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German Pages 174 Year 2001
BERND WAAS
Drittwirkungen der Friedenspflicht
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 200
Drittwirkungen der Friedenspflicht Die tarifvertragliche Rechtsstellung des verbandsangehörigen Arbeitgebers im Arbeitskampf
Von
Bemd Waas
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Waas, Bernd:
Drittwirkungen der Friedenspflicht : die tarifvertragliche Rechtsstellung des verbandsangehörigen Arbeitgebers im Arbeitskampf I von Bemd Waas. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht ; Bd. 200) ISBN 3-428-10584-2
Alle Rechte vorbehalten
© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-10584-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Vorwort Die vorliegende Untersuchung zur Grundlage der Friedenspflicht und ihren rechtlichen Drittwirkungen ist während meiner Tätigkeit am Institut für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der EG in Trier entstanden. Der rechtswissenschaftliche Direktor des Instituts, Herr Professor Dr. jur. Dr. h. c. Rolf Birk, hat mir in großzügiger Weise den entsprechenden Freiraum gewährt. Dafür möchte ich ihm ebenso wie dem für die wirtschaftswissenschaftliche Abteilung zuständigen Direktor, Herrn Professor Dr. Sadowski, herzlich danken. In ganz besonderem Maße verpflichtet bin ich Herrn Professor em. Dr. jur. Dr. h. c. mult. Peter Hanau, dem die vorliegende Arbeit eine Reihe außerordentlich wertvoller Hinweise verdankt und der auch die Publikation in der Schriftenreihe zum Sozial- und Arbeitsrecht angeregt hat. Trier, im März 2001
Dr. BemdWaas
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
§ 1 Einführung in die Problematik . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
§ 2 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
1. Kapitel
Die rechtliche Grundlage der Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
20
§ 3 Grundlagen der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
I. Die Unzulänglichkeit der bestehenden Auffassungen zu den Grundlagen der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
1. Gewohnheitsrecht als Grundlage der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
2. Der Satz .,pacta sunt servanda" als Grundlage der Friedenspflicht . . . . . . . .
24
3. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Grundlage der Friedenspflicht.............. . ... .. ................. . .. .. ..... . .......... .. .. . .. ..
26
4. Versuche einer Herleitung der Friedenspflicht aus den Funktionen des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
a) Die Friedensfunktion des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
b) Die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
Die eigene Konzeption zur Grundlage der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
1. Arbeitskampffreiheit und Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
2. Arbeitskampf und Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
II.
8
Inhaltsverzeichnis 3. Schutz der Interessen der gern. § 3 Abs. 1 TVG tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
a) Das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
b) Das Schutzbedürfnis auf Seiten der Arbeitnehmer: Tarifvertrag als kollektive Interessenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
c) Friedenspflicht und Vertragsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
§ 4 Die Wirkungsweise der Friedenspflicht im Verhältnis der Tarifvertrags-
parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
I. Die Friedenspflicht als schuldrechtliche Verpflichtung oder unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampffreiheit... . . . . . .. ... ........... ... . . . .. . . ...
47
II. Der friedenspflichtwidrige Arbeitskampf als ,,rechtswidriger" Arbeitskampf i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
§ 5 Grundlagen einer "Drittwirkung" der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
I. Rechtliche Beschränkungen der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einem Tarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
1. Körperschaftliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitgeberverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
a) Die Konzeption der h. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
b) Eigene Konzeption. . .... .. . . ............ . ... . ... ... . ......... . . ......
53
aa) Verbandsrechtliche Förderpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
bb) "Körperschaftlicher Willensakt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
2. Unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft aufgrund Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
a) Unmittelbare Verpflichtung des verbandsangehörigen Arbeitgebers aufgrund Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
b) Unmittelbare Verpflichtung des verbandsangehörigen Arbeitgebers aufgrund einer Ausübung der tariflichen Rechtsetzungsmacht . . . . . . . .
61
3. Unmittelbare Verpflichtung kraft objektiven Rechts als Haftung der Mitglieder des Arbeitgeberverbands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
II. Die Friedenspflicht als unmittelbare Verpflichtung kraft objektiven Rechts auf der Grundlage der Konzeption Ramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
Inhaltsverzeichnis
9
l. Die Konzeption Ramms und seine "Theorie vom Rechtsetzungsvertrag"
66
2. Auseinandersetzung mit der schadensersatzrechtlichen Argumentation Ramms. . . . ........... . ..................... . ..................... . .. . ...
67
a) Die Verneinung eines eigenen Schadens des Verbands . . . . . . . . . . . . . . . .
68
aa) Eigenschaden des Verbands durch Unterstützungsleistungen gegenüber dem Mitglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
bb) Eigenschaden des Verbands durch den Abschluß eines ungünstigeren Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
b) Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
aa) Der "vertragsfremde" Dritte als Gläubiger eines Anspruchs aus der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
bb) Der "vertragsfremde" Dritte als Adressat der Friedenspflicht . . . .
77
3. Auseinandersetzung mit den arbeitskampfrechtlichen Erwägungen Ramms....... . ......... . ........... . ..... . ... . ................. . .. . . ....
78
a) Die vermeintliche Privilegierung der Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . .
78
b) Zurliekweisung dieser Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
4. Abschließende Bewertung der "Differenzierungstheorie" . . . . . . . . . . . . . . . .
80
a) Die rechtlichen Grundlagen der ,,Differenzierungstheorie" . . . . . . . . . . .
81
b) Die mangelnde Effektivität der Einwirkungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
2. Kapitel
Die Erkämptbarkeit von Verbands- und Finnentarifverträgen im Verhältnis von Arbeitgeber und Gewerkschaft
§ 6 Die Erkämptbarkeit von Verbandstarifverträgen durch den Arbeitgeber . . . . . I.
83
84
Der Ausschluß der Erkämpfbarkeit von Verbandstarifverträgen durch den verbandsangehörigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
II. "Drittbelastung" des Arbeitgebers durch Annahme deliktsrechtlicher "Verkehrspflichten" oder Statuierung von "Schutzpflichten" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
l. Die Konzeption der Friedenspflicht und die Auffassung von Canaris . . . . .
90
2. Die Konzeption der Friedenspflicht und die Auffassung der h. M. . . . . . . . .
91
10
Inhaltsverzeichnis
§ 7 Die Erkämptbarkeit von Verbandstarifverträgen durch die Gewerkschaft im Verhältnis zum verbandsangehörigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
I. Die Konzeption der h. M.: Vertrag zugunsten Dritter oder Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
II. Die eigene Konzeption zur Berechtigung eines verbandsangehörigen Arbeitgebers aus der tarifvertragliehen Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
1. Die Berechtigung des Arbeitgebers zum Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
2. Der Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
§ 8 Die Erkämptbarkeit von Firmentarifverträgen durch den Arbeitgeber . . . . . . .
99
I. Die generelle Problematik der Zulässigkeit der Angriffsaussperrung
100
1. Die generelle Unzulässigkeit der Angriffsaussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Die evtl. Unzulässigkeit einer Angriffsaussperrung um den Abschluß eines Firmentarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 li. Dogmatisch-konstruktive Vorüberlegungen zur Arbeitskampffreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
1. Arbeitskampffreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und Lehre vom Doppelgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Arbeitskampffreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und Lehre vom "sumrniert-individualen" Charakter der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . 104 III. Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers aufgrund des Eintritts in den Arbeitgeberverband: Wegfall der Tariffähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Tariffähigkeit des Arbeitgebers und Arbeitgeberinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . 106
2. Tariffähigkeit des Arbeitgebers und Interessen der Gewerkschaft . . . . . . . . 108 a) Praktische Konsequenzen einer Restriktion des § 2 Abs. 1 TVG . . . . . . 109 b) Rechtliche Bewertung einer Restriktion des § 2 Abs. 1 TVG . . . . . . . . . 111 aa) § 2 Abs. 1 TVG und der Schutz schwächerer Gewerkschaften . . . 112 bb) Bewertung einer Restriktion der Tariffähigkeit des Arbeitgebers unter arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Inhaltsverzeichnis cc) Rechtliche Konsequenzen hinsichtlich bestehender Tarifverträge
11 115
dd) Die Frage nach der Zulässigkeil entsprechender satzungsmäßiger Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IV.
Beschränkung der Tarifflihigkeit des Arbeitgebers aufgrund der Wirkungen des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Die unmittelbare Wirkung des Tarifvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Die zwingende Wirkung des Tarifvertrags und der Ausschluß ,.abweichender Abmachungen" . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . 121
V. Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers als Folge eines evtl. ,,Nachrangs" bei der Konkurrenz zwischen Verbands- und Firmentarifvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Die .,Nachrangigkeit" des Firmentarifvertrags gegenüber dem Verbandstarifvertrag: Ablehnung des Spezialitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Arbeitskampfrechtliche Konsequenzen einer Ablehnung des Spezialitätsprinzips .. .. . .. . . . . . . . . .. . . .. . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . 127
§ 9 Die Erkämplbarkeit eines Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft . . . . . . 130 I.
Kampf um einen Firmentarifvertrag und Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG und Schutz der Rechtsstellung als Mitglied . . . . . . . . 132 2. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG und Gewährleistung einer bestehenden Tarifbindung ... .. . . ... . .... . . .. ... . ... .. . .. . .. . . . ... . .. . . .. . ..... . . ... .. . . .. . . . . 133
II. Die Bewertung der Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags auf der einfachgesetzlichen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags in der Rechtsprechung . . . . 138 a) Die Rechtsprechung des BAG .. .. . . . . . . . . .. . . . .. . .. .. . . .. . . .. . . . .. .. . 138 b) Die Entscheidung des LAG Köln vom 14. Juni 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Argumentation des LAG Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Rechtliche Bewertung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Die Entscheidung des LAG Frankfurt a. M. vom 23. Aprill985 . . . . . . 144 aa) Die Argumentation des LAG Frankfurt a. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 bb) Rechtliche Bewertung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
12
Inhaltsverzeichnis 2. Die herrschende Auffassung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Die "Wahlmöglichkeit" der Gewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Die Interessenlage des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Die eigene Auffassung zur Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags gegen den verbandsangehörigen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
3. Kapitel Zusammenfassung und Schlußbetrachtung
154
§ 10 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
I. Die Grundlagen der Friedenspflicht . . . . . . .. . . . . .. .. . . . .. . . .. . . .. . . .. . . . .. . . . 154 II. Die ,,Drittwirkungen" der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 § 11 Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Sachregister . .. . . . .. . . .. .. . . . .. . . . . . . .. .. .. . . . . .. .. . . . . . .. . . . . .. .. . .. . . .. . . . .. . .. . .. .. 171
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
a.a.O.
arn angegebenen Ort
ab!.
ablehnend
Abs.
Absatz
AcP
Archiv für die civilistische Praxis
allg.
allgemein(e)(r)
allg. M.
allgemeine Meinung
Anm.
Anmerkung
AP ArbRdGw
Hueck I Nipperdey I Dietz, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Arbeitsrechtliche Praxis Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Jahrbuch für das gesamte Arbeitsrecht und die Arbeitsgerichtsbarkeit, herausgegeben von Thomas Dieteeich und Rudolf Kissel
ArbuR
Arbeit und Recht (Zeitschrift)
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
BAG
Bundesarbeitsgericht
BAGGS
Großer Senat des Bundesarbeitsgerichts
BAGE
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofes
BB
Der Betriebs-Berater (Zeitschrift)
Bd. Beil.
Band Beilage
BetrVG
Betriebsverfassungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofes und der Bundesanwaltschaft
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, herausgegeben von den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts
bzw.
beziehungsweise
d. Grde
der Griinde
d. h. DB
das heißt Der Betrieb (Zeitschrift)
ders., dies.
derselbe, dieselbe
14 Diss.
Abkürzungsverzeichnis Dissertation
EinI.
Einleitung
etc.
et cetera
evtl.
eventuell
f., ff.
folgende
FS
Festschrift
Fußn.
Fußnote
gern.
gemäß
GewerkMH
Gewerkschaftliche Monatshefte
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
ggf.
gegebenenfalls
GK
Gemeinschaftskommentar
Grde.
Entscheidungsgründe
GS
Gedächtnisschrift
h.M.
herrschende Meinung
Hg.
Herausgeber Hinweis
Hinw. Hs.
Halbsatz
i.d.R.
in der Regel
i.H.a.
im Hinblick auf
i. S. d.
im Sinne (des, der)
i. V. (m.) i.w. imübr. insbes. jew.
in Verbindung (mit)
jeweils
JuS
Juristische Schulung (Zeitschrift)
krit. KSchG
kritisch Kündigungsschutzgesetz i. d. F. vom 25. 8. 1969
im wesentlichen im übrigen insbesondere
LAG
Landesarbeitsgericht
LAGE
Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte, herausgegeben von Eugen Stahlhacke
Lit.
Literatur
m. w. Nachw. NJW
mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift
Nr.
Nummer
NZA
Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht
o. a.
oder ähnliche(s)
o.w.
ohne weiteres
RdA
Recht der Arbeit (Zeitschrift)
RL
Richtlinie des Rates
Rn.
Randnummer
Abkürzungsverzeichnis Rspr.
s.
SAE sog. Soz. Fortschritt SprAuG str. TVG
u. u. a. usw. V.
Verf. vgl. Vorbem.
z. z.B.
Rechtsprechung Seite Sanunlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift) sogenannt(e)(r) Sozialer Fortschritt (Zeitschrift) Sprecherausschußgesetz streitig Tarifvertragsgesetz unter unter andere (m, n) und so weiter von, vom Verfasser vergleiche Vorbemerkung zu(m)(r)
ZfA ZTR
zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Tarifrecht
zust. zutr.
zustimmend(e, er) zutreffend
z. T.
15
Einleitung § 1 Einführung in die Problematik Der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die durch die Friedenspflicht des Tarifvertrags vermittelte arbeitskampfrechtliche Stellung des verbandsangehörigen und gern. § 3 Abs. 1 TVG an die Tarifverträge "seines" Verbands gebundenen Arbeitgebers. Daß diese Frage erhebliche dogmatische Bedeutung hat, bedarf kaum der Begriindung und ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß man sich dabei notwendigerweise auf der Schnittstelle von Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht bewegt1. Hinzuweisen ist aber auch darauf, daß die ganz h. M. bei ihrer Beantwortung in weitem Umfang - soweit nämlich eine Begünstigung des Arbeitgebers aus der Friedenspflicht in Rede steht - auf Verträge zugunsten Dritter sowie Verträge mit Schutzwirkung für Dritte abstellt, womit das Problemfeld der Drittwirkungen eines Vertrags eröffnet ist, eine Problematik, deren Erhellung schon nach den Maßstäben des allgemeinen Schuldrechts eine Vielzahl spezifischer Schwierigkeiten aufwirft2 • Auch rechtspraktisch betrachtet kommt indes der Frage zunehmende Bedeutung zu. Das liegt vor allem daran, daß der Abschluß eines Firmentarifvertrags den Arbeitgebern mehr und mehr als ernsthafte Alternative zu einer "Unterwerfung" unter die Regelungen eines Verbandstarifvertrags erscheine, was dann aber zwangsläufig zu dem Problem führt, wie es - sei es aus Sicht des einzelnen Arbeitgebers, sei es aus Sicht der Gewerkschaften - um die Erkämpfbarkeit derartiger Tarifverträge bestellt ist, wenn sich zugleich ein Verbandstarifvertrag in Geltung befindet, der seinerseits eine Friedenspflicht enthält. Die Frage, die sich dabei stellt, geht dahin, ob Arbeitgeber und Gewerkschaft aufgrund der Friedenspflicht des Verbandst Zum Verhältnis dieser beiden Teilrechtsgebiete zueinander etwa auch Heinze, NJW 1983; 2409 (zur sog. "Neuen Beweglichkeit"). 2 Vgl. hierzu nur Gemhuber; Das Schuldverhältnis, 1989, § 19 ff., S. 460 ff. 3 Insoweit steht der Firmentarifvertrag in engstem Zusammenhang mit einer - vielfach als wünschenswert betrachteten - "Dezentralisierung" des Tarifvertragswesens und ist zugleich Ausdruck einer - teils beklagten, teils begrüßten - "Krise des Flächentarifvertrags"; vgl. zu dieser nur Oppholzer/Zachen (Hg.), Krise und Zukunft des Flächentarifvertrages, 2000; vgl. beispielsweise auch die Beiträge von Zachen u. Rieble, RdA 1996, 140 bzw. 151; Dieterich, ArbuR 2000, 441 ; Franzen, RdA 2001 , I ; speziell zur Entwicklung des Firmentarifvertrags etwa Wieland, Recht der Firmentarifverträge, 1998, S. 5 ff.; Hölandl Reim/Brecht, Flächentarifvertrag und Günstigkeitsprinzip, 2000, S. 124 ff. u. Stein, RdA 2000, 129, 132 ff. jew. mit zahlreichen Bezugnahmen auf den rechtstatsächlichen Hintergrund.
2 Waas
18
Einleitung
tarifvertrags daran gehindert sind, durch den Einsatz von Mitteln des Arbeitskampfs auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags hinzuwirken, dessen Verhältnis zum bestehenden Verbandstarifvertrag nach Maßgabe der Regeln über die Tarifkonkurrenz zu bestimmen ist. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, einen Beitrag zur Klärung dieser Fragen zu leisten 4 • Wenn dabei die Frage nach der Rechtsnatur der tarifvertragliehen Friedenspflicht den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet, so mag es auf den ersten Blick scheinen, als würde die Arbeit dadurch - statt sogleich auf die spezifische Fragestellung der personalen Wirkungen dieser Pflicht zuzusteuern- unnötigerweise mit einem Grundlagenproblem des Tarifvertragsrechts belastet. Das wäre indes ein Mißverständnis. In Wirklichkeit ist es nämlich geradezu unabweisbar, sich zunächst mit der Frage nach den rechtlichen Grundlagen der Friedenspflicht zu befassen, bevor man das Problem zu lösen versucht, welche Auswirkungen die Friedenspflicht für den einzelnen Arbeitgeber hat. Das soll zwar hier noch nicht vertieft werden. Doch ist an dieser Stelle immerhin darauf hinzuweisen, daß sich etwa das Problem, ob bestimmte Begünstigungen des Arbeitgebers aus der Friedenspflicht als "Drittwirkungen" der Friedenspflicht legitimiert werden können, nur dann stellt, wenn man die Grundlage dieser Verpflichtung wirklich in einer vertraglichen Abrede zwischen den Tarifvertragsparteien sieht; eine Frage, die man zwar geneigt sein mag, im Einklang mit der h. M. ohne weiteres zu bejahen, der man aber besser auf den Grund gehen sollte und zwar um so mehr, als sich in die rein vertraglichen Ansätze zur Begrundung der Friedenspflicht zumeist Hinweise auf objektive Wertungen mischen5 , was schon beim ersten Hinsehen den Verdacht nährt, daß die tarifvertragliche Friedenspflicht zumindest auf der Grenze zwischen Vertrag und objektivem Recht liegen könnte.
§ 2 Gang der Untersuchung Aus dem eben Gesagten ergibt sich denn auch ohne weiteres der Gang der vorliegenden Untersuchung: Zunächst soll gefragt werden, worin die Friedenspflicht des Tarifvertrags ihre rechtliche Grundlage findet6 . Dabei wird sich zeigen, daß keine der Antworten, die bislang im Schrifttum auf diese Frage gegeben worden 4 Dabei soll es allerdings nur um die Grundsatzfrage der Erkämpfbarkeit oder Nichterkämpfbarkeit eines Tarifvertrags, nicht aber darum gehen, in welchem Umfang ggf. die Arbeitskarnpffreiheit der Beteiligten durch den Tarifvertrag oder zumindest im Zusammenhang mit einem Tarifvertrag "gesperrt" ist. s Wie etwa die (angebliche) Ordnungs- oder Friedensfunktion des Tarifvertrags; vgl. hierzu später unter § 3 I. 4. 6 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung Dreschers, Die Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags in Deutschland, 1994, S. 234 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Herschel, ZfA 1973, 183, 186 f.
§ 2 Gang der Untersuchung
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sind, voll überzeugt; ein Umstand, der vorliegend zur Entwicklung einer eigenen Konzeption Anlaß geben wird. Auf deren Grundlage ist sodann der Frage nachzugehen, welche rechtlichen Konsequenzen die Friedenspflicht für die arbeitskampfrechtliche Stellung des verbandsangehörigen Arbeitgebers hat. Daß insoweit die Problematik der Zulässigkeit von Arbeitskämpfen um den Abschluß von Firmentarifverträgen breiten Raum einnehmen muß, wurde bereits oben dargetan. Nicht weniger bedeutsam ist indes die Frage, wie Arbeitskämpfe des Arbeitgebers bzw. der Gewerkschaft zu beurteilen sind, die auf einen bestehenden Verbandstarifvertrag zielen. Beide Fragen sollen im folgenden beantwortet werden.
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1. Kapitel
Die rechtliche Grundlage der Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen § 3 Grundlagen der Friedenspflicht Zunächst ist indes, entsprechend dem eben Gesagten, der Frage nachzugehen, worin die Friedenspflicht des Tarifvertrags ihre rechtliche Grundlage hat.
I. Die Unzulänglichkeit der bestehenden Auffassungen zu den Grundlagen der Friedenspflicht Fragt man nach den Begründungen, die in Literatur und Rechtsprechung für das Bestehen einer unabdingbaren Friedenspflicht gegeben werden, so stößt man nicht selten auf die Behauptung, die Friedenspflicht könne mittlerweile ohne weiteres als Gewohnheitsrecht gelten 1• 1 So etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 16 II. lb, S. 310 (u. Fußn. 14a); Konzen, FS Kissel, 1994, S. 571 , 597; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 967; ab!. etwa Kempen/Zachert § 1 Rn. 341; auch Schumann, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1987, S. 195; undeutlich Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 665; klar bejahend zur gewohnheitsrechtliehen Geltung allerdings noch Wiedemann/ Stumpf§ 1 Rn. 324. Ebenfalls nicht selten ist die Behauptung anzutreffen, daß das Bestehen einer Friedenspflicht jedem privatrechtliehen Vertrag, zumindest aber dem Tarifvertrag, geradezu "wesensimmanent" sei; so etwa bereits Nikisch, Friedenspflicht, Durchführungspflicht und Realisierungspflicht, 1932, S. 21 ("begriffswesentlich"); auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 16 II. Ia, S. 309m. w. Nachw.; ähnl. Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 665. Doch wird heute kaum noch zu leugnen sein, daß der Hinweis auf das vermeintliche "Wesen" eines bestimmten Rechtsinstituts in Wirklichkeit nichts erklärt und deshalb als bloße Scheinbegründung abzulehnen ist; zurecht krit. daher etwa auch Buchner, DB 1970, 2074; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 271 f.; Schumann, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1987, S. 195; zuletzt auch Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 5 f. Im übr. dürften auch rechtsvergleichende Gesichtspunkte einer Ableitung der Friedenspflicht aus deren "Wesen" entgegenstehen, da man schwerlich ein "geteiltes" und jeweils unterschiedliches "Wesen" des Tarifvertrags wird annehmen können; vgl. hierzu etwa Kempen/Zachert § 1 Rn. 341; in dieselbe Richtung auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 271 f.
§ 3 Grundlagen der Friedenspflicht
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1. Gewohnheitsrecht als Grundlage der Friedenspflicht
In der Tat wird seit langem kaum noch bestritten, daß die Friedenspflicht dem Tarifvertrag "immanent"2 bzw. ein "notwendiger Bestandteil" der tarifvertragliehen Regelung ise, der von den Beteiligten auch nicht abbedungen werden könne4 . Daß insoweit eine "langandauernde Übung" besteht5 und damit eine wesentliche Voraussetzung für die Bildung von Gewohnheitsrecht erfüllt ist, dürfte somit kaum zu bezweifeln sein. Das vermag jedoch nichts daran zu ändern, daß die Vorstellung einer gewohnheitsrechtliehen Geltung der Friedenspflicht grundlegenden Einwänden ausgesetzt ist6 • Insoweit sollte man sich gleich zu Beginn klarmachen, daß es auf die Annahme von Gewohnheitsrecht überhaupt nur dann ankommt, wenn sich die Tarifparteien nicht ohnehin schon im Tarifvertrag auf die Begründung einer Friedenspflicht verständigt haben und diese demzufolge ihre rechtliche Grundlage nicht bereits in der übereinstimmenden Geltungsanordnung der Beteiligten findet. Schließen die Tarifparteien aber eine Friedenspflicht im Tarifvertrag ausdrücklich oder konkludent aus, so begegnet die Annahme einer gewohnheitsrechtliehen Geltung der Friedenspflicht sogleich gewissen Bedenken, weil es allein schon angesichts dieser Gestaltung des Tarifvertrags zweifelhaft ist, ob wirklich von einer ,.gemeinsamen Rechtsüberzeugung" die Rede sein kann7 , auf die es für die Bejahung der gewohnheitsrechtliehen Geltung eines Rechtssatzes aber bekanntlich entscheidend an2 So etwa MünchArbR-Löwisch!Rieble, 2. Aufl., 2000, § 253 Rn. 29; auch MünchArbROtto, § 285 Rn. 81; Stein, Tarifvertragsrecht, 1997, S. 260; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 9. Aufl., 2000, S. 1966 f.; krit. allerdings etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. l, 1997, S. 1076 f. u. Hinw. aufmanche ausländische Rechtsordnung. 3 So z. B. auch schon Hersehe/, Arbeitskampf und Friedenspflicht, 1928, S. 7 f. unter Hinw. auf die Rspr. des RG; Dill, Probleme der Friedenspflicht, Diss. Köln 1962, S. 51 f.; dezidiert a.A. allerdings insbes. Däubler, ZfA 1973, 201, 218 (im Anschluß an Strasser, RdA 1965, 401; ders., Der Arbeitskampf, 1972, S. 75 ff.), der eine Friedenspflicht nur bei einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Beteiligten für gegeben hält; abl. etwa Zöllner, ZfA 1973, 227, 228; gegen diesen wiederum Däubler, Das soziale Ideal des Bundesarbeitsgerichts, 1975, S. 135 f. 4 Nur über die exakte Reichweite dieser Pflicht herrscht weithin Uneinigkeit; vgl. hierzu etwa Wiedemann, in: Wiedemann, § l Rn. 671 ff. sowie Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 150 ff. 5 Für eine ausdrückliche gesetzliche Festschreibung der Friedenspflicht nichtsdestoweniger Birk! Konzen/Löwisch/Raiser I Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, 1988, s. 37 f. 6 Allg. zurückhaltend gegenüber Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle im Arbeitsrecht Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 1969, S. 53 ff. 7 Diese sehen als nicht gegeben an Kempen/Zachert § l Rn. 341; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 273 (i. H. a. eine zwingende Friedenspflicht), der zusätzlich darauf aufmerksam macht, daß der Gesetzgeber bewußt von einer Regelung der Problematik Abstand genommen hat, und dies als Indiz gegen das Vorliegen einer hinreichend ausgeprägten und verfestigten "Rechtsüberzeugung" wertet; abl. auch Dammann, Tarifvertrag und Arbeitskampf, 1977, S. 94 ff.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
kommt8 . Auch wenn man sich über dieses Bedenken noch verhältnismäßig leicht wird hinwegsetzen können - immerhin muß es nach allgemeiner Auffassung für die Bildung von Gewohnheitsrecht genügen, wenn nur "fast alle" Rechtsgenossen die erforderliche opinio necessitatis aufweisen9 -, kommt man indessen auf dem Wege der Annahme einer gewohnheitsrechtliehen Geltung letztlich nicht weiter. Der Haupteinwand ist dabei der, daß es als hochgradig befremdlich erscheinen muß, aufgrund Gewohnheitsrechts eine objektive und v. a. unabdingbare(!) Pflicht zum Bestandteil eines Vertrags machen zu wollen, obwohl sich diese mit dem Willen der Vertragspartner im Widerspruch befindet. Allerdings steht es um die Annahme von Gewohnheitsrecht in Wirklichkeit selbst dann nicht wesentlich besser, wenn die Tarifvertragsparteien jede Vereinbarung über die Friedenspflicht unterlassen haben, weil sie sich etwa bereits aufgrund objektiven Rechts gebunden glaubten. Geht man nämlich davon aus, daß sich die Friedenspflicht weder auf anderweitige Regelungen des objektiven Rechts, noch auf den hypothetischen Willen der Tarifvertragsparteien stützen läßt - und nur in diesem Fall käme es auf die Frage nach einer eventuellen gewohnheitsrechtliehen Geltung überhaupt an - , so liefe die Annahme von Gewohnheitsrecht auf nichts anderes als darauf hinaus, die Beteiligten selbst dann an einem gemeinsamen (Rechts-)Irrtum festzuhalten, wenn Arbeitgeberverband und Gewerkschaft die Friedenspflicht bei Kenntnis der wahren Rechtslage ausgeschlossen haben würden. Das alles zeigt, daß es ganz generell äußerst bedenklich ist, Ansprüche und Verpflichtungen von Beteiligten eines Schuldverhältnisses auf Gewohnheitsrecht zurückführen zu wollen. Insoweit sogar nicht dispositives Recht annehmen zu wollen - und eben darum geht es ja, wenn man dartun will, daß die Friedenspflicht einen zwingenden Bestandteil des Tarifvertrags darstellt - erscheint unter diesen Umständen aber vollends ausgeschlossen, da man dabei notwendigerweise mit dem ausdrücklich erklärten Willen der Beteiligten in Widerspruch geriete, zumindest aber eine von ihnen als abschließend gedachte Regelung ergänzen müßte. Auch ist nicht zu verkennen, daß die Bedenken, denen die Annahme von Gewohnheitsrecht begegnet, im vorliegenden Zusammenhang ganz besonderes Gewicht haben, da die Tarifvertragsparteien in der Freiheit der inhaltlichen Gestaltung ihrer Tarifverträge durch die Gewährleistung der Tarifautonomie verfassungsrechtlich geschützt sind 10• Ihnen nichtsdestoweniger Beschränkungen dieser Freiheit aufzuerlegen, die womöglich auf nichts anderem als auf einer bloßen Fehlvorstellung von der Existenz einer objektiven Friedenspflicht beruhen - und zwar selbst dann, wenn diese von den konkret betroffenen Tarifvertragsparteien nicht einmal geteilt würde - erschiene damit nämlich vollends fragwürdig. s Vgl. nur Larenz/Canaris, Methodenlehre des Rechts, 3. Aufl., 1995, S. 258. Vgl. auch hierzu Larenz/Canaris, Methodenlehre des Rechts, 3. Aufl., 1995, S. 258. to Zu den Schranken, die der Tarifautonomie allgemein durch höherrangiges Recht gezogen sind, statt aller Wiedemann, in: Wiedemann, Ein!. Rn. 151 ff.; zum Verbot der Tarifzensur statt aller Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 695 ff. 9
§ 3 Grundlagen der Friedenspflicht
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Der zuletzt genannte Gesichtspunkt wäre übrigens auch dann zu beachten, wenn man, statt insoweit nur auf Arbeitgeberverband und Gewerkschaft abzustellen, auch die tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als an der Bildung von Gewohnheitsrecht beteiligte "Rechtsgenossen" ansehen wollte. Ganz abgesehen davon, daß die Verbandsmitglieder hinsichtlich der Geltung der Friedenspflicht kaum eine andere (und ganz sicher keine auch nur annähernd vergleichbar differenzierte) "Rechtsüberzeugung" haben werden als die Verbände selbst bzw. deren Organe, träte die Problematik der Annahme einer gewohnheitsrechtliehen Geltung dabei sogar noch schärfer hervor, da es ersichtlich erst recht nicht mit der verfassungsrechtlichen Garantie der tarifvertragliehen Gestaltungsfreiheit zu vereinbaren wäre, wenn man eine Friedenspflicht zwischen den Tarifparteien damit begründen wollte, daß von den Wirkungen des Tarifvertrags betroffene, aber am Vertragsschluß selbst gar nicht beteiligte Dritte (!) vom Bestehen einer derartigen Verpflichtung überzeugt sind. Vollends durchschlagend werden die geschilderten Bedenken, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sich nach allgemeiner Auffassung nur für den Bereich und nur in dem Umfang Gewohnheitsrecht bilden kann, in dem eine bestimmte Gesetzgebungskompetenz besteht11 • Das bedeutet nämlich, zu Ende gedacht, nichts anderes, als daß es für die Annahme von Gewohnheitsrecht gar nicht ausreichen könnte, wenn man zwar von der weitverbreiteten Vorstellung einer gewohnheitsrechtliehen Geltung der Friedenspflicht ausgehen wollte, die Parteien eines konkreten Tarifvertrags - die im Hinblick auf die jeweiligen Verbandsmitglieder nun einmal die "Gesetzgebungskompetenz" besitzen - eine Friedenspflicht aber ablehnen, bei diesen also eine entsprechende Vorstellung gerade nicht vorhanden ist 12. Auf das Vorliegen von Gewohnheitsrecht wird man nach alledem die Annahme einer notwendigen Friedenspflicht nicht stützen können 13 : Die Beteiligten könnten schon vertragII Ein anschauliches Beispiel bilden insoweit die sog. Observanzen, die nur für den Bereich einer Gemeinde oder die Mitglieder einer öffentlichrechtlichen Körperschaft Geltung beanspruchen. 12 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß das Bestehen einer Vielzahl von tarifvertragliehen "Gesetzgebern" (statt eines einzigen Gesetzgebers) eines der Kernprobleme des Fragenkreises der Tarifkonkurrenz ausmacht; näher hierzu Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 19 ff. 13 Selbst wenn die Annahme einer gewohnheitsrechtliehen Geltung der Friedenspflicht keinen Bedenken begegnen würde, wäre indessen festzustellen, daß der Gedanke jedenfalls bei der Beantwortung der Frage versagen würde, ob der Friedenspflicht ,,Drittwirkungen" hinsichtlich der einzelnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zukommt. Denn nach nahezu einhelliger Auffassung trifft nun einmal allein den Verband und nicht auch die Verbandsangehörigen eine unmittelbare Friedenspflicht gegenüber dem Tarifpartner. Und auch eine Begünstigung dieser Personen aus der Friedenspflicht - durch die Einräumung von Sekundäransprüchen oder gar die Bejahung eines Erfüllungsanspruchs gegen den Kontrahenten des eigenen Verbands - tritt vom Boden der h. M. aus nur unter besonderen Voraussetzungen, nämlich denen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bzw. eines Vertrags zugunsten Dritter, ein; vgl. hierzu nur Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 671. Unter diesen Umständen besteht aber weder für die beteiligten Verbände noch für deren Mitglieder der geringste Anlaß, von
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
lieh keine für sie zwingende Regelung treffen. Und genauso wenig - um nicht zu sagen: noch viel weniger - läßt sich eine zwingende Friedenspflicht darauf gründen, daß nicht mehr als eine verbreitete Vorstellung existiert, eine derartige Verpflichtung sei dem Tarifvertrag eigen.
2. Der Satz "pacta sunt servanda" als Grundlage der Friedenspflicht
Auch auf den Grundsatz pacta sunt servanda wird zur Begründung einer zwingenden tarifvertragliehen Friedenspflicht nicht selten abgestellt 14• Doch bildet dieser ebensowenig eine ausreichende Grundlage für die Annahme einer Friedenspflicht wie der Hinweis auf dessen angebliche gewohnheitsrechtliche Geltung. Problematisch ist zunächst schon, daß es sich insoweit um einen allgemeinen Grundsatz des Vertragsrechts handelt 15 , währenddessen es doch hier um eine Pflicht ginge, die sich, obwohl sie allgemein dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags zugeordnet wird 16, offenkundig auf dessen normative Bestimmungen bezieht, deren "Sicherung" sie dient 17 . Damit steht die Friedenspflicht nämlich, dogmatisch gesehen, ersichtlich an der Grenze zum normativen Teil des Tarifvertrags und folglich stellt sich die grundlegende Frage, ob und inwieweit ein allgemeiner vertragsrechtlicher Grundsatz wie der des pacta sunt servanda hier überhaupt anwendbar ist18• Die Zweifel, die sich insoweit ergeben, werden noch erheblich verstärkt, wenn man sich bewußt macht, daß der Tarifvertrag im Vergleich zu einem "normalen" der Existenz einer entsprechenden ,,Drittwirkung" der Friedenspflicht auszugehen, und dementsprechend würde es insoweit gerade an der für die Entwicklung von Gewohnheitsrecht bedeutsamsten Voraussetzung, dem Bestehen einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung der Beteiligten nämlich, fehlen. 14 So ausdrucklieh Radke, AuR 1956, 273 und auch v. Hoyningen-Huene, ZfA 1980, 453, 466; ähnl. Schöllkopf, Tarifvertragliche Friedenspflicht, Diss. Regensburg 1984, S. 8 (Friedenspflicht als "Ausfluß der allgemeinen Vertragserfüllungspflicht"); zuletzt Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 9; ebenso auch schon Bauer; Arbeitskampf und Friedenspflicht, Diss. Würzburg 1975, S. 84; vgl. aber andererseits erneut Schöllkopf, Tarifvertragliche Friedenspflicht, S. 53 ("Wesen des Tarifvertrags als einer Friedensordnung"); zuweilen ist auch von der "gewöhnlichen Vertragserfüllungspflicht" die Rede; so HojfrrUJnn, GewerkMH 1970, 714, 718. 15 Dem allerdings auch im öffentlichen Recht Bedeutung zukommt; vgl. insoweit nur Macedo Weiß, Pacta sunt servanda im Verwaltungsvertrag, 1999. 16 Statt aller MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 253 Rn. 28 ff. 17 Von Rechten und Pflichten, die "im Dienst der Tarifnormen" stehen, sprechen etwa MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 253 Rn. 28 u. § 277 Rn. I. 18 Ebenfalls zweifelnd, wenngleich aus anderen Griinden, Strasser; RdA 1%5, 401, 404; bejahend demgegenüber Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 9.
§ 3 Grundlagen der Friedenspflicht
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Vertrag durch eine wichtige Besonderheit gekennzeichnet ist. Diese besteht bekanntlich darin, daß den Koalitionen aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG jedenfalls "im Kern" die Befugnis zum Arbeitskampf zusteht19, was, vertragsrechtlich gesehen, nichts anderes bedeutet, als daß es ihnen, im Unterschied zu Parteien eines "normalen" schuldrechtlichen Vertrags und entgegen der allgemeinen Regelung des § 123 Abs. 1 BGB, grundsätzlich erlaubt ist, auf den Willen des anderen Teils mit Mitteln der vis compulsiva einzuwirken, den potentiellen Tarifpartner also mit "Gewalt" oder mit der Androhung von "Gewalt" zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu veranlassen20 . Besteht nämlich zwischen dem Tarifvertrag und einem "normalen" Vertrag ein derart grundlegender Unterschied, so kommt einer Erklärung, die zur Begründung der Friedenspflicht auf das allgemeine Vertragsrecht abhebt, von vornherein allenfalls eine eingeschränkte Überzeugungskraft zu21 . Indes kann die Frage letztlich auf sich beruhen, ob der Grundsatz im vorliegenden Zusammenhang anwendbar ist oder nicht. Denn selbst wenn es zulässig wäre, auf den Satz pacta sunt servanda abzustellen, so ließe sich diesem doch nicht mehr entnehmen, als daß sich eine Vertragspartei gegenüber der anderen an ihrem vertraglichen Versprechen grundsätzlich festhalten lassen muß. Zum Inhalt dieses Versprechens und zum Umfang der aus dem Vertrag resultierenden rechtlichen Verpflichtungen enthält der Grundsatz dagegen gerade keine Aussage und demzufolge ließe sich mit ihm auch nur begründen, daß der Schuldner ein Versprechen, Frieden zu halten, gegen sich gelten lassen müßte, wenn er ein solches abgegeben hat. Darüber, ob ein solches Versprechen besteht, besagt der Grundsatz pacta sunt servanda dagegen nichts und damit versagt die Heranziehung dieses Grundsatzes ausgerechnet in der Frage, um deren Beantwortung es vorliegend primär geht, nämlich der, ob der Tarifvertrag notwendigerweise eine (für die Beteiligten zwingende) Friedenspflicht enthält oder nicht.
19 Vgl. nur Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 7 ff.; auf die Einzelheiten der sog. Kernbereichslehre soll hier nicht näher eingegangen werden; vgl. hierzu nur Wiedemann, in: Wiedernann, Ein!. Rn. 104 ff. sowie Wank, in: Wiedernann, § 4 Rn. 635 ff. rn. w. Nachw. 20 So ausdrücklich etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 512 f. 21 Grundlegend zum Ganzen Picker, ZfA 1986, 199. Überhaupt ist es nicht von vomherein unproblematisch, wenn man den Tarifvertrag o. w. mit allgerneinen schuldrechtlichen Kategorien mißt. Das gilt, um hier nur ein zusätzliches Beispiel zu nennen, etwa auch hinsichtlich einer unkritischen Übertragung der Grundsätze der culpa in contrahendo auf das Stadium des Zustandekomrnens eines Tarifvertrags; vgl. insoweit nur Waas, ArbuR 1991, 334, 339 f. (zum sog. Verhandlungsanspruch tariffähiger Verbände -; umfassend zu dieser Problematik Hottgenroth, Die Verhandlungspflicht der Tarifvertragsparteien, 1990, S. 17 ff.).
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
3. Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Grundlage der Friedenspflicht Nicht viel besser steht es um die im Schrifttum immer wieder anzutreffende Behauptung, daß sich eine Tarifvertragspartei widersprüchlich verhalte, wenn sie während der Laufzeit eines Tarifvertrags einen Arbeitskampf beginne22• Auch insofern gilt nämlich, daß nur der "Widerspruch" zum Vertrag rechtlich relevant sein kann, der sich in einer Verletzung von Pflichten äußert, die im Vertrag eine ausreichende rechtliche Grundlage haben23• Ob der Tarifvertrag eine Friedenspflicht enthält, ist indes gerade die Frage und diese läßt der Hinweis auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens ebenso unbeantwortet wie der auf den Grundsatz des pacta sunt servanda 24 • Das bedeutet freilich nicht, daß das Abstellen auf ein evtl. venire contra factum proprium nicht doch weiterführend sein könnte. Denn wenn sich auch mit der Heranziehung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens nicht das Bestehen einer objektiven Friedenspflicht begründen läßt, so öffnet der entsprechende Hinweis doch immerhin den Blick dafür, daß der Schuldner grundsätzlich verpflichtet ist, alles zu unterlassen, was der Erreichung des Vertragszwecks widerspriche5 . In der Tat ist der Versprechende denn auch nach allgemeiner Auffassung nicht nur an Nebenleistungspflichten gebunden, die "den selbständigen Leistungspflichten in dienender Funktion zugeordnet"26 sind, sondern hat auch die sogenannten "Leistungstreue- und Mitwirkungspflichten" zu beachten, die ihm die Förderung des Vertragszwecks aufgeben27. Bedenkt man dies, so läßt sich die Frage nach den Grund22 So etwa Ramm, Kampfmaßnahme und Friedenspflicht im deutschen Recht, 1962, S. 94, der zugleich das "Wesen des Tarifvertrags" ins Feld führt; in diese Richtung und mit Bezug auf die ,,Natur des Tarifvertrags" sowie Treu und Glauben auch G. Müller, DB 1959, 515; ähnl. Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, Bd. 2, 1999, S. 155; zur Bedeutung von Treu und Glauben auch schon Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, 2. Aufl., 1977, S. 114 (allerdings unter Beschränkung auf Arbeitgeberverband und Gewerkschaft); Bringmann, Friedenspflicht und Taritbruch, 1929, S. 7; zuletzt auch Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 10; allg. zum venire contra factum proprium etwa MünchKomm-Roth § 242 Rn. 322 ff. 23 Daß dieser Umstand bei einem Abstellen auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens vernebelt wird, bedeutet somit, argumentativ gesehen, sogar einen gewissen Rückschritt gegenüber einem Hinweis auf den Grundsatz pacta sunt servanda. 24 Abi. gegenüber einem Abstellen auf diesen Grundsatz etwa auch Birk, RdA 1995, 71, 75. 25 Vgl. insoweit nur Nikisch, Arbeitsrecht II, § 65 VI. 1, S. 147. Ebenfalls auf die Vertragstreuepflicht heben für die Begriindung der Friedenspflicht des Tarifvertrags ab MünchArbRLöwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 253 Rn. 29. Danach soll die Friedenspflicht zu den ,,Nebenpflichten aus dem mit der Normsetzung entstehenden gesetzlichen Schuldverhältnis" zählen; vgl. dazu auch BAG v. 12. 9. 1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. AI. 2a). 26 So Gemhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 2 III. 4, S. 18. 27 Auch hierzu Gemhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 2 IV. 1, S. 21 f.
§ 3 Grundlagen der Friedenspflicht
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lagen der Friedenspflicht für die nachfolgende Prüfung entscheidend präzisieren. Sie geht dann nämlich dahin, ob die Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen dem Zweck des Tarifvertrags widerspricht und aus diesem Grunde als Verstoß gegen eine ungeschriebene "Leistungstreue- und Mitwirkungspflicht" bewertet werden muß.
4. Versuche einer Herleitung der Friedenspflicht aus den Funktionen des Tarifvertrags Dieser Betrachtung entspricht es, daß im Schrifttum immer wieder Versuche unternommen werden, das Bestehen einer tarifvertragliehen Friedenspflicht aus den "Funktionen" des Tarifvertrags abzuleiten28 . Auch auf diesem Wege läßt sich indes die Existenz einer objektiven Friedenspflicht letztlich nicht begründen. Geht man nämlich einmal davon aus, daß über den Zweck eines Vertrags grundsätzlich nur die Beteiligten selbst bestimmen und daß auch für den Tarifvertrag nichts anderes gilt29 -, dann handelt es sich bei den Versuchen, das Bestehen der Friedenspflicht aus einer wie auch immer beschaffenen Funktion des Tarifvertrags abzuleiten, um nichts anderes als um eine Auslegung des Tarifvertrags30. Dementsprechend beruhte die Friedenspflicht, wenn ihre Begründung auf diesem Wege gelänge, denn auch nicht auf objektivem Recht, sondern auf dem Willen der Tarifparteien. Daß diese Erklärung versagt, wenn gerade die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht gerechtfertigt werden soll, bedarf indessen keiner näheren Erläuterung, da für die Beteiligten eines Vertrags ersichtlich nur Bestimmungen einer ,,höheren Regelungsebene" zwingend sein können31 • So etwa Rüthers, in: Brox/Rüthers (Hg.), Arbeitskarnpfrecht, 2. Aufl., 1982, S. 137. Vgl. insoweit insbes. auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 273 f., der sich (zurecht) gegen die Vorstellung wendet, die Erfüllung der Friedenspflicht müsse als "notwendige Gegenleistung" der Arbeitnehmer betrachtet werden - vgl. insoweit nur Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 17 f.- und dabei ausführt, daß das, was in einem Vertrag im Einzelfall Leistung und Gegenleistung der beiden Parteien ist "nicht durch rechtlich unverbindliche Ordnungsvorstellungen von außen her in den Vertrag hineingetragen werden" dürfe, sondern "der Bestimmung durch die Vertragsparteien selbst" unterliege; in dieselbe Richtung Hensche, RdA 1971, 9, 15 f. ; vgl. aus der Rspr. lAG Düsseldorfv. 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. ill. 2d d. Grde), wonach die generelle Ordnung von Verbandstarifverträgen "lediglich Wirkung, nicht aber von der Verfassung vorgelegter Zweck" sei. 30 Aus jüngerer Zeit zum Problemkreis der Auslegung von Tarifverträgen Kamanabrou, Die Auslegung und Fortbildung des normativen Teils von Tarifverträgen, 1997; auch Heck, Die Bedeutung und die Ermittlung des Regelungszweckes bei der Auslegung von Tarifverträgen, Diss. Bonn, 1998, insbes. S. 49 ff.; überblicksweise zum Problem MünchArbRLöwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 265 Rn. 1 ff. m. w. Nachw. 31 So etwa auch (mit Blick auf die Regelung des§ 613a Abs. 1 S. 2-4 BGB) Zöllner, DB 1995, 1401, 1402; vgl. dazu auch Waas, Tarifvertrag und Betriebsübergang, 1999, S. 26 ff. 28
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l. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Nimmt man dagegen an, daß die Tarifvertragsparteien bei der Vereinbarung von Tarifverträgen und deren inhaltlicher Gestaltung bereits von Verfassungs wegen gewissen Bindungen unterliegen und auf gewisse Funktionen festgelegt sind - für eine solche Annahme besteht sicherlich der eine oder andere Anhaltspunkt, da die Regelung durch Tarifvertrag ersichtlich in mancher Hinsicht "gesetzesvertretenden" Charakter hat32 und somit das Bestehen gewisser inhaltlicher Bindungen durchaus nicht ganz fernliegend ist33 -, so muß man auch klar sagen, warum die Annahme einer Friedenspflicht unabweisbar aus einer bestimmten Zwecksetzung folgen und weshalb diese dem Tarifvertrag beizumessen sein soll. Vor allem muß man dann aber deutlich machen, worin dieser Zweck seine rechtliche Grundlage hat, aus welchem Grunde er also für die Tarifparteien und für die Mitglieder der Koalitionen verbindlich sein soll, um deren evtl. Bindung es im vorliegenden Zusammenhang ja letztlich im wesentlichen geht. Betrachtet man daraufhin die einschlägigen Stimmen im Schrifttum, so erweist sich rasch, daß es in Wirklichkeit an beiden Voraussetzungen fehlt.
a) Die Friedensfunktion des Tarifvertrags
So kann es insbesondere nicht gelingen, die Friedenspflicht aus der sogenannten "Friedensfunktion" des Tarifvertrags34 abzuleiten. Denn zum einen sind die Vertreter dieser Auffassung35 bis heute die Antwort darauf schuldig geblieben, worin die "Friedensfunktion" des Tarifvertrags rechtlich begründet ist. Und zum anderen 32 Und gewissermaßen "im Auftrag" des Verfassungsgebers erfolgt. Von der "Funktion der Koalitionen, in dem von der staatlichen Rechtssetzung freigelassenen Raum das Arbeitsleben ... durch Tarifverträge zu ordnen" und von der Tarifautonomie als "dienende(r) Freiheit" spricht in diesem Zusanunenhang BAG v. 29. 11. 1967, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; vgl. hierzu auch Peters, Das Scheitern der Tarifverhandlungen als Rechtmäßigkeilsvoraussetzung für Arbeitskampfmaßnahmen, 1997, S. 39. Zur Tarifautonomie als "öffentliche(r) Aufgabe" und der "staatsentlastenden" Tätigkeit der Koalitionen beispielsweise auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 291 ff. m. w. Nachw. 33 Man denke insoweit nur an die Diskussion um eine sog. Gemeinwohlbindung der Tarifvertragsparteien; vgl. dazu nur Wiedemann, in: Wiedemann, Ein!. Rn. 345 ff. m. w. Nachw.; zuletzt auch Rieble, ZfA 2000, 5, 19 f. 34 In diese Richtung beispielsweise Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 17; zuweilen wird der Tarifvertrag gar als "Friedensvertrag" bezeichnet; so Stahlhacke, in: PS Molitor, S. 351, 353; krit. gegenüber einer Begründung unter dem Gesichtspunkt der Friedenspflicht demgegenüber zuletzt auch Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, s. 7. 35 Vgl. nur Gift, DB 1959,651,652, der "das Moment der Friedenssicherung" als die "entscheidende Funktion des Tarifvertrags" betrachtet; vgl. aber etwa auch Löwisch, NZA Beil. 211988, 3, 5 sowie Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 150, wonach ein Ausschluß der Friedenspflicht dem Tarifvertrag "die Funktion nehmen (würde), für den in ihm geregelten Bereich des Arbeitslebens eine Friedensordnung zu gewährleisten".
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wirkt dieser angebliche Zweck der tarifvertragliehen Regelung, gemessen an den entsprechenden Stellungnahmen in der Literatur, derart diffus, daß man aus ihm (allein) unmöglich eine Verpflichtung zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen wird herleiten können 36• Paradigmatisch für die viel zu weitgehenden Folgerungen, die aus der angeblichen "Friedensfunktion" gezogen werden, sind etwa die Erwägungen, die insoweit von Wiedemann angestellt wurden: Wenn es auch sicherlich nicht unzutreffend ist, wenn man behauptet, daß dem Tarifvertrag insoweit eine gewisse ,,Friedensfunktion" zukommt, als er zu einer "begrenzten Integration von Arbeitnehmern und Arbeitgebern führen" soll37 , so wird sich doch nicht bestreiten lassen, daß man diese (nicht besonders ehrgeizige) Zielsetzung bereits dann als erfüllt ansehen kann, wenn Arbeitnehmern und Arbeitgebern bzw. den von diesen gebildeten Koalitionen überhaupt das Instrument des Tarifvertrags zur Verfügung steht, wenn ihnen also überhaupt die Möglichkeit zur autonomen Regelung der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" eingeräumt wird. Daß es eine derartige "Friedensfunktion" zugleich unabweisbar mache, den Tarifparteien auch eine Pflicht zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen aufzuerlegen 38, läßt sich demgegenüber wohl kaum ernstlich behaupten. Demzufolge verdient es denn auch keine Zustimmung, wenn die Friedenspflicht von Wiedemann mit der ,,Friedensfunktion" des Tarifvertrags in Zusammenhang gebracht wird 39. Im übrigen macht diese Überlegung deutlich, daß man notwendigerweise der Gefahr eines Zirkelschlusses erliegen würde, wenn man die Friedenspflicht aus einer ,,Friedensfunktion" des Tarifvertrags ableiten wollte, die ihrerseits in nichts anderem als im Bestehen einer derartigen Pflicht ihre Rechtfertigung fände40.
36 Generell krit. gegenüber einer Sichtweise, die Arbeitskämpfe in einen Zusammenhang von "Krieg" und "Frieden" riickt, Däubler; ZfA 1973, 201, 207 f.; anders Zöllner; ZfA 1973, 227,233. 37 So Wiedemann, in: Wiedemann, Einl. Rn. 28. 38 Ganz nebenbei ließe sich natürlich auch die Frage stellen, ob ein zeitweiliges ,,Abschneiden" der Arbeitskampfbefugnis während der Laufzeit eines Tarifvertrags dem sozialen Frieden, auf längere Sicht betrachtet, wirklich durchweg zuträglich ist; ernstzunehmende Bedenken insoweit bei Däubler; Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 272 f. (dort allerdings im Zusammenhang mit der sog. Ordnungsfunktion des Tarifvertrags). 39 So Wiedemann, in: Wiedemann, Einl. Rn. 27; noch deutlicher Wiedemann/StumpfEinl. Rn. 14, wonach die Friedensfunktion ihren ,,rechtlichen Niederschlag in der jedem Tarifvertrag immanenten Friedenspflicht" finde. 40 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht 11/1, 7. Aufl., 1967, § 15 111, S. 238 f., die dem Tarifvertrag ausdriicklich eine (rechtliche) "Friedenswirkung" beimessen, diese Behauptung dann aber lediglich mit dem Bestehen einer Friedenspflicht begriinden.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
b) Die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags
Neben dem Hinweis auf seine "Friedensfunktion" findet sich zuweilen die Behauptung, die Friedenspflicht der Tarifparteien ergebe sich aus der "Ordnungsfunktion" des Tarifvertrags41 . Auch insoweit wird man aber sogleich einwenden müssen, daß hinsichtlich des näheren Gehalts dieser Funktion wenig Klarheit herrscht. Nicht wirklich weiterzukommen ist mit dem Hinweis auf die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags insbesondere dann, wenn die Ordnung, die zu bewirken nach dieser Auffassung Zweck des Tarifvertrags sein soll, auf den einzelnen Arbeitgeber bezogen wird42 : weil und soweit der Tarifvertrag die Arbeitsverhältnisse in den Betrieben des Arbeitgebers einheitlich regelt, schafft er aus Sicht des Arbeitgebers den gewünschten Rationalisierungseffekt, der die tarifvertragliche Regelung insbesondere gegenüber dem Einsatz des Instruments der einzelvertraglichen Absprache vorzugswürdig macht43 . Legt man dieses Verständnis der Ordnungsfunktion zugrunde, so wäre nicht einzusehen, weshalb es gegen die Friedenspflicht verstoßen sollte, wenn die Gewerkschaft gegenüber einem verbandstarifgebundenen Arbeitgeber den Abschluß eines Firmentarifvertrags erstreiten will oder wenn, umgekehrt, der Arbeitgeber selbst gegenüber der Gewerkschaft auf den Abschluß eines derartigen Tarifvertrages dringt44 • Denn auch nach dem Zustandekommen des nach der Rechtsprechung des BAG grundsätzlich sogar vorrangig anwendbaren45 - Firmentarifvertrags bestünde ja, bezogen auf diesen Arbeitgeber, eine generelle, wenngleich vom Verbandstarifvertrag abweichende Ordnung. Infolgedessen ist der Hinweis auf die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags nur dann tragfähig, wenn man dartun kann, daß die - rechtlich gesicherte - Funktion des (Verbands-)Tarifvertrags gerade darin liegt, branchenweite (!)Ordnungen zu etablieren.
41 So etwa Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht 11/2, 7. Auf!., 1970, § 48 BI. 1, S. 979 u. § 49 B II. 3d, S. 1014, wonach für die ,,kampfweise Durchsetzung einerneuen tariflichen Ordnung kein Raum" bestehe, solange "eine bestehende tarifliche Ordnung Geltung hat"; ähnl. Boldt, RdA 1971, 257, 264 ff.; v. Hoyningen-Huene, JuS 1987, 505, 507; vgl. auch Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, 1964, S. 18 ("Achtung der tarifvertraglich vorgesehenen Ordnung" löst "ebenfalls" Friedenspflicht aus); ab!. z. B. Schumann, in: Däubler (Hg.), Arbeitskampfrecht, 2. Auf!., 1987, S. 195 ("Leerformel"); zur Ordnungsfunktion der Tarifautonomie zuletzt auch Waltermann, ZfA 2000, 53, 77 f. 42 Vgl. insoweit etwa Wiedemann, in: Wiedemann, Ein!. Rn. 13. 43 In diesem Sinne wiederum Wiedemann, in: Wiedemann, Ein!. Rn. 13. 44 Etwas anderes würde nur für den eher theoretischen Fall gelten, daß der Geltungsbereich des Tarifvertrags, um dessen Abschluß es geht, nach den Intentionen der Beteiligten auf einen bestimmten Betrieb oder Betriebsteil beschränkt sein soll; näher zum "betrieblichen Geltungsbereich" von Tarifverträgen etwa Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 100 f., 136 ff. 45 Und zwar auf der Grundlage des vom BAG praktizierten sog. Spezialitätsprinzips, das allerdings abzulehnen ist; vgl. Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, 1999, S. 260 ff.; Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 42 ff. sowie später Kap. 2 § 8 V. 1; ausdrücklich für eine Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes allerdings zuletzt Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, 2000, S. 129.
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Nun fällt es allerdings nicht sonderlich schwer, zumindest einen Ansatz für die Begründung einer derartigen Funktion zu finden. Dies gilt allein schon deshalb, weil es anerkanntermaßen einen der Zwecke des Tarifvertrags darstellt, eine Kartellwirkung auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen und die Arbeitsbedingungen für alle Wettbewerber zu vereinheitlichen46. Indes ist damit, rein praktisch gesehen, noch immer nicht allzu viel gewonnen. Denn wenn eine Gewerkschaft zum Streik aufruft, so wird ihr Ziel zumeist eben gerade nicht der Abschluß eines Firmentarifvertrags, sondern die Vereinbarung eines (neuen) Verbandstarifvertrags sein. In diesem Fall zielt sie aber mit ihren Forderungen, wenn man vom Sonderfall des sog. "firrnenbezogenen Verbandstarifvertrags" einmal absieht47 , auf eine einheitliche Ordnung in einer bestimmten Branche und daher stellte es wiederum keine ausreichende Begründung für das Bestehen einer Friedenspflicht dar, wenn man argumentieren wollte, daß der Tarifvertrag eine derartige Pflicht enthalten müsse, weil nur auf diesem Wege eine Einheitlichkeit der Verhältnisse gewährleistet sei. Ganz abgesehen davon stünde man dabei aber erneut vor dem Problem, daß sich für den Zweck, eine branchenweite Ordnung der Verhältnisse herzustellen, schwerlich mehr als der (typische) Willen der Tarifvertragsparteien selbst wird anführen lassen48 . Doch würde sich die Friedenspflicht dann eben, wie gesagt, nicht aus ungeschriebenem objektiven Recht, sondern aus einer schlichten Auslegung des Tarifvertrags ergeben, und demzufolge wäre erneut einzuwenden, daß sich auf diesem Wege gerade nicht begründen läßt, worum es vorliegend entscheidend geht: das Bestehen einer unabdingbaren Friedenspflicht49 • Auch der Hinweis auf die Ordnungs- bzw. Kartellfunktion des Tarifvertrags führt daher im vorliegenden Zusammenhang letztlich nicht weiter50• 46 Eingehend zur sog. Kartellwirkung des Tarifvertrags etwa Wiedemann, in: Wiedemann, Ein!. Rn. 34 ff., der aber auch die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags mit dessen (überwiegend) "flächendeckenden" Wirkungen in Zusammenhang bringt; vgl. Rn. 13 ff., 15. 47 Vgl. hierzu nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 1006; auch Mayer-Maly, DB 1965, 32; Salm, Soz. Fortschritt 1958, 246; allg. zur "betrieblichen Tarifpolitik" etwa Rehhahn, ArbuR 1963, 7; ausjüngerer Zeit etwa Henssler, ZfA 1998, 517,537. 48 Ausdrucklieh gegen Versuche, eine "mit dem Tarifabschluß automatisch eintretende Ordnungswirkung nunmehr rechtlich in eine die Tarifautonomie inhaltlich begrenzende ,Ordnungsaufgabe' oder einen normativen ,Ordnungszweck' umzufunktionieren" Kempen/ Zachert Grund!. Rn. 91. 49 Ebenfalls krit. gegenüber einem Abstellen auf die "Ordnungsfunktion" des Tarifvertrags Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 272 f. sowie Kempen/Zachert § 1 Rn. 341. so Das gilt natürlich erst recht für eine Ordnungsfunktion, die jedem Vertrag zugeschrieben werden kann und die darauf beruht, daß der Vertrag die "Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien regelt"; vgl. hierzu Wiedemann, in: Wiedemann, Ein!. Rn. 13. Ganz ausgeschlossen erschiene es übrigens, der Ordnungsfunktion des Tarifvertrags etwas für die Frage nach dem Adressaten der Friedenspflicht bzw. den Begünstigten entnehmen zu wollen. Denn selbst wenn man davon ausgeht, daß die Arbeitgeber aus Wettbewerbsgriinden an einer Einheitlichkeit der tarifvertragliehen Regelung interessiert sind, wäre beispielsweise noch immer nicht dargetan, weshalb man diesem Interesse gerade durch eine unmittelbare Haftung der Gewerkschaft gegenüber den Arbeitgebern Rechnung zu tragen hätte.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
II. Die eigene Konzeption zur Grundlage der Friedenspflicht Wenn auch den bislang in der Literatur diskutierten Versuchen einer objektivrechtlichen Begründung der Friedenspflicht eine Absage erteilt werden mußte, so ist im Ergebnis allerdings dennoch der h. M. zu folgen. Den Ausgangspunkt der Überlegungen sollte die Einsicht bilden, daß sich in der Tat regelmäßig schon aus dem Willen der Tarifparteien selbst das Bestehen einer Friedenspflicht ergeben wird. Dabei muß man sich klarmachen, daß die Tarifvertragsparteien- sei es durch die Vereinbarung einer Laufzeit des Tarifvertrags51 , sei es durch die Einräumung von Kündigungsbefugnissen52 - in der Regel auch die Voraussetzungen festlegen, unter denen der Tarifvertrag wieder entfallen53 und allenfalls54 eine Nachwirkung i. S. d. § 4 Abs. 4 TVG eintreten soll. Nun ist es zwar nicht denknotwendig ausgeschlossen, z. B. die einseitige Vertragsbeendigung durch Kündigung nur unter den von den Tarifparteien hierfür vorgesehenen Voraussetzungen zuzulassen und dem Vertragspartner trotzdem gleichzeitig zu erlauben, durch Drohung mit einem Arbeitskampf, also mittels Ausübung von vis compulsiva, auf den Willen des Vertragspartners mit dem Ziel einzuwirken, diesen zur Aufhebung oder Abänderung des bestehenden Tarifvertrags zu bestimmen. Doch kann die Vereinbarung der Tarifparteien über die Befugnis zur einseitigen Beendigung des Tarifvertrags durch Kündigung vernünftigerweise kaum einen anderen Sinn haben als den, die Möglichkeit einer Beendigung des Vertrags gegen den frei gebildeten - Willen des Vertragspartners zu beschränken. Weshalb die Tarifvertragsparteien die Voraussetzungen der Beendigung des Tarifvertrags geregelt, die Freiheit zum Führen eines Arbeitskampfs aber unangetastet gelassen haben sollten55, wäre kaum nachzuvollziehen. Das gilt ersichtlich um so mehr, als die Befugnis zum Ergreifen von Maßnahmen des Arbeitskampfs gegenüber der Befugnis zur einseitigen Beendigung des Tarifvertrags durch Kündigung insoweit erheblich Vgl. dazu etwa Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 11 f. Auch dazu Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 21 ff. 53 Ist im Tarifvertrag keine Kündigungsfrist bestimmt, so gilt - wenn auch eine ergänzende Auslegung des Tarifvertrags nicht zum Erfolg führt - nach der Rspr. des BAG, das insoweit § 77 Abs. 5 BetrVG und § 28 Abs. 2 S. 4 SprAuG analog anwendet, eine Kündigungsfrist von drei Monaten; vgl. BAG v. 10. 11. 1982, AP Nr. 8 zu§ 1 TVG Form ("allenfalls und längstens eine Frist von 3 Monaten"); grunds. zust. Heßhaus, Kündigung und Wegfall der Geschäftsgrundlage im Tarifvertragsrecht, 1997, S. 120 ff.; vgl. zum Ganzen auch Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 22; MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 256 Rn. 28; Oetker; RdA 1995, 82 jew. m. w. Nachw. zur Rspr. 54 Zum evtl. Ausschluß der Nachwirkung des Tarifvertrags statt aller Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 362. 55 Insofern zutreffend Bötticher; BB 1957, 621, 622, der die Friedenspflicht als "Kehrseite der für eine bestimmte Zeit geschaffenen vertraglichen Ordnung" ansieht; ähnl. wie hier auch D. Gaul, RdA 1966, 172, 173 (der dabei allerdings übersieht, daß dieser Gesichtspunkt allein nicht die Unabdingbarkeil der Friedenspflicht begründen kann). 51
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weiter reicht, als der Arbeitskampf nach der h. M. tatbestandsmäßig als unerlaubte Handlung zu qualifizieren 56 und u. U. mit einer erheblichen Schädigung der Gegenseite verbunden ist. Daß die Geltung einer Friedenspflicht dem typischen Willen der Tarifvertragsparteien entspricht57 , dürfte somit schwerlich zu bestreiten sein5 8 . Damit ist allerdings nicht mehr dargetan, als daß der Tarifvertrag in aller Regel eine Friedenspflicht enthalten wird, wenn es nach dem Willen der Tarifparteien geht. Dagegen steht noch immer die - notwendige59 - Begründung dafür aus, daß die Friedenspflicht ein zwingender Bestandteil des Tarifvertrags ist und somit auch ohne, ja sogar gegen den Willen der Tarifparteien zur Entstehung gelangt. Auch insoweit als sie vom Bestehen einer objektivrechtlichen Friedenspflicht ausgeht, verdient indes die h. M., wie nunmehr gezeigt werden soll, Zustimmung.
1. Arbeitskampffreiheit und Art. 9 Abs. 3 GG Insoweit könnte man zunächst daran denken, daß die Arbeitskampffreiheit als Teil der Koalitionsfreiheit bekanntlich nicht um ihrer selbst willen gewährleistet ist, sondern allein aufgrund ihres instrumentellen Charakters für den Abschluß von Tarifverträgen verfassungsrechtlichen Schutz genießt60. Dieser Zusammenhang findet seinen sichtbaren Ausdruck in dem von BVerfG und BAG wiederholt betonten Bezug des verfassungsrechtlich gewährleisteten Arbeitskampfs auf die Tarifautonomie, aus dem allgemein gefolgert wird, daß der Arbeitskampf nicht nur überhaupt auf eine tarifliche Regelung gerichtet sein muß61 , wenn er an der verfassungsrechtlichen Privilegierung durch Art. 9 Abs. 3 GG teilhaben soll62, sondern Vgl. hierzu nur MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 289 Rn. 6 m. w. Nachw. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1075, wonach die Friedenspflicht "stets als stillschweigend vereinbart gelten" könne. 58 A. A. allerdings Däubler; Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 275 ff. 59 Zutreffend Wiedemannl Stumpf § 1 Rn. 324 (keine "denknotwendige Folge des Tarifvertrages"), die diese Aussage auch mit Hinweisen auf das US-amerikanische u. französische Recht zu untermauem suchen; etwas anders neuerdings Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 665 (keine "naturrechtlich vorgegebene Rechtsfolge von Kollektivvereinbarungen"). 60 Vgl. hierzu nur Rüthers, in: Brox/Rüthers (Hg.), Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982, S. 69 (Arbeitskampf als "Hilfsinstrument der Tarifautonomie"); von einer "Kanalisierung des Arbeitskampfs" spricht in diesem Zusammenhang Rieth, NZA 1986, 697, 698. 61 Vgl. nur BAG GS v. 21. 4. 1971, AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: "Arbeitskämpfe müssen nach unserem freiheitlichen Tarifvertragssystem möglich sein, um Interessenkonflikte über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im äußersten Fall austragen und ausgleichen zu können"; vgl. hierzu auch Coester; DB 1972, 239. 62 Vgl. nur BVerfG v. 26. 6. 1991, BVerGE 84, 212 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: ,,Zu den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Mitteln zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind. Sie werden insoweit von der Koalitionsfreiheit erfaßt, als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarif56 57
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daß er für den Abschluß eines Tarifvertrags geradezu "unerläßlich" sein muß63 • Bedenkt man zusätzlich, daß sich aus dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot auch Beschränkungen hinsichtlich der Zulässigkeit bestimmter Arbeitskampfmaßnahmen ergeben können64, so spricht, auf den ersten Blick betrachtet, einiges dafür, den Beteiligten die Befugnis zum Arbeitskampf insgesamt zu nehmen, wenn dabei nicht ein neuer Tarifabschluß erreicht, sondern "nur" die Aufhebung oder Abänderung eines bestehenden Tarifvertrags erstritten werden soll65 • So sehr es nämlich grundsätzlich auch einleuchtet, den Tarifpartnern ein Mittel an die Hand zu geben, mit dem sie auf die tarifliche Abschluß- und Gestaltungsfreiheit der Gegenseite einwirken und diese zur Einigung auf einen Tarifvertrag bewegen können, so wenig ist ein Bedürfnis dafür ersichtlich, auch dann noch eine Befugnis zum Arbeitskampf anzuerkennen, wenn die Aufhebung oder Abänderung einer bereits in Geltung befindlichen Vereinbarung erreicht werden soll-, obwohl diese, wie gesagt, über die normativen Bestimmungen hinaus stets66 auch Regelungen darüber enthält, ob und unter welchen Voraussetzungen es den Parteien erlaubt sein soll, ihre Bindung an den Tarifvertrag (durch Kündigung) einseitig zu beseitigen. Dementsprechend wird denn auch niemand ernstlich behaupten wollen, die Funktionsfah.igkeit der Tarifautonomie leide darunter, daß die Tarifpraxis allgemein vom Bestehen einer tarifvertragliehen Friedenspflicht ausgeht und Maßnahmen des Arbeitskampfs während der Laufzeit des Tarifvertrags für ausgeschlossen erachtet, wenn und soweit sie mit den im Tarifvertrag enthaltenen Regelungen im Widerspruch stehen. Dennoch ist auf diesem Wege das Bestehen einer "notwendigen" Friedenspflicht letztlich nicht zu begrunden und zwar ganz unabhängig davon, ob in einem konkreten Fall die Voraussetzungen einer einseitigen Vertragsbeendigung durch Kündigung gegeben wären - und man dementsprechend geneigt sein könnte, die Tarifvertragsparteien einfach auf die Kündigung des Tarifvertrags als milderes Mittel zu verweisen67 - oder ob man so weit gehen will, aus dem Übermaßverbot auch zu autonomie sicherzustellen." (u. C I. 1a d. Grde); vgl. auch Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 8 f.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 940 jew. m. w. Nachw. 63 Vgl. nur MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 246 Rn. 112m. w. Nachw. 64 Näher hierzu Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, s. 27 ff. 65 Statt, wie oben, auf die Funktion des Tarifvertrags (!), würde dabei zur Begründung der Friedenspflicht auf die Funktion des Arbeitskampfes (!)abgestellt; allg. hierzu MünchArbROtto, 2. Aufl., 2000, § 282 Rn. 1 ff. 66 Und sei es "nur" kraft objektiven Rechts, also gern. § 77 Abs. 5 BetrVG und § 28 Abs. 2 S. 4 SprAuG analog. 67 Wenn die Beteiligten nach dem ultima ratio-Prinzip gehalten sind, vor der Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen zunächst alle Verständigungsmöglichkeiten auszuschöpfen, so müßten sie wohl erst recht verpflichtet sein, von einer Kündigungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, wenn es ihnen um nichts anderes als darum geht, einen bestehenden Tarifvertrag "aus der Welt zu schaffen".
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entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien sogar daran gehindert sind, sich, über die Befugnis zur Kündigung des Tarifvertrags und die stets bestehende Möglichkeit der einvernehmlichen Aufhebung des Tarifvertrags hinaus68 , auch noch die Freiheit zu erhalten, während des Bestehens der tarifvertragliehen Bindung Mittel des Arbeitskampfs zum Einsatz zu bringen69• Unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots ließe sich wohl nur dann mit Aussicht auf Erfolg argumentieren, wenn der Arbeitskampf, der während der Laufzeit eines Tarifvertrags geführt würde, ausschließlich (!) das Ziel hätte, die bestehenden tarifvertragliehen Bindungen zu beseitigen. Doch zielt der Arbeitskampf in diesen Fällen in erster Linie auf die Festsetzung "neuer" und nicht so sehr auf die Aufhebung der "alten" Arbeitsbedingungen, die mit diesen im Widerspruch stehen, und dementsprechend läßt sich allein mit dem Hinweis auf das Übermaßverbot nicht oder zumindest nicht ohne weiteres70 begründen, daß der Tarifvertrag stets und notwendigerweise eine Friedenspflicht enthalten muß. Will man insoweit zu einer ausreichenden Begründung kommen, so wird man an der Erkenntnis anzusetzen haben, daß Arbeitskämpfe regelmäßig nicht allein die Interessen der tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch die Interessen dritter Personen bzw. der Allgemeinheit nachteilig berühren, ein Gesichtspunkt, der von vomherein zu größter Skepsis Anlaß gibt, wenn sich die Tarifparteien während der Laufzeit eines Tarifvertrags die Befugnis zum Arbeitskampf "offen halten" wollen. Beide Aspekte bedürfen indessen der Vertiefung.
2. Arbeitskampf und Allgemeininteresse
Was zunächst den letztgenannten Gesichtspunkt betrifft, so rechtfertigt es dieser zwar sicher nicht, Arbeitskämpfe unter einen generellen Gemeinwohlvorbehalt zu stellen71 , zumal evtl. auftretenden Exzessen - insbesondere auf der Grundlage des Vgl. hierzu nur Wank, in: Wiedemann, 6. Auf!., 1999, § 4 Rn. 15. In diese Richtung wohl auch Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 74 m. w. Nachw., wonach nicht das Arbeitskampf-, sondern das Tarifvertragsrecht - durch "Aufnahme entsprechender Klauseln in die Tarifverträge und äußerstenfalls durch das Recht zur Kündigung des Tarifvertrages aus wichtigem Grund" den Weg für eine Anpassung des Tarifvertrags an geänderte Verhältnisse eröffne. Bemerkenswert an dieser Sichtweise ist, daß die Autoren die Unzulässigkeil von Arbeitskampfmaßnahmen mit der "Funktion" des Arbeitskampfs begründen und dabei ausdrücklich hervorheben, daß der tarifwidrige Arbeitskampf stets und "ganz unabhängig von der schuldrechtlichen Friedenspflicht" unzulässig sei. 70 Immerhin bleibt festzuhalten, daß man in dem Umfang an ein Abstellen auf das Übermaßverbot denken könnte, in dem der Arbeitskampf auf nichts weiter als auf die Beseitigung der bestehenden Bindungen zielt. Und da die Dinge, auch rechtspraktisch betrachtet, durchaus einmal so liegen können, daß die Gegenseite nur wegen des bestehenden Tarifvertrags nicht verhandlungs- bzw. abschlußbereit ist, erscheint es nicht ganz ausgeschlossen, daß im Einzelfall allein auf der Grundlage des Übermaßverbots das Bestehen einer notwendigen Friedenspflicht begründbar sein könnte. 68 69
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Verhältnismäßigkeitsprinzips - durch eine Begrenzung des Einsatzes der Kampfmittel flexibel Rechnung getragen werden kann72• Dementsprechend ist es denn auch durchaus zutreffend, wenn etwaStrassereine "Vermutung (dafür), daß die tarifliche Rechtsetzungsbefugnis zu jeder Zeit und überall nur um den Preis einer ... in ihrer Existenz verabsolutierten Friedenspflicht zugestanden wurde", mit der Begründung ablehnt, daß kein "schutzwertes Interesse der Gesamtgesellschaft an der Vermeidung von Arbeitskämpfen" gegeben sei73 . Indes geht es im vorliegenden Zusammenhang gar nicht darum, allgemeine Schranken der Arbeitskampffreiheit aufzurichten, sondern allein darum, nun auch nicht gleich in das gegenteilige Extrem zu verfallen und sich von vomherein der Einsicht zu verschließen, daß der Arbeitskampf regelmäßig auch für "Dritte" außerordentlich unzuträgliche Folgen hat. Bedenkt man aber zugleich, daß angesichts der Möglichkeit der Vereinbarung einer Kündigungsbefugnis kein vernünftiges Interesse der Tarifvertragsparteien daran ersichtlich ist, die Befugnis zum Arbeitskampf während der Laufzeit eines Tarifvertrags uneingeschränkt aufrechtzuerhalten, so ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Erkenntnis, daß die tarifvertragliehe Gestaltungsfreiheit der Beteiligten in dieser Hinsicht nicht unbeschränkt sein kann: Wäre es anders, dann könnte sich das u. U. erhebliche "Schädigungspotential" des Arbeitskampfs ungehindert entfalten, ohne daß berechtigte Interessen der Tarifparteien an einer derartigen Gestaltung erkennbar wären. Bereits unter diesem Gesichtspunkt spricht somit zumindest vieles dafür, einer Vereinbarung, mit der die Tarifparteien eine Friedenspflicht ausschließen, die Anerkennung zu versagen74• 3. Schutz der Interessen der gern.§ 3 Abs.l TVG tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Damit sind indes die Gründe, die für die Anerkennung einer "notwendigen" Friedenspflicht sprechen, noch keinesfalls erschöpft. Das wird ohne weiteres deutlich, sobald man nur die Frage stellt, welche Folgen es für die Verbandsmitglieder Vgl. hierzu etwa Rüfner, RdA 1985, 193, 196. Allg. zu dem Problem der Gemeinwohlverträglichkeit des Arbeitskampfs Löwisch/ Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 122 ff. 73 So Strasser, RdA 1965,401,405. 74 Daran wird zugleich deutlich, daß man sich vorliegend nicht damit begnügen könnte, den Tarifparteien die Befugnis zum Arbeitskampf abzuschneiden, wenn dieser darauf abzielt, einen Ausschluß der Friedenspflicht zu vereinbaren. Denn selbst wenn sich die Beteiligten darin einig wären, daß die Arbeitskampffreiheit während der Bindung an den Tarifvertrag unangetastet bleiben soll, bliebe eben doch das Bedenken, daß damit in rechtlich geschützte Interessen anderer Personen eingegriffen würde; allg. zur Problematik der Erkämpfbarkeit schuldrechtlicher Abreden des Tarifvertrags Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1070 f. 71
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hätte, wenn eine Friedenspflicht nicht bestünde: Die tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer müßten dann jederzeit mit einer Autbebung oder Abänderung des bestehenden Tarifvertrags rechnen, ohne daß im geringsten absehbar wäre, wann diese eintritt. a) Das Rechtsstaatsprinzip
Dieses Ergebnis wäre allein schon deshalb in höchstem Maße problematisch, weil man zu bedenken hat, daß die Tarifparteien, ebenso wie der staatliche Gesetzgeber, an das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip gebunden sind75 • Denn ein zentrales Element dieses Grundsatzes ist das Gebot der Rechtssicherheit und aus diesem folgt wiederum, daß der Bürger grundsätzlich auf die Beständigkeit staatlicher Regelungen soll vertrauen und sich auf diese soll einrichten dürfen76• Da aber bei der Rechtsetzung durch Tarifvertrag, mit den Worten des BVerfG gesprochen, die "Verläßlichkeit des jeweils geltenden Rechts"77 nicht weniger auf dem Spiel steht als bei der staatlichen Gesetzgebung, wäre nicht einzusehen, weshalb man bereits dann einen Weg zur Beendigung des Tarifvertrags eröffnen sollte, wenn sich eine der Tarifparteien, etwa angesichts einer Änderung des Kräftegleichgewichts, in die Lage versetzt sieht, einen entsprechenden Druck auf die andere Seite auszuüben. Dem ließe sich auch nicht entgegenhalten, daß es sowohl im Hinblick auf den staatlichen Gesetzgeber als auch im Hinblick auf die Tarifparteien in Wirklichkeit allein darum gehen könne, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende und in beiden Fällen gleichermaßen geltende Rückwirkungsverbot konsequent zur Anwendung zu bringen, das den Eingriff in noch andauernde Tatbestände bekanntlich nicht einmal grundsätzlich verbietet78 . In Wirklichkeit schöpft der Hinweis auf das Rückwirkungsverbot79 die Problematik beileibe nicht aus80• Denn im vorliegenden 75 Vgl. nur Wiedemann, in: Wiedemann, 6. Auf!., 1999, Ein!. Rn. 341; MünchArbRLöwisch/ Rieble, 2. Auf!., 2000, § 259 Rn. 69 ff. 76 Vgl. nur Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 84 m. w. Nachw.; von einem "Gebot des Vertrauensschutzes", das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergibt, sprechen etwa MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Auf!., 2000, § 259 Rn. 71. 77 In der Lit. ist zuweilen plastisch von der "individuellen Erwartungssicherheit" die Rede; vgl. die Angaben bei Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 84. 78 Näher zum Rückwirkungsverbot im allgemeinen und der Problematik der "unechten Rückwirkung" im besonderen statt aller Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 20 Rn. 65 ff.; auch Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 87 m. w. Nachw. 79 V gl. zur Bindung der Tarifvertragsparteien an das Rückwirkungsverbot nur Wiedemann, in: Wiedemann, 6. Auf!., 1999, § 1 Rn. 141 ff. m. w. Nachw. Zu dem ganz anderen Problem der Bedeutung des Rückwirkungsverbots für die Frage nach der Zulässigkeit eines Eingriffs des Gesetzgebers in laufende Tarifverträge; Ein!. Rn. 145 ff; vgl. in diesem Zusammenhang zuletzt auch das Urt. des BVerfG, 1 BvL 32/97 v. 3. 4. 2001, NZA 2001, 777. 80 Im Ergebnis ebenso etwa MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Auf!., 2000, § 259 Rn. 71. Was speziell das Verbot unechter Rückwirkung anbelangt, so ist nur daran zu erinnern, daß
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Zusammenhang ginge es weniger darum, ob und unter welchen näheren Voraussetzungen der "Gesetzgeber" - hier: die "Rechtsetzungsgemeinschaft" der Tarifvertragsparteien - in abgeschlossene 81 oder noch laufende Sachverhalte regelnd eingreifen darf. Vielmehr ginge es darum, ob die Beteiligten hinsichtlich der Voraussetzungen eines - bestehende Bestimmungen aufhebenden oder abändernden (quasi-)gesetzgeberischen Tätigwerdens eine Regelung zu treffen vermögen, die auf nichts anderes als darauf hinausliefe, den Tarifvertrag und die sich auf ihn grundenden Rechte und Pflichten jederzeit und ohne Einhaltung einer Frist wieder beenden zu können und ihm damit aus Sicht der Normunterworfenen jede Berechenbarkeit und Verläßlichkeit82 zu nehmen83 . Allerdings versagt zugegebenermaßen eine allzu schlichte Parallele zur Bindung des einfachen Gesetzgebers an das Rechtsstaatsprinzip. Da man sich den staatlichen Gesetzgeber als Einheit vorzustellen hat, währenddessen beim Tarifvertrag Träger unterschiedlicher Interessen "zusammenfinden", kann sich nämlich dort von vornherein nicht die Frage stellen, in welcher Weise "Teil-Gesetzgeber" die Voraussetzungen der Beendigung ihrer Regelung gestalten können. Überdies erscheint es angesichts des Antagonismus, der den Tarifvertrag im Unterschied zur eine Rückwirkung insofern durchaus nicht schrankenlos zulässig ist. Vielmehr besteht nach der Rspr. des BVerfG die Notwendigkeit einer Güterabwägung, bei der die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl und das Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens in Beziehung zu setzen sind; vgl. nur Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 20 Rn. 70 m. w. Nachw. Sieht man einmal davon ab, daß es vorliegend nicht um evtl. Bindungen des staatlichen Gesetzgebers, sondern um solche der Tarifvertragsparteien geht - und es dementsprechend nicht auf das Gemeinwohl, sondern nur oder jedenfalls in erster Linie auf das "Wohl" der Normunterworfenen ankommen kann-, so wird o. w. deutlich, daß erhebliche Bedenken gegen eine uneingeschränkte und von keiner Friedenspflicht begrenzte Arbeitskampffreiheit bestünden, wenn die "Rechtsetzungsgemeinschaft" der Tarifvertragsparteien dabei von vomherein jeder derartigen Abwägung enthoben wäre und ändernden Eingriffen Tür und Tor geöffnet würden. Allerdings wäre dieses Ergebnis nicht unvermeidlich, da sich "theoretisch" auch ein begrenztes Arbeitskampfverbot annehmen ließe, wonach den Tarifvertragsparteien ein Arbeitskampf (gerade) in dem Umfang verboten wäre, in dem die Neuregelung, die von einer der beiden Seiten erstrebt wird, gegen das Rückwirkungsverbot verstieße; allg. zum Zusammenhang zwischen Arbeitskampf und Wirksamkeit der erstrebten tarifvertragliehen Regelung MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 285 Rn. 5 ff. 81 Insoweit, als es um den Eingriff in abgeschlossene Sachverhalte geht, ergeben sich im vorliegenden Zusammenhang von vornherein keine Probleme, da die Beendigung eines bestehenden Tarifvertrags als solche immer nur für die Zukunft wirken kann. Am Verbot der echten Rückwirkung zu messen ist daher allenfalls die Neuregelung, die an die Stelle des beendeten Tarifvertrags treten soll. Diese steht indes hier von vornherein nicht zur Debatte. 82 Zum Zusammenhang zwischen diesem Gesichtspunkt und dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG bzw. dem daraus sich ergebenden Verbot, den Menschen zum bloßen Objekt staatlicher Gewalt zu machen, Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 20 Rn. 58. 83 Näher zur "Meßbarkeit und Verläßlichkeit staatlichen Handelns" als einem mit Verfassungsrang ausgestatteten ungeschriebenen "Teilgrundsatz" des Prinzips der Rechtssicherheit Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 20 Rn. 26,57 ff.
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staatlichen Rechtsetzung bestirnmt84, nicht ausgeschlossen, daß im vorliegenden Zusammenhang hinsichtlich der "Verläßlichkeit" und "Berechenbarkeit" des Rechts andere Maßstäbe gelten als dort. Indes bestehentrotzdieser Vorbehalte ganz erhebliche Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Ausschlusses der Friedenspflicht, sofern man die Wertungen des Rechtsstaatsprinzips nur konsequent zu Ende denkt. Diese können zwar an dieser Stelle nicht vertiefend behandelt werden, da man insoweit unvermeidlich in Grundlagenprobleme des Tarifrechts geriete, für deren umfassende Erörterung hier kein Raum ist. Sagen läßt sich aber immerhin so viel, daß sich die tarifliche Rechtsetzung insofern ganz erheblich von der "normalen" Gesetzgebung unterscheidet, als sie sich nicht in der Aufstellung generell-abstrakter Regelungen erschöpft, sondern zugleich einen vertragsmäßigen Ausgleich des zwischen den Beteiligten bestehenden Interessengegensatzes zum Ausdruck bringt85 • Zu diesem Unterschied kommt noch hinzu, daß der Tarifvertrag regelmäßig auch das Ergebnis der Ausübung von Druck auf die andere Seite ist und somit gewissermaßen ein "Spiegelbild" des im Zeitpunkt des Vertragsschlusses herrschenden Kräfteverhältnisses zwischen den Beteiligten darstellt. Beides verdient hier ausdrücklich festgehalten zu werden. Denn zum einen kommt es nicht selten vor, daß die Interessen der Beteiligten später wieder "auseinanderstreben", nachdem zunächst ein Kompromiß gefunden wurde. Und zum anderen ist es auch nicht ausgeschlossen, daß sich das Kräftegleichgewicht zwischen den Parteien - z. B. als Folge eines Mitgliederzugangs oder Mitgliederschwunds auf deren einen oder anderen Seite- in erheblichem Umfang ändert und ein "Teil-Gesetzgeber" nach Abschluß des Tarifvertrags gegen den Willen des Kontrahenten Änderungen der einmal getroffenen Regelung durchzusetzen versucht. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann aber mit Nachdruck die Frage, wie sich der Bestand einer Regelung - und zwar insbesondere auch gegenüber deren Urheber(n)! -sichern läßt und ob man die am Tarifvertrag Beteiligten nicht zwingen sollte, sich auf Modalitäten der Beendigung des Tarifvertrags zu einigen, ohne ihnen zugleich die Möglichkeit zu eröffnen, sich daneben auch noch die Befugnis zum Führen eines Arbeitskampfs vorzubehalten. Die Zweifel, die sich insoweit einstellen, treten um so stärker hervor, wenn man zusätzlich bedenkt, daß vorliegend ja nicht irgendwelche Rechte und Pflichten zur Debatte stehen. Was die Arbeitgeber betrifft, so ist in diesem Zusammenhang in erster Linie auf das erhebliche Interesse daran hinzuweisen, daß die Kosten, die sich aus der Erfüllung der gegen sie gerichteten Tarifforderungen ergeben, kalkulierbar bleiben. Dies gilt in doppelter Hinsicht: Zunächst muß der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Geltung des Tarifvertrags abschätzen können, was ihn dieser insgesamt ,,kosten" wird; das aber wäre nahezu unmöglich, wenn den Tarifparteien stets 84 Man denke insoweit insbes. an die Möglichkeit des kampfweisen Durchsetzens von Tarifforderungen. 85 Vgl. insoweit nur MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 253 Rn. I ff. u. § 246 Rn. 91.
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die Befugnis verbliebe, mit dem Ziel der Beendigung des Tarifvertrags einen Arbeitskampf zu führen. Doch kommt noch hinzu, daß dem Arbeitgeber von vornherein die Möglichkeit genommen würde, sich rechtzeitig auf eine evtl. vorzeitige Beendigung des Tarifvertrags einzustellen, wie dies insbesondere dann der Fall ist, wenn die Voraussetzungen einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung des Tarifvertrags gegeben sind. Müßten die Arbeitgeber jederzeit mit einer Änderung des Tarifvertrags rechnen, so entstünde eine kaum hinnehmbare Unsicherheit, die letztlich geradezu ein die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bedrohendes Ausmaß annehmen könnte, weil damit die Vorteile, die tarifvertragliche Regelungen aus Arbeitgebersicht mit sich bringen, in weitem Umfang in Fortfall geraten würden86 . Daß der Bestand der tarifvertragliehen Rechte und Pflichten einen ganz besonderen Stellenwert hat, gilt indes auch und sogar ganz besonders aus Sicht der Arbeitnehmer. Insoweit ist nämlich nicht zu übersehen, daß die tariflichen Regelungen - zumindest in dem Umfang, in dem sie den Inhalt des Arbeitsverhältnisses betreffen- typischerweise geradezu existenzsichemden Charakter aufweisen 87 und sich der Arbeitnehmer dementsprechend in seiner gesamten Lebensführung auf die entsprechenden Leistungen des Arbeitgebers einstellt. Der Arbeitnehmer ist mit anderen Worten auf den Erhalt der Leistungen, auf den seine tarifvertragliehen Anspruche gerichtet sind, in denkbar hohem Maße angewiesen und infolgedessen wird man nicht umhin können einzuräumen, daß aus seiner Sicht ein erhebliches und grundsätzlich eben auch durchaus schutzwürdiges Interesse am Bestand der zugrunde liegenden tarifvertragliehen Regelungen gegeben ist88 • Bei alledem sollte man auch beriicksichtigen, daß der Tarifvertrag nicht selten zumindest mittelbar - über den Kreis der tarifgebundenen Personen hinaus Bedeutung erlangt. Zu denken ist insoweit insbesondere an die Möglichkeit, eine tarifvertragliche Regelung gern. § 5 TVG für allgemeinverbindlich zu erklären: Wird der zugrunde liegende Tarifvertrag von dessen Parteien (arbeitskampfbedingt) aufgehoben, so ist die Allgemeinverbindlicherklärung eo ipso ebenfalls beendet89. Und auch dann, wenn der Tarifvertrag arbeitskampfbedingt geändert wird, tritt nach h. M. in dem Umfang eine Beendigung des frir allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags ein, in dem der alte Tarifvertrag ohne die Bestimmungen, die geändert 86 Dementsprechend wird denn auch immer wieder zurecht betont, daß der Tarifvertrag den Arbeitgebern für die Laufzeit des Tarifvertrages eine "feste Kalkulationsgrundlage" gebe(n solle); so Wiedemann, in: Wiedemann, 6. Aufl., 1999, Einl. Rn. 15; § 1 Rn. 665 (Arbeitgeber soll durch Tarifvertrag "gesicherte Daten für weitere Unternehmerische Entscheidungen" erhalten). 87 Zum Arbeitsplatz als "Existenzgrundlage" des Arbeitnehmers und, ganz allgemein, zum Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers statt aller Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, 1988, s. 46 ff., 49 f., 75 ff. 88 Ähnl. beispielsweise Wiedemann, in: Wiedemann, § l Rn. 665 ("gesicherte Arbeitsbedingungen" der Arbeitnehmer). 89 Vgl. nur Wiedemann, in: Wiedemann, § 5 Rn. 109.
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wurden, nicht mehr als sinnvolle Regelung angesehen werden kann90• Das aber bedeutet nichts anderes, als daß die Beendigung des Tarifvertrags durch dessen Parteien stets auch auf die Arbeitgeber und Arbeitnehmer "durchschlägt", die gern.§ 5 Abs. 4 TVG kraft Allgemeinverbindlicherklärung tarifgebunden sind. Dementsprechend könnten sich diese ebensowenig wie die "unmittelbar" tarifgebundenen Personen darauf einrichten, daß die tarifliche Regelung Bestand hat, sofern die Parteien des Tarifvertrags nicht von den im Tarifvertrag vorgesehenen Befugnissen einer Beendigung Gebrauch machen bzw. Gebrauch machen können.
b) Das Schutzbedürfnis auf Seiten der Arbeitnehmer: Tarifvertrag als kollektive Interessenwahrnehmung
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt kommt noch hinzu. Dieser wird deutlich, wenn man sich klarmacht, daß der Verfassungsgeber mit der Gewährleistung der Tarifautonomie erkennbar in erster Linie dem Schutzbedürfnis der - im Vergleich zum Arbeitgeber typischerweise schwächeren - Arbeitnehmer Rechnung tragen wollte91 . Daraus ergibt sich nämlich wie selbstverständlich, daß der Tarifvertrag zwar einerseits die Nachteile der individualvertraglichen Regelung - insbesondere das für das Verhältnis der Individualvertragsparteien typischerweise kennzeichnende Ungleichgewicht der Beteiligten92 - vermeiden93 , hinter dieser aber andererseits nach Möglichkeit nicht zurückbleiben soll. Letzteres wäre indessen notwendigerweise der Fall, wenn die tarifgebundenen Arbeitnehmer jederzeit mit einer arbeitskampfbedingten Aufhebung oder Änderung des Tarifvertrags rechnen müßten. Denn während die Abänderung oder Beendigung bestehender Rechte und Pflichten auf der Ebene des Individualarbeitsvertrags nur im Einvernehmen der Parteien zulässig ist - sofern sie nicht als Folge der Ausübung einer wirksam vereinbarten oder auf der Grundlage des objektiven Rechts bestehenden Befugnis zur (Änderungs-)Kündigung eintritt -, müßten sich die tarifgebundenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch dann noch auf Änderungen ihrer Rechtspositionen bzw. auf deren Verlust gefaßt machen, wenn der am Tarifvertrag beteiligte Verband den zugrunde liegenden Forderungen der Gegenseite Vgl. nur Wiedemann, in: Wiedemann, § 5 Rn. 120. Zur Schutzfunktion des Tarifvertrags statt aller Wiedemann, in: Wiedemann, Ein!. Rn. 3 ff. m. w. Nachw. 92 Allerdings soll nicht verschwiegen werden, daß in jüngerer Zeit zunehmend Zweifel an dieser grundlegenden Prämisse geäußert werden; vgl. zum Ganzen Wiedemann in: Wiedemann, Ein!. Rn. 5 m. w. Nachw. 90 91
93 Vgl. insoweit nur BVerfG v. 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212, 229 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: "Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluß von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen" (u. CI. 3b aa d. Grde); vgl. hierzu etwa auch Kempen/Zachert Grund!. Rn. 74 unter§ 4 Rn. 1.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
nicht aufgrund eigener, frei gebildeter Überzeugung zugestimmt, sondern sich insoweit lediglich dem Druck der Gegenseite gebeugt hätte. Damit stünden sie aber, tarifvertraglich gesehen, wesentlich schlechter, als sie sich bei einer einzelvertraglichen Regelung stellen würden und demzufolge spricht auch insoweit einiges dafür, eine Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Beteiligten eines Tarifvertrags anzunehmen, solange dieser in Kraft ist.
c) Friedenspflicht und Vertragsprinzip An dieser Stelle wird zugleich der vielleicht entscheidende Einwand deutlich, der gegenüber einer unbeschränkten Arbeitskampfbefugnis der Tarifparteien erhoben werden muß. Dieser läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß der Fortbestand einer unbeschränkten Arbeitskampffreiheit zwar, rein äußerlich betrachtet, noch mit dem Vertragsprinzip vereinbar wäre, daß dieses aber völlig sinnentleert wäre - um nicht zu sagen denaturiert würde -, wenn man den Arbeitskampf trotz der vertraglichen Bindung weiterhin zuließe. Auszugehen ist dabei von dem Umstand, daß sich der Tarifvertrag insoweit ohnehin ganz erheblich von einem "normalen" Vertrag unterscheidet, als es den Kontrahenten grundsätzlich frei steht, mit Mitteln der Drohung, also unter Anwendung von vis compulsiva94, auf den Willen des anderen Teils mit dem Ziel einzuwirken, diesen zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen und letztlich auch zur Annahme eines bestimmten Vertragsangebots zu veranlassen95 . Während dem Bedrohten bei einem "normalen" Vertrag gern. § 123 Abs. 1 BGB die Befugnis eröffnet ist, eine evtl. rechtsgeschäftliche Erklärung anzufechten und damit den Vertrag rückwirkend zu vernichten, steht den Beteiligten an einem Tarifvertrag ein vergleichbares Anfechtungsrecht grundsätzlich nicht zu96. Wenn hiergegen auch keine Einwände erhoben werden können, da die verfassungsrechtlich gewährleistete Tarifautonomie ohne die grundsätzliche Anerkennung einer Befugnis zum Arbeitskampf wohl in der Tat weitgehend leerlaufen würde97, ändert sich das Bild doch grundlegend, wenn die Frage im Raume steht, ob den Tarifparteien auch dann noch die Befugnis zur Einleitung eines Arbeitskampfs Vgl. statt aller MünchKomm-Kramer § 123 Rn. 32. Dementsprechend trifft es gerade nicht zu, daß die h. M. den Tarifvertrag "beim Abschluß wie einen normalen Vertrag behandeln" wolle; so aber Strasser, RdA 1965,401,404. 96 Vgl. nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 773: "Auch Drohung gestattet die Anfechtung im allgerneinen nicht; daß der rechtmäßige Arbeitskampf den Willen des Unterlegenen beugt, liegt in seiner Natur und rechtfertigt keine Auflösung des Vertrags". 97 Zur Arbeitskampffreiheit als "Vorbedingung einer funktionierenden Tarifautonomie" Wiedemann, in: Wiedernann, 6. Aufl., 1999, Einl. Rn. 37 ff. rn. w. Nachw., der dabei in erster Linie auf die fehlende Möglichkeit des "Ausweichen(s) auf einen anderen Vertragspartner" abhebt; vgl. auch Treber, Aktiv produktionsbehindernde Maßnahmen, 1996, S. 362 f. 94
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zustehen soll, wenn sie sich bereits tarifvertraglich gebunden (und dabei eben auch eine Einigung über den Umfang dieser Bindung erzielt) haben. Denn das Charakteristikum der rechtsgeschäftliehen Verpflichtung besteht nun einmal darin, daß eine bestimmte Regelung gelten soll, weil ihre Geltung dem übereinstimmenden Willen der Parteien beim Abschluß des Vertrags entspricht98• Ließe man dagegen trotz der tarifvertragliehen Bindung eine uneingeschränkte Arbeitskampfbefugnis der Beteiligten zu, so erschiene es völlig unplausibel, wenn man den Bestand der Regelung noch auf das gegenseitige Versprechen der Parteien zurückführen wollte: von einer Bindung des Versprechenden könnte unter diesen Umständen allenfalls insoweit die Rede sein, als sich dieser an seiner Erklärung festhalten lassen müßte, weil es ihm entweder nicht gelingt oder weil er sich von vornherein keinen Erfolg davon versprechen darf, den Vertragspartner (gegen dessen Willen) zu einer Aufhebung oder Änderung des einmal geschlossenen Vertrags zu veranlassen99 . Die tarifvertragliche Regelung würde, andersherum gewendet, nicht mehr einfach nur deshalb gelten, weil der Erklärende ein bestimmtes Versprechen abgegeben hat, das von der anderen Seite angenommen wurde, sondern vielmehr deshalb, weil es sich der Versprechende angesichts des bestehenden Kräfteverhältnisses, rein faktisch gesehen, gefallen lassen muß, von seinem Gegenüber weiterhin an seinem Versprechen festgehalten zu werden 100• Darin läge indessen in Wirklichkeit der Abschied von der Vorstellung, der Tarifvertrag beruhe auf einer mit einem "normalen" Vertrag auch nur einigermaßen vergleichbaren Abrede. Statt ihn auf den Geltungswillen der Vertragsparteien zurückzuführen, würde der Tarifvertrag damit- wenn auch auf der Grundlage einer entsprechenden Abrede der Tarifparteien 101 - im wesentlichen auf die Funktion reduziert, das jeweilige aktuelle Kräftegleichgewicht widerzuspiegeln 102• Macht man sich das klar, so wird deutlich, daß in der Tat Gamillscheg zuzustimmen ist, wenn dieser feststellt: "Wo die Friedenspflicht nicht anerkannt wird, verliert der Tarifvertrag seine Eigenschaft als Vertrag, wird er zu nicht viel mehr als einer gemeinsamen Feststellung über das durch den Arbeitskampf jeweils erreichte Ergebnis . . ." 103 . Dem ist vor dem Hintergrund des soeben Gesagten nichts hinzuzufügen. 98 Dementsprechend schützt denn auch§ 123 Abs. l BGB gerade die "Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet"; vgl. insoweit nur MünchKomm-Kramer § 123 Rn. l u. Hinw. auf die Motive. 99 Dieser Zusammenhang wird insbes. übersehen von Strasser; RdA 1965, 401, 404, weshalb auch der von ihm behauptete "Grundsatz der Identität der erlaubten Druckmittel für den Abschluß eines neuen und die Abänderung eines laufenden Vertrages" keine Zustimmung verdient. 100 Dabei wird auch nicht unberücksichtigt gelassen, daß ein Tarifvertrag nur selten "ganz freiwillig" zustande kommt, weil, jedenfalls bei abstrakter Betrachtungsweise, stets zumindest die Drohung mit einem Arbeitskampf im Raum steht. 101 Nämlich der über den Ausschluß einer tarifvertragliehen Friedenspflicht. 102 Und daher könnte man, streng genommen, auch nicht mehr davon reden, "das Ergebnis des Aushandeins (sei) richtig ... , weil es gewollt ist"; zutreffend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. l, 1997, S. 285.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Nicht übersehen sollte man in diesem Zusammenhang übrigens auch, daß das TVG nicht zufällig den Vertrag als Instrument der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen und den Vertragsschluß als Regelungsverfahren vorsieht. Wenn der Verfassungsgeber die Autonomie zum Abschluß von Tarifverträgen anerkennt - die vom einfachen Gesetzgeber in den Vorschriften des TVG näher ausgestaltet wurde -, so liegt dem vielmehr die Erkenntnis zugrunde, daß der vertraglichen Regelung ganz allgemein eine spezifische "Richtigkeitsgewähr" 104 oder zumindest "Richtigkeitschance" zukommt 105 . Diese hat im vorliegenden Zusammenhang um so größere Bedeutung, als der Schwerpunkt der tarifvertragliehen Regelung gerade darin liegt, gegenüber Dritten, den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Recht zu setzen. Damit stellt sich nämlich notwendigerweise die grundsätzliche Frage nach der Legitimität der tariflichen Rechtsetzung. Doch wäre es insoweit außerordentlich problematisch, wenn den Tarifparteien auch während eines laufenden Tarifvertrags eine uneingeschränkte Arbeitskampfbefugnis zustünde: So wenig dagegen spricht, den Tarifparteien die einverständliche Aufhebung oder Änderung einer einmal getroffenen Regelung zu erlauben, so bedenklich wäre es andererseits unter Legitimitäts- bzw. Akzeptanzgesichtspunkten, wenn es ihnen zusätzlich frei stünde, nach jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallenden Veränderung der Interessen- oder Kräftelage eine Aufhebung oder Änderung des Tarifvertrags zu erzwingen und den ursprünglich gefundenen Interessenausgleich auf diesem Wege einfach zu "überspielen". Damit stünde die Regelung nämlich von Beginn an unter dem Vorbehalt ihrer jederzeitigen nachträglichen kampfweisen Beendigung oder Änderung, und überdies wäre von vomherein jede 103 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1074; vgl. auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 1111, 7. Aufl., 1967, § 16 II. 1b, S. 310 (u. Fußn. 14a): "Was ... nützt der Erlaß von Nonnen, wenn sie durch einen jederzeit zulässigen Arbeitskampf (bei abbedungener Friedenspflicht) in ihrer Wirkung gegen den Willen des anderen Tarifpartners hinfällig gemacht oder geändert werden könnten? Was nützt ein Vertrag, wenn von vornherein vereinbart wird, daß er teilweise oder ganz nicht eingehalten zu werden braucht?"; grundlegend zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zwischen "Vertragsprinzip" und "Kampfprinzip" Picker, ZfA 1986, 199. 104 Vgl. in diesem Zusammenhang insbes. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130; ders., in: FS Nipperdey, 1955, S. 1; ders., in: FS Raiser, 1974, S. 3. Skeptisch gegenüber dem Begriff etwa Hersehe/, ArbuR 1978, 321, 322; zurückhaltend zuletzt auch A. Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen in ihrer Anwendung auf den Einzelfall, 1997, S. 118. 105 Zum "Vertrag als Regelungsverfahren mit Richtigkeitsgewähr" etwa Wiedemann, in: Wiedemann, 6. Aufl., 1999, § I Rn. 216m. w. Nachw.; auch MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 253 Rn. 1 ff. und§ 246 Rn. 91 sowie Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 284 (... . . die Vertragsfreiheit wird auf einer höheren, kollektiven Ebene wieder in die Rechte eingewiesen, die ihr in einem freiheitlichen Gemeinwesen zukommen"); zum Ganzen auch A. Oppermann, Die Kontrolle von Tarifvertragsregelungen in ihrer Anwendung auf den Einzelfall, 1997, S. 22 ff. Auf die (nicht unberechtigten) Einwände, die gegenüber dem Gesichtspunkt der angeblichen "Richtigkeitsgewähr" bestehen, und die erheblichen Unschärfen, die sich mit ihm verbinden - vgl. insoweit nur Wiedemann, in: Wiedemann, 6. Aufl., 1999, § 1 Rn. 220- soll hier nicht näher eingegangen werden, zumalesvorliegend ausschließlich um die prozeduralen Aspekte der "Richtigkeitsgewähr" geht, die aber weitgehend unstreitig sind.
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Aussage über die voraussichtliche Dauer der tarifvertragliehen Bindung und damit jede Aussage über eines der zentralen Elemente der "Richtigkeit" des Tarifvertrags unmöglich. Daß unter diesen Umständen sowohl die Legitimität der tarifvertragliehen Regelung als auch deren Akzeptanz bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern beträchtlichen Schaden nehmen würde, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Hinzuweisen ist aber immerhin darauf, daß eine Tarifvertragspartei unter diesen Umständen im Zeitpunkt des Abschlusses nicht einmal abschätzen könnte, inwieweit sie der Gegenseite entgegengekommen ist -, da der dem Tarifvertrag zugrunde liegende Kompromiß eben jederzeit geändert werden könnte. Und hinzuweisen ist überdies auch darauf, daß die Einigung der Tarifvertragsparteien vor diesem Hintergrund notwendigerweise von Prognosen über die Chancen einer nachträglichen Änderung mitbestimmt würde. Denn diese wären nicht nur höchst unsicher, sondern v. a., gemessen an den tarifvertraglich zu regelnden Fragen, vollkommen sachfremd und sollten daher nach Möglichkeit "ausgeschaltet" bleiben 106. Noch verstärkt werden die Bedenken, die sich insoweit ergeben, wenn man an dieser Stelle erneut die Möglichkeit der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags nach § 5 TVG bedenkt: Wenn der Staat die Befugnis in Anspruch nimmt, auch "an sich" nicht Tarifgebundene einem Tarifvertrag zu unterwerfen, so spielt hinsichtlich der Rechtfertigung eines derartigen Eingriffs erkennbar auch der Gedanke eine Rolle, daß es sich insoweit lediglich um die personale "Verbreiterung" der Wirkungen einer Regelung handelt 107, die, für sich genommen, die größtmögliche Gewähr für ihre inhaltliche "Richtigkeit" bietet 108• Unter diesen Umständen muß es dann aber zwangsläufig Zweifel an der Legitimität des Instituts der Allgemeinverbindlicherklärung wecken, wenn dem zugrunde liegenden Tarifvertrag eine "Richtigkeitsgewähr" in diesem Sinne gerade nicht beigemessen werden kann. Diese Zweifelließen sich auch nicht einfach mit dem - "an sich" durchaus zutreffenden - Hinweis darauf ausräumen, daß eine Änderung des Tarifvertrags die Gebundenheit kraft Allgemeinverbindlicherklärung in weitem Umfang entfallen läßt 109• Zwar ist zugegebenermaßen sichergestellt, daß der Außenseiter bei der Allgemeinverbindlicherklärung letztlich nicht doch noch der Tarifmacht von Tarifparteien unterstellt wird, die ihm gegenüber keine eigene Rechtsetzungsbefugnis beanspruchen können 110. Doch wird damit noch nicht der Mangel beho106 A. A. Däubler; Tarifvertragsrecht, 3. Auf!., 1993, S. 272 f., wonach die Möglichkeit eines Ausschlusses der Friedenspflicht anzuerkennen sei, weil "nicht aufgedrängte Pflichten, sondern (nur) freie Selbstbestimmung der Betroffenen .. . das friedliche Austragen von Interessengegensätzen (sichern)" könne. 107 Zur ,,Norrnerstreckung" als Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung statt aller MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Auf!., 2000, § 268 Rn. 13 ff. 108 Vgl. insoweit nur BVerfG v. 24. 5. 1977, BVerfGE 44, 322, 324 = AP Nr. 15 zu § 5 TVG; vgl. in diesem Zusammenhang aber auch Waas, Tarifvertrag und Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 70 ff. mit einem Vergleich der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen auf der einen und der Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen gern. § 8 Abs. 2 MindestArbBedG auf der anderen Seite. 109 Näheres bei Wank, in: Wiedemann, § 5 Rn. 117 ff. m. w. Nachw.
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ben, der darin liegt, daß, für die Vergangenheit(!), eine Bindung an einen Tarifvertrag gegeben war -, der nicht aufgrund der besonderen Dignität des vertraglichen Versprechens, sondern evtl. nur deshalb Bestand hat, weil der Versprechende, bei rein tatsächlicher Betrachtung, nicht die Kraft aufbrachte, sich von seinem Versprechen wieder zu lösen. Als Ergebnis all dieser Überlegungen bleibt festzuhalten, daß die Parteien eines Tarifvertrags eine objektivrechtliche Friedenspflicht trifft, die von diesen auch nicht abbedungen werden kann 111 • Das ergibt sich, um die wesentlichen Argumente nochmals zu wiederholen, zum einen daraus, daß der Tarifvertrag als Normenvertrag, ebenso wie eine Regelung des einfachen Gesetzgebers, am Rechtsstaatsprinzip gemessen werden muß, aus dem folgt, daß sich die Normunterworfenen wenigstens in gewissem Umfang auf den Fortbestand der Regelung sollen einrichten können. Doch muß die Friedenspflicht, wie sich gezeigt hat, auch deshalb auf einen ungeschriebenen Satz des objektiven zwingenden Gesetzesrechts zurückgeführt werden, weil sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der tarifvertragliehen Begründung ihrer Rechte und Pflichten ersichtlich nicht schlechter stellen sollen, als sie im Fall einer individualvertraglichen Abrede stünden. Hinsichtlich der letzteren hätten sie aber von vomherein nicht zu befürchten, gegen ihren Willen und ohne irgendeine Grundlage im Arbeitsvertrag einen Rechtsverlust oder eine Änderung ihrer Rechte zu erleiden. Auch unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich somit, daß zwischen den Parteien eines Tarifvertrags bereits aufgrund objektiven Rechts eine Friedenspflicht gegeben sein muß. Für das Bestehen einer objektiv-rechtlichen Friedenspflicht streitet schließlich auch der Vertragscharakter des Tarifvertrags112. Zwar ist es mit diesem nicht schlechthin unvereinbar, den Beteiligten die Befugnis zur Einwirkung auf den Willen des jeweils anderen Teils einzuräumen. Doch würde ein Ausschluß der Friedenspflicht, wie gesehen, zu einer weitgehenden Entwertung des Vertrags und der darin enthaltenen Versprechen führen, da es den Parteien dann möglich wäre, ihr Versprechen jederzeit "zurückzunehmen" und auf eine Abänderung des Vertragsinhalts zu dringen 113 •
Vgl. nur Wank, in: Wiedemann, § 5 Rn. 120 (a. E.) m. w. Nachw. Ähnl. etwa auch Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 150, wonach die Friedenspflicht schon deshalb nicht ausgeschlossen werden könne, weil "der ihr zugrunde liegende objektiv-rechtliche Satz nicht abdingbar" sei; ebenso etwa Zöllner I Loritz, Arbeitsrecht, 5. Aufl., 1998, S. 39 I. 112 Vor diesem Hintergrund erweist sich, daß es zu eng ist, wenn man sagt, daß Art. 9 Abs. 3 GG die Anerkennung einer Friedenspflicht "erlaubt"; so Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 316. Art. 9 Abs. 3 GOfordert die Friedenspflicht vielmehr geradezu. Nach dem eben Gesagten bildet die Friedenspflicht eine Grenze der Arbeitskampfbefugnis; ein Versuch der Systematisierung der "Grenzen des Streikrechts" findet sich etwa bei Reuter, ZfA 1990, 535, 552 ff. 113 Dementsprechend läßt sich eine Befugnis zum Ausschluß der Friedenspflicht auch nicht auf das "Selbstbestimrnungsprinzip" stützen; so aber Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 274. 110 111
§ 4 Die Wirkungsweise der Friedenspflicht im Verhältnis der Tarifvertragsparteien
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§ 4 Die Wirkungsweise der Friedenspflicht im Verhältnis der Tarifvertragsparteien Auch wenn somit so viel feststeht, daß die Friedenspflicht auf einen ungeschriebenen Satz des objektiven Rechts zurückzuführen ist, bleibt noch stets die Frage zu beantworten, in welcher Weise diese Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der am Tarifvertrag Beteiligten wirkt. Dieser Frage ist im folgenden nachzugehen.
I. Die Friedenspflicht als schuldrechtliche Verpflichtung oder unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampffreiheit Nicht übersehen sollte man nämlich, daß hinsichtlich der Konstruktion der Friedenspflicht zwei Möglichkeiten bestehen: entweder betrachtet man diese mit der h. M. als rechtliche Verpflichtung 114, die im wesentlichen auf ein Unterlassen - besser: auf das Unterlassen der Ausübung eines Rechts -gerichtet istu 5 . Oder man geht darüber noch hinaus und sieht in der Friedenspflicht eine unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampffreiheit, aufgrund der die Befugnis zum Arbeitskampf bestimmten Adressaten gegenüber (zeitweilig) ohne weiteres entfallt. Wahrend im erstgenannten Fall eine schuldrechtliche Verpflichtung anzunehmen wäre, deren Verletzung Schadensersatzansprüche des Berechtigten auslösen würde, träte im letztgenannten Fall\1 6 eine unmittelbare Begrenzung der Arbeitskampfbefugnis ein. Zur Verdeutlichung mag die Problematik der rechtlich gesicherten Nutzung eines Grundstücks durch den Eigentümer eines anderen Grundstücks dienen: Hier ist einerseits denkbar, daß die beiderseitigen Rechte und Pflichten (des Grundstückseigentümers und des Nutzungsberechtigten) aufgrund von schuldrechtlichen Vereinbarungen eingeschränkt oder erweitert werden 117 . Denkbar ist aber andererseits 114 So etwa D. Gaul, RdA 1966, 172, 175; Schumann, in: Däubler (Hg.), Arbeitskampfrecht, 2. Auf!., 1987, S. 193, der in diesem Zusammenhang ausführt, daß die Friedenspflicht "der Sache nach"(!) eine "Einschränkung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Kampffreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG (darstelle)". tt5 Bekanntlich weist die Friedenspflicht nach allg. Auffassung zwei Inhalte auf: Neben der Pflicht, selbst keinen tarifwidrigen Arbeitskampf zu veranstalten (Unterlassungspflicht), besteht die Pflicht, mit allen dem Verband zu Gebote stehenden Mitteln auf die Mitglieder mit dem Ziel einzuwirken, diese von der Eröffnung oder Weiterführung eines Arbeitskampfs abzuhalten (Handlungspflicht); vgl. insoweit nur Wiedemann, in: Wiedemann, § I Rn. 667 ff.; Rüthers, in: Brox/Rüthers (Hg.), Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982, S. 139 sowie Schumann, in: Däubler (Hg.), Arbeitskampfrecht, 2. Auf!., 1987, S. 199. tt6 Die als unmittelbare Folge einer entsprechenden (teilweisen) Verfügung des Berechtigten anzusehen wäre, wenn man, entgegen der hier vertretenen Auffassung, doch annehmen wollte, daß die Friedenspflicht allein auf einer entsprechenden Abrede der Tarifvertragsparteien beruht.
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I. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
auch die Bestellung einer Grunddienstbarkeit i. S. d. § 1018 BGB, wobei die Beteiligten als Teil des dinglichen Rechtsinhalts entweder die Unterlassung einer nach §§ 903 ff. BGB "an sich" erlaubten Einwirkung auf das herrschende Grundstück oder, umgekehrt, die Duldung einer nach §§ 903 ff. BGB "an sich" nicht zu duldenden Einwirkung vom herrschenden Grundstück festlegen können 118. Daß beim Verständnis der Friedenspflicht die hier geschilderte Alternative besteht, ist bislang, soweit ersichtlich, weithin übersehen worden. Wäre es anders, so könnte nämlich kaum zweifelhaft sein, daß die Friedenspflicht - entgegen der h. M. - in Wirklichkeit wohl nur im Sinne der letztgenannten Möglichkeit interpretiert werden kann. Das gilt jedenfalls dann, wenn man an dieser Stelle einmal annimmt 119, daß die h. M. Zustimmung verdient, wenn sie die dogmatische Antwort auf einen verbotenen Arbeitskampf in der Herausarbeitung deliktischer "Verkehrspflichten" auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB sieht 120, statt insoweit - mit einer allerdings an Gefolgschaft gewinnenden Auffassung - auf die Annahme quasivertraglicher Schutzpflichtverletzungen und die Grundsätze der culpa in contrahendo abzustellen 121 . Daß man in der Friedenspflicht eine unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Beteiligten wird erblicken müssen, hätte wohl bereits dann zu gelten, wenn man die rechtliche Grundlage der Friedenspflicht ausschließlich in einer entsprechenden Vereinbarung der Tarifparteien sehen wollte 122 : In diesem Fall vom Vorliegen einer schuldrechtlichen Unterlassungspflicht auszugehen, liefe auf nichts anderes als darauf hinaus, den Parteien zu unterstellen, daß sie zwar für den Fall eines Arbeitskampfs eine vertragliche Schadensersatzersatzpflicht der jeweils anderen Seite bestimmen, deren Arbeitskampffreiheit, auf die sich die vertraglichen Pflichten beziehen, aber unangetastet lassen und folglich eine deliktische Haftung des anderen ausschließen wollten 123 • Diese Sichtweise erscheint, bei 117 Zu derartigen schuldrechtlichen Nutzungsvereinbarungen etwa MünchKomm-Falckenberg § 1018 Rn. 8. 118 Vgl. insoweit insbes. § 1018, 3. Alt. BGB, wonach als Inhalt der Grunddienstbarkeit festgelegt werden kann, daß "die Ausübung eines Rechts ausgeschlossen ist, das sich aus dem Eigenturn an dem belasteten Grundstücke dem anderen Grundstücke gegenüber ergibt". 119 Näher hierzu später Kap. 2 § 6 II. 12o Vgl. insoweit statt aller MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 289 Rn. 4 ff. 121 So insbes. Canaris, Schuldrecht, Bd. II/2, 13. Aufl., 1994, § 81 III. 6, S. 559 f.; in diese Richtung auch schon Seiter, ZfA 1989, 283, 296 f., 298. 122 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Heß/Kamrnann, ArbRdGw Bd. 16 (1979), 45, 48 ff. (zu einem "schuldrechtlichen Arbeitskarnpfrnittelverzicht"). 123 Wollte man die Friedenspflicht, entgegen der hier vertretenen Ansicht, allein auf eine entsprechende Abrede der Beteiligten gründen, so wäre man zu der Annahme gezwungen, daß die Tarifparteien über das Eingreifen der deliktischen Haftung disponieren können. Indes hat dies nichts Befremdliches. Daß insoweit vielmehr keinerlei Bedenken bestehen, läßt sich wiederum an dem bereits oben angesprochenen Beispiel der Beschränkung des Eigenturns durch eine Grunddienstbarkeit mühelos zeigen: So wie der Eigentümer ggf. gegenüber einer bestimmten Person eine Beschränkung seines Grundstückseigenturns hinnehmen muß - und
§ 4 Die Wirkungsweise der Friedenspflicht im Verhältnis der Tarifvertragsparteien
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Licht betrachtet, derart widersinnig, daß sie kaum ernstlich in Betracht gezogen werden kann und zwar um so weniger als geradezu mit Händen zu greifen ist, daß den Tarifparteien selbst in der Regel jedes Verständnis für die oben herausgearbeitete Unterscheidung zwischen der Annahme einer schuldrechtlichen Unterlassungspflicht und der Bejahung einer unmittelbaren Beschränkung des zugrunde liegenden Rechts fehlen dürfte. Nimmt man noch hinzu, daß die deliktische Haftung ohnehin - man denke nur an die unterschiedlichen Voraussetzungen einer Haftung für den Erfüllungsgehilfen gern. § 278 BGB auf der einen und die Haftung für Verrichtungsgehilfen gern. § 831 Abs. 1 BGB auf der anderen Seite- in weitem Umfang hinter der vertraglichen Haftung zurückbleibt 124, dann wird man vollends keinen Grund dafür angeben können, weshalb die Beteiligten eine Haftung aus unerlaubter Handlung ausgeschlossen haben sollten. Noch viel weniger kommt aber die Annahme einer lediglich schuldrechtlichen Unterlassungspflicht in Betracht, wenn man die Friedenspflicht, wie das hier der Fall ist, auf einen ungeschriebenen Satz des objektiven Gesetzesrechts zurückführt. Weshalb der Gesetzgeber den Beteiligten lediglich eine Unterlassungspflicht auferlegt haben sollte, ohne zugleich auch deren Arbeitskampffreiheit einzuschränken und damit in diesem Fall den Anwendungsbereich einer Haftung nach den §§ 823 ff. BGB zu eröffnen-, ließe sich nämlich unter keinen Umständen einsichtig machen. Auch bei Zugrundelegung dieser Sichtweise ist somit von einer unmittelbaren Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des einzelnen Arbeitgebers und nicht lediglich vom Bestehen einer rein schuldrechtlichen Verpflichtung auszugehen125.
dementsprechend etwa auf ein Betreten des Grundstücks durch diese nicht mit den Mitteln des deliktsrechtlichen Eigentumsschutzes reagieren kann -, so bestehen keinerlei Bedenken dagegen, Verbänden die Befugnis einzuräumen, über den Umfang ihrer Arbeitskampffreiheit gegenüber dem anderen Vertragsteil (und nur diesem gegenüber) zu verfügen und damit eine evtl. Haftung aus unerlaubter Handlung auszuschalten. 124 In diesem Zusammenhang ist nur an die Entwicklung der Lehre vom Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte zu erinnern, die bekanntlich auf die Rspr. des RG zurückgeht. Dieses hat in seinen einschlägigen Entscheidungen nach und nach vertragliche Sorgfalts- und Schutzpflichten entwickelt, die nicht dem Vertragspartner gegenüber bestehen, sondern Dritten geschuldet sein sollen; vgl. insoweit nur MünchKomm-Gottwald § 328 Rn. 78. Leitend war dabei die Absicht, dem Dritten die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Schuldners unter dem Gesichtspunkt des § 278 S. 1 BGB zu eröffnen bzw., andersherum gewendet, dem Schuldner die Möglichkeit eines Entlastungsbeweises abzuschneiden, der ihm im Rahmen einer deliktischen Haftung für den Verrichtungsgehilfen nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB offen stünde. 125 Ein derartige Verpflichtung existierte daher nur in dem Umfang, in dem die Friedenspflicht auch als Handlungspflicht, also dahin zu interpretieren ist, daß der Verband mit allen ihm verbandsrechtlich verfügbaren Mitteln auf die Mitglieder mit dem Ziel einzuwirken hat, diese von der Eröffnung oder Weiterführung eines Arbeitskampfs abzuhalten; vgl. insoweit nur Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 667 ff. m. w. Nachw. Dem hier gefundenen Ergebnis entspricht es, daß im Schrifttum die Zuweisung einer Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Tarifparteien zum schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags zuweilen einer gewissen Zu4 WaJJS
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I. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
II. Der friedenspflichtwidrige Arbeitskampf als "rechtswidriger" Arbeitskampf i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB Aus dem eben Gesagten ergibt sich eine für die Dogmatik des Arbeitskampfs außerordentlich bedeutsame Erkenntnis. Diese besteht darin, daß es letztlich keinen Bedenken begegnet, wenn man den friedenspflichtwidrigen Arbeitskampf mit der wohl h. M. sogleich als ,,rechtswidrig" i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB ansieht 126. Mehr noch: es spricht nach den eben angestellten Überlegungen vieles dafür, den friedenspflichtwidrigen Arbeitskampf- nach einer Formulierung im Lehrbuch von Zöllner und Loritz - sogar ganz aus der Verfassungsgarantie des Art. 9 Abs. 3 GG "herauszunehmen" 127. Zwar ist das Unbehagen gegenüber einer "Verschränkung" der Ebenen des Deliktsrechts und des Vertragsrechts durchaus nachvollziehbar, da es sich nun einmal nicht von selbst versteht, daß die vertragsrechtliche Bewertung sogleich auf die Ebene des deliktischen Rechtsgüterschutzes "durchschlagen" soll. Der Vorwurf, der hieraus gegenüber der h. M. abgeleitet wird, daß nämlich eine rein schuldrechtliche Verpflichtung zwischen den Tarifvertragsparteien ohne weiteres zu einer allgemeinen Verhaltenspflicht i. S. d. Deliktsrechts "umgeformt" werde 128, trifft indes nicht zu. Denn ganz abgesehen davon, daß es sich bei der Friedenspflicht keinesfalls um einen "normalen" Vertragsbestandteil, sondern um eine auf (ungeschriebenem) Gesetzesrecht beruhende Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Beteiligten handelt, wirkt sie eben mitnichten als - mittelbare - schuldrechtliche Begrenzung der Befugnis zum Arbeitskampf, sondern beschränkt diese nach den soeben getrofferiickhaltung zu begegnen scheint; vgl. nur Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskarnpfund Schlichtungsrecht, 1997, S. 149, wonach die "objektive Unzulässigkeil des Arbeitskarnpfes" vertragsrechtlich von der relativen Friedenspflicht "aufgegriffen" werde. 126 So schon Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht 11/2,7. Auf!., 1970, § 48 BI. 3, S. 979 (tarifwidriger Arbeitskampf zugleich ein "besonders markanter Anwendungsfall des sozialinadäquaten, deliktischen Arbeitskarnpfes"); so aber etwa auch Löwisch/Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskarnpf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 263, nach denen auch der gegen die tarifliche Friedenspflicht verstoßende Arbeitskampf i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB rechtswidrig sei und der Verstoß gegen die "tarifliche Friedensordnung" auch die "objektive Rechtswidrigkeil (bezeichne), die sich daraus (ergebe), daß der Arbeitskampf eingesetzt wird, obwohl eine tarifliche Regelung schon besteht". 127 Zöllner!Loritz, Arbeitsrecht, 5. Aufl., 1998, S. 458; ebenso Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskarnpf-und Schlichtungsrecht, 1997, S. 18, wonach Arbeitskämpfe, mit denen die Friedenspflicht aus einem bestehenden Tarifvertrag verletzt wird, ,,keinen Verfassungsschutz (genießen)". 128 Dabei ist zu beachten, daß die Widerrechtlichkeit einer Verletzungshandlung durch ein eigenes Recht zum Handeln ausgeschlossen wird; vgl. zum Ganzen nur MünchKomm-Mertens § 823 Rn. 36 ff. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB kann man daher nur bejahen, wenn man annimmt, daß die Befugnis des Arbeitgebers zur Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen im Umfang seiner Bindung an die tarifvertragliche Friedenspflicht unmittelbar entfällt.
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nen Feststellungen unmittelbar mit der Folge, daß der friedenspflichtwidrig Handelnde ohne weiteres einer Haftung aus unerlaubter Handlung ausgesetzt ist. Im Falle eines Verstoßes gegen die Friedenspflicht eine deliktische Haftung anzunehmen ist daher keinesfalls systemwidrig, sondern nur konsequent, ja geradezu unausweichlich: In Wirklichkeit werden dabei nicht Vertragspflichten des Schuldners in von jedermann zu beachtende Verkehrspflichten "umqualifiziert" -, was allerdings in der Tat unzulässig wäre, weil man dabei die Maßstäbe einer rechtlichen Sonderverbindung sogleich für jedermann verbindlich machen würde. Vielmehr stellt die Friedenspflicht eine unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampfbefugnis dar und dementsprechend ist denn auch ein Arbeitskampf, den die Koalition trotz Bestehens der Friedenspflicht führt, einfach deshalb rechtswidrig, weil sie zur Rechtfertigung nicht mehr auf ein eigenes subjektives Recht zum Handeln verweisen kann. Wenngleich somit im Ergebnis der h. M. zuzustimmen ist, die bei einer Verletzung der Friedenspflicht auch§ 823 Abs. 1 BGB heranzieht 129, so ist doch zu unterstreichen, daß die Bedenken, die gegen diese Auffassung immer wieder geäußert werden, alles andere als unberechtigt sind, wenn man ihren eigenen Standpunkt zugrunde legt. Denn unter diesen Umständen kann es in der Tat nicht einleuchten, weshalb eine nach herkömmlichem Verständnis nur die Verbände als Tarifvertragspartner treffende Friedenspflicht nun plötzlich eine ausreichende Grundlage für eine deliktische (!) Haftung des Vertragspartners abgeben soll. Dementsprechend ist es auch durchaus nachvollziehbar, wenn gegenüber der h. M. der Einwand erhoben wird, daß die tarifvertragliche Friedenspflicht zur Grundlage einer deliktischen Haftung gemacht werden solle, ohne den Nachweis dafür anzutreten, daß sich eine derartige Haftung wertungsmäßig ausreichend begrunden läßt. So hat sich beispielsweise Seiter vollkommen zurecht gegen die Auffassung verwahrt 130, daß der friedenspflichtwidrige Arbeitskampf ohne weiteres einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB gleichgestellt und die schuldrechtliche Verpflichtung zwischen den Tarifvertragsparteien auf diesem Weg zu einer allgemeinen Verhaltenspflicht umgeformt werden könne. Vom Boden der hier vertretenen Konzeption aus gesehen - allerdings auch nur von dieser! - versteht sich dieses Ergebnis dagegen geradezu von selbst und somit bleibt abschließend festzuhal129 Vgl. insoweit nur Löwisch/ Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskarnpf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 260 ff., 263. 130 Vgl. insoweit etwa die Nachw. bei Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 507 (u. Fußn. 2). Allerdings führt auch die Auffassung von Seiter selbst, konsequent zu Ende gedacht, zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Denn wenn es richtig ist, daß "die Friedenspflicht eine Schranke für die Ausübung der privilegierten Kampfrechte durch die Arbeitsvertragsparteien" bildet- so Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 508 -, so kann dies nichts anderes bedeuten, als daß sich die Arbeitsvertragsparteien gegenüber der drohenden deliktischen Haftung nicht auf ein eigenes Recht zum Handeln berufen können. Dementsprechend wäre die Situation nicht wesentlich anders, als wenn angenommen würde, daß ein friedenspflichtwidriger Arbeitskampf gegen deliktische Verhaltenspflichten verstößt - , was Seiter aber, wie gesagt, ausdrücklich ablehnt.
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l. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
ten, daß sie sich nicht allein bruchlos in die herrschende deliktsrechtliche Sichtweise einfügt, sondern diese erst von den Widersprüchen befreit, die ihr bislang anhafteten und die sie nach ihren eigenen Prämissen nicht würde ausräumen können. Auch unter diesem Gesichtspunkt erweist sich damit die Überlegenheit der hier entwickelten Lösung, nach der die Friedenspflicht keine rein schuldrechtliche Verpflichtung der Tarifvertragsparteien zum Inhalt hat, sondern eine unmittelbare Begrenzung der Arbeitskampffreiheit der Beteiligten bewirkt.
§ 5 Grundlagen einer "Drittwirkung" der Friedenspflicht Während es oben um die Frage ging, worin die Friedenspflicht ihre rechtliche Grundlage findet und wie sie konstruktiv zu bewältigen ist, soll im folgenden die Frage nach den Drittwirkungen der Friedenspflicht in den Vordergrund des Interesses rücken. Dabei empfiehlt es sich allerdings, die Problematik in ihrer ganzen Breite abzuschreiten und ganz generell zu fragen, welche Wirkungen der Tarifvertrag- mittelbar oder unmittelbar - für die Arbeitskampffreiheit Dritter bzw. die Arbeitskampffreiheit gegenüber Dritten hat.
I. Rechtliche Beschränkungen der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einem Tarifvertrag Nach ganz h. M. soll für den einzelnen Arbeitgeber stets -und d. h. ohne daß es einer entsprechenden Regelung in der Satzung bedürfte - eine körperschaftliche Verpflichtung gegenüber dem Verband bestehen, die dahin geht, im Hinblick auf den Tarifvertrag, den der Arbeitgeberverband mit einer Gewerkschaft abgeschlossen hat, Frieden zu halten bzw. die Durchführung des Tarifvertrags nicht zu stören131. 131 Vgl. insoweit nur Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 669 m. w. Nachw. (u. Fußn. 20); zuweilen ist insoweit sogar von einer "Tarifgebundenheit" der Verbandsmitglieder die Rede; vgl. nur Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht 11/l, 7. Aufl., 1967, § 23 C, S. 497: " ... schuldrechtliche Bindung des Tarifvertrags ergreift nur die Tarifparteien. ( ... ) Wohl aber führen die schuldrechtlichen Bestimmungen zu einer Tarifgebundenheit der Mitglieder gegenüber ihrem Verband(!), der den Tarifvertrag abgeschlossen hat"; vgl. aber etwa auch Konzen, ZfA 1975, 401,418, der im Anschluß an diese ebenfalls von einer "Tarifgebundenheit" spricht. Wörtlich heißt es bei Konzen: "Die Tarifgebundenheit der Verbandsmitglieder an den schuldrechtlichen Teil des Verbandstarifvertrags bleibt auf die körperschaftliche Verpflichtung gegenüber dem eigenen Verband reduziert, diesem die Erfüllung des Tarifvertrages zu ermöglichen". Den Begriff "Tarifgebundenheit" für die Fälle des § 3 TVG reservieren will dagegen etwa Nikisch, Arbeitsrecht II, § 71 I, S. 261 (u. Fußn. l), wo davon die Rede ist, man solle die "Verbands-
§ 5 Grundlagen einer "Drittwirkung" der Friedenspflicht
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1. Körperschaftliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitgeberverband
Das verdient zwar, wie sogleich zu zeigen sein wird, im Ergebnis durchaus Zustimmung. Was die Begründung dieser Behauptung betrifft, so ist allerdings ein wesentlich größerer Aufwand erforderlich, als er bislang in Rechtsprechung und Schrifttum geleistet wurde.
a) Die Konzeption der h. M.
Hueck und Nipperdey, auf die in diesem Zusammenhang sehr häufig verwiesen wird 132, führen zur Begründung einer körperschaftlichen Verpflichtung des Mitglieds gegenüber dem Verband an, daß der "Tarifschluß vereinsrechtlich auf einem Beschluß der Mitgliederversammlung oder einem Willensakt des von ihr durch Satzung oder konkreten Beschluß dazu ermächtigten Vereinsorgans" beruhe und daß dieser "körperschaftliche Willensakt alle Mitglieder dem Verein gegenüber" verpflichte 133• Überdies setze die "im Tarifvertrag übernommene Pflicht der Tarifpartei, Frieden zu halten, den Tarif durchzuführen und die besonderen tariflich vorgesehenen Pflichten der einzelnen durchzusetzen", eine entsprechende körperschaftliche Verpflichtung voraus und demzufolge begründeten "alle Pflichten der Tarifparteien im obligatorischen Teil, die nur unter Mitwirkung der Mitglieder (Handlungen oder Unterlassungen) erfüllt werden könnten, eine körperschaftliche Mitgliederpflicht". Wörtlich heißt es insoweit im Lehrbuch von Hueck und Nipperdey: "Wenn die Mitglieder in ihrer Gesamtheit (das ist der nicht rechtsfähige oder rechtsfähige Verein) sich verpflichten, so ist diese Verpflichtung nur denkbar und sinnvoll, wenn das einzelne Mitglied der Gesamtheit gegenüber verpflichtet ist". Was den Inhalt dieser "körperschaftlichen Verpflichtung" betrifft, so soll diese nach ihrer Auffassung darauf gerichtet sein, daß "die Mitglieder ihren Verband instand setzen, den Tarifvertrag der Gegenseite gegenüber zu erfüllen" 134 .
b) Eigene Konzeption
Diese Überlegungen reichen zur Begründung einer "körperschaftlichen Friedenspflicht" nicht aus. pflicht ... besser nicht als ,Tarifgebundenheit' bezeichnen, sie sei "auch in § 3 TVG nicht gemeint". Ob es wirklich sinnvoll ist, die Kategorie der Tarifgebundenheit zu bemühen, soll hier dahingestellt bleiben. 132 Vgl. Hueck/Nipperdey Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 23 C, S. 497. 133 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 23 CI, S. 497 u. § 21 I. 2a, s. 450. 134 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ l, 7. Aufl., 1967, § 23 CI, S. 497.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Wollte man im Tarifabschluß durch den Arbeitgeberverband wirklich eine Verpflichtung der "Mitglieder in ihrer Gesamtheit" sehen - was zumindest hinsichtlich des rechtsfähigen Vereins 135 offenkundig von vomherein nicht den rechtlichen Gegebenheiten entspricht 136 -, so wäre es nur konsequent, die Mitglieder ggf. gesamtschuldnerisch unmittelbar gegenüber der Gewerkschaft für die Erfüllung der Friedenspflicht einstehen zu lassen. Doch würde damit die Frage einer "körperschaftlichen Verpflichtung", also einer Pflicht des Mitglieds gegenüber dem Verband, automatisch an den Rand des rechtlichen Interesses rücken, da sich die Gewerkschaft als Tarifpartner dann unmittelbar an die Mitglieder des gegnerischen Verbands halten und sich den "Umweg" über diesen von vomherein ersparen könnte. Wer die "Mitglieder in ihrer Gesamtheit" in den Mittelpunkt seiner Argumentation stellt, zielt demzufolge zu weit. Bezieht man dagegen die Friedenspflicht ausschließlich auf den Verband als solchen - und nichts anderes ist ja die Hauptaussage der grundsätzlich auch von Hueck und Nipperdey zugrunde gelegten Verbandstheorie 137 -, so wird man sich nicht der Einsicht entziehen können, daß das Unterlassen "friedensstörender Maßnahmen" durch den Verband (durch Aufruf zum Arbeitskampt) etwas grundlegend anderes ist, als das Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen durch dessen Mitglieder. Davon, daß eine Verpflichtung der Mitglieder Voraussetzung der Erfüllbarkeit der gegen den Verband gerichteten Forderung wäre, könnte demzufolge keine Rede sein. Allerdings mag es unter diesen Umständen "denkbar und sinnvoll" sein anzunehmen, daß das einzelne Mitglied dem gegnerischen Verband gegenüber verpflichtet ist. Doch käme man auch unter diesem Gesichtspunkt noch immer nicht entscheidend weiter, da die Behauptung, daß "alle Pflichten der Tarifparteien im obligatorischen Teil, die nur unter Mitwirkung der Mitglieder erfüllt werden könnten", eine entsprechende körperschaftliche Verpflichtung voraussetzten, für sich genommen nichts anderes darstellt, als einen Schluß vom Außenverhältnis zwischen dem Verband und seinen Tarifvertragspartnern auf das Innenverhältnis zwischen Verband und Mitglied. Dieser Schluß ist indessen unzulässig, wie sich insbesondere daran zeigt, daß ganz allgemein stets streng zwischen der Geschäftsführung im Innenverhältnis und der Vertretung des Verbands im Außenverhältnis unterschieden werden muß 138 . Bliebe man daher hierbei stehen, so ließe sich nur konstatieren, daß es an einer ausreichenden Begründung für eine Pflicht des Mitglieds gegenüber dem Verband fehlt.
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hen.
Den Hueck und Nipperdey insoweit, wie soeben gezeigt wurde, ausdrücklich einbezie-
136 Und auch für den nichtrechtsfähigen Verein nicht zutrifft; zu dessen Haftungsverfassung vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1997, S. 751 ff. 137 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, 7. Aufl., 1967, § 38 I, S. 700: "Schuldner sind immer nur die Tarifparteien"; ebenso etwa Wiedemann/ Stumpf§ 1 Rn. 328. 138 V gl. insoweit nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1997, S. 179 f.
§ 5 Grundlagen einer "Drittwirkung" der Friedenspflicht
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aa) Verbandsrechtliche Förderpflicht Will man sich nun aber mit diesem Befund nicht zufrieden geben und trotz der skizzierten Schwierigkeiten das Bestehen einer "körperschaftlichen Verpflichtung" des Arbeitgebers gegenüber dem Verband begründen, so liegt ein möglicher Ansatzpunkt darin, diese schlicht aus der verbandsrechtlichen Loyalitätspflicht abzuleiten, die bei allen frei gebildeten Personenvereinigungen des Zivilrechts besteht139 und aufgrundder sich für jedes Mitglied eines Verbands die Pflicht ergibt, das Erreichen des Verbandszwecks aktiv zu fördern (aktive Förderpflicht) sowie, und darum ginge es wohl im vorliegenden Zusammenhang, jedes Verhalten zu unterlassen, das den Verbandszweck schädigt oder das Ansehen des Verbands beeinträchtigt (passive Förderpflicht) 140• In der Tat wird man kaum umhin können, die Voraussetzungen eines Verstoßes gegen die passive Förderpflicht zu bejahen, wenn der Arbeitgeber "auf eigene Faust" Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Ziel ergreift, die Beendigung oder Änderung eines bestehenden Verbandstarifvertrags zu erreichen 141 • Geradezu mit Händen greifen ließe sich die Störung des Verbandszwecks durch den Arbeitgeber - und damit das Vorliegen einer ihm zur Last fallenden Verletzung seiner Förderpflicht gegenüber dem Verband -, wenn man argumentieren könnte, daß das Ergreifen von Kampfmaßnahmen durch den Arbeitgeber geeignet sei, die Fähigkeit des Verbands zum Abschluß von Tarifverträgen entfallen zu lassen. Das wäre auch keineswegs allzu weit hergeholt. Denn nach der Rechtsprechung des BAG ist die Tariffähigkeit gern. § 2 Abs. 1 TVG u. a. an die Voraussetzung geknüpft, daß ein Verband das bestehende Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht anerkennt 142• Vor diesem Hintergrund kann man aber durchaus auf den Ge-
139 Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Auf!., 1997, S. 588 ff. Auch§ 705 BGB ist nichts anderes als eine spezifische Ausprägung der allgemeinen Treuepflicht; zu "Rechtsformunterschieden" bei der Treuepflicht; S. 590 ff. 140 Allg. hierzu etwa Reichertfvon Look, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 8. Auf!., 2001, S. 209 ff.; auch MünchArbR-Löwisch/ Rieble, 2. Auf!., 2000, § 254 Rn. 40 f. 141 So etwa auch Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 357 f.; zur Bedeutung der Förderpflicht für die Mitglieder einer Gewerkschaft etwa Anderson, Die verbandsrechtliche Stellung des Gewerkschaftsmitglieds im Streik, 1989, s. 23 ff. 142 Zwar ist in der Rspr., soweit ersichtlich, stets nur davon die Rede, daß eine Vereinigung das geltende "Tarif- und Schlichtungsrecht" oder auch nur das "geltende Tarifrecht" als "für sich verbindlich anerkennen" müsse, um Koalition zu sein - vgl. insoweit die Übersicht bei Kempen/Zachert § 2 Rn. 52-, doch wird man diese Aussage o. w. auf das Arbeitskampfrecht erstrecken dürfen. Zur Anerkennung des staatlichen Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts als Erfordernis der Tariffähigkeit auch MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Auf!., 2000, § 255 Rn. 23. Darüber hinaus ließe sich evtl. auch fragen, wie es um die "demokratische Organisation" eines Verbandes steht, in dem Mitglieder - ggf. unter Duldung durch die Verbandsorgane - durch das Ergreifen von Maßnahmen des Arbeitskampfs mittelbar, nämlich über den Tarifpartner des Verbands, Druck auf die innerverbandliehe Willensbildung ausüben
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I. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
danken verfallen zu fragen, ob nicht im Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen durch die Mitglieder eine Mißachtung der Regeln über den Arbeitskampf liegt -, eine Mißachtung, die geeignet sein könnte, die Fähigkeit des Arbeitgeberverbands zum Abschluß von Tarifverträgen zu beeinträchtigen. Allerdings wäre auf diesem Wege wohl nur dann weiterzukommen, wenn entweder das Verhalten der Verbandsmitglieder dem Verband zurechenbar wäre 143 oder wenn sich aus der Friedenspflicht des Tarifvertrags entsprechende Verpflichtungen der einzelnen Arbeitgeber ergeben würden, deren Mißachtung für den Vorwurf einer Nichtanerkennung des geltenden Tarif-, Schlichtungs- und insbesondere auch Arbeitskampfrechts genügte144. Den damit aufgeworfenen Fragen soll hier indes nicht weiter nachgegangen werden, so daß an dieser Stelle noch offen bleiben muß, ob sich auf dem eben aufgezeigten Wege ggf. eine körperschaftliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Verband begrunden ließe. Das aber ist unschädlich, da sich, wie nunmehr zu zeigen ist, aus der Förderpflicht selbst dann eine körperschaftliche Friedenspflicht des Mitglieds gegenüber dem Verband herleiten läßt, wenn man die zuletzt angesprochenen Erwägungen einmal außer Betracht läßt. Auch ohne daß man so weit ginge, dadurch sogleich die Tariffähigkeit des Verbands als beeinträchtigt anzusehen, ist nämlich festzustellen, daß ein Mitglied dem Verbandszweck zuwiderhandelt, wenn es "eigenmächtig" Maßnahmen des Arbeitskampfs ergreift. Das wird ohne weiteres deutlich, wenn man sich klarmacht, daß die Bereitschaft einer Koalition zum Abschluß von Tarifverträgen mit einem anderen Verband in hohem Maße davon abhängig sein wird, ob dieser bereit und in der Lage ist, Arbeitskampfmaßnahmen seiner Mitglieder, die gegen den Tarifvertrag gerichtet sind, zu unterbinden, ob er also mit anderen Worten die Bereitschaft "mitbringt" und die Fähigkeit besitzt, den Bestand des Tarifvertrags gegen Angriffe "aus den eigenen Reihen" zu sichern. Erkennt man, umgekehrt gewendet, die Gefahr, daß infolge derartiger "Angriffe" die Bereitschaft zur Vereinbarung von Tarifverträgen auf Seiten des gegnerischen Verbands schwinden könnte, bestehende "laufende Tarifbeziehungen" 145 zwischen den Verbänden Schaden nehmen und potentielle Tarifpartner vom Abschluß von Tarifverträgen "abgeschreckt" werden könnten 146, so läßt sich wohl nicht mehr leugnen, daß Kampfmaßnahmen einzelner
mit dem Ziel, die zuständigen Verbandsorgane zu einer Änderung oder Beendigung des Tarifvertrags zu veranlassen. 143 Etwa unter dem Gesichtspunkt, daß die Mitglieder insoweit "im Geschäftskreis" des Verbands gehandelt haben; vgl. zu einem entsprechenden Fall aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Auf!., 1997, S. 1426 f. 144 Wobei zu bedenken wäre, daß der aus dem Tarifvertrag sich ergebenden Verpflichtung des Arbeitgebers nicht notwendigerweise ein Erfüllungsanspruch der Gewerkschaft entsprechen muß. 145 Vgl. in diesem Zusammenhang nur Arnold, Die tarifrechtliche Dauerrechtsbeziehung, 1996. 146 Das gilt ganz besonders, aber keineswegs nur, aus Arbeitgebersicht, wie etwa daran deutlich wird, daß die Erfüllung der Friedenspflicht durch die Gewerkschaftsmitglieder nicht
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Mitglieder durchaus geeignet sind, den auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichteten Verbandszweck u. U. sogar empfindlich zu stören 147 • Ganz abgesehen davon können gegen den Verbandstarifvertrag gerichtete Arbeitskampfmaßnahmen des einzelnen nur so verstanden werden, daß das Mitglied die darin enthaltenen Regelungen nicht oder jedenfalls nicht mehr in vollem Umfang anerkennt. Allermindestens wird man aber sagen müssen, daß ein Arbeitgeber die vorangegangene Tarifpolitik des Verbands kritisiert, wenn er Arbeitskampfmaßnahmen ergreift, die auf eine Änderung des bestehenden Verbandstarifvertrags abzielen. Kritik an der Vereinspolitik bildet indes einen ganz besonders wichtigen Bereich möglicher Verletzungen der Loyalitätspflicht, wobei vorliegend zu beachten ist, daß der Arbeitgeber mit ihr (notwendigerweise) an die Öffentlichkeit tritt und damit den Raum der innerverbandliehen Willensbildung verläßt 148• Auch unter diesem Gesichtspunkt zeigt sich somit, daß der Arbeitgeber gegen die Treuepflicht verstößt, wenn er mit dem Ziel einer Beendigung oder Änderung des Verbandstarifvertrags in einen Arbeitskampf eintritt.
bb) "Körperschaftlicher Willensakt" Das Bestehen einer "körperschaftlichen Friedenspflicht" ergibt sich aber auch noch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt. Obwohl die oben angeführten Erwägungen von Hueck und Nipperdey nur teilweise überzeugen können, ist ihnen nämlich jedenfalls insoweit zu folgen, als sie eine Verpflichtung der Mitglieder gegenüber dem Verein aus dem ,,körperschaftlichen Willensakt" herleiten wollen, der dem Tarifabschluß verbandsrechtlich vorgelagert ist. Anzusetzen ist insoweit einerseits bei der Unterscheidung zwischen dem Abschluß des Tarifvertrags als solchem und dem diesem vorausliegenden Beschluß oder (anderweitigen) "Willensakt" und andererseits bei der Differenzierung danach, ob der Abschluß des Tarifvertrags auf einem Beschluß der Mitgliederversammlung oder einem "Willensakt des von ihr durch Satzung oder konkreten Beschluß dazu ermächtigten Vereinsorgans" beruht. Ist das erstere der Fall, so ist das Bestehen einer "körperschaftlichen Verpflichtung" des Mitglieds verhältnismäßig unproblematisch. Auch wenn die rechtsdogmatische Einordnung des Beschlusses zwischen Vertrag, "Gesamtakt", kollektivem selten geradezu als "Gegenleistung" für die Zugeständnisse der Arbeitgeber betrachtet wird; krit. allerdings Däubler; Tarifvertragsrecht, 3. Auf!., 1993, S. 273 f.; auch Hensche, RdA 1971, 9, 15 f. 147 Vgl. in diesem Zusammenhang auch BAG v. 31. 10. 1995, AP Nr. 140 zu Art. 9 GG Arbeitskampf ("... Verantwortung für Abschluß und Inhalt des Tarifvertrags kann nur tragen, wer auch in der Lage ist, die hierauf gerichteten Arbeitskampfmaßnahmen zu steuern"). 148 Vgl. insoweit etwa Reichert/van Look, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 8. Auf!., 2001, S. 212m. w. Nachw.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Willensakt sui generis etc. noch immer gewisse Schwierigkeiten macht 149, steht nämlich immerhin so viel fest, daß er eine rechtsgeschäftliche oder jedenfalls rechtsgeschäftsähnliche Bindung des einzelnen erzeugt. In der Tat entspricht es allgemeinen Grundsätzen des Verbandsrechts, daß ein Mitglied dem Verband gegenüber an alle Beschlüsse gebunden ist, die in Verbandsangelegenheiten unter seiner Beteiligung gefaßt wurden 150. Rechtspraktisch betrachtet ist damit allerdings noch nicht allzu viel gewonnen, da die Entscheidung über den Abschluß oder Nichtabschuß eines Tarifvertrags, wenn überhaupt, dann nur in extremen Ausnahmefällen der Mitgliederversanunlung zur förmlichen Beschlußfassung vorgelegt wird 151 • Statt dessen entscheiden in der Regel die in der Satzung hierfür vorgesehenen Verbandsorgane 152, wobei u. U. speziell für diesen Zweck erweiterte Ausschüsse gebildet werden, die bei der Beschlußfassung mitwirken 153 • Ist das der Fall, so fällt es bedeutend schwerer, eine Bindung des einzelnen Mitglieds anzunehmen, wie sie Hueck und Nipperdey vorschwebt; jedenfalls läßt sie sich dann aber nicht mehr einfach auf die Erwägung stützen, daß ein Verbandsmitglied an jeder Entscheidung festzuhalten ist, an der es selbst beteiligt war. Dennoch ist Hueck und Nipperdey auch insoweit zu folgen. Denn ein Mitglied muß Entscheidungen der zuständigen Verbandsorgane gegen sich gelten lassen und zwar ganz einfach deshalb, weil das Organ nach der Satzung, der sich das Mitglied "unterworfen" hat, gegenüber diesem befugt ist, die Entscheidung zu treffen. Ergreift ein einzelner Arbeitgeber Maßnahmen des Arbeitskampfs mit dem Ziel, eine Beendigung oder Änderung des Verbandstarifvertrags zu erreichen, so ist das aber nichts anderes als der Versuch, die Entscheidung des zuständigen Verbandsorgans nachträglich zu revidieren, also, in die Kategorien des Verbandsrechts übersetzt, die Anmaßung einer Befugnis, die Geschäfte des Verbands zu führen. Macht man sich das klar, so liegt es geradezu auf der Hand, daß insoweit verbandsintern eine Pflicht des Arbeitgebers angenommen werden muß, Maßnahmen die gegen den Verbandstarifvertrag gerichtet sind, zu unterlassen 154. 149 Vgl. nur MünchKomm-Reuter § 32 Rn. 17; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1997, s. 442 ff. 150 Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1997, S. 442. 151 Vgl. zum Ganzen etwa Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 348 ff. (Gewerkschaftsseite) bzw. 352 (Arbeitgeberseite); auch Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, 1990, S. 160 ff. 152 Insoweit ist allerdings zu beachten, daß auf Gewerkschaftsseite i. d. R. eine Pflicht zur Durchführung einer Urabstimmung besteht; vgl. insoweit nur LöwischlRieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 349. 153 Vgl. insoweit nur Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 352 u. Hinw. auf die Satzung des Verbandes der Metallindustrie BadenWürttemberg, nach der die Befugnis zur Entscheidung über eine evtl. Aussperrung einem erweiterten Ausschuß, dem sog. Mitgliederrat, überantwortet ist. 154 Da somit eine ,,körperschaftliche Friedenspflicht" sowohl unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die verbandliehe Förderpflicht als auch unter dem Gesichtspunkt einer
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Im Ergebnis kann man daher festhalten, daß die h. M. zurecht von einer "körperschaftlichen Verpflichtung" ausgeht, aufgrund der das einzelne Verbandsmitglied gegenüber dem Verband zur Friedenswahrung verpflichtet ist155 • Daraus ergibt sich übrigens zugleich, daß die Arbeitgeber auch untereinander in entsprechender Weise gebunden sind 156. Denn nach h. M. sind die Mitglieder von Vereinen nicht nur im Verhältnis zum Verein selbst, sondern auch im Verhältnis zu den anderen Vereinsmitgliedern verpflichtet, die gemeinsamen Ziele des Vereins zu fördern und alles zu unterlassen, was den Vereinszweck gefährdet 157. Bejaht man aber eine gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder, so ergibt sich in praktischer Hinsicht die nicht unwichtige Konsequenz, daß nicht nur der Verband selbst, sondern ggf. auch jedes Verbandsmitglied Unterlassung verlangen kann, wenn ein verbandsangehöriger Arbeitgeber Maßnahmen des Arbeitskampfs ergreift, die gegen den Bestand des Verbandstarifvertrags gerichtet sind 158.
unzulässigen Anmaßung von Geschäftsführungsbefugnissen zu bejahen ist, ließe sich die Frage stellen, in welchem Verhältnis diese beiden Begründungen zueinander stehen. Dabei mag es nahe liegen anzunehmen, daß die zuerst angesprochene Begründung weiter reicht als die zuletzt genannte. Bedenkt man nämlich, daß die Geschäftsführungsbefugnis eines Verbandsorgans an die Zustimmung eines anderen Organs gebunden sein kann - vgl. hierzu etwa MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 256 Rn. 15 - ,so besteht durchaus die Möglichkeit, daß ein Organ, das über den Abschluß des Tarifvertrags entschieden hat, dem Mitglied gegenüber hierzu nicht berechtigt war. Unter diesen Umständen scheint man aber auf den ersten Blick nur auf dem Wege der Annahme einer Verletzung der Förderpflicht weiterzukommen, wenn der Arbeitgeber Arbeitskampfmaßnahmen ergreift. Bei näherem Hinsehen ergibt sich indes in einem solchen Fall durchaus auch unter dem Gesichtspunkt einer Nichtbeachtung der Geschäftsführungsbefugnisse das Bestehen einer ,,körperschaftlichen Verpflichtung" des Mitglieds. Denn auch wenn ein Verbandsorgan die Grenzen seiner Geschäftsführungsbefugnis überschritten haben mag - indem es ein Zustimmungserfordernis unbeachtet gelassen hat-, so heißt das noch nicht, daß das Mitglied die Geschäftsführung deshalb sogleich "in die eigenen Hände nehmen" dürfte. Beide Begründungen führen demzufolge insoweit zu demselben Ergebnis. Iss Zur "Verbandswidrigkeit" der "wilden" Aussperrung auch BAG v. 21. 8. 1980, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf m. Anm. v. Löwisch/Mikosch; vgl. auch Seiler, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 339 ff.; Schlüter, in: Brox/Rüthers (Hg.), Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982, S. 289 ff., 296 ff. IS6 Vgl. zu diesen "wechselseitigen Schutz- und Rücksichtspflichten" etwa Lutter, AcP 180 (1980), 84, 127. Bei nichtrechtsfähigen Verbänden wird man davon ausgehen müssen, daß die entsprechenden Rechtsbeziehungen überhaupt nur zwischen den Mitgliedern selbst bestehen; vgl. insoweit ders., AcP 180 (1980), 84, 98. IS7 So etwa Reichert/van Look, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 8. Aufl., 2001, s. 213. ISS Allg. hierzu Lutter, AcP 180 (1980), 84, 128; dort auch zu der- kontrovers diskutierten - Frage, ob und inwieweit ein Mitglied im Fall der Verletzung seiner rechtlich geschützten Interessen durch ein anderes Mitglied Schadensersatz von diesem verlangen kann.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
2. Unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft aufgrund Rechtsgeschäfts
Herrscht somit in Rechtsprechung und Schrifttum insoweit zurecht weitgehende Übereinstimmung, als der einzelne Arbeitgeber gegenüber dem Verband an eine "körperschaftliche Friedenspflicht" gebunden ist, so besteht darüber hinaus auch darin weitgehende Einigkeit, daß Verbände nicht ohne weiteres als befugt gelten können, eine unmittelbare Friedenspflicht ihrer Mitglieder gegenüber der Gewerkschaft zu begründen. So heißt es etwa bereits bei Hueck und Nipperdey: "Die Mitglieder der Tarifparteien sind den schuldrechtlichen Bestimmungen nicht in dem Sinne unterworfen, daß sie der Gegenseite oder gar deren Mitgliedern gegenüber rechtlich verpflichtet werden. Einen Vertrag zu Lasten Dritter gibt es nach geltendem Recht nicht" 159. Dem ist auch vom hier vertretenen Standpunkt aus voll zuzustimmen160.
a) Unmittelbare Verpflichtung des verbandsangehörigen Arbeitgebers aufgrund Vertretung
Von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Tarifparteien eine unmittelbare Friedenspflicht ihrer Mitglieder gegenüber einem Tarifpartner begründen können, ist natürlich das ganz andere Problem zu unterscheiden, ob ein Verband daran gehindert ist, seine Mitglieder rechtsgeschäftlich gegenüber der Gewerkschaft "zum Frieden" bzw. zum Unterlassen des Ergreifens von Arbeitskampfmaßnahmen zu verpflichten. Diese Frage läßt sich ohne weiteres verneinen: gegen die Herbeiführung rechtlicher Drittwirkungen bestehen keinerlei Bedenken, wenn diese aufgrund eines wirksamen Vertretungsverhältnisses zwischen Verband und Mitglied gegenüber dem letzterem legitimiert sind, zumal nichts dafür ersichtlich ist, weshalb ein Verband nicht als Vertreter seiner Mitglieder sollte auftreten können. Verspricht also ein Verband (durch die zuständigen Verbandsorgane) im Namen seiner Mitglieder161, daß diese keine gegen den Tarifvertrag gerichteten Arbeitskampfmaßnah159 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Auf!., 1%7, § 23 C I, S. 497; ebenso etwa Lieber, Die Friedenspflicht im Tarifvertrage, 1931, S. 43; auch Heckelmann, DB 1970, 158, 158; aus der Rspr. BAG v. 17. 12. 1958, AP Nr. 3 zu§ 1 TVG Friedenspflicht (u. 4. d. Grde); krit. mit Blick auf die Rechtsposition des verbandsangehörigen Arbeitgebers allerdings etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1081; gegen diesen ausdrücklich Henssler, ZfA 1998,517,537. 160 Für die Anerkennung unmittelbarer Ansprüche der Gewerkschaften gegen den einzelnen verbandsangehörigen Arbeitgeber aber etwa Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Auf!., 1993, S. 584 m. w. Nachw.; zum Ganzen auch Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 727. Von der rechtlichen Beurteilung von Verträgen zu Lasten Dritter ist ggf. die Beurteilung sog. "Verträge mit Lastwirkung für Dritte" zu unterscheiden; vgl. hierzu nur ders., in: Wiedemann, § 1 Rn. 659 m. w. Nachw.
§ 5 Grundlagen einer "Drittwirkung" der Friedenspflicht
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men ergreifen werden, und besteht insoweit eine auf einer entsprechenden Bevollmächtigung beruhende Vertretungsmacht des Verbands i. S. d. § 164 Abs. 1 BGB, so sind die Mitglieder an eine unmittelbare Friedenspflicht gegenüber dem Tarifpartner des Verbands gebunden 162• Auch in diesem Punkt ist man sich in Rechtsprechung und Schrifttum einig 163 .
b) Unmittelbare Verpflichtung des verbandsangehörigen Arbeitgebers aufgrundeiner Ausübung der tariflichen Rechtsetzungsmacht
Fragen ließe sich allerdings, ob eine unmittelbare Verpflichtung des Mitglieds wirklich nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn die Voraussetzungen eines wirksamen Vertreterhandeins gegeben sind. Auf diese kann es nämlich nur ankommen, wenn sich eine Verpflichtung des Mitglieds gegenüber der Gewerkschaft nicht bereits im Wege einer Ausübung der tariflichen Rechtsetzungsmacht der Verbände begriinden ließe. Die Frage lautet somit, ob es der Annahme einer rechtsgeschäftliehen Vertretung der Mitglieder durch die tariffähige Koalition, insbesondere aber der Annahme einer rechtsgeschäftliehen Bevollmächtigung der Koalition durch ihre Mitglieder, überhaupt bedarf. Diese Frage ist zu bejahen. Denn § 1 Abs. 1 TVG, auf den bei der Bestimmung des Umfangs der tariflichen Rechtsetzungsmacht in erster Linie abzustellen ist, spricht nur davon, daß im Tarifvertrag "Rechtsnormen" enthalten sein können, die "den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen". Die Begründung einer Friedenspflicht des Mitglieds unmittelbar gegenüber der Gewerkschaft läßt sich aber ersichtlich keiner dieser Materien zurechnen -, ganz abgesehen davon, daß sie nach allgemeiner Auffassung nicht auf einer "Rechtsnorm", zumindest aber nicht auf einer tariflichen "Rechtsnorm", beruht 164. Und soweit in§ 1 Abs. 1 TVG 161 Vereinzelt wird bekanntlich auch eine Verpflichtungsermächtigung für zulässig gehalten; so Bettermann, JZ 1951, 321. Damit würde für die Herbeiführung einer unmittelbaren Verpflichtung des Mitglieds dem anderen Verband gegenüber auch ein Handeln der Verbände im eigenen Namen genügen. Indes ist eine derartige Verpflichtungsermächtigung abzulehnen, da sie dem in § 164 Abs. 2 BGB niedergelegten Offenkundigkeitsprinzip widerspricht; vgl. zur ganz h. M. nur MünchKomm-Gottwald § 328 Rn. 143. 162 Eine sich hieran anknüpfende Frage geht allerdings dahin, ob und inwieweit der bevollmächtigte Verband evtl. von seiner Vertretungsmacht gleichmäßigen Gebrauch zu machen hat und ob er bei deren Ausübung insbes. an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz gebunden ist. Kann der Verband also, wenn ihm alle Mitglieder insoweit Vertretungsmacht eingeräumt haben, die Begründung einer unmittelbaren Friedenspflicht auf bestimmte Mitglieder beschränken oder kann er entweder nur alle oder keines der Mitglieder binden? Die Frage soll indes im vorliegenden Zusammenhang nicht vertieft werden. 163 Vgl. insoweit nur Wiedemann/Stumpf§ 1 Rn. 316. 164 Nicht o. w. verständlich daher Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1081: ,,Nichts hindert die Tarifparteien, die Friedenspflicht durch Inhaltsnormen (!)auf die Arbeitnehmer oder bestimmte Gruppen von ihnen ... zu erstrecken".
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
dariiber hinaus auch noch von "Rechten und Pflichten" die Rede ist, enthält die Regelung die Einschränkung, daß es sich um Rechte und Pflichten "der Tarifvertragsparteien" handeln müsse. Das legt indessen den Schluß nahe, daß insoweit nur gegenseitige Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien (und nicht auch drittwirkende Rechte und Pflichten) in Rede stehen und somit muß es dabei bleiben, daß die tarifvertragliche Begründung einer unmittelbaren Friedenspflicht im obigen Sinne nicht in Betracht kommt. An diesem Ergebnis vermag es auch nichts zu ändern, wenn man mit einer verbreiteten Auffassung nicht § 1 Abs. 1 TVG, sondern Art. 9 Abs. 3 GG als maßgebliche Delegationsnorm für die tarifliche Rechtsetzungsmacht ansieht und dementsprechend für die Ermittlung des Umfangs der Tarifmacht nicht auf die einfachgesetzliche Bestimmung des § 1 Abs. 1 TVG, sondern unmittelbar auf die grundrechtliche Gewährleistung selbst abstellt 165 • Denn die Begründung einer unmittelbaren Friedenspflicht ist als solche wohl keine Regelung im Bereich der "Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen", sondern steht nur im Dienste einer derartigen Regelung. Und auch der Zusammenhang, der zwischen Friedenspflicht und materieller Regelung unzweifelhaft besteht, dürfte schwerlich geeignet sein, etwa unter dem Gesichtspunkt einer evtl. Annexkompetenz 166 eine entsprechende Rechtsetzungsmacht der Tarifparteien zu begründen, da- insbesondere auchangesichtsder herrschenden Tarifpraxis, die nun einmal keine unmittelbare Friedenspflicht des verbandsangehörigen Arbeitgebers kennt - niemand wird behaupten können, daß es die Regelung der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" geradezu unabweisbar erscheinen lasse, den Tarifpartnern auch die Möglichkeit einzuräumen, ihre Mitglieder einer Friedenspflicht gegenüber der anderen Seite zu unterwerfen 167 • Damit entfällt indes jede Möglichkeit, die Begründung einer unmittelbaren Friedenspflicht aufgrund einer entsprechenden Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG der Rechtsetzungsbefugnis der Tarifparteien zuzuweisen, da die Koalitionsfreiheit nicht ohne jede Einschränkung geschützt ist 168 und dem Gesetzgeber dementsprechend in weitem Umfang eine Ausgestaltungsbefugnis zukommt, deren Grenzen er mit der Regelung des § 2 Abs. I TVG nicht überschritten hat 169• § 2 Abs. I TVG gibt aber, um dies nochmals ausdrücklich zu sagen, eine Befugnis der Tarifvertragsparteien zur Begründung einer unmittelbaren Friedenspflicht nicht her. Vgl. hierzu Wiedemann/StumpfEin!. Rn. 159m. w. Nachw. Nach h. M . begründet Art. 9 Abs. 3 GG auch eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs in dem Sinne, daß die ausdrückliche Kompetenzzuweisung stets auch alle Hilfszuständigkeiten umfaßt, die zur effektiven Ausübung der explizit verliehenen Aufgabe notwendig sind; vgl. auch insoweit Wiedemann/StumpfEin!. Rn. 160m. w. Nachw. 167 An dieser Stelle ist überdies darauf aufmerksam zu machen, daß die Friedenspflicht ihrem sachlichen Gehalt nach eine Grundrechtsbeschränkung darstellt- so Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 276 -, ein Umstand, der es ebenfalls als nicht angezeigt erscheinen läßt, eine entsprechende Rechtsetzungsbefugnis der Tarifparteien vorschnell zu bejahen. 168 Überblicksweise hierzu MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 284 Rn. 6 ff. m. w. Nachw. 169 Vgl. hierzu statt aller MünchArbR-Löwisch!Rieble, 2. Auf!., 2000, § 246 Rn. 50 u. 83. 165
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Dieses Ergebnis sollte auch nicht überraschen. Die Verbände haben, wie gesehen, durchaus die Möglichkeit, ihre Mitglieder unmittelbar zu verpflichten -, sofern sie nur im erforderlichen Umfang von diesen bevollmächtigt wurden. Demzufolge ginge es hier darum, eine originäre Befugnis des Verbands zur Herbeiführung von Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu begründen, die in der Sache auf nichts anderes als darauf hinausliefe, gegenüber den Mitgliedern eines Tarifverbands bereits aufgrund objektiven Rechts zum Bestehen einer entsprechenden Vertretungsmacht zu kommen, ohne auf die Voraussetzungen einer rechtsgeschäftliehen Stellvertretung - und d. h. hier insbesondere: ohne auf die Voraussetzungen einer wirksamen Bevollmächtigung - achten zu müssen. Doch besteht hierfür keinerlei Bedürfnis und zwar um so weniger, als die Vertretungsmacht des Vorstands eines Vereins gern. § 26 Abs. 2 BGB grundsätzlich unbeschränkt ist 170. Eine unmittelbare Friedenspflicht im Wege einer Ausübung der tariflichen Rechtsetzungsmacht zu begründen, muß daher ausscheiden 171 .
3. Unmittelbare Verpflichtung kraft objektiven Rechts als Haftung der Mitglieder des Arbeitgeberverbands
Allerdings sind die Möglichkeiten zur Herleitung einer unmittelbaren Friedenspflicht des Mitglieds gegenüber dem gegnerischen Verband damit noch nicht erschöpft. Bedenkt man nämlich, daß jedenfalls die Tarifvertragsparteien nach allgemeiner Auffassung an eine Friedenspflicht aus dem Tarifvertrag gebunden sind, so liegt nichts näher als die Frage, ob das einzelne Mitglied insoweit nicht eine Einstandspflicht gegenüber dem gegnerischen Verband trifft. Statt zu untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verband bzw. das für diesen handelnde Organ befugt ist, ein Mitglied der Friedenspflicht des Tarifvertrags zu "unterwerfen", ließe sich mit anderen Worten auch fragen, ob sich eine derartige Verpflichtung des Mitglieds nicht möglicherweise ganz einfach daraus ergibt, daß dieses ggf. für die Erfüllung der Verbindlichkeiten seines Verbands einzustehen hat. Auch auf diesem Wege läßt sich allerdings eine unmittelbare Friedenspflicht des Verbandsmitglieds nicht begründen. Zunächst ist nicht daran vorbeizukommen, daß das Mitglied eines Vereins nach ganz h. M. gerade keine persönliche Haftung für dessen Verbindlichkeiten trifft, wobei es bekanntlich keinerlei Unterschied macht, ob es sich um einen rechtsfähigen oder um einen nicht rechtsfähigen Verein handelt 172• Vgl. hierzu etwa MünchKomm-Reuter § 26 Rn. 12 ff. Vgl. insoweit nur Wiedemann/Stumpf§ 1 Rn. 316: ,,Nach einhelliger Auffassung können Pflichten anderer, am Vertrag nicht beteiligter Personen ohne Vertretungsmacht nicht begründet werden"; anders allerdings Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1081, der, wenngleich offenbar nur mit Blick auf die Arbeitnehmerseite, eine "Erstrekkung" der Friedenspflicht für unbedenklich hält. 172 Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Auf!., 1997, S. 725,753. 170 171
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Selbst wenn es aber anderes wäre und wenn das einzelne Mitglied im Hinblick auf Verbindlichkeiten des Verbands eine Erfüllungshaftung träfe 173 , so ließe sich doch noch immer nicht begründen, daß das einzelne Mitglied gegenüber der Gewerkschaft unmittelbar verpflichtet ist. Denn ganz gleich wie man den Inhalt der Friedenspflicht im einzelnen bestimmen will, in jedem Falle handelt es sich dabei im wesentlichen um eine Pflicht, die darauf gerichtet ist, etwas zu unterlassen 174. Bei Unterlassungspflichten ist es aber für den Inhalt der Schuld niemals unerheblich, welche Person verpflichtet ist, da sie "naturgemäß" auf unvertretbare Handlungen gerichtet sind. Das bedeutet, daß es in jedem Falle ausgeschlossen ist, das Verbandsmitglied auf Erfüllung der Verbindlichkeit des Verbands haften zu lassen: das Unterlassen friedenspflichtwidriger Maßnahmen durch den Arbeitgeber (die Aussperrung der Arbeitnehmer) ist nun einmal etwas grundlegend anderes als die Unterlassung friedenspflichtwidriger Maßnahmen durch den Verband (die "Anstiftung" zur Aussperrung). Die Annahme einer Erfüllungshaftung muß somit ausscheiden, wenn die Schuld des Verbandsmitglieds einen völlig anderen Inhalt hätte, als die Verbindlichkeit des Verbands selbst. Auch kann keine Rede davon sein, daß der Verband neben der Unterlassung eigener "Friedensstörung" stets auch die Unterlassung von "Friedensstörungen" durch seine Mitglieder schulde und daß diese im Hinblick auf das letztgenannte Versprechen eine Einstandspflicht treffe. Gerade weil die Pflicht, etwas zu unterlassen, eine höchstpersönliche Pflicht ist - und weil mit Blick auf die Belastung Dritter das Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter eingreift 175 -,kann man niemals die Unterlassung eines bestimmten Verhaltens seitens eines Dritten, sondern allenfalls versprechen, auf diesen in einem bestimmten Sinne einzuwirken 176 (und ggf. in eigener Person dafür einzustehen, wenn sich dieser nicht den Erwartungen der Vertragsparteien entsprechend verhält). Zum Erfolg führt die Annahme einer unmittelbaren Friedenspflicht daher nur dann, wenn sich dartun läßt, daß die Vertragspartner eine entsprechende Verpflichtung des Verbandsmitglieds wollten 177 und darüber hinaus auch die Befugnis bestand, das Mitglied rechtsgeschäftlich zu binden. Doch handelt es sich, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind, eben 173 Das wird bekanntlich teilweise für die sog. Handelndenhaftung des§ 54 S. 2 BGB angenommen; vgl. nur Reichert/van Look, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 8. Auf!., 2001, s. 984 ff. 174 Zwar hat die Friedenspflicht auch den Inhalt, die "Mitglieder von der Eröffnung oder Weiterführung derartiger Kampfmaßnahmen abzuhalten"; so Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Il/1, 7. Auf!., 1967, § 37 I. 1, S. 698; Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 667 ff.; Rüthers, in: Brox/Rüthers (Hg.), Arbeitskampfrecht, 2. Auf!., 1982, S. 139. Doch könnte auch diese "positive Seite" der Friedenspflicht ersichtlich nur vom Verband selbst und von niemandem sonst (wirksam) erfüllt werden. 175 Vgl. nur Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht li/I, 7. Auf!., 1967, § 23 CI, S. 497; auch BAG v. 17. 12. 1958, AP Nr. 3 zu§ I TVG Friedenspflicht (u. 4. d. Grde). 176 Zu dieser Einwirkungspflicht statt aller Wiedemann, in: Wiedemann, § I Rn. 667, 669. m Daneben kommt nur eine ,,Erstreckung" der Friedenspflicht im Wege eines (normanwendenden) Durchgriffs in Betracht.
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nicht mehr um eine Haftung des Mitglieds für Verbindlichkeiten des Verbands, sondern um eine ganz andere Problematik, nämlich die bereits oben angesprochene Möglichkeit, daß das zuständige Verbandsorgan eine Verpflichtung des Mitglieds aufgrund Rechtsgeschäfts - und d. h. außerhalb seiner tariflichen Rechtsetzungsmacht - begründet. Im Grunde liegen die Dinge im vorliegenden Zusammenhang nicht wesentlich anders als in den Fällen, in denen eine Gesellschaft rechtsgeschäftlich die Verpflichtung zur Unterlassung von Wettbewerb eingeht. Auch hier stellt sich die Frage, ob sich eine entsprechende Verpflichtung der Gesellschafter zur Unterlassung eigenen Wettbewerbs evtl. unter dem Gesichtspunkt einer Haftung für die Schuld der Gesellschaft ergibt. Und auch hier muß die Antwort lauten, daß- sieht man von den Fällen eines ausnahmsweise zulässigen Durchgriffs einmal ab 178 - eine unmittelbare Verpflichtung des Gesellschafters nur dann in Betracht kommt, wenn dieser der Gesellschaft eine entsprechende Vertretungsmacht erteilt hat und eine Auslegung der Wettbewerbsabrede ergibt, daß die Beteiligten insoweit auch die Gesellschafter und nicht lediglich die Gesellschaft gebunden sehen wollten 179• Dementsprechend bleibt es dabei, daß sich eine unmittelbare Verpflichtung des Verbandsmitglieds gegenüber dem gegnerischen Verband auch unter dem Gesichtspunkt einer Haftung für die Verbindlichkeiten des Verbands nicht begrunden läßt.
Als vorläufiges Ergebnis der hier angestellten Überlegungen ist daher festzuhalten, daß eine unmittelbare Friedenspflicht des einzelnen Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft nur dann angenommen werden kann, wenn der Arbeitgeberverband eine entsprechende Erklärung im Namen des Mitglieds abgegeben hat und wenn er v. a. auch über die erforderliche Vertretungsmacht verfügt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, scheidet eine unmittelbare Friedenspflicht des Arbeitgebers dagegen aus.
II. Die Friedenspflicht als unmittelbare Verpflichtung kraft objektiven Rechts auf der Grundlage der Konzeption Ramms Freilich kann man durchaus die Frage stellen, ob man hieriiber nicht doch hinausgehen sollte, ob also möglicherweise nicht doch auch den einzelnen Arbeitgeber - und nicht lediglich den Arbeitgeberverband - stets eine unmittelbare Friedenspflicht gegenüber der Gewerkschaft trifft.
178 179
5Waas
Vgl. hierzu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1997, S. 232 f ., 1427. Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1997, S. 1424 ff.
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1. Die Konzeption Ramms und seine "Theorie vom Rechtsetzungsvertrag" Im Schrifttum wird das, wie gesagt, unter Hinweis auf die herrschende Verbandstheorie ganz überwiegend verneint. Es fragt sich allerdings, ob es sich die h. M. mit ihrer Ablehnung einer unmittelbaren Verpflichtung des Arbeitgebers nicht zu einfach macht. Zwar hat die Verbandstheorie bislang allen Angriffen, die insbesondere von Ramm gegen sie geführt wurden 180, widerstanden. Überdies ist dessen eigene Konzeption des Tarifvertrags als eines den einzelnen Arbeitgeber unmittelbar verpflichtenden "Rechtsetzungsvertrags" sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur auf nahezu einmütige Ablehnung gestoßen 181 -und das, wie man sogleich hinzufügen sollte, auch vollkommen zurecht 182 . Indessen handelt es sich bei den Überlegungen, die Ramm hinsichtlich der Frage nach dem Adressaten der Friedenspflicht angestellt hat, nicht um einen integralen Bestandteil seiner Theorie des Tarifvertrags183. Denn einerseits folgt aus der Unmöglichkeit, die gesamten (Dritt-)Wirkungen des Tarifvertrags als Schuldvertrag befriedigend zu erklären, noch nicht zwingend, daß der Tarifvertrag nicht doch in einzelnen Teilen schuldrechtlicher 180 Vgl. aber auch Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 4 ff. 181 Vgl. etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 21 I. 1, S. 448 (u. Fußn. la); eine Ausnahme bildet insoweit nur Radke, AuR 1956, 273 sowie ders., AuR 1957, 257. 182 Die vorliegende Untersuchung gibt keinerlei Anlaß, die Debatte um die Thesen Ramms erneut in aller Breite aufzurollen. Immerhin sei stichwortartig daran erinnert, daß Ramm, vorn Boden der von ihm vertretenen Konzeption des Tarifvertrags aus, größte Mühe hat, die unmittelbare und zwingende Wirkung der Tarifvertragsbestimmungen zu erklären: Was zunächst die Unmittelbarkeit anbelangt, so ist es schon hochgradig künstlich, den Verband als Vertreter jedes einzelnen seiner Mitglieder anzusehen. Diese Schwierigkeiten werden indes noch weiter gesteigert, wenn man sich den Fall eines Beitritts zum Verband nach Abschluß des Tarifvertrags vor Augen führt, da dessen rechtliche Bewältigung Ramm zwingt, eine Genehmigung des vollmachtlosen Vertreterhandeins gern. § 179 BGB anzunehmen Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 87 -,deren Fiktionscharakter geradezu mit Händen zu greifen ist. In noch größere Problerne gerät die Kombinations- und Vertretertheorie im Sinne Ramms bei der Erklärung der zwingenden Wirkung des Tarifvertrags, da sie hier ausgerechnet zur unwiderruflichen verdrängenden Vollmacht Zuflucht nehmen - Ramm, a.a.O. S. 89- und damit eine Rechtsfigur heranziehen muß, deren Zulässigkeil nicht nur bereits im allgerneinen Zivilrecht nur vereinzelt bejaht wird, sondern v. a. auch im Tarifvertragsrecht ersichtlich nicht paßt. Denn zum einen ist es wiederum eine bloße Fiktion, wenn man dem Beitritt zu einer Koalition den Erklärungswert einer Bevollmächtigung beimißt, und zum anderen bedeutet es einen bedenklichen (und in höchstem Maße legitirnationsbedürftigen) Eingriff in die Verbandsautonomie, für den Bereich der Koalitionen eine zwingende, unmittelbare und persönliche Erfüllungshaftung der Vereinsmitglieder anzunehmen. Auf nichts anderes laufen die Überlegungen Ramms aber hinaus. Insgesamt ist daher der ganz h. M. in ihrer Ablehnung des Versuchs zu folgen, den Tarifvertrag und seine Wirkungen mit den von Ramm bemühten Mitteln der Rechtsgeschäftslehre erklären zu wollen; eingehend und voll überzeugend dagegen Zöllner, RdA 1964,443, 444 ff. 183 Vgl. insbes. Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 84 ff.; ders. , JZ 1962, 78.
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Natur sein könnte. Und andererseits ist es - übrigens entgegen der Auffassung Ramms selbst - rechtlich nicht von vornherein ausgeschlossen, den Tarifvertrag in einen normativen und einen schuldrechtlichen Teil zerfallen zu lassen und ihn dennoch zugleich als einheitliches Rechtsgeschäft zu betrachten 184• Die Rechtsnatur des Tarifvertrags wäre damit nämlich zwar, worauf bereits Zöllner nachdrücklich hingewiesen hat 185 , eine doppelte, nicht aber- und allein das könnte der Konzeption Ramms entgegengehalten werden - eine widersprüchliche. Geht es auch sicher zu weit, wenn Ramm gerade aus der angeblichen Schuldnerstellung des Arbeitgebers hinsichtlich der Friedenspflicht ableiten will, daß dieser notwendigerweise Partei des (gesamten) Tarifvertrags sei, so bedeutet das somit noch nicht, daß es von vornherein undenkbar wäre, ihm in der Frage nach dem Adressaten der Friedenspflicht zu folgen, auch wenn man seiner Theorie des Tarifvertrags im übrigen ablehnend gegenübersteht. Vor diesem Hintergrund ist daher für die weitere Untersuchung die Frage dahingehend zu formulieren, ob die von Ramm entwickelte Konzeption wenigstens insoweit Anerkennung verdient, als er die Friedenspflicht als unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers betrachtet. Bei der Würdigung der Argumente, die Ramm zugunsten einer unmittelbaren Friedenspflicht des einzelnen Arbeitgebers anführt, wird man zweckmäßigerweise zwischen seiner schadensersatzrechtlichen und seiner spezifisch arbeitskampfrechtlichen Argumentation zu unterscheiden haben, da beide vollkommen selbständig nebeneinander stehen.
2. Auseinandersetzung mit der schadensersatzrechtlichen Argumentation Ramms Was zunächst die erstgenannten Überlegungen anbelangt, so münden diese in die Behauptung, daß es "weitaus richtiger erscheint, rechtlich allein an den Schaden anzuknüpfen, den die Mitglieder eines Arbeitgeberverbandes durch einen Arbeitskampf erlitten haben, als dem Verband einen eigenen Anspruch zu geben" 186• Die Argumente, die insoweit ins Feld geführt werden, sind nun zwar, wie sich sogleich zeigen sein wird, nicht von der Hand zu weisen, ja man wird in Wirklichkeit sogar noch einen wesentlichen Schritt weiter gehen müssen als Ramm, da es bei einer näheren Priifung der möglichen schadensersatzrechtlichen Konsequenzen eines Arbeitskampfs nicht nur "weitaus richtiger", sondern geradezu unvermeidlich erscheint, nur auf Seiten des einzelnen Arbeitgebers und nicht auch auf Seiten des 184 So Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 84, wo von der "Notwendigkeit der rechtlichen Gleichbehandlung (des) obligatorischen und nonnativen Teils" (des Tarifvertrags) die Rede ist; vollends problematisch ist es, wenn an anderer Stelle davon gesprochen wird, diese Trennung sei "unnatürlich"; Ramm, S. 99; anders Zöllner, RdA 1964,443, 444. 185 Vgl. Zöllner, RdA 1964,443. 186 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 10; vgl. auch a.a.O. S. 8: "Der Arbeitskampf verursacht nicht zwei Schäden bei Verband und Mitglied, sondern nur einen einzigen".
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Arbeitgeberverbands einen ersatzfähigen Schaden zu bejahen, wenn die Gewerkschaft einen Streik führt. Dennoch kann Ramm letztlich nicht gefolgt werden, da er aus seinen durchaus zutreffenden Einsichten in der Frage nach dem Schadensersatzberechtigten unzutreffende Schlußfolgerungen hinsichtlich des Problems zieht, ob den Arbeitgeber eine unmittelbare Friedenspflicht gegenüber der Gewerkschaft treffen soll oder nicht. Das wird sogleich im einzelnen aufzuzeigen sein.
a) Die Vemeinung eines eigenen Schadens des Verbands
Insoweit ist gleich zu Beginn zu unterstreichen, daß es in der Tat außerordentlich schwer fällt einzusehen, wie man im Fall des rechtswidrigen Arbeitskampfs über den bei den Mitgliedern entstehenden Schaden hinaus, hinsichtlich dessen es schadensrechtlich keine besonderen Probleme gibt 187 - zur Bejahung eines eigenen Schadens des Verbands kommen wi11 188•
aa) Eigenschaden des Verbands durch Unterstützungsleistungen gegenüber dem Mitglied Keinen eigenen Schaden des Verbands begründen zunächst Unterstützungsleistungen, die dieser seinen Mitgliedern im Fall eines Arbeitskampfs gewähren mag 189• Das bedarf keiner weiteren Begründung, wenn der Verband derartige Leistungen gegenüber einem Mitgliedsunternehmen erbringt, ohne satzungsmäßig hierzu verpflichtet zu sein 190• Denn die Zahlungen beruhen in diesem Fall ganz allein auf einer Entschließung der zuständigen Verbandsorgane und so zutreffend es grundsätzlich auch ist, daß dem Schädiger ausnahmsweise sogar Willensentscheidungen des Geschädigten zugerechnet werden können, die dieser im Gefolge der Pflichtwidrigkeit des Schädigers getroffen hat 191 , so unverkennbar ist auch, daß sich Unterstützungsleistungen, die ein Verband gegenüber einzelnen Mitglie187 Der Schaden ergibt sich insoweit unter Zugrundelegung der Differenzhypothese aus den infolge des Produktionsausfalls entgangenen Einnahmen, von denen die konkret ersparten Kosten abzuziehen sind; vgl. hierzu statt aller MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 289 Rn. 31 m. w. Nachw. Daß die Ermittlung des konkreten Schadensumfangs sehr häufig Schwierigkeiten mit sich bringen wird, steht auf einem anderen Blatt. 188 Diskutabel erscheint dies allenfalls i. H. a. Kosten, die einer Koalition fiir Abwehrmaßnahmen entstanden sind; vgl. hierzu etwa Löwisch!Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskarnpfund Schlichtungsrecht, 1997, S. 256. 189 A. A. (aber ohne Begründung) etwa Löwisch/ Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskarnpfund Schlichtungsrecht, 1997, S. 256. 190 V gl. hierzu in rechtstatsächlicher Hinsicht Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 358 ff. 191 Vgl. nur Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, S. 133 ff.
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dem erbringt, den anerkannten Fällen einer derartigen "psychisch vermittelten Kausalität" nicht zuordnen lassen. Auch eine Erweiterung dieser Fallgruppen kommt indes nicht ernstlich in Betracht, da man schwerlich wird sagen können, daß die Leistungen des Verbands, um den in diesem Zusammenhang meistverbreiteten topos zu bemühen, von der streikführenden Gewerkschaft "herausgefordert" würden 192 und ihr aus diesem Grunde letztlich doch zugerechnet werden müßten. Schließlich und v. a. liegt vorliegend eine wesentliche Besonderheit darin, daß es beispielsweise in den sog. "Verfolgungsfallen" 193, die für das Problem der psychischen Kausalität charakteristisch sind, um nichts anderes als um die Zurechnung von Entscheidungen des Alleingeschädigten geht, während hier die völlig andere Frage im Raum stünde, ob man neben dem Schadensersatzanspruch des einzelnen Arbeitgebers evtl. einen weiteren Ersatzanspruch des Verbands anzunehmen und diesen damit als von der Gewerkschaft mitgeschädigt anzusehen hat. Insoweit wäre nämlich erst recht nicht einzusehen, weshalb man auf Seiten des Arbeitgeberverbands zur Bejahung eines Schadens kommen sollte -, zumal man sich dann ja sogleich die weitere Frage einhandeln würde, wie man vor diesem Hintergrund eine Begrenzung des dem Arbeitgeber zustehenden Ersatzanspruchs bewerkstelligen will 194. Leistet der Verband einem Mitglied freiwillig Unterstützung, so muß die Bejahung eines Schadens somit schon auf den ersten Blick ausscheiden. Allerdings liegen die Dinge selbst dann nicht wesentlich anders, wenn der Verband aufgrund seiner Satzung zur Leistung von Unterstützungszahlungen verpflichtet ist, was allerdings, jedenfalls auf Gewerkschaftsseite, rechtspraktisch betrachtet, wohl eher der Ausnahmefall sein dürfte 195 . Zwar ist allgemein anerkannt, daß ein ersatzfähiger Schaden ausnahmsweise auch in der Belastung mit einer Verbindlichkeit liegen kann 196, wenn und soweit das schädigende Ereignis für deren Entstehung kausal war. Doch bleibt auch insoweit wiederum zu beachten, daß die Pflicht zur Leistung von Unterstützungszahlungen vom Verband "freiwillig" übernommen wurde. Denn damit ist die Schadenszurechnung letztlich genau denselben Bedenken ausgesetzt wie bei einer Leistung ohne satzungsmäßige Verpflichtung, 192 Vgl. hierzu BGH v. 13. 7. 1971, BGHZ 63, 189, 192 f. m. w. Nachw. sowie Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, S. 137. 193 Hierzu MünchKomm-Grunsky Rn. 62 ff. vor§ 249 BGB sowie Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, S. 136 ff. 194 Da es jedenfalls nicht anginge, die Gewerkschaft doppelt zum Schadensersatz zu verpflichten. 195 Vgl. Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 358 ff.; Löwisch, AcP 174, 217; zum Ganzen auch Broxl Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982, S. 211 f.; zu den auf Arbeitgeberseite vielfach üblichen sog. "Unterstützungsfonds" etwa Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 283; Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 359 ff.; allg. zu Unterstützungsmaßnahmen auf Arbeitgeberseite v. Hoyningen-Huene, ZfA 1980,453,460 ff. 196 Vgl. MünchKomm-Grunsky Rn. 6 ff. vor§ 249 BGB m. w. Nachw. zur Rspr.
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wobei hier sogar noch das zusätzliche Problem hinzukommt, daß die Verbindlichkeit, die der Unterstützungsleistung zugrunde liegt, regelmäßig vor dem Arbeitskampf und somit vor dem schädigenden Ereignis begründet worden sein wird 197 • Im Ergebnis ist daher Ramm zu folgen, wenn er dem Arbeitgeberverband - entgegen einer älteren Rechtsprechung des RG 198 und entgegen mancher Stimmen in der Literatur 199 - einen eigenen ersatzfähigen Schaden für den Fall abspricht, daß als Folge eines gewerkschaftlichen Arbeitskampfs Leistungen an die Mitglieder erbracht werden 200. Zuzustimmen ist ihm nach dem soeben Gesagten aber insbesondere auch insoweit, als es dabei in der Tat nicht darauf ankommt, ob der Verband zur Leistung verpflichtet war oder nicht. Daß auf Seiten des Arbeitgeberverbands ein ersatzfähiger Schaden zu verneinen ist, findet übrigens eine mittelbare Bestätigung in der schadensrechtlichen Bewertung aus dem Blickwinkel des einzelnen Arbeitgebers, die ersichtlich die Kehrseite der hier vorliegenden Problematik darstellt. Zieht man dabei nämlich die Grundsätze über die Vorteilsausgleichung heran, so zeigt sich, daß der Ersatzanspruch des einzelnen Arbeitgebers von etwaigen Leistungen des Verbands vollkommen unberührt bleibt -, weshalb freilich zugleich dem Argument Ramms die Grundlage entzogen ist, daß die Verbandstheorie zu schwierigen Anrechnungsproblemen führe und letztlich sogar eine doppelte Inanspruchnahme der Gewerkschaft befürchten lasse201 . Ganz gleich, ob der Verband seine Leistungen freiwillig erbringt oder einer Rechtspflicht aus der Satzung nachkommt, in jedem Fall dient die Zahlung nach seiner Leistungszweckbestimmung allein der Unterstiitzung des Geschädigten202 (und ggf. eben auch der Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit), keinesfalls 197 Vgl. zur Parallelproblematik der Ersatzfähigkeit von Aufwendungen, die vor dem Schadensfall gemacht wurden, MünchKomm-Grunsky Rn. 75 ff. vor§ 249 BGB. Das Problem stellt sich bekanntlich insbes. auch bei der Frage nach der Ersatzfähigkeit der sog. Vorhaltekosten, bei denen es ebenfalls an einem kausalen Zusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und Eintritt der Vermögensminderung fehlt; vgl. hierzu Lange, Schadensersatz, 2. Auf!. 1990, S. 298 ff. 198 RAG v. 20. 1. 1910, RGZ 73, 92; vgl. auch die Nachweise bei Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 3. 199 Vgl. etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht li/ 1, 7. Auf!., 1967, § 40 II. 3b, S. 719 (u. Fußn. 25); Löwisch/Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 256; auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1216, der allerdings zugleich betont, daß die Praxis bislang "soweit ersichtlich" noch keinen Fall kenne, in dem ein Verband Schadensersatz in Höhe der einem Mitglied gewährten Unterstützungsleistungen verlangt habe. 200 Zu der hiervon zu unterscheidenden Frage evtl. Haftungsbeschränkungen im Tarifvertrag etwa Löwisch/Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 256 sowie Löwisch/Rumler; in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, s. 476. 2o1 So Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 6 u. 8. 202 Dahinter steht natürlich die Absicht, eine "geschlossene Front im Arbeitskampf' herzustellen; vgl. Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 9. Unverständlich ist freilich die (neben der Sache liegende) Erwägung, daß der Zweck der Leistung "primär nicht der
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aber der Entlastung des Schädigers. Unter diesen Umständen muß aber nach h. M., wie insbesondere auch aus § 843 Abs. 4 BGB hervorgeht, eine Anrechnung des Vorteils unterbleiben203 • Auch wenn die Befürchtungen, die Ramm hinsichtlich einer evtl. doppelten Inanspruchnahme und hinsichtlich der vermeintlichen Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung hegt, nicht gerechtfertigt sein dürften, bleibt es mithin doch dabei, daß ein eigener Ersatzanspruch des Verbands gegenüber dem Tarifpartner nicht anerkannt werden kann. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang allenfalls noch stellt, betrifft das Problem, ob dem Arbeitgeberverband der Rückgriff auf die streikführende Gewerkschaft offen steht, wenn er Unterstützungsleistungen gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber erbracht hat204 . Indes ist auch insoweit wieder zu beachten, daß der Arbeitgeberverband mit der Zahlung nur seine Mitglieder im Arbeitskampf unterstützen und ganz sicher nicht die streikführende Gewerkschaft entlasten will. Vor diesem Hintergrund würde es nämlich jeder Grundlage entbehren, wenn man annehmen wollte, daß der Ersatzanspruch des Arbeitgebers infolge der Zahlung des Verbands (evtl. auch nur teilweise) gern. § 267 Abs. 1 BGB erloschen sei und der Koalition deshalb ein Anspruch auf Aufwendungsersatz zugestanden werden müsse205 •
bb) Eigenschaden des Verbands durch den Abschluß eines ungünstigeren Tarifvertrags Ist somit auch nicht ersichtlich, wie man zur Bejahung eines eigenen Schadens des Verbands kommen könnte, so sollte man die Untersuchung doch nicht vorschnell abbrechen. Zu beantworten bleibt nämlich die - von Ramm allerdings nicht näher gepriifte, ja von ihm wohl nicht einmal gesehene - Frage, ob sich ein ersatzfähiger Schaden des Verbands evtl. ganz einfach unter dem Gesichtspunkt ergeben könnte, daß dieser infolge des rechtswidrigen Arbeitskampfs einen ungünstigeren Tarifvertrag abAusgleich des den Mitgliedern entstehenden Schadens" sei. Denn damit wird nur auf das Motiv hingewiesen, das der Zahlung des Verbands zugrunde liegt. Doch ist dieses eben nur zu verwirklichen, wenn es zumindest teilweise zu einem Ausgleich des Schadens kommt. 203 Vgl. insoweit nur MünchKomm-Grunsky Rn. 101 ff. vor§ 249 BGB; zur Anwendbarkeit der Vorschrift auf freiwillige Unterhaltsleistungen statt aller MünchKornrn-Stein § 843 Rn. 50. I. H . a. Zahlungen, deren Rechtsgrund erst nach dem schädigenden Ereignis gelegt wurde, läßt sich darüber hinaus auch argumentieren, daß es sich der Geschädigte nicht auf seinen Schadensersatzanspruch anrechnen lassen muß, wenn es ihm gelingt, seine Vermögenseinbuße auf Dritte zu verlagern; in diese Richtung MünchKomm-Grunsky Rn. 100 vor § 249 BGB. 204 In diesem Zusammenhang ist etwa an die Problematik des Ausgleichs zwischen Schadensersatzschuldner und Unterhaltsschuldner zu denken; vgl. hierzu etwa Lange, Schadensersatz, 2. Auf!., 1990, S. 746 ff. 205 V gl. wiederum Lange, Schadensersatz, 2. Auf!., 1990, S. 518 f.
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schließt, als er ihn ohne diesen abgeschlossen hätte206, daß er also etwa einer weitergehenden Lohnerhöhung zustimmt, als er dies ohne den Streik getan hätte. Diese Frage liegt insoweit verhältnismäßig nahe, als allgemein anerkannt ist, daß mit der Anfechtungsbefugnis des Bedrohten gern.§ 123 Abs. 1 BGB ein Schadensersatzanspruch konkurrieren kann 207 , der im übrigen auch dann nicht notwendigerweise entfällt, wenn der Adressat der Drohung das von ihm abgeschlossene Rechtsgeschäft nachträglich i. S. d. § 144 Abs. 1 BGB bestätigt208 . Indes ändert sich auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt nichts an dem soeben gefundenen Ergebnis, wonach dem Verband im Fall eines rechtswidrigen Streiks kein eigener Schaden erwächst. Selbst wenn man einmal davon absieht, daß es mehr als problematisch wäre, auch den Parteien eines Tarifvertrags die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs bei gleichzeitigem Festhalten am Vertrag zu gestatten - bedenklich stimmt insoweit allein schon der Umstand, daß die Schätzung des entstandenen Schadens durch den Richter einen Vergleich mit einem hypothetischen Tarifabschluß erforderlich machen würde209, der nicht nur praktisch äußerst schwer durchführbar, sondern v. a. auch mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit und der daraus sich ergebenden Gewährleistung der Tarifautonomie kaum zu vereinbaren sein dürfte210 -, kommt man nicht daran vorbei, daß die Wirkungen, die der Tarifvertrag entfaltet, vertragsrechtlieh gesprochen, fast ausschließlich "Drittwirkungen", nämlich Wirkungen gegenüber den gern. § 3 Abs. 1 TVG tarifgebundenen Arbeitgebern (und Arbeitnehmern), sind. Vor diesem Hintergrund wird man nämlich allenfalls dem einzelnen Arbeitgeber und nicht dem Arbeitgeberverband selbst einen Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt einräumen können, daß der Tarifvertrag günstigere Bedingungen enthalten haben würde, wenn die Gewerkschaft keinen Arbeitskampf geführt hätte. Auch unter diesem Aspekt muß es demzufolge dabei bleiben, daß dem Arbeitgeberverband in Fällen der vorliegenden Art kein eigener Schaden erwächst.
206 Hierin liegt bekanntlich regelmäßig der Schaden, wenn eine der Parteien aus dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo in Anspruch genommen wird; vgl. MünchKommEmmerich Rn. 194 ff. vor§ 275 BGB. 207 Vgl. hierzu statt aller MünchKomm-Mayer-Maly § 123 BGB Rn. 30. 208 Wobei allerdings zu beachten ist, daß die Bestätigung einen konkludenten Verzicht auf den Schadensersatzanspruch beinhalten kann; vgl. zur Problematik auch MünchKommKramer § 123 Rn. 30m. w. Nachw. Daß es ganz generell erheblichen Bedenken begegnet, diese Rspr. auf ein Dauerschuldverhältnis zu übertragen, wie es der Tarifvertrag (auch) konstituiert, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
209 Allg. zur Problematik der arbeitsgerichtliehen Kontrolle von Tarifverträgen aus jüngerer Zeit Schliemann, ZTR 2000, 198. 210 Das soll hier nicht näher ausgeführt werden, doch ist immerhin darauf hinzuweisen, daß es geradezu als Mißbrauch der Tarifautonomie erschiene, in Fällen der eben geschilderten Art Schadensersatz zu verlangen, statt den Tarifvertrag anzufechten und auf diesem Wege die in ihm festgesetzten Arbeitsbedingungen zu beseitigen.
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b) Schlußfolgerungen
Die Einwände, die Ramm gegen die Zubilligung eines eigenen Ersatzanspruchs des Verbands erhebt, sind somit, zusammenfassend gesagt, in der Tat durchschlagend -, wobei allerdings sogleich hinzuzufügen ist, daß dasselbe auch hinsichtlich der Gewerkschaft gelten müßte, für die er einen eigenen Schadensersatzanspruch aber inkonsequenterweise bejahen will20 . Wenn Ramm letztlich dennoch widersprochen werden muß, dann deshalb, weil sich die Schlußfolgerungen als verfehlt erweisen, die er meint, aus den von ihm gewonnen Einsichten ziehen zu sollen. aa) Der "vertragsfremde" Dritte als Gläubiger eines Anspruchs aus der Friedenspflicht Allerdings ist es zugegebenermaßen ungewöhnlich, wenn der aus der Verletzung einer Vertragspflicht resultierende Schaden nicht bei einer der Vertragsparteien, sondern bei einem "vertragsfremden" Dritten eintritt, und noch ungewöhnlicher ist es, wenn er von vornherein nur bei diesem eintreten kann. Rechtlich ausgeschlossen ist eine derartige Konstellation indessen keineswegs und allein darauf kommt es hier an. Daß ein Schaden auch bei einem "vertragsfremden" Dritten entstehen kann dem dann ggf. auch der entsprechende Anspruch auf Schadensersatz zusteht -, zeigt bereits ein Blick auf die Regelung des echten Vertrags zugunsten Dritter in § 328 Abs. 1 BGB: Wenngleich bei dieser Vertragsgestaltung das Recht auf die Leistung gern. § 335 BGB, verglichen mit der "gewohnten Gläubigersituation", zu dem Anspruch "geschrumpft" ist, die Leistung an den Dritten zu fordern 212, so behauptet der Versprechensempfänger nach allgemeiner Auffassung doch seine "vollwertige Position" gegenüber dem Versprechenden, ist also weiterhin Inhaber des vertraglichen Primäranspruchs und bleibt somit Gläubiger des Versprechenden213 . Der Schaden, zu dem es aufgrund der Nichterfüllung des Versprechens kommen mag, tritt indessen trotz der unbestrittenen Gläubigerstellung des Versprechensempfängers sehr häufig (wenigstens z. T.) beim Dritten ein, dem nach den Vereinbarungen von Versprechendem und Versprechensempfänger im Deckungsverhältnis der Wert der Leistung zugute kommen soll. Dementsprechend wird die Auslegung des Vertrags nicht selten ergeben, daß diesem und nicht dem Versprechensempfänger die Ansprüche aus Nichterfüllung gern. § 325 f. BGB zustehen sollen2 14• AllerDie Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 78 f. So Gemhuber; Das Schuldverhältnis, § 20 IV. 5a, S. 499. Dabei bezieht sich § 335 BGB nach ganz h. M. auch auf die vertraglichen Folgeansprüche, insbes. also auf Schadensersatzansprüche. 213 Hierzu statt aller Staudinger-lagmann Vorbem. 37 zu §§ 328 ff. 214 So jedenfalls BGH v. 17. I. 1985, BGHZ 93, 271, 277. Die Problematik ist allerdings urnstr.; vgl. einerseits MünchKomm-Gottwald § 335 Rn. 8 u. andererseits Staudingerlagmann Vorbem. 37 zu §§ 328 ff. jew. m. w. Nachw. 211 Ramm, 212
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dings entsteht der Schaden hier immerhin noch bei einer Person, der, auch wenn sie nicht selbst Vertragspartei ist, ein eigenes Forderungsrecht gegen den Dritten zusteht215 . Das ändert sich, wenn man zusätzlich den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in den Blick nimmt. Denn hier ist es bekanntlich niemand anderes als der "vertragslose" Dritte, dem die Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen Sekundäranspruche zubilligt und zwar bemerkenswerterweise selbst dann, wenn der Schaden von vomherein nur in der Person des "Dritten" und unter keinen Umständen auch in der Person der "Hauptpartei" eintreten konnte216. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang schließlich auch die Fälle der sog. Drittschadensliquidation. Für diese ist nämlich gerade charakteristisch, daß der Inhaber der verletzten Rechtsposition keinen Schaden, der Geschädigte dagegen keinen vertraglichen Anspruch gegen den Schädiger hat217. Demzufolge kann auch die Möglichkeit einer Liquidation des Drittschadens als Beleg dafür dienen, daß es rechtlich völlig unbedenklich ist, wenn der Schaden, der bei der Verletzung einer Vertragspflicht entsteht, nicht beim Gläubiger des entsprechenden Anspruchs, sondern bei einem Dritten eintritt. Führt man sich die soeben angesprochenen Gestaltungen im Zusammenhang vor Augen, so wird man sich nicht mehr der Einsicht entziehen können, daß ein Auseinanderfallen von Gläubigerposition und Schaden entgegen der stillschweigenden Annahme Ramms218 keinesfalls ausgeschlossen ist. Dementsprechend erscheint es bereits an dieser Stelle mehr als zweifelhaft, daß die von ihm angestellten Überlegungen zur Ersatzfähigkeit eines möglichen Schadens des Verbands geeignet sein könnten, den Weg für die Lösung des Problems zu weisen, wer als Gläubiger aus der Friedenspflicht berechtigt sein soll. Allerdings ergibt sich bei der hier in Rede stehenden Problematik die Besonderheit, daß es sich bei dem möglichen Schaden des Arbeitgebers um nichts anderes als um den Nichterfüllungsschaden handelt. Daß jemand Schadensersatz wegen Nichterfüllung soll verlangen können, ohne zugleich Inhaber des Anspruchs auf Erfüllung zu sein, ist aber in der Tat nicht ohne weiteres einzusehen. Auch dieser Umstand gibt indes, für sich genommen, noch keinen Anlaß, an der Zulässigkeil und rechtlichen Wirksamkeit einer derartigen Regelung zu zweifeln. Denn in der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen sind die Beteiligten grundsätzlich frei. Insbesondere besteht aber im Schuldvertragsrecht kein wie immer gearteter numeZu diesem statt aller Staudinger-lagmann Vorbem. 41 zu§§ 328. Vgl. hierzu wiederum Gemhuber; Das Schuldverhältnis,§ 21m. 3 u. 4, S. 539 f. 217 Vgl. insoweit nur MünchKomm-Grunsky vor§ 249 Rn. 116 ff. sowie MünchKommGottwald § 328 Rn. 96. 218 Vgl. insbes. Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 10: "Von hier aus stellt sich die Frage, ob nicht die bisher dargestellte Lösung nur eine unnötige und falsche Konzession an die Verbandstheorie bedeutet und ob nicht von schadensersatzrechtlichen Erwägungen aus die Herrschaft dieser Theorie als höchst anfechtbar erscheint ...". 215
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rus clausus bestimmter Vertragstypen219. Infolgedessen spricht nichts dagegen, wenn die Zuständigkeit für den Primäranspruch und die Zuständigkeit für den Sekundäranspruch auseinanderfallen und in der Tat wurde ja bereits oben festgestellt, daß es z. B. gute Grunde gibt anzunehmen, daß dem Dritten beim Vertrag zugunsten Dritter auch evtl. Anspruche aus Nichterfüllung gern. § 325 f. BGB zustehen220. Auch wenn man sich hierzu nicht würde durchringen können, bliebe indes festzuhalten, daß die Möglichkeit der Entstehung eines Nichterfüllungsschadens allein beim Dritten noch nichts dariiber aussagt, ob dieser auch Gläubiger des zugrunde liegenden Erfüllungsanspruchs ist. Einzuräumen ist insofern lediglich, daß ein Ausschluß eigener Anspruche des Dritten nur dann sinnvoll erscheint, wenn der Gläubiger des Erfüllungsanspruchs den Schaden des vertragslosen Dritten zu liquidieren vermag, sich die Beteiligten also auf eine Befugnis des Vertragspartners zur Drittschadensliquidation geeinigt haben221 . In diesem Zusammenhang mag es überdies hilfreich sein, sich darauf zu besinnen, daß das aufgrund der Friedenspflicht geschuldete Unterlassen ganz den jeweiligen Verbandsmitgliedern zu dienen bestimmt ist, da es, in die Kategorien des Deliktsrechts "übersetzt", nichts anderes zum Inhalt hat als ein Verbot, auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Mitglieder im Arbeitgeberverband) bzw. auf ein evtl. Recht am Arbeitsplatz (Gewerkschaftsrnitglieder) einzuwirken222. Macht man sich dies klar, so läßt sich die Friedenspflicht ohne größere Schwierigkeiten einem "Drittschutz im Bereich der Leistungspflichten"223 zuordnen. Einen solchen gewährt aber die Rechtsprechung bekanntlich auf der Grundlage des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, indem sie die Drittwirkung des Vertrags über die weiteren Verhaltenspflichten hinaus ausdehnt und dem Dritten u. U. auch nach der Verletzung einer Hauptleistungspflicht eigene Ersatzanspruche gibt224. Auch insoweit zeigt sich daher, daß es durchaus nicht ohne Vorbild ist, wenn der Schaden, der sich bei der Verletzung einer Leistungspflicht einstellt, bei einem vertragsfremden Dritten und nicht bei einer der Vertragsparteien selbst eintritt. 219 Beim Vertrag zugunsten Dritter handelt es sich nach allg. Ansicht nicht einmal um einen selbständigen Vertragstyp; vgl. nur MünchKomm-Gottwald § 328 Rn. 3. 22o So jedenfalls BGH v. 17. 1. 1985, BGHZ 93, 271, 277; auch MünchKomm-Gottwald § 335 Rn. 8; anders Gemhuber, Das Schuldverhältnis, § 20 IV. 5b, S. 500; Staudingerlagmann Vorbem. 37 zu §§ 328 ff. jew. m. w. Nachw. 221 Zu einer derartigen - zweifelsohne zulässigen - sog. vereinbarten Drittschadensliquidation etwa MünchKomm-Grunsky vor§ 249 Rn. 123. 222 Dazu, daß die Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zunehmend Zweifeln begegnet, allerdings später Kap. 2 § 6 Il. 223 Vgl. hierzu Gemhuber, Das Schuldverhältnis, § 21 II, S. 518 ff.; vgl. auch MünchKomm-Gottwald § 328 Rn. 94. 224 Vgl. hierzu nur Staudinger-lagmann Vorbem 98 zu§§ 328 ff. Dieser beruht zwar nicht, wie dies hier der Fall ist, auf der Nichterfüllung der Leistungspflicht, sondern auf deren Schlechterfüllung, doch wäre es angesichts der Gestaltungsfreiheit der Beteiligten nicht ausgeschlossen, für den Dritten auch insoweit einen Anspruch zu begründen.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Mit dem eben Gesagten steht übrigens in Einklang, daß es der h. M. nicht die geringsten Schwierigkeiten bereitet, die begünstigenden Drittwirkungen der tarifvertraglichen Friedenspflicht dogmatisch zu bewältigen. Diskutiert wird in der Literatur allein, ob insoweit ein Vertrag zugunsten Dritter225 oder ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte angenommen werden muß226. Was diese Frage anbelangt, so sollte man nicht übersehen, daß sich der Tarifvertrag dogmatisch von vomherein nicht völlig bruchlos in die bestehenden "Drittwirkungskonzepte" einfügen läßt, da für den Tarifvertrag als Normsetzungsvertrag ersichtlich weder der Vertrag zugunsten Dritter, noch der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ohne weiteres paßt: Zwar kann man die Friedenspflicht als vertragliche Hauptleistungspflicht verstehen, doch sollte man darüber nicht vergessen, daß die Verpflichtung vorliegend zumindest in dem Sinne unselbständigen Charakter hat, als sie ganz auf den normativen Teil des Tarifvertrags bezogen ist, dessen Einhaltung sie letztlich dient227 . Demzufolge läge es evtl. näher, die tarifvertragliche Friedenspflicht den sogenannten weiteren Verhaltenspflichten gleichzustellen. Doch führt, umgekehrt, ebenfalls nichts daran vorbei, daß diese Verpflichtung im vorliegenden Zusammenhang - anders als sonst - nicht im Interesse einer Förderung des Leistungsaustauschs zwischen den Parteien bestünde, sondern der Sicherung der Normativbestimmungen des Tarifvertrags diente. Weder bei einer Einordnung als Vertrag zugunsten Dritter, noch bei einer solchen als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte kommt man daher umhin, gewisse Zugeständnisse an den normativen Charakter des Tarifvertrags zu machen. Indes ist es ohnehin nur von eingeschränkter Bedeutung, ob man der Unterlassungspflicht, die sich nach h. M. aus der Friedenspflicht ergibt, selbständigen oder (mit Blick auf ihre Hilfsfunktion im Hinblick auf den normativen Teil des Tarifvertrags) unselbständigen Charakter beimißt Denn zum einen ist mittlerweile auch für den Bereich der den weiteren Verhaltenspflichten zuzurechnenden (unselbständigen) Unterlassungspflichten anerkannt, daß ein individuelles Klagerecht des Gläubigers besteht, wenn nach Lage des Falles ein schutzwürdiges Interesse an der selbständigen klageweisen Durchsetzung des Anspruchs bejaht werden kann228 ; eine Befugnis des Verbands, von der anderen Seite 225 So etwa BAG v. 31. 10. 1958, AP Nr. 2 zu§ 1 TVG Friedenspflicht sowie BAG v. 14. 11. 1958, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Friedenspflicht; für diesen zuletzt Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 19. 226 Für das letztere etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, 7. Aufl., 1967, § 38 B II. 2a, S. 705; auch Wiedemannl Stumpf§ 1 TVG Rn. 328; unklar Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 671 m. w. Nachw.; ausdriicklich abl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1080; differenzierend Boldt, RdA 1971, 257, 266; unklar ist es, wenn von einem "Vertrag mit Wirkung zugunsten der Mitglieder" die Rede ist; so Kempen/Zachert, § 1 Rn. 339. 227 Allerdings ist insoweit erwähnenswert, daß die Pflicht zur Leistung, die gegenüber dem Dritten erbracht werden soll, auch "Nebenpflicht in einem größeren Vertragswerk" sein kann; so ausdrücklich MünchKomm-Gottwald, § 328 Rn. 17. 228 Vgl. hierzu nur Staudinger-J. Schmidt Einl. zu§§ 241 ff. Rn. 319 ff.
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die Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen zu verlangen, ließe sich daher mit einer Qualifizierung der Friedenspflicht als weitere Verhaltenspflicht durchaus vereinbaren. Und zum anderen hat die Rechtsprechung das Konzept des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, über die klassische Funktion einer Vermittlung von Rechten im Bereich der weiteren Verhaltenspflichten hinaus, auf echte Leistungspflichten ausgedehnt und zwar unter der Voraussetzung, daß die Leistung entweder unmittelbar dem Dritten zugute kommen soll oder daß für die jeweils andere Vertragspartei erkennbar die Geschäfte Dritter besorgt werden229. Da sich aber hinsichtlich des Tarifvertrags wohl beide Erfordernisse bejahen ließen, bestünden, dogmatisch betrachtet, keine Bedenken dagegen, einen Schadensersatzanspruch des verbandsangehörigen Arbeitgebers selbst dann noch auf einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zu stützen, wenn der Anspruch aus der Friedenspflicht als echte Leistungspflicht einzuordnen wäre. Bedeutung hat die Unterscheidung von Vertrag zugunsten Dritter und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte daher wirklich nur für die Frage, ob die Verbandsmitglieder selbst Unterlassung vom gegnerischen Verband sollen verlangen können oder nicht. Bejaht man einen solchen Anspruch und gesteht man dem einzelnen Mitglied dementsprechend ein eigenständiges Recht auf Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen zu, so kommt in der Tat nur noch eine Einordnung der Vereinbarung als Vertrag zugunsten Dritter in Betracht, da der "Dritte" beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nun einmal nur Schadensersatz, nicht aber auch die Erfüllung des Leistungsversprechens verlangen kann230.
bb) Der "vertragsfremde" Dritte als Adressat der Friedenspflicht Nach dem heutigen Stand der Dogmatik vertraglicher Drittwirkungen spricht somit nichts dagegen, einem Dritten einen eigenen Schadensersatzanspruch zu geben, ohne ihm zugleich auch hinsichtlich des vertraglichen Erfüllungsanspruchs die Stellung als Gläubiger zuzuweisen. Übertragen auf den hier vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies, daß es zurückzuweisen wäre, wenn man behaupten wollte, der Arbeitgeber müsse allein deshalb Gläubiger des Anspruchs aus der Friedenspflicht sein, weil der Schaden, der aus der Verletzung dieser Pflicht erwachsen mag, nur bei ihm selbst eintreten kann. Erst recht nicht schließen läßt sich aber aus den Erwägungen Ramms, worauf es ihm eigentlich ankommt, daß der Arbeitgeber nämlich notwendigerweise zugleich Schuldner der Friedenspflicht ist. Selbst wenn der Arbeitgeber- entgegen den soeben angestellten Erwägungen - zwingend als Inhaber des vertraglichen Erfüllungsanspruchs anzusehen wäre, bliebe nämlich noch immer unerfindlich, weshalb man deshalb daran gehindert sein sollte, die Vereinbarung der Tarifparteien als 229 230
Vgl. nur Gemhuber, Das Schuldverhältnis, § 21 III. 3, S. 539 f. Vgl. insoweit MünchKomm-Gottwald § 328 Rn. 95.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Vertrag zugunsten der jeweiligen Verbandsmitglieder aufzufassen mit der Folge, daß sie Gläubiger der vertraglichen Primär- und ggf. auch Sekundäranspruche wären, ohne in entsprechender Weise gegenüber dem gegnerischen Verband selbst verpflichtet zu sein. Selbst wenn mithin den schadensersatzrechtlichen Überlegungen Ramms etwas für die Gläubigerrolle der Verbandsmitglieder zu entnehmen sein sollte - was nach den eben gemachten Ausführungen, um es nochmals zu betonen, gerade nicht der Fall ist -, so wäre damit doch noch immer völlig offen, ob diese auch als Schuldner ( !) der Friedenspflicht zu betrachten sind231 • Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, daß sich aufgrund der schadensersatzrechtlichen Erwägungen Ramms eine unmittelbare Verpflichtung des verbandsangehörigen Arbeitgebers aus der Friedenspflicht nicht begrunden läßt.
3. Auseinandersetzung mit den arbeitskampfrechtlichen Erwägungen Ramms
Auch die weiteren Überlegungen Ramms rechtfertigen indes nicht den Schluß auf eine Schuldnerstellung des einzelnen Arbeitgebers.
a) Die vermeintliche Privilegierung der Arbeitgeberseite
Das gilt insbesondere für die Erwägung, daß "die Friedenspflicht . . . nach der Verbandstheorie die Arbeitnehmerseite ungleich stärker belastet als die Arbeitgeberseite und insofern - für sich betrachtet - eine Benachteiligung der Arbeitnehmer in sich schließt". Zur Begrundung macht Ramm geltend, daß die h. L. den einzelnen Arbeitgeber und den einzelnen Arbeitnehmer nur "theoretisch" gleich bewerte, in "faktischer Hinsicht" aber darauf hinauslaufe, daß "die Friedenspflicht mit ihrer Schadensersatzdrohung unmittelbar nur auf die Arbeitnehmerseite, nicht aber auf die Arbeitgeberseite total einwirkt"232.
231 Allg. zu der in diesem Zusammenhang angesprochenen Abgrenzung von Vertrag zugunsten Dritter und Stellvertretung etwa MünchKomm-Gottwald § 328 Rn. 8. 232 So Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 10. Daß die Friedenspflicht auf Seiten der Arbeitnehmer zu Rechtsunsicherheit führe, eine ungleiche Risikoverteilung bewirke und zudem unerwünschte Auswirkungen in gewerkschaftspolitischer Hinsicht habe, beklagt etwa auch Däubler; Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 268 ff. ; ders, Die Quelle 1990, 11; vgl. zudem Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1081, der eine ,,Erstreckung" der Friedenspflicht auf den einzelnen Arbeitgeber im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung anregt.
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b) Zurückweisung dieser Auffassung
Daran ist so viel richtig, daß der einzelne Arbeitgeber aussperren kann233, währenddessen der einzelne Arbeitnehmer nach allgemeiner Auffassung keinen Arbeitskampf zu führen vermag234 . Doch hat dies mit der Friedenspflicht als solcher nichts zu tun, sondern ergibt sich ganz einfach daraus, daß der Streik, wie denn auch Ramm zutreffend bemerkt, "begrifflich wie rechtlich ... stets eine kollektive Aktion" darstellt235 , so daß es sich geradezu von selbst verbietet, die Frage aufzuwerfen, ob dem einzelnen Arbeitnehmer das Recht zustehen könnte, (allein) für den Abschluß eines Tarifvertrags zu streiten. Ganz abgesehen davon ist aber in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß die "wilde Aussperrung"236 nach h. M. ebenso rechtswidrig ist wie der "wilde Streik"237 . In dieser Hinsicht besteht somit in Wirklichkeit gar keine Ungleichbewertung zwischen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite und folglich geht die Forderung Ramms nach einer Friedenspflicht des einzelnen Arbeitgebers unter diesem Blickwinkel von vornherein ins Leere.
233 Wenn man, entgegen mancher Bedenken, einmal unterstellt, daß die Aussperrung als solche nicht rechtswidrig ist. 234 Vgl. nur Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2, 7. Aufl., 1970, § 8 II, S. 127, wonach "die Frage, ob die einzelnen als solche eine Kampffreiheit oder ein Kampfrecht haben, zu verneinen" sei. 235 So Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 10. 236 Grundlegend zum Ganzen Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 339 ff.; überblicksweise Staudinger-Rager § 823 Rn. D 48. Statt von einer "wilden Aussperrung", ist zuweilen von einer ,,Individual- oder Firmenaussperrung" die Rede; vgl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, 7. Aufl., 1970, § 47 III. 2b a, S. 906-, die übrigens eine "wilde" Aussperrung nur dann für zulässig halten, wenn Arbeitgeber im"verbandstariffreien Raum eindeutig das Ziel verfolgen, mit der Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag zu erzwingen"; vgl. Hueck/Nipperdey, § 8 li, S. 127 (u. Fußn. 5d). In der Tat besteht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite insofern ein wesentlicher Unterschied, als der Arbeitgeber gern. § 2 Abs. 1 TVG selbst tariffähig ist; vgl. hierzu nur Löwisch/Hartje, RdA 1970, 321, 322. 237 Vgl. hierzu aus der Rspr. insbes. BAG v. 21. 8. 1980, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. II. 3a d. Grde) m. Anm. v. Löwisch/Mikosch sowie BAG v. 31. 10. 1995 AP Nr. 140 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; aus der Lit. statt vieler Weitnauer, DB 1970, 1639; Löwisch/Hartje, RdA 1970, 321; Rüthers, DB 1970, 2120; Säcker, BB 1971, 962; Ramm, ArbuR 1964, 353. Daß ein Arbeitskampf unrechtmäßig ist, wenn er nicht von einer Gewerkschaft getragen wird, dürfte nun allerdings in der Tat der eigentlich entscheidende Gesichtspunkt sein. Denn auch in dem theoretisch ja durchaus denkbaren Fall, daß die Gewerkschaft nur einen einzigen Arbeitnehmer zum Streik aufruft - wenn man so will, der Extremfall eines "Schwerpunktstreiks" - würde es sich wenigstens insoweit um eine ,,kollektive Aktion" handeln, als die Gewerkschaft als das "Kollektiv" der Arbeitnehmer hinter der Streikaktion stünde. Daher ist es zumindest in einem weiteren Sinne zutreffend, wenn man den Streik - mit Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 10- als ,,kollektive Aktion" bezeichnet oder wenn man, umgekehrt, die Behauptung aufstellt, daß der Arbeitnehmer "für sich genommen, isoliert", nicht streiken könne; so etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, s. 931.
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
Selbst wenn in der Frage der Rechtmäßigkeit der "wilden Aussperrung" anders zu entscheiden sein sollte, wäre allerdings noch immer nicht daran vorbeizukommen, daß einerseits Rechtsprechung und h. M. für die Zubilligung der "Arbeitskampffähigkeit" (zurecht) an das Bestehen der Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen anknüpfen, andererseits aber nach dem Gesetz(§ 2 Abs. 1 TVG) nur der einzelne Arbeitgeber und nicht jede beliebige Gruppe von Arbeitnehmern - und erst recht nicht jeder einzelne Arbeitnehmer - tariffähig ist238 . Dem "wilden Streik" und nicht auch der "wilden Aussperrung" die rechtliche Anerkennung zu versagen, erschiene vor diesem Hintergrund wertungsmäßig vollkommen unbedenklich und folglich wäre nicht einzusehen, weshalb man gezwungen sein sollte, Unterschiede in der rechtlichen Bewertung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite durch eine einseitige Erstreckung der Friedenspflicht auf die verbandsangehörigen Arbeitgeber künstlich "einzuebnen". Sich den Unterschied zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hinsichtlich der Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen deutlich vor Augen zu führen, besteht schließlich auch deshalb aller Anlaß, weil die von Ramm geforderte Friedenspflicht des Arbeitgebers in Wirklichkeit gar nicht zu einer Gleichheit führen, sondern, ganz im Gegenteil, notwendig eine (weitere) Ungleichheit bewirken würde. Denn wenn nur der einzelne Arbeitgeber und nicht auch der einzelne Arbeitnehmer tariffähig ist, so bedeutet das nichts anderes, als daß den Arbeitgeber eine unmittelbare Friedenspflicht wesentlich härter träfe, als das hinsichtlich des Arbeitnehmers der Fall wäre239 -, da sie eben von vornherein nur den Arbeitgeber (und nicht den Arbeitnehmer) daran hindern könnte, gegenüber dem gegnerischen Verband einen eigenen Tarifvertrag zu erkämpfen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich daher, daß es viel zu oberflächlich ist, unter Hinweis auf die vermeintliche Notwendigkeit einer Korrektur rechtlicher Ungleichheiten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite eine unmittelbare "Unterwerfung" der verbandsangehörigen Arbeitgeber unter die Friedenspflicht zu befürworten. 4. Abschließende Bewertung der "Differenzierungstheorie"
Faßt man die hier angestellten Erwägungen zusammen, so ist festzuhalten, daß weder die schadensersatzrechtlichen noch die spezifisch arbeitskampfrechtlichen Erwägungen Ramms die Schlußfolgerung zulassen, der Arbeitgeber müsse an die tarifvertragliche Friedenspflicht gebunden sein. Die sogenannte "Differenzierungstheorie" überzeugt somit schon in wertungsmäßiger Hinsicht nicht240. Überblicksweise zum Meinungsstand MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 285 Rn. 69 ff. Wenn dagegen Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 76 f. Bedenken gegenüber einer evtl. Benachteiligung der Arbeitgeberseite entgegenhält, daß das "dem modernen Arbeitsrecht zugrunde liegende Schutzprinzip die Gleichbehandlung von Arbeitnehmer und Arbeitgeberaufgrund ihrer unterschiedlichen Machtlage nicht zuläßt", so ist diese Aussage ersichtlich viel zu pauschal. 238 239
§ 5 Grundlagen einer "Drittwirkung" der Friedenspflicht
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a) Die rechtlichen Grundlagen der "Differenzierungstheorie"
Dariiber hinaus ist aber einzuwenden, daß auch die dogmatischen Grundlagen der "Differenzierungstheorie" weitgehend im unklaren bleiben. Ramm selbst gibt diese einseitige, weil auf die Arbeitgeber beschränkte Wiederbelebung der sogenannten "Kombinationstheorie"241 -und um nichts anders handelt es sich bei der "Differenzierungstheorie" - als Resultat einer Auslegung des Willens der Tarifparteien aus, so wenn er etwa explizit behauptet, daß "es sich bei dem Theorienstreit allein um die Interpretation des Parteiwillens handle" 242 . Das greift allein schon deshalb zu kurz, weil es sich bei der Frage, ob und in welchem Umfang ein Verbandsmitglied gegenüber dem Vertragspartner des eigenen Verbands unmittelbar verpflichtet sein soll, ersichtlich im wesentlichen um ein Legitimationsproblem zwischen Verband und Mitglied handelt, dessen Lösung aber von vornherein nicht in den Abmachungen der Tarifparteien, sondern allein in den Rechtsbeziehungen zwischen Verband und Mitglied zu finden sein kann. Auch wenn man hiervon einmal absieht, ist Ramm indes keinesfalls zu folgen. Denn der Arbeitgeberverband selbst hat sicherlich regelmäßig kein Interesse an einer unmittelbaren Verpflichtung der Verbandsmitglieder gegenüber der Gewerkschaft243 und somit entbehrt es jeder Grundlage, wenn Ramm weiter ausführt, die Auslegung des Tarifvertrags "gehe selbstverständlich dahin, die höchstmöglichen Garantien für die Vertragskontrahenten in bezug auf die Durchsetzungsmöglichkeiten des Vertrags zu bieten"244. In Wirklichkeit kann von einem derartigen, den Interessen des einzelnen Arbeitgebers geradezu diametral zuwiderlaufenden Parteiwillen gar keine Rede sein. Dementsprechend handelt es bei der angeblichen Auslegung des Tarifvertrags, bei Licht besehen, um nichts weiter als um eine Fiktion. Das wird vollends deutlich, wenn man sich klarmacht, daß Ramm mit seinem Lösungsvorschlag gerade nicht auf eine widerlegbare Auslegungsregel, sondern auf eine generelle, für alle Tarifverträge gleichermaßen geltende, verbindliche "Vorgabe" zielt-, ein Umstand, der insbesondere daran deutlich wird, daß nirgendwo davon die Rede ist, die Tarifparteien könnten ggf. auch abweichendes vereinbaren 245 . 240 Abi. gegenüber der "Differenzierungstheorie" auch schon Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Auf!., 1967, § 211. I (u. Fußn. Ia), S. 448 f. 241 Vgl. hierzu nur Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2, 7. Auf!., 1970, § 18 III. 4, S. 350 (u. Fußn. 23a). 242 Vgl. Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 41. 243 Insoweit ist v. a. auch zu bedenken, daß es dem Verband erschwert wird, Solidarität unter seinen Mitgliedern herzustellen, wenn dem "Gegner" o. w. der "Durchgriff' auf seine Mitglieder gestattet ist. 244 Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 41 u. S. 11; allg. zur Durchsetzung tariflicher Anspruche statt vieler Gamillscheg, in: FS Henckel, 1995, S. 215. 245 Insoweit wirkt es denn auch geradezu decouvrierend, wenn Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, 1961, S. 71 seine Differenzierungstheorie an anderer Stelle ausdriicklich 6 Waas
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1. Kap.: Friedenspflicht und die Problematik ihrer personalen Wirkungen
b) Die mangelnde Effektivität der Einwirkungspflicht
An diesen Einwänden vennögen auch die Ausführungen nichts zu ändern, mit denen Ramm die mangelnde Effektivität einer bloßen Einwirkungspflicht zu begründen versucht. Zwar läßt sich nicht ernstlich bestreiten, daß die Verpflichtung des gegnerischen Verbands zur Einwirkung auf seine Mitglieder in der Tat keine "wirksame Garantie" für die "Durchsetzungsmöglichkeiten des Vertrags" darstellt und jedenfalls weit hinter einer unmittelbaren Verpflichtung des einzelnen Arbeitgebers zurückbleibt246. Doch kann man eben auch nicht einfach unterstellen, daß die Tarifparteien eine derartige "Garantie" überhaupt geben wollten, und somit läßt sich auch aus der "Schwäche" einer bloßen Einwirkungspflicht nichts für die Frage entnehmen, ob eine den einzelnen Arbeitgeber unmittelbar verpflichtende Friedenspflicht bejaht werden sollte oder nicht. Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, daß die von Ramm vertretene "Differenzierungstheorie" keine Zustimmung verdient, weil sie in Wirklichkeit auf einer reinen Fiktion beruht, ohne für diese überzeugende Gründe anführen zu können.
(auch) auf ein "fehlendes Schutzbedürfnis" auf Arbeitgeberseite stützt und auf die "unterschiedliche Macht- und Interessenlage auf der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite" hinweist; Ramm, S. 74. Verfehlt ist es schließlich auch, wenn Ramm diese Erwägungen als letztlich doch interessengerecht ausgibt; Ramm, S. 75. Denn zwar läßt sich kaum leugnen, daß die Arbeitgeber aus Wettbewerbsgründen an einer Einheitlichkeit der tarifvertragliehen Regelung interessiert sind. Doch ist nicht einzusehen, weshalb diesem Interesse gerade durch eine unmittelbare Haftung des Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft sollte Rechnung getragen werden müssen. 246 Krit. insbes. Buchner; DB 1992, 572, der nicht zuletzt deshalb einen ,,Abschied von der Einwirkungspflicht" fordert.
2. Kapitel
Die Erkämptbarkeit von Verbandsund Firmentarifverträgen im Verhältnis von Arbeitgeber und Gewerkschaft Die vorstehenden Ausführungen dienten dem Zweck, die Grundlagen einer Drittwirkung der Friedenspflicht zu erarbeiten. Dabei hat sich gezeigt, daß beim derzeitigen Stand der tarifrechtliehen Dogmatik, abgesehen von einer entsprechenden körperschaftlichen Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeberverband, eine Bindung des Arbeitgebers nur dann in Betracht kommt, wenn der Verband der Gewerkschaft gegenüber in dessen Namen aufgetreten ist und auf eine entsprechende Vertretungsmacht verweisen kann. Im folgenden soll es darum gehen zu klären, ob die Feststellungen zu den objektivrechtlichen Grundlagen der Friedenspflicht nicht Anlaß geben, die Problematik der Drittwirkungen der Friedenspflicht sowohl hinsichtlich der verbandsangehörigen Arbeitgeber als auch hinsichtlich der Mitglieder der Gewerkschaft neu zu überdenken. Was zunächst die Arbeitgeberseite betrifft, ließe sich die Frage dahingehend präzisieren, ob es im Hinblick auf mögliche Drittwirkungen der Friedenspflicht wirklich mit der Ablehnung der von Ramm begründeten Lehre sein Bewenden haben kann. Diese Ablehnung hat, um es nochmals zu betonen, die Konsequenz, daß Ansprüche des Arbeitgebers aus der Friedenspflicht wirklich nur dann bestehen, wenn die Voraussetzungen eines Vertrags zugunsten Dritter bzw. eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bejaht werden können - daß der Tarifvertrag mindestens eine Schutzwirkung in diesem Sinne aufweist, dürfte weitgehend unbestritten sein 1 -, währenddessen eine "belastende Drittwirkung" der Friedenspflicht unter Hinweis auf das Verbot eines Vertrags zu Lasten Dritter rundweg zu verneinen ist. Bei der Beantwortung dieser Frage sollte man allerdings gleich zu Beginn differenzieren. Soweit im folgenden von der Arbeitskampfbefugnis der einzelnen Arbeitgeber die Rede sein soll, ist nämlich nicht daran vorbeizukommen, daß diese, funktional gesehen, von vornherein in zwei unterschiedliche Befugnisse zerfällt. Zunächst kann der Arbeitgeber seine evtl. Befugnis zum Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Ziel ausüben, die Gewerkschaft zur Beendigung oder Änderung eines bestehenden Verbandstarifvertrags zu bewegen, dem er sich durch I
6*
Vgl. insoweit nur MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 286 Rn. 4 m. w. Nachw.
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2. Kap.: Die Erkämptbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
Beitritt zum Arbeitgeberverband und aufgrund seiner Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG "unterworfen" hat. Doch ist der Arbeitgeber zugleich gern. § 2 Abs. 1 TVG selbst tariffähig und somit kann eine von ihm erklärte Aussperrung auch darauf gerichtet sein, auf die Verhandlungs- und Abschlußbereitschaft der Gewerkschaft mit dem Ziel einzuwirken, einen Firmentarifvertrag herbeizuführen2 • Da keinesfalls ausgemacht ist, sondern, ganz im Gegenteil, weit eher nicht zu vermuten steht, daß für beide Fälle dasselbe gelten muß, sind die genannten Konstellationen streng zu trennen. Entsprechendes gilt auch aus Sicht der gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer. Auch diese zielen, wenn sie "auf eigene Faust" Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen, entweder auf den Abschluß eines Verbandstarifvertrags oder auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags. Dementsprechend ist auch im Hinblick auf die Arbeitnehmerseite danach zu differenzieren, ob das eine, die Herbeiführung eines Verbandstarifvertrags mit einem Arbeitgeberverband, oder das andere, die Herbeiführung eines Firmentarifvertrags mit einem einzelnen Arbeitgeber, gewollt ist. Im folgenden soll jedoch zunächst der Frage nachgegangen werden, ob sich aus der objektivrechtlichen Begrundung der Friedenspflicht evtl. eine Beschränkung der Befugnis des Arbeitgebers ableiten läßt, für die Beendigung oder Änderung eines bestehenden Verbandstarifvertrags zu streiten3 .
§ 6 Die Erkämpfbarkeit von Verbandstarifverträgen durch den Arbeitgeber Betrachtet man zunächst die Rechtslage auf Seiten der Arbeitgeber - und klammert man die generelle Problematik der Zulässigkeit oder Unzulässigkeil einer Allgriffsaussperrung dabei einmal aus4 -, so zeigt sich allerdings rasch, daß es auf die Frage nach einer evtl. Beschränkung der Arbeitskampffreiheit vernünftigerweise nur eine Antwort geben kann.
2 Zur sog. Individual- oder Firmenaussperrung etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, 7. Auf!., 1970, § 47 III. 2b a, S. 906. 3 Nur das soll die Frage sein. Demgegenüber soll es nicht darum gehen zu klären, ob im Versuch, eine Änderung (oder Aufhebung) des Verbandstarifvertrags zu bewirken, beispielsweise ein Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der Verbände aus Art. 9 Abs. 3 GG liegt bzw. ob hinsichtlich der individuellen Koalitionsfreiheit der anderen Verbandsmitglieder die evtl. über den Inhalt des Tarifvertrags ganz anders denken mögen als der kampfführende Arbeitgeber! - entsprechende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. 4 Vgl. hierzu nur MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 286 Rn. 66 ff. ; auch Lieb, Arbeitsrecht, 7. Auf!., 2000, S. 211 ff.
§ 6 Die Erkämptbarkeit von Verbandstarifverträgen durch den Arbeitgeber
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I. Der Ausschluß der Erkämpfbarkeit von Verbandstarifverträgen durch den verbandsangehörigen Arbeitgeber Wenn oben das Bestehen einer objektivrechtlichen Friedenspflicht bejaht wurde, so war hierfür entscheidend, daß die Beteiligten Regelungen über die Beendigung des Tarifvertrags treffen - an die gern. § 3 Abs. 1 TVG auch die jeweiligen Verbandsmitglieder gebunden sind - und daß sie sich an diesen festhalten lassen müssen, ohne zugleich auch noch auf das Instrument des Arbeitskampfs zurückgreifen zu dürfen5 . Akzeptiert man aber die Prämisse, daß auf Seiten der Tarifparteien jedes schutzwürdige Interesse daran fehlt, sich während der Laufzeit des Tarifvertrags, über die Instrumente zur Beendigung des Tarifvertrags hinaus, eine uneingeschränkte Arbeitskampffreiheit zu erhalten, so ergibt sich zwanglos, daß schwerlich etwas anderes gelten kann, wenn es nicht um die eigene Arbeitskampfbefugnis des Verbands, sondern um die Arbeitskampfbefugnis der Mitglieder geht. Wie man rechtfertigen wollte, daß den Tarifparteien selbst die Möglichkeit zum Führen eines Arbeitskampfs genommen ist, währenddessen den Verbandsmitgliedern weiterhin eine unbeschränkte Arbeitskampfbefugnis zuzubilligen sein würde, wäre geradezu unerfindlich. Es bietet sich sogar an, noch einen wesentlichen Schritt weiter zu gehen und die Frage aufzuwerfen, inwieweit unter den geschilderten Umständen überhaupt noch von einer - rechtlich selbständigen - Arbeitskampfbefugnis der Verbandsmitglieder gesprochen werden kann6 • Diese Frage liegt deshalb nahe, weil die Arbeitskampfbefugnis des einzelnen Arbeitgebers (und Arbeitnehmers) ersichtlich nicht völlig eigenständig neben der des Verbands steht, sondern mit dieser auf das engste verbunden ist: Daß die Garantie der individuellen Koalitionsfreiheit im wesentlichen darin besteht, die Betätigung des einzelnen im Verband zu gewährleisten, und die kollektive Koalitionsfreiheit ihrerseits auf der Ausübung des entsprechenden Individualgrundrechts aufbaut, ist allgemein anerkannt7 • Umstritten ist nur, wie man dieser "Verschränkung" der grundrechtliehen Gewährleistungsbereiche in dogmatisch-konstruktiver Hinsicht Rechnung tragen soll. Insoweit stehen sich bekanntlich zwei unterschiedliche Auffassungen gegenüber: Nach der h. M. ist die Koalitionsfreiheit als sogenanntes Doppelgrundrecht zu verstehen, das die Koalition in ihrer Existenz und Betätigung schützt und dem einzelnen nicht mehr als eine Befugnis zur Teilnahme8 an den Betätigungen der V gl. Kap. 1 § 3 II. Mit anderen Worten: Statt danach zu fragen, ob sich aus einem Tarifvertrag - kraft ungeschriebenen objektiven Rechts- Wirkungen gegenüber Dritten ergeben, wäre daran anzusetzen, daß die Rechtsposition des Dritten möglicherweise von derjenigen der Verbände "von vornherein" nicht unabhängig ist. 7 Vgl. zu den "Gewährleistungsschichten" des Art. 9 Abs. 3 GG nur Scholz in: Maunz/ Dürig, Komm. z. GG, Art. 9 Rn. 169 f. s Deliktsrechtlich betrachtet stellen sich indes die möglichen Betätigungen der Koalition als "Teilnahme" dar, da einerseits nur der Arbeitgeber selbst aussperren kann - und somit, in 5
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
Koalition garantiert9• Nach dieser Konzeption ist der Arbeitskampf in erster Linie ein Gegenstand der kollektiven Koalitionsgarantie, während die Berechtigung des einzelnen Mitglieds zu einem bloßen Recht zum Anschluß an den verbandliehen Arbeitskampf wird und somit geradezu als vom Recht des Verbands abgeleitete und von diesem abhängige Befugnis 10 erscheint. Der Konzeption der h. M. gegenüber steht der von Scholz entwickelte Entwurf. Dieser versucht dem Zusammenhang zwischen individueller und kollektiver Koalitionsfreiheit dadurch Rechnung zu tragen, daß die Ausübung der kollektiven Koalitionsfreiheit als ein "summiertindividuales"11 (und "interindividuales") Verhalten der einzelnen Mitglieder aufgefaßt wird 12, womit sich die Sichtweise geradezu umkehrt, da nunmehr die Koalitionsfreiheit des einzelnen ganz in den Vordergrund der Betrachtung rückt und die kollektive Komponente der Rechtsausübung gewissermaßen zu einer bloßen Verfahrensform verkümmert 13 .
der Terminologie des Strafrechts gesprochen, nur er die erforderlichen "Tätermerkmale" aufweist- und da andererseits der Aufruf zur Aussperrung deliktsrechtlich als Anstiftung (vgl. § 830 Abs. 2, l. Alt. BGB) und die Unterstützung der Arbeitgeber durch den Verband als Beihilfe (vgl. § 830 Abs. 2, 2. Alt. BGB) zu werten wären. Allenfalls i. H. a. die Leitung und Beherrschung des Arbeitskampfs könnte von einer - intellektuellen - (Mit-)Täterschaft des Verbands die Rede sein. Von einer Haftung der Gewerkschaft "als Täter" zu sprechen, ist daher nicht unproblematisch; so aber Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1229 (u. Hinw. auf LAG Düsse/dorfv. 24. 2. 1994, LAGE Nr. 54 zu Art. 9 GG Arbeitskampf= DB 1994, 887). Darauf, daß die Verbände bei der Durchführung von Arbeitskämpfen auf ihre Mitglieder angewiesen sind, hat bereits Nikisch, Friedenspflicht, Durchführungspflicht und Realisierungspflicht, 1932, S. 31 aufmerksam gemacht; vgl. in diesem Zusammenhang auch Seiter, AR-Blattei, Arbeitskampf II. Entscheidung Nr. 24, der deshalb annimmt, die Mitglieder seien in die Friedenspflicht des Tarifvertrags "mittelbar ... einbezogen". 9 Vgl. insoweit nur MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 284 Rn. 36 f. m. w. Nachw. zur Rspr.; Nachw. auch bei Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 40 (u. Fußn. 1), S. 51 (Fußn. 1) u. S. 53 (Fußn. 15). 10 So ausdrücklich MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 284 Rn. 37. 11 Vgl. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 145; auch Scholz in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 9 Rn. 22 (,,Persönlichkeitsverwirklichung in Gruppenform"). 12 Das wäre übrigens, sofern man es mit einem rechtsfähigen Verband zu tun hat, nur auf dem Wege einer Durchgriffsbetrachtung möglich. Dabei erhellt zugleich ein wesentlicher Einwand, der sich gegenüber der von Scholz entwickelten Lehre vorbringen läßt. Dieser besteht darin, daß er die Arbeitskampffreiheit der Gesamtheit der Mitglieder eines Verbands zurechnet, obschon diese im Dienste des Abschlusses von Tarifverträgen steht, an denen nach der Bestimmung des § 2 Abs. 1 TVG, neben dem einzelnen Arbeitgeber, nur die Verbände selbst beteiligt sein können. Was dagegen den nichtrechtsfähigen Verband anbelangt, so ist daran zu erinnern, daß u. U. auch nicht rechtsfähigen Einheiten nach der Rspr. des BVerfG die Grundrechtsträgerschaft eingeräumt werden kann; vgl. insoweit nur Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 19 Rn. 60 m. w. Nachw. 13 Zustimmung hat diese Position etwa gefunden bei Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 89.
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Rechtssystematisch betrachtet handelt es sich insoweit zwar allein um ein Problem der Rechtsträgerschaft, genauer der Grundrechtsträgerschaft, also um die Frage, wer sich auf das Bestehen grundrechtliehen Schutzes soll berufen dürfen. Doch wird aus dem eben Gesagten unschwer deutlich, daß dem Meinungsstreit auch im vorliegenden Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt. Diese liegt zunächst, ganz allgemein gesprochen, darin, daß die eben skizzierten Lehren den Inhalt der Arbeitskampffreiheit je nach der "Trägerschaft" der Befugnisse unterschiedlich bestimmen müssen, um den Zusammenhang zwischen individueller und kollektiver Arbeitskampffreiheit anschaulich zu machen. Sie liegt aber v. a. auch darin, daß es, wie sogleich zu zeigen sein wird, nach beiden Auffassungen dringend geraten erscheint, die Friedenspflicht des Verbands auf das einzelne Mitglied "durchschlagen" zu lassen. In konstruktiver Hinsicht ist dabei allerdings zu unterscheiden. Legt man zunächst die von der h. M. entwickelte Lehre vom Doppelgrundrecht zugrunde, so handelt es sich bei der Arbeitskampfbefugnis des einzelnen letztlich um nicht mehr als ein "Derivat" 14 aus der entsprechenden kollektiven Befugnis. Die individuelle Arbeitskampfbefugnis ist danach, anders ausgedrückt, gegenüber der kollektiven Berechtigung gewissermaßen "akzessorisch". Unter diesen Umständen drängt es sich aber geradezu auf, der Unselbständigkeit der individuellen Arbeitskampffreiheit dadurch Rechnung zu tragen, daß man die Teilnahme am friedenspflichtwidrigen Arbeitskampf rechtlich nicht anders bewertet als den friedenspflichtwidrigen Arbeitskampf selbst 15 • Nach Maßgabe der Lehre vom Doppelgrundrecht kann die Arbeitskampfbefugnis des Arbeitgebers dementsprechend schwerlich weiter reichen, als die Arbeitskampffreiheit des Verbands. Vielleicht sogar noch näher liegt die Konsequenz einer unmittelbaren Beschränkung der Arbeitskampfbefugnis des einzelnen Arbeitgebers, wenn man auf die von Scholz vertretene Lehre 16 abstellt. Denn wenn die Ausübung der kollektiven Koalitionsfreiheit wirklich nicht mehr beinhaltet als die "sumrniert-individuale" 17 Ausübung der entsprechenden individuellen Befugnisse, so wird es, rechtskonstruktiv gesehen, geradezu unausweichlich, im Hinblick auf den Adressaten der Friedenspflicht nicht zwischen dem Verband auf der einen und den VerbandsrnitSo Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 87. Bei dieser Begründung stünde im Vordergrund, daß die individuelle Arbeitskampfbefugnis nach h. M. eine aus dem Recht der Koalition selbst abgeleitete Befugnis darstellt. Selbst wenn man aber so weit nicht gehen und die individuelle Arbeitskampffreiheit statt dessen mit der kollektiven Arbeitskampffreiheit gleichstellen wollte, ergäbe sich nach der Sichtweise der h. M . nichts wesentlich anderes. Denn in jedem Fall wäre zu berücksichtigen, daß der einzelne nur im Rahmen des Kollektivs soll handeln können und auch wenn das nicht notwendigerweise auf eine "Rangfolge" der Befugnisse zum Arbeitskampf hinausiaufen muß, so ist es doch mehr als naheliegend, dem einzelnen diese Befugnis vorzuenthalten, wenn seine Arbeitskampfmaßnahmen nicht vom Verband "getragen" werden. 16 Vgl. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 145; ders. in: Maunz/ Dürig, Komm. z. GG, Art. 9 Rn. 22. 17 Vgl. Scholz. Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 145. 14 15
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
gliedern auf der anderen Seite zu differenzieren. Der "Durchgriff' auf die letztgenannten ist damit aber geradezu "vorprograrnrniert" 18. Demzufolge ergibt sich auf der Grundlage beider Auffassungen eine Bestätigung dafür, daß die Arbeitskampfbefugnis des einzelnen Arbeitgebers eingeschränkt ist, soweit er diese einsetzt, um Änderungen eines bestehenden Verbandstarifvertrags zu bewirken, an den er gern. § 3 Abs. I TVG gebunden ist.
II. "Drittbelastung" des Arbeitgebers durch Annahme deliktsrechtlicher "Verkehrspflichten" oder Statuierung von "Schutzpflichten" Es bleibt die Frage, wie sich die "Drittbelastung" des Arbeitgebers, die nach der eben entwickelten Auffassung in gewissem Umfang eintritt, konstruktiv bewältigen läßt. Insofern fällt die Antwort nicht ganz leicht, da die herrschende deliktsrechtliche Sichtweise der haftungsrechtlichen Folgen eines illegalen Arbeitskampfs - die bislang auch dieser Darstellung zugrunde gelegt wurde - zunehmend Kritik erfährt. Bestimmt wird die Diskussion gegenwärtig von zwei Auffassungen: Während die adäquate dogmatische Antwort auf einen verbotenen Arbeitskampf nach der h. M. die Entwicklung deliktischer "Verkehrspflichten" auf der Grundlage des § 823 Abs. I BGB ist19, setzt eine offenbar im Vordringen befindliche Ansicht auf die Annahme quasivertraglicher Schutzpflichtverletzungen, so daß insoweit im wesentlichen auf die Grundsätze der culpa in contrahendo abzustellen wäre und für die Heranziehung des Deliktsrechts nur im Hinblick auf "deliktische Exzesse" Raum bliebe20. Welche der beiden Auffassungen den Vorzug verdient, hängt von der Entscheidung der Frage ab, ob man bereit ist, trotzzunehmend kritischer Stimmen21 weiterhin der Rechtsprechung des BGH zu folgen, der bekanntlich seit seiner sog. Constanze-Entscheidung22 das sog. Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbe18 So schreibt denn auch Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 366 ausdrücklich: "Umgekehrt darf sich der verbandsfreie Arbeitskampf nicht gegen eine bestehende Koalitionsvereinbarung richten (Friedenspflicht). Denn auch hier rangiert die in der Koalitionsvereinbarung verkörperte Allgemeinheit vor der präsumtiven Nicht-Allgemeinheit des verbandsfreien Arbeitskampfs". 19 Vgl. insoweit statt aller MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 289 Rn. 4 ff. 2o Vgl. Canaris, Schuldrecht, Bd. 11/2, 13. Aufl., 1994, § 81 III. 6., S. 559 f. mit der Erwägung, daß sich die Beteiligten hier gerade nicht "unverbunden", sondern im Rahmen einer Sonderbeziehung gegenüberstehen, da sie sich "im Vor- und Umfeld von Verträgen bewegen"; vgl. zur Problematik auch Peters, Das Scheitern der Tarifverhandlungen als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für Arbeitskampfmaßnahmen, 1997, S. 134 ff. sowie Arnold, Die tarifrechtliche Dauerrechtsbeziehung, 1996, S. 34 ff.; Waas, ArbuR 1991, 334, 339 f. 21 Abi. insbes. etwa auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 463.
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betrieb als "sonstiges Recht" i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB betrachtet23 • Steht man einem derartigen Recht, entgegen der Rechtsprechung 24, kritisch gegenüber25 (und bestreitet man ihm insbesondere eine gewohnheitsrechtliche Geltung26), so drängt es sich geradezu auf, den Arbeitskampf aus dem Anwendungsbereich der§§ 823 ff. BGB insgesamt - und d. h. unabhängig davon, wer in einem konkreten Fall den Arbeitskampf führt - herauszunehmen, da einerseits nicht ersichtlich ist, welches Rechtsgut bei einem Arbeitskampf auf Arbeitgeberseite sonst betroffen sein könnte und da andererseits -von den Fällen "deliktischer Exzesse", wie gesagt, einmal abgesehen- insoweit auch auf dem Wege der Heranziehung des §§ 823 Abs. 2 und 826 BGB nicht wesentlich weiterzukommen ist27 . Die Klärung der Frage, ob und inwieweit das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als "sonstiges Recht" i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB Anerkennung finden muß28, kann allerdings nicht Aufgabe der hier anzustellenden Untersuchung sein und zwar um so weniger, als es sich dabei bekanntlich allenfalls am Rande um ein Problem des Arbeitskampfrechts handelt29 • Indes kommt es im vorliegenden Zusammenhang auf die Einzelheiten auch gar nicht an, da sich die hier entwickelte Konzeption einer den einzelnen Arbeitgeber unmittelbar treffenden, zwingenden Friedenspflicht jedenfalls sowohl mit der h. M. als auch mit der eben skizzierten Gegenauffassung mühelos vereinbaren läßt. Den damit aufgeworfenen Fragen darf man übrigens keinesfalls ausweichen. Denn nur wenn man sich zumindest in den Grundzügen mit den Konzeptionen auseinandersetzt, die hinsichtlich der rechtlichen Folgen des illegalen Arbeitskampfs 22 BGR v. 26. 10. 1951, BHGZ 3, 270 anknüpfend an die sog. Jutefaser-Entscheidung des Reichgerichts, RG v. 27. 2. 1904, RGZ 58, 24. 23 Vgl. nur die Nachw. zur Rspr. bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 1217 ff.; näher zu den dogmatischen Grundlagen des Rechtsam eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb statt aller Staudinger-Rager § 823 Rn. D 3. 24 Vgl. insoweit nur die Nachw. bei Staudinger-Rager § 823 Rn. D 47. 25 Überblicksweise zur Kritik Staudinger-Rager § 823 Rn. D 5. 26 So etwa Canaris, Schuldrecht, Bd. 11/2, 13. Aufl., 1994, § 81 IV. 1d, S. 562, der insoweit zu bedenken gibt, daß Gewohnheitsrecht "niemals die dogmatische Einordnung zementieren" könne; für die Annahme von Gewohnheitsrecht etwa MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 289 Rn. 6 m. w. Nachw. zum Streitstand. 27 Vgl. nur MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 289 Rn. 5 bzw. 10 ff. 28 Bejahend etwa Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1217 f. m. w. Nachw., der insoweit sogar die Bildung von Gewohnheitsrecht annimmt, zugleich aber einräumt, daß sich "dieser Tatbestand in das § 823 Abs. I BGB zugrunde liegende Schema schon konstruktiv schlecht ein(füge)"; vgl. zu diesem Problem die überaus kritische Auseinandersetzung mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bei Canaris, Schuldrecht, Bd. 11/2, 13. Aufl., 1994, § 81, S. 537 ff. 29 So ausdrücklich Canaris, Schuldrecht, Bd. 11/2, 13. Aufl., 1994, § 81 III. 6, S. 559, der zurecht darauf hinweist, daß das Arbeitskampfrecht lediglich ein "vorhandenes bürgerlichrechtliches Instrumentarium nutzen, nicht aber umgekehrt den Anlaß für die Beibehaltung einer Rechtsfigur abgeben (könne)"-, für die nach Auffassung des Autors keine Legitimation mehr besteht.
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vertreten werden, kann man die Frage beantworten, ob sich die hier erarbeitete Auffassung wirklich lückenlos in das zivilrechtliche Haftungssystem integrieren läßt. Auf diese Ergebniskontrolle sollte man aber unter keinen Umständen verzichten, da man eben nicht von vomherein ausschließen kann, daß sich dabei Hinweise auf einen möglichen Wertungswiderspruch ergeben, die allemal Anlaß sein würden, die hier vertretene Auffassung nochmals zu überdenken. 1. Die Konzeption der Friedenspflicht und die Auffassung von Canaris
Was zunächst die insbesondere von Canaris befürwortete Heranziehung der Grundsätze der culpa in contrahendo und damit die Entwicklung quasivertraglicher Schutzpflichten betriffe0 , so entstehen insoweit im vorliegenden Zusammenhang keine Schwierigkeiten. Zwar erscheint es auf den ersten Blick nicht ganz unproblematisch anzunehmen, daß am Vertrag selbst nicht beteiligte Dritte an Schutzpflichten aus einem fremden Schuldverhältnis gebunden sein sollen. Doch beruhen diese Pflichten eben, wie gesehen, auf objektivem Recht und daher kann ihnen das Verbot vertraglicher Vereinbarungen zu Lasten Dritter von vornherein nicht entgegenstehen. Ganz abgesehen davon ist bei dem heutigen Stand der Schuldrechtsdogmatik allgemein anerkannt, daß ein Vertrag in gewissem Umfang, nämlich insbesondere hinsichtlich evtl. Stellvertreter, Vennittler, Sachwalter und anderer "Verhandlungsgehilfen"31 durchaus direkte - und nicht nur "reflektorische"32 -belastende Drittwirkungen entfalten kann33. Da aber der einzelne Arbeitgeberangesichts seines Interesses an den tarifvertragliehen Regelungen und angesichts seiner Tarifgebundenheit dem Tarifvertrag jedenfalls nicht ferner steht als die genannten Personen34, läge in der Bejahung derartiger Wirkungen selbst dann keine dramatische Fortentwicklung anerkannter dogmatischer Grundsätze, wenn Grundlage der Friedenspflicht nicht ungeschriebenes Gesetzesrecht, sondern eine entsprechende Abrede der Parteien wäre. Schließlich sollte man sich auch nicht allzu sehr daran stören, daß es bei den normalerweise in Rede stehenden belastenden Drittwirkungen im wesentlichen um Aufklärungspflichten u. ä. und nicht um - auf das Integritätsinteresse des Gläubigers gerichtete - Schutzpflichten gehe 5• Denn die Stellung der verbandsangehöri30 Vgl. insoweit Canaris, Schuldrecht, Bd. 11/2, 13. Aufl., 1994, § 81 III. 6, S. 559 f.; auch schon Seiter, ZfA 1989, 283, 296 f., 298; krit. etwa Staudinger-Rager § 823 Rn. D 47. 31 Vgl. zum Begriff etwa Staudinger-Löwisch Vorbem. 68, 87 zu§ 275 ff. 32 Vgl. zur Terminologie Gemhuber; Das Schuldverhältnis,§ 23 I. 1, S. 553. 33 Näher zur Eigenhaftung des Erfüllungsgehilfen etwa Staudinger-Löwisch Vorbem. 87 ff. zu§ 275 ff. 34 Zum wirtschaftlichen Eigeninteresse als Voraussetzung einer Haftung des ,.Verhandlungsgehilfen" etwa Staudinger-Löwisch Vorbem. 90 zu § 275 ff. 35 Zu den Rechtsfolgen, die auf der Grundlage einer Eigenhaftung des ,.Verhandlungsgehilfen" erzielbar sind, statt aller Staudinger-Löwisch Vorbem. 94 ff. zu § 275 ff. m. w. Nachw.
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gen und tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist zumindest nicht schwächer als die eines ,,Dritten" beim Vertrag zugunsten Dritter. Im Hinblick auf diesen ist aber allgemein anerkannt, daß der Begünstigte einer Eigenhaftung aus culpa in contrahendo ausgesetzt sein kann, wenn er "am Vertragsschluß beteiligt" ist - was man im vorliegenden Zusammenhang durchaus wird bejahen können und dabei den Versprechenden verletzt36•
2. Die Konzeption der Friedenspflicht und die Auffassung der h. M. Auch mit der herrschenden deliktsrechtlichen Sichtweise des Arbeitskampfs ist die hier entwickelte Konzeption einer den einzelnen Arbeitgeber treffenden Friedenspflicht mühelos vereinbar. Nach dieser stellt sich der unzulässige Streik, wie soeben ausgeführt, als Eingriff in das "Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" dar37, währenddessen die unzulässige Aussperrung einer verbreiteten Auffassung zufolge als Verletzung eines - ebenfalls deliktsrechtlich geschützten - ,,Rechts am Arbeitsplatz" 38 anzusehen ist39 • In beiden Fällen soll zudem tatbestandlieh ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit des gegnerischen Verbands vorliegen40.
Vgl. etwa MünchKomm-Gottwald § 328 Rn. 9. Nachw. zur Rspr. bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1217 (u. Fußn. 109). 38 Hinsichtlich der Frage, welches Rechtsgut des Arbeitnehmers von einer rechtswidrigen Aussperrung betroffen ist, werden in der Rechtslit. die unterschiedlichsten Antworten gegeben. Die Konzeptionen reichen von der Forderung nach der Anerkennung eines ,.Rechts am Arbeitsplatz" über die "berufliche Betätigungsfreiheit" als Rechtsgut bis zur "Entschließungsfreiheit" als von § 823 Abs. 1 BGB geschütztem Gut. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß für die Begründung eines "Rechts am Arbeitsplatz" die Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ausschlaggebende Bedeutung hat, ja daß das erstere geradezu "parallel" zu dem letzteren - so ausdrücklich MünchArbR-Otto Rn. 56 sowie Staudinger-Hoger § 823, Rn. B 192- konstruiert wird und dementsprechend u. U. auch mit diesem steht und fällt; ähnl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1234: ,,Die Vorstellung vom absolut geschützten Recht des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz verdankt ihre Entstehung v. a. dem Bestreben, angesichts der Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb im Arbeitskampf eine Art Gleichgewicht zwischen den beiden Seiten herzustellen". Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, zugleich auch das Recht am Arbeitsplatz abzulehnen, wenn man dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb die Anerkennung versagt. 39 Nach anderer Auffassung soll der Schlüssel nicht in § 823 Abs. 1 BGB als der Zentralnorm des Deliktsrechts zu suchen sein, sondern vielmehr in § 823 Abs. 2 BGB liegen, der an die Verletzung von ,.Schutzgesetzen anknüpft"; als mögliche Anspruchsgrundlage wird insoweit § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG genannt; überblicksweise zum Ganzen Löwisch/Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 260 ff. m. w. Nachw. 40 Vgl. wiederum MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 289 Rn. 53 u. Hinw. auf BAG v. 26. 4. 1988 AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 36
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Da allerdings die Koalitionsfreiheit zugleich auch die grundsätzliche Befugnis umfaßt, Maßnahmen des Arbeitskampfs zu ergreifen, kann der Eingriff in die genannten Rechte ausnahmsweise legitimiert sein, wenn und soweit sich sagen läßt, daß der kampfführende Verband von einem eigenen Recht Gebrauch macht41 ; letzteres fügt sich übrigens durchaus in die allgemeine Dogmatik des Rechts der unerlaubten Handlung ein, da anerkanntermaßen eine deliktische Haftung nicht eingreift, wenn die Rechtswidrigkeit entweder aufgrund eines eigenen subjektiven Rechts des Eingreifenden oder aufgrund einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung42 entfällt. Besteht nun aber gerade kein eigenes Recht des Eingreifenden und eben dies ist nach der hier entwickelten Konzeption der Fall, wenn der Arbeitgeber, entgegen der Friedenspflicht des Tarifvertrags, "auf eigene Faust" einen Arbeitskampf um einen Verbandstarifvertrag führt -, so ergäben sich keinerlei Bedenken dagegen, ihn gegenüber der Gewerkschaft unter dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung haften zu lassen. Im Ergebnis ist somit anzunehmen, daß die betroffene Gewerkschaft bei Verstößen gegen die Friedenspflicht Schadensersatzanspruche aus § 823 Abs. 1 BGB und grundsätzlich - im Wege des quasi-negatorischen Schutzes- auch Unterlassungsanspruche gegen den kampfführenden Arbeitgeber geltend machen kann43, sofern man jedenfalls bereit ist, in einer derartigen Konstellation einen Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit des Verbands zu bejahen und das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG zu den "sonstigen Rechten" i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB zu zählen44.
§ 7 Die Erkämptbarkeit von Verbandstarifverträgen durch die Gewerkschaft im Verhältnis zum verbandsangehörigen Arbeitgeber Ging es bislang um die Frage, ob und inwieweit die Arbeitskampffreiheit des einzelnen Arbeitgebers aufgrund eines Verbandstarifvertrags eingeschränkt ist und zwar gerade gegenüber der Gewerkschaft, die am Tarifvertrag beteiligt ist -, so soll nunmehr die Fragestellung umgekehrt werden. Sie lautet also: Führt der Abschluß eines Verbandstarifvertrags dazu, daß auch die Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft gegenüber dem Arbeitgeber eingeschränkt wird? 41 Vgl. insoweit auch Richardi, ZfA 1985, 101, 113 (Arbeitskampf stellt ,,zulässigen Eingriff in einen fremden Rechtskreis" dar). 42 Vgl. zum Ganzen nur MünchKomm-Mertens § 823 Rn. 36 ff. 43 Zur grunds. Anerkennung eines entsprechenden Unterlassungsanspruchs der Tarifparteien BAG v. 26. 4. 1988, AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter Aufgabe von BAG v. 12. 9. 1984, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, wo nur den (Trägern der) von Arbeitskämpfen betroffenen Unternehmen (!) Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche unmittelbar gegen die Gewerkschaft zugestanden worden waren. 44 Vgl. MünchArbR-Otto § 289 Rn. 53.
§ 7 Die Erkämptbarkeit von Verbandstarifverträgen durch die Gewerkschaft
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Nach h. M. soll die der Friedenspflicht zugrunde liegende Abrede der Tarifparteien, wie gesagt, entweder als Vertrag zugunsten Dritter oder als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zu qualifizieren sein45 • Das Vorliegen eines Vertrags zugunsten Dritter wird allerdings überwiegend nur im Ausnahmefall bejaht und zwar mit der Begriindung, daß der Verband in der Regel kein Interesse daran habe, dem einzelnen Mitglied einen eigenen Erfüllungsanspruch gegen den gegnerischen Verband einzuräumen46. Soweit der Tarifvertrag eine Friedenspflicht zwischen den Beteiligten begriindet, stellt er demzufolge nach h. M. zumeist einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte dar, aus dem sich für den Arbeitgeber Schadensersatzanspruche ergeben, wenn die Gewerkschaft rechtswidrig Arbeitskampfmaßnahmen ergreift und ihm dabei ein Schaden erwächst.
I. Die Konzeption der h. M.: Vertrag zugunsten Dritter oder Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Sieht man hier einmal davon ab, daß sich die Friedenspflicht, wie bereits oben gezeigt wurde, nicht völlig bruchlos in das Konzept des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte einpassen läßt und daher für den Bereich des Tarifrechts in jedem Fall eine gewisse "Anpassung" dieses Instituts erforderlich wird47 , so stellt sich im vorliegenden Zusammenhang die Frage, ob dem einzelnen Verbandsmitglied stets ein auf Schadensersatz gerichteter Sekundäranspruch gegen den gegnerischen Verband zusteht oder ob auch denkbar ist, daß dem Mitglied ein Ersatzanspruch vorenthalten bleibt. Kann also, so ließe sich auch fragen, die Begünstigung des Dritten durch die Parteien des Vertrags ausgeschlossen werden oder nicht? Insoweit handelt es sich zunächst um ein allgemeines schuldrechtliches Problem, dessen Beantwortung davon abhängt, ob man den Drittschutz, der durch einen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte vermittelt wird, im Einklang mit dem 45 Vgl. nur MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 289 Rn. 4. Zuweilen ist vom Vorliegen eines Vertrags zugunsten Dritter, zuweilen auch vom Bestehen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte die Rede, ohne daß häufig deutlich würde, ob hinter der unterschiedlichen Begrifflichkeit verschiedene rechtliche Konzeptionen stehen; für das letztere Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, 7. Auf!., 1967, § 38 B li. 2a, S. 705; differenzierend Boldt, RdA 1971, 257, 266 (Auslegungsfrage); undeutlich Frey, DB 1970, 1926, 1927 mit der Feststellung, daß "der Koalitionsfrieden ... im Reflexweg nach Art des § 328 BGB auch die Position des einzelnen Arbeitgebers verfestigt" (?). 46 Vgl. insoweit auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Il/1, 7. Auf!., 1967, § 38 B II. 2a, S. 705 ("ein echter Vertrag zugunsten Dritter liegt also nicht vor") mit der Erwägung, daß "die Begünstigung des einzelnen Mitglieds ... lediglich ein Reflex der Gesamtbegünstigung" sei und daß ,,Erfüllungsansprüche auf Unterlassung oder Widerruf von Kampfmaßnahmen (sowie) auf Einwirkung auf die Mitglieder zur Herstellung des Arbeitsfriedens" daher "grundsätzlich nur von der gegenüberstehenden Tarifpartei geltend gemacht werden" könnten. 47 Vgl. hierzu Kap. 1 § 5 li. 2b aa.
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
BGH auf den realen oder zumindest den hypothetischen Willen der Parteien stützt48 - was zwangsläufig zur "Auslieferung des Dritten" an deren "Gutdünken" führt49 - oder ob man insoweit ein gesetzliches Schuldverhältnis annimmt und die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen einer Drittbegünstigung der Disposition der Parteien entzieht50. Die Diskussion diese Frage gehört indes nicht nur nicht in eine Untersuchung zum Tarifrecht, sondern ist auch gar nicht erforderlich. Denn die Friedenspflicht entsteht, wie sich oben gezeigt hat, unabhängig davon, ob sie von den Tarifparteien vereinbart wurde und ist mithin von deren Willen unabhängig51. Unter diesen Umständen wäre es aber von vornherein irrig, im vorliegenden Zusammenhang das Vertragskonzept des BGH zugrunde zu legen. Zu fragen ist hier vielmehr, ob nach den - insoweit allein ausschlaggebenden - objektiven Wertungen des Tarifrechts stets eine Begünstigung des einzelnen Verbandsmitglieds anzunehmen ist oder nicht. Ganz abgesehen davon stellt sich angesichts der hier befürworteten objektivrechtlichen Begrundung der Friedenspflicht notwendigerweise die weitere Frage, ob es wirklich zutrifft, daß die Tarifparteien einen Erfüllungsanspruch des einzelnen Mitglieds ohne weiteres ausschließen können, indem sie - wie die h. M. annimmt - die Friedenspflicht, statt auf einen Vertrag zugunsten Dritter, auf einen "bloßen" Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte griinden. Auch dieser Frage muß daher im folgenden nachgegangen werden.
II. Die eigene Konzeption zur Berechtigung eines verbandsangehörigen Arbeitgebers aus der tarifvertragliehen Friedenspflicht Wendet man sich zunächst dem erstgenannten Problem zu - und legt man dabei die noch immer herrschende deliktsrechtliche Sichtweise des Arbeitskampfs zugrunde -, so erscheint es kaum zweifelhaft, daß die Berechtigung des einzelnen Arbeitgebers zum Schadensersatz nicht zur Disposition der Verbände stehen kann.
1. Die Berechtigung des Arbeitgebers zum Schadensersatz Den Ausgangspunkt muß insoweit die oben gewonnene doppelte Erkenntnis bilden, daß einerseits die Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft ein subjektives Recht begriindet, unter Ausübung von vis compulsiva sowohl in die Koalitionsfreiheit des gegnerischen Verbands gern. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG als auch in das Recht Vgl. insoweit nur Staudinger-lagmann Vorbem. 102 zu§§ 328 ff. m. w. Nachw. So plastisch Gemhuber, Das Schuldverhältnis, § 21 li. ld, S. 519. 50 Auch hierzu Staudinger-lagmann Vorbem. 100 zu §§ 328 ff. m. w. Nachw. st Vgl. Kap. 1 § 3 II. 48
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§ 7 Die Erkämpfbarkeit von Verbandstarifverträgen durch die Gewerkschaft
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der einzelnen Verbandsmitglieder am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einzugreifen52, und daß andererseits gerade diese Befugnis zum "Eingriff" in ein fremdes Recht aufgrund eines ungeschriebenen Satzes des objektiven Rechts eingeschränkt ist, wenn die Gewerkschaft mit einem Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag vereinbart hat. Zwar ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, eine derartige Beschränkung allein gegenüber dem Verband selbst anzunehmen und die Gewerkschaft im Verhältnis zu den Verbandsmitgliedern weiterhin in vollem Umfang als berechtigt anzusehen, Maßnahmen des Arbeitskampfs zu ergreifen53 . Doch fallt es außerordentlich schwer, irgendeinen nachvollziehbaren Grund anzugeben, der eine derartige Differenzierung rechtfertigen könnte. Ganz im Gegenteil, spricht alles dafür, vom Gedanken an eine solche sogleich Abstand zu nehmen. Das erweist sich zunächst schon dann, wenn man sich die Funktionsweise des gewerkschaftlichen Arbeitskampfs nochmals vor Augen führt. Dabei zeigt sich, daß die Befugnisse, auf die eine Gewerkschaft insoweit gegenüber dem Arbeitgeberverband und seinen Mitgliedern verweisen kann, keinesfalls unverbunden nebeneinander stehen: Wenn die Gewerkschaft mittels eines Streiks in die rechtlich geschützten Interessen der Arbeitgeber eingreift, so tut sie das allein deshalb, um - mittelbar - Druck auf die Willensbildung des gegnerischen Verbands ausüben zu können. Die Niederlegung der Arbeit und die damit einhergehende Schädigung des Arbeitgebers ist mit anderen Worten nur ein Mittel, mit dem sie ihre Forderungen gegen den Arbeitgeberverband durchzusetzen versucht. Vor diesem Hintergrund erschiene es aber geradezu unerklärlich, wie man dazu kommen wollte, ihr die Ausübung von Druck gegenüber dem gegnerischen Verband zu verwehren, ohne zugleich auch insoweit eine Beschränkung ihrer Arbeitskampffreiheit anzunehmen, als es um die Schädigung der Mitglieder dieses Verbands geht. Eine derartige Unterscheidung zu treffen, wäre um so fragwürdiger, als die ihr zugrunde liegende strikte Trennung zwischen dem Verband und seinen Mitgliedern, so zutreffend sie grundsätzlich auch ist, im vorliegenden Zusammenhang eher künstlich erscheint. Denn einerseits erhellt aus dem oben Gesagten ohne weiteres, daß es beim Arbeitskampf letztlich allein darum geht, die in einem Verband organisierten Arbeitgeber (oder doch jedenfalls deren Mehrheit) dazu zu bewegen, im Verband für einen bestimmten Tarifabschluß einzutreten. Und andererseits ist geradezu mit Händen zu greifen, daß es bei der Friedenspflicht, jedenfalls der Sache nach, weniger um den Schutz der Verbände als um den Schutz ihrer Mitglieder geht. Auch unter diesem Blickwinkel führt daher wohl nichts an der Einsicht vorbei, daß man den gewerkschaftlichen Streik einheitlich bewerten und dementspreVgl. hierzu nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 512 f. Nicht gangbar erscheint insbes. der Weg, sich vorliegend einfach darauf zu beschränken, daß die Annahme einer nur relativen Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des durch die Friedenspflicht gebundenen Verbands atypisch sei. Jedenfalls kennt auch das BGB relative Verfügungsverbote (vgl. § 135 Abs. 1 S. 1 BGB). 52
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chend nicht zwischen dem Arbeitgeberverband und dessen Mitgliedern unterscheiden sollte. Das wird vollends deutlich, wenn man sich an dieser Stelle nochmals die schadensrechtlichen Erwägungen vor Augen führt, die oben im Rahmen der Auseinandersetzung mit der sog. Differenzierungstheorie angestellt worden sind. Dabei hatte sich nämlich gezeigt, daß es, um das mindeste zu sagen, mehr als problematisch wäre, im Falle eines rechtswidrigen Arbeitskampfs einen eigenen Schaden des Verbands zu bejahen54. Teilt man aber die entsprechenden Bedenken, so kommt man nicht daran vorbei, daß ein "gespaltenes" Rechtswidrigkeitsurteil55 der Gewerkschaft die Sanktion möglicher deliktischer Schadensersatzanspruche entweder ganz ersparen oder zu der verhältnismäßig "umwegigen" Annahme einer Befugnis des Verbands zur Liquidation von Schäden der Mitglieder zwingen würde, da das Verhalten der Gewerkschaft den Arbeitgebern gegenüber rechtmäßig wäre, während es gegenüber dem Arbeitgeberverband zwar als rechtswidrig beurteilt werden müßte, ein Schadensersatzanspruch aber zu verneinen sein würde, da diesem eben gar kein eigener Schaden entstünde. Selbst wenn es, vertragsrechtlich gesehen, keine Probleme bereitet anzunehmen, daß der Schaden bei einer anderen Person als dem Vertragspartner eintritt, bleibt es doch dabei, daß der Gesetzgeber eine derartige "Spaltung" des Rechtswidrigkeitsurteils schwerlich gewollt haben kann. Auch wer den Ausgangspunkt dieser Überlegungen nicht teilt und dementsprechend keine Schwierigkeiten sieht, einen eigenen Schaden des Verbands zu bejahen, hat gegenüber einem derart "gespaltenen" Rechtswidrigkeitsurteil noch immer allen Anlaß zur Skepsis. Selbst wenn man nämlich der Auffassung ist, daß dem Verband im Umfang seiner Unterstützungsleistungen an die Mitglieder ein Schaden erwächst, so läßt sich der Eigenschaden der Mitglieder doch schwerlich "wegdiskutieren". Da aber die Gewerkschaft jedenfalls nicht verpflichtet sein kann, doppelt Schadensersatz zu leisten, würde sich vor diesem Hintergrund zwangsläufig die Frage stellen, in welchem Verhältnis beide Schäden zueinander stehen. Eine Antwort hierauf läßt sich nur auf der Grundlage schadensrechtlicher Wertungen geben. Doch muß man diese dann auch explizit machen und darf sie keinesfalls durch die Behauptung vorwegnehmen, daß das Rechtswidrigkeitsurteil im soeben beschriebenen Sinne zu "teilen" sei. Noch größer dürfte das Problem sein, daß ein Schaden des Verbands, wenn man ihn denn entgegen dem hier vertretenen Standpunkt bejahen will, allenfalls in dem Umfang in Betracht kommen kann, in dem dieser gegenüber dem Mitglied tatsächlich Unterstützungsleistungen erbracht hat bzw. in dem er wenigstens zu derartigen Leistungen verpflichtet ist. Denn, rechtspraktisch gesehen, ist es alles andere als Vgl. Kap. l § 5 II. 2a. In dem Sinne, daß man die Grenzen der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft unterschiedlich bestimmt, je nachdem, ob die rechtlichen Folgen gegenüber dem Arbeitgeberverband oder dem einzelnen Arbeitgeber zur Debatte stehen. 54
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ausgemacht, daß sich der Umfang der Leistungen des Verbands bzw. der Umfang seiner entsprechenden Verpflichtung mit dem aktuellen Schaden deckt. Wollte man zu einer "Aufspaltung" des Rechtswidrigkeitsurteils kommen, müßte man daher auch sagen, wie man vermeiden will, daß der Arbeitgeber auf einem Teil des erlittenen Schadens "sitzen bleibt". Auch insofern bestätigt sich demnach die oben gewonnene Einsicht, daß man im vorliegenden Zusammenhang nicht von einem "gespaltenen" Rechtswidrigkeitsurteil wird ausgehen können56. Nach der hier vertretenen Lösung steht dem einzelnen Arbeitgeber somit stets ein von den Tarifparteien nicht abdingbarer Schadensersatzanspruch zu, wenn und soweit die Gewerkschaft unter Überschreitung ihrer Arbeitskampffreiheit in seine rechtlich geschützten Interessen eingreift. Darauf, ob die Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte vorliegen, kommt es also, entgegen der h. M., gar nicht an.
2. Der Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers Indes ist auch noch in einem anderen Punkt eine Korrektur der h. M. erforderlich: Bedenkt man zum einen, daß grundsätzlich ein (deliktischer) Unterlassungsanspruch gegeben ist, wenn einer Person die Verletzung eines absoluten Rechts i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB droht57 , und vergegenwärtigt man sich zum anderen, daß die h. M. dem Arbeitgeber einen derartigen Anspruch - von ihrem Ausgangspunkt aus durchaus folgerichtig - nur dann gewähren will, wenn (ausnahmsweise) die Voraussetzungen eines Vertrags zugunsten Dritter gegeben sind58 , so erweist sich rasch, daß die Unterschiede zwischen den beiden Lösungen keinesfalls auf den Bereich evtl. Sekundäransprüche beschränkt bleiben, sondern darüber wesentlich hinausweisen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man, im Einklang mit der h. M., unterstellt, daß ein gewerkschaftlicher Streik den Tatbestand einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb erfüllt.
56 Zugleich wird man sie als weitere Bestätigung des oben gefundenen Ergebnisses sehen können, daß die Friedenspflicht nicht im Sinne einer rein schuldrechtlichen Verpflichtung wirkt, sondern in der Tat als eine unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Verbands anzusehen ist. 57 Während der Unterlassungsanspruch bei Ausschließlichkeitsrechten unproblematisch ist, werden i. H. a. den quasi-deliktischen Unterlassungsschutz gewisse Ausnahmen befürwortet; hierzu statt aller Staudinger-Hager Vorbem. zu §§ 823 ff. H I. I, Rn. 63. Für einen Unterlassungsanspruch unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG im vorliegenden Zusammenhang MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 282 Rn. 15. 58 Damit würde das Eingreifen eines Unterlassungsanspruchs zu einem ausgesprochenen Ausnahmefall gemacht, obwohl sich doch die Frage geradezu aufdrängt, weshalb der auf einen bloßen Schadensersatzanspruch verwiesene Arbeitgeber den Eintritt eines Schadens erst abzuwarten haben sollte; zutreffend daher Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, 1997, S. 1216.
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Vor diesem Hintergrund führt nämlich gar kein Weg daran vorbei, den deliktischen Rechtsgüterschutz, über die Einräumung evtl. Schadensersatzansprüche hinaus, um die Zuerkennung von Unterlassungsansprüchen und damit um die Komponente eines präventiven Schutzes für die Zukunft zu erweitern, der Ausdruck des "unmittelbar einleuchtenden Rechtsgedankens" ist, daß sich die "Rechtsordnung ... geradezu mit sich selbst in Widerspruch setzen (würde), wenn sie ,sehenden Auges' den Eintritt der Beeinträchtigung abwarten und erst anschließend einen Ausgleichsanspruch gewähren" wollte59• Demgegenüber geht die h. M. von der, wie sich gezeigt hat60, fehlerhaften Prämisse aus, daß die Friedenspflicht rein schuldrechtlich wirke; eine Annahme, die sie verleitet, einen Unterlassungsanspruch des einzelnen Arbeitgebers nur dann zu bejahen, wenn eine Auslegung der tarifvertragliehen Abrede die Bejahung eines Vertrags zugunsten der verbandsangehörigen Arbeitgeber rechtfertigt. Die Bedenken, denen sie insoweit ausgesetzt ist, lassen sich auch nicht einfach durch den Hinweis darauf zerstreuen, daß es ja durchaus einen Unterlassungsanspruch gegenüber der Gewerkschaft gebe, der eben lediglich nicht dem Arbeitgeber selbst, sondern dem Arbeitgeberverband zustehe. Denn in Rechtsprechung und Schrifttum geht man allgemein davon aus, daß Unterlassungsansprüche nicht "gegenüber dem Gegenstand, der ihre Grundlage bildet, verselbständigt werden" dürfen61. Schließt man sich dem aber an, so müßte es größten Zweifeln begegnen, wenn man annehmen wollte, daß dem Geschädigten schon kraft objektiven Rechts ein eigener Unterlassungsanspruch vorenthalten und ihm die Möglichkeit zur vorbeugenden Abwehr eines entsprechenden Eingriffs von vornherein genommen wird. In Wirklichkeit ist es daher nur folgerichtig, wenn man dem Arbeitgeber im Falle eines rechtswidrigen Arbeitskampfs, über den Anspruch auf Schadensersatz hinaus62, stets auch einen eigenen Unterlassungsanspruch gegen die Gewerkschaft zugesteht63 . Macht man sich dies klar, dann erscheint beispielsweise die Behauptung Nikischs in einem völlig neuen Licht, daß man die "obligatorische Wirkung von ihrem Ursprung, der Arbeitsnormenvereinbarung, (nicht) künstlich losreißen und einem ... ,obligatorischen Teil' zuschreiben" sollte64 . Zwar hatte Nikisch dabei nur So Canaris, Schuldrecht, Bd. 11/2, 13. Aufl., 1994, § 87 I. l, S. 704. Vgl. Kap. 1 § 4 I. 61 So MünchKomm-Roth, 3. Aufl., § 399 Rn. 20; zur Problematik der fehlenden Abtretbarkeit eines Unterlassungsanspruchs, der auf einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beruht, etwa auch Reuter, JuS 1986, 19, 21. 62 Dazu, daß dieser bis heute selten praktisch geworden ist, Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1215. 63 Dieser wird denn auch weithin bejaht; vgl. nur Löwisch, NZA Beil. 2/1988, 3, 7, wonach es nicht sinnvoll sei, "auf halbem Wege stehen zu bleiben und dem Begünstigten lediglich Schadensausgleichs-, nicht auch Schadensverhütungsansprüche zuzubilligen"; vgl. auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1231 (m. w. Nachw. unter Fußn. 183). 64 So Nikisch, Friedenspflicht, Durchführungspflicht und Realisierungspflicht, 1932, S. 13. S9
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die Verpflichtungen der Tarifparteien und nicht auch die Problematik möglicher Drittwirkungen im Auge und überdies wollte er ersichtlich nicht so weit gehen, die Friedenspflicht auf den objektiven Willen des Gesetzes zuriickzuführen. Doch vermag das nichts daran zu ändern, daß seine Auffassung zumindest insoweit Gefolgschaft verdient, als er sich dabei gegen eine (Über-)Bewertung des "obligatorischen Teils" des Tarifvertrags ausspricht, die einerseits zu dem Mißverständnis Anlaß gibt, Drittwirkungen könnten nur vertragsrechtlich legitimiert werden, und bei der andererseits von der fehlerhaften Prämisse ausgegangen wird, daß sich der Tarifvertrag im Hinblick auf die von ihm ausgelösten "Drittwirkungen" bruchlos in die allgemeine Dogmatik des zivilrechtliehen Vertrags einfügen müsse. Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, daß nicht nur die Gewerkschaft während des Bestehens eines Verbandstarifvertrags daran gehindert ist, mit dem Ziel einer Änderung oder Beendigung dieses Tarifvertrags einen Streik auszurufen, sondern auch der einzelne verbandsangehörige und gern. § 3 Abs. 1 TVG an diesen Tarifvertrag gebundene Arbeitgeber von der Gewerkschaft Unterlassung der Streikmaßnahmen (und ggf. Schadensersatz) verlangen kann, wenn es trotzdem zu einem Arbeitskampf kommt. Während damit eine Antwort auf die Frage gefunden wurde, inwieweit sich aus der Friedenspflicht des Tarifvertrags Beschränkungen der Befugnis des tarifgebundenen Arbeitgebers und der Gewerkschaft ergeben, zum Zweck der Änderung oder Beendigung eines Verbandstarifvertrag Arbeitskampfmittel einzusetzen, ist nunmehr der ganz anderen Frage nachzugehen, wie es um die Freiheit des Arbeitgebers steht, den Abschluß eines Firmentarifvertrags zu erkämpfen.
§ 8 Die Erkämptbarkeit von Firmentarifverträgen durch den Arbeitgeber Dabei muß allerdings gleich zu Beginn nochmals nachdriicklich an die Bedeutung der oben getroffenen Unterscheidung zwischen dem Verbandstarifvertrag auf der einen und dem Firmentarifvertrag auf der anderen Seite erinnert werden: Der Arbeitgeber mag mit dem Ziel aussperren, die Willensfreiheit der Gewerkschaft hinsichtlich eines Tarifvertrags zu beeinflussen, den diese mit "seinem" Verband abgeschlossen hat. Doch mag er mit der Aussperrung auch den (ganz anderen) Zweck verfolgen, auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags hinzuwirken. Die oben gemachten Ausführungen betrafen, wie nicht deutlich genug betont werden kann, lediglich die Befugnis des Arbeitgebers zum Ergreifen von Maßnahmen des Arbeitskampfs um einen Verbandstarifvertrag. Und daher ist auch nur insoweit, nicht aber hinsichtlich der auf einen Firmentarifvertrag zielenden Befugnis des Arbeitgebers, der Befugnis zur sog. Individual- oder Firmenaussperrung also65 , die 65
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Vgl. nur Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2,7. Aufl., 1970, § 47 III. 2b a, S. 906.
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Frage beantwortet, ob er sich unter dem Gesichtspunkt der Friedenspflicht des Verbandstarifvertrags Beschränkungen seiner Arbeitskampffreiheit gefallen lassen muß. Faßt man nunmehr aber auch die Problematik des Firmentarifvertrags etwas näher ins Auge, so zeigt sich sogleich, daß die Dinge hier wesentlich schwieriger liegen, als das hinsichtlich der entsprechenden Problematik beim Verbandstarifvertrag der Fall war. Konkret geht es bei dieser Fragestellung um die Konstellation, daß der Arbeitgeber zunächst in einen Arbeitgeberverband eintritt und damit gern. § 3 Abs. 1 TVG an die von diesem abgeschlossenen Verbandstarifverträge gebunden ist, daß er aber später vom Tarifpartner "seines" Verbands den Abschluß eines Firmentarifvertrags verlangt. Die Frage, die sich insoweit ergibt, lautet, ob der Arbeitgeber seiner Forderung nach Abschluß eines Firmentarifvertrags notfalls auch mit Mitteln des Arbeitskampfs gegenüber der Gewerkschaft Nachdruck soll verleihen dürfen, obwohl bereits eine verbandstarifvertragliche Regelung besteht, an die er gern. § 3 Abs. 1 TVG gebunden ist.
I. Die generelle Problematik der Zulässigkeit der Angriffsaussperrung Bei der Beantwortung dieser Frage sollte allerdings außer Betracht bleiben, daß die Angriffsaussperrung nach einer weit verbreiteten Auffassung ohnehin unzulässig ist66.
1. Die generelle Unzulässigkeil der Angriffsaussperrung
Wenn es ein derartiges Verbot der Angriffsaussperrung gäbe, wofür in der Tat manches spricht67 , so würde es sich wohl um ein generelles Verbot handeln68 . Dementsprechend stünde es nicht nur der arbeitskampfweisen Durchsetzung der Forderung nach dem Abschluß eines Firmentarifvertrags durch den Arbeitgeber, sondern auch dem auf den Abschluß eines Verbandstarifvertrags zielenden Arbeitskampf des Arbeitgeberverbands (und des verbandsangehörigen Arbeitgebers) im Wege69 . Ganz abgesehen davon hat die Frage aber auch deshalb nichts mit der66 Vgl. hierzu statt aller MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 286 Rn. 66 ff.; Löwisch/ Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 19 ff. 67 V gl. insoweit nur BAG v. 10. 6. 1980, AP Nr. 64 u. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (jew. unter AI. 3d. Grde). 68 Das gilt zumindest dann, wenn man es damit begründen wollte, daß diesem Kampfmittel die "allgemeine Erforderlichkeit" fehle; vgl. hierzu mit Blick auf die "eröffnende" Angriffsausperrung ("Erstschlag") etwa MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 286 Rn. 73. 69 Für die im vorliegenden Zusammenhang aufgeworfene Frage nach einer evtl. Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers bliebe dann nur Raum, wenn es um eine
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hier allein interessierenden - Problematik der Friedenspflicht zu tun, weil die Angriffsaussperrung im bejahenden Fall ganz generell unzulässig wäre, also insbesondere auch dann, wenn zwischen den Beteiligten (noch) gar keine tarifvertragliehen Beziehungen bestehen. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung handelt es sich somit bei dem evtl. Verbot der Angriffsaussperrung um nicht mehr als um einen .,Merkposten" in dem Sinne, daß die Aussperrungserklärung des Arbeitgebers u. U. ganz unabhängig davon als rechtswidrig zu beurteilen ist, wie man sich in der Frage ihrer evtl. .,Friedenspflichtwidrigkeit" entscheidet.
2. Die evtl. Unzulässigkeit einer Angriffsaussperrung um den Abschluß eines Firmentarifvertrags Ebenfalls ausklammem sollte man die - im Schrifttum bislang weithin unproblematisiert gebliebene - Frage nach der Zulässigkeit einer Angriffsaussperrung, die gerade mit dem Ziel des Abschlusses eines Firmentarifvertrags erklärt wird70. Denn wieder wäre die Aussperrung ganz unabhängig davon unzulässig, ob der Arbeitgeber überhaupt einem Arbeitgeberverband angehört, ob er als .,Mitglied" i. S. d. § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden ist71 und ob er in den Geltungsbereich eines vom Arbeitgeberverband abgeschlossenen Tarifvertrags fallt, der eine Friedenspflicht enthält: Die Frage nach der Unzulässigkeit der Angriffsaussperrung um einen Firmentarifvertrag ist stets von der ganz anderen Frage zu unterscheiden, ob ihr (zusätzlich auch) eine Friedenspflicht entgegenstünde, die sich aus einem bestehenden Tarifvertrag ergeben inag. Demzufolge kann diese Problematik im vorliegenden Zusammenhang getrost unberücksichtigt bleiben -, solange man sich nur dariiber im klaren bleibt, daß die Angriffsaussperrung, die im Zusammenhang mit Verhandlungen um den Abschluß eines Firmentarifvertrags erklärt wird, u. U.
Abwehraussperrung ginge. Doch wäre geradezu mit Händen zu greifen, daß die tarifvertragliehe Friedenspflicht der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers insoweit schwerlich entgegenstehen könnte, da sie sich jedenfalls gleichermaßen auf beide Seiten erstreckt und infolgedessen bei einer Berufung der Gewerkschaft auf die Friedenspflichtverletzung durch den Arbeitgeber diesem die Möglichkeit eines Hinweises auf ihre eigene Vertragsuntreue zu eröffnen wäre, der Aussperrende also, in die Kategorien des allgemeinen Vertragsrechts übersetzt, den tu quoque-Einwand gegenüber der Gewerkschaft erheben könnte; eingehend zum Erfordernis der eigenen Vertragstreue des Gläubigers als (ungeschriebene) Voraussetzung der Rechte aus § 325 und § 326 BOB MünchKomm-Emmerich, 3. Aufl., § 326 Rn. 42 ff. 70 Als ausdrücklich zulässig wird eine derartige Aussperrung etwa bezeichnet von Henssler; ZfA 1998, 517,537. 71 Man denke insoweit etwa an die Problematik der Gastmitgliedschaft; überblicksweise zu den Sonderformen der Mitgliedschaft etwa Oetker; in: Wiedemann, § 3 Rn. 100 m. w. Nachw.; eingehend zur Problematik etwa Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung - Tarifflucht statt Verbandsflucht, Baden-Baden, 1998; Buchner; NZA 1994, 2; Reuter; RdA 1996, 201 ; Röckl, DB 1993, 2382; Thüsing, ZTR 1996, 481 ; S. -J. Otto, NZA 1996, 624.
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2. Kap.: Die Erkämptbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
selbst dann als rechtswidrig zu qualifizieren ist, wenn man zu dem Ergebnis kommt, daß eine Friedenspflicht des Arbeitgebers insoweit nicht besteht. Obwohl die Frage nach der Rechtmäßigkeit der auf einen Firmentarifvertrag zielenden Angriffsaussperrung außerhalb der hier zu erörternden Fragestellung liegt, soll, angesichts der unbezweifelbaren Nähe zur vorliegenden Problematik, zumindest ein Hinweis auf ihre Beantwortung gegeben werden. Den Ausgangspunkt der Überlegungen müßte insoweit erneut die Einsicht bilden, daß ein Arbeitskampfmittel nach der Rechtsprechung des BVerfG nur in dem Umfang der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG unterfällt, in dem ihm bescheinigt werden kann, daß es für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie "allgemein erforderlich" ist72. Diese Erkenntnis bildet allerdings auch nicht mehr als den Ausgangspunkt. Wenngleich § 2 Abs. 1 TVG dem Arbeitgeber die Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen verleiht, so kann dies nach herrschender Auffassung doch nicht als Anerkennung eines verfassungsrechtlich geschützten Individualrechts des Arbeitgebers interpretiert werden, sondern stellt lediglich die gesetzgeberische Konsequenz aus der Einsicht dar, daß die Tarifautonomie leerlaufen könnte, wenn den Gewerkschaften nicht zumindest der einzelne Arbeitgeber als möglicher Tarifpartner zur Verfügung stünde73 • Vor diesem Hintergrund fragt sich dann aber, ob es verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre, dem Arbeitgeber das Recht zur Angriffsaussperrung einzuräumen74 und die Gewerkschaft dementsprechend der Gefahr des Abschlusses eines "ungewollten" Firmentarifvertrags auszusetzen, obwohl sich die Zuerkennung der Fähigkeit zum Abschluß von Firmentarifverträgen primär dem Interesse der Gewerkschaften und weniger dem Interesse des Arbeitgebers selbst verdankt. Dieser Frage soll indes, wie gesagt, hier nicht weiter nachgegangen werden, so daß an dieser Stelle offen bleiben muß, ob eine Angriffsaussperrung, die im Zusammenhang mit dem Abschluß eines Firmentarifvertrags erklärt wird, evtl. anders zu beurteilen sein könnte als eine Angriffsaussperrung, zu der es im Kontext des Abschlusses eines Verbandstarifvertrags kommt.
72 Vgl. nur BVerfG v. 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; auch BVerfG v. 2. 3. 1993; BVerfGE 88, 103, 114 = AP Nr. 126 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; überblicksweise zum Ganzen auch MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 284 Rn. 4 ff.; zum Verhältnis von ultima-ratio-Prinzip und Tarifautonomie Picker, RdA 1982, 331. 73 Vgl. nur Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 305m. w. Nachw.: "Der Arbeitgeber ist keine "Vereinigung" (i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG), seine Tariffähigkeit beruht auf § 2 TVG und ist dennoch unangreifbarer Teil von Art. 9 Abs. 3 GG"; vgl. auch Buchner, ZfA 1995, 95, 113. 74 Womit dem Arbeitgeber zugleich gewissermaßen ein "Initiativrecht" hinsichtlich des Abschlusses eines evtl. Firmentarifvertrags zugestanden würde.
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II. Dogmatisch-konstruktive Vorüberlegungen zur Arbeitskampffreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers Wendet man sich nach diesem kurzen Hinweis erneut der Frage zu, ob die tarifvertragliche Friedenspflicht auch die Freiheit des Arbeitgebers einschränkt, einen Firmentarifvertrag zu erkämpfen, so zeigt sich sofort, daß deren Beantwortung weitaus größere Schwierigkeiten macht, als das im Zusammenhang mit einem Verbandstarifvertrag der Fall war: Während ohne weiteres einleuchtet, daß die Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers nicht selbständig neben der des Verbands steht, wenn sie auf einen Verbandstarifvertrag zielt, liegen die Dinge hinsichtlich eines Firmentarifvertrags völlig anders. Denn hier ist es von vomherein nur der Arbeitgeber, der (im eigenen Namen) einen derartigen Tarifvertrag abzuschließen vermag, und daher ergibt sich allenfalls die Frage, ob der Verband einen verbandsangehörigen Arbeitgeber im Kampf um einen Firmentarifvertrag unterstützen könnte75, nicht aber das Problem, wie das Verhältnis zwischen einer Arbeitskampfbefugnis des Verbands und einer entsprechenden Befugnis des einzelnen Arbeitgebers zu bestimmen ist. Daß insoweit ein wesentlicher Unterschied vorliegt, erhellt zusätzlich, wenn man auch dieses Problem in das Licht der bereits oben angesprochenen Lehren rückt, die in der Frage nach der Trägerschaft des Grundrechts der Koalitionsfreiheit entwickelt worden sind. Führt man sich diese nämlich erneut vor Augen, so wird vollends klar, daß in den hier interessierenden Konstellationen zwischen der Arbeitskampfbefugnis des Verbands auf der einen und der entsprechenden Befugnis des Verbandsmitglieds auf der anderen Seite kein innerer Zusammenhang besteht.
1. Arbeitskampffreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und Lehre vom Doppelgrundrecht
Legt man der Betrachtung zunächst die h. L. zugrunde, nach der Art. 9 Abs. 3 GG ein sog. ,,Doppelgrundrecht" darstellt, so ist es zwar, wie gesehen, verhältnismäßig einleuchtend davon zu sprechen, daß die individuelle Arbeitskampfbefugnis des einzelnen von der kollektiven Arbeitskampfbefugnis abhängig ist und Beschränkungen der letzteren somit unmittelbar auf die erstere durchschlagen. Doch kann das eben nur dann gelten, wenn die Arbeitskampfmaßnahme des Arbeitgebers wirklich den Charakter einer "Teilnahme" am Arbeitskampf des Verbands auf-
75 Bejahend etwa Thüsing, NZA 1997, 294, 295; vgl. zum Ganzen auch Krichel, NZA 1986, 731, 733 f. (unter dem Gesichtspunkt des ,.Selbstschutzes durch Solidar- und Kampfmaßnahmen des Verbands"); auch MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 285 Rn. 66 m. w. Nachw.; allg. zu Unterstützungsleistungen auf der Seite der Arbeitgeber MünchArbR-Otto, § 288 Rn. 38 ff.
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weisr16 oder wenn sie zumindest eine derartige Teilnahmehandlung darstellen würde, wenn der Verband einen entsprechenden Beschluß gefaßt hätte77 -, da der Arbeitgeber schwerlich besser stehen kann, wenn er für die Beendigung oder Abänderung eines bestehenden Verbandstarifvertrags streitet, ohne einen friedenspflichtwidrigen Verbandsbeschluß zur Aussperrung der Arbeitnehmer überhaupt nur abzuwarten 78 . Ersichtlich nicht einschlägig ist indessen der Gesichtspunkt der "Akzessorietät" einer zum bloßen Teilnahmerecht herabgestuften Koalitionsfreiheit, wenn die Arbeitskampfmaßnahmen des Arbeitgebers, statt auf einen Verbandstarifvertrag, auf einen Firmentarifvertrag zielen. Denn hier tritt der Arbeitgeber der Gewerkschaft als alleiniger Beteiligter gegenüber und daher ist er in einem entsprechenden Arbeitskampf, deliktsrechtlich gesprochen, niemals bloßer "Teilnehmer", sondern stets (alleiniger) "Täter". Unabhängig davon, ob der Lehre vom Doppelgrundrecht zu folgen ist, muß man daher festhalten, daß sie jedenfalls nichts für das Problem hergibt, ob dem einzelnen Arbeitgeber auch dann nur eine eingeschränkte Arbeitskampffreiheit zugebilligt werden kann, wenn er nicht für den Abschluß oder die Änderung eines Verbandstarifvertrags streitet, sondern den Abschluß eines Firmentarifvertrags bezweckr19 .
2. Arbeitskampffreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und Lehre vom "summiert-individualen" Charakter der Koalitionsfreiheit
Auch bei Zugrundelegung der Lehre von Scholz kommt man indessen zu keinem anderen Ergebnis. Denn einem Arbeitskampf läßt sich allenfalls dann ein "summiert-individualer" Charakter beimessen, wenn er mit dem Ziel des Abschlusses eines Verbandstarifvertrags begonnen wird. Dient die Betätigung der individuellen Arbeitskampffreiheit dagegen der Herbeiführung eines Firmentarifvertrags, so kann von einer "summiert-individualen" Ausübung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 S. I GG und folglich auch von einer evtl. "Verzahnung" der indivi76 Zum Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch der Gewerkschaft gegen den einzelnen Arbeitgeber siehe Kap. 2 § 8. 77 So im Ergebnis in der Tat BAG v. 21. 8. 1980, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. II. 3a d. Grde) m. Anm. v. Löwisch/Mikosch. 78 Wenn demgegenüber das BAG v. 21. 8. 1980, AP Nr. 72 zu Art. 9 GG Arbeitskampf in einem solchen Fall den Arbeitskampf mit der Begründung für unrechtmäßig erklärt, daß "der einzelne Arbeitgeber i. H. a. einen Verbandstarif gerade nicht tariffähig" sei, dann ist das allein schon deshalb unbefriedigend, weil diese Argumentation dazu zwingt, eine personal nämlich gegenüber der am bestehenden Tarifvertrag beteiligten Gewerkschaft - beschränkte Tariffähigkeit anzunehmen. 79 Weil die Aussperrung auch vom einzelnen Arbeitgeber erklärt werden kann, findet sich zuweilen die Feststellung, daß sich die "Kollektivität" von Streik und Aussperrung auf die Arbeitnehmerseite beschränke; so etwa Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, s. 125.
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duellen mit der kollektiven Arbeitskampffreiheit von vomherein keine Rede sein, da der Verband insoweit eben gar keine Abschlußkompetenz besitzt und ihn der Finnentarifvertrag infolgedessen grundsätzlich "nichts angeht" 80. Daß sich eine Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers vorliegend, anders als oben, nicht einfach unter Hinweis auf die zur Grundrechtsträgerschaft entwickelten Lehren begründen läßt, sollte auch nicht überraschen. Denn die Frage, wer Träger des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG (und wer Träger der Arbeitskampffreiheit) sein soll, kann sich sinnvollerweise überhaupt nur in dem Umfang stellen, in dem es um eine Betätigung des einzelnen im Verband geht. Wo das Handeln des Arbeitgebers auf einen Finnentarifvertrag zielt, betätigt er sich aber gerade nicht als Mitglied, sondern macht von einer Befugnis Gebrauch, die ihm ganz unabhängig von einer evtl. Zugehörigkeit zum Verband eingeräumt worden ist81 • Auf dem zunächst eingeschlagenen Wege ist daher im vorliegenden Zusammenhang nicht weiterzukommen und somit bleibt es bei der oben getroffenen Feststellung, daß sich eine unmittelbare Friedenspflicht des Arbeitgebers ungleich schwerer begründen läßt, wenn man es, statt mit einem Verbandstarifvertrag, mit einem Finnentarifvertrag zu tun hat. Das bedeutet freilich nicht, daß der Versuch, eine Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers zu begründen, von vomherein zum Scheitern verurteilt wäre. Für diesen bieten sich durchaus erfolgversprechende Ansätze an. Bedenkt man nämlich erneut, daß die Befugnis zum Ergreifen von Maßnahmen des Arbeitskampfs im Hinblick auf den Abschluß eines Tarifvertrags instrumentellen Charakter besitzt und daß sie auch nur aufgrund dieser Hilfsfunktion verfassungsrechtlichen Schutz genießt82, so läßt sich zunächst fragen, ob die Arbeitskampffreiheit des einzelnen Arbeitgebers nicht einfach deshalb beschränkt sein könnte, weil ein Verbandstarifvertrag, an den er gern. § 3 Abs. I TVG gebunden ist, ihm, jedenfalls der Sache nach, die Fähigkeit zum Abschluß "eigener" Tarifverträge - und damit eben auch die Befugnis zum "Erkämpfen" dieser Tarifverträge- nimmt. Zuvor sollte man indes die - logisch vorrangige - Frage stellen, ob die Tarif- und Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers entgegen der ganz h. M. 83 nicht doch bereits durch den bloßen Beitritt zu einem Verband, also durch die Begründung einer Verbandsmitgliedschaft, in der Weise eingeschränkt ist, daß die Befugnis zum Ergrei80 Dementsprechend sieht sich denn auch Scholz selbst (zurecht) nicht zu der Konsequenz veranlaßt, daß die Friedenspflicht des Verbands zugleich auch die Mitglieder des Verbands treffen müsse; vgl. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 366 f., wo er, differenzierend, einen generellen Vorrang des .,verbandsgebundenen" gegenüber dem .,verbandsfreien" Arbeitskampf ablehnt (und unter gewissen Voraussetzungen sogar den .,wilden Streik" für zulässig hält); Scholz, S. 367. 81 Ähnl. wie hier etwa auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 89 f. sowie Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2,7. Aufl., 1970, § 47 III. 2b a , S. 906. 82 Vgl. nur BVerfG v. 26. 6. 1991, BVerfGE 84, 212 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 83 Vgl. hierzu nur Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 112m. w. Nachw.
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fen von Arbeitskampfmaßnahmen "ruht", solange eine Mitgliedschaft im Verband besteht. Beiden Fragen ist im folgenden nachzugehen.
111. Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers aufgrund des Eintritts in den Arbeitgeberverband: Wegfall der TaritTähigkeit Was die erste Frage angeht, so ist es empfehlenswert, sich zunächst nochmals die Vorschrift des § 2 Abs. 1 TVG vor Augen zu führen. Diese enthält bekanntlich die lapidare Regelung, daß "die Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern" Tarifvertragsparteien sind. Sich den Inhalt dieser Bestimmung erneut in Erinnerung zu rufen, ist deshalb ratsam, weil nur vor diesem Hintergrund deutlich wird, wer die Argumentationslast dafür trägt, daß die Tariffähigkeit des Arbeitgebers im Augenblick seines Beitritts zum Arbeitgeberverband entfällt oder auch nur "suspendiert" wird: Da der Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG nicht den geringsten Hinweis darauf enthält, daß der Gesetzgeber in diesem Fall von einer Einschränkung der Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen oder gar von deren Wegfall ausgegangen wäre84, bleibt nur die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion, um zu einem Entfallen der Tariffähigkeit des Arbeitgebers zu kommen85 • Ein Entfallen der Tariffähigkeit des Arbeitgebers läßt sich aber nur dann begründen, wenn der Nachweis dafür gelingt, daß es, nach den einschlägigen Wertungen des Tarifvertragsrechts zu weit ginge, wenn man dem verbandsangehörigen Arbeitgeber seine Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen in vollem Umfang beließe.
1. Tarift"lihigkeit des Arbeitgebers und Arbeitgeberinteresse Diesen Nachweis zu führen, erschiene nun auf den ersten Blick ganz besonders problematisch, wenn man davon auszugehen hätte, daߧ 2 Abs. 1 TVG den Arbeitgebern die Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen gewissermaßen "um ihrer selbst willen" einräumt, wie das im Schrifttum verschiedentlich anklingt86• Re84 Darauf weisen ebenfalls hin Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 112 sowie MünchArbRLöwisch/Rieble, 1. Auf!., 2000, § 255 Rn. 36. 85 Deren Zulässigkeit bejaht ausdrücklich Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 447, 482; aus der Rspr. ausdrücklich zust. LAG Schleswig-Holstein v. 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. 3.2 d. Grde). 86 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang etwa die Stellungnahme von Scholz, ZfA 1980, 327, 362, der die "Tarifvertragsbefugnis" des einzelnen Arbeitgebers aus § 2 Abs. 1 TVG in den ,,Bereich arbeitgebenscher Grundrechtsberechtigungen" zählt und als Beispiel für den Anteil nennt, den die "unterverfassungsrechtliche Arbeitsrechtsgesetzgebung" an der ,,Bestimmung koalitionsrechtlicher Grundrechtsträgerschaften" habe.
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präsentativ ist insoweit etwa die Bemerkung Oetkers, daß "unter der Geltung des Art. 9 Abs. 3 GG ... die Tariffähigkeit jedes Arbeitgebers dem System freiwillig gebildeter Berufsverbände und der Achtung vor der negativen Koalitionsfreiheit" entspreche und "indirekt ... auch der negativen Koalitionsfreiheit des einzelnen Arbeitgebers" diene 87 . Ganz ungeachtet der Frage, ob dem zu folgen ist oder nicht, ginge es indes bei näherem Hinsehen zu weit, hierin eine tragfähige Grundlage für die Forderung zu sehen, dem Arbeitgeber müsse auch nach der Begründung einer Verbandsmitgliedschaft stets die Fähigkeit zum Abschluß "eigener" Tarifverträge - und damit eben auch die entsprechende "Arbeitskampfbefugnis" - garantiert bleiben88 • Zunächst ist nicht daran vorbeizukommen, daß es der Arbeitgeber nun einmal selbst "in der Hand hätte", ob er sich die Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen erhalten will oder nicht, da diese jedenfalls nur dann entfiele, wenn er sich zum Verbandsbeitritt entschlossen hat. Überdies erscheint es zwar angesichts des weithin bejahten verfassungsrechtlichen Schutzes der negativen Koalitionsfreiheit89 durchaus plausibel, dem Außenseiter-Arbeitgeber die Möglichkeit des Abschlusses von Tarifverträgen nicht zu versperren. Doch besagt das eben noch nicht, daß man dem Arbeitgeber, umgekehrt, die Fähigkeit zur Herbeiführung von Firmentarifverträgen auch dann noch gewährleisten müßte, wenn er sich erst einmal für einen Beitritt zum Verband entschieden und damit auf sein Recht zum Fernbleiben von einer Koalition gerade "verzichtet" hat. Nimmt man beides zusammen, bestünden somit, zumindest auf den ersten Blick betrachtet, noch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme eines Entfallens der Tariffähigkeit
87 So Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 95 im Anschluß an die Vorauf!.; vgl. Wiedemannl Stumpf§ 2 TVG Rn. 59; auch MünchArbR-Löwischl Rieble, 2. Auf!., 2000, § 255 Rn. 35, wonach die ,,Haustariffähigkeit" auch als Teil der "individuellen Privatautonomie von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt" sei und dem Arbeitgeber "ohne Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband die Vorteile des Tarifvertragssystems" zugänglich machen solle; ähnl. Rieble, NZA 2000, 225, 230; zurückhaltend demgegenüber Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477,482. 88 Verneinend zum Verlust der Tariffähigkeit im Fall des Verbandsbeitritts denn auch Oetker selbst, in: Wiedemann, § 2 Rn. 112, wobei er allerdings de lege ferenda eine Beendigung der Tariffähigkeit ausdrücklich als "erwägenswert" bezeichnet, da diese "entbehrlich" sei, wenn der Arbeitgeber einer Koalition angehöre. 89 Vgl. aus der Rspr. BAG v. 14. 2. 1967 AP Nr. 10 zu Art. 9 GG, wo die negative Koalitionsfreiheit anerkannt und nur der genaue Sitz dieses Rechts (Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG) noch offengelassen wurde und v. a. BAG 29. 11. 1967 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG (u. VI. 5 d. Grde) u. Berufung auch auf BVerfG v. 29. 7. 1959, BVerfGE 10, 89, 102 sowie BVerfG v. 19. 10. 1966, BVerfGE 20, 312, 321, 322 =AP Nr. 24 zu§ 2 TVG, wo sich das Gericht zu Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG als Grundlage der negativen Koalitionsfreiheit bekennt, dabei allerdings einen verhältnismäßig gewundenen Begründungsweg einschlägt; vgl. i. übr. die Nachweise bei Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 381 (u. Fußn. 35).
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2. Taritrahigkeit des Arbeitgebers und Interessen der Gewerkschaft Allerdings ist, wie soeben bereits angedeutet wurde, weithin anerkannt, daß ohnehin nicht der Schutz des Arbeitgebers, sondern der Schutz der Gewerkschaft der primäre Regelungszweck des § 2 Abs. I TVG ist: In der Tat drohte das Recht der Gewerkschaften zur Vereinbarung von Tarifverträgen weitgehend leerzulaufen, wenn nicht im einzelnen Arbeitgeber stets ein potentieller tariffähiger Kontrahent zur Verfügung stünde90. Dementsprechend ist denn auch in erster Linie aus der Perspektive der Gewerkschaft - und weniger aus dem Blickwinkel des einzelnen Arbeitgebers - zu diskutieren, ob eine teleologische Reduktion des § 2 Abs. 1 TVG Erfolg verspricht oder nicht. Dabei zeigt sich allerdings sogleich, daß die Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit einer Restriktion des § 2 Abs. 1 TVG entscheidend von einer Präzisierung des Zwecks abhängt, den man der Vorschrift beilegt: Liegt der Normzweck darin zu garantieren, daß der Gewerkschaft stets (!)zumindest der einzelne Arbeitgeber als evtl. Tarifpartner zur Verfügung steht? Oder erblickt man den Zweck der Vorschrift lediglich darin sicherzustellen, daß der Arbeitgeber für die Gewerkschaft überhaupt in irgendeiner Weise "tarifvertraglich erreichbar" ist91 ? Der Unterschied, der zwischen den beiden Varianten besteht, mag nicht sogleich ins Auge fallen, ist aber nichtsdestoweniger eklatant: Während es bei § 2 Abs. 1 TVG nach der erstgenannten Alternative darum ginge, der Gewerkschaft die Existenz eines abschlußfähigen Kontrahenten zu garantieren - und ihr damit u. U. auch die Freiheit zu eröffnen, zwischen diesem und einem Verband, dem er angehören mag, zu wählen -, käme es nach der letztgenannten Alternative allein darauf 90 Besonders pointiert insofern Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 258, 261, der die "Anerkennung des Firmentarifvertrags" als "existenznotwendiges Verbandsrecht" bezeichnet. In den "Kernbereich der grundrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie" wird die Tariffahigkeit des einzelnen Arbeitgebers gezählt von Hensche, RdA 1971, 9, 17, der sich zugleich gegen eine Einordnung des Arbeitgebers als (nur) "gekorenes" (statt "geborenes") Tarifrechtssubjekt wendet. 91 So neuerdings Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 481 ff.; Sympathien bei Lieb, DB 1999, 2058, 2058 (ein "ebenso konsequenter wie radikaler Vorschlag") u. 1067 ("gut vertretbar"); wie die eben Genannten möglicherweise auch schon Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, S. 155 (Tariffahigkeit nur verliehen, "um zu verhindern, daß der einzelne Arbeitgeber sich der tariflichen Regelung durch Nichteintritt in den Verband oder Austritt aus dem Verband entzieht"); a.A. zuletzt Rieble, NZA 2000, 225, 229 f.; vgl. in diesem Zusammenhang auch die Interpretation des Normzwecks des § 2 Abs. 1 TVG durch MünchArbRLöwisch/ Rieble, 2. Aufl., 2000, § 246 Rn. 83, wo es heißt: "Da die Arbeitnehmerseite wegen der negativen Koalitionsfreiheit den einzelnen Arbeitgeber nicht in den Arbeitgeberverband zwingen kann ... , können die Arbeitsverhältnisse der bei dem nichtorganisierten Arbeitgeber Beschäftigten nur auf diese Weise der tariflichen Ordnung zugeführt werden". - Das ließe evtl. den Schluß zu, daß Löwisch u. Rieble, umgekehrt, bereit wären, ein Entfallen der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers in Betracht zu ziehen, wenn die Gewerkschaft den einzelnen Arbeitgeber gar nicht "in den Arbeitgeberverband zu zwingen braucht", weil er bereits Mitglied ist, und wenn sie deshalb ohnehin die Möglichkeit hat, für die beim Arbeitgeber Beschäftigten eine "tarifliche Ordnung" zu etablieren.
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an, ob die Gewerkschaft überhaupt die Möglichkeit hat, einen Tarifvertrag herbeizuführen, von dem der Arbeitgeber zumindest potentiell ergriffen wird: Entscheidet man die Frage im erstgenannten Sinne, müßte dem Arbeitgeber die Tariffähigkeit stets erhalten bleiben. Wollte man sie dagegen im letztgenannten Sinn beantworten, so wäre die Gewerkschaft gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber in der Tat ganz auf die Möglichkeit zurückgeworfen, mit dem Arbeitgeberverband, dem der Arbeitgeber angehört, einen Tarifvertrag abzuschließen, der auch diesen Arbeitgeber erfaßt92 .
a) Praktische Konsequenzen einer Restriktion des § 2 Abs. 1 TVG
Allein schon die praktischen Folgen, zu denen es bei einer derartigen Restriktion des Normzwecks des § 2 Abs. 1 TVG kommen würde, sollten Anlaß geben, diesem Gedanken mit der größten Vorsicht zu begegnen. So ist es, um hiermit den Anfang zu machen, angesichts der unterschiedlichen Reichweite der Regelungen eines Verbands- und eines Firmentarifvertrags alles andere als unerheblich, ob der Gewerkschaft die Möglichkeit eines Tarifabschlusses mit dem einzelnen Arbeitgeber offen steht oder ob sie ganz auf die Ebene des Verbandstarifvertrags verwiesen bleibt. Denn ersichtlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob eine firmentarifvertragliche Regelung erfolgt, die auf den einzelnen Arbeitgeber bzw. dessen Unternehmen zugeschnitten ist oder ob nur ein Verbandstarifvertrag und damit das Instrument einer "Regelung für alle" in Betracht kommt. Nun ließe sich zwar einwenden, daß unter diesen Umständen grundsätzlich auch ein sog. "firmenbezogener Verbandstarifvertrag" möglich ist93 , mit dem die Parteien die Geltung einer verbandstarifvertragliehen Regelung auf einen einzelnen Arbeitgeber reduzieren94. Doch bleibt zu bedenken, daß der Gestaltungsfreiheit der Beteiligten insoweit angesichts des Gleichheitsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG - und ggf. auch des verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes95 - verhältnis92 Überblicksweise zum Ganzen Waas, ZTR 2000, 341, 342. Von der eben angesprochenen Problematik zu unterscheiden ist die ganz andere Frage, welche Auswirkungen der Beitritt eines Arbeitgebers zum Arbeitgeberverband hinsichtlich der Möglichkeiten konkurrierender Gewerkschaften hat, mit dem Arbeitgeber einen Firmentarifvertrag zustande zu bringen; vgl. insoweit etwa Buchner, ZfA 1995, 95, 119 f., wonach § 2 Abs. 1 TVG nicht mehr fordere, als daß sich der Arbeitgeber einer "für das Unternehmen repräsentativen Gewerkschaft" stelle. 93 So denn auch ausdrücklich Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 482; Thüsing, NZA 1997, 294, 294 (im Zusammenhang mit der Erkämptbarkeit von Firmentarifverträgen durch die Gewerkschaften). 94 So in der Tat Schleusener, NZA 1998, 239, 243 f., dessen Argumentation indes zu oberflächlich ist. 95 Einen weitgehenden Schutz des einzelnen vor der "Kollektivmacht seiner Vereinigung" - und dementsprechend ein grunds. Verbot der streikweisen Durchsetzung eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags- nimmt insoweit an Heß, ZfA 1976, 45, 71; zu dessen Bedeutung im vorliegenden Zusammenhang auch Krichel, NZA 1986,731,736.
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mäßig enge Grenzen gezogen sind96, wohingegen eine Gewerkschaft in ihrer Entscheidung grundsätzlich völlig frei ist, ob sie mit einem Arbeitgeber einen Firmentarifvertrag abschließen will, gegenüber einem anderen Arbeitgeber den Abschluß eines inhaltsgleichen Firmentarifvertrags aber verweigert97 • Allerdings muß man zugeben, daß diese Überlegungen sicherlich noch nicht durchschlagend sind, da nicht von vomherein ausgemacht ist, daß die Gewerkschaft diese "Freiheit zur Differenzierung" zwischen verschiedenen Arbeitgebern gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber überhaupt noch beanspruchen kann98. Stärkeres Gewicht hat es daher wohl, wenn man sich darauf besinnt, daß sich der Abschluß eines Verbandstarifvertrags auch in anderer Hinsicht nicht einfach mit dem Abschluß eines Firmentarifvertrags gleichsetzen läßt: Zunächst wäre es gerade auch im Hinblick auf mitgliederschwächere und weniger durchsetzungsfähige Gewerkschaften außerordentlich problematisch, wenn man diesen die Möglichkeit eines Abschlusses mit dem Arbeitgeber und damit u. U. die einzig realistische Chance vorenthielte, zum Abschluß eines Tarifvertrags zu kommen. Gerade diese Gefahr ließe sich indes ersichtlich nicht von der Hand weisen, wenn sich eine Gewerkschaft mit ihren Tarifforderungen stets an den - im Vergleich zum einzelnen Arbeitgeber möglicherweise weitaus mächtigeren - Verband halten müßte. Auch aus der Sicht des Arbeitgeberverbands selbst würden sich jedoch nicht zu unterschätzende Probleme ergeben, wenn sich die Forderungen der Gewerkschaft auf den Abschluß eines "firmenbezogenen Verbandstarifvertrags" richten. Wäre der Verband nämlich auch in all den Fällen der einzig denkbare Adressat gewerkschaftlicher Tarifforderungen, in denen diese "in Wirklichkeit" lediglich auf einen einzigen Arbeitgeber zielen, so würde die Solidargemeinschaft der Mitglieder u. U. empfindlich belastet, da sie sich mit Forderungen auseinanderzusetzen hätte und sich insoweit evtl. auch einem Arbeitskampf stellen müßte - obwohl sie die entsprechende Regelung letztlich gar nicht berührt99. Die Gefahr, daß es einer Gewerkschaft gelingen könnte, die einzelnen Mitglieder eines Verbands "auseinan96 Vgl. zum Ganzen nur Oetker. in: Wiedemann, § 2 Rn. 143 f. m. w. Nachw.; vgl. auch Mayer-Maly, DB 1965, 32, 32. Hinzuweisen ist allerdings darauf, daß i. H. a. Arbeitgeberverbände die Anwendbarkeit des Willkürverbots z. T. verneint wird; so Kempen/Zachert, § 4 Rn. 234. Auch ist in diesem Zusammenhang zu beachten, daß der Verband als Stellvertreter für einen bestimmten Arbeitgeber auftreten kann; vgl. hierzu etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 20 II. 1, S. 424; auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 504; bei dieser Gestaltung würde eine Pflicht zur Gleichbehandlung von vornherein zu verneinen sein. 97 Vgl. allerdings Hensche, RdA 1971, 9, 17 u. Hinw. auf Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, S. 352 f. u. mit der Erwägung, daß die Schranken des firmenbezogenen Verbandstarifvertrags möglicherweise auch mit Blick auf den Firmentarifvertrag gelten könnten, da der letztere "notwendig eine Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Verbandstarifvertrags vorsieht". 98 Grunds. bejahend Hensche, RdA 1971, 9, 17, der die Befugnis zum Abschluß von Firmentarifverträgen erst an der "allgemeinen Mißbrauchsgrenze" enden Jassen will. 99 Ähnl. wie hier wohl Lieb, DB 1999, 2058, 2064.
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derzudividieren", wäre vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Aus der Perspektive des einzelnen Arbeitgebers hätte man demgegenüber zu beachten, daß sich der Verband evtl. "auf Kosten" des einzelnen Mitglieds mit der Gewerkschaft einigen könnte 100, wenn der Weg, mit der Gewerkschaft auf "direktem Weg" zu einer firmentarifvertragliehen Regelung zu kommen, verschlossen und diese ganz auf die Möglichkeit des Abschlusses eines Verbandstarifvertrags verwiesen wäre. Das aber kann schwerlich gewollt sein und daher bestehen auch unter diesem Gesichtspunkt ganz erhebliche Bedenken dagegen, der Gewerkschaft von vornherein die Möglichkeit abzuschneiden, sich mit einem verbandsangehörigen Arbeitgeber auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags zu verständigen. Die soeben skizzierten Konsequenzen einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 1 TVG geben, schon für sich genommen, genügend Anlaß, an der Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens zu zweifeln. Nicht nur lassen sie dieses Ergebnis wenig sachgerecht erscheinen, sondern es ist v. a. unverkennbar, daß eine Restriktion der Vorschrift gerade auch aus der Perspektive der Gewerkschaften mit gravierenden Nachteilen verbunden wäre; darüber, daß § 2 Abs. 1 TVG in erster Linie dem Schutz der Gewerkschaft zu dienen bestimmt ist, herrscht indessen, wie gesagt, weithin Einigkeit. Nimmt man noch hinzu, daß die argumentative Begründungslast eindeutig bei den Befürwortern einer restriktiven Auslegung des § 2 Abs. 1 TVG liegt und daß diese um so mehr ins Gewicht fallt, je weiter sich die Konsequenzen einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 1 TVG von den Ergebnissen entfernen, die sich bei einer schlichten Wortlautauslegung einstellen würden, so erweist es sich schon an dieser Stelle als außerordentlich problematisch, die Notwendigkeit einer Restriktion des § 2 Abs. 1 TVG überzeugend zu begründen.
b) Rechtliche Bewertung einer Restriktion des§ 2 Abs. 1 1VG
Vollends aussichtslos erscheint eine teleologische Reduktion des § 2 Abs. TVG indes dann, wenn man sich veranschaulicht, daß man hierbei auch wertungsmäßig in größte Schwierigkeiten geriete. Das gilt zunächst im Hinblick auf die soeben geschilderte Gefahr, daß schwächeren Gewerkschaften u. U. die Chance auf einen Tarifabschluß verbaut werden könnte, wenn man ihnen die Möglichkeit einer Einigung mit dem einzelnen Arbeitgeber vorenthalten und sie statt dessen auf den Abschluß eines Verbandstarifvertrags und auf den gegnerischen Verband als Tarifpartner verweisen wollte.
wo Daß die bereits oben angesprochene Gebundenheit der Tarifvertragsparteien an das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG einen gewissen Schutz des Arbeitgebers mit sich bringt, kann die Bedenken nicht von vornherein zerstreuen.
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aa) § 2 Abs. 1 TVG und der Schutz schwächerer Gewerkschaften Ganz abgesehen davon, daß der Abschluß eines Verbandstarifvertrags aus Sicht der Gewerkschaft "überschießend" wäre, wenn es ihr "in Wirklichkeit" um nichts weiter als um die Regelung der Arbeitsbedingungen bei einem ganz bestimmten Arbeitgeber ginge, werden die Aussichten auf einen Tarifabschluß häufig eher triibe sein, wenn die Gewerkschaft gezwungen würde, stets die gesamte Solidargemeinschaft aller Mitglieder "herauszufordern", obwohl sie möglicherweise nur in wenigen Unternehmen in ausreichendem Maße Mitglieder aufweist 101 • Allerdings ist insoweit zugegebenermaßen Zuriickhaltung geboten. Denn wenn sich dabei auch für die eine oder andere Gewerkschaft geradezu existenzgefährdende Folgen ergäben mögen- da sie vor diesem Hintergrund u. U. jede realistische Aussicht auf einen Tarifabschluß einbüßen könnte -, so läßt sich doch nicht übersehen, daß Art. 9 Abs. 3 GG weder jede einzelne Gewerkschaft in ihrem individuellen Bestand schützt, noch auch nur in dem Sinne einen Koalitionspluralismus garantiert, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen die Existenz einer bestimmten Zahl von tariffähigen Verbänden sicherzustellen hätte 102 . Dementsprechend ginge es sicherlich zu weit, wenn man die hier diskutierte teleologische Reduktion des § 2 Abs. 1 TVG in einem Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Koalitionsfreiheit sehen wollte. Das besagt allerdings nicht, daß es, wenn auch nicht geradewegs die Erfüllung eines verfassungsrechtlichen Postulats, so doch eine sinnvolle Ausgestaltung der grundgesetzliehen Garantie der Tarifautonomie durch den Gesetzgeber sein dürfte 103, den Gewerkschaften die Wahlfreiheit zwischen Arbeitgeber und Verband zu belassen 104 und demzufolge von einer Restriktion des § 2 Abs. 1 TVG Abstand zu nehmen. Das ist übrigens auch gegenüber der Erwägung zu bedenken, daß ein (teilweiser) Verzicht auf das Erfordernis der Mächtigkeit 105 - und dieser liegt wohl in der Tat in der Anerkennung einer Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers 106 - nicht mehr zu rechtfertigen sei, sobald die Möglichkeit einer firmenbezogenen Regelung Was der Gewerkschaft noch nicht notwendigerweise die Mächtigkeit nehmen muß. Vgl. zur Problematik Scholz in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 9 Rn. 253. 103 Vgl. zur Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers insbes. BVerfG v. I. 3. 1979, BVerfGE 50, 290, 369; auch BVerfG v. 4. 7. 1995, BVerfGE 92, 365, 393 ff. (zur Problematik des § 116 AFG). 104 Darauf, daß die Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers von Verfassungs wegen evtl. auch anders hätte ausfallen können, kommt es also nicht an. 105 Zur rechtlichen Problematik des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit allerdings zuletzt Suckow, Gewerkschaftliche Mächtigkeit als Detenninante korporatistischer Tarifsysteme, 2000, S. 117 ff. 106 Näher zur Problematik der Tariffähigkeit von .,Kleinarbeitgebern" etwa Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 102 ff. ; auch Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 163 ff. jew. m. w. Nachw. 101
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in einem Verbandstarifvertrag bestehe 107. Zwar mag darin ein "verfassungskräftiger" Grund liegen 108, der sich "an sich" durchaus zugunsten einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 1 TVG anführen ließe 109 • Doch bestehen nach dem eben Gesagten für das gegenteilige Ergebnis ebenfalls Gründe von entsprechendem Gewicht, so daß sich jedenfalls nicht behaupten läßt, die Betrachtung auf der verfassungsrechtlichen Ebene erzwinge eine teleologische Reduktion des § 2 Abs. 1 TVG, um nicht zu sagen eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm 110: Statt darauf abzustellen, daß der einzelne Arbeitgeber der Gewerkschaft gegenüber u. U. "nicht mächtig genug" sei, kann man ebenso gut argumentieren, der Verband sei im Hinblick auf rein unternehmensbezogene Tarifforderungen einer Gewerkschaft "zu mächtig". bb) Bewertung einer Restriktion der Tariffähigkeit des Arbeitgebers unter arbeitskampfrechtlichen Gesichtspunkten Noch problematischer erscheint jedoch die ebenfalls bereits oben skizzierte Konsequenz, daß sich die Gewerkschaft auch dann stets an den Verband zu halten hätte - und diesen dementsprechend zum Adressaten evtl. Arbeitskampfmaßnahmen machen müßte -, wenn sie lediglich "firmenbezogene" Forderungen erhebt. Auch wenn insoweit noch immer vieles im Dunkeln liegt, wird man nämlich, bei aller gebotenen Vorsicht, doch die Behauptung aufstellen dürfen, daß ein Arbeitskampf im Grundsatz nur von Personen geführt werden darf, die der zugrunde liegende Streit "etwas angeht" 111 . Das bedeutet zum einen, daß Streik und Aus107 So Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 483; ähnl.IAG Schleswig-Holstein v. 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. 3.2 d. Grde). Ganz abgesehen davon, daß es nicht unbedenklich ist, Unterstützungsleistungen des Verbands zuzulassen, obwohl dieser an den Ergebnissen des Tarifabschlusses selbst gar nicht interessiert ist, setzt eine Zurechnung der Mächtigkeit des Verbands zur Mächtigkeit des Arbeitgebers - auf die seine Argumentation letztlich hinausläuft - eine Solidarität zwischen den Verbandsmitgliedern voraus, die, wenn nicht geradezu kontrafaktisch, dann doch jedenfalls nicht besonders realistisch ist; ähnl. wie hier wohl auch Lieb, DB 1999, 2058, 2064, der ebenfalls die Schwierigkeit betont, nicht unmittelbar von der Forderung nach Abschluß eines Firmentarifvertrags betroffene Arbeitgeber für (unterstützende) Aussperrungen zugewinnen-und der deshalb auch Bedenken hinsichtlich des Erfordernisses der Arbeitskampfparität hegt. 108 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Hintergrund des Gebots der Mächtigkeit bzw. Durchsetzungsfähigkeit nur BVerfG v. 20. 10. 1981, BVerfGE 58, 233, 253 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG. 109 Zurückhaltung allerdings etwa bei Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 164 f. 110 Das wird um so deutlicher, wenn man bedenkt, daß der Schutz ,,kleiner" Arbeitgeber andernfalls u. U. durch einen Verzicht auf den rechtlichen Schutz "kleiner" Gewerkschaften "erkauft" würde. 111 Vgl. hierzu mit Blick auf die generelle Unzulässigkeit des Sympathiestreiks MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 286 Rn. 44; vgl. allerdings auch Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 481, der eine Betroffenheit des Arbeitgeberverbands in dem eben skizzierten Sinn in weitem Umfang anerkennt.
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sperrung grundsätzlich weder gegen Personen gerichtet werden dürfen, die die Tarifforderungen, um die es bei der Auseinandersetzung geht, nicht zu erfüllen, ja nicht einmal auf deren Erfüllung hinzuwirken vermögen 112 • Und das bedeutet zum anderen, daß an einem Arbeitskampf grundsätzlich nur Personen unterstützend teilnehmen dürfen, die ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Durchsetzung der Forderung bzw. an deren Abwehr haben 113 • Wollte man Gewerkschaften die Möglichkeit einer firmentarifvertragliehen Regelung verschließen und sie statt dessen auf den Weg des Abschlusses eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags verweisen, würde sich insoweit zwar nicht notwendigerweise ein Widerspruch ergeben. Denn wenn man die Tariffahigkeit des Arbeitgebers mit dessen Beitritt zum Verband entfallen ließe, läge darin ja nichts anderes als die Wertung, daß der Verband stets der .,richtige" Adressat der gewerkschaftlichen Forderungen ist, und da dieses Problem der Frage .,vorausliegt", wer als der .,richtige" Gegner im Arbeitskampf zu gelten hat, wäre diese möglicherweise ganz einfach dahin zu beantworten, daß dies im vorliegenden Zusammenhang der Arbeitgeberverband sein müsse 114• Indes drängen sich insoweit angesichts der eben skizzierten Konsequenzen für das Arbeitskampfrecht doch erhebliche Zweifel auf, da man dabei den Kreis der potentiell am Arbeitskampf Beteiligten .,ohne Not" ausdehnen und infolgedessen einer .,Konzentration" des Arbeitskampfs auf die .,eigentlich Betroffenen" entgegenwirken würde, die nicht allein rechtspraktisch wünschenswert ist, sondern, wie gesagt, auch den Wertungen des Arbeitskampfrechts besser entspricht. Allerdings ließe sich eine derartige .,Konzentration" des Arbeitskampfs auf die .,eigentlich Betroffenen" auch dann leisten, wenn man es der Gewerkschaft von vornherein verwehrte, andere Arbeitgeber in den Arbeitskampf miteinzubeziehen 115 . Doch dürfte sich diese Lösung bei näherem Hinsehen nahezu von selbst verbieten, da sie in Wirklichkeit weder aus Sicht des betroffenen Arbeitgebers noch aus Sicht der Gewerkschaft befriedigend erschiene: Aus der Sicht des Arbeitgebers wäre problematisch, ihn (und nur ihn) der Streikdrohung einer Gewerkschaft auszusetzen, ohne ihm zugleich die Mittel an die Hand zu geben, die Forderungen der Gewerkschaft zu erfüllen 116• Und aus 112 Von der Gefahr einer "wirtschaftlichen Geiselnahme" spricht in derartigen Fällen MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 286 Rn. 44. 113 Vgl. zu den Ausnahmen vom Verbot des Sympathiearbeitskampfs MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 286 Rn. 45 ff. Ausdrücklich bejahend zur Möglichkeit der Unterstützung des verbandsangehörigen Arbeitgebers durch den Verband bei Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 483. 114 Durchaus folgerichtig daher Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 483 ("Tarifvertragspartei und damit auch Arbeitskampfpartei ist allein der Arbeitgeberverband"), der einen Arbeitskampf allein gegen das betroffene Verbandsmitglied überdies ausdrücklich als unzulässig ansieht; Matthes, S. 485; insoweit ähnl. wohl Henssler, ZfA 1998, 517,539. 115 Daß der betroffene Arbeitgeber, praktisch betrachtet, i. d. R. "vorrangig bestreikt" würde, betont zurecht Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 485; ebenso Lieb, DB 1999, 2058, 2058.
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der Sicht der Gewerkschaft wäre problematisch, daß diese von vornherein daran gehindert sein würde, Druck auf all diejenigen auszuüben, die - mittelbar, d. h. durch entsprechende Einflußnahme auf die zuständigen Verbandsorgane - über den Abschluß des erstrebten Tarifvertrags entscheiden. Zu alldem kommt noch hinzu, daß es in wertungsmäßiger Hinsicht alles andere als unzweifelhaft wäre, wenn Personen über den Abschluß eines Tarifvertrags (mit-)entscheiden würden, die von dessen Bestimmungen gar nicht berührt werden; man denke insoweit nur vergleichsweise an die Problematik der sog. OT-Mitgliedschaft, wo die h. M. dahingehen dürfte, den nicht tarifgebundenen Mitgliedern jedenfalls die Stimmbefugnis in tarifpolitischen Angelegenheiten (einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Fragen eines Arbeitskampfs) zu versagen117. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird man somit schwerlich umhin können, einer möglichen Restriktion des § 2 Abs. 1 TVG eine Absage zu erteilen und- im Einklang mit der h. M. - anzunehmen, daß die Tariffähigkeit des Arbeitgebers von einer Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband nicht berührt wird 118•
cc) Rechtliche Konsequenzen hinsichtlich bestehender Tarifverträge Es bleibt, auf einen letzten Gesichtspunkt einzugehen, der im vorliegenden Zusanunenhang ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben kann. Dieser wird deutlich, wenn man sich klarmacht, daß die Konsequenzen, die ein Entfallen der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers hätte, keineswegs auf zukünftige Tarifabschlüsse beschränkt wären, sondern konsequenterweise auch die im Zeitpunkt des Verbandsbeitritts bereits bestehenden firmentarifvertragliehen Bindungen des Arbeitgebers erfassen müßten. Insoweit wären sie sogar ganz besonders einschneidend. Denn der Verlust der Tariffähigkeit bewirkt nach h. M. die Beendigung aller Tarifverträge, an die der nunmehr Tarifunfahige gebunden war119• Und da auf den er-
116 Die verbandsrechtlich vermittelte Möglichkeit der Einwirkung auf die innerverbandliehe Willensbildung kann insoweit nicht genügen, wenn die übrigen Mitglieder vom Tarifabschluß gar nicht berührt werden. Ebenso wie hier wohl Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 447, 480 f. (".. . der einzelne Arbeitgeber (ist) nicht nur unmittelbar Tarifvertragspartei des umkämpften Firrnentarifvertrages, er ist auch Arbeitskampfpartei, und zwar nur er"), der allerdings Unterstützungsmaßnahmen des Verbands in weitem Umfang für zulässig hält. ll7 Vgl. nur Moll, Tarifausstieg der Arbeitgeberseite: Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband "ohne Taritbindung", 2000, S. 82. Zuweilen wird die Problematik der OT-Mitgliedschaft von vornherein auf die Gestaltungen verengt, in der Mitglieder nicht tarifgebunden sein wollen und "im Gegenzug auf bestimmte Mitgliedschaftsrechte" verzichten; so S.-J. Otto, NZA 1996, 624, 628. Dem entspricht allerdings die satzungsrechtliche Praxis der OT-Mitgliedschaft nicht; vgl. nur Reuter, RdA 1996, 201, 202; aus der Rspr. zuletzt BAG v. 24. 2. 1999, RdA 2000, 105m. Anm. Zachert; umfassend zur Zulässigkeil der OT-Mitgliedschaften neuerdings etwa auch Franzke, OT-Mitgliedschaften, 1999. ns So etwa auch Heß, Zulässigkeit, Inhalt und Erstreikbarkeit betriebsnaher Tarifverträge, 1973, S. 20; ders., DB 1975, 548, 548; ebenso zuletzt Jacobs, ZTR 2001, 249, 250 f.
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sten Blick nicht ersichtlich ist, weshalb im vorliegenden Zusammenhang etwas anderes gelten sollte, führte kein Weg daran vorbei, von der Unwirksamkeit eines Firmentarifvertrags auszugehen, den der Arbeitgeber vor dem Beitritt zum Verband abgeschlossen haben mag. Allerdings sollte man es sich bei dem Problem der "gewollten Tarifunfähigkeit" des Arbeitgebers 120, um das es hier ersichtlich ginge, auch nicht zu leicht machen. Jedenfalls ist vor einem Zirkelschluß zu warnen, in den man aber unweigerlich geriete, wenn man gegen die Anerkennung einer "gewollten Tarifunfähigkeit" lediglich ins Feld führte, daß der Gewerkschaft immer auch der Arbeitgeber als möglicher Kontrahent zur Verfügung stehen müsse (und dementsprechend sein Verbandsbeitritt die Tariffähigkeit nicht beenden dürfe): Ob§ 2 Abs. 1 TVG in diesem Sinne zu verstehen ist, ist ja gerade die - hier erst noch zu beantwortende - Frage. Freilich bestehen gegen eine "gewollte Tarifunfähigkeit" des Arbeitgebers auch sonst genügend Einwände 121 . Zu denken ist insoweit insbesondere an § 3 Abs. 3 TVG, nach dem die Tarifgebundenheit so lange bestehen bleibt, bis der Tarifvertrag endet. Denn mit der hierin zum Ausdruck kommenden Wertung erschiene es nun wirklich kaum mehr vereinbar, wenn man annehmen wollte, daß der Arbeitgeber seine Bindung an den Firmentarifvertrag einseitig "abstreifen" könne, indem er einem Arbeitgeberverband beitritt, damit seine Fähigkeit zum Abschluß "eigener" Tarifverträge für die Dauer des Bestehens der Mitgliedschaft einbüßt und bestehenden Firmentarifverträgen dadurch ihre rechtliche Grundlage entzieht. Allerdings würde sich vor diesem Hintergrund der Ausweg anbieten, im Fall des Beitritts eines Arbeitgebers zum Verband zwar dessen Tariffähigkeit entfallen zu lassen, ihn aber dennoch an den bestehenden tarifvertragliehen Bindungen festzuhalten 122• Indes verbietet sich ein derartiges Vorgehen bei näherem Hinsehen geradezu von selbst. Denn diese Lösung liefe entweder darauf hinaus, den Arbeitgeber an einen Tarifvertrag zu binden, ohne daß er selbst überhaupt noch die Möglichkeit besäße, diesen in Ausübung seiner Tariffähigkeit vorzeitig zu beenden bzw. (gemeinsam mit der Gewerkschaft) aufzuheben oder abzuändem 123 . Oder 119 Vgl. nur Oetker; in: Wiedemann, § 2 Rn. 33 (für den Fall der Auflösung des Berufsverbands); zu den Einzelheiten der Problematik kann hier nicht Stellung genommen werden. 120 Vgl. zu dieser (insbes. auch historisch bedeutsamen) Frage nur Oetker; in: Wiedemann, § 2 Rn. 22 f. 121 Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Diktum von Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 305: ,,Der Arbeitgeber kann seine Tariffähigkeit auch nicht abschütteln, muß vielmehr der Tarifautonomie auch wider Willen zu Diensten sein". 122 Vgl. insoweit Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 485, wonach bestehende Firmentarifverträge wirksam bleiben, der Arbeitgeber diese aber ordentlich soll kündigen können. 123 Hinsichtlich der Problematik des Untergangs einer Tarifpartei geht ein in der Lit. verhältnismäßig häufig geäußertes Bedenken dahin, daß der Tarifvertrag "zementiert" würde, wenn der Tarifvertrag in seinem normativen Teil über den Zeitpunkt der Vollbeendigung des Verbands hinaus fortbestünde, andererseits aber gar keine Tarifpartei mehr vorhanden sei, die ein Kündigungsrecht ausüben könne, das die Tarifparteien indes regelmäßig vereinbart haben werden; vgl. nur Frey, RdA 1965, 363, 366; wie dieser auch v. Stebut, SAE 1987, 203, 204,
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man käme zu einer völlig irregulären "gespaltenen Tariffähigkeit" des Arbeitgebers, der nur noch gegenüber seinen Tarifpartnern die Möglichkeit zum Abschluß von Tarifverträgen hätte, wobei diese u. U. sogar auf die Materien beschränkt wäre, die in den im Zeitpunkt des Verbandsbeitritts bestehenden Tarifverträgen geregelt sind. Während die erstgenannte Lösung unter dem Gesichtspunkt der Legitimation der Geltung des Tarifvertrags schwersten Bedenken ausgesetzt wäre, muß die zuletzt genannte Lösung allein schon daran scheitern, daß das Gesetz nirgendwo den leisesten Hinweis auf die Anerkennung einer derartigen Teilung der Rechtsmacht zum Abschluß von Tarifverträgen enthält 124. Im Ergebnis ist es daher abzulehnen, § 2 Abs. 1 TVG in dem Sinne einschränkend auszulegen, daß die Tariffähigkeit des Arbeitgebers (zeitweilig) entfällt, wenn er einem Arbeitgeberverband beitritt. Dem entspricht die weithin herrschende Auffassung, die einer solchen Restriktion des§ 2 Abs. 1 TVG ebenfalls ablehnend gegenübersteht 125 und allenfalls de lege ferenda eine Beschränkung der Tariffähigkeit des Arbeitgebers befürwortet 126. dd) Die Frage nach der Zulässigkeit entsprechender satzungsmäßiger Regelungen Ebenso zu verwerfen ist schließlich die Möglichkeit, den Verbänden auch nur die Befugnis zu einer satzungsmäßigen Regelung einzuräumen, nach der die Tariffähigkeit der Mitglieder im eben beschriebenen Sinne eingeschränkt sein soll 127 . der insoweit von der Gefahr einer "Perpetuierung" des Tarifvertrags spricht. In der Tat ergeben sich erhebliche Zweifel unter dem Gesichtspunkt der "Richtigkeitsgewähr", wenn ein Tarifvertrag aufrechterhalten würde, obwohl einer der beiden Tarifpartner weggefallen ist und damit, wie das BAG formuliert, die "Herrschaft über den Tarifvertrag" verloren hat; so BAG v. 15. 10. 1986 AP Nr. 4 zu§ 3 TVG im Anschluß an Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968, S. 219 vgl. zur Problematik zuletzt BAG v. 27. 6. 2000, DB 2001,438. 124 Das ist auch in anderen Zusammenhängen zu beachten; vgl. insoweit nur Däubler, ZTR 1994, 448, 453, wonach die Anerkennung einer sog. OT-Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband auf eine "partielle", d. h. auf bestimmte Mitglieder beschränkte, Tariffähigkeit hinauslaufe, die das Gesetz nicht kenne. 125 Vgl. zur Problematik nur Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 20 II. 2, S. 424 f.; Kempen/Zachert § 2 Rn. 70; auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 78 (Tariffähigkeit als "notwendiges Korrelat der Machtstellung des Arbeitgebers unverzichtbar"); gegen einen Verlust der Tariffähigkeit neuerdings z. B. auch Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, 1999, S. 129. 126 So insbes. Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 112. 127 So etwa auch Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Il/1 , 7. Autl., 1967, § 20 II. 2, S. 424: "Gehört der Arbeitgeber einem Arbeitgeberverband an, der durch seine Satzung oder durch Verbandsbeschluß seinen Mitgliedern den Abschluß von Firmentarifverträgen untersagt hat, so ändert das an der Tariffähigkeit des Arbeitgebers nichts"; ebenso Matthes, in: FS Schaub, 1998, S. 477, 479. Daß unter diesen Umständen evtl. eine Verbandspflicht besteht, den Abschluß von Finnentarifverträgen zu unterlassen, steht auf einem anderen Blatt; verfassungs-
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Eine derartige Regelung würde nämlich, wie sich ohne weiteres aus dem soeben Gesagten ergibt, in erheblichem Umfang in die schutzwürdigen Interessen der Gewerkschaften eingreifen, die als zukünftige Kontrahenten eines Firmentarifvertrags in Betracht kommen oder gar schon firmentarifvertraglich mit dem Arbeitgeber verbunden sind. Vor diesem Hintergrund wird denn auch sofort klar, auf welchem Wege sich die Unzulässigkeit einer satzungsmäßigen Klausel über den Verlust der Fähigkeit zum Abschluß von Firmentarifverträgen begründen läßt: sie ergibt sich schlicht bereits daraus, daß eine derartige Regelung die Grenzen der den Verbänden zustehenden Satzungsautonomie 128 überschreiten würde. Sowohl einem eo ipso eintretenden Verlust der Tarifflihigkeit als auch einer entsprechenden Regelung in der Satzung des Verbands 129 steht daher der Normzweck des § 2 Abs. 1 TVG entgegen. Eine gewisse Bestätigung findet dieses Ergebnis übrigens in einer Parallele zu § 137 BGB, die insoweit höchst aufschlußreich ist. Zwar herrscht hinsichtlich des Normzwecks dieser Vorschrift noch immer keine vollständige Einigkeit. Doch steht immerhin so viel fest, daß es gute Gründe für sich hat, wenn man § 137 BGB nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt einer "freiheitlichen Grundnorm" interpretiert, die gerade auch im Interesse des Verfügungsberechtigten die Unbeschränkbarkeit der Verfügungsmacht anordnet 130. Überträgt man dies- bei aller Vorsicht, die gegenüber derartigen, Rechtsgebiete übergreifenden Parallelen zugegebenermaßen angezeigt ist - auf den hier gegebenen Zusammenhang, so wird man es um so mehr als befremdlich ansehen müssen, wenn der verbandsangehörige Arbeitgeber nicht allein der verbandsrechtlichen Folgepflicht unterworfen, sondern dariiber hinaus eben auch noch in einer Weise gebunden wäre, die, rein praktisch betrachtet, geradezu auf den Verlust seiner Tarifflihigkeit hinausliefe 131 • Ebenfalls eine Absage zu erteilen ist dem denkbaren Versuch, einen satzungsmäßigen Verzicht des Arbeitgebers auf die Fähigkeit zum Abschluß von Firmentarifverträgen mit der Notwendigkeit zu begründen, von vornherein eine Konkurrenz dieser Tarifverträge mit den Tarifverträgen des Verbands zu vermeiden. Selbst wenn es sich dabei um eine legitime Erwägung handeln sollte - was wohl nicht einmal der Fall ist132 -, könnte sie allenfalls dann einen Verlust der Tarifflihigkeit des Arbeitgebers rechtfertigen, wenn dieser mit dem Eintritt in den Verband wirkmäßige Bedenken gegen ein satzungsmäßiges Verbot des Abschlusses von Firmentarifverträgen allerdings etwa bei Hensche, RdA 1971,9, 17. 128 Vgl. hierzu nur Scholz, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG, Art. 9 Rn. 204. 129 Ebenso wohl Oetker, in: Wiedemann, 6. Aufl. 1999, § 2 TVG, Rn. lll ff. mit der Feststellung, die Fähigkeit des Arbeitgebers zum Abschluß von Tarifverträgen könne ihrem Inhalt und Umfang nach nicht "Gegenstand tarifvertraglicher, verbandsrechtlicher oder schuldrechtlicher Abreden sein", sei also "zwingend verliehen". 130 Vgl. nur MünchKomm-Mayer-Maly § 137 Rn. 3m. w. Nachw. 131 Allg. zu den Schranken der Satzungsautonomie tariffahiger Verbände etwa Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 60 ff. (im Zusammenhang mit der Problematik der Tariffahigkeit). 132 Vgl. insoweit Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 85 ff.
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lieh einem Verbandstarifvertrag unterworfen wäre, wenn also im Zeitpunkt der Begründung der Mitgliedschaft bereits ein Verbandstarifvertrag bestünde, dessen Geltungsbereich sich auf ihn erstreckt. Das dürfte zwar, rechtspraktisch betrachtet, regelmäßig der Fall sein; notwendig ist dies aber nicht und daran zeigt sich, daß ein Verlust der Tarifflihigkeit des Arbeitgebers, der aufgrund seiner Bindung an den Tarifvertrag eintreten würde, jedenfalls nicht generell an den Zeitpunkt des Verbandsbeitritts anknüpfen dürfte. Auch unter diesem Gesichtspunkt muß es deshalb dabei bleiben, daß der Eintritt in einen Arbeitgeberverband die Tarifflihigkeit des Arbeitgebers gern. § 2 Abs. 1 TVG nicht berührt. Nur am Rande sei zuletzt auch darauf aufmerksam gemacht, daß der Verband nach h. M. zumindest insoweit nicht grundsätzlich an der Statuierung eines satzungsmäßigen Verbots von Firmentarifverträgen gehindert ist, als dieses nur darauf abzielt, das Entstehen einer Tarifkonkurrenz zu vermeiden 133 • Besteht ein derartiges Verbot, dann handelt der verbandsangehörige Arbeitgeber stets verbandswidrig, wenn er dennoch einen Haustarifvertrag abschließt, und das bedeutet, daß dem Verband grundsätzlich alle Mittel der Verbandsgewalt offen stehen, um den Abschluß eines verbandswidrigen Firmentarifvertrags zu verhindern bzw. den Arbeitgeber zur Beendigung des Haustarifvertrags zu veranlassen. Steht der Verband dem Abschluß widersprechender Tarifverträge einzelner Mitglieder aber keinesfalls schutzlos gegenüber, so ist nur sehr schwer einzusehen, weshalb man noch einen wesentlichen Schritt weitergehen und ihm darüber hinaus auch noch erlauben sollte, in der Satzung einen regelrechten Vorrang seiner Tarifverträge vor den (Haus-)Tarifverträgen der Mitglieder zu bestimmen.
IV. Beschränkung der TaritTähigkeit des Arbeitgebers aufgrund der Wirkungen des Tarifvertrags Entsprechend dem oben Gesagten stellt sich daher in der Tat die Frage, ob ein Verlust der Tarifflihigkeit des Arbeitgebers wenigstens als Folge seiner "Unterwerfung" unter einen Verbandstarifvertrag eintritt. Insoweit könnte man zunächst den Versuch machen, eine Einschränkung der Tarifflihigkeit des einzelnen Arbeitgebers mit der Regelung des § 4 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 TVG zu begründen, in der die unmittelbare und zwingende Wirkung der Rechtsnormen des Tarifvertrags angeordnet und ein Ausschluß "abweichender Abmachungen" bestimmt wird.
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Zu derartigen Regelungen in der Satzung etwa Oetker, in: Wiedemann, 6. Aufl. 1999,
§ 2 TVG, Rn. 114 ff.
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1. Die unmittelbare Wirkung des Tarifvertrags
Was die erstgenannte Wirkung anbetrifft, so verspricht dieser Weg allerdings von vomherein keinen Erfolg, da nicht ersichtlich ist, weshalb es mit der Anordnung der unmittelbaren Wirkung eines Verbandstarifvertrags unvereinbar sein sollte, wenn der Arbeitgeber, der gern.§ 3 Abs. 1 TVG an den Verbandstarifvertrag gebunden ist, darüber hinaus auch einen Firmentarifvertrag abschließt. Dabei sollte man zunächst an die Möglichkeit denken, daß sich der Arbeitgeber nicht mit dem Tarifpartner seines Verbands, sondern mit einer "dritten" Gewerkschaft auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags einigt. In diesem Fall fehlt es bereits an einer Konkurrenz zwischen Firmen- und Verbandstarifvertrag 134 und dementsprechend bestünde von vomherein keinerlei Anhaltspunkt dafür anzunehmen, daß die unmittelbare Wirkung des Verbandstarifvertrags dem Abschluß eines Firmentarifvertrags entgegenstehen könnte. Auch in dem Fall, in dem es wirklich zu einer Konkurrenz kommt, ergibt sich indes kein Widerspruch zur Anordnung der unmittelbaren Wirkung. Denn die unmittelbare Geltung des Verbandstarifvertrags wird von der Existenz eines konkurrierenden Tarifvertrags in keiner Weise berührt. Allenfalls tritt, wenn man insoweit die - freilich abzulehnende - Rechtsprechung des BAG zugrunde legt, der Verbandstarifvertrag hinter dem (spezielleren) Firmentarifvertrag zurück, ist also mit Rücksicht auf diesen (zunächst) nicht anwendbar 135• Anders ausgedrückt: Bei der Tarifkonkurrenz geht es nicht darum, daß ein Tarifvertrag die Unmittelbarkeit seiner Wirkungen einbüßen würde, sondern vielmehr darum, daß sich ein unmittelbar wirkender Tarifvertrag gewissermaßen vor einen anderen, ebenfalls unmittelbar wirkenden, Tarifvertrag "schiebt".
134 Diese setzt bekanntlich voraus, daß beide Parteien des Arbeitsvertrags doppelt tarifgebunden sind, was hier aber, sieht man vom äußerst seltenen Fall der Doppelmitgliedschaft eines Arbeitnehmers einmal ab, nicht der Fall wäre; vgl. zum Ganzen statt aller Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 271 . 135 Selbst wenn es anders wäre und der Firmentarifvertrag die unmittelbare Wirkung des Verbandstarifvertrags beenden würde, ließe sich übrigens eine Beschränkung der Tariffähigkeit des Arbeitgebers, wie sie hier zur Debatte steht, wohl nicht allein mit § 4 Abs. l S. l TVG begründen. Denn diese Vorschrift beschränkt sich darauf, die unmittelbare Wirkung des Tarifvertrags anzuordnen. Dazu, wann und unter welchen Voraussetzungen ein mit einem Firmentarifvertrag konkurrierender Verbandstarifvertrag seine unmittelbare Wirkung wieder einbüßt, enthält§ 4 Abs. l S. 1 TVG jedoch keine Aussage. Insoweit wäre vielmehr auf§ 4 Abs. 5 TVG abzustellen, dem aber zu entnehmen ist, daß der "Ablauf des Tarifvertrags" lediglich die zwingende Wirkung der Tarifnormen beendet.
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2. Die zwingende Wirkung des Tarifvertrags und der Ausschluß "abweichender Abmachungen" Allerdings bestimmt § 4 Abs. I S. I TVG nicht nur die Unmittelbarkeit der Wirkung der Rechtsnormen des Tarifvertrags, sondern v. a. auch deren zwingende Wirkung. Und da es vorliegend ersichtlich um nichts anderes als um die Zulässigkeit und rechtliche Wirksamkeit von "tarifwidrigen" Vereinbarungen geht, an denen der Arbeitgeber beteiligt ist, liegt es durchaus nicht ganz fern zu prüfen, ob sich evtl. unter diesem Gesichtspunkt eine Einschränkung der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers ergeben könnte. Auch das ist aber zu verneinen. Soweit Normen über den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Rede stehen, ordnet § 4 Abs. 1 S. 1 TVG die zwingende Wirkung ausdrücklich allein "zwischen den beiderseits Tarifgebundenen", also zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, an: Dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer wird die Befugnis genommen, die Wirkungen der tariflichen Gestaltung ihres Rechtsverhältnisses im Wege des Abschlusses einzelvertraglicher Abmachungen auch nur teilweise zu beseitigen 136 -, womit der Tarifvertrag in derselben Weise wirkt wie die zwingenden gesetzlichen Vorschriften des Schuldrechts, aufgrund derer sich ebenfalls eine Beschränkung der Vertragsfreiheit der Beteiligten ergibt. Im vorliegenden Zusammenhang ginge es jedoch nicht um Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern um solche zwischen dem Arbeitgeber und einer Gewerkschaft(!) und somit scheidet es hinsichtlich der soeben genannten Normengruppe von vornherein aus, Einschränkungen der Tariffähigkeit des Arbeitgebers auf§ 4 Abs. 1 S. 1 TVG zu stützen. Daran vermag auch § 4 Abs. 3 TVG nichts zu ändern. Zwar verbietet diese Vorschrift ganz generell vom Tarifvertrag "abweichende Abmachungen". Doch bezieht sich dies nach ganz h. M. allein auf ,,rangniedrigere Kollektivordnungen" 137, also insbesondere Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat 138, und nicht auf grundsätzlich "ranggleiche" Tarifverträge, die der Arbeitgeber mit einer Gewerkschaft abschließen mag. Auch hinsichtlich der Normen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen kommt man indes zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach Maßgabe von § 4 Abs. 1 S. 2 u. 1 sowie Abs. 4 Abs. 3 TVG ergibt sich wiederum nur eine entsprechende Bindung der Betriebsparteien, nicht aber eine solche von Arbeitgeber und Gewerkschaft 139. Und auch wenn man zu berücksichtigen 136 Dariiber hinaus soll § 4 Abs. 1 S. l TVG auch "tarifwidriges Gewohnheitsrecht" und eine "tarifwidrige betriebliche Übung" ausschließen; so jedenfalls Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 369. Doch wäre, wenn man dem zustimmen wollte, stets zu beachten, daß dieses nur insoweit in Betracht kommt, als es um das Verhältnis der "beiderseits Tarifgebundenen" geht, also gerade zwischen diesen die Voraussetzungen der Bildun.g "tarifwidrigen Gewohnheitsrechts" bzw. des Bestehens einer "tarifwidrigen betrieblichen Ubung" zu bejahen wäre(n). 137 So Wank, in: Wiedemann, § 4 vor Rn. 546. 138 Näher hierzu statt aller Wank, in: Wiedemann, § 4 vor Rn. 546 ff.
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Finnentarifverträgen
hat, daß der Arbeitgeber im Hinblick auf Firmentarifverträge stets zugleich "Normsetzer und Normunterworfener" ist 140, kann man doch nicht einfach davon ausgehen, daß § 4 Abs. 1 S. 2 TVG immer auch hinsichtlich der letztgenannten Eigenschaft zu beachten sei (und die verbandsangehörigen Arbeitgeber dementsprechend am Abschluß "eigener" Tarifverträge hindere); ganz abgesehen davon, daß sich eine zwingende Wirkung des Verbandstarifvertrags gegenüber der Gewerkschaft von vornherein nicht begründen läßt. Anders zu entscheiden, wäre auch wertungsmäßig nicht zu rechtfertigen: Wenn § 4 Abs. 1 S. I u. 2 (i. V. m. Abs. 3 2. Alt.) TVG die (einseitig) zwingende Wirkung der Inhaltsnormen des Tarifvertrags anordnet, dann deshalb, weil vom Tarifvertrag "abweichende Abmachungen" ausgeschaltet werden sollen, wenn und soweit sie typischerweise durch ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Beteiligten gekennzeichnet sind 141 • Hinsichtlich der Betriebsnormen und der betriebsverfassungsrechtlichen Normen steht dagegen bekanntlich die Befürchtung im Vordergrund, die Zulässigkeit abweichender Betriebsvereinbarungen könne sich als geeignet erweisen, die Solidarität innerhalb der Gewerkschaften und damit letztlich deren Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen zu beeinträchtigen, weil die Betriebsräte faktisch zu ,,Ersatzgewerkschaften" werden könnten 142• Was konkurrierende Tarifverträge betrifft, so passen indes beide Erwägungen nicht. Das bedarf für den Bereich der Inhaltsnormen ebenso wenig einer näheren Erläuterung 143 wie für den Bereich der Betriebsnormen. Gerade auch hinsichtlich der letzteren erschiene es nachgerade ausgeschlossen zu begründen, daß eine Gewerkschaft - sei es mit Blick auf einen "eigenen" Verbandstarifvertrag, sei es gar mit Blick auf den Verbandstarifvertrag einer anderen Gewerkschaft - daran gehindert ist, mit dem Arbeitgeber einen Firmentarifvertrag zustande zu bringen. Auch mit dem Hinweis auf die zwingende Wirkung des Tarifvertrags läßt sich somit eine Einschränkung der Tariffähigkeit der an diesen Tarifvertrag Gebundenen nicht rechtfertigen. 139 Dem entspricht es, daß das in § 4 Abs. 3 niedergelegte Günstigkeitsprinzip nach h. M. nichts für die Lösung der Fälle einer Tarifkonkurrenz besagt, da es sich hierbei - nur - um eine "Kollisionsregel für das Verhältnis von schwächeren zu stärkeren Rechtsnormen" handelt; so zutreffend Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 283; eingehend zur Problematik Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 35 ff.; a.A. Däubler; Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, s. 625 f. 140 So MünchArbR-Löwisch, 1. Aufl., 1993, § 260 Rn. 1. 141 Vgl. nur Däubler; Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., 1993, S. 132, der die zwingende Wirkung des Tarifvertrags wegen dieser Funktion als "Grundpfeiler des geltenden Arbeitsrechts" bezeichnet. 142 Vgl. insoweit nur Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 550 sowie Hrommika, in: FS Schaub, 1998, S. 337, 343 ff. Auf die Berechtigung dieser Sichtweise ist hier nicht näher einzugehen; vgl. insoweit die Nachweise bei Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 546 (u. Fußn. 531). 143 Immerhin mag es sinnvoll sein, sich in diesem Zusammenhang nochmals zu vergegenwärtigen, daß etwa die Unabhängigkeit- und zwar insbes. auch die vom potentiellen Gegner! - sogar zu den Voraussetzungen der Tariffähigkeit zählt und überdies hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Tarifpartnern ein umfassendes Paritätsgebot gilt.
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V. Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers als Folge eines evtl. "Nachrangs" bei der Konkurrenz zwischen Verbands- und Firmentarifvertrag Läßt es sich somit weder als notwendige Folge des Beitritts zu einer Koalition, noch als Konsequenz einer "Unterwerfung" unter den Verbandstarifvertrag erklären, daß die Fähigkeit des Arbeitgebers zum Abschluß eines Firmentarifvertrags und seine Freiheit zur Einleitung eines Arbeitskampfs um einen Firmentarifvertrag - eingeschränkt sein könnte, so stellt sich die Frage, ob damit wirklich alle denkbaren Begründungswege erschöpft sind. Das ist, wie sich sogleich herausstellen wird, nicht der Fall. Wenn es zutrifft, daß die Befugnis zum Ergreifen von Maßnahmen des Arbeitskampfs nur in dem Umfang der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 GG unterfällt, in dem der Arbeitskampf zur Herbeiführung eines Tarifvertrags "erforderlich" ist - und wenn man dementsprechend zunächst der Frage nachzugehen hat, inwieweit in den genannten Fällen überhaupt noch eine uneingeschränkte Fähigkeit des Arbeitgebers zum Abschluß von Tarifverträgen besteht -, so liegt es nahe, noch einen Schritt weiter zu gehen und sich die Frage zu stellen, ob das Bestehen einer entsprechenden Arbeitskampffreiheit nicht bereits dann verneint werden muß, wenn der Arbeitgeber zwar einen Tarifvertrag abschließen könnte, dieser aber gegenüber einem Verbandstarifvertrag aufgrund der dann eintretenden Tarifkonkurrenz zurücktreten müßte. Denn der Arbeitskampf ist eben nur wegen seines instrumentellen Charakters verfassungsrechtlich geschützt und deshalb insbesondere nur dann rechtmäßig, wenn der Tarifvertrag, auf dessen Herbeiführung er gerichtet ist, von der Rechtsordnung nicht mißbilligt wird 144. Vor diesem Hintergrund erscheint es aber durchaus nicht zu weit hergeholt, wenn man auch dann von der Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfs ausgeht, wenn der Tarifvertrag, auf dessen Abschluß er zielt, zwar nicht unwirksam, aber gegenüber einem konkurrierenden Tarifvertrag "nachrangig" und dementsprechend (vorübergehend) unanwendbar ware. Auf diesem Wege eine Beschränkung der Arbeitskampfbefugnis des verbandsangehörigen Arbeitgebers zu begründen, hätte allerdings ersichtlich zur Voraussetzung, daß die Konkurrenzentscheidung wirklich zugunsten des Verbandstarifvertrags und gegen den Firmentarifvertrag getroffen werden müßte. Doch kommt das BAG, wie oben bereits angedeutet, auf der Grundlage des sog. Spezialitätsprinzips145 gerade zum gegenteiligen Ergebnis 146. 144 Vgl. insbes. BAG v. 4. 5. 1955 AP Nr. 2 zu Art 9 GG Arbeitskampf ("Streik um ein ... gesetzeswidriges Ziel ist unerlaubt und rechtswidrig"); auch Löwisch/ Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 18 sowie MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 278 Rn. 8 u. § 252 Rn. 23 m. w. Nachw. 145 Nach diesem kommt es, um die Formulierung des BAG aufzunehmen, darauf an, welcher Tarifvertrag "dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten
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1. Die "Nachrangigkeit" des Firmentarifvertrags gegenüber dem Verbandstarifvertrag: Ablehnung des Spezialitätsprinzips Indes ist diese Rechtsprechung abzulehnen 147. Zwar überzeugt bei einem Abstellen auf den Spezialitätsgrundsatz - beim ersten Hinsehen - , daß es im Hinblick auf die Lösung von Gesetzeskonkurrenzen weithin anerkannt ist. Doch läßt sich ohne weiteres erweisen, daß zwischen dieser Problematik und dem Problem der Tarifkonkurrenz in Wirklichkeit unüberbrückbare Unterschiede bestehen und es sich somit geradezu von selbst verbietet, auch im vorliegenden Zusammenhang auf das Spezialitätsprinzip abzustellen 148. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß es beim Problem der Gesetzeskonkurrenz darum geht, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln, während hinsichtlich der Problematik der Tarifkonkurrenz die Frage im Raume steht, welchem von zwei grundsätzlich gleichrangigen tariflichen "Gesetzgebern" der Vorrang gebührt149. Dieser Unterschied ist deshalb so bedeutsam, weil man sich nur im erstgenannten, nicht aber auch im letztgenannten Fall auf das Postulat der Einheit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung berufen kann, das dem konkurrenzrechtlichen Spezialitätsprinzip überhaupt erst seinen Sinn gibt 150. Einem Spezialitätsgrundsatz, der auf die Parallele zum Vorrang der Iex specialis gegenüber der Iex generalis abstellt, fehlt somit in Wirklichkeit weitgehend die Überzeugungskraft151. Da der Spezialitätsgrundsatz indes auch mit einem- grundsätzlich durchsteht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer ambestengerecht wird"; so BAG v. 14. 6. 1989 AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz unter Bezugnahme auf BAG v. 24. 9. 1975 u. vom 29. 11. 1978 AP Nr. 11 u. 12 zu§ 4 TVG Tarifkonkurrenz sowie BAG v. 27. 8. 1986 AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau. 146 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Thüsing, NZA 1997, 294, 295, der aus der Geltung des Spezialitätsgrundsatzes den Schluß ziehen will, die Gewerkschaft müsse (zusätzlich) stets entsprechende Firmentarifverträge mit den verbandsangehörigen Arbeitgebern abschließen, wenn sie sicherstellen wolle, daß .,ihr Tarifvertrag zukünftig Geltung behält". 147 Vgl. Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifp1uralität, 1999, S. 42 ff. 148 Den .,Abschied" vom Spezialitätsgrundsatz fordert (zurecht) auch Jacobs, Tarifeinheit und Tarifkonkurrenz, 1999, S. 260 ff. 149 Näher Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 44 ff. 150 Daß der Satz vom Vorrang des Spezialgesetzes ein geradezu unabweisbares Gebot sinnvoller Rechtsanwendung ist, leuchtet unmittelbar ein, da die einzig denkbare Alternative zur (teilweisen) Verdrängung der allgemeineren Vorschrift das Zurücktreten der spezielleren Norm wäre: weil deren Anwendungsbereich vollständig in dem der allgemeineren Norm aufginge, verbliebe ihr dann gar kein Anwendungsbereich mehr und das kann der Gesetzgeber in der Tat unmöglich gewollt haben. Demgegenüber liegt das Charakteristikum der Fälle der Tarifkonkurrenz darin, daß sich hier mehrere prinzipiell gleichwertige (!) Regelungsansprüche gegenüberstehen, deren Aufeinandertreffen zu einem Widerspruch führt, für den das Gesetz durch die Begründung von konkurrierenden Rechtsetzungsbefugnissen überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen hat - und der daher auch nur aufgrund einer außerhalb des Willens der Tarifparteien liegenden objektiven Wertung aufgelöst werden kann; vgl. Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 45; ähnl. auch schon Kempen/Zachert § 4 Rn. 130.
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aus denkbaren- spezifisch tarifrechtliehen Gehalt keine Zustimmung verdient 152, bleibt festzuhalten, daß der Gesichtspunkt der Spezialität einer tarifvertragliehen Regelung insgesamt nicht herangezogen werden sollte. Abzustellen ist bei der Auflösung von Tarifkonkurrenzen vielmehr auf den Prioritätsgrundsatz und zwar auch dann, wenn die - hier allein interessierende - Konkurrenz zwischen Firmen- und Verbandstarifvertrag in Rede steht 153 . Das wurde an anderer Stelle ausführlich begründet 154 und ist daher an dieser Stelle nicht erneut auszubreiten. Einige kurze Hinweise müssen genügen. Dabei hat indes zunächst eine Klarstellung zu erfolgen. Diese geht dahin, daß der Prioritätsgrundsatz nicht im Sinne eines Vorzugs des älteren gegenüber dem jüngeren Tarifvertrag angewandt werden sollte: ein derartiger Vorrang erschiene, abgesehen von seiner fehlenden rechtlichen Begründbarkeit155 , nicht einmal von der Sache her plausibel 156. Statt dessen ist der Prioritätsgrundsatz mit der Maßgabe anzuwenden, daß es, bezogen auf ein konkretes Arbeitsverhältnis, bei der Geltung desjenigen Tarifvertrags bleibt, im Hinblick auf den erstmals eine beiderseitige Tarifgebundenheit gegeben war. Insoweit ist zwar zuzugeben, daß sich dem geltenden Recht nicht mehr entnehmen läßt, als daß das Prioritätsprinzip in verschiedenen rechtlichen Zusammenhängen Anerkennung findet 157 • Doch sollte man trotzdem nicht zögern, den 151 Hinzu kommt noch, daß eine Beurteilung nach dem Maßstab der Spezialität des Tarifvertrags in einer ganzen Reihe von Fällen gar nicht möglich ist, in anderen Fällen aber "eigentlich" nur mit der Feststellung enden könnte, daß ein Tarifvertrag gegenüber einem anderen Tarifvertrag einerseits enger und damit spezieller, andererseits aber auch weiter und daher allgemeiner ist; näher hierzu Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 42 f.; zurecht skeptisch auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl. 1993, S. 624. 152 Das gilt insbes. auch für den Gedanken, daß der Tarifvertrag mit dem engeren Geltungsbereich eine größere Sachnähe der Tarifparteien verbürge und aus diesem Grunde vorgehen müsse. Diese Überlegung, die bei einigen Befürwortern eines Abstellens auf den Spezialitätsgrundsatz zuweilen anklingt- vgl. etwa Wank, in: Wiedemann, 6. Aufl. 1999, § 4 TVG, Rn. 292 - läßt außer acht, daß über die Sachnähe schwerlich allein mit Blick auf den ,,Zuschnitt" des Tarifvertrags entschieden werden kann. Es ist nämlich nicht einsichtig zu machen, weshalb die an einem Tarifvertrag Beteiligten allein deshalb plötzlich "sachnäher" sein sollten, weil sie einen verhältnismäßig eng gefaßten Tarifvertrag abgeschlossen haben. Auch ist daran zu erinnern, daß die Tarifparteien, statt innerhalb eines Tarifvertrags weiter zu differenzieren, durchaus jeweils selbständige Tarifverträge abschließen könnten. Ihnen allein deshalb eine größere "Sachnähe" zu bescheinigen, weil sie sich "zufällig" für die letztgenannte und nicht für die zuerst genannte Alternative entschieden haben, wäre aber unter keinen Umständen einsichtig; Näheres bei Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 46 ff., 49 ff. IS3 Eingehend hierzu Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 104 ff. 154 Näher zum Ganzen Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 98 ff. ISS Das gilt insbes. dann, wenn man auf die Regeln blickt, die zur Lösung von Gesetzeskonkurrenzen bestehen. Insoweit gilt nämlich bekanntlich gerade nicht der Prioritätsgrundsatz, sondern, ganz im Gegenteil, der Satz vom Vorrang der Iex posterior. IS6 Ebenso gut könnte man das Gegenteil behaupten, wenn man z. B. bedenkt, daß der später abgeschlossene Tarifvertrag evtl. eine Regelung von Fragen enthält, deren Regelungsbedürftigkeit zum Zeitpunkt des Abschlusses des älteren Tarifvertrags noch gar nicht erkannt oder nicht einmal erkennbar war.
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Grundsatz - im Wege der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung - auch im Hinblick auf die Lösung von Tarifkonkurrenzen zur Anwendung zu bringen, da er einerseits außerordentlich sachgerecht erscheint und andererseits alle alternativen Lösungsmöglichkeiten Schwächen aufweisen, die dem Prioritätsgrundsatz nicht eigen sind 158 . Was die Stärken der Anwendung des Prioritätsprinzips betrifft, so liegen diese zum einen in seiner enormen Leistungsfähigkeit und zum anderen auch darin, daß er in geradezu optimaler Weise den Erfordernissen der Rechtssicherheit genügt159 . Beides soll hier, wie gesagt, nicht weiter vertieft werden 160. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist vielmehr lediglich festzuhalten, daß ein Firmentarifvertrag, den ein "verbandstarifvertragsgebundener" Arbeitgeber mit dem Tarifpartner "seines" Verbands abschließt, richtigerweise hinter dem Verbandstarifvertrag zurücktritt, an den er aufgrund seiner Mitgliedschaft im Verband gern. § 3 Abs. 1 TVG gebunden ist 161 • 157 Insbes. im Sachenrecht kommt dem sog. Prioritätsgrundsatz erhebliche Bedeutung zu. So schützt etwa§ 161 Abs. 1 BGB den bedingt Berechtigten in Durchführung des Prioritätsgrundsatzes vor einem möglichen Rechtsverlust durch spätere Verfügungen des Berechtigten; Eintragungen im Grundbuch bestimmen sich gern. § 17 GBO nach der Reihenfolge der Anträge; der Rang der Grundstücksrechte richtet sich nach dem Prioritätsprinzip; für mehrere beschränkte dingliche Rechte an derselben beweglichen Sache gilt der Grundsatz der Priorität (§ 1209 BGB) etc. Noch aufschlußreicher ist im hier gegebenen Zusammenhang die Vorschrift des § 185 Abs. 2 S. 2 BGB. Diese bestimmt für den Fall kollidierender Verfügungen, daß nur die frühere Verfügung wirksam ist, wenn "über den Gegenstand mehrere miteinander nicht in Einklang stehende Verfügungen getroffen worden sind". Auch wenn die Geltung eines Verbandstarifvertrags - anders als die Wirksamkeit einer Verfügung - nicht unmittelbar auf dem Willen des Normunterworfenen beruht, da er die Regelung im Tarifvertrag eben nicht selbst in Geltung setzt, sondern mit dem Eintritt in den Verband lediglich die entscheidende Voraussetzung für die individuelle Geltung des Tarifvertrags schafft, indem er sich dem Tarifvertrag "unterwirft", so besteht jedenfalls insofern eine gewisse Vergleichbarkeit mit der hier in Rede stehenden Problematik, als der Tarifvertrag gegenüber dem Tarifgebundenen gern. § 4 Abs. I S. 1 TVG unmittelbare und v. a. auch zwingende Wirkungen aufweist -, Wirkungen, die den rechtsgeschäftliehen Gestaltungsspielraum des Tarifgebundenen erheblich einschränken und dem Beitritt zu einem Verband in der Tat geradezu den Charakter einer (partiellen) "Verfügung" über die Privatautonomie verleihen. Nicht zufällig heißt es denn etwa auch bei Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, 1924, S. 1: "Der Tarifvertrag ist in seinem normativen Teil Verfügungsvertrag, der die ihm unterfallenden Arbeitsverträge normentsprechend unmittelbar abändert und für künftige in seinen Bereich gehörende Arbeitsverträge Normen festsetzt, die unmittelbar in diese eingehen (automatische Wirkung)". 158 So spricht z. B. gegen das Prinzip der Sachnähe, daß es nur dann eine überzeugende Lösung des Problems der Tarifkonkurrenzen erlaubt, wenn sich überzeugend begründen läßt, daß eine Tarifzuständigkeit gegenüber einer anderen Tarifzuständigkeit spezieller ist - , was aber, streng genommen, nur dann bejaht werden kann, wenn sie in jeder Hinsicht enger ist. 159 Insoweit ist nur darauf hinzuweisen, daß das Prioritätsprinzip das Risiko einer möglicherweise lang andauernden und - angesichts der Unklarheiten, die etwa mit der Heranziehung des Spezialitätsgrundsatzes typischerweise verbunden sind - häufig nur sehr schwer vermeidbaren fehlerhaften Anwendung eines Tarifvertrags verringert. 160 Vgl. Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 99 ff. 161 Genau umgekehrt, aber vom Boden ihrer Entscheidung der Frage der Tarifkonkurrenz durchaus konsequent, MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 255 Rn. 36, wonach
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2. Arbeitskampfrechtliche Konsequenzen einer Ablehnung des Spezialitätsprinzips
Damit ist allerdings nach dem oben Gesagten nicht mehr als der erste Schritt zur Begründung einer Beschränkung der Arbeitskampffähigkeit des Arbeitgebers getan. Denn eine derartige Beschränkung käme, wie eingangs gesagt, nur dann in Betracht, wenn die Parallele zur Nichtigkeit des Tarifvertrags wirklich tragfähig ware. Indes wird rasch deutlich, daß diese Parallele im vorliegenden Zusammenhang nicht ohne Schwierigkeiten ist. Es begründet nämlich ersichtlich einen gehörigen Unterschied, ob der Tarifvertrag, etwa infolge eines Verstoßes gegen die guten Sitten oder wegen Gesetzeswidrigkeit, unheilbar nichtig ist oder ob er lediglich solange in seiner Anwendbarkeit "gesperrt" wird, wie er mit einem vorrangig anwendbaren Tarifvertrag konkurriert: Daß niemand auf das Instrument des Arbeitskampfs soll zurückgreifen dürfen, wenn er damit einer Forderung zum Durchbruch verhelfen will, die auf eine von der Rechtsordnung mißbilligte Regelung abzielt, ist nun verhältnismäßig naheliegend 162. Denn zum einen ist schwer nachvollziehbar, wie man ein Regelungsverbot annehmen sollte, ohne sogleich jeden Arbeitskampf als unzulässig zu qualifizieren, der auf die Herbeiführung der entsprechenden Regelung gerichtet ist; der rechtlich gebotene Schutz der anderen Seite wird lediglich "vorverlegt", wenn man hier zu einem Arbeitskampfverbot kommt, das zudem auch geeignet ist, eine Beeinträchtigung der Interessen "Dritter" zu vermeiden163. Und zum anderen könnte auch nicht einleuchten, weshalb man jemandem die Befugnis zur Einleitung eines Arbeitskampfs verleihen sollte, obwohl die Regelung, auf die er mit dem Arbeitskampf zielt, ohnehin nichtig wäre. Im vorliegenden Zusammenhang kann indessen keine Rede davon sein, daß der Tarifvertrag rechtlich regelrecht "mißbilligt" würde. Und auch im übrigen ist die Sachlage wesentlich anders, da es sich alles andere als von selbst verstünde, wenn man dem Berechtigten gleich die Befugnis zum Arbeitskampf "abschneiden" wollte, obwohl durchaus die Möglichkeit besteht, daß der Tarifvertrag, der infolge des Arbeitskampfs abgeschlossen wird, "über kurz oder lang" doch noch zur Anwendung gelangt. Auch wenn man sich vorliegend an das Problem des Arbeitskampfs um einen nichtigen Tarifvertrag erinnert fühlen mag, kann man sich somit nicht auf eine schlichte Parallele zu den in diesem Zusammenhang bestimmenden Wertungen beschränken, sondern muß einen selbständigen Wertungsgesichtspunkt nachweisen, der die Lösung im vorliegenden Zusammenhang trägt.
"wegen des strikten Vorranges des Haustarifvertrags gegenüber dem Verbandstarifvertrag mit derselben Gewerkschaft ... dem einzelnen Arbeitgeber ... eine Fluchtmöglichkeit aus der Tarifdisziplin des eigenen Verbandes garantiert" sei. 162 Vgl. zum Ganzen auch MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 278 Rn. 8 m. w. Nachw. 163 Soweit es jedenfalls, was allerdings überwiegend der Fall sein dürfte, bei der Nichtigkeit um den Schutz des gegnerischen Verbands und seiner Mitglieder geht.
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
Dieser läßt sich nun allerdings unschwer finden. Zu beachten ist nämlich, daß man dem Arbeitgeber nicht wird erlauben können, allein auf die bloße Möglichkeit der späteren Anwendbarkeit der Regelung hin - und somit gewissermaßen "auf Vorrat"(!)- tarifvertragliche Normen zu erkämpfen, da diese, wenn sie denn überhaupt jemals zur Anwendung gelangen, auf völlig veränderte Umstände treffen, jedenfalls aber nicht mehr das aktuelle Kräfteverhältnis zwischen den Parteien widerspiegeln und somit allein schon unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der tarifvertragliehen "Richtigkeitsgewähr" kaum zu rechtfertigen wären 164• Aus dem instrumentellen Charakter des Arbeitskampfs folgt somit in Wirklichkeit nicht allein, daß die tarifvertragliche Regelung, auf die der Arbeitskampf zielt, wirksam, sondern auch, daß sie anwendbar sein muß, da eine Regelung einen Arbeitskampf erst dann zu rechtfertigen vermag, wenn das Hindernis, das einer Anwendung des zu erkämpfenden Tarifvertrags entgegensteht, aus dem Weg geräumt ist. Insoweit sollte man auch nicht einwenden, daß es den Parteien grundsätzlich unbenommen bleibt, das Inkrafttreten des Tarifvertrags unter eine aufschiebende Bedingung zu stellen 165, die den Zusammenhang zu den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegenden Umständen und dem in diesem Zeitpunkt bestehenden Kräftegleichgewicht ebenfalls "aufbreche". Denn während die tarifvertragliche Regelung hier- mitsamt der aufschiebenden Bedingung(!)- beispielsweise durchaus das Kräfteverhältnis zwischen den Beteiligten widerspiegelt 166, ginge es im vorliegenden Zusammenhang darum, ob man einer der beiden Seiten die Befugnis zum Arbeitskampf zugestehen soll, obwohl sich die Gewichte zwischen ihnen zwischenzeitlich verschoben und auch die für den Tarifabschluß relevanten Umstände bis zum Erreichen des Zeitpunkts, in dem es zur Anwendung der Regelung kommt, in erheblichem Umfang geändert haben mögen. Ganz abgesehen davon, daß die Parteien des Verbandstarifvertrags in der Regel dafür Sorge tragen werden, daß sich ihre tarifvertragliehen Beziehungen kontinuierlich gestalten - und es dementsprechend gar nicht dazu kommt, daß eine "Lücke" zwischen den Verbandstarifverträgen entsteht, in die der Firmentarifvertrag "hineinstoßen" könnte - , spricht daher nichts dagegen, unter dem oben aufgezeigten Gesichtspunkt eine Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers anzunehmen. Allerdings besteht zwischen der hier vorliegenden Konstellation und der Problematik der Nichtigkeit eines Tarifvertrags auch insoweit ein nicht unerheblicher Unterschied, als der Tarifvertrag, der aufgrundder Konkurrenzentscheidung zurücktritt, von vornherein nur insoweit (vorübergehend) wirkungslos ist, als auf die Beteiligten eines konkreten Arbeitsverhältnisses (bei Inhaltsnormen) bzw. auf den Ar164 Ganz abgesehen davon, daß sich eine Gewerkschaft evtl. nicht auf eine firmentarifvertragliche Regelung einlassen wird, von der sich im Zeitpunkt des Tarifabschlusses nicht sagen läßt, ob und wann sie zur Anwendung gelangt. 165 Allg. zu Wirksamkeit des Tarifvertrags (zwischen den Tarifvertragsparteien) und seinem Inkrafttreten statt aller Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 1 ff. 166 Das gilt übrigens auch dann, wenn die Tarifparteien dem Tarifvertrag Rückwirkung beilegen.
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beitgeber (bei Betriebsnormen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen) gleichzeitig beide Tarifverträge Anwendung finden 167 . Demzufolge kann der "Widerspruchsbereich" zwischen den beiden Tarifverträgen im Einzelfall durchaus auch einmal enger sein als der Geltungsbereich des Firmentarifvertrags. Zu denken ist dabei etwa an die Konstellation, daß der zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband geschlossene Verbandstarifvertrag bestimmte Arbeitnehmer nach abstrakten persönlichen Merkmalen aus seinem Geltungsbereich herausnimmt168, während der vom Arbeitgeber intendierte Firmentarifvertrag unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer Anwendung finden würde 169. Auch wenn eine derartige Konstellation nicht besonders praktisch sein mag, so läßt sie sich doch nicht von vornherein ausschließen. V. a. lassen sich aber die zusätzlichen Einwände gegenüber einer Parallele zum nichtigen Tarifvertrag, die sich hiermit verbinden, nicht ohne weiteres beiseite schieben, da es nun einmal einen beträchtlichen Unterschied macht, ob eine Regelung von vornherein insgesamt rechtlich wirkungslos ist oder ob ihr zumindest in eingeschränktem Umfang durchaus gewisse rechtliche Wirkungen zukommen. Allerdings besteht auch unter diesem Gesichtspunkt kein Grund, an der Parallele zum nichtigen Tarifvertrag und an der Unzulässigkeit des Arbeitskampfs zu zweifeln. Denn ein Arbeitskampf ist nach h. M. selbst dann insgesamt als rechtlich unzulässig zu bewerten, wenn er auch nur teilweise auf unzulässige Tarifinhalte zielt 170; dem ist auch zu folgen, da der Arbeitskampf eben nicht ohne weiteres "teilbar" ist und sich infolgedessen nicht einzelne Maßnahmen isolieren und bestimmten Tarifforderungen zuordnen lassen 171 . Im vorliegenden Zusammenhang kann aber ceteribus paribusschwerlich etwas anderes gelten, da nichts an der Feststellung vorbeiführt, daß der Arbeitskampf jedenfalls teilweise auf einen Tarifver-
167 Zum Erfordernis einer zumindest teilweisen Identität der Geltungsbereiche der konkurrierenden Tarifverträge statt aller Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. l3 (u. Fußn. 11). 168 Allg. zur Einschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags durch "Herausnahrne einzelner Gruppen" Wank, in: Wiedemann, § 4 Rn. 225 ff. 169 Keine Probleme entstehen dagegen hinsichtlich der Frage der Tarifgebundenheit, da ein Arbeitnehmer, der erst nach Abschluß des Verbandstarifvertrags in die Gewerkschaft eintritt, sowohl i. H. a. diesen als auch i. H. a. einen evtl. Firmentarifvertrag mit dieser Gewerkschaft tarifgebunden ist. 170 Vgl. etwa MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 278 Rn. 24 sowie Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1066 jeweils m. w. Nachw. 171 Die Frage, ob im Ausnahmefall anders zu entscheiden ist, wenn es sich beim rechtswidrigen Arbeitskampfziel um einen "völlig untergeordneten Gesichtspunkt im Rahmen der Gesamtzielsetzung" handelt- so Schumann in: Däubler, Arbeitskampfrecht, 3. Aufl., 1987, S. 212 - und ob dementsprechend von einer uneingeschränkten Arbeitskampfbefugnis des Arbeitgebers auszugehen ist, wenn der Firmentarifvertrag für "die weitaus meisten" Arbeitnehmer anwendbar wäre, kann hier schon deshalb dahinstehen, weil ein derartiger Fall kaum jemals praktisch werden dürfte. 9 Waas
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
trag zielen würde, der (zunächst) nicht anwendbar ist, weil er gegenüber der Regelung eines Verbandstarifvertrags zurückzutreten hat. Allerdings konunt es hierauf letztlich nicht einmal an. Selbst wenn ein Tarifvertrag gegenüber einzelnen "Tarifunterworfenen" möglicherweise "von Anfang an" anwendbar wäre (da er von der Konkurrenz zu einem anderen Tarifvertrag nicht erfaßt würde), so fehlte der Regelung nämlich notwendigerweise die bereits oben angesprochene "Richtigkeitsgewähr"172, da man nicht davon ausgehen kann, daß eine "partielle" Geltung dem Regelungswillen der Tarifparteien entspricht - und somit an der "Richtigkeit" ihrer Regelung teilnimmt. Als Ergebnis ist demzufolge festzuhalten, daß man in der Tat zu einer Beschränkung der Arbeitskampffreiheit des Arbeitgebers konunen sollte 173 , wenn man mit der hier vertretenen (und an anderer Stelle näher begründeten 174) Auffassung davon ausgeht, daß der Firmentarifvertrag, auf dessen Abschluß der Arbeitskampf zielt, gegenüber einem konkurrierenden Verbandstarifvertrag nachrangig ist 175 . Ob man dabei sagen will, daß der Arbeitgeber durch die Friedenspflicht des Tarifvertrags in seiner Arbeitskampffreiheit beschränkt wird, erscheint dabei nur von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist, daß die Beschränkung aufgrund der oben herausgearbeiteten objektiven Wertung eintritt, wonach man für einen Tarifvertrag nicht kämpfen darf, wenn dieser hinter einem konkurrierenden Tarifvertrag zurücktreten müßte. Damit sollte man nunmehr erneut die Perspektive wechseln und fragen, wie es um die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft bestellt ist: Ergeben sich, wenn bereits ein Verbandstarifvertrag besteht, an den ein Arbeitgeber gern. § 3 Abs. 1 TVG gebunden ist, Beschränkungen der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft, wenn sie gerade von diesem Arbeitgeber den Abschluß eines Firmentarifvertrags verlangt und ihrer Forderung durch die Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen gegen den Arbeitgeber Nachdruck verleiht?
§ 9 Die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft Bevor man diese Frage beantwortet 176, ist allerdings zunächst der möglichen Ansicht eine Absage zu erteilen, nach der bereits' der bloße Beitritt eines ArbeitgeVgl. Kap. I § 3 II. 3c. Ebenso, aber mit anderer Begründung, zuletzt Stein, RdA 2000, 129, 140. 174 Vgl. Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 98 ff. 175 Näher hierzu Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifp1uralität, 1999, S. 104 ff. 176 Ausdrücklich als nicht entscheidungserheblich offengelassen wurde die Frage in BAG v. 25. 9. 1996, SAE 1998, 249 (u. III. 4c d. Grde) m. Anm. v. Buchner, 262, 266, der sich l72
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§ 9 Die Erkämptbarkeit eines Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft
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bers zum Arbeitgeberverband genügen soll, um - etwa unter dem Gesichtspunkt der Tarifkonkurrenz - eine Beschränkung der Arbeitskampfbefugnis der Gewerkschaft zu bewirken, wenn diese auf die Herbeiführung eines Firmentarifvertrags mit dem verbandsangehörigen Arbeitgeber abzielt. Dies ginge ersichtlich viel zu weit 177. Denn auch insofern gilt wiederum, daß keinesfalls ausgemacht ist, ob der Arbeitgeber i. S. d. § 3 Abs. 1 TVG "Mitglied" und nach dieser Vorschrift tarifgebunden ist 178, ob der Verband überhaupt einen Tarifvertrag abgeschlossen hat und ob der Arbeitgeber, wenn das zu bejahen sein sollte, in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrags fällt. Wäre nur eine der genannten Fragen zu verneinen, so ließe sich ein Arbeitskampfverbot von vomherein nicht oder nur mit größter Mühe rechtfertigen. Auf den bloßen Beitritt zu einem Verband könnte man eine Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft nur dann stützen, wenn damit die Tariffähigkeit des Arbeitgebers ohne weiteres entfiele 179 . Denn ebensowenig wie ein nicht tariffähiger Arbeitgeber als befugt gelten kann, einen Arbeitskampf zu führen, könnte einer Gewerkschaft die Befugnis zugestanden werden, den nicht tariffähigen Arbeitgeber mit einem Arbeitskampf zu überziehen. Indes ändert sich, wie oben gezeigt worden ist180, nichts an der Tariffähigkeit eines Arbeitgebers, wenn er in einen Verband eintritt 181 . Demzufolge muß es bei der soeben getroffenen Feststellung bleiben, daß die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags nicht schon durch den bloßen Beitritt des Arbeitgebers zum Verband ausgeschlossen wird. Fragt man nun, ob und in welchem Umfang die Gewerkschaft gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber einen Firmentarifvertrag erstreiken darf182, so erweist sich rasch, daß die Dinge hier erheblich komplizierter liegen, als dies bei der Parallelfrage nach der Erstreikbarkeit des Verbandstarifvertrags der Fall ist.
selbst gegen die Erkämptbarkeit derartiger Tarifverträge ausspricht; zu der - hier nicht zu vertiefenden - Konstellation, daß die Gewerkschaft gegen einen Arbeitgeber vorgeht, der den Arbeitgeberverband verlassen hat und "lediglich" gern. § 3 Abs. 3 TVG am Tarifvertrag festgehalten wird, statt vieler Schleusener; BB 1999, 684; zum gesamten Problemkreis Bauer; Brennpunkte des Arbeitsrechts, 1998, S. 97; zur allg. Problematik von Tarifbindung nach§ 3 Abs. 3 TVG und Friedenspflicht zuletzt etwa auch Brunssen, Der Arbeitgeberverbandswechsel, 2000, S. 186 ff. 177 So wie hier etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1,7. Auf!., 1967, § 20 II. 1, S. 424 (u. Fußn. 9a). 178 Insoweit zutreffend Thüsing, NZA 1997,294,294. 179 Überblicksweise zur Problematik neuerdings Stein, RdA 2000, 129, 138 ff. 180 Vgl. Kap. 2 § 8 III. 181 So etwa auch Thüsing, NZA 1997, 294, 294. 182 Zur zunehmenden praktischen Bedeutung des Erkämpfens von Firmentarifverträgen gegen verbandsangehörige Arbeitgeber Schleusener, NZA 1998, 239, 239. 9*
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
I. Kampf um einen Firmentarifvertrag und Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 9 Abs. 3 GG Das wird bereits dann deutlich, wenn man die Problematik zunächst ausschließlich auf der Ebene des Verfassungsrechts diskutiert.
1. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG und Schutz der Rechtsstellung als Mitglied Auszugehen ist dabei davon, daß im Streik um einen Firmentarifvertrag nach verbreiteter Auffassung kein Eingriff in die individuelle Koalitionsfreiheit des Mitglieds liegt 183 • Das versteht sich geradezu von selbst, wenn man durch Art. 9 Abs. 3 GG allein das Recht geschützt sieht, mit anderen eine Koalition zu gründen, einer Koalition beizutreten und sich in einer Koalition zu betätigen. Denn in diesem Falle ginge es bei Art. 9 Abs. 3 GG lediglich um einen Schutz der Rechtsstellung als Mitglied und diese wird als solche nicht berührt, wenn die Gewerkschaft nicht mehr tut, als vom Arbeitgeber den Abschluß eines Firmentarifvertrags zu verlangen 184 . Allenfalls ließe sich sagen, daß es möglicherweise den Anreiz zum Verbleib in einem Arbeitgeberverband beseitigt, wenn sich der Arbeitgeber in einen Firmentarifvertrag ,,hineinzwingen" lassen müßte 185 : immerhin mag es das der Beitrittsentscheidung zugrunde liegende "Kosten-Nutzen-Kalkül" des Arbeitge183 lAG Köln, NZA 1997, 327, 330; a.A. etwa Heinze, DB 1997, 2122, 2126; verneinend zu der Frage, ob der Streik um einen Firmentarifvertrag wegen eines Verstoßes gegen die "Ordnungsfunktionen des Tarifrechtes" als verfassungswidrig betrachtet werden muß, lAG Hamm v. 8. 8. 1985, DB 1985, 2155 = AR-Blattei, Arbeitskampf I. Entscheidung Nr. 24m. zust. Anm. v. Löwisch; a.A. Boldt, RdA 1971, 257, 264; zu einem Streik, der den Arbeitgeberverband in seinem Bestand treffen soll, statt aller Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 133; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1007 jew. m. w. Nachw.; verhältnismäßig "großzügig" bei der Bejahung einer Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbands übrigens Krichel, NZA 1986, 731, 733, wonach die Betätigungsfreiheit des Verbands bereits dann beeinträchtigt sei, wenn "der Verband im Gegensatz zu seiner eigenen - verfassungsrechtlich geschützten - Zwecksetzung auch nur in bezug auf ein einziges Mitglied(!) daran gehindert ist, Tarifverträge zu vereinbaren". 184 Ebenso wie hier etwa lAG Düsseldorfv. 31. 7. 1985, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. Ill. 2a d. Grde) sowie lAG Hamm v. 8. 8. 1985, LAGE Nr. 18 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. 2b d. Grde). Anders läge es selbstverständlich dann, wenn es geradezu ein Ziel des von der Gewerkschaft geführten Arbeitskampfs wäre, den Arbeitgeber aus dem Verband "hinauszuzwingen"; vgl. hierzu etwa Kempen/Zachert § 1 Rn. 351m. w. Nachw. Indes müßte man sich in einem solchen Extremfall nicht einmal auf eine Diskussion des Schutzbereichs der individuellen Koalitionsfreiheit einlassen, um die Rechtswidrigkeit des Arbeitskampfs zu begründen. Diese ergäbe sich nämlich schlicht bereits daraus, daß der Arbeitskampf nicht auf eine "Regelung" i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG gerichtet wäre. 185 Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbes. an das Interesse des Arbeitgebers an einer "einheitlichen", d. h. auch auf die anderen Verbandskollegen anwendbaren Ordnung; vgl. hierzu auch Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 135 (im Anschluß an Wiedemann/Stumpf § 2 Rn. 86), für dessen Lösung der genannte Gesichtspunkt ausschlaggebende Bedeutung hat. Hierzu später unter § 9 II. 2.
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bers nachträglich verändern, wenn eine Gewerkschaft auch gegen den verbandsangehörigen Arbeitgeber einen Firmentarifvertrag erstreiken könnte 186. Doch dürfte das nicht genügen, um unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen "Austrittsdrucks" eine Verletzung des Art. 9 Abs. 3 GG zu begründen 187 . Denn von einer Verletzung der individuellen Koalitionsfreiheit des Mitglieds wird man wohl nur dann sprechen können, wenn dieses, aufgrund eines geradezu unwiderstehlichen Drucks, zum Austritt förmlich gezwungen wird 188 .
2. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG und Gewährleistung einer bestehenden Tarifbindung Wesentlich bessere Voraussetzungen bestehen für die Begründung eines Ausschlusses der Erkämpfbarkeit von Firmentarifverträgen, wenn man im Hinblick auf die Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG noch einen Schritt weiter gehen und - wohl im Einklang mit einer jüngeren Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein 189 - zusätzlich annehmen könnte, daß dem Arbeitgeber danach auch die Bindung an die von seinem Verband abgeschlossenen Tarifverträge erhalten bleiben so11 190; eine Interpretation, die möglicherweise nicht ganz fern 186 Anders der Ansatz von Krichel, NZA 1986, 731, 732, der eine mittelbare Verletzung der Rechtstellung als Verbandsmitglied darin sehen will, daß "Verbandsmitglieder, die einen Firmentarifvertrag abschließen, in der Regel den Verbandsinteressen zuwiderhandeln". 187 Vgl. insoweit auch Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 131, wonach der Streik zur Erzwingung eines Firmentarifvertrags in der Regel nicht darauf ziele, die "Koalitionsmitg1iedschaft zu entwerten". 188 Insoweit zutreffend auch LAG Hamm v. 8. 8. 1985, DB 1985,2155 ("nicht jeder Druck, der auf den Arbeitgeber ausgeübt wird, stellt bereits eine Verletzung seiner Koalitionsfreiheit dar"), das sich allerdings nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob Art. 9 Abs. 3 GG auch eine ,,Freiheit von fremder Normsetzung" garantiert; auch Hensche, RdA 1971, 9, 11; vgl. allerdings andererseits MünchArbR-Löwisch/ Rieble, 2. Auf!., 2000, § 245 Rn. 11 u. § 276 Rn. 17, die von einer Verletzung der Beitrittsfreiheit ausgehen, wenn im Rahmen der Tarifkonkurrenz ein Tarifvertrag durch einen anderen verdrängt und der Arbeitnehmer auf die Möglichkeit des Gewerkschaftsübertritts verwiesen wird; zum Ganzen auch Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 132. 189 Vgl.I.AG Schleswig-Holstein v. 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. 3.2 d. Grde), wo das Gericht- im Anschluß an Lieb, DB 1999, 2058, 2062- darauf hinweist, daß "die vom Arbeitgeber durch den Zusammenschluß beabsichtigte Stärkung seiner Position", die das Gesetz durch§ 2 Abs. 1 TVG ermögliche, "beseitigt" würde und die "verfassungsrecht1ich auch den Arbeitgebern gewährleistete Möglichkeit des Zusammenschlusses zur Koalition . .. wirkungslos (bliebe)", wenn Gewerkschaften Firmentarifverträge auch gegenüber verbandstarifgebundenen Arbeitgebern erstreiken dürften. Zugleich stellt das Gericht auch auf den Grundsatz der Arbeitskampfparität ab. 190 So in der Tat Schleusener, NZA 1998, 239, 242; Boldt, RdA 1971, 257, 261 (Unterstellung unter die mit der "Schutzfunktion seiner Koalition ausgestattete Ordnung"); Buchner, DB 1970, 2074, 2077 (Arbeitgebern sollen auch die "Wirkungen der Koalitionstätigkeit zugute kommen"); ähnl. wohl Krichel, NZA 1986, 731, 732 ("Teilhabe an der Gestaltung einer gemeinsamen Tarifordnung im Zusammenwirken mit dem sozialen Gegenspieler"); H. Weiss,
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liegt, wenn man Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG u. a. auch als Gewährleistung einer "Freiheit von fremder Normsetzung" interpretiert 191 , die insoweit gewissermaßen das "Gegenstück" zu der hier in Rede stehenden Gewährleistung bilden würde. Unterstellt man hier einmal, daß Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG in der Tat der eben skizzierte Gewährleistungsbereich beizumessen ist, so dürfte zunächst verhältnismäßig deutlich sein, daß sich eine mögliche Verletzung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG schwerlich allein mit dem Hinweis darauf ausräumen ließe, die Gebundenheit des Arbeitgebers an den Verbandstarifvertrag gern. § 3 Abs. 1 TVG bleibe ja bestehen, der Verbandstarifvertrag werde von dem konkurrierenden Firmentarifvertrag lediglich verdrängt und damit (zeitweilig) unanwendbar 192 . Denn für das Mitglied läge darin, daß die Bindung an den Verbandstarifvertrag 193 fortbesteht und dieser lediglich (voriibergehend) zuriicktritt, ein äußerst schwacher Trost und daher wird man gut daran tun, den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG auch auf diese Gestaltung auszudehnen und die Regelung dementsprechend auch im Sinne einer "effektiven Gewährleistung" der bestehenden "Tarifunterworfenheit" zu verstehen -, wenn man sie, wie gesagt, nicht von vornherein auf den Schutz der Rechtsstellung als Mitglied beschränken will. Weiterhin nicht einwenden ließe sich wohl gegen den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit, daß das "Hinausdrängen" des Mitglieds aus der bestehenden Verbandstarifvertraglichen Bindung letztlich allein aufgrund der Geltung des Spezialitätsprinzips erfolge und somit nicht auf dem Verhalten der Gewerkschaft, sondern auf einer objektiv-rechtlichen Wertung in der Frage der Tarifkonkurrenz beruhe. Zwar wird man die konkurrenzrechtliche Bewertung am Maßstab des Spezialitätsgrundsatzes in verfassungsrechtlicher Hinsicht 194 für unbedenklich halten müssen 195 •
Koalitionsfreiheit und betriebsnahe Tarifverträge, 1973, S. 73, 112 ("Befugnis des einzelnen Arbeitgebers, der Tarifsetzung seines Verbandes unterworfen zu sein"); ebenso zuletzt Buchner, SAE 1998, 262, 266; krit. gegenüber einem Recht des Arbeitgebers, "nur der durch den Verband gestalteten Ordnung unterworfen zu werden", Henssler, ZfA 1998, 517, 535 ("artifiziell"); krit. aber etwa auch Löwisch, AR-Blattei, Arbeitskampf I. Entscheidung Nr. 24; ebenso wohl Lauschke, ArbuR 1965, 102, 107; zuletzt auch Jacobs, ZTR 2001, 249, 251 ff.; vgl. zum Ganzen auch Richardi, JurA 1971, 141; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, 1997, Bd. 1, S. 1006 sowie Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 132. 191 MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 245 Rn. 40; vgl. zum Ganzen auch May, Die verfassungsmäßige Zulässigkeil der Bindung von Außenseitern durch Tarifverträge, 1989, s. 117 ff. 192 Wenn man hier einmal vom Spezialitätsgrundsatz ausgeht. Alternativ bestünde natürlich die Möglichkeit, diesen Grundsatz in Konstellationen der hier vorliegenden Art außer Anwendung zu lassen, womit - ganz im Sinne der hier vertretenen Konzeption - für einen Ausschluß der Erkämptbarkeit auch der Gesichtspunkt eröffnet wäre, daß man für einen unanwendbaren Tarifvertrag nicht soll kämpfen dürfen. 193 Ebenso wie die Geltung der in ihm enthaltenen Tarifnormen (§ 4 Abs. 1 S. 1 TVG). 194 Die Bewertung des Spezialitätsgrundsatzes nach den Maßstäben des einfachen Gesetzesrechts ist, um dies nochmals zu sagen, vom Boden der hier vertretenen Auffassung aus, eine andere.
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Doch würde es deshalb noch nicht ausgeschlossen sein, die Rechtswidrigkeit - und das hieße hier eben: die Verfassungswidrigkeit - des Arbeitskampfs um einen Firmentarifvertrag darauf zu gründen, daß die Gewerkschaft das Mitglied aus seiner Tarifbindung "hinausdrängt", indem es sich die Geltung des Spezialitätsgrundsatzes "zunutze macht" 196. Allerdings könnte die Gewerkschaft gegenüber dem Vorwurf der Rechtswidrigkeil des Arbeitskampfs möglicherweise ihrerseits auf Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG verweisen, sich also ganz einfach darauf stützen, daß sie nur von ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit Gebrauch mache, wenn sie gegenüber einer tarifflihigen Person Arbeitskampfmaßnahmen ergreife 197 . Dieser Gesichtspunkt bedarf indes einer gewissen Vertiefung: Wenn man auch davon ausgehen muß, daß die Befugnis zum Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen zumindest dem Grundsatz nach stets gewährleistet wird, wenn nur überhaupt der Abschluß eines Tarifvertrags möglich ist 198, so führt im vorliegenden Zusammenhang doch kein Weg daran vorbei, daß sich der Fortbestand der Tarifflihigkeit des Arbeitgebers "zunächst" allein auf der Grundlage des einfachen Gesetzesrechts, nämlich aus § 2 Abs. 1 TVG, ergibt und diese Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Tariffähigkeit des Arbeitgebers möglicherweise "ebensogut" anders hätte ausfallen können, verfassungsrechtlich also nicht geradezu geboten ist 199 . Unter diesen Umständen liegt indes die Frage nahe, ob sich die Gewerkschaft wirklich auf ihre Arbeitskampffreiheit soll berufen dürfen, wenn sie mit ihrem Arbeits-
195 Allerdings wird sich, umgekehrt, nicht sagen lassen, daß der Spezialitätsgrundsatz seinerseits verfassungsrechtlich geboten wäre. Eine derartige Behauptung wird denn auch, soweit ersichtlich, von den Befürwortern des Spezialitätsgrundsatzes nicht aufgestellt. 196 Nicht oder zumindest nicht o. w. gangbar sein dürfte der umgekehrte Weg, daß man die Entscheidung über den "Vorrang" oder ,,Nachrang" eines Tarifvertrags davon abhängig macht, ob er von den Beteiligten freiwillig abgeschlossen oder von einer Seite, gegen den Willen der anderen, erkämpft wurde. Jedenfalls spielt die Art und Weise des Zustandekoromens eines Tarifvertrags, soweit ersichtlich, nach keiner der zur Lösung der Problematik der Tarifkonkurrenz vertretenen Konzeptionen eine Rolle. 197 Ausdrücklich abl. allerdings Krichel, NZA 1986,731, 735; ebenso, wenngleich mit anderer Begründung, Schleusener, NZA 1998, 239, 243 f. 198 Irrig daher Thüsing, NZA 1997, 294, 294, der gegen die Bejahung der Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags einwendet, daß ,,keine Norm" (bestehe), auf deren Wortlaut man sich (insoweit) stützen könnte". Einer derartigen Norm bedarf es in Wirklichkeit gar nicht. Ebenso problematisch ist es, wenn man die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers von vornherein auf den Aspekt verkürzt, den Gewerkschaften die Möglichkeit zu verschaffen, "auch solche Arbeitgeber zu einem Tarifvertrag zu zwingen, die in Ausübung ihrer negativen Koalitionsfreiheit einem Verband ferngeblieben sind"; zust. Schleusener, NZA 1998, 239, 242; in der Sache ebenso auch schon Krichel, NZA 1986, 731 , 735, dem allerdings zuzugestehen ist, daß Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und Streiktecht der Gewerkschaft nicht "zwangsläufig deckungsgleich" sein müssen. 199 A. A. etwa MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 246 Rn. 83, die§ 2 Abs. 1 TVG ausdrücklich frir verfassungsrechtlich geboten halten; ebenso Meik, Der Kernbereich der Tarifautonomie, S. 155 f.; Zeuner, FS BAG, S. 727,731.
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kampf in den Gewährleistungsbereich der Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers eingreift. Diese Frage dürfte zu bejahen sein. Aus dem Umstand, daß die weitgehende Gewährleistung der Freiheit der Gewerkschaft zur Auswahl ihres Tarifpartners200 verfassungsrechtlich evtl. nicht zwingend geboten ist201 , folgt nämlich noch nicht, daß sie nun sogleich verfassungsrechtlich verboten wäre202• Handelt es sich aber bei der in § 2 Abs. 1 TVG getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten des Erhalts der Tariffähigkeit des Arbeitgebers (und des Erhalts der Wahlfreiheit der Gewerkschaft) um eine legitime Konkretisierung des Gewährleistungsbereichs des Art. 9 Abs. 3 GG - und davon ist nach dem oben Gesagten in der Tat auszugehen -, so läßt sich unter diesem Gesichtspunkt ein Ausschluß der Erkämpfbarkeit schwerlich begründen. Dabei kann man allerdings nicht stehen bleiben. Zu beantworten bleibt noch immer die Frage, ob die Grenzen einer verfassungsrechtlich zulässigen Konkretisierung durch den Gesetzgeber nicht möglicherweise gerade dadurch überschritten sein könnten, daß der Gewerkschaft nicht nur die volle Freiheit der Auswahl zwischen ihren Tarifpartnern (Arbeitgeberverband oder einzelner Arbeitgeber) erhalten bliebe, sondern ihr im Hinblick auf einen evtl. Firmentarifvertrag auch noch uneingeschränkt die Befugnis zum Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen zugestanden würde203 . Insoweit ergeben sich aber in der Tat schwerwiegende Bedenken gegen die Annahme einer uneingeschränkten Erkämpfbarkeit von Firmentarifverträgen. Wenn man nämlich auch davon auszugehen hat, daß eine Befugnis zum Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen besteht, wenn und soweit die Möglichkeit des Abschlusses eines Tarifvertrags gegeben ist, so erscheint es doch als außeror200 Zuweilen ist insoweit von einer Freiheit der "Tarifgegnerwahl" die Rede; LAG Düsseldorf, LAGE Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ebenso Lieb, DB 1999, 2058, 2061; ausdrück!. gegen eine entsprechende Wahlfreiheit der Gewerkschaft aber zuletzt LAG Schleswig-Holstein v. 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. 3.2 d. Grde). 201 Als verfassungsrechtlich geboten könnte man allenfalls ansehen, daß die Tariffähigkeit des Arbeitgebers nicht mit dessen Beitritt zu einem Verband o. w. entfällt, da es zumindest aus der Perspektive "dritter" Gewerkschaften in der Tat außerordentlich problematisch wäre, wenn man ihnen den potentiellen und häufig genug auch aktuellen Tarifpartner entzöge. Dies wird um so deutlicher, wenn man bedenkt, daß aus deren Sicht ceteribus paribus nichts anderes gelten könnte als aus der Sicht des Arbeitgebers: Wenn es gegen dessen positive Koalitionsfreiheit verstieße, daß ihm unter gewissen Umständen die Bindung an einen Verbandstarifvertrag "genommen" wird, dann müßte ein derartiger Verstoß wohl auch dann angenommen werden, wenn einer Gewerkschaft der Firmentarifvertrag "genommen" wird, indem man den Verlust der Tariffähigkeit ihres Gegenübers anordnet. 2o2 Nicht überzeugend daher Schleusener; NZA 1998, 239, 242 mit seinem allzu schlichten Hinweis auf die zwischen Art. 9 Abs. 3 GG und § 2 Abs. 1 TVG bestehende "Normhierarchie". 203 Zutreffend daher Lieb, DB 1999, 2058, 2061 f., der sich entschieden gegen die Auffassung wendet, einer Gewerkschaft "stehe ohne jede Einschränkung als verfassungsrechtlich verbürgtes Recht die Befugnis zu, den Arbeitskampf frei allein nach ihren, auf größtmögliche Effektivität ausgerichteten kampftaktischen Vorstellungen führen zu können".
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dentlich problematisch, sich auch dann noch uneingeschränkt an diese Aussage zu klammern, wenn man zugleich annimmt - und unter dieser Prämisse stehen die hier angestellten Erwägungen - daß sich aus der individuellen Koalitionsfreiheit des einzelnen Verbandsmitglieds grundsätzlich auch ein Schutz davor ergibt, aus einer bestehenden Bindung an einen Verbandstarifvertrag ,,herausgedrängt" zu werden. Allerdings besteht kein Grund, dieser Fragestellung weiter nachzugehen204 • Denn in Wirklichkeit ergibt sich die Lösung der hier in Rede stehenden Problematik, wie nachfolgend gezeigt werden soll, bereits auf der Grundlage des einfachen Rechts. Die abschließende Klärung der schwierigen Frage, ob Art. 9 Abs. 3 GG über den Schutz der Rechtstellung als Mitglied hinaus - im Grundsatz auch einen Schutz vor einem "Hinausdrängen" des Arbeitgebers aus der bestehenden Bindung an einen Verbandstarifvertrag enthält205 , kann daher ebenso auf sich beruhen, wie die Beantwortung der sich hieran anknüpfenden, nicht minder komplexen Frage, ob sich eine uneingeschränkte Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags im bejahenden Fall nicht doch noch als zulässiges Ergebnis einer Abwägung zwischen der individuellen Koalitionsfreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers und der kollektiven Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft betrachten ließe206. Dementsprechend erübrigen sich an dieser Stelle auch nähere Ausführungen dazu, inwieweit evtl. die kollektive Koalitionsfreiheit des Arbeitgeberverbands eine Einschränkung der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft legitimieren könnte207 .
II. Die Bewertung der Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags auf der einfachgesetzlichen Ebene Statt weiter auf der verfassungsrechtlichen Ebene nach möglichen Argumenten zu suchen, ist vielmehr sogleich die einfachgesetzliche Ebene zu betreten, wobei zunächst ein Blick auf die - wenigen - Gerichtsentscheidungen geworfen werden soll, die insoweit einschlägig sind208 •
204 Dagegen, die verfassungsrechtliche Argumentation "überzustrapazieren", auch Henssler, ZfA 1998, 517, 535; grunds. zust. Lieb, DB 1999,2058,2059. 205 Abi. neuerdings Stein, RdA 2000, 129, 139. 206 Umfassend zur verfassungsrechtlichen Bewertung von Arbeitskämpfen um Finnentarifverträge mit verbandsangehörigen Arbeitgebern etwa Hensche, RdA 1971, 9, 10 ff. 207 Vgl. hierzu Schleusener, NZA 1998, 239, 242 ff.; vgl. zum Ganzen etwa auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. 1, 1997, S. 1232 ff. m. w. Nachw. 208 In der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein v. 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. 3.2 d. Grde)- wo das Gericht zu einer Ablehnung der Erkämpfbarkeit von Finnentarifverträgen durch die Gewerkschaft kommt - wird i. w. auf der verfassungsrechtlichen Ebene argumentiert.
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1. Die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags in der Rechtsprechung Das BAG hat sich bislang, soweit ersichtlich, nur ein einziges Mae09 und hier auch nur eher beiläufig zu der Frage geäußert, ob Arbeitskampfmaßnahmen gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber zulässig sind, die auf die Durchsetzung eines Firmentarifvertrags zielen.
a) Die Rechtsprechung des BAG
In einer Entscheidung aus dem Jahre 1955 führte das Gericht hierzu aus, daß ein Streik nicht deswegen rechtswidrig sei, weil "der Arbeitgeberverband, dem die Träger der bestreikten Unternehmen angehören, sich einem Dritten (einer Gewerkschaft) gegenüber in einem Tarifvertrag verpflichtet hat, mit anderen Gewerkschaften keine tariflichen Abmachungen zu treffen"210• Auch sei der Streik, so das BAG weiter, nicht deshalb rechtswidrig, weil "der bestreikte Arbeitgeber, der einem Arbeitgeberverband angehört, diesem gegenüber satzungsmäßig verpflichtet ist, keinen Firmentarif abzuschließen"211 • Verpflichtungen, die ein Arbeitgeberverband einem Tarifpartner gegenüber eingegangen sei oder Verpflichtungen, die einem einzelnen Arbeitgeber satzungsgemäß gegenüber seinem Arbeitgeberverband oblägen, berührten "nicht die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Streiks, zu dem eine Gewerkschaft aufruft, die in keinem Vertragsverhältnis zu dem Arbeitgeberverband oder zu dem Arbeitgeber steht"212• Dem ist zuzustimmen: Was die evtl. Verpflichtung des Arbeitgeberverbands gegenüber ihrem Tarifpartner betrifft, keine Tarifverträge mit anderen Gewerkschaften abzuschließen, so kann diese dem Abschluß eines Firmentarifvertrags und dessen ,,Erstreikbarkeit" - ganz unabhängig von der Frage nach der Wirksamkeit einer derartigen "Ausschließlichkeitsbindung" - allein schon deshalb nicht entgegenstehen, weil es bei dieser Verpflichtung ersichtlich um Verbandstarifverträge und nicht um Firmentarifverträge geht und überdies in der Tat nicht ersichtlich ist, wie der Arbeitgeberverband eine wirksame Abmachung sollte treffen können, die nicht 209
Zu den möglichen Gründen Schleusener; NZA 1998,239, 239.
210
BAG v. 4. 5. 1955, BAGE 2, 75, 77 = AP Nr. 2 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zust. etwa
MünchArbR-Otto, 2. Aufl., 2000, § 285 Rn. 66, der den Arbeitgeber vor "isolierten" Angriffen der Gewerkschaft nur in eng umgrenzen Ausnahmefallen schützen will, wie etwa dem, daß der Arbeitgeber "als Angriffsziel willkürlich herausgegriffen worden ist". 211 BAG v. 4. 5. 1955, BAGE 2, 75,77 f. 212 BAG v. 4. 5. 1955, BAGE 2, 75, 78. Weiter heißt es in dieser Entscheidung: "Wenn es einer Gewerkschaft erlaubt ist, ihre gewerkschaftlichen Aufgaben und Ziele durch einen Tarifvertrag zu verwirklichen, zu dessen Abschluß der Arbeitgeber notfalls durch Streik veranlaßt werden soll, dann kann der Arbeitgeber einem solchen Streik die Legitimität nicht dadurch nehmen, daß er sich anderweitig Dritten gegenüber verpflichtet oder verpflichtet hat, einen solchen Tarifvertrag nicht abzuschließen".
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nur zu Lasten (der Tariffähigkeit) des Arbeitgebers, sondern auch zu Lasten (der Tariffähigkeit) einer "dritten" Gewerkschaft ginge213 . Und was die satzungsmäßige Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber seinem Verband anbelangt, so gilt ceteribus paribus dasselbe. Auch insoweit wäre nicht einzusehen, weshalb sich ein Arbeitgeber gegenüber der Gewerkschaft (!) darauf sollte berufen dürfen, er sei gegenüber seinem Verband (!) verpflichtet, den Abschluß von Firmentarifverträgen zu unterlassen. So sehr diese Entscheidung des BAG Zustimmung verdient, so wenig läßt sich ihr allerdings für die Lösung der hier in Rede stehenden Problematik entnehmen. Diese zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, daß es nicht irgendeine "dritte" Gewerkschaft ist, die vom verbandsangehörigen Arbeitgeber den Abschluß eines Firmentarifvertrags verlangt; vielmehr ist es die am Verbandstarifvertrag beteiligte Gewerkschaft selbst, die auf den Firmentarifvertrag dringt. Dementsprechend lautet hier die Frage, ob sich gerade aus dem Verbandstarifvertrag irgend etwas für eine Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft herleiten läßt. Zu dieser (speziellen) Problematik hat sich das BAG indes in der genannten Entscheidung gerade nicht geäußert und infolgedessen ist sie im vorliegenden Zusammenhang auch nicht verwertbar214.
b) Die Entscheidung des lAG Köln vom 14. Juni 1996
Immerhin liegt in der Frage der Erkämpfbarkeit von Firmentarifverträgen gegen den verbandsangehörigen Arbeitgeber eine- wenngleich ihrem Umfang nach verhältnismäßig bescheidene- Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte vor 15 .
aa) Argumentation des LAG Köln So hat etwa das LAG Köln in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu der Frage der Erkämpfbarkeit von Firmentarifverträgen durch den Tarifpartner des Arbeitgeberverbands Stellung bezogen und dabei der Auffassung zugeneigt, daß "der Abschluß eines Verbandstarifvertrags ... nicht beinhalten kann", auf eine Durchsetzung von Firmentarifverträgen "auch mit den grundrechtlich gewährleisteten Mitteln des Arbeitskampfs verzichten zu wollen"216 • Dies gelte jedenfalls
213 Näheres zur rechtlichen Beurteilung sog. "Verträge mit Lastwirkung für Dritte" etwa bei Wiedemann, in: Wiedemann, § I Rn. 659 m. w. Nachw. 214 Zutreffend Lieb, DB 1999, 2058.2061. 215 Vgl. insoweit neben den nunmehr näher darzustellenden Entscheidungen des LAG Köln und des LAG Frankfurt a. M.• auch die - bereits oben angesprochenen - Urteile von LAG Hamm v. 8. 8. 1985, DB 1985, 2155 u. LAG Schleswig-Holstein v. 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskarnpf.
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2. Kap.: Die Erkämptbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
dann, wenn "trotz Verbandsmitgliedschaft mit einem Verbandsmitglied seit vielen Jahren Haustarifverträge" bestanden hätten. Erkläre allerdings der Arbeitgeber, "in Zukunft ebenfalls die Verbandstarifverträge anwenden und keine Haustarifverträge mehr abschließen zu wollen", so entfällt nach Auffassung des LAG Köln die Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags. In dogmatischer Hinsicht stützt das Gericht seine Entscheidung auf eine Auslegung des Tarifvertrags und bemerkt insoweit, daß "auch die persönliche Reichweite der relativen Friedenspflicht aus dem Yerbaudstarifvertrag ... durch Auslegung ermittelt werden" müsse217 .
bb) Rechtliche Bewertung der Entscheidung Das überzeugt nicht und zwar selbst dann nicht, wenn man einmal davon absieht, daß in Wirklichkeit nicht der Tarifvertrag, sondern ein ungeschriebener Satz des objektiven Rechts Grundlage der Friedenspflicht ist218 • In welche Mißlichkeiten man gerät, wenn man dem LAG Köln bei seiner Lösung folgt, wird sofort klar, wenn man sich die diesbezügliche Argumentation des Gerichts etwas näher vor Augen führt: Zunächst wird die Friedenspflicht als "vertragliches Recht" dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages zugeordnet. Daraus soll sich ergeben, daß "hier individualvertragliche und nicht normative Auslegungsmaßstäbe angebracht" seien. Dementsprechend komme es, so das LAG Köln weiter, darauf an, "wie das in dem Vertragsschluß als solchem zum Ausdruck kommende Verhalten der Tarifpartner nach Treu und Glauben aus Empfängersicht verstanden werden" könne. Als Ergebnis dieser Auslegung stellt das Gericht dann fest, daß sich das einzelne Mitglied, das "seit vielen Jahren" Firmentarifverträge abgeschlossen und angewendet hatte, erst dann auf die Friedenspflicht aus dem Verbandstarifvertrag berufen könne, wenn es ,,rechtzeitig vor dem Neuabschluß des Verbandstarifvertrags klargestellt habe, daß es in Zukunft ebenfalls die Yerbaudstarifverträge anwenden und keine Haustarifverträge mehr abschließen wolle". Schließe die Gewerkschaft gleichwohl den Verbandstarifvertrag ab, so gehe sie damit, "wenn eine Ausnahme nicht vereinbart wird, für die Zukunft auch die Friedenspflicht gegenüber dem Verbandsmitglied ein"219 .
216 LAG Köln v. 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 1997, 327; ausdrückt. zust. ArbG Bremen v. 24. 6. 1999, ArbuR 1999, 413; Nachw. zu älteren Entscheidungen der Instanzgerichte etwa bei Krichel, NZA 1986, 731, 732 (u. Fußn. 6 f.); einen Sonderfall des Streiks um einen Firmentarifvertrag betraf die Entscheidung des LAG Köln v. 26. 6. 2000, ArbuR 2000, 435. 217 So LAG Köln v. 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. III. 3d d. Grde). 21s Vgl. Kap. 1 § 3 II. 219 So LAG Köln v. 14. 6. 1996, LAGE Nr. 63 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. III. 3d d. Grde).
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Diese Überlegungen sind gleich in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft 220• In eine gewisse "Schieflage" gerät das Gericht zunächst allein schon dadurch, daß es sich nicht zu seiner Sicht der "typischen Interessenlage" der Beteiligten221 äußert und damit das (Miß-) Verständnis provoziert222 , eine Einschränkung der Friedenspflicht hinsichtlich der Erkämptbarkeit von Firmentarifverträgen letztlich doch auf den Sonderfall des wiederkehrenden Abschlusses von Firmentarifverträgen durch den verbandsangehörigen Arbeitgeber beschränken223 und dementsprechend der Sache nach geradezu zu einer Vermutung gegen eine von keiner Friedenspflicht beschränkte Arbeitskampfbefugnis gelangen zu wollen. Geht man, entsprechend dem weiter oben Gesagten224 , davon aus, daß die Freiheit zum Abschluß von Tarifverträgen grundsätzlich die Befugnis rnitumfaßt, insoweit auch Maßnahmen des Arbeitskampfs zu ergreifen, so wird man viel eher annehmen müssen, daß sich die Gewerkschaft "im Zweifel" stets die Befugnis erhalten will, ihre Mitglieder ggf. auch für den Abschluß eines Firmentarifvertrags streiken zu lassen. Unter diesen Umständen ist aber nicht recht verständlich, wie man nun plötzlich zu einem "Verzicht" auf die Arbeitskampfbefugnis kommen sollte, nur weil sich der Arbeitgeber weigert, auch in Zukunft Firmentarifverträge mit der Gewerkschaft abzuschließen. Ganz abgesehen davon erscheint es aber vollkommen unplausibel, einen derartigen Verzicht ausgerechnet damit begrunden zu wollen, daß der Arbeitgeber vor dem Abschluß des Verbandstarifvertrags "klargestellt" hat, "in Zukunft ebenfalls die Verbandstarifverträge anwenden und keine Haustarifverträge mehr abschließen 22o Scharf abl. zuletzt auch Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, s. 99 ff. 221 Vgl. insoweit auch Schleusener, NZA 1998, 239, 241 (Schutz durch die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrags auch für denjenigen, der in der Vergangenheit freiwillig Firmentarifverträge abgeschlossen hat, und zwar unabhängig von einer "besonderen Handlung des Arbeitgebers zur Erhaltung des Schutzes"). 222 Die Gefahr von Mißverständnissen wird insbes. auch dadurch zusätzlich genährt, daß das Gericht insoweit einen geradezu überproportionalen Begründungsaufwand treibt, der übrigens nicht einmal zu einem sonderlich überzeugenden Ergebnis führt. Denn wenn es evtl. auch nahe liegt anzunehmen, daß sich eine Gewerkschaft das Instrument des Arbeitskampfs erhalten will, wenn der Arbeitgeber grundsätzlich zum Abschluß von Firmentarifverträgen bereit ist (und diese Bereitschaft in der Vergangenheit auch schon wiederholt betätigt hat), so schließt das doch keinesfalls aus, daß sie dasselbe Interesse am uneingeschränkten Erhalt ihrer Arbeitskampffreiheit hat, wenn es bislang i. H. a. einen bestimmten Arbeitgeber noch nicht zum Abschluß eines Firmentarifvertrags gekommen ist (den die Gewerkschaft aber evtl. nicht weniger dringend wünscht und für dessen Herbeiführung sie um so mehr auf ihre Befugnis zum Arbeitskampf angewiesen wäre). 223 Das Gericht äußert sich nicht zu den näheren Umständen der Tarifabschlüsse des Arbeitgebers in der Vergangenheit. Auch darin liegt ein erhebliches Defizit. Hat sich der Arbeitgeber nämlich freiwillig zum Abschluß von Firmentarifverträgen bereit gefunden, so ginge es ersichtlich von vornherein zu weit, seinem Verhalten den Erklärungswert beizumessen, er habe nichts dagegen, wenn die Gewerkschaft zur Durchsetzung ihrer Forderungen auch Mittel des Arbeitskampfs einsetzen wolle. 224 Vgl. Kap. 1 § 3 II. 1.
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2. Kap.: Die Erkämptbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
zu wollen'm5 . Zunächst handelt es sich bei einer derartigen Erklärung um nichts anderes als um die Signalisierung der Bereitschaft, sich in Zukunft allein an den Verbandstarifvertrag zu halten. Das aber sollte, vor dem Hintergrund der verbandliehen Loyalitätspflicht betrachtet, nichts anderes als eine bare Selbstverständlichkeit sein, und daher ist es von vomherein nur schwerlich nachvollziehbar, weshalb die Gewerkschaft diese Erklärung mit einem "Verzicht" auf die Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags sollte "honorieren" müssen. Noch schwerer wiegt, daß in keiner Weise ersichtlich ist, weshalb es das evtl. Interesse der Gewerkschaft am Zustandekonunen von Firmentarifverträgen - und somit auch ihr potentielles Interesse an der Erkämpfbarkeit derartiger Regelungen - beeinträchtigen sollte, wenn sich der Arbeitgeber plötzlich nicht mehr gewillt zeigt, zum Abschluß von Firmentarifverträgen zu kommen. Auch diesen Umstand, auf den das LAG Köln in seinem Urteil mit keinem Wort eingeht, müßte man daher schon näher erläutern. Ninunt man zu alldem noch hinzu, daß sich an die Konstruktion des Gerichts eine Fülle höchst schwieriger Folgefragen knüpft - wann ist z. B. die "Klarstellung" durch den Arbeitgeber "rechtzeitig" vor dem Neuabschluß des Verbandstarifvertrags erfolgt; bedarf es insoweit eines Zugangs bei der Gewerkschaft etc. -, so wird unschwer erkennbar, daß die Argumentation des LAG Köln gewichtigen Einwänden begegnet. Davon einmal ganz abgesehen, wäre dieser Ansatz nur dann brauchbar, wenn dem "Verzicht" der Gewerkschaft auf die Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags ein entsprechender "Verzicht" auf Seiten des Arbeitgebers gegenüberstünde226 ; denn daß die andere Seite die Befugnis zum Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen ebenfalls einbüßt, erscheint auch bei nur oberflächlicher Analyse der Interessenlage nachgerade als "Minimalvoraussetzung" für die Annahme eines "Verzichts" durch die Gewerkschaft227 . Gerade hier tun sich aber, vom Boden der Konzeption des LAG Köln aus betrachtet, neuerliche Schwierigkeiten auf: Daß die TaAbi. auch Schleusener, NZA 1998, 239, 241. Zweifel an der "Verzichtbarkeit", also an der Möglichkeit einer Disposition über die Befugnis zum Erkämpfen eines Firmentarifvertrags, wird man übrigens nicht hegen müssen, da dieser "Verzicht" im vorliegenden Zusammenhang sachlich nicht weiter reichen würde, als der gegenüber der Gewerkschaft. Allenfalls ließe sich argumentieren, daß man nicht von vornherein gegenüber einer bestimmten Person auf seine Arbeitskampffreiheit verzichten könne, doch hätte diese Überlegung wenig Durchschlagskraft, da ja im Zeitpunkt des "Verzichts" eine (verbands-)tarifliche Regelung besteht und der "Verzicht" auf die Erkämptbarkeit eines mit dieser Regelung konkurrierenden Firmentarifvertrags ersichtlich den Bestand der Regelung durch den Verbandstarifvertrag sichern soll. 227 Sie ist gleichzeitig nicht mehr als diese, da es ersichtlich zu weit ginge anzunehmen, daß jemand allein schon deshalb auf sein Recht zu verzichten bereit sei, weil der "andere Teil" eine derartige Bereitschaft zeigt. Im übrigen ist natürlich daran zu erinnern, daß es alles andere als unzweifelhaft ist, ob der Arbeitgeber- generell oder jedenfalls i. H. a. einen möglichen Firmentarifvertrag - überhaupt die Befugnis hat, die Gewerkschaft bzw. ihre Mitglieder mit einer Angriffsaussperrung zu überziehen. Verneint man diese, so steht man sogleich vor einem zusätzlichen Problem, da der Arbeitgeber gar nichts (Gleichwertiges) hätte, auf das er gegenüber der Gewerkschaft Verzicht leisten könnte. 225
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rifvertragsparteien dem Arbeitgeber ohne weiteres seine Arbeitskampfbefugnis nehmen könnten, indem sie tarifvertraglich deren "Verlust" anordnen, läßt sich nicht überzeugend begründen und wird auch vom LAG Köln selbst nicht behauptet. Und daß diese als Folge der vom Arbeitgeber abzugebenden Erklärung eintreten würde, erscheint ebenso wenig begründbar, da es sich dabei, nimmt man das Gericht beim Wort, eben lediglich um eine "Klarstellung", also eine rein deklaratorische Erklärung, handeln soll. Auf die Frage, ob in diesem Zusammenhang ein einseitiger Verzicht überhaupt zulässig wäre, braucht unter diesen Umständen gar nicht mehr eingegangen zu werden 228 • Über all diesen Bedenken sollte man indes nicht den fundamentalen Einwand aus den Augen verlieren, der gegenüber der Konzeption des LAG Köln erhoben werden muß. Dieser besteht darin, daß die vom Gericht propagierte Auslegung in Wirklichkeit eine reine Fiktion darstellt229 : Wenn Arbeitgeberverband und Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließen, so erklären sie regelmäßig nicht mehr und nicht weniger, als daß sie die Arbeitsverhältnisse der tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und die betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen "Verhältnisse" in bestimmter Weise regeln wollen230. Zu der Frage, ob und inwieweit darüber hinaus eine Friedenspflicht gelten und welche "Drittwirkungen" diese aufweisen soll, läßt sich der Regelung dagegen, vom Ausnahmefall ausdrücklicher Vereinbarungen einmal abgesehen, kaum jemals Zuverlässiges entnehmen 231 • Ganz sicher enthält der Tarifvertrag aber in der Regel keine Anhaltspunkte für derart subtile - und in ihrer hochgradigen Künstlichkeit an die vereinzelten Versuche einer Einschränkung des tarifvertragliehen Geltungsbereichs gegenüber Neueintretenden erinnemde232 - Erwägungen, wie sie das LAG Köln seiner Argumentation zugrundelegt Daran vermag es auch nichts zu ändern, daß das Gericht bei seiner Interpretation des Tarifvertrags auf "individualvertragliche" und nicht auf "normative" Auslegungsmaßstäbe" abstellen will. Im Gegenteil, ist dies eher geeignet, die geschilderten Bedenken noch weiter zu verstärken, da damit offenbar nichts anderes gesagt werden soll, als daß die Perspektive des einzelnen Arbeitgebers (!) den Ausschlag 228 Zur Problematik eines einseitigen Verzichts auf die Einrede der Verjährung vergleichsweise etwa Staudinger-Otto § 222 Rn. 29. 229 Ähnl. wie hier Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 105 f. 230 Daß die Tariffähigkeit (und damit ggf. auch die Arbeitskampfbefugnis) der Beteiligten nicht schon aufgrund der unmittelbaren und zwingenden Wirkung des Tarifvertrags eine Einschränkung erfährt, wurde bereits oben dargetan; vgl. Kap. 3 § 7 IV. 231 Vgl. in diesem Zusammenhang etwa auch die grundsätzlichen Bedenken von Kempen/Zachert § 1 Rn. 342 gegen eine "Überstrapazierung" des Parteiwillens bei der Bestimmung des Umfangs der Friedenspflicht; zutreffend auch Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Auf!., 1993, S. 275 ("... in der Regel schweigen sich die Tarifverträge über das Kapitel ,Friedenspflicht' völlig aus"). 232 Vgl. nur Hoffmann, ArbuR 1964, 169; Radke, BB 1964, 1490; dagegen Dräger, BB 1970, 1142; v. a. aber Dietz, in: FS Nipperdey, Bd. II, 1965, S. 141.
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dafür gebe, wie die Abmachungen der Tarifvertragsparteien im schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags interpretiert werden müssen. Daß das Verständnis von Personen über die Interpretation eines Vertrags entscheidet, die an diesem gar nicht beteiligt sind, vermag indes auch die Heranziehung "individualvertraglicher Auslegungsmaßstäbe" nicht zu rechtfertigen 233 . Im übrigen fällt auf, daß das LAG Köln seiner Auslegung des Tarifvertrags selbst nicht recht zu trauen scheint. Denn wenn das Gericht davon spricht, daß sich der Arbeitgeber auf den Ausschluß der Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft nicht solle "berufen" dürfen 234 , so läßt das keine andere Schlußfolgerung zu als die, daß der Ausschluß gerade nicht allein aufgrund der Abrede der Tarifvertragsparteien eintreten soll, sondern daß hierfür objektive Wertungen verantwortlich sind, mit denen man das Ergebnis, das bei einer schlichten Auslegung des Tarifvertrags erzielt wird, nachträglich "korrigiert". Nimmt man alle diese Einwände zusammen, so wird man der Entscheidung des LAG Köln wenig Brauchbares zur Lösung der hier in Rede stehenden Problematik entnehmen können.
c) Die Entscheidung des LAG Frankfurt a. M. vom 23. Apri/1985
Eine andere Entscheidung, die in den vorliegenden Zusammenhang gehört, stammt vom LAG Frankfurt a. M?35 . Hier hat das Gericht die Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft bezüglich eines Firmentarifvertrags grundsätzlich für beschränkt gehalten 236 und eine Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags nur aufgrund der besonders gelagerten Umstände des Falles angenommen. 233 Ausdrückliche Zustimmung zur Argumentation des LAG Köln demgegenüber bei Thüsing, NZA 1997, 294, 295; a.A. aber etwa Schleusener, NZA 1998, 239, 241 mit dem Hinweis darauf, daß sich aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur der Wille zum freiwilligen (!)Abschluß von Tarifverträgen ergebe und dementsprechend nicht o. w. angenommen werden könne, daß die Friedenspflicht des Verbandstarifvertrags diesem Arbeitgeber nicht zugute kommen solle. 234 In dieselbe Richtung weisen die Betonung der Rolle von "Treu und Glauben" für die Auslegung und das Abstellen auf "individualvertragliche und nicht normative Auslegungsmaßstäbe" sowie das damit einhergehende Abstellen auf die "Empfangersicht". Hinsichtlich des letztgenannten Gesichtspunkts ist übrigens auch darauf hinzuweisen, daß der Arbeitgeberverband gegenüber der "verzichtenden" Gewerkschaft wohl ohnehin (nur) Vertreter der betreffenden Arbeitgeber wäre (was zur Annahme einer entsprechenden Vertretungsmacht zwänge). In diesem Fall müßte aber schon aufgrundder Regelung des§ 166 Abs. 2 BGB auf die Verständnismöglichkeit dieser Person abgestellt werden. 235 LAG Frankfun a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht= BB 1985, 2109. 236 LAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht (u. II. 1 d. Grde), wonach ein "Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag, durch den im Verbandstarifvertrag geregelte Materien einer beseitigenden oder ändernden Regelung zugeführt werden sollen, regelmäßig gegen die (relative) Friedenspflicht verstößt". Bemerkenswert ist, daß das
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aa) Die Argumentation des LAG Frankfurt a. M. In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein Arbeitgeber zur gleichen Zeit zwei verschiedenen Verbänden angehört. Tarifpartner beider Verbände war ein und dieselbe Gewerkschaft. Nachdem der Arbeitgeber aus einem der beiden Verbände, dessen Tarifverträge er jahrelang angewandt hatte, ausgetreten war37 und die Gewerkschaft daraufhin versuchte, die alten Arbeitsbedingungen nunmehr in einem Firmentarifvertrag festzuschreiben, berief er sich dieser gegenüber auf die Friedenspflicht aus dem Verbandstarifvertrag, den er in der Vergangenheit außer Anwendung gelassen hatte. Das LAG Frankfurt a. M. bewertete dieses Verhalten des Arbeitgebers als "Verzicht" auf die ihm aus der Friedenspflicht zustehenden Rechte und meinte, daß es als Verstoß gegen Treu und Glauben und als unzulässige Rechtsausübung erscheine, wenn sich der Arbeitgeber nach seinem Verbandsaustritt auf die Mitgliedschaft bei einem anderen Verband und die Friedenspflicht berufe, die mit dessen Tarifverträgen verbunden sei238• Das Gericht ging demnach von einer grundsätzlichen Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft aus, von der es im vorliegenden Fall nur deshalb absehen wollte, weil sich diese aus einem Tarifvertrag ergab, den der Arbeitgeber über mehrere Jahre hinweg nicht angewandt hatte.
bb) Rechtliche Bewertung der Entscheidung Ganz abgesehen davon, daß in der Entscheidung die Kategorien des rechtsgeschäftliehen Verzichts auf der einen und der unzulässigen Rechtsausübung auf der anderen Seite "durcheinandergehen", ist diese Beurteilung allein schon deshalb unbefriedigend, weil das LAG Frankfurt a. M. die entscheidende Frage gerade weitgehend offen läßt, nämlich die, weshalb sich die Friedenspflicht der Gewerkschaft aus dem Verbandstarifvertrag auch auf das Erkämpfen eines Firmentarifvertrags erstrecken soll. Insoweit kommt das Gericht nicht über verhältnismäßig unscharfe Erwägungen zu einem angeblichen Vertrauensschutz auf Seiten des Arbeitgebers hinaus239• Auch wenn man diese Schwäche einmal ausblendet, ist die Entscheidung indes außerordentlich problematisch240. Gericht insoweit von einer "Abkoppelung" der Friedenspflicht von dem "an sich geltenden Tarifwerk" und der "Aufgabe der Kongruenz von Tarifbindung, Geltungsbereich und Friedenspflicht" spricht (a. a. 0. unter 2b bb d. Grde); abl. zur Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber zuletzt auch LAG SchleswigHolstein v. 25. 11. 1999, AP Nr. 157 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. 3.2 d. Grde). 237 Hinsichtlich des von diesem Verband abgeschlossenen Tarifvertrags stellt das Gericht ausdrücklich fest, daß die Friedenspflicht nicht mehr zu Gunsten des Ausgetretenen wirke; so LAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht (u. II. 2 d. Grde). 238 LAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. I zu § 1 TVG Friedenspflicht (u. II. 3b bb d. Grde). 10 Waas
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2. Kap.: Die Erkämptbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
Nichts einzuwenden ist allerdings, vom Boden der herrschenden Sichtweise der Friedenspflicht gesehen, dagegen, daß das LAG Frankfurt a. M. die Rechtsposition des Arbeitgebers aus der Friedenspflicht für verzichtbar hält. Jedenfalls spricht nichts gegen einen sog. antizipierten Verzicht, mit dem ein (potentieller) Gläubiger dem (potentiellen) Schuldner zukünftige Forderungen erläßt241 . Und auch der Umstand, daß die Friedenspflicht "notwendiger Bestandteil" des Tarifvertrags ist und damit auf objektivem Recht beruht, besagt nicht, daß der Arbeitgeber auf die damit verbundenen Rechte nicht verzichten könnte242 , da ein Verzicht auch im Hinblick auf gesetzliche Anspruche zulässig ist243 • Schließlich steht auch der Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung, auf die das LAG Frankfurt a. M. entscheidend abstellt, nicht von vornherein etwas entgegen, wobei insoweit sogar noch hinzuzufügen ist, daß in Fällen der vorliegenden Art - in denen die jahrelange Anwendung eines Tarifvertrags durch den Arbeitgeber in Rede steht - im Rechtsinstitut der Verwirkung sogar ein besonders erfolgversprechender Ansatzpunkt gegeben ist244. Eine der Hauptschwächen der Entscheidung des LAG Frankfurt a. M. dürfte demgegenüber darin liegen, daß sich das Gericht nicht näher zum Verhältnis der beiden Verbandstarifverträge äußert. Besteht eine doppelte Tarifbindung auf Seiten des Arbeitgebers und ist zudem der Geltungsbereich beider Tarifverträge eröffnet - beides wird in der Entscheidung ausdriicklich bejaht245 -, muß man sich nämlich auch mit der Möglichkeit auseinandersetzen, daß der Tarifvertrag, den der Arbeitgeber außer Anwendung gelassen hat, nach den Maßstäben der Tarifkonkurrenz "nachrangig" war. Ist dies aber der Fall, dann verhält sich der Arbeitgeber völlig 239 Vgl. LAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu§ 1 TVG Friedenspflicht (u. II. 3b bb d. Grde); zu diesem Aspekt auch noch später unter II. 2. 240 Abi. zuletzt auch Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 97 ff. 241 Eher verwirrend ist vor diesem Hintergrund allerdings der Hinweis auf§ 333 BGB, der nach Auffassung des Gerichts auch beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zu beachten sein und aus dem sich ergeben soll, daß der "Dritte" durchaus auf die vertraglichen Rechtspositionen verzichten könne; so LAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu§ 1 TVG Friedenspflicht (u. II. 3b bb u. cc d. Grde); krit. auch Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 98. Übrigens ergibt sich auch aus § 4 Abs. 4 S. 1 TVG nichts gegen eine derartige Verzichtbarkeit. Denn ganz abgesehen von der Frage, ob die Vorschrift auch auf den Arbeitgeber Anwendung findet, bezieht sich das darin enthaltene Verzichtsverbot nur auf die Normativbestimmungen des Tarifvertrags - deren zwingende Wirkung es ergänzt -, nicht aber auf gesetzliche oder vertragliche Schuldverhältnisse; vgl. statt aller MünchArbRLöwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 274 Rn. 4 u. 6. 242 Bedenklich wäre es nur, wenn man die Erkämptbarkeit eines derartigen Verzichts zuließe. 243 Sofern nicht ausnahmsweise ein Verzichtsverbot eingreift; vgl. insoweit nur MünchKomm-v. Feldmann § 397 Rn. 17. 244 Zu "Verwirkung" und "Erwirkung" vgl. nur Staudinger-Schmidt § 242 Rn. 516 ff. 245 Vgl. insbes. LAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht (u. II. 3d. Grde).
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gesetzeskonform, wenn er die in diesem Tarifvertrag enthaltenen Regelungen nicht anwendet und dementsprechend kann ihm auch kein "Vorwurf'' gemacht werden, wenn er, nach seinem Verbandsaustritt, nunmehr doch auf diesen Tarifvertrag (und die in ihm enthaltene Friedenspflicht) rekurriert. Dies gilt jedenfalls dann, wenn über die Tarifkonkurrenz nach dem Zeitpunkt des Verbandsautritts - trotz der Regelung des § 3 Abs. 3 TVG, der den Arbeitgeber am Tarifvertrag ,,festhält"- anders zu entscheiden sein sollte als im Zeitraum des Bestehens zweier Mitgliedschaften246. Auch insoweit enthält die Entscheidung des LAG Frankfurt a. M. allerdings keine vertiefenden Erwägungen. Problematisch ist überdies, wie weit eine evtl. Verwirkung der auf der Friedenspflicht gründenden Rechtsposition des Arbeitgebers reichen soll. Was diese Frage betrifft, so bietet es sich an, dem LAG Frankfurt a. M. zu folgen, wenn es von einem Verzicht bzw. von einer Unzulässigkeil der Berufung auf die Friedenspflicht nur in dem Umfang ausgehen will, in dem der Tarifvertrag in der Vergangenheit Geltung beansprucht hat247 . In der Tat erschiene es höchst problematisch, wenn man dem Arbeitgeber auch dann die Berufung auf die Friedenspflicht versagen wollte, wenn die Gewerkschaft mit dem Streik einen Tarifvertrag herbeizuführen gedenkt, der im Vergleich zu früher einen sehr viel weiteren Geltungsbereich aufweist. Allerdings wird die Problematik eines evtl. Verzichts dadurch mit einer ganzen Reihe von Unsicherheiten belastet: Soll z. B. auch jede "geringfügige" Ausweitung des tariflichen Geltungsbereichs den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung beseitigen? Und umgekehrt: Kann sich der Arbeitgeber uneingeschränkt auf die Friedenspflicht berufen, wenn die Gewerkschaft den Geltungsbereich des 246 Erinnert sei an dieser Stelle nur an die in Teilen der Lit. geforderte Unterscheidung zwischen einer "autonom herbeigeführten" Tarifgebundenheit aufgrund Mitgliedschaft im Verband und einer Tarifgebundenheit aufgrund "staatlicher Veranlassung"; vgl. MünchArbR/ Löwisch-Rieble, 2. Aufl., 2000, § 276 Rn. 1 ff., wobei diese in die letztgenannte Gruppe, neben die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gern. § 5 TVG, insbes. auch den Fall des § 3 Abs. 3 TVG rechnen. Das Verhältnis zwischen der "autonom herbeigeführten" und der "staatlich veranlaßten" Tarifgebundenheit sehen Löwisch u. Rieble durch einen generellen Vorrang der mitgliedschaftliehen Legitimation gekennzeichnet, was zur Folge haben soll, daß die durch Mitgliedschaft legitimierte tarifvertragliche Regelung stets den Tarifvertrag verdrängen würde, dessen Geltungsanspruch nicht ebenfalls aus einer mitgliedschaftliehen Legitimation, sondern "nur" aus einer "staatlichen Veranlassung" erwächst - ; im Ergebnis ebenso B. Müller, NZA 1989,449, 452; abl. aber z. B. Wank, in: Wiedemann, 6. Aufl. 1999, § 4 TVG, Rn. 294. Allein auf die Qualität der jeweiligen Tarifgebundenheit soll es also bei der Lösung dieser Fälle der Tarifkonkurrenz ankommen. Zur Begründung stützen sich Löwisch u. Rieble auf die grundrechtliche Gewährleistung der Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip; in diese Richtung wohl auch Wiedemann/Amold, ZTR 1994, 399,408. Doch versuchen sie zugleich zu zeigen, daß der angebliche Vorrang des mitgliedschaftlieh legitimierten Tarifvertrags gegenüber der auf staatlicher Anordnung beruhenden Tarifgeltung auch einer Wertung des einfachen Gesetzesrechts entspricht; dagegen Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, s. 70 ff. 247 lAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. I zu § 1 TVG Friedenspflicht (u. III. d. Grde).
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Tarifvertrags - etwa im Hinblick auf bestimmte Arbeitnehmergruppen - merklich einschränken will, der Arbeitgeber aber u. U. eine derartige "Spezialregelung" stets abgelehnt hat? Wie ist schließlich zu verfahren, wenn die Geltungsbereiche der Tarifverträge schon in der Vergangenheit nicht immer deckungsgleich waren? Auf all diese Fragen muß eine sichere Antwort gegeben werden, bevor man zur Annahme eines Verzichts oder einer Verwirkung kommen kann. Ganz abgesehen davon taucht aber vorliegend die Frage auf, wie lange dem Arbeitgeber der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung mit Erfolg soll entgegengehalten werden können. Diese, wie sich sogleich zeigen wird, Kernfrage hat auch das LAG Frankfurt a. M. gesehen und insoweit ausgeführt, daß es dem Arbeitgeber "nicht auf Dauer verwehrt werden (könne), diese Tarifverträge248 ... im Betrieb insgesamt und einheitlich anzuwenden"249. Im Ergebnis nimmt das Gericht daher "in zeitlicher Hinsicht ... eine Einschränkung der zulässigerweise verwirklichbaren Streikziele und eine entsprechend eingegrenzte Beseitigung der Friedenspflicht" an und will von einer "(Übergangs-)Zeit" ausgehen, während der dem Arbeitgeber die Berufung auf die Friedenspflicht "abgeschnitten" sein soll. An dieser Stelle wird deutlich, daß die Erwägungen des Gerichts insgesamt neben der Sache liegen. Die Frage, die sich bei dieser Sachlage stellt, ist nämlich in Wirklichkeit gar nicht die, wie lange der Arbeitgeber an seinem in der Vergangenheit geübten Verhalten soll festgehalten werden können, sondern vielmehr die, ob sich die Gegenseite in Fällen der vorliegenden Art überhaupt auf die Voraussetzungen einer Verwirkung soll berufen dürfen. Insoweit bestehen aber unüberwindbare Zweifel. Denn kennzeichnend für die hier in Rede stehende Problematik ist, daß die Erwartungen, die sich auf Seiten der Gewerkschaft gebildet haben mögen, auf ein zukünftiges (!) Verhalten der Gegenseite Bezug haben. Insoweit ist aber ein evtl. Vertrauen nach herrschender und zutreffender Auffassung grundsätzlich gar nicht schutzwürdig250. Das Instrument, das die Rechtsordnung für die rechtliche Gestaltung der Zukunft zur Verfügung stellt, ist nämlich der Vertragsschluß und das bedeutet, um mit Canaris zu sprechen, nicht mehr und nicht weniger, als daß "sich derjenige, der dieses Mittel nicht benutzt, selbst des Rechtsschutzes begibt"251 und somit auch daran gehindert sein muß, den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu erheben. Im Grunde liegt es nicht anders als in den Fällen der fehlenden Erfüllungsbereitschaft Ebenso wie grundsätzlich 252 keinen Schutz ver248
Gemeint sind die mit dem evtl. Firmentarifvertrag konkurrierenden Verbandstarifver-
träge. 249 lAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu § 1 TVG Friedenspflicht (u. III. d. Grde). 250 Allg. hierzu Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S, 352 f., 543 f. 251 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 353. 252 Mögliche - auf die hier vorliegende Problematik sicherlich nicht übertragbare - Ausnahmen werden diskutiert von Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, s. 353 ff.
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dient, wer auf die Bereitschaft des anderen Teils zur freiwilligen Erfüllung vertraut - statt seine Erwartung durch den Abschluß eines Vertrags zu sichern -, ist auch derjenige nicht schutzwürdig, der aus einem in der Vergangenheit beobachteten Verhalten der Gegenseite den Schluß zieht, daß es die andere Seite auch in Zukunft gegenüber einem Streik an der nötigen "Abwehrbereitschaft" werde fehlen lassen. Ganz abgesehen davon ergibt sich bei der Argumentation des LAG Frankfurt a. M. ein zusätzliches Problem. Folgt man diesem nämlich darin, daß der Arbeitgeber den die Friedenspflicht enthaltenden Verbandstarifvertrag unzulässigerweise jahrelang außer Anwendung gelassen hat, so würde man, wenn man hier einen Vernauensschutz der Gewerkschaft fordern wollte, dazu kommen, die Gewerkschaft in ihrer Erwartung zu schützen, der Arbeitgeber werde in der Zukunft ein rechtswidriges(!) Verhalten fortsetzen. Das aber kann schwerlich in Betracht kommen. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß ein Verzicht des Arbeitgebers auf seine aus der Friedenspflicht sich ergebenden Rechte grundsätzlich zulässig ist. Nicht zu sehen ist demgegenüber, wie dem Arbeitgeber der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung sollte entgegengehalten werden können. Bietet somit die Rechtsprechung kaum verwertbare Hinweise auf die Lösung des Problems der Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags gegen verbandsangehörige Arbeitgeber, so gibt es doch zahlreiche Stellungnahmen in der Literatur, die sich mit dieser Problematik befassen. Auch auf diese soll nachfolgend ein kurzer Blick geworfen werden.
2. Die herrschende Auffassung in der Literatur
Wer danach fragt, wie sich begründen lassen könnte, daß die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber ausgeschlossen ist, muß sich mit der entsprechenden Stellungnahme im Kommentar von Wiedemann auseinandersetzen, die man als Ausdruck der h. M. wird ansehen dürfen. Danach soll die Friedenspflicht auch eine "Schutzwirkung zugunsten der einzelnen Unternehmen" aufweisen, weil sich der einzelne Arbeitgeber "darauf verlassen können (müsse), daß die wirtschaftlichen Daten während der Laufzeit des Vertrages einheitlich253 bestehen und abgeändert werden"254. Aus Sicht der Gewerkschaft stelle sich demgegenüber die "Verpflichtung, keine Firmentarifverträge zu fordern" als "Konsequenz ihres eigenen Verbandstarifabschlusses" dar. Zwar sei ihr aufgrund des § 2 Abs. 1 TVG die Möglichkeit der Wahl zwischen Verbandstarifvertrag und Firmentarifvertrag eröffnet. Doch entfalle diese mit der EntscheiHervorhebung durch den Autor. Ebenso lAG Frankfurt a. M. v. 23. 4. 1985, LAGE Nr. 1 zu§ 1 TVG Friedenspflicht (u. 2b bb d. Grde), 253
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2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
dung zugunsten des erstgenannten Tarifvertrags, da das Vertrauen der "einzelnen organisierten Unternehmen" dann "schutzwürdiger" sei 255 •
a) Die" Wahlmöglichkeit" der Gewerkschaft
Das überzeugt aus verschiedenen Gründen nicht. Was zunächst die Gewerkschaftsseite betrifft, so liegt der geschilderten Konstruktion offenbar die Vorstellung zugrunde, daß diese an die Ausübung ihrer Freiheit zur Auswahl zwischen Arbeitgeberverband und Arbeitgeber gebunden ist bzw. ein "Verbrauch" dieser "Wahlmöglichkeit"256 eintritt, wenn sie sich zunächst auf den Abschluß eines Verbandstarifvertrags eingelassen hat. Beides läßt sich indes nicht begründen. Denn wenn die Tariffähigkeit des Arbeitgebers über den Zeitpunkt der Ausübung des gewerkschaftlichen Wahlrechts hinaus erhalten bleibt - und es besteht in der Tat kein vernünftiger Grund, etwas anderes anzunehmen257 -, so ist grundsätzlich davon auszugehen, daß auch auf der "tariflichen Gegenseite" die Befugnis zum Ergreifen von Arbeitskampfmaßnahmen weiterhin fortbesteht, da die Möglichkeit des Abschlusses von Firmentarifverträgen mit dem Arbeitgeber ohne die Arbeitskampfbefugnis der Gewerkschaft weitgehend leer liefe258 . Unter diesen Umständen ist aber nicht ersichtlich, wie man in der Entscheidung der Gewerkschaft zugunsten des Abschlusses eines Ver255 So Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 135 im Anschluß an Wiedemann/Stumpf § 2 Rn. 86; abl. zuletzt Valentin, Die Friedenspflicht in sachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht als (fehlender) Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen, 2000, S. 76 ff.; Sympathien dagegen bei Thüsing, NZA 1997, 294, 295; grundsätzlich zust. u. nur i. H. a. die sachliche Reichweite der Friedenspflicht abl. Schleusener, NZA 1998, 239, 240, dessen eigener Stellungnahme zum Problem indes zu widersprechen ist, weil er unzulässigerweise vom Inhalt der Friedenspflicht auf deren Adressaten schließt; für ein Verbot von "Hausarbeitskämpfen" bei laufendem Verbandstarifvertrag etwa auch MünchArbR-Löwisch/Rieble, 2. Aufl., 2000, § 277 Rn. 9; dies., in: FS Schaub, 1998, S. 457,470 sowie Heß, Zulässigkeit, Inhalt und Erstreikbarkeit betriebsnaher Tarifverträge, 1973, S. 115 ("Streik um firmentarifvertragliche Regelung nicht "sozialadäquat"); ders., ZfA 1976, 45, 61 ff.; Deeken, Betriebsnahe Tarifpolitik durch Zusatzverträge fiir einzelne Firmen?, Diss. Köln, 1965, S. 85 ff.; neuerdings auch Stein, RdA 2000, 129, 139 für den Fall, daß der Verbandstarifvertrag bereits eine Regelung dessen enthält, was im Wege des Abschlusses eines Firmentarifvertrags erst noch geregelt werden soll. 256 So ausdriicklich Oetker, in: Wiedemann, § 2 Rn. 135. 257 Da weder aus Sicht der Gewerkschaft noch aus der des einzelnen Arbeitgebers ein Grund besteht, den Beteiligten den Abschluß freiwilliger Tarifverträge zu verbauen, ließe sich ein Verlust der Tariffähigkeit des Arbeitgebers von vomherein nur mit dem Interesse des Arbeitgeberverbands rechtfertigen. Dieses vermag jedoch allenfalls eine entsprechende Lösung auf der Ebene der Tarifkonkurrenzen zu begründen. Dem Arbeitgeber sogleich die Fähigkeit zum Abschluß von Tarifverträgen zu nehmen, ginge dagegen viel zu weit und zwar auch und nicht zuletzt deshalb, weil dabei unweigerlich in - mindestens ebenso schutzwürdige - Interessen "dritter" Gewerkschaften eingegriffen würde. 258 Vgl. hierzu nur Kempen/Zachert §I Rn. 351m. w. Nachw.
§ 9 Die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft
151
bandstarifvertrags zugleich eine Entscheidung gegen einen evtl. Firmentarifvertrag sollte sehen und wie man unter diesem Gesichtspunkt zu einem Ausschluß der Erkämptbarkeit eines derartigen Tarifvertrags sollte kommen können. Etwas anderes ließe sich nur annehmen, wenn der Verbandstarifvertrag aufgrund seiner unmittelbaren und zwingenden Wirkung zu einer Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaften führen würde. Dies ist indes nach dem oben Gesagten gerade nicht der Fall259 . Erhärtet wird dieses Ergebnis durch einen Blick auf eine Problematik des allgemeinen Schuldrechts, die Problematik der elektiven Konkurrenz nämlich, an die man hier vergleichsweise denken kann. Bei dieser stellt sich bekanntlich die Frage, ob und inwieweit der Gläubiger an seine Wahl zwischen verschiedenen, ihm vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfen gebunden ist260. Bei allen Unterschieden, die zwischen den beiden Problemkreisen bestehen - ein bedeutsamer Unterschied liegt etwa darin, daß der Gläubiger bei einem Übergang von einem Rechtsbehelf zum anderen seine Entscheidung insgesamt rückgängig macht, während die Gewerkschaft sich nur im Hinblick auf den konkreten Arbeitgeber, also nur teilweise anders entscheidet, wenn sie zunächst eine verbandstarifliche Regelung trifft, um später einen Firmentarifvertrag anzustreben-, wird man zur Kenntnis nehmen müssen, daß eine Bindung des Gläubigers an seine Entscheidung in weitem Umfang verneint wird261 . Soweit hiervon nach h. M. eine Ausnahme zu machen262 und doch eine Bindung anzunehmen ist, sollte man sich aber im vorliegenden Zusammenhang auch hierauf nicht berufen, da sich diese bekanntlich nach verbreiteter, wenngleich höchst umstrittener Ansicht aus der gestaltenden Wirkung der Rücktrittserklärung ergibt263 : ob der Abschluß eines Verbandstarifvertrags die Rechtslage bei den Arbeitgebern, die an ihn gebunden sind, abschließend gestaltet, ist indes gerade die Frage.
b) Die Interessenlage des Arbeitgebers
Bemerkenswert ist die Parallele zur Problematik der elektiven Konkurrenz übrigens auch deshalb, weil sie unmittelbar zu einem anderen Gesichtspunkt überleitet, der auch bei der eben skizzierten Argumentation im Kommentar Wiedemanns eine wesentliche Rolle spielt. Es ist dies die Behauptung, der Arbeitgeber müsse sich darauf "verlassen können", daß "die wirtschaftlichen Daten während der Laufzeit des Vertrages einheitlich bestehen und abgeändert werden". Nun ist nicht zu bestreiten, daß der Arbeitgeber, der sich durch Eintritt in eine Koalition einem Ver259 260 26 1 262 263
Vgl. Kap. 3 § 8 IV. 2. Allg. hierzu etwa MünchKomm-Keller § 262 Rn. 15. Vgl. zur Problematik MünchKomm-Emmerich § 325 Rn. 31 ff. sowie§ 326 Rn. 126. Hinsichtlich der Befugnis zum Rücktritt. Vgl. hierzu insbes. MünchKomm-Emmerich § 325 Rn. 32m. w. Nachw.
152
2. Kap.: Die Erkämpfbarkeit von Verbands- und Firmentarifverträgen
bandstarifvertrag "unterwirft", typischerweise ein Interesse an der Geltung der Bestimmungen des Tarifvertrags hat. Und ebenfalls nicht bestreiten läßt sich, daß ein wesentlicher Vorteil des Abschlusses eines Verbandstarifvertrags gerade darin liegt, daß dieser für alle tarifgebundenen Arbeitgeber in seinem Geltungsbereich einheitlich erfolgt und daher hinsichtlich der von ihm verursachten Kosten "wettbewerbsneutral" ist. Die entscheidende Frage geht indessen dahin, inwieweit dieses Interesse auch rechtlich schutzwürdig ist. Insofern ist es zugegebenermaßen nicht ohne Überzeugungskraft, wenn man darauf hinweist, daß sich der Arbeitgeber auf den Bestand der einschlägigen "wirtschaftlichen Daten" verlasse. Auch - und hier kommt die Parallele zur elektiven Konkurrenz erneut ins Spiel - läßt sich nicht verkennen, daß gute Gründe dafür sprechen, den Berechtigten an der Ausübung seines Wahlrechts festzuhalten, wenn sich die andere Seite entsprechend "eingerichtet" hat264. Dennoch beruht die geschilderte Argumentation letztlich auf einer petitio principii: Auf den Bestand der "wirtschaftlichen Daten" verlassen darf sich der Arbeitgeber eben nur dann, wenn eine "Verdrängung" des Tarifvertrags, der diese Daten setzt, gegen seinen Willen ausgeschlossen wäre. Die Entscheidung dieser Frage hängt von nichts anderem als davon ab, ob man annehmen kann, daß die Erkämpfbarkeit des Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft zu verneinen ist, da die h. M. nun einmal so weit geht, einem Firmentarifvertrag sogar den Vorrang gegenüber einem konkurrierenden Verbandstarifvertrag einzuräumen265 • Doch bedarf das Problem, ob und inwieweit die Erkämpfbarkeit eines Firmentarifvertrags ausgeschlossen ist, erst noch der Klärung und demzufolge läßt sich weder sagen, daß im Abschluß eines Verbandstarifvertrags und im nachfolgenden Abschluß eines Firmentarifvertrags (bzw. einem entsprechenden Ansinnen gegenüber dem Arbeitgeber) ein rechtlich relevanter Selbstwiderspruch läge266, noch kann man ohne weiteres behaupten, daß der Arbeitgeber gegenüber den auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags zielenden Forderungen der Gewerkschaft auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes verweisen dürfe267 .
Vgl. insoweit nur MünchKomm-Emmerich § 325 Rn. 34. Vgl. hierzu nur Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 42 ff. 266 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Stellungnahme von Kempen/Zachert § 2 Rn. 101, wonach Gewerkschaften durch den Abschluß eines Verbandstarifvertrags "niemals bessere Arbeitsbedingungen in betriebsnäheren Firmentarifverträgen ausschließen" wollten; krit. hierzu Schleusener, NZA 1998, 239, 240 u. Hinw. auf die Notwendigkeit einer objektiven Bestimmung des Umfangs der Friedenspflicht und einer angeblichen "Kongruenz der Reichweite der Friedenspflicht zugunsten des Verbandes und der Verbandsmitglieder". 267 Für einen grundsätzlichen Schutz des "Vertrauens, nicht bestreikt zu werden", aber Stein, RdA 2000, 129, 139. 264 265
§ 9 Die Erkämptbarkeit eines Firmentarifvertrags durch die Gewerkschaft
153
3. Die eigene Auffassung zur Erkämptbarkeit eines Firmentarifvertrags gegen den verbandsangehörigen Arbeitgeber Vor diesem Hintergrund bleibt nichts anderes als die Einsicht, daß es einer Gewerkschaft nach Maßgabe der objektiven Wertungen des Tarifvertragsrechts auch gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber "an sich" nicht verwehrt wäre, einen Firmentarifvertrag zu erkämpfen. Davon unberührt bleiben "selbstverständlich" evtl. Einschränkungen der Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft aufgrund entsprechender tarifvertraglicher Abreden. Versuchen, das gegenteilige Ergebnis aus einer - wie auch immer beschaffenen -"Funktion" des Tarifvertrags zu begründen, ist eine Absage zu erteilen, da grundsätzlich nur die Tarifvertragsparteien selbst berufen sind darüber zu entscheiden, welche Zielsetzung sie mit ihrer tariflichen Regelung verfolgen wollen. Im übrigen ist aber zu beachten, daß die Bindungen, die sich aus der Tatsache des vorgängigen Abschlusses eines Verbandstarifvertrags ergeben mögen, nicht weiterreichen können, als die Wirkungen dieses Tarifvertrags. Doch hat sich eben sowohl im Hinblick auf die Unmittelbarkeit der Geltung des Tarifvertrags als auch im Hinblick auf seine zwingende Wirkung ergeben, daß eine Beschränkung der Arbeitskampfbefugnis der Gewerkschaft insoweit nicht zu rechtfertigen ist268 . Wenn die Arbeitskampffreiheit der Gewerkschaft letztlich dennoch als beschränkt angesehen werden muß, dann aus denselben Gründen, aus denen oben die Erkämpfbarkeit von Firmentarifverträgen durch den verbandsangehörigen und gern. § 3 Abs. 1 TVG an den bestehenden Verbandstarifvertrag gebundenen Arbeitgeber zu verneinen war: Da einerseits eine Konkurrenz von Firmen- und Verbandstarifvertrag - entgegen der h. M. und der Rechtsprechung des BAG, das insoweit das sog. Spezialitätsprinzip anwendet - richtigerweise nach Maßgabe des sog. Prioritätsprinzips zu entscheiden ist269 und da andererseits aus dem "Vorrang" des Verbandstarifvertrags ein Verbot folgt, (zunächst) "nachrangige" Firmentarifverträge gewissermaßen "auf Vorrat"(!) zu erkämpfen270, führt das Bestehen eines Verbandstarifvertrags im Ergebnis dazu, daß auch die am Abschluß des Verbandstarifvertrags beteiligte Gewerkschaft daran gehindert ist, einzelne verbandsangehörige Arbeitgeber auf den Abschluß eines Firmentarifvertrags in Anspruch zu nehmen27t.
268 Vgl. Kap. 3 § 7 IV. 1 u. 2; a.A. etwa Löwisch/ Rieble, in: FS Schaub, 1998, S. 457, 470, die einen Schutz des einzelnen Arbeitgebers vor einem "Hausarbeitskampf" bejahen, wenn mit der Mitgliedschaft "die Bindung an einen Verbandstarifvertrag und damit dessen Friedenspflicht einhergeht". 269 Vgl. Waas, Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität, 1999, S. 98 ff. 21o Vgl. Kap. 3 § 8 V. 2. 271 Im Ergebnis wie hier Wieland, Recht der Firmentarifverträge, 1998, S. 139, der ebenfalls zwischen der arn Verbandstarifvertrag beteiligten Gewerkschaft und "dritten" Gewerkschaften unterscheidet.
3. Kapitel
Zusammenfassung und Schlußbetrachtung Zum Abschluß der vorliegenden Arbeit erscheint es ratsam, sich die wichtigsten Ergebnisse nochmals kurz im Zusammenhang vor Augen zu führen.
§ 10 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse I. Die Grundlagen der Friedenspflicht Die Untersuchung hat gezeigt, daß die tarifvertragliche Friedenspflicht in der Tat auf einer Wertung des objektiven Rechts beruht. Zwar entspricht eine Friedensverpflichtung der Tarifparteien typischerweise dem Parteiwillen 1• Doch besteht eine Verpflichtung, Frieden zu halten, auch dann, wenn sie sich ausnahmsweise nicht auf den realen oder hypothetischen Willen der Beteiligten stützen läßt, ja sie besteht selbst dann, wenn die Beteiligten eine Friedenspflicht im Tarifvertrag ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen haben2 • Die Einsicht, daß Grundlage der (unabdingbaren) Friedenspflicht ein ungeschriebener Satz des objektiven Rechts und nicht etwa der Parteiwillen ist, sollte auch nicht überraschen. Denn wenn die Friedenspflicht einen "notwendigen" Bestandteil jedes Tarifvertrags darstellt - und so verhält es sich nach ganz h. M? -, dann ist es nur konsequent, sie vom Willen der Beteiligten zu lösen und ihren Geltungsgrund im objektiven Recht und nicht in den tarifvertragliehen Vereinbarungen der Beteiligten zu sehen, da nun einmal nur die Bestimmungen einer .. höheren Regelungsebene" für die Beteiligten eines Vertrags zwingend sein können4 • Anders ausgedruckt: Die Unabdingbarkeit der Friedenspflicht läßt sich nur dann begriinden, wenn man ihre Grundlage auf eine objektivrechtliche Wertung zuriickzuführen vermag. V gl. Kap. 1 § 3 II. Vgl. Kap. 1 § 3 II. 3 V gl. insoweit nur Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 671 ff.; auch Löwisch/Rieble, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 150. 4 So etwa auch (mit Blick auf die Regelung des § 613a Abs. 1 S. 2-4 BGB) Zöllner, DB 1995, 1401, 1402. 1
2
§ 10 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
155
Daß die Parteien eines Tarifvertrags stets eine objektivrechtliche Friedenspflicht trifft, die von diesen auch nicht abbedungen werden kann, ergibt sich zunächst aus dem Rechtsstaatsprinzip, aus dem folgt, daß sich die Normunterworfenen wenigstens in gewissem Umfang auf den Fortbestand der Regelung sollen einrichten können5 • Darüber hinaus muß die Friedenspflicht aber auch deshalb auf einen ungeschriebenen Satz des objektiven zwingenden Gesetzesrechts zuriickgeführt werden, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der tarifvertragliehen Begrundung ihrer Rechte und Pflichten nicht schlechter gestellt sein dürfen, als sie im Fall einer individualvertraglichen Abrede stünden6 . Individualvertraglich gesehen wäre aber von vornherein nicht zu befürchten, daß sie gegen ihren Willen und ohne irgendeine Grundlage im Arbeitsvertrag einen Rechtsverlust oder eine Änderung ihrer Rechte erleiden könnten. Für das Bestehen einer objektivrechtlichen Friedenspflicht spricht schließlich auch der Vertragscharakter des Tarifvertrags7 . Wenngleich es mit diesem nicht schlechthin unvereinbar ist, den Beteiligten die Befugnis zur Einwirkung auf den Willen des jeweils anderen Teils einzuräumen, so würde die Anerkennung einer Befugnis zum Ausschluß der Friedenspflicht doch notwendigerweise zu einer weitgehenden Entwertung des Vertrags und der darin enthaltenen Versprechen führen-, eine Entwertung, die mit dem Vertragsprinzip, auf dem die tarifvertragliche Rechtsetzung beruht8 nur schwer zu vereinbaren wäre. Auch die Tarifautonomie kann übrigens nicht so weit reichen, daß das Versprechen als Grundlage der tariflichen Rechte und Pflichten relativiert wird9 . Aus den eben genannten Gesichtspunkten ergibt sich das Bestehen der Friedenspflicht. Abzulehnen sind demgegenüber Überlegungen, diese auf Gewohnheitsrecht, auf den Satz pacta sunt servanda oder das Verbot widerspruchliehen Verhaltens zuriickzuführen 10• Dasselbe gilt für den häufig anzutreffenden Versuch einer Herleitung der Friedenspflicht aus der Friedens- oder Ordnungsfunktion des Tarifvertrags, bei deren Betrachtung sich nicht zuletzt gezeigt hat, daß es keinesfalls angeht, dem Tarifvertrag einen Zweck zu "unterlegen", der im Willen der Tarifparteien selbst keine ausreichende Grundlage hat 11 •
s Vgl. Kap. 1 § 3 II. 3a. Vgl. Kap. 1 § 3 II. 3b. Vgl. Kap. 1 § 3 II. 3c. s Und das mit der "Richtigkeitsgewähr" des Tarifvertrags im engsten Zusammenhang steht; vgl. Kap. 1 § 3 li. 3c. 9 Das gilt um so mehr, wenn man die Möglichkeit bedenkt, daß der tarifvertragliche Ausschluß der Friedenspflicht seinerseits unter dem Eindruck der Drohung mit einem Arbeitskampf zustande gekommen sein mag. 10 Vgl. Kap. 1 § 3 I. 1-3. II Vgl. Kap. 1 § 3 I. 4. 6
7
3. Kap.: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung
156
II. Die "Drittwirkungen" der Friedenspflicht Was die Frage der Drittwirkungen der Friedenspflicht betrifft, so stand zu Beginn der Untersuchung dieser Frage die Einsicht, daß hinsichtlich der konstruktiven Bewältigung der Friedenspflicht grundsätzlich zwei Möglichkeiten bestehen: entweder sieht man in der Friedenspflicht im Einklang mit der h. M. eine rein schuldrechtliche Verpflichtung, die im wesentlichen auf ein Unterlassen gerichtet ist. Oder man geht darüber noch hinaus und betrachtet die Friedenspflicht als unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Beteiligten, aufgrund der die Befugnis zum Arbeitskampf (zeitweilig) ohne weiteres entfällt 12 • Die oben angestellten Überlegungen haben gezeigt, daß die Friedenspflicht im letztgenannten Sinn zu interpretieren ist. Der ausschlaggebende Gesichtspunkt war dabei, daß nur schwer einsichtig zu machen wäre, weshalb der Gesetzgeber den Beteiligten nur eine Unterlassungspflicht auferlegt haben sollte, ohne zugleich auch deren Arbeitskampffreiheit einzuschränken - und damit in diesem Fall den Anwendungsbereich einer Haftung nach §§ 823 ff. BGB zu eröffnen. In diesem Zusammenhang hat sich zugleich ergeben, daß es in der Tat unbedenklich ist, wenn man den friedenspflichtwidrigen Arbeitskampf mit der wohl h. M. gleichzeitig als "rechtswidrig" i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB ansieht 13 . Daß damit eine gewisse "Aufwertung" der deliktsrechtlichen Sichtweise des Arbeitskampfs einhergeht, versteht sich geradezu von selbst. Doch bedeutet das noch nicht notwendigerweise, daß - daneben - nicht auch eine vertragsrechtlich orientierte Sicht berechtigt wäre: einer "Zweispurigkeit" der dogmatischen Betrachtung steht mit anderen Worten auch vom Boden der hier vertretenen Auffassung nicht von vomherein etwas entgegen. Hinsichtlich der konkreten Wirkungen der Friedenspflicht gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber war zunächst festzuhalten, daß diesen in der Tat eine entsprechende körperschaftliche Verpflichtung gegenüber "seinem" Verband trifft. Wenn vorliegend von der h. M. teilweise abgewichen wurde, dann nur insoweit, als es um die rechtliche Begründung dieser Verpflichtung des Arbeitgebers geht 14. Festzuhalten war überdies auch, daß sich, vom Boden der herrschenden Dogmatik aus betrachtet, eine "Drittbelastung" des Arbeitgebers nicht rechtfertigen läßt. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Versuch Ramms, eine unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers aus der Friedenspflicht zu begründen - , ein Versuch, der weder auf der schadensersatzrechtlichen noch auf der arbeitskampfrechtlichen Argumentationsebene wirklich überzeugen kann 15 •
12 13 14
15
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Kap. Kap. Kap. Kap.
1 § 4 a.A. 1 § 4 li. 1 § 5 I. 1. 1 § 5 Il.
§ 10 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
157
Demgegenüber wurde oben der Nachweis geführt, daß den Drittwirkungen der Friedenspflicht, vom Ausgangspunkt der objektivrechtlichen Begründung dieser Verpflichtung aus, verhältnismäßig deutliche Konturen verliehen werden können. Dabei hat sich zunächst gezeigt, daß ein bestehender Verbandstarifvertrag Versuchen des verbandsangehörigen Arbeitgebers entgegensteht, .,auf eigene Faust" zu einer Änderung oder Beendigung dieses Tarifvertrags zu kommen. Ausschlaggebend war dabei letztlich die Erkenntnis, daß die entsprechende Arbeitskampfbefugnis des einzelnen Arbeitgebers nicht unverbunden neben der Arbeitskampffreiheit des Verbands steht, dem er angehört 16• Dementsprechend läßt sich insoweit durchaus sagen, daß die Begrenzung der Arbeitskampffreiheit des verbandsangehörigen Arbeitgebers dieser ,,immanent" sei, also gar nicht .,von außen" an sie .,herangetragen" wird bzw. werden muß 17 • Was andererseits Versuche der Gewerkschaft betrifft, auf dem Wege des Arbeitskampfs zur Änderung oder Beendigung eines bestehenden Verbandstarifvertrags zu kommen, so wurde festgestellt, daß der verbandsangehörige Arbeitgeber insoweit nicht allein auf Schadensersatzansprüche verwiesen ist - die tarifvertraglich auch nicht abbedungen werden können 18 -, sondern die kampfführende Gewerkschaft darüber hinaus unmittelbar auf Unterlassung in Anspruch nehmen kann 19 . Dem Arbeitgeber nur dann Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche zuzubilligen, wenn zwischen den Tarifvertragsparteien eine entsprechende Abrede getroffen wurde, wäre, wie sich gezeigt hat, mit der objektivrechtlichen Begründung der Friedenspflicht und den ihr zugrunde liegenden Wertungen nicht vereinbar. Weitaus schwieriger ließ sich die Frage beantworten, welcher Raum für Arbeitskämpfe um Firmentarifverträge gegeben ist, wenn zwischen den Beteiligten ein Verbandstarifvertrag besteht. Dabei war zunächst festzustellen, daß die Fähigkeit des Arbeitgebers zum Abschluß von Tarifverträgen seinen Beitritt zu einem Arbeitgeberverband überdauert und zwar auch dann, wenn die Satzung des Verbands etwas anderes bestimmt20. Wenn die Erkämpfbarkeit von Firmentarifverträgen in derartigen Fällen dennoch für beide Seiten, also für den einzelnen Arbeitgeber ebenso wie für die Gewerkschaft, ausgeschlossen ist, so ergibt sich dies -jenseits aller verfassungsrechtlicher Erwägungen2 1 - wiederum daraus, daß einerseits die Konkurrenz von Firmen- und Verbandstarifvertrag nach Maßgabe des sog. Prioritätsprinzips (und nicht nach dem von Rechtsprechung und h. M. favorisierten sog. Spezialitätsgrundsatz) aufzulösen ist22 und andererseits dem .,Vorrang" des VerVgl. Kap. 2 § 6 I. Nachw. zur sog. ,.Immanenz-" oder ,.lnnentheorie", hinsichtlich der insoweit gewisse Parallelen bestehen, etwa bei Staudinger-Schmidt § 242 Rn. 763. 18 Vgl. Kap. 2 § 7 II. 1. 19 Vgl. Kap. 2 § 7 II. 2. zo Vgl. Kap. 2 § 8 III. 21 Vgl. Kap. 2 § 91. 22 Vgl. Kap. 2 § 8 V. 1 u. § 9 II. 3. 16
17
158
3. Kap.: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung
bandstarifvertrags, zu dem man auf der Grundlage des Prioritätsprinzips kommt, ein Verbot entnommen werden muß, "nachrangige" Firmentarifverträge gewissermaßen "auf Vorrat"(!) zu erkämpfen 23 . Mit der letztgenannten Erwägung wird die Wertung, die für den Bereich der Tarifkonkurrenz nachgewiesen wurde, gewissermaßen in das Arbeitskampfrecht "verlängert".
§ 11 Schlußbetrachtung Das wichtigste Ergebnis der vorstehenden Untersuchung dürfte sein, daß die Friedenspflicht des Tarifvertrags auf objektivem Recht beruht und zu einer unmittelbaren Beschränkung der Arbeitskampffreiheit der Beteiligten führt, also nicht nur rein schuldrechtlich wirkt. Damit zeigt sich nämlich, daß der im tarifrechtliehen Schrifttum immer wieder repetierten Erkenntnis eine Absage erteilt werden muß, wonach im Tarifvertragsrecht das Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter zu beachten see4 • So zutreffend diese Behauptung für sich genommen auch ist, so irreführend und verkürzend ist sie im vorliegenden Zusammenhang. Verkürzend ist sie insoweit, als man die Frage nicht ausklammern kann, ob die evtl. Drittwirkungen wirklich vertragsrechtlich legitimiert sein müssen. Und da man diese Frage nach richtiger Ansicht verneinen muß, ist die Behauptung zugleich auch irreführend: Das Problem der Legitimation evtl. Drittwirkungen stellt sich überhaupt nur dann, wenn diese nicht schon aufgrund objektiven Rechts eintreten. Doch ist gerade dies hinsichtlich der Friedenspflicht der Fall - und deshalb geht der Hinweis auf das Verbot des Vertrags zu Lasten Dritter notwendigerweise fehl, da er den Blick darauf verstellt, daß es gar nicht Sache der Tarifparteien ist, darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Verbandsmitglieder zum Arbeitskampf befugt sein sollen oder nicht. Entsprechendes gilt für die Behauptung der h. M., daß eine Begünstigung des einzelnen Arbeitgebers aus der Friedenspflicht nur dann in Betracht komme, wenn der Tarifvertrag insoweit entweder als Vertrag zugunsten Dritter - dann im Fall des "friedenspflichtwidrigen" Arbeitskampfs ein unmittelbarer Unterlassungsanspruch gegen die Gewerkschaft - oder als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte - dann wenigstens ein Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers - angesehen werden könne. In Wirklichkeit kann der Arbeitgeber stets Unterlassung und, im Fall des fortgesetzten Zuwiderhandeins der Gewerkschaft, Ersatz des eingetreten Schadens verlangen. Auch im Hinblick auf die Rechte des Arbeitgebers aus der Friedenspflicht führt die herrschende rein schuldrechtliche Betrachtung somit in die Irre, da es eher geeignet ist, die eigentlich maßgeblichen Wertungsgesichtspunkte zu vernebeln, wenn man beispielsweise, wie die h. M. dies tut, auf die Voraussetzungen 23 24
Vgl. Kap. 2 § 8 V. 2 u. 9 II. 3. Vgl. hierzu nur Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/ 1, 7. Aufl., 1967, § 23 CI., S. 497.
§ 11 Schlußbetrachtung
159
eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und damit auf die Voraussetzungen für das Vorliegen eines solchen abstellt, also auf Leistungsnähe des Dritten, Interesse des Anschlußgläubigers am Schutz des Dritten und Erkennbarkeit des geschützten Personenkreises25 • Das gilt v. a. hinsichtlich des erstgenannten Erfordernisses. Zwar kann man eine hinreichende Vertragsnähe des Verbandsmitglieds in Fällen der vorliegenden Art verhältnismäßig leicht bejahen. Doch läßt sich die Interessenlage des Dritten ersichtlich wesentlich schärfer charakterisieren, wenn man darauf abhebt, daß ein Verband schon kraftungeschriebenen objektiven Rechts die Unterlassung von Maßnahmen schuldet, die nicht nur auf die Interessen des Vertragspartners, sondern zugleich auch auf die der Dritten abzielen, da das Instrument zur Einwirkung auf den Verbandswillen, das im Arbeitskampf eingesetzt wird, nun einmal in nichts anderem als darin besteht, dem Dritten durch Suspendierung der arbeitsvertragliehen Rechte und Pflichten Schaden zuzufügen26•
* Das Ziel der vorliegenden Untersuchung bestand darin, einerseits einen Beitrag zur dogmatischen Grundlegung der Friedenspflicht zu leisten und andererseits, hierauf aufbauend, zu konkreten Aussagen über die "Drittwirkungen" dieser Pflicht zu gelangen. Dabei hat sich, um dies nochmals zu sagen, gezeigt, daß die Friedenspflicht "in Wirklichkeit" auf einer Wertung des objektiven Rechts beruht, die grundsätzlich auch die Reichweite der Friedenspflicht zugunsten und zu Lasten der Verbandsmitglieder bzw. der am Tarifvertrag beteiligten Verbände bestimmt. Die Klärung der Frage, welche konkreten Auswirkungen diese Erkenntnis für einzelne Fragen des Tarifrechts hat, kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Doch ist immerhin darauf hinzuweisen, daß diese jedenfalls nicht unbeträchtlich erscheinen. Zur Illustration soll hier, in aller Kürze, auf zwei Problemkreise eingegangen werden: die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags und die Problematik der Betriebsnormen27 • Was die erstgenannte Problematik betrifft, so hat man sich in Erinnerung zu rufen, daß der nichtorganisierte Arbeitgeber aus der Friedenspflicht eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags nach allgemeiner Auffassung keinerlei Rechte für sich herleiten kann: weder soll im Bereich der Allgemeinverbindlicherklärung für dritte Verbände eine Friedenspflicht erzeugt werden28 , noch- und dies ist hier entscheidend - sollen Nichtorganisierte schuldrechtliche Ansprüche aus dem für allgemeinVgl. hierzu statt aller Gemhuber; Das Schuldverhältnis, 1989, § 21 li. 2, S. 520 ff. Zum Ruhen der Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag als Wirkung der Teilnahme an einem Streik zuletzt BAG v. 3. 8. 1999, AP Nr. 156 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (u. I. I d. Grde). 27 Eine weitere Frage, die in diesen Zusammenhang gehört - hier aber, auch angesichts ihrer Komplexität, nicht vertieft werden soll -, betrifft das Problem einer Friedenspflicht zugunsten des ausgeschiedenen Mitglieds; vgl. hierzu nur Oetker; in: Wiedemann, § 3 Rn. 59 m. w. Nachw. 28 Vgl. nur Wank, in: Wiedemann, § 5 Rn. 157. 25
26
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3. Kap.: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung
verbindlich erklärten Tarifvertrag erwerben können29. Beides erscheint vom Boden der ganz h. M. aus nur konsequent, da sich die Wirkungen einer Allgemeinverbindlicherklärung nach dem insoweit unzweideutigen Wortlaut des § 5 Abs. 4 TVG ausschließlich auf die "Rechtsnormen" des Tarifvertrags beziehen, die Friedenspflicht indes dem schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags angehört. Nach der hier vertretenen Auffassung ist es demgegenüber nicht ausgeschlossen, zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Denn wenn die Friedenspflicht, unabhängig vom konkreten Parteiwillen, kraft ungeschriebenen objektiven Rechts wirkt, dann stellt sich nur noch die Frage, ob die nichtorganisierten Arbeitgeber im Fall der Allgemeinverbindlicherklärung nach der insoweit allein ausschlaggebenden objektiven Wertung des Gesetzes(!) in den Genuß der Begünstigungen aus der Friedenspflicht kommen sollen oder nicht. Ob die der Friedenspflicht zugrunde liegende Wertung ein solches Ergebnis "hergibt", soll vorliegend, wie gesagt, dahingestellt bleiben. Festzuhalten ist an dieser Stelle nur, daß der Annnahme einer entsprechenden Begünstigung der Nichtorganisierten, vom hier vertretenen Standpunkt aus, wesentlich geringere Bedenken entgegenstünden, als dies unter dem Blickwinkel der ganz h. M. der Fall ist. Entsprechendes gilt mit Blick auf das zweite der eben genannten Beispiele, den Problemkreis der Normen über "betriebliche Fragen" i. S. d. § 3 Abs. 2 TVG. Insoweit kann man z. B. das Problem aufwerfen, ob sich auch nichtorganisierte Arbeitnehmer auf eine evtl. Begünstigung aus der Friedenspflicht des Tarifvertrags berufen können, wenn ein vom Arbeitgeber geführter (und ggf. vom Arbeitgeberverband initiierter) Arbeitskampf auf die diesbezüglichen Regelungen eines Tarifvertrags zielt30. Vom Boden der ganz h. M. aus betrachtet läßt sich diese Frage wohl nur verneinen. Zwar ist die Geltung der Betriebsnormen des Tarifvertrags gern. §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 S. 1 TVG nur von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers und nicht auch von der des Arbeitnehmers abhängig. Doch beschränkt sich der Verzicht auf das Erfordernis der beiderseitigen Tarifgebundenheit zugleich auf die entsprechenden Normen des Tarifvertrags, so daß jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, der Gesetzgeber habe den nichtorganisierten Arbeitnehmern auch noch evtl. Begünstigungen aus der Friedenspflicht zugute kommen lassen wollen31 • Unter dem Blickwinkel der hier entwickelten Auffassung erscheint eine Begünstigung dieser 29 Vgl. nur Wank, in: Wiedemann, § 5 Rn. 158. Eine ganz andere Frage ist selbstverständlich, ob die Tarifvertragsparteien daran gehindert sind, insoweit Rechte zugunsten der nichtorganisierten Dritten zu begründen - , womit die Friedenspflicht indes noch stets unabhängig von der Allgemeinverbindlicherklärung wirken würde; vgl. wiederum Wank, § 5 Rn. 158 u. § 1 Rn. 751. 30 Die Frage, ob und inwieweit die Aussperrung Nichtorganisierter überhaupt zulässig wäre, soll dabei einmal ausgeklammert bleiben; vgl. zu diesem Problemkreis etwa Gebhardt, Außenseiter im Arbeitskampf in Deutschland und im Ausland, 1999, S. 79 ff.; Lembke, Die Arbeitskampfbeteiligung von Außenseitern, 1999, S. 93 ff.; Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1996, S. 59 ff. 31 Daß eine entsprechende Begünstigung (auch) der Nichtorganisierten nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien selbst entspricht, dürfte, vom Standpunkt der h. M. aus, ohnehin verhältnismäßig deutlich sein.
§ II Schlußbetrachtung
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Arbeitnehmer demgegenüber nicht von vomherein als unplausibel. Auch wenn die Frage an dieser Stelle keiner abschließenden Klärung zugeführt werden soll, ist demgemäß festzuhalten, daß sich der in dieser Untersuchung vertretene Standpunkt auch hinsichtlich der Problematik der Betriebsnormen als durchaus "folgenschwer" erweisen könnte. Es bleibt, auf einen letzten Gesichtspunkt aufmerksam zu machen. Dieser besteht darin, daß die hier entwickelte Konzeption der Friedenspflicht und ihrer Drittwirkungen gegenüber der h. M. auch denn vorzugswürdig sein dürfte, wenn es um die rechtliche Bewältigung der Wirkungen eines Arbeitskampfs im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer geht32• Das kann zwar an dieser Stelle ebenfalls nur angedeutet und nicht weiter ausgeführt werden. Doch ist immerhin darauf hinzuweisen, daß eine rein schuldrechtliche Sichtweise der Friedenspflicht insoweit von vornherein unbefriedigend bleibt: Die Friedenspflicht auf nichts anderes als auf eine Abrede der Tarifparteien stützen und mögliche Drittwirkungen allein aufgrund vertragsrechtlicher Grundsätze legitimieren zu wollen, muß angesichts des Verbots eines Vertrags zu Lasten Dritter notwendigerweise dort versagen, wo es um belastende Drittwirkungen geht. Vor allem ist damit aber dann nicht weiterzukommen, wenn Wirkungen im Verhältnis der Dritten zueinander in Rede stehen, da vertragsrechtlich allenfalls ein Anspruch des Dritten gegen den Vertragspartner des "Anschlußgläubigers" und nicht auch Wirkungen gegen einen anderen "Dritten" legitimiert werden könnten. Daß die h. M. "unbewußt" durchaus von derartigen Wirkungen der Friedenspflicht ausgeht, wird indessen deutlich, wenn man die Bewertung bedenkt, die der rechtswidrige - und d. h. hier in erster Linie: friedenspflichtwidrige - Arbeitskampf des Arbeitgebers auf der individualvertraglichen Ebene erfährt33 . Insoweit gilt nämlich, daß eine rechtswidrige Aussperrung nach allgemeiner Auffassung rechtlich wirkungslos bleibt; die Erklärung einer Aussperrung vermag also weder die Vergütungspflicht, noch die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers zu beseitigen, da die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis durch eine derartige Arbeitskampfmaßnahme nicht suspendiert werden 34 . Geht man nun aber zusätzlich davon aus, daß auch der wegen Verstoßes gegen die Friedenspflicht unzulässige Streik einer Erfüllungsverweigerung des Arbeitnehmers ihre Berechtigung nimme5 , so erscheint es, vom Boden der hier entwickelten Konzeption aus beurVgl. hierzu zuletzt Beninca, Arbeitskampf und Arbeitsverhältnis, 1998. Aus rechtsvergleichender Sicht zu dieser Thematik etwa Nurhan, Die Auswirkungen der tariflichen Friedenspflicht auf das Einzelarbeitsverhältnis nach dem Recht der Türkei und nach deutschem Recht, Diss. München, 1964 sowie Zimmer, Die Auswirkung der tariflichen Friedenspflicht auf das Einzelarbeitsverhältnis nach schwedischem und nach deutschem Recht, Diss. Münster, 1961. 34 Vgl. nur MünchArbR-Otto, 2. Auf!., 2000, § 289 Rn. 55; auch Löwisch/Krauß, in: Löwisch (Hg.), Arbeitskampf- und Schlichtungsrecht, 1997, S. 197 f.; BroxlRüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Auf!., 1982, S. 205. Von keinem der genannten Autoren wird allerdings die friedenspflichtwidrige Aussperrung ausdrücklich erwähnt. 32 33
II Waas
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3. Kap.: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung
teilt, mehr als naheliegend anzunehmen, daß die Arbeitskampffreiheit der Arbeitsvertragsparteien durch die tarifvertragliche Friedenspflicht auch im Verhältnis zueinander unmittelbar eingeschränkt wird. Das Instrumentarium des Vertrags zugunsten Dritter bzw. des Vertrags mit Schutzwirkung wäre demgegenüber, wie gesagt, überfordert. Bedenkt man zugleich, daß es sich angesichts der Wirkungslosigkeit der rechtswidrigen Aussperrungserklärung gegenüber den Arbeitnehmern geradezu aufdrängt, auch im Verhältnis zur Gewerkschaft eine entsprechende Beschränkung anzunehmen, so wird man der individualrechtliehen Bewertung des illegalen Arbeitskampfs überdies eine weitere Bestätigung für das hier gefundene Ergebnis entnehmen können, daß die Arbeitskampffreiheit der Beteiligten auf der Grundlage der Friedenspflicht unmittelbar eingeschränkt wird.
35 So jedenfalls wohl Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., 1982, S. 195, wonach es nicht darauf ankomme, aus welchem Grund der Streik rechtswidrig sei.
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Sachregister allgemeinverbindlich 40, 160 Allgemeinverbindlicherklärung 40, 45, 159 Anerkennung des geltenden Tarif-, Schlichtungs- und insbesondere auch Arbeitskampfrechts 56 Angriffsaussperrung 100- 102 Angriffsaussperrung um einen Firmentarifvertrag 101 Annexkompetenz 62 Arbeitskampf "auf eigene Faust" 55, 84, 92, 157 Arbeitskampf und Allgemeininteresse 35 Arbeitskampffreiheit und Art. 9 Abs. 3 GG 33 Ausschließlichkeitsbindung 138 Berechtigung des Arbeitgebers zum Schadensersatz 94 Beständigkeit staatlicher Regelungen 37 Betriebsnormen 122, 129, 159- 161 betriebsverfassungsrechtliche Normen 122, 129
Friedenspflicht als schuldrechtliche Verpflichtung 47 Friedenspflicht als unmittelbare Beschränkung der Arbeitskampffreiheit 47-48, 156 Friedenspflicht als unmittelbare Verpflichtung kraft objektiven Rechts 65ff. Friedenspflicht und Vertragsprinzip 42ff. friedenspflichtwidriger Arbeitskampf als rechtswidriger Arbeitskampf i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB 50ff. Gebot der Rechtssicherheit 37 Gemeinwohlvorbehalt 35 generelle Unzulässigkeit der Angriffsaussperrung 100-102 gespaltene Tariffähigkeit 117 gespaltenes Rechtswidrigkeitsurteil über einen Arbeitskampf 96- 97 Gewohnheitsrecht als Grundlage der Friedenspflicht 21 - 24 Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. I GG 109 Grundrechtsträgerschaft 85 - 88, 103- 105
culpa in contrahendo 48, 88, 90 - 91 Differenzierungstheorie 80- 82, 96 Doppelgrundrecht, Lehre vom 87, 103-104 Drittschadensliquidation 74-75 Drittwirkung der Friedenspflicht 52ff. Eigenschaden des Verbands 68 - 72 Einwirkungspflicht 82 elektive Konkurrenz 151-152 firmenbezogener Verbandstarifvertrag 109 Firmentarifvertrag 30-31, 84, 99-130, 130-153 Folgepflicht 118 Friedensfunktion des Tarifvertrags 28 - 29
Individual- oder Firmenaussperrung 100 Inhaltsnormen 122, 128 Kalkulierbarkeit des Tarifvertrages 39-40 Koalitionsfreiheit als ein summiert-individuales (und interindividuales) Verhalten der einzelnen Mitglieder 86, 104 Koalitionsfreiheit als sogenanntes Doppelgrundrecht 85, 103 Koalitionsfreiheit und Gewährleistung einer bestehenden Tarifbindung 133-137 Koalitionsfreiheit und Schutz der Rechtsstellung als Mitglied 132-133 Kombinationstheorie 81 körperschaftliche Friedenspflicht 56, 60
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Sachregister
körperschaftliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitgeberverband 53-59 körperschaftlicher Willensakt 57-58 laufende Tarifbeziehungen 56 Lehre vorn Doppelgrundrecht 87, 103 Loyalitätspflicht 55-57, 142 negative Koalitionsfreiheit 107 Normzweck des§ 2 Abs. 1 TVG 108-119 Ordnungsfunktion des Tarifvertrags 30- 31, 155 pacta sunt servanda als Grundlage der Friedenspflicht 24- 25 Prioritätsgrundsatz 125 - 126 psychisch vermittelte Kausalität 69 Rechtarn Arbeitsplatz 75,91 Recht arn eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 75, 88- 89, 91, 95, 97 Rechtsetzungsvertrag 66 Rechtsnatur des Tarifvertrags 67 Rechtsstaatsprinzip 37-41,46, 155 reflektorische Drittwirkung 90 Richtigkeitschance des Tarifvertrags 44 Richtigkeilsgewähr des Tarifvertrags 4445, 128, 130 Rückwirkungsverbot 37 Satzungsautonomie 118 Schutzbedürfnis auf Seiten der Arbeitnehmer 41-42 Schutzpflichten des Arbeitgebers 88, 90-91 Spezialitätsprinzip 123-130, 153 Statuierung eines satzungsmäßigen Verbots von Firmentarifverträgen 119 Streik als ,,kollektive Aktion" 79 Tarifautonomie 22, 33-34,40-42, 72, 102, 112, 155 Tarifflihigkeit55-56,106-122,131,135136, 139, 150 Tariffähigkeit des Arbeitgebers und Arbeitgeberinteresse 106- 107 Tarifflihigkeit des Arbeitgebers und Interessen der Gewerkschaft 108- 109
Tarifgebundenheit 83, 90, 116, 125, 160 Tarifkonkurrenz 118, 120, 123-130, 151, 153, 157 Tarifunflihigkeit, gewollte 116 teleologische Reduktion des § 2 I TVG 106-117 Theorie vorn Rechtsetzungsvertrag 66 Übermaßverbot 34 Unbeschränkbarkeit der Verfügungsmacht 118 Ungleichgewicht der Beteiligten 41 Unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber der Gewerkschaft aufgrund Rechtsgeschäfts 60- 63 Unmittelbare Verpflichtung des verbandsangehörigen Arbeitgebers aufgrund einer Ausübung der tariflichen Rechtsetzungsrnacht 61-63 Unmittelbare Verpflichtung kraft objektiven Rechts als Haftung der Mitglieder des Arbeitgeberverbands 63 - 65 unmittelbare Wirkung des Tarifvertrags 120 Unterlassungsanspruch des Arbeitgebers 97-99 Unterstützungsleistungen des Verband 6871 unzulässige Rechtsausübung 145 verbandsrechtliche Förderpflicht 55-57 verbandsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz 109 Verbandstarifvertrag 84 - 92, 92- 99 Verbandstheorie 54, 66, 70, 78 Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Grundlage der Friedenspflicht 26- 27 Verkehrspflichten des Arbeitgebers 48, 88, 91 - 92 Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 7475,77, 83,93-94,97, 158 Vertrag zugunsten Dritter 75-76, 91, 9394, 158 Verwirkung 146- 148 Verzicht auf die Arbeitskampfbefugnis 141-142 Verzicht auf die Rechte aus der Friedenspflicht 145
Sachregister Wahlmöglichkeit der Gewerkschaft 150151 Wegfall der Tariffähigkeit I 06ff.
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Zulässigkeil der Angriffsaussperrung 1OOff. zwingende Wirkung des Tarifvertrags 121122