des Europäischen Rates am 17. / 18. Juni 2010 beschlossen wurden und die Regierungskonfe­ renz schon am 23. Juni 2010 stattfinden sollte.229 Der Bundestag begründe­ te die Herstellung seines Einvernehmens trotz der bestehenden Bedenken damit, dass das Verfahren auf die verbleibende Zeit der Wahlperiode 2009 bis 2014 befristet sei und er daher davon ausgehe, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen werde. b) Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island, Montenegro und Serbien Auch bei dem Beschluss, Beitrittsverhandlungen mit neuen Mitgliedstaa­ ten aufzunehmen, nutzte der Bundestag die Herstellung des Einvernehmens, um schon Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen. Der Bundestag erteil­ te sein Einvernehmen230 für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island (Frühjahr 2011) und Montenegro (Herbst 2011) und gab Stellungnah­ men ab, die allerdings im Wesentlichen darauf gerichtet waren, die Verhand­ lungsposition der Bundesregierung zu stützen. Zu der Aufnahme von Bei­ trittsverhandlungen mit Island fanden im Plenum des Bundestages insgesamt drei mündliche Debatten statt, im Falle von Montenegro wurden die Reden vor der Beschlussfassung zu Protokoll gegeben.231 227  Siehe die Darstellung der Kommunikation zwischen Bundestag und Bundes­ regierung zu diesem Thema in dem Antrag der Fraktionen der CDU / CSU und FDP zur Erteilung des Einvernehmens zu den Übergangsregelungen vom 16.06.2010, BT-Drs. 17 / 2127, S. 2. 228  BT-PlProt. 17 / 49, S. 4494 (B). 229  Vgl. die Einberufung der Regierungskonferenz durch den Rat am 17. Juni 2010. Das Dokument kann auf der Seite des Rates aufgerufen werden unter: http:// register.consilium.europa.eu / pdf / de / 10 / st11 / st11192.de10.pdf. 230  Island: Antrag der Fraktionen CDU / CSU und FDP vom 24.03.2010, BT-Drs. 17 / 1190, vom Plenum angenommen am 22.04.2010, BT-PlProt. 17 / 37, S. 3528 (A); Montenegro: Antrag der Fraktionen der CDU / CSU und FDP vom 22.11.2011, BTDrs. 17 / 7768, vom Plenum angenommen am 01.12.2011; BT-PlProt. 17 / 146, S. 17475 (C).



V. Die parlamentarische Mitwirkung187

Ein sehr kontroverser Fall war die Empfehlung der Kommission vom 22. April 2013, Beitrittsverhandlungen mit der Republik Serbien aufzuneh­ men. Am 17. Mai 2013 wurde diese dem Europaausschuss des Bundestages zur federführenden Beratung und sechs weiteren Ausschüssen des Bundes­ tages zur Mitberatung überwiesen. Am 27. Mai 2013 unterrichtete die Bun­ desregierung den Bundestag jedoch, dass der Rat bereits am 25. Juni 2013 die Fortschritte Serbiens bewerten und im Falle einer positiven Bewertung der Europäische Rat nur zwei Tage später, am 27. / 28. Juni 2013, über ein Datum für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien entschei­ den sollte. Vor einer Entscheidung im Rat und insbesondere im Europäi­ schen Rat musste somit die Bundesregierung das Einvernehmen des Bun­ destages einholen. Die Fraktionen der CDU / CSU und der FDP beantragten daher am Tag der Ratssitzung (25. Juni 2013), dass das Plenum sein Ein­ vernehmen zu dem Beginn der Beitrittsverhandlungen erteilen, jedoch eine umfangreiche Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung abgeben sollte. Eine Beschlussempfehlung des Europaausschusses wurde nicht abge­ wartet. Der Bundestag machte in seiner Stellungnahme deutlich, dass er erhebliche Bedenken gegenüber einem Beitritt Serbiens zur Union habe, solange sich die Beziehungen Serbiens gegenüber dem Kosovo nicht nor­ malisiert haben und Serbien nicht weitere erhebliche Anstrengungen unter­ nehme, den Anforderungen an Rechtsstaatlichkeit gerecht zu werden. Des Weiteren wird die Bundesregierung aufgefordert sicherzustellen, dass die Beitrittsverhandlungen erst abgeschlossen werden, wenn die zuständigen serbischen Behörden und Gerichte alles in ihrer Macht Stehende getan ha­ ben, um den Brandanschlag auf die deutsche Botschaft in Belgrad im Jahr 2008 in einem rechtsstaatlichen Verfahren vollständig aufzuklären und die Täter sowie insbesondere die Hintermänner rechtskräftig zu verurteilen.232 Dieser Antrag wurde vom Plenum am 27. Juni 2013 nach einer umfangrei­ chen Aussprache mit den Stimmen der Regierungsfraktionen beschlossen, wobei auch die Fraktionen der SPD und Bündnis 90 / Die Grünen grundsätz­ lich das Einvernehmen erteilen, jedoch dem übrigen Inhalt des Antrags so nicht zustimmen wollten.233 231

231  Vgl. dazu die ausführliche Darstellung mit entsprechenden Nachweisen bei: Daiber, Das Integrationsverantwortungsgesetz in der Praxis des Deutschen Bundes­ tages, ZParl 2012, 293, 299 f. 232  BT-Drs. 17 / 14108. 233  BT-PlProt. 17 / 250, S. 31883 (C) ff.; in Zusammenhang mit der Erklärung der Bundeskanzlerin Merkel zu den Ergebnissen des G-8-Gipfels und zum Europäischen Rat am 27. / 28. Juni 2013 in Brüssel.

188

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

c) Ergänzung des Art. 136 AEUV für die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Das Einvernehmen musste außerdem für die Ergänzung des Art. 136 AEUV um einen dritten Absatz im vereinfachten Vertragsveränderungsver­ fahren hergestellt werden.234 Nach diesem neuen Art. 136 Abs. 3 Satz 1 AEUV ist es den Mitgliedstaaten, die bereits den Euro eingeführt haben, erlaubt, einen Stabilisierungsmechanismus zu errichten, der aktiviert wer­ den kann, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Wäh­ rungsgebietes insgesamt zu wahren. Auf dieser Basis konnte der Europäi­ sche Stabilitätsmechanismus errichtet werden.235 Der Europäische Rat ei­ nigte sich auf seiner Tagung am 16. / 17. Dezember 2010 darüber, das ver­ einfachte Vertragsänderungsverfahren einzuleiten. Am 14. Dezember 2010, d. h. vor dieser Einigung im Europäischen Rat, unterrichtete die Bundesre­ gierung den Bundestag über den Änderungsvorschlag. Alle Fraktionen leg­ ten im Februar 2011 Anträge zur Abgabe einer Stellungnahme vor.236 Bis auf die Fraktion Die Linke237 beantragten alle Fraktionen, dass der Bun­ destag sein Einvernehmen zur Änderung des Art. 136 AEUV erteilen soll­ te. Die Anträge wurden ebenfalls im Europaausschuss federführend beraten und er empfahl, den Antrag der Fraktionen von CDU / CSU und FDP an­ zunehmen und so das Einvernehmen zu erklären und eine Stellungnahme abzugeben.238 Dies wurde vom Plenum des Bundestages am 17. März 2011 nach einer Aussprache von 45 Minuten mit den Stimmen der Regierungs­ fraktionen so beschlossen.239 In der Stellungnahme stellte der Bundestag für die Verhandlungen über die Einrichtung des Europäischen Stabilitäts­ mechanismus eine ganze Reihe von Forderungen auf,240 die der Position der Bundesregierung entsprachen. Die Änderung des Art. 136 AEUV wur­ de auf der Tagung des Europäischen Rates am 24. / 25. März 2011 be­

234  Zur Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens in diesem Fall: Daiber, Das Integrationsverantwortungsgesetz in der Praxis des Deutschen Bundestages, ZParl 2012, 293, 296 f. 235  Vgl. dazu auch die Entscheidung BVerfGE 132, 195, 247 ff., Rdnr. 127 ff. – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Eilverfahren. 236  BT-Drs. 17 / 4880 (CDU / CSU und FDP), 17 / 4881 (SPD), 17 / 4882 (Die Lin­ ke), 17 / 4883 (Bündnis 90 / Die Grünen). 237  Die Fraktion Die Linke forderte in ihrer Stellungnahme, dass die Änderung im Ordentlichen Änderungsverfahren (Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV) durchgeführt werden sollte. 238  BT-Drs. 17 / 5094. 239  BT-PlProt. 17 / 96, S. 11002 (D) ff. 240  Vgl. die Zusammenfassung der Forderungen in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Europaausschusses vom 16.03.2011, S. 6, BT-Drs. 17 / 5094.



V. Die parlamentarische Mitwirkung189

schlossen.241 Der Bundestag stimmte am 29. Juni 2012 nach einer zweiein­ halbstündigen Debatte der Änderung und dem Vertrag über den Europäi­ schen Stabilitätsmechanismus zu.242 d) Regierungskonferenz zur Annahme des Protokolls zu dem Anliegen der irischen Bevölkerung Innerhalb besonders kurzer Zeit erteilte der Bundestag sein Einvernehmen zu der geplanten Einberufung einer Regierungskonferenz, in deren Rahmen dem Protokoll zu dem Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon243 zugestimmt werden sollte. In dem Protokoll wird festgestellt, dass die Bestimmungen des Vertrages in den Bereichen Recht auf Leben, Familie und Bildung, Steuerpolitik sowie der Gemeinsamen Si­ cherheits- und Verteidigungspolitik im Einklang mit der irischen Verfassung stehen. Dieses Protokoll war wichtiges Element zur Vorbereitung des Refe­ rendums in Irland zum Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 und sollte zu einem späteren Zeitpunkt dem Lissabon-Vertrag beigefügt werden. Auf eu­ ropäischer Ebene wurde beschlossen, die Erweiterung des Vertrages nicht in einem Konvent, sondern in einer Regierungskonferenz am 16. Mai 2012 anzunehmen. Die Bundesregierung unterrichtete den Bundestag über dieses Vorhaben am 4. Mai 2012 und ersuchte um das Einvernehmen des Bundes­ tages vor der abschließenden Entscheidung. Innerhalb von nur fünf Tagen, bereits am 9. Mai 2012, legten alle Fraktionen des Bundestages, mit Aus­ nahme der Fraktion Die Linke, dem Plenum den gemeinsamen Antrag vor, das Einvernehmen zu erteilen und die Bundesregierung aufzufordern, über den Ausgang der Regierungskonferenz zu berichten.244 Die Anträge wurden nicht an die Ausschüsse überwiesen, sondern das Plenum stimmte darüber am 10. Mai 2012 ab. Die Reden zu diesem Antrag wurden zu Protokoll genommen.245 Im Weiteren kam allerdings die Bundesregierung auch in diesem Falle der ausdrücklichen Bitte des Bundestages, ihn in einem geson­ derten Bericht über die Regierungskonferenz zu unterrichten, nicht nach. Sie übermittelte wiederum lediglich den „Drahtbericht“ des deutschen Ver­ treters, den dieser für die Bundesregierung verfasst hatte. 241  Vgl. zu ganzen Vorgang: Daiber, Das Integrationsverantwortungsgesetz in der Praxis des Deutschen Bundestages, ZParl 2012, 293, 295 ff. 242  BT-PlProt.17 / 188, S. 22697 (B) ff.; namentliche Abstimmung: S. 22736 (D) ff., S. 22740 (C) ff., S. 22745 (A) ff., S. 22747 (B) ff. 243  Vgl. dazu und zu den nähren Erläuterungen das Ratsdokument vom 02.09.2011, Ratsdok. 13181 / 11. 244  BT-Drs. 17 / 9568. 245  BT-PlProt. 17 / 178, S. 21207 (D)f.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

e) Einführung des Euro in Lettland Ebenfalls innerhalb kürzester Zeit erteilte der Bundestag sein Einverneh­ men zu dem geplanten Beschluss, nach dem der Euro ab dem 1. Januar 2014 in der Republik Lettland als Währung eingeführt werden sollte. Am 7. Juni 2012 unterrichtete die Bundesregierung den Bundestag, dass die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank festgestellt hät­ ten, dass Lettland die Konvergenzkriterien für die Einführung des Euro er­ füllt habe. Die Empfehlung der Euro-Mitgliedstaaten (Art. 140 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV) zum Eurobeitritt Lettlands sollte auf der Tagung des Rats Wirtschaft und Finanzen am 20. / 21. Juni 2013 beschlossen werden. Bereits vier Tage nach der Unterrichtung durch die Bundesregierung legten alle Fraktionen, außer der Fraktion Die Linke, am 11. Juni 2013 einen gemein­ samen Antrag dazu vor.246 Danach sollte das Einvernehmen erteilt, eine Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung jedoch nicht abgegeben werden. Ohne Überweisung an die Ausschüsse stimmte das Plenum diesem Antrag am 13. Juni 2013 zu.247 Dies war der erste Fall, in dem das Einvernehmen zwischen Bundestag und Bundesregierung vor einem Beschluss zur Einführung des Euro in ei­ nem neuen Mitgliedstaat (§ 9a Abs. 2 Satz 1 EUZBBG) hergestellt wurde. Dieser Fall ist auch deshalb bemerkenswert, weil diese Einvernehmensvor­ schrift erst mit der Novelle von 2013 in das EUZBBG eingeführt wurde. Die Novelle trat erst am 4. Juli 2013 in Kraft248 und damit nach der Ent­ scheidung im Juni 2013. Da diese Einvernehmensvorschrift jedoch wenige Tage später Gültigkeit erlangen sollte, vereinbarten Vertreter der Bundesre­ gierung und des Bundestages, das Einvernehmen auch schon zu diesem Vorhaben herzustellen. f) Einführung des Euro in Litauen Auch in der 18. Wahlperiode standen für die Herstellung des Einverneh­ mens des Bundestages zu dem Beschluss, auf dessen Basis der Euro am 1. Januar 2015 in Litauen eingeführt werden sollte, erneut nur wenige Tage zur Verfügung. Aus dem entsprechenden Antrag der Fraktionen der CDU / CSU, der SPD und von Bündnis 90 / Die Grünen vom 23. Juni 2014249 geht hervor, dass im Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) am 19. / 20. Juni 2014 das politische Einvernehmen zum Beitritt Litauens zum 246  BT-Drs.

17 / 13887. 17 / 246, S. 31428 (A)f. 248  BGBl. 2013 I, S. 2170. 249  BT-Drs. 18 / 1800, S. 2. 247  BT-PlProt.



V. Die parlamentarische Mitwirkung191

Euro-Währungsgebiet erzielt wurde. Bevor am 26. Juni 2014 die Aussprache im Europäischen Rat erfolgen sollte, musste die Bundesregierung das Einver­ nehmen mit dem Bundestag herstellen. Dafür standen somit nur zwei Tage zur Verfügung. Diese zwei Tage fielen in die sogenannte Haushaltswoche des Bundestages im Juni 2014. Daher wurde die Frage des Einvernehmens zum Beitritt von Litauen zum Euro-Währungsgebiet in einer inhaltlich recht ge­ wagten Allianz zusammen mit dem Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2014 zur Veränderung der Bundeszuschüsse an den Gesundheitsfonds der ge­ setzlichen Krankenkassen am 24. Juni 2014 beraten.250 Zwar waren für die Debatte mehr als zwei Stunden vorgesehen und es sprachen neben dem Bun­ desfinanzminister Schäuble insgesamt 15 Mitglieder des Bundestages. Die Frage der Euro-Einführung in Litauen nahm dabei nur höchstens die Hälfte der Beratungszeit ein. In der der Debatte folgenden Abstimmung stimmten die Fraktionen CDU / CSU, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen für die Erteilung des Einvernehmens, die Fraktion Die Linke enthielt sich. g) Die Bedeutung des Einvernehmens für die europapolitische Kommunikation An den dargestellten Fällen wird deutlich, dass sich der Bundestag mit den Vorhaben vertieft beschäftigt und darüber häufig im Plenum umfassend debattiert, wenn sein Einvernehmen erforderlich ist. Die Einvernehmensvor­ schrift führt folglich dazu, dass über das betroffene Vorhaben eine effektive Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag zustande kommt. Auch wenn die Stellungnahmen in der Regel nicht der Haltung der Bundes­ regierung widersprechen, führt allein die Vorgabe, das Einvernehmen herzu­ stellen, zu einer stärkeren Berücksichtigung der Position des Bundestages. Allerdings musste der Bundestag sein Einvernehmen teilweise – insbeson­ dere bei dem Beschluss zum Protokoll für Irland und zur Einführung des Euro in Lettland – innerhalb weniger Tage erteilen. Die Fraktionen mussten daher in sehr kurzer Zeit die Dokumente studieren, prüfen und auf dieser Basis ihre Haltung erarbeiten. Diese Zeitnot war den straffen Zeitplänen auf europäischer Ebene geschuldet. Hier wäre eine erhöhte Rücksichtnahme auf die nationalen Parlamente und ihre nationalen Beteiligungsrechte angezeigt. Auch bei der schwierigen Frage, der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien, standen dem Bundestag nur wenige Wochen zur Analyse und Beratung zur Verfügung. Zwar hat der Bundestag auch unter diesem Zeit­ druck die Vorhaben prüfen, sein Einvernehmen erteilen und im Falle von Serbien eine umfangreiche Stellungnahme erarbeiten können. Allerdings 250  BT-PlProt. 18 / 41, S. 3572 (B) ff. Vgl. zum Haushaltsbegleitgesetz 2014: BTDrs. 18 / 1059.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

geschah dies jeweils ohne Einbindung der Ausschüsse. Die Anträge wurden jeweils direkt vom Plenum beschlossen. Bei solch wichtigen europapoliti­ schen Fragen erscheint es jedoch gerade sinnvoll, die gängigen parlamenta­ rischen Entscheidungsverfahren zu nutzen und auf die Ausschussberatung, d. h. auf ein Gespräch zwischen Fachpolitikern, und damit auf das „Herz­ stück der parlamentarischen Tätigkeit“251 nicht zu verzichten. Ein weiteres Problem besteht auch hier darin, dass die Bundesregierung ihren Pflichten, den Bundestag in gesonderten Berichten über die weiteren Verhandlungen zu unterrichten, nur unzulänglich nachkommt. Gibt der Bun­ destag im Zusammenhang mit dem Einvernehmen eine Stellungnahme ab, gelten dafür ebenfalls die verschiedenen Berichtspflichten nach § 8 EU­ ZBBG.252 In seiner Stellungnahme zu der Aufnahme von Beitrittsverhand­ lungen mit Serbien fordert der Bundestag die Bundesregierung daher auch auf, „den Deutschen Bundestag gemäß den §§ 4 bis 7 EUZBBG fortlaufend über den Stand der Beitrittsverhandlungen zu unterrichten und dabei auch die eigene Hal­ tung deutlich zu machen. Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt sollen nicht nur von der EU-Kommission, sondern regelmäßig auch von der Bundesregierung un­ ter Einbeziehung ihrer diplomatischen Vertretungen bewertet werden“.253

Der Bundestag verlangt somit ausdrücklich eigene Bewertungen der Bun­ desregierung, auch wenn dabei noch nicht deutlich genug wird, dass diese für den Bundestag erstellt werden müssen. Ebenfalls misslich ist, dass der Bundestag in diese Forderung nicht auch die Berichtspflichten im Zusam­ menhang mit Stellungnahmen nach § 8 EUZBBG ausdrücklich einbezieht. Natürlich gelten sie auch ohne Erwähnung in der Stellungnahme, aber der Bundestag schwächt seine Position, wenn er dies in seine Forderungen nicht ausdrücklich einbezieht. 2. Die parlamentarische Mitwirkung durch sonstige Stellungnahmen Bei den sonstigen normativ festgelegten Mitwirkungsmöglichkeiten ge­ genüber der Bundesregierung spielen die Stellungnahmen des Bundestages zu europäischen Angelegenheiten eine maßgebliche Rolle. Die Bundesregie­ rung ist verpflichtet, dem Bundestag vor ihrer Mitwirkung an Rechtset­ zungsakten der Union Gelegenheit zur Abgabe einer solchen Stellungnahme zu geben (Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG). Der Bundestag kann dann zu den Rechtsetzungsakten der Union, aber auch zu allen anderen europäischen 251  Böhm, Der Arbeitsstil des Bundestages. Gedanken und Anregungen zur Tätig­ keit der Ausschüsse, in: Die Neue Gesellschaft 11 (1964), 347. 252  § 9 Abs. 1 und § 9a Abs. 1 EUZBBG verweisen ausdrücklich auf § 8 EUZBBG. 253  BT-Drs. 17 / 14108, S. 5.



V. Die parlamentarische Mitwirkung193

Angelegenheiten gegenüber der Bundesregierung Stellung nehmen. Der Europaausschuss des Bundestages hat darüber hinaus das Recht, anstelle des Plenums europapolitische Stellungnahmen abzugeben. a) Die Pflicht der Bundesregierung, dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben Obwohl die Bundesregierung verpflichtet ist, dem Bundestag mitzuteilen, bis zu welchem Zeitpunkt eine Stellungnahme aufgrund des Beratungsver­ laufs auf Unionsebene angemessen erscheint (§ 8 Abs. 1 Satz 2 EUZBBG), erfolgt eine solche Information in der Praxis nicht. In dem Berichtsbogen, den die Regierung dem Bundestag zwei Wochen nach der förmlichen Zu­ leitung des Ausgangsdokumentes zu dem jeweiligen europäischen Vorhaben zusenden muss, finden sich Ausführungen zum Verfahrensstand (Stand der Befassung) sowie zum Zeitplan für die Behandlung des Dossiers im Rat und im Europäischen Parlament.254 Anhand dieser Angaben ist es zwar möglich, den Zeitpunkt zu ermitteln, bis zu dem eine Stellungnahme des Bundestages von der Bundesregierung noch berücksichtigt werden könnte, dies beruht jedoch auf einer Einschätzung zu Beginn des Verfahrens und kann eine genaue Angabe der Bundesregierung, die auch auf Änderungen des Zeitplans eingeht, nicht ersetzen.255 b) Die Stellungnahmen des Bundestages zu Rechtsetzungsvorhaben In der 17. Wahlperiode hat der Deutsche Bundestag insgesamt 23256 Stel­ lungnahmen zu Rechtsetzungsvorhaben abgegeben.257 In den ersten zehn 254  Vgl.

Anlage zu § 6 Abs. 2 EUZBBG. durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Be­ richt über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 27. 256  Recherche der Verfasserin in dem Dokumentations- und Informationssystem des Deutschen Bundestages „DIP“ (http://dipbt.bundestag.de / dip21.web / welcome. do?resetNav=y) am 03.09.2013. 257  Der Inhalt der Stellungnahmen zu den Vorschlägen können jeweils den ­folgenden BT-Drs. entnommen werden: 17 / 13165 (Verordnung über die regel­ mäßige technische Überwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhägern); 17 / 12183 (Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln); 17 / 11830 (Verordnung über Medizinprodukte und zur Änderung weiterer Rechtsakte sowie eine Verordnung über In-vitro-Diagnostika); 17 / 11847 (Verordnung zur Änderung der Verordnung über das Kontrollgerät im Straßenverkehr und weiterer Verordnun­ gen); 17 / 11325 (Verordnung zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr – Datenschutz-Grundverord­ nung); 17 / 11107 (Verordnung zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa); 17 / 10783 (drei Verordnungsvorschläge zur Reform der Gemeinsamen Fischereipoli­ 255  Unterrichtung

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Monaten seiner 18. Wahlperiode gab der Bundestag lediglich eine Stellung­ nahme ab.258 In der 17. Wahlperiode hat der deutsche Vertreter im Rat in zwei Fällen einen Parlamentsvorbehalt eingelegt. Dies bestätigt zunächst die Beobach­ tung, dass die Bundesregierung nur sehr selten Parlamentsvorbehalte in den Ratsgremien einlegt.259 aa) Besonderheit: Geltendmachung von Parlamentsvorbehalten in zwei Fällen durch den deutschen Regierungsvertreter Beide Fälle gehörten zu dem sogenannten Flughafenpaket. Der erste Fall betraf den Vorschlag für eine Verordnung über Bodenabfertigungsdienste tik); 17 / 10196 (Verordnung zur Aufstellung des Programms für Umwelt- und Kli­ mapolitik – LIFE); 17 / 9940 (Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2004 / 109 / EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind); 17 / 9069 (Richtlinie über die Konzessionsvergabe); 17 / 8617 (Verordnung über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union); 17 / 8618 (Verordnung über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes); 17 / 8484 (Verordnung über Leit­ linien der Union für den Aufbau des transeuropäischen Verkehrsnetzes); 17 / 8211 (Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 1999 / 32 / EG hinsichtlich des Schwefelge­ halts von Schiffskraftstoffen); 17 / 6456 (Richtlinie betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), Richtlinie zur Änderung der Richtlinien im Hinblick auf die Befugnisse der Euro­ päischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Alters­ vorsorge und der europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde (Omnibus II)); 17 / 5891 (Richtlinie zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen); 17 / 5768 (Verordnung zur Festlegung der technischen Vorschriften für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924 / 2009); 17 / 5241 (Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkom­ mens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen durch die Europäische Gemeinschaft); 17 / 4082 (Beschluss des Rates über den Antrag der Republik Irland auf finanzielle Unterstüt­ zung im Rahmen des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus); 17 / 3234 (Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen); 17 / 1610 (Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Neufassung) – Umsetzung der Initiative für kleine und mittlere Unternehmen in Europa – Small Business Act); 17 / 1461 (Richtlinie über die europäische Schutzanordnung); 17 / 1218 (Verordnung über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Biozidprodukten). 258  Dabei handelt es sich um die Stellungnahme des Bundestages zu dem Vor­ schlag für eine Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staats­ anwaltschaft (EPPO); der Inhalt der Stellungnahme kann folgender Bundestags­ drucksache entnommen werden: BT-Drs. 18 / 1658. 259  Hölscheidt, Die Verantwortung des Bundestages für die europäische Integra­ tion, DÖV 2012, 105, 109.



V. Die parlamentarische Mitwirkung195

auf Flughäfen der Union,260 die die geltende Richtlinie für diesen Bereich ablösen sollte. Der Bundestag kritisierte diesen Vorschlag heftig. Er be­ fürchtete vor allem, dass es auf der Basis des Verordnungsentwurfs zur Senkung des Lohnniveaus und der sozialen Absicherung der Arbeitnehmer in diesem Bereich sowie zu einer Verschlechterung der Beschäftigungssitua­ tion in der Region des jeweiligen Flughafens kommen könnte.261 Damit unterstützte der Bundestag die Position der Bundesregierung, was sich schon daran zeigt, dass der deutsche Vertreter in der zuständigen Ratsar­ beitsgruppe Luftverkehr des Rates schon am 31. Januar 2012 einen Parla­ mentsvorbehalt einlegte, obwohl der Bundestag seine Stellungnahme erst am 9. Februar 2012 und damit mehr als eine Woche später beschloss. In seiner Stellungnahme forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, ent­ weder auf eine Ablehnung des Vorschlags im Rat oder, sofern absehbar keine Mehrheit für eine Ablehnung zustande kommt, in den weiteren Ver­ handlungen auf europäischer Ebene auf maßgebliche Verbesserungen des Verordnungsvorschlags hinzuwirken.262 Eine vollständige Ablehnung des Vorhabens konnte der deutsche Vertreter im Rat nicht erreichen und legte daher einen Parlamentsvorbehalt ein.263 Eine deutliche Mehrheit des Euro­ päischen Parlaments sprach sich zunächst in der Debatte des Verordnungs­ vorschlages und später in der Abstimmung am 11. und 12. Dezember 2012 gegen den Verordnungsvorschlag aus. Die Abgeordneten äußerten dabei ähnliche Bedenken wie Deutschland im Rat, insbesondere wurden schlech­ tere Arbeitsbedingungen und Lohndumping befürchtet.264 Der Vorschlag wurde daraufhin an den zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments zurückverwiesen. In einem überarbeiteten Verordnungsvorschlag wurden weitgehende Änderungen in Bezug auf die Sozialvorschriften für Arbeitneh­ mer vorgenommen, die auch den Forderungen Deutschlands im Rat entge­ genkommen. Nachdem das Europäische Parlament den überarbeiteten Vor­ schlag am 16. April 2013 angenommen hatte, führten der Rat, das Europäi­ sche Parlament und die Kommission in der Folgezeit informelle Gespräche (sogenannte Trilog-Verhandlungen265), um einen Kompromiss zu erzielen. 260  KOM(2011)

824 endg.; Ratsdok. 18008 / 11. und Bericht vom 08.02.2012, BT-Drs. 17 / 8617. 262  Beschlussempfehlung und Bericht vom 08.02.2012, S. 3. BT-Drs. 17 / 8617. 263  Vgl. Bericht des Generalsekretariates an den Rat vom 16.03.2012, S. 2, Rats­ dok. 7704 / 12. 264  Vgl. Information Note by General Secretariat of the Council dated 21.12.2012, Outcome of the European Parliament’s proceedings, Ratsdok. 17483 / 12. 265  Vgl. zum Ablauf von Trilogverhandlungen: Jensen / Martinsen, Out of time? – National parliaments and early decision making in the European Union, OPAL Online Paper, No. 8 / 2012, S. 6 ff.; zur Wortschöpfung „Trilog“, „trialogue“ oder „trilogue“: Michaels, EU Trialogue Tries 2 Hard, in: Real Time Brussels (Beilage 261  Beschlussempfehlung

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Diese Gespräche konnten auch bis zum Herbst 2014, d. h. auch bis in die 18. Wahlperiode des Bundestages nicht abgeschlossen werden, so dass an dieser Stelle über das Schicksal des Parlamentsvorbehaltes nicht berichtet werden kann. Aufgrund der schwierigen Verhandlungen zu diesem Vorhaben wurde diese Verordnung aus dem Flughafenpaket herausgenommen, so dass über die beiden Vorhaben getrennt weiterverhandelt wurde. Das zweite Vorhaben, in dem der zweite Parlamentsvorbehalt eingelegt wurde, fiel ebenfalls in den Bereich der Regelungen zum Betrieb von Flughäfen. In den Verhandlungen über den Vorschlag für eine Verordnung über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union266 machte der deutsche Vertreter im Rat ebenfalls einen Parlamentsvorbehalt geltend.267 Zuvor hatte der Bundestag in seiner Sitzung am 9. Februar 2012 einstimmig268 eine Stellungnahme (Art. 23 Abs. 3 GG) zu diesem Vorhaben abgegeben.269 Dabei kritisierte der Bun­ destag insbesondere, dass die geplante Verordnung gegen die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit verstoße. Sie grenze die Maßnah­ menoptionen zum Schutz vor Lärmbelästigungen zu sehr ein und gebe den Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit, den Schutz aufgrund der örtlichen Gegebenheiten zu bestimmen. Die Einführung einer weiteren Kontrollins­ tanz auf Unionsebene schaffe nur weitere unnötige Bürokratie und Verwal­ tungsebenen. Der Kommission werde durch die Verordnung die Befugnis zur Änderung wesentlicher Bestandteile der Verordnung übertragen, ob­ wohl wesentliche Vorschriften der Verordnung wie die Festlegung von Lärmhöchstwerten nur aufgrund eines Gesetzgebungsverfahrens geändert werden dürfen. Da die Forderungen des Bundestages, die im Wesentlichen auch der Position der Bundesregierung entsprachen, nicht durchgesetzt werden konnten, legte der deutsche Vertreter in der Ratsarbeitsgruppe Luft­ verkehr einen Parlamentsvorbehalt ein. In der Sitzung des Rates am 7. Ju­ ni 2012 erläuterte der deutsche Bundesverkehrsminister die weiterhin be­ stehenden Bedenken Deutschlands an dem Entwurf, stimmte aber aufgrund des Wall Street Journals), vom 20.12.2012 (im Internet aufrufbar unter: http://blogs. wsj.com / brussels / 2012 / 12 / 20 / eu-trialogue-tries-2-hard / ). 266  „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Union im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2002 / 30 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates“, KOM(2011)828 endg., Ratsdok. 18010 / 11. 267  Bericht des Generalsekretariats über die Beratungsergebnisse zu diesem Vor­ haben für die Delegationen vom 08.06.2012, Ratsdok: 10897 / 12. 268  BT-PlProt. 17 / 158, S. 18974 (C). 269  Der Inhalt der Stellungnahme kann aus der Beschlussempfehlung und dem Bericht vom 08.02.2012, BT-Drs. 17 / 8618, entnommen werden.



V. Die parlamentarische Mitwirkung197

der erreichten Kompromisse der Allgemeinen Ausrichtung des Rates zu dem Verordnungsentwurf270 zu. Der Parlamentsvorbehalt wurde allerdings aufrechterhalten. Diese grundsätzlich kompromissbereite Haltung behielt die Bundesregierung im Folgenden bei. In den Trilogverhandlungen, die im Frühjahr des Jahres 2014 geführt wurden, konnten nach Auffassung der Bundesregierung die wesentlichen Bedenken des Bundestages und des Bundesrates ausgeräumt werden. Daher stimmte Deutschland dem Vorha­ ben im März 2014 schließlich zu.271 Besondere Berichte der Bundesregierung dazu, in welchem Umfange die Forderungen des Bundestages in den Verhandlungen durchgesetzt werden konnten, finden sich auch bei diesem Rechtsetzungsvorhaben nicht. In beiden Fällen ergibt sich der geschilderte Ablauf der Gesetzgebungs­ verfahren nur aus den Dokumenten des Rates, die auf der Internetseite des Rates272 veröffentlicht sind und von der Bundesregierung an den Bundestag weitergeleitet wurden. Weitere Informationen über die Verhandlungen und ihr Ergebnis erhalten die Abgeordneten – jedenfalls auf der Basis von Do­ kumenten – nur, wenn sie z. B. bei der Verordnung zu lärmbedingten Be­ triebsbeschränkungen auf Flughäfen die insgesamt 39 Drahtberichte, Wei­ sungen an den deutschen Vertreter in den Arbeitsgruppen und die Vor- und Nachberichte zu Ratstagungen im Einzelnen durchsehen. bb) Der Einfluss der Stellungnahmen auf die deutsche Position im Rat und die Ratsverhandlungen Die meisten Stellungnahmen stützten die Position der Bundesregierung. Die Stellungnahmen basierten auf den bereits in der Umfassenden Bewer­ tung oder dem Berichtsbogen von der Bundesregierung dargestellten kriti­ schen Punkten des europäischen Gesetzgebungsvorhabens, gingen jedoch teilweise auch darüber hinaus. Deutlich ausführlicher und differenzierter als die erste Bewertung der Bundesregierung war die Stellungnahme des Bundestages zu dem Vorschlag einer Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr 270  Vgl. Rat der Europäischen Union 08.06.2012 (im Internet aufrufbar unter: http://register.consilium.europa.eu / pdf / de / 12 / st10 / st10897.de12.pdf) und die Pres­ semitteilung über die 3171. Tagung des Rates Verkehr, Telekommunikation und Energie am 7. / 8.06.2012, S. 15 f. (im Internet aufrufbar unter: http://www.consilium. europa.eu / uedocs / cms_data / docs / pressdata / de / trans / 131750.pdf). 271  Ratsdok. 8171 / 14. Die Verordnung wurde bekannt gemacht: EU-ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 65. 272  http://www.consilium.europa.eu /.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

(Neufassung) vom 14. April 2009.273 Zu diesem Vorhaben hat der federfüh­ rende Rechtsausschuss des Bundestages am 19. April 2010 ein erweitertes Berichterstattergespräch durchgeführt, bei dem Vertreter betroffener Verbän­ de und Rechtsexperten (u. a. Universitätsprofessoren aus dem Bereich des Bürgerlichen Rechts) befragt wurden.274 In diesem Gespräch wurden zu vielen Aspekten des Richtlinienvorschlags Probleme und Kritikpunkte auf­ gezeigt. Diese Bedenken gegen den Richtlinienvorschlag fasste der Aus­ schuss in der Stellungnahme des Bundestages zusammen,275 die später einstimmig vom Plenum verabschiedet wurde.276 Der Bundestag konnte mit diesen ausführlichen Argumenten einen nicht unerheblichen Einfluss auf die nationale Willensbildung ausüben und gleichzeitig der Position der Bundes­ regierung, die im Ergebnis von der des Bundestages nicht abwich, in den Verhandlungen besonderes Gewicht verleihen. Um das Rechtsetzungsver­ fahren auf europäischer Ebene möglichst im Rahmen einer Lesung abzu­ schließen, führten der Rat, das Europäische Parlament und die Kommission Trilog-Verhandlungen.277 In diesen Verhandlungen wurden umfangreiche Änderungen an dem Richtlinienvorschlag vereinbart, die auch einige Beden­ ken des Bundestages ausräumten. Diese Änderungen wurden in der Stel­ lungnahme (Standpunkt) des Europäischen Parlaments formell vorgeschla­ gen (Art. 294 Abs. 3 AEUV),278 so dass sie aufgrund der zuvor gefundenen informellen Einigung vom Rat gebilligt werden konnten (Art. 294 Abs. 4 AEUV).279 Vermutlich weil in dem gefundenen Kompromiss jedenfalls die wesentlichen Forderungen des Bundestages berücksichtigt wurden, legte die Bundesregierung keinen Parlamentsvorbehalt ein. Auch bei weiteren Vorhaben, zu denen der Bundestag Stellungnahmen abgegeben hat, verliefen die Verhandlungen bis zum Abschluss des Gesetz­ gebungsaktes ähnlich. Kennzeichnend für diese Verfahrensabläufe ist, dass sich für die Position der Bundesregierung und des Bundestages in den 273  KOM(2009)126

endg. / Ratsdok. 8969 / 09. die Darstellung in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 05.05.2010, BT-Drs. 17 / 1610, S. 3 f. 275  Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 05.05.2010, BT-Drs. 17 / 1610. 276  BT-PlProt. 17 / 40, S. 3852 (C). 277  I / A-Punkt-Vermerk des Generalsekretariats des Rates für den Ausschuss der ständigen Vertreter / Rat vom 18.01.2011 für die Annahme des Gesetzgebungsaktes, Ratsdok. 5174 / 1 / 11. 278  Vermerk des Generalsekretariats für den Ausschuss der ständigen Vertre­ ter / Rat vom 25.10.2010 zu den Ergebnissen der ersten Lesung des Europäischen Parlaments, Ratsdok. 15035 / 10. 279  I / A-Punkt-Vermerk des Generalsekretariats des Rates für den Ausschuss der ständigen Vertreter / Rat vom 18.01.2011 für die Annahme des Gesetzgebungsaktes, Ratsdok. 5174 / 1 / 11. 274  Vgl.



V. Die parlamentarische Mitwirkung199

Ratsarbeitsgruppen (zunächst) keine Mehrheit findet. Der Bundestag gibt somit Stellungnahmen vor allem in solchen Fällen ab, in denen absehbar ist, dass die Bundesregierung Schwierigkeiten haben wird, die deutsche Posi­ tion im Rat durchzusetzen. Daher weichen die Stellungnahmen des Bundes­ tages auch in der Regel nicht von der Position der Bundesregierung ab. In den Ratsarbeitsgruppen werden die Rechtsetzungsvorschläge im Einzelnen besprochen und dem deutschen Vertreter gelingt es, jedenfalls einen Teil der Forderungen durchzusetzen.280 Wichtige Punkte bleiben jedoch oft unbe­ rücksichtigt. Dennoch stimmt der deutsche Minister im Rat auf dieser Basis der Aufnahme von Trilog-Verhandlungen zwischen der Ratspräsidentschaft, Vertretern der Kommission und dem Europäischen Parlament zu. Teilweise werden diese jedoch unter den Vorbehalt weiterer Verhandlungen im Rat gestellt. Wird im Trilog ein Kompromiss gefunden, der auch die Forderun­ gen des Europäischen Parlaments umfasst, die gegebenenfalls mit der Posi­ tion Deutschlands übereinstimmen,281 stellt sich Deutschland diesem nicht mehr entgegen. Zwar werden die verbleibenden Kritikpunkte Deutschlands deutlich gemacht, aber unter Berücksichtigung des gefundenen Kompromis­ ses und zugunsten einer baldigen Verabschiedung des Vorhabens in erster Lesung zurückgestellt.282 Der Bundestag nutzt die Stellungnahmen daher im Wesentlichen als poli­ tisches Instrument, um die Position der Bundesregierung bzw. Deutschlands im Rat zu stützen. Er nutzt sie in der Regel nicht, um eigene Positionen in die politische Willensbildung einzubringen, die über eine Erweiterung der Argumenta­tionslinien der Bundesregierung hinausgehen. Dies führt zu dem Ergebnis, dass der Bundestag durch die Stellungnahmen nur äußerst selten einen eigenen Einfluss auf die Verhandlungen im Rat hat, sondern sich in diesen Fällen als politische Stütze der Bundesregierung versteht. In der parlamentarischen Praxis führt dieser politisch motivierte Einsatz der Stellungnahmen dazu, dass der Bundestag nur verhältnismäßig wenige 280  Vgl. als Beispiel für einen solchen Verhandlungsverlauf: Vierter Bericht [der Bundesregierung] über die Substitution risikoreicher durch risikoärmere BiozidWirkstoffe und Biozid-Produkte, über den aktuellen Sachstand zur Umsetzung der Biozid-Richtlinie und des Überprüfungsprogrammes der Altwirkstoffe sowie der aktuellen Entwicklungen auf EU-Ebene, BT-Drs. 17 / 6903, S. 5. 281  Vgl. etwa die kritische Haltung des Europäischen Parlaments zu dem Vor­ schlag für eine Verordnung über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union, oben dargestellt S. 194 f. 282  So z. B. bei dem im Trilogverfahren gefundenen Kompromiss zu dem Vorschlag über eine Richtlinie zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit ge­ fährlichen Stoffen (Severo III-Richtlinie), vgl. A-Punkt-Vermerk zum überarbeiteten Richtlinienentwurf vom 22. Juni 2012, Ratsdok. 11207 / 12 ADD 1 REV 1; ähnlich für die Allgemeine Ausrichtung des Rates in Bezug auf Vorschlag für eine Verordnung über Bodenabfertigungsdienste auf Flughäfen der Union, vgl. dazu oben S. 194 f.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Stellungnahmen zu Rechtsetzungsvorhaben abgibt. Die 23 Stellungnahmen des Bundestages in der 17. Wahlperiode werden von rund 250 Stellungnah­ men des Bundesrates im gleichen Zeitraum deutlich übertroffen. Daneben blieben andere wichtige Dossiers vom Bundestag unkommentiert. Dazu gehört z. B. der Vorschlag der sogenannten Monti-II-Verordnung.283 Dieser Vorschlag betrifft das Verhältnis des Streikrechts zu den Grundfreiheiten des EU-Binnenmarktes (Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit). Durch die Verordnung sollte klargestellt werden, dass Arbeitnehmerrechte und Streikrecht auf einer Stufe mit den Binnenmarktgrundfreiheiten stehen und diesen kein Vorrang vor sozialen Rechten, insbesondere dem Streik­ recht, zukommt, wie dies teilweise aus den Urteilen des Europäischen Ge­ richtshofs in den Rechtssachen Viking Line284 und Laval285 gefolgert wurde. Die Bundesregierung machte in ihrer Umfassenden Bewertung zu diesem Dossier gegenüber dem Bundestag deutlich, dass sie erhebliche Bedenken gegen diese Verordnung habe, da sowohl eine ausreichende Rechtsgrundla­ ge286 als auch die Notwendigkeit der teilweise tief in das nationale Streik­ recht eingreifenden Regelungen zweifelhaft sei. Im Bundestag wurde das Dossier von den beteiligten Ausschüssen jedoch jeweils nur zur Kenntnis genommen. Es wurde weder eine Stellungnahme gegenüber der Bundesre­ gierung noch eine Subsidiaritätsrüge vorgeschlagen. Demgegenüber hat der Bundesrat eine ausführliche Stellungnahme abgegeben und insgesamt 19 Kammern anderer mitgliedstaatlicher Parlamente haben Subsidiaritätsrügen erhoben. Die Zurückhaltung des Bundestages in diesem Fall kann mögli­ cherweise darauf zurückgeführt werden, dass sich schon kurz nach der Vorlage des Vorschlags durch die Kommission die erhebliche politische Kritik der Mitgliedstaaten abzeichnete und die Ausschüsse des Bundestages davon ausgingen, dass die Verordnung ohnehin so nicht umgesetzt werde. Dennoch erscheint es fragwürdig, wenn sich der Deutsche Bundestag zu einem solch wichtigen Thema nicht positioniert. Ein ähnlich wichtiges Vorhaben war auch der Beschluss des Rates, ab dem Jahr 2011 das sogenannte Europäische Semester einzuführen. Dies 283  Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit, KOM(2012)130 endg. 284  EuGH, Rs. C-438 / 05, Slg. 2007, I – 10779 – Viking Line. 285  EuGH, Rs. C-341 / 05, Slg. 2007, I – 11767 – Laval. 286  Die Verordnung sollte auf die Flexibilitätsklausel (Art. 352 AEUV) gestützt werden. Die Bundesregierung führte dazu aus, dass zweifelhaft sei, ob diese Grund­ lage für alle inhaltlichen Regelungen des Verordnungsentwurfs ausreiche. Zwar sei das das Arbeitskampf- und Streikrecht nach der Rechtsprechung des EuGH der Union nicht gänzlich entzogen, eine kompetenzrechtliche Grenze wäre jedoch dann überschritten, wenn eine EU-Regelung eine unionsweite Mindestharmonisierung des Arbeitskampfrechts bewirken würde (Art 352 Abs. 3 AEUV).



V. Die parlamentarische Mitwirkung201

ging zurück auf eine Mitteilung der Kommission vom 12. Mai 2010.287 Das Europäische Semester dient der Koordinierung der nationalen haushaltsund wirtschaftspolitischen Planung unter Einbeziehung der europäischen Organe. Auf Unionsebene werden dazu in jedem Jahr für jeden Mitglied­ staat Leitlinien entwickelt, die die Mitgliedstaaten als Empfehlungen bei der Aufstellung der nationalen Staatshaushalte des Folgejahres berücksichti­ gen.288 Obwohl durch diese Leitlinien die nationale Haushaltspolitik nicht unwesentlich betroffen ist, hat der Bundestag dazu keine Stellungnahme abgegeben.289 Auch zu den innen- und asylpolitisch wichtigen Vorhaben auf der Basis des sogenannten Stockholmer Programms290, z. B. der Dublin-IIIVerordnung291, in der die Kriterien für die Verteilung von Asylbewerbern in der Union neu geregelt werden, äußerte sich der Bundestag nicht. Insgesamt bezogen sich die legislativen Stellungnahmen des Bundestages im Schwerpunkt auf die Politikbereiche Verkehr und Bau, Umwelt, Wirt­ schaft, Innenpolitik, Recht, Kultur und Finanzen. Zu Rechtsetzungsvorhaben der Union in den Politikbereichen Arbeit und Soziales, Bildung und For­ schung, Familie, Sport und Tourismus gab der Bundestag jedenfalls in der 17. Wahlperiode keine Stellungnahmen ab. Zwar handelt es sich dabei um die Bereiche, in denen insgesamt weniger europäische Dossiers vorgelegt werden, aber auch hier finden sich neben der bereits erwähnten Monti-IIVerordnung durchaus wichtige Vorhaben, wie z. B. der Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung des EU-Programms „Erasmus für Alle“ für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport292 oder der Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung des Europäischen Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe „EU-Freiwillige für humanitäre Hilfe“293. Obwohl diese Vorhaben auch im Rat lange und kontrovers verhandelt wurden, hat der 287  KOM(2010)250

endg. dazu die Übersicht des Verfahrens auf der Internet-Seite des Rates: http:// www.consilium.europa.eu / special-reports / european-semester?lang=de. 289  Vgl. dazu allerdings auch die internen Schwierigkeiten die der Bundestag bei der Beratung des Europäischen Semesters hatte, dargestellt bei: Schäfer / Schulz, Der Bundestag wird europäisch – zur Reform des Beteiligungsgesetzes EUZBBG, Inte­ gration 2013, 199, 211; sowie oben S. 180 f. 290  Prioritäten der Europäischen Union für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für den Zeitraum von 2010 bis 2014; EU-Abl. C 155 vom 4.5.2010. 291  Verordnung (EU) Nr. 604 / 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaats­ angehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf interna­ tionalen Schutz zuständig ist (Neufassung). 292  KOM(2011)788 endg.; Ratsdok. 17188 / 11. Der Bundesrat hat zu diesem Dos­ sier eine in Teilen durchaus kritische Stellungnahme abgegeben: BR-Drs. 767 / 11. 293  KOM(2012)514 endg., Ratsdok. 14150 / 12. Die Bundesregierung hat das Dos­ sier in ihrer Umfassenden Bewertung teilweise recht kritisch bewertet. Der Bundes­ 288  Vgl.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Bundestag darauf – jedenfalls auf formellem Wege – keinen Einfluss ge­ nommen. c) Die Stellungnahmen des Bundestages zu sonstigen europäischen Vorhaben Zu nichtlegislativen Vorhaben, wie z. B. Grün- und Weißbüchern, Berich­ ten, Aktionsplänen oder sonstigen Maßnahmen, hat der Bundestag schon in den ersten 15 Monaten der 17. Wahlperiode mehr als 30 Stellungnahmen abgegeben.294 Diese Stellungnahmen erfassen nahezu alle unionsrelevanten Politikbereiche, z. B. auch Familie, Bildung und Menschenrechte, zu denen der Bundestag keine legislativen Stellungnahmen abgegeben hat. Der Bun­ destag bemüht sich erkennbar, sich mit der europäischen Rechtsetzung möglichst früh, d. h. wenn sie sich noch im Stadium von Grün- und Weiß­ büchern befindet, zu befassen und zu positionieren. Die Abgabe von nicht­ legislativen Stellungnahmen ist auch dadurch etwas einfacher, weil hier oft keine strengen Fristen oder knappen Zeitpläne auf Unionsebene eine kurz­ fristige Beratung und Entscheidung notwendig machen. Allerdings formu­ liert der Bundestag die Forderungen an die Bundesregierung in diesen Stellungnahmen eher zurückhaltend. Es finden sich Formulierungen wie „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, 1. sich im laufenden Evaluierungs- und Änderungsprozess der Richtlinie […] auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass […]“295 oder „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie­ rung auf, folgende Aspekte bei der Umsetzung einer europäischen Strategie zur […] zu berücksichtigen, um den genannten Herausforderungen und Fragestellun­ gen zu begegnen: […]. Der Deutsche Bundestag erwartet, dass die Bundesregie­ rung im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die Erreichung der Ziele des Grünbuchs hinwirkt, insbesondere durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen […].“296 rat argumentiert ähnlich, aber auch weiterführend in seiner Stellungnahme dazu: BR-Drs. 568 / 12. 294  Die Zahlen wurden erhoben für den Zeitraum vom 27.10.2009 bis zum 31.01.2011. Vgl. Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitge­ setzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentaris­ mus, 2011, S. 177, 184 f. 295  Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Tech­ nologie vom 14.12.2011 zu dem Grünbuch „Überarbeitung der Richtlinie über Be­ rufsqualifikationen“, einschließlich der Empfehlung einer Stellungnahme nach Art. 23 Abs. 2 GG, BT-Drs. 17 / 8181, S. 3. Die Stellungnahme wurde vom Plenum so beschlossen: vgl. BT-PlProt. 17 / 152, S. 18190 (D). 296  Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien vom 15.09.2010 zu dem Grünbuch „Erschließung des Potenzials der Kultur- und Kreativindustrien“, einschließlich der Empfehlung einer Stellungnahme nach Art. 23



V. Die parlamentarische Mitwirkung203

Die strikte Ablehnung bestimmter Punkte, sofern dies in diesem frühen Stadium der Verhandlungen überhaupt möglich ist, fordert der Bundestag in der Regel nicht. Damit gibt er der Bundesregierung die Möglichkeit, auf den Fortgang der in diesem Stadium noch wenig absehbaren Verhandlungen flexibel reagieren zu können. Insgesamt weichen auch diese Stellungnah­ men in der Regel nicht von der Haltung der Bundesregierung ab, die in diesem Verfahrensstadium jedoch oft auch noch nicht vollumfänglich fest­ steht. Die Oppositionsfraktionen stellen darüber hinaus eine ganze Reihe weite­ rer Anträge zur Abgabe von Stellungnahmen gegenüber der Bundesregie­ rung,297 die aber in aller Regel mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen abgelehnt werden. Die Oppositionsfraktionen nutzen dieses Instrument dazu, um vor der Öffentlichkeit298 Alternativen zu der Europapolitik der Bundes­ regierung und der Regierungsfraktionen aufzuzeigen.299 d) Die Stellungnahmen des Europaausschusses Der Europaausschuss macht von der Möglichkeit, plenarersetzende Stel­ lungnahmen abzugeben,300 nur sehr selten Gebrauch. In der 14. Wahlperiode gab er vier, in der 15. Wahlperiode nur eine und in der 16. und 17. Wahl­ periode gar keine plenarersetzenden Stellungnahmen ab. Die plenarersetzen­ den Stellungnahmen in der 14. und 15. Wahlperiode bezogen sich auf das Gremium für die Ausarbeitung einer EU-Charta der Grundrechte301, die Berichtspflichten und die institutionelle Ausgestaltung des Europäischen Abs. 2 GG, BT-Drs. 17 / 2941, S. 3 f. Die Stellungnahme wurde vom Plenum so be­ schlossen: vgl. BT-PlProt. 17 / 66, S. 7053 (D). 297  Die Oppositionsfraktionen SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke ha­ ben in der 17. Wahlperiode nahezu 150 Anträge auf Abgabe einer Stellungnahme gestellt. Diese beziehen sich teilweise auf legislative und nicht legislative Vorhaben gleichzeitig oder können insoweit nicht klar zugeordnet werden, so dass eine ein­ deutige Anzahl der Anträge zu nichtlegislativen und legislativen Stellungnahmen für die gesamte 17. Wahlperiode nicht angegeben werden kann. Vgl. dazu allerdings die Zahlen für die ersten 15 Monate der 17. Wahlperiode: Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deut­ schen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, 184 f. 298  Vgl. zur Öffentlichkeitsfunktion der Stellungnahmen oben S. 113 ff. 299  Im Ergebnis wohl ebenso: Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenen­ parlamentarismus, 2011, S. 177, 184. 300  Art. 45 Satz 2 GG i. V. m. § 93b Abs. 2 Satz 1 oder Satz 3 GO-BT. 301  BT-Drs. 14 / 1819.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF)302, die zukünftige Mitgestaltung der mitgliedschaftlichen Parlamente an der Zukunft der Union303, den Bericht und Aktionsplan zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften und Betrugsbekämpfung304 und den EU-Verfassungskonvent im Jahr 2003305. Folglich nahm sich der Ausschuss in der Vergangenheit allein integrations­ politischen oder institutionellen Themen an. Zu eiligen Fragen der Sekun­ därrechtsetzung wurde die Möglichkeit der Abgabe einer plenarersetzenden Stellungnahme durch den Europaausschuss hingegen nicht genutzt.306 Die Zurückhaltung des Europaausschusses bei dem Gebrauch von plenarerset­ zenden Stellungnahmen wird damit begründet, dass dieses Verfahren die mitberatenden Ausschüsse für die Abgabe ihrer Voten unter einen erheb­ lichen Zeitdruck setze.307 Auch um die „gedeihliche Kooperation zwischen dem Europaausschuss und den anderen Ausschüssen“ nicht zu gefährden, stelle die plenarersetzende Stellungnahme eine seltene Ausnahme dar.308 Damit läuft die ursprüngliche Intention, durch plenarersetzende Stellung­ nahmen schneller und rechtzeitig vor wichtigen Ratsentscheidungen ein Votum des Bundestages herbeiführen zu können, in der Praxis einstweilen ins Leere. 3. Die direkte parlamentarische Mitwirkung gegenüber den europäischen Organen Die direkten Mitwirkungshandlungen des Bundestages gegenüber der Union gehören im Grunde nicht zur europapolitischen Kommunikation zwi­ schen Bundesregierung und Bundestag, weil sie sich unmittelbar an die europäischen Organe wenden.309 Da dies dennoch bedeutende Mitwirkungs­ möglichkeiten des Bundestages in Bezug auf die europäischen Entwicklun­ 302  BT-Drs.

14 / 3437. 14 / 6643. 304  BT-Drs. 14 / 8323. 305  BT-Drs. 15 / 1163. 306  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 247. 307  Fuchs, Art. 23 GG in der Bewährung, DÖV 2001, 233, 239. 308  Fuchs, Art. 23 GG in der Bewährung, DÖV 2001, 233, Fn. 34. 309  Vgl. zu den normativen Grundlagen oben: S. 58 ff. Siehe zu den Schwierig­ keiten bei der Kontrolle, ob das Subsidiaritätsprinzip in den europäischen Dossiers eingehalten wird: Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, 523; zum diesbezüglichen Dialog zwischen den nationalen Par­ lamenten und den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten europäischen Organen: Bast / von Bogdandy, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Euro­ päischen Union, Art. 5 EUV, 51. Ergänzungslieferung (Stand: September 2013), Rdnr.  49 ff. und Rdnr.  60 ff. 303  BT-Drs.



V. Die parlamentarische Mitwirkung205

gen betrifft, soll kurz aufgezeigt werden, in welchem Rahmen der Bundestag von diesen Instrumenten bisher Gebrauch gemacht hat. a) Die Subsidiaritätsprüfung in den Ausschüssen des Bundestages Die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle obliegt allen Aus­ schüssen des Bundestages, die mit europäischen Vorhaben befasst sind (§ 93a Abs. 1 Satz 1 GO-BT). Noch vor der Überweisung eines neuen eu­ ropäischen Dossiers an die beteiligten Ausschüsse prüfen die zuständigen Referate der Bundestagsverwaltung (PE 2 und PE 3), ob zu diesem Dossier eine vertiefte Subsidiaritätsprüfung erfolgen sollte. Ist dies der Fall, weist das zuständige Referat die Fraktionen im Rahmen des Priorisierungs- und Überweisungsverfahrens darauf hin. Teilen die Fraktionen diese Auffassung, so erstellt das zuständige Referat der Bundestagsverwaltung einen ausführ­ lichen Vermerk zu der Frage, ob die Grundsätze der Subsidiarität und Ver­ hältnismäßigkeit in diesem Fall eingehalten werden. Dieser wird an die zuständigen Ausschüsse und die Fraktionen übermittelt.310 Auf dieser Basis prüfen die beteiligten Ausschüsse die Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit des europäischen Dossiers. Sie können aber auch von den Referaten der Bundestagsverwaltung eine solche Prüfung erbitten, wenn diese zunächst keine vertiefte Prüfung empfohlen hatten. Möchte ein federführender Fachausschuss dem Plenum die Erhebung ei­ ner Subsidiaritätsrüge vorschlagen, hat er zunächst dem Europaausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dem Europaausschuss kommt damit eine koordinierende Funktion zu. Auf diese Weise soll eine bundes­ tagseinheitliche Interpretation des Subsidiaritätsgrundsatzes sichergestellt werden. Der Fachausschuss ist jedoch nicht an die Stellungnahme des Eu­ ropaausschusses gebunden.311 Stimmt im umgekehrten Fall der Europaaus­ schuss für eine Subsidiaritätsrüge und möchte der federführende Fachaus­ schuss das europäische Vorhaben hingegen nur zur Kenntnis nehmen, hat der Fachausschuss dies dem Plenum zu berichten (§ 93a Abs. 1 Satz 3 GO-BT), das dann diese Frage entscheidet. Schwierigkeiten bereitet dem Bundestag immer noch die Einhaltung der Frist für die Subsidiaritätsrüge.312 Sie muss innerhalb von acht Wochen 310  Zum ganzen Absatz: Referat Europa (PA 1) der Verwaltung des Deutschen Bundestages, Leitfaden zur Behandlung von EU-Vorlagen im Deutschen Bundestag, Stand: 10.11.2010, S. 15 (nicht veröffentlicht). 311  Vgl. die Begründung zur Einführung des §  93a Abs. 1 GO-BT, BT-Drs. 16 / 9400, S. 8. 312  Auch die COSAC hat die Schwierigkeiten der nationalen Parlamente erkannt und insgesamt sieben Subsidiaritätstestläufe durchgeführt. Diese sollten Auskunft darüber geben, ob im Rahmen der innerparlamentarischen Subsidiaritätsprüfungsver­

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

nach Übermittlung des Dokuments durch die europäischen Organe, die das Vorhaben vorschlagen (Art.  4 Subsidiaritätsprotokoll), erhoben werden (6 Abs. 1 Satz 1 Subsidiaritätsprotokoll). Zwar werden die beteiligten Aus­ schüsse mit der Überweisung einer Vorlage auf das Datum hingewiesen, bis zu dem eine Subsidiaritätsrüge erhoben werden kann, teilweise kann es bei einer längeren sitzungsfreien Zeit vorkommen, dass das Verfahren zur Über­ weisung313 von Unionsdokumenten bis zu ihrer Beratung in den Ausschüs­ sen mehr als vier Wochen in Anspruch nimmt. Oft ist dann eine ausreichen­ de Beratung und Formulierung einer Rüge einschließlich der Abstimmung mit dem Europaausschuss nicht mehr rechtzeitig möglich.314 b) Subsidiaritätsrügen und -klagen des Bundestages Eine Subsidiaritätsklage hat der Bundestag bzw. die Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht erhoben. In der 17. Wahlperiode gab der Bundestag jedoch insgesamt drei315 Subsidiaritätsrügen ab. Diese bezogen sich auf die folgenden Gesetzgebungsvorhaben: •• Vorschlag für eine Richtlinie über Einlagensicherungssysteme [Neufas­ sung] (KOM(2010)368 endg.; Ratsdok. 12386 / 10).316 fahren die achtwöchige Frist eingehalten und das Quorum für die Überprüfungs­ pflicht erreicht werden kann. Die Testläufe und ihre Ergebnisse können im Internet auf den Seiten der COSAC aufgerufen werden unter: http://www.cosac.eu / subsidiar ity-tests / . Die Testläufe haben gezeigt, dass sich die Subsidiaritätsprüfungsverfahren in den nationalen Parlamenten immer weiter verbessert haben. Allerdings konnte das notwendige Quorum für die Überprüfungspflicht in keinem Testlauf erreicht werden. Vgl. zu den Testläufen auch ausführlich: Mayer, M., Die Europafunktion der natio­ nalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 135 ff. 313  Zum Priorisierungs- und Überweisungsverfahren siehe oben S. 145 ff. 314  Vgl. dazu die Beispiele bei: Sensburg, Wahrnehmung der Integrationsverant­ wortung durch den Bundestag in der Praxis, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsver­ antwortung, 2012, S. 117, 125 f. 315  Neben den drei im Folgenden genannten Rügen hat der Bundestag auch eine Stellungnahme gegenüber der Kommission zu dem Vorschlag zu einer Verordnung zum Erb- und Testamentsrecht (BT-Drs. 17 / 270) abgegeben. Diese erfolgte im Rah­ men eines Testlaufs der COSAC (vgl. zu diesen Testläufen: Kapitel B., Fn. 309). In diesem Testlauf sollten die teilnehmenden nationalen Parlamente prüfen, ob der genannte Verordnungsvorschlag mit den Grundsätzen der Subsidiarität vereinbar ist. In seiner Stellungnahme kommt der Bundestag jedoch nicht zu dem Schluss, dass dieser Grundsatz durch die Verordnung verletzt werden würde. Er bittet die Kom­ mission nur zu prüfen, ob die Union über die Kompetenz zur Regelung eines be­ stimmten materiellen Sachverhalts verfügt, zu dem die Verordnung auch Bestim­ mungen trifft. Eine echte Subsidiaritätsrüge war damit folglich nicht verbunden. 316  Der Inhalt der Subsidiaritätsrüge kann BT-Drs. 17 / 3239 vom 06.10.2010 ent­ nommen werden. Siehe zu diesem Fall außerdem Rohleder, Die Beteiligung des



V. Die parlamentarische Mitwirkung207

•• Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kauf­ recht (KOM(2011)635 endg.; Ratsdok. 15429 / 11).317 •• Vorschlag für eine Verordnung zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten von Armut betroffenen Personen (KOM(2012)617 endg.; Rats­ dok. 15865 / 12).318 Obwohl innerhalb des Bundestages weitere Gesetzesvorhaben vertieft auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip geprüft und insbesondere von Seiten der Bundestagsverwaltung zu einer ganzen Reihe der Vorhaben Bedenken geäußert wurden,319 kam es nur zu den drei Subsidiaritätsrügen. Der Bundesrat erhob in der gleichen Zeit zu insgesamt neun Vorhaben Sub­ sidiaritätsrügen. Der Bundestag geht mit diesem Instrument mithin ebenfalls sehr zurückhaltend um. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass dieses Verfahren für den Bundestag recht neu ist und sich daran viele – jedenfalls zu Beginn der 17. Wahlperiode – ungeklärte organisatorische Fragen knüpf­ ten.320 Bis zum Herbst des Jahres 2014 wurde nur in zwei Fällen das Quorum für die zwingende Überprüfung des jeweiligen Vorhabens erreicht (ein Drit­ tel bzw. ein Viertel aller nationalen Kammern, Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritäts­ protokoll). Dabei handelte es sich um die sogenannte Monti-II-Verordnung321 Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung in Theorie und Praxis, ZG 2011, 105, 116. 317  Der Inhalt der Subsidiaritätsrüge kann BT-Drs. 17 / 8000 vom 30.11.2011 ent­ nommen werden. 318  Der Inhalt der Subsidiaritätsrüge kann BT-Drs. 17 / 11882 vom 12.12.2012 entnommen werden. 319  In der Zeit von Oktober 2010 bis Januar 2011 wurden von der Bundestags­ verwaltung insgesamt 15 Gutachten erstellt, die in der Mehrzahl Bedenken hinsicht­ lich der Einhaltung der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit oder wegen des Feh­ lens einer klaren Kompetenznorm äußerten. Vgl. Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, 186. 320  Semmler, Die Subsidiaritätsrüge nach dem Vertag von Lissabon Plädoyer für ein politisches Argument, ZEuS 2010, 529, 536 f. 321  Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Ausübung des Rechts auf Durchführung kollektiver Maßnahmen im Kontext der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit, (KOM(2012)130). Dagegen haben Parlamente oder einzelne Kammern von 12 Mitgliedstaaten, die insgesamt 19 Stimmen auf sich vereinigen, Subsidiaritätsrügen eingelegt (vgl. die jeweiligen Stellungnahmen in der Datenbank IPEX (im Internet aufrufbar unter: http://www.ipex.eu / IPEXL-WEB / dossier / docu ment / COM20120130.do). Am 12.09.2012 erklärte die Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament, dass sie den Entwurf der Monti-II-Verordnung zurückziehe (das Schreiben kann in englischer Sprache aufgerufen werden unter: http://www. epsu.org / IMG / pdf / Co-signed_letter_by_VP_Sefcovic_Andor_to_Schulz.pdf).

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

und um die Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwalt­ schaft.322 Der Bundestag gab zu keinem dieser Vorhaben eine Subsidiaritäts­ rüge ab. Die Subsidiaritätsfrist für die Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft begann noch in der 17. Wahlperiode, ende­ te jedoch erst am 28. Oktober 2013 und somit in der 18. Wahlperiode des Bundestages. Der Bundestag erhielt das Ausgangsdokument am 14. August 2013. Es wurde wohl aufgrund der im September 2013 anstehenden Bun­ destagswahlen nicht mehr an die Ausschüsse des 17. Deutschen Bundestages überwiesen und somit im Bundestag vor Ablauf der Subsidiaritätsfrist nicht mehr beraten. Die für das Quorum notwendige Anzahl an Subsidiaritätsrü­ gen kam dennoch zu Stande. Im November 2013 teilte die Kommission mit, dass sie trotz der Subsidiaritätsrügen an dem Verordnungsvorschlag festhal­ te.323 Der 18. Deutsche Bundestag überwies das Vorhaben im Februar 2014 an seinen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und gab auf dessen Vorschlag am 5. Juni 2014 eine Stellungnahme gegenüber der Bundesregie­ rung dazu ab (Art. 23 Abs. 3 GG).324 Da die nationalen Parlamente von der Subsidiaritätsrüge und -klage ins­ gesamt nur wenig Gebrauch machen, vor allem weil das Quorum bisher nur zwei Mal erreicht wurde, wird die Überlebensfähigkeit dieses so genannten Frühwarnmechanismus in der Praxis kritisch gesehen.325 Daneben wird vermutet, dass auch die Subsidiaritätsrüge eher als ein politisches denn als rechtliches Instrument gesehen und daher gar nicht als Mittel der rechtli­ chen Kontrolle eingesetzt wird.326 Es ist insoweit nicht ausgeschlossen, dass 322  Verordnung des Rates über die Errichtung der Europäischen Staatsanwalt­ schaft – EPPO, (KOM(2013)534 endg.). Dagegen haben Parlamente oder einzelne Kammern von 13 Mitgliedstaaten, die 19 Stimmen auf sich vereinigen, Subsidiari­ tätsrügen eingelegt (vgl. auch hier die Stellungnahmen in der Datenbank IPEX: http://www.ipex.eu / IPEXL-WEB / dossier / document / COM20130534.do#dossierAPP20130255). Da es sich bei dem Vorhaben zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft um die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 82 ff. AEUV handelt (Art. 86 AEUV), war für die Überprüfung des Vorhabens nur ein Viertel der Stimmen der nationalen Parlamente notwendig (14 Stimmen, Art. 7 Abs. 2 Satz 2 Subsidiaritätsprotokoll i. V. m. Art. 76 AEUV). 323  KOM(2013)851 endg. 324  Vgl. zum Inhalt dieser Stellungnahme: BT-Drs. 18 / 1658. 325  Hefftler / Dieke, Nationale Parlamente in der Europäischen Union: Demokratie im Mehrebenensystem der EU, Integration 2013, 238, 244. 326  Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, 523, 548, der daher für eine stärkere Betonung des Subsidiaritätsprinzips als europarechtliches Prinzip plädiert (S. 546); Hölscheidt, in: Grabitz / Hilf / Nettes­ heim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 12 EUV, 51. Ergänzungslie­ ferung (Stand: September 2013), Rdnr. 55; Vollrath, Herausforderung bei der Um­ setzung der neuen Rechte nach dem Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg



V. Die parlamentarische Mitwirkung209

die Regierungsmehrheit des Bundestages in Absprache mit der Regierung die Abgabe einer Subsidiaritätsrüge gegenüber der Kommission beschließen könnte, um so die (ablehnende) Position der Bundesregierung im Rat zu dem jeweiligen Vorhaben zu stärken. Mit einer ähnlichen politischen Moti­ vation wird auch die Stellungnahme – allerdings gegenüber der Regierung selbst – eingesetzt.327 Teilweise wird dies als „Missbrauch“ der Subsidiari­ tätsrüge gesehen.328 Ein abgestimmtes Vorgehen von Regierungsmehrheit und Regierung ist aber kein solcher Missbrauch, sondern in einem parla­ mentarischen Regierungssystem angelegt. Darüber hinaus wäre ein Miss­ brauch nur dann zu befürchten, wenn die Subsidiaritätsrüge erhoben würde, obwohl gar keine diesbezüglichen, sondern gänzlich andere – vor allem politische – Bedenken bestehen. Es ist jedoch sehr zweifelhaft, dass Bun­ destag und Bundesregierung in diesem Zusammenhang vermehrt zu dem „Trick mit der Subsidiaritätsrüge“ greifen könnten. Denn die „vorgeschobe­ nen“ Subsidiaritätsbedenken würden von der Kommission und den anderen europäischen Organen als solche erkannt und daher leicht entkräftet werden können. Der mit einem solchen Vorgehen entstehende politische Schaden für das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu den europäischen Organen wäre viel größer als der Vorteil sein könnte. Daher ist es unwahr­ scheinlich, dass sich dies in Zukunft etablieren könnte, wie sich letztlich auch an dem bisher zurückhaltenden Gebrauch der Subsidiaritätsrüge in der Praxis zeigt. c) Die sonstigen direkten Mitwirkungsmöglichkeiten Die nationalen Parlamente können daneben auch Stellungnahmen im so­ genannten „political dialogue“ zwischen der Kommission und den nationa­ len Parlamenten abgeben. Der political dialogue ist wie die öffentliche Konsultation nicht primärrechtlich verankert. In diesem Rahmen ist es den nationalen Parlamenten möglich, Probleme geplanter Gesetzesvorhaben auf der Basis etwa von Grün- oder Weißbüchern zu thematisieren. Die Stellung­ nahmen und Anregungen, die die nationalen Parlamente im Rahmen dieses Dialogs abgeben können, haben jedoch keine (rechtlich) bindende Wirkung für die Kommission und das betreffende Vorhaben. In der Praxis nehmen immer mehr nationale Parlamente diese Möglichkeit in Anspruch, um direkt zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, 186; Semmler, Die Subsidiaritäts­ rüge nach dem Vertag von Lissabon – Plädoyer für ein politisches Instrument, ZEuS 2010, 529. 327  Vgl. dazu oben S. 199 f. 328  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 134.

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B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

mit der Kommission über europäische Dossiers zu kommunizieren.329 Der Bundestag hat in den Jahren von 2009 bis 2012 insgesamt 16 Stellungnah­ men im political dialogue abgegeben.330 Andere Parlamentskammern nutzen diese Möglichkeit intensiver und haben in diesem Zeitraum bis zu 150 Stellungnahmen abgegeben.331 Schließlich können die nationalen Parlamente – wie andere interessierte Gremien und Personen auch – an den Öffentlichen Konsultationsverfahren der Kommission zu bestimmten Dossiers teilnehmen. Die interessierten Parteien werden darin aufgefordert, zu dem Inhalt der Dossiers und den dort gestellten Fragen Stellung zu nehmen. Die Kommission wertet die einge­ henden Antworten aus und berücksichtigt sie gegebenenfalls. Eine Bindung der Kommission an die Antworten im Öffentlichen Konsultationsverfahren besteht ebenfalls nicht. In der 17. Wahlperiode hat der Bundestag soweit ersichtlich sechs Stellungnahmen zu einem Öffentlichen Konsultationsver­ fahren abgegeben.332 Er nutzt damit dieses Instrument nicht sehr häufig, lässt es jedoch auch nicht unbeachtet. 329  Die Kommission gibt seit dem Jahr 2005 jährlich einen Bericht „Über die Beziehungen zwischen der Europäischen Kommission und den nationalen Parlamen­ ten“ heraus. Die Berichte ab dem Jahr 2005 können im Internet auf der Seite der Kommission aufgerufen werden unter: http://ec.europa.eu / dgs / secretariat_general /  relations / relations_other / npo / index_de.htm. Aus dem Bericht für das Jahr 2011 er­ gibt sich, dass sich die Anzahl der Stellungnahmen im political dialogue der natio­ nalen Parlamente im Vergleich zum Vorjahr um rund 60 % erhöht hat (622 Stel­ lungnahmen, einschließlich der Stellungnahmen im Rahmen des Verfahrens zur Subsidiaritätskontrolle). Der Bericht für das Jahr 2013 verzeichnet demgegenüber zwar nur einen Anstieg um 7 %, dies zeigt jedoch, dass der Aufwärtstrend der Be­ teiligung der nationalen Parlamente seit dem Jahr 2005 weiter – wenn auch abge­ schwächt – besteht (vgl. Jahresbericht 2011, S. 4: http://eur-lex.europa.eu / LexUri Serv / LexUriServ.do? uri=COM:2012:0375:FIN:DE:PDF; Jahresbericht 2012 auf Englisch, S. 4: http://ec.europa.eu / dgs / secretariat_general / relations / relations_other /  npo / docs / ar_2012_en.pdf). 330  Einige der Stellungnahmen des Bundestages können auf der Internet-Seite der Kommission aufgerufen werden. Dabei handelt es sich um die Stellungnahmen des Bundestages, zu denen die Kommission eine Antwort verfasst hat: http://ec.europa. eu / dgs / secretariat_general / relations / relations_other / npo / germany / 2013_en.htm. 331  Der Bundesrat hat in diesem Zeitraum 127 Stellungnahmen im „political dia­ logue“ abgegeben. Die Zahlen sind den Jahresberichten der Kommission zum „po­ litical dialogue“ entnommen, die auf der Internetseite der Kommission aufgerufen werden können:  http://ec.europa.eu / dgs / secretariat_general / relations / relations_other /  npo / index_de.htm. 332  Der Inhalt der jeweils vom Plenum beschlossenen Stellungnahmen kann in folgenden Bundestags-Drucksachen nachgelesen werden: 17 / 6506 (Grünbuch Euro­ päischer Corporate Governance-Rahmen, KOM(2011) 164 endg.; Ratsdok. 8830 / 11); 17 / 5956 (Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, SEK(2011)173 endg.); 17 / 5242 (Anwendung der Richtlinie 2004 / 48 / EG des Euro­ päischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rech­



V. Die parlamentarische Mitwirkung211

Insgesamt nutzt der Bundestag die direkten Mitwirkungsmöglichkeiten gegenüber den europäischen Organen gerade im Vergleich mit anderen na­ tionalen Parlamenten und ihren Kammern noch recht zögerlich. 4. Bewertung der Mitwirkung des Bundestages Die Anzahl der Stellungnahmen und direkten Mitwirkungsmaßnahmen des Bundestages gegenüber den Organen der Union kann als solche keine Auskunft darüber geben, in welchem Maße der Bundestag Einfluss auf die europäischen Entwicklungen nimmt und welchen Erfolg dies hat. Dement­ sprechend führen „mehr Stellungnahmen“ nicht unbedingt dazu, dass der Bundestag größeren Einfluss erhält. So wird z. B. bezweifelt, ob die große Anzahl der Stellungnahmen des Bundesrates tatsächlich zu einem größeren Einfluss der Länderkammer führt, oder ob sich die Bundesregierung mitt­ lerweile nicht daran gewöhnt hat, „dass da was vom Bundesrat kommt“, und diese Stellungnahmen im Grunde nicht weiter beachtet.333 Die Mitwirkung des Bundestages ist nur dann „stark“, wenn seine Stel­ lungnahmen und alle sonstigen formalen und informalen Mitwirkungshand­ lungen so wirkungsvoll sind, dass die Rückbindung der Handlungen der Bun­ desregierung in den europäischen Organen an den Bundestag deutlich zu Tage tritt.334 Nur dann kann der zweite Legitimationsstrang über die nationa­ len Parlamente zu einer demokratischen Stütze bei der Ausübung von Ho­ heitsgewalt durch die Union führen. Eine erkennbare Rückbindung wird je­ doch durch die Mitwirkungshandlungen des Bundestages nicht erreicht. Der Bundestag bzw. seine Mehrheit versteht sich zu sehr als Stütze der Regierung denn als eigenständiger Akteur im europäischen Mehrebenensystem.335 Hier te des geistigen Eigentums, KOM(2010) 779 endg.; Ratsdok. 5140 / 11), 17 / 4565 (Grünbuch der Kommission: Optionen für die Einführung eines Europäischen Ver­ tragsrechts für Verbraucher und Unternehmen, KOM(2010) 348 endg.; Ratsdok. 11961 / 10); 17 / 3112 (Grünbuch der Kommission: Corporate Governance in Finanz­ instituten und Vergütungspolitik, KOM(2010) 284 endg.; Ratsdok. 10823 / 10); 17 / 660 (Grünbuch Erlangung verwertbarer Beweise in Strafsachen aus einem ande­ ren Mitgliedstaat, KOM(2009) 624 endg.; Ratsdok. 17691 / 09). 333  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 542. 334  Vgl. schon die Eingangsfrage oben S. 40 f. 335  Mit gleichem Ergebnis: Benz / Broschek, Nationale Parlamente in der europä­ ischen Politik – Funktionen, Probleme und Lösungen, Internationale Politikanaly­ se, Friedrich Ebert Stiftung, März 2010, S. 10; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 542; und wohl auch Calliess / Beichelt, Auf dem Weg zum Europäisierten Bundestag? Vom Zu­ schauer zum Akteur?, Kurzfassung der Gesamtstudie, Bertelsmann-Stiftung, 2013, S. 27.

212

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

sind weitere Schritte notwendig, damit der Bundestag seinen Aufgaben bes­ ser gerecht werden kann.336 Die überwiegend fehlende Berichterstattung der Bundesregierung in Form von schriftlichen für den Bundestag erstellten Erläuterungen über den Fort­ gang der Verhandlungen nach einer Stellungnahme des Bundestages wurde bisher von seinen Mitgliedern nicht als erhebliches Problem angesehen. In der Tendenz sehen Mitglieder des Bundestages in der Abgabe einer Stel­ lungnahme eher den Schlusspunkt seiner Beratungen zu einem europäischen Dossier, mit der die Sache gleichsam abgeschlossen ist. Nach der normati­ ven Ausgestaltung gerade im EUZBBG gehört die Abgabe einer Stellung­ nahme jedoch noch zum Anfang der parlamentarischen Begleitung eines europäischen Dossiers. Dieser Gegensatz zwischen Praxis und normativer Intention wirft die Frage nach seinem Ursprung auf. Ist diese Sichtweise der Abgeordneten dadurch entstanden, weil einer Stellungnahme keine für den Bundestag erstellten Berichte der Bundesregierung folgen? Oder interessie­ ren sich die Abgeordneten einfach nicht mehr für das Schicksal ihrer Stel­ lungnahmen, so dass sie auch nicht ausreichenden Druck auf die Bundesre­ gierung ausüben, diese Berichte zu erstellen? Da diese Frage in der Theorie nicht beantwortet werden kann, käme es auf einen Test in der Praxis an. In diesem Rahmen müsste beobachtet werden, ob sich die beschriebene Sicht­ weise der Abgeordneten und ihr Interesse an den europäischen Verhandlun­ gen verändert, wenn die Bundesregierung zukünftig regelmäßig Berichte für den Bundestag erstellt. Dabei muss natürlich immer berücksichtigt werden, dass die Stellungnah­ me nicht die einzige Maßnahme ist, die der Bundestag ergreift, um auf ein europäisches Vorhaben Einfluss auszuüben. Die Stellungnahme ist insofern ein wichtiger Baustein, jedoch nicht der einzige. Mit einigem Erfolg hat der Bundestag Einfluss auf die Pläne der Kommission genommen, mittels einer Verordnung ein Einheitliches Europäisches Kaufrecht einzuführen, das op­ tio­nal von den Wirtschaftsteilnehmern bei grenzüberschreitenden Geschäften neben den nationalen Rechtsordnungen vereinbart werden kann.337 Im Rah­ men des Konsultationsverfahrens zu dem entsprechenden Grünbuch der Kommission338 hatte der Bundestag bereits eine ausführliche Stellungnahme abgegeben. Darin sprach er sich gegen eine solche Verordnung aus. Es fehle schon an einer geeigneten Rechtsgrundlage für eine Verordnung und 336  Vgl.

dazu unten S. 250 ff. zum Verfahren und der Position des Bundestages ausführlich: Sensburg, The Position of the German Bundestag on the Commission’s Proposal for a Regu­ lation on a Common European Sales Law, ERCL 2012, 188 m. w. N. 338  Grünbuch der Kommission Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen, Juli 2010, KOM(2010)348 endg. 337  Vgl.



V. Die parlamentarische Mitwirkung213

die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit würden dadurch ebenfalls verletzt. Der Bundestag stimmte für die Einführung einer soge­ nannten „Tool-box“ der Kommission, die über eine interinstitutionelle Ver­ einbarung für die gesetzgebenden Körperschaften der Mitgliedstaaten ver­ bindlich sein sollte. Diese „Tool-box“ sollte rechtliche Standards und An­ forderungen an die Ausgestaltung entsprechender Gesetze enthalten, die die nationalen Gesetzeber bei der zukünftigen Ausarbeitung von Gesetzen im Bereich des Kaufrechts berücksichtigen sollten. Dennoch schlug die Kom­ mission im Oktober 2011 die Einführung einer Verordnung über ein Ge­ meinsames Europäisches Kaufrecht vor.339 Dagegen erhob der Bundestag zunächst eine Subsidiaritätsrüge.340 Darüber hinaus organisierte er im No­ vember 2012 eine rechtspolitische Konferenz zu diesem Vorschlag der Eu­ ropäischen Kommission, an der neben den deutschen Parlamentariern auch Mitglieder anderer europäischer Parlamente, wie der französischen Natio­ nalversammlung und des belgischen Senats sowie des Europäischen Parla­ ments teilnahmen.341 Ebenfalls im November 2011 führte der Rechtsaus­ schuss des Europäischen Parlaments (JURI) mit den zuständigen Ausschüs­ sen der nationalen Parlamente eine interparlamentarische Ausschusssitzung über den Vorschlag eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts durch. Auf dieser Sitzung wurde gerade von den nationalen Parlamenten erneut erhebliche Kritik an der Verordnungs-Lösung der Kommission geübt. Im Juli 2013 nahmen Mitglieder des deutschen sowie der anderen nationalen Parlamente außerdem an einem Workshop des Rechtsausschusses des Euro­ päischen Parlaments zu diesen Vorschlägen teil. Schließlich kam es zu einer Reihe formeller und informeller Treffen zwischen Mitgliedern des Bundes­ tages, Mitgliedern des Europäischen Parlaments sowie der Kommission, insbesondere mit der zuständigen Kommissarin Viviane Reding (Ressort Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft). Das Rechtsetzungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen, dennoch zeichnet sich bereits ab, dass sich der Anwen­ dungsbereich der Verordnung auf kleine und mittlere Unternehmen sowie den Online-Handel konzentrieren soll.342 Dies entspricht zwar nicht voll­ ständig dem Anliegen des Bundestages, kann jedoch als Kompromiss gese­ hen werden, der auch aufgrund des Einflusses des Bundestages möglich 339  KOM(2011)635

endg. Inhalt der Subsidiaritätsrüge kann der BT-Drs. 17 / 8000 vom 30.11.2011 entnommen werden. 341  Siehe den Bericht über diese Konferenz auf den Internet-Seiten des Deutschen Bundestages: http://www.bundestag.de / dokumente / textarchiv / 2012 / 41354012_kw45_ pa_recht_konferenz / index.html. 342  Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 27.09.2013, EP-Dok. A7-0301 / 2013 (nur auf Englisch – im Internet aufrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu / document / activities / cont / 201309 / 20130925ATT718 73 / 20130925ATT71873EN.pdf). 340  Der

214

B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis

wurde. Der Bundestag ist mithin in der Lage, auch ohne die Abgabe einer Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung und den europäischen Orga­ nen erheblichen Druck auf die Gestaltung des Sekundärrechts auszuüben. Dies wird ihm jedoch nur in Einzelfällen gelingen, in denen sich ein Aus­ schuss oder einzelne Mitglieder des Bundestages besonders um ein Thema sorgen. Die Mitgestaltung der nationalen europapolitischen Willensbildung über die Stellungnahme sollte der Weg sein, über den der Bundestag eine stetige Einflussnahme erreicht.

VI. Zusammenfassung und Bewertung Der Blick in die Praxis hat gezeigt, dass zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag zu vielen Aspekten der europäischen Politik bereits eine vertiefte Kommunikation stattfindet. Einzelne Probleme bei der Unter­ richtung des Bundestages werden voraussichtlich ausgeräumt werden kön­ nen. Die europapolitische Kommunikation hatte in der 17. Wahlperiode mit zwei größeren Problemen zu kämpfen: Zum einen werden dem Bundestag eine Fülle von Dokumenten und In­ formationen von der Bundesregierung weitergeleitet. Nur in beschränktem Umfang wird er strukturiert durch eigens für ihn erstellte Berichte infor­ miert. Die Information über die Fortentwicklung der europäischen Dossiers erfolgt mithin im „Gießkannenprinzip“. Auf dieser Basis allein wäre es den Abgeordneten nicht oder nur mit erheblichem Aufwand möglich, die weite­ re Entwicklung der europäischen Dossiers, insbesondere nach Abgabe einer Stellungnahme, zu verfolgen. Zum anderen bleiben die Mitwirkungshandlungen des Bundestages wei­ terhin zurückhaltend. Es steht freilich außer Zweifel, dass sich der Bundes­ tag heute deutlich intensiver mit den europäischen Entwicklungen beschäf­ tigt als noch vor zehn bis zwanzig Jahren. Auch mit der Schaffung einer eigenen Unterabteilung Europa und der erheblichen Aufstockung des Perso­ nals der Bundestagesverwaltung neun Monate vor Ende der 17. Wahlperiode hat er ein deutliches Zeichen gesetzt. Schließlich spricht der Ausbau seines Netzwerkes in die europäischen Organe und der Möglichkeiten, Informa­ tionen und weiterführende Beratung unabhängig von der Bundesregierung zu erhalten, dafür, dass der Bundestag den immer wieder erhobenen Vor­ wurf, er sei zu passiv,343 ausräumen will. In der 17. Wahlperiode haben 343  Wittreck, Wächter wider Willen, ZG 2011, 122, 133  ff., spricht von einem „Hund, den [man] noch zum Jagen tragen muss“ (S. 135); Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 210, spricht von „Lethargie“; Hölscheidt, Die Ver­ antwortung des Bundestages für die europäische Integration, DÖV 2012, 105, 111; Huber, Die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtsetzung der Europäischen



VI. Zusammenfassung und Bewertung215

diese neuen Strukturen jedoch noch nicht zu einer verstärkten Mitwirkung geführt. Der Bundestag hat so noch keine eigene Position im europäischen Mehrebenensystem gefunden. Maßgebliche Einflussmöglichkeiten erfolgen möglicherweise über die Arbeitsgruppen der Regierungsfraktionen auf „ih­ ren Minister“ und das jeweilige Fachministerium sowie über persönliches Engagement einzelner Europapolitiker durch Kontakte in die europäischen Institutionen, aber dies gilt eben nicht für das Verfassungsorgan Bundestag als Ganzes.

Union, Studie für die Hanns-Seidel-Stiftung, 2001, S. 36 f.; ders., Der Beitrag der Föderalismusreform zur Europatauglichkeit des Grundgesetzes, ZG 2006, 354, 357; Brosius-Linke, Der Europaausschuss in der 16. Wahlperiode: starke Struktur, unam­ bitioniert in eigenen Rechten, ZParl 2009, 731, 745; vgl. zu den vermeintlichen Missständen der deutschen Europapolitik auch: Nettesheim, „Integrationsverantwor­ tung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 20 (Fn. 29).

C. Die Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation als Verfassungsauftrag und ihre Grenzen Die europapolitische Kommunikation weist Schwierigkeiten auf. Einige der Probleme werden sich in der Praxis lösen lassen. Andere können nur durch ein weiterentwickeltes Verständnis der Rollen von Bundesregierung und Bundestag in europäischen Angelegenheiten gelöst werden. Ein quanti­ tativer Ansatz wäre hier allerdings falsch. Es würde die Probleme nicht lösen, sondern die parlamentarische Informationsaufbereitung nur weiter erschweren, wenn die Bundesregierung dem Bundestag noch mehr Doku­ mente zur Verfügung stellen würde.1 Ziel muss es sein, eine europapoliti­ sche Zusammenarbeit zu erreichen, die nicht nur dem grundgesetzlichen Kompetenzgefüge des Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG gerecht wird, sondern die Wirkungen der parlamentarischen Mitarbeit, insbesondere die Legitima­ tions- und Öffentlichkeitswirkungen, nutzt. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Bundestag grundsätzlich in der Lage ist, diese Forderung zu erfüllen, und dass insbesondere das deutsche Regierungssystem und seine innerparlamentarischen Strukturen dem nicht im Wege stehen (dazu unten I.). Zu einer effektiven Mitwirkung des Bun­ destages kann es jedoch nur kommen, wenn die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag als Verfassungspflicht gesehen wird und beide Verfassungsorgane strukturelle Änderungen der europapolitischen Kommunikation herbeiführen (dazu unten II.). Aber auch die Kommunika­ tions- und Mitwirkungsmöglichkeiten stoßen an Grenzen, die damit auch die Grenzen der Legitimationsvermittlung des Bundestages aufzeigen (dazu unten III.). Außerhalb dieser Grenzen verbleibt den Mitgliedern des Bundes­ tages im Vorfeld der europäischen Entscheidungen nur, darauf zu vertrauen, dass die Bundesregierung keine den Interessen der Bundesrepublik Deutsch­ land grundlegend widersprechenden Entscheidungen trifft. Im Übrigen ste­ hen ihnen alle parlamentarischen Instrumente der nachträglichen Kontrolle zur Verfügung (dazu unten IV.).

1  Ähnlich schon Hölscheidt, Parlamentarische Mitwirkung bei der europäischen Rechtssetzung, KritV 77 (1994), 405, 429.



I. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen217

I. Die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen durch den Bundestag Die Frage, ob der Bundestag derzeit durch seine Mitwirkungsmaßnahmen die demokratische Legitimation des Handelns der Union ausreichend stützt, kann nach der Untersuchung der Praxis nicht positiv beantwortet werden. Trotz umfassender Unterrichtungsrechte, die im Wesentlichen von der Bun­ desregierung erfüllt werden, kommt es nicht – gleichsam reflexartig – zu einer ausreichenden Mitwirkung des Bundestages. Diese Logik, die hinter der extensiven normativen Ausgestaltung der Informationsrechte insbeson­ dere im EUZBBG steht, wird somit von der Praxis widerlegt. Dies gilt vor allem für die Mitwirkungshandlungen aufgrund von Stellungnahmen. Aller­ dings mag der informelle politische Einfluss, den der Bundestag bzw. seine Mitglieder auf anderem Wege ausüben, deutlich stärker sein. Zugunsten des Bundestages ist aber auch festzuhalten, dass die europapo­ litische Kommunikation in ihrer heutigen Form noch ein recht junges Kon­ zept ist. Zwar sind die Informations- und Mitwirkungsrechte schon seit dem Jahr 1993 im Grundgesetz vorgesehen, ihre maßgebliche Ausgestaltung er­ fuhren sie jedoch mit dem Lissabon-Urteil und der weiteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Ausgestaltung und Fortschreibung der einfachgesetzlichen Mitwirkungsrechte seit dem Jahr 2009. Die so vor­ gegebene europapolitische Kommunikation konnte sich daher erst über ­etwas mehr als eine Wahlperiode hinweg in der Praxis etablieren. Das Bei­ spiel der sogenannten Single-Supervisory-Mechanism-(SSM)-Verordnung,2 zu der der Bundestag vorsorglich ein zustimmendes Gesetz erlassen hat, obwohl nach dem Wortlaut der einfachgesetzlichen Regelungen dies nicht vorgesehen war, zeigt, dass der Bundestag im Zweifel in europäische Fra­ gen einbezogen wird. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat ihren Teil dazu beigetragen, dass die Legitimationskraft des Bundestages von der Bundesregierung in ihrer Bedeutung zudem auch im Bereich des Sekundärrechts besser erkannt wird. Nachdem die Probleme der Kommunikation erkannt sind, stellt sich zu­ nächst die Frage, welche übergeordneten Gründe dafür bestehen, dass diese bisher noch nicht gelöst werden konnten (dazu unten 1.). Diese Gründe führen jedoch nicht dazu, dass dem Bundestag die Fähigkeit abgesprochen werden muss, effektiven Einfluss auf die europäische Politik ausüben und die verfassungsrechtlichen Vorgaben erfüllen zu können (dazu unten 2.). Ob andere parlamentarische Mitwirkungsformen, insbesondere eine auf Unions­ ebene angesiedelte Kammer der nationalen Parlamente, besser geeignet 2  Vgl.

zu diesem Sachverhalt oben S. 182 ff.

218

C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

wären, die europäischen Entwicklungen parlamentarisch zu beeinflussen, erscheint zweifelhaft (dazu unten 3.). 1. Die maßgeblichen Gründe für eine zurückhaltende Mitwirkung des Deutschen Bundestages a) Exekutive Entscheidungsstrukturen und parlamentarische Arbeitsabläufe Die europäischen Entscheidungen, die der Bundestag begleiten soll, sind stark durch die exekutiven Strukturen sowohl auf Unionsebene als auch in­ nerhalb der Bundesregierung geprägt. Innerhalb dieses vertikalen Aufbaus kann in der Regel auf eine große Anzahl auch von fremdsprachigen Informa­ tionen und Dokumenten in kürzester Zeit reagiert werden. Das System baut darauf auf, dass das dafür notwendige vertiefte Fachwissen in den jeweils zuständigen Fachreferaten der Ministerien bzw. der Kommission vorhanden ist und von der Leitung für eine Entscheidung jederzeit abgerufen werden kann. Insbesondere die Entscheidungsverfahren des Rates sind von dieser Ar­ beitsweise geprägt. Unter diesem Blickwinkel ist der Bundestag aufgrund seiner Struktur als Kollektivorgan naturgemäß schwerfälliger. Bevor er die Entscheidung treffen kann, auf ein europäisches Vorhaben einzuwirken, müs­ sen grundsätzlich die vorgegebenen parlamentarischen Abläufe eingehalten werden. Diese lassen sich nur schwer mit den Entscheidungsverfahren der Union so in Einklang bringen, dass ein abgestimmter Entscheidungsablauf in den unterschiedlichen Ebenen entsteht. Daher bereitet z. B. die achtwöchige Frist, innerhalb der eine Subsidiaritätsrüge erhoben werden muss, den natio­ nalen Parlamenten nicht unerhebliche Schwierigkeiten.3 Der Bundestag hat zwar in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, dass auch er kurzfristig schwierige Entscheidungen auf der Basis umfangreicher, hochkomplexer In­ formationen treffen kann, dies ist jedoch im europapolitischen „Alltagsge­ schäft“ nicht durchzuhalten. b) Interessenkongruenz von Bundesregierung und Regierungsfraktionen Auch wenn der Dualismus von Regierungs- und Oppositionsfraktionen in europäischen Angelegenheiten aufgebrochen ist, wie die häufig von Regie­ rungs- und einigen Oppositionsfraktionen gemeinsam getragenen europapoli­ tischen Entscheidungen zeigen,4 kommt es in der Regel nicht zu Mitwirkungs­ 3  Vgl.

dazu oben S. 205. die Beispiele zu grundlegenden integrationspolitischen und krisenbeding­ ten Fragen oben S. 44. 4  Vgl.



I. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen219

handlungen (Stellungnahmen) des Bundestages, die der Position der Bundes­ regierung widersprechen.5 Der Opposition bzw. den Minderheiten im ­Bun­destag ist es aufgrund der rechtlichen Ausgestaltung nicht möglich, Mit­ wirkungsrechte (gegen die Interessen der Regierung) wahrzunehmen. Die Stellungnahmen werden vielmehr von den Regierungsfraktionen dazu genutzt, die Position der Regierung in den europäischen Verhandlungen zu stärken. Eine Abhilfe wäre dadurch möglich, das parlamentarische Regierungssys­ tem insgesamt zu verändern, was nicht zu erwarten ist. Gleichfalls unwahr­ scheinlich ist es, dass alle Mitwirkungsrechte in Zukunft als Minderheiten­ rechte ausgestaltet werden. Dies scheitert nicht nur an der politischen Bereit­ schaft der jeweiligen Regierungsfraktionen, die gesetzlichen Regelungen entsprechend zu ändern, sondern auch daran, dass dies mit dem unionsrecht­ lichen Legitimationsstrang über die nationalen Parlamente (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 EUV) in Konflikt geraten könnte. Denn die Position der Minderheit und damit des „politischen Gegners“ würde von der Bundesregierung nur dann auf europäischer Ebene umgesetzt werden, wenn sie dazu verpflichtet wäre. Die Stellungnahme müsste in diesem System somit zwingend umfas­ sende Bindungswirkung entfalten. Unabhängig von dieser schon aus verfas­ sungsrechtlicher Sicht abwegigen Konstruktion (derzeit sind noch nicht ein­ mal die Stellungnahmen der Mehrheit bindend), würde dies bedeuten, dass die Minderheit die Entscheidungen der Bundesregierung im Rat festlegen könnte. In diesem Falle wäre aber der nationale Legitimationsstrang der Uni­ on, nach dem die Vertreter im Rat von ihren nationalen Parlamenten legiti­ miert sein müssen, durchbrochen. Die Handlung des deutschen Vertreters im Rat würde von der Mehrheit des nationalen Parlaments Bundestag nicht not­ wendigerweise getragen. Es wird somit voraussichtlich und sinnvollerweise dabei bleiben, dass die Mehrheit des Bundestages über die Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten bestimmt. Die Minderheit kann daher – gegen den Willen der Mehrheit – der europapolitischen Handlungen der Bundesre­ gierung nicht maßgeblich beeinflussen und legitimieren. Nicht unterschätzt werden darf jedoch die Möglichkeit der Opposition, insbesondere durch parlamentarische Anträge zu den europapolitischen ­ ­Vorhaben, den Inhalt der Vorhaben und ihre etwaigen Bedenken der Öf­fent­ lichkeit zugänglich zu machen.6 Darüber hinaus ist ein wichtiges – wenn 5  Risse, Haben sich die Beteiligungsverfahren nach Art. 23 GG bewährt?, in: Hill / Sommermann / Wieland / Ziekow (Hrsg.), Brauchen wir eine Verfassung? Zur Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes, 2014, S. 183, 195. 6  Vgl. zur Öffentlichkeitsfunktion von Stellungnahmen oben S. 113  ff. Anträge der Opposition auf Abgabe einer Stellungnahme durch den Bundestag (Art. 23 Abs. 2 oder Abs. 3 i. V. m. § 8 EUZBBG) führen aufgrund der darin enthaltenen Erläuterungen ebenfalls dazu, dass das betroffene europäische Vorhaben und die Argumente, die dafür bzw. dagegen sprechen, öffentlich zugänglich werden.

220

C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

auch noch nicht genutztes – Recht, die Erhebung einer Subsidiaritätsklage, im Grundgesetz als Minderheitenrecht (Art. 23 Abs. 1a Satz 2 GG)7 ausge­ staltet. Die Interessenkongruenz von Bundesregierung und Regierungsfraktionen ist im Grunde nur dann problematisch, wenn an die Mitwirkungsrechte der Anspruch gestellt wird, „Korrekturmechanismus“ gegenüber der Position der Bundesregierung zu sein. Werden sie hingegen vor allem als Möglich­ keit aufgefasst, die Position der Bundesregierung zu prüfen, gegebenenfalls zu ergänzen und damit in der Sache zu festigen, wandelt sich das Problem in einen „Vorteil“, der nur durch die Zusammenarbeit mit dem Bundestag erreicht werden kann. So haben z. B. die Ausschüsse des Bundestages durch die Expertenanhörungen, für die alle Fraktionen Experten benennen können, viel eher die Möglichkeit, sich ein parteiübergreifendes Bild zu machen als die Fachressorts, in denen tendenziell eher die Meinung der „parteinahen“ Experten gehört wird. Die Mitwirkung des Bundestages wäre somit eine Art „double-check“ der deutschen Position, in die der Bundestag eingreift, wenn er zusätzliche Argumente oder eine abweichende Meinung in die Verhand­ lungen einfließen lassen will. c) Fehlendes öffentliches Interesse an europäischen Angelegenheiten Ein weiterer Grund für das teilweise fehlende Interesse der Abgeordneten, sich mit europapolitischen Themen zu beschäftigen,8 liegt darin, dass die Europapolitik, insbesondere die Sachthemen außerhalb der Finanz- und Staatsschuldenkrise, in der Bevölkerung in der Regel nur wenig Aufmerk­ samkeit erhält.9 Die Mitglieder des Bundestages beschäftigen sich bevor­ zugt mit Themen, die auch die deutsche Bevölkerung, insbesondere die 7  Da die Oppositionsfraktionen des 18. Deutschen Bundestages zusammen nicht das notwendige Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages (Art. 23 Abs. 1a Satz 2 GG) auf sich vereinigen, wurde in der Geschäftsordnung des Bun­ destages für die Dauer der 18. Wahlperiode bestimmt, dass der Bundestag auch dann eine Subsidiaritätsklage erheben muss, wenn 120 seiner Mitglieder, d. h. rund 20 % der Stimmen, dies beantragen (§ 126a Abs. 1 Nr. 4 GO BT). 8  Vgl. oben die Nachweise in Kapitel B., Fn. 340. 9  Abels, Parlamentarische Kontrolle im Mehrebenensystem der EU – ein un­ mögliches Unterfangen?, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Parlamen­ tarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 79, 86; Kluth, Einwirkung von Bundestag, Bundesrat und Landesparlamenten auf die gemeinschaftliche Rechtset­ zung als Ausdruck von Integrationsverantwortung, in: ders. / Krings (Hrsg.), Gesetz­ gebung, 2014, § 22 Rdnr. 57; vgl. außerdem den Diskussionsbeitrag von Di Fabio in einer Veranstaltung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen am 13.06.2012 zum Thema „Europäische Rechtsetzung – Marginalisierung der nationa­ len Parlamente“; die Diskussion ist wiedergegeben in: Wittig, Europäische Rechtset­



I. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen221

Wähler, beschäftigen. Dies ist zum einen Ausdruck der Responsivität der Parlamentarier gegenüber der Bevölkerung, zum anderen aber vor allem der Tatsache geschuldet, dass eine Wiederwahl nur erfolgreich scheint, wenn sowohl im politischen Alltag als auch im Wahlkampf Themen angesprochen werden, für die sich die Wähler interessieren.10 Seit Beginn der Finanz- und Staatsschuldenkrise werden europapolitische Themen zwar stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen, dies bezieht sich jedoch im Wesentlichen auf die mit der Krise zusammenhängenden Fragen, wie z. B. die Gewährung von Krediten an andere Mitgliedstaaten oder die Vergemeinschaftung von Schulden. Eine Rolle spielen auch grundlegende integrationspolitische Themen11, wie die Frage, ob Deutschland den Euro als Währung behalten sollte12 oder ob das Vereinigte Königreich die Euro­ päische Union verlassen wird13. Die alltäglichen europapolitischen Entwick­ lungen hingegen erhalten weiterhin nur geringe Beachtung. Vor diesem Hintergrund investieren nicht viele Mitglieder des Bundestages ihre knappen Ressourcen in europapolitische Themen. Es scheint wenig effektiv, Vorha­ ben zu bearbeiten, die nicht öffentlich wirksam platziert werden und daher für eine Wiederwahl kaum nutzbar gemacht werden können.14 Zwar sind in die Wahlprogramme der großen Parteien für den Bundes­ tagswahlkampf im Jahr 2013 eine ganze Reihe alltäglicher, europapolitischer Themen aufgenommen worden,15 im öffentlichen Wahlkampf um die Wahl zung – Marginalisierung der nationalen Parlamente? Eine Veranstaltung der DVParl am 13. Juni 2012, ZParl 2012, 935. 10  Zier, Nationale Parlamente in der EU, 2005, S. 283: Aussage in einem von Zier geführten Interview mit einem Mitglied des Bundestages: mit „Europapolitik [kann man] hierzulande keine Wahlen gewinnen“. 11  Vgl. z. B. aus der staatsrechtlichen Diskussion in den Medien: Klein, Euro­ päische Union – Überfordert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.05.2013, S. 9; von Bogdandy, Vorwärtsverteidigung ohne Zweifel, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.03.2013, S. 6. 12  Z. B. Horn, Gedankenexperiment – Deutschland ohne den Euro, in: Cicero Online, 02.05.2013 (im Internet aufrufbar unter http://www.cicero.de / kapital / gedan kenexperiment-deutschland-ohne-den-euro / 54320). 13  Vgl. dazu z. B. Verfassungsblog.de, Interview mit Prof. Hillgruber und Prof. Isensee vom 08.02.2013, „Cameron hat völlig Recht. Wir müssen über Rückbau reden“ (im Internet aufrufbar unter http://www.verfassungsblog.de / de / cameron-hatvollig-recht-wir-mussen-uber-ruckbau-reden / #.USYFPFcUKSN). 14  Töller, Dimensionen der Europäisierung – Das Beispiel des Deutschen Bun­ destages, ZParl 2004, 25, 41. 15  Wahlprogramm der CDU / CSU zur Bundestagswahl 2013  (http://www.cdu.de / sites / default / files / media / dokumente / regierungsprogramm2013-2017-langfassung-20130911.pdf): z. B. Einführung der dualen Ausbildung auch in anderen Mitgliedstaaten (S. 6), Angleichung von Unternehmenssteuern in Europa (S. 28), Vernetzung der Wissenschaftssysteme in Europa (S. 43), Ausbau des euro­

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

zum 18. Deutschen Bundestag spielten diese europapolitischen Fachfragen jedoch allenfalls eine untergeordnete Rolle.16 Vor dem Hintergrund der oh­ nehin durch Finanz- und Staatsschuldenkrise für europäische Fragen sensi­ päischen Stromverbundes (S. 47), zukunftsfähige Umsetzung der EU Agrarpolitik 2014 bis 2020 (S. 94), Ausbau der EU-Verbraucherpolitik (S. 98), Schaffung einer EU-Weinmarktregelung (S. 98), Einführung eines Frühwarnsystems für den Lebens­ mittelsektor (S. 100). Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2013 (http://www.spd.de / linkableblob / 96686 / data / 20130415_regierungsprogramm_ 2013_2017.pdf): z. B. Aufbau einer europäischen Kulturförderpolitik (S. 62), Aus­ dehnung des Anwendungsbereichs der EU-Zinsrichtlinie zur europaweiten Austrock­ nung von Steueroasen (S. 71), Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Europa zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität in der Lebensmittel- und Nahrungsmittelbranche (S. 95), Stärkung der Mitbestimmung in den europäischen Unternehmen und der Rechte der europäischen Betriebsräte (S. 105), Einführung von Mindestlöhnen in allen EU-Mitgliedstaaten gemessen am nationalen Durch­ schnittseinkommen (S. 105), Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge – kein Pri­ vatisierungszwang (S. 106). Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2013 (http://www.fdp.de / files / 565 / B_rgerprogramm_A5_Online-Fassung.pdf. Keine Ver­ schärfung der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (S. 57), keine anlasslose Speicherung von Fluggastdaten oder eine umfassende Erfassung aller Grenzübertritte in Europa (S. 57), Einführung einer Europäischen Privatgesellschaft, Europa-GmbH (S. 58), Effizienzsteigerung der Flugsicherungen in Europa (S. 69), Ausbau europäischer Austauschprogramme wie ERASMUS (S. 79), marktwirtschaft­ liche Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik – GAP (S. 79), Schrittweise Reduktion der Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe ab dem Jahr 2020 (S. 79). Wahlprogramm von Bündnis 90 / Die Grünen zur Bundestagswahl 2013 (http://www.gruene.de / fileadmin / user_upload / Dokumente / Gruenes-Bundestags­ wahlprogramm-2013.pdf): z. B. Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für einen Markt für Energieeffizienzmaßnahmen in Industrie, Gewerbe und Haushalten (S. 39), Schaffung eines EU-Vertrags für Erneuerbare Energien (S. 41), Senkung der EUTreibhausgasemissionen um 45 % (S. 41), Angleichung der Energie- und Umwelt­ steuern in Europa (S. 77), Schließung der Kennzeichnungslücke für Fleisch, Eier, Milch oder Käse auf europäischer Ebene (S. 185), Gründung einer Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien (S. 290). Wahlprogramm von Die Linke zur Bundestagswahl 2013 (http://www.die-linke.de / fileadmin / download / wahlen2013 / bundestagswahlpro gramm / bundestagswahlprogramm2013_langfassung.pdf): z. B. Einführung einer Ver­ mögensabgabe in allen EU-Staaten (S. 25), Überprüfung der Einhaltung von sozialen Vorschriften EU-weit und Ahndung von Verstößen (S. 50), Vorrang sozialer Grund­ rechte und der Tarifautonomie vor den Binnenmarktfreiheiten (S. 50), Streichung des Privatisierungsgebots im Telekommunikationssektor in den EU-Richtlinien (S. 59), Mengenregulierung beim Import und bei der Förderung ausgewählter Rohstoffe auf EU-Ebene (S. 62), Verschärfung des Gentechnikgesetz, des EU-Zulassungsverfahrens und der Kennzeichnungsvorschriften (S. 70). 16  Dazu im Einzelnen: Anders, Wen kümmert schon Europa? Europa als Wahl­ kampfthema bei der Bundestagswahl 2013, ZParl 2014, 55.



I. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen223

bilisierten Öffentlichkeit wäre es deshalb für eine effektive europapolitische Kommunikation des Bundestages von Vorteil, wenn sich ein großer Kreis der Mitglieder Deutschen Bundestages dieser Themen annehmen würde. Es liegt somit in den Händen der Abgeordneten selbst, durch ihre Be­ fassung mit der Europapolitik sowohl in der Bevölkerung als auch im Bundestag ein breiteres öffentliches Interesse an aktuellen europapoliti­ schen Entscheidungen und an europapolitischen Entwicklungen insgesamt zu wecken. Allerdings darf auch die Forderung einer vertiefen parlamentarischen Diskussion nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein „europäisches Politik­ interesse“ oder gar eine „europäische Kultur“17 im Sinne einer kollektiven Identität in Europa nicht allein durch politische Debatten ohne eine entspre­ chende Stimmungslage in der Bevölkerung geschaffen werden kann. Zu den vielfältigen identitätsbildenden Eigenschaften gehören neben einer demokra­ tietheoretischen Homogenität sowie historischen, religiösen, sprachlichen oder sonstigen soziokulturellen Gemeinsamkeiten auch die subjektive Über­ einstimmung der Meinungen über grundlegende Regeln und Prinzipien der Gesellschaft.18 Diese entwickeln sich nicht nur durch politische Binnenent­ scheidungen in der betroffenen Gesellschaft, sondern auch durch äußere Einflüsse. Auch wenn derzeit ein europäisches „Wir-Gefühl“ noch nicht besteht oder nur äußerst schwach ausgeprägt ist, kann sich dies etwa durch weltpolitische oder sonstige globale Entwicklungen, die die Bürger der Eu­ ropäischen Union insgesamt betreffen, ändern. Die Staatsschulden- und Fi­ nanzkrise, die sich spätestens ab dem Frühjahr 2009 entwickelte, hat aller­ dings nicht zu einem solchen Zusammenrücken der Bürger und Staaten der Europäischen Union geführt. Dies zeigt sich schon an den verschiedenen intergouvernementalen Vereinbarungen, die zwischen den Mitgliedstaaten und gerade nicht im Rahmen der Europäischen Union getroffen wurden. Als prominentes Beispiel gilt in diesem Zusammenhang der sogenannte Fiskal­ vertrag, dessen Regelungen aufgrund der Weigerung von Großbritannien und der Tschechischen Republik nicht als Erweiterungen in den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aufgenommen wer­ den konnten, sondern in einem intergouvernementalen Vertrag zwischen den 17  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 528. Zur fehlenden europäischen Bewusstseinsgesamtheit vgl. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2005, S. 283 ff., für den es im Jahr 2004 „auch nicht ansatzweise“ eine europäische politische Nation gibt. Zur europäischen Identität siehe auch Pache, Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfas­ sungsrecht?, DVBl. 2002, 1154, 1156 ff. 18  Zum Ganzen: Pache, Europäische und nationale Identität: Integration durch Verfassungsrecht?, DVBl. 2002, 1154, 1155 f.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

anderen Mitgliedstaaten vereinbart werden mussten.19 Soweit eine Stärkung des unionspolitischen Interesses und einer unionspolitischen Kultur der Bürger gewollt ist,20 käme den Mitgliedern aller nationalen Parlamente und Regierungen die Aufgabe zu, nicht ausschließlich aus nationalstaatlicher Sicht auf diese Situation zu reagieren, sondern im Sinne einer europäischen bzw. unionalen Politikgestaltung die politischen und rechtlichen Schritte im Geiste eines gemeinsamen Interesses der Bürger und Staaten der Europäi­ schen Union zu entwickeln. 2. Die Leistungsfähigkeit des Bundestages in europäischen Angelegenheiten Aufgrund der bei vielen nationalen Parlamenten auftretenden Schwierig­ keiten, die europapolitischen Entwicklungen effektiv zu begleiten, wird teilweise vertreten, dass die Parlamente diese Aufgabe gar nicht erfüllen können.21 Die nationalen Parlamente ließen sich aufgrund ihrer Strukturen nicht so organisieren, dass sie auf die europapolitischen Handlungen der eigenen Regierung und der europäischen Organe Einfluss nehmen und diese demokratisch legitimieren können.22 Die gerade dargestellten maßgeblichen Gründe für die noch unzureichende Mitwirkung des Bundestages werden im Wesentlichen als Begründung für diese Sichtweise angeführt. Es hat wurde jedoch schon gezeigt, dass auch diese übergeordneten strukturellen Schwie­ rigkeiten beseitigt oder jedenfalls abgeschwächt werden können.23 Im Übri­ gen hat der Bundestag bei einigen wichtigen europäischen Vorhaben bewie­ sen, dass er diese durchaus parlamentarisch begleiten und auch unter beson­ deren Umständen Entscheidungen treffen kann. Wenn dies in wichtigen Einzelfällen möglich ist, so folgt daraus zunächst, dass es den nationalen Parlamente und damit dem Bundestag nicht grundsätzlich unmöglich ist, erfolgreich europapolitisch mitzuwirken. Es müssen allerdings parlamenta­ rische Strukturen gefunden werden, die eine effektivere Mitwirkung in der 19  Schorkopf, Europas Verfasstheit im Lichte des Fiskalvertrags, ZSE 2012, 1, 3 ff.; Hölscheidt / Rohleder, Vom Anfang und Ende des Fiskalvertrags, DVBl. 2012, 806. 20  Eher differenzierend zu dieser Frage: Schorkopf, Je mehr Vorschläge zur De­ mokratisierung, desto mehr Abwendung der Bürger, Interview vom 15.02.2013 auf verfassungsblog.de (im Internet aufrufbar unter: http://www.verfassungsblog.de / jemehr-vorschlage-zur-demokratisierung-desto-mehr-abwendung-der-burger / #.U_nYpm OF9-A). 21  Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 210 ff.; Wittreck, Wäch­ ter wider Willen, ZG 2011, 122, 133 ff.; Steiger, Mehr Demokratie in der EU – aber wie?, ZRP 2012, 13, 14 f. 22  Vgl. zu diesen Argumenten insbesondere: Dann, Parlamente im Exekutivföde­ ralismus, 2004, S. 210 ff. 23  Vgl. oben S. 218 ff.



I. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen225

Breite ermöglichen. Auch die Grenzen der Mitwirkung müssen dabei er­ kannt und respektiert werden, damit die Strukturen daran angepasst werden können und keine ineffektiven Maßnahmen außerhalb dieser Grenzen ergrif­ fen werden, denen wiederum parlamentarische Wirkungslosigkeit vorgewor­ fen werden kann. Diese Veränderungen des bisherigen Mitwirkungskonzepts müssen vor allem darauf gerichtet sein, dass der Bundestag gegenüber der Bundesregierung eine „starke“ europapolitische Rolle einnimmt, ohne dass er dabei stets in Widerspruch zur Regierung treten muss. Darüber hinaus muss die Öffentlichkeit diese Rolle des Bundestages und die Europapolitik deutlicher wahrnehmen. Diese beiden Faktoren sind für die Beurteilung der Mitwirkungskraft nationaler Parlamente von entscheidender Bedeutung.24 Die bisherigen Erkenntnisse geben daher keinen Anlass dazu, den Parlamen­ ten und damit auch dem Bundestag das europapolitische Überleben abzu­ sprechen. Richtig ist allerdings, dass der Bundestag aufgrund seiner Ressourcen nicht in der Lage ist, jedes europäische Dossier zu begleiten. Da er außer­ dem durch seine europapolitischen Stellungnahmen die Regierung im Er­ gebnis (rechtlich) nicht binden kann, kann er auch die Entscheidungen der deutschen Vertreter in den europäischen Organen nicht vorgeben. Eine umfassende Begleitung der europäischen Dossiers kann somit nicht vom Bundestag erwartet werden. Der Bundestag muss jedoch die europäischen Dossiers erkennen, die eine „hinreichende politische Dimension“25 aufwei­ sen und daher auch erhöhter demokratischer Legitimation bedürfen, sie von den weniger wichtigen trennen und einer effektiven parlamentarischen Be­ ratung zuführen. Dies muss zu einer stetigen europapolitischen Zusammen­ arbeit und Kommunikation mit der Bundesregierung führen. Der bisherige Ansatz, bis auf eine Priorisierung, die lediglich zu einer Reduzierung der jährlich übermittelten 1.000 Dossiers um die Hälfte führt, alle europapoliti­ schen Themen parlamentarisch gleich zu behandeln, erscheint mit Blick auf die Praxis dysfunktional.26 Veränderungen in dem Verständnis über die europapolitische Rolle des Bundestages, das seine Mitglieder und die Öffentlichkeit haben, ziehen in 24  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 524 ff.; Abels, Parlamentarische Kontrolle im Mehrebenensys­ tem der EU – ein unmögliches Unterfangen?, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik /  Zeh (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 79, 85. 25  Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklamme­ rung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 32. 26  Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklamme­ rung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 32.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

der Praxis die notwendigen Änderungen der parlamentarischen Abläufe nach sich. In der jüngeren Geschichte zeigt sich dies an der Gründung einer neuen Unterabteilung „Europa“ der Bundestagsverwaltung (Januar 2013) unter erheblicher Aufstockung des mit europäischen Themen befassten Per­ sonals. Dafür sprechen auch die vielen gesetzlichen Änderungen seit dem Jahr 2009,27 durch die die Mitwirkungsrechte des Bundestages und seine geschäftsordnungsrechtlichen Abläufe (§§ 93 ff. GO-BT) ständig an die sich ändernde primärrechtliche, aber auch volks- und finanzwirtschaftliche Lage angepasst wurden. 3. Einrichtung einer Kammer der nationalen Parlamente auf europäischer Ebene? Als Ausweg aus der schwierigen Lage der nationalen Parlamente wird zusätzlich oder anstatt der Mitwirkung auf nationaler Ebene die Einrichtung einer „zweiten Kammer“ der nationalen Parlamente auf Unionsebene neben dem europäischen Parlament vorgeschlagen. Hierzu werden verschiedene Modelle diskutiert: Es könnte sich zum einen um eine einmal oder mehrmals jährlich tagen­ de Konferenz der nationalen Parlamente unter Einbeziehung des Europäi­ schen Parlaments handeln,28 wie es im Vorentwurf des Verfassungsvertrages vorgesehen war.29 Allerdings sollte diese Konferenz nicht in die Gesetzge­ bungsverfahren der Union eingreifen können,30 so dass auch dadurch kein direktes Mitentscheidungsrecht geschaffen worden wäre. Insgesamt wurde dieser Vorschlag im Rahmen des Verfassungskonvents nahezu einhellig ab­ gelehnt.31 Zu Recht scheint die Einrichtung eines weiteren parlamentari­ schen Gremiums neben der COSAC ohne durchgreifende Entscheidungs­ rechte und vage Kompetenzzuweisungen überflüssig. Die Unübersichtlich­ 27  Vgl. dazu die Übersicht bei Beichelt, Recovering Space Lost? The German Bundestag’s New Potential in European Politics, German Politics 2012, 143, 147. 28  Die historische Entwicklung dieser Idee ist dargestellt bei: Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 223 ff., außerdem zu den verschiedenen Vorschlä­ gen und ihrer Bewertung: Hölscheidt, Formale Aufwertung – geringe Schubkraft: die Rolle der nationalen Parlamente gemäß dem Lissabonner Vertrag, integration 2008, 254, 264 f. 29  Vgl. die ausführlichere Darstellung zu diesem „Kongress der Völker Europas“ bei: Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 551 ff. 30  Präsidium des Europäischen Konvents, Organe – Entwurf von Artikeln für Titel IV des Teils I der Verfassung, CONV 691 / 03, S. 12 (im Internet aufrufbar unter: http://european-convention.eu.int / pdf / reg / de / 03 / cv00 / cv00691.de03.pdf. 31  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 552 m. w. N.



I. Umsetzung der verfassungsrechtlichen Anforderungen227

keit der europäischen Gremien sowie die Kosten für eine solche Konferenz würden unnötig zunehmen, ohne dass ein wesentlicher Bedeutungsgewinn für die nationalen Parlamente erzielt werden könnte. Zum anderen wäre es auch möglich und wurde in der Vergangenheit auch von höchsten Regierungsvertretern befürwortet,32 neben dem Europäischen Parlament eine zweite Kammer einzurichten, in der die nationalen Parla­ mente repräsentiert werden.33 Die Vorschläge, wie eine solche Kammer strukturiert und mit welchen Kompetenzen sie ausgestattet sein soll, gehen weit auseinander. Teilweise wird vorgeschlagen, dass diese zweite Kammer Entscheidungskompetenzen neben Rat und Europäischem Parlament im Gesetzgebungsverfahren haben sollte,34 teilweise wird ihr – um einen Kon­ kurrenzkonflikt mit dem Europäischen Parlament zu vermeiden – nur die Aufgabe der Subsidiaritätskontrolle zugewiesen.35 Unterschiedlich sind auch die Vorstellungen über die Besetzung dieser zweiten Kammer. Entweder soll sie aus Mitgliedern der nationalen Parlamente bestehen, denen dann wieder ein Doppelmandat36 zukäme, oder aus (von den nationalen Parlamenten) gewählten Senatoren.37 Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Einrichtung einer solchen zweiten Kam­ mer tatsächlich den Einfluss der nationalen Parlamente und damit ihre Le­ 32  Vgl. die Rede des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer, Vom Staatenverbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Inte­ gration, Vortrag an der Humboldt Universität zu Berlin am 12.05.2000, Rdnr. 34 f., im Rahmen der Vortragsreihe: Forum Constitutionis Europae (im Internet aufrufbar unter: http://www.whi-berlin.eu / documents / fischer.pdf); Rede des damaligen Prime Minister des Vereinigten Königreiches, Tony Blair, in der Warschauer Börse am 06.10.2000, (der Text der Rede ist in englischer Sprache im Internet aufrufbar unter: http://www.theguardian.com / politics / 2000 / oct / 07 / uk.tonyblair). 33  Vgl. dazu: Töller, Dimensionen der Europäisierung – Das Beispiel des Deut­ schen Bundestages, ZParl 2004, 25, 46 f., m. w. N.; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 553 ff.; vgl. den Vorschlag eines „Euro-Parlamentes“ für die Euro-Zone, das auch mit Mitgliedern der Parlamente der Euro-Mitgliedstaaten besetzt werden könnte, bei: von Bogdandy / Calliess u. a. (Glienicker Gruppe), Aufbruch in die Euro-Union: Warum ohne mehr Integration weitere Krisen drohen, Berliner Online-Beiträge zum Europarecht, Nr. 93, S. 7. 34  Steiger, Mehr Demokratie in der EU – aber wie?, ZRP 2012, 13, 15. 35  Dies wird deutlich in der Rede von Tony Blair in der Warschauer Börse am 06.10.2000 (siehe Fn. 31). 36  Vgl. zu den Problemen des Doppelmandats der Mitglieder des Europäischen Parlaments in den 1970er Jahren, oben S. 154 f. 37  Steiger, Mehr Demokratie in der EU – aber wie?, ZRP 2012, 13, 15, wobei Steiger offen lässt, wer die Vertreter der Mitgliedstaaten in der zweiten Kammer bestimmen soll; vgl. auch die Darstellung bei Dann, Parlamente im Exekutivfödera­ lismus, 2004, S. 226 f.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

gitimationsvermittlung stärken würde. Dabei scheiden die Modelle, nach denen diese Kammer aus nationalen Parlamentariern bestehen soll, bereits aus praktischen Gründen aus. Dieses Doppelmandat hat sich in der Vergan­ genheit schon bei den Mitgliedern des Europäischen Parlaments nicht be­ währt.38 Die Doppelbelastung wäre mit dem Arbeitspensum der Mitglieder des Bundestages und sicher auch der Parlamentarier anderer Mitgliedstaaten nicht zu vereinbaren. Dem Senatsmodell hingegen, bei dem die Mitglieder der zweiten Kam­ mer von den nationalen Parlamenten bestimmt werden, kommt nicht die gleiche demokratische Legitimationskraft zu wie den nationalen Parlamen­ ten selbst. Dabei stellt sich zunächst die Frage, wie eine kleine Gruppe von Senatoren bestimmt werden sollte. Wie könnte bei einer kleinen Gruppe die paritätische Zusammensetzung der Fraktionen im Bundestag gewahrt bleiben?39 Wie kann der Bundestag sicherstellen, dass die Senatoren in seinem Sinne handeln? Wären sie an seine Vorgaben gebunden? Sind sie nicht gebunden, führt dies zu einer Lücke in der Legitimationskette, die von der Bevölkerung zu den Vertretern des Bundestages in der zweiten Kammer reichen muss. Sind sie von einem Mandat des Bundestages abhängig, müss­ te sich der Bundestag mit allen Vorhaben beschäftigen, über die die zweite Kammer entscheiden soll. Eine Entlastung der Parlamente, die gerade auch die bestehenden Probleme ausräumen soll, könnte damit nicht herbeigeführt werden. Das Problem des Senatsmodells besteht im Kern darin, dass sich Parla­ mente im Sinne einer Weitergabe ihrer demokratischen Legitimationskraft nicht vertreten lassen können. Diese Legitimationskraft eines Parlaments besteht gerade in der spezifischen Rationalität seiner Entscheidungen,40 die es nicht auf Dritte übertragen kann. Kennzeichnend für die parlamentari­ schen Entscheidungen ist, dass sie von gewählten Mitgliedern und in parla­ mentarischen Verfahren – sei es in den Ausschüssen oder zusätzlich im Plenum – getroffen werden. Die für die demokratische Legitimation ent­ scheidende Repräsentationsfunktion nimmt der Bundestag grundsätzlich in 38  Vgl. oben S. 154 f . Ebenso: Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 228; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 555 f., weist zu Recht darauf hin, dass bei einem Doppelmandat die zweite Kammer faktisch nur sehr selten tagen und auch die Arbeitsintensität nur sehr gering sein könnte, was die hohen Kosten einer solchen Einrichtung in Frage stellen würde. 39  Vgl. zum parallelen Problem der Vertretung der nationalen Parlamente in der COSAC: Pöhle, Das Demokratiedefizit der Europäischen Union und die nationalen Parlamente. Bietet COSAC einen Ausweg?, ZParl 1998, 77, 84 ff. 40  Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2005, S. 294.



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht229

seiner Gesamtheit wahr (Art. 38 Abs. 1 GG: „Die Abgeordneten sind Ver­ treter des ganzen Volkes […]“).41 Entscheidungen des Plenums können zwar, dies ist aber auch nicht gänzlich unumstritten,42 auf ein Gremium des Parlaments selbst übertragen werden,43 wie dies das Grundgesetz für den Europaausschuss des Bundestages vorsieht (Art. 45 Satz 2 und Satz 3 GG). Entscheidungen, die von „Senatoren“ als Vertreter des Bundestages getroffen werden, erfüllen die Repräsentationsfunktion nicht. Daneben werden gegen eine zweite Kammer außerdem die ebenfalls zu­ treffenden Argumente vorgebracht, dass sie sowohl die bestehende Unüber­ sichtlichkeit als auch die Komplexität der europäischen Entscheidungspro­ zesse weiter steigern würde.44 Da dies nicht durch einen maßgeblichen Bedeutungs- und Einflusszuwachs der nationalen Parlamente aufgewogen würde, verdeutlichen diese Vorbehalte nur, dass eine zweite Kammer den europäischen Entscheidungsprozessen nicht dienlich wäre.

II. Die europapolitische Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag als Verfassungspflicht Wenn somit die europapolitische Kommunikation, wie sie im Grundge­ setz vorgezeichnet und einfachgesetzlich umgesetzt ist, nicht grundlegend in Frage steht, muss darüber nachgedacht werden, welcher Anpassungen es bedarf, um die bestehenden Probleme möglichst auszuräumen. Dabei sollte zunächst die hergebrachte Erzählung, dass die Mitwirkungsrechte die verlo­ renen Entscheidungskompetenzen des Bundestages kompensieren, verwor­ fen werden (dazu unten 1.). Um die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die heute an europapolitische Kommunikation gestellt werden, besser ein­ ordnen zu können, muss das Verhältnis von Bunderegierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union genauer betrachtet werden (dazu unten 2.). Dabei ergibt sich, dass die Mitwirkung des Bundestages als Verfassungsauftrag, d. h. auch als Pflicht des Bundestages gesehen werden muss (dazu unten 3.). Damit korrespondierend ist auch die Bundesregierung verpflichtet, nicht nur den Bundestag zu unterrichten, sondern in der Euro­ papolitik mit ihm „auf Augenhöhe“ zusammenzuarbeiten (dazu unten 4.). 41  Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 130, 318, 342 ff., AbsNr. 101 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung – Sondergremium. 42  Vgl. zum Streitstand die Nachweise bei Kretschmer, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 125. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2006), Art. 45, Rdnr. 211, m. w. N. in den Fußnoten. 43  Vgl. zu den Anforderungen an diese Übertragung: BVerfGE 130, 318, 353 ff., AbsNr. 125 ff. m. w. N. aus der Rechtsprechung – Sondergremium. 44  Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 229; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 555.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

Schließlich muss ein Maßstab definiert werden, anhand dessen eine ausrei­ chende Pflichterfüllung von Bundestag und Bunderegierung im Rahmen der europapolitischen Kommunikation festgestellt werden kann (dazu unten 5.). 1. Der Kompensationsgedanke als nicht ausreichende Basis der Zusammenarbeit Als Motiv für die Mitwirkung des Bundestages in europäischen Angele­ genheiten wird insbesondere seit der Schaffung der verfassungsrechtlichen Regeln in den Jahren 1992 bis 1993 der Kompensationsgedanke herangezo­ gen.45 Die Mitwirkungsrechte des Bundestages sollen die auf die Union übertragenen und damit dem Bundestag entzogenen Entscheidungskompe­ tenzen ausgleichen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine solche Kompensation tatsächlich gelingt. Die Argumentationsfigur der „Kompetenzkompensation“46 ist im Staats­ recht in verschiedenen Bereichen zu finden. So wird beispielsweise seit langem diskutiert, wie die Kompetenzen der Länder, die auf den Bund übergehen, durch Stärkung der Mitwirkung des Bundesrates auf Bundesebe­ ne kompensiert werden können.47 Der Begriff „Kompensation“ geht auf die römische Handelssprache seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. zurück. Dort be­ zeichnete der rechtsfähige Begriff „compensatio“ oder „compensus“ eine Gegenleistung von gleicher Art und Güte.48 Nach den – dem allgemeinen Sprachgebrauch nahekommenden – Schadensersatz- und Schadenskompen­ sationsregeln der §§ 249 bis 251 BGB handelt es sich nur dann um eine 45  Allgemeiner Gedanke, vgl. z. B. BVerfGE 131, 152, 197, AbsNr. 96 a. E. – parlamentarische Informationsrechte; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kom­ mentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 93 und 98 ff.; Calliess, Absicherung der parla­ mentarischen Integrations- und Budgetverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 53 m. w. N. aus der rechtswissenschaftlichen Literatur in Fn. 63; Kluth, Einwirkung von Bundestag, Bundesrat und Landesparlamenten auf die gemeinschaftliche Rechtsetzung als Aus­ druck von Integrationsverantwortung, in: ders. / Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 22 Rdnr. 55; Durner, Verfassungsbindung deutscher Europapolitik, in: Isen­ see / Kirchhof (Hrsg.), HStR X, 3. Auflage 2012, § 216, Rdnr. 3; Baach, Parlamenta­ rische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 4 ff.; Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: Bogdandy / Bast (Hrsg.), Euro­ päisches Verfassungsrecht, 2009, S. 121, 150; Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: VVDStRL, Band 56 (1997), S. 38, 56. 46  Zum Begriff statt vieler: Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 31 m. w. N. 47  Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 31 ff. m. w. N. 48  Ritter / Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1976, Band 4: I–K, Stichwort: „Kompensation“, S. 912.



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht231

Kompensation, wenn die Restitution des „alten“ Zustandes (§ 249 Abs. 1 BGB) nicht mehr möglich ist (§ 251 Abs. 1 BGB) und der Gläubiger eine Entschädigung in Geld zahlt, die die Wertminderung, die das Vermögen des Geschädigten erlitten hat, vollständig ausgleicht.49 Der Grundgedanke einer „Kompensation“ besteht folglich darin, dass derjenige, der einen Verlust erlitten hat, dafür einen gleichwertigen Ersatz erhält. Ein „Weniger“ wäre keine vollständige Kompensation. Dieses stark zivilrechtlich geprägte Bild der Kompensation wird von der Voraussetzung getragen, dass der adäquate Ersatz oder die Höhe des für den Ausgleich notwendigen Geldwertes ermittelt werden kann. Für die staats­ rechtliche Frage, wie der Verlust von Entscheidungskompetenzen ausgegli­ chen werden kann, ist die Definition eines solchen Äquivalenzmaßstabs jedoch nicht möglich.50 Ein Saldo von Wertminderung und Wertersatz ist nicht bestimmbar. Doch auch wenn im Staatsrecht kein eindeutiger Maßstab besteht, kann im Ergebnis festgehalten werden, dass die Mitwirkungsrechte jedenfalls „weniger“ sind als die Alleinentscheidungsrechte, über die der Bundestag nicht mehr verfügt. Da die Stellungnahmen des Bundestages keine vollumfängliche rechtliche Bindungswirkung gegenüber der Bundes­ regierung haben,51 liegt darin kein (mittelbarer) Ersatz für die Gesetzge­ bungskompetenzen des Bundestages.52 Eine echte Kompensation können die Mitwirkungsrechte somit nicht herstellen.53 Weder staatsrechtlich noch staatspolitisch kann es für den Verlust von Alleinentscheidungskompetenzen einen vollständigen „Wertersatz“ geben.54 Der „alte Zustand“ könnte somit nur durch Rückübertragung der Kompe­ tenzen bzw. einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union wie­ derhergestellt werden.55 Verfassungsrechtlich besteht hierfür jedoch keine 49  Statt aller: Schiemann, in: Staudinger (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 249–254 (Schadensersatz­ recht), 2005, § 251 Rdnr. 3. 50  Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 34. 51  Vgl. dazu oben S. 106 ff. 52  Huber, Der Beitrag der Föderalismusreform zur Europatauglichkeit des Grundgesetzes, ZG 2006, 354, 258. 53  Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, Der Staat 23 (1993), 191, 201 f.; Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: Bogdandy / Bast (Hrsg.), Euro­ päisches Verfassungsrecht, 2009, S. 121, 156; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 543; für die Sicht der Bundesländer: Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, 1999, S. 34. 54  Im Ergebnis wohl ebenso: Klein, Die Macht des Bundestages, ZG 2012, 209, 211. 55  So auch, aber darauf hinweisend, dass dies politisch nicht möglich ist: Breuer, Die Sackgasse des neuen Europaartikels (Art. 23 GG), NVwZ 1994, 417, 426;

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

Notwendigkeit, da das Bundesverfassungsgericht insbesondere in seinen Entscheidungen zum Vertrag von Maastricht56, zum Vertrag von Lissabon57 und zuletzt auch zum Europäischen Stabilitätsmechanismus58 die bisherigen Integrationsschritte der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union im Ergebnis als verfassungsmäßig angesehen hat. Dabei hat es den Verlust von Entscheidungskompetenzen des Gesetzgebers in den Blick ge­ nommen und dies – im Rahmen der Vorgaben z. B. des Konzepts der Inte­ grations- und Budgetverantwortung – für verfassungsrechtlich zulässig er­ klärt. Die Frage der Kompetenzrückholung oder gar des Austrittes aus der Union ist damit allein auf politischer Ebene zu beantworten. Auch wenn gerade in der Finanz- und Staatsschuldenkrise der Jahre ab 2010 vereinzelt die Aufgabe der gemeinsamen Währung gefordert und dabei das mögliche Auseinanderbrechen der Europäischen Union vorgeblich hingenommen wurde,59 so ist doch von der Bundesrepublik Deutschland, anders als im Vereinigten Königreich,60 selbst in dieser Zeit ein Austritt aus der Union nicht in Betracht gezogen worden.61 Allerdings wurde darüber nachgedacht, ­Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen ­Union, 2012, S. 543. 56  BVerfGE 89, 155 – Maastricht. 57  BVerfGE 123, 267 – Lissabon. 58  BVerfGE 132, 195 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Eilverfahren; BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az 2 BvR 1390 / 12 u. a. – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 59  Vgl. z.  B. Bild am Sonntag, 05.08.2012, Interview mit Markus Söder und Sarah Wagenknecht: „So friedlich wie auf diesem Foto blieb unser Gespräch über die Eurokrise nicht“ (im Internet aufrufbar unter: http://www.bild.de / politik / inland /  interview / so-friedlich-wie-auf-diesem-foto-blieb-unser-gespraech-ueber-die-eu rokrise-nicht-teil-1-25496026.bild.html und http://www.bild.de / politik / inland / inter view / so-friedlich-wie-auf-diesem-foto-blieb-unser-gespraech-ueber-die-eurokrisenicht-teil-2-25496836.bild.html). 60  Siehe dazu den Bericht über die vielbeachtete Europa-Rede des britischen Premierministers David Cameron vom 23.01.2013, z. B. bei Buchsteiner, „Zimmer ohne Aussicht“, in: Frankfurter Allmeinen Zeitung vom 23.01.2013, S. 3; sowie das Video der Original-Rede:  http://www.telegraph.co.uk / news / worldnews / europe / eu /  9820230 / David-Camerons-EU-speech-in-full.html. 61  Es wurde jedenfalls in der deutschen Regierungspolitik nicht geäußert. Im Gegenteil wurde im Rahmen der Bemühungen zur Stabilität des Euro und der über­ schuldeten Euro-Staaten eine stärkere Integration und die weitere Übertragung von Hoheitsrechten auf die Union gefordert; vgl. z.  B. Süddeutsche Zeitung vom 07.06.2012 „Merkel will politische Union in Europa vorantreiben“ (im Internet auf­ rufbar unter: http://www.sueddeutsche.de / politik / eu-gipfel-merkel-will-politischeunion-in-europa-vorantreiben-1.1376097). Die Rede des Deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck vom 22.02.2013 vermittelt zwar Anfangs den Eindruck, dass er die fortschreitende Integration kri­ tisch sieht, dies wird aber im Laufe der Rede relativiert. Die Rede ist im Internet



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einzelne Kompetenzen der Union wieder auf die Mitgliedstaaten zurück zu übertragen.62 Soll aber demnach aus deutscher Sicht der alte Zustand nicht wiederherge­ stellt werden, kann es auch keine Kompensation für den Bundestag geben. Dies wird auch von der Praxis nicht widerlegt. In der 17. Wahlperiode hat der Bundestag 23 Stellungnahmen zu Rechtsetzungsvorhaben der Union und über 30 nichtlegislative Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung abgege­ ben. Dem stehen rund 4.000 europäische Dossiers gegenüber. Auch wenn die bloßen Zahlen im Grunde keine Auskunft über das Maß des parlamentari­ schen Einflusses geben können, lässt die große Anzahl der nicht vom Bundes­ tag kommentierten Dossiers doch den Schluss zu, dass der Bundestag auf die­ se keinen solchen Einfluss genommen hat, der einem Alleinentscheidungs­ recht im Sinne einer Kompensation auch nur annähernd nahe kommen könnte. Die Mitwirkungsrechte des Bundestages können daher nicht als Kompen­ sation für verloren gegangene Entscheidungsrechte gesehen werden. Ihnen muss eine andere Aufgabe zukommen. 2. Das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag in der Europapolitik Die eigentliche Bedeutung der europapolitischen Mitwirkungsrechte er­ gibt sich bei einem genaueren Blick auf das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union. Grundsätzlich werden die Beziehungen zwischen Bundestag und Bundes­ regierung von dem Konzept des „parlamentarischen Regierungssystems“ definiert. Dieses System beschreibt das Verhältnis zwischen Parlament und Regierung, das klassisch von der parlamentarischen Kontrolle der Regie­ rung geprägt ist. Als leitende, vorgreifende Kontrolle besteht sie vor allem in der Verabschiedung der Gesetze, an die die Regierung gebunden ist. Für die nachträgliche Kontrolle stehen dem Bundestag die klassischen Kontroll­ rechte zu, die von parlamentarischen Fragen bis zur Einsetzung eines Un­ aufrufbar unter: http://www.bundespraesident.de / SharedDocs / Reden / DE / JoachimGauck / Reden / 2013 / 02 / 130222-Europa.html). Der Bundesfinanzminister in der 17. und 18. Wahlperiode, Wolfgang Schäuble, plädiert für eine deutlichere Abgrenzung der Kompetenzen der Union und der Mit­ gliedstaaten und stärkerer Beachtung gerade des Subsidiaritätsprinzips. Er prägt dabei den Begriff „national-europäische Doppeldemokratie“: Schäuble, Die neue europäische Ernsthaftigkeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.05.2014, S. 12. 62  Vgl. z. B. Verfassungsblog.de, Interview mit Prof. Hillgruber und Prof. Isensee vom 08.02.2013, „Cameron hat völlig Recht. Wir müssen über Rückbau reden“ (im Internet aufrufbar unter http://www.verfassungsblog.de / de / cameron-hat-vollig-rechtwir-mussen-uber-ruckbau-reden / #.USYFPFcUKSN).

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tersuchungsausschusses reichen. Diese die Verfassungsorgane stark vonein­ ander abgrenzende Sichtweise wird dadurch relativiert, dass die Regierung von den Mehrheitsfraktionen getragen wird. Diese unterstützen in der Regel die Regierungspolitik, beschaffen die Mehrheiten für Gesetzesvorschläge der Regierung und verhindern, dass die Regierung handlungsunfähig wird. Darüber hinaus kommt es zu einer Reihe von Funktionsverschränkungen zwischen Bundestag und Bundesregierung durch die Übernahme von Regie­ rungsämtern durch Mitglieder des Bundestages als Minister oder parlamen­ tarischer Staatssekretär.63 In diesen Bereichen bleibt es trotz der gewissen Gewaltenverschrän­ kung64 bei der Aufgabenerfüllung von Bundesregierung und Bundestag im Rahmen ihres jeweils eigenen Kompetenzbereichs. Die Verfassungsorgane tragen die Verantwortung nur für ihr eigenes Handeln. Im Bereich des Eu­ roparechts tritt durch die Europäische Union eine weitere, und zwar die supranationale Ebene hinzu. Die Verantwortung für die Integration Deutsch­ lands in die Union nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben obliegt der Bundesregierung und dem Bundestag (sowie dem Bundesrat) gemeinsam.65 Die Schaffung der supranationalen Ebene führt somit dazu, dass die Bundesregierung und der Bundestag in diesem Mehrebenensystem gemeinsam zu dem Rechtskreis des Mitgliedstaats Bundesrepublik Deutsch­ land gehören. Dieser grenzt sich von dem Rechtskreis der Europäischen Union ab,66 was vor allem durch das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 EUV) verdeutlicht wird. In dieser Konstellation muss sich auf der Basis des Grundgesetzes ein neues Verhältnis zwischen Bunderegierung und Bundes­ tag entwickeln, das durch eine stete, gleichberechtigte Zusammenarbeit ge­ genüber der Union geprägt ist. Diese Zusammenarbeit, insbesondere in Bezug auf die Weiterentwicklung von europäischem Sekundärrecht, zielt auf eine gemeinsame Willensbildung von Bundesregierung und Bundestag, wo­ 63  Zur Gewaltenverschränkung durch die Übernahme von Regierungsämtern durch Mitgliedern des Bundestages (Kanzler, Minister) oder der Funktion von par­ lamentarischen Staatssekretären siehe Meyer, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlaments­ recht und Parlamentspraxis, 1989, § 4 Rdnr. 29 ff.; Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 527 ff.; sowie den Überblick auch über die historische Entwicklung des Amts des parlamentarischen Staatssekretärs: Busse, Parlamentarische Staatssekretä­ re-Gesetz, 1. Auflage 2012, Einleitung Rdnr. 4 ff. 64  BVerfGE 95, 1, 15 – Südumfahrung Stendal, m. w. N. aus der Rechtsprechung. 65  „Integrationsverantwortung“, vgl. BVerfGE 123, 267, 351  f., AbsNr. 236  ff. und Ls. 2a) – Lissabon, sowie oben S. 48 ff. 66  Zur notwendigen Homogenität dieser Rechtskreise, da sie sich auf „dieselben Gewaltunterworfenen“ beziehen, siehe Schorkopf, Homogenität in der Europäischen Union – Ausgestaltung und Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 EUV, 2000, S. 41, S. 42 ff.; Krewet, Wechselwirkungen zwischen dem Grundgesetz und den Primärverträgen der Europäischen Union als ihrer Verfassung, 2009, S. 247 ff.



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bei die organspezifischen Zuständigkeiten gewahrt bleiben. Es bildet sich so ein Bereich der Staatsaufgaben, der sich von den anderen Bereichen durch die gemeinsame Verantwortung und das Zusammenarbeitsgebot unterschei­ det.67 Dieser Bereich wird bisher entweder als parlamentarisierte Außenpo­ litik68 oder als europäisierte69 Innenpolitik70 bezeichnet. Beide Bezeichnun­ gen können jedoch das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag in europäischen Angelegenheiten nicht vollständig charakterisieren. Soweit im Zusammenhang mit den europäischen Angelegenheiten von parlamentarisierter Außenpolitik gesprochen wird, geht es im Kern um die Frage, ob das Europarecht dem Bereich der auswärtigen Gewalt71 zugeord­ net werden kann. Die ältere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, aber auch ein Teil der Literatur weist die auswärtige Gewalt, d. h. die Zu­ ständigkeit für die tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen der Bundes­ 67  Allerdings besteht nach Röben auch im Bereich der auswärtigen Gewalt eine gemeinsame Verantwortung von Parlament und Regierung, die Mitentscheidungs-, Budget- und (politische) Kontrollrechte des Parlaments notwendig macht. Vgl. ­Röben, Außenverfassungsrecht, 2007, S. 76 f. 68  Bauer, Die Verfassungsentwicklung des wiedervereinten Deutschland, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR I, 3. Auflage 2003, § 14 Rdnr. 90: „Parlamentarisie­ rung der auswärtigen Gewalt“; Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: VVDStRL, Band 56 (1997), S. 38, 40; Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 165: „Umformung des exekutivischen Primats in der auswärtigen Gewalt zu einer stärker parlamentarischen Direktion in europäischen Angelegenheiten“. 69  Vgl. zur Verwendung des Begriffs „europäisierte“ in Kombination mit nahezu allen denkbaren Bereichen des deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrechts ein­ drücklich: Menzel, J., Internationales Öffentliches Recht, 2001, S. 352 ff. 70  Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 95; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage 2014, § 23 Rdnr. 104; Calliess, Absicherung der parlamentarischen Integrations- und Budgetverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwor­ tung, 2012, S. 53.; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 221; Saberzadeh, Parlamentsbeteiligung im Rahmen der Europäischen Integration, in: Schubel / Kirste / Müller-Graff / Diggelmann / Hufeld (Hrsg.), Jahrbuch für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften – 2013, 2014, S. 159, 181; Arnauld, in: ders. / Hufeld (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, 2011, Abschnitt 2, Rdnr. 24; Niedobitek, Integrationsver­ antwortung von Bundestag und Bundesrat nach dem „Lissabon- Urteil“ des Bundes­ verfassungsgerichts, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparla­ mentarismus, 2011, S. 159, 164; Möller / Limpert, Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, ZParl 1993, 21, 24. 71  Vgl. zum Begriff der „auswärtigen Gewalt“, insbesondere in seiner Bedeutung als innerstaatliche Zuständigkeit für die Vornahme außenwirksamer Handlungen des Staates: Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 1986, S.  56 ff.; außerdem: Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: VVDStRL, Band 56 (1997), S. 38, 39 ff.

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republik Deutschland zu anderen Völkerrechtssubjekten, im Grundsatz der Bundesregierung zu.72 Gehört demnach die Europapolitik zur auswärtigen Gewalt, sind die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat (Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 7 GG) eng auszulegen. Von einem Kooperationsverhältnis könnte nicht gesprochen werden.73 Die jüngere Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts zur europapolitischen Mitwirkung des Bundesta­ ges74 sowie andere Teile der Literatur verstehen die europäische Integration hingegen nicht mehr als besonderen Fall der Außenpolitik.75 In der Litera­ tur wurde bereits ausführlich beschrieben, dass sich das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Uni­ on maßgeblich von dem Verhältnis im außenpolitischen Bereich unterschei­ det.76 Dabei wird im Ergebnis ein Gedanke des Bundesverfassungsgerichts herangezogen, der sich in der Entscheidung über den Umfang der parlamen­ tarischen Zustimmungspflicht zu völkerrechtlichen Verträgen (Art. 59 Abs. 2 GG) findet:77 außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 59 Abs. 2 GG ist die Gestaltung auswärtiger Beziehungen funktionell keine Gesetzgebung und kann auch keine innerstaatlichen Rechtssätze erzeugen.78 Folglich ist in 72  BVerfGE 1, 351, 369, AbsNr. 76 – Petersberger Abkommen; BVerfGE 1, 372, 394, AbsNr. 84 f. – Deutsch-Französisches Wirtschaftsabkommen; BVerfGE 68, 1, 87, AbsNr. 145 – Atomwaffenstationierung (Pershing); BVerfGE 90, 286, 358, Abs­ Nr. 264 – Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr; BVerfGE 104, 151, 207, AbsNr. 149 – Nato-Konzept; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergän­ zungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 133 f.; Brenner, Das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Ange­ legenheiten der Europäischen Union, ThürVBl. 1993, 196, 20; so wohl auch: Klein, Die Macht des Bundestages, ZG 2012, 209, 222. 73  Zu diesem Ergebnis kommt: Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommen­ tar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 133 f. 74  Seit der Lissabon-Entscheidung (BVerfGE 123, 267) wird in der Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts deutlich, dass das Gericht die Mitwirkungs­ rechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union sehr weit aus­ legt und damit erkennbar von der klassischen Kompetenzzuordnung, nach der die Bundesregierung für die Außenbeziehungen Deutschlands zuständig ist, abweicht. Vgl. außerdem die Entscheidungen oben in A., Fn. 4. 75  Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Auflage 2011, § 23 Rdnr. 104; Pernice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 23 Rdnr. 95; Calliess, Absicherung der parlamentarischen Integrations- und Budgetverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwor­ tung, 2012, S. 53; Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 64 ff. 76  Rath, Die „unionswärtige Gewalt“ des Bundestages, ZParl 1995 / Sonderheft, 114, 117 ff.; Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der euro­ päischen Rechtsetzung, 2001, S. 114 ff. 77  BVerfGE 68, 1 – Atomwaffenstationierung (Pershing). 78  BVerfGE 68, 1, 87, AbsNr. 145 – Atomwaffenstationierung (Pershing).



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solchen Fällen auch keine Zustimmung des Bundestages vorgesehen. Mit anderen Worten: Wenn die Bundesregierung (in auswärtigen Beziehungen) nicht gesetzgebend tätig wird, dann muss der Bundestag nicht mitwirken. Demgegenüber werden die deutschen Vertreter im Rat bei dem Erlass von Rechtsakten der Union auch aus nationaler Sicht gesetzgebend tätig.79 Die Rechtsakte erzeugen direkte (Verordnung) und indirekte (Richtlinie) Rechts­ sätze in Deutschland. Das europäische Gemeinschaftsrecht berührt die in­ nerstaatliche Ordnung schon lange nicht mehr nur am Rande, sondern greift in vielen Bereichen unmittelbar auf die deutsche Bevölkerung, d. h. auf das Individuum und nicht mehr nur auf den Staat selbst, durch.80 Die Europa­ politik gehört somit nicht zur „klassischen“ Außenpolitik. Dafür spricht auch, dass die „klassische“ Außenpolitik, selbst wenn auch dort eine Parla­ mentarisierung zu beobachten ist, keine gemeinsame Verantwortung von Bundestag und Bundesregierung für die Entwicklungen auf völkerrechtlicher Ebene vorsieht.81 Die Europapolitik ist aber auch keine Innenpolitik.82 Besonders bedeu­ tend sind für den Bundestag in diesem Bereich das Initiativrecht (Art. 72 Abs. 1 GG) und das vollumfängliche Letztentscheidungsrecht über Bundes­ gesetze (Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Schaffung oder Änderung von europäischem Recht kann der Bundestag hingegen nicht initiieren. Für das Primärrecht steht die Initiative nur den Regierungen der Mitgliedstaaten, 79  Dazu ausführlich: Schilling, Zur Verfassungsbindung des deutschen Vertreters bei der Mitwirkung an der Rechtsetzung im Rate der EU, DVBl 1997, 458, 460 ff.; Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 379; Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S. 120 ff.; Baach, Parlamenta­ rische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 66; Möller / Limpert, Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegen­ heiten der Europäischen Union, ZParl 1993, 21, 24; wohl a. A. Nicolaysen, Tabak­ rauch, Gemeinschaftsrecht und Grundgesetz, EuR 24 (1989), S. 215, 218 f. 80  Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: VVDStRL, Band 56 (1997), S. 38, 41. 81  Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nato-Konzept steht dem nur scheinbar entgegen. Zwar spricht das Gericht dort von einem Zusammenwirken von Bundestag und Bundesregierung in auswärtigen Angelegenheiten und von einer Mit­ verantwortung der gesetzgebenden Körperschaften für das Integrationsprogramm (BVerfGE 104, 151, 201 f., AbsNr. 152 f.). Diese Ausführungen beziehen sich jedoch auf die vertragliche Weiterentwicklung einer supranationalen Organisation, die im Europarecht einer Primärrechtsänderung entspricht. Bei Entscheidungen innerhalb des bestehenden Vertragsrechts der supranationalen Organisation (in der Entschei­ dung: Strategisches Konzept der NATO) ist der Bundestag nicht (nach Art. 59 Abs. 2 GG) zu beteiligten (BVerfGE a. a. O.). 82  Innenpolitik meint in diesem Zusammenhang nicht das Fachressort, sondern die gesamte rein nationale Politikgestaltung und Gesetzgebung – im Unterschied zur Außenpolitik.

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dem Europäischen Parlament und der Kommission zu (Art. 48 Abs. 2 Satz 1 EUV). Auch im Sekundärrecht haben die nationalen Parlamente kein Ini­ tiativrecht (Art. 294 Abs. 2 und Abs. 15 AEUV). Bei den Rechtsakten der Union (Art. 288 AEUV) fehlt dem Bundestag außerdem die vollumfängliche Entscheidungskompetenz. Schließlich werden innenpolitische Fragen im Bundestag anders beraten als europäische Dossiers. Im innenpolitischen Bereich muss jedes Gesetzgebungsvorhaben in den Ausschüssen und im Plenum beraten werden. Demgegenüber werden nicht alle europäischen Rechtssetzungsvorhaben in den Ausschüssen und nur sehr wenige im Ple­ num beraten.83 Da die Europapolitik somit weder der Außen- noch der Innenpolitik zu­ geordnet werden kann, bildet sie einen eigenen „dritten“ Bereich („Europa­ politik“).84 Teilweise wird dieser Bereich mit unterschiedlichem Umfang und Zuschnitt als „unionswärtige Gewalt“ bezeichnet.85 Diese Bezeichnung legt jedoch einen zu starken Schwerpunkt auf die Abgrenzung dieses Berei­ ches zur „auswärtigen Gewalt“.86 Unabhängig davon, dass dieser Begriff auf eine frühere Epoche der deutschen Staatlichkeit, den Konstitutionalis­ mus, zurückgeht und daher eine antidemokratische und antiparlamentarische Komponente aufweist,87 ist eine darüber hinausgehende genaue Definition der „auswärtigen Gewalt“ oder der „auswärtigen Angelegenheiten“ schwie­ rig. Der Begriff „auswärtige Gewalt“ beschreibt bestimmte staatliche Auf­ gaben, insbesondere im Verhältnis zu anderen Staaten, in denen das Verhält­ nis von Regierung und Gesetzgeber unterschiedlich ausgestaltet ist und bei einer Gesamtbetrachtung keine Einheitlichkeit aufweist.88 Zudem muss sich der Bereich der „Europapolitik“ auch begrifflich deutlich von der Innenpo­ 83  Vgl.

dazu oben S. 174 ff. im Ergebnis auch Wieczorek, der eine grundlegende Zweiteilung der Parla­ mentsaufgabe in nationale Angelegenheiten einerseits, die die Innen- und die Außen­ politik umfasst, und in europäische Unionsangelegenheiten andererseits sieht: Wieczorek, Mitwirkung des Deutschen Bundestages in der Europäischen Union, in: Waigel (Hrsg.), Unsere Zukunft heisst Europa, 1996, S. 315, 321; Mayer, M., Die Europa­ funktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 221, die al­ lerdings die Europapolitik dann doch der „europäisierten Innenpolitik“ zuordnet. 85  Grundlegend: Rath, Die „unionswärtige Gewalt“ des Bundestages, ZParl 1995 / Sonderheft, 114, 117 ff.; aufgreifend: Klein., Die Funktion des Parlaments im politischen Prozeß, ZG 1997, 209, 215, 227; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, 1997, S. 362; Kamann, Die Mitwirkung der Parlamente der Mit­ gliedstaaten an der europäischen Gesetzgebung, 1997, S. 362 f. 86  Siehe zur Kritik an dem Begriff „auswärtige Gewalt“: Fassbender, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 152. Ergänzungslieferung (Stand: Juni 2011), Art. 32 Rdnr.  14 ff. 87  Fassbender, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 152. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: Juni 2011), Art. 32 Rdnr. 14. 88  Statt aller m. w. N.: Funke, Umsetzungsrecht, 2010, S. 391 ff. 84  So



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litik unterscheiden. Dem Begriff „auswärtige Gewalt“ fehlt der entsprechen­ de Gegenbegriff für die innen Angelegenheiten, wie es die Worte „Außen­ politik“ und „Innenpolitik“ verdeutlichen. Auch wenn das Verhältnis und die Kompetenzverteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung in diesem Begriffspaar freilich ebenfalls nicht eindeutig definiert werden können und maßgeblich von dem jeweiligen Sachbereich abhängen, erlaubt es jedoch, dass die „Europapolitik“89 schon semantisch als davon zu unterscheidender dritter Bereich hinzutritt. Maßgeblich getragen wird die „Europapolitik“ von den Grundgedanken der offenen Staatlichkeit90 und der Europarechtsfreundlichkeit91 des Grund­ gesetzes. Danach obliegt den deutschen Staatsorganen der stetige, kontinu­ ierlich zu vollziehende Auftrag92 zu einer Zusammenarbeit mit anderen Staaten, insbesondere zur Verwirklichung eines vereinten Europas.93 Dies gilt nicht nur für die Bundesregierung, sondern auch für den Bundestag, und ist verfassungsrechtlich in der Präambel des Grundgesetzes sowie in den Verfahrens- und Kommunikationsvorgaben des Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 7 GG verankert.94 Es kommt im Rahmen der nationalen Europapolitik zu einer gemeinsamen Gestaltung europapolitischer Angelegenheiten, die eher auf die Anforderungen des supranationalen Verbundes reflektiert, als auf den Erhalt der hergebrachten Verteilung der Kompetenzen im geschlossenen Nationalstaat. Mit Blick auf die Praxis wird ein kooperativer Prozess vor­ gezeichnet, in dem die Verhandlungsführung auf Unionsebene der Bundes­ regierung obliegt, über die sie Bundestag und Bundesrat fortlaufend unter­ 89  Auch dieser Begriff ist allerdings ungenau, da es auch Beziehungen Deutsch­ lands zu europäischen Organisationen (z. B. die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und europäischen Staaten (z. B. Schweiz und Norwe­ gen) gibt, die nicht zu den Angelegenheiten der Europäischen Union gehören und nicht von Art. 23 GG erfasst werden, aber als „Europapolitik“ bezeichnet werden könnten. Zutreffender wäre insoweit der Begriff „Unionspolitik“. Dieser wäre aber leicht mit der Politik der Europäischen Union zu verwechseln und ist daher für die Praxis nicht tauglich. Der auch mögliche Begriff „nationale Unionspolitik“ hingegen wirkt schwerfällig und würde den gerade gewollten begrifflichen Bezug zur Außenund Innenpolitik bzw. die semantische Abgrenzung davon nicht herstellen. 90  Dazu grundlegend: Vogel, K., Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, Recht und Staat (292 / 293), 1964; außerdem und auch zu den Grenzen der „Offenheit“ des Staates: Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, 2007, S. 220 ff.; Fassbender, Der offene Bundesstaat, 2007, S. 31 ff. 91  BVerfGE 123, 267, 346 f., AbsNr. 225 – Lissabon. 92  Vogel, K., Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine interna­ tionale Zusammenarbeit, Recht und Staat (292 / 293), 1964, S. 47, mit Verweis auf: Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 63. 93  BVerfGE 123, 267, 346 f., AbsNr. 225 – Lissabon. 94  Funke nennt diesen Bereich „organisationswärtige Gewalt“: Funke, Umsetzungs­ recht, 2010, S. 397 ff.

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richtet und unter Berücksichtigung der Mitwirkungshandlungen des Bundes­ tages und Bundesrates, insbesondere ihrer Stellungnahmen, zu einem Ergeb­ nis führt, das Rechtswirkungen auf Unions- und nationaler Ebene entfaltet und damit den Verbund widerspiegelt. Der Bundestag erhält somit in diesem Bereich eine Position, die im Lich­ te einer Politikgestaltung „zur gesamten Hand“95 der beteiligten Verfas­ sungsorgane gesehen werden kann,96 wobei daraus nicht eine Gesamtvertre­ tung von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gegenüber der ­Europäischen Union folgt. Die Kompetenzen der Verfassungsorgane verblei­ ben in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich mit den vorgesehenen Mit­ wirkungsinstrumenten. Außerhalb des Übergangs der Außenvertretungskom­ petenz auf einen Vertreter der Länder nach Maßgabe von Art. 23 Abs. 6 GG ist ein „Übergriff“ in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Verfassungs­ organs, insbesondere in die Außenvertretungs- und Handlungskompetenz der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Union, nicht gestattet.97 Eine Politikgestaltung „zur gesamten Hand“ fordert zudem nicht, dass die Mitwirkungshandlungen des Bundestages für die Bundesregierung vollum­ fänglich bindend sein müssen. Dies gilt sowohl für Stellungnahmen als auch für etwaige Mandatsgesetze des Bundestages.98 Andernfalls würde die wei­ ter bestehende Außenvertretungskompetenz der Bundesregierung auf eine Repräsentationsfunktion einschließlich einer bloßen „Weiterleitung“ der Position des Bundestages zu den europäischen Institutionen reduziert, was aber von der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Verhältnisses von Bundesregierung und Bundestag gerade nicht gewollt ist99 und einer 95  Zu dem Konzept der „Staatsleitung zur gesamten Hand“ grundlegend: Menzel, E., Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, in: VVDStRL Band 12 (1954), 179, 194 ff., der allerdings von „kombinierter Gewalt“ spricht; Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, VVDStRL 16 (1958), S. 9, 38; weiterführend: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Recht­ setzung, 2001, S. 136 ff. 96  Risse, Haben sich die Beteiligungsverfahren nach Art. 23 GG bewährt?, in: Hill / Sommermann / Wieland / Ziekow (Hrsg.), Brauchen wir eine Verfassung? Zur Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes, 2014, S. 183, 185 f. 97  Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungslieferung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 127. 98  Andere Auffassungen: für die Zulässigkeit von bindenden Mandatsgesetzen: Rath, Entscheidungspotentiale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001, S.  103 ff.; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergän­ zungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 160; für die vollumfängliche Bindungswirkung von Stellungnahmen: Baach, Parlamentarische Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union, 2008, S. 213 ff. 99  Vgl. zur Bindungswirkung der Stellungnahmen nach Art. 23 Abs. 3 GG i. V. m. § 8 EUZBBG mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers und die politische Praxis unten S.  282 ff.



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gleichberechtigten Zusammenarbeit ebenfalls widerspräche. Dieses Verhält­ nis rückt somit von der tradierten Zuordnung der Gewaltenteilung auf be­ stimmte nationale Organe und Organtypen ab, um die demokratische Legi­ timation der Hoheitsgewalt auch im integrierten Staat gewährleisten zu können.100 Die Regierung wird im Rat gesetzgebend tätig, was gleichzeitig mit der Einschränkung der Gesetzgebungsfunktion des Bundestages einher­ geht. Der Bundestag erhält den Auftrag, an ehemals zum exekutiven Primat gehörenden Themen, d. h. an Entscheidungen, die auf supranationaler Ebene gemeinsam mit anderen Staaten getroffen werden, mitzuwirken. Diese Aufgabe wandelt sich im Lichte des Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG zu einer Mitwirkungspflicht des Bundestages101 und geht damit noch über das Konzept der „Staatsleitung zur gesamten Hand“ hinaus. Als dieses Kon­ zept in den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde, lag seine „moderne Idee“ in der Aufgabe der strengen Zuständigkeitsabgren­ zung zwischen Parlament und Regierung. Stattdessen wurde dem Parlament die Berechtigung zugestanden, an der Staatsleitung teilzuhaben und nicht auf die nachträgliche Kontrolle verwiesen zu sein.102 Es wurde allerdings nicht gesehen, dass das Parlament bzw. der Bundestag auch die Pflicht ha­ ben könnte, diese Staatsleitung nach Maßgabe der Verfassungsvorgaben tatsächlich wahrzunehmen. Erst durch die spätere verstärkte Einbindung des Bundestages in außenpolitische Entscheidungen und nicht zuletzt durch die europapolitischen Beteiligungsrechte des Bundestages, die in Art. 23 GG geschaffen wurden, wurde vereinzelt auch die Mitwirkungspflicht des Bun­ destages erkannt.103 100  Kaufmann, Integrierte Staatlichkeit als Staatsstrukturprinzip, JZ 1999, 814, 818. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Kooperationsgedankens auch in Bezug auf den Gewaltenteilungsgrundsatz ausführlich: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S. 143 ff. 101  Siehe dazu sogleich unten S. 242 ff.; sowie zur korrespondierenden Koope­ rationspflicht der Bundesregierung unten S. 257 ff. 102  Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, VVDStRL 16 (1958), S. 9, 38. 103  Günther, Die Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäi­ schen Union nach Art. 23 GG, 1998, S. 145 ff.; Klein erwähnt ebenfalls eine Pflicht des Parlaments, sich an der Kontrolle des Rechtsetzungsprozesses auf Unionsebene zu beteiligen, leitet dies aber aus dem demokratischen Prinzip des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG und nicht aus der in Abs. 2 erwähnten Mitwirkung ab: Klein, Die Euro­ päische Union und ihr demokratisches Defizit, in: Goydke / Rauschning / Robra /  Schreiber / Wulff, Vertrauen in den Rechtsstaat, Festschrift für Remmers, 1995, S. 195, S. 202; Hansmeyer vertritt zwar die These, dass die Staatsleitung im Rahmen des Art. 23 GG der Bundesregierung und dem Bundestag zur gesamten Hand zuste­ hen, äußert sich zur Frage der daraus folgenden Mitwirkungspflicht des Bundestages jedoch nur zögerlich: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S. 351.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

Umgesetzt wird dieses Verhältnis von Bundestag und Bundesregierung durch die verfassungsrechtliche Vorgabe einer steten europapolitischen Kommunikation der beiden Verfassungsorgane. Damit soll nicht nur ein demokratisch legitimierter „Output“ der deutschen Verfassungsorgane ge­ genüber der Europäischen Union, sondern auch der Einfluss des Bundesta­ ges auf die nationale Willensbildung in diesem Bereich sichergestellt wer­ den. Dazu dienen die Kommunikationsmittel in Form der Informations- und Stellungnahmerechte des Bundestages sowie seine sonstigen Kontrollinstru­ mente und politischen Druckmittel. Erst wenn diese auch tatsächlich so vom Bundestag genutzt und von der Bundesregierung berücksichtigt werden, dass ein parlamentarischer Einfluss auf die Europapolitik erkennbar wird, ist diesem Auftrag, den das Grundgesetz an Bundestag und Bundesregierung richtet, Genüge getan.104 3. Die Mitwirkung des Bundestages als Verfassungspflicht Die europapolitische Mitwirkung des Bundestages ist nach dem Wortlaut des Grundgesetzes eher neutral, jedenfalls nicht ausdrücklich als Pflicht ausgestaltet (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG: „In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit“). Eindeutig ist in diesem Bereich nur die Pflicht der Bundesregierung, den Bundestag zu unterrichten und seine Stellungnahmen „zu berücksichti­ gen“ (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG). Um einen effektiven Einfluss des Bundes­ tages auf die europäische Politik sicherzustellen, muss die in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG festgelegte Mitwirkung des Bundestages jedoch auch als Pflicht verstanden werden, die sich an den Bundestag als Gesamtorgan und an seine Mitglieder richtet. a) Die Mitwirkungspflicht des Bundestages Bei Primärrechtsänderungen muss der Bundestag immer mitwirken. Ist die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Entscheidungen auf Unionsebene von einem Beschluss oder Gesetz des Bundestages abhängig, ist der Bundestag verpflichtet, über einen entsprechenden Antrag der Bun­ desregierung zu beraten und darüber eine Entscheidung zu treffen.105 Diese Entscheidungs- und Mitwirkungspflicht gilt somit für alle Primärrechtsände­ 104  Vgl.

dazu die Eingangsfrage oben S. 40 f. Pflicht des Bundestages über einen Antrag (Gesetzesentwurf) zu entschei­ den ist Rechtsfolge des Initiativrechts des Art. 76 Abs. 1 GG. Vgl. statt aller: Kersten, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 61. Ergänzungslieferung (Stand: Januar 2011), Art. 76 Rdnr. 62 m. w. N. 105  Die



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rungen, die ein Zustimmungsgesetz des Bundestages erfordern (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GG) oder für die der deutsche Vertreter im Rat oder im Europäischen Rat eines zustimmenden Gesetzes oder Beschlusses des Bundestages bedarf (§ 2 bis § 8 IntVG). Außerhalb dieser Bereiche ist vor allem nach Einführung der parlamenta­ rischen Mitwirkungsregeln in das Grundgesetz (Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG) die Diskussion aufgekommen, ob der Bundestag nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, an europäischen Angelegenheiten mitzuwirken. Innerhalb dieser Diskussion werden allerdings keine grundsätzlich unter­ schiedlichen Positionen vertreten. Die Vertreter einer solchen Mitwirkungs­ pflicht106 betonen, dies bedeute nicht, dass der Bundestag zur Abgabe einer Stellungnahme zu jedem europäischen Dossier verpflichtet sei.107 Soweit die Mitwirkungspflicht abgelehnt wird, wird jedoch die Mitwirkung als vom Bundestag zu erfüllende Aufgabe oder als Mitwirkungsgebot angesehen.108 Dieser Diskussion kommt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Integrationsverantwortung keine erhebliche Bedeutung mehr zu. Nach dem Konzept der Integrationsverantwortung ob­ liegt dem Bundestag ein (organspezifischer) Teil der Verantwortung für die europäische Integration. Er muss dafür Sorge tragen, dass im Rahmen der europäischen Angelegenheiten das politische System der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union den unveränderbaren Grundsät­ zen des Demokratieprinzips entspricht (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG).109 Das Demokratieprinzip fordert, dass die Hoheitsaus­ 106  Verweis auf den Wortlaut des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 („wirken … mit“) von Heinegg, in: Epping / Hillgruber (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum Grund­ gesetz, Edition 17, Januar 2013, Art. 23 Rdnr. 35; Jarass, in: ders. / Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Auflage 2012, Art. 23, Rdnr. 52; Günther, Die Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 GG, 1998, S. 145 ff.; so auch noch Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Auflage 2009, § 23 Rdnr. 99, jedoch seit der 6. Auflage als „aktive Rolle“ abgeschwächt: ders., in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Auflage 2011, § 23 Rdnr. 104. 107  Jarass, in: ders. / Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 12. Auflage 2012, Art. 23, Rdnr. 52; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Auflage 2009, § 23 Rdnr. 99, Fn. 229; Günther, Die Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäi­ schen Union nach Art. 23 GG, 1998, S. 147. 108  Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 126; Zuleeg, in: Denninger / HoffmannRiem / Schneider / Stein (Hrsg.), Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage (Stand: Oktober 2001), Art. 23 Rdnr. 56. 109  BVerfGE 123, 267, 356, AbsNr. 245 – Lissabon, aus Sicht des Unionsrechts für eine Mitwirkungspflicht im Rahmen des „Beitrags zur guten Arbeitsweise der Union“ (Art. 12 AEUV) nun auch Calliess, Subsidiaritätskontrolle durch Bundestag, Bundesrat und Landesparlamente, in: Kluth / Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 23 Rdnr. 21.

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übung der Union und die Entscheidungen der Bundesregierung im Rat de­ mokratisch legitimiert sind. Da das Volk nicht über jede dieser Handlungen selbst entscheiden kann, „ist demokratisch legitimiert nur, was parlamentarisch verantwortet werden kann“.110 Dies bedeutet nicht, dass der Bun­ destag über sämtliche hoheitliche Maßnahmen der Union und der Bundes­ regierung zuvor eine Entscheidung treffen muss, die wesentlichen, zumal die grundrechtsrelevanten, und sonstigen grundlegenden Fragen des Ge­ meinwesens müssen aber auf die Mitwirkung des Bundestages rückführbar sein.111 Dies gilt auch und gerade im Bereich der „Europapolitik“. Genau dies ist der Grundgedanke, der hinter dieser „fordernden Dimension der Integrationsver­antwortung“112 und auch dem Konzept der Verfassungsiden­ tität113 steht. Aus dem Demokratieprinzip folgt somit, dass der Bundestag seinen Teil dieser Verantwortung zu erfüllen hat. Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG, nach dem der Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union mit­ wirkt, beschreibt den Weg, durch den ein „ausreichendes Niveau demokratischer Legitimation der europäischen Hoheitsgewalt“114 gesichert wird. Als notwendige Bedingung115 dafür, dass der Bundestag seine Verant­ wortung wahrnehmen kann, darf die Erfüllung dieser Verfassungsnorm nicht zur Disposition gestellt, sie muss als Mitwirkungspflicht verstanden werden.116 Die Befürchtung, der Bundestag könnte dem nicht ausreichend gerecht werden, prägt verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen es wiederholt die stärkere Beteiligung des Bundestages an europäi­ 110  BVerfGE

123, 267, 350, AbsNr. 236 – Lissabon. Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3.  Auflage 2005, § 44 Rdnr. 27; Sommermann, in: Mangoldt / Klein / Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Band 2; 6. Auflage 2010, Art. 20 Abs. 2 Rdnr. 186. 112  Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklamme­ rung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 27. 113  Siehe dazu oben S. 31 ff. 114  Schorkopf, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 153. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: August 2011), Art. 23 Rdnr. 131. 115  Ruppert hält die vom Bundesverfassungsgericht geforderte europapolitische Mitwirkung des Bundestags für eine „conditio sine qua non einer weiter erfolgreichen Integration“: Ruppert, Die Rolle der nationalen Parlamente nach dem Vertrag von Lissabon, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2011 / I, 2012, S. 109, 113. 116  Ebenso Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Ver­ klammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 27; ähnlich auch, allerdings noch ohne Bezug auf das erst später ent­ wickelte Konzept der Integrationsverantwortung: Kaufmann, Integrierte Staatlichkeit als Staatsstrukturprinzip, JZ 1999, 814, 818. 111  Brenner,



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schen Entwicklungen fordert.117 Auch wenn dies den Entscheidungen eher „zwischen den Zeilen“ zu entnehmen ist,118 stehen in dieser Linie neben der Lissabon-Entscheidung119 bereits die Entscheidung zum Europäischen Haft­ befehl aus dem Jahr 2005120 sowie die jüngeren Entscheidungen in Zusam­ menhang mit der Finanz- und Staatsschuldenkrise121. Das Bundesverfas­ sungsgericht stellt damit durch seine Rechtsprechung die Erwartung an den Bundestag, an der deutschen Europapolitik aktiv mitzuwirken. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende Richter des in diesen Ver­

117  Voßkuhle, Über die Demokratie in Europa, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.02.2012, S. 7; Lhotta / Kettelhut, Integrationsverantwortung und parlamenta­ rische Demokratie: Das Bundesverfassungsgericht als Agent des „verfassten politi­ schen Primärraums“?, ZParl 2009, 864, 877. 118  Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere die Lissa­ bon-Entscheidung, BVerfGE 123, 267, wird ebenso interpretiert von: Nettesheim, „Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 37; Wittreck, Wächter wider Willen, ZG 2011, 122, 134; Calliess, Absicherung der parlamentari­ schen Integrations- und Budgetverantwortung auf europäischer und nationaler Ebe­ ne, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 53, 56; Kiiver, German Participation in EU Decision-Making after the Lisbon Case: A Comparative View on Domestic Parliamentary Clearance Procedures, GLJ 2009, 1287, 1291 f.; Schüttemeyer, Der ewige Zweite? Überlegungen zur Regierungsdominanz im Deutschen Bundestag, in: Keil / Thaidigsmann (Hrsg.), Zivile Bürgergesellschaft und Demokra­ tie: Aktuelle Ergebnisse der empirischen Politikforschung, Festschrift für Oscar W. Gabriel zum 65. Geburtstag, 2013, S. 451, 459. 119  BVerfGE 123, 267 – Lissabon, so wird z. B. der Bundestag (und der Bundes­ rat) auf Seite 435, AbsNr. 413, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „Schweigen“ im europäischen Integrationsprozess – an dieser Stelle in Bezug auf die Anwendung der allgemeinen Brückenklausel des Art. 48 Abs. 7 EUV – gegen seine (Integra­ tions-)Verantwortung verstößt: „Die rechtliche und politische Verantwortung des Parlaments erschöpft sich – auch im Fall der europäischen Integration — insoweit nicht in einem einmaligen Zustimmungsakt, sondern erstreckt sich auch auf den weiteren Vertragsvollzug. Ein Schweigen von Bundestag und Bundesrat reicht daher nicht aus, diese Verantwortung wahrzunehmen“. 120  BVerfGE 113, 273, insbesondere Seite 315  f. AbsNr. 116 f. – Europäischer Haftbefehl: Hier fordert das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, dass sich der Bundestag nicht auf die Aussagen der Regierung verlässt, sondern „normativ frei“ über das Haftbefehlsgesetz erneut entscheidet. Vgl. auch zur Kritik gegenüber dem Bundestag mit Hinweis auf die Aussagen von Mitgliedern des Bundestages in der mündlichen Verhandlung: Gas, Die Verfassungswidrigkeit des Europäischen Haftbe­ fehlsgesetzes – gebotener Grundrechtsschutz oder euroskeptische Überfrachtung?, EuR 2006, 285, 289 f. 121  Vgl. dazu die in Kapitel A., Fn. 6 genannten Entscheidungen. Bei dem Kon­ zept der Budgetverantwortung (vgl. dazu insbesondere die Entscheidung des Bun­ desverfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm, BVerfGE 129, 124) gibt es diese Besorgnis ebenfalls, sie tritt jedoch in den Entscheidungen nicht so deutlich zu Tage.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

fahren zuständigen Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, fasst dies wie folgt zusammen: „Auch im Hinblick auf den Prozess der europäischen Integration ist die zentrale Rolle des Bundestages vom Bundesverfassungsgericht mehrmals bestätigt worden. Vor allem in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon und zuletzt zum EuroRettungsschirm wurde die besondere ,Integrationsverantwortung‘ des Deutschen Bundestages betont, der danach den Entwicklungsprozess der Europäischen Union fortlaufend aktiv zu begleiten hat.“122

Dass die in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG vorgesehene Mitwirkung als Pflicht angesehen werden muss, folgt außerdem aus der Rechtsprechung des Bun­ desverfassungsgerichts, nach der der Kern der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) zum unabänderlichen Teil der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG gehört.123 Dahinter steht der Ge­ danke, dass die Informationen notwendige Bedingung für die Mitwirkung des Bundestages in europäischen Angelegenheiten sind. Soll diese Bedin­ gung, d. h. die Weitergabe der Informationen, jedoch keinen Selbstzweck haben, was die Berechtigung ihrer Absicherung in Art. 79 Abs. 3 GG in Zweifel zöge, so muss die Mitwirkung des Bundestages eine verfassungs­ rechtliche Pflicht darstellen. Diese Mitwirkungspflicht findet allerdings dort seine Grenze, wo der Bundestag aufgrund fehlender Mitwirkungs- oder Kontrollrechte124 oder aus praktischen Gründen125 keine Einflussmöglichkeiten mehr hat. Daraus folgt, dass sich die Mitwirkungspflicht innerhalb der bereits vorhandenen Aufga­ ben- und Kompetenzbereiche des Grundgesetzes bewegt. So wird sicherge­ stellt, dass die europapolitische Mitwirkung mit der Funktionenordnung, dem Demokratieprinzip und dem Gewaltenteilungsprinzip des Grundgeset­ zes nicht in Konflikt gerät.126 122  Voßkuhle, Über die Demokratie in Europa, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 09.02.2012, S. 7 (Hervorhebung durch die Verfasserin). 123  BVerfGE 132, 195, 241  f., Rdnr. 111 – Europäischer Stabilitätsmechanis­ mus / Eilverfahren. Vgl. dazu auch oben S. 61. 124  Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts, Die Verwaltung Beiheft 10, 2010, S. 229, 230, spricht von der Notwendigkeit „weisungsunabhängiger Entscheidungsspielräume“. 125  Vgl. zu den Grenzen der Einflussmöglichkeiten des Bundestages unten S.  271 ff. 126  Hansmeyer weist nach, dass die Mitwirkungsrechte des Bundestages, die sie im Rahmen des Konzeptes der „Staatsleitung zur gesamten Hand“ ähnlich wie vor­ liegend auslegt, mit diesen Verfassungsprinzipien vereinbar sind: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, S. 143 ff. Darüber hinaus wurde schon mehrfach erwähnt, dass auch nach dem Kon­ zept der Integrationsverantwortung ein Übergriff in den Kompetenzbereich der an­ deren Verfassungsorgane nicht gestattet ist. Vgl. schon oben S. 54.



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So entsteht neben den klassischen Aufgaben des Parlaments nach Bage­ hot127, d. h. neben der Gesetzgebung, der Regierungskontrolle, der Regie­ rungskreation und der Öffentlichkeitsfunktion, ein weiterer parlamentari­ scher Aufgabenbereich: die europapolitische Kommunikation. b) Der Mitwirkungsauftrag an die Mitglieder des Bundestages Neben der Mitwirkungspflicht des Bundestages als Verfassungsorgan obliegt auch den einzelnen Mitgliedern des Bundestages eine besondere Verantwortung, an den europäischen Dossiers aktiv mitzuwirken. In der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird die Integrati­ onsverantwortung zwar im Wesentlichen als rechtliches Konzept entwickelt. Es enthält jedoch durch den Begriff „Verantwortung“128 auch einen poli­ tisch-moralischen Aspekt, der an die Bereitschaft der Parlamentarier appelliert,129 die europäische Integration aktiv zu begleiten und nicht der Bundesregierung allein zu überlassen. Zur Betrachtung des Begriffs „Verantwortung“ in diesem Zusammenhang hilft die ethische Verantwortungsproblematik mit ihrer dreistelligen Relation des Verantwortungsbegriffes „Jemand ist für etwas gegenüber einer Instanz verantwortlich“130 jedoch nicht weiter.131 Denn sie legt einen klaren Schwerpunkt auf die externe Komponente des Begriffes. Die Verantwortung der Mitglieder des Bundestages betrachtet hingegen die innere Motivation der Person. Trägt diese Person „Verantwortung“, bedeutet dies auch, dass sie ihre Handlung oder Unterlassung vor sich selbst rechtfertigen und sich 127  Bagehot, The English Constitution, 1964, Nachdruck der 1. Auflage von 1867, S. 151  ff. Für den Deutschen Bundestag kommen daneben noch die Aufgabe der Geschäftsordnungsgebung und die Feststellung des Verteidigungsfalles hinzu. Siehe dazu: Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, Vierter Teil, §§ 16 bis 20. 128  Die Rechtswissenschaft sieht allerdings keinen einheitlichen Verantwortungs­ begriff vor: vgl. Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsge­ richts, Die Verwaltung Beiheft 10, 2010, S. 229, 230 m. w. N. Vgl. zur Geschichte und Herkunft der Verantwortung: Bayertz, Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung, in: ders. (Hrsg.), Verantwortung: Prinzip oder Problem, 1995, S. 3 ff. 129  Kottmann / Wohlfahrt, Der gespaltene Wächter? – Demokratie, Verfassungs­ identität und Integrationsverantwortung im Lissabon-Urteil, ZaöRV 2009, 443, 456; Durner, Verfassungsbindung deutscher Europapolitik, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR X, 3. Auflage 2012, § 216, Rdnr. 35. 130  Brockhaus Enzyklopädie online, Begriff: „Verantwortung“. 131  A. A. Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Identitätskontrol­ le: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 491, 521 so­ wie wortgleich: Calliess, Die neue Europäische Union nach dem Vertrag von Lissa­ bon, 2010, S. 262. Im Ergebnis ähnlich: Voßkuhle, Die Integrationsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts, Die Verwaltung Beiheft 10, 2010, S. 229, 223 f.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

die Folgen selbst zurechnen muss. Dieser nach innen gerichtete Aspekt der Verantwortung findet seine Wurzeln in der theologischen Verantwor­ tungsethik und damit in der Verantwortung des Menschen vor Gott,132 wie sie auch in der Präambel des Grundgesetzes ausdrücklich genannt ist. Die säkulare philosophische Tradition hat die Verantwortung vor Gott in eine Verantwortung vor sich selbst (Selbstverantwortung) umgewandelt.133 Mit der Verantwortung geht auf den Betroffenen das Bewusstsein über, dass er selbst die „Schuld“ trägt und „versagt“ hat, wenn eine mit der Verantwor­ tung einhergehende Verpflichtung nicht erfüllt wird.134 Übertragen auf die Integrationsverantwortung des Bundestages bedeutet dies, dass die Abgeordneten und der Bundestag insgesamt für die Einhal­ tung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in europäischen Angelegenheiten (vor sich selbst135) verantwortlich sind. Die Einführung des Begriffes Inte­ grationsverantwortung und die Zuweisung eines Teiles dieser Verantwortung auf den Bundestag haben den Druck auf die Abgeordneten erhöht, den eu­ ropäischen Integrationsprozess zu begleiten.136 Sie müssen für ihr Interesse und ihre Handlungen (gegebenenfalls auch ihr Desinteresse oder ihre Unter­ lassungen) sowie für Entwicklungen, die verfassungswidrig oder auch nur politisch nachteilig sind, einstehen. Ein abwehrender Verweis auf die Regie­ rung ist in Bereichen, in denen der Bundestag Einflussmöglichkeiten hatte, weder rechtlich zulässig noch politisch-moralisch haltbar. Aus diesem Kon­ 132  Vgl. die eschatologische Verantwortung im neuen Testament der Bibel aus dem 2. Brief des Paulus an die Korinther (5 / 10): „Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.“ (zitiert aus: Deutsche Bibel­ gesellschaft (Hrsg.), Lutherbibel Großausgabe ohne Apokryphen, Übersetzung von Martin Luther in der revidierten Fassung von 1984, 1999). 133  Honecker, Einführung in die Theologische Ethik: Grundlagen und Grundbe­ griffe, 1990, S. 332. 134  Allerdings stellt sich die Frage, auch die der politisch-moralischen Verantwor­ tung, in der Praxis häufig nicht schon, wenn eine Pflicht nicht erfüllt wurde, sondern erst dann, wenn ein „schlimmes Ereignis“ eingetreten ist (vgl. Bayertz, Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung, in: ders. (Hrsg.), Verantwortung: Prin­ zip oder Problem, 1995, S. 5), wenn also die Pflichtverletzung nachteilige Folgen hatte. 135  Daneben bleibt die Verantwortung gegenüber der „Instanz“ bestehen. Diese Instanz ist neben dem Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 123, 267, 4. Ls) aus Sicht der Abgeordneten natürlich vordringlich der Wähler, der für die Erhaltung ihres Mandats und der Mehrheitsverhältnisse sorgt, diese jedoch bei „Versagen“ auch entziehen kann. Siehe auch Schorkopf, Die Europäische Union im Lot – Karls­ ruhes Rechtsspruch zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2009, 718, 723. 136  Wittreck, Wächter wider Willen, ZG 2011, 122, 124; Nettesheim, „Integra­ tionsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 37.



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht249

zept folgt für den konkreten parlamentarischen Entscheidungsprozess, dass die Abgeordneten nicht nur die Informations- und Entscheidungsverfahren effektiv gestalten, sondern auch die Informationen tatsächlich zur Kenntnis nehmen und daraus verantwortliche Entscheidungen frei und bewusst137 treffen müssen. Diesem Mitwirkungsauftrag steht auch nicht die Gewissensformel des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG entgegen, nach der die Mitglieder des Deutschen Bundestages „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. Aus der Gewissensformel folgt nämlich nicht, dass die Abgeordneten frei entscheiden können, welche parlamentarischen Aufgaben sie wahrnehmen und welche nicht. Sie bestimmt „lediglich“, dass die Abgeordneten die Entscheidungen, die sie zur Ausübung ihres Mandats zu treffen haben, auf der Basis ihrer eigenen politischen Überzeugung tref­ fen.138 Das Grundgesetz verpflichtet die Abgeordneten daher, ihre parlamen­ tarischen Aufgaben wahrzunehmen und sich über die zu treffenden Ent­ scheidungen eine eigene „Überzeugung“ zu bilden. Im Rahmen der arbeitsteiligen Struktur des Bundestages müssen sich demnach die Mitglieder der jeweils federführenden139 Ausschüsse und dort insbesondere der oder die Berichterstatter so intensiv mit dem europäischen Thema befassen, dass die anderen Mitglieder des Bundestages auf der Basis dieser Analyse und Erläuterungen eine eigene politische Entscheidung tref­ fen können. Allerdings kann dies nicht normativ erzwungen werden.140 Al­ lenfalls können Verfahrensvorschriften in der Geschäftsordnung die für die Erfüllung der Pflicht notwendigen organisatorischen Maßnahmen (z. B. die Bestimmung von Berichterstattern und über die Berichterstattung, §§ 65 und 66 GO-BT) flankieren. Daher ist gerade in diesem Bereich, bei dem es um Willensentscheidungen der Parlamentarier geht, die politisch-moralische Verantwortung für das eigene Handeln oder Unterlassen von entscheidender Bedeutung.

137  Kottmann / Wohlfahrt, Der gespaltene Wächter? – Demokratie, Verfassungs­ identität und Integrationsverantwortung im Lissabon-Urteil, ZaöRV 2009, 443, 456. 138  Klein, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 60. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2010), Art. 38 Rdnr. 195. 139  Natürlich müssen sich auch die mitberatenden Ausschüsse mit den jeweiligen Themen befassen, jedoch nicht in der Intensität, wie dies dem federführenden Aus­ schuss obliegt. 140  Durner, Verfassungsbindung deutscher Europapolitik, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR X, 3. Auflage 2012, § 216, Rdnr. 36.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

c) Die Umsetzung der Mitwirkungspflicht in der parlamentarischen Praxis Der Bundestag und seine Mitglieder sind folglich zur Mitwirkung ver­ pflichtet. Es stellt sich jedoch die Frage, wie dies in der parlamentarischen Praxis umgesetzt werden kann und welcher Maßstab für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht anzusetzen ist. Zunächst steht fest, dass der Bundestag schon aus Kapazitätsgründen nicht bei jedem europäischen Dossier mitwir­ ken, insbesondere dazu jeweils eine Stellungnahme gegenüber der Bundes­ regierung abgeben kann.141 Es kommt daher auf eine Gesamtbetrachtung der Arbeit des Bundestages an. Der Hinweis auf eine Gesamtbetrachtung findet sich auch in der Beschreibung des Konzepts der Integrationsverant­ wortung in der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die deutschen Verfassungsorgane müssen danach sicherstellen, dass in einer Gesamtbetrachtung das politische System Deutschlands und der Union de­ mokratischen Grundsätzen (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG) entspricht und der Bundestag Aufgaben und Befugnisse von substan­ tiellem Gewicht behält.142 Der Begriff Gesamtbetrachtung spielt darauf an, dass nicht eine von vornherein bestimmbare Summe oder bestimmte Arten von Hoheitsrechten in der Hand des Staates bleiben müssen,143 sondern die Hoheitsbefugnisse ein bestimmtes Niveau nicht unterschreiten dürfen, wel­ ches in der Lissabon-Entscheidung insbesondere anhand von Beispielen umrissen wird.144 Übertragen auf die Mitwirkungspflicht des Bundestages folgt aus diesem Gedanken, dass verfassungsrechtlich keine bestimmte Summe, keine bestimmte Art oder ein bestimmter Inhalt von Mitwirkungs­ handlungen gefordert ist. Es muss jedoch in einer Gesamtbetrachtung er­ kennbar sein, dass der Bundestag die europäischen Angelegenheiten beglei­ tet und dabei seine Mitwirkung ein ausreichendes Niveau bzw. Maß erreicht. aa) Die organisatorische und strukturelle Umsetzung im Bundestag Folglich müssen weitere qualitative Strukturen für die europapolitische Ar­ beit des Bundestages geschaffen werden. Diese qualitativen Strukturen müs­ sen drei Bereiche berücksichtigen, die auf der Verfassungsidentität des demo­ kratischen Primärraums, auf der politischen Bedeutung des Dossiers und den Grenzen der parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten basieren: 141  Siehe zu den Grenzen der Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages gerade bei technisch hochkomplexer Gesetzgebung auch unten S. 278 ff. 142  BVerfGE 123, 267, 356, AbsNr. 245 f. – Lissabon. 143  BVerfGE 123, 267, 357, AbsNr. 248 – Lissabon. 144  Vgl. dazu oben S. 31 ff.



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht251

•• Der erste Bereich umfasst den wesentlichen Kern der Hoheitsrechte, die die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse in den Mitgliedstaaten gestalten und daher nicht auf die Europäische Union über­ tragen werden dürfen (Verfassungsidentität des demokratischen Primär­ raums).145 In diesem Bereich darf der Bundestag keiner Primärrechtsän­ derung zustimmen, die eine solche Hoheitsübertragung zum Gegenstand hat. Die Gesetzgebungskompetenzen (des Bundes) bleiben beim Bundes­ tag. Es kommt somit zu keiner europapolitischen Mitwirkung des Bundes­ tages im Sinne von Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG. •• Der zweite und größte Bereich umfasst alle Hoheitsrechte, die auf die Union übertragen wurden und bei deren Ausübung die Bundesregierung im Rat und im Europäischen Rat mitwirkt. In diesem Rahmen muss der Bundestag qualitative Kriterien finden, nach denen die europäischen Dos­ siers ausgewählt werden können, die eine vertiefte Beschäftigung und gegebenenfalls die Abgabe einer Stellungnahme erfordern. Anhand dieser Kriterien könnten die Dossiers in vier Kategorien eingeteilt werden: als „wenig bedeutsam“, „politisch bedeutsam“, „politisch besonders bedeut­ sam“ und „politisch hoch bedeutsam“. Diese Kategorisierung der Dossiers müsste vor der Überweisung an die Ausschüsse gleichsam als vertiefte Priorisierung146 erfolgen, da sich das weitere Vorgehen in der Sache und damit ihre Behandlung in den Ausschüssen danach richten würde. So wäre es möglich, dass Dossiers, die die Bewertung „wenig bedeutsam“ erhalten, grundsätzlich nicht an die Ausschüsse überwiesen werden. Eine parlamentarische Beratung und Stellungnahme gegenüber der Bundesre­ gierung wäre in diesen Fällen nicht vorgesehen. Dies müsste mindestens all die Dossiers umfassen, die auch bisher im Priorisierungsverfahren als „nicht beratungsrelevant“ bewertet werden. „Politisch bedeutsame“ Dos­ siers würden an die Ausschüsse überwiesen, dort „zur Kenntnis“ genom­ men, aber in der Regel nicht dem Plenum zur Beratung vorgelegt. Alle als „politisch besonders bedeutsam“ bewerteten Dossiers würden mit der Pflicht verbunden werden, dass der federführende Fachausschuss dem Plenum stets eine Stellungnahme des Bundestages vorschlägt. Für alle als „politisch hoch bedeutsam“ eingeordneten Dossiers könnte im EUZBBG

145  Vgl.

dazu oben S. 31 ff. Forderung einer stärkeren politischen Gewichtung ist nicht neu: vgl. Huber, Der Beitrag der Föderalismusreform zur Europatauglichkeit des Grundgesetzes, ZG 2006, 354, 357; Kabel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angele­ genheiten der Europäischen Union, in: Grabitz / Randelzhofer et al. (Hrsg.), Gedächt­ nisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 241, 259 f., wobei sich Kabel noch auf eine Zeit bezieht, in der die europäischen Vorlagen noch gar nicht priorisiert wurden und daher alle Vorlagen von den Ausschüssen beraten wurden. 146  Die

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

eine generelle Einvernehmenspflicht zwischen Bundesregierung und Bun­ destag eingeführt werden. •• Den dritten Bereich bilden all die Hoheitsrechte, die zwar auf die Union übertragen wurden, auf die der Bundestag jedoch aus organisatorischen oder politischen Gründen keinen Einfluss nehmen kann oder will. Bei denen also die parlamentarische Mitwirkungsfähigkeit an ihre Grenzen stößt.147 In diesem Bereich kommt es somit nicht zu einer effektiven Mitwirkung des Bundestages. Der zweite Bereich ist für die Frage nach der praktischen Umsetzung der europapolitischen Mitwirkungspflicht des Bundestages entscheidend. Schon für diese Kategorisierung ist eine Zusammenarbeit von Bundesre­ gierung und Bundestag wichtig. Zur Entlastung des Bundestages und um ihre Vorarbeit zu nutzen, sollte die Bundesregierung den Bundestag auf die politische Bedeutung der Dossiers, gegebenenfalls bereits anhand der dar­ gestellten Kategorien, aufmerksam machen.148 Die weitere Kategorisierung könnte entweder der Europaausschuss des Bundestages übernehmen149 oder der Bundestag könnte dafür ein besonderes Gremium („Gremium europa­ politische Mitwirkung“) schaffen. Dieses Gremium müsste jedoch aus Mit­ gliedern des Bundestages bestehen, um den Einfluss der demokratisch nicht legitimierten Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, aber auch der Fraktionen nicht noch weiter bei der Schwerpunktsetzung der europapoli­ tischen Arbeit des Bundestages zu verstärken.150 Das „Gremium europa­ politische Mitwirkung“ könnte z. B. aus dem Vorsitzenden des Europaaus­ schusses und den Vorsitzenden der Fachausschüsse bestehen. Es könnte einmal in jeder Sitzungswoche tagen, eigene Mitarbeiter erhalten und in die Unterabteilung „Europa“ eingegliedert werden, so dass es sich sehr einfach der Unterstützung des dort vorhandenen Fachwissens und der Strukturen bedienen kann. In Bezug auf die „politisch besonders bedeutsamen“ Dossiers, bei denen der federführende Ausschuss die Abgabe von Stellungnahmen vorschlagen soll, könnte auch überlegt werden, ob ein Teil davon statt vom Plenum in 147  Vgl.

zu den Grenzen der Mitwirkung unten S. 271 ff. fordert solche Hinweise der Bundesregierung im Sinne eines „vorgela­ gerten gouvernementalen Selektionsfilters“: Abels, Parlamentarische Kontrolle im Mehrebenensystem der EU – ein unmögliches Unterfangen?, in: Eberbach-Born /  Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 79, 87. 149  Für die stärkere Priorisierung durch den Europaausschuss plädiert Huber, Der Beitrag der Föderalismusreform zur Europatauglichkeit des Grundgesetzes, ZG 2006, 354, 367. 150  Vgl. dazu oben S. 148. 148  Abels



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht253

der Regel vom Europaausschuss (Art. 45 Satz 2 GG) abgegeben wird,151 auch wenn die Stellungnahmen zuvor von einem Fachausschuss ausgearbei­ tet wurden. Die Pflicht der Bundesregierung, in bestimmten Fällen das Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen, hat sich in der Praxis als ein Instrument herausgestellt, durch das sich eine effektive Zusammenarbeit der beiden Verfassungsorgane entwickelt. Daher ist die Ausweitung dieser Einverneh­ mensregel auf alle „politisch hoch bedeutsamen“ Dossiers besonders wich­ tig. Soweit die Bundesregierung bisher das Einvernehmen mit dem Bundes­ tag herstellen musste,152 hat sich der Bundestag regelmäßig mit dem Dos­ sier vertieft befasst und zumeist auch eine Stellungnahme abgegeben. Die Bundesregierung hat außerdem z. B. ihre veränderte Position zur Erhöhung der Sitze des Europäischen Parlaments,153 die nicht mehr der Stellungnahme des Bundestages zu diesem Vorhaben entsprach, gegenüber dem Bundestag erläutert und erneut das Einvernehmen mit dem Bundestag darüber gesucht. Bis zur Novelle des EUZBBG im Jahr 2013154 bestand die Einvernehmens­ regel nur für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und Primärrechtsän­ derungen (§ 9 Abs. 2 EUZBBG). In diesen Fällen musste der Bundestag nach der abschließenden Entscheidung auf Unionsebene der Vertragsände­ rung auch noch durch Gesetz zustimmen (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 GG). Bei der Einführung des Euro in einem neuen Mitgliedstaat bedarf es hingegen nach der abschließenden Entscheidung im Rat nicht eines zustim­ mendes Gesetzes des Bundestages. Dennoch wurde für diesen Fall mit der Novelle des EUZBBG von 2013 eine entsprechende Einvernehmensregel vorgesehen (§ 9a Abs. 2 EUZBBG). Das Einvernehmen muss somit nun­ mehr auch in einem Fall außerhalb von Primärrechtsänderungen hergestellt werden. Es ist daher nicht fernliegend, im EUZBBG weitere „politisch hoch bedeutsame“ Fälle zu definieren, die ein solches Einvernehmen erfordern. Möglich wäre auch, in das EUZBBG eine Art Generalklausel aufzunehmen, nach der die Dossiers, die der Bundestag als „politisch hoch bedeutsam“ einstuft, eines Einvernehmens bedürfen. Auch wenn die Kategorisierung der Dossiers die weitere Behandlung der Dossiers im Bundestag vorgibt, sollte es den federführenden Ausschüssen möglich sein, von den vorgesehenen Abläufen abzuweichen. Dies wäre dann 151  Für eine entsprechend stärkere Einbindung des Europaausschuss plädiert Calliess, Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parlamentari­ sche Integrationsverantwortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1, 23. 152  Vgl. dazu oben S. 184 ff. 153  Vgl. oben S. 184 f. 154  Vgl. oben S. 86 ff.

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allerdings gegenüber dem Plenum zu begründen. Das Kategorisierungsver­ fahren und diese Ausnahmeregelung könnten in der Geschäftsordnung des Bundestages verankert werden. Mit Blick auf die Praxis der parlamentarischen Abläufe, Kräfte und Machtpositionen mag die Umsetzung dieser Vorschläge (noch) auf innerpar­ lamentarischen Widerstand stoßen. Die vorgezogene politische Bewertung europäischer Dossiers zunächst durch die Bundesregierung und dann durch einen Ausschuss oder ein Gremium des Bundestages lässt insbesondere die Interessen der Fachausschüsse außer Acht, die sich vermutlich nach aktuel­ ler parlamentsinterner Stimmung nicht sagen lassen wollen, wann ein Dos­ sier z. B. „politisch besonders bedeutsam“ ist und der Fachausschuss daher eine Stellungnahme zu erarbeiten hat. Würde der Europaausschuss die Be­ wertung der Dossiers übernehmen, könnte dies zu einer erheblichen Auf­ wertung seiner Stellung führen, die zwar im Grundgesetz angelegt ist, je­ doch in der politischen Realität noch nicht umgesetzt wurde. Die Gründung eines „Gremiums europapolitische Mitwirkung“ hingegen dürfte, schon wegen der damit verbundenen Mehrbelastung der Ausschussvorsitzenden, Bedenken oder sogar Widerstand hervorrufen. Wenn aber nach der hier vertretenen These die Mitwirkung des Bundestages als verfassungsrecht­ liche Pflicht angesehen wird, kann sich der Bundestag einer solchen oder ähnlichen Neustrukturierung der internen Abläufe mit dem Schwerpunkt einer stärkeren Prioritätensetzung nicht entziehen. bb) Der Maßstab für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht Die Kategorisierung der Dossiers und die sich daran knüpfende parlamen­ tarische Behandlung sollen die Erfüllung der Mitwirkungspflicht des Bun­ destages verfahrensrechtlich stützen. Für die Beurteilung, ob diese Pflicht erfüllt wird, bedarf es eines Maßstabes, aus dem auch folgt, nach welchen Kriterien die Dossiers kategorisiert werden. Die Bestimmung eines solchen Maßstabes ist nicht einfach.155 Eindeutig ist nur, dass der Bundestag seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, wenn er gar keine oder nur noch äußerst wenige europapolitische Handlungen vornehmen würde, was jedoch nicht zu erwarten ist. Die Definition dieses Maßstabs kann sich an den Anforderungen orientie­ ren, die das Bundesverfassungsgericht für die Unterrichtung des Bundesta­ ges aufgestellt hat. Das Gericht fordert eine umso intensivere Unterrichtung 155  Nettesheim, Integrationsverantwortung“ – Verfassungsrechtliche Verklamme­ rung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 31.



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des Bundestages, je bedeutender die Angelegenheit ist.156 Bei Angelegenhei­ ten von erkennbar geringer Bedeutung für den Bundestag genügt eine kur­ sorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung.157 Da die Unterrichtung des Bundestages Voraussetzung für seine Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten ist, kann die „Bedeutung der Angelegenheit“ auch als Maßstab für die ausreichende Mitwirkung des Bundestages heran­ gezogen werden.158 Folglich muss die Mitwirkung des Bundestages umso intensiver sein, je bedeutender die Angelegenheit ist. Die „Bedeutung der Angelegenheit“ ist zunächst ein politischer Begriff, der vor allem von den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Interes­ sen der Bundesrepublik Deutschland abhängt. Verfassungsrechtlich lassen sich Hinweise für die Bedeutung der Dossiers aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ableiten, nach der der Bundestag das Wesentli­ che selbst regeln muss und nicht auf die Exekutive delegieren darf.159 Die Entwicklungen der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts und ihre Rezeption in der Literatur sind komplex.160 Da hier nur der Grundgedanke dieser Rechtsprechung fruchtbar gemacht werden soll, lässt sich, auch ohne auf die Einzelheiten einzugehen, zunächst festhalten, dass die Wesentlichkeitstheorie nicht nur auf einen Gesetzesvorbehalt im grundrechtsrelevanten Bereich, sondern auch auf die Durchsetzung „politischer Führungsaufgaben und die Teilhabe der Volksvertretung an der materiellen Staatsleitung“ gerichtet ist.161 Sie lässt sich somit auch für das Verhältnis von Bunderegierung und Bundestag in Bezug auf den Umfang 156  BVerfGE 131, 152, 208, AbsNr. 120 – parlamentarische Informationsrechte. Vgl. allerdings zur Kritik an dieser Abstufung für die Intensität der Unterrichtungs­ pflicht oben S. 71 f. 157  BVerfGE 131, 152, 201 f., AbsNr. 121 – parlamentarische Informationsrechte. 158  Nettesheim hält eine Mitwirkung des Bundestages nach dem Konzept der Integrationsverantwortung nur für notwendig, wenn „die Entscheidungslage eine hinreichende politische Dimension aufweist“. Nettesheim, „Integrationsverantwor­ tung“ – Verfassungsrechtliche Verklammerung politischer Räume, in: Pechstein (Hrsg.), Integrationsverantwortung, 2012, S. 11, 32. 159  BVerfGE 101, 1, 34, AbsNr. 124, m. w. N. aus der umfangreichen Rechtspre­ chung – Hennenhaltungsverordnung. Für die Heranziehung der Wesentlichkeitsdok­ trin für die Frage, welche europäischen Angelegenheiten „wesentlich“ sind und da­ her einer stärken Direktion des Bundestages bedürfen auch: Huber, Die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtssetzung der Europäischen Union, Studie für die Hanns-Seidel-Stiftung, 2001, S. 48 f. 160  Umfassend dazu Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isen­ see / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 2. Auflage 1996, § 62, Rdnr. 44 ff., Riekhoff, Der Vorbehalt des Gesetzes im Europarecht, S. 55 ff.; prägnant zusammengefasst bei: Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 123 ff. 161  Papier, Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz / Klein / Stark (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kont­

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und die Tiefe parlamentarischer Mitwirkung heranziehen. Auch wenn nicht abschließend oder eindeutig geklärt ist, was als „wesentlich“ zu gelten hat,162 werden regelmäßig die folgenden Kriterien genannt, die für die We­ sentlichkeit eines Vorhabens von Bedeutung sind: seine Grundrechts- und Verfassungsrelevanz, die Größe des betroffenen Adressatenkreises, die Langfristigkeit einer Festlegung, der Umfang der finanziellen Auswirkungen auf Staat und Bevölkerung, die Auswirkungen auf das Staats- oder Unions­ gefüge sowie gegebenenfalls seine politische Umstrittenheit.163 Für die Fra­ ge, welche Bedeutung eine Angelegenheit bzw. ein europäisches Dossiers hat und welche parlamentarische Aufmerksamkeit ihr daher zukommen muss, können diese Kriterien maßgebliche Hinweise geben. Hat der Bun­ destag nach diesen oder vergleichbaren Kriterien ein Dossier als „wesent­ lich“ erkannt, folgt nach dem Gedanken der Wesentlichkeitsrechtsprechung daraus, dass er dann auch zur inhaltlichen Entscheidung verpflichtet ist.164 Somit führt der Maßstab einer ausreichenden Mitwirkung des Bundestages selbst zurück auf seine Mitwirkungspflicht. Dabei sollte neben der inhaltlichen Bewertung allerdings berücksichtigt werden, dass sich der Bundestag mit europäischen Vorhaben aus allen Po­ litikbereichen beschäftigt und nicht einzelne Bereiche ohne „politisch be­ deutsame“ Dossiers verbleiben. Auch wenn in einem Bereich über einen gewissen Zeitraum hinweg kein Dossier als bedeutsam bewertet wird, soll­ ten die Ausschüsse, deren Zuständigkeitsbereich davon berührt ist, die eu­ ropäischen Entwicklungen prüfen, um sicherzustellen, dass die großen Li­ nien der Europapolitik in diesem Bereich den Vorstellungen der Ausschüs­ se nicht widersprechen. Es sollte nicht dazu kommen, dass der Bundestag in einer Wahlperiode zu ganzen Politikbereichen keine Stellungnahme abgibt, wie dies in der 17. Wahlperiode etwa in den Bereichen Arbeit ­ rolle, S. 36, 37 f.; zustimmend: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundes­ tages an der europäischen Rechtsetzung, 2001, 156. 162  Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 113; Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 2. Auflage 1996, § 62, Rdnr. 44 ff. 163  Herzog / Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 51. Ergän­ zungslieferung (Stand: Dezember 2007), Art. 20, VI., Rdnr. 107; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Band II, 2006, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 113; Robbers, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 142. Ergänzungslie­ ferung (Stand: Oktober 2009), Art. 20 Abs. 1, Rdnr. 2025 ff. Das Bundesverfassungs­ gericht sieht allerdings die „politische Umstrittenheit“ nicht als Kriterium an, das allein für die Regelung des umstrittenen Sachverhalts in einem Gesetz spricht: BVerfGE 49, 89, 126, AbsNr. 73 – Kalkar I; BVerfGE 98, 218, 251, 137 – Recht­ schreibreform; BVerfG NVwZ 2010, 114, 117, AbsNr. 36 – Schacht Konrad II. 164  Statt aller: Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: Isensee / Kirch­ hof (Hrsg.), HStR III, 2. Auflage 1996, § 62, Rdnr. 42.



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und Soziales, Bildung und Forschung, Familie, Sport und Tourismus der Fall war. Der Bundestag hat anhand der genannten politischen und verfassungs­ rechtlichen Kriterien die Bewertung der einzelnen Dossiers („Bedeutung der Angelegenheit“) vorzunehmen. Das, was der Bundestag, d. h. seine Mehr­ heit, in diesem Rahmen als politisch bedeutsam bewertet, ist somit der Maßstab für die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht. Soweit diese Bewer­ tung nicht zu einem eindeutig unzureichenden Mitwirkungsmaß führt, etwa wenn er gar keine oder nur noch äußerst wenige Stellungnahmen abgibt, obliegt die Definition einer „ausreichenden Mitwirkung“ dem Bundestag. Die stärkere Priorisierung der europäischen Dossiers in einem innerparla­ mentarischen Verfahren und die daran anknüpfenden Handlungsvorgaben werden so zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit. Dabei kann das hier vorgeschlagene Kategorisierungsverfahren oder auch ein anderes System gewählt werden. Erst wenn der Bundestag die Handlungsvorgaben in der Folge umgesetzt und die notwendigen Entscheidung, z. B. über die Abgabe von Stellungnahmen, gefällt hat, hat er in der Gesamtbetrachtung aller eu­ ropapolitischen Maßnahmen seine Mitwirkungspflicht erfüllt. 4. Die europapolitische Kooperation der Bundesregierung als Verfassungsauftrag Das so ausgestaltete Mitwirkungsregime des Bundestages muss durch die Pflicht der Bundesregierung, im Bereich der Europapolitik mit dem Bundes­ tag zusammenzuarbeiten (Kooperationspflicht), ergänzt werden. Im Rahmen des Verhältnisses zwischen Bundestag und Bundesregierung in Angelegen­ heiten der Europäischen Union sieht das Grundgesetz nur vor, dass die Bundesregierung den Bundestag umfassend unterrichten und seine Stellung­ nahmen berücksichtigen muss. Um die Kooperationspflicht zu erfüllen, muss die Bundesregierung ihre Unterrichtungspolitik stärker auf den Bun­ destag ausrichten. Sie muss Berichte erstellen, die den Bundestag dabei unterstützen, eine stärkere Priorisierung der europäischen Dossiers vorneh­ men und die europäischen Verhandlungen angemessen verfolgen zu können. Darüber hinaus sollten die parlamentarischen Abläufe soweit von der Bun­ desregierung berücksichtigt werden, dass dem Bundestag bei der Entschei­ dung über wichtige europa- und finanzpolitische Fragen auch in Krisensitua­ tionen ausreichend Zeit für die Befassung und Beratung bleibt. Schließlich sollte sich in einer Gesamtbetrachtung aller Verhandlungen, die die Bundes­ regierung auf europäischer Ebene führt, ergeben, dass die Mitwirkungshand­ lungen des Bundestages in diese Verhandlungen einfließen.

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a) Unterrichtung des Bundestages Die Unterrichtungspraxis der Bundesregierung sollte stärker auf die Ar­ beit und die Mitwirkungs- sowie Kontrollaufgabe des Bundestages zuge­ schnitten sein. Der Bundestag muss zwar weiterhin alle Informationen und Dokumente erhalten, es bedarf jedoch einer stärkeren Aufbereitung der In­ formationen durch die Bundesregierung. Dazu gehört auch ein „vorgelager­ ter gouvernementaler Selektionsfilter“,165 durch den die Bundesregierung aufzeigt, welche Dossiers aus ihrer Sicht politisch bedeutsam sind und daher einer besonderen Aufmerksamkeit des Bundestages bedürfen. Dem kann auch ein jährliches Treffen der Ausschussvorsitzenden mit Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums und der anderen betroffenen Fachressorts vorausgehen, in dem die politisch wesentlichen Dossiers für die folgenden zwölf Monate identifiziert werden, ohne dass davon für die eigenständige Kategorisierung durch den Bundestag eine Bindungswirkung ausgeht. Als Basis für diese Planung könnte auch das jeweilige Arbeitsprogramm der Kommission herangezogen werden, in dem dargestellt wird, wie die Kom­ mission die von ihrem Präsidenten festgelegten politischen Prioritäten in den jeweils folgenden zwölf Monaten umsetzen will.166 Zu den vom Bundestag als „politisch bedeutsam“ oder höher eingestuften Dossiers müsste die Bundesregierung neben der umfassenden Bewertung (§ 6 Abs. 3 EUZBBG), die dann auch bei nichtlegislativen Vorhaben zu über­ mitteln wäre, fortlaufende Berichte über die Verhandlungen zu dem jeweili­ gen Dossier erstellen. Diese sollten im Laufe der Verhandlungen viertel- bis halbjährlich aktualisiert werden. Gibt der Bundestag Stellungnahmen zu Dos­ siers ab, dann müssen (zusätzlich) mindestens die Berichtspflichten erfüllt werden, die das EUZBBG auch heute schon vorsieht (§ 8 EUZBBG). b) Entschleunigung Die Praxis der bisherigen europapolitischen Kommunikation hat gezeigt, dass der Bundestag teilweise innerhalb sehr kurzer Zeit wichtige europa­ politische Entscheidungen treffen musste.167 Diese Fälle betrafen ganz über­ 165  Abels, Parlamentarische Kontrolle im Mehrebenensystem der EU – ein un­ mögliches Unterfangen?, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / Zeh (Hrsg.), Parlamen­ tarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 79, 87. 166  Vgl. zu den Arbeitsprogrammen der Kommission die Darstellung auf der In­ ternetseite der Kommission: http://ec.europa.eu / atwork / planning-and-preparing /  work-programme / index_de.htm. 167  Vgl. dazu oben S. 129  ff. sowie Hölscheidt, Parlamentarische Kontrolle in der Eurokrise, in: Eberbach-Born / Kropp / Stuchlik / Zeh, (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 105, 123 f.



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wiegend Vorhaben, die die Finanz- und Staatsschuldenkrise abwenden soll­ ten. Es mag in einer fortdauernden Krise nicht immer vermeidbar sein, dass Akutmaßnahmen auch vom Parlament innerhalb weniger Tage oder sogar „über Nacht“ bewilligt werden müssen.168 Die Außerachtlassung der Beteili­ gungsrechte durch nachträgliche oder zu kurzfristige Unterrichtung, wie im Fall der Finanzstabilisierungsverordnung169 geschehen, ist jedoch auch in ei­ ner Krisensituation nicht hinnehmbar. Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich der Bundestag nicht ausreichend Zeit für eine qualifizierte Auseinanderset­ zung mit dem Inhalt und den Hintergründen seiner zu treffenden Entschei­ dung nehmen kann. Dies war insbesondere in Bezug auf die Euro-Rettungs­ maßnahmen augenfällig.170 Ein dem Bundestag und seinen Mitgliedern auf­ erlegter Zeitdruck sollte daher regelmäßig hinterfragt werden.171 Überhastete Gesetzgebungsverfahren, die den Bundestag einer realen inhaltlichen Ent­ scheidungsmöglichkeit berauben, entleeren die parlamentarischen Mitwir­ kungskompetenzen.172 Die eingehende parlamentarische Beratung gehört zur Kompetenzsphäre des Bundestages, die von den anderen Verfassungsorganen respektiert werden muss, auch wenn damit eine dementsprechende Selbstbe­ schränkung einhergeht.173 Eine ohne ausreichende Informationsbasis und Be­ ratungszeit vom Bundestag getroffene Entscheidung birgt die Gefahr, dass die Entscheidung und vor allem ihre Folgen nicht (ausreichend) demokra­ tisch legitimiert sind. Die demokratische Legitimation, die mit der Entschei­ dung des Bundestages herbeigeführt werden soll, kann nicht eintreten, wenn die Abgeordneten die Entscheidungsgrundlagen nicht kennen.174 Der viel beachtete Fall des Inkrafttretens des dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus im Sommer bzw. Herbst des Jahres 2012 zeigt, dass 168  Vgl. zur Rechtsetzung in der Krise ausführlich: Schorkopf, Finanzkrisen als Herausforderung der internationalen, europäischen und nationalen Rechtsetzung, in: VVDStRL Band 71, S. 183, zur Bedeutung für den Bundestag insbes. S. 211 f. und 216 f.; Calliess, Finanzkrisen als Herausforderung der internationalen, europäischen und nationalen Rechtsetzung, in: VVDStRL Band 71, S. 113. 169  Verordnung (EU) Nr. 407 / 2010 des Rates vom 11.05.2010 zur Einführung eines europäischen Finanzmarktstabilisierungsmechanismus, ABl. L 118 / 1; vgl. dazu auch schon oben S. 120 f. 170  Hölscheidt, Parlamentarische Kontrolle in der Eurokrise, in: EberbachBorn / Kropp / Stuchlik / Zeh, (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäische Union, 2013, S. 105, 124. 171  Vgl. dazu auch die Schlussrede des Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse in der letzten Sitzung des 17. Deutschen Bundestages, BT-PlProt. 17 / 253, S.  32666 (D) ff. 172  Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, S. 54. 173  Lorz, Interorganrespekt im Verfassungsrecht, 2001, S. 85. 174  Calliess, Finanzkrisen als Herausforderung der internationalen, europäischen und nationalen Rechtsetzung, in: VVDStRL Band 71 (2012), S. 113, 160 ff.

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der dem Bundestag auferlegte Zeitdruck nicht gerechtfertigt war. Nach der ursprünglichen Planung sollte der Europäische Stabilitätsmechanismus den vorläufigen Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus und die Euro­ päische Finanzstabilisierungsfazilität erst im Jahr 2013 ablösen. Infolge der anhaltenden Finanz- und Staatsschuldenkrise sollte das Inkrafttreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus auf den 1. Juli 2012 vorgezogen wer­ den. Da zuvor noch das Treffen des Europäischen Rates am 28. und 29. Ju­ ni 2012 in Brüssel abgewartet werden sollte, wurde die Plenardebatte mit namentlicher Abstimmung über das Gesetzespaket auf Freitag, 29. Juni 2012, in der Zeit zwischen 17 und 21 Uhr terminiert.175 Eine Befassung jedenfalls mit den Ergebnissen des am selben Tag endenden Treffens des Europäischen Rates, die eigentlich gerade abgewartet werden sollten, war den Abgeordneten – wenn überhaupt – nur noch kursorisch möglich. Den­ noch wurde auf den kurzfristigen Abstimmungstermin gedrängt. So sagte z. B. der Leiter der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität voraus, dass die Märkte sicherlich negativ reagieren würden, wenn der Europäische Sta­ bilitätsmechanismus nicht wie geplant seine Arbeit zum 1. Juli 2012 aufneh­ men könne.176 Zwar wurde das Gesetzespaket um den Europäischen Stabi­ litätsmechanismus am 29. Juni 2012 vom Bundestag verabschiedet,177 den­ noch wurde es vom Bundespräsidenten nicht ausgefertigt und konnte somit nicht in Kraft treten, weil zunächst die Eilentscheidung des Bundesverfas­ sungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes abgewartet wer­ den sollte. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 12. September 2012 über diese Fragen. Die damit verbundene Zeitverzögerung, die dem Bundes­ verfassungsgericht Zeit gab, das umfangreiche Material zu prüfen, führte im Ergebnis nicht zu einer negativen Reaktion der Märkte. Auch die Märkte konnten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Es ist daher zu vermuten, dass auch eine Entscheidung des Bundestages zu einem etwas späteren Zeitpunkt, der den Abgeordneten mehr Zeit gegeben hätte, sich mit den neuesten Ergebnissen umfassend zu beschäftigen, die Märkte nicht zwingend negativ beeinflusst hätte. Dieser Beispielfall zeigt, dass die mit einer Entschleunigung von politi­ schen Entscheidungen häufig vorausgesagten negativen Auswirkungen für die Gesellschaft, die Kapitalmärkte oder sonstige Betroffene nur „möglich“ 175  Vgl. zu den Vorgängen die Darstellung auf den Internet-Seiten des Deutschen Bundestages: http://www.bundestag.de / dokumente / textarchiv / 2012 / 39553410_kw26 _sp_fiskalvertrag / index.html. 176  Vgl. die Aussagen in der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Bundestages am 7. Mai 2012, zusammengefasst auf den Internet-Seiten des Deut­ schen Bundestages: http://www.bundestag.de / dokumente / textarchiv / 2012 / 38775876 _kw19_pa_haushalt / index.html. 177  BT-PlProt. 17 / 188, 22736 (C) ff.



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sind. Sie müssen nicht eintreten. Dies gilt erst recht für Fälle außerhalb einer Krise, in denen dem Bundestag wenig Zeit für die Beratung des eu­ ropäischen Vorhabens gelassen wird.178 Bisher führt häufig allein die Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit den entscheidenden verfassungsrechtlichen, aber auch integrationspoliti­ schen Fragen zu einer Entschleunigung, wie der Fall des Europäischen Stabilitätsmechanismus eindrücklich zeigt. Eine solche Entschleunigung ist sicherlich auch Teil der Aufgabe eines Verfassungsgerichts. Es kann und soll – ohne Berücksichtigung des komplexen Kräftespiels im politischen Alltag der Kompromiss- und Mehrheitsfindung179 – in periodischen Abstän­ den die geschichtsbildenden Elemente und Grundprinzipien gesellschaftli­ chen Lebens in den politischen Diskus einspeisen, um so die Entwicklungen aus einem grundsätzlicheren Blickwinkel zu beleuchten und zugleich zu verlangsamen.180 Auch wenn gerade die Arbeit des Bundestages häufig von diesem komplexen Kräftespiel beeinflusst wird, sollten seine Mitglieder die Kraft finden, aktuelle politische Entscheidungen in den übergeordneten Politik- und Rechtsrahmen rückzubinden, was in der Regel allerdings mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. Der Bundestag bzw. die Fraktionsspitzen sollten folglich gerade bei den wichtigen europapolitischen Entscheidungen im Einzelfall abwägen, ob der Vorteil der mit der Entschleunigung einher­ gehenden verstärkten demokratischen Legitimationskraft gegenüber der von der Regierung geforderten schnellen Entscheidung unter großem Zeitdruck vorzuziehen ist.

178  Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, S. 214  f. In dem Ersten Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon wird vor diesem Hintergrund auch gefordert, dass die Frühwarnberichte der Ständigen Vertre­ tung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union (§ 5 Abs. 1 Nr. 3e EUZBBG) umfangreicher und aussagekräftiger gestaltet werden: BT-Drs. 17 / 14601, S. 16 ff. Vgl. außerdem zu dem Problem der zeitlich begrenzten Einflussmöglichkeit der nationalen Parlamente auf „early agreements“ im Rahmen des Ordentlichen Ge­ setzgebungsverfahrens (Art. 289 Abs. 1 AEUV) zwischen Vertretern des Rates, des Europäischen Parlaments und der Kommission: Jensen / Martinsen, Out of time? – National parliaments and early decision making in the European Union, OPAL Online Paper, No. 8 / 2012, S. 19 ff. 179  Siehe zum Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesverfassungsgericht auch gerade unter dem Blickwinkel des politisch notwendigen Kompromisses in der Lo­ gik parlamentarischer Entscheidungen: Risse, Gesetzgebung und Verfassungsge­ richtsbarkeit, in: Magiera / Sommermann (Hrsg.), Gewaltenteilung im Verfassungs­ staat, Berlin, 2013, S. 15, 18 f. 180  Volkmann, Wächter der Erinnerung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.04. 2014, S. 6.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

c) Berücksichtigung der Mitwirkungshandlungen des Bundestages Fordert das Verfassungsrecht eine Mitwirkung des Bundestages in euro­ päischen Angelegenheiten – jedenfalls in einer Gesamtbetrachtung seiner parlamentarischen Arbeit –, muss auch die Bundesregierung verpflichtet sein, die europäischen Verhandlungen vor allem im Rat so zu führen, dass der Einfluss des Bundestages auf die nationale Willensbildung erkennbar ist. „Erkennbar“ bedeutet allerdings nicht, dass die anderen Verhandlungs­ teilnehmer den Einfluss des Bundestages erkennen müssen. Dieses Merkmal bezieht sich zunächst auf den Bundestag. Es wäre zudem für die Rezeption der Europapolitik von großem Vorteil, wenn auch die interessierte deutsche Öffentlichkeit den Einfluss des Bundestages auf die Verhandlungen nach­ vollziehen könnte. Zwar sind die Sitzungen des Rates (Sitzungen mit den nationalen Ministern) öffentlich, wenn er über Entwürfe zu Gesetzgebungs­ akten berät und abstimmt (Art. 16 Abs. 8 Satz 1 EUV, Art. 15 Abs. 2 2. Halbsatz AEUV), die eigentlichen Beratungen erfolgen jedoch in den nicht­ öffentlichen Sitzungen der Arbeitsgruppen des Rates. In den Sitzungen der Ministerräte wird in der Regel nicht mehr über den Inhalt des Gesetzge­ bungsvorschlags verhandelt. Der Inhalt der Ratsverhandlungen bleibt somit eine „black box“, insbesondere für die Öffentlichkeit. Aus der Forderung, dass der Einfluss des Bundestages in den Ratsver­ handlungen „erkennbar“ sein soll, folgt auch nicht, dass die Stellungnahmen des Bundestages umfassende Bindungswirkung haben müssen. Dies wäre schon mit dem Wortlaut des Grundgesetzes nicht vereinbar (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG). Eine Gesamtbetrachtung der Verhandlungen der Bundesregie­ rung muss jedoch belegen, dass die Positionen des Bundestages in der Regel vorgebracht und verhandelt werden. Wenn sich die Positionen von Bundes­ regierung und Bundestag nicht unterscheiden, der Bundestag aber zusätz­ liche Argumente in seine Stellungnahme aufgenommen hat, sollten diese Teil der Verhandlungsführung der Bundesregierung sein. Wenn die Bundes­ regierung die Position des Bundestages in bestimmten Fällen nicht vertritt, sollen die Gründe dafür aus der Verhandlungsführung und den Berichten gegenüber dem Bundestag deutlich werden. Diese Forderungen mögen be­ reits heute durch die Bundesregierung weitestgehend erfüllt werden, auf­ grund der fehlenden Berichte über die Durchsetzung der europapolitischen Forderungen, die der Bundestag in seinen Stellungnahmen aufstellt, kann dies aber nicht überprüft werden. Weiterführend wäre zu erwägen, ob sich die politische Gewichtung des Dossiers auch in dem Maß der Berücksichtigung der vom Bundestag dazu abgegebenen Stellungnahmen durch die Bundesregierung widerspiegeln sollte. Das Grundgesetz zieht hier zunächst einmal eine Grenze, da es eine „maßgebliche“ Berücksichtigung nur für Stellungnahmen des Bundesrates



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht263

kennt, wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betrof­ fen sind (Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG).181 Um diese Abstufung des Grundge­ setzes zu wahren, muss es mithin dabei bleiben, dass die Stellungnahmen des Bundestages nur zu „berücksichtigen“ (Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG) sind.182 Mit den Einvernehmensregelungen des EUZBBG183 wurde jedoch bereits eine Gewichtung der Positionen des Bundestags in Abhängigkeit der politischen Bedeutung der Vorhaben eingeführt. Muss die Bundesregierung das Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen, bevor sie im Rat einer Entscheidung zustimmt, muss sie im Rat entweder die Position des Bundes­ tages vertreten oder einen Kompromiss mit dem Bundestag finden. In jedem Falle kommt der Position des Bundestages größeres Gewicht zu als bei Stellungnahmen zu weniger bedeutenden Vorhaben. Der Übergang zwischen diesem „größeren Gewicht“ und einer „maßgeblichen“ Berücksichtigung ist freilich fließend. Die Gefahr der Verfassungswidrigkeit der Einvernehmens­ regelungen wird jedoch dadurch vermieden, dass die Bundesregierung in diesen Fällen stets aus wichtigen außen- oder integrationspolitischen Grün­ den von der Position des Bundestages abweichen kann (§ 9 Abs. 2 Satz 2, § 9a Abs. 2 Satz 2 EUZBBG). Solange somit diese Öffnung zugunsten der Bundesregierung besteht, ist es nicht verfassungswidrig, wenn aus der Ko­ operationspflicht der Bundesregierung abgeleitet wird, dass die Berücksich­ tigungspflicht der Stellungnahmen des Bundestages mit der politischen Bedeutung der zugrundeliegenden Dossiers zunimmt. Dies würde insbeson­ dere dazu führen, dass die Stellungnahmen zu „politisch besonders bedeut­ samen“ und zu „politisch hoch bedeutsamen“ Dossiers bei den Verhandlun­ gen im Rat durchaus unterschiedlich stark berücksichtigt werden könnten. Wird jedoch das hier vorgeschlagene System184 umgesetzt, nach dem bei „politisch hoch bedeutsamen“ Dossiers die Bundesregierung stets zur Her­ stellung des Einvernehmens mit dem Bundestag verpflichtet wird, ergibt sich daraus bei diesen Vorhaben ohnehin ein „größeres Gewicht“ der Posi­ tion des Bundestages. In jedem Falle sollte sich die politische Gewichtung der Dossiers auch in der Berücksichtigung der dazu abgegebenen Stellung­ nahmen des Bundestages durch die Bundesregierung in den europäischen Verhandlungen manifestieren. 181  Huber übergeht diese grundgesetzliche Abstufung (de constitutione lata) und fordert, dass in allen „wesentlichen“ Angelegenheiten auch die Stellungnahmen des Bundestages „maßgeblich berücksichtigt“ werden sollten: Huber, Die Rolle der na­ tionalen Parlamente bei der Rechtssetzung der Europäischen Union, Studie für die Hanns-Seidel-Stiftung, 2001, S. 48. 182  Vgl. zur Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundestages auch im Rah­ men von Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG oben S. 106 ff. 183  § 9 Abs. 2 Satz 1, § 9a Abs. 2 Satz 1 EUZBBG, vgl. dazu ausführlich oben S.  111 f. 184  Vgl. oben S. 250 ff.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

5. Die Bewertung und Durchsetzbarkeit der Einflussnahme des Bundestages auf die nationale Europapolitik Die europapolitische Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundes­ tag führt nur dann zu einem messbaren Ergebnis, wenn die Erfüllung der gegenseitigen Pflichten der Verfassungsorgane überprüft werden kann. Der Bundestag muss selbst bewerten, ob er seine Mitwirkungspflichten und die Bundesregierung ihre Kooperationspflichten erfüllt. Für diese Prüfung muss der Bundestag auf Berichte der Bundesregierung zurückgreifen können. Ein ausreichender Einfluss des Bundestages auf die nationale Europapolitik wird allerdings sowohl rechtlich als auch politisch nur schwer durchzuset­ zen sein. a) Prüfung der Pflichterfüllung Da der Bundestag durch die politische Bewertung der Dossiers selbst den Maßstab für die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht setzt,185 kann auch nur er selbst prüfen, ob er durch seine Mitwirkungshandlungen diesen Maßstab erreicht. Im Rahmen der Regierungskontrolle muss der Bundestag darüber hinaus auch prüfen, ob die Bundesregierung ihre Kooperationspflicht erfüllt und vor allem die Stellungnahmen des Bundestages in die europäischen Verhandlungen einfließen lässt. Um zunächst die Erfüllung seiner eigenen Mitwirkungspflichten beurtei­ len zu können, könnte der Bundestag das in der Praxis schon einmal durch­ geführte Evaluierungsverfahren über die Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesregierung nach dem Integrationsverantwortungsgesetz und dem EUZBBG186 um eine Analyse seiner europapolitischen Tätigkeit erweitern. Dieses Verfahren könnte dann zukünftig zwei Mal in einer Wahlperiode, z. B. nach 18 und wieder nach 36 Monaten seit Beginn der Wahlperiode, durchgeführt werden. Soweit dabei die Bundestagsverwaltung, die in der Vergangenheit diese Evaluierungsverfahren durchgeführt und die entspre­ chenden Berichte vorbereitet hat, keine Bewertung der Arbeit des Bundes­ tages abgeben soll, wäre es auch möglich, nur die Zahlen, etwa der europa­ politischen Ausschussberatungen, Anträge, Plenardebatten etc. zusammenzu­ stellen. An dieses Evaluierungsverfahren müsste sich die Prüfung anschlie­ ßen, ob auch die Bundesregierung ihre Kooperationspflicht erfüllt. Für diese Prüfung bedarf der Bundestag – wie in vielen Bereichen der Regie­ 185  Vgl.

dazu oben S. 254 ff. Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 17 / 14601. 186  Vgl.



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht265

rungskontrolle187 – der Zuarbeit der Bundesregierung. Der Bundesregierung müsste eine weitere Berichtspflicht auferlegt werden. Danach hätte sie ebenfalls zwei Mal in einer Wahlperiode, zeitlich auf die Erstellung der Evaluierungsberichte abgestimmt, einen Regierungsbericht zu erstellen, in dem die Berücksichtigung der Stellungnahmen des Bundestages in den Ver­ handlungen, der Verhandlungsverlauf und das Verhandlungsergebnis im Verhältnis zu der Position des Bundestages dargestellt und analysiert wird. Diesen Bericht kann die Bundesregierung auf der Basis der Einzelberichte, die sie zu jeder Stellungnahme des Bundestages ohnehin abzugeben hat,188 erarbeiten. Auf der Basis des hausinternen Evaluierungsberichts und des Berichtes der Regierung könnte der Europaausschuss oder das neue „Gremium euro­ papolitische Mitwirkung“ des Bundestages den Einfluss des Bundestages auf die europäische Rechtsetzung bewerten und seinerseits einen Gesamtbe­ richt für das Plenum erstellen. Falls diese Bewertung nicht befriedigend ausfällt, könnte der Bundestag z. B. seine Stellungnahmen in der Zukunft strenger formulieren oder den politischen Druck auf die Bundesregierung erhöhen. Ein solcher Bericht würde möglicherweise auch die Responsivität der Bevölkerung auf die deutsche Europapolitik stärken. Dem Plenum wür­ de er als Bundestagsdrucksache vorgelegt und wäre so öffentlich zugänglich. Gegenüber der Bevölkerung könnte der Bericht somit als Zeugnis dafür dienen, dass die „Regierenden in Europa“ nicht ohne demokratische Rück­ bindung handeln (so dies denn die Aussage des Berichtes wäre). In die Ratsverhandlungen würde durch diesen Bericht etwas mehr Licht gebracht; die „black box“ auf diese Weise ein Stück weit aufgebrochen. Es ist möglich, dass die weitere Berichtspflicht, in der die Bundesregie­ rung die Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber dem Bundestag nachweist, politisch nicht einfach durchzusetzen sein wird. Dies würde voraussetzen, dass sich die Mehrheitsfraktionen des Bundestages für eine solche Pflicht „ihrer“ Regierung aussprechen. Da dieser Bericht der Opposition „Muni­ tion“ gegen die Regierung in die Hand spielen könnte, wird er möglicher­ weise bei den Mehrheitsfraktionen auf Widerstand stoßen. Andererseits sieht § 8 EUZBBG schon heute eine Reihe von Berichtspflichten in Bezug auf die Stellungnahmen des Bundestages vor, die die Bundesregierung in der Praxis erfüllen und in dem Regierungsbericht nur zusammenfassen müsste, 187  Vgl. zu den umfangreichen Berichtspflichten der Bundesregierung (Stand: 31.3.2010): Deutscher Bundestag (Hrsg.), Datenhandbuch des Deutschen Bundesta­ ges, Kap. 6.17 „Berichte der Bundesregierung an den Bundestag“. 188  Die Einzelberichte richten sich nach § 8 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 EUZBBG, werden in der Praxis von der Bundesregierung jedoch nur höchst selten schriftlich erstellt, vgl. dazu oben S. 121 ff.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

so dass dieser Vorschlag im Grunde nur unwesentlich über die Pflichten der Regierung de lege lata hinausgeht. b) Durchsetzung der Pflichterfüllung Das Grundgesetz selbst gibt im Einzelnen nicht ausdrücklich vor, wie insbesondere der Bundestag sicherstellen kann, dass die Bundesregierung die Sachentscheidungen des Bundestages auf Unionsebene berücksichtigt bzw. zutreffend umsetzt.189 Daher kommen für die Durchsetzung der Pflich­ ten von Bundestag und Bundesregierung im Rahmen der europapolitischen Zusammenarbeit zwei sich ergänzende Wege in Betracht. Die Fragen kön­ nen in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht streitig entschieden werden. Außerdem kann der politische Druck auf das andere Verfassungs­ organ erhöht werden, bis hin zur Möglichkeit des Bundestages, dem Bun­ deskanzler das Misstrauen auszusprechen. aa) Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht könnte mit zwei Sachverhalten befasst werden: Zum einen wäre es möglich, dass sich der Bundestag oder eine seiner Fraktionen gegen eine Pflichtverletzung der Bundesregierung wen­ den. Denkbar wäre es aber auch, dass eine Fraktion, einzelne Mitglieder des Bundestages oder einzelne Bürger Verfahren beantragen, weil der Bundestag seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt. (1) Verfahren bei Pflichtverletzung der Bundesregierung Nach bisherigem Verständnis bestehen im Rahmen der europäischen An­ gelegenheiten nur Pflichten der Bundesregierung. Sie muss den Bundestag informieren und ihm bei geplanten Rechtsetzungsakten der Union Gelegen­ heit zur Stellungnahme geben. Diese beiden Pflichten können Gegenstand eines Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht sein.190 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Unterrichtungspraxis über den geplanten Europäischen Stabilitätsmechanismus und Euro-Plus-Pakt vom 19. Juni 2012 hatte genau dies zum Gegenstand.191 Daneben können auch die Handlungen der Bundesregierung in den europäischen Organen, 189  BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., AbsNr. 239 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsacheverfahren. 190  Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 und § 63 ff. BVerfGG. 191  BVerfGE 131, 152 – parlamentarische Informationsrechte.



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht267

insbesondere die Beteiligung an Beschlüssen des Rates, eine im Organstreit vor dem Bundesverfassungsgericht angreifbare Maßnahme sein.192 Ein solches Organstreitverfahren bzw. ein entsprechendes Eilverfahren (§ 32 BVerfGE) könnte vom Bundestag oder einer Bundestagsfraktion z. B. angestrengt werden, wenn aufgrund der Vorberichte und Weisungen der Bundesregierung an den Vertreter im Rat deutlich wird, dass die Bundesre­ gierung eine Stellungnahme des Bundestages gänzlich unberücksichtigt lässt oder nicht versucht hat, ein notwendiges vorheriges Einvernehmen mit dem Bundestag herzustellen.193 Da von einer Stellungnahme oder einem (versag­ ten) Einvernehmen keine vollumfängliche Bindung der Bundesregierung ausgeht, kann ein solches Verfahren allerdings nicht dazu führen, dass die Bundesregierung zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten verpflichtet oder ihr ein solches versagt wird, jedenfalls solange durch das beabsichtig­ te Votum der Bundesregierung keine sonstigen (bindenden) Verfassungsvor­ gaben verletzt werden.194 Justiziabel ist somit nur die Verletzung der Rech­ te des Bundestages im Mitwirkungsverfahren, nicht ein bestimmtes Abstim­ mungsverhalten der Bundesregierung im Rat.195 (2) Verfahren bei Pflichtverletzung des Bundestages Wird die Mitwirkung des Bundestages wie vorliegend als Verfassungs­ pflicht erachtet, so stellt sich die Frage, ob auch die Erfüllung dieser Pflicht in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht überprüft werden kann. Ein besonderes Interesse an der Erfüllung der Mitwirkungspflicht 192  BVerfGE

92, 203, 227, AbsNr. 107 – Fernsehrichtlinie. im Ergebnis auch: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundesta­ ges an der europäischen Rechtsetzung, Berlin, 2001, 178. 194  Zur Grundgesetzbindung des deutschen Vertreters im Rat ausführlich Cremer, Grundgesetzliche Bindungen des deutschen Vertreters bei Abstimmungen im Rat der Europäischen Union und ihre prozessuale Durchsetzbarkeit, EuR 2014, 195 mit um­ fangreichen Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung zu diesem Thema; Schilling, Zur Verfassungsbindung des deutschen Vertreters bei der Mitwirkung an der Rechtsetzung im Rate der EU, DVBl 1997, 458 ff. 195  Davon zu unterscheiden sind die anders gelagerten Fälle, in denen eine Zu­ stimmung des Bundestages zu einer europäischen Entscheidung notwendig ist. Vgl. z. B. die Entscheidung in BVerfGE 129, 124 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungs­ schirm. Hier hatten sich die Beschwerdeführer gegen das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus ge­ wandt. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass der Haushaltsausschuss des Bundestag in den dort genannten Fällen nicht nur unterrichtet werden muss und eine Stellungnahme abgeben kann, sondern dass auch seine Zustimmung vor der Über­ nahme einer Gewährleistung durch die Bundesregierung notwendig ist (BVerfGE 129, 124, 186, AbsNr. 141 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm). 193  So

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

dürfte dabei allerdings nicht die Bundesregierung haben, so dass ein solches Organstreitverfahren zwischen diesen Verfassungsorganen eher fernliegend ist. Wahrscheinlicher wären verfassungsgerichtliche Verfahren, die von einer (Oppositions-)Fraktion, einem Mitglied des Bundestages oder interessierten Bürgern gegen den Bundestag beantragt werden. Diese Antragsteller wären in verschiedenen verfassungsgerichtlichen Ver­ fahren grundsätzlich antragsberechtigt. Eine Fraktion darf in einem Organ­ streitverfahren in Prozessstandschaft geltend machen, dass Rechte des Bundestages durch Handlungen des Bundestages verletzt werden.196 So war der Antrag der Fraktion Die Linke zulässig, soweit er auf die Rüge gerich­ tet war, dass der Bundestag durch sein Zustimmungsgesetz zum LissabonVertrag den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt.197 Nach der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein solches Verfahren kein verbotener Insichprozess, da die gesetzlich vorgese­ hene Prozessstandschaft auf die Geltendmachung von Oppositions- und Minderheitenrechten gerichtet ist. Durch die Prozessstandschaft könne die Minderheit des Bundestages daher auch Rechte des Bundestages geltend machen, die die Mehrheit gegenüber der von ihr getragenen Bundesregie­ rung nicht wahrnehmen will.198 Allerdings muss sich ein Antrag im Organ­ streitverfahren gegen eine konkrete Maßnahme oder das Unterlassen einer Maßnahme richten, die den Bundestag in seinen verfassungsmäßigen Rech­ ten oder Pflichten verletzt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG). Da die verfassungsrecht­ liche Mitwirkungspflicht jedoch nicht bestimmte Handlungen des Bundesta­ ges fordert, sondern ihm die Auswahl der Mitwirkungsinstrumente und die Bestimmung des Maßstabs einer ausreichenden Mitwirkung selbst überlässt, fehlt es an einer solchen konkreten Maßnahme. Dies wäre nur anders, wenn der Bundestag gar keine oder nur noch äußerst wenige Mitwirkungshand­ lungen vornehmen würde. In einem solchen Organstreitverfahren gegen den Bundestag wäre ein Mitglied des Bundestages nicht antragsbefugt.199 Ein Verfahren in Prozess­ standschaft ist gesetzlich nicht vorgesehen. Seine aus dem Wahlrecht 196  Art. 93

Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 i. V. m. § 64 Abs. 1 BVerfGG. 123, 267, 337 f., AbsNr. 201 ff. – Lissabon. 198  BVerfGE 123, 267, 331 f., AbsNr. 206 – Lissabon. Das Bundesverfassungsge­ richt sieht sich nach Auffassung seines Präsidenten in diesen Fällen als „Schiedsrichter“ im Organstreitverfahren: Voßkuhle, Der Rechtsanwalt und das Bundesver­ fassungsgericht – Aktuelle Herausforderungen der Verfassungsrechtsprechung, NJW 2013, 1329, 1332. 199  Zur Beteiligtenfähigkeit der Abgeordneten im Organstreitverfahren allgemein: Herz, Subjektives Recht gegen die europäische Integration? Zur Zulässigkeit einer Klage gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon, JA 2009, 573, 579, Fn. 101. 197  BVerfGE



II. Europapolitische Zusammenarbeit als Verfassungspflicht269

(Art. 38 Abs. 1 GG) abgeleiteten Rechte können mit der Verfassungsbe­ schwerde geltend gemacht werden.200 Für ein ebenfalls auf das Wahlrecht gestütztes Organstreitverfahren gibt es, so das Bundesverfassungsgericht, daneben kein eigenständiges statusspezifisches Rechtsschutzinteresse.201 Eine Verfassungsbeschwerde, entweder eines Mitglieds des Bundestages oder eines sonstigen Bürgers wäre nur zulässig, wenn der Antragsteller darlegen kann, dass durch die Aushöhlung der Befugnisse des Bundestages das Demokratieprinzip verletzt und daher seine durch das Wahlrecht ge­ schützte Teilhabe an der Ausübung demokratischer Staatsgewalt entleert sei.202 Die Mitwirkungsrechte des Bundestages dienen der fortgesetzten Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt durch die Union, an der die Bundesregierung vor allem im Rat beteiligt ist. Auch in diesem Zusammen­ hang wäre das subjektive Recht des Antragstellers auf Teilhabe an der Ausübung dieser Staatsgewalt nur dann „entleert“ und damit verletzt, wenn der Bundestag diese Mitwirkungsaufgabe gar nicht mehr oder nur noch in äußerst geringem Umfang wahrnähme. Zwar ist in der Praxis nicht zu erwarten, dass der Bundestag seine euro­ papolitische Arbeit vollständig oder nahezu vollständig einstellt, aber selbst in diesem Fall könnten die verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht dazu führen, dass der Bundestag zur Vornahme bestimmter Mitwirkungshandlun­ gen mit vorgegebenem Inhalt verpflichtet wird, da die Wahl der Mitwir­ kungsinstrumente dem Bundestag obliegt. Wenn die Antragsteller hingegen nur der Auffassung wären, aus dem (hier vorgeschlagenen) Gesamtbericht,203 durch den der Bundestag die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht und der Kooperationspflicht der Bundesregierung prüft, ergäbe sich, dass der Bun­ destag das erforderliche Mitwirkungsmaß nicht erreicht, dürfte dies der 200  Art. 93

Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG. ganzen Absatz: BVerfGE 123, 267, 337, AbsNr. 191 f. – Lissabon; kri­ tisch: Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Identitätskontrolle: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 491, 499 f. 202  Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG i.  V.  m. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Vgl. dazu: BVerfGE 123, 267, 330, AbsNr. 174 f. – Lissabon; vgl. zu der auf Art. 38 Abs. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde der Bürger ausführlich: Murswiek, Art. 38 GG als Grundlage eines Rechts auf Achtung des unabänderlichen Verfassungskerns, JZ 2010, 702; zur Kritik eines so entstehenden subjektiven Rechtes auf materiell-subs­ tantiellen Parlamentarismus mit der sich daraus für alle Wahlberechtigten ergeben­ den Möglichkeit, gegen mögliche Verletzungen eine Verfassungsbeschwerde zu er­ heben: Terhechte, Souveränität, Dynamik und Integration – making up the rules as we go along? Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, EuZW 2009, 724; 725 f.; Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Iden­ titätskontrolle: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, 491, 496 ff., m. w. N. in Fn. 22. 203  Vgl. oben S. 264 ff. 201  Zum

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen sein, da der Bundestag, d. h. seine Mehrheit, über das ausreichende Maß der Mitwirkung bestimmt. Für den Erfolg der Verfahren stellt sich somit bei einer geringen europa­ politischen Mitwirkung des Bundestages die Frage, ob dies bereits eine eindeutige Pflichtverletzung darstellt und die Verfahren damit zulässig sind, oder ob die parlamentarische Zurückhaltung noch von dem Bewertungs­ spielraum des Bundestages gedeckt ist. Um dieses zu beantworten wird es auf den konkreten Sachverhalt und den Vortrag der Antragsteller ankommen, ob die Anträge zulässig sind und in welcher Tiefe das Bundesverfassungs­ gericht die Prüfung, ob der Bundestag seine europapolitische Mitwirkungs­ pflicht erfüllt, an sich zieht. Insgesamt ist die Durchsetzung eines bestimm­ ten Mitwirkungsmaßes des Bundestages in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren für die Antragsteller sehr schwierig und dürfte nur in Ausnahme­ fällen gelingen. bb) Politische Durchsetzung Neben den verfassungsgerichtlichen Verfahren bestehen auch politische Druckmittel, um eine ausreichende europapolitische Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag durchzusetzen. Soweit der Bundestag der Auffassung ist, die Bundesregierung komme ihrer Kooperationspflicht nicht nach, steht ihm das allerdings recht scharfe Schwert des konstruktiven Misstrauensvotums (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG) zur Verfügung.204 Dies wer­ den Regierungsfraktionen im Bundestag – wenn überhaupt – nur als äußers­ tes Mittel wählen. Zuvor wird in der Regel politischer Druck auf den zu­ ständigen Minister ausreichen, um die weitere Regierungspolitik in europäi­ schen Angelegenheiten zugunsten des Bundestages zu beeinflussen. Den Oppositionsfraktionen stehen daneben die klassischen parlamentari­ schen „Kampfmittel“, wie z. B. die Fragerechte, zur Verfügung. Wenn die Regierung und die Regierungsfraktionen bei wichtigen Fragen der Europa­ politik auf die Stimmen der Opposition angewiesen sind, kann die Opposi­ tion dies nutzen, um auch ihre Positionen durchzusetzen.205 204  Auch wenn es in der Praxis eher unwahrscheinlich ist, dass der Bundestag dieses Mittel „nur“ wegen eines Streits um seine europapolitischen Mitwirkungs­ rechte nutzt, bleibt doch diese Möglichkeit des Vertrauensentzugs ein politisches Druckmittel. Darauf verweist auch BVerfG, Entscheidung vom 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390 / 12 u. a., AbsNr. 240 – Europäischer Stabilitätsmechanismus / Hauptsache­ verfahren. 205  Vgl. insbesondere für die 17. Wahlperiode und die erwarteten Veränderungen in der 18. Wahlperiode oben S. 46 f.



III. Die Grenzen der europapolitischen Kommunikation271

An der Durchsetzung einer verstärkten Mitwirkung des Bundestages wer­ den insbesondere die Opposition und die mit ihr verbundenen Bürger Inte­ resse haben. Erlangen diese (wahlberechtigten) Bürger die Mehrheit, können sie das Verhalten des Bundestages bei den nächsten Wahlen erfolgreich sanktionieren.

III. Die Grenzen der europapolitischen Kommunikation Die europapolitische Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag trifft auch auf verschiedene Grenzen.206 Dies bedeutet, dass in bestimmten Fällen die Kommunikationsmittel nicht effektiv eingesetzt wer­ den können. Diese Grenzen bestimmen sich durch ganz unterschiedliche Sachverhalte, die auf dem Gedanken der Gewaltenteilung einerseits sowie auf organisatorischen, politischen, faktischen oder normativen Regeln ande­ rerseits beruhen. Eine erste Grenze wird vom Bundesverfassungsgericht und einem großen Teil der Literatur in dem Willensbildungsprozess der Bundes­ regierung gesehen, über den diese nicht informieren müsse und auf den der Bundestag daher auch keinen Einfluss ausüben kann (dazu unten 1.). Eine mehr organisatorisch-praktisch geprägte Grenze liegt darin, dass der Bun­ destag bei der Regelung von hochkomplexen und technischen Fragen nicht die Personalressourcen besitzt, alle damit verbundenen Einzelfragen zu durchdringen und diesbezüglich auf die Bundesregierung einzuwirken (dazu unten 2.). Den anderen Kommunikationsgrenzen ist gemeinsam, dass der Erfolg der mit der Kommunikation verbundenen Forderungen des Bundes­ tages davon abhängt, inwieweit sie auf europäischer Ebene tatsächlich durchgesetzt werden können oder sollen. Bei Entscheidungen, die auf euro­ päischer Ebene nicht einstimmig, sondern von der Mehrheit im Rat ent­ schieden werden, besteht die Möglichkeit, dass Deutschland überstimmt wird und damit auch die Forderungen des Bundestages erfolglos bleiben (dazu unten 3.). Daneben ist es auch nicht selten, dass der Bundestag der Bundesregierung keine strengen Vorgaben machen will, um ihren Verhand­ lungsspielraum nicht zu sehr einzuengen (dazu unten 4.). Stoßen die Kommunikationsmöglichkeiten des Bundestages an diese Grenzen, ist auch die formale Mitwirkung des Bundestages an der Europa­ politik zu dem jeweiligen Themenbereich nicht möglich oder nicht effektiv. Da diese Mitwirkung jedoch eine der Legitimationsquellen des Unionsrechts (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 EUV) ist,207 sind die Grenzen der Kommunikation 206  Risse, Haben sich die Beteiligungsverfahren nach Art. 23 GG bewährt?, in: Hill / Sommermann / Wieland / Ziekow (Hrsg.), Brauchen wir eine Verfassung? Zur Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes, 2014, S. 183, 198. 207  Vgl. dazu oben S. 36 ff.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

und die der Legitimationsvermittlung durch parlamentarische Mitwirkung kongruent. Mit jeder Einschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages wird mithin auch seine Legitimationskraft für das Unionsrecht verringert und wirkt sich somit zweidimensional aus. 1. Grenze des Informationsrechts des Bundestages: Interner Willensbildungsprozess der Bundesregierung? Über eine mögliche Grenze des Informationsanspruchs des Bundestages schweigt Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Nach dem EUZBBG hat die Bundesre­ gierung auch über ihre interne Willensbildung zu unterrichten (§ 3 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG). In der Literatur wird diskutiert, ob ein so weitgehender Informationsanspruch den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwor­ tung208 der Bundesregierung, der eigentlich von den Unterrichtungspflichten nicht erfasst wird (§ 3 Abs. 4 EUZBBG),209 verletzt.210 Die Herausnahme des Willensbildungsprozesses aus den Unterrichtungsrechten, d. h. die Infor­ mation über interne Gutachten, Stellungnahmen, Vorschläge, Sitzungsproto­ kolle und Ähnliches, würde bedeuten, dass der Bundestag darauf keinen Einfluss nehmen kann. Für den Schutz der Willensbildung der Bundesregierung wird argumen­ tiert, dass der Regierung trotz ihrer Verantwortung gegenüber dem Parla­ ment ein wesensmäßig politischer Bereich vorbehalten bleiben müsse, der interne Vorgänge einschließe und der von dem Informationsrecht des Bun­ destages abzuschirmen sei. Der Schutz des Kernbereichs exekutiver Eigen­ 208  Zu, Konzept des „Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“ ausführlich Schnabel / Freund, Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung als Schranke der Informationsfreiheit, DÖV 2012, 192, 193 f. 209  Vgl. zu diesem Widerspruch innerhalb des § 3 EUZBBG oben S. 89 f. 210  Gegen die Verpflichtung zur Information über die Willensbildung der Bundes­ regierung im Kernbereich ihrer exekutiven Eigenverantwortung: Brenner, Das Ge­ setz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, ThürVBl. 1993, 196, 200 f., Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslieferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 157; Möller / Limpert, Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, ZParl 1993, 21, 26; Günther, Die Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 GG, 1998, S. 60 f. Für eine Unterrichtung über den gesamten Prozess der internen Willensbildung: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Recht­ setzung, 2001, 218 f. Vermittelnd: Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 353 ff., die vorschlägt, nur über „vorläufige Ergebnisse interner Willensbildung“ zu unterrichten.



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verantwortung diene dazu, ein Mitregieren durch andere Gewalten oder die Öffentlichkeit zu verhindern. Das Informationsrecht des Bundestages bezie­ he sich daher nur auf den abgeschlossenen Willensbildungsprozess der Bundesregierung. § 3 Abs. 2 Satz 1 EUZBBG sei entsprechend verfassungs­ konform auszulegen.211 Auch das Bundesverfassungsgericht hat den Kernbereich exekutiver Ei­ genverantwortung im Rahmen der europapolitischen Informationsrechte des Bundestages anerkannt. Erst wenn der Willensbildungsprozess der Bundes­ regierung zu Zwischen- oder Teilergebnissen geführt habe und sie diese an die Öffentlichkeit geben oder darüber in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten wolle, müsse sie (auch) den Bundestag darüber unterrich­ ten. Zur Begründung verweist das Gericht neben dem Gewaltenteilungsprin­ zip darauf, dass der Willensbildungsprozess ein volatiler Vorgang sei, der die Bundesregierung noch nicht verlasse.212 Außerdem sei der Schutz der internen Willensbildung der Regierung auch im Zusammenhang mit den Rechten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und den parlamentari­ schen Fragerechten anerkannt.213 In ihrer Argumentation übersehen sowohl die Autoren als auch das Bun­ desverfassungsgericht das spezifische Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag in der Europapolitik, das von Zusammenarbeit und parla­ mentarischer Mitwirkung geprägt ist.214 Die Gleichsetzung der Informa­ tionsrechte in europäischen Angelegenheiten mit den Rechten parlamentari­ scher Untersuchungsausschüsse und den parlamentarischen Fragerechten hält genauerer Betrachtung nicht stand. In der Europapolitik ist die Mitwir­ kung des Bundestages in europäischen Angelegenheiten auf nationaler Ebene ausdrücklich vorgesehen und nach hier vertretener Ansicht auch Verfassungspflicht (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG). Damit ist es gerade die In­ 211  Zum Ganzen insbesondere: Schnabel / Freund, Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung als Schranke der Informationsfreiheit, DÖV 2012, 192, 193; sowie: Brenner, Das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union, ThürVBl. 1993, 196, 200 f.; Scholz, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 56. Ergänzungslie­ ferung (Stand: Oktober 2009), Art. 23 Rdnr. 157; Möller / Limpert, Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, ZParl 1993, 21, 26; Günther, Die Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 GG, 1998, S. 60 f. 212  BVerfGE 131, 152, 206  ff., AbsNr. 115 ff. – parlamentarische Informations­ rechte. 213  Zum Recht der Untersuchungsausschüsse: BVerfGE 67, 100, 139 – FlickUntersuchungsausschuss; zum parlamentarischen Fragerecht: BVerfGE 110, 199, 215 – Aktenvorlage; BVerfGE 124, 78, 120 – BND-Untersuchungsausschuss. 214  Vgl. zu dem besonderen Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag im Bereich der „Europapolitik“ oben S. 233 ff.

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tention des Grundgesetzes, den Bundestag in die Lage zu versetzen, auf die europapolitische Willensbildung der Bundesregierung Einfluss zu nehmen.215 Demgegenüber gelten die parlamentarischen Fragerechte und die Rechte eines Untersuchungsausschusses, für die der Schutz des Willensbildungspro­ zesses der Bundesregierung anerkannt ist,216 für alle staatsrechtlichen und staatspolitischen Aufgaben.217 Bei Staatsaufgaben, deren Erfüllung allein der Regierung übertragen werden und bei denen daher das Grundgesetz auch keine Mitwirkungsrechte des Bundestages vorsieht, ist es nur folge­ richtig, diese vor einer gewaltenüberschreitenden Mitwirkung oder – drasti­ scher ausgedrückt – vor einem Hineinregieren des Bundestages zu schützen. Im europapolitischen Bereich werden die Mitwirkung und damit auch ein gewisses „Mitregieren“ des Bundestages verfassungsrechtlich hingegen er­ wartet. Auch das Konzept der Integrationsverantwortung spricht dagegen, den Bundestag von der exekutiven Willensbildung in europäischen Angelegen­ heiten auszuschließen. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat tragen gleichermaßen ihre organspezifische Integrationsverantwortung.218 Der Bun­ destag nimmt auf nationaler Ebene an der Fortentwicklung der Europäischen Union teil und trägt dafür im Rahmen der ihm zugewiesenen Rechte und Handlungsmöglichkeiten die Verantwortung. Seine Einflussnahme auf diese Politik muss aber schon während der Willensbildung der Bundesregierung einsetzen können, um effektiv zu sein. Ähnlich wie in den Fällen des ent­ parlamentarisierenden oder informalen Staatshandelns219 besteht in der Re­ gel wenig oder sogar keine Bereitschaft, eine abgeschlossene Willensbildung oder gefundene Kompromisse (z. B. zwischen den Koalitionspartnern) für Dritte noch einmal zu ändern. Wenn die Bundesregierung erst über Zwi­ schen- oder Teilergebnisse unterrichten muss, sind diese Ergebnisse schon in sich abgeschlossen. 215  Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Ange­ legenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 354 f. Unter Heranziehung des Konzepts der „Beteiligung zur gesamten Hand“ von Bun­ desregierung, Bundestag und Bundesrat in europäischen Angelegenheiten ähnlich: Hansmeyer, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der europäischen Recht­ setzung, 2001, S. 219. 216  Inwieweit dies überzeugt, kann an dieser Stelle dahinstehen. Dazu ausführ­ lich: Teuber, Parlamentarische Informationsrechte, 2007, S. 220 ff. 217  Vgl. zu den Kompetenzen der Untersuchungsausschüsse ausführlich Schröder, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 46, Rdnr.  15 ff. 218  BVerfGE 123, 267, 251, AbsNr. 236 – Lissabon. 219  Morlok, Gefährdungen demokratischer Entscheidungskultur durch Informali­ sierung und Entparlamentarisierung politischer Entscheidungen, in: Gosewin­ kel / Schuppert (Hrsg.), Politische Kultur im Wandel von Staatlichkeit, 2008, S. 267.



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Im Übrigen nennt das Bundesverfassungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung zu den Informationsrechten des Bundestages220 auch keine Informationen und Dokumente, die die Bundesregierung im Rahmen ihrer Willensbildung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus und Euro-PlusPakt wegen des Schutzes ihres internen Willensbildungsprozesses recht­ mäßig zurückhalten durfte. Folglich bleibt hier nicht nur unklar, warum das Gericht den Schutz des Willensbildungsprozesses in dieser Entschei­ dung überhaupt anspricht, sondern es ergeben sich daraus auch keine Hinweise für die Praxis, welche Informationen von dem Schutzbereich erfasst sein könnten. Auch insoweit überzeugt dieser Teil der Entschei­ dung wenig. In diesem Zusammenhang wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass die Ausbreitung der vorläufigen, noch nicht gänzlich abgestimmten, gege­ benenfalls auch kontroversen Überlegungen innerhalb der Exekutive vor dem Bundestag und damit auch der Öffentlichkeit zu einer Lähmung der Regierung führen könne. Dies könne einen so erheblichen politischen Druck auslösen, dass eine unabhängige Entscheidungsfindung nicht mög­ lich und somit eine effektive Staatsführung gefährdet sei.221 Dieses Argu­ ment erweist sich jedoch schon mit Blick auf die heutige Mediengesell­ schaft als nicht überzeugend. Häufig werden Ergebnisse von Koalitionssit­ zungen oder andere die Willensbildung der Regierung betreffende Informa­ tionen noch am selben Tag an die Presse weitergegeben. Dies führte im Rahmen der Verhandlungen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Euro-Plus-Pakt im Frühjahr 2011 zu dem Ergebnis, dass in ver­ schiedenen Zeitungen und politischen Magazinen über Dokumente und Entwicklungen innerhalb der Bundesregierung berichtet wurde, während die Bundesregierung eine entsprechende Unterrichtung des Bundestages je­ doch verweigerte.222 Der politische Druck auf die Bundesregierung durch die öffentliche Diskussion besteht gerade bei hochpolitischen Themen so­ mit zumeist ohnehin. Auch wenn dies die Entscheidungsfindung der Bundesregierung schwie­ riger macht, ist im Rahmen von europäischen Angelegenheiten die Einfluss­ nahme und Information des Bundestages mit seinem Öffentlichkeitsprinzip (Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG) gewollt. Unterliegen Vorgänge der Geheimhal­ tung, ist auch eine Geheimhaltung im Rahmen der Geheimschutzordnung 220  BVerfGE

131, 152 – parlamentarische Informationsrechte. in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 45. Ergänzungslieferung (Stand: August 2005), Art. 44 Rdnr. 151 a. E. 222  Das Ganze ist detailreich dargestellt im Sachverhalt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.06.2012, BVerfGE 131, 152, 155 ff., AbsNr. 5 bis 42 – parlamentarische Informationsrechte. 221  Klein,

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des Bundestages möglich.223 Im Übrigen garantiert die Eigenverantwortlich­ keit der Regierung nicht eine vor Kenntnisnahme, Prüfung und gegebenen­ falls Kritik ungestörte Willensbildung und Abwicklung der Regierungsge­ schäfte bis zu dem Punkt, an dem alles abgeschlossen ist und nur noch erinnernde Betrachtungen möglich sind.224 Dass dies den politischen Druck erhöhen und die Willensbildung erschweren kann, rechtfertigt eine völlige Verweigerung der Unterrichtung über den Willensbildungsprozess nicht. Schließlich erscheint auch eine „Lähmung“ der Regierung durch Weitergabe von Informationen im Stadium ihres Willensbildungsprozesses eher wie die Heraufbeschwörung eines Schreckgespenstes und nicht wie die Schilderung einer echten Gefahr. Tritt der unwahrscheinliche Fall einmal ein, dass so­ wohl die Mehrheit des Bundestages als auch die Bevölkerung mit einer sich abzeichnenden Entscheidung der Regierung nicht einverstanden sind und wird der Druck auf die Bundesregierung damit so groß, dass sie die Ent­ scheidung nicht so wie zunächst geplant fällen kann, so ist dies Ausdruck eines informalen demokratischen Prozesses, vor dem keine demokratisch gewählte Regierung geschützt ist. In der Literatur werden teilweise vermittelnde Lösungen gesucht, um das Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsbedürfnis des Bundestages in europäischen Angelegenheiten einerseits und dem Schutz der Willensbil­ dung der Regierung andererseits auszugleichen. Mit unterschiedlichen Be­ gründungen wird vorgeschlagen, dass die Regierung nur über ihre Entschei­ dungsfindung zu informieren hat, wenn diese „Verantwortungsreife“225 er­ langt hat oder wenn sie über ein „vorläufiges Fazit“226 verfügt. In der Praxis dürften sich diese beiden Vorschläge nicht unterscheiden. Problema­ tischer ist vielmehr, wann eine solche „Verantwortungsreife“ oder ein „vor­ läufiges Fazit“ vorliegt. Diese unbestimmten Begriffe würden von den verschiedenen Beteiligten – auch innerhalb der Regierung – unterschiedlich bewertet werden,227 so dass sie für eine klare Abgrenzung in der Praxis 223  Magiera, in: Schneider / Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 52 Rdnr. 67. 224  Vgl. zu diesen Gedanken: Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, 1998, S. 311 ff. 225  Thieme, Das Verhältnis der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zur Exekutive, 1983, S. 115; Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachver­ halte, 1998, S. 312 f.; Klein, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 45. Ergän­ zungslieferung (Stand: August 2005), Art. 44 Rdnr. 153. 226  Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Ange­ legenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 353 ff. 227  Darauf weist auch Masing hin, der die Frage, wann Verantwortungsreife ein­ tritt, von den Gegebenheiten des Einzelfalles abhängig machen will, die in den verschiedenen Bereichen des Regierungshandelns ganz unterschiedlich sein könn­ ten. Damit gibt jedoch auch er keine Handhabe, wie dies in der Praxis entschieden



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wohl nicht geeignet sind. Die Unterrichtung auch über Zwischenschritte im Rahmen der Willensbildung der Regierung sollte daher nicht auf vorläufige Ergebnisse oder Ähnliches beschränkt werden. Daraus folgt für die Praxis, dass sich die Unterrichtung über den Willens­ bildungsprozess der Bundesregierung (§ 3 Abs. 2 S. 1 EUZBBG) zunächst an den verschiedenen Phasen der Behandlung eines EU-Vorhabens orientie­ ren sollte. Die Bundesregierung hat über ihre Einschätzung von geplanten Vorhaben vor Beginn der Verhandlungen in den Vorbereitungsgremien des Rates, den Verhandlungen in den Vorbereitungsgremien und im Rat und den abschließenden Überlegungen vor der endgültigen Beschlussfassung im Rat zu unterrichten.228 Alle sonstigen mit ihrem Willensbildungsprozess zusam­ menhängenden (vorläufigen) Informationen und Dokumente muss die Bun­ desregierung jedoch nur auf Anfrage des Bundestages vorlegen. Andernfalls könnte dies nicht nur Verwirrung über die tatsächliche Haltung der Bundes­ regierung hervorrufen, sondern auch die Kapazitäten des Bundestages zur Organisation und Aufbereitung von Informationen übersteigen. In diesem Bereich wandelt sich somit das aktive Fremdinformationsrecht in ein reak­ tives Fremdinformationsrecht.229 Dagegen könnte eingewandt werden, dass der Bundestag in diesen Fällen keine Kenntnis darüber hat, ob solche vor­ läufigen Informationen überhaupt existieren und er sie daher auch nicht anfordern kann. Doch auch hier spielen die Medien und sonstige Quellen die entscheidende Rolle. Durch diese erhalten der Bundestag oder einzelne seiner Mitglieder Kenntnis von wichtigen (vorläufigen) Informationen und Dokumenten der Regierung. In diesen Fällen sollte die Bundesregierung daher nicht nur aufgrund ihrer europapolitischen Unterrichtungspflicht, son­ dern auch um eine Brüskierung des Bundestages zu vermeiden, die gefor­ derten Informationen gegebenenfalls mit dem Hinweis auf ihren vorläufigen Charakter weitergeben. Schließlich wurde für den ähnlichen Fall der inoffi­ ­werden kann: Masing, Parlamentarische Untersuchung privater Sachverhalte, 1998, S.  312 f. 228  Siehe dazu die Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundesta­ ges, Erster Bericht über die Anwendung der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissa­ bon, BT-Drs. 17 / 14601, S. 17. 229  Reaktive Fremdinformationsrechte werden erst durch eine Informationsinitia­ tive, d. h. durch Fragen und Informationsbegehren des Parlaments ausgelöst. Die Regierung ist dann aufgefordert, die begehrten Informationen bereit zu stellen. Kennzeichnend für reaktive Fremdinformationsreche ist, dass das Parlament selbst den Informationsgegenstand bestimmt. Hauptfälle dieses Typs sind die klassischen parlamentarischen Fragerechte, wie die Große Anfrage (§ 100 ff. GO-BT), die Klei­ ne Anfrage (§ 104 GO-BT), die Fragen einzelner Mitglieder des Bundestages (§ 105 GO-BT) und die Fragen im Rahmen einer Aktuellen Stunde (§ 106 GO-BT). Vgl. zur Typisierung der Informationsrechte: Teuber, Parlamentarische Informationsrech­ te, 2007, S. 64 ff.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

ziellen Dokumente, von deren Existenz der Bundestag zunächst auch keine Kenntnis hat, in der Neufassung des EUZBBG im Jahr 2013 geregelt, dass die Bundesregierung über das Vorhandensein solcher Dokumente Auskunft erteilen und diese dem Bundestag auf Anforderung übermitteln muss (§ 4 Abs. 3 EUZBBG). Entsprechend dieser Regelung könnte die Bundesregie­ rung verpflichtet werden, auf Anforderung230 Auskunft über die Existenz von Informationen und Dokumenten zu erteilen, die für ihren Willensbil­ dungsprozess von Bedeutung sind, und diese auf weitere Anforderung des Bundestages auch zu übermitteln. Die insbesondere vom Bundesverfas­ sungsgericht gezogene Informationsgrenze und die damit einhergehende Kommunikationsgrenze des Bundestages könnten auf diese Weise überwun­ den werden. 2. Technische Details und hochkomplexe Sachgebiete Eine weitere, stärker organisatorisch geprägte Grenzlinie der Kommuni­ kationsmöglichkeiten des Bundestages verläuft entlang der Kapazitätsgrenze des Bundestages. Die Anzahl der Mitarbeiter der Abgeordneten, der Bun­ destagsverwaltung und der Fraktionen zusammen ist wesentlich geringer als die Anzahl der Mitarbeiter der Bundesregierung.231 Auch wenn die Abge­ ordneten, die Fraktionen und die Bundestagsverwaltung versuchen, mit ih­ ren Mitarbeitern die europäischen Rechtsetzungsvorhaben zu prüfen, muss dies aufgrund der Fülle von Detailvorschriften232 lückenhaft bleiben. Ver­ bleiben solche Lücken, kann der Bundestag dazu keine Entscheidungen treffen bzw. keine umfassende Stellungnahmen erarbeiten. In der Staatsor­ ganisation Deutschlands wird dies auch nicht erwartet, wie sich schon an der unterschiedlichen Personalausstattung von Bundestag und Bundesregie­ rung zeigt. Der Bundestag muss die europäischen Vorhaben jedoch so genau prüfen, dass er gegebenenfalls gegenüber der Bundesregierung die „großen Linien“ vorgeben und problematische Regelungen in Frage stellen kann. Dabei käme ihm die hier vorgeschlagene stärkere Priorisierung (Katego­ 230  Nach der Gesetzesbegründung zum neuen § 4 Abs. 3 EUZBBG (BT-Drs. 17 / 12816, S. 10) genügt für die Anforderung der inoffiziellen Dokumente eine ent­ sprechende Bitte einzelner Abgeordneter, der Ausschüsse, der Fraktionen oder der Arbeitsebene. Dies sollte auch für die Dokumente und Informationen über die Wil­ lensbildung der Bundesregierung gelten, wobei die Ausgestaltung als ein solches Minderheitenrecht im Wortlaut einer entsprechenden Regelung aufgenommen wer­ den sollte, um mögliche Zweifel zu vermeiden. 231  Vgl. dazu schon oben S. 141. 232  Vgl. zum Trend hin zu Detailregelungen und weg vom Allgemeinen und Sys­ tematischen, den Folgen dieser Entwicklung für das Verhältnis von Gesetz und Recht und damit auch für die Rolle des Gesetzgebers schon: Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 105 ff.



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risierung) der europäischen Dossiers zu Hilfe. Bei „wenig bedeutsamen“ Dossiers kann es bei einer kursorischen Prüfung, die schon im Rahmen der Kategorisierung stattfindet, verbleiben. Bei „politisch bedeutsamen“ Dossi­ ers muss der Bundestag in der Ausschussberatung sicherstellen, dass keine erheblichen Fehlentwicklungen zu befürchten sind. Die „politisch besonders bedeutsamen“ und die „politisch hoch bedeutsamen“ Dossiers muss der Bundestag allerdings vertieft prüfen, damit er bei sehr komplexen Sachver­ halten mindestens diese „großen Linien“ vorgeben, in der Regel aber eine umfassende Stellungnahme erarbeiten kann. Für die Prüfung und Vorgabe dieser „großen Linien“ stehen dem Bundes­ tag im Übrigen nicht nur die Mitarbeiter der Abgeordneten, der Fraktionen und der Bundestagsverwaltung zur Verfügung. Die Ausschüsse des Bundes­ tages können zu diesem Zweck auch Expertenanhörungen durchführen. Diese Experten sind aufgrund ihrer Spezialisierung und ihres Mitarbeitersta­ bes in der Lage, die geplanten „politisch besonders bedeutsamen“, jedenfalls aber die „politisch hoch bedeutsamen“ europäischen Regelungen im Detail zu prüfen. Auf der Basis der Ergebnisse dieser Prüfungen und der Befra­ gung der Experten können die Ausschüsse des Bundestages ihre Bewertung des jeweiligen europäischen Vorhabens auf gesicherterer Basis abgeben. Neben diesen Experten können auch Interessengruppen, die durch das euro­ päische Vorhaben betroffen sind und auf ihrem Gebiet häufig über genaues Fachwissen verfügen, gegenüber den Mitgliedern des Bundestages entschei­ dende Hinweise geben.233 Allerdings stehen diese Hinweise aufgrund der einseitigen Interessenlage der Lobbygruppen und ihrer fehlenden demo­ kratischen Legitimation unter dem strengen Vorbehalt einer genauen Über­ prüfung. Auf dieser Basis ist es dem Bundestag möglich, die wichtigen politischen Grundentscheidungen und einen großen Teil der Einzelregelungen zu erfas­ sen und dazu eine Position zu entwickeln. An dem verbleibenden Teil, den der Bundestag etwa aufgrund seiner Komplexität nicht vollumfänglich be­ arbeiten kann, kann er nicht umfassend mitwirken. Die Kommunikations­ grenze verläuft somit entlang dieser Kapazitätsgrenze des Bundestages, wobei der Verlauf durch die Priorisierung bzw. Kategorisierung, d. h. die politische Bewertung der jeweiligen Dossiers, vom Bundestag entscheidend mitgesteuert werden kann.

233  Buzogány / Kropp, Der Deutsche Bundestag im „Tal der Ahnungslosen“?, in: Kropp / Kuhlmann (Hrsg.), Wissen und Expertise in Politik und Verwaltung, 2014, S. 161, 177.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

3. Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat Eine weitere Grenze der Mitwirkung des Bundestages entsteht bei Mehr­ heitsentscheidungen im Rat, wenn Deutschland überstimmt wird. Europapo­ litische Forderungen des Bundestages gegenüber der Bundesregierung auf Durchsetzung einer bestimmten Haltung oder Maßnahme können nur dann erfolgreich sein, wenn die Bundesregierung ihrerseits über die Möglichkeit verfügt, die entsprechende Forderung auf europäischer Ebene durchzuset­ zen. Dies ist bei Entscheidungen, die in den europäischen Organen einstim­ mig getroffen werden müssen, immer der Fall, weil dies allen Vertretern der Mitgliedstaaten Vetorechte gibt. Das Primärrecht nach dem Vertrag von Lissabon sieht jedoch ausdrücklich vor, dass der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließt, soweit in den Verträgen nichts anderes festgelegt ist (Art. 16 Abs. 3 EUV).234 Bei Mehrheitsentscheidungen kann die deutsche Regierung überstimmt werden und ihre Haltung, auch wenn sie der des Bundestages entspricht, nicht durchsetzen.235 In seiner Entscheidung zum Vertrag von Maastricht236 hat das Bundesver­ fassungsgericht Mehrheitsentscheidungen auf europäischer Ebene und damit die Möglichkeit, dass die Ausübung von Hoheitsbefugnissen in den Mit­ gliedstaaten nicht notwendig vom Willen der betroffenen Mitgliedstaaten abhängt, als zulässig angesehen. Die demokratische Legitimation von Mehr­ heitsentscheidungen liege in den nationalen Zustimmungsgesetzen zu den europäischen Verträgen, die nicht nur Hoheitsrechte übertragen, sondern auch die Mehrheitsentscheidungen in bestimmten Fällen zulassen. Bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf eine supranationale Union handele es sich um die Auswirkung einer freiwilligen Selbstbindung.237 Die Grenze der Mehrheitsentscheidungen finde sich jedoch in den Verfassungsprinzipien und elementaren Interessen der Mitgliedstaaten.238 234  Nach Art. 16 Abs. 4 EUV gelten ab 01.11.2014 weiter differenzierte Regelun­ gen zur Berechnung der qualifizierten Mehrheit im Rat, für die insbesondere das demographische Element (Mehrheit von 65 % der Gesamtbevölkerung der Union) von Bedeutung ist. 235  Geht es bei der Abstimmung um einen Rechtsetzungsakt und hat der Bundes­ tag dazu nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 GG i. V. m. § 8 Abs. 4 Satz 1 (alt § 9 Abs. 4 Satz 1) EUZBBG eine Stellungnahme abgegeben, deren wesentliche Belange nicht durchsetzbar sind, muss die Bundesregierung im Rat allerdings einen Parlamentsvor­ behalt einlegen, der die Abstimmung verzögern kann. 236  BVerfGE 89, 155 – Maastricht. 237  Vgl. zu diesem Gedanken: Kaufmann, Europäische Integration und Demokra­ tieprinzip, 1997, S. 463. 238  Zur ganzen Argumentationslinie vgl. BVerfGE 89, 155, 183, AbsNr. 94 – Maastricht.



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Auch wenn demnach Mehrheitsentscheidungen in der bisherigen Ausge­ staltung im europäischen Primärrecht verfassungsrechtlich zulässig sind, bedeutet doch jede Ausdehnung des Anwendungsbereichs für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen einen (weiteren) potentiellen Verlust von Mitwir­ kungs- und Einflussmöglichkeiten für die nationalen Parlamente und damit auch den Bundestag.239 Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Mehr­ heitsentscheidungen im Rat von zuvor 137 Politikbereichen auf 181 Politik­ bereiche ausgedehnt.240 Allerdings sind die Verhandlungsmechanismen in der Praxis des Rates stark von Kooperation, Kompromiss und Konsens geprägt. So wird häufig, auch wenn eine Mehrheitsentscheidung möglich wäre, versucht, eine Kon­ sensentscheidung herbeizuführen. Die Verhandlungen im Rat zeichnen sich durch die Suche nach einem tragfähigen Kompromiss für möglichst alle Mitgliedstaaten aus.241 Allerdings bedeutet die Suche nach einem Kompro­ miss, dass die Regierungen über einen großen Verhandlungsspielraum ver­ fügen und gegebenenfalls von den Vorgaben ihrer Parlamente zugunsten eines Kompromisses abweichen müssen. Dennoch haben die deutschen Vertreter im Rat bei einem Kompromiss größere Einflussmöglichkeiten auf den Inhalt des Beschlusses, als wenn sie auf der deutschen Position behar­ ren und letztlich überstimmt werden. Auch wenn Deutschland im Rat bei der Beschlussfassung über einen Rechtsetzungsakt überstimmt wird, erhält dieser in Deutschland Rechtsgültigkeit, ohne dass die deutsche Bundesregie­ rung, der Bundestag oder der Bundesrat auf dessen Inhalt Einfluss gehabt hätten. Die aktuelle von der Suche nach Kompromissen geprägte Praxis im Rat gibt daher den Mitgliedstaaten und indirekt ihren Parlamenten bessere 239  Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäi­ schen Union, 2012, S. 67; Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprin­ zip, 1997, S. 462 ff.; Maurer, Mehrebenenparlamentarismus – Konzeptionelle und empirische Fragen zu den Funktionen von Parlamenten nach dem Vertrag von Lis­ sabon, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 43, 45. 240  Die Zahlen wurden vom Centrum für Europäische Politik – CEP, zusammen­ gestellt. Übersicht: Wesentliche institutionelle Änderungen durch den Vertrag von Lissabon, S. 2. Das Dokument ist im Internet aufrufbar unter: http://www.cep.eu / file admin / user_upload / Kurzanalysen / Vergleich_Reformvertrag_-_Vertrag_von_Nizza__Verfassung / Institutionelle_Aenderungen.pdf. Die weiteren Politikbereiche, über die im Rat nunmehr auch in Mehrheitsent­ scheidungen beschlossenen werden kann, umfassen insbesondere Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit, Gemeinsame Verkehrspolitik, Asyl, Aufnahme und Aus­ übung selbständiger Tätigkeiten, Kontrolle an Außengrenzen sowie diplomatischer und konsularischer Schutz. 241  Zu dieser Praxis im Rat ausführlich: Dann, Parlamente im Exekutivföderalis­ mus, 2004, S. 99 ff.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

Einflussmöglichkeiten im Vergleich mit einer eher konfrontativen Verhand­ lungspraxis, in der es ständig zu Mehrheitsentscheidungen kommt.242 4. Politisch nicht gewollte Einengung des Verhandlungsspielraumes der Regierung Eine selbst auferlegte inhaltliche Grenze besteht auch dann, wenn der Bundestag von einer Stellungnahme gänzlich oder jedenfalls von einer strik­ ten Vorgabe durch entsprechende Formulierungen in einer Stellungnahme absieht, um den Verhandlungsspielraum der Bundesregierung möglichst of­ fen zu halten.243 Die europapolitische Auffassung im Bundestag ging in der 17. Wahlperiode fraktionsübergreifend dahin, dass die Regierung nicht zu sehr an die Stellungnahmen des Bundestages gebunden sein sollte, um eine flexible Reaktion auf die europäischen Verhandlungen zu ermöglichen und das für Deutschland beste Verhandlungsergebnis erzielen zu können.244 Der Bundesregierung soll die Möglichkeit erhalten bleiben, einen politischen Kompromiss im Rat verhandeln zu können. Oft wird auf europäischer Ebe­ ne wechselseitig auf besonders starke politische Forderungen der nationalen Bevölkerungen oder der Parlamente, die nationalen Rechtsordnungen oder Entscheidungen der Verfassungsgerichte Rücksicht genommen. Um einem Mitgliedstaat erhebliche politische Schwierigkeiten auf nationaler Ebene zu ersparen, geben Vertreter anderer Mitgliedstaaten, die unter weniger politi­ schem Druck stehen, zum Teil ihre Positionen auf. Dies geschieht aber unter dem ausdrücklichen oder auch unausgesprochenen Vorbehalt, dass der begünstigte Mitgliedstaat ebenfalls nachgibt, wenn ein anderes Land in ei­ nem anderen Fall unter vergleichbarem Druck steht („package deal“). Sol­ che und ähnliche Entwicklungen sind in den Verhandlungen nicht immer vorhersehbar und können daher in die Stellungnahmen der nationalen Par­ lamente nicht einbezogen werden. Soll in dieser Situation dennoch eine Entscheidung herbeigeführt werden, dürfen die nationalen Regierungen 242  So im Ergebnis wohl auch Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, 2012, S. 68. 243  Vgl. dazu auch: Brok, Impulsreferat aus der Europaperspektive, in: Baus / Bor­ chard / Gelinsky / Krings (Hrsg.), Die Finanzkrise als juristische Zeitenwende? Zur Zukunft von europäischer Integration und Grundgesetz, 7. Berliner Rechtspolitische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, 2012, S. 59, 64. 244  Vgl. den Entwurf aller Fraktionen des 17. Deutschen Bundestages zu einem neuen EUZBBG vom 19.03.2013; BT-Drs. 17 / 12816, S. 11 (Begründung zu § 8 EUZBBG n. F.), nach dem die Regelungen über Stellungnahme im Wesentlichen gleichbleiben und keine stärkere inhaltliche Bindungswirkung erzielt werden soll, sondern nur die Berücksichtigungspflicht der Bundesregierung noch einmal betont wird.



III. Die Grenzen der europapolitischen Kommunikation283

nicht (politisch) an starre Vorgaben ihrer Parlamente gebunden sein.245 Die­ se politische Zurückhaltung des Parlaments gilt im Übrigen nicht nur für den Deutschen Bundestag. Auch die nationalen Parlamente, die streng bin­ dende Mandate gegenüber ihrer Regierung erteilen könnten, wie der däni­ sche Folketing oder der österreichische Nationalrat, geben solche nur sehr selten ab, um die Verhandlungsposition ihrer Regierung nicht zu stark ein­ zuengen.246 Soll eine starke Bindung nicht oder jedenfalls in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle durch eine parlamentarische Stellungnahme nicht erfolgen, bedeutet dies jedoch gleichzeitig, dass dort, wo der Bundesregierung politi­ sche Flexibilität eingeräumt wird, die Einflussnahme des Bundestages an ihre Grenze stößt. Damit verläuft die Grenze der europapolitischen Kommu­ nikation des Bundestages gegenüber der Bundesregierung entlang des Fle­ xibilitätsrahmens, der der Bundesregierung durch die normativen Vorga­ ben247 einerseits und durch die inhaltlichen Vorgaben einer Stellungnahme andererseits eingeräumt ist. Dies gilt jedenfalls für die offizielle europapo­ litische Kommunikation in der Form der Stellungnahme. Gerade die Regie­ rungsfraktionen des Bundestages können freilich über andere Wege, z. B. durch Vorgaben, die sie ihrem Minister in fraktionsinternen Arbeitsgruppen­ sitzungen machen, erheblichen Einfluss auf die Regierung ausüben,248 der die gerade dargestellte Grenze faktisch überschreitet. In welchem Umfang und mit welchem Erfolg über diese Wege jedoch Einfluss auf die europäi­ schen Entscheidungen genommen wird, ist schwer messbar. Dennoch ist davon auszugehen, dass damit in Einzelfällen eine erhebliche Einengung eines Regierungsvertreters im Rat durch Mitglieder des Deutschen Bundes­ tages – offiziell unbemerkt – erfolgen kann.

245  Daher sieht auch § 8 Abs. 4 EUZBBG vor, dass die Bundesregierung nur dann einen Parlamentsvorbehalt einlegen muss, wenn die Stellungnahme des Bundestages in einem ihrer „wesentlichen Belange“ nicht durchsetzbar ist. 246  Klein, Die Macht des Bundestages, ZG 2012, 209, 222; Calliess, Nach dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Parlamentarische Integrationsverant­ wortung auf europäischer und nationaler Ebene, ZG 2010, 1, 22 ff.; Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: Bogdandy / Bast (Hrsg.), Europäisches Verfas­ sungsrecht, 2009, S. 121, 157; Mayer, M., Die Europafunktion der nationalen Parla­ mente in der Europäischen Union, 2012, S. 427 (Österreich) und S. 194 (Dänemark); Auel, Democratic Accountability and National Parliaments: Redefining the Impact of Parliamentary Scrutiny in EU Affairs, European Law Journal 2007, 487, 493. 247  Art. 23 Abs. 3 Satz 2 GG, § 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 EUZBBG. 248  Auel / Benz, The politics of adaptation: The Europeanisation of national parli­ amentary systems, The Journal of Legislative Studies 2005, 372, 386; vgl dazu auch oben S.  169 f.

284

C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

IV. Jenseits der Kommunikationsgrenzen: Parlamentarisches Vertrauen und nachträgliche Kontrolle Jenseits der Kommunikationsgrenzen ist es dem Bundestag und seinen Mitgliedern – jedenfalls durch formale parlamentarische Instrumente – nicht möglich, auf die Regierung im Vorfeld europapolitischer Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Der Bundestag muss in diesem Bereich die Handlun­ gen der Regierung zunächst einmal akzeptieren. Dafür spielt nicht nur die im Grundgesetz festgelegte Staatsorganisation, sondern vor allem das grundlegende politische Vertrauen der Mitglieder des Bundestages – auch der Mitglieder der Oppositionsfraktionen – in die Bundesregierung eine entscheidende Rolle. Die Mitglieder des Bundestages vertrauen darauf, dass die Bundesregierung keine grundlegend falschen, den Interessen der Bun­ desrepublik Deutschland gänzlich entgegenstehenden Entscheidungen trifft. Dieses parlamentarische Vertrauen stützt sich nicht zuletzt auf die Stabilität des politischen Regierungssystems der Bundesrepublik Deutschland, wie es auch von den Vertrauensregeln des Grundgesetzes flankiert wird (dazu un­ ten 1.). Im Übrigen obliegt dem Bundestag auch dann, wenn ihm aufgrund der Kommunikationsgrenzen eine effektive Einflussnahme auf die deutsche Europapolitik nicht möglich ist, stets die nachträgliche Kontrolle des Regie­ rungshandelns (dazu unten 2.). Im Rahmen des Politikbereichs „Europapolitik“ kommen dem Bundestag somit drei Aufgaben zu: Die spezifische europapolitischen Kommunikation (Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG) im Vorfeld von Entscheidungen auf europäi­ scher Ebene,249 die Akzeptanz der Regierungsentscheidungen in Form des europapolitischen Vertrauens außerhalb seines Einflussbereiches und der nachträglichen Regierungskontrolle. 1. Parlamentarisches Vertrauen Im Grundgesetz hat das parlamentarische Vertrauen in zwei Fällen beson­ dere Bedeutung. Zum einen kann der Bundestag dem Bundeskanzler das Vertrauen dadurch entziehen, dass er einen neuen Bundeskanzler wählt und den Bundespräsidenten bittet, den abgewählten Bundeskanzler zu entlassen (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG – konstruktives Misstrauensvotum). Zum anderen kann der Bundeskanzler in einer Vertrauensfrage um die Bestätigung des parlamentarischen Vertrauens bitten. Beantwortet der Bundestag diese Ver­ trauensfrage negativ, wählt aber auch keinen Nachfolger, kann der Bundes­ präsident den Bundestag auflösen (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG).250 Diesen 249  Siehe

dazu oben S. 247.



IV. Parlamentarisches Vertrauen und nachträgliche Kontrolle285

Regelungen liegt der Gedanke zugrunde, dass die Regierung stets das Ver­ trauen jedenfalls der Mehrheit des Bundestages haben muss.251 Die Auflö­ sung des Bundestages darf allerdings nur dann erfolgen, wenn die Bundes­ regierung auch tatsächlich nicht mehr über das „stetige Vertrauen der Mehrheit“ des Bundestages verfügt.252 In diesem Zusammenhang geht es somit nur um das Vertrauen der Mehrheit und nicht des gesamten Bundes­ tages in die Regierung. Das Vertrauen der Mehrheit des Bundestages trägt die Bundesregierung und legitimiert so auch ihre europapolitischen Ent­ scheidungen, auf die der Bundestag im Vorfeld keinen Einfluss hat. 250

Die Oppositionsfraktionen des Bundestages müssen die Mehrheitsentschei­ dungen des Bundestages und der Bundesregierung zunächst akzeptieren, da ihnen die Möglichkeit fehlt, die Entscheidungen selbst nach ihren Vorstellun­ gen zu treffen.253 Dies gilt sowohl für europapolitische Entscheidungen, auf die der Bundestag im Vorfeld Einfluss nehmen kann, als auch für den Bereich außerhalb der Kommunikationsgrenzen des Bundestages. In der politischen Praxis vertrauen auch die Oppositionsfraktionen darauf, dass die Bundesre­ gierung keine Entscheidungen trifft und Handlungen vornimmt, die der Bun­ desrepublik Deutschland grundlegend schaden können. So muss die Oppositi­ on z. B. bei hochkomplexen Sachverhalten, in denen der Bundestag nicht über die Ressourcen verfügt, die Entscheidung selbst vorzunehmen, darauf vertrau­ en, dass die Fachministerien diese Aufgaben fachlich richtig, jedenfalls inner­ halb der grundgesetzlichen Vorgaben, wahrnehmen. Sollte doch eine Ent­ scheidung getroffen werden, die den Interessen der Bundesrepublik Deutsch­ land widerspricht oder sogar gegen verfassungsrechtliche oder einfachgesetz­ liche Vorgaben verstößt, hat eine Minderheit von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages254 die Möglichkeit, zur Aufklärung dieses Sachverhaltes ei­ nen Untersuchungsausschuss einzusetzen (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 GG). 250  Vgl. zur verfassungsrechtlichen Bedeutung dieses Begriffes in diesem Zusam­ menhang: Schenke, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 124. Ergänzungsliefe­ rung (Stand: September 2006), Art. 68 Rdnr. 62 ff. 251  Mager, in: von Münch / Kunig, Grundgesetz Kommentar, Band 1, 6. Auflage 2012, Art. 67 Rdnr. 1. Die Weimarer Reichsverfassung sah dies in Art. 54 Satz 1 ausdrücklich vor: „Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung das Vertrauen des Reichstags.“ 252  BVerfGE 62, 1 Ls. 6 und 8a, Seite 37 ff., AbsNr. 108, 119 – Vertrauensfrage I; BVerfGE 114, 121, AbsNr. 135 ff. sowie Ls. 2 – Vertrauensfrage III. 253  Vgl. zur Macht der Mehrheit des Bundestages oben S. 43 ff. 254  In der 18. Wahlperiode, in der die Regierung von einer Großen Koalition aus den Fraktionen bzw. Parteien der CDU / CSU und SPD gebildet wird, stellen die ver­ bleibenden Oppositionsfraktionen (Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke) allerdings nicht ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Daher wurde für die 18. WP in § 126a Abs. 1 Nr. 1 GO-BT geregelt, dass der Bundestag einen Untersuchungsaus­ schuss einsetzen muss, wenn 120 seiner Mitglieder dies beantragen.

286

C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

Dies darf aber nicht zu einem politischen „Trick“ führen. Schwierige Ent­ scheidungen dürfen nicht nur deshalb der Bundesregierung überlassen blei­ ben, um die Entscheidung und die Verantwortung für ihre Folgen auf die Regierung abzuwälzen. Wenn der Bundestag im Vorfeld keinen Einfluss auf europapolitische Entscheidungen nehmen kann, dann trägt er für die Ent­ scheidung auch nicht die Verantwortung. Dies kann insbesondere ein politi­ sches Kampfmittel der Opposition sein, um die Regierung und damit auch die Regierungsfraktionen vor der Öffentlichkeit (im Nachhinein) „anklagen“ zu können. Die mit den Kommunikationsgrenzen einhergehende Verantwor­ tungsfreistellung der Parlamentarier gilt nur außerhalb dieser Grenzen. So­ weit es dem Bundestag möglich ist, Einfluss auf die Bundesregierung zu neh­ men, wird er nicht von der Verantwortung für eine europapolitische Entschei­ dung der Bundesregierung dadurch frei, dass er diesen Einfluss nicht ausübt. Trotz dieser Einschränkung bleibt parlamentarisches Vertrauen systemnot­ wendige Bedingung für eine Teilhabe Deutschlands an der europäischen Integration.255 Allerdings bedarf es auch in diesem Bereich stets der (nach­ träglichen) Regierungskontrolle durch den Bundestag. 2. Nachträgliche Kontrolle Außerhalb der Kommunikationsgrenzen kann der Bundestag die europa­ politischen Entscheidungen und Handlungen der Bundesregierung nur im Nachhinein kontrollieren. Dafür stehen dem Bundestag und seinen Mitglie­ dern die klassischen parlamentarischen Kontrollinstrumente zur Verfü­ gung.256 Bei Gesetzgebungsakten der Union besteht die besondere nachträg­ liche Kontrolle in der Prüfung, ob diese mit den Grundsätzen der Subsi­ diarität vereinbar sind. Die „klassischen“ Kontrollinstrumente wurden vom Bundestag in den letzten Jahren im europapolitischen Bereich stärker genutzt. In den ersten 15 Monaten der 17. Wahlperiode wurden insgesamt 875 schriftliche, münd­ liche, Kleine oder Große Anfragen gestellt, so dass dieser Politikbereich mittlerweile einen wichtigen Schwerpunkt des parlamentarischen Frage­ rechts ausmacht.257 Dennoch steht der Bundestag dabei vor vergleichbaren 255  Ebenso, allerdings auf das parlamentarische Vertrauen in die Ministerialbüro­ kratie abstellend: Kropp, Information und Kontrolle im Deutschen Bundestag. Exe­ kutive und regierungstragende Fraktionen in europäisierten Fachpolitiken, in: Eber­ bach-Born / Kropp / Stuchlik / ders. (Hrsg.), Parlamentarische Kontrolle und Europäi­ sche Union, 2013, S. 181, 199. 256  Vgl. dazu oben Kapitel A., Fn. 95. 257  Mit genauen Zahlen zu den europapolitischen Kontrollmaßnahmen des Bun­ destages: Vollrath, Herausforderung bei der Umsetzung der neuen Rechte nach dem



IV. Parlamentarisches Vertrauen und nachträgliche Kontrolle287

Problemen wie bei der Einflussnahme auf die Bundesregierung im Vorfeld einer europapolitischen Entscheidung. Geht es um hochkomplexe Sachver­ halte, wird der Bundestag auch im Nachhinein nicht ohne Schwierigkeiten die getroffene Entscheidung überprüfen können. Bei Mehrheitsentscheidun­ gen im Rat, in denen der Regierungsvertreter der Bundesrepublik Deutsch­ land unterlegen ist, kann der Bundestag die Bundesregierung für die Ent­ scheidung zudem nicht verantwortlich machen. Wollte der Bundestag die Bundesregierung bewusst nicht in ihrem Verhandlungsspielraum einengen und hat daher eine offen gefasste Stellungnahme abgegeben, so kann er der Regierung eine Entscheidung nicht vorwerfen, die sich innerhalb der weiten Grenzen der Stellungnahme und der verfassungsmäßigen Ordnung bewegt. Dies führt allerdings für die Abgabe von Stellungnahmen zu der Frage, ob die Bundesregierung auch dann von ihrer Verantwortung für eine auf Unionsebene (im Rat) getroffene Entscheidung gegenüber dem Bundestag frei wird, wenn der Bundestag zwar die Möglichkeit hatte, eine Stellung­ nahme abzugeben, davon jedoch keinen Gebrauch gemacht hat.258 Mit an­ deren Worten: Lässt der Bundestag der Bundesregierung, wenn er keinen formellen Einfluss auf sie nimmt, freie Hand für die Entscheidungen auf Unionsebene? Dies ist nicht der Fall, da parlamentarisches Schweigen nicht bedeutet, dass die Bundesregierung von ihrer Verantwortung frei wird. An­ dernfalls wäre der Bundestag gezwungen, zu jedem europapolitischen Dos­ sier eine Stellungnahme abzugeben, um die Bundesregierung verantwortlich zu halten. Eine solche Pflicht besteht jedoch gerade nicht und wäre organi­ satorisch im Bundestag auch nicht umsetzbar. Dies führt zu der ungewöhn­ lichen Situation, dass der Bundestag dann, wenn er eine Stellungnahme abgibt, der Bundregierung ihre Verantwortung gegenüber dem Bundestag abnimmt, jedenfalls soweit sie im Rahmen seiner Vorgaben handelt. Gibt der Bundestag hingegen keine Stellungnahme ab, bleibt die Bundesregie­ rung auch gegenüber dem Bundestag voll verantwortlich. Daraus darf auch in diesem Bereich nicht der politische Reflex entstehen, besser keine Stel­ Vertrag von Lissabon durch den Deutschen Bundestag und die Begleitgesetzgebung, in: Abels / Eppler (Hrsg.), Auf dem Weg zum Mehrebenenparlamentarismus, 2011, S. 177, 184 f.; ebenso mit neueren Zahlen Risse, Haben sich die Beteiligungsverfah­ ren nach Art. 23 GG bewährt?, in: Hill / Sommermann / Wieland / Ziekow (Hrsg.), Brauchen wir eine Verfassung? Zur Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes, 2014, S. 183, 195. 258  Im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Vertrauen (oben S. 284  f.) wurde soeben dargestellt, dass der Bundestag von seiner eigenen Verantwortung für die europäischen Entwicklungen nicht frei wird, wenn er darauf zwar Einfluss neh­ men kann, dies jedoch unterlässt, um die politische Verantwortung der Bundesregie­ rung zuzuschieben. Im Unterschied dazu geht es hier um die Frage, ob die Bundes­ regierung von ihrer Verantwortung gegenüber dem Bundestag frei wird, wenn dieser von einer möglichen Einflussnahme (Stellungnahme) absieht.

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C. Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation

lungnahme abzugeben, um die Regierung weiter in der Verantwortung zu halten. Bedeutender als die Möglichkeit der nachträglichen Anklage ist der Einfluss des Bundestages im Vorfeld einer europapolitischen Entscheidung, der durch die Abgabe einer Stellungnahme ausgeübt werden kann. Im Üb­ rigen würde eine solche Haltung des Bundestages auch gegen das Konzept der Integrationsverantwortung und seine verfassungsrechtliche Mitwirkungs­ pflicht verstoßen, die dem Bundestag gerade die aktive Mitwirkung bei der nationalen europapolitischen Willensbildung abverlangen.259 Im Ergebnis spielt damit auch die nachträgliche Kontrolle der Bundesre­ gierung in der Europapolitik eine erhebliche Rolle. Die Kreation der Regie­ rung ist in Deutschland nach der Konstituierung des Bundestages auf einen einzigen Tag beschränkt260 und kann nur durch das scharfe Schwert des konstruktiven Misstrauensvotums (Art. 67 Abs. 1 GG) verändert werden. Das Verhalten eines Regierungsvertreters wird bei der Schaffung von Se­ kundärrecht in der Regel keine solche Verfassungskrise auslösen. Die Be­ stimmung über die demokratischen Grundsätze der Union (Art. 10 Abs. 2 UAbs. 2 EUV) betont daher zu Recht, dass die nationalen Regierungen ihren Parlamenten gegenüber Rechenschaft ablegen müssen (Ex-post-Kontrolle). Allerdings bleiben die Entscheidungen der Regierungsvertreter wirksam, auch wenn sie von dem jeweiligen nationalen Parlament nicht gebilligt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine etwaige Subsidiaritätsrüge und -klage gegen einen Rechtsetzungsakt der Union, die von mitgliedstaatlichen Parlamenten erhoben wird, erfolglos bleibt. Die nationalen Parlamente kön­ nen somit durch die nachträgliche Kontrolle nur im Hinblick auf ihre Dis­ ziplinierungsfunktion für zukünftige Fälle261 auf die Gestaltung des Sekun­ därrechts Einfluss nehmen.262

259  Vgl. dazu oben S. 48  ff. (Integrationsverantwortung) sowie S. 242 ff. (Mit­ wirkungspflicht). 260  Hier ist allerdings zu beachten, dass die demokratische Legitimation des Bun­ deskanzlers in Deutschland aufgrund der Struktur des Bundestagswahlkampfes hoch ist. Der Bundestagswahlkampf wird so geführt, dass die Person des möglichen Bun­ deskanzlers – jedenfalls von den großen Parteien – in das Zentrum gerückt wird. Da die Mehrheitsfraktionen des Bundestages diese zuvor als möglicher Bundeskanzler vorgestellte Person bisher auch immer in dieses Amt gewählt haben, wählen die Bürger indirekt den Bundeskanzler, soweit diese Abläufe auch weiterhin eingehalten werden. Vgl. dazu Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, Berlin, 1979, S. 103 ff. und S. 229. 261  Die nachträgliche Kontrolle kann allenfalls die Regierung anhalten, in Zu­ kunft die Position des Parlaments stärker zu berücksichtigen. 262  So auch: Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 bis 7 GG, 1997, S. 279.

Schluss Die europäischen Regierungen müssen „ihre Parlamente“ nicht zur Zu­ rückhaltung erziehen.1 Wäre diese Sichtweise zutreffend, bliebe die Legi­ timationskraft des Deutschen Bundestages nicht nur für die Handlungen der Bundesregierung in den europäischen Organen, sondern auch für die Union weitgehend ungenutzt. Dabei sind Bundesregierung und Bundestag auf dem richtigen Weg, eine effektive europapolitische Kommunikation zu schaffen. Der Ausbau der Organisationseinheiten, die Novellierung des EUZBBG im Jahr 2013 sowie das erkennbare Bemühen der Bundesregierung, den Bun­ destag in wichtige europäische Entscheidungen einzubeziehen, zeigen, dass beide Seiten die verfassungsrechtliche Dimension der europapolitischen Kommunikation in der 17. Wahlperiode verstanden haben. Mit der 18. Wahlperiode des Bundestages haben sich die Mehrheitsver­ hältnisse mit der Großen Koalition aus CDU / CSU und SPD grundlegend geändert. Die Bundesregierung und die Regierungsfraktionen treffen auf eine Opposition, die weniger als ein Viertel der Mitglieder des Bundestages stellt.2 Allerdings wurden die Minderheitenrechte in europapolitischen Angelegenheiten an die geringere Anzahl der Stimmen der Opposition angepasst,3 so dass die Opposition jedenfalls insoweit in der 18. Wahlpe­ riode nicht schlechter gestellt ist. Allerdings lag der Schwerpunkt der deut­ schen Politik in den ersten zehn Monaten der 18. Wahlperiode – neben der Umsetzung verschiedener innenpolitischer Vorhaben in der Folge des Koa­ litionsvertrags – vor allem bei außenpolitisch geprägten Themen wie die Ukraine-Krise oder Waffenlieferungen an sogenannte „Peschmerga“-Kämp­ fer im Nord-Irak. Daneben kam es nur zu wenigen europapolitischen Äuße­ rungen des Bundestages, wobei er sich allerdings des wichtigen Themas der geplanten Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft doch noch an­ genommen hat. Neue Ideen, wie sich der Bundestag stärker auf die bedeu­ tenden europapolitischen Vorhaben konzentrieren und zu einer eigenständi­ geren europapolitischen Kommunikation gegenüber der Bundesregierung finden könnte, wurden jedoch auch zu Beginn der 18. Wahlperiode nicht entwickelt. 1  Vgl. zu der entsprechenden Aussage des damaligen italienischen Ministerprä­ sidenten, Mario Monti, im Sommer 2012 oben S. 15. 2  Siehe dazu die Rolle der Opposition, oben S. 43 ff. 3  Vgl. dazu oben S. 47 f.

290 Schluss

Die verschiedenen offenen Einzelfragen und Probleme bei der Unterrich­ tungspraxis werden entweder in Zukunft gelöst oder es finden sich geeigne­ te Alternativen. Dafür steht schon ein erheblicher Ehrgeiz auf Seiten der Bundestagsverwaltung, den Mitgliedern des Bundestages eine ausreichende und geeignete Entscheidungsgrundlage erarbeiten zu können. Es bleiben zwei grundlegende Aspekte offen, die die Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesregierung in Zukunft stärker prägen müssen. Zum einen müssen sich die beiden Verfassungsorgane ihrer gemeinsamen Verantwortung stär­ ker bewusst werden. Sie sollten sich als zwei gleichberechtigte Partner verstehen, die nur durch eine Zusammenarbeit auf „Augenhöhe“ die weite­ ren europäischen Entwicklungen zielgerichtet begleiten können. Auch wenn die Bundesregierung die nationale Europapolitik steuert, benötigt sie – wie der Kapitän eines Flugzeugs die Fluglotsen zur Bestimmung der Route und für die Verbindung mit dem Boden benötigt – den Bundestag, um die poli­ tische Route mit ihm abzustimmen und die Verbindung zur Bevölkerung herzustellen. Zum anderen muss aber auch der Bundestag zusätzliche orga­ nisatorische Maßnahmen ergreifen, um seiner Funktion als „Lotse“ besser gerecht werden zu können. Dabei wird es in der Zukunft vor allem darauf ankommen, dass sich der Bundestag auf die politisch bedeutenden europäi­ schen Vorhaben konzentriert. Selbst wenn in Zukunft einer der vielen Vorschläge, wie das Konzept der demokratischen Legitimation der Union verbessert und umgestaltet werden könnte, umgesetzt werden sollte, wird die Zusammenarbeit von Bundesre­ gierung und Bundestag weiter benötigt.4 Aufgrund der Strukturen in wohl allen Nationalstaaten der Union sind es einstweilen die nationalen Parla­ mente, die die Brücke zwischen der Union und der Bevölkerung herstellen. Die Wahlen zum Europäischen Parlament erhalten in der Bevölkerung nicht die Resonanz, die eine demokratische Beziehung zwischen Volk und seinen Vertretern ausmacht. Darüber hinaus kann auch dann nicht auf die Legiti­ mationskraft der nationalen Parlamente verzichtet werden, wenn eine Ver­ tretung der nationalen Parlamente auf europäischer Ebene („zweite Kam­ mer“) eingerichtet würde. Die aus den Mitgliedstaaten abgeleitete demokra­ tische Legitimation der Union kann nur in den nationalen Parlamenten selbst ihren Ursprung haben. Es mag möglich sein, dass die Verbindung des Bundestages zu den europäischen Organen durch eine solche zweite Kam­ mer gestärkt wird, aber es führt nicht zu einer Entlastung der nationalen Parlamente. Sie können sich nicht „zurücklehnen“ und die europäischen 4  Landau, Auf dem Weg zum europäischen Bundestaat?, in: Baus / Borchard / Ge­ linsky / Krings (Hrsg.), Die Finanzkrise als juristische Zeitenwende? Zur Zukunft von europäischer Integration und Grundgesetz, 7. Berliner Rechtspolitische Konferenz der Konrad Adenauer Stiftung, 2012, S. 39, 47.

Schluss291

Entwicklungen von den jeweiligen Parlamentssitzen aus wie Unbeteiligte beobachten. Von verschiedenen Seiten wird der Bundesrepublik Deutschland vorge­ worfen, sich gerade im Rahmen der Finanz- und Staatsschuldenkrise zu wenig für Europa zu engagieren.5 Ob dies (politisch) zutrifft, kann dahin­ stehen. Fest steht jedoch, dass jedes weitere Engagement zunächst der Vor­ aussetzung unterliegt, dass der Bundestag dem nicht nur zustimmt, sondern auch normativ und organisatorisch in der Lage ist, die neuen Entwicklungen durch effektive Mitwirkung zu begleiten.6 Die Entwicklungen in der Ver­ gangenheit ließen oft vermuten, dass die integrationspolitischen Maßnah­ men, vor allem zur Abwendung der Finanz- und Staatsschuldendkrise, auf Unionsebene und intergouvernemental vereinbart wurden, ohne dass diese Voraussetzung im Vorfeld erfüllt wurde. Der Bundestag lief diesen Entwick­ lungen normativ und organisatorisch „hinterher“. Die effektive Ausgestal­ tung korrespondierender Beteiligungsrechte und innerparlamentarischer Verfahren konnten oft nur mithilfe des Bundesverfassungsgerichts7 durch­ gesetzt werden. Für das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Bundes­ tag wäre es ein großer Fortschritt, wenn über die Einbeziehung des Bundes­ tages in ein neues europäisches Vorhaben oder größeres Engagement zu­ nächst nachgedacht und korrespondierende Mitwirkungsrechte vorgesehen würden, bevor auf europäischer Ebene abschließende Entscheidungen ge­ troffen werden. Dies ist nicht nur eine Aufgabe der Bundesregierung. Auch 5  Vgl. etwa die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck beim Festakt zum Tag der deutschen Einheit in Stuttgart am 03.10.2013, Redemanuskript S. 6 f., (im Internet aufrufbar unter: http://www.bundespraesident.de / SharedDocs / Reden / DE / Jo achim-Gauck / Reden / 2013 / 02 / 130222-Europa.htm); Special Report on Germany, Magazin „The Economist“, vom 15.07.2013 (Volume 407, Number 8840), nach S. 42, insbesondere den Artikel von Beddoes, „Europe’s reluctant hegemon“, Special Report, S.  3 ff. 6  Im Ergebnis ähnlich: Ruffert, Mehr Europa – eine rechtswissenschaftliche Perspektive, ZG 2013, 1, 11 f.; Ruppert, Der „Sixpack“ in der Hand des Monarchen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.12.2011, S. 8. 7  Schon die Begleitgesetzgebung zum Lissabon-Vertrag musste aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angepasst und die Mitwirkungsrechte des Bundestages erweitert werden (BVerfGE 123, 267, 387 ff., AbsNr. 313 ff. – Lis­ sabon). Zu diesen Fällen gehört auch der Zustimmungsvorbehalt zu Gunsten des Haushaltsausschusses, bevor die Bundesregierung Gewährleistungen im Rahmen des Europäischen Finanzstabilitätsmechanismus übernimmt, der zunächst nicht vorgese­ hen war und den das Bundesverfassungsgericht im September 2011 einführte (BVerfGE 129, 124, 185 f., AbsNr. 141 – Griechenland-Hilfe / Euro-Rettungsschirm). Genauso musste erst das Bundesverfassungsgericht klarstellen, dass auch Vorhaben auf intergouvernementaler Basis (die in einem Näheverhältnis zur Union stehen) wie der Europäische Stabilitätsmechanismus „Angelegenheiten der Europäischen Union“ sind, über die die Bundesregierung unterrichten muss (BVerfGE 131, 152 – parla­ mentarische Informationsrechte).

292 Schluss

der Bundestag sollte entsprechende Zustimmungsgesetze nicht beschließen, ohne zuvor seine Rechte ausreichend gesichert und die notwendigen inner­ parlamentarischen Verfahrensschritte zu ihrer Wahrnehmung auf den Weg gebracht zu haben. Eine andere starke Strömung in der europäischen Politik der Mitgliedstaa­ ten geht unübersehbar dahin, Kompetenzen der Union den Mitgliedstaaten wieder zurückzugeben.8 Die niederländische Regierung veröffentlichte eine Liste, die unter anderem eine Reihe von europäischen Vorhaben nennt, die nach ihrer Auffassung besser auf nationaler Ebene geregelt werden sollten. Sie führt dazu aus: „NL government is convinced that the time of an ‚ever closer union‘ in every possible policy area is behind us.“9 Sollte sich diese Strömung durchsetzen, könnte dies zu einer echten (natio­ nalen) Reparlamentarisierung der rückübertragenen Politikbereiche führen. Die europapolitische Kommunikation würde so in ihrem Umfang entspre­ chend eingeschränkt. Dies kann in den nationalen Parlamenten zu zwei unter­ schiedlichen Entwicklungen führen. Es ist möglich, dass das Interesse der Parlamentarier an Europa insgesamt zurückgeht, weil nun wichtige Entschei­ dungen wieder im Nationalstaat getroffen werden. Wahrscheinlicher scheint es jedoch, dass mit einer solchen Rückübertragung das Bewusstsein geweckt wird, dass die europäische Rechtsetzung durchaus in Konkurrenz zur natio­ nalen Rechtsetzung steht. Das Subsidiaritätsprinzip erhielte – jedenfalls in den großen Mitgliedstaaten – vermutlich einen größeren Bedeutungsschub. „Nicht ohne meinen Bundestag“10 überschreibt die Frankfurter Allgemei­ ne Zeitung einen Kommentar über die eingangs wiedergegebene Äußerung 8  Europa-Rede des britischen Premierministers David Cameron vom 23.01.2013, vgl. dazu den Bericht bei Buchsteiner, „Zimmer ohne Aussicht“, in: Frankfurter All­ meinen Zeitung vom 23.01.2013, S. 3; Verfassungsblog.de, Interview mit Christian Hillgruber und Josef Isensee vom 08.02.2013, „Cameron hat völlig Recht. Wir müs­ sen über Rückbau reden“ (im Internet aufrufbar unter http://www.verfassungsblog. de / de / cameron-hat-vollig-recht-wir-mussen-uber-ruckbau-reden / #.USYFPFcUKSN). 9  Die Liste der Niederländischen Regierung „Testing European legislation for subsidiarity and proportionality – Dutch list of points for action“, Juni 2013 (im Internet veröffentlicht unter: http://www.government.nl / issues / european-union / do cuments-and-publications / notes / 2013 / 06 / 21 / nl-subsidiarity-review-explanatory-no te.html; die „NL ‚subsidiarity review‘ – explanatory note“, der das Zitat entnommen ist, ist veröffentlicht unter: http://www.government.nl / issues / european-union / docu ments-and-publications / notes / 2013 / 06 / 21 / nl-subsidiarity-review-explanatory-note. html). Vertiefend dazu das Interview mit dem niederländischen Außenminister Frans Timmermanns „Die EU muss den Menschen etwas bringen“, Süddeutsche Zeitung, 11.07.2014, S. 7. 10  Frankenberger „Nicht ohne meinen Bundestag -Schon der Anschein der Ent­ parlamentarisierung der Europapolitik ist gefährlich“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.08.2012, S. 8.

Schluss293

von Mario Monti.11 „Nicht ohne meinen Bundestag“ ist – salopp, aber eindringlich formuliert – der verfassungsrechtliche Auftrag an die deutsche Europapolitik. Damit gehen sowohl für die Bundesregierung als auch für den Bundestag Veränderungen einher, die nicht nur die demokratische Le­ gitimation deutscher und europäischer Politik stärken können, sondern auch einen Weg aufzeigen, wie in der deutschen Bevölkerung eine stärkere Re­ sonanz für die europäischen Entwicklungen und vielleicht auch ein „euro­ päisches Bewusstsein“ geschaffen werden kann. Der Bundestag spielt dabei die „demokratische Schlüsselrolle“.

11  Vgl.

dazu die Einleitung, S. 15.

Zusammenfassung in Thesen A. Die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundlagen der europapolitischen Kommunikation (1) Dem Verlust der Entscheidungsgewalt des Deutschen Bundestages durch Übertragung von Hoheitsgewalt auf die Europäische Union hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon mit dem Schutz des demokratischen Primärraums eine absolute Grenze gesetzt. Dem Bundestag müssen danach Aufgaben von substantiellem Ge­ wicht verbleiben. Das Gericht zählt die Hoheitsrechte auf, deren Kern nicht auf die Union übertragen werden darf. (2) Nach dem Demokratiekonzept der Union trägt der Bundestag zur demokratischen Legitimation nicht nur der Änderungen des unionalen Pri­ märrechts, sondern auch des Sekundärrechts bei. Das bedeutet, dass der Bundestag einerseits das Initiativ- und Letztentscheidungsrecht über das Sekundärrecht verloren hat, andererseits aber gemeinsam mit den anderen nationalen Parlamenten seine demokratische Legitimation sicherstellen soll. Der Bundestag hat jedoch weder die Möglichkeit, sich an den Entscheidun­ gen auf Unionsebene direkt zu beteiligen, noch kann er der Bundesregierung eine bestimmte Position für eine Beschlussfassung auf Unionsebene bindend vorgeben. Das Grundgesetz gewährt dem Bundestag zwar ein europapoliti­ sches Mitwirkungsrecht und skizziert eine Kommunikation von Bundesre­ gierung und Bundestag in diesem Bereich (Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG), es gibt jedoch keine Antwort auf die Frage, in welchem Maße dieses Mit­ wirkungsrecht vom Bundestag genutzt werden muss, um die demokratische Legitimation sowohl der Handlungen der Bundesregierung in den europäi­ schen Organen als auch der europäischen Organe selbst demokratisch zu legitimieren. Die Mitwirkungsrechte des Bundestages werden aus dem Blickwinkel ihrer Entstehungsgeschichte als Kompensation für die dem Bundestag entzogenen Entscheidungskompetenzen gesehen. Daher wird die Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union bisher auch „nur“ als Recht und nicht als Pflicht des Bundestages verstanden. (3)  Die europapolitische Kommunikation zwischen Bundesregierung und Bundestag besteht in der Unterrichtung des Bundestages durch die Bundes­ regierung über die europäischen Vorhaben, in dem Recht des Bundestages, vor der abschließenden Entscheidung über Rechtsetzungsakte der Union



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Stellungnahmen gegenüber der Bundesregierung abzugeben, und in der Pflicht der Bundesregierung, diese Stellungnahmen in den europäischen Verhandlungen zu berücksichtigen (Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 GG). Das Grundgesetz geht stillschweigend von der Außenvertretungskompetenz der Bundesregierung auch in Bezug auf die Angelegenheiten der Europäischen Union aus, die auch im Rahmen der Kommunikation mit dem Bundestag unberührt bleibt, da dieser allein an der nationalen Willensbildung teilhat. (4)  Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat gerade in der 17. Wahlperiode des Bundestages die entscheidenden Anstöße zur vertieften Ausgestaltung der europapolitischen Kommunikation gegeben. Noch in der 16. Wahlperiode erging die Entscheidung zum Vertrag von Lissabon (30. Ju­ ni 2009), in der das Gericht das auch für diese Kommunikation grundlegen­ de Konzept der Integrationsverantwortung entwickelte. Danach tragen Bundesregierung und Bundestag (sowie Bundesrat) die Verantwortung dafür, dass bei der Integration Deutschlands in die Union sowohl das politische System Deutschlands als auch der Union den demokratischen Grundsätzen des Grundgesetzes entspricht (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i. V. m. Art. 79 Abs. 3 GG). Dies gilt nicht nur für jede weitere Übertragung von Hoheits­ rechten auf die Union, sondern auch für die Ausübung dieser Hoheitsrechte, insbesondere die Gestaltung des Sekundärrechts durch die Union. In einer weiteren Entscheidung über den im Jahr 2010 geschaffenen vorläufigen Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (Euro-Rettungsschirm) ent­ wickelte das Gericht neben der Integrationsverantwortung auch das Konzept der Budgetverantwortung des Bundestages aus denselben verfassungsrecht­ lichen Vorgaben. Danach muss der Bundestag auch in einem supranationalen oder intergouvernementalen System die Kontrolle über grundlegende haus­ haltspolitische Entscheidungen behalten. Durch diese Konzepte betont das Bundesverfassungsgericht gezielt die Verantwortung des Bundestages für die europäischen Entwicklungen und spricht damit der europapolitischen Kommunikation maßgebliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. (5) In einer weiteren Entscheidung zu den Unterrichtungsrechten des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG) vom 19. Juni 2012 geht das Bundesverfassungsgericht diesen Weg weiter und bezieht in die Unterrichtungsrechte auch intergouvernemen­ tale Vorhaben der Regierungen der Mitgliedstaaten der Union ein, wenn diese ein Näheverhältnis zum Recht der Union aufweisen. In dieser Ent­ scheidung macht das Gericht unmissverständlich klar, dass die Regierung den Bundestag in ihre europapolitischen Entscheidungen einzubeziehen hat und den Bundestag nicht auf eine nachträgliche Kontrolle verweisen kann. Einen weiteren bedeutenden Schritt für die Unterrichtungsrechte des Bun­ destages geht das Gericht in seiner Entscheidung über den ständigen Euro­ päischen Stabilitätsmechanismus vom 12. September 2012. Es erklärt die

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parlamentarischen Unterrichtungsrechte zum unabänderlichen Kern des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG) und gibt damit diesem Kern der Kom­ munikation die höchste verfassungsrechtliche Bedeutung. (6)  In der Entscheidung über die parlamentarischen Unterrichtungsrechte gibt das Bundesverfassungsgericht maßgebliche Hinweise für deren Ausle­ gung. Die Unterrichtungsrechte sind danach insgesamt sehr weit zu verste­ hen. Die Information des Bundestags muss vor allem so erfolgen, dass der Bundestag seine Mitwirkungsrechte tatsächlich wahrnehmen kann. Dies er­ fordert eine frühestmögliche, umfassende und schriftliche Unterrichtung in Bezug auf alle, z. B. auch inoffizielle, Informationen, die für den Bundestag wichtig sein können. Die grundgesetzliche Ausgestaltung der Unterrich­ tungsrechte, aber auch diese Rechtsprechung folgt der Logik, dass eine lü­ ckenlose Unterrichtung des Bundestages notwendigerweise auch zu einer ausreichenden Mitwirkung des Bundestages führt. Die Praxis zeigt jedoch, dass sich diese Erwartung so nicht erfüllt. (7) Das Grundgesetz weist dem Europaausschuss des Bundestages eine besondere Rolle im Rahmen der Kommunikation zu. Es ist ihm gestattet, in europäischen Angelegenheiten anstelle des Plenums des Bundestages Stel­ lungnahmen gegenüber der Bundesregierung abzugeben (Art. 45 Satz 2 GG). Eine solche herausgehobene Rolle hat der Europaausschuss aufgrund der internen Strukturen des Bundestages jedoch bisher nur für integrations­ politische und institutionelle Fragen und nicht für die Breite der europapo­ litischen Fachthemen gefunden. Auch die Verfahren zur Abgabe der plenar­ ersetzenden Stellungnahmen erweisen sich für ihren beabsichtigten flexiblen und schnellen Einsatz als zu schwerfällig. (8) Die einfachgesetzlichen Unterrichtungsrechte des Bundestages sind schwer zu überblicken und erschließen sich nicht leicht. Sie finden sich im EUZBBG, in § 13 IntVG und in § 7 ESMFinG. Sie gestalten die Unterrich­ tung oft bis ins kleinste Detail und sind stark von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beeinflusst. Auch sie folgen im Wesentlichen der Logik, dass eine möglichst lückenlose Unterrichtung zu einer ausreichenden Mitwirkung des Bundestages führt. Eine tiefergreifende Strukturierung der Informationen, die die parlamentarische Arbeit damit vereinfacht, fehlt wei­ testgehend. (9) Der Fokus der Diskussion um die europapolitische Mitwirkung des Bundestags liegt bisher zu stark auf der Unterrichtung des Bundestages. Der entscheidende Teil der Kommunikation ist jedoch die Mitwirkung des Bun­ destages. Die Information ist immer nur Voraussetzung für die parlamenta­ rische Aktivität, sei es die Mitwirkung im Vorfeld von oder die Kontrolle nach europapolitischen Entscheidungen. Das wichtigste offizielle Kommu­ nikationsmittel des Bundestages ist die Stellungnahme des Bundestages. Die



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Stellungnahmen werden im Unterschied zu den Dokumenten der Bundesre­ gierung veröffentlicht und bilden damit die einzige offizielle Brücke zwi­ schen der deutschen Europapolitik und der Bevölkerung. Die Bundesregie­ rung ist an den Inhalt der Stellungnahmen zwar rechtlich nicht gebunden, allerdings kann von ihnen eine nicht unerhebliche politische Bindungswir­ kung ausgehen. Vor allem in den Fällen, in denen die Bundesregierung das Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen muss, geht von einer mit dem Einvernehmen verbundenen Stellungnahme des Bundestages eine maßgeb­ liche politische Direktion aus. B. Die europapolitische Kommunikation in der Praxis (10)  Die europapolitische Kommunikation ist in der Form, wie sie heute in den einfachgesetzlichen Regelungen mit Schwerpunkt auf der parlamen­ tarischen Unterrichtung vorgesehen ist, noch ein recht junger Bereich der Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag. Die Unterrichtung hat sich insgesamt eingespielt. Die zuständigen Verwaltungen arbeiten mitt­ lerweile gut zusammen. Die größten Probleme, die sich auch unmittelbar auf die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages auswirken, sind die teilweise recht kurzen Zeiträume, die dem Bundestag für eine Beratung zur Verfügung stehen, die Unterrichtung durch nicht deutschsprachige Doku­ mente und die fehlenden auf den Bundestag zugeschnittenen Berichte, ins­ besondere über das Schicksal der von ihm abgegebenen Stellungnahmen im Rahmen der Verhandlungen auf Unionsebene. (11) Die Organisation der Informationen im Bundestag konnte seit den Jahren 2006 und 2009 erheblich verbessert werden. Mittlerweile wurde in der Verwaltung des Bundestages eine Unterabteilung „Europa“ geschaffen, die die gesamten europapolitischen Aktivitäten des Bundestages unterstützt. Eine ihrer entscheidenden Aufgaben ist die Vorbereitung des Priorisierungsund Überweisungsverfahrens für die europäischen Dokumente. Durch dieses Verfahren, in das auch die Fraktionen und die Ausschüsse des Bundestages eingebunden sind, wird etwa die Hälfte der jährlich etwa 1.000 neuen eu­ ropäischen Vorhaben als nicht beratungsrelevant identifiziert. Die verblei­ benden 500 werden allerdings ohne weitere Gewichtung ihrer politischen Bedeutung den Ausschüssen zur Beratung überwiesen. (12)  Der Bundestag hat sich eine ganze Reihe weiterer Quellen geschaf­ fen, durch die er erläuternde und weiterführende Informationen erhält. Dazu gehört auch das Verbindungsbüro des Bundestages in Brüssel. Dieses ver­ schafft den Abgeordneten nicht nur Hintergrundinformationen, sondern auch ein Netzwerk in die europäischen Institutionen. Auch wenn diese Quellen gerade für die Prüfung und weitere Beratung der Regierungsinformationen

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eine große Rolle spielen, bleiben die Informationen, die der Bundestag von der Bundesregierung erhält, die entscheidende Basis für seine europapoliti­ schen Aktivitäten. (13) Aufgrund der Fülle der europapolitischen Informationen, die den Bundestag erreichen, fällt die Analyse dieser Informationen den Einheiten des Bundestages immer noch schwer. Weder in den Abgeordnetenbüros noch in den Fraktionen könnten alle Details erfasst und geprüft werden. Entscheidende Hilfe erhalten die Regierungsfraktionen durch die Teilnahme „ihrer Minister“ oder hoher Ministeriumsvertreter an den Sitzungen der Fraktionsarbeitsgruppen. Die weiterführenden Informationen sowie die Möglichkeit, auf den Minister oder die Ministeriumsvertreter Einfluss zu nehmen, erhält jedoch nur die Fraktion, die den jeweiligen Minister stellt. (14)  Europapolitische Fachfragen werden in den Fachausschüssen, integ­ rationspolitische oder institutionelle Fragen der Union im Europaausschuss federführend beraten. Der Europaausschuss erhielt daher in der 17. Wahlpe­ riode nur etwa 6 % aller europäischen Dossiers in Federführung. Die Aus­ schüsse legen insgesamt dem Plenum nur sehr wenige Dossiers zur Kennt­ nisnahme, Beratung und Abgabe von Stellungnahmen vor. Der wesentliche Teil der Stellungnahmen, die der Bundestag beschließt, wird von den Re­ gierungsfraktionen vorgeschlagen und beantragt. Die Gründe für die Zu­ rückhaltung der Ausschüsse sind nicht eindeutig. Es fällt jedoch auf, dass die Ausschüsse, denen die meisten Dossiers überwiesen werden, die wenigs­ ten Dossiers dem Plenum vorlegen. Eine stärkere politische Gewichtung der überwiesenen Dossiers mit einer Regel, wie damit weiter verfahren werden soll, könnte hier die Balance zwischen Ausschuss- und Fraktionsarbeit her­ stellen und den Ausschüssen die Beratung der Dossiers erleichtern. (15) Die formelle europapolitische Mitwirkung des Bundestages blieb auch in der 17. Wahlperiode zurückhaltend. Der Bundestag, bzw. seine Mehrheit, versteht diese Mitwirkung zu sehr als Instrument, um die Regie­ rung in den europäischen Institutionen zu stützen. Zwar sind sowohl die Aktivitäten zu einzelnen Dossiers und ihr Erfolg, wie z. B. in Bezug auf das Europäische Kaufrecht, deutlich erkennbar, solche Fälle bilden bisher aber die Ausnahme. C. Die Weiterentwicklung der europapolitischen Kommunikation als Verfassungsauftrag und ihre Grenzen (16)  Es gibt drei maßgebliche Gründe für die bisher zurückhaltende for­ melle Beteiligung des Bundestages an den europäischen Entwicklungen. Der erste Grund liegt darin, dass es teilweise nicht einfach ist, die exekuti­



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ven Entscheidungsstrukturen der Bundesregierung und des Rates mit den parlamentarischen Abläufen in Einklang zu bringen. Der zweite systeminhä­ rente Grund besteht in der Interessenkongruenz von Bundesregierung und Regierungsfraktionen im Bundestag. Die Regierungsfraktionen stimmen in der Regel – wie es das Grundgesetz auch vorsieht – mit der Politik der Regierung überein, so dass ein parlamentarisches Eingreifen der Mehrheit des Bundestages nicht notwendig erscheint. Der dritte Grund liegt in dem oft fehlenden Interesse der Bevölkerung an europapolitischen Fachthemen. Mit Blick auf ihre Wiederwahl erscheint es daher für viele Abgeordnete wenig effektiv, sich mit Themen zu beschäftigen, für die der Wähler nur wenig Interesse zeigt. Es ist freilich nicht einfach, diese Probleme zu lösen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das grundlegende Konzept der parlamenta­ rischen Mitwirkung verfehlt ist. Durch Anpassungen und Veränderungen des Konzepts ist es möglich, die parlamentarische Direktion in der Europapoli­ tik zu stärken. Die Einrichtung einer zweiten Kammer der nationalen Par­ lamente auf Unionsebene erscheint dagegen nicht geeignet, den parlamenta­ rischen Einfluss auf die Entscheidungen der Union zu stärken. Dies liegt neben einer Reihe praktischer Schwierigkeiten daran, dass sich die Legiti­ mationskraft der nationalen Parlamente und die Rationalität ihrer Willens­ bildung nicht auf eine solche Kammer übertragen lassen. (17)  Ein Lösungsweg für die aufgezeigten Probleme liegt darin, die eu­ ropapolitische Mitwirkung (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG) als eine Pflicht des Bundestages zu sehen. Der Kompensationsgedanke trägt die Beziehungen von Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union nicht. Ihre Beziehung definiert sich vielmehr im Rahmen der Anfor­ derungen, die verfassungs- und unionsrechtlich an diese beiden Verfas­ sungsorgane gestellt werden. Dieses Verhältnis kann nicht der Außen- oder der Innenpolitik zugeordnet werden. Es entsteht ein neuer Politikbereich „Europapolitik“. (18)  Der Bundestag ist verpflichtet, die „Europapolitik“ zu begleiten und daran mitzuwirken. Dies gilt nicht nur für den Bundestag als Verfassungs­ organ, sondern auch für die einzelnen Mitglieder des Bundestages. Neben den klassischen Aufgaben entsteht der parlamentarische Aufgabenbereich der europapolitischen Kommunikation. Zwar ist der Bundestag nicht ver­ pflichtet, an jedem Dossier mitzuwirken und dazu eine Stellungnahme ab­ zugeben, in einer Gesamtbetrachtung seiner Arbeit muss die Erfüllung der Mitwirkungspflicht jedoch deutlich werden. Um dies organisatorisch zu flankieren, sollte der Bundestag die parlamentarische Behandlung der Dos­ siers stärker strukturieren. Dazu gehört vor allem, dass er die Dossiers vor der Überweisung an die Ausschüsse einem erweiterten Priorisierungsverfah­ ren in Form einer Kategorisierung nach ihrer politischen Bedeutung unter­ zieht. An die Kategorisierung sollte die weitere parlamentarische Behand­

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lung des Dossiers geknüpft werden. Dies muss dazu führen, dass die weni­ ger bedeutsamen Dossiers gar nicht überwiesen oder von den Ausschüssen nur zur Kenntnis genommen werden müssen. Bei bedeutsamen Dossiers sollte vorgesehen werden, dass der Bundestag dazu in der Regel eine Stel­ lungnahme abgibt. Den Maßstab für eine ausreichende europapolitische Mitwirkung und damit für die Erfüllung seiner Pflicht bestimmt der Bun­ destag selbst, wobei es ihm nicht gestattet ist, seine Tätigkeit auf diesem Gebiet nahezu oder gar gänzlich einzustellen. (19) Auch die Bundesregierung muss auf diese Mitwirkungspflicht des Bundestages reagieren. Sie ist verpflichtet, mit dem Bundestag im Bereich der Europapolitik zusammenzuarbeiten. Daraus folgt, dass sie den Bundes­ tag verstärkt durch auf ihn zugeschnittene Berichte unterrichten und auf die parlamentarischen Abläufe größere Rücksicht nehmen muss. Dazu gehört, dass sie den Bundestag nur in Ausnahmefällen unter großen Zeitdruck set­ zen darf. Außerdem muss in einer Gesamtbetrachtung ihrer Verhandlungen auf Unionsebene die Berücksichtigung der Mitwirkungshandlungen des Bundestages erkennbar sein. Die politische Gewichtung der Dossiers sollte sich in der Berücksichtigung der dazu abgegebenen Stellungnahmen des Bundestages in der Verhandlungsführung der Bundesregierung auf Unions­ ebene niederschlagen. (20) Zur Prüfung, ob die gegenseitigen Pflichten von Bundesregierung und Bundestag in der Europapolitik eingehalten werden und ein ausreichen­ des Mitwirkungsmaß erreicht wird, sollte zunächst die Bundesregierung in regelmäßigen Abständen einen Bericht erstellen, in dem der Einfluss der Stellungnahmen und sonstigen Mitwirkungshandlungen des Bundestages auf die Verhandlungen dargestellt wird. Auf dieser Basis sollte der Bundestag die eigene europapolitische Arbeit und ihre Auswirkungen auf die europäi­ schen Vorhaben in einem weiterführenden Gesamtbericht auswerten. Da die abschließende Bewertung, ob ein ausreichendes Mitwirkungsmaß erreicht wurde, dem Bundestag obliegt, ist es nur schwerlich in einem verfassungs­ gerichtlichen Verfahren überprüfbar. (21) Die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages und die europapo­ litische Kommunikation stoßen an verschiedene politische und organisatori­ sche Grenzen. Außerhalb dieser Grenzen ist die parlamentarische Mitwir­ kung nicht möglich oder effektiv, so dass auch die damit einhergehende demokratische Legitimation hier ihre Grenzen findet. Diese Grenzen ergeben sich dann, wenn es dem Bundestag aufgrund seiner vorhandenen Ressour­ cen nicht möglich ist, die europäischen Dossiers umfassend zu prüfen, sowie bei Mehrheitsentscheidungen im Rat, bei denen der deutsche Vertreter über­ stimmt wird. Eine eigene Grenze zieht der Bundestag dann, wenn er entwe­ der von einer Stellungnahme ganz absieht oder sie bewusst offen formuliert,



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damit die Bundesregierung im Rat möglichst flexibel verhandeln kann. Eine Grenze des parlamentarischen Einflusses darf in der nationalen Europapoli­ tik allerdings nicht in der Willensbildung der Bundesregierung bestehen. Dieser Politikbereich ist von der Zusammenarbeit von Bundesregierung und Bundestag geprägt. Der Bundestag soll auf die nationale Willensbildung Einfluss nehmen. Ist die Willensbildung der Bundesregierung einmal abge­ schlossen, ist es dem Bundestag jedoch kaum mehr möglich, auf diese in seinem Sinne einzuwirken. (22)  Jenseits dieser Kommunikationsgrenzen muss der Bundestag darauf vertrauen, dass die Bundesregierung auf Unionsebene keine Entscheidungen trifft, die den grundlegenden politischen Werten und der verfassungsge­ mäßen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland widersprechen. Daneben bleibt ihm die nachträgliche Kontrolle der Bundesregierung. Das parlamen­ tarische Vertrauen bringen in der Praxis nicht nur die Regierungsfraktionen, sondern auch die Opposition der Regierung entgegen. Dieses Vertrauen darf jedoch nicht zu der überschießenden Motivation führen, dass der Bundestag effektive Mitwirkungshandlungen unterlässt, um für gegebenenfalls schwie­ rige europapolitische Entscheidungen keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Letztlich hätte dies auch keinen Erfolg, da der Bundestag innerhalb der Kommunikationsgrenzen von seiner Verantwortung für die europäischen Entwicklungen nicht dadurch frei wird, dass er die Entscheidungen allein der Bundesregierung überlässt. (23) Die „Europapolitik“ umfasst somit drei grundlegende parlamentari­ sche Aufgaben: Die europapolitische Kommunikation, das europapolitische Vertrauen in die Regierung und die nachträgliche Regierungskontrolle.

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Abkürzungen Soweit verwendete Abkürzungen im Text nicht erklärt sind, folgen sie dem Ab­ kürzungsverzeichnis der Rechtssprache, begründet von Hildebert Kirchner, Berlin /  Boston, 7. Auflage 2013.

Stichwortverzeichnis Angelegenheiten der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG)  67 ff. Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Island, Montenegro und Serbien  186 ff. Ausschuss „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“  78, 107, 109 Außenvertretungskompetenz der Bun­des­regierung  41, 240  f. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union  43, 75 ff., 79 ff., 116, 142 f., 165, 178 f. – Beschlussrechte  79 ff. – Abgabe plenarersetzender Stellung­ nahmen  203 f. Auswärtige Gewalt  235 ff. Bericht aus Brüssel  152 f. Berichtsbogen (§ 6 Abs. 2 EUZBBG)  84, 92, 125 f., 128, 138, 193 Budgetverantwortung / Budgethoheit des Bundestages  34 ff. Bundesverfassungsgericht – Entschei­ dungen  16 f., 232 – ESM / Eilverfahren (E 132, 195)  61 ff., 94 ff., 246 – ESM / Hauptsacheverfahren (Entschei­ dung vom 18.03.2014)  35 f., 62, 94 ff., 103 – Europäischer Haftbefehl (E 113, 273)  143, 245 – Eurorettungsschirm (E 126, 158; E 129, 124)  34 ff., 180 – Lissabon (E 123, 267)  31 ff., 48 ff., 53 ff., 247 f., 250, 268 – Maastricht (E 89, 155)  31, 37, 280

– parlamentarische Informationsrechte (E 131, 152)  56 ff., 68 f., 71 f., 74, 86, 89, 95, 114, 120, 140, 164, 254 f., 266, 273 ff. – Sondergremium (Eilentscheidung vom 28.02.1012 und E 130, 318)  43, 99 f., 118, 228 f. COSAC  157 ff. – Datenbank IPEX  160, 163 ff. – Handlungsmöglichkeiten  158 – primärrechtliche Basis  158 – Zusammensetzung der deutschen Delegation  157 Doppelmandat der Mitglieder des Bundestages und des Europäischen Parlaments  154 f., 227 f. Dublin-III-Verordnung – Mitwirkung des Bundestages  201 Durchsetzung der europapolitischen Kooperation – Bundesverfassungsgericht  266 ff. – politischer Druck  270 f. EG-Ausschuss der 12. Wahlperiode  76 ff. Einführung des Euro in Lettland – Einvernehmensherstellung  190 Einführung des Euro in Litauen – Einvernehmensherstellung  190 f. Einheitliches Europäisches Kaufrecht (Verordnungsvorschlag) – Mitwirkung des Bundestages  212 f. Einvernehmensherstellung (§ 9, 9a EUZBBG)  44, 48, 86, 90, 105, 111 ff., 183 ff., 191 f., 252 f., 263, 267 Entparlamentarisierung  24 ff., 274

318 Stichwortverzeichnis Entschleunigung parlamentarischer Entscheidungen  258 ff. EuDoX-Dokumentendatenbank des ­Bundestages  122, 127, 145 Europabüro beim Europaausschuss  142 f. Europagesetzbuch  100 ff. Europäische Staatsanwaltschaft (Verordnung) – Mitwirkung des Bundestages  47, 208, 289 Europäischer Stabilitätsmechanismus  17, 19, 35, 44 f., 56 ff., 61, 68 f., 84, 94 ff., 120, 164, 266, 275 – Informationsrechte gegenüber einem Sondergremium  99 f. – Nähe zum Unionsrecht  57, 68 f., 83 f. – Unterrichtung des Haushalts­ ausschusses  98 f. Europäisches Semester – Mitwirkung des Bundestages bei der Einführung  180, 200 f. Europäisierte Innenpolitik  235 f. Europapolitik  238 ff., 244, 284 Europapolitik als dritter Politikbereich  238 ff. Europapolitische Kommunikation – Elemente  42 f. – Grenzen  225, 250, 252, 271 ff. Europarechtsfreundlichkeit des Grund­ gesetzes  49, 239 Euro-Plus-Pakt  56 ff., 68 f., 119 f., 164, 266, 275 – Nähe zum Unionsrecht  57, 68 f., 83 f. Fragerechte – parlamentarische  46, 270, 273 f., 277, 286 Gemeinsame Verfassungskommission  65 f. Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG)  82 ff., 119 ff. – Novelle 2013  86 ff.

Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMFinG)  94 ff. Haushaltspolitische Gesamtverant­ wortung des Bundestages  34 ff., 61 f., 94 ff., 103 Identitätskontrolle des Bundes­ verfassungsgerichts  33 f. informales Staatshandeln  26 ff., 274 Informationsasymmetrie  20 f., 61 Informationsflut  63, 70, 116, 126 ff. Informationsrechte – Bundestag  61 ff., 82 ff., 119 ff., 137 ff., 258 – dynamische Unterrichtung  71 – Erstreckung auf inoffizielle Informa­ tionen und non papers  72 – Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG)  61 ff., 74 f., 246 – historische Entwicklung  63 ff. – im Bereich der GASP und GSVP (§ 7 EUZBBG)  85, 135 ff. – Rolle der Medien  57, 164 f., 275, 277 – schriftliche Unterrichtung  74 f. – umfassende Unterrichtung  71 ff. – Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt  73 – Verzicht durch den Bundestag (§ 3 Abs. 5 EUZBBG)  70 f. – Wandlung zum reaktiven Fremd­ informationsrecht  277 Integrationsverantwortung  48 ff., 53 ff., 70, 134, 243 f., 246, 247 ff., 274, 288 Integrationsverantwortungsgesetz (IntVG) – Informationsrechte  91 ff., 137 ff. Interner Willensbildungsprozess der Bundesregierung  89, 272 ff. Kategorisierung der europapolitischen Dossiers  251 f.

Stichwortverzeichnis319 Kernbereich exekutiver Eigenverant­ wortung  83, 89, 272 ff. Kompensationsgedanke  20, 230 ff. Kooperationspflicht der Bundesregie­ rung  117, 257 ff., 264 ff., 270 f. Kreationsaufgabe  37, 247, 288 Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat  280 ff. Misstrauensvotum  270, 284, 288 Mitglieder des Europäischen Parlaments im Europaausschuss des Bundestages  154 ff. Mitwirkung der nationalen Parlamente  58 ff. Mitwirkung des Bundestages – Grenzen  271 ff. – nachträgliche Kontrolle  286 ff. – technische Details und hochkomplexe Sachgebiete  278 ff. – verfassungsrechtliche Grundlagen  40 ff. Mitwirkungspflicht der Abgeordneten  247 ff. Mitwirkungspflicht des Bundestages  242 ff. – Umsetzung in der Praxis  250 ff. Monitoringbericht der Bundestags­ verwaltung (Evaluierung 2011)  119 Monti-II-Verordnung – Mitwirkung des Bundestages  200, 207 f. Offene Staatlichkeit  239 Öffentliches Interesse an Europapolitik  220 ff. Opposition  43 ff., 106, 113, 170 f., 177, 203, 218 ff., 268, 270, 285 f. – in der 18. Wahlperiode  47 f. – Prozessstandschaft für den Bundestag  268 – Vorsitz im Europaausschuss  80 f. Parlamentarisches Regierungssystem  43, 110, 209, 218 ff., 233, 284

– Interessenkongruenz von Regierung und Regierungsfraktionen  43 f., 218 ff. Parlamentarisches Vertrauen  284 ff. Parlamentarisierte Außenpolitik  235 Parlamentsvorbehalt (§ 8 Abs. 4 EUZBBG)  104 ff., 121 f., 194 ff. political dialouge zwischen Kommission und nationalen Parlamenten  161, 163, 209 f. Presse– und Medieninformationen  164 f. Priorisierungs– und Überweisungsver­ fahren für Unionsdokumente  145 ff., 205 Protokoll zu dem Anliegen der irischen Bevölkerung – Einvernehmensherstel­ lung  189 Sammelübersicht für die Überweisung von Unionsdokumenten an die Ausschüsse  146 Single-Supervisory-Mechanism-Verord­ nung (SSM-Verordnung) – Mitwir­ kung des Bundestages  182 f., 217 Staatsleitung zur gesamten Hand  240 f. Stellungnahmen des Bundesrates – Anzahl  200 – Bindungswirkung  106 f., 262 f. Stellungnahmen des Bundestages  19, 41 ff., 73, 103 ff., 197 ff. – Anzahl  193 ff., 200, 202 f. – Bindungswirkung  106 ff. – legislative Stellungnahmen  104 f., 193 ff. – nichtlegislative Stellungnahmen  104, 202 f. – Öffentlichkeitsfunktion  113 ff., 203, 216, 225, 262 – politische Bindung  109 f. Subsidiarität – Grundsatz  51 f., 59 ff. – Kontrolle durch den Bundestag  60 f., 205 f., 286 – red card  60

320 Stichwortverzeichnis – Rüge  59 f., 147, 206 ff., 213 – Rügefrist  205 f. – yellow card  60 Subsidiaritätsprotokoll  51, 60, 207 f. Übersetzungsregime für Unions­ dokumente  131 f., 134 f. Umfassende Bewertung (§ 6 Abs. 3 EUZBBG)  84 f., 92 f., 116, 124, 126 Unterabteilung „Europa“ der Bundes­ tagsverwaltung  142 ff., 149 f., 172, 252 Unterrichtungspraxis  119 ff., 258 ff. – Berichtspflichten der Bundesregierung  84 f., 88, 113, 121 ff., 125 ff., 136, 140 f., 192, 197, 212, 257 ff., 262, 265 – Finanzstabilisierungsverordnung 120 f. – gemeinsame Handelspolitik  127 f. – im Bereich der GASP und GSVP  135 ff. Unterrichtungsverfahren – EUZBBG  119 ff. – fremdsprachige Dokumente  124 f., 131 f. – IntVG  137 ff. – Verfahren innerhalb der Bundes­ regierung  124 f.

Verbindungsbüro des Deutschen Bundestages in Brüssel  20, 143 f., 150 ff. Verfassungsidentität  31 ff., 62, 244, 250 f. Verfassungspflicht zur europapolitischen Zusammenarbeit  229 ff., 242 ff., 257 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  59 ff. Verhandlungsspielraum der Bundes­ regierung  282 ff. Vertiefte Berichte (§ 6 Abs. 5 EUZBBG)  85, 88 Vertrauensfrage  44, 284 Vorhaben (§ 5 EUZBBG)  68, 84, 87, 104 Wissenschaftliche Dienste der Bundes­ tagsverwaltung  170 ff. – Fachbereich „Europa“  144, 171 ff. Zuleitungsschreiben (§ 6 Abs. 1 EUZBBG)  84 Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Europäischem Parlament  154 f. Zusammenarbeitsvereinbarung Bundes­ regierung / Bundestag  66, 82 Zweite Kammer der nationalen Parla­ mente  226 ff., 290