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German Pages 183 Year 1974
PAUL SOURLAS
Adäquanztheorie und Normzwecklehre bei der Begründung der Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 18
Adäquanztheorie und Normzwecklehre bei der Begründung der Haftung nach § 823 Abs. l BGB
Von
Dr. Paul Sourlas
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1974 b e i Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03216 0
Vorwort Die vorliegende Untersuchung stellt einen Versuch dar, die systematischen Implikationen der Diskussion über die Adäquanztheorie und die Normzwecklehre aufzuzeigen. Wer einen kurzen Blick auf die dogmengeschichtliche Entwicklung der Adäquanztheorie wirft, dem fällt auf, daß ihre dogmatische Einordnung und vor allem ihr Verhältnis zum dreistufigen Aufbau des Systems des Deliktsrechts nur selten eingehend behandelt werden, zumindest nachdem sie sich nicht mehr als eine Kausalitätstheorie versteht. Dies hat sich auch nach der Wiederbelebung der Diskussion, die durch die Normzwecklehre ausgelöst wurde, nicht grundsätzlich geändert. Unklar ist etwa immer noch, ob diese beiden Theorien die Lehre vom Schaden oder die vom Unrecht betreffen. Die Klarstellung dieser und ähnlicher systematischer Fragen im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB ist das Hauptziel dieser Arbeit. Dabei stehen im Vordergrund die zivilrechtlich wichtigsten Fälle der fahrlässigen Verletzung eines der "klassischen" Rechte und Güter nach dieser Vorschrift. Die Problematik des Vorsatzes, der Unterlassung und des sonstigen Rechts mußte da:bei nicht berücksichtigt werden. Außerdem beschränlken sich die hiesigen Erörterungen auf die Problematik der Haftungsbegründung. Diese Einschränkung war allerdings nicht von vornherein möglich, da die Relevanz der Unterscheidung zwischen Haftungsbegründung und Folgenzurechnung zunächst begründet werden mußte; dies war erst nach weitreichenden Klarstellungen möglich. Daraus erklärt sich auch die Gliederung der Arbeit. Das vorwiegend systematisch-dogmatische Interesse der Untersuchung bedeutet nicht, daß Fragen, die sich auf das Inhaltliche beziehen, ausgeklammert wurden. System und Inhalt sind keine Gegensätze und können nicht als solche begriffen werden. Es ist gerade Aufgabe einer ihrer Funktion bewußten Dogmatik, die Wertungen, die ihr System tragen, durchsichtig zu machen. Dadurch wird die Überwindung der seit langem totgesagten und immer wieder deutliche Lebenszeichen von sich gebenden- Begriffsjurisprudenz und der Übergang zur "Wertungsjurisprud~mz" (Larenz) gekennzeichnet. Nur so kann die Dogmatik die Gewinnung rational überprüfbarer, d. h. - im Sinne der jüngsten methodologischen Untei'suchungen Essers - konsensfähiger Entscheidungen sichern. Das bedeutet wiederum nicht, daß sie zu eindeutigen Ergebnissen führen muß bzw. kann. Es geht also nicht darum, für jeden Einzelfall eine Patentlösung zu finden.
Vorwort
6
In diesem Sinne ist also der Charakter der nachfolgenden Erörterungen dogmatisch. Nicht der Lösung von Einzelfällen kam die Hauptbedeutung zu, sondern dem Aufzeigen der systematischen Zusammenhänge. Dies ist aber nur dann möglich, wenn die Wertungen durchsichtig sind und auch ein Vorverständnis über die Regelungsbedürftigkeit einzelner Fälle besteht. Die nachfolgende Arbeit ist während eines Studienaufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland unter der Betreuung von Prof. Dr. Karl Larenz entstanden und hat im Sommersemester 1973 der Juristischen Fakultät der Universität München als Dissertation vorgelegen. An dieser Stelle möchte ich allen meinen Lehrern in Athen und in München meinen 'besonderen Dank aussprechen. Insbesondere möchte ich meinen Athener Lehrern Prof. Dr. A. Gasis und Prof. Dr. J. M. Sontis danken, denen ich mein Studium in der Bundesrepublik Deutschland verdanke. Für etliche stilistische Hinweise möchte ich mich bei Herrn HansJ oachim Hecker bedanken. Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst bin ich für den gewährten großzügigen Druckkostenzuschuß und die Unterstützung meines Studiums in Deutschland :z.u Dank verpflichtet. Außerdem danke ich Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann für die bereitwillige Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Bürgerlichen Recht". München, im Oktober 1973 Faul Sourlas
Inhaltsverzeichnis ERSTER TEIL
Adäquanztheorie und Normzwecklehre Kapitel I Adäquanz und Normzweck in Lehre und Rechtsprechung
11
Ao Die Anfänge 000000000..... . . 0. 000... 0.. 00.. 0. .. . 0... 0000000000. 0 1. Die Kausalitätstheorien 0. 0...... o00. 0000. 0. o. 0.. 0. o. o00. . o0oo 20 Die Normzwecklehre 00. .... 0. 0000. 000. . 0. 0. 0. 00. 0. 0. 0. 0o0o0. 0
12 12 19
Bo Der heutige Diskussionsstand 0... 00. . . . 0... 0. o. 0. 0o00. 0. . . . . . . . . . 1. Die Adäquanztheorie . . ... 00000. ... 0. 0. 0. 000000000. o0o. 0. . . . 0 2o Die Normzwecklehre ... 0.. 0. 0. 0.. 000. 0. 0000000. 00.. 000. 0. 0000 3o Neueste Tendenzen 00.... 0.. . 000... 0000000. 000. 000oo0000 o. o0o
25 26 35 49
Kapitel II Adäquanztheorie und Normzwecklehre aus funktion aler Sicht
54
Ao Allgemeines 0000.... 0000. . 0. 000. 000000000.. 0. 0. 00. 0. 000... 0. . 000 1. Sinn der funktionalen Analyse .... o.. 0o. 0. 00. o. 0.. o0o. o. o. 0oo 20 Die Haftungsbegrenzungo Überblick 0. 0. 0. . 0. 00. 0. . ... 00. . 000o
54 54 56
Bo Haftungsbegrenzung und Schaden ... 000.. 0. . ... 0.. 00. 0.. 00. . 0000 1. Denkbare Verbindungen .. . ..... . 0.. 00.. 0... . 0. 000. 000..... 0. 20 Exkurs über den Schadensbegriff 0. 0.. 0. 0. .. . 0. 00. 0... 0. 0... 0 3o Zwischenergebnisse 00.. . 0000. 000000.. .. . ....... 0.. 000. 0. 00000
57 57 59 65
Co Haftungsbegrenzung und Rechtsgutverletzung .. . 0.... . o0... 00. 00 1. Abgrenzung des "realen Geschehens" 0.. 00.. . 0..... 00. 000000. 20 Bestimmung der haftungsrelevanten Rechtsgutverletzungen . 0. 30 Ergebnisse 0. . .. . . 0. 0. 00. . 0. . . 000. ... .. ... . . . . . 00.. ... .. 0.. 00.
68 68 69 72
Kapitel III Haftungsbegründung und Folgenzurechnung
76
A. Übersicht der Lehre 0.. 0. 00.. 00.. 0000. 0000. ... 00. 00. 0. 0.. 0... 0. 00
76
Bo Die Abgrenzung im einzelnen . 0000000. 0. 0.. . 0..... 0000. 0.. 0. . . . . l o Die Haftungsbegründung . . . .. . . . 0... .. .. 0. . . .. 00. . 0.... . . . .. 2o Die Folgenzurechnung .... 000000. 0....... . 00. 0. 000000.. 00. . . . 3o Charakter und Grenzen der Unterscheidung 00. 000000. 0. 0.. 0. 0
79 79 81 83
8
Inhaltsverzeichnis
C. Adäquanz und Normzweck im Bereich der Haftungsbegründung und der Folgenzurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
ZWEITER TEIL
Die Problematik der Haftungsbegründung Vorbemerkung
91
Kapitel IV
Tatbestand und Adäquanz bei § 823 Abs.1 BGB
94
A. Die tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung nach § 823 Abs. 1 1. Der Erfolg als unrechtsbestimmender Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sorgfaltswidrigkeit als Unrechtstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . .
94 94 98
B. Parallelen im Handlungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kausale Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Finale Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Soziale Handlungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101 102 106 109
C. Die Unrechtstypen bei § 823 Abs. 1 und die Adäquanz . . . . . . . . . . . . 1. Handlung und Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Unrechtstatbestand als Unrechtstypus. Folgerungen aus seiner Sprachlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Unrechtstypen unmittelbarer und mittelbarer Rechtsgutverletzungen bei § 823 Abs. 1 und die Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . .
111 112 113 117
Kapitel V
Adäquanz und Normzweck in ihrem Verhältnis zur Rechtswidrigkeit und zum Verschulden
123
A. Übersicht der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeiner Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwei Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123 123 124
B. Die Pflichtwidrigkeit des Täterverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die klassische Unrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adäquanz und erforderliche Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 129 136 148
C. Die Tragweite der Haftung aus pflichtwidrigem Verhalten im Rahmen der Haftungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anwendung der Adäquanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussehbarkeit, Verschuldenszusammenhang und Normzweck 3. Die Bedeutung topischer Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
150 150 154 165
lJntersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .
170
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174
Abkürzungsverzeichnis a.a.O. ABGB AcP a.E. a.F. AG ALR Anm. BGB BGH BGHZ DAR DJT ebd. h.M. JBl JR JuS JW JZ KJ LG LM MDR NJW OLG OR RabelsZ RG RGZ
s. s.
SeuffA SJZ StVG StVO VersR ZHR ZPO
am angeführten Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Amtsgericht Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Anmerkung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für Zivilsachen Deutsches Autorecht Deutscher Juristentag eben da herrschende Meinung Juristische Blätter Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kritische Justiz Landgericht Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von Lindenmaierund Möhring Monatsschrift für Deutsches Recht Neue Juristische Wochenschrift Oberlandesgericht Obligationenrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsgericht Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen Seite siehe Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte Süddeutsche Juristenzeitung Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Versicherungsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht Zivilprozeßordnung
Erster Teil
Adäquanztheorie und Normzwecklehre Kapitel I
Adäquanz und Normzweck in Lehre und Rechtsprechung Im Gegensatz zu vielen europäischen Gesetzgebungen1 kennt das deutsche BGB keinen einheitlichen Tatbestand im Recht der unerlaubten Handlungen. Um die Unsicherheiten zu vermeiden, die mit einer generalklauselartigen Vorschrift verbunden wären, entschied sich der deutsche Gesetzgeber für ein System, in dem drei umfassend formulierte Grundtatbestände mit zahlreichen Sondertatbeständen kombiniert werden2. Im ersten und wichtigsten3 der Grundtatbestände verbindet das BGB die Schadensersatzpflicht mit der Verletzung bestimmter Rechtsgüter. Demnach verpflichtet nicht jede (rechtswidrige und schuldhaft herbeigeführte) Schadensverursachung zum Schadensersatz, wie dies bei einer Generalklausel der Fall sein würde, sondern ersatzfähig ist nur der aus der Verletzung der vom Gesetz aufgezählten Güter und Rechte entstandene Schaden. § 823 Abs. 1 lautet: "Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen wi,derrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet." Daß mit diesem System zur Einschränkung richterlichen Ermessens nur sehr wenig geleistet worden ist, ist inzwischen längst bewußt geworden. kbgesehen davon, daß die Sprachlichkeit und die Geschichtlich1 Es sei etwa auf Art. 1382 und 1383 des französischen code civil, die gleichen Vorschriften im belgiseben Recht, Art. 2043 des italienischen codice civile, § 1295 ABGB, Art. 41 des schweizerischen OR und Art. 914 des griechischen Zivilgesetzbuchs hingewiesen. 2 Der Entwurf I hatte sich für einen allgemeinen Deliktstatbestand entschieden (§ 704, dazu Motive II, S. 724 ff.). Der endgültige Gesetzestext wurde erst in der Reichstagsvorlage festgelegt. Dazu Mugdan II, S. 404 f. und 1072 ff.; ferner v. Caemmerer, DJT-Festschr. II, S. 65 (= 471); Hermann Lange, Gutachten S. 7; Lorenz, JZ 61, 434; Mertens, S. 100. 3 Interessanterweise wurde von den Verfassern des Entwurfs I nicht die Verletzung eines absoluten Rechts, sondern der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz als deliktischer Grundtatbestand angesehen; s. Reinhardt, JZ 61, 713 m. Nachw.
1. Kap.:
12
Lehre und Rechtsprechung
keit des Rechts eine eindeutige und insoweit mechanische Subsumtion unter den Gesetzestext allgemein ausschließen, gibt es hier einen spezifischen Grund, der mit der Natur der Sache zusammenhängt. Das zivile Deliktsrecht muß auf eine wie im Strafrecht vereinzelte Aufzählung der Tatbestände verzichten. Der breite Kreis der zivilrechtlich zu schützenden Güter und die immer neuen Arten der Schadenszufügung, deren ständiges Zunehmen vor allem von der Entwicklung der Technik und des zwischenmenschlichen Verkehrs bedingt ist, lassen sich nicht von vornherein in Tatbeständen befestigen. Ziviles Deliktsrecht enthält notwendigerweise generalklauselartige Elemente 4 • Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn im Bereich des § 823 Abs. 1 BGB um Ausdrücke wie "vorsätzlich", "fahrlässig", "sonstiges Recht", "widerrechtlich" und "Schaden" immer eine äußerst lebhafte Diskussion geherrscht hat. Aber auch schon im Erfordernis der VeTletzung eines Rechtsguts und des daraus entstandenen Schadens steckt viel mehr Problematisches, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Auf diese Tatbestandsmomente bezieht sich die Kontroverse um die Adäquanztheorie und die N ormzwecklehre.
A. Die Anfänge 1. Die Kausalitätstheorien "Die Kausalitätstheorien (waren) im wesentlichen ein Anliegen der positivistisch eingestellten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Strafrechtswissenschaft ist Jahrhunderte lang ohne eine eigentliche Kausalitätstheorie ausgekommen5 ." Diese Feststellung betrifft die Strafrechtswissenschaft. Sie ist nichtsdestoweniger geeignet, die Entstehung der zivilrechtliehen Diskussion um den Ursachenbegriff6 nicht nur in bezugauf die vorher erwähnten Tatbestandselemente des § 823 Abs. 1, sondern in der allgemeinen Schuldrechtslehre zu erklären. Aus dieser positivistischen Einstellung erklärt sich der Versuch, innerhalb der verschiedenen Haftungstatbestände dasselbe Tatbestandsmerkmal der Kausalität abzusondern, dessen Vorhandensein feststellbar sein sollte ohne Rücksicht auf die im Tatbestand enthaltenen rechtlichen Wertungen. Diese "Feststellung" sollte durch eine einfache Formel erleichtert werden.
4 5
Vgl. Deutsch, JuS 67, 152; Lehmann, Festschr. f. Hedemann, S. 178. Hall, Erinnerungsgabe f. Grünhut, S. 222.
8 Siehe den dogmengeschichtlichen überblick bei Selb, Festg. f. Herdlitczka, S. 215 ff., der ein bei allen Tatbeständen gleiches Merkmal der Kausalität ablehnt.
A. Die Anfänge
13
a) Die erste bedeutende Kausalitätstheorie stellt die Bedingungsoder Äquivalenztheorie dar. Sie ist hauptsächlich durch v. Burf entwickelt8 worden. Beharrend auf der strikten Trennung von Kausalität einerseits und Schuld und Verantwortung andererseits9 , geht sie vom Kausalgesetz aus, wonach jede Erscheinung in der sinnlichen Welt auf frühere Erscheinungen zurückzuführen und als deren Erfolg anzusehen ist. Während aber normalerweise als Ursache die Summe aller Faktoren verstanden wird, die die Erscheinung bedingen10, läßt die Bedingungstheorie jeden einzelnen Faktor als Ursache gelten, und zwar in der Weise, daß sie alle Ursachen (Bedingungen) als gleichwertig betrachtet (Äquivalenztheorie). Die Bedingungstheorie wird durch die bekannte Formel der conditio sine qua non zum Ausdruck gebracht. Danach gilt als Bedingung eines Erfolgs jeder Umstand, "der nicht weggedacht werden kann, ohne daß der Eintritt des eingetretenen Erfolgs entfallen müßte" 11 ; oder, in der Buri'schen Formulierung, die Kräfte, von denen der Erfolg so sehr abhängig ist, "daß, wenn man aus dem Causalzusammenhange auch nur eine einzige Einzelkraft ausscheidet, die Erscheinung selbst zusammenfällt'm. Der wirkliche Verlauf der Dinge wird demnach in einem "hypothetischen Eliminationsverfahren" 13 einem hypothetischen gegenübergestellt, in dem von dem in Frage stehenden Umstand abstrahiert wird; dieser ist dann Bedingung des Erfolgs, wenn das hypothetische Endergebnis ein anderes ist als das wirklich eingetretene. Dieses scheinbar klare und einfache Verfahren führt indessen nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen11• Der hypothetische Verlauf der Dinge läßt sich oft nicht mit Sicherheit bestimmen; in den Fällen der hypothetischen Erfolgsursachen und des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist es oft sogar sicher, daß der Erfolg auch dann eingetreten wäre, wenn der in Frage stehende Umstand nicht dazwischengekommen wäre, und trotzdem zweifelt niemand daran, daß dieser den Erfolg ver7 Die bekanntesten seiner Schriften sind: "Ueber Causalität und deren Verantwortung", Leipzig 1873 und "Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen", Stuttgart 1885. 8 Daß v. Buri der Begründer der Bedingungstheorie sei, trifft aber nicht zu. Vor ihm hatten schon die Hegelianer KöstHn, Hälschner und Berner sowie Glaser die Grundgedanken der Theorie entwickelt. Siehe Knoche, S. 64 ff.; Lindenmaier, ZHR 113, 213. 9 v. Buri, S. 5 f., 13 ff. Daß diese Trennung für die damalige Dogmatik neu war, betont Radbruch, Handlungsbegriff, S. 83 ff., 98 ff., 109. 10 Vgl. Friese, S. 12 m. w. Nachw.; Lindenmaier, ZHR 113, 211 f.; Staudinger!Werner, Vorbem. 22 vor§ 249 ff. 11 v. Liszt, S. 131. 12 v. Buri, S. 1. 13 Rümelin, AcP 90, 282 u. ö.; Traeger, S. 60. 14 Zum Ganzen Byd!inski, Probleme, S. 11 ff. ; Engisch, Kausalität, S. 9 ff.
14
1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung
ursacht hat. Die Anwendung der Formel der c. s. q. n. setzt ferner voraus, daß man vom ganzen "Kausalablauf" den Teil, der als "Erfolg" in Betracht kommt, als solchen vorher genau abgegrenzt hat. Dies ist aber nicht ohne Bezugnahme auf einen konkreten Tatbestand möglich15 • Trotz dieser Unsicherheiten setzte sich die Bedingungstheorie alsbald im Strafrecht durch. b) Daßtrotz aller Bemühungen die völlige Trennung von Kausalität und Haftung nicht durchführbar ist, zeigte sich im Zivilrecht, wo die Bedingungstheorie sich als unzureichend erwies. Hier braucht das Verschulden sich nur auf den ersten, die Haftung auslösenden tatbestandsmäßigen Erfolg zu beziehen. Da deshalb für die weiteren, mit diesem zusammenhängenden Folgen ohne Verschulden gehaftet wird, wurde die Notwendigkeit bewußt, die Umstände zu begrenzen, die vom Haftenden zu verantworten sind. Dies hoffte man mit Hilfe des Kausalitätsbegriffs erreichen zu können, hierfür war aber die Bedingungstheorie ungeeignet: Ihre Anwendung würde zu einer zu weit gehenden Haftung führen. Die meisten vorgeschlagenen Lösungen16 fanden kaum Gefolgschaft. Der Grund dafür war, daß sie entweder auf gekünstelten begrifflichen Konstruktionen beruhten, was ihre Anwendung erschwerte - wie etwa die Unterscheidung zwischen Verursachung, Veranlassung und bloßer Ermöglichung des Erfolgs - oder daß sie zu untragbaren Ergebnissen führten, wie der Vorschlag, nur die letzte Bedingung sei zu berücksichtigen. Vonall diesen längst in Vergessenheit geratenen Theorien distanziert sich die vom Freiburger Physiologen v. Kries 11 begründete Lehre vom adäquaten Kausalzusammenhang. Zwar teilt sie mit ihnen -das Selbstverständnis einer Kausalitätstheorie und die Absicht, die Grenzen der vom Haftenden zu vertretenden Umstände zu bestimmen. Sie beschränkt sich aber nicht darauf, den Kausalablauf des individuellen Falls zu untersuchen, sondern fragt nach der generellen Eignung eines Umstands von der Art des eingetretenen zur Herbeiführung des Erfolgs. Indem sie den Zweck verfolgt, unter den mit Hilfe der Äquivalenztheorie festgestellten Bedingungen eines Erfolgs diejenigen zu unterscheiden, die
15 Bereits 1904 bemerkte Traeger, dabei werde der Boden rein kausaler Betrachtung verlassen, indem ein juristisches Werturteil eingeschoben werde (S. 42). Ähnlich schon RilmeZin, AcP 90, 282 ff. (283). 16 Siehe die eingehende Darstellung und Kritik bei Traeger, S. 84-115; ferner Lindenmaier, ZHR 113, 219 ff. 17 Über den Begriff der objektiven Möglichkeit und einige Anwendungen desselben, Vierteljahreszeitschrift für wissenschaftliche Philosophie 12 (1888), 179 ff. (hier zitiert nach: Sonderdruck, Leipzig 1888).
A. Die Anfänge
15
speziell für das Recht von Bedeutung sind 18, bemüht sie sich um die Bildung eines spezifisch juristischen Kausalitätsbegriffs. Das Verfahren der Adäquanzprüfung besteht aus zwei Stadien. Zunächst wird der Umstand, nach dessen Eignung zur Erfolgsherbeiführung gefragt wird, abgegrenzt. Dabei wird vom konkreten Fall abstrahiert, was damit begründet wird, daß es widersinnig erscheine, nach der allgemeinen Bedeutung eines speziellen Ereignisses zu fragen, da dann nicht von einer Möglichkeit, sondern von einer Notwendigkeit die Rede sein müsse19 • Im zweiten Stadium wird dann auf Grund allgemeiner Erfahrungsgrundsätze geprüft, in welchem Maß das so abgegrenzte Ereignis die Möglichkeit des Eintritts eines Erfolgs von der Art des eingetretenen erhöht hat. Zwischen beiden Stadien besteht eine Verbindung derart, daß, je breiter die "ontologische" Grundlage gefaßt wird, desto höher der nach der "nomologischen" 20 Beurteilung sich ergebende Möglichkeitsgrad ist. Die Anwendung der Adäquanztheorie kann demnach zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, zumal der für die juristische Würdigung relevante Eignungsgrad sich nicht genau und allgemein festlegen läßt. Zudem ergeben sich Unterschiede aus den verschiedenen Formulierungen der Adäquanztheorie. aa) Den Grundsatz der Adäquanztheorie hat v. Kries folgendermaßen formuliert: "Der Urheber einer ... Handlung (kann) stets nur für die adäquaten, nicht aber für die zufälligen Folgen derselben verantwortlich gemacht werden21 ." Welche die adäquaten Folgen sind, wird danach entschieden, "ob das stattgefundene schuldhafte Verhalten unter den tatsächlich bestehenden allgemeinen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft generell geeignet erscheine, verletzende Erfolge von der Art des vorliegenden herbeizuführen" 22. Dabei sollen nach v. Kries diejenigen Tatsachen berücksichtigt werden, die dem Täter bekannt waren, ferner die von ihm erkennbaren23 , deren Adäquanz aber nach allgemeiner menschlicher Erfahrung beurteilt werden. Da es sich nicht eindeutig bestimmen lasse, welcher Grad von Wahrscheinlichkeit für die Adäquanz erforderlich sei, werde letztlich das Rechtsgefühl darüber entscheiden24. Dadurch, daß er vom Wissen des konkreten Täters ausging, blieb v . Kries dem Vorwurf ausgesetzt, trotz der Verwendung objektiver Rümelin, AcP 90, 171, 179; Traeger, 8.160. Vgl. Traeger, S. 127 f. 20 Zur Terminologie v. Kries, S. 6, 13; Rümelin, AcP 90, 224 f.; ferner Lindenmaier, ZHR 113, 222. 21 v. Kries, S. 49. 22 v. Kries, S. 53. 23 Das sagt v. Kries zwar nicht ausdrücklich (vgl. S. 54), es ergibt sich aber aus seinen Beispielen auf S. 54, 56. 2~ v. Kries, S. 57 ff. 18 19
16
1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung
Maßstäbe vom konkreten Subjekt nicht genügend abstrahiert zu haben; Adäquanz und Verschulden seien bei ihm, so die Kritik, schwerlich zu unterscheiden25• bb) Ähnlich wie v. Kries verwendet auch Rümelin das Kriterium der nach Maßstäben der allgemeinen Erfahrung zu ermittelnden objektiven Begünstigung eines Erfolgs26 bei der BHdung seines Begriffs der adäquaten Verursachung. Inadäquat sind die Folgen, die nur minimal begünstigt worden sind und mit denen die Erfahrung des Lebens nicht mehr rechnet. Im Gegensatz aber zu v. Kries geht Rümelin vom Standpunkt eines objektiven Beobachters aus; nicht die dem Täter bekannten und die von ihm erkennbaren, sondern alle (zur Zeit der Handlung vorliegenden) objektiv erkennbaren Umstände sollen nach ihm berücksichtigt werden. Um diese zu bestimmen, hält er den Zeitpunkt der Beurteilung für entscheidend: Zu berücksichtigen seien nicht nur die zur Zeit der Handlung erkennbaren Umstände, sondern auch die erst durch den späteren Verlauf der Dinge aufgedeckten (z. B. die besondere Körperbeschaffenheit des Verletzten27), mögen sie dem Täter bekannt gewesen sein oder nicht. Daß in diesem Verfahren der "objektiven nachträglichen Prognose" so viele Umstände berücksichtigt werden, daß die Möglichkeit des Erfolgseintritts übermäßig groß ist und somit nur wenige Ursachen als inadäquat zu bezeichnen sind, hat Rümelin selbst zugegeben. Trotz aber der von ihm anerkannten Billigkeitsmodifikationen28 ist die Kritik29 berechtigt. Nichtsdestoweniger bleibt es sein Verdienst, den Adäquanzgedanken mit dem Risikabegriff verbunden sowie ihn mit der Grundstruktur der deliktsrechtlichen Tatbestände konfrontiert zu haben. Den Gefahrgedanken hat er zur Konkretisierung der Adäquanz herangezogen, indem er diese dort leugnet, wo der Beschädigte durch den Schädiger in eine bloß äußere zeitliche und räumliche Beziehung zu der nachher verwirklichten Gefahr gebracht wurde, von der sich deshalb nicht sagen läßt, sie sei erhöht worden, weil man sich nach gesellschaftlichen Vorstellungen "allgemein solchen Gefahren auszusetzen pflegt" 30 • Zum anderen hat Rümelin zwischen dem haftungsbegründenden Vor25 Rü.meUn, AcP 90, 218; Traeger, S. 30; v . Liszt!Schmidt, S. 169; Esser, Schuldrecht I, S. 303. 2s Rü.melin, AcP 90, 217. 21 Rü.melin, Zufall, S. 47; AcP 90, 217, 224. 28 Nach diesen ist von denjenigen Bedingungen zu abstrahieren, zu denen der Verletzte durch den haftungsbegründenden Vorgang lediglich in räumliche und zeitliche Beziehung gebracht wurde, ferner von den zur Zeit der Tat vorliegenden Entschlüssen und Neigungen Dritter, soweit sie der Täter nicht kannte bzw. nicht kennen sollte (AcP 90, 300 f.). 29 Enneccerus/Lehmann, S. 68; Lindenmaier, ZHR 113, 225; Lü.er, S. 86; Traeger, S. 140 ff. 30 Hierin liegt im Keim der Begriff des "allgemeinen Lebensrisikos".
A. Die Anfänge
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gang und den weiteren Wirkungen desselben unterschieden. Zum haftungsbegründenden Vorgang gehöre der "Einbruch in die fremde Rechtssphäre", nämlich der Teil des Tatbestands, auf den sich das Verschulden zu beziehen ha:be. Dieser sei in § 823 Abs. 1 der tatbestandsmäßige Erfolg, etwa die Personverletzung oder die Sachbeschädigung, in § 823 Abs. 2 hingegen die bloße Pflichtverletzung3 1• Der Begriff der adäquaten Verursachung sei auch dabei von Bedeutung, habe aber seinen Hauptherrschaftsbereich in der Abgrenzung der weiteren Wirkungen, die vom Verschulden nicht umfaßt werden32• cc) Die Untersuchungen von Rümelin hat Traeger weitergebracht. Er hat sich nicht nur um eine leicht zu handhabende und praktisch befriedigende Formulierung der Adäquanztheorie bemüht, sondern, ähnlich wie Rümelin, weitgehende Untersuchungen ihrem Verhältnis zu den übrigen Ersatzpflichtvoraussetzungen gewidmet. In seiner als Lehre vom generell begünstigenden Umstand bekannten Fassung der Adäquanztheorie geht er, im Gegensatz zu Rümelin und zu v.Kries, von den einem einsichtigsten Beobachter zur Zeit der Tat erkennbaren Umständen aus: "Eine sich als c. s. q. n. eines bestimmten Erfolgs erweisende Handlung oder sonstige Begebenheit ist dann adäquate Bedingung des Erfolgs, wenn sie generell begünstigender Umstand eines Erfolgs von der Art des eingetretenen ist, d. h . wenn sie die objektive Möglichkeit eines Erfolgs von der Art des eingetretenen generell in nicht unerheblicher Weise erhöht. Um das erforderliche Möglichkeitsurteil zu bilden, ist das gesamte Erfahrungswissen zugrunde zu legen und es sind vorauszusetzen alle zur Zeit der Begehung der Handlung (oder zur Zeit des Eintritts des sonstigen Ereignisses) vorhandenen Bedingungen, die zu diesem Zeitpunkt dem einsichtigsten Menschen erkennbar waren, ferner die dem Täter selbst außerdem noch bekannten33 . " Beim Vergleich mit den übrigen Haftungsvoraussetzungen kommt er andererseits zu ähnlichen Ergebnissen wie Rümelin. Er schreibt der Adäquanz eine im Vergleich zum Verschulden geringere haftungsbegrenzende Rolle zu3 t; dabei unterscheidet er zwischen der haftungsbegründenden Tatsache und den "weiteren Wirkungen" und hält die Adäquanz nur bei diesen für relevant, indem er jene als den vom Verschulden umfaßten Teil des Tatbestands definiert35• Dieser sei in § 823 Abs. 1 der n ächste Erfolg der Handlung, in § 823 Abs. 2 hingegen die bloße Über tretung des Schutzgesetzes, falls dieses ein abstraktes Gefährdungsverbot enthält36 • 31 32 33 34
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Rümelin, AcP 90, 235 ff., insbes. 237, 239. Rümelin, AcP 90, 246, 251. Traeger, S. 159. Traeger, S. 191 ff. So ausdrücklich etwa auf S. 200; dazu näher unten Kap. III, A c. Traeger, S. 197 ff., 201 ff.
2 Sourlas
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1. Kap.:
Lehre und Rechtsprechung
dd) Vom Standpunkt der objektiven ex ante Beobachtung her will auch Enneccerus die Adäquanz beurteilen: "Für die Frage des Kausal-zusammenhangs kommen nicht nur die dem Täter zur Zeit der Schadensverursachung erkennbaren Umstände in Betracht, sondern alles, was zu jener Zeit überhaupt (dem einsichtigen Menschen) erkennbar war37 ." Das p01sitive Erfordernis der Begünstigung des Erfolgseintritts für die Bejahung der Adäquanz hält er aber entgegen Rümelin und Traeger; für zu eng38 und befürwortet die umgekehrte negative Fassung, die die Ausscheidung der inadäquaten Folgen ermöglicht: "Selbst beim Vorliegen des Bedingungsverhältnisses kann aber der Schaden im Rechtssinne dann nicht als Folge der Tatsache betrachtet werden, wenn diese ihrer allgemeinen Natur nach für die Entstehung eines derartigen Schadens ganz indifferent war und nur irrfolge anderer außergewöhnlicher Umstände zu einer Bedingung des Schadens wurde39." c) Nach langem Schwanken40 entschied sich das Reichsgericht zum erstenmal im Jahre 190241 für die Adäquanztheorie, die dann innerhalb von weniger als 10 Jahren die in der Zivilrechtsprechung absolut herrschende Kausalitätslehre wurde. Das Reichsgericht spricht seitdem vorwiegend von der "adäquaten Verursachung" oder vom "ursächlichen Zusammenhang im Rechtssine" im Gegensatz zum "natürlichen, erkenntnistheoretischen Ursachenbegriff" 42 • Es verwendet dabei die Traegersche Formel43 , vor allem aber eigene Formulierungen, die dadur ch, daß sie eher dazu geeignet sind, die inadäquaten Folgen auszuschließen, als die adäquaten sichtbar zu machen, der Formel von Enneccerus näher ·s tehen: Der eingetretene Erfolg dürfe nicht in einem so entfernten Zusammenhang mit dem in Frage stehenden Verhalten stehen, "daß er nach der Auffassung des Lebens vernünftigerweise nicht mehr in Betracht gezogen werden kann" 4 ' ; er dürfe nicht "außerhalb aller WahrscheinlichkeitU45 liegen; das Verhalten müsse seinerseits "allgemein und nicht Enneccerus!Lehmann, S. 67 f. Und zwar im Hinblick auf die §§ 447, 287 und 848, bei denen keine Erhöhung, sondern bloß eine Veränderung der Gefahr vorliege. Deshalb sieht er in ihnen keine Ausnahme, wie es bei Traeger der Fall ist, sondern eine Bestätigung seiner Formel; Enneccerus!Lehmann, S. 65 Anm. 4. 39 Enneccerus!Lehmann, S. 66; die Formel stammt fast wörtlich aus der 1. Aufl. von Enneccerus, Band I, S. 367. 40 Dessen wahrscheinlich letztes Zeichen stellt das Urteil vom 28. 2. 1908 (RGZ 69, 57) dar. 41 RG 20. 2. 1902 RGZ 50, 219. 42 So etwa RGZ 50, 219; RG JW 1908, 41 Nr. 16; RGZ 72, 324; RGZ 81, 359; RGZ 103, 144; RGZ 140, 1 (9); RGZ 151, 279; RGZ 168, 86; RGZ 169, 117. •s So RGZ 86, 425; RGZ 105, 264; RGZ 106, 14. 44 RG JW 1908, 526; RG SeuffA 64, Nr. 7; RGZ 72, 324; RG JW 1910, 650; RG JW 1911, 399 Nr. 6; RGZ 78, 270. 45 RGZ 143, 118; RGZ 148, 154; RGZ 152, 397; RGZ 169, 84. Vgl. ferner RGZ 81, 359. 37
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A. Die Anfänge
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unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Erfolgs geeignet" 46 gewesen sein. Diese Formulierungen hat das RG in bezug auf sehr verschiedene Tatbestände ver-· wendet: im Bereich der Vertragshaftung, bei den §§ 254, 823 Abs. 1 und 2, 826, 839 BGB, 945 ZPO, im Bereich der Gefährdungshaftung (§ 833 BGB und andere Tatbestände). Die konkreten Probleme, die durch dieselben abstrakten Formeln bewältigt worden sind, sind ebenfalls sehr verschiedenartig: ob der Schädiger für Schockschäden Dritter47 , für Nervenschäden eines bereits psychisch Erkrankten (Anlagefälle) 48 , für leichte oder grobe Kunstfehler des die Verletzung behandelnden Arztes49 , für den Tod des Verletzten irrfolge einer Ansteckung im Krankenhaus50, ob der Kraftfahrzeughalter für während einer Schwarzfahrt verursachte Schäden Dritter51 haftet und viele andere mehr.
2. Die Normzwecklehre Bietet die Adäquanztheorie ein einheitliches Kriterium, anhand dessen die Grenzen des Verursachungsbegriffs und insofern auch der Haftung für verursachte Schäden mittels generalisierender objektiver Betrachtung und ohne Rücksicht auf den konkreten Tatbestand zu ermitteln sind, so schlägt die Normzwecklehre den entgegengesetzten Weg ein, indem sie sich vornimmt, die jeweiligen Grenzen der Haftung in bezug auf die konkrete in Betracht kommende Haftungsnorm zu bestimmen, d. h. sie aus dem Sinn und Zweck des vom Schädiger verwirklichten Tatbestands heraus zu interpretieren. Die Normzwecklehre ist geschichtlich im Bereich des § 823 Abs. 2 BGB entstanden und wurde zunächst in Österreich zu einem allgemeinen Grundsatz des Haftungsrechts entwickeW2; daraus hat sie Rabel in das deutsche Recht übertragen. a) Im Bereich des§ 823 Abs. 2 BGB hat die Rechtsprechung den Normzweckgedanken seit dem Irrkrafttreten des BGB stets angewandt53 • Die Vorschrift verlangt bekanntlich, daß der Schädiger "gegen ein den RGZ 133, 126; RGZ 135, 149; RGZ 158, 34; RGZ 168, 86. RG JW 1908, 41 Nr. 16; RGZ 133, 270. 48 RG JW 1908, 526; RG SeuffA 64, Nr. 7; RGZ 103, 144; RG JW 1934, 1526; RG JW 1936, 1536; RG JW 1938, 105; RG JW 1939, 346; RG SeuffA 95, Nr. 9; RGZ 151, 279; RGZ 155, 37. 49 RG JW 1911, 754; RG JW 1921, 741; RG JW 1937, 990 Nr. 3; RGZ 102, 230. 50 RGZ 105, 264. 51 RGZ 135, 149. 52 Ansätze einer solchen Ausdehnung finden sich aber bereits bei Merkel, Endemann und M. L. Mü.Her. Dazu Mü.nzberg, S. 124 f. Anm. 248; ergänzend Stoll, Kausalzusammenhang, S. 7 Anm. 16. 53 Der Normzweckgedanke wurde sogar vor dem Irrkrafttreten des BGB von der Rechtsprechung zu § 26 I 6 ALR angewandt, worauf von Friese, S. 43, Heuer, S.104ff. und Stoll, Kausalzusammenhang, S. 6 Anm. 15 hingewiesen wird. Er war auch den Verfassern des BGB bekannt (vgl. Mugdan II, S. 1075). 46 47
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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung
Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz" verstoßen hat. Die Beantwortung der Frage, ob das vom Schädiger übertretene Gesetz ein "Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2" ist, ob es nämlich den Schutz bestimmter Einzelpersonen oder Personengruppen bezweckt, sei es auch sekundär - nicht jedoch bloß reflexiv - , setzt natürlich das richtige Verstehen des Schutzzwecks der Norm voraus54 • Abgesehen aber davon hat die Rechtsprechung das Zusammentreffen drei zusätzlicher Voraussetzungen für die Bejahung der Haftung verlangt. Zunächst soll der Schädiger zum Personenkreis gehören, den die Rechtsordnung durch Aufstellung des Schutzgesetzes, d . h . durch Mißbilligung des in ihm beschriebenen Verhaltens gerade schützen wollte. Verstößt ein Drogerieinhaber gegen die Verordnung, nach der bestimmte Arzneimittel nur in Apotheken verkauft werden dürfen, so ist er nach dem RG 55 gegenüber dem Apotheker zum Ersatz des ihm entgangenen Gewinnes verpflichtet, da die Verordnung auch dessen Schutz neben dem der öffentlichen Gesundheit bezweckt. Dagegen schützt die Vorschrift, wonach Kraftfahrzeuge verkehrssicher gebaut und ausgerüstet werden müssen, nur die Personen, die unmittelbar vom Verkehr berührt werden, nicht Dritte, denen nur mittelbar ein Schaden aus dem Unfall entsteht56• Zweitens soll das Gesetz den Schutz gerade des Rechtsguts bzw. Interesses bestreben, welches in concreto verletzt worden ist. So hat das RG;;7 die Haftung des Arbeitgebers für Gesundheitsschäden eines von ihm beschäftigten Minderjährigen mit der Begründung bejaht, daß die Vorschrift, wonach Kinder über 13 Jahre nur dann beschäftigt w erden dürfen, wenn sie nicht mehr zum Besuch der Volksschule verpflichtet sind, zum Schutz der durch Übermüdung gefährdeten Gesundheit der Kinder diene. Schließlich wird gefordert, daß die konkrete Art der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts eine nach dem Sinn des Schutzgesetzes spezifische Verwirklichung darstellt, wovor geschützt werden sollte. Beschäftigt e in Wirt einen 13jährigen Jungen entgegen dem Gesetz abends n ach 8 Uhr, so haftet er nicht, w enn dieser beim Kegelaufstellen durch eine vorzeitig geworfene Kugel verletzt wird; zwar sollte die Gesundheit des Jungen geschützt werden, nicht jedoch vor solchen Verletzungen, die mit den spezifischen Gefahren nächtlicher Arbeit nichts mehr zu tun h aben und darum außerhalb des Schutzbereichs der Norm liegen 58• 54 Stellvertretend für viele Esser, Schuldrecht II, S. 408; Larenz, Schuldrecht Il, S. 469. 55 RGZ 128, 298 mit ausführlicher Begründung; ähnlich schon früher RGZ
77, 217 (221). 58 RGZ 163, 21 (33). 57 RG JW 1914, 644 Nr. 6; zur gleichen Vorschrüt (Gewerbeordnung) RGZ 105, 336. 58 Wegen seiner Anschaulichkeit oft zitiertes Urteil des LG Hannover, Recht 1910, Nr. 35.
A. Die Anfänge
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Diese Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken, daß in einem Deliktsrechtssystem, wo der Schadensausgleich mit der Rechtsverfolgung so eng verbunden ist, daß die Schadensersatzpflicht eine gegen bestimmte Rechtsgüter gerichtete und deshalb unerlaubte Handlung des Schädigers zur Voraussetzung hat, der besondere Zweck der vom Schädiger übertretenen Norm nicht ohne Bedeutung für die Zurechnung der einzelnen dem Schaden zugrunde liegenden Rechtsgutverletzungen sein kann. Die Rechtsordnung verbietet, das in dem Schutzgesetz beschriebene Verhalten wegen seiner besonderen Gefährlichkeit gegen bestimmte Rechtsgüter einzelner Personen bzw. Personenkreise. Wenn nun dieselben Vorschriften in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB als Haftungsnormen in Betracht kommen, dann ist ihre Anwendung mit den Grundgedanken eines solchen Deliktsrechtssystems nur dann vereinbar, wenn man denjenigen, der gegen sie verstoßen hat, nur für die Rechtsgutverletzungen haften läßt, die die geschützten Personen und Rechtsgüter betreffen und die Ausdruck der spezifischen Gefährlichkeit seines Verhaltens sind, in dessen Unrechtsgehalt sie somit ihre Wurzel haben"9 • b) Nach dem Österreichischen Recht60 verpflichtet jede rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführte Schädigung eines anderen zum Schadensersatz61. Die Praktikabilität einer solchen Generalklausel verlangt die weitgehende Konkretisierung ihrer einzelnen Tatbestandsmerkmale; andererseits ist es erforderlich, soll ein Zirkelschluß vermieden werden, die Rechtswidrigkeit anders als vom tatbestandliehen Erfolg her, der Schadensverursachung, zu beurteilen62. Somit wird die große Bedeutung erhellt, die im Österreichischen Recht dem Rechtswidrigkeitsbegriff zukommt, womit auch erklärt wird, wie in Österreich die Normzwecklehre als Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang zu einer eine allgemeine Haftungsvoraussetzung erfassenden Lehre geworden ist. aa) Das Erfordernis der Rechtswidrigkeit besagt nach K. Wolff dreierlei: Rechtswidrig soll einmal das Verhalten sein, dann der Erfolg und schließlich die Beziehung zwischen beiden (Rechtswidrigkeitszusammenhang)63. Ein Erfolg sei rechtswidrig, wenn er rechtlich unerwünscht sei, indem entweder seine Herbeiführung verboten oder seine 59 Ausdruck von v. Caemmerer, DAR 70, 289. 60 Zum Folgenden Bydlinski, JBl 1958, 1 ff.; Heuer, S. 64 ff.; Th. Raiser, Haftungsbegrenzung, S. 27 ff.; Wilburg, Elemente, S. 240 ff.; Piegler, Karlsruhet· Forum 59, 54 f. &t § 1295 i. V. m. § 1294 ABGB. 62 Vgl. im französischen Recht die von H. et L. Mazeaud - A. Tune, Responsab1lite civile, Bd. I, Nr. 389 (6. Aufl. 1965) geäußerten Bedenken gegen die Deutung der faute als fait illicite imputable a son auteur. 63 K. Wolf!, Verbotenes Verhalten, S. 186 ff.; Klang/Wolf!, § 1294 Anm. I 2a, 2b; Grundriß, S. 52 ff.
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1. Kap.: Lehre und Rechtsprechung
Beseitigung Pflicht sei64. Wann ein Verhalten rechtswidrig sei, hänge von einer Interessenbewertung im konkreten Fall ab, wobei das Interesse an der Vermeidung eines Verhaltens und das an seiner Verwirklichung gegeneinander abgewogen werden. Das Interesse an der Vermeidung und das an der Verwirklichung desselben Verhaltens seien desto größer, je größer die Möglichkeit des Eintritts des unerwünschten (Gefahr) bzw. des erwünschten Erfolgs und je höher der Wert des durch das Verhalten gefährdeten bzw. geschützten Interesses sei65. Dabei seien minimale Möglichkeiten, etwa die üblichen Gefahren des täglichen Lebens, nicht zu berücksichtigen66. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang67 schließlich bringe die Tatsache zur Geltung, daß ein und dasselbe Verhalten mehrere rechtswidrige Erfolge herbeiführen könne. Das Tatbestandsmerkmal "Rechtswidrigkeit" sei nur dann erfüllt, wenn das Rechtswidrigkeitsurteil über das Verhalten gerade in bezug auf den eingetretenen Erfolg gefällt wurde, nicht aber, wenn ein ganz anderer Erfolg eingetreten ist, wofür die Möglichkeit minimal war und somit das Interesse an der Vermeidung des Verhaltens im Hinblick auf diesen Erfolg auch gering war, mag es hinsichtlich anderer Erfolge bedeutsam gewesen sein68. Das Interessante bei diesen Überlegungen liegt darin, daß sie einerseits die Notwendigkeit der offenen Interessenahwägung beim Rechtswidrigkeitsurteil69 hervorheben und andererseits den Möglichkeitsgrad des Erfolgseintritts, wofür ausschließlich sich die Adäquanztheorie interessier t, zum Bestandteil des Rechtsw~drigkeitsurteils machen. Somit bleibt für einen "juristischen Verursachungsbegriff", der die Aufgabe einer Grenzenbestimmung der Haftung übernehmen soll, kein Raum70. Da aber die Rechtswidrigkeit nicht als Normwidrigkeit verstanden wird, kann man vom Normzweck im Sinne der Normzwecklehre nur schwerlich sprechen. bb) Demgegenüber bestimmt Ehrenzweig die Rechtswidrigkeit der Schadensverursachung als Rechtsnormwidrigkeit: Die Haftung setze 64 K. Wolff, Verbotenes Verhalten, S. 175 ff.; Grundriß, S. 52. 65 Verbotenes Verhalten, S. 198 ff.; Grundriß, S. 53; Klang/Wolf!, I 2b zu § 1294 ABGB. 66 Verbotenes Verhalten, S. 199. 67 Verbotenes Verhalten, S. 197 f.; 202 f.; Klang/Wolff, a.a.O., 2b. 68 In Verbotenes Verhalten, S. 203 bringt Wolf! folgendes Beispiel: "Ist es aus politischen Gründen verboten, nach 7 Uhr abens auf der Straße zu verweilen, so hat X, der dem Verbot zuwider ausgeht, ausrutscht und ein tief gelegenes Fenster zertrümmert, zwar durch verbotenes Verhalten einen rechtswidrigen Erfolg herbeigeführt, aber nicht rechtswidrig herbeigeführt." 69 Obwohl Wolff die Interessenahwägung als einen "Verbotsausschlußgrund" (Verb. Verb., S. 197) ansieht, was im deutschen Recht in bezugauf die "Sozialadäquanz" und das "verkehrsrichtige Verhalten" später aktuell werden sollte. · 70 Dazu eingehend K. Wolff, Verb. Verhalten, S. 257 ff.
A. Die Anfänge
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den Verstoß gegen eine Rechtsnorm voraus71 . Das genüge jedoch nicht für die Haftungsbegründung. Es müsse darüber hinaus berücksichtigt werden, daß jede Rechtsnorm keine absolute, sondern nur eine relative Wirkung habe, indem sie den Schutz bestimmter Interessen bezwecke. "Soll die Zuwiderhandlung gegen einen Hechtssatz einen Schadensersatzanspruch auslösen, so muß sie eben jene Interessen verletzen, deren Schutz die Rechtsns Dieses Argument ist besonders dann von Bedeutung, wenn man, Münzberg (S. 80 Anm. 160 a. E.) folgend, den Erfolg nicht nur aus der Rechtswidrigkeit, sondern aus dem Unrecht ausklammern würde.
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3. Kap.: Haftungsbegründung und Folgenzurechnung
Schädigers charakterisiert, ist nicht ein gedachter Erfolg, der eine durch eine Zweitverletzung verwirklichte gefährliche Lage geschaffen hat, sondern der wirklich eingetretene, die Verletzung eben eines anfälligen Menschen. Angesichts dieser Schwierigkeiten der Einordnung erscheint es angemessen, statt eine Klassifizierung zu erzwingen, aus der Narrnativität der Unterscheidung ihre Relativität zu folgern. Läßt sich nämlich ein bestimmter Fall in die typischen Fallgruppen beider Zurechnungsbereiche nicht befriedigend einordnen, weil die ihn kennzeichnenden Wertungsfragen von den für diese typischen abweichen, so ist dies kein Grund, entweder die Unterscheidung im ganzen abzulehnen oder eine Einordnung durch spitzfindige Argumente zu erzwingen, um daraus eine Lösung zu entnehmen. Es ist vielmehr den speziellen Wertungsfragen das Primat zuzuerkennen, wodurch auch die Eigenart der sich der Einordnung entziehenden Fälle geprägt wird56 • C. Adäquanz und Normzweck im Bereich der Haftungsbegründung und der Folgenzurechnung
Die vorangegangenen Ausführungen legen es nahe, die Ansicht als richtig anzusehen, die die Haftungsbegründung als den Hauptanwendungsbereich der Normzwecklehre betrachtet, dieser aber in der Folgenzurechnung keine entscheidende Bedeutung zugesteht57• Denn, versteht man die Unterscheidung von Haftungsbegründung und Folgenzurechnung in dem Sinne als normativ, daß als haftungsbegründend diejenige Rechtsgutverletzung zu bezeichnen ist, deren Beziehung zum Täterverhalten einen selbständigen Unrechtsgehalt aufweist, dann ist dabei die Bedeutung der vom Schädiger verletzten Norm offensichtlich. Ihr Sinn 58 Eine Untersuchung der Wertungsfragen bei den Anlagefällen zeigt eine gewisse Parallelität zu der Problematik der Schadensberechnung. Wie dort hat auch hier der Schädiger sein Opfer so zu nehmen, wie es ist; dessen Anfälligkeit oder Krankheit vermag - wie auch dort die etwaige Eigenart und Höhe des Schadens, die auf einer ungewöhnlichen, aber rechtlich nicht zu beanstandenden Lebensorganisation des Geschädigten beruht - den Schädiger nicht zu entlasten. Der kranke oder anfällige Mensch hat in gleichem Maß wie jeder andere ein Recht darauf, an der zwischenmenschlichen Kommunikation teilzunehmen. Diese Teilnahme kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, was die Anwendung des § 254 rechtfertigen würde (h. M.; anders jedoch Rother, Haftungsbeschränkung, S. 28 f. m. Anm. 4). Das Recht, das von ihm verlangen würde, sich vom Sozialleben zurückzuziehen, wäre keines. Es ist demnach gerechter, den Schädiger für den ganzen Schaden haften zu lassen, den jedenfalls der Vorwurf der unerlaubten Handlung trifft (s. die übersichtliche Darstellung und treffende Argumentation bei Friese, S. 174 ff.; ferner Liler, S. 137 ff.). Anders ist die Lage bei der Beschädigung einer fehlerhaft beschaffenen Sache. Hier wird meistens § 254 heranzuziehen sein, da der Eigentümer einer Sache für deren Zustand Dritten gegenüber verantwortlich ist, ihm also ein fehlerhafter Zustand in weitestem Sinne vorgeworfen werden kann (weiteres bei Friese, S. 203 ff.). 57 Siehe die Hinweise oben Kap. I, B 2, Anm. 10.
C. Adäquanz und Normzweck bei Haftungsbegründung und -ausfüllung 89 und Zweck spielt bei der Bestimmung des genannten Unrechtsgehalts eine entscheidende Rolle: Daraus sind die Kriterien zu entnehmen, wovon abhängt, ob die eingetretene Rechtsgutverletzung eine Verwirklichung des durch die Norm statuierten Unrechts ist. Bei der Folgenzurechnung geht es hingegen um Rechtsgutverletzungen, die mit dem verwirklichten Unrecht in nur mittelbarem Zusammenhang stehen, indem sie Ausdruck der durch die Erstverletzung geschaffenen gefährlichen Lage sind, ohne aber selbst das Unrecht zu prägen. Sie sind für den Unwert des Täterverhaltens nicht von Bedeutung, sondern bestätigen bloß den Unwert des herbeigeführten Erfolges. Ihre Zurechnung hängt deshalb von der Eigenart des ersten Erfolgs, nicht von der des Täterverhaltens ab. Der Schädiger muß zwar unerlaubt gehandelt haben, welche Verhaltensnorm er aber verletzt hat, ist für die Folgenzurechnung unerheblich58• Die Normzwecklehre bietet hier demzufolge kein brauchbares Zurechnungskriterium. Im Laufe dieser Erörterungen könnte indessen der berechtigte Verdacht entstehen, daß sich dabei ein circulus vitiosus eingeschlichen habe. Wenn nämlich, so der mögliche Einwand, die Unterscheidung von Haftungsbegründung und Folgenzurechnung normativ, durch Abstellen auf den Unrechtsgehalt von Verhalten und Erfolg zu erreichen sei, dann erscheine die Behauptung des Primats der Normzwecklehre in der Haftungsbegründung als tautologisch. Denn, mache man mit der Narrnativität der Unterscheidung ernst, dann müsse durch die Einordnung eines Falles in die Haftungsbegründung zugleich die Normzweckkongruenz - und demzufolge auch die Haftung - bejaht worden sein. Oder umgekehrt: in jedem Fall werde man von der Anwendung der Normzwecklehre ausgehen können und bei negativem Ergebnis andere Kriterien heranziehen, ohne daß die Einordnung in die Haftungsbegründung bzw. -ausfüllung einen eigenen Aussagegehalt besitze. Entgegen diesen Bedenken ist zu betonen, daß die Narrnativität der Unterscheidung keine endgültige Anwendung der Normzwecklehre bedeutet. Sie fordert eine erste Orientierung über den Unrechtsgehalt des Verhaltens des Täters in bezug auf die eingetretene Rechtsgutverletzung, nicht aber ein definitives Urteil über die Haftung. Nun kann auch der Sinn der untersuchten Einteilung genauer formuliert werden: Sie ist keine formale Differenzierung, die der Prüfung der eigentlichen Haftungsfrage zeitlich oder logisch vorangeht; sie ist ein Stück Entscheidung, ohne diese andererseits zu erschöpfen. Im folgenden Teil der Arbeit ist die Problematik der Haftungsbegründung eingehender zu untersuchen. Was eine dogmatische Untersuchung in diesem Bereich zu leisten hat, ergibt sich aus den allge58
Zutreffend Stall, Kausalzusammenhang, S. 27.
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3. Kap.: Haftungsbegründung und Folgenzurechnung
meinen Aufgaben einer sich um Durchsichtigkeit bemühenden, die Wertungen nicht verschleiernden Dogmatik einerseits und der Natur des Gegenstands der Untersuchung andererseits. Den Rahmen der Untersuchung bilden zunächst die Wertungen, von denen die Beantwortung der Frage abhängt, ob eine Rechtsgutverletzung jemandem um der Begründung einer Ersatzpflicht willen als dessen unerlaubte Handlung zuzurechnen ist; dann die Systematik des deutschen Rechts, die bekanntlich drei Zurechnungsstufen, nämlich Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, kennt. Den Untersuchungsgegenstand stellen diejenigen Problembereiche dar, die bisher vorwiegend mit Hilfe der Adäquanztheorie gelöst worden sind, und deren dogmatische Einordnung. Die bisherigen Ausführungen und die aufgestellten Fallgruppen der Haftungsbegründung lassen erkennen, daß die Adäquanztheorie, soweit sie traditionsgemäß als auf die statistische Häufigkeit des Erfolgseintritts abstellend verstanden wird, nur einen Aspekt des Problems erfaßt und die anderen, meist wichtigeren, entweder völlig ausschaltet, oder, gibt sie sich als normativ, unter falschem Namen berücksichtigt. Ob sie durch die Normzwecklehre befriedigend ersetzt werden kann, wird sich am Ende von selbst ergeben. Nicht untersucht werden kann in diesem Rahmen die Problematik der Folgenzurechnung. Auch hier haben es die bisherigen Ausführungen und Fallgruppen nahegelegt, daß die statistische Häufigkeit des Eintritts der Folgeverletzung die für die Zurechnung relevanten Haftungsfragen bei weitem nicht erschöpft. Daß auch die Normzwecklehre nicht weiter hilft, wurde bereits angedeutet. Hier entstehen spezielle Probleme, da die Folgeverletzungen, obwohl Folgen des Unrechts, bloß dessen Peripherie darstellen und somit dem dreistufigen Aufbau des Unrechtskerns sich entziehen. Die Folgenzurechnung verlangt also eine spezielle Untersuchung, die hier urrbeschadet der übrigen Darstellungen ausgeklammert werden konnte.
Zweiter Teil
Die Problematik der Haftungsbegründung Vorbemerkung a) Mit welchen Fragen man sich bei der Erörterung der Problematik der sog. haftungsbegründenden Kausalität bei § 823 Abs. 1 auseinanderzusetzen hat, hat die bisherige Darstellung in Konturen angedeutet. Um dies nun näher zu zeigen, ist an den bereits1 dargestellten Fallgruppen anzuknüpfen, bei denen nach der traditionellen Methode die Haftung mit Hilfe der Adäquanztheorie begründet oder verneint wurde. Wie erinnerlich, hat bei der ersten Fallgruppe die Adäquanzprüfung dazu gedient, den Unrechtscharakter des Täterverhaltens aufzuzeigen, indem auf dessen Eignung zur Herbeiführung eines von der Rechtsordnung mißbilligten und in concerto eingetretenen Erfolgs abgestellt wurde. Bei der zweiten Fallgruppe steht der Unrechtscharakter des Täterverhaltens fest, der eingetretene tatbestandsmäßige Erfolg ist aber nicht derjenige, in bezug auf den das Täterverhalten unerlaubt war, bzw. es geht um die Zurechnung von Drittwirkungen2 einer feststehenden unerlaubten Handlung, deren haftungsbegründender Charakter gegenüber dem Erstgeschädigten außer Zweifel steht. Allen Fallgruppen ist gemeinsam, wie bereits ausgeführt, daß für die Begründung der Haftung die Einheit "Täterverhalten - eingetretener Erfolg" einen selbständigen Unrechtsgehalt aufweisen muß. Während aber bei der ersten Fallgruppe der Unwert des Täterverhaltens in Frage steht, bringt die andere zum Ausdruck, daß weder der Verhaltens- noch der Erfolgsunwert an sich die Haftung zu begründen vermögen, daß vielmehr auch die Verbindung von beiden für das Unrecht typisch sein muß. Schon dieser Unterschied weist darauf hin, daß die Problematik der Haftungsbegründung vielfältig ist und Fragen aufwirft, die mit allen drei Zurechnungsstufen des Deliktssystems in Zusammenhang Oben Kap. 111, B 1 und 2. Wenn eine Zweitverletzung derselben Person vorliegt, dann gehört sie nach dem bisher Gesagten meistens in den Problemkreis der Folgenzurechnung, es sei denn, daß es sich um ein Doppeldelikt gegen dieselbe Person handelt. Trifft letzteres zu, dann ähnelt sich der Fall den zu der zweiten Fallgruppe gehörenden. t
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Die Problematik der Haftungsbegründung
stehen, hält man an dessen dreistufigem Aufbau fest. Eine kurze Betrachtung der bisherigen praktischen Handhabung der Adäquanztheorie und deren theoretischer Rechtfertigung auf diesem Gebiet genügt, um dies zu verdeutlichen. Auf die Stufe der Tatbestandsmäßigkeit bezieht sich zunächst die ursprüngliche Deutung der Adäquanztheorie als Auslegungsinstrument des V erursachungsbegriffs sowie die umfassendere Frage der Rolle der Kausalität bei der Haftungsbegründung; ferner die Einordnung der Adäquanz in den Handlungsbegriff durch verschiedene Handlungslehren. In die Stufe der Rechtswidrigkeit gehört vor allem die die erste Fallgruppe kennzeichnende Fragestellung; hier ist die Heranziehung des Adäquanzgedankens durch die Rechtsprechung in Beziehung zu bringen zu der späteren Entwicklung der Rechtswidrigkeitslehre, die zumindest in den Fällen der mittelbaren Rechtsgutverletzungen die erfolgsbezogene Rechtswirdrigkeit ablehnt, wodurch für die dogmatische Erfassung der Verkehrssicherungs- und Sorgfaltspflichten sich neue Wege eröffnet haben. Die zweite Fallgruppe ist wegen der bei ihr besonders prägnanten Aufdeckung gewisser Seiten der Fahrlässigkeitsproblematik vor allem für die Verschuldensstufe von Bedeutung; Vorhersehbarkeit, Rechtswidrigkeits- und Schuldzusammenhang bei § 823 Abs. 1 und 2 sind die Stichworte für die hier entstehenden Fragen. Diese kurze Aufzählung macht zugleich deutlich, daß die Erörterung der unter der Bezeichnung der haftungsbegründenden Kausalität zusammengefaßten speziellen Fragen nicht möglich ist ohne Stellungnahme zu d en allgemeinen, zum Teil sehr umstrittenen Fragen der Tatbestandsmäßigkeit, der Rechtswidrigkeit und der Fahrlässigkeit im zivilen Deliktsrecht. Die Adäquanztheorie hat mit den alten Vorstellungen über diese Begriffe jahrzehntelang in innerem Zusammenhang koexistiert, sie kann aber angesichts der tiefgreifenden Fortschritte der deliktsrechtlichen Dogmatik auf diesen Gerbieten nicht unberührt fortbestehen. Eine detaillierte Erörterung dieser allgemeinen Fragen ist freilich im Rahmen dieser Arbeit unmöglich, andererseits ist aber die Entscheidung für diese oder jene Theorie keine Festlegung von Arbeitshypothesen, die somit axiomatisch3 gelten, sie muß vielmehr begründet werden. Dem trägt auch die Gliederung der Arbeit Rechnung: Statt von den einzelnen Fallgruppen auszugehen, folgt die Darstellung dem geschichteten Aufbau des Deliktssystems, indem sie die mit jeder Zurechnungsstufe zusammenhängenden Fragen getrennt erörtert. Somit wird zugleich das vorwiegend dogmatische Interesse der Arbeit unterstrichen. 3 So aber für den Handlungsbegriff Klug, Festschr. f. Emge, S. 47 f., nach dem keine Realdefinition, sondern lediglich eine analytische semantische Definition der Handlung mögliC'h sei. Dagegen Arthur Kaufmann, Handlung, in: Schuld und Strafe, S. 31.
Vorbemerkung
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b) Die Untersuchung der Problematik der Haftungsbegründung entsprechend dem geschichteten Aufbau des Deliktssystems macht einige Bemerkungen zu diesem Aufbau erforderlich. Es ist bereits gesagt worden\ daß die Unterscheidung einzelner Zurechnungsstufen der Hervorhebung der einzelnen über die Haftung entscheidenden Wertungen und somit der Rationalität der Rechtsanwendung dient. Hier sind nun einige Sätze zum Schema "Tatbestandsmäßigkeit- Rechtswidrigkeit- Verschulden" am Platz. Dabei muß zunächst betont werden, daß dieser dreistufige Aufbau keine voraussetzungslose Prämisse der Untersuchung des Deliktssystems ist, so daß eine Einordnung der Einzelfragen in dieses Schema um jeden Preis zu erzwingen wäre. Er ist vielmehr selbst das Ergebnis dieser Untersuchung. Andererseits spielt aber bei dieser auch ein systematisches Erkenntnisinteresse, in dem sich auch die Kontinuität der bisherigen Dogmatik manifestiert, eine wichtige Rolle. Der dreistufige Aufbau des Deliktssystems erstrebt eine fortschreitende Konkretisierung des Urteils, daß der jeweils vorliegende Sachverhalt eine zum Schadensersatz verpflichtende unerlaubte Handlung darstellt. Die Tatbestandsmäßigkeit bedeutet, daß in einer ersten Wertung ermittelt wurde, daß der Sachverhalt zunächst einmal einem der gesetzten Unrechtstypen entspricht. Die beiden anderen Zurechnungsstufen kennzeichnet dann ein "allmähliches Fortschreiten vom Typischen zum Individuelleren" 5 • Die Rechtswidrigkeitsstufe bringt zum Ausdruck, daß das, was sich als Verwirklichung eines Unrechtstypus erwiesen hat, auch den konkreten Umständen nach ein Unrecht darstellt, daß also auch die besonderen Umstände seines Zustandekoromens ein Unwerturteil seitens der Rechtsordnung rechtfertigen. Die Verschuldensstufe beinhaltet schließlich die Prüfung, ob dieses konkrete Unrecht dem konkreten Täter auch vorzuwerfen ist, weil er sich in der gegebenen Situation anders hat verhalten können und sollen. Was diese Grundsätze im einzelnen bedeuten, kann hier nicht näher dargestellt werden; Teilaspekte dieser Frage werden jedenfalls durch die nachfolgenden Erörterungen berührt. Vor Beginn dieser Untersuchung ist noch klarzustellen, daß dabei die Adäquanz als Ergebnis der Untersuchung der Begünstigung des Erfolgseintritts bzw. der darauf beruhenden objektiven Voraussehbarkeit verstanden wird. Wertungen, die darüber hinausgehen, sind von ihr ferngehalten worden.
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5
Oben Kap. II, A, 1 a m. Nachw. Horn, S. 80; zustimmend Löwisch, S. 49.
Kapitel IV
Tatbestand und Adäquanz bei §823 Abs.l BGB A. Die tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung nach § 823 Abs. 1
1. Der Erfolg als unrechtsbestimmender Faktor a) Die unerlaubte Handlung, an deren Begehung das Gesetz in § 823 Abs. 1 eine Schadensersatzpflicht anknüpft, ist die (rechtswidrige und vorsätzliche oder fahrlässige) 1 Verletzung eines der durch die Vorschrift geschützten Rechtsgüter oder subjektiven Rechte. Sie ist der Unrechtstatbestand. Gegen diese Annahme bestehen keine ernsthaften Bedenken. Zwar ist der Einwand denkbar, daß § 823 Abs. 1 dem Verletzerder geschützten Güter und Rechte eine Schadensersatzpflicht auferlege, die in erster Linie nicht der Sanktionierung seines Verhaltens diene, sondern dem Schadensausgleich, woraus zu schließen sei, daß die Rechtsgutverletzung zwar Haftungsvoraussetzung, aber nicht schon deshalb Unrecht sei2 • Dem läßt sich entgegnen, daß die Haftung aus § 823 Abs. 1 trotzdem eine aus unerlaubter Handlung ist, die Verletzung der geschützten Güter und Rechte, anders als im Bereich der Gefährdungshaftung etwa das Halten eines Kraftfahrzeugs, durch die Rechtsordnung mißbilligt, d. h. als Unwert angesehen wird. Um dies zu begründen, braucht man nicht anzunehmen, daß es im privaten Deliktsrecht sowohl um Schadens- wie um Schuldvergeltung gehe3 • Es genügt, daß die Rechtsgutverletzung auch bloß als Voraussetzung des Schadensausgleichs rechtlich mit einem negativen Werturteil verbunden wird und daß die Anordnung einer Schadensersatzpflicht zu einer sei es nur sekundären Präventivfunktion der Deliktsvorschriften faktisch führt. Steht somit die Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder einem sonstigen Recht als Unrechtstatbestand fest, so fragt sich weiter, was als solche zu verstehen ist. Schon die Formulierung des Gesetzes legt es nahe, bei deren Bestimmung von jedem Erfolg 1 Von der Frage, ob der Vorsatz zum Tatbestand gehört, muß hier abgesehen werden. Für die Fahrlässigkeit s. unten unter 2. ! Zur Fragestellung vgl. D eutsch, Fahrlässigkeit, S. 201 f.; Münzberg, S. 142, Anm. 281. 3 So aber Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 202m. Nachw. gegen Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 32.
A. Die tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung
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oder Zustand auszugehen, der von dem als Integrität der geschützten Rechtsgüter zu bezeichnenden Zustand abweicht. Jeder dieser Definition entsprechende Erfolg wäre dann als tabestandsmäßig zu bezeichnen. Seine Kon.kretisierung würde nichts weiteres erfordern als die nähere Bestimmung des Inhalts der erwähnten Güter und Rechte und die Aufzählung aller denkbaren Zustände, denen das Prädikat der Integrität jener sich nicht zusprechen läßt. Durch Heranziehung des Gedankens, daß die Rechtsgüter der Abgrenzung und inhaltlichen Bestimmung des Rechtskreises der Einzelnen dienen, ließe sich ferner die angeführte formale Definition der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung auch auf materieller Ebene als der Inbegriff der Erfolge und Zustände deuten, die den durch die geschützten Rechtsgüter abgegrenzten Rechtskreis des Rechtsgutträgers einengen. b) Es zeigt sich indessen sogleich, daß eine derartige Bestimmung der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung zu unvollständig ist, um als unerlaubte Handlung verstanden werden zu können. Was sie völlig außer Acht läßt, ist die Art der Verbindung des so definierten tatbestandsmäßigen Erfolges oder Zustands zur Person des Verletzers und dann auch Haftenden. Von einem Erfolg kann ja nur dort die Rede sein, wo zugleich die Beziehung des als Erfolg Bezeichneten zu einem ihm Vorangehenden mitgedacht wird, und das ist gerade, was die dargelegte Definition verfehlt. Daß die nähere Bestimmung dieser Verbindung für das Verständnis der Rechtsgutverletzung als Unrechtstatbestands unentbehrlich ist, zeigt sich schon in der zur Selbstverständlichkeit gewordenen Prämisse, daß das Recht "eine sinnvolle Gemeinschaftsordnung zwischen Menschen"' ist, die klare Trennung also zwischen menschlichem Unrecht und Naturgeschehen erfordert5 • Welcher Art die bereits auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit zu fordernde Verbindung zwischen Erfolg und Person des Handelnden sein soll, ist somit die nun zu untersuchende Frage. Die sich darauf beziehenden bisherigen Auffassungen unterscheiden sich nach dem Gewicht, das sie dem tatbestandsmäßigen Erfolg beilegen, oder, in umgekehrtem Verhältnis, nach dem Grad der Betonung von Momenten des Täterverhaltens. Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 16. Daraus wird mit Recht gefolgert, daß bloße Zustände ohne jegliche Beziehung zu einem menschlichen Verhalten nicht Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils sein können; so, außer Wiethölter, a.a.O., Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 211 f.; v. Caemmerer, DJT-Festschr.II, S. 127 (= 543); Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 107 f.; Larenz, Zurechnungslehre, S. 91; ders., Festschr. f. Dölle I, S. 192 f .; Münzberg, S. 3, 170; Nipperdey, Karlsruher Forum 59, 4; Eike Schmidt, Fahrlässigkeit, S. 9; StolZ, JZ 58, 142; ders., AcP 162, 209 Anm. 24; Tarnowski, S. 102; Zippelius, AcP 157, 395. Anders jedoch ein Teil der älteren Lehre: Beling, S. 170 ff.; Zitelmann, AcP 99, 8 ff. Ebenso Weitnauer, VersR 61, 1058 a. E.; Horn, S. 115 ff.; vgl. ferner Esser, Schuldrecht I, S. 61, der von einem Unrecht in weiterem Sinne spricht. 4
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4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei § 823 Abs. 1
aa) Am stärksten erfolgsorientiert ist die Auffassung, nach der bei Erfolgstatbeständen wie des § 823 Abs. 1 zwischen Täterverhalten und tatbestandsmäßigem Erfolg ein Kausalzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie genügt. Bei § 823 Abs. 1 bedeutet diese These, daß als Verletzung eines der geschützten Güter und Rechte jedes Verhalten anzusehen sei, das nicht weggedacht werden könne, ohne daß der in Frage stehende Erfolg entfiele, der einen Eingriff in den durch das verletzte Rechtsgut abgesteckten Rechtskreis seines Trägers darstellt. Das analytische Verfahren, das vorher zur Bestimmung des tatbestandsmäßigen Erfolgs verwendet wurde, ist demnach dadurch zu ergänzen, daß alle Verhaltensweisen aufgezählt werden, die Bedingungen für den Eintritt aller so definierten Erfolge sind. So explicite formuliert findet sich diese Auffassung freilich kaum. Sie steht jedoch in innerem Zusammenhang zu einer der Varianten der klassischen kausalen Unrechtslehre, aus der sie sich leicht herauslesen läßt. Wenn nämlich einerseits die Verletzung der geschützten Rechtsgüter als Herbeiführen bzw. Bewirken6 eines die Funktion dieser Güter störenden Zustands definiert und andererseits als einzig richtige Kausalitätslehre die der Bedinungstheorie betrachtet wird7 , dann ist logisch zwingend, die dargelegte Auffassung der klassischen Unrechtslehre zuzuschreiben8 • Daß eine derartige Bestimmung der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung zu weit reicht, ist leicht einzusehen. Wenn vor allem keine zeitlichen Grenzen gesetzt werden, dann bleibt in der heutigen Gesellschaft kaum eine Art menschlicher Tätigkeit, die nicht irgendwann zu einer Bedingung von Hechtsgutverletzungen werden könnte. Die klassische Unrechtslehre konnte unhaltbare praktische Konsequenzen dadurch vermeiden, daß sie die Haftungsweite im grundsätzlichen auf der Stufe der Rechtswidrigkeit und vor allem des Verschuldeos bestimmte. Dogmatisch kann a:ber eine solche Auffassung nicht befriedigen, da sie die Entleerung der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit bedeutet und, was wichtiger ist, die Unterscheidung der deliktsrechtlichen Tatbestände von denen der Gefährdungshaftung nicht zu erfassen vermag9 • Damit eine tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung angenommen wird, sind also die Verhaltensmomente in weiterem Maß zu berücksichtigen, als dies die kausale Betrachtungsweise der Bedingungstheorie erlaubt. 6 So etwa Beting, S.172; vgl. ferner Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 99; Esser , Schuldrecht I, S. 247; Weitnauer, VersR 61, 1058; Zitelmann, AcP 99, 4, 9 u. ö. 7 Im Strafrecht bekanntlich herrschende Meinung. 8 Ahnliehe Interpretation der kausalen Unrechtslehre etwa um auf weitere Nachweise zu verzichten - Welzel, Verkehrsdelikte, S. 9, 14; Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 17. 9 Hiergegen wäre der Einwand denkbar, daß die Unterscheidung immerhin möglich sei, da das Deliktsrecht als Erfolgsursache eine menschliche Handlung verlange. Das trifft aber nur dann zu, wenn die Handlung selbst anders als mittels der Kausalität definiert wird, was bei der kausalen Unrechtslehre nicht der Fall ist (dazu unten Kap. IV, B 1).
A. Die tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung
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bb) Die zweite Variante der klassischen kausalen Unrechtslehre verlangt zwischen dem Täterverhalten und dem tatbestandsmäßigen Erfolg einen adäquaten Kausalzusammenhang. Danach kommt bei § 823 Abs. 1 als Verletzung eines der geschützten Güter und Rechte jedes Verhalten in Betracht, das - um nur die Traegersche Formel zu benutzen - die objektive Möglichkeit des Eintritts eines Erfolgs von der Art des eingetretenen in nicht unerheblicher Weise erhöht. Diese Auffassung ist zunächst aus dem Standpunkt all derjenigen Autoren abzuleiten, die der Adäquanzlehre die Funktion zuerkennen, das Tatbestandsmerkmal der Verursachung auszulegen, sie also als reine Kausalitätslehre betrachten10• Aber auch unter denjenigen, die die Narrnativität der Adäquanz nicht leugnen, finden sich viele, die als Vertreter der klassischen Unrechtslehre die Adäquanztheorie zur Bestimmung der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung heranziehen11 • Durch diese zweite Variante der kausalen Unrechtslehre wird der Kreis der tatbestandsmäßigen Verletzungen enger abgesteckt und werden Verhaltensmomente in weiterem Maß berücksichtigt als durch das Abstellen auf den Bedingungszusammenhang. Sie vermag dennoch denselben Bedenken nicht zu entgehen, wenngleich sie diesen in geringerem Maß ausgesetzt ist. Die Adäquanztheorie ist vor allem nicht imstande, die Rechtsgutverletzungen als unerlaubte Handlungen zu erfassen. Dies führt zu unüberwindlichen Schwieri·gkeiten bei der Abgrenzung von Deliktsund Gefährdungshaftung. Die Tatbestände der letzteren beziehen sich auf menschliche Tätigkeiten, die meistens mit statistisch hoher Wahrscheinlichkeit zu Rechtsgutverletzungen anderer führen, und das heißt: adäquate Ursachen dieser tatbestandsmäßigen Erfolge sind. Solche Tätigkeiten wären konsequenterweise entweder von vornherein oder zumindest ex post, nach dem Eintritt einer Rechtsgutverletzung als unerlaubt anzusehen12• Eine derartige Auffassung verkennt aber den Grundgedanken, auf dem die Gefährdungshaftung beruht: daß die Ver10 So, wie bereits erwähnt, Rümelin und Traeger (oben Kap. I, A 1, Anm. 18) sowie Werner (oben Kap. I, B 1, Anm. 6). 11 So z. B. Weitnauer, Festschr. f. Oftinger, S. 324 ff.; ders., VersR 70, 587; Dunz, NJW 60, 509 f. Daß damit der Unrechtstatbestand bestimmt wird, wird freilich nicht ausdrücklich gesagt. Der Grund dafür ist, daß die klassische Unrechtslehre den engen Tatbestandsbegriff meistens ignoriert und stattdessen die Handlung als erste Zurechnungsstufe anerkennt bzw. beide Begriffe miteinander verbindet ("tatbestandsmäßige Handlung"). Hinzu kommt die strenge Durchführung des Gedankens der indizierenden Funktion der Tatbestandsmäßigkeit, die zur Erörterung der hier interessierenden Fragen erst auf der Stufe der Rechtswidrigkeit führt. Das Verhältnis von Handlung und Tatbestand sowie von Tatbestand und Rechtswidrigkeit kann hier nicht näher erörtert werden. Hier ist nur auf die Verflechtung der Begriffe bei der klassischen Unrechtslehre hinzuweisen. 12 Folgerichtig sagt deshalb Weitnauer, VersR 61, 1059, bei der Gefährdungshaftung handle es sich um eine Haftung für Unrecht, nicht für Unglück; vgl. auch Reinhardt, JZ 61, 715; Bi.n dokat, JZ 58, 553; Horn, S. 25, 125 ff.
7 Sourlas
4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei§ 823 Abs.1
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antwortung nicht darin begründet ist, "daß der Verantwortliche Unrecht getan habe, sondern darin, daß er das mit einer erlaubten Betätigung verbundene Risiko einer Schädigung anderer zu tragen gesetzlich verpflichtet ist" 13• Die kausale Unrechtslehre scheint sich übrigens auch allgemein nicht sehr um dogmatische Sauberkeit und Konsequenz zu bemühen. Daraus ist zu erklären, weshalb sie theoretische Triftigkeit für sich nicht mehr in Anspruch nimmt, sondern nur mit dem pragmatischen Argument, ihr System habe sich immerhin als Arbeitshypothese bewährt14, sich gegenüber neueren Auffassungen verteidigt. Sie interessiert sich in der Tat allein für das Funktionieren ihres Systems, womit aber ihre Begriffe an Verbindlichkeit verlieren und zu reinen Zweckbegriffen degradiert werden. Ein frappantes Beispiel dafür liefert die oft vorgeschlagene15 Kombination beider Varianten der kausalen Unrechtslehre. Danach soll bei denjenigen Tatbeständen, die hinsichtlich des tatbestandsmäßigen Erfolgs Verschulden verlangen, zwischen Täterverhalten und Erfolg Bedingungszusammenhang genügen, bei Tatbeständen, die sich mit einem rechtswidrigen Eingriff für die Haftungsbegründung begnügen, adäquate Kausalität gegeben sein. Somit wird aber der Begriff der Rechtsgutverletzung ohne Rücksicht auf Einheitlichkeit je nach Bedürfnis definiert. Zu den vorher gegen beide Varianten geäußerten Bedenken fügt sich nunmehr der der Inkonsequenz.
2. Die Sorgfaltswidrigkeit als Unrechtstatbestand a) Das extreme Gegenteil zur kausalen Unrechtslehre stellt diejenige Auffassung dar, die bei der Bestimmung des Unrechtstatbestands im Rahmen des § 823 Abs. 1 dem Erfolg eine entscheidende Rolle abspricht und auf Verhaltensmomente abstellt. Danach ist nicht die Verletzung eines der geschützten Güter und Rechte, sondern die vorsätzliche oder die durch Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt herbeigeführte Verletzung der Unrechtstatbestand. Diese Auffassung wird grundsätzlich von WiethöZter, W elzel und zum Teil von v. Caemmerer16 vertreten. 13
Larenz, Schuldrecht II, S . 533; ähnlich ders., VersR 63, 597; grundlegend
Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941; siehe ferner Esser, Schuldrecht II, S. 476; Soergel!Siebert!Zeuner, Vorbem. 12 vor § 823.
14 Weitnauer, VersR 61, 1063; auch Dunz, NJW 60, 508 ("unlogisch, aber praktikabel"). 15 So Weitnauer, VersR 61, 1060 Anm. 17 (er spricht von einer bloß praktischen Erleichterung, streitet also vermutlich jede theoretische Konsequenz ab); ders., Festg. f. Oftinger, S. 326. 18 v. Caemmerer zählt bekanntlich den Vorsatz zum Tatbestand (DJTFestschr. II, S. 77 Anm. 115 = S . 485), während er bei nichtvorsätzlichen Beeinträchtigungen zwischen Verletzungen unterscheidet, die einen unmittelbaren
A. Die tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung
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aa) Wiethölter widmet seine Untersuchungen in erster Linie der Fahrlässigkeit. Er geht von einer Kritik an der herkömmlichen zivilrechtliehen Fahrlässigkeitslehre aus, die die nach dem typisierten Maßstab beurteilte Sorgfaltswidrigkeit als Schuld (Vorwerfbarkeit) auffaßt, und stellt das Dilemm auf, entweder einen spezifisch zivilrechtliehen Schuldbegriff zu konstruieren oder unter Schuld nur individuelle Vorwerfbarkeit zu verstehen und deshalb im zivilen Deliktsrecht auf Schuld zu verzichten. Er selbst entscheidet sich für die zweite Alternative, womit er die Einordnung der erforderlichen Sorgfalt in die Verschuldensstufe ablehnt17• Aber auch deren Einordnung in die Rechtswidrigkeit schließt er aus. W elzel folgend, unterscheidet er zwischen Rechtswidrigkeit und Unrecht; dabei soll die Rechtswidrigkeit als reiner Relationsbegriff den formalen Widerspruch der konkreten Tatbestandsverwirklichung zur Rechtsordnung als Ganzes zum Ausdruck bringen, das Unrecht hingegen als das verbotene Verhalten selbst in seinem materiellen Inhalt von der im Tatbestand enthaltenen Verbotsmaterie bestimmt werden, der alle materiellen Fragen angehörten18• Wiethölter verbindet diese terminologische Unterscheidung mit €iner Kritik an der kausalen Unrechtslehre, die übersehe, daß der Kern der fahrlässigen Handlung die Sorgfaltswidrigkeit sei, und allein auf den Erfolg abstelle, womit sie Unrecht von Unglück nicht zu unterscheiden vermöge. Ob überhaupt und welcher Erfolg eintrete, sei allein vom Zufall abhängig. Der Erfolg sei zwar von großer Bedeutung für das Deliktsrecht, weil dieses Schadensrecht, nicht Gesinnungsrecht sei, der Unrechtskern sei aber das sorgfaltswidrige Tun; zivilrechtliches Unrecht sei nicht Erfolgs-, sondern erfolgsqualifiziertes Unrecht18• bb) Ähnlich wie Wiethölter wirft auch Welzel der kausalen Unrechtslehre vor, daß die von ihr einseitig betonte Erfolgsverursachung wegen der Zufälligkeit des Erfolgseintritts nicht Gegenstand des Unrechtsurteils bei fahrlässigen Verletzungen sein könn€; dieser liege vielmehr in der Beschaffenheit des Verhaltens selbst20• Das Gesetz konstruiere zwar die Fahrlässigkeitstatbestände meist als Erfolgstatbestände, das bedeute aber nur, daß sie offene Tatbestände seien, bei denen die Unrechtshandlung erst durch den Richter zu bestimmen sei. Als RichtEingriff in fremdes Eigentum oder sonstige Herrschaftsrechte darstellen, und solchen, die nur mittelbare Eingriffe sind. Hinsichtlich der letzteren sieht er in § 823 Abs. 1 einen offenen Tatbestand, der durch Herausarbeitung objektiver Verhaltenspflichten zu ergänzen ist. Diese gehören somit nach von Caemmerer zum Tatbestand (DJT-Festschr. li, S. 78 Anm. 118 = S. 486 sowie Karlsruher Forum 61, 20 = S. 557 ff.). 17 Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 32 f. 18 Ebd., S. 28 f. 18 Ebd., S. 34 f. 20 Welzel, Verkehrsdelikte, S. 11. 7•
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4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei§ 823 Abs.1
schnurdafür diene die verkehrserforderliche Sorgfalt21 • Die Ermittlung der Tatbestandsmäßigkeit der konkreten Tat hänge also vom Urteil ab, ob der Täter sich wie ein einsichtiger und besonnener Mensch verhalten habe22• Dabei komme der Frage große Bedeutung zu, ob der Erfolg adäquate Folge des Täterverhaltens gewesen sei23 • Wie die zweite Variante der kausalen Unrechtslehre verwendet somit auch Welzel die Adäquanz zur Bestimmung der Tatbestandsmäßigkeit. Während aber bei jener der Erfolg den Unrechtskern bildet und die Adäquanz nur die Funktion hat, den Kreis der relevanten Erfolgsverursachungen abzugrenzen, ist es bei Welzel umgekehrt: Der Kern des Tatlbestands als Verbotsmaterie besteht nach ihm in der zum großen TeiP' durch das Adäquanzurteil zu ermittelnden Sorgfaltswidrigkeit, während der Erfolg zwar auch zum Tatbestand gehört25 , aber nur die limitierende Funktion hat, eine "Auslese" aus den sorgfaltswidrigen Handlungen zu treffen. b) Die vorangegangenen Erörterungen haben auf die Unzulänglichkeit der kausalen Unrechtslehre hingewiesen. Aus dieser geht aber nicht zwangsläufig die Richtigkeit der Einordnung der Sorgfaltswidrigkeit in den Unrechtstatbestand hervor. Die dargestellten Auffassungen Wiethölters und Welzels lassen vielmehr eine Unterbewertung des Erfolgsunwerts bei den fahrlässigen Rechtsgutverletzungen deutlich erkennen. Die einseitige Betonung des Verhaltensunwerts ist auch im Strafrecht mit guten Gründen abgelehnt worden26 • Der Erfolg (Rechtsgutverletzung) kann nicht auf die Funktion beschränkt werden, die wegen ihrer Sorgfaltswidrigkeitunerlaubten Handlungen haftungsrechtlich abzugrenzen; er ist, zumal im Zivilrecht, wo es nicht um die Sanktionierung unerwünschter Verhaltensweisen geht, bei der Bestimmung des das Unrecht prägenden Gesamtunwerts von primärer Bedeutung. Der vorschriftsmäßig fahrende Autofahrer, der ein in völlig unvorhersehbarer Weise sich in die Fahrbahn stürzendes Kind verletzt, hat zwar die erforderliche Sorgfalt eingehalten und ist deshalb haftungsfrei, er hat dennoch eine Handlung begangen, die "durchaus die Aufmerksamkeit Ebd., S. 14 f. Ebd., S. 17 f. 23 Ebd., S. 17. 24 Durch das Adäquanzurteil wird nach Welzel die Gefährlichkeit des Verhaltens festgestellt. Liegt diese vor, ist nicht schon Sorgfaltswidrigkeit gegeben; es muß vielmehr zusätzlich geprüft werden, ob die Gefährdung über die Grenze der Sozialadäquanz hinausgeht (Verkehrsdelikte, S.17). 25 Welzel, Verkehrsdelikte, S. 21. Welzel lehnt die Ansicht, daß der Erfolg bloße objektive Bedingung der Strafbarkeit sei, mit der Begründung ab, der Eintritt irgendwelchen Erfolgs genüge nicht, der eingetretene müsse vielmehr gerade eine Realisierung der Sorgfaltswidrigkeit gewesen sein (a.a.O., S. 20). 26 Statt vieler: Jescheck, S. 440 f. m. Nachw. tt
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B. Parallelen im Handlungsbegriff
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des Rechts erweckt'm. Nicht von ungefähr wird seine Handlung unabhängig von ihrer Verkehrsrichtigkeit oder Sorgfältigkeit umgangssprachlich als Verletzung bezeichnet; darin wird gerade zum Ausdruck gebracht, daß nach einem "natürlichen" Verständnis vorwiegend der Erfolg und der mit ihm verbundene Unwert die Handlung des Autofahrers kennzeichnet. Über die umgangssprachliche Bedeutung der von ihm verwendeten Ausdrücke kann sich der Gesetzgeber nicht ohne weiteres hinwegsetzen28• Gegen die Ansicht Wiethölters und W elzels läßt sich ferner mit Deutsch29 einwenden, daß das Tatbestandsmerkmal der Sorgfaltswidrigkeit der gerade beim Unrechtstatbestand erforderlichen Typizität entbehren würde, da die verkehrserforderliche Sorgfalt ein relativer Begriff ist, der auf den jeweiligen Tatbestand bezogen ist. Bei § 823 Abs. 1 bedeutet dies, daß die nach dieser Vorschrift erforderliche Sorgfalt keine absolute, vom Erfolg unabhängige, sondern eben die zur Abwendung der Verletzung eines der geschützten Güter und Rechte erforderlich ist. Gegen die Einordnung der Sorgfaltswidrigkeit in den Unrechtstatbestand ist schließlich einzuwenden, daß sie die Verlagerung der wichtigsten über die Haftung entscheidenden Wertungen in die Tatbestandsstufe und die entsprechende Entleerung der übrigen Zurechnungsstufen bedeutet30•
B. Parallelen im Handlungsbegriff Die bisherige Darstellung und Kritik der verschiedenen Versuche, den Unrechtstatbestand des § 823 Abs. 1 zu bestimmen, hat bereits den dogmatischen Weg skizziert, über den Bedingungs- und Adäquanztheorie auf der Tatbestandsstufe Bedeutung erlangten. Diese Skizze bliebe jedoch unvollständig, wollte man auf die Schilderung der theoretischen Grundlagen der dargestellten Auffassungen verzichten. Das theoretische Fundament dieser Auffassungen ist in dem ihnen zugrunde liegenden Handlungsbegriff zu erblicken. Die Deutung jedes eine Bedingung für den Erfolg setzenden oder ihn adäquat-kausal herbeiführenden Ver27
Eike Schmidt, Fahrlässigkeit, S. 65; ihm folgend Esser, Schuldrecht I,
s. 244.
28 Zu sehr ist aber andererseits Münzberg an den Gesetzestext gebunden, wenn er die zur Sorgfaltspflicht zugehörigen Elemente deshalb nicht als Tatbestandsmerkmale anerkennt, weil sie der Gesetzgeber in den Tatbestand nicht ausdrücklich aufgenommen hat (Mü.nzberg, S. 107; allgemein für ungeschriebene Tatmerkmale, S. 100 ff.). 29 Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 206 f. 30 Vgl. bezüglich der Rechtswidrigkeit Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 207 f., der mit Recht betont, daß der formale Rechtswidrigkeitsbegriff Wiethölters eine materielle Bedeutung lediglich im Bereich der Rechtfertigungsgründe besitzt und somit als selbständige Aufbaustufe nicht gerechtfertigt ist. Der Einwand hat allerdings nur relativen Wert; denn die Selbständigkeit jeder Stufe muß erst erwiesen werden.
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4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei § 823 Abs. 1
haltens als tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung ist im Gunde nichts weiteres als die Anwendung der kausalen Handlungslehre auf § 823 Abs. 1. Den Ausführungen Wiethölters und Welzels liegt andererseits der finale Handlungsbegriff zugrunde31 • Bei manchen Fassungen der sozialen Handlungslehre sind schließlich Momente enthalten, die eine gewisse Verwandtschaft zum Adäquanzgedanken aufweisen und in diesem Zusammenhang zu erwähnen sind. Es ist deshalb von Nutzen, der endgültigen Würdigung der Adäquanztheorie in ihrem Verhältnis zur Tatbestandsmäßigkeit einige Bemerkungen zum Handlungsbegriff voranzuschicken; dies nicht nur um des besseren Verständnisses der geschilderten Auffassungen willen, sondern auch damit die Kritik an eine möglichst vollständige Aufzählung der möglichen Verbindungen von Adäquanz und Tatbestand sich anschließen kann.
1. Kausale Handlungslehre a) Die kausale Handlungslehre hat lange Zeit die Dogmatik des Strafrechts und die größtenteils ihr folgende Dogmatik des zivilen Deliktsrechts beherrscht. Sie ist in zweifacher Hinsicht eine Schöpfung des Denkens des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der ihr beigemessenen systematischen Bedeutung nach entspricht sie dem rationalistischen IdeaP2 einer strengen logischen Ordnung der Dinge: Sie soll den Oberbegriff bilden, der den systematischen Bezugspunkt aller Straftaten (im Zivilrecht: aller Delikte) darstellt, das "Substantivum, zu dem alle übrigen Verbrechensmerkmale (scil. der Rechtswidrigkeit, des Verschuldens und der Strafbarkeit) nur Attribute sind" 33• Ihrem Inhalt nach ist sie der naturilistisch-positivistischen Denkrichtung verpflichtet: Ihr Handlungsbegriff soll möglichst wertfrei sein3\ um allen Einzelhandlungen, die verschiedenen Wertungen unterliegen, gerecht werden zu können, und er soll nur äußeres Geschehen deskriptiv erfassen3;, den Bewußtseinsinhalt des Handelnden hingegen außer Acht lassen. Ihre 31 Damit soll nicht zugleich gesagt werden, daß die Einordnung der Sargfaltswidrigkeit in den Unrechtstatbestand die finale Handlungslehre zu unabdingbarer Voraussetzung hat. 32 Die Beziehung des systematischen Stellenwerts des Handlungsbegriffs zur rationalistischen Systemphilosophie betont Arthur Kaufmann, JuS 67, 146. 33 Radbruch, Handlungsbegriff, S. 71. Diese zunächst von Radbruch eingehend begründete These von der systematischen Funktion des Handlungsbegriffs liegt auch den meisten heutigen Ausführungen zugrunde: so auch Roxin, ZStW 74, 516. 3 ' Baumann, Strafrecht, S. 175; Mezger/Blei, S. 53 f. Demgegenüber betonen Schönke/Schröder, Vorbem. 27 a zum All. Teil, daß man an einen Vorgang in der Außenwelt soziale Wertungen herantragen muß, um ihn als Handlung erkennen zu können. 35 Baumann, Strafrecht, S. 175; Mezger/Blei, S. 53 (der Handlungsbegriff bezeichne einen natürlich-tatsächlichen Vorgang in der Welt der Erfahrung).
B. Parallelen im Handlungsbegriff
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klassische Formulierung hat die kausale Handlungslehre im Strafrechtslehrbuch v. Liszts gefunden. Danach ist Handlung "willkürliches Verhalten zur Außenwelt: willkürliche Verursachung oder Nichthinderung einer Veränderung (eines Erfolgs) in der Außenwelt" 36 • Diese Definition erweckt zunächst den Eindruck, daß Wille, äußeres Verhalten und Erfolg in gleichem Umfang die Ganzheit der Handlung mitgestalteten. Bei näherer Betrachtung zeigt sich indessen, daß in Wirklichkeit die Akzente anders liegen. Zunächst bedeutet die Bezugnahme auf den Willen des Handelnden nicht, daß der Erfolg gewollt sein muß; der naturalistischen Betrachtungsweise entspricht vielmehr, daß das Wollen als bloßer "Willensimpuls" 37, als äußere Ursache des den Erfolg herbeiführenden Verhaltens berücksichtigt wird. Dabei erweist sich als erste Funktion des Kausalzusammenhangs im Rahmen der kausalen Handlungslehre die Verbindung von Willen und äußerem Verhalten (beim positiven Tun: Körperbewegung} 38 ; ist er gegeben, dann ist von einer Willensbetätigung die Rede. Was dann die Verbindung zwischen Willensbetätigung und Erfolg betrifft, fordert auch hier die kausale Handlungslehre einen Kausalzusammenhang39 • Durch dessen beide Funktionen wird somit die Frage, wann ein Kausalzusammenhang anzunehmen ist, innerhalb der kausalen Handlungslehre zu einer Zentralfrage des Handlungsbegriffs. Von ihrer Beantwortung hängt ab, in welchem Maß der Wille als Ursache des äußeren Verhaltens und dieses als Ursache des Erfolgs in ihrer Beschaffenheit die Gesamtheit der Handlung prägen. Ein dynamischer Verursachungsbegriff läßt jedenfalls eine gleiche Betonung von Ursache und Erfolg erkennen. Nun wird aber nach herrschender Lehre der Kausalzusammenhang im Sinne der Bedingungstheorie bestimmt, die durch die ex-post-Betrachtung der conditio-sinequa-non-Formel die durchaus dynamische Bedeutung des Bewirkens, die der Definition der Handlung als (willkürlicher) Erfolgsverursachung ursprünglich innewohnte, auflöst: Sie zwingt dazu, vom eingetretenen Erfolg auszugehen und das Verhalten nicht in seiner sonstigen Beschaffenheit, sondern nur insoweit zu berücksichtigen, als es sich nachträglich mit jenem gedanklich verbinden läßt40• Die Parallelität zur Be36
37
38
v. Liszt, Lehrbuch, S. 126.
ders., ebd., S. 127.
Mezger!Blei, S. 68, 70; abweichend lehnt Baumann, Strafrecht, S. 179,
zwischen Willen und Verhalten einen Kausalzusammenhang ab und bezeichnet das zwischen beiden bestehende Verhältnis als Deckungsverhältnis. 39 Baumann, Strafrecht, S. 179, 205; Schönke!Schröder, Vorbem. 56 zum Allg. Teil (nach diesen und nach Baumann liegt aber der Erfolg außerhalb der Handlung); Mezger, S. 109 f.; Mezger!Blei, S. 68, 70; v. Liszt, Lehrbuch, S. 131; v. Liszt!Schmidt, S. 161. 40 Die Verwandtschaft dieser Betrachtungsweise mit den Grundgedanken des Neukantianismus betont Arthur Kaufmann, Bedeutung, in: Schuld und Strafe, S. 77.
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4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei§ 823 Abs.1
stimmung des Unrechtstatbestands des § 823 Abs. 1 als Setzen einer Bedingung für die Beeinträchtigung eines der geschützten Güter und Rechte ist offensichtlich. Auch dort wird, wie gesehen, die Rechtsgutverletzung grundsätzlich vom Erfolg her hestimmi während das Verhalten nur in seiner Eigenschaft als Bedingung des Erfolgs in Betracht kommt. Die Bestimmung der tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung durch Heranziehung der Bedingungstheorie steht also mit der kausalen Handlungslehre völlig in Einklang. Auch die zweite Variante der kausalen Unrechtslehre, die die tatbestandsmäßige Rechtsgutverletzung als adäquate Erfolgsverursachung versteht, hat ihre Parallele im Handlungsbegriff. Der entsprechenden Fassung der kausalen Handlungslehre nach ist Handlung willkürliche adäquate Verursachung einer Veränderung in der Außenwelt. Dieser Handlungsbegriff ist vor allem im Zivilrecht vertreten; trotzdem wird er hier, anders als im Strafrecht41 , kaum eingehend dargestellt. Der Grund dafür ist vor allem darin zu suchen, daß zur Zeit der absoluten Herrschaft der Adäquanztheorie, als diese für echte Kausalitätslehre galt, der Handlungsbegriff als Oberbegriff des Deliktssystems sich noch nicht allgemein durchgesetzt hatte, die Kausalität vielmehr als selbständige Haftungsvoraussetzung angesehen wurde42 • Als sich dann der Handlungsbegriff als Systemoberbegriff durchsetzte, folgte meistens die zivilrechtliche Dogmatik der des Strafrechts, ohne sich mit dem Handlungsbegriff eingehend zu befassen und aus dem Unterschied in dem in jedem Rechtsgebiet herrschenden Kausalitätsbegriff Folgerungen für ihren Oberbegriff zu ziehen. Die Annahme eines auf die Adäquanz abstellenden Handluv gsbegriffs ergibt sich indessen auch dort, wo sie nicht ausdrücklich formuliert wird, aus der Verbindung der entsprechenden Fassung der kausalen Unrechtslehre mit der These vom Handlungsbegriff als Oberbegriff des Deliktssystems. Auszunehmen sind nur diejenigen43 , die die Adäquanz nicht als Bestandteil des Handlungsbe41
Als repräsentativer Vertreter eines solchen Handlungsbegriffs
ist
Tarnowski zu nennen. In seiner Untersuchung über die systematische Bedeutung der adäquaten Kausalitätstheorie geht Tarnowski von einer strengen
Trennung der deskriptiven von der wertenden Betrachtungsweise im Verbrechenssystem aus. Die Adäquanz rechnet er als Kausalitätstheorie der ersteren zu (S. 96 ff., zusammenfassend S. 104). Anschließend lehnt er deren Einordnung in den deskriptiven Teil der Verschuldensstufe ab (S. 105 ff.), wobei er Kausalität und Schuld auf die grundverschiedenen Prinzipien der Sozialschädlichkeit und der moralischen Vorwerfbarkeit jeweils zurückführt (S. 117 ff.), so daß schließlich ihm als einzig korrekt die Einordnung in den Handlungsbegriff erscheint (S. 335). 42 Überreste dieser Systematik finden sich noch bei Tarnowski, der als Verbrechensmerkmale die Kausalität, die Rechtswidrigkeit, die Schuld und die Strafbarkeit nennt, um dann das Verbrechen als strafbare, schuldhafte, rechtswidrige Handlung zu definieren (S. 73). 43 So anscheinend Dunz, NJW 60, 509; Weitnauer, VersR 61, 1060 Anm. 17; siehe jedoch dens., VersR 70, 587.
B. Parallelen im Handlungsbegriff
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griffs, sondern als dogmatisch bedeutungsloses technisches Korrektiv der allgemein einen Bedingungszusammenhang fordernden kausalen Handlungslehre für die Fälle betrachten, wo diese, wie manchmal im Zivilrecht, zu unangemessenen Ergebnissen führt, während der Handlungsbegriff für sie inhaltlich unverändert bleibt. Aber auch heute, wo die Adäquanztheorie sich nicht als Kausalitäts-, sondern als Zurechnungslehre versteht, operiert die klassische Unrechtslehre mit einem auf die Adäquanz abstellenden Handlungsbegriff. Daß bei einer konsequenten Durchführung der Narrnativität der Adäquanz von einer im eigentlichen Sinne kausalen Handlungslehre nicht mehr gesprochen werden kann, liegt auf der Hand. Werden dennoch die Vertreter dieser Ansicht der kausalen Unrechtslehre zugerechnet, so ist dies darauf zurückzuführen, daß sie entweder mit der Narrnativität der Adäquanz nicht immer ernst machen44 oder den Versuch einer Neugestaltung des Handlungsbegriffs, die nunmehr eher die Richtung der sozialen Handlungslehre einzuschlagen hätte, nicht unternehmen. Wie dem aber auch sei, ein auf die Adäquanz abstellender Handlungsbegriff hängt eng mit der klassischen Unrechtslehre zusammen. Ist der tatbestandsmäßige Erfolg eine adäquate Folge des Täterverhaltens, wird dies für genügend erachtet, um Handlung, Tatbestandsmäßigkeit und, soweit kein Rechtfertigungsgrund eingreift, Rechtswidrigkeit zu bejahen. Das ist daraus zu erklären, daß die Adäquanztheorie vom konkreten Verhalten und Erfolg abstrahiert und deren Verhältnis zueinander einer quantifizierenden Betrachtung unterzieht, was sie dazu zwingt, das entscheidende Gewicht auf den Erfolg zu legen und das Verhalten nur in seiner abstrakt-statistischen Beziehung zu ihm zu berücksichtigen. b) Die an beiden Fassungen des kausalen Handlungsbegriffs zu übende Kritik kann unter drei Gesichtspunkten erfolgen: sie kann sich gegen die ihm beigemessene Bedeutung im Deliktssystem, seine Adäquität zur Erfassung des zivilrechtliehen Delikts sowie gegen seine theoretische Grundlegung richten. Das konvergierende Ergebnis von der Unzulänglichkeit der kausalen Handlungslehre in allen drei Bereichen ist deutliches Zeichen für den inneren Zusammenhang der entsprechenden Betrachtungsweisen. Was zunächst die systematische Bedeutung des kausalen Handlungsbegriffs betrifft, hängt diese in erster Linie von der Stellung des Handlungsbegriffs überhaupt im Deliktssystem ab. Abgesehen aber von der Beantwortung dieser generellen Frage, die noch zu erörtern ist45, läßt sich zeigen, daß ein Handlungsbegriff, der die Handlung als mechanische Erfolgsverursachung versteht, nicht die Grundlage für das Unrechts- und Schuldurteil liefern kann, denn "ein solcher 44 So spricht etwa Weitnauer, F'estg. f. Oftinger, S. 321, bereits in der Überschrift seines Beitrags vom adäquaten Kausalzusammenhang. •s Unten Kap. IV, C 1.
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4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei§ 823 Abs.l
Handlungsbegriff beschreibt eben keine spezifisch menschliche Verhaltensweise"46. Diese systematische Unzulänglichkeit ist eng mit der allgemeinen dogmatischen verbunden. Diese ist darin zu sehen, daß durch das Abstellen auf alle "Willensbetätigungen", die mit dem Erfolg in Bedingungs- bzw. in adäquatem Kausalzusammenhang stehen, der Kreis der menschlichen Handlungen sowohl allgemein47 als auch unter dem Gesichtspunkt der hier interessierenden Rechtsgutverletzungen48 zu weit gezogen wird, was zu den bereits auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit aufgezeigten dogmatischen Aporien führt. Dazu kommt das mit beiden Fassungen der kausalen Handlungslehre zusammenhängende ebenfalls gezeigte einseitige Unrechtsverständnis, das den Erfolg in den Vordergrund stellt und das Verhalten mit diesem nur in eine abstrakte gedankliche Beziehung setzt; diese erlaubt es nicht, den sozialen Sinn der Unrechtshandlung zu erfassen, der gleichermaßen Handlungsbeschaffenheit und Erfolg in einer Einheit vereinigt und als solche Sinneinheit das Unrechtsverständnis erst möglich macht. Diese Bemerkungen führen ihrerseits auf die theoretische Grundlage der kausalen Handlungslehre zurück. Es ist bereits angedeutet worden, daß der kausalen Lehre der positivistische Wissenschaftsbegriff zugrunde liegt, wonach die Wissenschaft sich auf die Beobachtung sinnlich wahrnehmbarer Erscheinungen und deren kausale Erklärung zu beschränken hat49 • Daß diese Selbstbeschränkung der Wissenschaft der geistigen und sozialen Phänomene nicht gerecht werden kann, ist das bleibende Ergebnis der vom Neukantianismus gemachten methodologischen Trennung zwischen Natur- und Kulturwissenschaften50• Somit ist der kausalen Handlungslehre der theoretische Boden entzogen. Daraus folgt auch, was für die hiesige Untersuchung im Vordergrund steht, die Ablehnung der mit einem solchen Handlungsverständnis verbundenen dogmatischen Einordnung der Bedingungs- und Adäquanztheorie als Kausalitätslehren in den Handlungsbegriff. 2. Finale Handlungslehre
War mit der Kritik der kausalen Handlungslehre die Ablehnung mancher dogmatischen Einordnung der Adäquanz verbunden, so geht es bei Arthur Kaufmann, Handlung, in: Schuld und Strafe, S. 41. ders., ebd., S. 40. 48 Larenz, Festschr. f. Dölle I, S. 183. 49 Zum Verhältnis zwischen der Lisztschen Handlungslehre und dem Positivismus grundlegend Welzel, Naturalismus, S. 37 f. Allgemein zum positivistischen Wissenschaftsbegriff und zu seinem Einfluß auf die Rechtswissenschaft Welzel, a.a.O., S. 1 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 36 ff., 96. 50 Dazu etwa Larenz, Methodenlehre, S. 96 ff. und Welzel, Naturalismus, S. 46 ff., beide mit Hinweisen auf Windelband und Rickert. 46
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B. Parallelen im Handlungsbegriff
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den folgenden kurzen Bemerkungen zur finalen Handlungslehre nur um die Skizzierung des theoretischen Hintergrunds der bereits abgelehnten Fassung des Unrechtstatbestands des § 823 Abs. 1 bei Welzel und Wiethölter. Denn die Adäquanz wird von diesen nicht als Bestandteil des (finalen) Handlungsbegriffs, sondern, zumindest bei W elzel, bei den fahrlässigen Delikten lediglich als über die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung mitentscheidender Faktor betrachtet. Die folgenden Ausführungen betreffen notwendigerweise nur Teilaspekte der finalen Handlungslehre, indem sie allein die Gründe der von dieser befürworteten einseitigen Betonung des Verhaltensunwerts aufzuzeigen bezwecken. a) Die finale Handlungslehre begreift bekanntlich die Handlung als finale Überdetermination von Kausalverläufen. Das kausale Geschehen gehört danach zur Handlung, aber nur insoweit, als es in der Vorstellung des Handelnden vorweggenommen wird und sich als durch dessen Willen in Gang gesetzte Realisation des vorausbestimmten Ziels darstelW1• Zur Handlung gehören damit folgende drei Stadien: die Zwecksetzung im Bewußtsein des Handelnden durch gedankliche Antizipation des künftigen Kausalablaufs, die Auswahl der zur Verwirklichung des Zwecks geeigneten Mittel und die durch den Willen in Gang gesetzte Realisation des Zwecks als Realgeschehen52• Das Urteil des Handelnden über die möglichen Folgen seines Verhaltens gehört zum Stadium der Mittelauswahl, ist aber mit dem Adäquanzurteil des einsichtigen Menschen nicht identisch. Ein Handlungsbegriff, nach dem nur der gewollt herbeigeführte Erfolg 53 zur Handlung gehört, gerät zwangsläufig in Schwierigkeiten bei den (unbewußt) fahrlässigen Delikten, die ja den größten Teil der zivilen Delikte ausmachen. Die finale Handlungslehre muß gestehen, daß bei diesen der vom Handelnden bezweckte Erfolg rechtlich irrelevant, der relevante hingegen nicht gewollt ist54• Sie nimmt deshalb an, daß bei den fahrlässigen Delikten nicht die ganze Handlung, sondern nur die Mittelauswahl Gegenstand des rechtlichen Urteils sei; dieses beruhe auf dem Vergleich der konkreten Mittelauswahl des Handelnden mit der hypothetischen eines einsichtigen und besonnenen Menschen, der die möglichen Nebenfolgen seines Verhaltens voraussieht und sich deren rechtlich-sozialer Bewertung entsprechend verhält. Weiche das aktuelle
Siehe etwa Welzel, Strafrecht, S. 33 ff. Eingehend dazu Arthur Kaufmann, JuS 67, 147 f., der den Einfluß der philosophischen Lehre N. Hartmanns (mit Hinweis auf: Teleologisches Denken, S. 68 f.) klar aufzeigt. Siehe auch Larenz, Festschr. f. Dölle I, S. 176 ff., und Klug, Festschr. f. Emge, S. 34 ff. 53 Die Frage des dolus eventualis muß hier außer Betracht bleiben. 114 Vgl. etwa Welzel, JuS 66, 424 und NJW 68, 425 ff. 51
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4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei § 823 Abs. 1
Verhalten vom ideellen ab, dann sei es tatbestandsmäßig55. Diese kurze Wiedergabe zeigt deutlich, daß die Ausklammerung des Erfolgs aus dem Unrechtskern unmittelbar folgt aus der Annahme einer unabdingbaren Finalstruktur der menschlichen Handlung in Verbindung mit der Einsicht, daß bei fahrlässigen Rechtsgutverletzungen der eingetretene Erfolg nicht final herbeigeführt wird; deshalb muß aus der Handlung derjenige Teil als Unrechtskern herausgegriffen werden, der mit der Finalität nicht in Konflikt gerät und zugleich für die rechtliche Wertung nicht irrelevant ist. b) Gegen die damit zusammenhängende dogmatische Einordnung der Adäquanz sind bereits oben56 Bedenken geltend gemacht worden. Sie ließen sich hier erweitern durch Ablehnung der theoretischen Grundlage, auf der diese Einordnung beruht. Die von den verschiedensten Seiten an der finalen Handlungslehre geübte philosophische und dogmatische Kritik braucht indessen nicht aufgegriffen zu werden. Hier genügt, wenn neben den bereits abgelehnten Folgen beim Verständnis der fahrlässigen Delikte, die in der einseitigen Betonung des Verhaltensunwerts bestehen, auch aus immanenter Sicht auf die Inkonsequenz der finalen Handlungslehre hingewiesen wird. Der gegen sie und ihre Erfassung der fahrlässigen Delikte aus dieser Sicht wichtigste Einwand besteht darin, daß sie dabei nur einen Teil der Handlung als rechtlich relevant betrachtet, was der eigenen Grundannahme, der Gesetzgeber könne zur ontologisch vorgegebenen Finalstruktur der Handlung nichts hinzufügen und von ihr nichts wegnehmen, widerspricht57• Überdies bedeutet die Beschränkung auf die Mittelauswahl die Preisgabe der Finalstruktur der Handlung überhaupt. Denn "es gi:bt keine Finalität schlechthin und unter jeder Rücksicht, vielmehr ist ein bestimmter Akt final immer nur im Rahmen des ganzen Finalgefüges, immer nur im Hinblick auf den angestrebten Zweck"; da dieser aber "rechtlich nicht re'levant ist, ist notwendig der ganze Finalzusammenhang rechtlich irrelevant"58. Die angeblich zwingende Finalstruktur der Handlung ist also kein Grund für die Beschränkung der Basis des Unrechtsurteils bei fahrläss1gen Delikten auf die Verhaltensbeschaffenheit und für die Ausweisung des Erfolgs in die Unrechtsperipherie. Damit entfällt zugleich die Grundlage für die von den Finalisten befürwortete Heranziehung der Adäquanztheorie bei der Ermittlung der Tatbestandsmäßigkeit fahrlässiger Delikte. 55 Welzel, Verkehrsdelikte, S. 17. sa Kap. IV, A, 2 b. 57 So vor allem Arthur Kaufmann (JuS 67, 149 mit Hinweis auf Welzel, Vom Bleibenden und Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, 1964, S. 9), dem sich die hiesigen Ausführungen anschließen. 58 Arthur Kaufmann, JuS 67, 150 und die dort (Anm. 53) Genannten.
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3. Soziale Handlungslehre Damit das Gesamtbild der Verbindungen von Adäquanz und Handlung vervollständigt wird, ist noch zu zwei Versuchen innerhalb der Bestrebungen, die Handlung von ihrer sozialen Bedeutung her zu begreifen, Stellung zu nehmen. Als historisch erste Fassung der sozialen Handlungslehre wird allgemein der Versuch Eberhard Schmidts betrachtet, den Naturalismus der Lisztschen Handlungsdefinition durch Betonung der sozialen Erheblichkeit des Handlungserfolgs zu überwinden. Handlung ist danach "willkürliches Verhalten zur sozialen Außenwelt, genauer: Veränderung der sozialen Außenwelt durch willkürliches Verhalten, sei es ein die Veränderung verursachendes Tun oder ein sie verursachendes Unterlassen" 59• Dieser Versuch wird dem eigenen Bestreben nur zum Teil gerecht; er erfaßt allein den Erfolg in sozialen Kategorien, deutet jedoch dessen Verbindung zur Person des Handelnden wiederum naturalistisch als Kausalzusammenhang. Somit bleibt er nicht nur die Antwort schuldig, wie die beiden Betrachtungsweisen sich vereinigen können, sondern führt, ähnlich wie die kausale Handlungslehre, zu einer einseitig auf den Erfolgsunwert abstellenden Unrechtslehre. Bei einem solchen Handlungsbegriff kommt der Bedingungs- und der Adäquanztheorie dieselbe Rolle zu wie bei der bereits erörterten kausalen Handlungslehre60 • Hier braucht deshalb nur auf die dort61 an dieser dogmatischen Einordnung geübte Kritik hingewiesen zu werden. Grundlegend für das Verständnis der zweiten hier interessierenden Fassung der sozialen Handlungslehre ist deren Auseinandersetzung mit der finalen Handlungslehre. Dieser wird vor allem vorgeworfen, daß sie nicht alle Erscheinungsformen des Delikts zu erfassen vermag-62 und überdies ontologisch verfehlt ist, indem sie den Sinn menschlichen Verhaltens vom "Individualstandpunkt des Handelnden" und nicht vom "Sozialstandpunkt des Andern" her bestimmt63• Beide Erkenntnisse führen dazu, das sinngebende Handlungselement in der potentiellen statt in der aktuellen Finalität zu erblicken, die sich am Maßstab des "Menschenmöglichen" bemißt6•. Als dem Menschen eigentümlich wird die
v. Liszt!Schmidt, S. 154. Wenn sich also nunmehr Weitnauer zu dieser Fassung der sozialen Handlungslehre bekennt (VersR 70, 585), bedeutet dies im Grunde keine Änderung der von ihm bisher vertretenen Unrechtslehre, die sich ganz im Sinne der kausalen Handlungs- und Unrechtslehre verstand; dasselbe gilt für Bindokat, JZ 58, 555. 61 Oben Kap. IV, B, 1 b. 62 Das betrifft vor allem die Fahrlässigkeit; s. z. B. Maihofer, Festschr. f . Eb. Schmidt, S. 172 f.; E. A. Wolf, Handlungsbegriff, S. 13 f.; ders., Gedächtnisschrift f. Radbruch, S. 298; Roxin, ZStW 74, 529. 63 Maihofer, Festschr. f. Eb. Schmidt, S. 158. a• Maihofer, ebenda, S. 174 i. Verb. m. S. 170, 173. 59
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4. Kap.: Tatbestand und Adäquanz bei§ 823 Abs.1
Fähigkeit zur intellektuellen und zur voluntativen Antizipation der Kausalverläufe betrachtet, so daß von einer Handlung dort gesprochen wird, wo die Möglichkeit dieser doppelten Antizipation, wo also Vorhersehbarkeit und Beherrschbarkeit des sozialrelevanten Erfolgs vorhanden ist65 • Das Urteil über die Vorhersehbarkeit des Erfolgs ist nichts anderes als das Adäquanzurteil, das somit zum Bestandteil des Handlungsbegriffs wird. Das wird insbesondere im Rückgriff auf den Maßstab des Menschenmöglichen deutlich, der, wie vor allem seine negative Funktion des Ausscheidens des Menschenunmöglichen66 zeigt, mit dem strengen Maßstab des einsichtigsten Beobachters im Adäquanzurteil sich deckt. Jedoch ist auch diese dogmatische Einordnung der Adäquanz wegen der Unzulänglichkeit des Handlungsbegriffs, auf dem sie beruht, abzulehnen . .A:bgesehen davon, daß die potentielle Finalität deshalb nicht die einzige Dimension der Handlung sein kann, weil es darum geht, die Handlung nicht nur in ihrer Potentialität, sondern auch in ihrer Aktualität zu erfassen67, ist der Bestimmung der für die Handlung zweifellos entscheidenden Sinndimension anhand der Vorhersehbarkeit und Beherrschbarkeit des Erfolgs durch ein ideales Subjekt nicht zuzustimmen. Denn damit wird wiederum der Erfolg in den Vordergrund gestellt und das Verhalten, das zu diesem Erfolg geführt hat, von diesem abgespalten und nur in eine abstrakte nachträgliche Beziehung zu ihm gesetzt, die übrigens nicht schon deshalb auf sozialer Ebene sich bewegt und den sozialen Sinn der Handlung darstellt, weil sie ein abstraktes Subjekt als Maßstab verwendet. Sicherlich ist bei jeder Handlung, die sich etwa als Körperverletzung oder Sachbeschädigung darstellt, der Erfolg von einer idealen Person voraussehbar und beherrschbar. Daß dies aber für den Sinngehalt der Handlung nicht entscheidend ist, zeigt sich bei der umgekehrten Betrachtung, etwa in den noch zu untersuchenden Fällen der sog. mittelbaren Verletzungen, wo der Erfolg eine vorhersehbare und beherrschbare Folge des Täterverhaltens ist und trotzdem außerhalb der Handlung liegt66 , für sie also n icht sinn65 66
Maihofer. ebenda, S. 170. Maihofer, ebenda, S. 176 f., 180.
67 Dafür wird auch die Formulierung verwendet, daß potentielle Finalität und Beherrschbarkeit nicht die Oberbegriffe von aktueller Finalität und Beherrschung sein können: Arthur Kaufmann, .JuS 67, 151; E. A. Wotf, Handlungsbegriff, S. 14 f., 38 Anm. 22 und Gedächtnisschrift f. Radbruch, S. 300. 68 Das hat Larenz, dessen Handlungslehre der sozialen sehr nahe steht, klar aufgezeigt. Larenz sondert den juristischen vom philosophischen Handlungsbegriff ab, wobei er diesen ganz im Sinne der Hegeischen Philosophie (vgl. Heget, Rechtsphilosophie, § 113: "erst die Äußerung des moralischen Willens ist Handlung") als nur das gewollte Tun umfassend begreift, jenem aber auch das subjektiv ungewollte, aber objektiv beherrschbare Tun zurechnet, so daß er die Handlung im Rechtssinne als "jedes menschliche Tun, das als vom Willen beherrschbar gedacht und daher objektiv, d. h. zur Tat, zugerechnet werden kann" definiert (Schuldrecht li, S. 448 und NJW 55, 1011; vgl. auch
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gebend ist, wie dies z. B. bei der Herstellung von gefährlichen Chemikalien der Fall ist, die nicht deshalb eine Körperverletzung darstellt, weil Menschen bei deren Verwendung oft zu Körperschäden kommen. Die Handlung als "funktionale Sinneinheit" 69 kann vielmehr ohne Bezugnahme auf die Sprachdimension nicht erfaßt werden. Die Handlungen werden primär verstanden als das, wodurch sie genannt, wodurch sie in der Sprache voneinander unterschieden werden. Das ist, wovon eine soziale Handlungslehre auszugehen hat. Speziell für § 823 Abs. 1 bedeutet dies die Notwendigkeit einer Analyse der Sprachdimension der in dieser Vorschrift beschriebenen Handlungen: die Untersuchung der Wortbedeutung von Tötung, Körperverletzung, Eigentumsverletzung usw., die Prüfung ihres Verhältnisses zur Wirklichkeit.
C. Die Unrechtstypen bei § 823 Abs. 1 und die Adäquanz Die bisherigen Ausführungen haben sich von allen vertretbaren Auffassungen über die Verbindung des Adäquanzgedankens mit dem Unrechtstatbestand und dem Handlungsbegriff distanziert. Die Gründe waren mit der spezifischen Ausgestaltung der jeweiligen Auffassung verbunden. Nunmehr gilt es, die partikulären Ergebnisse auf eine gemeinsame Basis zurückzuführen und alle möglichen Verbindungen der Adäquanz (in ihren beiden Begründungen: als Auslegungshilfsmittel des vermeintlichen Tatbestandsmerkmals der Kausalität und als sonst verstandener Zurechnungsfaktor) mit dem Tatbestands- bzw. mit dem Handlungsbegriff aus dessen spezifischer Bedeutung heraus abzulehnen. Den Weg dazu haben die Bemerkungen zur sozialen Handlungslehre bereitet, wo die Notwendigkeit einer Untersuchung der Sinn- und Sprachdimension der im§ 823 Abs. 1 beschriebenen Unrechtshandlungen sichtbar wurde. Hier ist zu fragen, ob angesichts dieser Dimension oder gerade bei deren Bestimmung der Rückgriff auf die Kategorie der Kausalität und auf das Moment der Erfolgsbegünstigung überhaupt nötig ist. Vorher muß nur kurz das Verhältnis von Handlung und Tatbestand geklärt werden, wovon abhängt, ob die genannte Untersuchung dogmaFikentscher, S. 606 f.). Den Begriff der objektiven Zurechnung verwendet er
aber auch dazu, um diejenigen ferneren Ha ndlungsfolgen zu erfassen, für die als beherrschbar der Handelnde verantwortlich gemacht werden kann, ohne daß sie als Teil der Handlung selbst erscheinen (Schuldrecht II, 9. Aufl., S. 401). Anders als bei Maihafer sind also nach Larenz nicht alle beherrschbaren Verhaltenswirkungen für die Handlung sinngebend, sondern nur die nächstliegenden, zum Handlungsvollzug selbst gehörenden. Welche diese noch zur Handlung selbst gehörenden Folgen sind, darüber entscheidet nach Larenz die "Anschauung des Lebens" und die "Wertung des Verkehrs" (Festschr. f. Dölle, Bd. I, S. 183). 89 Eberhard Schmidt, SJZ 50, 290; ders., Festschr. !.. Engisch, S. 341; Maihafer, Festschr. f. Eb. Schmidt, S. 179.
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tisch unter dem Gesichtspunkt der Handlung oder dem des Tatbestands stattzufinden hat. 1. Handlung und Tatbestand
Der systematische Stellenwert und die dogmatische Leistungsfähigkeit des Handlungsbegriffs sind stark in Zweifel gezogen worden. Bereits 1906 schrieb Beling70 : "Die Bedeutung des Handlungsbegriffs liegt ... in der Negative: in der Ausschaltung aller Vorkommnisse, die nicht Handlung sind, als für das Strafrecht von vornherein nicht in Betracht kommend, in der Überflüssigmachung jeder weiteren strafrechtlichen Betrachtung." Und Radbruch11 schlug 1930 die Ersetzung des Handlungsbegriffs als Oberbegriffs des Strafrechtssystems durch den der Tatbestandsverwirklichung vor. Der Streit hält heute noch an. Dem Handlungsbegriff wird einerseits nur "architektonisch-ästhetischer Wert" 72 zugesprochen und die praktische Bedeutung der Handlungslehren für minimal gehalten73 , anderereits wird er als Grund- und Verbindungselement aller Deliktsmerkmale7~ und zugleich als der Rechtstheorie und -philosophie angehörend75 angesehen. Eine eingehende Würdigung all dieser Standpunkte liegt außerhalb des Rahmens der vorliegenden Untersuchung. Angesichts der vorher gestellten Frage ist hier von dem Zweck auszugehen, dem ·die Anerkennung der Handlung oder des Tatbestandes als erster Zurechnungsstufe dienen soll. Ziel der Unterscheidung verschiedener Zurechnungsstufen überhaupt ist, wie gesagt, die möglichst klare Trennung der über die Haftung einer Person entscheidenden Wertungsgesichtspunkte. Diesem Ziel entspricht es am ehesten, wenn die Handlung nicht als selbständige Zurechnungsstufe betrachtet und deshalb dem Unrechtstatbestand der Vorzug zuerkannt wird. Denn das Vorhandensein einer Handlung ist zwar im Deliktsrecht unerläßliche Haftungsvoraussetzung, mit deren Bejahung ist aber die Haftung längst nicht entschieden78 • Erst wenn sich die Handlung als 70 71 72
Beling, S . 17. Radbruch, Festschr. f. Frank I, S. 155. Roxin, ZStW 74, 517 ; dagegen wendet sich Arthur Kaufmann, Handlung,
in: Schuld und Strafe, S. 17, indem er die dogmatische Bedeutung des Handlungsbegriffs betont. Man muß aber dabei bedenken, daß Roxi n nur eine formallogische Funktion des Handlungsbegriffs vor Augen hatte und seine dogmatische Relevanz nicht allgemein leugnet (vgl. S. 517 Anm. 5 a). 73 Arthur Kaufmann, JuS 67, 145 f.; Roxin, ZStW 74, 516 f. 74 Siehe etwa Artbur Kaufmann, JuS 67, 146; Eb. Schmidt, Festschr. f. Engisch, S. 350 (für die soziale Handlungslehre). Vgl. die Funktionen des Handlungsbegriffs bei Jescheck, S. 165. 75 So schon Radbruch, Handlungsbegriff, S. 74 f . 78 Hiergegen wäre der Einwand denkbar, daß gerade die soziale Handlungslchre, indem sie auf die soziale Sinnhaftigkeit der Handlung abstelle, sich nicht bloß mit dem formalen Vorliegen irgendeiner Handlung begnüge,
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Verwirklichung eines der in den gesetzlichen Tatbeständen enthaltenen Unrechtstypen darstellt, ist es sinnvoll, eine selbständige Zurechnungsstufe anzuerkennen. Damit soll keineswegs die dogmatische Bedeutung des Handlungsbegriffs angezweifelt werden, der als rechtlicher Grundbegriff für das Verständnis des Deliktsrechts von grundlegender Bedeutung ist. Auch seine systematische Bedeutung als Verbindungselement aller Deliktsmerkmale bleibt damit unberührt. Verneint wird bloß die Zweckmäßigkeit der Anerkennung der Handlung als selbständige Zurechnungsstufe im Rahmen eines nach Wertungsgesichtspunkten durchgeführten geschichteten Aufbaus des Deliktssystems.
2. Der Unrechtstatbestand als Unrechtstypus. Folgerungen aus seiner Sprachlichkeit Die Untersuchung der Sprachlichkeit des Tatbestands, auf der die endgültige Ablehnung jeglicher Bedeutung des Adäquanzgedankens für den Unrechtstatbestand des § 823 Abs. 1 beruhen soll, hat von einigen allgemeinen Bemerkungen zum Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit auszugehen. Dabei ist zunächst die Ansicht von der Abbildfunktion der Sprache, wonach die sprachlichen Strukturen eine vorsprachlich strukturierte Wirklichkeit beschreiben, so daß der Sinn von Wörtern und Sätzen sich mit deren deskriptivem Gehalt deckt, abzulehnen77 • Denn diese Annahme setzt eine sprachunabhängige Wirklichtkeit voraus, die für die Sprache maßgebend sein soll, und übersieht, daß von einer sprachunabhängigen Wirklichkeit nur dort gesprochen werden kann, wo auch deren Erkenntnis außersprachlich ist, was aber unmöglich ist, da "begriffene Wirklichkeit . . . immer sprachlich begriffene Wirklichwomit ihre praktische Bedeutung sich auf das Negative im Sinne BeZings beschränken würde, sondern vielmehr das Vorhandensein inhaltlich ganz bestimmter Handlungen verlange. Es läßt sich aber zeigen, daß die tatbestandsmäßige Handlung mehr ist als die Handlung schlechthin. Zunächst ist auf die Antinomie hinzuweisen, die in der sozialen Handlungslehre obwaltet und darin besteht, daß die Sinnhaftigkeit als das Inhaltliche par excellence in einen abstrakt-allgemeinen Begriff zwangsläufig formal aufgenommen wird; vom sozialen Sinn aus gibt es di~ Handlung nicht, sondern nur einzelne Handlungen. Diese Antinomie kann zwar im konkret-allgemeinen ;segriff dialektisch aufgelöst werden, dieser eignet sich aber nur für rechtsphilosophische Begriffe, nicht für solche der Dogmatik (Larenz, Methodenlehre, S. 165 f., 475 f., 487). Aber auch wenn man letzteres ablehnt, bedeutet das Prädikat der Tatbestandsmäßigkeit gerade, daß von allen Handlungen ganz bestimmte für die weitere rechtliche Betrachtung in Betracht kommen; der Unterschied also zwischen einem Handlungsbegriff, der alle möglichen Inhalte impliziert, und einem die Entsprechung zu bestimmten Unrechtstypen fordernden Tatbestandsbegriff ist nicht zu übersehen. In der Sprache der formalen Logik überspitzt ausgedrückt: Da es auch rechtlich indifferente Handlungen gibt, sind tatbestandsmäßige Handlungen mehr als Handlungen schlechthin. 77 Dazu etwa Hassemer, S. 74 ff. und die dort (S. 76 Anm. 33) Genannten. 8 Sourlas
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keit" isf8. Das bedeutet aber andererseits nicht, daß es nichts als Sprache gäbe. Der Spätphilosophie Wittgensteins verdanken wir die Erkenntnis, daß Sprache immer eine Lebensform ist. Wittgenstein verwendet den Ausdruck "Sprachspiel", um darauf hinzuweisen, daß die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken in ihrem Gebrauch zu suchen ise 9 , bei dem jede Äußerung stets in Verbindung mit nichtsprachlichen Handlungen und äußeren Situationen verwendet wird, die seine Bedeutung mit konstituieren80 • Deshalb ist das Erlernen einer Sprache immer Erwerb der umfassenden Fähigkeit, die komplizierten Zusammenhänge von Ausdrücken und Verhaltensweisen, kurz: Lebensformen zu beherrschen81. Diese in erster Linie die Sprache betreffende Erkenntnis gilt gleichfalls für das Handeln: Es kann nur im Zusammenhang mit den sprachlichen Ausdrücken, die mit ihm die Sprachspiele bilden, verstanden werden. Für den Tatbestand des § 823 Abs. 1 ergibt sich daraus, daß die nach dieser Vorschrift haftungsbegründenden Handlungen der Tötung, Körperverletzung usw. keineswegs einfach feststellbare Tatsachen der vorsprachliehen Außenwelt sind, sondern bestimmte Einheiten sprachlicher Kommunikation und sozialrelevanter Tätigkeit darstellen. Zudem sind auch deren Erwähnung im Gesetz und deren "Feststellung·' durch den Rechtsanwender nur aus dem Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten aus, also aus der Sicht ihrer rechtlichen Bewertung und ihrer Relevanz für die Haftung zu verstehen. Das Wittgensteinsche Modell kann dadurch erweitert82 werden, daß die Sprachspiele einer Sprachgemeinschaft nicht als eine geschlossene Einheit bildend, sondern als die Möglichkeit der eigenen Transzendierung enthaltend betrachtet werden, wodurch auch der Begriff des Verstehenshorizonts des sich die einzelnen Sprachspiele aneignenden Subjekts seine Bedeutung erhält. Daraus ergibt sich die Auffassung des Hassemer, S. 75. Wittgenstein, Phil. Unters. 43: "Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache"; 432: "Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben? -Im Gebrauch lebt es." Dabei ist zu betonen, daß Wittgenstein keine Theoriebildung über die Sprache erstrebte (dazu Ape!, Transformation I, S. 353 ff.). Dementsprechend wird auch hier auf das Wittgensteinsche Modell des Sprachspiels nur wegen seiner Anschaulichkeit, also exemplifizierend verwiesen. so Phil. Unters. 6 f., 23 (mit Beispielen). 81 Phil. Unters. 206: "Die gemeinsame menschliche Handlungsweise ist das Bezugssystem, mittels welches wir uns eine fremde Sprache deuten." 82 Daß diese Erweiterung mit der Intention Wittgensteins nicht in Einklang steht, ist eine andere Frage. Wittgenstein hat sich darauf beschränkt, auf die Veränderlichkeit der Sprachspiele hinzuweisen, indem er bemerkt hat, daß immer neue Sprachspiele entstehen und andere veralten, werden vergessen (Phil. Unters. 23). Zur ganzen Frage Ape!, Transformation I, bes. S. 373 fi. Siehe auch Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften, Beiheft 5 der Philosophischen Rundschau, Tübingen 1967, S. 149 ff. 1s
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C. Die Unrechtstypen bei § 823 Abs. 1 und die Adäquanz
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Unrechtstatbestands als Unrechtstypus83, dessen jeweiliges Erfülltsein nicht durch bloße Feststellung bzw. kausale Erklärung, sondern stets nach Vollzug des als hermeneutischer Zirkels1 bekannten komplizierten Verstehensprozesses erkannt werden kann. Diese Einsichten zwingen zu einer von der überlieferten abweichenden Erfassung des Unrechtstatbestands bei § 823 Abs. 1. Vor allem erscheint bei dessen Bestimmung die Überbetonung des Erfolgs und die Deutung seines Verhältnisses zur Person des Handelnden anhand der Kategorie der Kausalität als den Kern des Problems verfehlend. Das läßt sich zunä chst durch einige kurze Bemerkungen zur Kausalität zeigen85 • Die Vorstellung, daß der Kausalzusammenhang zwischen Verhalten und Erfolg unabdingbarer Bestandteil der Handlung ist, beruht auf der Annahme, jedes Geschehen in der Außenwelt stehe in gesetzmäßigem Zusammenhang mit anderen, ihm zeitlich vorangehenden Geschehen86 • Dabei wird dieser Zusammenhang entweder als eine der Erfahrung vorgegebene Denkform87 oder als eine der Sache selbst inne83 Dazu eingehend Hassemer, S. 109 ff. Hassemer bezieht sich dabei auf den Tatbestand der Allgemeinen Rechtslehre, seine Ausführungen gelten aber a fortiori für den Unrechtstatbestand. 84 Dazu grundlegend Gadamer, Wahrheit und Methode, 2. Aufl. 1965, S. 250 ff. Speziell zur juristischen Hermeneutik Hassemer, S. 104 ff. m. w. Nachweisen, der das treffendere Bild der Spirale verwendet. Hier müssen diese Hinweise genügen. 85 Bezeichnend für den Wandel der Grundauffassungen ist, daß bei der Erörterung der Adäquanztheorie heutzutage nur einige kurze Bemerkungen zum Kausalitätsbegriff vonnöten sind, während früher diese Frage im Mittelpunkt der Diskussion stand. Nicht in Einklang mit dieser begrüßenswerten Entwicklung steht der Versuch Hana.us (S. 83 ff.), die Diskussion um einen juristischen Kausalitätsbegriff neu zu beleben. Der von ihm entworfene juristische Kausalitätsbegriff, der nicht an den realen Geschehensablauf, sondern an die Pflichtwidrigkeit anknüpft, soll die gemeinsame theoretische Grundlage für die dogmatische Erfassung der Problematik des rechtmäßigen Alternativverhalteng und der hier interessierenden Adäquanz bzw. Normzweckkongruenz bieten (wie Hanau auch Schickedanz, NJW 71, 916; vorsichtiger Marten s, NJW 72, 741 Anm. 8). Abgesehen von der Frage, ob die Verschiedenheit der Wertungsfragen bei beiden Problemkreisen eine solche Annäherung zuläßt (vgl. Hanau selbst, S. 69), ist die Verwendung der Kategorie der Kausalität entschieden abzulehnen. Diese Ablehnung beruht keineswegs auf einem, wie Hanau meint, naturalistischen Kausalitätsbegriff. Nicht nur ist die Verwendung dieser Kategorie bei der Anwendung von Haftungsnormen wissenschaftstheoretisch bedenklich; sie hat vor allem verschleiernde Funktion, indem sie eine von den eigentlichen Wertungsfragen unabhängige Begriffsbildung darstellt, und ist deshalb gegenüber den Lehren vom Normzweck und vom Rechtswidrigkeitszusammenhang rückschrittlich (vgl. auch Münzberg, NJW 72, 2081). 66 Vgl. die Definition der Kausalität bei Engisch, Kausalität, S. 21: "Ein Verhalten ... erweist sich dann als ursächlich für einen . . . Erfolg, wenn sich an jenes Verhalten als zeitlich nachfolgend Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit dem Verhalten und untereinander in ihrer Aufeinanderfolge (natur-)gesetzmäßig verbunden waren ... " Siehe auch Weitnauer, Festgabe f. Oftinger, S . 323; D eutsch, Festschr. f. Honig, S . 50. 87 So die Kausalitätslehre des Kantianismus.
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wohnende, am Sein teilhabende Entität betrachtet88 • Wollen wir demgegenüber uns auf die Beobachtung der Verwendung der Kausalität beschränken, dann erweist sich uns diese als ein Instrument der Erklärung, das einen anderen Inhalt hat je nachdem, ob das zu Erklärende eine physikalische, eine psychische oder eine soziale Erscheinung ist89 • Das Urteil, daß ein Zustand die Folge einer menschlichen Handlung ist, bewegt sich auf der Ebene der physikalischen, grundsätzlich experimentell nachprüfbaren Gleichförmigkeiten; die kausale Erklärung der Handlung selbst wiederum bedeutet die Erforschung deren psychischer und geistig-sozialer Motive. Diese Seiten der Handlung interessieren aber das Recht nur begrenzt und haben mit dem Unrechtstatbestand nichts zu tun. Auf die erstgenannte Erklärung bezieht sich das Beweisverfahren in den Fällen, wo die Handlung selbst geklärt ist und lediglich nach deren Urheber gefragt wird90, während die zweite nur unter ganz bestimmten Aspekten für die Rechtswidrigkeit91 und das Verschulden von Bedeutung ist. Demgegenüber ist der hermeneutischen Frage, ob etwa der Händler, der einem kleinen Kind ein Wurfpfeil verkauft, wodurch ein Dritter verletzt wird92 , eine tatbestandsmäßige Körperverletzung begangen hat, die kausale Betrachtungsweise völlig fremd. Es fragt sich vielmehr, ob das Verhalten des Händlers einem der haftungsbegründenden Unrechtstypen entspricht93• Die hermeneutische Betrachtungsweise trägt auch zur Überwindung der mit dem Kausaldenken verbundenen Trennung von Verhalten und Erfolg bei. Zwar dient das Deliktsrecht primär dem Schadensausgleich, wodurch Ausgangspunkt bei seiner Anwendung stets der mit einer Rechtsgutverletzung verbundene Schaden ist. Das bedeutet aber nicht, daß allein der Erfolg für das Unrecht maßgebend ist. Denn eine Gesamtbetrachtung des Geschehens als unerlaubte Handlung deckt sich nicht mit dem Rückblick aus der Sicht des vom Erfolg ausgehenden Geschädigten. Wenn im Gesetz etwa von einer Körper- oder Eigentumsverletzung die Rede ist, dann schließen die entsprechenden Unrechtstypen 88 So im Anschluß an N. Hartmann Welzel, Naturalismus, S. 26 Anm. 17 a. E.; Strafrecht, S. 43; Artbur Kaufmann, Bedeutung, in: Schuld und Strafe, S. 77. 89 In diese Richtung vermutlich die unveröffentlichte Frankfurter Habilitation Wellmers über Kausalität und Erklärung (1970); das Manuskript war dem Verf. nicht zugänglich. 90 Dabei interessiert also die Handlung zunächst als physikalisches Ereignis, was auch der Rückgriff auf physikalische Kausalgesetze im Beweisverfahren zeigt. 91 Etwa bei der Frage, ob gewisse Rechtfertigungsgründe vorliegen. 92 BGH NJW 63, 101. 93 Horn, S. 74, tritt für die Ersetzung des Kausalitätsbegriffs durch den der "Zurückführung eines Ereignisses auf einen Menschen im sozialen Zusammenhang" ein; deutlich ist allerdings dabei die Spaltung von Verhalten und Erfolg, die ihn dazu führt, diese "Zurückführung" als eine der Tatbestandsmäßigkeit vorangehende Zurechnungsstufe anzuerkennen (S. 78).
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neben dem Erfolg auch bestimmte Verhaltensmodalitäten94 ein, die mit dem Erfolg mitgedacht werden und den entsprechenden Typus der unerlaubten Handlung mit konstituieren95 •
3. Die Unrechtstypen unmittelbarer und mittelbarer Rechtsgutverletzungen bei § 823 Abs.l und die Adäquanz a) Die vorangegangenen Bemerkungen erschöpfen das Problem der Unrechtstypen bei§ 823 Abs. 1 bei weitem nicht; sie bieten vielmehr nur die Ausgangsbasis einer näheren Analyse. Eine solche ist bereits durch v. Caemmerer96 und vor allem durch StoW7 unternommen werden. Die hiesige Fragestellung erfordert keine eingehende Behandlung des Themas. Für sie ist nichtsdestoweniger die grundlegende Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Rechtsgutverletzungen von großer Wichtigkeit. Denn die Frage der eventuellen Bedeutung der Adäquanz auf der Tatbestandsstufe stellt sich, wie gleich zu zeigen ist, bei den mittelbaren Verletzungen anders als bei den unmittelbaren. Die Erkenntnis von der strukturellen Verschiedenheit unmittelbarer und mittelbarer Verletzungen im Rahmen des § 823 Abs. 198 gehört zu den wichtigsten Ergebnissen, zu denen die durch das Urteil des Großen Senats des BGH vom 4. 3. 195799 entfachte Diskussion100 zum zivilrechtliehen Rechtswidrigkeitsbegriff geführt hat. Die Unterscheidung der beiden Verletzungsarten b eruht auf der Beobachtung, d aß gewisse menschliche Tätigkeiten so eng mit Rechtsgutverletzungen verbunden sind, daß der derartige Erfolg gerade das für sie sinngebende Element ist und ihre sprachliche Benennung prägt, während andere Tätigkeiten einer ganz anderen Funktion dienen und dementsprechend auch benannt werden, ~ 4 Zutreffend schreibt Stratenwerth, S. 84: "Das strafrechtlich relevante Unrecht (wird) zumeist nicht allein durch einen negativ-wertigen Erfolg, sondern wesentlich auch durch die Modalitäten des Handeins begründet." 95 In dieselbe Richtung wie die hier dargestellte Auffassung weist auch die Bemerkung von Selb, Festschr. f. Herdlitczka, S. 222, es gebe ebensoviele Kausalitätsbegriffe wie Haftungsgesetze. Der Unterschied liegt darin, daß dabei der Kausalität eine größere Bedeutung beigemessen wird als hier. oo Die absoluten Rechte in § 823 Abs. 1, Karlsruher Forum 61, 19-27. 97 Unrechtstypen bei Verletzung absoluter Rechte, AcP 162, 203-236. 98 Siehe dazu Bydlinski, Probleme, S. 41 ff.; v . Caemmerer, DJT-Festschr. II, S. 77 ff., 131 f. ( = 484 ff., 547 f.) und Karlsruher Forum 61, 19 ff. ( = 556 ff.); Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 229, 282; Erman, § 276 Bem. 2 b; Fikentscher, S. 277; Huber, Festschr. f. Wahl, S. 301 Anm. 2; Larenz, Festschr. f. Dölle I, S. 183 ff.; Schuldrecht II, S. 463 ff.; Löwisch, S. 51 ff.; StolZ, AcP 162, 206 ff., 212 ff., 229 ff. Ablehnend Münzberg, S. 331 ff. (aus der Sicht des Verhaltensunrechts); Reinhardt, JZ 61, 718 (aus der Sicht des Erfolgsunrechts) ; J. G. Wotj, S. 38. 99 BGHZ 24, 21. 100 Siehe die bei Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 13 Anm. 32, zitierten Autoren; ergänzend Eike Schmidt, Fahrlässigkeit, S. 1 Anm. 3.
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dennoch typischerweise mit der Gefährdung fremder Rechtsgüter verbunden sind und gegebenenfalls zu deren Verletzung führen, so daß unter bestimmten Voraussetzungen eine Haftung ihres Urhebers als gerechtfertigt erscheint. Diese theoretische Grundlage der Unterscheidung bietet zugleich das Kriterium ihrer praktischen Durchführung. Zwar ist die Trennung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Verletzungen notwendigerweise unscharf und überdies historisch belastet10\ es hängt aber mit der Natur der Sache zusammen, daß eine typologische und keine begriffslogische Unterscheidung möglich ist. Demnach sind diejenigen Verletzungen als unmittelbar zu bezeichnen, bei denen der Verletzungserfolg die Sinnhaftigkeit der Handlung bestimmt, während bei den mittelbaren Verletzungen der Verletzungserfolg zwar eine typische Verwirklichung der mit dem Täterverhalten verbundenen Gefahr ist, aber wegen der davon unabhängigen primären Funktionalität der Handlung für deren Sinn nicht konstitutiv ist und deshalb außerhalb deren liegt1o2. b) Bevor gezeigt wird, daß die Frage nach der Bedeutung der Adäquanz auf der Tatbestandsstufe sich anders stellt je nachdem, oib es sich um eine unmittelbare oder eine mittelbare Verletzung handelt, ist noch zu klären, ob die Unterscheidung bereits die Tatbestandsstufe betrifft. Diese Vorfrage erscheint als um so mehr gerechtfertigt, als herrschender Ansicht nach die genannte Unterscheidung erst auf der Rechtswidrigk eitsstufe Bedeutung erlangt, da bei unmittelbaren Verletzungen eine erfolgs- oder rechtsgutsbezogene, bei mittelbaren hingegen eine verhaltensbezogene Rechtswidrigkeit angenommen wird 103. Darum ist zunächst zu betonen, daß einerseits die kritische Bemerkung104 Zustimmung verdient, daß somit die Einheit der Rechtswidrigkeitsfeststellung aufgegeben wird, indem jedesmal grundverschiedene Maßstäbe ver101 So Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 229, unter Hinweis auf die Schwierigkeiten der Unterscheidung im Rahmen des ALR und bei Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb; ebenso Münzberg, S. 335 f. 102 Die hiesigen Ausführungen bewegen sich also in Einklang mit dem von Larenz (Festschr. f. Dölle I, S. 183 ff.) und StoH (AcP 162, 226; vgl. ferner Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 230, Anm. 176) verwendeten Unterscheidungskriterium, ob der Verletzungserfolg Bestandteil der Handlung des Verletzers war oder außerhalb ihrer lag. Zu betonen ist allerdings ausdrücklich, daß zeitlich-räumliche Unmittelbarkeit keine Rolle spielt, da allein die Sicht, aus der die Rechtsordnung das in Frage stehende Verhalten bewertet, entscheidet. Trotz räumlich-zeitlicher Unmittelbarkeit kann also eine mittelbare Verletzung vorliegen. 103 So etwa Larenz, Festschr. f. Dölle I, S. 186, 188 f., 192 ff. und Schuldrecht II, S. 463 ff.; Stall, AcP 162, 228 (zusammenfassend), 229 u. ö. Stoll spricht zutreffend von Unrechtstypen bei § 823 Abs. 1, setzt aber dabei Unrecht mit Rechtswidrigkeit gleich (z. B. S. 205), was mit der hier befolgten Konzeption des Tatbestands als Unrechtstypus sich nicht deckt. 1 04
Münzberg, S. 333.
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wendet werden. Andererseits ist aber die Unterscheidung insoweit berechtigt, als das Unrecht bei jeder Verletzungsart tatsächlich anders strukturiert ist105, so daß es sich nicht um bloß faktische, "unselbständige Unterarten der sich stets nach den allgemeinen Prinzipien vollziehenden Rechtswidrigkeitsermittlung" 106 handelt. Der Unterschied liegt vielmehr in der Grundstruktur der Unrechtstypen, so daß trotz Anwendung derselben Rechtswidrigkeitskriterien107 sich jedesmal verschiedene Wertungskonstellationen am Ende ergeben. Unmittelbare und mittelbare Rechtsgutverletzungen sind also verschiedene tatbestandliehe Typen im Rahmen des § 823 Abs. 1108• c) Die nähere Betrachtung der beiden Unrechtstypen im Hinblick auf eine eventuelle Bedeutung der Adäquanz führt nun zu folgenden Ergebnissen. Bei den unmittelbaren Verletzungen ist die Frage, ob das Täterverhalten geeignet war, eine Verletzung von der Art der eingetretenen herbeizuführen, von vornherein nicht denkbar. Denn dabei ist der Unrechtstypus gerade dadurch charakterisiert, daß die ihm entsprechenden Verhaltensmodalitäten so eng mit dem Verletzungserfolg verbunden sind, daß sie daraus ihren Sinn erhalten und ohne diesen sprachlich nicht erfaßbar sind. Nach der Adäquanz zu fragen ist somit überflüssig. Das zeigt sich auch darin, daß die Fälle, wo die Rechtsprechung bei der Haftungsbegründung die Adäquanz des Täterverhaltens prüfte, in ihrer Vielzahl solche mittelbarer Verletzungen waren 10~.
Das zuletzt Beobachtete ist zugleich ein Anzeichen dafür, daß die strukturelle Eigenart der mittelbaren Verletzungen der Betrachtungsweise der Adäquanz gewisse Anhalte gibt. Diese sind vor allem die leichter als bei den unmittelbaren Verletzungen durchführbare Trennung von Verhalten und Erfolg und das Erfordernis einer engeren Verbindung zwischen beiden, soll nicht bereits der Bedingungszusammenhang das Unrecht begründen. Hinzu kommt das Element der Gefährlichkeit, das das Verhalten des mittelbaren Verletzers kennzeichnet und die quantitative Eignungsprüfung der Adäquanz beinhaltet. Die erwähnten Anhaltpunkte vermögen indessen die Bedeutung der Adäquanz für die Erfassung des Unrechtstypus der mittelbaren Verletzungen nicht zu stützen. Zunächst gilt auch hier das vorher allgemein Gesagte: Die 105 Das betont StolZ, AcP 162, 206 m. Anm. 12 (vgl. jedoch den Vorbehalt oben Anm. 103). 106 So aber Münzberg, S. 333 (Zitat dortselbst); vgl. auch Soergel/Siebertl Zeuner, § 823 Bem. 9: die Unterscheidung sei eher graduell als strukturell. 107 Als solche werden im Anschluß an Münzberg die Eignung zur Herbeiführung des Erfolgs, das Können und die Interessenahwägung angesehen. Dazu näher unten Kap. V, B 2 c, aa. 1os Ebenso L öwisch, S. 55 f. 1o9 Vgl. die oben (Kap. III, B, 1) angeführten Beispiele.
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große Anzahl der Verhaltensweisen, die fremde Rechtsgüter gefährden und dennoch entweder überhaupt keine oder allein eine Gefährdungshaftung begründen, läßt die Anerkennung der Adäquanz als unrechtsbestimmender Faktor nicht zu110• Abgesehen aber von dieser negativen Begründung, führt auch der Versuch einer positiven Bestimmung des Unrechtstypus mittelbarer Verletzungen zum gleichen Ergebnis. Aus der dies betreffenden Diskussion läßt sich freilich nur weniges entnehmen; das ist darauf zurückzuführen, daß der strukturelle Unterschied der beiden Verletzungsarten erst auf der Ebene der Rechtswidrigkeit wahrgenommen wird. Allein v. Caemme1·er111 hat die Ansicht vertreten, daß der Tatbestand der mittelbaren Verletzungen erst dann gegeben sei, wenn gegen eine Verkehrs(sicherungs)pflicht verstoßen worden sei. Die oben112 gegen die generelle Einordnung der Sorgfaltspflichtwidrigkeit in den Unrechtstatbestand geäußerten Bedenken gelten mutatis mutandis auch gegen eine ähnliche Einordnung der objektiven Verkehrspflichten bei den mittelbaren Verletzungen. Unrechtskern ist und bleibt die Rechtsgutverletzung, nicht die Pflichtwidrigkeit. Natürlich wird damit das Problem kaum gelöst, denn es fragt sich gerade, welche Verhaltensmodalitäten dabei in Betracht kommen, damit der Unrechtstypus mittelbarer Verletzungen als Sinnganzes gegeben ist. Als solche die Pflichtwidrigkeit anzuerkennen, bringt jedenfalls den Nachteil mit sich, daß damit die Haftung auf der Tatbestandsebene endgültig entschieden wird, weil die Rechtswidrigkeitsfrage und meistens auch- obwohl Verkehrs- und Sorgfaltspflichten nicht identisch sind113 - die Verschuldensirage bereits bei der Tatbestandsmäßigkeitsprüfung beantwortet werden. Überdies erscheint es wenig sinnvoll, angesichts der großen Zahl der bereits anerkannten und der sich stetig neu bildenden Verkehrssicherungspflichten und der Vielfalt der innerhalb der verschiedensten Tätigkeitsbereichen auftretenden konkreten Gefahrsituationen114, wo Verhaltenspflichten entstehen können, den Unrechtstypus der mittelbaren Verletzungen in unzählige Sondertatbestände aufzulösen. Treffender scheint demgegenüber, wenn auf die vollständige Erfassung des Unrechts auf der Tatbestandsstufe verzichtet wird. Dann ist der Tatbestand des § 823 Abs. 1 hinsichtlich der mittelbaren Verletzungen in dem Sinne als offen anzusehen, daß auf der ersten Zurechnungsstufe Dazu oben Kap. IV, A, 1 b, bb. DJT-Festschr. II, S. 78 Anm.118 = 486; Karlsruher Forum 61, 20 (= 559). 112 Kap. IV, A, 2 b. 113 Dazu vgl. unten Kap. V, C, 2 b, cc. 114 Vgl. dazu die keineswegs erschöpfende Aufzählung bei v. Caemmerer, DJT-Festschr. I, S. 72 ff. ( = 479 ff.), sowie die unübersichtlich gewordene Rechtsprechung zu den Verkehrssicherungspfiichten; einen Überblick versuchen Fikentscher, S. 631 f. und Soerge!/Siebert!Zeuner, § 823 Bem. 103 ff. zu geben. I1G
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über den Unrechtscharakter noch nicht entschieden werden kann 115• Damit kommt dem Tatbestand116 lediglich die Funktion zu, die relevanten Verletzungserfolge von den irrelevanten abzugrenzen sowie den Kreis der Personen abzustecken, die für die Haftung in Betracht kommen: Es sind all diejenigen, denen die Rechtsordnung zur Abwendung von Gefahrverwirklichungen besondere Verhaltenspflichten auferlegt, weil sie entweder eine fremde Rechtsgüter gefährdende und dennoch nicht untersagte Tätigkeit ausüben oder bestimmte gefährliche Lagen zulässigerweise schaffen bzw. Anlagen unterhalten117, so daß von einer Art Garantenstellung118 die Rede sein könnte. Kommt es in einem solchen Fall zu einer Rechtsgutverletzung, dann ist nicht schon deshalb ein Unrecht gegeben. Die entscheidende Frage, welche Verhaltenspflicht konkret bestanden hat und ob ihr gefolgt wurde, ist keine Frage der Tatbestandsmäßigkeit mehr, sondern der Rechtswidrigkeit119• Die Trennung von Unrecht und Unglück, also die Bestimmung der haftungsrechtlich relevanten (mittelbaren) Verletzungen, ist erst auf der zweiten Zurechnungsstufe möglich. Damit ist das Problem der eventuellen Bedeutung der Adäquanz bei den mittelbaren Verletzungen nicht endgültig gelöst, die Frage jedoch, ob der Adäquanzgedanke bei der Bestimmung des Unrechtstatbestands des § 823 Abs. 1 eine Rolle spielt, verneinend beantwortet. Bei Zu115 Bezüglich der mittelbaren Verletzungen betrachtet auch v. Caemmerer (DJT-Festschr. II, S. 80 = 488 und Karlsruher Forum 61, 20 = 557) § 823 Abs. 1 als offenen Tatbestand, dies aber in einem anderen Sinne als hier. Zu erinnern ist zunächst an den zwei Arten offener Tatbestände, wie sie Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 209, unterscheidet: Einerseits Tatbestände, die die Rechtswidrigkeit nicht indizieren, und andererseits solche, die ergänzungsbedürftig sind. Da hier die indizierende Funktion der Tatbestandsmäßigkeit nicht wie bei Deutsch verstanden wird, ist die erste Art offener Tatbestände in dem Sinne zu verstehen, daß bei diesen die Trennung von Recht und Unrecht auf der ersten Zurechnungsstufe nicht möglich ist. Demnach ist der Tatbestand des § 823 Abs. 1 hinsichtlich der mittelbaren Verletzungen ein offener in diesem ersten Sinne, nach v. Caemmerer aber im Sinne der Ergänzungsbedürftigkeit. 116 Es muß ausdrücklich betont werden, daß hier vom Tatbestand nur in untechnischem Sinne die Rede ist. Nicht verstanden wird er hier als Unrechtstypus, da die Trennung von Unrecht und Unglück bei mittelbaren Verletzungen der Rechtswidrigkeitstufe zugeschrieben wird. Nichtsdestoweniger ist die Unterscheidung unmittelbarer und mittelbarer Verletzungen schon auf der Tatbestandsstufe relevant, da bei den ersteren schon vor der Rechtswidrigkeitsstufe ein besonderer Unrechtstypus vorliegt. 117 Vgl. v. Caemmerer, DJT-Festschr. li, S. 71 ff. = 478 ff.; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 171. 118 Bei der Verwendung des Ausdrucks ist allerdings deshalb Vorsicht geboten, weil die Vorstellung einer strukturellen Ähnlichkeit mit den (unechten) Unterlassungsdelikten entstehen könnte, wie sie Wiethölter, Rechtfertigungsgrund, S. 37 ff., generell für das fahrlässige Delikt annimmt. Dagegen z. B. Eike Schmidt, Fahrlässigkeit, S. 63 ff. 119 Vgl. Eike Schmidt, Fahrlässigkeit, S. 66 f., der allerdings zwischen unmittelbaren und mittelbaren Verletzungen nicht unterscheidet.
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grundelegung der Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Verletzungen hat sich erwiesen, daß bei jenen die Adäquanzfrage von vornherein ausgeschlossen ist, bei diesen die Adäquanz als Kriterium für die Erfassung des Unrechtstypus m ittelbarer Verletzungen nicht zuletzt deshalb unbrauchbar ist, weil die Abgrenzung der haftungsrechtlich relevanten Rechtsgutverletzungen auf der Tatbestandsstufe überhaupt nicht durchführbar ist. Die Frage, ob dennoch der Adäquanzgedanke für diese Abgrenzung bedeutsam ist, gehört in den Fragenkamplex des Verhältnisses der Adäquanz zur Rechtswidrigkeit
Kapitet V
Adäquanz und Normzweck in ihrem Verhältnis zur Rechtswidrigkeit und zum Verschulden A. Obersicht der Problematik
1. Allgemeiner Vbe·rblick Unter der Überschrift des Verhältnisses der Adäquanz und des Normzwecks zur Rechtswidrigkeit und zum Verschulden verstehen sich zunächst einmal ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Exaktheit aufgezählt und formuliert- folgende Fragen: ob die Begünstigung des Erfolgsein tri tts das über die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens en tscheidende Kriterium ist oder jedenfalls ihre Prüfung Bestandteil der Rechtswidrigkeitsermittlung ist; ob der Maßstab des über die Adäquanz ur·· teilenden einsichtigsten Beob