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German Pages 178 Year 1996
GREGOR THÜSING
Der Außenseiter im Arbeitskampf
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 148
Der Außenseiter im Arbeitskampf Zur Rechtsstellung des nicht und des anders organisierten Arbeitnehmers und Arbeitgebers bei Streik und Aussperrung
Von Gregor Thüsing
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Thüsing, Gregor: Der Aussenseiter im Arbeitskampf : zur Rechtsstellung des nicht und des anders organisierten Arbeitnehmers und Arbeitgebers bei Streik und Aussperrung / von Gregor Thüsing. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 148) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1995/96 ISBN 3-428-08717-8 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-08717-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @
Gertrud Freitag (1904 - 1993) zum Gedenken
Vorwort Die vorliegende Ausarbeitung wurde im Wintersemster 1995/96 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Ich danke meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Herbert Wiedemann, für die Anregung des Themas, vor allem aber auch dafür, daß er mir stets die nötigen Freiräume gewährte, im Rahmen meiner Mitarbeitertätigkeit am Institut für Arbeitsund Wirtschaftsrecht dieser Ausarbeitung nachzugehen. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Hanau schulde ich Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch den zahlreichen Vertretern der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die mir die nötigen rechtstatsächlichen Grundlagen zum Verständnis der Außenseiterproblematik vermittelten. Stellvertretend seien hier für die Gewerkschaftseite Herr Hermann Unterhinnighofen, IG Metall, und Rudolf Buschmann, Leitender Redakteur Arbeit und Recht, für die Arbeitgeberseite Herr Rechtsanwalt Ulrich Krichel, Gesamtmetall, und Herr Rechtsanwalt Rainer Mauer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Bekleidungsindustrie, genannt. Schließlich danke ich der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Gewährung eines Promotionsstipendiums und der Bayer Stiftung für deutsches und internationales Arbeits- und Wirtschaftsrecht für einen Druckkostenzuschuß. Gewidmet ist diese Arbeit dem Gedenken an meine Großmutter Frau Gertrud Freitag, die - 1993 im Alter von 88 Jahren verstorben - so gerne noch erlebt hätte, daß ihr Enkel promoviert wird. Gleichzeitig möchte ich in die Widmung einbeziehen meine Eltern, Dipl.-Psych. Elisabeth und Dr. iur. Rudolf Thüsing, meine Brüder Clemens und Matthias Thüsing, meine Pateneltern Gertrud und Eberhardt Schön sowie meinen Onkel, Monsignore Hans Thüsing. Ihnen allen verdanke ich viel. Köln, im Mai 1996
Gregor Thüsing
Inhaltsverzeichnis
A. Einftihrung und rechtstatsächliche Grundlagen ............. . ...... . ........ . ...
15
I. Der Außenseiter im Arbeitskampf - Ein Bruch zwischen Arbeitskampf- und Tarifvertragsrecht .............................................................
15
H. Bedeutung und Ausmaß der Beteiligung nicht organisierter Arbeitnehmer und Arbeitgeber am Arbeitskampf .................................................
17
1. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
2. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite ..... . .................... . ............
21
B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite ................................... . . . . . . .
23
I. Legitimation des nicht organisierten Arbeitnehmers zur Streikteilnahme .......
23
1. Streikteilnahme in der Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
2. Aktuelle dogmatische Konzeptionen .......................................
26
a) Das Streikrecht als Bestandteil der Arbeitskampfmittelgarantie der Koalitionen ................................................................
26
b) Das Streikrecht als subjektives Recht des einzelnen Arbeitnehmers .....
28
aa) Herleitung aus Art. 9 III GG - Die Konzeption Däublers ...........
29
bb) Herleitung aus einer Kombination von Art. 2 I und Art. 9 III GG Die Konzeption Seiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
cc) Herleitung aus Art. 6 Nr. 4 ESC ....................................
34
c) Keine Streikbeteiligung von Außenseitern ..............................
38
3. Stellungnahme ausgehend vom Streikrecht als Bestandteil der Arbeitskampfmittelgarantie ........................................................
40
a) Suspendierungsbefugnis in bezug auf Außenseiter und die Grenzen der Koalitionsrnacht ........................................................
42
b) Mögliche Gründe für die Erstreckung der Suspendierungsbefugnis auf Außenseiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
aa) Solidarität von Organisierten und Nichtorganisierten . . . ..... . .... . . .
47
bb) Teilhabe am Streikerfolg ...........................................
50
cc) Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems .......................
51
c) Ergebnis ................................................................
54
lO
Inhaltsverzeichnis 11. Legitimation des anders organisierten Arbeitnehmers zur Streikteilnahme
54
I. Mitgliedschaft in einer anderen Gewerkschaft als Grund zum Ausschluß von der Streikberechtigung .................................................
55
2. Bindung an einen anderen Tarifvertrag als Grund zum Ausschluß von der Streikberechtigung .........................................................
56
3. Ergebnis...................................................................
59
III. Legitimation zur Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern .........
59
1. Rechtsgrundlage der Aussperrung ..........................................
60
2. Einbeziehung von nicht organisierten Arbeitnehmern in die Aussperrung ...
63
a) Gründe, die der Einbeziehung (zwingend?) entgegenstehen .............
63
b) Gründe, die die Einbeziehung rechtfertigen .............................
66
aa) Streiklegitimation als Legitimation zur Aussperrung ................
67
bb) Solidarität von Organisierten und Nichtorganisierten ...............
69
cc) Teilhabe am Streikerfolg ...........................................
70
dd) Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems .......................
71
3. Differenzierung der Aussperrung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit Selektive Aussperrung und Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Außenseiter
74
a) Meinungsstand bezüglich der selektiven Aussperrung ...................
74
b) Meinungsstand bezüglich der Ausgleichzahlungen ......................
77
c) Internationaler und historischer Vergleich...............................
78
d) Stellungnahme ..........................................................
80
aa) Selektive Aussperrung..............................................
81
bb) Ausgleichzahlungen ................................................
84
cc) Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB ............................
85
4. Ergebnis ....................................................................
86
5. Exkurs: Differenzierung der Aussperrung nach der Streikteilnahme .........
87
a) Vereinbarkeit mit Art. 9 III S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
b) Vereinbarkeit mit § 612a BGB ...........................................
89
IV. Legitimation ZW' Aussperrung von anders organisierten Arbeitnehmern ........
89
1. Meinungsstand .............................................................
90
2. Stellungnahme.............................................................
91
V. Rechtliche Konsequenzen aus der Einbeziehung in den Arbeitskampf ..........
92
I. Anspruch auf Teilhabe am Arbeitskampfergebnis - Beteiligung am Tarifvertrag ........................................................................
93
a) Internationaler und historischer Vergleich ................... . ...........
94
Inhaltsverzeichnis
11
b) Anspruch aus Tarifaußenseiterklauseln ..................................
98
aa) Zu lässigkeit von Tarifaußenseiterklauseln ..........................
99
bb) Verpflichtung zum Abschluß von Tarifaußenseiterklauseln ......... 101 (a) Verpflichtung aus dem Gesichtspunkt der "tariflichen Kampfgemeinschaft" ................................................. 101 (b) Verpflichtung aus dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium und einer allgemeinen Vertrauenshaftung ............ 102 (c) Verpflichtung aus der Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien ........................................................... 105 (d) Ergebnis....................................................... 107 c) Anspruch aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ............................................................... 107 aa) Dogmatische Herleitung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruchs . . . . .. .. . . .. . . . . . .. . . . . . .. . . .. . . .. . . . . . .. . . ... 108 bb) Sperrwirkung des § 3 I TVG ....................................... 110 cc) Sachliche Grunde für eine Ungleichbehandlung .................... 112 (a) Ausschluß streikender Außenseiter aus den tariflichen Begünstigungen? ................................................. 115 (b) Ausschluß ausgesperrter Außenseiter aus den tariflichen Begünstigungen? ................................................. 117 d) Ergebnis ................................................................ 119 2. Anspruch auf Teilhabe an der Arbeitskampfführung - Beteiligung an der Urabstimmung............................................................. 119 a) Kann der Gesetzgeber die Gewerkschaften zur Urabstimmung verpflichten? ..................................................................... 121 b) Kann der Gesetzgeber die Einbeziehung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer vorschreiben? ............................................. 123 c) Ergebnis ................................................................ 125 VI. Der Außenseiter und das "Recht zur BetriebsstilIegung" ....................... 126 I. BetriebsstilIegung und Arbeitskampfrisiko ................................. 126
2. BetriebsstilIegung und Aussperrung........................................ 128 a) Rechtsnatur der BetriebsstilIegung ...................................... 128 b) Grunde für ein Recht zur BetriebsstilIegung .. . . . . .. . . .. .. .. . . .. . . . . . . .. . 130 3. Bedingungen für Notstandsvereinbarungen seitens der Gewerkschaften. . . .. 130 4. Ergebnis ................................................................... 132
12
Inhaltsverzeichnis 133
C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite I. LegItimation zur Bestreikung von nicht organisierten Arbeitgebern
133
1. Bestreikung zur Erzwingung eines Firmentarifvertrags
134
2. Bestreikung zur Erzwingung eines Anschlußtarifvertrags
135
3. Bestreikung zur Druckausübung auf den Arbeitgeberverband .
139
11. Legitimation zur Aussperrung durch den nicht organisierten Arbeitgeber
Kein Ausschluß aufgrund fehlender Bestreikbarkeit
141 141
2. Legitimation aufgrund eines "Kampfbündnisses" zwischen Außenseiterarbeitgeber und Verband 142 3. Legitimation in Parallelität zur Streikbefugnis Nichtorganisierter - Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems ...... 146 III. Bestreikung und Aussperrung des anders organisierten Arbeitgebers
147
IV Der arbeitskampfrechtliche Status des Mitglieds ohne Tarifbindung .....
147
1. Mitgliedschaft ohne Tarifbindung in Arbeitgeberverbänden - Gründe, Aus148 maß und satzungsmäßige Ausgestaltung. ...... . . ..... . .. 2. Rechtliche Zu1ässigkeit der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung a) Vereinbarkeit mit § 3 I TVG
150 150
b) Vereinbarkeit mit dem verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und zwingenden Mitwirkungsrechten der Mitglieder 154 cl Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Verhandlungsparität
156
3. Arbeitskampfrechtliche Konsequenzen - Behandlung als Außenseiter oder als Verbandsmitglied ? .... .... .. . . 157 a) Fehlende Identität von Kampfmitteladressat und Kampfzieladressat
158
b) Fehlende Identität von Kampfgebiet und Tarifzuständigkeitsgebiet
160
cl Geeignetheit zur Druckausübung .
161
...........
d) Fehlende Neutralität des Mitglieds ohne Tarifbindung
162
4. Ergebnis ................................ ............... . ................ . 163
D. Zusammenfassung der Ergebnisse .......... .................................... 164
Literaturverzeichnis .
166
Abkürzungsverzeichnis Es wird verwiesen auf das Abkürzungsverzeichnis von Kirchner, 3. Auf!. Berlin u. a. 1983 und auf das Abkürzungsverzeichnis 11 im Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 54. Auf!. München 1995, S. XXXIV ff. Dort nicht aufgeführt: ArbVG
Arbeitsverfassungsgesetz (Österreich)
BDA
Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände
Cass.ass.plen
Arret de la cour de cassation assemblee pleniere
Cass.soc.
Arret de la cour de cassation, chambre sociale
CDU
Christlich-Demokratische Union
CGB
Christlicher Gewerkschaftsbund
CIC
Codex Iuris Canonici (1983)
Cod.Iust.
Codex Iustinianus
CT
Code du travail (Frankreich)
D
Digesten
D.
Recueil de jurisprudence de Dalloz
DAG
Deutsche Angestelltengewerkschaft
DBB
Deutscher Beamtenbund
DGB
Deutscher Gewerkschaftsbund
EPrATKOY ßIKAIOY
EED
EIII8EOPH~I~
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FDGB
Freier Deutscher Gewerkschaftsbund
ED.P.
Freie Demokratische Partei
GTB
Gewerkschaft Textil und Bekleidung
IG
Industriegewerkschaft
ILO
International Labour Organisation
KStA
Kölner Stadt-Anzeiger
NLR.B .
National Labour Relation Board
ÖRF-G
Bundesgesetz über die Aufgaben und die Errichtung des Österreichischen Rundfunks, BGBI. 1974, S. 397
ÖTV
Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
SchweizZGB
Zivilgesetzbuch (Schweiz)
SZ
Süddeutsche Zeitung
ZAS
Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht
A. Einführung und rechtstatsächliche Grundlagen J. Der Außenseiter im Arbeitskampf - Ein Bruch zwischen Arbeitskampf- und Tarifvertragsrecht Gamillscheg hat das Außenseiterproblem einmal als "archimedischen Punkt des Tarifrechts" bezeichnetl. Dies läßt sich nach der Auffassung Seiters auch auf das Außenseiterproblem im Arbeitskampfrecht übertragen 2 , und wohl auch deshalb sollte sich seine Habilitationsschrift ursprünglichem Plane nach ausschließlich mit dieser Thematik beschäftigen 3 . Ganz im Gegensatz zu der dadurch nur angedeuteten Relevanz steht jedoch das Ausmaß der wissenschaftlichen Erörterung dieses Themas. Denn die für arbeitsrechtliche und besonders arbeitskampfrechtliche Fragen seltene Einmütigkeit der Rechtsprechung und fast des gesamten Schrifttums beruht hier wohl weniger auf einer ausführlichen Erörterung des Problems als auf dessen Nichtbeachtung 4 • So wird zwar fast allgemein angenommen, daß der nicht organisierte Arbeitnehmer ebenso streiken darf wie sein organisierter Kollege und ebenso wie dieser ausgesperrt werden kann 5 . Bei dieser Einmütigkeit aber erstaunt vor allem, daß die Gleichstellung des Nichtorganisierten mit dem Organisierten im Arbeitskampfrecht im völligen Gegensatz zu dessen tarifvertragsrechtlichen Status steht: Ebenso einhellig wie im Arbeitskampfrecht dessen Einbeziehung angenommen wird, ebenso einmütig wird eine Berechtigung des nicht organisierten Arbeitnehmers aus dem Tarifvertrag abgelehnt; wo es sich nicht um Betriebs- oder Betriebsverfassungsnormen handelt, bleibt der Nichtorganisierte außen vor, die Grenzen des § 3 1,11 TVG machen den ja u.U. am Arbeitskampf durch Streik oder Aussperrung beteiligten Nichtorganisierten unüberwindlich zum (Tarif-)Außenseiter. Diese Inkongruenz erscheint als ein Bruch im geltenden Kollektivarbeitsrecht, ist doch damit der nicht organisierte Arbeitnehmer zwar Außenseiter im Tarifrecht, nicht aber im Arbeitskampfrecht6 . Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S. 94. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 41. 3 V gl. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. V. 4 Vgl. auch die Wertung Lieb, Arbeitsrecht, S. 166; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 408; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 40; Brox, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 289 und Scholz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 9 GG Rn 192. 5 Siehe nur BAG GS v. 29.11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 9 R; BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampfrecht, BI. 8 V; für das Schrifttum: Dtto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278 Rn 58f.; Brox, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 289; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 408; LöwischlRieble, Arbeitskampfrecht, Rn 320ff. 1
2
16
A. Einführung und rechts tatsächliche Grundlagen
Wenn auch die Einbeziehung von nicht organisierten Arbeitgebern in den Arbeitskampf im Hinblick auf den gegenüber der Arbeitnehmerseite sehr viel höheren Organisationsgrad7 lange Zeit als für die Praxis irrelevant erachtet wurde, findet sich jedoch auch hier eine vergleichbare Problemlage. Die Rechtsprechung setzt ihren Trend zur Einbeziehung der Außenseiter in den Arbeitskampf fort und hält sowohl eine Bestreikung 8 als auch Aussperrungen 9 des nicht organisierten Arbeitgebers im Rahmen eines Verbandstarifkonflikts für zulässig. Dies mag zwar vor dem Hintergrund der fast allgemeinen Meinung zur Arbeitskampfrolle des Außenseiters auf Arbeitnehmerseite verständlich sein, es ist jedoch bezeichnend für die Problematik insgesamt, daß sich die Rechtsprechung in dieser Frage selbst Begründungsdefizite attestiert lO • Die Einigkeit in diesen Grundsätzen beinhaltet indes nicht die Einigkeit in jeder Einzelfrage. Nach wie vor sind verschiedene Aspekte der Außenseiterbeteiligung im Arbeitskampf strittig. Mag z. B. die Frage nach der Zulässigkeit einer zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern differenzierenden Aussperrung - der sog. selektiven Aussperrung - für die Praxis durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 10. 6. 1980 beantwortet sein ", die wissenschaftliche Diskussion darüber hält unvermindert an 12 . Auch sind die Grenzen der Arbeitskampfbeteiligung anders organisierter Arbeitnehmer bislang ungeklärt und nicht Gegenstand einer umfassenden Erörterung gewesen 13. Neuere Stellungnahmen im .Schrifttum gibt es dagegen vor allem über eine mögliche Differenzierung bei der rechtlichen Zulässigkeit der Außenseiterbeteiligung auf Arbeitgeberseite 14• Eine Darstellung, die die Rechtsstellung des Außenseiters im Arbeitskampf näher zu umreißen versucht, muß sich mit diesen Stimmen auseinandersetzen. Ebenso muß sie die verschiedentlich im Schrifttum gemachten Versuche beachten, eine gleichberechtigte Einbeziehung des nicht organisierten Arbeitnehmers in den Arbeitskampf zu erreichen. Dazu gehört ebenso die Frage nach dessen eventueller Beteiligung an der Urabstimmung wie auch die Frage, ob dem Außenseiter aufgrund sei6 Auf diesen Bruch zwischen Arbeitskampfrecht und Tarifrecht weisen auch hin: Wiedemann, RdA 69,321 (326); Richardi, Arbeitsrecht (5. Aufl.), S. 143; BiedenkopJ, Betriebsrisikolehre, S. 2l. 7 Ca. 80-90 % der Arbeitgeber gehören einem Tarifverband an, lediglich 30,1 % der Arbeitnehmer einer Gewerkschaft. Näheres vgl. Abschn. A. ll. 8 BAG v. 8.4.91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; siehe bereits BGH v. 19. 12.78 EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 9 ByerfG v. 26. 6. 91 EzA Nr. 97 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 10 Siehe BAG v. 11. 8. 92 AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V. 11 BAG 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 12 Vgl. nur Diskussionsbeiträge Loritz, Lieb und Konzen, in: Lieb/v.StebutlZöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, Sn. 138, 146, ISS, 160. 13 So auch die Wertung Lieb, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 146. 14 Siehe nur die Beiträge von Lieb und Häuser in der Festschrift für Dtto Kissel, S. 653 ff. bzw. S. 297 ff.
H. Bedeutung und Ausmaß der Beteiligung am Arbeitskampf
17
ner möglichen Einbeziehung in den Arbeitskampf nicht nur im Regelfall die Vorteile des Tarifvertrages zu Gute kommen sollen - denn die meisten Arbeitsverträge der nicht gewerkschaftlich Organisierten nehmen Bezug auf die einschlägigen Tarifverträge 15 -, sondern ob daraus auch ein rechtlicher Anspruch auf Behandlung "nach Tarif' erwachsen könnte. Daß sich all diese Fragen jedoch nur dann sinnvoll beantworten lassen, wenn man neben der sozialen Wirklichkeit des Arbeitskampfund Tarifvertragsystems auch die dogmatische Grundlage der Berechtigung von Außenseitern zur Teilnahme am Arbeitskampf im Auge behält, liegt auf der Hand. Daher wird im Anschluß an eine kurze Darstellung der tatsächlichen Stellung der Außenseiter in der Arbeitskampfpraxis versucht werden, die rechtlichen Grundlagen für eine Beteiligung der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer und Arbeitgeber an Streik und Aussperrung zu klären. Unter Berücksichtigung der so gefundenen Ergebnisse soll versucht werden, eine Antwort auf die verschiedenen in Rechtsprechung und im Schrifttum in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen zu geben. Der Übergriff auf benachbarte Fragestellungen bleibt dabei vorbehalten, da sich sonst eine systemkonforme, in sich stimmige Beantwortung dieser Fragen schwerlich erreichen läßt. Ziel der Überlegungen wird es sein, in möglichst knapper Weise und mit einer an den gesetzlichen und tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitskampfes orientierten Argumentation auf strittige - auch u.U. von der herrschenden Meinung gegenteilig entschiedene - Einzelfragen solche Antworten zu finden, die im Gesamtkonzept des Kollektivarbeitsrechts die Stellung des Außenseiters im Arbeitskampf besser auf dessen durch das Tarifvertragsgesetz bestimmte Stellung im Tarifvertragssystem abstimmen.
11. Bedeutung und Ausmaß der Beteiligung nicht organisierter Arbeitnehmer und Arbeitgeber am Arbeitskampf
Das Ausmaß der Außenseiterbeteiligung im Arbeitskampf gestaltet sich für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite unterschiedlich. 1. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Der Organisationsgrad der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland lag 1992 bei 30,1 %. Genaue Angaben sind schwierig, da die dieser Quote zugrundegelegten Zahlen von Mitgliederstärke und abhängig beschäftigten Erwerbstätigen Z.T. erheblich differieren 16. Insgesamt lassen sich jedoch zwei Punkte feststellen: 15 Siehe dazu Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, S.39. 16 Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 241 Rn 19, geht von einem Organisationsgrad von 41 % aus. Wie seine Bezugnahme auf Niedenhoff/ Pege, Gewerkschaftshandbuch, S. 266 zeigt, beruht sein Fehler darauf, daß er die Zahl der abhängig beschäftigten Erwerbstätigen in
2 Thüsing
18
A. Einführung und rechts tatsächliche Grundlagen
Zum einen, daß gerade in jüngster Zeit ein erheblicher Mitgliederschwund der Gewerkschaften zu verzeichnen ist; nachdem der DGB durch die deutsche Wiedervereinigung einen sprunghaft starken Mitgliederzuwachs verbuchen konnte, verlor er in den Jahren 92/93 über 1,5 Mill. Mitglieder, über 4/5 davon in den neuen Bundesländern 17 . Zum anderen fällt auf, daß das Verhältnis von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern langfristig betrachtet sich in der Vergangenheit als relativ konstant erwiesen hat. So schwankte der Organisationsgrad des DGB in den letzten 35 Jahren um lediglich 6 %18 19. Die Detenninanten, von denen der Organisationsgrad aufArbeitnehmerseite abhängt, sind vielfältig. Ein Faktor ist die Betriebsgröße. Je größer der Betrieb, desto höher der Organisationsgrad der Belegschaft2o . Dies dürfte seine Ursache in dem Verhältnis zur Gesamtmitgliederzahl der Gewerkschaften setzt. Er berücksichtigt nicht, daß es auch außerhalb des Erwerbsleben stehende Gewerkschaftsmitglieder gibt (Rentner, Arbeitslose, Studenten, Wehrdiestleistende), die bei der Berechnung des Erwerbstätlgen-Organisationsgrads nicht berücksichtigt werden können. Sie machen bei der ÖTV ca. 17,5 % der Mitglieder aus (Geschäftsbericht ÖTV 1988-1991, S. 1163). Entsprechendes dürfte auch für die übrigen Gewerkschaften gelten (pege, arbeitgeber 1995, S. 22, 23 nimmt demgegenüber sogar eine Quote von ca. 20 % an, belegt sie aber nicht durch statistischen Vergleich). Die hier angegebene Quote ergibt sich also aus einer Gegenüberstellung der Zahlen der abhängig beschäftigten Erwerbstätigen (Quelle: Statistisches Jahrbuch 1994, S. 123, 125) und der Gewerkschaftsmitglieder in DGB, DAG, DBB, und CGB (Quelle: Oeckl, Handbuch des öffentlichen Lebens 93/94, S. 604, 608, 610, 614), bereinigt um eine Quote von 17,5 %. 17 Pege, arbeitgeber, 95, 22 (23, 25): 1992 entfielen 98 % der Verluste auf die neuen Bundesländer, 1993 immerhin noch 67 %; dem entspricht auch in etwa die Schätzung durch Kittner, Gewerkschaftsjahrbuch 1994, S. 92 (1,475 Mill). Zur Mitgliederentwicklung nach der Wiedervereinigung vgl. ebda. S. 94 f Auch in der Schweiz und Östereich sind die Mitgliederzahlen rückläufig (Vgl. Brupbacher, in: Rehbinder, JAR 94, S. 79; Tomandl, RdA 95, S. 76). 18 NiedenhofflPege, Gewerkschaftshandbuch, S. 270f.. Höchststand 1978: 35,7 %, Tiefstand 1969: 29,7 % Aktueller Stand (1993): 31,1 % (pege, arbeitgeber 1995, S. 22, 23). Diese Quoten rechnen die nicht erwerbstätigen Mitglieder mit ein. Ein Vergleich der Organisationsgrade in den 10 EG-Staaten von 1960 bis 1985 findet sich bei Bakels, Nederlands arbeidsrecht (8. Aufl.), S. ISS -6 Länder steigend (B, DK, D, GR, IR, UK), 4 Länder fallend (F, I, LUX, NL). 19 Es bleibt abzuwarten, ob dies weiterhin so bleibt. In Anbetracht des mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft verbundenen steigenden Mitgliederverlusts anderer Großgruppen - vor allem der Kirchen, aber auch der Parteien - erscheint diese relative Konstanz ungewöhnlich. Sie könnte aber vielleicht dadurch erklärt werden, daß zum einen die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft im Gegensatz etwa zur Zugehörigkeit zu Kirche und Partei auch für das einzelne Mitglied finanziell spürbare Vorteile hat (Streikunterstützung, Prozeßvertretung), zum anderen die Funktion der Gewerkschaften - Aushandeln von Arbeitsbedingungen mit der Arbeitgeberseite, Vertretung der Arbeitnehmerinteressen - durch die gegenwärtige Gesetzeslage festgelegt vom gesellschaftlichen Wandel relativ unberührt ist. (Zu den verschiedenen Anzeichen einer zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft vgl. MiegellWahl, Individualismus, S. 41 ff., speziell für die Gewerkschaft vgl. Hensche, GMH 95, S. 65, 660. 20 Vgl. die Statistik bei Kittner, Gewerkschaftsjahrbuch 1986, S. 59' 1984 waren 14,3 % der Arbeitnehmer in Betrieben mit weniger als 10 Beschäftigten organISIert, aber 49,5 % in Betneben mit über 500 Beschäftigten.
II. Bedeutung und Ausmaß der Beteiligung am Arbeitskampf
19
wohl allgemein geltenden Faktum haben, daß das Bedürfnis nach einer organisierten kollektiven Interessenwahrnehmung bei größeren (Betriebs-)Gemeinschaften größer ist als bei kleineren, die eher eine Möglichkeit für die individuelle, unmittelbare Artikulation der Interessen bieten. Wohl auch deswegen haben zwar die Betriebe so gut wie aller größerer Unternehmen Betriebsräte, kleinere Unternehmen aber auch oft dann nicht, wenn ihre Betriebe die personelle Mindestvoraussetzung des § 1 BetrVG erfüllen. Weiter läßt sich feststellen, daß der Organisationsgrad bei Arbeitern größer ist als bei Angestellten 21 . Die Unterscheidung zwischen beiden Berufsgruppen mag zwar von dem Profil der an den einzelnen Arbeitnehmer gestellten Anforderungen und seiner produktionstechnischen Verantwortung her durch die Entwicklungen der Arbeitswirklichkeit inzwischen überholt 22 und der unterschiedliche Organisationsgrad daher heute vor allem durch historische Gründe bedingt sein. Er steht jedoch in Übereinstimmung zu den unterschiedlichen Organisationsgraden von Arbeitern und Angestellten im Ausland 23 . Historische Gründe sind es auch, die zu einem höheren Organisationsgrad im Gebiet der ehemaligen DDR geführt haben. Zwar ist längst nicht jedes Mitglied einer FDGB-Gewerkschaft nach deren Auflösung wieder in eine Gewerkschaft eingetreten 24, aber auch nach der Wiedervereinigung war der Organisations grad der Arbeitnehmer je nach Industriezweig in den neuen Bundesländern teilweise doppelt so hoch wie im Westen 25 . Zwar erfolgte durch die bereits angesprochenen hohen Mitgliederverluste im Osten eine gewisse Angleichung der Organisationsgrade auf West-Niveau. Diese Angleichung vollzieht sich jedoch nur langsam. Dies zeigt sich z. B. daran, daß 1994 den nach Rationalisierung und Unternehmenssanierung übriggebliebenen 350000 Arbeitsplätzen in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie noch 800000 Mitglieder der IG Metall gegenüberstanden 26 . Trotz dieser Feststellungen bleibt es schwer zu ermitteln, was letztlich für den einzelnen Arbeitnehmer der Grund ist, einer Gewerkschaft beizutreten. Vielleicht tritt die so oft von Gewerkschaftsseite und im arbeitsrechtlichen Schrifttum geäußerte Vermutung zu, es sei vor allem der Wille des Arbeitnehmers, einen Anspruch auf den Tariflohn zu erwerben und zu sichern - so daß durch die Durchsetzung von 21 Vgl. Kittner, Gewerkschaftsjahrbuch 1986, S. 52 (Übersicht 5); Gewerkschaftsjahrbuch 1987, S. 50: "Insgesamt ist in der Bundesrepublik fast jeder zweite Arbeiter Mitglied einer Industriegewerkschaft oder Gewerkschaft, jedoch nicht einmal jeder fünfte Angestellte". 22 Verwiesen sei auf die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zu der Vereinheitlichung der gesetzl. Kündigungsfristen beider Berufsgruppen: BVerfG v. 30. 5. 90 BVerfGE 82,126; BVerfG v. 16. 11. 82 BVerfGE 62,256. 23 Vgl. für Großbritannien die Übersicht der Entwicklung von 1948 bis 1964 bei Hepple, The Freedom of the Worker to Organize in the United Kingdom, 1001 (1012); für Dänemark vgl. Jacobsen, The Freedom ofthe Worker to Organize in Denmark, 109 (113); für Österreich vgl. Torrulndell Marbold, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in Österreich, S. 653 (683). 24 Nach Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 241 Rn 19 nur jedes dritte Mitglied. 25 Vgl. Kittner, Gewerkschaftsjahrbuch 1994, S. 92. 26 Mitteilung des Metall-Pressediensts vom 25. 2. 94.
2*
20
A. Einführung und rechtstatsächliche Grundlagen
Differenzierungsklauseln der Mitgliederbestand entsprechend gestärkt, durch verstärkte Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen gesenkt werden könnte 27 • Daß dies aber nur eine von vielen denkbaren Motivationen sein kann, zeigt sich auch daran, daß in Bereichen, in denen der Tariflohn zu 100 % auch an Außenseiter gezahlt wird - wie z. B. im Öffentlichen Dienst -, der Organisationsgrad nicht niedriger ist als in anderen Branchen, wo zumindest die faktische Möglichkeit einer untertariflichen Bezahlung von Außenseitern besteht28 . Eher könnte nach den gegenwärigen Umständen der Wille des Arbeitnehmers, sich für den Fall eines Arbeitskampfs die gewerkschaftliche Streikunterstützung zu sichern, ein Eintrittsgrund sein. Denn Streikunterstützung wird von den Gewerkschaften nur an ihre Mitglieder gezahlt 29 . Daß darin auch ein wirksamer Beitrittsanreiz liegt, könnte mit der Tatsache belegt werden, daß im IG Metall-Tarifbezirk Stuttgart, der das klassische Kampfgebiet Nordwürttemberg-Nordbaden mitumfaßt, die Mitgliederzahl im Vergleich zum Bundesdurchschnitt unterproportional gesunken ist3o . Konjunkturelle Schwankungen und die wirtschaftliche Entwicklung scheinen dagegen kaum oder nur einen kurzfristigen Einfluß auf den Organisationsgrad der Arbeitnehmer zu haben. Dies hat bereits Hagelstange aufgrund einer vergleichenden Untersuchung der wirtschaftlichen Entwicklung und des gewerkschaftlichen Mitgliederbestands der Jahre 1950 bis 1975 festgestellt 31 . Der relativ konstante Organisationsgrad des DGB in den letzten 35 Jahren belegt dies auch noch für heute. In den Arbeitskampf sind die nicht organisierten Arbeitnehmer regelmäßig eingebunden. Nach der Auffassung Unterhinninghofens hat es für den Bereich der IG Metall "praktisch keinen Arbeitskampf gegeben, an denen Unorganisierte sich 27 Vgl. den jüngsten Vorstoß der ÖTV Harnburg (FAZ v. 3. I 95., S. 9; SZ v. 3. 1. 95, S. I) und der GTB Nordrhein-Westfalen (KStA v.13. 4. 95, S. 6), zur Stärkung der Mitgliederzahlen Differenzierungsklauseln vereinbaren zu wollen. Für das arbeitsrechtliche Schrifttum vgl. Konzen, FS Müller, S. 245 (257 f ). 28 Vgl. für den Organisationsgrad der ÖTV' NiedenhofflPege, Gewerkschaftshandbuch, S. 301 Für die Eisenbahner ist mit 85-90 % sogar ein außergewöhnlich hoher Organisationsgrad zu verzeichnen (Briefl. Mitteilung der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands vorn 17 8. 94 durch Fritscher). 29 So die Regelung bei sämtlichen DGB-Gewerkschaften, vgl. z. B. § 23 der Satzung der IG Metall; § 27 der Satzung der IG Chemie-Papier-Keramik; § 1 der RIchtlinien der Gewerkschaft Garten, Land- und Forstwirtschaft für die Gewährung einer Unterstützung bei Streik und Maßregelung; § 14 der Satzung der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands; § 1 der Richtlinien der Gewerkschaft der Polizei für die Gewährung einer Unterstützung bei Streik. 30 Briefl. Mitteilung der IG Metall durch Unterhinninghofen v. 9. 8. 94, der selber einen solchen Zusammenhang nicht vermutet. Andere Gewerkschaften verneinen eine vom Gesamttrend absweichende Mitgliederentwicklung in ihren KampfgebIeten, so z. B. die Gewerkschaft Handel-Banken-Versicherungen (Briefl. Mitteilung Trümner v. 21. 9. 94), die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und ForstWIrtschaft (Briefl. Mitteilung Hoche v 4. 10. 94) und die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (Briefl. Mitteilung Fritscher v. 17 8. 94). Dies könnte jedoch dann begründet sein, daß klassische Kampfgebiete, die Immer wieder Austragungsort von Arbeitskämpfen sind, In diesen Branchen mcht eXIstieren. 31 Hagelstange, Ökonomische Konjunktur und Mitgliederstärke der Gewerkschaften, insb. die Zusammenfassung S. 327 f
11. Bedeutung und Ausmaß der Beteiligung am Arbeitskampf
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überhaupt nicht beteiligt haben,m. Auch in Aussperrungen werden sie mit einbezogen; eine selektive Aussperrung nur von Gewerkschaftsmitgliedern ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unzulässig 33 . Genauso wie Nichtorganisierte keine Streikunterstützung erhalten, sind sie auch nicht an den Urabstimmungen zum Streik beteiligt34 . Dennoch besteht ein großes Interesse seitens der Gewerkschaften, auch Außenseiter mit in den Arbeitskampf zu involvieren. Dies zeigt sich nicht nur an den regelmäßig anzutreffenden Streikposten, sondern neuerdings auch am Versuch, Notstandsvereinbarungen durchzusetzen, die den Arbeitgeber verpflichten, arbeitswillige Außenseiter von der Arbeit auszuschließen 35 . 2. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
Auf Arbeitgeberseite ist der Organisationsgrad traditionell höher als auf Arbeitnehmerseite. Die Spannbreite reicht von 100 % in der Zuckerindustrie, über 90 % in der Bauindustrie, der Zigarettenindustrie und der keramischen Industrie bis hin zu 50 % in der Druckindustrie, wobei letzte jedoch Dreiviertel der brancheneinschlägigen Arbeitnehmer erfassen36 . Statistisches Material, aus der die Gesamtzahl der jeweils brancheneinschlägigen Unternehmen ermittelt werden könnte, liegt nicht vor. Die Organisationsgrade können deshalb nur annähernd geschätzt werden. Für den Bundesdurchschitt liegen die Schätzungen zwischen 80 % und 90 %37. Dies ist auch im internationalen Vergleich recht hoch 38 . Briefl. Mitteilung Unterhinninghofens v. 9. 8. 94. BAG V. 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Abschn. B. III. 3. 34 So die Satzungen und Richtlinien sämtlicher DGB-Gewerkschaften. Vgl. z. B. § 15 III i.Y.m. § 16 der Satzung der IG Chemie-Papier-Keramik; Abschn. I NT. 3 der Richtlinien der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr über Urabstimmung und Arbeitskampf i.Y.m. § 19 IV der Satzung; § 4 der Streikordnung der Gewerkschaft der Polizei; § 4 III der Satzung i.Y.m. § 2 III der Richtlinie Arbeitskampf der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands; Nr. 4.6 der Richtlinien für die Durchführung von Tarifverhandlungen und die Führung von Arbeitskämpfen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. 35 Vgl. die den Urteilen BAG v. 22. 3. 94 und BAG v. 14. 12. 93 zugrundeliegende Sachverhalte: AuR 95, S. 36 ff. 36 Angabe durch die entsprechenden Verbände: Bundesverband Druck (Briefl. Mitteilung Hesse v. 14. 10.94); Arbeitgeberverband der Cigarettenindustrie (Briefl. Mitteilung Sannig v. 20. 10. 94), Arbeitsgemeinschaft keramische Industrie (Brief!. Mitteilung Voglerv. 17. 10.94), Verein der Zuckerindustrie (Briefl. Mitteilung v. Kistowski v. 19. 10.94), Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (Brief!. Mitteilung Müller v. 24. 10.94). 37 So die Schätzungen durch Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 242 Rn 5 und Däubler, ZTR 94, 448. Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, S. 101 gehen von 80 % aus. 38 Kaum freiwillige Arbeitgeberzusammenschlüsse für den Tarifbereich in Österreich: Strasser, Arbeitsrecht 11, S. 44; ebenfalls einen niedrigen Organisationsgrad auf Arbeitgeberseite in Portugal (Hörster, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in Portugal, S. 703, 715). Ähnlich hoch wie in Deutschland werden aber die Organisationsgrade mit 80 % in Irland und mit 90 % in Griechenland geschätzt (Kelly, The Freedom of the Worker to Organize in the Republik of Irland, S. 367, 369; Tsatsos, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in Griechenland, S. 309, 315). 32 33
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A. Einführung und rechts tatsächliche Grundlagen
Das Fehlen statistischen Materials ist auch der Grund dafür, daß es kaum möglich ist, Organisationskriterien aufArbeitgeberseite aufzuzeigen. Tendenziell läßt sich aber feststellen, daß vor allem größere Unternehmen einem Verband angehören. Bleiben kleinere Unternehmen dem Verband fern, geschieht dies regelmäßig, um eine Tarifbindung zu vermeiden. Damit haben sie zumeist Erfolg, weil die Bestreikung jedes dieser kleineren Unternehmen zur Durchsetzung eines Haustarifvertrags an den geringen personellen Reserven der zuständigen Gewerkschaft scheitern würde, und weil ein solcher Tarifvertrag auch für die Gewerkschaft natürlich von geringerer Bedeutung ist als ein Firmentarifvertrag bei größeren Unternehmen. Bei größeren Unternehmen wäre jedoch ein - dann ohne Verbandsunterstützung auszuhandelnder - Firmentarifvertrag so gut wie unausweichlich. Ein Fernblieben vom Verband hätte also nicht die gewünschte Folge. Die gewerkschaftspolitischen und rechtlichen Streitigkeiten, die überdies mit einem solchen Firmentarifvertrag verbunden sein können, zeigen sich anschaulich an der Ausgründung der IBM Deutschland Kommunikationssysteme GmbH und dem mit der DAG abgeschlossenen Tarifvertrag 39 . Weiterhin läßt sich feststellen, daß es sich in den neuen Bundesländer auf Arbeitgeberseite genau entgegengesetzt verhält wie auf Arbeitnehmerseite. Viele Unternehmen blieben den nach der Vereinigung erst zu gründenden ostdeutschen Verbänden fern, der Organisationsgrad ist gering. Für die holz- und kunstoffverarbeitende Industrie liegt er bei nur 40 %40 . Anders als der nicht organisierte Arbeitnehmer nimmt der nicht organisierte Arbeitgeber am Arbeitskampf des Verbandes in der Regel nicht teil. Zwar kommt dies sowohl bei der Bestreikung als auch für den Fall der Aussperrung vor41 , es ist jedoch eher selten42 und überdies in seiner rechlichen Zulässigkeit äußerst umstritten 43 .
39 Vgl. FAZ v. 29. 11. 94, S. 17 und das Urteil des ArbG Hamburg v. 23. 11. 94 (21 Ca 165/94) - bislang unveröffentlicht-. 40 Vgl. Angabe nach Müller-Jentsch, WSI-Mitteilungen 93,496 (SOl), der sich selber auf Angaben des Verbandes stützt. 41 Vgl. die den Entscheidungen BAG v 9. 4. 91 AP Nr. 116 zu Art. 9 GG Arbeitskampf und BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf zugrundeliegende Sachver-
halte. 42 So die übereinstimmende Wertung der Arbeitgeberverbände: Arbeitsgemeinschaft Keramische Industrie (Briefl. Mitteilung Vogler v. 17. 10.94), Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuß (Briefl. Mitteilung Hellmann v. 2. 11. 94), Arbeitgeberverband der Deutschen Glasindustrie (Briefl. Mitteilung Hackmann v. 20. 10. 94), Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie (Briefl. Mitteilung Müller v. 21. 10. 94), Hauptverband der Deutschen holzund kunststoffverarbeitenden Industrie (Briefl. Mitteilung Merkel v. 24. 10. 94), Verein der Zuckerindustrie (Briefl. Mitteilung v. Kistowski v. 19. 10.94). 43 Vgl. Abschn. C. I. und H.
B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite I. Legitimation des nicht organisierten Arbeitnehmers zur Streikteilnahme
Die Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers wird von der fast allgemeinen Meinung anerkannt und ist fester Bestandteil der Arbeitskampfwirklichkeit in der Bundesrepublik. Sie erscheint dabei so selbstverständlich, daß teilweise darin bereits eine gewohnheitsrechtliche Verfestigung gesehen wird! . Wie eingangs bereits erwähnt, ist die dogmatische Begründung dieser Außenseiterteilnahme sofern sie überhaupt versucht wird - jedoch umstritten. Die allgemeine Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum geht seit der Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. 1. 1955 2 davon aus, daß sich die Rechtmäßigkeit der einzelnen Arbeitskampfhandlung nicht nach deren individualvertraglichen Zulässigkeit richtet, sondern Streik und Streikteilnahme selbst eine vertragssuspendierende Wirkung haben, wenn bestimmte Voraussetzungen auf kollektiver Ebene für die Führung eines Arbeitskampfes vorliegen. Nach einer gebotenen einheitlichen Betrachtung der einzelnen Individualhandlung und deren Gesamtheit als kollektiver Handlung ist dann die einzelne Arbeitsniederlegung ebenso rechtmäßig wie der Streik insgesamt3 . Es besteht also ein echtes Streikrecht, nicht lediglich eine Streikfreiheit in dem Sinne, daß individualvertraglich zulässiges Handeln - die Kündigung des Arbeitsverhältnisses - auch kollektiv im Rahmen eines Arbeitskampfs ausgeübt werden kann. Trotz dieses übereinstimmenden Ansatzes besteht jedoch keine einheitliche Begründung hinsichtlich der Legitimation des Arbeitnehmers zur Streikteilnahme. Umstritten gerade im Zusammenhang mit der Außenseiterproblematik ist vor allem, wer Rechtsträger des Streikrechts ist. Dabei stehen sich im wesentlichen zwei Ansätze gegenüber: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Bundesarbeitsgerichts versteht den Streik als typisches Arbeitskampfmittel von der Arbeitskampfmiuelgarantie der Koalitionen durch Art. 9 III GG erfaßt und sieht darin seine Legitimation zur richterrechtlichen Ausgestaltung der Streikteilnahme4 • Eine verbreitete Ansicht im Schrifttum geht demgegenüber von einem dem einzelnen Arbeitnehmer zustehenden subjektiven Streikrecht aus, das seinen Grund nicht in Vgl. Konzen, DB 1990, Beil. 6, S. 12. BAG GS vom 28. 1. 1955 BAGE 1,291. 3 Seitdem ständige Rechtsprechung. Für das Schrifttum: Brox in Brox/Rüthers; Arbeitskampfrecht, Rn 288; Konzen, AcP 77 (1977), 473 (477) jeweils m.w.N. 4 Siehe Nachweise in Abschn. B. I. 2. a). I
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
der Berechtigung der Koahtionen, sondern unrruttelbar m der EIgenberechtigung des Arbeitnehmers selbst habe 5 . Mag diese Unterscheidung bezüglich der Rechtsträgerschaft und Herleltung der Streikberechtigung für die Strelktelinahme des Außenseiters selbst ohne Belang sem - die verschiedenen Memungen führen dort zu demselben Ergebnis -, so ist sie doch wichtig zur Beantwortung der Frage, mWlewelt bel deren EinbezIehung m den Arbeitskampf die Besonderheit ihrer Stellung zu ModifikatIOnen führen muß. Nur wer den Grund für deren Teilnahme am Arbeltskampf kennt, kann sagen, wie diese näher ausgestaltet werden muß und wo ihre Grenzen liegen. Zum dafür notwendigen Verständnis der heutigen Begründungsdifferenzen kann es hilfreich sein, wenn deren Erörterung eine Darstellung des Rechtszustands der Weimarer Zeit vorangestellt wird. 1. Streikteilnahme in der Weimarer Zeit
Auch m der Weimarer Republik war die Streikbeteiligung der Nichtorganisierten allgemein anerkannt und wurde Im Rahmen der Tanfausemandersetzungen praktiziert. Bereits vorher wurden durch Verkündung der §§ 152, 153 GewO am 21. 6. 18696 alle Verbote und Strafabreden "wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstigerer Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter" abgeschafft 7 . Damit wurde eine Vereinigungs- und Arbeitskampffreiheit gewährt. Dies führte zu emer wachsenden Ausbreitung von Gewerkschaften und Streiks, wenn auch letztere in dieser Frühphase der Tarifkonflikte zumeist mcht sehr erfolgreich für die Arbeitnehmer waren 8 . Neu war lediglich, daß die Weimarer Reichsverfassung diese nur einfachgesetzliche Anerkennung der Vereimgungsfreihelt über den begrenzten persönlichen Anwendungsbereich der Gewerbeordnung 9 hinaus auf alle Arbeitnehmer ausdehnte und sie durch Art. 159 und Art. 165 I WRVauf Verfassungsebene hob lO Diese in der Verfassung garantierte Verelmgungsfreihelt enthielt Jedoch Siehe Nachweise m Abschn. B. I. 2. b). Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, S. 245 7 Parallel dazu verlief die EntWicklung Im Ausland: In Frankreich wurde am 25 5 1864 das Dekret über die Koalitionsbildung aufgehoben (V gl. Bohr, Rechtliche Regelungen des Streiks, S. 140), in den Niederlanden wurde die Koalitionsfreiheit bereits am 22. ll 1855 dUfCh em Koalitionsgesetz gewährt (Bakels, Nederlands arbeldsrecht, S 145). In Österreich kam sie erst 1870 durch ein Koaliuonsgesetz, das die Strafbestimmungen gegen die Bildung von arbeitskampfwilligen Arbeitervereinen aufhob (Vgl. Tomtmdl/Marhold, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers m Österreich, S. 653, 657). g So waren nach Corvey von \00 Arbeltsmederlegungen 1891 Im Deutschen Reich ledighch II erfolgreich für die Arbeiter (ZIt. nach Brockbaus, 15 Band, Art. Streik, 14 Auflage 1898; dort auch mtematlOnaler Vergleich mit ähnlIchen Erfolgsquoten). Einen umfassenderen - Im Ergebms ähnhch gelagerten - Überbhck geben die Statistiken des Relchsarbettsblatts, wo die Arbeitskämpfe Im Deutschen Reich zahlenmäßig mit emer quotenmäßIgen Auftellung von erfolgreicher und fehlgeschlagener Aussperrung und Strelkführung erfaßt werden. 9 d.h. lediglich Gewerbetreibende, gewerblIche GehIlfen, Gesellen und Fabnkarbelter 5
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I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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nach ganz herrschender Meinung keinen Schutz der Betätigungsfonnen der Koalitionen, so daß weder den Koalitionen noch dem einzelnen Arbeitnehmer ein subjektiv-öffentliches, d. h. gegen den Staat gerichtetes oder gar ein privatrechtlich wirkendes Streikrecht zuerkannt wurde ll . Die Arbeitskampf- und damit auch Streikfreiheit wurde vielmehr als ein Teil der natürlichen Handlungsfreiheit angesehen und unterlag damit weitestgehender gesetzlicher Einschränkbarkeit 12 . Streikfreiheit der Weimarer Zeit bedeutete im Gegensatz zur heutigen allgemeinen Auffassung mithin kein Recht, das eine Verletzung arbeits vertraglicher Bindungen rechtfertigen konnte, sondern beinhaltete lediglich, daß gesetzliche und arbeits vertragliche Rechte zulässigerweise kollektiv im Rahmen eines Arbeitskampfes ausgeübt werden durften: Die Arbeitsniederlegung im Streik war daher nur nach vorheriger Kündigung rechtmäßig 13 . Da dem Streik somit keinerlei besondere gesetzliche Privilegierung zukam, dieser nur die kollektive Ausübung eines individualvertraglich ohnehin zulässigen Verhaltens darstellte - die Arbeitsniederlegung nach Kündigung -, leuchtet es unmittelbar ein, warum die Ausübung dieses jedem einzelnen Arbeitnehmer zustehenden Rechts auch im Falle des Streiks nicht an die Gewerkschaftszugehörigkeit gebunden war, warum somit auch der Außenseiter streiken durfte. Dies erklärt auch, warum im damaligen Schrifttum lediglich die Frage nach der Einbeziehung der Außenseiter in den Tarifvertrag kontrovers diskutiert wurde 14 , nicht aber deren - evidente - Legitimation zur Beteiligung am Arbeitskampf 15 . 10 Art. 165 I WRV: "Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt." Art. 159 WRV: "Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, weIche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig." Zur Entstehungsgeschichte vgl. Darstellung Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 59 f. II Vgl. für alle Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, (14. Aufl.), Art. 159 Anmerk. 5; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts (2. Aufl.), S. 86; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11 (3.-5. Aufl.), S. 436. Siehe auch Oertmann, Deutsches Arbeitsvertragsrecht, S. 277: "Abzuweisen ist aber die dilettantische, wissenschaftlich nicht ernst zu nehmende Behauptung einiger politisierender Juristen aus ihr" (i.e. der Streikfreiheit) "darüberhinaus ein wahres, subjektives Streikrecht abzuleiten". 12 Vgl. Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts (2. Aufl.), S. 87; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11 (3.-5. Aufl.), S. 499. 13 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11 (3.-5. Aufl.), S. 661; Vgl. auch die Darstellung der allgemeinen Meinung durch Meyers Konversationslexikon, Bd. 11, Art. Arbeitseinstellung, 4. Aufl. 1889. 14 Vgl. nur Potthoff, Arbeitsrecht 1923, Sp. 193, 198; A.Hueck, Recht des Tarifvertrages, S. 147 ff, 168; für die Zeit vor 1918: Lotmar DJZ 1908,902 (907); Sinzheimer, Entwurf eines Arbeitstarifgesetzes (1916) § 43, 222, Begründung 101 ff. Vgl. auch Abschn. B. V. I. a). 15 Vgl. nur Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11 (3.-5. Aufl.), S. 498: "Handlungen, wie Streik, Boykott und Aussperrung, die ein organisierter Arbeitgeber oder Arbeitnehmer vornehmen, sind ebensowenig privilegiert wie die eines Nichtorganisierten".
B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
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Das Recht zur Streikteilnahme des organisierten wie des nicht organisierten Arbeitnehmers endete jedoch mit dem Verbot des Arbeitskampfs durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 1. 1934 16 : Der Aufruf zum Streik wurde als "böswillige Verhetzung der Belegschaft" strafbar gemäß § 36 I Ziff. 2 AOG l7 , die von da an die Tarifverträge ablösenden Tarifordnungen kamen nach dem Führerprinzip durch Festsetzung eines Treuhänders der Arbeit zustande und galten gemäß §§ I, 32 n AOG für die gesamte Betriebsgefolgschaft, also alle Arbeitnehmer. Eine Bindung der Tarifordnungen an die Gewerkschaftsangehörigkeit konnte schon deswegen nicht erfolgen, weil es die Gewerkschaften seit deren Auflösung und Zusammenführung mit den Arbeitgeberverbänden in die Deutsche Arbeitsfront nicht mehr gab l8 . 2. Aktuelle dogmatische Konzeptionen
Durch den in Folge der ersten Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 28. 1. 1955 19 eingeleiteten grundlegenden Wandel vollzog sich der Schritt von der bloßen Streikfreiheit der Weimarer Zeit hin zu einem die arbeitsvertraglichen Pflichten suspendierenden Streikrecht. Die dogmatische Begründung blieb uneinheitlich, die Rechtsträgerschaft umstritten.
a) Das Streikrecht als Bestandteil der Arbeitskampfmittelgarantie der Koalitionen Das Bundesarbeits- und das Bundesverfassungsgericht gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß Art. 9 m GG als Grundlage für die richterrechtliche Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts ein Doppelgrundrecht ist, das nicht nur den einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, sondern auch deren Zusammenschlüsse, die Koalitionen selbst, unmittelbar berechtige. Aufgrund dieser originären Berechtigung seien die Koalitionen selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihrer Betätigung geschützt. Dies folge zwar nicht aus dem Wortlaut, ergebe sich aber aus der Aufnahme des Vereinigungszwecks in den Schutzbereich dieses Grundrechts 20 • RGBI. 1934 I, S. 45. Vgl. HuecklNipperdeylDiet1., AOG (4. Auf!.), § 36, Rn 21; vgl. auch Bussmann, Der Verstoß gegen die soziale Ehre (1936), S. 50 der die böswillige Hetze und den durch § 36 AOG pönalisierten "Verstoß gegen die soziale Ehre" in der mit dem Streikaufruf verbundenen Wirkung sieht, das Ansehen des Vorgesetzten zu untergraben und untergraben zu wollen. Dazu, daß teilweise dennoch weiterhin gestreikt wurde Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 28. 18 Zum umfassenden persönlichen Geltungsbereich der Tarifordnungen vgl. Hueckl NipperdeylDietz, AOG (4. Aufl.), § 32, Rn 160. 19 BAG GS vom 28. I. 1955 BAGE 1,291. 16 17
I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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Geschützt sei daher nicht nur dem Wortlaut entsprechend die Bildung von Koalitionen, sondern gleichzeitig ein Kernbereich der Koalitionsbetätigung selbst, da ein Recht auf Bildung von Koalitionen zur Wahrung und Förderung von Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen, die nicht durch die Gewährleistung einer Betätigungsgarantie geschützt werden, sinnlos wäre. Zu diesem Kernbereich gehöre auch der Schutz der Mittel, die zur Verfolgung des Vereinigungszwecks unerläßlich sind21 . Aus diesem Ansatz heraus, daß das Grundgesetz gebietet, den frei gegründeten Koalitionen auch Mittel an die Hand zu geben, ihre Zwecke zu verfolgen, geht die Rechtsprechung von der Notwendigkeit einer freiheitlichen Kampf- und Ausgleichsordnung und als deren Bestandteil auch von der Rechtmäßigkeit des Streiks aus 22 . Dessen Notwendigkeit sieht sie vor allem darin begründet, daß nur dann, wenn als letzte Möglichkeit im Tarifkonflikt auch der Streik zulässig ist, die Tarifverträge die vom Gesetzgeber erwartete Richtigkeitsgewähr hätten; Tarifverhandlungen ohne dieses letzte Mittel seien lediglich ,,kollektives Betteln". Die gesetzliche Ausformung des Tarifvertragsrechts erfordere damit die Anerkennung des Streiks im Arbeitskampfrecht 23 . Träger dieses Streikrechts seien einzig die Gewerkschaften. Der Streik als das typische und historisch überkommene Arbeitskampfmittel sei jedoch so ausgestaltet, daß der rechtmäßige Streikaufruf der Gewerkschaften nicht nur die Arbeitspflicht ihrer Mitglieder suspendiere, sondern auch die der Außenseiter24 • Rechtsqualitativ steht die Streikteilnahme als bloßes Mittel zur Koalitionsbetätigung demnach nicht auf einer Stufe mit der Koalitionsfreiheit selbst. Die den Außenseitern eingeräumte Möglichkeit zur Beteiligung am Streik stellt lediglich eine 20 Vgl. zuletzt BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R; für das Schrifttum vgl. nur Rüthers in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 83 m.w.N.; die Theorie des Doppelgrundrechts ablehnend jedoch Scholz, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Verfassungsrechts VI, § 51 Rn 53 f., S. 1156. 21 Vgl. BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 5 V; BAG v. 7. 6. 88 Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3. Zu einem langsamen Wandel der Rechtsprechung weg von der Kernbereichslehre hin zu einem umfassenden Schutz auch der Koalitionsbetätigung vgl. BVerfG v. 10. 1. 95 BVerfGE 92, S. 26 ff. - Zweitregister -, wo das BVerfG den Begriff des Kernbereichs nicht mehr verwendet, sondern Beschränkungen der Koalitionsbetätigungsfreiheit allgemeiner Grundrechtsdogmatik entsprechend nur aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts annimmt. Zum endgültigen Abschied von der Kernbereichslehre: BVerfG v. 14. 11. 95 EzA Nr. 60 zu Art. 9 GG mit Anmerk. Thüsing. 22 BAG v. 10. 6. 80 Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R mit zahlreichen weiteren Nachweisen; BAG v. 7. 6. 88 Nr. 106 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3; vgl. auch Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 83, 85 m.zahlr.Nachw. aus dem Schrifttum. 23 BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R; BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R; vgl. auch BAG v. 12.9.84 AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 10 V. 24 Ständ. Rechtspr.: BAG GS v. 28. 1. 55 BAGE 1,291 (307); BAG GS v. 29. 11. 67 BAGE 20,175 (195); BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V; BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
rechtsreflexive Begünstigung dar, nicht aber eine originäre Berechtigung aus Art. 9 III GG selbst, da sie ja gerade keiner Koalition angehören 25 . Ein subjektives Recht üben im Falle eines Streiks nur die Mitglieder der Koalitionen aus, denn diesen kommt als Bestandteil des Individualgrundrechts auf Koalitionsbildung auch das Recht auf Teilnahme an der Betätigung der von ihnen gegründeten Koalition zu, wie sie sich im Streik vollzieht 26 . Den Grund für die gleichwohl erfolgende Erstreckung der Suspendierungsbefugnis auch auf die Außenseiter begründet die Rechtsprechung - sofern eine Begründung gegeben wird27 - vor allem mit dem Gedanken der Teilhabe der Außenseiter am Streikerfolg über die meist bestehenden individualvertraglichen Verweisungen auf den jeweils gültigen Tarifvertrag 28 . Auch werden Solidaritätserwägungen zur Begründung der Streikberechtigung mit herangezogen 29.
b) Das Streikrecht als subjektives Recht des einzelnen Arbeitnehmers Demgegenüber geht eine verbreitete Ansicht im Schrifttum davon aus, daß nicht die Einrichtungsgarantie in der Hand der Koalitionen, sondern unmittelbar ein subjektives Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers Grundlage für die Anerkennung seiner Streikteilnahme darstellt. Dieser Konzeption folgt auch der Professorenentwurf eines Arbeitskampfgesetzes 1988, wo in § 21 I ein individuelles Streikrecht der Arbeitnehmer normiert wird, das unter bestimmten Voraussetzungen - § 34 I bis III - auch ohne Zustimmung der Gewerkschaften ausübbar sein so1l30. Dieses subjektive Streikrecht wird aus verschiedenen dogmatischen Ansätzen her entwickelt: Teilweise wird in Art. 9 III GG die Grundlage für die subjektive Berechtigung des einzelnen Arbeitnehmers zum Streik gesehen 3l , teilweise wird ergänzend dazu Art. 2 I GG32 oder Art. 12, 14 GG 33 herangezogen. Auch wird mit 25 Zum Konstrukt der lediglich rechtsreflexiven Begünstigung vgl. Scho/z, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG, Rn 192. 26 Vgl. nur BVerfG v 30.11. 65 BVerfGE 19, 303 (312); BVerfG v. 28. 5. 70 BVerfGE 28, 295 (304); BAG v. 23. 2. 79 OB 79, 1089 (109)0. 27 Ohne Begründung: BAG GS v. 28. 1 55 BAGE 1,291 (307). 28 BAG GS v. 21 4.71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V. 29 Vgl. die Argumentation BAG GS v. 29.11. 67 BAGE 20,175 (195). Siehe auch der dem Ansatz der Rechtsprechung folgende Konzen, ZfA 70,159 (180). 30 § 21 I: ,,zur Durchsetzung von Tarifverträgen haben die Arbeitnehmer das Recht, die geschuldete Arbeitsleistung einseitig zu suspendieren (Streikrecht)". 31 So vor allem Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 128 ff insb. 131, siehe aber auch 0110, m: MünchHandbArbeitsR, § 277 Rn 42ff, insb. 44; Colneric, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 557 32 So vor allem Seiter, Streikrecht und Arbeitskampfrecht, insb. S. 92, der Konzeption Seiters folgend Lieb, Arbeitsrecht, S. 166 FN 14; Brox, in: Brox/ Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 288; Konzen, AcP 77 (1977), 473 (503); Hergenröder, Der Arbeitskampfmit Auslandsberührung, S. 98. 33 Scho/z, m Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG, Rn 192.
I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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Art. 6 Ziff. 4 der Europäischen Sozialcharta vom 19. 9. 1964 argumentiert, der eine einfachgesetzliche Grundlage für ein subjektives Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers beinhalte 34 .
aa) Herleitung aus Art. 9 III GG - Die Konzeption Däublers Vor allem Däubler leitet aus Art. 9 III GG ein subjektives Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers her35 . Dieses subjektiv-öffentliche und aufgrund der unmittelbaren Drittwirkung des Art. 9 III GG auch subjektiv-private Streikrecht bilde die Grundlage für die Anerkennung der Streikberechtigung auch der Außenseiter. Die Vereinigungsfreiheit des Art. 9 III GG beinhalte - auch nach Auffassung der Rechtsprechung - die dogmatische Grundlage für die Möglichkeit des Streiks. Da der Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit aber auch die zu ihrer Realisierung erforderlichen Mittel umfasse, sei die Streikberechtigung unmittelbarer Bestandteil der individuellen Berechtigung aus Art. 9 III GG selbst. Dies entspreche dem allgemeinen Grundsatz, wonach Begünstigungen, die dem Bürger zumindest auch im eigenen Interesse eingeräumt werden, im Regelfall als subjektive Rechte zu qualifizieren seien 36 . Insoweit besteht noch eine gewisse Nähe zur Konzeption der Rechtsprechung und herrschenden Lehre. In bezug auf den Außenseiter geht Däubler aber davon aus, daß der nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer durch seine Streikbeteiligung an einem gewerkschaftlich geführten Streik von seinem Recht zur ad-hoc-Koalierung Gebrauch mache 3? Dadurch werde der Streik von einem Streik der Gewerkschaft zu einem Streik der aus Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtorganisierten gebildeten ad-hoc-Koalition. Auch diese sei aufgrund eines gebotenen umfassenden Schutzverständnis des Art. 9 III GG vom Vereinigungsbegriff erfaßt, und auch ihr müsse genauso wie den Gewerkschaften die Streiklegitimation zuerkannt werden. Andernfalls würde man sie zu einer Koalition zweiter Klasse herab stufen und den durch die Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 9 III GG gewährten Schutz wieder aushöhlen 38 . Daher übe auch der Außenseiter durch seine Streikbeteiligung ein unmittelbares subjektives Streikrecht als Bestandteil der Gründungs- und Betätigungsfreiheit der ad-hoc-Koalition aus, genau so wie der organisierte Arbeitnehmer nach der Konzeption der Rechtsprechung und herrschenden Lehre durch seine 34 Heckelmann, Aussperrung, S. 52; siehe auch die Begründung des Professorenentwurf zu § 21: BirklKonzenlLöwischlRaiserlSeiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 64.
Däubler, in: Däub1er, Arbeitskampfrecht, Rn 128 f. Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 128 unter Berufung auf Wolffl Bachof, Verwaltungsrecht I (9. Aufl.), § 43 I b. 37 Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 131. 38 Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 124; Däubler/Hege, Koalitionsfreiheit, Rn 106ff. 35 36
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Streikteilnahme sein subjektives Streikrecht als Bestandteil der Gründungs- und Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft ausübe. Bei anderen Vertretern des Schrifttums, die ebenfalls eine subjektive Streikberechtigung des Arbeitnehmers aus Art. 9 III GG herleiten 39 , wird zusätzlich darauf verwiesen, daß das Koalitionsrecht durch Art. 9 III GG primär als Individualgrundrecht ausgestaltet sei, und daß daher eine die gesetzliche Lücke schließende richterliche Rechtsfortbildung auch das Streikrecht individualrechtlich ausgestalten müsse40 . Dieser Herleitung eines subjektiv-privaten Streikrechts aus Art. 9 III GG können jedoch gewichtige Einwände entgegengehalten werden. Zum einen beziehen sich diese auf die der Herleitung zugrundeliegende Prämisse, daß Art. 9 III GG auch die ad-hoc-Koalition schützt. Zum anderen richten sie sich gegen die Annahme, daß selbst wenn die ad-hoc-Koalition vom Vereinigungsbegriff des Art. 9 III GG umfaßt sein sollte, dieser notwendig auch das Streikrecht zugesprochen werden müsse. Schließlich ist - selbst bei Unterstellung der Richtigkeit beider Prämissen auf die Unstimmigkeiten hinzuweisen, die bei dieser Herleitung gerade in bezug auf die Streikberechtigung des Außenseiters entstehen, der am gewerkschaftlich geführten Streik teilnimmt. Dafür daß Art. 9 III GG nur Vereinigungen erfaßt, die über eine dauerhafte Organisation verfügen, spricht als systematisches Argument schon die Parallelität zu Art. 9 I GG, wo für die Vereinsfreiheit dieses Erfordernis allgemein anerkannt ist41 • Auch für den fast wortgleichen Vorgänger des Art. 9 III GG in der Weimarer Reichsverfassung, Art 159 WRV, war dies in bezug auf die Vereinigungsfreiheit unbestritten 42 • Wer also die Einbeziehung der ad-hoc-Koalition vertritt, der muß allein gestützt auf einen (vermeintlichen) Sinn und Zweck der Norm und deren diesbezüglich unergiebigen Wortlaut gegen Entstehungsgeschichte und Systematik argumentieren. Dagegen aber, daß Sinn und Zweck des Art. 9 111 GG diese weite Auslegung erfordern, sprechen die gleichen Argumente, die selbst wenn man annimmt, die adhoc-Koalition unterfalle dessen Schutzbereich, gegen die Streikberechtigung einer solchen Koalition sprechen: Das Mittel des Streiks ist eine scharfe Waffe, durch die erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden entstehen kann. Dies verbietet es, das Streikrecht Personen oder Gruppen anzuvertrauen, bei denen nicht die Gewähr 39 Gerade in Hinblick auf die Einbeziehung von Außenseitern in den Arbeitskampf: 0"0, in: MünchHandbArbeitsR, § 277 Rn 42 ff., insb. 44; siehe auch Colneric, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 556; Otte, Das subjektiv-private Arbeitskampfrecht, S. 68 ff. 40 Colneric, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 556. 41 Vgl. nur Scholz, in Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 9 GG, Rn 213; v. Münch, in: Bonner Kommentar, Art. 9 GG, Rn 120 jeweils m.w.N. 42 Vgl. Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts (2. Aufl.), S. 68 und Nipperdey, in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung Bd. III (1930), S. 387, die die ad-hoc-Koalition lediglich zu den Vereinigungen i.w.S. zählen.
1. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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dafür besteht, daß sie nur in einem vertretbaren Umfang davon Gebrauch machen werden. Eine solche Gewähr ist bei den einzelnen Arbeitnehmern, den Mitgliedern der Belegschaften als solchen oder nichtgewerkschaftlichen Gruppen von Arbeitnehmern nicht gegeben43 . Daß auch praktische Erwägungen gegen die Anerkennung der ad-hoc-Koalition sprechen - wieviel Arbeitnehmer machen eine ad-hocKoalition aus, unterhalb welcher Größe kann deren Streik nicht mehr als Kollektivaktion gewertet werden? - bestätigt die Richtigkeit der ganz herrschenden Meinung. Schließlich trägt die Begründung vor allem nicht die Einbeziehung von Außenseitern in den gewerkschaftlich geführten Streik. Würden "die Außenseiter durch ihre Streikbeteiligung von ihrem Recht zur ad-hoc-Koalierung Gebrauch machen,,44, würde der gewerkschaftliche Streik zu einem Streik der ad-hoc-Koalition. Dem steht jedoch entgegen, daß in diesen Fällen - auch nach dem Willen der beteiligten Außenseiter - weiterhin die Gewerkschaft Verhandlungspartner des Arbeitgeber(-verband)s, Tarifvertragspartei und Trägerin des Arbeitskampfs sein soll. Das Recht zur ad-hoc-Koalierung kann den Anschluß Nichtorganisierter an den gewerkschaftlichen Streik daher nicht erklären, selbst wenn man ein solches Recht mit Däubler unterstellen wollte. Gegen die Unschlüssigkeit der Argumentation hilft auch nicht der Hinweis, daß die "letzte Rechtfertigung für die hier vertretene Konzeption" (d. h. die Ansicht Däublers) "im Bekenntnis des Grundgesetzes zur personalen Würde des Einzelnen,,45 liege. Die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt aus Art. 1 I GG zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde sagt nichts, aber auch ganz bestimmt gar nichts darüber aus, ob die Legitimation des Außenseiters zur Streikteilnahme aus einem subjektiv-privaten Recht oder aus der Begünstigung eines Arbeitskampfmittels in der Hand der Koalitionen herrührt. Die Menschenwürde ist keine ,,kleine Münze,,46; sie sollte nicht als argumentatives Draufgeld entwertet werden. bb) Herleitung aus einer Kombination von Art. 2 I und Art. 9 III GG - Die Konzeption Seiters Seiter versuchte, ein subjektives Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers aus einer Kombination von Art. 2 I und Art 9 III GG herzuleiten 47 . Eine Begründung der Legitimation von Streik und Streikteilnahme einzig aus Art. 9 III GG gehe schon deswegen fehl, weil einem Grundrecht, das die Koalitionsbildung und Koalitionsbestätigung schützt, nur schwerlich eine Rechtsposition des Außenseiters entnomZitat: BAG v. 20. 12. 63 AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 9 R. Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 131. 45 Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 131. 46 Dürig (1958), in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art 1 Abs. 1 GG, I 7 a dd (Rn 16 a.E) zum häufigen Mißbrauch der Menschenwürde als argumentativem Allheilmittel. 47 Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, insb. S. 92. 43
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B. Der Außenseiter auf ArbeItnehmerseite
men werden könne, die über em negatives Abwehrrecht gegen Übergriffe der KoalitiOnen hmausgeht. Weitergehende KonstruktiOnen der Rechtsprechung und herrschenden Meinung, die neben dem subjektiven Teilnahmerecht der KoalitionsnutglIeder an der Koalitionsbetätigung Im Arbeitskampf den Außenseitern eme Art "Anschlußrecht" zugestehen - gemeint Ist die lediglich rechtsreflexiv begründete EinbezIehung m die suspendierende Wirkung des Streikaufrufs der KoalitiOnen -, verfehlten den Gewährleistungsgehalt des Art. 9 III GG. Vielmehr sei m Anbetracht dieser konstruktiven UnzulänglIchkeiten der früher herrschenden Meinung zu folgen und mcht m der Koalitionsfreiheit des Art. 9 III GG, sondern in der allgememen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG die Grundlage für das Recht zur TeIlnahme am Arbeitskampf zu sehen; die jeden Einzelnen berechtigende allgemeine Handlungsfreiheit berechtige jeden emzelnen Arbeitnehmer zum Streik. Lediglich die subjektive Rechtsstellung der Verbände Im Arbeitskampf, nicht die des einzelnen Arbeitnehmers sei m Art. 9 111 GG verankert. Damit jedoch mzwischen erreichte Schutzpositionen bei emer solchen Herleitung aus Art. 2 I GG nicht wieder m Frage gestellt würden, müßten die sich aus Art. 9 111 GG ergebenden Absicherungen auch dem mdividuellen Grundrecht des Arbeitnehmers zugute kommen und dessen Schranken ebenso wie der Schutz der Drittwirkungsklausel aus Art. 9 111 2 GG auf die Garantie des subjektiven Streikrechts aus Art. 2 I GG übertragen werden. Dies rechtfertige sich dadurch, daß diese mdividuelle Rechtposition als von Art. 9 111 GG "mitgeprägt" anzusehen sei 48 Eine solche Betrachtung gestützt auf Art. 2 I GG und Art. 9 III GG werde insgesamt am besten der "Gemengelage" zWischen mdividuellen und kollektiven Momenten des Arbeitskampfs gerecht. Diese Konzeption hat von den die Herleitung der Rechtsprechung und herrschenden Memung in Frage stellenden Ansätzen die meiste Zustimmung gefunden. Auch der Professorenentwurf 1988 hat Sich maßgeblIch an dieser Auffassung orientiert49 . Scholz modifiziert die Konzeption Seiters dahingehend, daß er die mdivlduelle Rechtsposition des streikenden Arbeitnehmers nicht aus Art. 2 I GG herleitet, sondern aus den allgememen wirtschaftlichen Grundrechtsgewährleistungen, d. h. aus der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG und der Eigentumsgarantie gemäß Art. 14 GG, gegenüber denen die allgememe Handlungsfreiheit als bloßes Auffanggrundrecht subsidiär seI. Im übrigen stimmt sem Ansatz weitestgehend mit dem Seiters überem so Auch dieser Herleitung eines subjektiven Streikrechts des einzelnen Arbeitnehmers können Einwände entgegengehalten werden. Sie gründen vor allem darin, daß die Konsequenzen dieser Argumentation mit anerkannten Grundsätzen allgememer Grundrechtsdogmatik nicht in Emklang zu bringen smd. Zum anderen sind Seifer, Strelkrecht und Aussperrungsrecht, S. 92. Blrkl Konzenl Löwlsch/ Ra/serl Seifer, Gesetz zur Regelung kollekllver Arbeltskonfhkte, lllsb. § 21 I, Vgl. dazu die Wertung von Loritz und Rlchardi lll. Lieb I v.Stebut I Zöllner, ArbeItskampfrecht - SymposIOn Hugo Selter zum Gedächms, S. 118, 147 50 Scho/z, III Maunz I Düng I Herzog I Scholz, Art 9 GG, Rn 192. 48
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I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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sie darin begründet, daß Seiter die Richtigkeit seiner Auffassung dadurch zu belegen versucht, daß sie die Prämissen bestätigt, die er selbst gesetzt hat. Daß er die Richtigkeit dieser Prämissen nicht überprüft, bringt seine Argumentation in die Nähe eines Zirkelschlusses. Wenn Seiter die Schranken des Art. 9 III GG - mehr noch: auch die Drittwirkungsklausel - auf den Schutzbereich des Art. 2 I GG überträgt, mag darin bereits eine bedenkliche Nähe zur heute fast einhellig abgelehnten Annahme allgemeiner, unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte gesehen werden - Art. 9 III 2 GG ist als Ausnahmevorschrift grundsätzlich nicht analogiefähig 51 . Unabhängig davon lehnt es das Bundesverfassungsgericht jedenfalls in gefestigter Rechtsprechung ab, die Schranken eines Grundrechts auf den Schutzbereich eines anderen zu übertragen. So lehnte es ab, die Schranken der Meinungsfreiheit aus Art. 5 1,11 GG auf die Kunstfreiheit des Art. 5 III GG anzuwenden, weil "die systematische Trennung der Gewährleistungsbereiche (... ) als lex specialis (... ) verbietet, (... ) die Schranken des Abs. 2 auf die in Abs. 3 genannten Bereiche zu übertragen,,52. Der Gedanke der systematischen Trennung von Grundrechtsgewährleistungen muß auch hier beachtet werden, zumal auch hier eine dem Verhältnis lex specialis (Koalitionsfreiheit) / lex generalis (allgemeine Handlungsfreiheit) vergleichbare Relation vorliegt53 . Hier liegt der von Seiter unausgeräumte Widerspruch zur allgemeinen Grundrechtsdogmatik. Aber auch unabhängig von diesen Widersprüchen ist die Begründung Seiters zumindest teilweise von nur geringem argumentativen Wert. So will er die modifikationslose Übertragung der Schranken und die damit einhergehende partielle Gleichsetzung der Gewährleistungsgehalte beider Grundrechte gerade mit dem von ihm selbst in Anführungsstrichen gesetzen, unscharfen und der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion fremden Begriff des "Mitprägens" begründen. Daß dieses Mitprägen ein verfassungsrechtlicher Neologismus ist und eine Prägung von Grundrechten durch andere Grundrechte in Rechtsprechung und Schrifttum sonst nirgends erwogen wird54, schwächt die Überzeugungskraft seiner Argumentation ganz erheblich. Weiterhin spricht gegen die Ansicht Seiters auch der Gedanke, daß die Kombination zweier Grundrechte nicht einen größeren Schutz verleihen kann als beide 51 Zur begrenzten Analogiefähigkeit einer Ausnahmevorschrift: Larenz, Methodenlehre, S. 355; dazu im Widerspruch Seifer, a. a. 0., S. 97 :" Art. 9 III 2 GG ist darauf (analog) anwendbar". 52 BVerfG v. 14.2.71 BVerfGE 30, 173 (191). 53 Gleiches hat das Bundesverfassungsgericht für Art. 4 I, II GG entschieden: BVerfG v. 19. 10.71 BVerfGE 32, 98 (107); vgl. allgemein zur Unübertragbarkeit der Schranken eines Grundrechts auf ein anderes Grundrecht Pierofh/Schlink, Grundrechte - Staatsrecht H, Rn 360 ff. mit Nachweisen zur nur vereinzelt vertretenen Gegenmeinung. 54 Abgesehen von der konzeptionell jedoch ganz anders verstandenen "Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde". Vgl. dazu Zippelius, in Bonner Kommentar - Drittbearbeitung -, Art 1 Abs. 1 und 2 GG, Rn 30 ff.
3 Thüsing
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Grundrechte zusammengenommen: Was in Art. 2 I GG nicht garantiert ist aufgrund dessen weitestgehender Einschränkbarkeit ("verfassungsmäßige Ordnung"), und was Art. 9 III GG nicht schützt aufgrund dessen nach Ansicht Seiters eingeschränktem Regelungs- und Schutzbereich, das wird auch nicht durch die Kombination von Art. 9 III GG und Art. 2 I GG geschützt. Ein weiteres: Logische Bedenken ergeben sich auch daraus, daß Seiter zwar ein subjektives Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers annimmt, der Arbeitnehmer aber das Recht nur in Übereinstimmung mit der Gewerkschaft ausüben können soll. Wenn aber ein subjektives Recht dadurch definiert ist, daß es dem einzelnen zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Ausübung zugeordnet ist55 , was ist dann ein solches subjektives Recht unter kollektivem Vorbehalt, wenn nicht eine contradictio in se? Zuletzt bleibt auf das Begründungsdefizit Seiters bei seiner Kritik an der Rechtsprechung hinzuweisen, sie könne nicht den grundrechtlichen Schutz des streikenden Außenseiters und aussperrenden Einzeluntemehmers herleiten und erklären56 . Seine Auffassung kommt zum gegenteiligen Ergebnis; das Fehlen solcher Lücken bestätigt scheinbar die Richtigkeit seines Ergebnisses. Hierin liegt der oben bereits angesprochene Zirkelschluß: Denn unerwogen bleibt, daß ein solcher Grundrechtschutz möglicherweise gar nicht zu existieren braucht, etwa weil z. B. die Aussperrung ihrer historischen Entwicklung nach vor allem als gemeinschaftliches Handeln mehrerer kollektiv verbundener Arbeitgeber verstanden wurde57 . Die Richtigkeit einer Auffassung nun dadurch bestätigt zu sehen, daß sie einer Einzelaussperrung sogar Grundrechtschutz verleiht, erscheint zumindest solange zweifelhaft, solange nicht dargelegt wird, warum ein solcher Grundrechtsschutz der Konzeption des Verfassungsgebers nach existieren sollte. cc) Herleitung aus Art. 6 Nr. 4 ESC Auch Teil II Art. 6 Nr. 4 der in der Bundesrepublik am 26. 2. 1965 in Kraft getretenen Europäischen Sozialcharta (ESC)58 wird ergänzend oder ausschließlich 55 Vg\. nur Fabricius, ZAS 68, 65 (75); Brox, AT BGB, Rn 561; Wiedemann, Übertragung und Vererbung, S. I f. m. umfa. Nachw. 56 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 89 ff.: ,,Lücken einer aus Art. 9 m GG abgeleiteten Kampffreiheit" . 57 Im Artikel ,,Aussperrung" im Brockhaus, 14. Aufl. (1898) und in Meyers Konversationslexikon, 4. Auflage (1889), wird sogar die Auffassung vertreten, ausschließlich mehrere Arbeitgeber zusammen könnten aussperren. Dies ist wohl auch für die damalige Rechtspraxis unrichtig (Vg\. Lotmar, Arbeitsvertrag H (1908), S. 256). Richtig ist aber, daß nur dort ein Aussperrungsbeschluß vor der Entlassung der Arbeitnehmer und Betriebsstillegung ergehen mußte. Deswegen wurden die Kündigungen durch den Einzelarbeitgeber ohne Aussperrungsbeschluß, obwohl sie das gleiche erreichten, z.T. wohl nicht als Aussperrung bezeichnet. 58 BGB\. 1964 H, 1262 (1267); unterzeichnet am 18. 10. 1961.
I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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zur Herleitung eines subjektiven Streikrechts des einzelnen Arbeitnehmers herangezogen 59 . Danach anerkennen die Vertragsparteien "das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen". Diese Bestimmung könnte dem einzelnen Arbeitnehmer jedoch nur dann ein subjektives Streikrecht einräumen, wenn sie self-executing wäre, d. h. wenn sie nicht lediglich den nationalen Gesetzgeber zu einer Umsetzung verpflichten wollte, sondern unmittelbar selbst Rechte und Pflichten für die Staatsbürger der Unterzeichnerstaaten begründen würde. Weiteres Erfordernis wäre, daß sie inhaltlich so gefaßt wäre, daß Träger dieses Streikrechtes zwingend der Arbeitnehmer sein müßte, Streikrecht i.S. dieser Norm also ausschließlich als subjektivindividuelle Berechtigung des Einzelnen, nicht aber der Arbeitnehmerkoalitionen verstanden werden könnte. Nur wenn beide Prämissen zutreffen, wäre die Herleitung richtig. Bereits die erste Annahme ist äußerst umstritten. Die Rechtsprechung hat sich diesbezüglich nicht festgelegt 60 , die Bundesregierung ging bei Unterzeichnung vom non self-executing-Charakter des Vertragswerks aus 61 . Dieser Auffassung folgt auch eine starke - wohl herrschende - Schrifttumsmeinung 62 • Dafür gibt es gute Gründe. So wird in der Präambel zu TeilIlI des Anhangs festgestellt: "Es besteht Einverständnis darüber, daß die Charta rechtliche Verpflichtungen internationalen Charakters enthält, deren Durchführung ausschließlich der in ihrem Teil IV vorgesehenen Überwachung unterliegt". Dieser Passus weist deut59 Siehe Professorenentwurf BirklKonzenlLöwischlRaiserlSeiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 64; Heckelmann, Aussperrung, S. 52; Söllner, Arbeitsrecht (10. Aufl.), S. 85; ergänzend in der Argumentation mit heranziehend Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 102ff.,126; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 129ff.; Lieb, Arbeitsrecht, S. 166 Fn 14. 60 Siehe BVerfG v. 20. 10. 81 BVerfGE 58, 233 (254); BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 6 R; BAG v. 12.9. 84 AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 11 R. 61 Vgl. BT-Drucks. IV 12117, S. 28: "Ähnlich wie die Konvention des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten beschränkt sich die Sozialcharta nicht auf eine unverbindliche Darstellung von Grundsätzen, sondern gibt den von ihr als Rechte bezeichneten Grundsätzen einen Charakter, der die einzelnen Mitgliedstaaten verpflichtet, diese Grundsätze in einem bestimmten Umfang innerstaatlich zu verwirklichen. Die Charta begründet aber im Unterschied zur Konvention kein unmittelbar geltendes Recht, sondern zwischenstaatliche Verpflichtungen der Vertragsparteien". 62 Schaub, ArbeitsR-Handb, S. 1452; Rüthers, in Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 124; ScholzlKonzen, Aussperrung, S. 61 f.; Konzen, JZ 86, 157 (162); ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 112; mit umfassender Begründung vor allem Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 129ff. (insb. 139); HuecklNipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 921 f. ; a.A. vor allem Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 102 ff.; Mitscherlich, Europäische Sozialcharta, insb. S. 36ff.; Söllner, Arbeitsrecht (10. Aufl.), S. 85 .
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
lieh auf die lediglich völkerrechtliche Verbindlichkeit der Charta hin 63 . Ihn dahin umzudeuten, er besage lediglich, soweit Verpflichtungen internationalen Charakters normiert sind, unterliege deren Durchführung der Überwachung nach Teil IV des Anhangs 64 , wird durch die sonstigen Bestimmungen der Charta nicht gestützt. So enthält Art. 5 ESC allgemein anerkannt ein lediglich völkerrechtliches Verbot zur Beeinträchtigung der Vereinigungsfreiheit65 . Damit würde aber eine unmittelbare Streikgarantie für den Bürger nicht zusammenpassen66 • Wenn also gute Gründe dafür sprechen, daß die ESC zur innerstaatlichen Wirksamkeit der Umsetzung bedarf, ist damit jedoch nicht gesagt, welche Form der Umsetzung dafür erforderlich ist. Wenn sie durch gesetzesersetzendes Richterrecht erfolgen könnte, dann könnte möglicherweise auch der insoweit die Legislative vertretende Richter einer Bindung an die ESC unterliegen. Das Bundesarbeitsgericht hat nach anfänglichem Zögern eine solche Bindung des rechtsfortbildenden Richters an die Vorgaben der ESC bejaht67 , im Schrifttum ist dies aber umstritten 68 . Es spiegelt sich darin das allgemeine Problem wider, inwieweit die richterliche Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts Rechtsfortbildung oder lediglich Verfassungsinterpretation ist, inwieweit die fortwährende Spruchtätigkeit der Gerichte also selbst Rechtsgrundlage und Umsetzungsmittel sein kann69 . Selbst wenn man eine solche Bindung der Gerichte an die Vorgaben der ESC annehmen wollte, bliebe die zweite Prämisse zu überprüfen, ob nämlich die Umsetzung des Art. 6 Nr. 4 ESC dazu verpflichtet, dem einzelnen Arbeitnehmer ein subjektiv-individuelles Streikrecht zuzuerkennen, oder ob ein Streikrecht der Gewerkschaften ausreichend wäre, das die Arbeitnehmer (oder Teile davon) faktisch mit einbezieht. Diese im Schrifttum wenig beachtete Frage70 stellt sich in ähnlicher Weise, wenn man entgegen der hier vertretenen Meinung die unmittelbare innerstaatliche Geltung des Art. 6 Nr. 4 ESC annehmen wollte: Ist dadurch ein sub63 Darauf weisen vor allem hin: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, S. 1452; Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 124; Konzen, JZ 86, 157 (162); HuecklNipperdey, Arbeitsrecht 11/2, S. 921 f. 64 So Söllner, Arbeitsrecht (10. Aufl.), S. 85. 65 Art. 5 ESC: "Um die Freiheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gewährleisten oder zu fördern, örtliche, nationale oder internationale Organisationen zum Schutze ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu bilden und diesen Organisationen beizutreten, verpflichten sich die Vertragsparteien, diese Freiheit weder durch das innerstaatliche Recht noch durch dessen Anwendung zu beeinträchtigen". 66 So auch Konzen, JZ 86,157 (162). 67 Vgl. BAG v. 12. 9. 84 AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 12 V. Offengelassen noch von BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GO Arbeitskarppf, BI. 6 R. 68 Pro: Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 137 ff. Contra: Scholzl Konzen, Aussperrung, S. 61 ff.; Konzen, JZ 86, 157 (162) 69 Vgl. nur BAG v. 26. 4. 88 AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R; BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 7 R. 70 Siehe lediglich Fabricius, ZAS 68, 65 (75); Doher, Die Streikfreiheit, S. 1255 ff. (1261).
I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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jektives Recht des einzelnen Arbeitnehmers statuiert, oder gewährleistet das Streikrecht im Sinne dieser Norm lediglich die Möglichkeit des Arbeitskampfs durch Arbeitsniederlegung seitens des Arbeitnehmers, ohne inhaltliche Vorgaben hinsichtlich der Vorausetzungen und rechtlichen Absicherung zu machen? Diese Frage - in welcher Form sie auch gestellt wird - muß im letzteren Sinne beantwortet werden. Dafür spricht vor allem die tatsächliche Rechtspraxis der anderen Unterzeichnerstaaten, aber auch der Zweck der Bestimmung und ein Vergleich mit anderen internationalen Abkommen. Zwar gibt es Unterzeichnerstaaten, die zweifellos den einzelnen Arbeitnehmer als Träger des Streikrechts auffassen und demgemäß etwa auch den verbandslosen Streik für zulässig halten. Dazu gehören insbesondere Frankreich, Italien und Spanien 71. Es gibt aber auch Unterzeichnerstaaten, die einen rein kollektivrechtlichen Ansatz haben und die Gewerkschaften als Träger des Streikrecht ansehen mit der Konsequenz etwa, daß nicht organisierte Arbeitnehmer nicht streiken dürfen. Dazu gehört z.b. die Türkei72 . Diese vom Sachverständigemat und Ministerkomitee des Europarats unbeanstandete Rechtspraxis der verschiedenen Unterzeichnerstaaten legt nahe, daß die Charta trotz ihrer Formulierung "das Recht der Arbeitnehmer ( ... ) einschließlich des Streikrechts" keine Vorgaben hinsichtlich der Rechtsträgerschaft des Streikrechts macht73 • Dies gilt auch für inhaltliche Vorgaben. So gibt es auch Unterzeichnerstaaten - wie z. B. Dänemark und Norwegen 74 -, die ganz wie im Deutschland der Weimarer Zeit den Streik ohne Kündigung als Vertragsbruch werten, wo ein Streikrecht im hier erörterten Sinne also gar nicht besteht. Auch dies widerspricht der Vorstellung, Art. 6 Nr. 4 ESC räume dem einzelnen Arbeitnehmer ein subjektiv-privates Streikrecht ein oder biete die rechtliche Grundlage für dessen Herleitung. Ein ausschließliches Verständnis als subjektives Streikrecht ist auch nicht aus Sinn und Zweck der Norm herzuleiten. Gemäß dem Einleitungssatz zu Art. 6 Nr. 4 ESC besteht das Streikrecht lediglich, "um die wirksame Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten". Dafür ist es aber gleichgültig, wer 71 Für Frankreich: Lyon-Caen/ Pelessier, droit du travail, Rn 925; für Italien: Zanghi, La liberte syndicale des salaries en Italie, S. 389 ff.; Mazzoni, RdA 70, 351 (354) mit Darstellung abweichender Meinungen zur Streikrechtsträgerschaft in der älteren Literatur. Für Spanien vgl. Femandez, La liberte syndicale des salaries en Espagne, S. 865 ff. und den Gesetzesentwurf von 9. 11. 1992, in dem versucht wurde, das verfassungsmäßig garantierte Streikrecht zu kodifizieren (RdA, 93, S. 300 mit Anmerk. Reitze). Der Entwurf wurde jedoch bisher nicht als Gesetz verabschiedet. 72 Vgl.: Isliki, La liberte syndicale des salaries en Turquie, S. 899 (914, 939). 73 Ein ausführlicher internationaler Überblick über die verschiedenen Träger des Streikrechts im europäischen Arbeitskampfrecht findet sich bei Betten, The Right to Strike in Community Law, S. 135 ff. 74 Vgl. für Dänemark: Jacobsen, The Freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. II Off (insb. 123); für Norwegen vgl.: Jakhelln, The Freedom of the Worker to Organize in Norway, S. 593 (insb. S. 607 f.).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Rechtsträger des Streikrechts ist. Vielmehr weist der kollektive Bezug dieser Bestimmung, der auch in der Formulierung "Recht (... ) auf kollektive Maßnahmen" zum Ausdruck kommt, darauf hin, daß auch eine Streikrechtsträgerschaft der Gewerkschaften möglich ist. Dem entspricht auch ein Vergleich mit anderen internationalen Verträgen: So wird sowohl Art. 3 und 10 des ILO-Übereinkommens Nr. 8775 als auch Art. 8 I d des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 76 eine Streikgewährleistung entnommen. Über eine Rechtsträgerschaft und die Voraussetzungen des Streiks entscheiden sie nicht 77 . c) Keine Streikbeteiligung von Außenseitern
Die bisher dargestellten Auffassungen haben gemein, daß sie alle - wenn auch mit unterschiedlicher Begründung - die Streikberechtigung des Außenseiters bejahen. Im Widerspruch zu dieser fast allgemeinen Meinung gibt es aber auch eine ältere, publizistisch das letzte Mal vor über 20 Jahren vor allem von van Gelder und Leinemann vertretene Auffassung, nicht organisierte Arbeitnehmer dürften nicht an einem gewerkschaftlich geführten Streik teilnehmen 78 oder nur dann, wenn deren Arbeitsvertrag eine Bezugnahme auf den jeweils gültigen Tarifvertrag enthält79 • Van Gelder und Leinemann gehen davon aus, der Streikaufruf der Gewerkschaften suspendiere nur die Arbeitsverhältnisse der organisierten Arbeitnehmer, so daß eine Beteiligung von Außenseitern am Streik nur nach vorheriger Kündigung zulässig wäre. Denn in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei ein Arbeitskampf nur dann als rechtmäßig zu werten, wenn er zwischen tariffähigen Parteien stattfinde und auf Abschluß eines Tarifvertrages gerichtet sei. Bei dem Merkmal "Streit zwischen tariffähigen Parteien" sei jedoch auf Arbeitnehmerseite zu beachten, daß die tariffahige Gewerkschaft zwar zum Streik aufrufen, nicht aber selbst streiken könne, und der nicht organisierte Arbeitnehmer - anders als der nicht organisierte Arbeitgeber - nicht tariffähig ist. "Streik zwischen tariffähigen Parteien" bedeute also, daß die streikenden Arbeitnehmer in der Gewerkschaft organisiert sein müssen, mit der der angestrebte Tarifvertrag abgeschlossen werden so1l80. BGBI. 1956 II, S. 2072 f. BGBI. 1973 II, S. 1569f. 77 VgI. auch Däubler, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 104 f. 78 Van Gelder/Leinemann, AuR 70,1; vgI. auch dies., BlStSozArbR 70, 253; Mecker, Arbeitskampf, S. 1IOff.; früher auch Ramm, AuR 64,129 und Richardi, Arbeitsrecht (2. Auf!. 1972), S. 104, die beide aber ihre Meinung geändert haben: Ramm, Die Zeit 9174, S. 4 und Richardi, Arbeitsrecht (5. Auf!. 1987) S. 143. 79 Kraft, RdA 68, 434 (insb. 436). 80 Van Gelder/Leinemann, AuR 70,1 (6). 75
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I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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Differenzierter ist demgegenüber die Argumentation Krafts. Danach sei Voraussetzung für die Streikbeteiligung des Außenseiters, daß dessen Arbeitsvertrag auf eine Ausfüllung durch den Tarifvertrag angelegt sei. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Arbeitsvertrag auf den jeweils geltenden Tarifvertrag Bezug nehme oder eine Angleichung aufgrund betrieblicher Übung erfolge. Dogmatisch begründet er dies auf dem Boden einer rein individualrechtlichen Arbeitskampftheorie. Er geht in Anknüpfung an die Rechtsprechung und Lehre vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28. 1. 1955 davon aus, daß die Arbeitsniederlegung ohne Kündigung rechtswidrig sei, wenn ihr arbeitsvertragliche Pflichten entgegenstehen81 • Bei den Gewerkschaftsangehörigen bestimmten sich die Arbeitspflichten nach den normativen Bestimmungen des Tarifvertrags. Laufe der Tarifvertrag aus, bestünden diese Pflichten nur noch aufgrund der Nachwirkung des Tarifvertrages nach § 4 V TVG. Diese Nachwirkung lasse die arbeitsvertraglichen Pflichten jedoch nicht in gleicher Intensität bestehen wie vorher, sondern bestimme die beidseitigen Leistungspflichten nur vorläufig und falle weg, wenn vorrangige gemeinsame Interessen der Vertragspartner an einer neuen tariflichen Regelung überwiegen. Dies sei der Fall, wenn ein Tarifvertrag nur durch Arbeitskampf zu erreichen sei. Daher sei auch nur dann, wenn der Individualarbeitsvertrag des Nichtorganisierten in ähnlicher Weise "offen" für eine tarifvertragliche Neuregelung sei, auch für ihn eine Suspendierung der Arbeitspflicht durch Arbeitskampfteilnahme anzunehmen. Dies sei das richtige Verständnis der einheitlichen Betrachtung von kollektiver und individualvertraglicher Ebene bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Streikteilnahme durch das Bundesarbeitsgericht82 • Diese Argumentation begegnet Bedenken, unabhängig davon, ob sie im Ergebnis zutreffen mag oder nicht. Dies gilt insbesondere für die Begründung durch van Geldern und Leinemann. Ohne sich um eine dogmatische Herleitung des Streikrechts zu bemühen, greifen sie fragmentarisch das von der Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis eines "Streiks zwischen tariffähigen Parteien" heraus und deuten es in das Erfordernis eines "Streiks zwischen tarifgebundenen Parteien" um. Dies kann argumentativ schon deswegen kaum überzeugen, weil bei dieser Umdeutung nicht auf den Grund eingegangen wird, aus dem heraus die Rechtsprechung dieses Erfordernis aufgestellt hat: Nur ein Streik als Arbeitskampfmittel in den Händen der Koalitionen biete die Gewähr dafür, daß der Arbeitskampf nur in einem vertretbaren Umfang erfolgt und nicht mutwillig vom Zaun gebrochen wird 83 • Dafür aber ist es ohne Bedeutung, ob sich diesem "Streik zwischen tariffähigen Parteien" nicht organisierte Arbeitnehmer anschließen. Der fragmentarische Charakter der Argumentation durch van Geldern und Leinemann und die damit einhergehende mangelnde Überzeugungskraft ihrer in späteren Publikationen nicht wiederholten Auffassung wird überdies dadurch deutlich, daß viele Aspekte, die für eine Beteili81 82
83
Kraft, RdA 68, 434 (436) unter Berufung auf Nikisch. Vgl. Kraft, RdA 68, 434 (436). Vgl. BAG v. v. 20. 12.63 AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 9 R.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
gungsmöglichkeit nicht organisierter Arbeitnehmer am gewerkschaftlichen Arbeitskampf sprechen könnten - die soziale Wirklichkeit des Kampfgeschehens, die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems - nicht berücksichtigt werden 84 . Schwieriger entgegenzutreten scheint es der Argumentation Krafts. Sie stellt die konsequente Fortführung des auch von der Rechtsprechung und von anderen Vertretern des Schrifttums geäußerten Gedankens dar, daß der Grund für die Streikberechtigung des Außenseiters in dessen faktischer Teilhabe am Streikeifolg liegt85 . Verfehlt erscheint aber die dogmatische Einbettung dieses Partizipationsgedankens, denn sie stellt ihrem Ansatz nach einen Rückfall in die Konzeption der Streikfreiheit der Weimarer Zeit dar, indem sie die Rechtmäßigkeit der Arbeitsniederlegung nicht anhand kollektiver Kriterien beurteilt, sondern letztlich an ihrer indvidualvertraglichen Zulässigkeit messen will 86 . Auch erscheint an der Herleitung problematisch, daß Kraft bei der Bewertung der Bindungsintensität die individualvertragliche Bezugnahme und die normative Nachwirkung des Tarifvertrags gleichstellt: Bei der individualvertraglichen Bezugnahme ist Rechtsgrund der Arbeitspflicht der Arbeitsvertrag. Der aber ändert sich nicht, wenn der in Bezug genommene Tarifvertrag nur noch nachwirkt und dort eine Lockerung der Bindungswirkung eintritt 8? Indes bleibt zuzugeben, daß die Auffassung Krafts unabhängig von diesen dogmatischen Schwachpunkten zumindest im Ergebnis Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen kann, wenn die Partizipation des Außenseiters am Streikerfolg wirklich den Grund für dessen Streikberechtigung darstellen würde und eine generalisierende Ausdehnung dieser Berechtigung auf alle Arbeitnehmer, mögen sie im Einzelfall auch nicht partizipieren, unzulässig wäre. Die folgende Stellungnahme wird darauf eingehen.
3. SteUungnahme ausgehend vom Streikrecht als Bestandteil der Arbeitskampfmittelgarantie
Da die Herleitung eines subjektiv-individuellen Streikrechts unabhängig von der Koalitionsbetätigungsgarantie auf die oben dargelegten Bedenken stößt, ist der 84 Für (auf weitere Aspekte gestützte) Kritik an der Aufassung van GeldemlLeinemann siehe auch BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf BI. 8 V; Brox, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 289. 85 Und zwar unabhängig von der dogmatischen Herleitung der Streiklegitimation: Vgl. BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V für den kollektivrechtlichen Ansatz des BAGs; Vgl. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 39 für die Herleitung aus einem subjektiv-privaten Streikrecht; siehe auch OUo, in: MünchHandbArbeitsR, § 277, Rn 47, § 278 Rn 58. 86 Vgl. Abschn. B. I. am Anfang. 8? Zur Kritik an der dogmatischen Herleitung des Streikrechts durch Kraft vgl. auch Brox, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 289.
I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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Rechtsprechung und herrschenden Meinung zu folgen und von der Streikträgerschaft der Arbeitnehmerkoalitionen auszugehen. Die Richtigkeit dieses Ansatzes ergibt sich jedoch nicht nur aus der Unschlüssigkeit der gegenteiligen Meinungen. Für die Anerkennung eines Streikrechts allein der Gewerkschaften sprechen gute Gründe: So verweist das Bundesarbeitsgericht zu Recht auf die Länderverfassungen, die fast alle eindeutig von einer Streikträgerschaft der Koalitionen ausgehen 88 . Auf einen zweiten Punkt verweist Rüthers: Allein der kollektive Ansatz der Rechtsprechung und herrschenden Meinung vermeidet es, das Streikrecht, das ja ein bloßes Mittel der durch Art 9 III GG geschützen Koalitionsbetätigung ist, rechtsqualitativ der individuellen und kollektiven Koalitionsfreiheit dadurch gleichzusetzen, daß man den einzelnen Arbeitnehmer zum Träger des Streikrechts macht, obwohl diesem nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm nur das Grundrecht zur Koalitionsbildung zusteht89 . Gestützt wird das Verständnis der herrschenden Meinung schließlich auch von der Entstehungsgeschichte des Art. 9 GG: Dort sollte nach ursprünglichem Plan des Parlamentarischen Rates auch das Streikrecht in einem Abs. IV mit aufgenommen werden. Dies geschah letztlich nicht; nach der ersten Lesung wurden keine diesbezüglichen Anträge mehr gestellt. Das lag wohl daran, daß eine zu große Kasuistik auf Verfassungsebene vermieden werden sollte, die ein dann notwendig gewordener Ausschluß von politischem Streik und Beamtenstreik mit sich gebracht hätte 9o . 88 Unklar lediglich die Verfassungen der Länder Berlin, Brandenburg, Thüringen und des ehemaligen Württemberg-Hohenzollem: - Berlin (Art. 18 III): "Das Streikrecht ist gewährleistet", - Brandenburg (Art. 51 II S. 3): "Das Streikrecht wird gewährleistet", - Bremen (Art. 51 III): "Das Streikrecht der wirtschaftlichen Vereinigungen wird anerkannt", - Hessen (Art. 29 IV): "Das Streikrecht wird anerkannt, wenn die Gewerkschaften den Streik erklären", - Rheinland-Pfalz (Art. 66 II): "Das Streikrecht der Gewerkschaften im Rahmen der Gesetze wird anerkannt", - Saarland (Art. 56 II): "Das Streikrecht der Gewerkschaften ist im Rahmen der Gesetze anerkannt", - Thüringen (Art. 37 II): "Das Recht Arbeitskämpfe zu führen, insbesondere das Streikrecht, ist gewährleistet". Aufgehoben nach Bildung des Landes Baden· Württemberg aufgrund Volksabstimmung vom 9. 12.51: - Baden (Art. 38 II):"Das Streikrecht der Gewerkschaften im Rahmen der Gesetze wird anerkannt", - Württemberg-Baden (Art. 23 III): "Das Streikrecht der Gewerkschaften im Rahmen der Gesetze wird anerkannt", - Württemberg-Hohenzollem (Art. 97): ,,(1) Der Staat anerkennt das Streikrecht als Recht der Arbeitnehmer auf gemeinsame Niederlegung der Arbeit zur Erhaltung ihrer Lebensgrundlage und zur Erreichung günstigerer Arbeits-, insbesondere Lohnverhältnisse. (2) Die Gewerkschaft entscheidet darüber, ob und in welchem Umfang die Arbeitnehmer in den Streik treten". Vgl. die Wertung des BAG v. 20. 12.63 AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 9. 89 Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 83.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Die Fassung, die im Gesetzgebungsverfahren zuletzt erörtert wurde, war aber der ursprüngliche Vorschlag der Gewerkschaften: "Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet". Daß daraus ein Kampfmonopol der Gewerkschaften erwachsen würde, wurde zu keiner Zeit beanstandet und eine Fassung, die eindeutig den einzelnen Arbeitnehmer als Träger des Streikrecht aufgefaßt hätte, wurde während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens nicht erörtert91 • Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 9 GG spricht somit eher für den Ansatz des Bundesarbeitsgerichts und des ihm folgenden Schrifttums als gegen ihn. Ist also von der Streikträgerschaft der Gewerkschaften auszugehen und die Legitimation zur kollektiven Arbeitsniederlegung darin zu erblicken, daß sie notwendiges Arbeitskampfmitte1 zur Durchsetzung von Tarifverträgen und zur Verwirklichung der durch Art. 9 III GG geschützten Tarifautonomie ist, dann ist zweierlei zu fragen: Erstens, ob sich auch nach diesem Konzept die suspendierende Wirkung des rechtmäßigen Streikaufrufes auf die Arbeitsverhältnisse der nicht organisierten Arbeitnehmer überhaupt erstrecken kann. Bejahendenfalls stellt sich - zweitens die Frage, ob die Erstreckung der Suspensionswirkung auch auf Außenseiter nicht nur grundsätzlich möglich ist, sondern auch in einer Gesamtbetrachtung der sozialen Wirklichkeit des Kampfgeschehens und den Wertungen des Grundgesetzes als geboten erscheint.
a) Suspendierungsbejugnis in bezug auf Außenseiter und die Grenzen der Koalitionsmacht Von einem Teil des Schrifttums - insbesondere Seiter - wird der hier vertretenen rein kollektiven Arbeitskampftheorie entgegenhalten, sie müsse eine Streiklegitimation der Außenseiter zwingend verneinen, weil sie ja von einem Streikrecht nur der Gewerkschaften ausgehe 92 • Eine Suspendierungsbefugnis der Gewerkschaften in bezug auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitglieder erscheine bereits bedenklich, wird ihnen doch damit als außenstehende Dritte das Recht zum Vertragseingriff eingeräumt. Gegenüber Nichtorganisierten scheitere die Annahme einer solchen Befugnis bei Ausübung des gewerkschaftlichen Streikrechts aber zwingend an der Beschränkung der Koalitionsrnacht auf die Mitglieder93 . Gegenteiliges könne auch nicht mit einem Hinweis auf § 311 TVG begründet werden, da aus dieser partiellen Ausdehnung der Tarifgebundenheit auf Nichtorganisierte nicht analog auf eine Suspendierung der Außenseiterarbeitsverhältnisse durch den Streikaufruf geschlos90 So Rüthers, in: Brox I Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 80 gestützt auf HA-Sen.Prot., 17. Sitzung vom 3. 12. 1948, S. 215. Vgl. auch ders., Streik und Verfassung, S. 22 f.; Seiter, Streikrecht und Arbeitskampfrecht, S. 64. 91 Vgl. dazu HA-Sen.Prot., 18. Sitzung vom 4. 12. 1948, S. 215; Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 80 Fn 24; Seiter, Streikrecht und Arbeitskampfrecht, S. 64 f. 92 So insb. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 42; Hergenröder, Der Arbeitskampf mit Auslandsberührung, S. 98. Kritisch auch Lieb, Arbeitsrecht, S. 166. 93 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 42.
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sen werden könne: § 3 11 TVG sei eine Ausnahmevorschrift und daher nicht analogiefähig 94 . Dieser grundsätzliche Einwand gegen die Möglichkeit einer Suspendierungsbefugnis auch bezüglich der Arbeitsverhältnisse nicht organisierter Arbeitnehmer überzeugt jedoch nicht. Er beruht auf einem fehlgehenden Verständnis der durch den gewerkschaftlichen Streikaufruf eintretenden Suspendierungswirkung und des Begriffs der Ausnahmevorschrift: Träger des Streikrechts sind die Gewerkschaften. Dieses Recht, durch rechtmäßigen Streikbeschluß Arbeitsverhältnisse suspendieren zu können, ist Ausfluß ihrer Koalitionsrnacht. Diese ist aber nicht zwingend auf ihre Mitglieder beschränkt. § 3 11 TVG zeigt, daß die den Koalitionen eingeräumte Tarifautonomie unmittelbar Wirkungen auch auf nicht organisierte Arbeitnehmer haben kann, die (Nicht-)Mitgliedschaft also nicht unüberwindbare Schranke der Koalitionsrnacht ist. Daraus kann gefolgert werden, daß es auch andere Fälle geben kann, in denen den Gewerkschaften als Ausfluß ihrer Koalitionsrnacht unmittelbare Gestaltungsbefugnisse auch bezüglich der Arbeitsverhältnisse von nicht organisierten Arbeitnehmern eingeräumt werden können. Dem kann nicht entgegengehalten werden, § 3 11 TVG sei eine Ausnahmevorschrift und als solche nicht analogiefähig. Daß Ausnahmevorschriften nicht analogiefähig sind, trifft in dieser Allgemeinheit nicht ZU 95 . Eine Norm ist nur dann eine nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift, wenn sie zu einer anderen Regel - der Grundnorm - in einem echten Regel / Ausnahmeverhältnis auch der Sache nach steht. So ist z. B. § 10 11 BauGB-Maßnahmegesetz eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift zu dem in § 80 I S. I VwGO normierten Grundsatz, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben. Wenn aber der Gesetzgeber eine von ihm beabsichtigte Einschränkung des Anwendungsbereichs einer Norm nicht sogleich in die Formulierung des Grundtatbestandes aufnimmt, sondern ihn erst anschließend in Gestalt eines einschränkenden Rechtsatzes - einer "negativen Geltungsanordnung" - einfügt, dann ergeben erst beide Bestimmungen zusammen den einheitlich zu bewertenden Rechtsatz 96 . So ist z. B. § 285 BGB nicht die Ausnahmevorschrift zu der in § 284 BGB gegebenen Definition des Verzuges, und § 935 BGB ist nicht eine Ausnahmevorschrift zu der in § 932 BGB bestimmten Möglichkeit des Gutglaubenserwerbs. Vielmehr äußert sich in beiden Regelungen ein die Intention der Gesamtrege1ung prägendes Rechtsprinzip - kein Schadenersatz ohne Verschulden, Schutz des Beharrungsinteresses beim Gutglaubenserwerb für den Verlierenden 97 • 94 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 42 entgegen Brandner, BB 1957, 1281 (1282). 95 Vg!. Larenz, Methodenlehre, S. 355; Palandtl Heinrichs, BGB, Ein!. Rn 45 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 96 Vg!. Larenz, Methodenlehre, S. 355. 97 Vg!. Larenz, Methodenlehre, S. 355.
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Ein solcher verallgemeinerungsfähiger Rechtsgedanke als Teil der sich aus § 3 TVG ergebenden Gesamtregelung kann auch § 3 11 TVG entnommen werden: Zum einen spricht die gleichberechtigte systematische Stellung als Abs. 1 und Abs. 2 mit jeweils voneinander unabhängigen Geltungsanordnungen dagegen, im Verhältnis dieser beiden Absätze ein echtes Regel / Ausnahmeverhältnis zu sehen. Daß § 3 11 TVG vielmehr Ausdruck eines verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedankens ist, legt auch dessen Entstehungsgeschichte nahe: So kam nach Darstellung des an der Schaffung des TVG maßgeblich beteiligten Herschels § 3 11 TVG dadurch zustande, daß eine betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Regelung zwingend betriebseinheitlich erfolgen müßte, um funktionieren zu können. Sollten die Tarifvertragsparteien als Bestandteil der ihnen eingeräumten Tarifautonomie neben Inhaltsnormen auch betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Normen vereinbaren können, mußte deren persönlicher Geltungsbereich daher zwingend auf die nicht organisierten Arbeitnehmer eines Betriebes erstreckt werden 98 . Wiedemann sieht demgegenüber in der Erweiterung des persönlichen Geltungsbereichs durch § 3 11 TVG einen Ausdruck allgemeiner Gleichheitsgerechtigkeit. Auf die eine umfassende Geltung der Tarifnormen anstrebende Ordnungsfunktion des Tarifvertrages und die Notwendigkeit einer betriebseinheitlichen Regelung brauche daher nicht zurückgegriffen werden 99 . Unabhängig davon, welcher Ansicht man folgt: § 3 11 TVG ist demnach nicht ein bloßer Ausnahmefall zu § 3 I TVG, sondern eine Ausprägung des Prinzips, daß die Koalitionsrnacht überall dort auch die Außenseiter erfaßt, wo dies zur Realisierung der Tarifautonomie geeignet und erforderlich ist oder durch übergeordnete Rechtsgrundsätze geboten erscheint, kurz: daß die negative Koalitionsfreiheit dort zurücktreten muß, wo es die verfassungskonforme Ausgestaltung der positiven gebietet!oo. Daher ist § 3 11 TVG zumindest in dem Sinne verallgemeinerungsfähig, daß die Nichtmitgliedschaft keine zwingende Begrenzung der Koalitionsrnacht und damit auch der Suspendierungsbefugnis der Gewerkschaften ist. Einer Übertragung des in § 3 11 TVG enthaltenen Rechtsgedankens auf die Suspendierung von Außenseiterarbeitsverhältnissen kann auch nicht entgegenhalten werden, die Suspendierung des Arbeitsverhältnis sei ein schwerwiegenderer Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit als die bloße Einbeziehung eines Arbeitsverhältnis in die normative Wirkung betrieblicher und betriebsverfassungsrechtlicher Tarifvertragsbestimmungen, so daß diese gedankliche Anlehnung einen unzulässigen Schluß a minore ad maius darstellen würde.
98 Herschel, ZfA 73, 183 (191). Herschel war laut Protokoll Nr. 16 der Sitzung des Ausschusses für Arbeit vom 13. 10. 48 deIjenige, auf dessen Formulierung und Vorschlag § 3 Il TVG zurückgeht (siehe Wiedemann/Stumpf, TVG, Gesch Rn 14). 99 Wiedemann, RdA 69, 321 (323). 100 Vgl. auch Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 67. Zu dem dadurch zum Ausdruck kommenden Verhältnis zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit vgl. auch Abschn. B. I. 2. c) cc), B.III.2 a).
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Ein solcher Einwand würde auf einem falschen Verständnis der Suspendierungsbefugnis beruhen: Durch den Streikaufruf der Gewerkschaften werden sicherlich nicht die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer in toto suspendiert, weder der organisierten noch der nicht organisierten. Andernfalls fiele auch automatisch die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers weg, eine Aussperrung wäre überflüssig lOl . Die Suspendierungswirkung des Streikaufrufes hat lediglich zur Folge, daß der Arbeitnehmer nicht mehr verpflichtet ist zu arbeiten lO2 • Arbeitet er aber, erhält er auch sein Entgelt. Die synallagmatisch-kausale Verknüpfung der Arbeitsund Entgeltspflicht wird durch eine synallagmatisch-konditionale Verknüpfung ersetzt, an Stelle des zweiseitigen do ut des tritt das einseitige 103. Damit stellt die Suspendierungswirkung des Streikaufrufs eine dem Außenseiter zufließende Berechtigung dar und ist als ein geringerer Eingriff in seine Rechtsstellung zu werten als § 3 11 TVG. Die Erweiterung der Koalitionsrnacht auf Nichtorganisierte auch bezüglich der Supendierungswirkung des Streikaufrufs stellt daher ausgehend von § 3 11 TVG einen zulässigen Schluß a maiore ad minus dar, eine Vergleichbarkeit der Interessenlagen vorausgesetzt.
b) Mögliche Gründe für die Erstreckung der Suspendierungsbefugnis auf Außenseiter
Auch wenn demnach die Mitgliedschaft keine zwingende Begrenzung der Kollektivmacht der Gewerkschaften darstellt, heißt dies jedoch noch nicht, daß auch eine Suspensionswirkung des Streikaufrufs in bezug auf Arbeitsverhältnisse nicht organisierter Arbeitnehmer rechtlich zulässig ist. Dies kann nicht damit begründet werden, die fortgesetzte Spruchtätigkeit der Gerichte stelle ein gesetzesvertretendes Richterrecht dar und sei damit selber der Rechtsgrund für die Einbeziehung der Außenseiter. Dem könnte schon entgegenstehen, daß das Bundesarbeitsgericht wiederholt betont hat, seine Entscheidungen im Arbeitskampfrecht erhöben nicht den Anspruch gesetzesersetzenden Richterrechts, sondern seien lediglich Verfassungsinterpretation 104. Damit sei sie zwar eine Rechtserkenntnisquelle, nicht aber Rechtsnorrnenquelle, folglich Rechtsgrund allein für den zu entscheidenden Einzelfall. Von einem gesetzesersetzenden Rich101 Bedenklich schon aus diesem einleuchtenden Grund die Argumentation BAG v. 22.3.94 AuR 94,36 und BAG v. 31. l. 95 EzA Nr. 119 zu Art 9 GG Arbeitskampf mit Anmerk. Thüsing; zutreffend BAG v. 14. 12.93 AuR 95, 4l. 102 Suspendiert wird nur die Arbeitspflicht ders Arbeitnehmers, nicht das Arbeitsverhältnis: Zöllner / Lorifz, Arbeitsrecht, S. 428; Lieb, Arbeitsrecht, S. 166; RÜfhers, in: Brox I Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 288; a.A. Söllner, Arbeitsrecht, S. 104. 103 Tendenziell verfehlt - da von einern falschen Suspendierungsverständnis ausgehend die Argumentation bei Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 42,33. 104 Vgl. nur BAG v. 26. 4. 88 AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R; BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 7 R.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
terrecht könne daher nicht gesprochen werden, für die Geltung als Gewohnheitsrecht aber weist es zutreffend darauf hin, daß es dieser strittigen Materie und Konzeption am dafür erforderlichen allgemeinen Geltungswillen fehlt 105 . Unabhängig davon muß sich aber auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sei sie lediglich Verfassungsinterpretation oder Quelle gesetzesvertretenden Richterrechts, an der Verfassung und den für die Rechtsfindung und Normeninterpretation geltenden Grundsätzen messen lassen. Danach beurteilt sich ihre Rechtmäßigkeit und Gültigkeit 106. So bedarf es auch bei der Einbeziehung von Außenseitern in den gewerkschaftlich geführten Streik für diese Ausweitung der Kollektivmacht - entsprechend wie bei § 3 II TVG - eines rechtfertigenden Grundes. Solch ein Grund wäre dann gegeben, wenn die Einbeziehung der Außenseiter notwendig wäre zur Realisierung der durch Art. 9 III GG garantierten Tarifautonomie, etwa weil andernfalls die Funktionsfahigkeit des Arbeitskampfsystems gefährdet wäre. Die Einbeziehung der Außenseiter wäre aber auch dann gerechtfertigt, wenn sie aus sonstigen Verfassungs- und rechtsethischen Prinzipien geboten wäre, denn auch an diesen hat sich nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch der Richter zu orientieren, der - entsprechend der klassischen Definition des Art. 1 SchweizZGB - im Falle lückenhafter Gesetzesregelung "nach der Regel entscheiden" (soll), "die er als Gesetzgeber aufstellen würde,,107. Als mögliche Rechtfertigungsgründe werden unabhängig von der dogmatischen Herleitung der Außenseiterbeteiligung genannt: Die Solidarität der nicht organisierten mit den organisierten Arbeitnehmern 108 , die Tatsache, daß der Außenseiter über die regelmäßig bestehenen individual vertraglichen Bezugnahmen auf den Tarifvertrag am Streikerfolg teilhat 109, und - drittens - die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems, die andernfalls nicht gewährleistet wäre" O• Diese Gründe gilt es zu überprüfen. 105 Vgl. nur BAG v. 26.4. 88 AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R; BAG v. 10.6.80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 7 R. 106 BAG V. 10.6.80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 7[; Konzen, DB 80,1593 (1596); vgl. allgemein zu diesen Grundsätzen Larenz, Methodenlehre, S. 312ff., S. 366ff. und die immer noch gehaltvolle Kommentierung des Art. 1 SchweizZGB durch Egger (1929): Oser (Hrsg.), Kommentar zum SchweizZGB. 107 Vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 421 ff Die Formulierung des Schweizerische Gesetzbuch findet sich ähnlich schon bei Aristoteles, Ethik V 14: "Wenn ein Gesetz zu allgemein laute und deshalb nicht auf den Fall passe, solle man die Auslassung so verbessern, wie der Gesetzgeber selbst, wenn er da wäre und den Fall sähe, es sagen und gesetzlich bestimmen würde". 108 Hueck/ Nipperdey, Arbeitsrecht II /2, S. 945 Fn 431; Konzen, ZfA 70,159 (180); Vgl. auch die Argumentation BAG GS v. 29 11.67 BAGE 20, 175 (195). 109 Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 39; Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 277 Rn 47, § 278 Rn 58; Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 238 Rn 53; Lieb, RdA 91, 145 (150); Vgl. auch BAG v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf BI. 8; BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V für die Aussperrung.
1. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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aa) Solidarität von Organisierten und Nichtorganisierten Ob die Solidarität zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern im Arbeitskampf - genauer: die daraus resultierende Konsequenz in der rechtlichen Wertung - ein solches verfassungsimmmanentes bzw. rechtsethisches Prinzip darstellt und die Erstreckung der Suspendierungswirkung des Streikaufrufs auf Außenseiterarbeitsverhältnisse rechtfertigt, erscheint zweifelhaft. Im Ergebnis ist dies zu verneinen. Allerdings hat das Prinzip der Solidarität zwischen Arbeitnehmern eines Betriebs oder der gesamten Arbeitnehmerschaft nach der Rechtsprechung und dem arbeitsrechtlichem Schrifttum auch in bezug auf andere Phänomene und Rechtsinstitute des Arbeitskampfs Bedeutung: So wurde die Betriebsrisikolehre in der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts und älteren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts mit dem solidarischen Handeln und Haften der Arbeitnehmerschaft begründet 1ll . Auch wird ein Streik, der außerhalb des räumlichen oder fachlichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrags erfolgt (Sympathie- oder Solidaritätsstreik), von einem Teil des Schrifttums insbesondere mit dem Hinweis auf das Solidaritätsprinzip als rechtmäßig erachtet 112. Schließlich gibt es im schweizerischen Recht Solidaritätsbeiträge, die ein nicht organisierter Arbeitnehmer an die Gewerkschaften zahlen muß, wenn er durch fönnliche Anschlußerklärung nach Art. 356b SchweizZGB den persönlichen Geltungsbereich des Gesamtarbeitsvertrag auf seine Person erweitern will ll3 . Das Solidaritätsprinzip hat also durchaus arbeitsrechtliche Bedeutung 1l4 ; auch im gesellschaftlichen Bereich verweisen sowohl Parteien als auch Gewerkschaften auf dieses Prinzip 1l5. 110 ScholzlKonzen, Ausspenung, S. 257; Lieb, Arbeitsrecht, S. 194; ders., RdA 91, 150; Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 322; vgl. auch BAG v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf BI. 8; Kalb, RdA 94, 385 (387). Siehe auch die Begründung des Professorenentwurf 1988: BirklKonzenlLöwischlRaiserlSeiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 43. III Grundlegend die Kieler-Straßenbahn-Entscheidung RGZ v. 6. 2. 23 RGZE 106, 272 (274f.); später BAG v. 8. 2. 57 AP Nr. 2 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, BI. 2; BAG v. 25. 7. 57 AP Nr. 3 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, BI. 3; offengelassen BAG v. 7. 11. 75 AP Nr. 30 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, BI. 1 R. 112 So insb. Birk, Unterstützungskampfmaßnahmen, S. 46ff., 72, 86ff.; HuecklNipperdey, Arbeitsrecht ß/2, S. 1009 FN 35; Bieback, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 372, der das Soldaritätsprinzip als Bestandteil von Art. 9 III GG ansieht; V gl. auch die Argumentation WiedemannlStumpf, TVG, § 12a Rn 56. 113 Zur Diskussion darüber im deutschen Recht vgl. Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 238, Rn 49 ff. 114 Zu weiteren Bereichen, wo im Arbeitsrecht mit dem Gedanken der Solidarität argumentiert wird: PfarrlKittner, Solidarität im Arbeitsrecht, RdA 74, 284ff; Gamillscheg, Die Solidarität als Rechtsbegriff, FS Fechner, S. 135 f.; siehe auch Tomandl, AcP 64 (1964), 183 (209). 115 Vgl. das Grundsatzprogramm der CDU vom 23.2.94, wo allein 19 mal auf den Begriff der Solidarität bezug genommen wird, insb. Abschn. 21 ff. Vgl. auch § 3 der Satzung der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands v. 1. 1. 93.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Was aber den Aussagegehalt des Solidaritätsprinzips ausmacht, ist damit noch nicht gesagt. Bei der Beantwortung dieser Frage mag ein Blick auf die Sozialethik helfen, wo der Solidaritätsgedanke mit seinen Ursprung hat: So stellt das Solidaritätsprinzip neben dem Subsidiaritätsprinzip eine der beiden grundlegenden Sozialmaximen der katholischen Soziallehre dar 1l6 . Danach ist "das Prinzip der Solidarität, die man auch als 'Freundschaft' oder 'soziale Liebe' bezeichnen kann, (... ) eine Forderung, die sich aus der menschlichen und christlichen Brüderschaft direkt ergibt"lI7. Sie bezeichnet als Seinsprinzip das Faktum des Eingebundenseins des Individuums in die Gesellschaft und deren einzelne sozialen Gruppen, als Sollensprinzip die daraus resultierende Verpflichtung des Einzelnen zu verantwortetem Handeln gegenüber und im Dienste der Gemeinschaft ll8 . Daß demzufolge das Solidaritätsprinzip auch Sollensprinzip mit normativem und damit normierbarem Charakter ist, wird auch in anderen sozialethischen und rechtstheoretischen Konzeptionen anerkannt 119. Daher ist die Argumentation Richardis irreführend, wenn er meint, Solidarität der Arbeitnehmer sei lediglich soziologisches Phänomen, nicht aber Rechtsprinzip l2o: Nicht die Solidarität als solche ist Rechtsprinzip, sondern die sich aus diesem gesellschaftlichen Phänomen (Seinsprinzip) ergebenden ethischen Schlußfolgerungen (Sollensprinzip). Zwar ist das Solidaritätsprinzip somit ein rechtsethisches Prinzip mit normierbaren Postulaten 121, eine Außenseiterbeteiligung beim Streik läßt sich indes daraus nicht herleiten: So weisen Scholzl Konzen darauf hin, daß das Solidaritätsprinzip in seiner Allgemeinheit zu unbestimmt ist, um detaillierte Aussagen zum Arbeitskampfrecht zu machen l22 . Wiedemann führt im Zusammenhang mit der Betriebsrisikolehre aus, daß man mit der Annahme der Solidarität und solidarischen Empfindens aller Arbeitnehmer in die Nähe klassenkämpferischen Denkens komme l23 ; in die gleiche Richtung führt wohl auch die Annahme einer Solidarität aller Arbeit116 Siehe nur den Nestor der katholischen Soziallehre Oswald v. Nell-Breuning, Gerechtigkeit und Freiheit, S. 54; VgI. auch Reuter, RdA 95,1 (2). 117 Katechismus der Katholischen Kirche (1993), Abschn. 1939 unter Berufung auf die päpstI. Enzykliken Sollicitudo rei socialis, 38-40 und Centesimus annus, 10 vom 30. 12. 87 bzw. 1. 5. 91. VgI. auch Abschn. 1941, wo ausdrücklich die "Solidarität ( ... ) der Arbeiter untereinander, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Unternehmen" erwähnt ist. 118 v. Nell-Breuning, Gerechtigkeit und Freiheit, S. 54. 119 VgI. auch PfarrlKittner, RdA 74,284 (293), die vom Grundgesetz und sozialistischem bzw. sozialdemokratischem Gedankengut aus argumentieren. 120 Richardi, RdA 70, 65 (70). I2l VgI. die ausdrückI. Kennzeichnung der Solidarität als "Pflicht des Arbeitnehmers" (BAG v. 25. 7. 57 AP Nr. 3 zu § 615 BGB Betriebsrisiko, BI.2 V). Auch das Bundesarbeitsgericht begründet also seine Ansicht nicht aus dem Seinsprinzip, sondern dem Sollensprinzip der Solidarität; zum Einfluß der kath. Soziallehre auf die Rechtsprechung des BAG vgI. auch die Wertung Tomandl, AcP 64 (1964),183 (216); Pfarr/ Kittner, RdA 74, 284 (291). 122 VgI. Scholz/ Konzen, Aussperrung, S. 256, 208 f. 123 Wiedemann, RdA 69,321 (326) Dem folgend BAG v. 22. 12. 80 AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R.
I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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nehmer eines Betriebes. Dtto zeigt im Zusammenhang mit dem Sympathiestreik auf, daß nicht einzusehen ist, warum die Solidarität der Arbeitnehmer diesen ein Recht geben sollte, den ihnen gegenüberstehenden Arbeitgeber zu schädigen 124 ; der Gedanke läßt sich auch auf die Erweiterung der Streiklegitimation auf Außenseiter übertragen. Dies alles ist richtig; allein entscheidend ist jedoch ein anderer Aspekt: Solidarität begründet als Sollensprinzip - wie oben dargegt - die Verpflichtung des Individuums, seiner aus der Abhängigkeit zur Gemeinschaft dieser gegenüber resultierenden Verantwortung dadurch gerecht zu werden, daß es seine Möglichkeiten finanziell, intellektuell, sozial - zu deren Wohle gebraucht. Wenn aber das Prinzip der Solidarität dem Einzelnen die Verpflichtung auferlegt, seine Möglichkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, kann aus diesem Prinzip keine Erweiterung des Rechtskreises des Einzelnen herrühren, kann daraus kein Recht begründet werden, das dann solidarisch zum Wohle des Gemeinwesens gebraucht werden könnte und müßte. Dem Solidaritätsprinzip aber eine Verpflichtung der Rechtsordnung zu entnehmen, ein solches Recht zu schaffen, wäre von diesem unmittelbaren Aussagegehalt nicht gedeckt und müßte mangels hinreichender Normierungskriterien - welchen Umfang müßte ein solches Recht haben? - scheitern. Der Einzelne muß vielmehr nur mit dem solidarisch handeln, was ihm zur Verfügung steht, ultra posse nemo obligatur. Eine Legitimation des Außenseiters zur Teilnahme am Streik, um durch diese Teilnahme dann solidarisch zum Wohle aller Arbeitnehmer des Betriebes handeln zu können, kann somit nicht hergeleitet werden. Nur wenn diese Legitimation bestehen würde, könnte aus dem Solidaritätsprinzip möglicherweise die (ethische) Verpflichtung erwachsen, an einem solchen Streik teilzunehmen. Dies kann und braucht jedoch hier nicht weiter erörtert zu werden. Ergebnis: Ist somit das richtig verstandene Solidaritätsprinzip in Übereinstimmung mit neuerer Rechtsprechung und herrschender Lehre nur bedingt als Zurechnungsprinzip etwa bei der Betriebsrisikolehre tauglich 125, muß dessen argumentative Heranziehung auch bei der Frage der Streikberechtigung - sei es des Sympathiestreiks, sei es der Außenseiterbeteiligung - als verfehlt gelten 126 . Eine Außenseiterbeteiligung kann damit nicht begründet werden. Otto, in: MünchHandbArbeitsR, §§ 279, Rn 48. BAG v. 22. 12. 80 AP Nr. 70 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 R, m. zahlr. Nachw. aus dem Schrifttum: Beim Lohnverlust aufgrund der Arbeitskampf- und Betriebsrisikolehre handelt es sich nicht um eine solidarische Einbuße an arbeitsvertraglichen Rechten (Lohnanspruch) von Arbeitnehmern in Drittbetrieben zu Gunsten der Streikenden, sondern um eine Einbuße, die zugunsten der Arbeitgeber erfolgt. Zu diesen aber besteht mangels Gruppenverschiedenheit keine unmittelbare Solidarität. Eine rechtfertigende Heranziehung des Solidaritätsprinzips ist daher verfehlt, will man es nicht als bloße Chiffre für eine Haftungszurechnung aller Arbeitnehmer mißbrauchen. 126 So auch Schoh/ Konzen, Aussperrung, S. 256; Ouo, in: MünchHandbArbeitsR, § 279, Rn 48. 124
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4 Thüsing
B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
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bb) Teilhabe am Streikerfolg Die Tatsache, daß der nicht organisierte Arbeitnehmer zumeist aufgrund individualvertraglicher Bezugnahme auf den jeweils gültigen Tarifvertrag faktisch am Streikerfolg partizipiert, wird von der Rechtsprechung und Teilen des Schrifttums nicht nur zur Begründung für dessen Einbeziehung in die Aussperrung, sondern auch für seine Streikberechtigung herangezogen 127. Fraglich ist aber, ob es Rechtsprinzipien gibt, wonach aus diesem bloßen Faktum des Tarifwesens die Rechtfertigung für die Einbeziehung der Außenseiter in den gewerkschaftlichen Streik gefolgert werden kann. Im Ergebnis ist dies zu verneinen. Eine Einbeziehung der Außenseiter kann nicht mit dem Gedanken begründet werden, daß demjenigen, der Teilhabe am Erfolg hat (faktische Partizipation am Tarifvertrag), ein Recht auf Mitbewirkung dieses Erfolgs eingeräumt werden müßte (Streiklegitimation). Dieses Rechtsprinzip gibt es nicht. Zwar lassen sich gute Argumente finden, daß dem, der Teilhabe an der Mitbewirkung eines Erfolges hat, ein Recht auf Teilhabe arn Erfolg selber eingeräumt werden muß - auf diesem Gedanken basiert etwa die Gewinnbeteiligung in der Gesellschaft gemäß § 722 BGB. Umkehren läßt sich dieses Prinzip jedoch nicht: Die Tatsache, daß an öffentlichen Straßen Gemeingebrauch besteht, gibt nicht jedem einzelnen Bürger, der diese Straße vielleicht einmal nutzen wird, ein Recht, über ihren Verlauf zu entscheiden. Eine Einbeziehung des Außenseiters aufgrund seiner regelmäßigen Partizipation am Tarifvertrag kann auch nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz begründet werden. Dieses in Art. 3 I GG normierte Prinzip ist ein elementares Gerechtigkeitsprinzip von grundlegender Bedeutung l28 ; es verbietet der öffentlichen Gewalt, wesensmäßig Gleiches ungleich, und wesensmäßig Ungleiches gleich zu behandeln l29 . Wenn nun der Grund für die Streikbeteiligung des organisierten Arbeitnehmers dessen durch § 3 I TVG gewährleistete Teilhabe arn Tariferfolg ist, dann könnte aus dem Gleichheitssatz folgen, daß auch der Außenseiter, der am Tarifvertrag teilhat, ebenfalls mit streiken darf. Voraussetzung wäre allerdings, daß die Teilhabe aufgrund individualvertraglicher Bezugnahme und die Teilhabe aufgrund normativer Wirkung wertungsmäßig gleichzuachten wären. Diese Annahme ist aber unzutreffend. Denn selbst wenn man den die Gewerkschaft zum Streik berechtigenden Zusammenhang zwischen Tarifautonomie und Arbeitskampf 130 für 121
Otro, in: MünchHandbArbeitsR, § 277 Rn 47, § 278 Rn 58; Lieb, RdA 91, 150; Vgl.
auch.BAG v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BI. 8, zustimmend Fenn, ZfA
71, 347 (372). BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V und Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 238 Rn 53 für die Aussperrung; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 39 vom Standpunkt eines subjektiven Streikrechts des einzelnen Arbeitnehmers. 128 Vgl. Rüjner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn 1 ff. 129 Vgl. Rüjner, in: Bonner Kommentar, Art. 3 Abs. 1 GG, Rn 7 mit Verweisen auf die Entstehungsgeschichte. 130 Siehe Abschn. B. I. 2. a).
I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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deren einzelnes am Streik beteiligtes Mitglied dahingehend auslegen wollte, daß Grund für seine Einbeziehung in die streiklegitimierende Suspensionswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs seine Erfaßtheit vom zu erkämpfenden Tarifvertrag ist, bestünde für die Ungleichbehandlung von organisiertem und nicht organisiertem Arbeitnehmer ein rechtfertigender Grund: Da der Außenseiter nicht von der normativen Wirkung des Tarifvertrages erfaßt wird, liefert der Tarifvertrag nur "soziale Daten", an denen sich der Individualarbeitsvertrag des Außenseiters durch inhaltsgleiche Übernahme oder einfachen Verweis orientiert BI. Dieser bleibt für den Außenseiter die individuell, nicht kollektiv ausgehandelte Grundlage für sein Arbeitsverhältnis. Dies ist ein entscheidender Unterschied. Wollte man die faktische Anlehnung an einen Tarifvertrag mit dessen normativer Wirkung hinsichtlich der Streiklegitimation gleichsetzen, müßten uneingeschränkt alle Arbeitnehmer unabhängig vom persönlichen, fachlichen oder räumlichen Geltungsbereich des zu erkämpfenden Tarifvertrages streikberechtigt sein, wenn sich deren Arbeitsvertrag in irgendeiner Weise an diesen Tarifvertrag anlehnen oder orientiert. Dies kann nicht richtig sein und wird auch nirgends vertreten l32 . Ergebnis: Die Einbeziehung des Außenseiters in die Suspensionswirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs läßt sich somit nicht mit dessen faktischer Teilhabe am Streikerfolg rechtfertigen. Auf die widersprüchlichen und in der Praxis kaum handhabbaren Konsequenzen einer solchen Herleitung - auf die Löwischl Rieble zu Recht hinweisen 133 - braucht also erst gar nicht eingegangen zu werden.
cc) Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems Wenn aber nicht nur der Streik, sondern auch dessen Ausgestaltung unter gleichberechtigter Einbeziehung der nicht organisierten Arbeitnehmer für die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems erforderlich wäre, dann wäre darin entsprechend vorangegangener Darlegung 134 eine Rechtfertigung für die Erstreckung der Suspendierungsbefugnis auch auf die Arbeitspflicht der Außenseiter zu sehen. Entscheidend ist daher, ob sie wirklich erforderlich ist und bei fehlender Einbeziehung der Arbeitskampf die vom Gesetz vorausgesetzte Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge nicht mehr sichern könnte, eine Kampfparität der Tarifvertragsparteien nicht mehr gegeben wäre.
Vgl. Richardi, RdA 71,334 (3381. Sp.). Daher wenden sich zu Recht ausdrucklich gegen eine Herleitung der Streiklegitimation aus dem Partizipationsgedanken: Konzen, FS BAG, 273 (280); ders., DB 90, Beil. 6, S. 12; Scholz/Konzen, Aussperrung, S. 257; Löwisch/Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 321 f.; Häuser, FS Kissel, 297 (311); Vgl. auch die Begründung des Professorenentwurf 1988 Birk/ Konzen/ Löwisch/ Raiser / Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 43. 133 Löwisch/ Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 321 f. 134 Vgl. Abschn. B. I. 3. a). 131
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4*
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Dafür spricht der geringe Organisationsgrad der Gewerkschaften mit durchschnittlich nur 30,1 % der Arbeitnehmer 135 . Die Vermutung liegt nahe, daß, dürften nur die Gewerkschaftsangehörigen streiken, ein hinreichender Arbeitskampfdruck auf die Arbeitgeberseite nur in einigen wenigen Betrieben mit überdurchschnittlich hohem Organisationsgrad erreicht werden könnte. Dafür spricht auch die Tatsache, daß nach Darstellung der Gewerkschaften zumindest in den letzten Jahren kein Streik ohne Außenseiterbeteiligung erfolgte und auch diese regelmäßig zur Arbeitniederlegung aufgefordert werden, mitunter sogar recht massiv durch gewerkschaftliche Streikposten 136. Schließlich ist ein gewichtiges Argument die Selbsteinschätzung der Außenseiter selbst: Wieso nehmen sie am Streik teil, obwohl sie keine Streikunterstützung während des Arbeitskampfs erhalten 137, wenn sie es nicht für erforderlich für einen hinreichenden Arbeitskampfdruck und einen gerechten Tarifvertrag halten? Dies alles erscheint überzeugend, vielleicht sogar ausreichend zur Annahme der Funktionsunfähigkeit eines Arbeitskampfsystems ohne Außenseiter. Die Frage sollte jedoch nicht ohne einen Blick auf ausländische Arbeitskampfordnungen beantwortet werden. Dort ist es keinesfalls so, daß überall ein suspendierendes Streikrecht bestünde - so z. B. nicht in Norwegen und Dänemark 138 -, und es ist keineswegs so, daß überall die Außenseiter mitstreiken dürften - so z. B. nicht in der Türkei l39 . Trotzdem gibt es auch dort Gewerkschaften, Tarifverträge und Arbeitskämpfe. Ein funktionierendes Arbeitskampfsystem ohne Außenseiterbeteiligung, ja sogar ohne ein die Suspendierung der Arbeitsverhältnisse herbeiführendes Streikrecht ist also denkbar. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß sich damit die Funktionsfähigkeit eines rein mitgliederbeschränkten Arbeitskampfs für die Bundesrepublik nicht begründen läßt: Zwar ist in Dänemark und Norwegen vor der Arbeitsniederlegung im Streik die Lösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung erforderlich, jedoch sind die dabei einzuhaltenen Fristen durch die dort geltenden Tarifverträge gegenüber den gesetzlichen Kündigungsfristen abgekürzt, und in den bestehenden Tarifverträgen ist regelmäßig auch eine Pflicht des Arbeitgebers zur Wiedereinstellung der Streikenden nach Beendigung des Arbeitskampfs enthalten 140. Die so ausgestaltete Streikfreiheit ist hinsichtlich der Rechtsstellung des streikenden Arbeitnehmers also V gl. Abschn. A. 1. l. Vgl. Abschn. A. I. l. 137 V gl. Abschn. A. 1. l. 138 Vgl. für Dänemark: Jacobsen, The Freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. 110ff. (insb. 123); für Norwegen vgl.: Jakhelln, The Freedom of the Worker to Organize in Norway, S. 593 (insb. S. 607 f.). 139 Vgl.: lsliki, La liberte syndicale des salaries en Turquie, S. 899 (914, 939). 140 V gl. für Dänemark: Jacobsen, The Freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. 110 (123); ders., Labour Law and Industrial Relations in Denmark, Rn 695; für Norwegen: Jakhelln, The Freedom of the Worker to Organize in Norway, S. 593 (insb. S. 608). 135
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I. Streikteilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers
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weitgehend einem suspendierenden Streikrecht angenähert. Zwar beziehen sich diese tarifvertraglichen Vereinbarungen hinsichtlich Wiedereinstellung und Kündigungsfrist nicht auf Außenseiter, so daß diese in der Regel nicht am Streik teilnehmen; jedoch ist dies bei einem Organisationsgrad von mehr als 95 % etwa bei den Arbeitern in Dänemark auch nicht erforderlich l41 . Wenn es in der Türkei kein Streikrecht für Außenseiter gibt, ist zu berücksichtigen, daß auch dort der Organisationsgrad höher liegt als in der Bundesrepublik l42, und daß gerade die Türkei ein gutes Beispiel für ein nur bedingt taugliches Arbeitskampfsystem bietet: Dort sind die Gewerkschaften so schwach, daß sie regelmäßig keine Streikunterstützung zahlen und auch nicht zahlen können. Arbeitskämpfe sind kurz und oft ohne Erfolg; die Aussperrung ist rechtlich zulässig, wird jedoch selten praktiziert, da sie aufgrund der ohnehin schwachen Arbeitnehmerposition nicht erforderlich ist 143 . Auch ein Vergleich mit ausländischen Arbeitskampfordnungen - die zudem überwiegend die gleichberechtigte Teilnahme des Außenseiters am gewerkschaftlichen Streik anerkennen 144 - läßt also nicht auf die Funktionsfähigkeit eines auf die Mitglieder beschränkten Arbeitskampfmodells in der Bundesrepublik schließen. Angesichts der bisherigen Arbeitskampfpraxis in der Bundesrepublik, dem niedrigen Organisationsgrad auf Gewerkschaftsseite und der übrigen oben angeführten Gründe ist bei generalisierender, normativ wertender Betrachtung davon auszugehen, daß ohne die Möglichkeit einer Außenseiterbeteiligung die Verhandlungsparität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gestört wäre, die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems nicht mehr generell gewährleistet wäre. Daß auch ohne die Einbeziehung der Nichtorganisierten in einigen Betrieben mit überdurchschnittlichem Organisationsgrad wirksam gestreikt werden könnte, steht der Notwendigkeit der Einbeziehung von Außenseitern nicht entgegen: Die Tarifvertragsparteien sind zur umfassenden Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berufen. Eine solche typisierende, in der generellen Einbeziehung zum Ausdruck kommende "vereinfachende Sicht dient der Klarheit und Kalkulierbarkeit des Arbeitskampfrechts und damit auch der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bei Arbeitskämpfen,,145. 141 Vgl. Jacobsen, The Freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. 110 (123). Zur vergleichbaren Situation in Norwegen: Jakhelln, The Freedom of the Worker to Organize in Norway, S. 593 (611 ff.). 142 Nach den Angaben des türkischen Arbeitsministeriums (1975) ca. 60 %, siehe lsliki, La liberte syndicale des salaries en Turquie, S. 899 (914,939). lsliki selbst schätzt auf nur 40 %, a. a. O. S. 901, da die Angaben des Arbeitsministeriums auf Auskunft der Gewerkschaften beruhen. 143 V gl. Ulucan, Streik und Aussperrung in der Türkei (1971), S. 144 ff. Zur neueren Entwicklung der Gewerkschaften vgl. Europäisches Gewerkschaftsinstitut (Hrsg.), Die Gewerkschaftsbewegung in der Türkei, S. 37. 144 Vgl. Abschn. B. V. I. a). 145 BVerfG v. 26. 6. 91 AP NT. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 7 V; Vgl. auch Scholzl Konzen, Ausssperrung, S. 257; Konzen, FS BAG, S. 273 (280).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Ergebnis: Es ist somit von der Erforderlichkeit der Einbeziehung der Außenseiterarbeitsverhältnisse in die suspendierende Wirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs auszugehen. Darin liegt der rechtfertigende Grund für ihre Einbeziehung. c) Ergebnis
Der nicht organisierte Arbeitnehmer kann in einem gewerkschaftlich geführten Streik ebenso wie sein organisierter Kollege die Arbeit niederlegen. Die Legitimation dazu liegt nicht in einem subjektiv-privaten oder subjektiv-öffentlich garantierten Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers, sondern in der rechtsreflexiven Begünstigung aus dem Streikrecht der Gewerkschaft. Die Erstreckung der Suspendierungswirkung des rechtmäßigen gewerkschaftlichen Streikaufrufs über die Arbeitspflicht der Mitglieder hinaus findet ihren Grund in der sonst gefährdeten Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfes als einem Mittel der Tarifautonomie zur Sicherung ausgewogener Tarifverträge.
11. Legitimation des anders organisierten Arbeitnehmers zur Streikteilnahme
Ob aus der Streikberechtigung des nicht organisierten Arbeitnehmers auch die Streikberechtigung des anders organisierten Arbeitnehmers folgt, ist nicht unumstritten. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung zumindest von der grundsätzlichen Streikberechtigung auch anders organisierter Arbeitnehmer aus l46 . Ob und in welchem Umfang nach dieser Auffassung eine eventuell bestehende tarifvertragliche Friedenspflicht der Streikbefugnis des anders organisierten Arbeitnehmers entgegensteht, ist unklar. Einem älteren Urteil ist in diesen Fällen wohl eine nicht näher konkretisierte Einschränkung der Streikbefugnis zu entnehmen 147. LöwischlRieble verneinen unter Bezugnahme auf dieses Urteil die Streikbefugnis des anders organisierten Arbeitnehmers für den Fall, daß für ihn bereits ein anderer Tarifvertrag gilt. Sie begründen dies damit, daß das der Einbeziehung der Außenseiter zugrundeliegende Prinzip der Einheit der Belegschaft nicht dazu führen dürfe, die aus dem bereits geltenden Tarifvertrag resultierende Friedenspflicht in Frage zu stellen 148. Der Professorenentwurf 1988 geht demgegenüber davon aus, daß Andersorganisierte nur dann von der Streikberechtigung ausgeschlossen seien, wenn für sie ein anderer Tarifvertrag gilt, in dem derselbe Ge146 Vgl. nur BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V; BAG v. 22. 3. 94 AuR 95, 36 (37). 147 BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V; darauf bezieht sich Löwisch/ Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 323 zur Stützung ihrer Auffassung. 148 Löwisch/Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 323. In Ansätzen auch Konzen ZfA 1975,401 (432).
II. Streikteilnahme des anders organisierten Arbeitnehmers
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genstand geregelt ist, den der umkämpfte Tarifvertrag regeln SOll149. Dies sei nach der Begründung des Entwurfs die Konsequenz daraus, daß die Beteiligung dieser Arbeitnehmer an einem für sie geltenden Tarifvertrag gegen die Friedenspflicht ihrer Gewerkschaft verstoßen würde und für sie vertragswidrig wäre. Daher seien sie in demselben Umfang auch nicht in einen Arbeitskampf um einen fremden Tarifvertrag einzubeziehen 150. Lieb schließlich wertet die Streikbeteiligung des anders organisierten Arbeitnehmers generell als einen im Regelfall unzulässigen Sympathiestreik 151 . Die Mitgliedschaft in einer anderen Gewerkschaft und die Bindung an einen anderen Tarifvertrag sind also Gründe, die für den Ausschluß des Andersorganisierten von der den Außenseitern zukommenden Streikberechtigung genannt werden. Daran ist richtig, daß dessen Ausschluß von der Streikberechtigung bei gleichzeitiger Anerkennung des Streikrechts der Nichtorganisierten eines rechtfertigenden Grundes bedarf. Dies folgt schon aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG. Ob aber diesen beiden Umständen eine solche rechtfertigende Wirkung wirklich zukommt, erscheint fraglich. 1. Mitgliedschaft in einer anderen Gewerkschaft als Grund zum Ausschluß von der Streikberechtigung
Der anders organisierte Arbeitnehmer unterfällt in erster Linie der Kollektivmacht der eigenen Gewerkschaft. Darin ist jedoch kein Grund zu sehen, ihm nicht die Möglichkeit zur Arbeitsniederlegung aufgrund eines Streikaufrufs einer anderen Gewerkschaft zu geben: Mit der Einbeziehung der Nichtorganisierten in die suspendierende Wirkung des gewerkschaftlichen Streikaufrufs wird anerkannt, daß für die Suspendierungswirkung die bloße Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht entscheidend sein kann; die Streiklegitimation ist also nicht an die Mitgliedschaft gebunden. Dies gilt positiv wie negativ. Wenn die Nichtmitgliedschaft unerheblich für die Einbeziehung in den gewerkschaftlich geführten Streik ist, dann ist es auch die Mitgliedschaft, sei es in der streikführenden oder einer anderen Gewerkschaft. Die anderweitige Gewerkschaftszugehörigkeit allein kann somit den Ausschluß aus dem von einer anderen Gewerkschaft geführten Streik nicht begründen.
149 § 5 I Professorenentwurf 1988 eines Gesetzes zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte: "In den Arbeitskampf dürfen nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Betriebe einbezogen werden, in denen der umkämpfte Tarifvertrag gelten würde. Arbeitnehmer dieser Betriebe dürfen nicht einbezogen werden, wenn für sie ein anderer Tarifvertrag gilt, in dem derselbe Gegenstand geregelt ist, den der umkämpfte Tarifvertrag regeln soll .... 150 Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 44. 151 Lieb, Arbeitsrecht, S. 195 mit unzutreffendem Hinweis auf Konzen und Rüthers.
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S. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
2. Bindung an einen anderen Tarifvertrag als Grund zum Ausschluß von der Streikberechtigung
Die Frage, ob die aus der Mitgliedschaft in einer anderen Gewerkschaft u.V. resultierende Bindung des Arbeitnehmers an einen anderen Tarifvertrag zum Ausschluß von der Suspendierungswirkung des rechtmäßigen Streikaufrufs der streikführenden Gewerkschaft führt, stellt sich in der Praxis kaum: Das Bundesarbeitsgericht geht seit seiner Entscheidung vom 5. 9. 1990 davon aus, daß in einem Betrieb jeweils nur ein Tarifvertrag gelten kann, auch dann, wenn dort Mitglieder verschiedener Gewerkschaften arbeiten i52 . Bei Geltung eines Tarifvertrags in einem Betrieb würde der Streikaufruf einer anderen Gewerkschaft nur dann sein Ziel erreichen, wenn der zweite Tarifvertrag sich nach Konkurrenzgrundsätzen durchsetzen würde. Dies zu beurteilen ist oft schwierig, das Risiko der Erfolglosigkeit ist groß. Auch ist die Bereitschaft der Außenseiter zu einem solchen Streik in der Regel nur gering, da sie durch die regelmäßig gegebene indidualvertragliche Bezugnahme auf den bereits geltenden Tarifvertrag bereits tarifvertraglichen Schutz haben. Es dürfte daher in der Praxis schwer sein, solche Außenseiter zur Arbeitsniederlegung zu bewegen. Die Beteiligung von Außenseitern ist aber - wie oben dargestellt - regelmäßig erforderlich zur erfolgreichen Streikführung. Zumeist verzichten die Gewerkschaften in diesen Fällen daher auf einen Arbeitskampf. Das Bundesarbeitsgericht begründet seine Ansicht neben Praktikabilitätserwägungen 1S3 mit dem Prinzip der Tarifeinheit, das sich aus praktischen Notwendigkeiten ergebe und dem Erfordernis von Rechtssicherheit und -klarheit entspreche. Dieses Prinzip gebiete es, Tarifpluralität wie Tarifkonkurrenzen zu behandeln, so daß in einem Betrieb immer nur ein Tarifvertrag gelten könne, nämlich der speziellere, bei gleicher Sachnähe der konkurrierenden Tarifverträge der, an den die meisten Arbeitnehmer kraft normativer Geltung gebunden sind 1s4• Gegen diese Auffassung lassen sich jedoch gewichtige Gründe anführen, insbesondere, daß dieses Postulat der Tarifeinheit eine Rechtsfortbildung contra legern ist, da der Gesetzgeber - wie aus § 3 II TVG ersichtlich - von der zwingend betriebseinheitlichen Geltung eines Tarifvertrages nur bei betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen 152 Erstmals SAG v. 5. 6. 90 NZA 1991, 202; bestätigt durch SAG v 20. 3. 91 NZA 1991,736 - beides 4. Senat - . Dem hat sich der 10. Senat für den Fall der gemeinsamen Einrichtung nach § 4 TVG angeschlossen: BAG v. 26. I. 94 DB 94, 2633. 153 So vor allem der 10. Senat: BAG v. 26. I 94 DS 94, 2633 ("Ausschlaggebend dafür sind allein Gründe der Praktikabilität"). 154 SAG v. 5. 6. 90 NZA 1991,202 (203); BAG v. 20. 3. 91 NZA 1991, 736 (738).Die Rechtsprechung stützt sich insbesondere darauf, daß der Arbeitgeber In der Regel gar mcht weiß, wer Mitglied der tarifabschließenden Gewerkschaft ist, so daß er im Zweifel alle Arbeitnehmer gleich behandle; auch gäbe es Fälle, In denen die Inhaltsnormen eines Tarifvertrags kaum von den zwingend gemäß 3 11 TVG betriebseinheitlich geltenden Setriebsnormen zu unterscheiden seien. Auch deswegen sei Tarifkonkurrenz wie Tarifpluralität zu behandeln.
11. Streikteilnahme des anders organisierten Arbeitnehmers
57
Nonnen ausgeht. Daher ist die fast einhellige Literatur dieser Ansicht nicht gefolgt 155 . Da aber unabhängig von dieser rechtlichen Wertung wohl zumindest in Einzelfällen der Kampf um die Durchsetzung eines konkurrierenden Tarifvertrags vorkommt, bleibt die Frage, ob der bereits geltende Tarifvertrag und die daraus resultierende Friedenspflicht einen Ausschluß der tarifgebundenen, anders organisierten Arbeitnehmer aus der arbeitspflichtsuspendierenden Wirkung des rechtmäßigen Streikaufrufs rechtfertigt, wie dies Löwischl Rieble generell und der Professorenentwurf 1988 zumindest für den Fall der Regelungsidentität des zu erkämpfenden und des geltenden Tarifvertrags annehmen. Die Tatsache, daß aufgrund der Geltung eines anderen Tarifvertrags der zu erkämpfende Tarifvertrag nicht den anders organisierten Arbeitnehmer begünstigen kann, könnte dessen Ausschluß von der Streiklegitimation nur dann rechtfertigen, wenn eben diese Partizipation Grundlage der Streikberechtigung wäre. Dies ist aber - wie oben dargelegt 156 - nicht der Fall. Entscheidend ist daher allein die Reichweite und der Regelungsgehalt der tarifvertraglichen Friedenspflicht. Die tarifvertragliche Friedenspflicht hat den Zweck, den Tarifvertrag als Friedensordnung zu schützen, und untersagt alle Kampfmaßnahmen, die sich gegen dessen Bestand insgesamt oder auch nur gegen einzelne seiner Bestimmungen richten. Sie ist notwendiger (schuldrechtlicher) Bestandteil jedes Tarifvertrags und auch ohne besondere Vereinbarung in ihm enthalten. Denn wenn es keine Friedenspflicht gäbe, hätte der Tarifvertrag am Ende oder zur Venneidung eines Arbeitskampfs nur einen sehr eingeschränkten Wert; der einmal gefundene Kompromiß könnte jederzeit wieder in Frage gestellt werden, u.V. sogar durch erneute Arbeitskampfmaßnahmen 157. Ihrem Zweck entsprechend ist die Friedenspflicht jedoch grundsätzlich lediglich relativ, d. h. auf die tariflich geregelte Materie beschränkt. Eine absolute Friedenspflicht, die dem Schutz des Tarifvertrags vor jeglicher Änderung und Ergänzung auch in bisher ungeregelten Bereichen dient oder - weiter155 Wiedemann/Amold, ZTR 94, 399-410 und 443-448; Reuter, JuS 1992, 105 (109); Kraft, RdA 1992, 162 (169); Wiedemann/Stumpj, TVG, § 4 Rn 156; Müller, NZA 1989,459 (451); Konzen, RdA 1978, 146 (153f.); Duo, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 62; Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 279, 13 ff. Anderer Ansicht lediglich Schaub, HandbArbeitsR, § 203 VII 2 b, S. 1521, Söllner, Arbeitsrecht, S. 143 und Säcker/Oetker, ZfA 93, 1 ff.Die Einwände des Schrifttums stützen sich auch auf Bedenken aus der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 III GG, weil dadurch zum einen der Abschluß von Tarifverträgen generell begrenzt werden würde (so vor allem Müller, NZA 1989, S. 449, 451), zum anderen ein Arbeitnehmer zum Koalitionswechsel gezwungen wäre, um tarifvertraglichen Schutz zu haben, falls "sein" Tarifvertrag auf Betriebsebene nach Spezialitätsgrundsätzen verdrängt wird. Damit aber würde sein bis zu diesem Zeitpunkt geleisteter Gewerkschaftseinsatz für ihn wertlos gemacht, er würde um die Früchte seiner Betätigung gebracht (Wiedemann/Stumpf, TVG, § 4 Rn 164; Kraft, RdA 1992, 162, 168; Konzen, RdA 1978, S. 146, 153.). 156 Vgl. Abschn. B. I. 3. b) bb). 157 Wiedemann/Stumpf, TVG, § I, Rn 324; Löwisch/Rieble, TVG, § I, Rn 272.
58
B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
gehend - jeden Arbeitskampf zwischen den Tarifvertragsparteien verbieten will, bedarf demgegenüber besonderer Vereinbarung 158. Inhaltlich verpflichtet die Friedenspflicht die Vertragsparteien negativ, während der Laufzeit des Tarifvertrages gegen diesen keinen Arbeitskampf anzustrengen und ihre Mitglieder nicht zu einem solchen aufzurufen; sie verpflichtet sie positiv, mit ihren verbandsrechtlichen Möglichkeiten gegen diejenigen Mitglieder vorzugehen, die während der Laufzeit eines Tarifvertrages von sich aus Kampfrnaßnahmen durchführen i59 . Zwar ist die Friedenspflicht damit lediglich eine Verpflichtung der Koalitionen, nicht ihrer Mitglieder l60 ; indes müßte wohl trotzdem, um Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung zu vermeiden, der ratio der tarifvertraglichen Friedenspflicht entsprechend immer dann eine Streiklegitimation der tarifgebundenen Mitglieder verneint werden, wenn dadurch der geltende Tarifvertrag in seinem Bestand in Frage gestellt werden sollte, die mit ihm einhergehende Friedensordnung angegriffen würde. Dies ist jedoch bei der rein fremdnützigen Beteiligung am Streik einer anderen als der Mitgliedsgewerkschaft nicht der Fall, denn diese Streikbeteiligung dient nicht der Änderung des eigenen Tarifvertrages oder dessen Ergänzung bezüglich bisher nicht geregelter Bereiche. Nur dies aber zu verhindern ist der Sinn der tarifvertaglichen Friedenspflicht; Tarifbruch ist, wie bereits Sinzheimer formulierte, das - und nur das -, "was in feindseliger Absicht gegen die bestehende tarifliche Ordnung unternommen wird,,161. Eben darin liegt der in dieser Frage entscheidende Unterschied etwa zur schwedischen Rechtsordnung. Dort bestimmt § 41 I des Gesetzes über die Arbeitsmitbestimmung v. 10.6. 1976, daß ein Verstoß gegen die Friedenspflicht nicht nur in jeder Arbeitskampfmaßnahme zur Abänderung des bestehenden Tarifvertrages zu sehen ist (§ 41 I Nr. 3), sondern zusätzlich auch in jeder Arbeitskampfmaßnahme zum Beistand derer, die selbst nicht Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen können bzw. dürfen (§ 41 I Nr. 4)162. Die tarifvertragliehe Friedenspflicht schließt also eine rein fremdnützige Streikbeteiligung des tarifgebundenen Arbeitnehmers nicht aus, ohne daß es darauf ankommt, ob der zu erkämpfende Tarifvertrag denselben Gegenstand regeln soll wie der bereits bestehende oder nicht. Dies ist auch der Grund, warum es allgemeiner Ansicht entspricht, daß der Aufruf zu einem Sympathie- oder Solidaritätsarbeitskampf durch Gewerkschaft oder Arbeitgeberverband - unabhängig von dessen ISS WiedemannlStumP.f, TVG, § 1, Rn 335, 344; HagemeierlKempenlZachertlZilius, TVG. § 1. Rn 2U; Löwischl Rieble, TVG. § 1. Rn 277 ff. 159 WiedemannlStumpf, TVG, § 1, Rn 327; HagemeierlKempenlZachenlZillius, TVG, § 1, Rn 214ff.; LöwischlRieble, TVG, § I, Rn 271. 160 Vgl. ausdrücklich BAG v. 17.2.58 AP Nr. 3 zu § 1 TVG Friedenspflicht. 161 Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz, S. 137. 162 Die Friedenspflicht gilt nicht nur für die Koalitionen (§ 41 11), sondern auch für jedes einzelne Mitglied (§ 41 I). Bis 1976 beinhaltete das Gesetz über Kollektivverträge von 1936 fast wortgleich diese Regelungen (§ 4 I Nr. 3,4 KollVG). Vgl. dazu F. Schmidt, RdA 70,245 (346).
111. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
59
rechtlicher Zulässigkeit 163 - jedenfalls nicht gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht der fremdnützig in den Arbeitskampf eingreifenden Parteien verstößt l64 . Was aber ist die Beteiligung anders organisierter Arbeitnehmer an einem Streik innerhalb ihres Betriebes anderes als eine besondere Form des Sympathie- bzw. Solidaritätsstreiks 165? 3. Ergebnis
Die Mitgliedschaft in einer anderen Gewerkschaft oder die Bindung an einen anderen Tarifvertrag stellen keine Gründe dar, die es rechtfertigen könnten, den Andersorganisierten die Streiklegitimation zu versagen, die den Nichtorganisierten zukommt. Beide Gruppen sind gleich zu behandeln. Andersorganisierte können sich somit im gleichen Maße an einem rechtmäßigen Streik beteiligen wie Nichtorganisierte. III. Legitimation zur Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
Genauso wie die Streikteilnahme nicht organisierter Arbeitnehmer ist auch deren Aussperrung bei gewerkschaftlich geführten Streiks fester Bestandteil der Arbeitskampfwirklichkeit der Bundesrepublik; sie ist in der Rechtsprechung und im ganz herrschenden Schrifttum anerkannt l66 • Dies erstaunt bei unbefangener Be163 Zu der richtigerweise anzunehmenden grundsätzlichen Rechtswidrigkeit eines Sympathiearbeitkampfs vgl. die Ausführungen in Abschn. C.IY.3. 164 So bereits RG v. 29. 1. 15 RGZ 86, 152 (154); siehe auch BAG v. 5. 3. 85 AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V; Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungsmaßnahmen, S. 34 m.w.N. 165 Im deutschen Recht kennzeichnet sich der Solidaritätsstreik zwar dadurch, das er sich gegen einen anderen Arbeitgeber richtet, als der, der den Tarifvertrag abschließen soll, bzw. von der Belegschaft von Unternehmen geführt wird, die nicht dem Geltungsbereich des zu erstreikenden Tarifvertrags unterfallen (Vgl. Abschn. C.IY.3.). Dies ist hier nicht der Fall, weswegen der pauschale Hinweis Liebs (Absehn. B. Fn 151) auf die Unzulässigkeit des Sumpathiearbeitskampfes zur Begründung der Rechtswidrigkeit einer Außenseiterteilnahme nicht ausreicht. Im französischen Recht wird aber der Streik des nicht dem Geltungsbereich eines zukünftigen Tarifvertrages unterfallenden Teils der Belegschaft -im deutschen Recht wären dies die Nicht- und die Andersorganisierten- als greve de solidariti interne bezeichnet, im Gegensatz zu dem greve de solidariti externe, der die Beteiligung der Belegschaften nicht tarifvertragseinschlägiger Unternehmen bezeichnet (vgl. Lyon-Caen/ Pilissier, droit du travail, S. 1026 f.). 166 Vgl. für die Rechtsprechung BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI.8 V; BAG GS v. 28. 1. 55 BAGE 1,291 (307); BAG GS v. 29. 11. 67 BAGE 20, 175 (195); BAG v. 10.6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V; für das Schrifttum: Rüthers, in : Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 216; Seiter, JZ 79,657 (659); Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 238, Rn 52; Ouo, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 59. A.A. lediglich Stimmen in der älteren Literatur (alle älter als 20 Jahre): Richardi, RdA 71, 334 (338); van Gelder / Leinemann, BlStSozArbR 70, 253 (255); Biedenkopf, Betriebs-
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
trachtung vielleicht noch mehr als die Legitimation der Nichtorganisierten zur Streikteilnahme, werden sie doch im Falle ihrer Ausperrungsbetroffenheit - anders als bei der Streikteilnahme - gegen ihren Willen in einen Arbeitskampf mit hineingezogen, obwohl sie u.U. gar kein Interesse an dessen Ausgang haben, etwa beim Fehlen individualvertraglicher Bezugnahme. Ob die Aussperrung von Außenseitern möglich ist, und wie sie auszugestalten ist, ja ob nicht nur eine Berechtigung zu deren Aussperrung, sondern eine Verpflichtung besteht, auch nichtorganisierte Arbeitnehmer auszusperren, wenn organisierte ausgesperrt werden, läßt sich sinnvoll nur dann begründen, wenn die Grundlage der Aussperrung und die Gründe für die Einbeziehung der Außenseiter aufgezeigt werden. 1. Rechtsgrundlage der Aussperrung
Die Aussperrung ist die von einem oder mehreren Arbeitgebern planmäßig erfolgte Ausschließung einer Gruppe von Arbeitnehmern von der Arbeit zur Erreichung eines Kampfziels 167. Ihre rechtliche Grundlage ist mit der Rechtsprechung des Bundesarbeits- und Bundesverfassungsgerichts in der Betätigungsgarantie der Koalitionen zu suchen, nicht in einem subjektiv-öffentlichen oder subjektiv-privaten Arbeitskampfrecht des einzelnen Arbeitgebers. Die von Teilen des Schrifttums versuchte Herleitung eines solchen Rechts aus Art. 9 III GG - teilweise i. Y.m. Art. 2 I GG oder Art. 14 I GG _168 kann aus den gleichen Gründen nicht überzeugen, wie sie oben in Zusammenhang mit der Arbeitnehmerseite und einem Streikrecht des einzelnen Arbeitnehmers dargelegt wurden. Eine dogmatische Herleitung aus internationalen Vereinbarungen erschiene schon deswegen zweifelhaft, weil von den durch die Bundesrepublik unterzeichneten Verträgen lediglich das sog. Elferabkommen über die Sozialpolitik vom 12. 2. 1992 169 in Art. 2 VI das Aussperrungsrecht ausdrücklich erwähnt, dort aber als einen gemeinschaftsrechtlich nicht der Regelung zugängigen Bereich 170. So geht die Rechtsprechung zu Recht davon aus, daß Art. 9 III GG ein Doppelgrundrecht ist, das unmittelbar auch die Koalitionen selbst berechtigt 171. Geschützt risikolehre, S. 21 ff.; Säcker, Gruppenautonomie, S. 333 ff., 482 Pn 85; Bedenken auch bei Wiedemann, RdA 69,321 (325f); die Aussperrung insgesamt ablehnend: Walter, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 871-917 m.w.N. 167 Vgl. für alle Bro);, in; Brox I Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 45. 168 Vgl. dazu die Nachweise zu Däubler; Seiter; Schalz u. a. in Abschn. B. Fn 35, 39,47, 50. 169 Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland über die Sozialpolitik, BGBI. 1992II,S.1314f. 170 Art. 2 VI: "Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht" 17l Siehe nur BVerfG v. 18. 11. 54 BVerfGE 4,96 (LS 1).
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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ist ein Kernbereich ihrer Betätigung zur Wahrung und Förderung der Wirtschaftsbedingungen. Zu diesem Kernbereich gehört die Garantie der Tarifautonomie, zur Sicherstellung der Tarifautonomie dient der Arbeitskampf172 . Die durch den Arbeitskampf gewährte Möglichkeit zur gegenseitigen Druckausübung bietet die Gewähr dafür, daß die zustandekommenden Tarifverträge jedenfalls grundsätzlich und langfristig betrachtet einen gerechten und angemessenen Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen darstellen. Soweit die Verfolgung des Koalitionszwecks von dem Einsatz bestimmter Mittel abhängt, werden auch diese von der Gewährleistung des Grundrechts mit umfaßt 173 . Daher hat die Rechtsordnung den Koalitionen die Arbeitskampfmittel zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen. Voraussetzung für ein funktionierendes Tarifvertragssystem ist eine Verhandlungs- und Waffenparität der Koalitionen. Zu dieser Partiät ist auf Arbeitgeberseite zumindest das Mittel der suspendierenden Abwehraussperrung erforderlich 174 . Wäre die Aussperrung nicht möglich, könnte die Gewerkschaft durch einen eng geführten Teilstreik den Arbeitgebern einen hohen Produktionsschaden bei u.V. nur sehr geringer eigener Belastung zufügen. Daher ist dem Arbeitgeber( -verband) die Möglichkeit der Aussperrung zu geben, um den Kampf auszuweiten und damit den eigenen Schaden unabhängig von den u.V. im Einzelfalle schwierig zu beurteilenden Voraussetzungen der Betriebs- und Arbeitskampfrisikolehre zu begrenzen und gleichzeitig durch die dadurch eintretende Verpflichtung der Gewerkschaft zur Zahlung von zusätzlicher Streikunterstützung den Gegendruck auf sie zu erhöhen 175. Grundlage für die Möglichkeit der Aussperrung ist somit der Schutz der Tarifautonomie als eines Bestandteils der durch Art. 9 III GG geschützten Betätigungsfreiheit der Koalitionen. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob sich aus diesem Ansatz heraus nicht nur das Recht zur Verbandsaussperrung, sondern auch die Einzelaussperrung des nicht organisierten Arbeitgebers herleiten läßt, denn etwa im Falle einer Bestreikung zur Durchsetzung eines Firmentarifvertrags wird auch ihm die Aussperrungsbefugnis zuerkannt, obwohl der einzelne Arbeitgeber nicht Koalition ist. Seiter geht davon aus, daß die Berechtigung der Koalitionen aus Art. 9 III GG nicht die Grundlage für die Zuweisung eines Arbeitskampfmittels an den einzelnen Arbeitgeber sein könne. Dessen Aussperrungsbefugnis könne nur mit dem von ihm vertretenen Modell subjektiv-privater Arbeitskampfrechte erklärt werden. Der rein kollektive Ansatz der Rechtsprechung sei daher lückenhaft und dadurch in seiner Überzeugungskraft gemindert 176 . BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampfrecht, BI. 5 V. BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampfrecht, BI. 1 (LS 2). 174 BAG v. 12.3.85 AP Nr. 84 zu Art. 9 GG Arbeitskampfrecht, BI. 3 V; BAG v. 10.6.80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampfrecht, BI. 5 R. 175 "Kampfverkürzung durch Kampfausweitung" (Seifer, JA 79,334). Vgl. auch Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 59 und BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Scholz/ Konzen, Aussperrung, S. 23. 172
173
62
B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Die Auffassung Seifers erscheint jedoch unzutreffend: Art. 9 III GG schützt die Tarifautonomie als Bestandteil der Betätigungsfreiheit der Koalitionen. Durch die Ausdehnung der Tariffähigkeit auf den einzelnen Arbeitgeber durch § 2 I TVG will das Gesetz den Koalitionen der Arbeitnehmer erleichtern, einen Tarifpartner zu finden und mit ihm durch den Abschluß eines Tarifvertrages die Arbeitsbedingungen zu regeln. Die Ausdehnung begünstigt daher unmittelbar den Abschluß von Tarifverträgen und damit mittelbar auch die Realisierung der Koalitionsfreiheit 177 . Wenn ein Arbeitgeber aber tariffähig ist, muß er auch arbeitskampffahig sein, muß er auch aussperren können, da sonst eine auch für den Firmentarifvertrag von der Rechtsordnung vorausgesetzte tendenzielle Richtigkeitsgewähr des Verhandlungsergebnisses nicht gewährleistet wäre 178. Somit dient nicht nur die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, sondern auch - weil notwendig damit verbunden seine Aussperrungsbefugnis mittelbar der Realisierung der Koalitionsfreiheit und dem Betätigungsrecht der Koalitionen aus Art. 9 III GG. In diesem Recht hat sie ihre Grundlage. Daß bei dieser Herleitung kein unmittelbarer, "echter Grundrechtsschutz des Einzelunternehmers im Arbeitskampr,179 besteht, ist Seiler zuzugeben. Dies ist jedoch keine Schwäche in der Konstruktion, sondern eine Stärke gegenüber seinem Modell: Da die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht vom Grundrechtschutz des Art. 9 III GG erlaßt ist, sondern nur im Dienste der Koalitionsfreiheit als eine von vielen Möglichkeiten zur Förderung der Tarifautonomie geschaffen wurde, könnte sie durch den Gesetzgeber wohl auch wieder zurückgenommen werden 180. Denn die Tariffahigkeit des einzelnen Arbeitgebers ist keineswegs so selbstverständlich, wie auch der internationale Vergleich zeigt 181 . Die von 176
Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 89 f
Vgl. BVerfG v. 19. 10.66 BVerfGE 20,312 (318). "Tariffähigkeit bedingt Arbeitskampffähigkeit": Dieser allgemein anerkannte Zusammenhang wird neuerdings von Lieb, FS Kissel, 653 (658) in Frage gestellt, allerdings nur bezüglich der Bestreikbarkeit des nicht organisierten Arbeitgebers. Da er selbst jedoch in seinen weiteren Ausführungen von der Richtigkeit dieses Grundsatzes ausgeht und seine Verweise auf andere Autoren seine Zweifel nicht stützen (Vgl. Abschn. C. Fn 7) ist hier darauf nicht näher einzugehen. 179 Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 90. 180 Gegen eine Aberänderbarkeit der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers durch den Gesetzgeber allerdings LöwischlRieble, TVG, Grundl33 m.w.N., da dieser sonst außerhalb des Verbandes vor jedem Arbeitskampf und Tarifvertrag sicher wäre. Vgl. aber die Argumentation des BVerfG v. 19. 10.66 BVerfGE 20,312 (318). 181 Vgl. etwa die Rechtslage in Östereich. Dort sind außer dem ÖRF (§ 1 IV ORF-G), den juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 7 ArbVG) und Vereinen, die vermöge der Zahl ihrer Mitglieder, des Umfanges ihrer Tatigkeit und der Zahl ihrer Arbeitnehmer eine maßgebende Bedeutung haben (§ 4 III ArbVG) nur Zusammenschlüsse von Arbeitgebern tariffähig. In Griechenland sind nur der Staat und die abschließend m Art. 7 V des Gesetzes 3239/1955 aufgeführten Arbeitgeber tariffähig (V gl. Koniaris, Labour Law and Industrial Relations in Greece, Rn 392). Siehe auch den durch Schaffung des § 2 TVG überholten Art. 54 I S. 2 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: "Im Rahmen dieses Arbeitsrechts können Gesamtvereinbarungen nur zwischen Gerwerkschaften und den Arbeitgebervertretungen abgeschlossen oder durch verbindlichen Schiedsspruch ersetzt werden" 177
178
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
63
der Tariffähigkeit abhängende Arbeitskampffähigkeit und als deren Bestandteil die Aussperrungsbefugnis des einzelnen Arbeitgebers können aber nicht unter einem weitergehenden Schutz stehen. Sie besteht nur solange - dann aber notwendigerweise - wie dessen Tariffähigkeit besteht. Sie unter einen "echten Grundrechtsschutz" im Sinne Seiters zu stellen, erschiene verfehlt. Ergebnis: Der Schutz der Tarifautonomie als Bestandteil der durch Art. 9 III GG geschützten Betätigungsfreiheit der Koalitionen ist somit nicht nur dogmatische Grundlage für die Verbands-, sondern mittelbar auch für die Einzelaussperrung. 2. Einbeziehung von nicht organisierten Arbeitnehmern in die Aussperrung
Wenn damit die Zulässigkeit zumindest der suspendierenden Abwehraussperrung bejaht werden muß 182, könnte jedoch eine Einbeziehung von nicht organisierten Arbeitnehmern unzulässig sein.
a) Gründe, die der Einbeziehung (zwingend?) entgegenstehen
Trotz grundsätzlicher Anerkennung der Aussperrung formulierte 1969 erstmals Wiedemann Bedenken gegen die Einbeziehung von Außenseitern l83 . Zwar ließ er die Frage ihrer Rechtmäßigkeit letztlich offen, spätere Äußerungen im Schrifttum gingen jedoch aufbauend auf diesen Überlegungen von der Unzulässigkeit der Aussperrung von Nichtorganisierten aus l84 . Zum einen bemängelt Wiedemann, die Einbeziehung der nicht organisierten Arbeitnehmer verstoße gegen das aus dem politischen Streik geläufige Prinzip, wonach der Angegriffene auch in der Lage sein müsse, die Kampfforderung selbst und unabhängig zu erfüllen. Zum anderen sei es an der von der herrschenden Meinung und ständigen Rechtsprechung akzeptierten Arbeitskampfordnung unstimmig, daß jeder Arbeitnehmer gezwungen werde, sich an den Opfern des Arbeitskampfes zu beteiligen, die Vorteile des Arbeitskampfs aber rechtlich abgesichert nur den Organisierten zufielen. Schließlich sei die Aussperrung von Nichtorganisierten ein Verstoß gegen deren negative Koalitionsfreiheit, verstünde man sie dalB2 Die lösende Aussperrung oder die wohl nur in Zeiten der Deflation in größerem Umfang vorstellbare Angriffsaussperrung sind in der Praxis von nur untergeordneter Bedeutung. Ihre rechtliche Zulässigkeit ist höchst umstritten (Vgl. Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 186 f., 205 f.). Eine Erörterung und Lösung dieses Problems ist nicht Aufgabe einer die Außenseiterprob1ematik ausführenden Darstellung. lB3 Wiedemann, RdA 69, 321 (326). lB4 Unter Bezugnahme auf Wiedemann vgl. Richardi RdA 71,334 (338); ders. RdA 70,65 (70); vgl. auch Biedenkopf, Die Betriebsrisikolehre als Beispiel richterlicher Rechtsfortbildung (1970), S. 21 ff. und Säcker, Gruppenautonomie, S. 333f., 482 Fn 85; van Gelder/Leinemann, BlStSozArbR 70, 253 (255).
B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
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hin, jeder Außenstehende müsse vom Einfluß der Koalitionen - und dann wohl vor allem vor ihren Kämpfen - verschont bleiben 185. Insbesondere diesen letzten Kritikpunkt hat die spätere Literatur aufgegriffen l86 . Es ist aber zu allen drei Aspekten Stellung zu nehmen. Die von Wiedemann angeführte Tatsache, daß der politische Streik nahezu unumstritten unzulässig ist, weil der Angegriffene auch in der Lage sein muß, die Kampfforderung zu erfüllen, steht einer Einbeziehung der Außenseiter in eine Aussperrung nicht entgegen. Dies beruht auf der unterschiedlichen Stoßrichtung der Arbeitskampfmittel Streik und Aussperrung: Der Streik dient der Druckausübung. Dieser Druck kann - das ist zuzugeben - grundsätzlich nur dann als rechtmäßig gewertet werden, wenn er sich gegen jemanden richtet, der ihm überhaupt nachgeben kann, wie z. B. bei der Bestreikung eines Arbeitgebers zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen. Die Einbeziehung eines gänzlich Unbeteiligten zur Druckausübung gegen Dritte - Parteien, Verbände, der Gesetzgeber - wäre aber so etwas wie eine wirtschaftliche Geiselnahme und muß als unzulässig erachtet werden; der politische Streik ist also zu Recht abzulehnen 187. Die Aussperrung dient aber nicht unbedingt der Druckausübung, sondern zumindest als suspendierende Abwehraussperrung auch der Begrenzung des Schadens, der einem Arbeitgeber dadurch entstehen kann, daß die Gewerkschaft nicht alle Arbeitnehmer eines Betriebs/Unternehmens zum Streik aufruft, sondern sich auf gezielte Teil- und Schwerpunktstreiks beschränkt, dadurch aber faktisch das ganze Unternehmen in seiner Wirtschaftlichkeit und seinem Arbeitsablauf beeinträchtigt. Der dadurch eintretende Schaden des Arbeitgebers wird in diesen Fällen mittels der durch die Ausperrung eintretenden Suspendierung der Beschäftigungs- und Lohnzahlungspflicht geringer gehalten, und zwar nicht erst bei Unmöglichkeit oder wirtschaftlicher Sinnlosigkeit der Fortführung der Produktion, wie dies für die Regelung der Arbeitskampf- und Betriebsrisikolehre erforderlich ist, sondern bereits bei einer möglichen oder bloß vermuteten Unrentabilität der Produktionsfortführung l88 . Zur Druckausübung auf die streikführende Gewerkschaft hingegen müßte der Arbeitgeber( -verband) Gewerkschaftsmitglieder aussperren, denn mit der Aussperrung Wiedemann, RdA 69,321 (326). Biedenkopf, Betriebsrisikolehre, S. 21; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 482 Fn 85; Heckelmann, Aussperrung, S. 35. 187 Vgl. die fast angemeine Meinung BAG GS v. 28. 1. SS AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v; 20. 12.63 AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 21. 10. 69 AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 139; Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht, § 40 II 1 b, S. 407; vgl. auch Söllner, Arbeitsrecht, S. 78 und Hanau/ Adomeit, Arbeitsrecht, S. 86, die jedoch auf möglicherweise zuzulassende Ausnahmen aus Art. 20 IV GG hinweisen. 188 Vgl. Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 59; allgemein zur schadensbegrenzenden Funktion der Aussperrung Seiter, Anm. zu EzA Art. 9 GG Nr. 21 Arbeitskampf; ders., JA 79, 337 (344); ders., RdA 81, 65 (78). Detailiert die verschiedenen Funktionen der Aussperrung darlegend Seiter, RdA 81,65 (77 ff.) und Scholz/ Konzen, Aussperrung, S. 23. 185
186
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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der Außenseiter könnte dieser Druck, selbst wenn er beabsichtigt wäre, nur sehr bedingt erreicht werden, sind Nichtorganisierte doch nach den Satzungen sämtlicher DGB-Gewerkschaften nicht Berechtigte der gewerkschaftlichen Streikunterstützung und auch nicht abstimmungsberechtigt über eine mögliche Beendigung des Arbeitskampfs l89 . Ob aber deren Einbeziehung aus Gründen der Schadensbegrenzung legitim ist, bedarf einer genaueren Untersuchung der einander gegenüberstehenden Rechtspositionen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber und ist nicht so offensichtlich und eindeutig zu beantworten, wie die Frage, ob Druck gegen den ausgeübt werden darf, der dem Druck überhaupt nicht nachgeben kann l90 . Auch der Hinweis darauf, daß es unstimmig sein könnte, die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den Nachteilen eines Arbeitskampfs zu belasten, ihnen aber dessen Vorteile vorzuenthalten, kann keinen Ausschluß des Außenseiters aus der Aussperrung begründen: Erweist sich dessen Aussperrung als grundsätzlich zulässig, wäre zu überlegen, ob nicht daraus ein Anspruch auf Teilhabe am Tarifvertrag erwachsen könnte. Solange aber nicht feststeht, daß es ausgeschlossen ist, dem Nichtorganisierten diese Vorteile zu gewähren, könnte damit selbst bei Richtigkeit der Annahme, daß die Einbeziehung in die Belastungen des Arbeitskampfes nur bei Einbeziehung in die Begünstigungen des Tarifvertrags zulässig ist, ein Ausschluß der Außenseiter von der Aussperrung nicht begründet werden. Gewichtiger ist schließlich der dritte Hinweis Wiedemanns auf die mögliche Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit: Die negative Koalitionsfreiheit umfaßt das Recht jedes Arbeitnehmers oder Arbeitgebers, sich nicht zu Koalitionen zusammenzuschließen, aus bestehenden Koalitionen auszutreten sowie ihnen fernzubleiben 191. Ihre rechtliche Grundlage hat sie heute fast unbestritten ebenso wie die positive Koalitionsfreiheit unmittelbar in Art. 9 III GG 192 . Dies war lange Zeit im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte von Art. 9 III GG und die Rechtslage der Weimarer Zeit unklar l93 . So vertrat insbesondere Nipperdey die Auffassung, die negative Koalitionsfreiheit sei lediglich aus Art. 2 I GG herleitbar und V gl. Abschn. A. 11. 1. Vgl. zu anderen, ebenfalls mit der Aussperrung von Außenseitern verfolgbaren arbeitskampftaktischen Zielen Seiter, RdA 81,65 (77ff.). 191 Vgl. nur BVerfG v.1. 12.78 BVerfGE 50, 290 (367); BVerfG v. 17.2. 81 BVerfGE 57,220 (245); BAG GS v. 29.11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 18 V; Schalz, in: Maunzl Dürig I Herzog I Scholz, Art. 9 Rn 226. 192 BVerfG v. 15. 6. 80 BVerfGE 55,7 (21); BVerfG v. 1. 12. 78 BVerfGE 50, 290 (367); offengelassen noch BVerfG v. 20. 7. 71 BVerfGE 31, 297 (302). Für das Schrifttum vgl. statt aller Zöllner/Seiter ZfA 70, 97 (108); Schalz, in: Maunz I Dürigl Herzog I Scholz, Art. 9 Rn 221; Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 237, Rn 3 m.w.N.; a.A. immernoch Söllner, Arbeitsrecht, S. 66; Gamillscheg, Grundrechte im Arbeitsrecht, S. 101; kritisch auch Zachert, DB 95, 322 (323). 193 V gl. noch Säcker, Grundprobleme der Kollektiven Koalitionsfreiheit (1969), S. 36; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit (1966), S. 43; Biedenkopf, JZ 61, 246 (252); Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 1I/1, S. 156ff.; zur Rechtslage in der Weimarer Zeit vgl. Abschn. B. I. I. 189
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
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dementsprechend weitgehend einschränkbar l94 . Die heute fast allgemeine Meinung stützt sich jedoch richtigerweise auf die Überlegung, daß die negative Koalitionsfreiheit gedanklich notwendiges Korrelat der positiven Koalitionsfreiheit ist: Wenn die positive Koalitionsfreiheit unbestritten das Recht des Einzelnen schützt, frei zu entscheiden, ob er Mitglied einer Koalition wird, dann ist damit auch das Recht geschützt, frei zu entscheiden, nicht Mitglied einer Koalition zu werden. Beides zusammen ist Ausfluß der Tatsache, daß es einen Zwang zum Eintritt in eine Koalition nicht geben darf195 . Da aber die bloße Mitgliedschaft in einer Koalition ohne Bedeutung wäre, wenn die Koalition ihr Wirken beliebig auf Nichtorganisierte ausdehnen dürfte, muß von der negativen Koalitionsfreiheit auch das Recht mit urnfaßt sein, vom Handeln der Koalitionen grundsätzlich unbeinträchtigt zu bleiben 196. Mit der Rechtsprechung und dem fast allgemeinen Schrifttum ist jedoch die Einschränkung zu machen, daß lediglich "sozialinadäquater" Beitrittsdruck die negative Koalitionsfreiheit verletzt, da z. B. die Mitgliederwerbung zweifellos den Gewerkschaften weiterhin möglich sein muß 197 . Daher sind aber auch nur sozialinadäquate Folgen der Koalitionsbetätigung in bezug auf Außenseiter unzulässig. Die negative Koalitionsfreiheit muß da enden, wo es zur Entfaltung der positiven Koalitionsfreiheit zwingend erforderlich ist, da andernfalls der negative Aspekt des Art. 9 III GG stärker geschützt würde als sein positiver Gewährleistungsgehalt l98 • Entscheidend ist somit, ob es Gründe gibt, die bei der Ausgestaltung der Aussperrungsbefugnis zwingend die Möglichkeit der Aussperrung von Außenseitern gebieten, so daß die Beeinträchtigung des Rechts, von den Koalitionen und ihrem Wirken unbehelligt zu bleiben, als sozialadäquat und damit als zulässig zu werten ist. b) Gründe, die die Einbeziehung rechtfertigen
Als solche Gründe für die Einbeziehung der Außenseiter in die Aussperrung werden in Rechtsprechung und Schrifttum zum einen die Tatsache angeführt, daß Außenseiter ja auch mit streiken dürften l99 , zum anderen wird wie bei der Frage HuecklNipperdey, Arbeitsrecht 11/ 1, S. 156ff. Vgl. rur alle Schotz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG Rn 221. Die Tatsache, daß ein Grundrecht positives wie negatives Verhalten schützt ist auch bei anderen Grundrechten anerkannt, so z. B. auch für das Grundrecht der Meinungsfreiheit Art. 5 I GG (vgl. PierothlSchlink, Grundrechte-Staatsrecht 11, Rn 635). Vgl. auch die negative Glaubensfreiheit und ihre extensive Auslegung im Kruzifixbeschluß BVerfG v. 16. 5. 95, NJW 95, S. 2477ff. 196 Vgl. Wiedemann, RdA 69,321 (330); Löwisch, MünchHandbArbR, § 237, Rn 4. 197 BAG GS v. 29. 11 67 BAGE 20, 175 (213ff. 218). 198 Vgl. auch Konzen. FS BAG, S. 273 (284) und Abschn. B. III. 2. a). 199 BAG GS v. 21. 3. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BI. 8 V; BAG v. 10.6.80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V; Scholzl Konzen, Aussperrung, S. 256; Löwisch, Streik und Aussperrung im Ausland (1970), S. 31 194
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III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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der Streikbefugnis mit dem Gedanken der Solidarität argumentiert 2OO • Auch wirdebenfalls parallel zur Streiklegitimation - auf die regelmäßig aufgrund individualvertraglicher Bezugnahme gewährleistete Teilhabe am Streikerfolg 201 und die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems hingewiesen 202 . aa) Streiklegitimation als Legitimation zur Aussperrung Das Bundesarbeitsgericht begründet in einigen Entscheidungen die Befugnis zur Aussperrung von Außenseitern mit deren Streikbefugnis 203 . Dem entspricht auch die Argumentation von Scholz und Konzen, die sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf den Grundsatz der Kampfparität stützen. Dieser - so Scholzl Konzen - fordere zwingend eine einheitliche Anwort: Entweder sei die Kampfbeteiligung bei beiden Kampfformen zulässig, oder sie sei bei beiden Kampfformen unzulässig 204 . Die Schlüssigkeit dieser Argumentation wird schon durch einen Blick auf ausländische Rechtsordnungen erheblich in Frage gestellt: So gibt es Länder, in denen der Streik erlaubt ist, die Aussperrung aber nicht205 . Auch gibt es Rechtsordnungen, wo zumindest nach Auffassung des dort herrschenden Schrifttums die Streikbeteiligung von Außenseitern zulässig, deren Aussperrung aber unzulässig ist206 . 200 BAG GS v. 21. 3. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG GS v. 29. 11. 67 BAGE 20, 175 (195); Scho/z, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG Rn 192. 201 Dütz, DB 1979 Beil. 14, S. 8; Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 59; Löwisch, Streik und Aussperrung im Ausland (1970), S. 31. 202 Dütz, DB 1979 Beil. 14, S. 8; Seiler, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 346; Löwisch/ Krauß, AR-Blattei, Arbeitskampf III. B. H. 1. c) bb) (H). 203 BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V: "An einem von der Gewerkschaft getragenen Streik dürfen sich die nicht organisierten (... ) ArbN beteiligen; dann dürfen sie aber auch ausgesperrt werden."; BAG v. 10.6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V: ,,Nichtorganisierte sind potentielle Kampfbeteiligte. Sie können sich einem Streik anschließen und können infolgedessen auch ausgesperrt werden". 204 Scholz/ Konzen, Aussperrung, S. 258; vgl. auch Konzen, FS BAG, 273 (282); Löwisch, Streik und Aussperrung im Ausland (1970), S. 31. 205 So z. B. in Frankreich: Vgl. Cass.soc. v. 6.10.71, D. 1972, S. 23; Cass.soc. v. 2.12.64, D. 1965, S. 112; ebenfalls Portugal gemäß Art. 10 Gesetz Nr. 65/1977 und Art. 58 Abs. 3 der Verfassung: Vgl. Hörster, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in Portugal, 703 (766); Pinto, ZIAS 89, I (7). Für die auf Art. 31 GG fußende rechtliche Unbeachtlichkeit des Aussperrungsverbots in Art. 29 Abs. 5 der Verfassung des Landes Hessen vgl. BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 R. 206 So z. B. in Griechenland. Das Streikrecht beruht dort auf Art. 20 des Gesetzes 1264/ 1982. Die Ausperrung ist nicht mehr positivrechtlich normiert (anders noch Art. 32 des Vorgängergesetzes 330/1976). Insgesamt hat die Aussperrung geringe praktische Bedeutung. Neben der vereinzelt vertretenen Auffassung, Aussperrungen seien insgesamt rechtswidrig und der Auffassung, auch Außenseiter dürften ausgesperrt werden, hat sich wohl so etwas wie eine herrschende Meinung im oben dargelegten Sinne gebildet: Vgl. Koniaris, Labour Law and Industrial Relations in Greece, Rn 413, 424; Tsatsos, Die Koalitionsfreiheit des
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Umgekehrt gibt es Länder - wie die Türkei - in denen eine Aussperrung von Außenseitern zulässig ist, deren Streikteilnahme aber einen Vertragsbruch darstellt207 . Unabhängig von einem internationalen Vergleich liegt der Grund für die Unschlüssigkeit dieser Argumentation in dem grundlegenden rechtlichen Unterschied zwischen der Einbeziehung von Außenseitern in Streik und Aussperrung, den auch ein Verweis auf den Grundsatz der Kampfparität nicht ausräumen kann: Bei der Teilnahme des nicht organisierten Arbeitnehmers am gewerkschaftlichen Streik handelt es sich um die aktive Ausübung eines Arbeitskampfmiuels. Bei seiner Aussperrung ist der Nichtorganisierte nicht aktiv Beteiligter, sondern lediglich passiv Betroffener von den Auswirkungen eines Arbeitskampfmiuels, das der Arbeitgeber ausübt, nicht aber er selber. Das eine Mal wird er mit seinem Willen am Arbeitskampf beteiligt, das andere Mal gegen seinen Willen. Diesen grundlegenden Unterschied vermag auch nicht der Grundsatz der Kampfparität in Frage zu stellen. Dieser allgemein anerkannte Grundsatz wird aus der Tatsache hergeleitet, daß die Tarifautonomie als ein staatsfreies, privatautonomes Ausgleichsinstrument für Interessengegensätze am Arbeitsmarkt nur dann funktionieren kann, wenn beide Tarifparteien in etwa die gleichen Chancen haben, die auszuhandelnden Verträge mitzugestalten 208 . Es verlangt daher jedoch nur die gleichgewichtige, nicht die gleichartige Ausgestaltung der Arbeitskampfmiuel auf Arbeitgeber und Arbeitnehmerseite 209 : Allein aus der Tatsache heraus, daß die Abkehr möglich ist, kann nicht auf eine Zulässigkeit der lösenden Aussperrung geschlossen werden, und die Zulässigkeit des Angriffsstreiks reicht nicht zur Begründung der Zulässigkeit der Angriffsaussperrung; eine schematische Parallelität der Arbeitskampfmittel kann aus dem Grundsatz der Kampfparität nicht hergeleitet werden 21O . Arbeitnehmers in Griechenland, 309 (351) unter Verweis auf Travlos-Tsanetatos, EED 78, 699 ff. Dieser stützt sich in seiner Argumentation auf die Tatsache, daß Außenseiter gemäß des Gesetzes 186/1969 auch nicht am Tarifvertrag partizipieren und verweist für den Zusammenhang Partizipation-Streikbeteiligung wiederum auf Wiedemann, RdA 69, S. 323, 326 (Travlos-Tsanetatos, EED 78, S. 699, 707). 207 Art. 24 des Gesetzes Nr. 275 v. 15.6. 1963: Vgl./sliki, La liberte syndicale des salaries en Turquie, S. 899 (939). 208 Vgl. nur BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 6f.; Löwisch/ Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 49; Rüthers, in: Brox 1 Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 166. 209 ,,Abstrakt-m~terielJer Paritätsbegriff'; der eine in jeder Hinsicht gleichartige Ausgestaltung der Kampfmiuel postulierende ,,rein formelle Paritätsbegriff' wurde zwar früher vereinzelt vertreten (so in Ansätzen z. B. RG v. 26. 3. 03 RGZ 54, 255, 259 f. "Hamburg-Amerika-Linie"). Er steht jedoch mit der Grundlage und Herleitung des Paritätsgrundsatzes nicht 1m Einklang und wurde überzeugend widerlegt bereits durch GoU, Arbeitskampfparität und Tariferfolg, S. 32 ff. Er wird daher zumindest in seiner reinen Ausprägung nicht mehr vertreten - auch nicht von Scholz 1 Konzen, vgl. Scholz/ Konzen, Aussperrung, S. 171 - . Allgemein zu den verschiedenen Paritätsbegriffen: Rüthers, in: Broxl Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 167; BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V; Hanau, in: BDA (Hrsg.), Rechtsfragen der Aussperrung, S. 100.
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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bb) Solidarität von Organisierten und Nichtorganisierten Die Solidarität der Arbeitnehmer wird noch öfter zur Begründung der Befugnis zur Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern herangezogen als dies zur Begründung ihrer Streiklegitimation geschieht211 • Auch hier wird jedoch von einem nicht unerheblichen Teil des Schrifttums der Argumentationstauglichkeit des Solidaritätsgedanken widersprochen 212 . Die Kritik ist berechtigt, denn auch hier kann die Solidarität aller Arbeitnehmer - verstanden als Sollens-, nicht als Seinsprinzip213 - nicht zur Begründung herangezogen werden: Die gegenseitige Verbundenheit der Arbeitnehmer könnte dem Gedanken der Solidarität folgend nur zu einer gegenseitigen Einstands- und Beistandspflicht führen. Das Solidaritätsprinzip kann die einzelnen Arbeitnehmer verpflichten, würde sie aber aufgrund der Gegenseitigkeit auch begünstigen. So läßt sich zu Recht sagen, daß etwa die Kranken- und Arbeitslosenversicherung aller Arbeitnehmer mit ihrer gegenseitigen Einstandswirkung eine Ausprägung ihrer gemeinsamen Solidarität ist214 . Begünstigte bei der Annahme einer Befugnis zur Aussperrung auch von Außenseitern sind aber nicht die streikenden oder organisierten Arbeitnehmer, sondern die bestreikten Arbeitgeber. Müßte man den Gedanken der Solidarität bei der Frage der Aussperrungsbefugnis heranziehen, könnte es daher nur als eine (Zwangs-)Solidarisierung der Außenseiter mit dem Arbeitgeber verstanden werden, wenn man ihm gestattet, durch deren Aussperrung seinen Schaden zu mindern: Der Arbeitgeber würde "solidarisch" entlastet, nicht die Arbeitnehmer. Die Erstreckung der Aussperrung auf die Nichtorganisierten und die damit einhergehende Beeinträchtigung deren negativer Koalitionsfreiheit kann somit nicht mit dem Gedanken der Solidarität zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern begründet werden. Wird dennoch damit argumentiert, so verliert das Solidaritätsprinzip seinen rechtlich handhabbaren Inhalt und ist der beliebigen, kaum nachvollziehbaren Verwendung als Zurechnungsprinzip ohne Abgrenzungsund Anwendungskriterien unterworfen.
210 Zum Verhältnis lösender Aussperrung und Abkehr: Brax, in: Brox I Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 319; vgl. zur Angriffsaussperrung: Rüthers, in: Brox I Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 186 f. 211 BAG GS v. 21. 3. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG GS v. 29. 11. 67 BAGE 20, 175 (195); Schalz, in: Maunz I Dürigl Herzog I Scholz, Art. 9 GG Rn 192 212 Siehe Wiedemann, RdA 69, 321 (326): der "mehr trost- als hilfreiche Hinweis auf die Solidarität alle Arbeitnehmer"; vgl. auch Schalz/ Kanzen, Aussperrung, S. 256; Richardi, RdA 70, 65 (70). 213 Vgl. Abschn. B. I. 3. b) aa). 214 Vgl. § 1 SGB V: Solidarität und Eigenverantwortung, § 3 SGB V: Solidarische Finanzierung. Zur Entstehung der Sozialgesetzgebung der Bismark-Ära aus dem Gedanken der Solidarität aller Arbeitnehmer: Ströer, Einführung in das Sozialgesetzbuch, S. IX.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
cc) Teilhabe am Streikerfolg Wenn von einem Teil des Schrifttums die Befugnis zur Aussperrung von Außenseitern damit begründet wird, daß diese regelmäßig ja auch am Streikerfolg teilhaben 215 , dann kann diese Argumentation aufgrund der oben dargelegten Unterschiede zwischen Streik und Aussperrung nicht mit dem schlichten Hinweis abgetan werden, daß ja auch die Streikbefugnis der Außenseiter nicht aus diesem Gedanken herleitbar ist. Im Gegensatz zu dort geht es hier nicht um die Frage, ob die Teilhabe am Erfolg ein Recht auf Mitbewirkung des Erfolges gibt, sondern darum, ob die Teilhabe am Erfolg ein Recht gibt, dem Teilhabenden die Lasten zur Bewirkung des Erfolges mit aufzubürden. Dieser Gedanke findet sich durchaus in verschiedenen Rechtsinstituten: Die Erschließungsbeiträge im Baurecht gemäß §§ 127 ff. BauGB spiegeln dies wider, ebenso die Kostentragungspflicht des Nießbrauchers nach §§ 1041, 1047 BGB. So sieht auch die schweizerische Rechtsordnung in § 356 b 11 SchweizZGB gerade für den Fall, daß ein Außenseiter am Tarifvertrag partizipiert, vor, daß es den Gesamtvertragsparteien möglich ist, Solidaritätsbeiträge von den durch formelle Anschlußerklärung am Tarifvertrag teilhabenden nicht organisierten Arbeitnehmern eines organisierten Arbeitgebers zu erheben. Dies hat seinen Grund darin, daß es unbillig ist, "daß der Außenseiter in den Genuß der Vorteile kommen soll, ohne an den Kosten ( ... ) einen Beitrag zu leisten,,216. Das diesem Gedanken zugrundeliegende allgemeine Rechtsprinzip formlierte schon Ulpian im 30. Buch seines Sabinuskommentars: Cuius participavit lucrum, participet et damnum 217 • Diese Rechtsregel taucht in sprachlicher Abwandlung auch in späterer Zeit auf218 . Ist somit hier die Argumentation mit der Teilhabe am Erfolg zwar gehaltvoller als bei der Frage der Streikbefugnis, so zeigen sich jedoch auch hier dieselben schwerwiegenden Bedenken: Der Außenseiter wird nicht von der normativen Wirkung des Tarifvertrages erfaßt. Dieser liefert nur "soziale Daten", an denen sich der Individualvertrag des Außenseiters durch inhaltgleiche Übernahme oder einfache Bezugnahme orientiert. Rechtgrund seiner Partizipation ist also nicht der Tarifvertrag, sondern der individuell ausgehandelte Arbeitsvertrag. Es ist daher eine lediglich mittelbare Partizipation am Inhalt, nicht eine Partizipation am Rechtsgrund "Tarifvertrag". Die Gleichsetzung beider Teilhabeformen erschiene bedenklich. Ferner besteht auch hier das Problem, daß, die Richtigkeit dieses Ansatzes unter.lIS Düt1., DB 1979 Beil. 14, S. 8; Ouo, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 59; vgl. auch Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 39. 216 So Vischer, in: Schönenberger / Gauch, ZGB, Art. 356 b Rn 49 m. w.N.; vgl. auch Bundesgericht v. 25. 5. 48 BGE 74 11, 158 (168). Solidaritätsbeiträge gibt es auch in der Türkei: Dereli, Labour Law and Industrial Relations in Turkey, Rn 473. 217 Ulpian, D 17,2,55 a.E. 218 So z.B bei Paulus, D 50, 17, 10; Bonifaz IX, Liber sextus 5, 13,55: "Qui sentit onus, sentire debet commodum, et contra". Vgl. dazu van den Bergh, "Qui habet commoda, ferre debet onera" - Contributions a l'histoire d'une maxime juridique, S. 21 ff.
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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stellt, keine Begründung ersichtlich wäre, warum nicht jeder Arbeitnehmer, dessen Individualvertrag sich am Tarifvertrag anlehnt, ausgesperrt werden könnte unabhängig vom persönlichen oder räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags. Eine widerlegende reductio ad absurdum scheint daher möglich. Über die Berechtigung dieser Einwände könnte sicherlich kontrovers diskutiert werden. Es ist aber festzustellen, daß die Teilhabe am Erfolg, konsequent zu Ende gedacht, nur eine Einbeziehung von solchen Arbeitnehmern in die Aussperrung rechtfertigen könnte, bei denen tatsächlich eine solche Partizipation besteht. Dies ist aber nicht immer der Fall, da ja eine Anlehnung von Außenseiterarbeitsverträgen an den Tarifvertrag vielleicht betriebspolitisch sinnvoll, jedoch nicht zwingend erforderlich ist. Ausschließlich die Einbeziehung von solchen nicht organisierten Arbeitnehmern, bei denen eine Bezugnahme auf den jeweils geltenden Tarifvertrag besteht, wird jedoch von (fast) niemandem vertreten 219 • Die Tatsache, daß es im Regelfall so ist, wird als ausreichend für die Einbeziehung aller Außenseiter angesehen 22o • Dies läßt sich jedoch nicht mehr mit der Teilhabe am Streikerfolg begründen. Daß die Einbeziehung nur der tatsächlich partizipierenden Außenseiter von fast niemanden vertreten wird, ist aber verständlich, insbesondere weil sich andernfalls dabei in der Praxis kaum lösbare Abgrenzungsprobleme stellen würden: Die Aussperrung lebt als Arbeitskampfmittel davon, daß sie dem Arbeitgeber(-verband) ein unmittelbares Reagieren auf den gewerkschaftlichen Streik erlaubt. Ob aber der einzelne Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag hat, der auf den künftigen Tarifvertrag verweist, dürfte bei größeren Betrieben schon für den einzelnen Arbeitgeber nicht so schnell und einfach festzustellen sein, wie es für eine wirksame Aussperrung erforderlich ist; jedenfalls im Verbandsarbeitskampf könnte sich der Aussperrungsbeschluß des Arbeitgeberverbandes mangels Kenntnis der Entlohnungsstruktur seiner einzelnen Mitgliedsunternehmen nicht an dieser Unterscheidung orientieren. Die Einbeziehung aller nicht organisierten Arbeitnehmer in die Aussperrung kann durch den Gedanken der Teilhabe am Streikerfolg nicht begründet werden. dd) Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems Die Einbeziehung von nicht organisierten Arbeitnehmern in die Aussperrung wäre jedoch zulässig, wenn sie für ein funktionierendes Arbeitskampfsystem erforderlich wäre, wenn also die Aussperrung ohne Einbeziehung der Außenseiter kein Arbeitskampfmittel wäre, das dem Arbeitgeber(-verband) ein adäquates Reagieren auf einen gewerkschaftlichen Streik erlaubt und daher eine Waffen- und Kräfteparität im Arbeitskampf gewährleisten würde. 219 A.A. lediglich Kraft, der jedoch (unzutreffend) die Rechmäßigkeit eines Streiks nicht anhand kollektiver Momente, sondern anhand der individual vertraglichen Zulässigkeit mißt [vgl. Abschn. B. I. 2. c)]. 220 Vgl. Dütz, DB 1979 Beil. 14, S. 8; Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 59.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Es ist schwer zu sagen, ob für ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis im Arbeitskampf die Aussperrung unentbehrlich ist, oder ob andere Formen der Arbeitskampfführung sie nicht ersetzen könnten. Dies zu beantworten wäre im Kern nicht die Aufgabe des Juristen. sondern des Betriebs- und Volkswirtschaftlers:m . Wirtschafts wissenschaftliche C"ntersuchungen gerade zu diesem Thema fehlen aber soweit ersichtlich - bisher. Wo die Arbeitskampfparität und die Funktionsweise der Arbeitskampfmittel erörtert werden, wird zumeist nur auf die Wirkung und die Erscheinungsformen des Streiks, weniger auf die der Aussperrung eingegangen. Eine funktionale Differenzierung zwischen der Aussperrung Organisierter und ~ichtorganisierter wird nicht gemacht. Bei beiden soll - so verschiedentliehe Äußerungen im volkswirtschaftlichen Schrifttum - die Druckausübung auf die streikführende Gewerkschaft das Motiv für die Aussperrung sein 222 • was aus den oben genannten Gründen für Außenseiter jedoch nicht zutreffen kann. Die fast allgemeine Meinung im rechtswissenschaftlichen Schrifttum geht aber von der Erforderlichkeit und Zulässigkeit zumindest der suspendierenden Abwehraussperrung aus, und zwar - wie oben dargelegt -, weil es dem Arbeitgeber(-verband) möglich sein muß, bei einem eng geführten Teilstreik den Arbeitskampfrahmen auszuweiten und so den Druck auf die streikende Gewerkschaft durch erhöhte Streikunterstützung zu verstärken - dies in bezug auf Organisierte - und den eigenen Schaden durch Einsparung der Lohnkosten zu begrenzen - dies in bezug auf Organisierte und ~ichtorganisierte. Diese Gründe können überzeugen und werden von vielen anderen C"ntersuchungen belegt 223 . Wenn aber aus diesen Gründen von der Zulässigkeit der Aussperrung auszugehen ist, dann muß auch die Zulässigkeit der Aussperrung von Außenseitern anerkannt werden: Das ganze System von Kampfverkürzung durch Karnpfausweitung verlangt, daß ein Kampfrahmen möglich sein muß. der über den der Gewerkschaft angehörenden Teil der Belegschaft hinausgeht. Die Gewerkschaft hätte sonst in Betrieben mit geringem Organisationsgrad bei Innehabung der Schlüsselpositionen die Möglichkeit. den Kampfrahmen fak221 Vgl. zu dem Erfordernis (auch) volkswirtschaftlicher Betrachtung Hanau. in: BDA (Hrsg.). Rechtsfragen der Aussperrung. S. 100. Gegen einen nach wirtschaftswissenschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Paritätsbegriff der Volkswirtschaftler Himmelreich, in: BDA (Hrsg.). Rechtsfragen der Aussperrung, S. 125 f. 222 Vgl. aus volkswirtschaftlicher Sicht KU/p, Lohnbildung im Wechselspiel zwischen p0litischen und wirtschaftlichen Kräften (1965). S. 184; Enseling. Der Arbeitskampf als Entscheidung industrieller Konflikte (1966), S. 53 ff. Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird die Funktion der Aussperrung zu Unrecht teilweise einzig in der Druckausübung auf die Gewerkschaft gesehen (so z. B. Lieb, Arbeitsrecht, S. 194; ders., in: Lieb I v.Stebut I Zöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis. S. 147 im unzutreffenden Hinweis auf Seiter; dagegen zu Recht Seiter. Anm. zu EzA Art. 9 GG ~r. 21 Arbeitskampf; ders. JA 79.337 (344); ders .. RdA 81. 65 (77ff.). 223 Vgl. auch die Darstellung Raiser. Die Aussperrung nach dem Grundgesetz. S. 59 ff.; Schal;:/ Kan;:en. Aussperrung. insb. S. 168 ff .. 203 ff. Die Kampfparität ist dabei normativwertend zu ermitteln. da sie sich faktisch kaum bestimmen läßt. erst recht nicht für den Juristen: Vgl. BVerfG v. 26. 6. 91 AP ~r. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BI. 7 V; Lieb. FS Kissel, S. 653 (675).
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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tisch allein zu bestimmen und damit den eigenen Schaden gering zu halten, gleichzeitig aber größtmöglichen Schaden beim Arbeitgeber zu bewirken. Zwar fällt für die Aussperrung gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern das Motiv der Druckausübung auf die Gewerkschaften weg. Auch bezüglich der Außenseiter besteht aber das Bedürfnis der Suspendierung der Entgeltpflicht zur Schadensbegrenzung unabhängig von dem Unmöglichkeits- und Unzumutbarkeitskriterium der Arbeitskampf- und Betriebsrisikolehre 224 • Dies kann auch nicht durch die Einräumung eines ,,Rechts zur Betriebsstillegung" des bestreikten Arbeitgebers in Frage gestellt werden. Denn dieses von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelte und in Abschnitt B. VI. dieser Darstellung noch näher zu beleuchtende Recht ermöglicht nur ein betriebseinheitliches Reagieren, also die Stillegung des gesamten Betriebs- oder Betriebsteils. Dies wird aber oft nicht dem Willen des Arbeitgebers entsprechen, der möglichst nur die Vertragspflichten derjenigen Arbeitsverhältnisse suspendieren will, die seiner Prognose nach nicht wirtschaftlich fortgeführt werden können. Auch gilt dieses Recht nur für den bestreikten Arbeitgeber selbst. Soll durch die Aussperrung im Verbandsarbeitskampf der Kampfrahmen auf weitere unbestreikte Betriebe ausgedehnt werden, dann würde in diesen Betrieben eine Aussperrung nur der Organisierten dazu führen, daß in einem Betrieb unter Umständen Funktionseinheiten auseinandergerissen und Arbeitsabläufe willkürlich unterbrochen würden, so daß sich wieder die Frage stellen würde, bei welchen der so in der Wirtschaftlichkeit ihrer Fortführung beeinträchtigten Arbeitsplätze die Lohnzahlungspflicht nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre entfallen würde. Bei dem derzeitigen Organisationsgrad von in der Regel lediglich 30,1 % funktioniert das der Aussperrung zugrundeliegende System der Kampfausweitung nur bei der Einbeziehung von Außenseitern. Insoweit ist dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts Recht zu geben, wenn er feststellt, daß die "soziale Wirklichkeit des Kampfgeschehens" nicht ohne rechtliche Folgen bleiben kann 225 : Die Notwendigkeit der Aussperrung bedeutet beim jetzigen Organisations stand die Notwendigkeit der Aussperrung unter Einbeziehung der Außenseiter. Die damit verbundene Beeinträchtigung deren Rechts, von den Koalitionen und ihrem Wirken unbehelligt zu bleiben, ist somit zwingend erforderlich zur Ausübung der positiven Koaltionsfreiheit. Sie ist daher als sozialadäquat, also als zulässig zu werten.
224 Zu der schadensbegrenzenden Funktion der Aussperrung und zur Tatsache, daß sie durch die Betriebsrisikolehre nicht überflüssig wird vgl. ausführlicher Seiter, JA 79, 337 (344); ders., JZ 1979,657 (659). 225 BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V; vgl. jetzt auch . BAG v. 22. 3. 94 AuR 95, 36 (37 r.Sp.).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
3. Differenzierung der Aussperrung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit - Selektive Aussperrung und Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Außenseiter
Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob darüberhinaus der aussperrende Arbeitgeber zur Einbeziehung von nicht organisierten Arbeitnehmern verpflichtet ist, mit anderen Worten: ob die Einbeziehung von Außenseitern nicht nur möglich, sondern auch rechtlich geboten ist. Dies betrifft das umstrittene Problem der - eingangs bereits erwähnten - selektiven Aussperrung 226 . Damit zusammen hängt die Frage, ob und inwieweit der Arbeitgeber dem nicht organisierten Arbeitnehmer den durch die Einbeziehung in die Aussperrung entstehenden Lohnverlust durch Ausgleichzahlungen kompensieren darf. Auch dies ist umstritten 227 . a) Meinungsstand bezüglich der selektiven Aussperrung
Die Rechtsprechung geht seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 10.6. 1980 von der Unzulässigkeit einer Aussperrung aus, die gezielt nur die Mitglieder einer streikenden Gewerkschaft umfaßt, Nichtorganisierte jedoch verschont228 . Zwar scheint damit die Frage für die Praxis entschieden, die Diskussion im Schrifttum dazu hält jedoch unverrnindet an 229 . Das Bundesarbeitsgericht und die sonstigen Gegner der selektiven Aussperrung stützen ihre Auffassung vor allem auf zwei rechtliche Aspekte, ohne sie teilweise argumentativ sauber voneinander zu trennen: Zum einen liege in einer selektiven Aussperrung ein Verstoß gegen die positive individuelle Koalitionsfreiheit, zum anderen eine Verletzung der kollektiven Koalitionsfreiheit in Form der Bestandsgarantie 23o • Eine Verletzung der positiven individuellen Koalitionsfreiheit liege deswegen vor, weil jede Schlechterstellung eines Gewerkschaftsmitgliedes gegenüber Nichtorganisierten ein Angriff auf die positive Koalitionsfreiheit sei, wenn nicht die DifVgl. Abschn. A. 1. Für eine Zulässigkeit: Seiter, JZ 79, 657 ff.; Konzen, FS BAG, 273 ff.; Scholzl Konzen, Aussperrung, insb. S. 259 ff. Gegen eine Zulässigkeit: Hanaul Kroll, JZ 80, 180 (insb. 184 f.); Pfarr, AuR 77,33 (33-38). Unklar Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 280 Rn 47. 228 BAG V. 10. 2. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 229 V gl. nur die verschiedenen Diskussionsbeiträge von Loritz I Lieb I Konzen in Lieb I v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, Sn. 138, 146, 155, 160. 230 Vgl. insb. die Argumentation BAG v. 10.2. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 f.; vgl. auch Scholzl Konzen, Aussperrung, S. 263 ff.; Konzen, FS BAG, 273 (296 ff.); Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 325; Wolter, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 960ff.; ders., AuR 79, 193 (202); Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 216; ders., Anmerk. zu BAG EZA Nr. 37 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Pfarr, AuR 77, 33 ff., alle jeweils m.w.N. 226 227
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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ferenzierung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Damit wird argumentativ an das Verbot von tarifvertraglichen Differenzierungsklause1n angeknüpft, wonach umgekehrt ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten vorliegt, wenn diesen nach den Bestimmungen des Tarifvertrags bestimmte Sondervorteile nicht gewährt werden dürfen, die den Mitgliedern der tarifabschließenden Gewerkschaft gezahlt werden 231 . Eine sachliche Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung könne nur für solche Gründe anerkannt werden, die frei von jeder organisationspolitischen Tendenz seien. Die Aussperrung nur von Gewerkschaftsangehörigen sei aber eine Schlechterstellung gegenüber den nicht ausgesperrten Außenseitern, der eine solche Rechtfertigung fehle. Sie könne vor allem nicht mit der Tatsache begründet werden, daß die nicht organisierten Arbeitnehmer keine Streikunterstützung durch die Gewerkschaften erhalten, denn diese Vorteile erhielten die Gewerkschaftsmitglieder aufgrund ihrer Mitgliedsbeiträge. Den Nichtorganisierten trifft aber die Belastung der Mitgliedsbeiträge nicht, so daß er in entsprechendem Umfang selbst für Lohnausfälle vorsorgen könne 232 . Ein Verstoß gegen die kollektive Koalitionsfreiheit liege vor, weil durch die gezielte Aussperrung nur von Gewerkschaftsangehörigen der Nichtorganisierte seine mangelhafte Vorsorge für den Arbeitskampf nicht erkennen solle und somit nicht um der Streikunterstützung willen in die Gewerkschaft eintrete 233 . Damit ziele die selektive Aussperrung direkt auf den Mitgliederbestand der Gewerkschaften, denn - so eine verschiedentlich aufgegriffene Formulierung Seiters --, man könne ohne Übertreibung sagen "daß die Befreiung der Außenseiter von den negativen Kampfeinwirkungen den subtilsten und gefährlichsten Anschlag auf den gewerkschaftlichen Mitgliederbestand darstellen würde,,234. Eine Maßnahme, die sich unmittelbar gegen den Mitgliederbestand der Gewerkschaften richtet, ziele gegen deren kollektive Koalitionsfreiheit. Auch daher sei die selektive Aussperrung eine rechtswidrige Maßnahme i.S. des Art. 9 III S. 2 GG. Die Befürworter der Zu lässigkeit einer selektiven Aussperrung halten dem entgegen, daß die streikführende Gewerkschaft ja der eigentliche Arbeitskampfgegner 231 Vgl. BAG GS v. 29.11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; als Beispiel argumentativer Bezugnahme auf diese Frage in bezug auf die Rechtmäßigkeit selektiver Aussperrung vgl. insb. HanaulKroll, JZ 80, 181; Pfarr, AuR, 77,33 (39); Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 216; siehe auch BAG v. 10. 2. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 R. 232 BAG v. 10.2.80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 R; Rüthers, in: Broxl Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 216; Hanau, in: BDA (Hrsg.), Rechtsfragen der Aussperrung, 100 (103); vgl. auch Zöllner, in: Lieb I v.StebutlZöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 152 (153); LöwischlRieble, Arbeitskampfrecht, Rn 329 m.w.N. 233 BAG v. 10. 2. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 R. 234 So Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 348, der jedoch selbst von der Zulässigkeit der selektiven Aussperrung ausgeht (vgl. Seiter, JZ 1979,657; JZ 1980, 749); die Formulierung wird zitiert durch Pfarr, AuR 77, 33 (39); Scholzl Konzen, Aussperrung, S. 260; HeckelfTUJnn, Aussperrung, S. 143; Wolter, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 962; BAG v. 10. 2. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 R.
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B. Der Außenseiter auf ArbeItnehmerseite
see35 . Zwar verbiete Art. 9 III GG aufgrund seiner mit unmittelbarer privatrechtlicher Drittwirkung ausgestatteten Garantie der individuellen, positiven Koalitionsfreiheit jede ungerechtfertigte SchlechtersteIlung von organisierten gegenüber nicht organisierten Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber. Es bestünden jedoch die verschiedensten rechtfertigenden Gründe. Zum einen seien dies arbeitskampftaktische Gründe: Nur die Aussperrung von organisierten Arbeitnehmern dient der Ausweitung der Zahlung von Streikunterstützung durch die kampfführende Gewerkschaft und damit deren Schwächung, die Aussperrung der - nicht streikunterstützungsberechtigten - Nichtorganisierten muß sich jedoch aus anderen Zwecken rechtfertigen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Zwecke könne es nicht als eine willkürliche Differenzierung einzig aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit gewertet werden, wenn sich eine Aussperrung auf organisierte Arbeitnehmer beschränkt 236 . Auch könne es nicht übersehen werden, daß allein schon die Tatsache, daß der Außenseiter ohne Streikunterstützung die Folgen einer Aussperrung durchstehen muß, dessen Ausschluß aus dem Arbeitskarnpfmitte1 rechtfertigen könne, weil es für den ausgesperrten Außenseiter eben keine Gleichbehandlung bedeutet, wenn er nach langandauerndem Arbeitskampf mangels eigener Reserven u.U. auf die Sozialhilfe angewiesen ist, der organisierte Kollege durch die nicht steuerpflichtige Streikunterstützung jedoch weiterhin über ein Einkommen fast in Höhe seines üblichen Nettolohns verfügt237 . Aufgrund dieser eine Differenzierung rechtfertigenden Tatsachen sei in einer selektiven Aussperrung auch kein Verstoß gegen die kollektive Koalitionsfreiheit in Form eines Angriffes gegen den Mitgliederbestand der Koalition zu sehen. Der bestünde nur, wenn die den Mitgliederbestand beeinträchtigende Maßnahme auch nach der subjektiven Einstellung des Arbeitgeber(-verband)s gerade auf diese Wirkung gerichtet wäre (Art. 9 III S. 2 GG: " ... , hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig ... "). Ein solches auch subjektives Gerichtetsein aber fehle, wenn die obengenannten, ganz anders gearteten Ziele durch die selektive Aussperrung verfolgt würden 238 .
235 Vgl. Dütz, OB 79, Beil. 14 S. 8. Die Möglichkeit einer selektiven Aussperrung ebenfalls bejahend Seiter, JZ 1979,657; ders., JZ 1980, 749; Lieb, Arbeitsrecht, S. 194; ders., in: Lieb/v. StebutlZöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 146; Picker, ZfA 81, 303 (355ff); Kalb, Arbeitskampfrecht, Rn 180; Schwerdtfeger, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in der Bundesrepublik Deutschland, 150 (215); Loritz, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 117 (139, 160); Heckelmann, Aussperrung, S. 122 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen. Differenzierend Hanau / Kroll JZ 80, 181 (185). 236 Vgl. nur Seiter, JZ 1979,657 (659). 237 Vgl. insb. Heckelmann, Aussperrung, S. 153. 238 Hecke/mann, Aussperrung, S. 145 f.; vgl. auch Seifer, JZ 1980, 749 (750 f.). Teilweise wird bereits vom Fehlen einer objektiven Beeinträchtigung der Bestandsgarantie ausgegangen: Dütz, OB 79, Beil. 14 S. 8; Seiter, JZ 79, 657 (661).
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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b) Meinungsstand bezüglich der Ausgleichzahlungen
Zu der mit dem Problem der selektiven Aussperrung zusammenhängenden Problematik, ob und inwieweit der Arbeitgeber dem nicht organisierten Arbeitnehmer den durch die Einbeziehung in die Aussperrung entstehenden Lohnverlust durch Ausgleichzahlungen kompensieren darf, hat das Bundesarbeitsgericht bis jetzt noch nicht Stellung genommen. Im Schrifttum wird zum Teil lediglich auf die Ausführungen zur selektiven Aussperrung mit der Bemerkung verwiesen, daß für die Frage der Zulässigkeit von Ausgleichzahlungen nichts anderes gelten könne 239 . Es gibt jedoch auch Stimmen im Schrifttum, die zwar von einer zumindest begrenzten Zulässigkeit der selektiven Aussperrung ausgehen, Ausgleichzahlungen jedoch für unzulässig halten 240, und Stimmen, die umgekehrt zwar Ausgleichzahlungen zumindest in einem beschränkten Umfang für zulässig halten, eine selektive Aussperrung jedoch für unzulässig 241 . Soweit von den beiden letzten Gruppen also eine eigenständige Argumentation im Hinblick auf die Ausgleichzahlungen versucht wird, wird ausgeführt, daß solche Zahlungen an ausgesperrte Außenseiter eine modifizierte Form der Aussperrung in Form einer Begrenzung dieses Arbeitskampfmittels auf die bloße Suspendierung der Beschäftigungspflicht bei teilweiser oder völliger Aufrechterhaltung der Entgeltfortzahlungspflicht seien242 . Sie seien zulässig bis zur Höhe der gewerkschaftlichen Streikunterstützung - so Scholzl Konzen -, da die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter zwar dem Schutz des gegebenen Koalitionsbestandes weichen müsse, nicht aber dem Schutz eines wachsenden Koalitionsbestandes. Übersteigen die Ausgleichzahlungen aber nicht die Summe, die auch dem Gewerkschaftsangehörigen aufgrund seiner Streikunterstützung zur Verfügung steht, so sei der Außenseiter zwar nicht veranlaßt, der Gewerkschaft beizutreten, der Organisierte aber auch nicht veranlaßt, aus seiner Gewerkschaft auszutreten, so daß eine Schwächung deren aktuellen Mitgliedbestandes nicht zu befürchten sei. Die selektive Aussperrung und Ausgleichszahlungen, die in ihrem Betrag die gewerkschaftlichen Streikunterstützung übersteigen, zielten aufgrund ihrer erhöhten Anreizwirkung dagegen auf eine Schwächung des aktuellen Mitgliederbestands der Gewerkschaften. Eine solche Schwächung in der Substanz sei für die effektive Arbeitskampfführung jedoch nicht erforderlich und damit ein unzulässiger Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit 243 . 239 Und zwar von die Zulässigkeit von Ausgleichzahlungen bejahenden wie ablehnenden Stimmen: So etwa LöwischlRieble, Arbeitskampfrecht, Rn 329 (gegen eine Zulässigkeit von selektiver Aussperrung und Ausgleichzahlung ausgesperrter Nichtorganisierter) und Schwerdtfeger, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in der Bundesrepublik Deutschland, S. 150, 215 (für deren Zulässigkeit). 240 So Hanaul Kroll, JZ 80, 180. 241 So Konzen, FS BAG, 273 ff.; Scholzl Konzen, Aussperrung, insb. S. 259 ff. 242 So Konzen, FS BAG, 273 (279); vgl. auch Seiter, JZ 79, 657 (658). 243 Vgl. Scholzl Konzen, Aussperrung, insb. S. 269 f.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Hanaul Kroll vertreten demgegenüber die Ansicht, daß zwar eine selektive Aussperrung zulässig sein könnte, wenn der Arbeitgeber das Ziel verfolgt, mit den nicht ausgesperrten Außenseitern seine Produktion zumindest in einem begrenzten Ausmaß aufrechtzuerhalten. Dies sei eine verständliche und legitime Kampftaktik des Arbeitgeber(verband)s. Ausgleichzahlungen seien ihm aber - orientiert an dem Verbot der Differenzierungsklauseln - verwehrt, da sie für gleiche aussperrungsbedingte Nichtarbeit ungleichen Lohn vorsähen. Solche Zahlungen dienten anders als echte Arbeitskampfmittel nicht der Schwächung des Gegners im Arbeitskampf, sondern belasteten in ihren unmittelbaren Auswirkungen vielmehr die Kasse des Arbeitgeber(verband)s. Sie stelle daher nur eine scheinbare, unechte Kampfmaßnahme dar, die nicht auf die Beeinflußung des Arbeitskampfs, sondern des Mitgliederbestands abzielt und damit anders als echte Kampfmittel auf eine Schwächung auf Dauer gerichtet ist, insbesondere wenn die Ausgleichzahlungen erst nach Beendigung des Streiks erfolgen. Daher seien sie als Verletzung der Koalitionsfreiheit in Form der Bestandsgarantie rechtswidrig gemäß Art. 9 III S. 2 GG244 .
c) Internationaler und historischer Vergleich Die selektive Aussperrung von Gewerkschaftsmitgliedern ist als rechtliches Problem in der deutschen Arbeitskampfgeschichte noch relativ jung. Zu Beginn unseres Jahrhunderts konnte Kessler noch feststellen: "Die (... ) Streiks gehen unter normalen Umständen heute durchweg von den organisierten Arbeitern aus; dementsprechend ist auch die normale Aussperrung eine Aussperrung der Organisierten,,245. Die Mehrzahl der Aussperrungen richtete sich rechtlich unbeanstandet nur gegen die Gewerkschaftsmitglieder und - so Kessler --, wenn es infolge des hohen Prozentsatzes von Organisierten zuweilen zu völligen Stillegungen der Betriebe durch Aussperrungen kam, dann gegen den Willen der Arbeitgeberschaft 246 . In der Weimarer Zeit änderte sich daran trotz der nun durch Art. 157 WRVanerkannten Koalitionsfreiheit nichts. Eine Pflicht zur Einbeziehung von Nichtorganisierten in die Aussperrung wurde nicht erörtet. So fehlt das Stichwort der differenzierenden oder selektiven Aussperrung sowohl bei Kaskel, als auch bei HuecklNipperdel47 . Auch die Zeit nach der nationalsozialistischen Diktatur brachte zunächst keinen Wandel. So gab es auch in der Bundesrepublik weiterhin Aussperrungen, die sich 244 24S
nal).
Hanau/Kroll, JZ 80, 180 (184f.). Kessler, Die Deutschen Arbeitgeberverbände (1907), S. 250 (Hervorhebung im Orgi-
246 Kessler, Die Deutschen Arbeitgeberverbände (1907), S. 250. Die Aussperrung auch der Nichtorganisierten wertete er als ,,rücksichtslos" und "ungerecht", a. a. 0., S. 247; vgl auch Maschke, Boykott, Sperre und Aussperrung (1911), S. 128 in Erläuterung der Satzung des Vereins Berliner Metallindustrieller, die nur eine Aussperrung von Gewerkschaftsmitgliedem vorsah. 247 Vgl. Kaskel, Arbeitsrecht, 3. Aufl. 1928, S. 381 f.; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11, 1/2. Aufl. 1930, S. 572 f.
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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ausschließlich auf organisierte Arbeitnehmer bezogen 248 , teilweise sogar mit dem erklärten Ziel, die dahinterstehende Gewerkschaft nachhaltig zu schwächen und ihr damit ein zukünftiges wirkungsvolles Agieren zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen unmöglich zu machen 249 . Die Rechtsprechung beanstandete dies nicht. Auch im Schrifttum gab es nur vereinzelte, dann aber eine Zulässigkeit bejahende Stellungnahmen 25o • Das Bundesarbeitsgericht ging noch in der Begründung seiner Entscheidung v. 21. 4. 1971 lediglich von einem Recht des Arbeitgebers zur Aussperrung von Nicht- und Andersorganisierten aus, nicht aber von einer Pflicht251 . Erst in bezug auf den Druckerstreik von 1978 entschied es sich - wie oben bereits erwähnt - gegen die Zulässigkeit der selektiven Aussperrung 252 . Seitdem hat die Rechtsprechung daran festgehalten. Auch im Hinblick auf einen internationalen Vergleich erscheint das Verbot der selektiven Aussperrung keineswegs selbstverständlich: So gibt es Rechtsordnungen, in denen - wie bereits erwähnt - Außenseiter gar nicht ausgesperrt werden dürfen, also sogar ein Zwang zur selektiven Aussperrung besteht 253 . Auch in Darstellungen des Arbeitskampfrechts anderer Staaten wird das Problem einer nur auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkten Aussperrung zumeist nicht erörtert. Erwähnt wird lediglich das Recht, nicht organisierte Arbeitnehmer aussperren zu dürfen. Auf eine eventuelle Pflicht wird nicht eingegangen254 . So findet sich auch im einschlägigen österreichischen Schrifttum keine Erörterung des Problems selektiver Aussperrung, obwohl gerade hier das Arbeitsrecht sich in erheblichem Maße 248 So z. B. eine Aussperrung in einem Betrieb der nordrhein-westfälischen Bekleidungsindustrie vom 29.9.-13. 10.60, die Aussperrung eines Unternehmens der Kesselbaubranche vom 6.8.-7. 8. 66 und die Aussperrung in der stahl- und eisenerzeugenden Industrie vom 1.11.-7.11. 73 (Siehe Nachweise bei Kalbitz, Aussperrungen in der Bundesrepublik, S. 158, 161, 164). 249 So richtete sich die erste bundesweite Verbandsaussperrung in der Druckindustrie gegen die Anerkennung der Tariffahigkeit des Deutschen Senefelder-Bundes. Ziel war es, den Senefelder-Bund soweit zu schwächen, daß im Druckgewerbe nicht zwei konkurrierende Gewerkschaften auftreten konnten. Einen eigenständigen Tarifvertrag schloß die Vereinigung danach nicht mehr ab (Kalbitz, Aussperrungen in der Bundesrepublik, S. 151). 250 Vgl. Z. B. Gift, RdA 60,166 (171); G. Esser, BB 59,1312 (1313f.). 251 BAG GS v. 21. 2. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf: "An einem von der Gewerkschaft geführten Streik können sich auch die nicht organisierten und (... ) anders organisierten ArbN beteiligen; dann dürfen sie aber auch ausgesperrt werden" (Hervorhebung durch den Verfasser). 252 BAG V. 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 253 So Dänemark, Norwegen und nach herrschender Schrifttumsmeinung auch in Griechenland: Vgl. Jacobsen, The freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. 110ff. (insb. 144); Jakhelln, The freedom of the Worker to Organize in Norway, S. 593 (648); Tsatsos, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in Griechenland, S. 309 (351). 254 So vgl. für Belgien, Niederlande, Schweden, Schweiz, Zypern: Magrez, La liberte syndicale des salaries en Belgique, S: 37 (102); Faselvan der Ven, La liberte syndicale des salaries aux Pays-Bas, S. 515 (578); Henström, The freedom of the Worker to Organize in Sweden, S. 771 (811); Morand, La liberte syndicale des salaries en Suisse, S. 817 (857); Emilianides, The freedom ofthe Worker to Organize in Cyprus, S. 1057 (1066).
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auch an der deutschen Rechtsprechung orientiert und argumentative Bezugnahmen häufig sind255 • Lediglich im anglo-amerikanischen Rechtskreis scheint dies anders zu sein. So ist in den Vereinigten Staaten eine an sich zulässige Aussperrung rechtswidrig, wenn nur Gewerkschaftsmitglieder ausgesperrt werden, oder nur einige Mitglieder der streikführenden Gewerkschaft ausgesperrt werden, nicht aber alle 256 . Dies hat seine Ursache aber nicht in der Garantie einer wie auch immer gearteten Koalitionsfreiheit, sondern beruht darauf, daß im amerikanischen Tarifvertragssystem das Mehrheitsprinzip gilt. Es wird dort für jedes Tarifgebiet von den Arbeitnehmern qua Abstimmung eine Gewerkschaft oder eine Gruppe mit der Vertretung aller Arbeitnehmer betraut, und das von ihr ausgehandelte Ergebnis bindet dann grundsätzlich alle, ohne Rücksicht auf die Mitgliedschaft. Die Gewerkschaft handelt damit als Repräsentant aller Arbeitnehmer, die Aussperrung muß sich daher gegen alle Arbeitnehmer gleichermaßen richten, will sie nicht diskriminierend sein 257 . In Großbritannien darf der Arbeitgeber streikende Arbeitnehmer entlassen. Wenn er sich dabei aber ausschließlich auf die streikenden Gewerkschaftsmitglieder beschränkt, wird deren Entlassung rechtswidrig 258 . Nach dieser sog. "picking and choosing rule" muß sich auch die Aussperrung von Arbeitnehmern, um nicht diskriminierend zu sein, einheitlich auf alle Arbeitnehmer erstrekken, für die der betreffende Arbeitskonflikt relevant ist259 . d) Stellungnahme
Aus der Länge der vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, wieviele es schon unternommen haben, die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der selektiven Aussperrung zu begründen. Diese seit nunmehr 20 Jahren umstrittene Frage zu einer abschließenden und entgültigen Klärung führen zu wollen, wäre vermessen zu hoffen. Sinn einer Erörterung dieses Problems kann es nur sein, zu den vielen bereits angeführten Argumenten vielleicht einen neuen Aspekt in die Diskussion miteinfließen zu lassen. Dies soll hier geschehen, indem versucht wird, aus der Begründung für das Dürfen Aufschlüsse über eine Pflicht zur Einbeziehung von Außenseitern in die Aussperrung zu erhalten. Denn es ist erstaunlich, daß insbesondere bei den Gegnern einer selektiven Aussperrung eine differenzierte Ausein255 Siehe z. B. die Darstellungen von Strasser, Arbeitsrecht 11; Tomandel, Streik und Aussperrung als Mittel des Arbeitskampfes; Schwarz I Löschnigg, Arbeitsrecht. 256 Vgl. Aaron, The Freedom of the Worker to Organize in the United States of America, S. 945 (999) unter Bezugnahme auf Square Binding & Ruling Co., 146 NLR.B. 206 (1964). Vgl. aber auch Vetter, Lockouts under United States Law, RdA 80, 43 (47), der auf die geringe praktische Bedeutung der Aussperrung in den USA hinweist. 257 Vgl. die Darstellung durch Löwisch, Arbeitskampf im Ausland (1970), S. 30 mit Verweisen auf die amerikanische Rechtsprechung. 258 Hepple, The Freedom of the Worker to Organize in the United Kingdom, S. 1001 (1055); ders., Lock-outs in Great Britain, RdA 80, 25. 259 Vgl. Löwisch, Arbeitskampf im Ausland (1970), S. 21.
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andersetzung mit dem Grund, warum Außenseiter überhaupt ausgesperrt werden können, fehlt 26o • aa) Selektive Aussperrung Die Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit der nicht und der anders organisierten Arbeitnehmer findet ihre Rechtfertigung in dem Erfordernis eines funktionsfähigen Arbeitskampfsystems 261 • In den Fällen, wo sich der Arbeitgeber auf die Aussperrung der Mitglieder der streikführenden Gewerkschaft beschränkt, hält er eine Einbeziehung von Außenseitern zur effektiven Erwiderung auf den Streik aber gerade nicht für erforderlich. In diesen Fällen liegt also - zumindest nach Einschätzung des aussperrenden Arbeitgebers - der die Einbeziehung von Außenseitern rechtfertigende Grund gar nicht vor. Zwar kann bei der Frage, ob Außenseiter ausgesperrt werden können, - wie oben dargelegt - nicht auf die Umstände des Einzelfalls eingegangen werden und die Erweiterung des Arbeitskampfrahmens auf Nicht- und Andersorganisierte nicht an der konkreten Erforderlichkeit festgemacht werden; die andernfalls auftretenden schwierigen Abgrenzungsfragen und die ebenfalls damit verbundene Beweislast und Beweisnot des aussperrenden Arbeitgebers erlauben nur eine generalisierende Betrachtung262 • Trotz fehlender Erforderlichkeit im Einzelfall selbst nach Auffassung des handelnden Arbeitgebers aber eine Pflicht zur Aussperrung von Außenseitern anzunehmen, steht in keinem Zusammenhang mehr mit den die Aussperrungsbefugnis rechtfertigenden Gründen: Der Arbeitgeber müßte gerade da aussperren, wo die Gründe für sein Dürfen nicht vorliegen. Dieser Bruch zwischen dem Können und Müssen kann schwerlich richtig sein. An diesem Widerspruch ändert sich auch nichts, wenn die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft und die individuelle, positive Koalitionsfreiheit des organisierten Arbeitnehmers in die Erwägungen mit einbezogen werden:
In den Fällen, wo der Arbeitgeber seine Produktion mit den verbleibenden Arbeitnehmern aufrechterhält, oder er mit der Aussperrung lediglich Druck auf die Gewerkschaft durch Ausweitung der Streikunterstützungspflicht herbeiführen will, richtet sich eine Beschränkung der Aussperrung auf den Kreis der kampfführenden Koalition( -smitglieder) nicht gegen die Gewerkschaft als solche, sondern beruht auf vernünftigen und legitimen Erwägungen der Arbeitskampfführung. Es handelt sich also um eine bloß faktische, nicht zie1gerichtete Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften. Die Geeignetheit einer solchen selektiven Aussperrung für eine ernsthafte Gefährdung des Mitgliederbestandes ist schon im Hinblick auf den historischen und internationalen Vergleich zumindest sehr zweife1260 Vgl. z. B. die Erörterung durch das BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Rüthers, in: Brox I Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 216. 261 Vgl. Abschn. B. 111. 2. b) dd). 262 Vgl. Abschn. B. I. 3. b) ce).
6 Thüsing
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
haft. Nur aber eine Beeinträchtigung von einiger Erheblichkeit könnte bei einer bloß faktischen und nicht zielgerichteten Beeinträchtigung durch Arbeitgeberhandeln zu einer Verletzung der gewerkschaftlichen Koalitionsfreiheit führen. Dies ergibt sich aus der im Kern unangegriffenen Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts zum mittelbaren Grundrechtseingriff bei lediglich faktischer Beeinträchtigung durch staatliches Handeln: Zwar muß sich aufgrund der umittelbaren Drittwirkung gemäß Art. 9 III S. 2 GG auch das private Arbeitgeberhandeln an diesem Maßstab für staatliches Handeln messen lassen, indes kann für ihn bei der Frage der Grundrechtsbeeinträchtigung nichts Strengeres und Anderes gelten als für den Staat selber. Auch auf diesen grundrechtsdogmatischen Aspekt ist die bisherige Diskussion bei der selektiven Aussperrung nicht eingegangen, vor allem wohl auch deswegen, weil die maßgeblichen Urteile zu dieser Frage noch relativ jung sind 263 . Was aber die tatsächliche Gefährdung des Mitgliederbestandes angeht, so ist zwar festzustellen, daß die Angst davor, im Arbeitskampf bei einer Aussperrung ohne Streikunterstützung darzustehen, ein Motiv sein kann, in eine Gewerkschaft einzutreten. Dies bestätigt sich z. B. dadurch, daß im klassischen Kampfbezirk der IG Metall Nordwürttemberg-Nordbaden die Mitgliederentwicklung günstiger verläuft als im Bundesdurchschnitt, wo die Gefahr einer Aussperrungsbetroffenheit geringer ist264 . Gerade aber in einem Land wie Dänemark, wo eine Aussperrung von Außenseitern gar nicht möglich, die selektive Aussperrung also obligatorisch ist, ist ein extrem hoher Organisationsgrad festzustellen 265 . Auch war in der Bundesrepublik in Zeiten, wo die selektive Aussperrung möglich war, eine Steigerung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades festzustellen, die jetzt, wo die Rechtsprechung die selektive Aussperrung für unzulässig hält, nicht mehr besteht 266 . Eine eventuell mit der selektiven Aussperrung einhergehende lediglich faktische Beeinträchtigung der Mitgliederentwicklung ist somit 263 Vgl. BVerwG v. 27. 3. 92, NJW 92, 2496 (2499); BVerwG 18. 10.90 BVerwGE 87, 37 (44) - Glykolwein -; BVerfG v. 23. 5. 89 NJW 89, 2272; vgl. auch die Darstellung Pierothl Schlink, Grundrechte- Staatsrecht II, Rn 274 ff. Insoweit ist der oben genannten Ansicht zu widersprechen, ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit könne nur dann vorliegen, wenn es sich um eine finale Beeinträchtigung handelt (vgl. Abschn. B Fn 238). Diese Auffassung - gestützt auf den Wortlaut des Art. 9 III S. 2 GG - entspricht zwar der klassischen liberalen Grllndrechtsdogmatik. Sie ist aber mit der heutigen weitaus differenzierteren Beurteilung des Eingrifftatbestandes und der Grundrechtsfunktionen nicht mehr zu vereinbaren. Entscheidend ist aber, daß bei einer lediglich faktischen Beeinträchtigung eine dem finalen Eingriff entsprechende Wertung nur bei schwerwiegenden Belastungen angebracht ist (vgl. BVerwG v. 18. 10.90 BVerwGE 87, S. 37, 43; BVerwG v. 27. 3. 92, NJW 92, S. 2496, 2499). Daher ebenfalls verfehlt BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 66 zu Art 9 GG Arbeitskampf, wo jedwede faktische Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit für einen - rechtswidrigen - Eingriff als ausreichend angesehen wird. 264 Briefliche Mitteilung v. 9. 8. 94 Unterhinninghofens, der selbst jedoch einen solchen Zusammenhang nicht sieht. 265 Ca. 95 % bei den Arbeitern: Vgl. Jacobsen, The Freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. 110 (123). 266 Vgl. NiedenhofflPege, Gewerkschaftshandbuch, S. 266f.; siehe auch Abschn. A. II. 1.
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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wohl nur geringfügig und muß daher in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des lediglich faktischen bzw. mittelbaren Grundrechtseingriffs als sozialadäquat und damit als zulässig erachtet werden. Auch der Behauptung, die selektive Aussperrung sei ein Eingriff in die positive, individuelle Koalitionsfreiheit des organisierten Arbeitnehmers, ist entgegenzutreten. Es kann kein Verstoß gegen die positive Koalitionsfreiheit sein, wenn Gewerkschaftsmitglieder Differenzierungen unterliegen, die notwendig mit ihrer Mitgliedschaft verbunden sind. Diese sind nicht Beeinträchtigung ihres Rechts, Koalitionen zu bilden und sich in ihnen zu betätigen, sondern Ausfluß dieses Rechts. Um eine solche notwendige Beeinträchtigung handelt es sich aber bei der Möglichkeit der selektiven Aussperrung: Die Grenze zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit verläuft - wie bereits dargelegt - dort, wo eine Beeinträchtigung des Außenseiters durch das Wirken der Koalitionen nicht mehr mit der Notwendigkeit einer effektiven Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit begründet werden kann, oder umgekehrt, wo die Beinträchtigung des Rechts, in und durch die Koalitionen zu wirken, nicht mehr mit dem Erfordernis eines effektiven Außenseiterschutzes zu rechtfertigen ist. So ist gewährleistet, daß der positive Aspekt des Gewährleistungsgehalts des Art. 9 III GG nicht stärker geschützt wird als der negative, und umgekehrt267 . Wenn aber festzustellen ist, daß eine Einbeziehung von Außenseitern nur mit dem Erfordernis einer effektiven Arbeitskampfgestaltung begründet werden kann, aus diesem Grund aber nur das Recht, nicht die Pflicht zur Aussperrung hergeleitet werden kann, dann kann die damit festgestellte Zulässigkeit der selektiven Aussperrung nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß sich dabei mögliche Belastungen nur der organisierten Arbeitnehmer ergeben. Diese Belastungen sind dann vielmehr notwendige Folge des Koalitionsbeitritts: Die Gefahr, von einer nur auf Mitglieder beschränkten Aussperrung betroffen zu werden, entspricht dabei wesensmäßig der ebenfalls nur Mitglieder treffenden Pflicht zur Beitragszahlung an die Gewerkschaft. Es wäre ein Zirkelschluß zu sagen, die selektive Aussperrung würde zu einer Beeinträchtigung der positiven Koalitionsfreiheit führen und, um dies zu verhindern, dürfe die negative Koalitionsfreiheit beeinträchtigt werden, oder umgekehrt, sie nicht zu verbieten würde zu einer Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit führen, also dürfe die positive Koalitionsfreiheit beschränkt werden. Die Frage muß vorher ansetzen, nämlich wann eine Beeinträchtigung der positiven Koalitionsfreiheit zu Lasten der negativen möglich ist und umgekehrt. Dies aber ergibt sich, wie oben dargelegt, nur aus den Gründen für die Einbeziehung von Außenseitern in die Aussperrung. Ergebnis: Da sich also aus dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfes eine obligatorische Einbeziehung von Außenseitern nicht begründen läßt, der Mitgliederbestand der Gewerkschaft aber durch die selektive Aussperrung nicht ernsthaft bedroht ist, ergibt sich somit aus einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen der Gewerkschaften, ihrer Mitglieder und der nicht or267
6*
Vgl. Abschn. B. 111. 2. a).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
ganisierten Arbeitnehmer, daß eine nur auf die Mitglieder der streikenden Gewerkschaft beschränkte Aussperrung nicht gegen Art. 9 III GG verstößt. bb) Ausgleichzahlungen Die obigen Überlegungen sind auch für die Frage der Zulässigkeit von Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Außenseiter fruchtbar zu machen. Eine mit Ausgleichzahlungen an Außenseiter verbundene Aussperrung ist sicherlich ein geringerer Eingriff in deren negative Koalitionsfreiheit, als es eine Aussperrung ohne solche Zahlungen ist. Dies spricht für ihre Zulässigkeit. Auch hier sind jedoch die gegenüberstehenden Grundrechtspositionen von organisiertem und nicht organisiertem Arbeitnehmer, Arbeitgeber(-verband) und Gewerkschaft gegeneinander abzuwägen, sind die gegenseitigen grundrechtlieh geschützten Interessen in eine "praktische Konkordanz" zu bringen 268 . Wenn also die Rechtfertigung für die Einbeziehung von Außenseitern in das Arbeitskampfmittel Aussperrung und die damit verbundene Beeinträchtigung deren negativer Koalitionsfreiheit in dem Erfordernis eines funktionsfähigen Arbeitkampfsystems liegt, so müssen es umgekehrt auch arbeitskampfrechtliche Erwägungen sein, die einen Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der Organisierten durch das Arbeitskampfmittel der Ausgleichzahlungen rechtfertigen. Diese aber bestehen nicht: Die Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Arbeitnehmer beeinflussen nicht unmittelbar den Arbeitskampf und sein Ergebnis, sie entlasten nicht den Arbeitgeber( -verband), sondern belasten ihn; aktuellen Druck auf die Gewerkschaft üben sie nicht aus. Ihr Erfolg zeigt sich lediglich in einem etwaigen Einfluß auf die (längerfristige) Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften. Sie sind - mit Hanaul Kroll - daher als "unechte Kampfrnaßnahmen" zu bezeichnen, die anläßlich des Arbeitskampfs erfolgen, nicht aber zu dessen unmittelbaren Beeinflussung269 . Aufgrund ihrer Zielrichtung, nicht organisierte Arbeitnehmer vom Gewerkschaftsbeitritt zur wirtschaftlichen Absicherung im Arbeitskampffall abzuhalten, sind sie als Maßnahmen gerade zur Beeinflussung der Mitgliederentwicklung -anders als der oben dargelegte Regelfall der selektive Aussperrung- weniger als lediglich faktische Beeinträchtigung, sondern sehr viel eher als finaler Eingriff in den Bestandschutz der Gewerkschaft zu sehen, der gemäß Art. 9 III S. 2 GG rechtswidrig ist. Ein - übertragen auf die privatrechtliehe Ebene des Art. 9 III S. 2 GG - lediglich mittelbarer Grundrechtseingriff liegt also nicht vor. Ähnliche Überlegungen-sind in bezug auf die positive individuelle Koalitionsfreiheit der Gewerkschaftsmitglieder zu machen. Die Ausgleichzahlungen können als eine weitergehende Benachteiligung der organisierten Arbeitnehmer als die selektive Aussperrung aufgefaßt werden, da hier der Außenseiter nicht zur Arbeit 268 So der durch Hesse geprägte Begriff, Verfassungsrecht, Rn 72; vgl. auch Pierothl Schlink, Grundrechte - Staatsrecht 11, Rn 366 ff. 269 HanaulKroll, JZ 80,181 (184f.); ähnlich auch Pfarr, AuR 77, 33 (35).
III. Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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verpflichtet ist, und er trotzdem Geld erhält, das der Organisierte für seine Nichtarbeit nicht erhält: Ungleiches Geld für gleiche Nichtarbeit kann als eine schwerwiegendere Differenzierung gewertet werden als Geld für Arbeit gegenüber kein Geld für - wenn auch notgedrungen - nicht geleistete Arbeit 27o. Ergebnis: Aufgrund ihrer stärkeren Nähe zu einer finalen, auf den Mitgliederbestand der Gewerkschaft gerichteten Beeinträchtigung der kollektiven Koalitionsfreiheit, des wertungsmäßig erheblicheren Eingriffs in die positive, individuelle Koalitionsfreiheit der Gewerkschaftsmitglieder, vor allem aber aufgrund der fehlenden arbeitskampfbedingten Rechtfertigung sind Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Außenseiter unabhängig von ihrer Höhe als ein Verstoß gegen Art. 9 III GG zu werten. cc) Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB Die rechtliche Zulässigkeit der selektiven Aussperrung und der Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Außenseiter könnte neben Art. 9 III GG auch am Maßregelungsverbot des § 612a BGB zu messen sein. Die Relevanz dieser Norm in diesem Zusammenhang ist bisher - anders als im Hinblick auf die Zulässigkeit von Streikbruchprämien 271 - nicht erörtert worden. Gemäß § 612a BGB darf ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Auszuübende Rechte im Sinne des § 612a BGB sind nicht nur die unmittelbar im Vertrag begründeten Rechte, sondern gemäß Entstehungsgeschichte und Zweck der Norm alle Rechte des Arbeitnehmers, auch seine Grundrechte 272 . Der Gewerkschaftsbeitritt ist daher als Ausübung des Koalitionsrechts nach Art. 9 III GG eine Rechtsausübung i.S. des § 612a BGB 273 . Wäre in der selektiven Aussperrung oder in den Ausgleichzahlungen an Außenseiter eine Benachteiligung der Organisierten aufgrund des Gewerkschaftbeitritts zu sehen, wären sie rechtswidrig gemäß § 612a BGB. Die selektive Aussperrung stellt zwar eine Schlechterstellung des Gewerkschaftsmitglieds gegenüber dem Nichtorganisierten dar. 612a BGB will aber nicht jegliche Nachteile verbieten, die mit der Ausübung eines Rechts verbunden sind?74 Als Sonderfall der Sittenwidrigkeit will er nur eine solche SchlechtersteIlung des Arbeitnehmers verhindern, die eine gezie1te Maßregelung eines arbeitsvertraglich zulässigen Verhaltens darstellt, die sich also auch nach der Intention 270 In diesem Zusammenhang könnte mit Hanaul Kroll auch die Rechtsprechung des BAGs zu den Differenzierungsklauseln fruchtbar gemacht werden: Hanaul Kroll, JZ 80, 181 (184 f.). 271 Vgl. Gaul, NJW 94,1024; Schwarze, NZA 93,967. 272 Ausführlich Thüsing, NZA 94, 728 (730); vgl. auch Erman-Hanau, BGB, § 612a Rn 1. 273 Vgl. für die gewerkschaftliche Betätigung auch LAG Hamm v. 8. 12.87, NZA 88, 586
(LS).
274
Vgl. Staudinger-Richardi, BGB, § 612a, Rn 10; Thüsing, NZA 94, 728 (731).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
des Arbeitgebers als eine Ahndung zulässiger Rechtsausübung darstellt275 • Eine Benachteiligung im Sinne des § 612a BGB besteht daher erst dann, wenn die Differenzierung gegenüber dem Außenseiter nicht durch anerkennenswerte Gründe außerhalb der zulässigen Rechtsausübung gerechtfertigt ist276 . Zumindest bei teilweiser Aufrechterhaltung der Produktion durch Außenseiter oder in dem Fall, wo der Arbeitgeber durch die Aussperrung lediglich den finanziellen Druck auf die streikführende Gewerkschaft erhöhen will, sind aber - wie oben dargelegt - legitime arbeitskampfbedingte Differenzierungsgründe gegeben. Wegen dieser Gründe erfolgt die SchlechtersteIlung des Mitglieds der kampfführenden Gewerkschaft, nicht aber wegen der Rechtsausübung des Gewerkschaftsbeitritts. Der soll mit der selektiven Aussperrung nicht geahndet oder gemaßregelt werden, so daß der für § 612a BGB erforderliche finale Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Benachteiligung nicht gegeben ist. Eine maßregelnde Benachteiligung i.S. des § 612a BGB liegt bei der selektiven Aussperrung nicht vor. Anders ist es bei Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Außenseiter: Hier erfolgen die Zahlungen gezielt im Hinblick auf den Gewerkschaftsbeitritt und zu dessen Beeinflussung. Die nicht durch arbeitskampfbedingte Umstände gerechtfertigte Bevorzugung der Nichtorganisierten, weil und damit sie nicht organisiert sind und bleiben, stellt von der anderen Seite betrachtet eine Benachteiligung der Organisierten dar, weil sie organisiert sind und bleiben. Damit aber maßregeln Ausgleichzahlungen den Gewerkschaftsbeitritt. Sie sind als Benachteiligung wegen zulässiger Rechtsausübung rechtswidrig gemäß § 612a BGß. 4. Ergebnis
Die Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern ist möglich, weil sie für ein funktionsfähiges Arbeitskampfsystem erforderlich ist. Eine Pflicht zu deren Einbeziehung in die Aussperrung besteht jedoch nicht. Eine selektive Aussperrung ist rechtlich zulässig, solange sie durch arbeitskampfbedingte Erwägungen gerechtfertigt ist, etwa bei teilweiser Aufrechterhaltung der Produktion mit Außenseitern oder falls die Aussperrung allein dazu dienen soll, den finanziellen Druck auf die kampfführende Gewerkschaft zu erhöhen, was durch eine Aussperrung von Außenseitern nach der geltenden Satzungslage der Gewerkschaften nicht erreicht werden kann. Ausgleichzahlungen an ausgesperrte Nichtorganisierte sind demgegenüber als Maßnahmen gezielt zur Beeinträchtigung der kollektiven Koalitions275 Zur Kausalität von Rechtsausübung und Benachteiligung Thüsing, NZA 94, 728 (731 f.); Zur Klassifizierung als Sonderfall der Sittenwidrigkeit vgl. BAG v. 2. 4. 87 AP Nr. 1 zu § 612a BGB; BAG v. 21. 7. 88 NZA 89, 559 (560); LAG Düsseldorf v. 13. 12. 87 OB 89,685; Preis, Grundlagen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 171; KR-Friedrichs, § 13 KschG, Rn 141a - in Schrifttum und Rechtsprechung unwidersprochen -; vgl. auch. Hinweis AP Nr. 2 zu § 612a BGB. 276 BAG v. 26. 10.94 AP Nr. 18 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie mit Anmerk. Thüsing; ders., NZA 94, 728 (730).
III. Oie Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern
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freiheit der Gewerkschaften rechtswidrig gemäß Art. 9 III S. 2 GG. Dies ergibt sich auch aus dem Maßregelungsverbot des § 612a BGB. 5. Exkurs: Differenzierung der Aussperrung nach der Streikteilnahme
Eine andere Form der selektiven Aussperrung ist nicht die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, sondern nach vorangegangener oder noch andauernder Streikteilnahme. Äußerungen im Schrifttum dazu sind eher selten 277 , das Bundesarbeitsgericht hat dieses Problem bisher auch dann nicht erörtert, wenn es mit einer einschlägigen Fallgestaltung konfrontiert war78 • Da diese Differenzierung aber in der heutigen Arbeitskampfpraxis vorkommt und ihre Zulässigkeit nicht zweifelsfrei erscheint, soll sie, obwohl sie nicht unmittelbar die Außenseiterproblematik betrifft, hier zumindest kursorisch erörtert werden. a) Vereinbarkeit mit Art. 9111 S. 2 GG Löwischl Rieble nehmen an, eine Differenzierung der Aussperrung nach der Streikteilnahme könne bereits deswegen nicht gegen Art. 9 III S. 2 GG verstoßen, weil danach nur die Organisationszugehörigkeit, nicht aber die Streikteilnahme geschützt sei279 • Auch Hanau hält sie für zulässig28o .
Hier scheint eine differenziertere Betrachtung angebracht: Art. 9 1lI GG gewährt nicht bloß den Koalitionen das Recht, sich zu betätigen, sondern deren Mitgliedern auch das Recht, sich an dieser Betätigung zu beteiligen. Auch der Außenseiter partizipiert rechtsreflexiv an dem Streikrecht der Gewerkschaften, das ein Bestandteil des Kernbereichs ihrer Koalitionsbetätigungsfreiheit ist. Der Streik steht also unter dem Schutz des Art. 9 1lI GG281 . Zwar gewährleistet Art. 9 III GG auch das Recht des Arbeitgebers, Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, so daß grundsätzlich auch Reaktionen statthaft sind, die Belastungen für die Arbeitnehmerseite mit sich bringen; Art. 9 III GG schützt ja gerade den Arbeitskampf und will ihn nicht verhindern. Da die verschiedenen Rechtspositonen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite aber in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden müssen, bedürfen auch die Arbeitskampfmaßnahmen des Arbeitgebers der arbeitskampfbedingten Rechtfertigung 282 • 277 Vgl. einzig LöwischlRieble, Arbeitskampfrecht, Rn 326f.; Hanau, in: BOA (Hrsg.), Rechtsfragen der Aussperrung, S. 103. Ohne Begründung für eine Zulässigkeit: Söllner, Arbeitsrecht, S. 81; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 409. 278 Vgl. BAG v. 11. 8.92 AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 279 Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 326. 280 Hanau, in: BOA (Hrsg.), Rechtsfragen der Aussperrung, S. 103. 281 Vgl. Abschn. B. I. 2. a). 282 Vgl. Abschn. B. III. 3. c) bb).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Aufgrund dieser Prämissen ergibt sich folgende Unterscheidung: Eine Aussperrung nur der Streikenden, solange sie streiken, stellt keine Ungleichbehandlung gegenüber den Nichtstreikenden dar. Denn die Aussperrung Streikender dient ganz anderen Zwecken als die Aussperrung Nichtstreikender. Sie hat nur Appellfunktion als Vorstufe zur lösenden Aussperrung 283 . Eine Suspendierung der Arbeitsverhältnisse bewirkt sie nicht, die ist ja bereits mit der Befolgung des Streikaufrufs eingetreten. Wie also die Aussperrung Streikender und Nichtstreikender keine Gleichbehandlung darstellt, ist die Aussperrung nur der Streikenden keine Ungleichbehandlung. Die Frage einer Rechtfertigung stellt sich nicht. Werden Streikende über die Dauer des Streiks hinaus ausgesperrt - so die zweite mögliche Fallkonstellation -, so liegt darin zumindest für die Zeit nach Streikbeendigung eine Ungleichbehandlung gegenüber dem nicht ausgesperrten Kollegen, der sich nicht am Streik beteiligt hat. Eine solche Aussperrung ist etwa bei kurzen Warnstreiks vorstellbar 284 . Für diese Ungleichbehandlung besteht eine arbeitskampfbedingte Rechtfertigung: Eine Funktion der Aussperrung ist es, den Schaden des Arbeitgebers zu mindern, der durch Engführung eines Streiks entsteht 285 . Eine solche Engführung braucht nicht eine personelle Engführung zu sein, sondern kann auch als zeitliche Engführung verstanden werden. Denn vor allem in größeren Betrieben und Unternehmen würde es in der Regel einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeuten, am Ende des Monats den Lohn für ein oder zwei Stunden streikbedingten Arbeitsversäumnisses abzuhalten. Gewerkschaften und Arbeitnehmer können mit einiger Berechtigung darauf vertrauen, der Streik werde sich nicht lohnmindernd auswirken. Dies zu verhindern, hat der Arbeitgeber ein legitimes Interesse daran, die Suspendierungsdauer des Arbeitsverhältnisses auszudehnen und damit den Buchhaltungsaufwand in ein angemessenes Verhältnis zur Lohnminderung zu bringen, so daß ihn der Abzug nicht mehr kostet, als er ihm bringt. Unzulässig auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 9 III S. 2 GG dürfte dagegen die dritte Möglichkeit sein, die Aussperrung nur der streikenden Arbeitnehmer nach Beendigung des Streiks, etwa im Verlauf eines gegen mehrere Arbeitgeber rundum gehenden "Ringelstreiks,,286. Hier rechtfertigen die Funktionen der Aussperrung die Beschränkung des Adressatenkreises nicht, zur Druckausübung auf die Gewerkschaft ist sie genauso irrelevant wie zur Schadensminderung. Sie wäre vielmehr eine nachträgliche Ahndung der Streikteilnahme, ähnlich einer im Anschluß an den Arbeitskampf gewährten Streikbruchprämie, mit der nicht lediglich zusätzliche Belastungen der weiterarbeitenden Arbeitnehmer abgegolten werden sollen287 . Sie muß daher als unzulässig erachtet werden. Vgl. BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 10 V. Vgl. den der Entscheidung BAG v. 11. 8. 92 AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf zugrundeliegenden Sachverhalt: Ein halbstündiger Warnstreik wird mit einer Aussperrung für den Rest des Tages und den folgenden Tag beantwortet. 285 Vgl. Abschn. B. I. 3. a), B. III. 2. b) dd) und Nachweise Abschn. B. Fn 187. 286 So der Begriff bei Hanau, in: BDA (Hrsg.), Rechtsfragen der Aussperrung, S. 103. 283
284
IV. Die Aussperrung anders organisierter Arbeitnehmer
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b) Vereinbarkeit mit § 612a BGB
Das gleiche Ergebnis läßt sich aus § 612a BGB herleiten. Danach sind Benachteiligungen eines Arbeitnehmers wegen einer zulässigen Rechtsausübung verboten. Die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik ist eine solche zulässige Rechtsausübung. Entscheidend ist, ob die Ungleichbehandlung der Streikenden durch einen anerkennenswerten Grund außerhalb der Rechtsausübung gerechtfertigt ist und daher die Benachteiligung nicht aufgrund der Rechtsausübung erfolgt288 . In der Aussperrung nur der Streikenden für die Dauer des Streiks liegt keine Ungleich behandlung gegenüber den Nichtstreikenden und daher auch keine Benachteiligung. Eine Aussperrung Streikender über den Zeitpunkt des (Warn-)streiks hinaus ist aus arbeitskampfbedingten Gründen heraus gerechtfertigt. Anders aber die Aussperrung nach bereits beendeter Streikteilnahme. Sie stellt eine Maßregelung der Streikenden dar einzig in Hinblick auf ihre vorangegegangene Streikteilnahrne, da sich die Differenzierung nicht aus der Funktion der Aussperrung ergibt. Auch hier drängt sich die Parallele zur Streikbruchprämie auf: Ebenso wie nach wohl allgemeiner Meinung Streikbruchprämien nach Beendigung des Arbeitskampfs gegen § 612a BGB verstoßen, wenn sie einzig aufgrund Nichtbeteiligung am Streik gezahlt werden 289 , ebenso ist eine Aussperrung als Maßregelung zu werten, wenn sie nach Beendigung des Streiks einzig aufgrund vorangegangener Streikteilnahme erfolgt. Insoweit ist also auch hier Löwischl Rieble zu widersprechen, die eine Differenzierung der Aussperrung nach Streikteilnahme in keinem Fall als Verstoß gegen § 612a BGB werten290 .
IV. Legitimation zur Aussperrung von anders organisierten Arbeitnehmern
Die Aussperrung von Arbeitnehmern, die einer anderen als der arbeitkampfführenden Gewerkschaft angehören, wird nur vereinzelt erörtert 291 .
287 Diese werten als ein Verstoß gegen Art. 9 III S. 2 GG: Staudinger / Richardi, BGB, Vor § 611 Rn 1279; B. Gaul, NJW 94, 1025 (1026); offengelassen BAG v. 4. 8. 87 AP Nr. 88 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 288 Vgl. Abschn. B. III. 3. c) cc). 289 Vgl. BAG v. 11. 8.92 AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, LS 3; Schwarze, NZA 93,967 (970); B. Gaul, NJW 94, 1024 (1032). 290 Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 327. 291 Vgl. Lieb, in: Lieb/v. StebutlZöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 146: "Dieses Problem ist im materiellen Sinne noch offen und, vor allem, (... ) haben wir in unserem gesamten Arbeitskampfsystem die Stellung der Anders-Organisierten noch nicht untersucht".
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite 1. Meinungsstand
Das Bundesarbeitsgericht ging in seinem Urteil vom 21. 4. 1971 von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Aussperrung Andersorganisierter aus, genauso wie es auch deren Streiklegitimation grundsätzlich bejahte. Es nahm aber auch hier eine im Ausmaß nicht näher konkretisierte Einschränkung bei Bestehen einer tarifvertraglichen Friedenspflicht an292 . Im Urteil vom 10. 6. 1980, wo es die selektive Aussperrung von Mitgliedern der kampfführenden Gewerkschaft für unzulässig erklärte, nahm es dahingegen nicht ausdrücklich Stellung zu der Frage, wie es sich mit der Aussperrung Andersorganisierter verhält293 . Im Leitsatz und in den Entscheidungsgründen spricht es durchweg von Nichtorganisierten, nirgends von Andersorganisierten. Dies könnte darauf hindeuten, daß das Gericht zumindest keine Pflicht zur Aussperrung Andersorganisierter annahm. Der Professorenentwurf 1988 schränkt die grundsätzlich für zulässig erachtete Aussperrung Andersorganisierter dahingehend ein, daß ihre Einbeziehung ausgeschlossen sein müsse, wenn für sie ein anderer Tarifvertrag gilt, in dem derselbe Gegenstand geregelt ist, den der umkämpfte Tarifvertrag regeln so1l294. Dies sei wie oben bereits im Hinblick auf die Möglichkeit der Streikteilnahme ausgeführt die Konsequenz daraus, daß die Beteiligung dieser Arbeitnehmer an einem für sie geltenden Tarifvertrag gegen die Friedenspflicht ihrer Gewerkschaft verstoßen würde und für sie vertragswidrig wäre. Daher seien sie in demselben Umfang auch nicht in einen Arbeitskampf um einen fremden Tarifvertrag einzubeziehen 295 . Anders als der Professorenentwurf geht Löwisch davon aus, daß die Aussperrung Andersorganisierter, für die bereits ein Tarifvertrag gilt, in jedem Fall ein Verstoß gegen die Friedenspflicht wäre, unabhängig vom Inhalt des zu erkämpfenden und des bereits bestehenden Tarifvertrags. Besteht noch kein Tarifvertrag, wurden aber bereits Verhandlungen mit der nicht kampfführenden Gewerkschaft aufgenommen, würde die Einbeziehung von Andersorganisierten in die Aussperrung einen Verstoß gegen das ultima-ratio-Prinzip darstellen 296 . Auch seien in beiden Fällen die Mitglieder der nicht am Arbeitskampf beteiligten Gewerkschaft in ihrer positiven Koalitionsfreiheit betroffen, da man sie ungeachtet der von ihnen für richtig 292 BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V. Zur Frage der Streikbefugnis des Andersorganisierten vgl. Abschn. B 11. 293 BAG 10. 6. 80 AP Nr 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 294 § 5 I Professorenentwurf 1988 eines Gesetzes zur Regelung kollektiver Arbeitskonflik.te: ,,In den Arbeitskampf dürfen nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Betriebe einbezogen werden, in denen der umkämpfte Tarifvertrag gelten würde. Arbeitnehmer dieser Betriebe dürfen nicht einbezogen werden, wenn für sie ein anderer Tarifvertrag gilt, in dem derselbe Gegenstand geregelt ist, den der umkämpfte Tarifvertrag regeln soll." § 29: ,,Eine Beschränkung der Aussperrung auf Gewerkschaftsmitglieder ist unzulässig". 295 So die Begründung Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter (Professorenentwurf 1988), Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 44. Bedenken aber bei Lieb, in : Lieb/ v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 146f. 296 Löwisch, Aussperrung im Ausland (1970), S. 30 f.
IV. Die Aussperrung anders organisierter Arbeitnehmer
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gehaltenen Verhandlungspolitik in den Arbeitskampf anderer Gewerkschaften heranziehen würde. Das durch das Verbot der selektiven Aussperrung ausgesprochene Verbot der Schonung Nichtorganisierter könne sich daher nicht auf die Aussperrung Andersorganisierter erstrecken 297 . Otto hält die Aussperrung Andersorganisierter grundsätzlich für zulässig. Auch er macht jedoch ebenso wie Löwisch die Einschränkung, daß dies nur dann gelte, wenn die Friedenspflicht ihrer Gewerkschaft abgelaufen ist. Zusätzlich verlangt er, daß der Arbeitgeber einheitliche Arbeitsbedingungen durchzusetzen sucht, da andernfalls die Andersorganisierten sowohl den Arbeitskampf für die fremden, als auch die eigenen Arbeitsbedingungen durchstehen müßten 298 . 2. Stellungnahme
Mit der Einbeziehung der Nichtorganisierten in die Aussperrung wird anerkannt, daß die bloße Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft für sich allein genommen nicht entscheidend für die Möglichkeit der Aussperrungsbetroffenheit sein kann. Dies gilt positiv wie negativ, d. h. wenn die Nichtmitgliedschaft unerheblich für die Einbeziehung in die Aussperrung ist, dann ist es auch die gewerkschaftliche Mitgliedschaft, ist es auch die Mitgliedschaft in einer anderen als der streikführenden Gewerkschaft. Wenn - wie oben dargelegt - in der Einbeziehung Nichtorganisierter in die Aussperrung kein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit zu sehen ist299 , dann ist also aus den gleichen Gründen in der Einbeziehung Andersorganisierter kein Verstoß gegen deren positive Koalitionsfreiheit zu sehen. Der Einwand Löwischs geht also fehl. Auch die aus der Mitgliedschaft in einer anderen Gewerkschaft u.V. resultierende Bindung des Arbeitnehmers an einen anderen Tarifvertrag kann keinen Ausschluß aus der Aussperrung begründen: Der ratio der tarifvertraglichen Friedenspflicht entsprechend wäre nur dann eine Befugnis zur Aussperrung der tarifgebundenen Mitglieder zu verneinen, wenn dadurch der geltende Tarifvertrag in seinem Bestand in Frage gestellt werden sollte30o • Bei der Aussperrung im Rahmen eines Arbeitskampfs mit einer anderen Gewerkschaft und einem anderen personellen Ge1tungsbereich des zu erkämpfenden Tarifvertrags soll der bestehende Tarifvertrag aber nicht geändert werden. Auch das ultima-ratio-Prinzip steht der Einbeziehung nicht für den Fall entgegen, daß noch kein Tarifvertrag abgeschlossen ist und die nicht streikende Gewerkschaft noch verhandelt: Wenn durch die in diesem Fall erfolgende Aussperrung der Andersorganisierten gar nicht auf die laufenden Verhandlungen mit deren Gewerk297 298 299 300
Löwisch, Aussperrung im Ausland (1970), S. 30f. OUo, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 63 . Vgl. Abschn. B. III. Zum Sinn der tarifvertraglichen Friedenspflicht vgl. Abschn. B. 11. 2.
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B Der Außenseiter auf Arbeltnehmersette
schaft emgewlrkt werden soll, weil die Aussperrung sich auch nach der IntentIOn des Arbeitgebers nur gegen die nicht mehr verhandelnde Gewerkschaft richten soll, stellt sie keme übereilte Verschärfung der Auseinandersetzung vor Ausschöpfung aller zumutbaren Verständigungs möglichkeiten rrnt der noch verhandelnden Gewerkschaft dar, auf die sich dieses Arbeltskampfrrnttel Ja gar mcht beZieht. Nur dies aber will das ultlma-ratio-Pnnzlp verhmdern 30I : Genauso wie die Friedenspflicht wesensmäßIg auf einen bestimmten, durch sie geschützten Tarifvertrag bezogen ISt, schützt das ultima-ratio-Prinzip einen bestimmten Verhandlungspartner nur vor gegen ihn genchteten übereilten Arbeitskampfrrntteln. Auch dieser Hinweis Löwischs und Ottos geht somit fehl. Die m der Mitgliedschaft m emer anderen Gewerkschaft zum Ausdruck kommende positive KoalitIOnsfreiheit oder die Bindung an einen anderen Tanfvertrag stellen also keme Grunde dar, die es rechtfertigen könnten, Mitglieder emer anderen als der streikführenden Gewerkschaft von der Möglichkeit auszunehmen, durch eme Aussperrung betroffen zu werden. Andersorganisierte können daher ebenso ausgesperrt werden wie Nichtorganisierte. Hinsichtlich einer Pflicht zur Aussperrung von Andersorganisierten kann ebenfalls nichts anderes gelten als m bezug auf die Nichtorganisierten: Wenn die selektive Aussperrung nur von Mitgliedern der streikführenden Gewerkschaft zulässig ISt 302 , dann besteht auch keme Pflicht, Arbeitnehmer einzubeziehen, die emer anderen Gewerkschaft angehören.
v. Rechtliche Konsequenzen aus der Einbeziehung in den Arbeitskampf Nicht- und Andersorganisierte dürfen also mitstreiken und mitausgesperrt werden. Sie nehmen genauso am Arbeitskampf teil wie die Mitglieder der tarifvertragsschlIeßenden Gewerkschaft. Damit sich das Arbeitskampfrecht aber auch in Gesamtbetrachtung als in sich stimrrng erweist, könnte es geboten sem, den Außenseiter umfassend m das Arbeitskampfgeschehen mit emzubeziehen, das heißt, ihn mcht nur an den Arbeitskampfmitteln und Ihrer Ausgestaltung zu beteiligen, sondern z. B. auch gesetzlich abgesichert an dem Ergebnis des Arbettskampfs zu beteiligen. Denn wenn er im gleichen Maße wie sein organisierter Kollege die Lasten des Arbeitskampfs trägt, gebühren ihm dann nicht ebenso wie seinem organisierten Kollegen auch die Früchte des Arbeitskampfs 303 ? Ebenfalls zu erwägen ist seine Beteiligung an den gewerkschaftlichen Entscheidungen über die Führung 101 BAG GS v 21 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BI. 6 R m.w.N., vgl. auch Rüthers, m. Brox / Rüthers, Arbettskampfrecht, Rn 197f, Löwlsch/ Rleble, ArbeItskampfrecht, Rn 57 102 Vgl. Abschn. B III. 3. 103 "QUl sentlt onus sentlre debet commodum" hber sextus 5, 13, 55 (Bomfaz IIX); vgl. schon D 50, 17, 10 (Paulus, !ibro tertlo ad Sabmum):"Secundum naturam est commoda CUlUSque rel eum seqUl, quem sequentur mcommodi"
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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des Arbeitskampfs. Denn weil alle Arbeitnehmer beteiligt sind oder sein können, geht der Arbeitskampf auch alle Arbeitnehmer an. Was aber alle angeht, könnte auch von allen zu entscheiden sein304 . 1. Anspruch auf Teilhabe am Arbeitskampfergebnis Beteiligung am Tarifvertrag
Das Ergebnis eines Arbeitskampfs ist in der Regel ein Tarifvertrag 305 . Die Normen des Tarifvertrags erfassen jedoch gemäß § 3 I TVG nur die Mitglieder der tarifvertrags schließenden Gewerkschaft, lediglich betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen gelten einheitlich für alle Arbeitnehmer eines Betriebs. Der Außenseiter ist damit Tarifaußenseiter, obwohl er kein Arbeitskampfaußenseiter ist. Dieser Bruch zwischen einem auf die Einheit der Belegschaft abstellenden Arbeitskampfrecht und einem streng mitgliedschaftlich orientierten Tarifvertragsrecht erscheint unbillig. Daher erscheint etwa die Frage berechtigt, ob aus den Grenzen der normativen Wirkung des Tarifvertrags gemäß § 3 1,11 TVG wirklich folgt, daß Außenseiter keinen Anspruch auf Behandlung nach Tarif haben. Dies wird zwar von der ganz herrschenden Meinung angenommen 306 , es ist jedoch nicht die allgemeine Meinung. So wird von Teilen des Schrifttums eine Verpflichtung der Gewerkschaften bejaht, gleichstellende Tarifaußenseiterklauseln zugunsten detjenigen Nichtmitglieder zu vereinbaren, die ihrem Streikaufruf gefolgt sind 307 . Als nicht ganz so weitgehende Verpflichtung zur Begünstigung aus dem Tarifvertrag wird von einem anderen Teil des Schrifttums angenommen, daß mitstreikende Außenseiter zumindest einen Anspruch auf Einbeziehung in tarifvertragliche Maßregelungsverbote haben 308 . Ein weiterer, individualvertraglicher Ansatz verweist auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser verpflichte den Arbeitgeber, dem nicht tarifvertragsgebundenen Arbeitnehmern, der die gleiche Arbeit leiste wie sein organisierter Kollege, auch den gleichen Lohn, also Tariflohn, zu zahlen 309 . 304 "Quod omnes tangit, debet ab omnibus approbari" Iiber sextus 5, 13, 29 (Bonifaz IIX); vgl. schon Cod.Iust. 5, 59, 5 § 2 a.E. (Iustinian). Siehe heute Can 119 Nr. 3 CIC: "Quod autem omnes uti singulos tangit, ab omnibus approbari debet". 305 Dazu, daß aufgrund seiner Hilfsfunktion zur Tarifautonomie der Arbeitskampf Instrument zur Durchsetzung tariflicher Regelungen sein muß vgl. Abschn. B. I. 2. a) und BAG v. 5.3.85 AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 4 V m.w.N. 306 Vgl. bereits BAG v. 20. 7. 60 AP Nr. 7 zu § 4 TVG, LS 2; für das Schrifttum: Hueckl Nipperdey, Arbeitsrecht li/I, S. 479; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958), S. 66; KempenlZachertlZiliusl Hagemeier, TVG, § 1 Rn 88 ff.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn 329; GK-Kreutz, BetrVG, § 75 Rn 44; Dietzl Richardi, BetrVG, § 75, Rn 29; FittinglAujfarthlKaiserlHeither, BetrVG, § 75 Anm. 16; Konzen, FS Müller, S. 256ff. (insb. S. 259); Gumpert, BB 59, 707 (710) - jeweils m.w.N. -. Von einhelliger Meinung sprechen noch Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 510 und Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit (1966), S. 47. 307 Vgl. Wiedemann, RdA 69,321 (333); WiedemannlStumpf, TVG, § 1 Rn 216. 308 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 333.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Den verschiedenen Ansätzen zur Überwindung der Diskrepanz zwischen Tarifvertragsrecht und Arbeitskampfrecht ist nachzugehen. Ausgangspunkt der Argumentation soll aber ein internationaler und historischer Vergleich sein, der einen Aufschluß darüber geben kann, ob auch das Ausland diesen Unterschied zwischen einem betriebseinheitlichen Arbeitskampfmodell und einem mitgliedschaftlichen Tarifvertragsmodell kennt und ob dieses in Deutschland schon immer nahezu unangefochten Geltung beanspruchen konnte. Wenn dies der Fall ist, könnte versucht werden, die dort und damals die Differenzierung tragenden Argumente auf die (aktuelle) deutsche Situation zu übertragen. Wenn dies nicht der Fall ist, wäre auch dies ein Hinweis auf die Unbilligkeit der Beschäftigung von Außenseitern zu schlechteren als den tariflichen Bedingungen. a) Internationaler und historischer Vergleich
Im internationalen Vergleich ist es die Regel, daß sich der Tarifvertrag betriebseinheitlich auf alle Arbeitnehmer erstreckt ohne Rücksicht auf deren Gewerkschaftszugehörigkeit. Dies ist z. B. die Rechtslage in Österreich, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Spanien, und den Niederianden 31O • Jedoch gibt es auch Rechtsordnungen, in denen sich der Tarifvertrag nur auf die Mitglieder der vertragsschließenden Gewerkschaft beschränkt, so z. B. Schweden, Dänemark, Norwegen, Schweiz und Portugal31l . Vgl. Wiedemann, RdA69, 321 (333f.); Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 124f Für Österreich vgl. § 12 ArbVG; für Frankreich vgl. Art. L. 132-10 CT al. 2 et 3; für Belgien vgl. Art. 19 des Gesetzes über die Tarifverträge v 5. 12. 1968 (Magrez, La liberte syndicale des salaries en Belgique, S. 37, 99); für Luxemburg: Art. 8 des Gesetzes über die Tarifverträge v. 12. 6. 65 (Schintgen, droit du travail, S. 86; ders., La liberte syndicale des salaries en Luxembourg, S. 475, 515; für die Niederlande vgl. Art. 14 des dortigen Tarifvertraggesetzes v. 24. 12. 27. Es handelt Sich zwar lediglich um eine tarifvertragsdispositive Norm, die die Wirkung auch auf Außenseiter erstreckt. Sie wird in der Praxis jedoch nie abbedungen (Bakels, Nederlands arbeidsrecht, S. 152; Fase/van der Ven, La liberte syndicale des salaries aux Pays-Bas, S. 515, 575); deshalb unzutreffend Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 3, die jegliche Außenseiterwirkung für die Niederlande verneinten. In Spanien haben die Tarifverträge erga-ommnes Wirkung und gelten gemäß Art. 82 III Estatuto de los trabajadores v. 10. 3. 1980 für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer innerhalb ihres Geltungsbereich (Zachert, ZIAS 92, S. I, 16). Zur differenzierten, nur schwer vergleichbaren Lage in Großbritanien und den Vereinigten Staaten vgl. Aaron, The Freedom of the Worker to Organize in the United States of America, S. 945 (995 f.); Hepple, The Freedom ofthe Worker to Organize in the United Kingdom, S. 1001 (1054). III Für die Schweiz Artt. 356, 357 SchweizZGB, für Portugal Art. 8 Lei das re1acoes colectivas de trabalho - LRCT - (vgl. Pinto, ZIAS 89, S. 1,33); für Dänemark: Jacobsen, The freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. 110 (141); für Norwegen: Jakhelln, The Freedom of the Worker to Organize m Norway, S. 593 (642), wo allerdings Außenseiterklauseln üblich sind und daher auch der nicht organisierte Arbeitnehmer nach Tarif entlohnt wird. Für Schweden §§ 26,27 des Arbeitsmitbestimmungsgesetzes v. 10. 6. 76; dort gibt es aber eme Außenseiterwirkung für bestimmte Materien, wenn nämlich ein Gesetz seine (i.d.R. ein309 310
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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Bei der Legitimation zur Teilnahme am Arbeitskampf ist es der Regelfall, daß nicht organisierte Arbeitnehmer genauso streiken können wie ihre organisierten Kollegen. Dies gilt z. B. für die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Schweden, die Schweiz, Frankreich, die Niederlande, Luxemburg und Belgien 312 • Es gibt jedoch auch im Ausland auf Gewerkschaftmitglieder beschränkte Arbeitskampfmodelle. Dies gilt uneingeschränkt für Norwegen und Dänemark, wo nicht organisierte Arbeitnehmer weder ausgesperrt werden dürfen noch ein Streikrecht haben 313 ; es gilt partiell für die Türkei, wo sie nicht mitstreiken dürfen, wohl aber ausgesperrt werden dürfen 314 , oder etwa Griechenland, wo sie zwar mit streiken dürfen, zumindest nach herrschender Lehrmeinungen aber nicht ausgesperrt werden dürfen 315 • Zeigt sich daraus zwar, das es mitgliederbeschränkte Arbeitskampf- und Tarifvertragsmodelle gibt, so ist doch festzustellen, daß diese fast durchgängig gemeinsam vorhanden sind. Wo also ein mitgliedschaftlieh orientiertes Tarifvertragssystem besteht, besteht auch ein mitgliedschaftlieh orientiertes Arbeitskampfrecht, wo ein betriebseinheitlich orientiertes Arbeitskampfrecht besteht, besteht auch ein betriebseinheitliches Tarifvertragssystem. Aber auch dies gilt nicht durchgängig, so z. B. nicht in der Schweiz und in Schweden, wo eine Rechtslage besteht, die der deutschen vergleichbar ist. Hierzu ist aber etwa anzumerken, daß in der Schweiz der Außenseiter die Möglichkeit hat, durch eine formelle Anschlußerklärung gemäß § 356 b ZGB die Tarifwirkung auch auf sich zu erstrecken, und eben diese Möglichkeit im schweizerischen Schrifttum als eine Rechtfertigung dafür gesehen wird, den Außenseiter auch in den Arbeitkampf mit einbeziehen zu können 316 . Dies würde für Deutschland nicht gelten. Bezüglich Schweden ist im Unterschied zu Deutschland ein extrem hoher Organisationsgrad festzustellen. Bei fast hundertseitige) Tarifdispositivität mit der Ermächtigung an den Arbeitgeber verbindet, die dann das Gesetz ersetzenden Tarifbestimmungen auch auf Außenseiter anzuwenden (Adlercreutz, Labour Law and Industrial Relations in Sweden, Rn 550, 563). 312 Für die Vereinigten Staaten: Aaron, The Freedom of the Worker to Organize in the United States of America, S. 945 (998 f.); für Großbritanien: Hepple, The Freedom of the Worker to Organize in the United Kingdom, S. 1001 (1055); für Luxemburg: Schintgen, La liberte syndicale des salaries en Luxembourg, S. 475 (516); für Schweden: Hensträm, The Freedom of the Worker to Organize in Sweden, S. 771 (811); für die Schweiz: Morand, La liberte syndicale des salaries en Suisse, S. 817 (856f.); für Frankreich: Fromont, La liberte syndicale des salaries en France, S. 242 (303 f.); für die Niederlande: Fase /van der Ven, La liberte syndicale des salaries aux Pays-Bas, S. 515 (578); für Belgien: Magrez, La liberte syndicale des salaries en Belgique, S. 37 (102). 313 Vgl. für Dänemark: Jacobsen, The Freedom of the Worker to Organize in Denmark, S. 110 (144 f.); für Norwegen: Jakhelln, The Freedom of the Worker to Organize in Norway, S. 593 (647 f.). 314 Art. 24 des Gesetzes Nr. 275 v. 15.6. 1963: Vgl.Isliki, La liberte syndicale des salaries en Turquie, S. 899 (939). 315 Vgl. Tsatsos, Die Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers in Griechenland, 309 (351) unter Verweis auf Travlos- Tsanetatos, EED 78, 699 ff. 316 Vgl. die Argumentation bei Hohn, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 183, 187.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
prozentiger Organisationszugehörigkeit der Industriearbeiter, bei einern Organisationsgrad von über 90 % der Arbeiter insgesamt und immmerhin 70 % der Akademiker stellt sich das Problem nicht in ähnlicher Virulenz wie in Deutschland, zumal die dortigen Tarifverträge fast durchgehend ausdrücklich oder konkludent die nicht organisierten Arbeitnehmer mit einschließen 317 . Auch der historische Vergleich zeigt, daß eine Beschränkung der Tarifwirkung auf die Mitglieder der tarifvertragsschließenden Parteien keineswegs selbstverständlich ist. In der Zeit vor Schaffung der TarifVO vorn 23. 12. 1918 fehlte es noch an einer dem § 3 TVG entsprechenden Grundlage für die unmittelbare arbeitsvertragsgestaltende Wirkung des Tarifvertrages. Das Ausmaß der Bindungswirkung eines Tarifvertrags mußte durch dessen Auslegung und anhand VOn Vermutungen ermittelt werden. Nach anfänglich sehr unterschiedlichen Ansätzen in der Diskussion um die mögliche Reichweite einer Außenseiterwirkung VOn Tarifverträgen entschied man sich früh für eine Differenzierung zwischen den nicht organisierten Arbeitgebern und den nicht organisierten Arbeitnehmern 318 . Erstere sollten nicht an den Tarifvertrag gebunden sein. Anders aber die nicht organisierten Arbeitnehmer eines organisierten Arbeitgebers: Die ganz herrschende Meinung im Kaiserreich ging davon aus, einem Tarifvertrag sei im Zweifel nicht nur zu entnehmen, daß der Arbeitsvertrag mit organisierten Arbeitnehmern zu den tariflichen Bedingungen abzuschließen sei, sondern der organisierte Arbeitgeber aus dem Tarifvertrag auch verpflichtet sei, den Außenseitern tarifliche Arbeitsbedingungen zu gewähren 319 . Diese allgemein praktizierte Einbeziehung in die durchgehend nur schuldrechtlich wirkenden Verpflichtungen des Tarifvertrags - dessen z.T. normative Wirkung war ja noch nicht anerkannt - war umfassend und bezog sich damit auch auf etwaige Maßregelungsverbote und Wiedereinstellungsvereinbarungen. Auch in den Reformdiskussionen um ein zu schaffendes Tarifvertragsgesetz vertraten insbesondere Lotma?20 und Sinzheimer321 die Ansicht, daß die Tarifverträge entsprechend 317 Vgl. Hemström, The Freedom of the Worker to Organize in Sweden, S. 771 (776,809). Die Zahlen beziehen sich auf 1980. Einen 90%igen Organisations grad der Arbeiter insgesamt und eine fast 100%ige Mitgliedschaft in einigen Industriezweigen nimmt aber auch Adlercreutz, Labour Law and Industrial Relations in Sweden, Rn 456 für 1990 an. 318 Vgl. zum Diskussionsstand und der oftmals fehlenden Differenzierung zwischen nicht organisiertem Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Köppe, Der Arbeitstarifvertrag als Gesetzge-
bungsproblem (1908), S. 74.
319 Köppe, Der Arbeitstarifvertrag als Gesetzgebungsproblem (1908), S. 74f.; Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag n (1908), S. 15; ders., Arbeitstarifgesetz (1916), Begründung S. 101; ders., Rechtsfragen des Arbeitstarifvertrages (1913), S. 19; Lotmar, Arbeitsrecht I, S. 795; Schall, IherJ 52 (1907), S. 79; Oertmann, Arbeitsvertragsrecht, S. 19. 320 Lotmar, Die gesetzliche Regelung des Tarifvertrages, DJZ 1908, 902 (907). 321 Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz (1916), § 43 (Begründung S. 101 ff.): "Die Tarifbestimmungen gelten für alle Arbeitsverträge, die in Tarifbetrieben über Arbeiten geschlossen werden, auf die sich der Tarifvertrag bezieht, auch wenn die Arbeiter keine Vertragsmitglieder sind".
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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dieser bisherigen Praxis auch zukünftiger gesetzlicher Regelung nach für alle Arbeitnehmer eines organisierten Arbeitgebers gelten sollten. Dies änderte sich in der Weimarer Zeit nicht. Das Schrifttum ging weiterhin überwiegend davon aus, ein Tarifvertrag beinhalte in der Regel auch eine Verpflichtung des organisierten Arbeitgebers oder des Arbeitgeberverbands, nicht organisierte Arbeitnehmer der dem Geltungsbereich des Tarifvertrags unterfallenden Betriebe insgesamt nach Tarif zu beschäftigen. Dies vertraten insbesondere A. Hueck 322 und PotthoJf23: Zwar war den nicht organisierten Arbeitnehmern gemäß dem neu geschaffenen § 1 rarifVO die unmittelbare Berechtigung qua Gesetz und die Unabdingbarkeit der tarifvertrag lichen Regelungen versagt324 , dies stand dieser Auffassung nach jedoch nicht einer schuldrechtlichen Verpflichtung des Arbeitgeber(-verband)s entgegen, Tarifbedingungen auch Außenseitern zu gewähren. Daß der Tarifvertrag vielmehr in der Regel eine solche Verpflichtung beinhaltete, wurde mit dem gleichen Argument begründet, das schon Grundlage für die dahingehende Vermutung im Kaiserreich war: Bestünde eine solche Verpflichtung nicht, könnte der tarifgebundene Arbeitgeber sich seiner Pflicht zur Zahlung von Tariflöhnen dadurch entziehen, daß er alle organisierten Arbeitnehmer entläßt und die freigewordenen Arbeitsplätze mit nicht organisierten Arbeitnehmern besetzt, die er zu schlechteren Bedingungen beschäftigen könnte. Die durch den Tarifvertrag angestrebte Wirkung würde in ihr Gegenteil verkehrt, "die Unabdingbarkeit, die dem Schutz der Arbeitnehmer dienen soll, würde für sie der Grund der Arbeitslosigkeit,,325 . Dies zu verhindern konnten die Gewerkschaften in der Regel nur einem Tarifvertrag zustimmen, der Arbeitnehmer seines räumlichen Geltungsbereichs unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit mit einbezieht. Da die TarifVO nur als Provisorium gedacht war, das durch ein Tarifvertragsgesetz abgelöst werden sollte 326, setzten sich auch die Reformdiskussionen fort. So A. Hueck, Recht des Tarifvertrages, S. 147 f. Potthoff, Tarifbruch durch Verbandsmitglieder, Arbeitsrecht 1923, Sp. 193 (198). 324 § 1 I S. 1 TarifVO v. 23. 12. 1918: "Sind die Bedingungen für den Abschluß von Arbeitsverträgen zwischen Vereinigungen von Arbeitnehmern und einzelnen Arbeitgebern oder Vereinigungen von Arbeitgebern durch schriftlichen Vertrag geregelt (Tarifvertrag), so sind Arbeitsverträge zwischen den beteiligten Personen insoweit unwirksam, als sie von der tariflichen Regelung abweichen"; § 1 II TarifVO: "Beteiligte Personen im Sinne des Abs. 1 sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Vertragsparteien des Tarifvertrages oder Mitglieder der vertragsschließenden Vereinigungen sind oder bei Abschluß des Arbeitsvertrags gewesen sind oder die den Arbeitsvertrag unter Berufung auf den Tarifvertrag abgeschlossen haben". 325 A. Hueck, Recht des Tarifvertrages, S. 147. Die gleiche Argumentation findet sich bereits 1916 bei Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz, S. 102, auf den A. Hueck jedoch nicht verweist. Sinzheimer selbst verweist auf Pap, in GKG. XV S. 385 f. Diese Überlegung wird auch im Ausland als der Grund der Gewerkschaften für die Vereinbarung von Außenseiterklauseln angeseqen: Bakels, Nederlands arbeidsrecht, S. 152 (Niederlande); Weber, Das Gleichheitsprinzip im kollektiven Arbeitsrecht, S. 53 (Schweiz). 326 Vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, § I Rn 2; Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit (1966), S. 42. 322 323
7 Thüsing
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
stellte das Reichsarbeitsministerium 1921 einen von Sinzheimer ausgearbeiteten Entwurf eines Arbeitstarifgesetzes vor, wonach Tarifverträge, an denen alle tarifzuständigen Gewerkschaften beteiligt waren, in Betrieben organisierter Arbeitgeber für alle Arbeitnehmer gelten sollten 327 . Dieser Entwurf stieß zwar auf verbreitete Kritik, insbesondere weil bei der oft fraglichen Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmerverbindung nie sicher zu beantworten gewesen wäre, ob wirklich alle Gewerkschaften am Tarifabschluß beteiligt gewesen waren 328 . Auch andere Vorschläge zielten jedoch auf eine betriebseinheitliche Geltung des Tarifvertrages. So schlug Sitzler vor, daß dem Betriebsrat das Recht zukommen solle, die Erstrekkung eines Tarifvertrags auf alle Arbeitnehmer des Betriebes verlangen zu können 329 . Insgesamt kann als Grundgedanke der Reformdiskussion und der tarifvertraglichen Praxis der Zeit vor dem 11. Weltkrieg die weitestgehende Wahrung der "Einheit des Betriebs" bezeichnet werden 330 ; nach dem 11. Weltkrieg gingen jedoch alle (Vor-)Entwürfe für das zu schaffende TVG von einer Tarifgebundenheit ausschließlich der Mitglieder der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft aus 33l .
b) Anspruch aus Tarifaußenseiterklauseln
Ansatz zur Überwindung der ungleichen Behandlung von organlSlertem und nicht organisiertem Arbeitnehmer könnte der Tarifvertrag selbst sein, wenn die Tarifvertragsparteien bestimmen, daß Außenseiter in Maßregelungsverbote und sonstige schuldrechtliche Vereinbarung einzubeziehen sind, oder weitergehend sie sich darauf einigen, Außenseiter seien insgesamt nach Tarif zu beschäftigen. Dazu müßten solche Vereinbarungen zulässig sein. Wenn sie zulässig sind, stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Tarifvertragsparteien nicht nur berechtigt, sondern 327 Reichsarbeitsblatt 1920/21 - Amtlicher Teil-, S. 491 (492): § 16 "Für Arbeitsverträge zwischen tarifangehörigen Arbeitgebern und nicht tarifangehörigen Arbeitnehmern gilt die Vorschrift des § 14 ,,(i.e. die Tarifgebundenheit)", wenn alle in dem räumlichen und sachlichen Geltungsbereiche des Tarifvertrages bestehenden tariffähigen Vereinigungen der Arbeitnehmer als Vertragsparteien an dem Tarifvertrage beteiligt sind und der Tarifvertrag diese Wirkung nicht ausschließt". 328 So insb. Sitzler, NZfAR 1925,192. Vgl. zur Kritik am Entwurf auch A. Hueck, JW 1921,615 und Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924), S. 168. 329 So durch Sitzler, NZfAR 1925,192. Dies würde heute wohl gegen § 77 m BetrVG 1972 verstotlen (Vgl. Hanaul Adomeit, Arbeitsrecht, S. 119). DaS dies aber trotzdem heute immer wieder vorkommt vgl. die Regelung bei der IBM-Kommunikationssysteme GmbH (FAZ v. 29. 11. 94, S. 17). Vgl. dazu auch Thüsing, ZTR 96, 146 (148 f.). 330 Der Begriff geht auf Lotmar zurück und wird noch heute bei der Diskussion um die Einbeziehung von Außenseitern in den Arbeitskampf als "Einheit der Belegschaft" schlagwortartig verwendet wird (Lotmar, Die gesetzliche Regelung des Tarifvertrages, DJZ 1908, S. 902 ff.; siehe dann auch Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz (1916), S. 102; heute vgl. z. B. Löwisch/ Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 323). . 331 Abgedruckt bei Wiedemann/Stumpf, TVG, Geschichte Rn 3 ff.
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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auch verpflichtet sind, Maßregelungsverbote oder umfassende Gleichstellungsklauseln zugunsten von Außenseitern zu vereinbaren. aa) Zulässigkeit der Tarifaußenseiterklausel Daß die Tarifvertragsparteien nicht organisierte Arbeitnehmer in Maßregelungsverbote und Wiedereinstellungsklauseln einbeziehen können, war allgemeine Meinung und Praxis schon zur Weimarer Zeit332 . Lange Zeit umstritten war aber, ob sie allgemeine Gleichstellungsklauseln zugunsten von Außenseitern vereinbaren können. Weitgehende Einigkeit bestand auch dort darin, daß dies nicht durch den normativen Teil des Tarifvertrages zu erreichen ise 33 . Die Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen, die ein Tarifvertrag enthalten kann, gelten gemäß § 3 I TVG nur für die Mitglieder der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft. Eine Norm, die darüberhinaus bestimmen würde, daß diese Bestimmungen auch für Außenseiter gelten, wäre selbst aber keine Inhalts-, Abschluß- oder Beendigungsnorm, weil sie lediglich eine Normgeltungsaussage trifft, nicht aber selbst Inhalt, Abschluß oder Beendigung eines Arbeitsverhältnis regelt. Da sie auch nicht eine betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Bestimmung enthalten würde, wäre sie kein zulässiger Bestandteil des normativen Teils des Tarifvertrages. Die Tarifvertragsparteien können also nicht aus sich heraus ihre Kompetenz zur Normsetzung über die Grenzen des § 3 1,11 TVG heraus erweitern 334 . Daher bezog sich die Auseinandersetzung vor allem darauf, ob im schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrages Vereinbarungen getroffen werden können, die die Tarifvertragsparteien schuldrechtlich zur Gleichbehandlung der Belegschaft verpflichten würden, wie es in der Weimarer Zeit der Regelfall war335 . Eine solche Vereinbarung wäre als Vertrag zugunsten Dritter aufzufassen und würde dem Außenseiter einen unmittelbaren Rechtsanspruch auf die im Tarifvertrag geregelten Arbeitsbedingungen gegenüber den vertragsabschließenden Parteien verschaffen. Insbesondere Nipperdey hielt dies für unzulässig, da er von einer strengen Kongruenz zwischen normativem und schuldrechtlichem Teil des Tarifvertrages ausging. Die Tarifmacht erstrecke sich ohne staatliche Mitwirkung nie auf Außenseiter. 332 Zu der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts vgl. Nachweise BAG GS v. 29. 11.67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 9 R. 333 A.A. soweit ersichtlich lediglich Fechner, Rechtsgutachten zur Problematik der gemeinsamen tariflichen Einrichtungen nach § 4 11 TVG (1965), S. 70. 334 V gl. auch BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 6 R. 335 Vgl. Abschn. B. V. 1. a) und Potthoff, Tarifbruch durch Verbandsmitglieder, Arbeitsrecht 1923, Sp. 193 (198): ,,Aber wo das" (i.e. der Ausschluß von nicht organisierten Arbeitnehmern) "nicht ausdrücklich vereinbart oder den Umständen zu entnehmen ist, und wo keine sogenannte Absperrungsklausel die Eingehung von Arbeitsverhältnissen mit Nicht-Tarifbeteiligten ganz untersagt, da ist auch heute noch" (i.e. nach Schaffung der TarifVO) "die schuldrechtliche Verpflichtung, mit Außenseitern keine normwidrigen Verträge zu schließen, selbstverständlicher Inhalt jedes Tarifvertrages" (Hervorhebung im Orginal).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Weil schuldrechtlicher und normativer Teil des Tarifvertrags Bestandteil eines einheitlichen Vertragstyps Tarifvertrag seien, könne der schuldrechtliche Teil nicht dazu verwandt werden, etwas zu erreichen, was durch den normativen Teil anerkanntermaßen unzulässig sei 336 . Diese inhaltliche Begrenzung des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrags lehnte jedoch bereits damals ein großer Teil des Schrifttums ab 33 ? So ist auch der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluß vom 29. 11. 1967 dieser Auffassung mit überzeugenden Gründen entgegengetreten und befand schuldrechtliche Gleichstellungsabreden für zulässig 338 . Er verwies als historisches Argument zu Recht auf die ständige Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts 339 , und zwar zu Recht deshalb, weil die Gewerkschaften, die Außenseiter mit zum Streik auffordern, die Möglichkeit haben müssen, den mitstreikenden Nichtmitgliedern zumindest gleichen Arbeitskampfschutz zu gewähren und die gleichen Vorteile zukommen lassen können, wie ihren streikenden Mitgliedern. Alles andere wäre ungerecht und unsozia1 34o . Auch argumentierte der Große Senat systematisch-teleologisch mit den gemeinsamen Einrichtungen gemäß § 4 11 TVG. Diese seien zumindest zum Teil in der Praxis nur lebensfähig, wenn sie sich auf alle Arbeitnehmer beziehen und die Urlaubs-, Unterstützungsund Pensionskassen sich auch den Außenseitern und ihrem Beitragsvolumen öffneten. Die Behauptung, die Tarifvertragsparteien könnten sich in ihren Regelungen nie auf Außenseiter beziehen, entspräche auch aus diesem Grund nicht der Intention des Gesetzgebers, der die gemeinsamen Einrichtungen in § 4 TVG ausdrücklich vorsehe. Genauso wie die Satzung einer Stiftung Regelungen zugunsten beliebiger Dritter treffen können, müsse dies auch für die tarifvertraglich bestimmten Satzungen gemeinsamer Einrichtungen gelten, um damit deren Funktionieren auch bei fehlender Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags zu ermöglichen, wenn schon ohne die Außenseiterarbeitgeber - für deren Einbeziehung ist die Allgemeinverbindlichkeit erforderlich 341 -, so doch zumindest mit den Außenseiterarbeitnehmern eines organisierten Arbeitgebers 342 . Der Entscheidung des Großen Senat ist in ihrer Begründung und in ihrem Ergebnis - soweit ersichtlich - niemand entgegengetreten. Heute werden gleichstellende Tarifaußenseiterklauseln allgemein für zulässig gehalten 343 . Da die Argumente des Beschlusses überzeugen, braucht die Diskussion nicht erneut aufgenommen zu 336 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/ I, S. 168, 330; ähnlich u. a. Mayer-Maly, BB 65,829ff. 337 So z. B. Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit (1966), S. 78ff, 94 ff.; Nikisch, RdA 67, 87 ff. 338 BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. 339 BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 9 R. 340 V gl. dazu die Argumentation BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 10 V. 341 Vgl. dazu BVerfG v. 16.6.80 BVerfGE 55, 7 (9f.,22). 342 BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 10 V, R. 343 Vgl. nur die Kommentare zum TVG: Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 121; Hagemeier/ Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 3 Rn 90, Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn 329.
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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werden. Tarifaußenseiterklauseln sind nicht nur im Ausland 344 und in der Weimarer Zeit345 , sondern auch in der Bundesrepublik zulässig. Zu klären bleibt allein, ob es eine Pflicht der Tarifvertragsparteien gibt, solche Klauseln zu vereinbaren. bb) Verpflichtung zum Abschluß von Tarifaußenseiterklause1n Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit dem 29. 11. 1967 und der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum, daß ein Tarifvertrag keine Klausel enthalten darf, die den Arbeitgeber verpflichtet, organisierte und nicht organsierte Arbeitnehmer verschieden zu behandeln - sog. Differenzierungsklausel 346 . Daß aber eine Pflicht besteht, eine Klausel in den Tarifvertrag aufzunehmen, die den Arbeitgeber partiell oder insgesamt zur Gleichbehandung aller Arbeitnehmer verpflichtet, wird nur vereinzelt behauptet. (a) Verpflichtung aus dem Gesichtspunkt der "tariflichen Kampfgemeinschaft " Wiedemann / Stumpf nehmen eine Verpflichtung der Gewerkschaft zum Abschluß von Gleichstellungsklauseln zugunsten nicht organisierter Arbeitnehmer für den Fall an, daß die Gewerkschaft diese zum Streik mit aufgefordert hat. Denn mit der aktuellen oder potentiellen Unterstützung der Gewerkschaft im Arbeitskampf solidarisierten sich alle Arbeitnehmer zu einer "tariflichen Kampfgemeinschaft". Dann müßten sie auch alle entsprechend dem übernommenen Risiko die Vorteile des den Arbeitskampf beendenden Tarifvertrags erhalten347 .
Dieser Ansatz begegnet Bedenken. Der nicht organisierte Arbeitnehmer, der nicht streikt oder ausgesperrt wird, ist in den Arbeitskampf nicht einbezogen; er solidarisiert sich als Außenstehender nicht mit der ein oder anderen kampfführenden Partei. Dadurch aber, daß er dem gewerkschaftlichen Streikaufruf gerade nicht folgt, bekundet er sehr viel eher eine ablehnende als eine unterstützende Haltung. Sein Verhalten als potentielle Unterstützung der Gewerkschaft zu werten, die dessen Zurechnung zu einer einheitlichen "tariflichen Kampfgemeinschaft" ermög344 So z. B. in Norwegen (vgl. Jakhelln, The Freedom of the Worker to Organize in Norway, S. 593, 642) und in Schweden (vgl. Hemström, The Freedom of the Worker to Organize in Sweden, S. 771, 809) 345 Siehe Abschn. B. V. 1. a). 346 Grundlegend BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; für das Schrifttum vergleiche die Nachweise bei Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 382. Ohne gewerkschaftlichen Rückhalt in Anbetracht dieser rechtlichen Situation daher die Initiative der ÖTV Hamburg (vgl. die ablehnenden Stellungnahmen der DAG und der IG Metall, SZ 3. 1. 95 S. 1) oder der GTB Nordrhein-Westfalen (KStA v. 13. 4. 95 S. 5) zur Wiedereinführung solcher Klauseln. Siehe aber auch Zachert, DB 95, 322, der darin einen Anlaß auch für die Rechtsprechung sieht, ihre Position neu zu überdenken. 347 Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 121; vgl. bereits Wiedemann, RdA 69,321 (333 f.).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
licht, erscheint daher fraglich. Auch ist der Begriff der "potentiellen Unterstützung" irreführend, denn das Potentielle unterscheidet sich vom Aktuellen dadurch, daß das eine ist und das andere nicht ist 348 . Potentielle Unterstützung ist also keine Unterstützung; den nicht unterstützenden Außenseiter dem Kampfverband der Gewerkschaft zuzurechnen, erscheint zu weitgehend. Besonders deutlich wird dies, wenn es sich dabei um einen leitenden Angestellten handelt, der sich u.U. mit den Zielen der Gewerkschaft in keiner Weise identifiziert. Ein weiterer Kritikpunkt an der Ansicht WiedemannlStumpf liegt darin, daß selbst wenn man eine "tarifliche Kampfgemeinschaft" aller Arbeitnehmer annehmen wollte, unklar ist, warum daraus eine Verpflichtung der Gewerkschaften zum Abschluß von Tarifaußenseiterklauseln folgt, welches juristische Prinzip vom bloßen Faktum tariflicher Kampfgemeinschaft zur rechtlichen Verpflichtung einer Tarifaußenseiterklausel führt. Daß "alles andere ungerecht und unsozial" wäre 349 , mag stimmen, kann aber in dieser Allgemeinheit als Begründung nicht ausreichen. Aufgrund dieser Begründungsdefizite kann aus der Argumentation Wiedemannl Stumpfs keine Verpflichtung zum Abschluß umfassender Gleichstellungsklauseln zugunsten der am Arbeitskampf beteiligten Außenseiter hergeleitet werden. (h) Verpflichtung aus dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium und einer allgemeinen Vertrauenshaftung Säcker leitet eine die Gewerkschaft treffende Pflicht zum Abschluß von Tarifaußenseiterklauseln aus dem Gesichtspunkt des venire contra factum proprium ab. Sie bestehe aber - anders als der Ansatz Wiedemannl Stumpfs - nur zugunsten der Nichtorganisierten, die sich von der Gewerkschaft aufgefordert auch tatsächlich am Streik beteiligt haben. Ebenfalls abweichend vom Ansatz WiedemannlStumpfs sollen diese Tarifaußenseiterklauseln keine volle tarifliche Gleichstellung bewirken, sondern nur ein die Außenseiter begünstigendes Maßregelungsverbot beinhalten 350 • Auch dieser Ansatz begegnet Bedenken. Das Verbot des venire contra factum proprium ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung 351 • Diesem Grundsatz nach ist eine Rechtsausübung unzulässig, wenn der Berechtigte sich damit zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzen würde. Dies ist der Fall, wenn ein vorangegangenes Verhalten zurechenbar Vertrauen darauf erweckt hat und erwekVgl. Ody, Grundlegung der Philosophie, S. 45. Wiedemann, RdA 69, 321 (333) in Bezugnahme auf BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, der dies allerdings nur auf die Möglichkeit, nicht auf eine Verpflichtung zum Abschluß von Tarifaußenseiterklauseln bezog. 350 Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 333. 351 Vgl. MünchKomm-Roth, BGB, § 242 Rn 322, 325; Palandtl Heinrichs, BGB, § 242 Rn 38, 55; Canaris, Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, S. 287. 348
349
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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ken durfte, ein dem Grunde nach bestehendes Recht werde nicht ausgeübt, oder wenn die Rechtsausübung aus sonstigen Gründen aufgrund vorangegangenen Verhaltens treuwidrig erscheinen würde 352 . Zu diesen Voraussetzungen paßt die Frage einer Verpflichtung zu Tarifaußenseiterklauseln nicht: Der Abschluß eines Tarifvertrages ist keine Rechtsausübung, die unzulässig wird aufgrund vorangegangenen Verhaltens. Denn auch bei Fehlen einer Tarifaußenseiterklausel könnte die Treuwidrigkeit nicht im Abschluß des Tarifvertrags liegen -das behauptet auch Säcker nicht-, sondern höchstens in dessen inhaltlicher Ausgestaltung. Dies hat aber konstruktiv nichts mehr mit dem Prinzip des venire contra factum proprium zu tun. Dieses Prinzip verpflichtet zu einem Unterlassen - der Nichtausübung eines Rechts -, nicht aber zu einem positiven Tun - der Vereinbarung von Tarifaußenseiterklauseln _353. Das Prinzip des venire contra factum proprium ist aber nur ein Sonderfall des allgemeineren Prinzips der Vertrauenshaftung 354 . Danach sind Dispositionen schutzwürdig, die im Vertrauen darauf getätigt werden, ein von einem Dritten zurechenbar gesetzter Rechtsschein werde sich als beständig erweisen355 . So könnte auch hier eine Vertrauenshaftung der Gewerkschaften gegenüber nicht organisierten, zum Streik aufgeforderten Arbeitnehmern dazu führen, daß sie zum Abschluß von Tarifaußenseiterklauseln verpflichtet sind. Dafür wäre erforderlich, daß bei den Außenseitern durch den vorangegangenen Streikaufruf ein Vertrauen auf die Vereinbarung von Tarifaußenseiterklauseln geweckt werden würde, und sie daraufhin mitstreiken, so daß ein gegenteiliges Verhalten der Gewerkschaften treuwidrig wäre. Dieses Vertrauen müßte schutzwürdig sein, und die Vereinbarung der Tarifaußenseiterklauseln zur Vermeidung eines Vertrauensschadens notwendig sein. Für Gleichstellungsklauseln sind diese Erfordernisse nicht erfüllt: Die Gewerkschaften rufen zwar häufig auch die nicht organisierten Arbeitnehmer ausdrücklich zum Streik auf, teilweise unterstützt durch Streikposten. Sie vereinbaren aber so gut wie nie Gleichstellungsklauseln356 . Aufgrund dieser Praxis kann ein Streikaufruf nach dem Empfängerhorizont des mitstreikenden Nichtorganisierten nicht da352 Palandt-Heinrichs, BGB, § 242, Rn 55 f.; Brox, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Rn 642. 353 Zu den beschränkten Folgen eines Verstoßes gegen das Verbot des venire conta factum proprium: MünchKomm-Roth, BGB, § 242 Rn 322; Palandt-Heinrichs, BGB, § 242, Rn 41. 354 Vgl. grundlegend dazu Canaris, Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, S. 287 ff. 355 Zu den Voraussetzungen der allgemeinen Vertrauenshaftung (Vertrauenstatbestand / guter Glaube / Zurechenbarkeit der Rechtscheinsverursachung / Schutzwürdigkeit des Vertrauens/Dispositionen des Vertrauenden): Canaris, Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, S. 491 ff. 356 Übereinstimmende Äußerung sämtlicher befragter Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Das Bestreben der Gewerkschaften geht in der Regel eher auf Vereinbarung von Differenzierungsklauseln. Dies zeigt sich auch an dem jüngsten Vorstoß der ÖTV-Hamburg, die dieses (scheinbar?) ausdiskutierte Thema wieder in die Tagesnachrichten brachte (V gl. FAZ v. 3. 1. 95, S. 9).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
hin ausgelegt werden, man wolle gleichzeitig seine umfassende Gleichbehandlung in den Tarifvertrag mit aufnehmen. Außenseiter schließen sich dem Streik vielmehr entweder aus dem Gefühl heraus an, den organisierten Kollegen nicht in den Rücken fallen zu wollen, oder aus der zumeist zutreffenden Erwartung, der Arbeitgeber werde von sich aus auch ihnen Tarifbedingungen gewähren. Schon aufgrund des im Regelfall fehlenden Vertrauens kann eine Verpflichtung zur Vereinbarung von Gleichstellungsklauseln nicht aus den Grundsätzen der Vertrauenshaftung hergeleitet werden. Anders im bezug auf Maßregelungsverbote, wenn eine Gewerkschaft schon vorher Maßregelungsverbote vereinbart hat, die auch auf Außenseiter angewandt wurden. Denn dann kann der mitstreikende Außenseiter darauf vertrauen, die Gewerkschaft werde ihn auch diesmal in seiner Kampfbeteiligung durch die Vereinbarung eines Maßregelungsverbots schützen. Dies Konstellation dürlte der Regelfall in der heutigen Tarifpraxis sein: Zwar gibt es so gut wie keine ausdrücklich Außenseiter einbeziehende Maßregelungsverbote. Einem vereinbarten Maßregelungsverbot ist in der Regel aber eine konkludente Begünstigung der mitstreikenden Außenseiter durch Auslegung zu entnehmen 357 . Richterliche Feststellungen dazu fehlen zwar, und auch die immer wieder festzustellende Tendenz der Gewerkschaften, nur ihre Mitglieder zu begünstigen358 , steht dieser Auslegung eher entgegen. Entscheidend ist aber, daß Maßregelungsverbote vom Arbeitgeber, werden sie denn nun einmal vereinbart, in der Praxis einheitlich auf alle Arbeitnehmer angewandt werden. Dies erklärt das Fehlen von Prozessen, die die personelle Reichweite des Maßregelungsverbots zum Gegenstand haben. In der Regel bereits früher durch ein Maßregelungsverbot begünstigt, kann der Außenseiter darauf vertrauen, bei Streikteilnahme weiterhin durch ein solches Verbot geschützt zu werden. Dieses Vertrauen ist schutzwürdig, entspricht doch der Gedanke, daß der, der im Interesse eines anderen Dispositionen tätigt, dadurch keine Nachteile erleiden soll, und der Begünstigte den entstehenden Schaden abwenden bzw. ersetzen muß, einem allgemeinen Rechtsprinzip, wie es sich z. B. in den Regeln des Auftrags und der Geschäftsführung ohne Auftrag niedergeschlagen hat. Schließlich - als letzte der zu erlüllenden Voraussetzungen - entspräche die Einbeziehung der Außenseiter in ein Maßregelungsverbot einer Haftung auf den Vertrauensschaden des streikenden Nichtorganisierten, da er durch die Vereinbarung eines solchen Verbots in den rechtlichen Konsequenzen in bezug auf die Gewerkschaft so gestellt werden würde, als hätte er die Disposition der Streikbeteiligung im Vertrauen auf einen solchen Schutz nicht getätige 59 •
357
328.
So auch Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 562; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn
358 Ersichtlich z. B. an derem Drängen auf Differenzierungsklauseln oder deren satzungsmäßige Beschränkung von Streikunterstützung auf Mitglieder. 359 Daß Vertrauenshaftung aber nicht notwendig auf das negative Interesse beschränkt ist vgl. Canaris, Vertrauenshaftung im Deutschen Privatrecht, S. 5 ff.
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Aufgrund des Prinzips der Vertrauenshaftung kann es also zu einer Verpflichtung der streikaufrufenden Gewerkschaft hinsichtlich eines Maßregelungsverbots kommen. Es besteht aber auch in diesem Fall keine Pflicht zur Vereinbarung eines Maßregelungsverbots. Denn einen bestimmten Inhalt des Tarifvertrages kann die Gewerkschaft alleine gar nicht gewährleisten, da dieser Inhalt auch von der anderen Tarifvertragspartei, also dem Arbeitgeber(verband) abhängt. Die Gewerkschaft ist daher aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes lediglich verpflichtet, auf den Abschluß eines Maßregelungsverbots hinzuwirken und, wenn es zur Vereinbarung kommt, auch die nicht in ihr organisierten Arbeitnehmer in dieses Verbot mit einzubeziehen. Ergebnis: Der Begründungsansatz Säckers kann nicht überzeugen. Wenn man statt auf das Verbot eines venire contra factum proprium auf das allgemeinere Prinzip der Vertrauenshaftung zurückgreift, kann damit unter bestimmten Umständen eine Verpflichtung der Gewerkschaft zur Einbeziehung von Nichtorganisierten in ein abzuschließendes Maßregelungsverbot begründet werden, nicht jedoch eine umfassende Gleichstellungsklausel. (c) Verpflichtung aus der Grundrechtsbindung der TariJvertragsparteien
Bisher nicht erörtert, aber ebenfalls zu erwägen ist die Frage, ob die Pflicht zur Aufnahme solcher Klauseln aus der Grundrechtsbindung der Tarifverträge herleitbar sein könnte, ob also eine fehlende Einbeziehung aller oder auch nur der mitstreikenden Außenseiter in die tarifvertraglichen Regelungen eine gemäß Art. 3 I GG unzulässige gleichheitswidrige Differenzierung seitens der Tarifvertragsparteien darstellen würde. Die allgemeine Meinung bejaht eine Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien. Die ganz herrschende Meinung und insbesondere die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht dabei von einer unmittelbaren Grundrechtsbindung in dem Sinne aus, daß die Grundrechte den Tarifvertragsparteien ähnlich wie dem Staat als Abwehrrechte gegen beeinträchtigendes Handeln entgegengehalten werden können 360. Eine in der neueren Diskussion stärker werdende Mindermeinung geht von einer lediglich mittelbaren Grundrechtsbindung im Sinne einer Drittwirkung der Grundrechte über die konkretisierungsbedürftigen Allgemeinklausein des positiven Rechts aus 361 . Im einzelnen ist vieles unklar, verschiedene 360 BAG v. 15. 1. 55 AP Nr. 4 zu Art. 3 GG, BAG v. 15. 1. 64 AP Nr. 87 zu Art. 3 GG; BAG AP v. 8. 2. 56 Nr. 11 zu Art. 3 GG; Söllner, Arbeitsrecht, S. 33; Löwisch, Arbeitsrecht, Rn 139; Schaub, Handb-ArbeitsR, S. 1488; Gamillscheg, Die Grundrechte, S. 103; Reuter, ZfA 78,1 (35 f.). 361 Canaris, AcP 84 (1984), 201 (243ff.); Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 93; Richardi, in: MünchHandbArbeitsR, § 10 Rnm. 22,23; Scholz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 9 GG, Rn 357; Dürig, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 1 III GG Rn 115 ff.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Ansätze verbinden diese beiden Positionen. Ein wesentlicher praktischer Unterschied zwischen den verschiedenen Auffassungen besteht nicht362 . Hergeleitet wird die Grundrechtsbindung teilweise aus dem Normencharakter der Tarifregelungen i. Y.m. Art I III GG 363 , teilweise aus der Tatsache, daß es sich bei der tariflichen Rechtsetzungsmacht um eine Delegation staatlicher, grundrechtsgebundener Rechtsetzungsmacht handelt, die folglich ebenfalls grundrechtsgebunden sein müsse 364 . Teilweise wird auch auf die Tatsache verwiesen, daß mit den Tarifvertragsparteien dem Bürger eine dem Staat vergleichbare soziale Macht gegenübersteht, vor der er in einer vergleichbaren Weise geschützt werden muß 365 . Entsprechend diesen Begründungsansätzen ist nur von einer Grundrechtsbindung der Koalitionen bei der tarifvertraglichen Normensetzung auszugehen, denn auf den Normencharakter und die Normunterworfenheit stellt jede der Herleitungen ab 366 . Bei Tarifaußenseiterklauseln würde es sich jedoch um Bestandteile des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrags handeln. Schon dies spricht gegen eine Herleitung einer Pflicht zum Abschluß von Tarifaußenseiterklauseln aus der Bindung der Tarifverträge an die Grundrechte. Es braucht daher nicht erörtert zu werden, ob auch bei einer zu unterstellenden Grundrechtsgebundenheit des schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrags ein Verstoß gegen Art. 3 I GG zu verneinen wäre. Aber selbst wenn man sie unterstellen wollte: folgt man dem Bundesarbeitsgericht darin, die verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit beinhalte, daß die Tarifvertragsparteien in freier Selbstbestimmung darüber entscheiden können, ob und für welche Arbeitnehmergruppen sie tarifliche Regelungen treffen wollen, wäre es auch zulässig, bei den schuldrechtlichen Tarifvertragsbestandteilen bestimmte Arbeitnehmergruppen (Nichtorganisierte) aus den Begünstigungen und Regelungen herauszunehmen, ohne daß eine Verletzung des Gleichheitsgebots aus Art. 3 I GG anzunehmen wäre, seine Anwendbarkeit einmal unterstellt 367 . Es verstößt daher nicht gegen die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien, keine Außenseiterklauseln zu vereinbaren, selbst wenn man annehmen wollte, diese erstrecke sich auch auf den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrags. 362 Vgl. Löwisch/Rieble, TVG, § I Rn 156 und Waltermann, RdA 1990, 138, die daher die Frage der dogmatischen Herleitung offen lassen. 363 SO Z. B. BAG v. 15. I. 55 AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; Gamillscheg, Die Grundrechte, S. lO3; Wiedema",,/Stumpf, TVG, Einl Rn 57. 364 "Nemo plus iuris... "; so z. B. BAG v. 15. 1. 55 AP Ne. 4 zu Art. 3 GG; Schaub, Handb-ArbeitsR, S. 1488. 365 SO Z. B. Gamillscheg, Die Grundrechte, S. 103; Reuter, ZfA 78,1 (35); Rieble, ZTR 93,54 (59). 366 Vgl. auch ausdrücklich Säcker/Oetker, Grundlagen und Grenzen der Tarifautonomie, S. 249; Löwisch/ Rieble, TVG, § I Rn 157,301. 367 BAG v. 24. 4. 85 AP Nr. 4 zu § 3 BAT. Zur Kritik am Urteil vgl. einerseits Bauschke, Anmerk. I zu BAG v. 24.4. 85 AP Nr. 4 zu § 3 BAT -zustimmend-, andererseits Wiedemann/ Lemke, Anmerk. II zu BAG v. 24.4. 85 AP Nr. 4 zu § 3 BAT - eher ablehnend -.
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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(d) Ergebnis
Eine Verpflichtung zum Abschluß von Tarifaußenseiterklauseln, aufgrund derer auch die nicht organisierten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Behandlung nach den tariflichen Bedingungen haben, ist somit nicht anzunehmen, weder in bezug auf die am Arbeitskampf beteiligten, noch auf die nicht am Arbeitskampf beteiligten. Dies ergibt sich nicht nur aus den Einwänden gegen die verschiedenen Herleitungen einer solchen Pflicht; auch das Ergebnis erschiene verfehlt: Selbst in der Weimarer Zeit, wo Gleichstellungsklause1n allgemein üblich waren, wurde eine Verpflichtung der Tarifvertragsparteien zu deren Abschluß allgemein verneint368 . Eine Verpflichtung anzunehmen in Zeiten, in denen sie gar nicht mehr vereinbart werden und zudem aufgrund eines geänderten Kündigungsschutzrechts der Grund für die damalige allgemeine Praxis inzwischen weggefallen ist, mutet demgegenüber seltsam an 369 . Auch käme man dadurch zu einer neuen Form der "negativen" Rechtskontrolle von Tarifverträgen: Es müßte nicht nur überprüft werden, ob ein Tarifvertrag unzulässige Regelungen enthält, sondern auch, ob er gebotene Regelungen nicht enthält. Ob eine solche Verstärkung der Kontrolle des Tarifvertrags durch die Gerichte aber im Einklang stehen würde zu dem immer wieder auch vom Bundesarbeitsgericht betonten Gedanken einer tendenziellen Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags für einen angemessenen Ausgleich zwischen Arbeitgeberund Arbeitnehmerinteressen, erscheint zumindest fraglich 37o • Anderes gilt es aber für die Vereinbarung eines Maßregelungsverbots: Wird es vereinbart, muß es sich auch auf Außenseiter beziehen, wenn die Gewerkschaft ein Vertrauen bei den mitstreikenden Außenseitern geweckt hat, auch sie würden durch ein Maßregelungsverbot begünstigt, etwa dadurch, daß nach vorangegangenen Arbeitskämpfen stets ein solches Verbot vereinbart und auch auf Nichtorganisierte angewandt wurde. Weitergehende Pflichten der Gewerkschaften zur Begünstigung von Außenseitern aus einem Tarifvertrag bestehen nicht. c) Anspruch aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
Das Bundesarbeitsgericht und der ganz herrschende Teil des Schrifttums erkennen zwar den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz an, gehen daber davon aus, daß der Arbeitgeber durch dieses Verbot einer sachwidrigen Differenzierung zwischen einzelnen Arbeitnehmer(gruppe)n nicht zur Gleichbehandlung der organisierten und der nicht organisierten Arbeitnehmer bei tariflichen 368 Vgl. etwa Potthoff, Tarifbruch durch Verbandsmitglieder, Arbeitsrecht 1923, Sp. 193 (198). Im übrigen siehe dazu Abschn. B. V. 1. a). 369 Zu den Gründen, warum in der Weimarer Zeit regelmäßig Außenseiterklause!n vereinbart wurden vgl. Abschn. B.V.1. a). 370 Vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, Ein! Rn 127 ff. und die dortigen Nachweise.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Leistungen verpflichtet ist371 . Sie befinden sich dabei in Übereinstimmung mit der Schweizer Literatur und Rechtsprechung, die ebenfalls davon ausgehen, daß die gemäß Artt. 356,357 SchweizZGB auf Mitglieder der vertragsschließenden Gewerkschaft beschränkte Tarifwirkung nicht über den - grundsätzlich anerkannten Gleichbehandlungsgrundsatz auf alle Arbeitnehmer ausgedehnt werden darf372 • Auch hier ist es aber vor allem wieder Wiedemann, der eine gegenteilige Auffassung vertritt 373 . Da das Bundesverfassungsgericht es für unvereinbar mit Art. 3 I GG hielt, daß nach § 34a EstG a.F. die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags-, und Nachtarbeit davon abhängen sollte, ob sie auf Tarifvertrag oder einzelvertraglicher Bezugnahme beruhen, und da der Gesetzgeber bei Schaffung der Sperrwirkung der §§ 77 III, 87 lEinleitungssatz BetrVG unter gleichzeitiger Erweiterung der Mitbestimmung auch auf materielle Arbeitsbedingungen ersichtlich von der Gleichbehandlung organisierter wie nicht organisierter Arbeitnehmer ausgegangen sei, müsse die herrschende Meinung neu überdacht werden 374 . aa) Dogmatische Herleitung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruchs Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch ist weitgehend unbestritten in Literatur und Rechtsprechung, seine dogmatische Herleitung ist jedoch unsicher. Seinen Ursprung hat dieser Grundsatz in der Rechtsprechung der ausgehenden dreißiger Jahre, angefangen mit einem Urteil vom 19. I. 1938, wo das Reichsarbeitsgericht zum erstenmal eine aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers abgeleitete Verpflichtung annahm, zwischen einzelnen Arbeitnehmer(gruppe)n nicht willkürlich zu differenzieren 375 . Da diese Annahme nicht spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut enthält, blieb der Gleichbehandlungsanspruch auch nach Gründung der Bundesrepublik anerkannt und wurde vom ursprünglichen Anwen371 Zuerst BAG v. 20. 7. 60 AP Nr. 7 zu § 4 TVG; Hagemeier/ Kempen/Zachert/Zillius, TVG, § 3 Rn 88; Däubler, Tarifvertragsrecht, S. 191; GK-Kreutz, BetrVG, § 75 Rn 44; Reuter, JuS 93, 105 (107); siehe bereits Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 510; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht HI I, S. 479; Tophoven, RdA 53,246; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht (1958), S. 66. 372 Meyer, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im schweizerischen Arbeitsrecht, S. 275 f.; Weber, Das Gleichheitsprinzip im kollektiven Arbeitsrecht, S. 52. 313 Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 125; Wiedemann, RdA 69, 321 (333). Auf dessen Argumentation zustimmend Bezug nehmend BAG v. 31. 1. 79 DB 79, 1039 (1042). 374 Die Deregulierungskommission für Marktöffnung und Wettbewerb geht in ihrem Bericht zu Unrecht davon aus, diese Auffassung entspreche auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (Deregulierungskommission, Martöffnung und Wettbewerb - Bericht 90/91 -, S. 136: "Arbeitnehmer, die keiner Gewerkschaft angehören, dürfen nach der einschlägigen Rechtsprechung (... ) [Gleichbehandlungsgrundsatz] (... ) nicht unter den im Tarifvertrag festgelegten Löhnen und Arbeitsbedingungen beschäftigt werden."). 375 RAG v. 19. 1. 38 RAS 33, 172.
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dungsbereich der Gratifikationen und Sonderleistungen langsam auf alle Arbeitsbedingungen ausgedehnt 376 . Nun variierte jedoch die Herleitung dieser Pflicht. Teilweise wurde und wird unmittelbar Art. 3 I GG herangezogen, wonach der Arbeitgeber ebenso wie die öffentliche Gewalt verpflichtet sein soll, wesensmäßig Gleiches gleich zu regeln 377 . Weil diese Herleitung aber mit der Annahme einer zumindest teilweisen unmittelbaren Grundrechtsbindung im Arbeitsrecht verbunden ist, dies aber heute fast allgemein abgelehnt wird, stellen andere Begründungsansätze vor allem darauf ab, daß es sich bei dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz um eine Ausprägung der Verteilungsgerechtigkeit handle, die überall da gesichert werden müsse, wo ein Gemeinschaftsverhältnis besteht, das nach einheitlichen Grundsätzen behandelt wird 378 . Auch gibt es gedankliche Anlehnungen an § 315 I BGB, wonach die arbeitsrechtliche Gleichbehandlungspflicht als ein Unterfall der allgemeinen Billigkeits- und Inhaltskontrolle von arbeitsvertraglichen Einheitsrege1ungen gewertet wird 379 • Ein weiterer Ansatz, der sich insbesondere im neueren Schrifttum verstärkt durchgesetzt hat, sieht den Grund der Gleichbehandlungspflicht des Arbeitgebers im Vollzug einer selbstgesetzten Norm 380 . Danach sei die Gleichbehandlungspflicht verletzt, wenn der Arbeitgeber eine von ihm selbst aufgestellte Norm bei einem Arbeitnehmer nicht zur Anwendung bringt, nicht aber wenn er in einer Ungleichbehandlung fremde, nicht von ihm selber gesetzte Allgemeinregeln vollzieht. Maßgeblich ist also die Freiwilligkeit der Leistung und des darin liegenden Normenvollzugs 381 . Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist zumindest in neueren Entscheidungen keine Festlegung auf den einen oder anderen Herleitungsansatz zu entnehmen. Worin auch der Ursprung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gesehen werden mag, weitgehende Einigkeit besteht über seinen Inhalt und seine Voraussetzungen. Danach ist eine willkürliche SchlechtersteIlung einzelner Arbeitnehmer aus sachfremden Gründen gegenüber anderen in vergleichbarer Lage befindlichen Arbeitnehmern unzulässig 382 . Unterschiedliche Ergebnisse zwischen den verschiedenen Herleitungen im jeweils zu entscheidenden Einzelfall sind nur darin begründet, daß im einzelnen unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten werden, was eine Zu dieser Entwicklung vgl. HuecklNipperdey, Arbeitsrecht I, S. 425. Vgl. Hanaul Adomeit, Arbeitsrecht, S. 40. 378 Vgl. bereits G. Hueck, Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, S. 127ff., 169ff.; ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S.194. 379 Vgl. Söllner, Arbeitsrecht, § 31 III, S. 267. 380 Grundlegend Bötticher, RdA 53,161; vgl. heute Richardi, in: MünchHandbArbeitsR, § 14 Rn 7f.; LöwischlHetzel, Anmerk. zu BAG v. 31. 1. 79 SAE 80, S. 55; Löwisch, FS Müller, S. 301 (303). 381 LöwischlHetzel, Anmerk. zu BAG v. 31. 1. 79 SAE 80, S. 55; Löwisch, FS Müller, S.301 (303); Vgl. auch BAG v. 16.7.85 Nr. 32 zu § 112 BetrVG 72, BI. 5 R. 382 So auch die ständige Formulierung der Rechtsprechung: BAG v. 3. 4. 57 AP Nr. 4 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, BI. 1 R m.w.N. 376 377
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
willkürliche Schlechterstellung ist bzw. was als ein sachfremder Grund im Sinne dieser Formel zu werten ist.
bb) Sperrwirkung des § 3 I TVG Die ganz herrschende Meinung stützt den Ausschluß des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Gewährung tariflicher Leistungen vor allem auf § 3 I TVG. Danach sind nur die Mitglieder der Tarifvertragsparteien tarifgebunden. Aus dieser eindeutigen Regelung des Gesetzes folge auch, daß die fehlende Tarifgebundenheit nicht durch eine Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz überspielt werden dürfe 383 . Denn eine Differenzierung, die sich aus dem Gesetz selber ergibt, sei keine willkürliche Differenzierung, und nur die verbiete der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Wenn die durch das Gesetz vorgegebene Differenzierung selber willkürlich erscheint, weil nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt, könne dies nicht durch eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes korrigiert werden. Vielmehr sei in diesen Fällen das Gesetz wegen Verstoßes gegen Art. 3 I GG verfassungswidrig. Dies müsse aber durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden 384 . Die Herbeiführung einer Art Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages auf betrieblicher Ebene via Gleichbehandlungsgrundsatz vorbei an den Erfordernissen des § 5 TVG sei daher abzulehnen 385 . Dies ergebe sich auch aus koalitionspolitischen Erwägungen, weil auf längere Sicht die Annahme einer solchen Gleichbehandlungspflicht den Koalitionsbestand gefährden und daher im Widerspruch zu Art. 9 III GG stehen würde 386 • Diese Argumentation steht und fällt mit der Richtigkeit der Annahme, der Zweck des § 3 I TVG verbiete eine Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Daß dies aber unzutreffend ist, läßt sich recht einleuchtend begründen. Der Zweck der personellen Begrenzung der Normsetzungsbefugnis auf die Mitglieder der Tarifvertragsparteien gemäß § 3 I TVG besteht im Schutz des Außenseiters und dessen negativer Koalitionsfreiheit. Wie die Koalitionen gemäß Art. 9 III GG freiwillig zu gründen sind, ist auch die Unterworfenheit unter die Normen des Tarifvertrags freiwillig, wo nicht die Verwirklichung der positiven Koalitionsfreiheit eine Erstreckung der normativen Wirkung des Tarifvertrages auf alle Ar383 Vgl. nur BAG v. 20. 7. 60 Nr. 7 zu § 4 TVG; BAG v. 4. 5. 56 Nr. 10 zu Art. 3 GG, BI. 3; Hueck/ Nipperdey, Arbeitsrecht II 11, S. 479; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn 329; GKKreutz, BetrVG, § 75 Rn 44; Reuter, JuS 93, 105 (107); Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 510. 384 Reuter, JuS 93, 105 (107); Löwisch, FS Müller, S. 301 (304). 385 Reuter, JuS 93, 105 (107); GK-Kreutz, BetrVG, § 75 Rn 44; Dietz/ Richardi, BetrVG, § 75 Rn 29. 386 GK-Kreutz, BetrVG, § 75 Rn 44; vgl. bereits die Bedenken bei Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II 11, 480.
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beitnehmer zwingend gebietet, wie dies bei § 3 11 TVG der Fall ist387 . Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aber führt nicht zur Erstreckung der normativen Wirkung des Tarifvertrags auf Außenseiter und wäre daher keine Umgehung oder Korrektur des § 3 I, 11 TVG. Die Tatsache, daß grundsätzlich nur Mitglieder der Tarifvertragsparteien normunterworfen sind, hat nichts damit zu tun, ob auf individualvertraglicher Ebene der Arbeitgeber aus dem Gedanken einer Verteilungsgerechtigkeit heraus verpflichtet sein kann, seine Arbeitnehmer nach gleichen Maßstäben zu behandeln - mit anderen Worten: die Verwirklichung der Verteilungsgerechtigkeit durch grundsätzlich einheitliche Behandlung in der betrieblichen Gemeinschaft steht in keiner Beziehung zur Frage der Normerstreckung eines Tarifvertrags und der damit einhergehenden Beeinträchtigung von positiver und negativer Koalitionsfreiheit. Daher sind beide Aspekte nebeneinander anwendbar und daher sagt die Beschränkung der Tarifwirkung gemäß § 3 I TVG - kollektivvertragliche Ebene - nichts darüber aus, ob der Arbeitgeber aus der Gleichbehandlungspflicht auch andere Arbeitnehmer nach Tarif behandeln muß - individualvertragliche Ebene. Die Sinnhaftigkeit des ersten Rechtsprinzips wird durch Anwendung des zweiten nicht in Frage gestellt. Dies steht auch nicht im Widerspruch zu der Herleitung der Gleichbehandlungspflicht aus dem Vollzug selbstgesetzter Normen, wonach dieser Grundsatz nur bei "freiwilligen" Leistungen des Arbeitgebers zur Anwendung komme 88 . Ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verdeutlicht dies. Es hatte zu entscheiden, ob die Tatsache, daß der Gesetzgeber einen Anspruch nur bestimmten Arbeitnehmergruppen zuweist, die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ausschließt. Es stellte damals zu Recht fest, daß aus dem Ausschluß der leitenden Angestellten aus dem Sozialplan folgt, daß diese im Falle eines durch eine Betriebsänderung bedingten Verlusts ihres Arbeitsplatzes keinen vom Arbeitgeber und Betriebsrat zu vereinbarenden Ausgleich ihrer wirtschaftlichen Nachteile erhalten sollen, auch nicht über den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn der Arbeitgeber "erbringt (... ) keine freiwillige Leistung", sondern "erfüllt vielmehr ein gesetzliches Gebot,,389. In der gegenteilig entschiedenen Vorgängerentscheidung begründete das Gericht seine abweichende Meinung noch mit einem zustimmenden Verweis auf die oben dargestellten Überlegungen Wiedemanns zu der hier diskutierten Problematik39o . Diese Entscheidung war unzutreffend, wie auch die damalige Bezugnahme auf Wiedemann unzutreffend war. Zwischen beiden Sachverhalten besteht ein - in diesem Zusammenhang: entscheidender - Unterschied. Denn der Arbeitgeber schafft durch das betriebliche Entlohnungssystem eine einheitlich zu betrachtende Entgeltordnung, die auf indi387 Zu diesem Zusammenhang siehe Abschn. B. III. 2. a); vgl. auch Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 69. 388 Vgl. Abschn. B. Fn 380 und 381. 389 BAG v. 16. 7. 85 AP Nr. 32 zu § 112 BetrVG 72, BI. 5 R unter Aufgabe BAG v. 31. 1. 79 AP Nr. 8 zu § 112 BetrVG 72. 390 BAG v. 31. 1. 79 AP Nr. 8 zu § 112 BetrVG 72, BI. 6 V.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
vidualvertraglicher Ebene insgesamt freiwillig erfolgt, auch wenn sie teilweise gleichzeitig den Vollzug einer kollektivvertraglichen Norm darstellt. Dies muß ausreichen zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, denn die begünstigenden Normen des Tarifvertrages enthalten regelmäßig nicht gleichzeitig die Aussage, andere Arbeitnehmer sollten diese Begünstigung nicht erhalten. Ein solches Gebot würde schon am Verbot von Differenzierungsklauseln scheitern. Lediglich in Fällen, wo der Gesetzgeber einen Anspruch einem bestimmten Personenkreis zuweist, den Arbeitgeber also zu "unfreiwilligen" Zahlungen verpflichtet, manifestiert er dadurch seinen Willen, andere Arbeitnehmer sollten oder bräuchten diese Begünstigung nicht zu erhalten. Eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sich dann 391 . Dies ist der zutreffende Kern des Freiwilligkeitserfordernisses, und nur in diesem Sinne ist es richtig zu sagen, der Gleichbehandlungsgrundsatz erstrecke sich nur auf "freiwillige" Zahlungen. Entscheidend muß immer der Zweck der partiell anspruchbegründenden Norm einerseits und des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes anderseits sein392 . Weil der Gesetzgeber in § 3 I TVG nicht einen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber normiert, sondern nur die Grenzen der tarifvertraglichen Normensetzung bestimmt, steht diese Norm einer Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes also nicht entgegen. Für eine individualvertragliche Differenzierung zwischen organisiertem und nicht organisiertem Arbeitnehmer auch bei tariflichen Leistungen bedarf es anderer Rechtfertigungsgründe als des bloßen Hinweises auf die Grenzen der kollektivvertraglichen Normsetzungsbefugnis. Allein daran anzuknüpfen muß auf individual vertraglicher Ebene willkürlich erscheinen, weil hier die Begrenzung der Normsetzungsbefugnis und der darin zum Ausdruck kommende Außenseiterschutz, der auf kollektivvertraglicher Ebene die Begrenzung der Tarifwirkung rechtfertigt und u.U. sogar gebietet, nicht zur Begründung dienen kann. Dies heißt aber nicht, daß nicht andere Differenzierungsgründe bestehen können, die auch auf individualvertraglicher Ebene eine Differenzierung nach organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern rechtfertigen. cc) Sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung Es ist allgemeine Meinung, daß ein Arbeitgeber bei der Behandlung seiner Arbeitnehmer grundsätzlich, d. h. abgesehen von dem hier erörterten Problem der Be391 Daher hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht § I HausArbeitsTagG NW, der einen Hausarbeitstag nur für weibliche alleinerziehende Arbeitnehmer für verfassungswidrig erklärt, nicht aber die Begünstigung über den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf männliche Alleinerziehende ausgedehnt (BVerfG v. 11. 11. 79 AP Nr. 28 zu § I HausarbeitstagG NW). 392 So auch zutreffend Hanau, RdA 79, 324 (330 f.), der aber für das Verhältnis von §§ 5, III ff. BetrVG und Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Begünstigung leitender Angestellter zu einern abweichenden Ergebnis kommt.
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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handlung nach Tarif, nicht zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern unterscheiden darf393 . Wenn aber allein der Hinweis der herrschenden Meinung auf die Grenzen der tarifvertraglichen Normensetzungsbefugnis nicht ausreicht zur Verneinung eines Anspruchs der nicht organisierten Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt, dann fragt es sich, ob doch andere Gründe eine Differenzierung zwischen organisiertem und nicht organisiertem Arbeitnehmer bei der Entlohnung nach Tarif rechtfertigen können, so daß zumindest im Ergebnis der herrschenden Meinung zuzustimmen wäre. Der Arbeitgeber ist durch den Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet, gleiche Tatbestände gleich zu regeln. Wer also die gleichen lohnbestimmenden Faktoren erfüllt, muß auch gleich entlohnt werden. Der Tariflohn wird aber nicht allein durch den Wert und Nutzen der vom einzelnen Arbeitnehmer geleisteten Arbeit für den Unternehmer bestimmt. Würde nur der einzelne Arbeitnehmer um seinen Lohn verhandeln, würde er - so jedenfalls der Gedanke, aus dem das Kollektivvertragssystem entstanden ist - einen geringeren Lohn erhalten für seine Arbeit, als wenn er sich dazu der Gewerkschaft bedient394 . Daß der organisierte Arbeitnehmer Tariflohn erhält, ist also Ergebnis seiner Arbeit und der Verhandlungsmacht und -taktik der ihn vertretenden Gewerkschaft. Die Gewerkschaft nun wird vom organisierten Arbeitnehmer unterstützt, wenigstens durch Leistung des Mitgliedsbeitrags. Zumindest aber der nicht in einen Arbeitskampf involvierte, nicht organisierte Arbeitnehmer unterstützt die Gewerkschaft nicht. Er leistet also die Arbeit, nicht jedoch einen Beitrag zur Tätigkeit und Verhandlungsstärke der Gewerkschaft, die ebenfalls Voraussetzung für die Festlegung und Gewährung des Tariflohns ist. Damit besteht eine ungleiche Sachlage, die ungleich behandelt werden kann. Die Zulässigkeit dieses Differenzierungskriteriums - nicht Mitgliedschaft in der Gewerkschaft, sondern Mitbewirkung des Tarifvertrags als Grund dafür, an ihm zu partizipieren 395- bestätigt sich in einem Blick auf Art. 9 III GG: Würde man den nicht organisierten Arbeitnehmern über den Gleichbehandlungsgrundsatz ein Recht auf Tariflohn einräumen, würde ein Anreiz für den Beitritt zu einer Gewerkschaft wegfallen. Dies könnte langfristig zu einem Mitgliederschwund der Gewerkschaften führen und damit deren und des jetzigen Tarifvertragssystems Schwächung bewirken. Ob dann noch die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags gewährleistet wäre, erschiene zumindest fraglich. Zumindest erscheinen die im Schrifttum vorgebrachten organisations politischen Bedenken widerlegungsbedürftig 396 . Dies ist bis jetzt nicht geschehen 397 . Vgl. statt aller GK-Kreutz, BetrVG, § 75, Rn 42 m.w.N. V gl. zu diesem Gedanken als dem Motor und Ursprung der Gewerkschaftsentwicklung die ausführliche Darstellung Wiedemann/Stumpf, TVG, Einl. Rn 1 ff. 395 Siehe auch die argumentativen Ansätze bei Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht lI/I, S.480. 396 Zu diesen Bedenken vgl. GK-Kreutz, BetrVG, § 75, Rn 44; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, § 3 Rn 89. 393
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
An der Zu lässigkeit dieses Differenzierungsgrundes ändert sich auch nichts bei Einbeziehung der Überlegungen Wiedemanns: Daß das Bundesverfassungsgericht wohl zu Recht festgestellt hat, daß es bei der Frage der Besteuerung nicht entscheidend sein kann, ob ein Nachtarbeitszuschlag aufgrund Tarifvertrag oder individualvertraglicher Bezugnahme auf einen Tarifvertrag gewährt wird, sagt nichts darüber aus, ob diese Zuschläge auch dem Nichtorganisierten gewährt werden müssen. Das eine betrifft die Frage der Pflicht zur Gleichbehandlung durch den Arbeitgeber, das andere die Frage, ob der durch den Arbeitgeber gleichbehandelte Arbeitnehmer auch durch den Staat gleichbehandelt werden muß. Die dem zugrundeliegenden unterschiedlichen Beziehungsebenen Arbeitnehmer-Arbeitgeber und Arbeitnehmer-Staat erlauben keine weitergehenden Schlüsse398 . Gewichtiger ist der Hinweis Wiedemanns, der Gesetzgeber sei bei Schaffung materieller Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats unter gleichzeitiger Errichtung der Sperre des §§ 77 III, 87 IEinleitungssatz BetrVG von der Gleichbehandlung organisierter wie nicht organisierter Mitglieder ausgegangen. Dies dürfte zutreffen, ist doch kaum verständlich, warum der Gesetzgeber auch dem Außenseiter den kollektivrechtlichen Schutz von Betriebsvereinbarungen vorenthält, wenn er nicht davon ausgeht, daß der Außenseiter in diesem Bereich zumindest faktisch vom kollektivrechtlichen Schutz der Tarifverträge partizipiert. Der Gesetzgeber ging dabei in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtsprechung und allgemeinen Meinung jedoch nur von einer faktischen Gleichbehandlung aus, wollte durch Neuschaffung des BetrVG aber keine rechtliche begründen. Solange er Gegenteiliges nicht eindeutig zum Ausdruck bringt, darf dies nicht unterstellt werden. Die Tatsache, daß damit der Außenseiter bei den durch Tarifvertag geregelten Fragen u.U. ohne jeglichen kollektivrechtlichen Schutz ist, mag man als Argument gegen die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts und der hersehenden Lehre verwenden, die Sperrwirkung des § 87 IEinleitungssatz BetrVG greife schon, wenn nur der Arbeitgeber, nicht aber notwendigerweise alle seine Arbeitnehmer tarifgebunden sind399 ; eine Korrektur der §§ 77 III, 87 IEinleitungssatz BetrVG über den Gleichbehandlungsgrundsatz scheidet jedoch aus. Schließlich wird der Argumentation Wiedemanns hier deshalb nicht gefolgt, weil sie im Widerspruch zu dessen sonstiger Konzeption des Tarifvertragswesens steht. Wenn er davon ausgeht, daß gemäß dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nur ein Lohnniveau in einem Betrieb bestehen dürfe, nämlich das des Tarifvertrages, so muß er als logische Folge auch von der Unanwendbarkeit zweier Tarifverträge in einem Betrieb auch bei Nicht-Betriebsnormen ausge397 Vgl. aber die Ausführungen unter Abschn. A. H. 1., wo ein Blick auf die Statistik die Bedeutung dieses Aspekts gewerkschaftlicher Mitgliedschaft für den Organisationgrad zwar relati viert, nicht aber grundSätzlich in Frage stellt. 398 Vgl. auch die z.T. ähnlich gelagerten Einwände bei Löwisch, FS Müller, S. 301 (303 f.) und Konzen, FS Müller, S. 245 (258 f.). 399 So in der Tat z. B. Löwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 238 Rn 55.
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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hen. Genau dies tut Wiedemann jedoch nicht, und - wie oben bereits ausgeführtaus gutem Grunde 400 • Tarifpluralität ist zulässig und braucht nicht wie Tarifkonkurrenz in dem Sinne aufgelöst zu werden, daß einzig der speziellere Tarifvertrag Geltung beanspruchen kann. Denn der Gesetzgeber geht zwar nicht von der Anwendbarkeit zweier Tarifverträge auf ein Arbeitsverhältnis, wohl aber auf einen Betrieb aus, ein entgegenstehendes zwingendes rechtliches Prinzip der Tarifeinheit gibt es nicht, denn: "Ein solcher Grundsatz wäre mit dem Koalitionspluralismus gemäß Art. 9 III GG unvereinbar,,40I. Diesen Widerspruch in der Begründung einer betriebseinheitlichen Entgeltpflicht und der Anwendbarkeit zweier Lohntarifverträge in einem Betrieb löst Wiedemann nicht auf. Da aber auch die Lösungsansätze, die zu diesem Problem in der Weimarer Zeit bei einer gegenteiligen herrschenden Meinung entwickelt wurden402 , nicht überzeugen, führt auch dies zu dem Schluß, daß eine Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags auf betrieblicher Ebene via Gleichbehandlungsgrundsatz abzulehnen ist. Ergebnis: Der Arbeitgeber ist nicht zur Gleichbehandlung von organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmern bei tariflichen Leistungen verpflichtet. Zulässiger Differenzierungsgrund bei der Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist zwar nicht die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der herrschenden Lehre auch nicht die personellen Grenzen der kollektivvertraglichen Normsetzungsbefugnis, sondern die Mitbewirkung des Tarifvertrags als Grund dafür, an ihm zu partizipieren. (a) Ausschluß streikender Außenseiter aus den tariflichen Begünstigungen? Es fragt sich, ob dadurch auch der Ausschluß desjenigen nicht organisierten Arbeitnehmers rechtfertigt ist, der in vollem Umfange einem gewerkschaftlichen Streikaufruf gefolgt ist. Dies ist - um das Ergebnis vorwegzunehmen - zu verneinen. Der Außenseiter, der dem gewerkschaftlichen Streikaufruf folgt und sich durch Arbeitsniederlegung am Arbeitskampf beteiligt, tut dies, um die Gewerkschaften in der Tarifauseinandersetzung zu stärken. Er unterstützt sie und wirkt damit am Zustandekommen des Tarifvertrags mit. Seine Unterstützung der Gewerkschaft ist vielleicht als noch gewichtiger zu werten als die der Mitglieder, da der Außenseiter ja keine Streikunterstützung erhält, die dem organisierten Arbeitnehmer die Teil400 Vgl. WiedemannlStumpf, TVG, § 4 Rn 152ff. (insb. 164). Vgl. im übrigen zu dieser Problematik Abschn. B 11 2 m.w.N. 401 WiedemannlStumpf, TVG, § 4 Rn 164; siehe auch Wiedemannl Amold, ZTR 1994, S. 399-410 und 443-448. 402 Zur Tatsache, daß es üblich war, auch Außenseiter in die Begünstigungen des Tarifvertrags mit einzubeziehen vgl. Abschn. B Via. Zu den Lösungsansätzen vgl. A. Hueck, Das Recht des Tarifvertrages, S. 148; Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag 11, S. 17.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
nahme erleichtert 403 . Entscheidend für die Bejahung eines Anspruchs des mitstreikenden Außenseiters auf Behandlung nach Tarif aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ist somit, ob dessen Unterstützung mit der Unterstützung zumindest des nicht streikenden Organisierten gleichzusetzen ist, der ja auch nach Tarif zu beschäftigen ist. Der Europäische Gerichtshof nimmt dies an, und zwar zurecht: Im Fall Schmidt & Dahlsträm verneint er eine Verletzung des Diskriminierungsverbots, die nach Auffassung der Beschwerdeführer darin bestanden hatte, daß ihnen - als Mitglieder zweier streikender Gewerkschaften, die selbst nicht gestreikt hatten - in dem neu ausgehandelten Tarifvertrag die Rückwirkung der Lohnerhöhung verweigert worden war, während nicht organisierte Arbeitnehmer, die nicht gestreikt hatten, in den Genuß der Rückwirkung kamen. Die Gleichstellung auch von streikenden Nichtmitgliedern und nicht streikenden Gewerkschaftsmitgliedern war deshalb gerechtfertigt, weil erstere den Kampf der Gewerkschaft durch ihre Teilnahme, letztere - auch wenn sie ihre Arbeit fortsetzen -, finanziell und psychologisch unterstützten404 . Die Gleichstellung dieser Unterstützung und damit die Bejahung einer Anspruchsberechtigung für mitstreikende Außenseiter steht auch nicht im Widerspruch zur Koalitionsbestandsgarantie des Art. 9 III GG: Der Außenseiter kann einen Rechtsanspruch auf Behandlung nach Tarif nur dadurch erwerben, daß er mitstreikt, erhält in diesem Fall aber keine gewerkschaftliche Streikunterstützung. Es verbliebe also immer noch ein Anreiz, in die Gewerkschaft einzutreten, da es im Regelfall für ihn mit geringeren finanziellen Opfern verbunden ist, in die Gewerkschaft einzutreten, als einen Arbeitskampf ohne finanzielle Unterstützung durchzustehen. Auch könnte die Gewerkschaft, indem sie den Streikaufruf nur an ihre Mitglieder richtet, eine Anspruchsbegründung des Außenseiters durch Streikteilnahme verhindern. Denn dann zeigte sie, daß sie für das Zustandekommen des Tarifvertrages und das Erreichen ihres Verhandlungsziel der Teilnahme von Außenseitern nicht bedarf, eine solche "aufgedrängte" Unterstützung wäre überflüssig und daher nicht als Mitbewirkung des Tarifvertrags zu berücksichtigen - zudem müßte der Außenseiter in diesem Falle vor der Streikteilnahme sein Arbeitsverhältnis kündigen, da der Streikaufruf ja nur die Arbeitspflicht derjenigen Arbeitnehmer suspendiert, an die er gerichtet ist. Schließlich besteht hier auch nicht das oben angesprochene Problem der rechtlichen Vereinbarkeit zweier verschiedener Tarifverträge in einem Betrieb: Die Tatsache, daß auch streikende Außenseiter am Ende eines Arbeitskampfs vom Tarifvertrag. profitieren, beinhaltet nicht das Postulat eines notwendig betriebseinheitlichen Lohnniveaus. Ergebnis: Da also bei der Gewährung von Tarifleistungen die Mitbewirkung des Tarifvertrages der tragende Grund für eine Differenzierung innerhalb des arbeitsrechlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist, bei dem einem gewerkschaftlichen 403
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Vgl. Abschn. A. 11. 1. EuGH V. 6. 2. 76 EuGRZ 76, 68 (insb. 72).
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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Streikaufruf im vollem Umfang folgenden Außenseiter aber eine Mitbewirkung vorliegt, die zumindest der des nicht streikenden Gewerkschaftsmitglieds gleichzusetzen ist, hat auch er einen Anspruch auf Behandlung nach Tarif. Die gegenteilige Meinung der Rechtsprechung und des herrschenden Schrifttums sollte insoweit überdacht werden. (h) Ausschluß ausgesperrter Außenseiter aus den tariflichen Begünstigungen?
Auch der ausgesperrte Außenseiter wäre von einem Anspruch auf Behandlung nach Tarif aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nur dann ausgeschlossen, wenn er nicht in einer Weise den Tarifvertrag mitbewirkt, die wertungsmäßig der des organisierten Arbeitnehmers entspricht. Der ausgesperrte Außenseiter beeinflußt durch seine Aussperrungsbetroffenheit das Ergebnis des Tarifvertrags. Er stärkt die Arbeitgeberseite und tut dies - wenn auch unfreiwillig - unter Aufbringung finanzieller Opfer. Dieses Opfer entspricht in seinem Ausmaß dem des streikenden Arbeitnehmers, denn auch hier ist das Arbeitsverhältnis suspendiert mit der Folge des Fortfalls des Entgeltanspruchs. Ob diese lediglich unfreiwillige Mitbewirkung zuungunsten der Gewerkschaft der des organisierten Arbeitnehmers gleichzusetzen ist, der freiwillig zugunsten der Gewerkschaft den Arbeitskampf beeinflußt, scheint schwieriger zu beantworten, als die Frage nach der rechtlichen Bewertung der Tarifbewirkung durch den streikenden Außenseiter. Auch dies ist jedoch zu bejahen. Das ergibt sich aus einem Rückgriff auf die Prinzipien der Aufopferung und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Grundprinzip der Aufopferung ist die Verpflichtung einen Schadensausgleich dafür zu gewähren, daß die Rechtsordnung dem Träger eines höherwertigen Rechtguts gestattet, ein fremdes Recht zu beeinträchtigen. Ersatzpflichtig ist dabei stets der Träger des höherwertigen Interesses, der Begünstigte405 . Allerdings ist die Aufopferung originär dem Bereich des öffentlichen Rechts zuzurechnen; der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist zivilrechtlicher Natur. Da der der Aufopferung zugrundeliegende Rechtsgedanke aber auch im Zivilrecht in verschiedenen Rechtsinstituten seinen Niederschlag gefunden hat406 , ist er auch hier fruchtbar zu machen. Der Arbeitnehmer, der nicht Mitglied der arbeitskampfführenden Gewerkschaft ist, darf nur deswegen mit ausgesperrt werden, weil dies nach den gegenwärtigen Gegebenheiten die FunktionsHihigkeit des Arbeitskampfsystems erfordert407 . Die unfreiwillige Einbeziehung in den Arbeitskampf und die darinliegende Mitbewir405 406 407
Vgl. Konzen, Die Aufopferung im Zivilrecht, S. 236. Siehe Konzen, Die Aufopferung im Zivilrecht, S. 79 ff. , 152 ff. Vgl. Abschn. B. III. 2. b) dd).
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
kung des Tarifvertrags stellt damit ein Opfer des ausgesperrten Außenseiters dar, das im Interesse des Arbeitgebers und dessen Position im Arbeitskampf erfolgt. Der Arbeitgeber ist der Begünstigte, der dem Aufopferungsgedanken nach zu einem Ausgleich verpflichtet wäre. Dieser Ausgleich kann die Gewährung von Tarifbedingungen sein, denn wer die Lasten (des Arbeitskampfs) trägt, soll auch die Vorteile (des Tarifvertrags) haben408 . Dies rechtfertigt es, die Mitbewirkung des Tarifvertrags durch den ausgesperrten Außenseiter wertungsmäßig der des organisierten Arbeitnehmers gleichzustellen. Dies bestätigt sich in einer verfassungrechtlichen Sicht der Dinge. Die Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit zugunsten der positiven Koaltitionsfreiheit muß so verhältnismäßig wie möglich gestaltet werden409 • Die Zuerkennung eines Anspruchs auf Tarifbedingungen stellt sich dann auch als ein Bestandteil des verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen positiver Koalitionsfreiheit des Gewerkschaftsmitglieds und negativer Koalitionsfreiheit des Außenseiters dar. Auch kann auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwiesen werden: Wenn das Gericht betont, die Aussperrung von Außenseitern sei möglich, weil diese regelmäßig am Tarifvertrag partizipieren 41O , so erkennt es damit an, daß Teilhabe am Tariferfolg und Aussperrung im Arbeitskampf gemeinsam vorliegen müssen. Diese Herleitung der Aussperrungsbefugnis ist zwar unzutreffend411 • Wenn Teilhabe am Tariferfolg und Aussperrung im Arbeitskampf aber gemeinsam vorliegen müssen, heißt dies auch, daß der, der ausgesperrt wird, am Tariferfolg beteiligt sein muß. Wird die Befugnis zur Aussperrung von Außenseitern aus der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems heraus begründet, ist der Kausalzusammenhang zwar umgekehrt, aber - wie das Bundesarbeitsgericht zutreffend annimmt gleichwohl existent412 • Schließlich ist dabei auch keine Schwächung des Mitgliederbestandes der Gewerkschaften zu befürchten. Denn, ob ein Arbeitnehmer ausgesperrt wird oder nicht, hat er selber nicht in der Hand. Will er sich den Anspruch auf Behandlung nach Tarif sichern, muß er in die Gewerkschaft eintreten oder darauf hoffen, in einem nur eventuell stattfindenden Arbeitskampf einem nur eventuell auch an ihn gerichteten Streikaufruf der Gewerkschaft folgen zu können. Die Möglichkeit, durch Aussperrungsbetroffenheit einen Anspruch auf tariflichen Lohn zu erhalten, läßt somit nicht den im Tariflohn begründeten Anreiz entfallen, in die Gewerk408 Vgl. auch allgmein "Qui sentit onus, sentire debet commodum, et contra" Bonifazius, Liber sextus 5, 13, 55. 409 Vgl. Abschn. B. lll. 2. a). 410 BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 V; BAG V. 22. 3. 94 AuR 95, 36 (37). 411 Vgl. Abschn. B. lll. 2. b). 412 Soweit auch die Befugnis zur Streikteilnahme mit der Partizipation am Tarifvertrag begründet wird, ist auch hier entsprechend obiger Erörterung im Bezug auf das Bestehen eines Kausalzusammenhangs dieser Meinung zuzustimmen. Auch hier geht der kausale Nexus aber in die entgegengesetzte Richtung.
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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schaft einzutreten. Dies umso mehr, als es im Regelfall für den Außenseiter günstiger ist, in die Gewerkschaft einzutreten, als ausgesperrt ohne finanzielle Unterstützung einen Arbeitskampf durchzustehen. Ergebnis: Auch dem ausgesperrten Außenseiter steht also entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und dem herrschenden Schrifttum ein Anspruch auf Beschäftigung nach Tarif aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu.
d)Ergebnis Im Rahmen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes führt das zulässige Differenzierungskriterium der Mitbewirkung des Tariferfolges dazu, daß die "tarifliche Kampfgemeinschaft" von organisierten, ausgesperrten und streikenden Arbeitnehmern bei der Frage tariflicher Entlohnung anders behandelt werden darf als die übrige Belegschaft. Als Konsequenz hat jedoch auch der mitstreikende und mitausgesperrte Außenseiter einen Anspruch auf Beschäftigung nach Tarif. 2. Anspruch auf Teilhabe an der Arbeitskampftlihrung Beteiligung an der Urabstimmung
In der heutigen Streikpraxis hat der Außenseiter keine Teilhabe an den Entscheidungen über die Arbeitskampfführung auf Arbeitnehmerseite. Denn nach den Satzungen bzw. Arbeitskampfrichtlinien sämtlicher Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes beteiligen sich nur Mitglieder der streikführenden Gewerkschaft an der Urabstimmung 413 . Deren Wollen ist für die Gewerkschaftsführung bindend, sie entscheiden damit allein über das "Ob" eines Streiks. Der nicht und der anders organisierte Arbeitnehmer bleiben außen vor, obwohl sie wie die organisierten Kollegen an Streik und Aussperrung teilnehmen. Die Einheitlichkeit dieser Regelungen kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß dies nicht immer so war und auch noch heute nicht überall so ist. Der internationale und historische Vergleich bietet ein durchaus differenzierteres Bild. So fehlt auch in der Schweiz eine gesetzliche Regelung über die Urabstimmung und die an ihr zu beteiligenden Personengruppen. In einigen Satzungen Schweizer Gewerkschaften sind jedoch Urabstimmungen mit allen Arbeitnehmern eines Betriebes vorgesehen, nicht nur mit dem organisierten Teil der Belegschaft414 . In der Türkei besteht eine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung von Urabstimmun413 Siehe Nachweise Abschn. A. Fn 34; teilweise ist das Urabstimmungserfordemis weggefallen, so z.b. bei der inzwischen zur IG Medien umgewandelten IG Druck und Papier. Hinsichtlich der Außenseiterbeteiligung bei weiterhin durchgeführten Urabstimmungen hat sich damit aber nichts geändert. 414 Vgl. Rehbinder, Arbeitsrecht, S. 173.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
gen ebenfalls unter Beteiligung aller betroffenen Arbeitnehmer415 . In Großbritannien beteiligen sich demgegenüber an den durch Gesetz für jeden Streik verbindlich vorgeschriebenen pre-ballots nur die Mitglieder der streikführenden Gewerkschaft416 . In Deutschland knüpft die heutige Satzungslage an die bis zum 5. 7. 1974 geltenden Arbeitskampfrichtlinien des Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 12. 10. 1949 an, wo für die Mitgliedsgewerkschaften verbindlich festgelegt wurde, vor jedem Streik eine Urabstimmung (nur) unter den Gewerkschaftsmitgliedern durchzuführen417 . UneinheitIicher aber auch hier die Satzungen der Weimarer Zeit und des Kaiserreichs. So verlangten die 1922 vom Bundesausschuß des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes beschlossenen Regeln für die Förderung von Lohnbewegungen und die Unterstützung von Streiks in gemischten Betrieben, daß dem Streik eine Abstimmung aller beteiligten Arbeitnehmer voranzugehen habe. Auf deren Mitgliedschaft wurde nicht abgestellt418 • Auch earl Legien stellte im Anhang einer 1899 im Auftrag der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands erarbeiteten Denkschrift dar, daß einige Gewerkschaftssatzungen bei den Streiks vorangehenden Abstimmungen die Beteiligung nur ihrer Mitglieder, andere die aller betroffenen Arbeiter forderten 419 . Den heutigen Satzungsregelungen der Gewerkschaften nun steht keine gesetzliche Regelung entgegen, die eine Einbeziehung von Außenseitern in die Urabstimmung gebieten würde. Auch unmittelbar aus der Verfassung wird sich kein solches Gebot herleiten lassen. Dies ergibt sich schon aus einer an der historischen Entwicklung orientierten Auslegung des Art. 9 III GG. Auch kann es nicht als eine willkürliche oder der Koalitionsfreiheit widersprechende Differenzierung gewertet werden, wenn die Rechtsordnung die Satzungs be stimmungen der streikführenden 415 Art. 22 Abs. 2 und 3 des Gesetzes Nr. 275 vom 15. Juli 1963 (Vgl. Emre, Das kollektive Arbeitsrecht der Türkei, S. 197). 416 Eingeführt durch den Trade Union Act 1984; nun geregelt durch den Trade Union and Labour Relations Act 1992, s. 226. Zu Funktion und Erscheinungsformen dieser pre-ballots ausführlich Hepple, in: Blanpain, Strikes and Lock-outs in Industrialized Market Economies, S. 193. 417 § 2 der Arbeitskampfrichtlinien vom 12. 10. 49; die Arbeitskampfrichtlinien des DGB vorn 5. 7. 74 (AuR 74, 272) sind demgegenüber für die einzelnen Mitgliedsgewerkschaften nicht bindend. § I S. 2 der Richtlinien spricht lediglich eine Empfehlung zur Übernahme aus, § 6 stellt die Durchführung einer Urabstimmung in das Ermessen der einzelnen Gewerkschaft. Daher enthalten deren Satzungen nun jeweils eigenständige Regelungen. 418 Siehe NZfA 1922, Sp 740 f. 419 Legien, Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter, S. 143 ff.: Die Bestimmungen über Streiks in den Statuten der Gewerkschaften. Danach waren Streiks bei den Bäckern mit Dreiviertelmehrheit der Mitglieder der Gewerkschaft zu beschließen (S. 144), bei den Lithographen und Steindrucker mit Zweidrittelmehrheit (S. 152). Eine Abstimmung einzig der Mitglieder sahen auch die Statuten bei den Fabrik-, Land- und Hilfsarbeitern vor (S. 148); ebenso die Hutmacher (S. 151); ebenso die Metallarbeiter (S. 153); ebenso die Schumacher (S. 156). Anders aber z. B. die Sattler. Dort mußten sich vier Fünftel aller "beteiligten Kollegen" für einen Streik aussprechen (S. 155).
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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Gewerkschaften anerkennt und ihnen die Regelung der diesbezüglichen Willensbildung überläßt. Eine dem entgegenstehende Verpflichtung aus Art. 9 III GG ist zu Recht bisher nicht erwogen worden42o . Es stellt sich daher in diesem Zusammenhang nur die Frage, ob denn der Gesetzgeber eine Regelung, die die Gewerkschaften zur Urabstimmung unter Einbeziehung der Außenseiter verpflichtet, überhaupt schaffen könnte. Dies wurde zuletzt 1984/85 anläßlich eines Gesetzesentwurfs der ED.P.-Fraktion zu einem Verbändegesetz diskutiert, der eben dies vorsah421 . Von Gewerkschaftsseite wurden damals verfassungsmäßige Bedenken geäußert, die in einer mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und den Einzelgewerkschaften abgestimmten Stellungnahme von Kehrmann und Bobke konkretisiert wurden422 . Später wurde diese Frage lediglich vereinzelt aufgegriffen, so von Vorderwülbecke und Kroll, die eine solche Regelung ebenfalls für mit Art. 9 III GG unvereinbar halten 423. Ob es dem Gesetzgeber wirklich verwehrt ist, die Diskrepanz zwischen Außenseiterstreikbeteiligung und Außenseitermitentscheidung zu beseitigen, soll hier unter Einbeziehung der in Abschn. B I herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Grundaussagen versucht werden zu beantworten. a) Kann der Gesetzgeber die Gewerkschaften zur Urabstimmung verpflichten? Daß der Gesetzgeber eine Regelung schaffen könnte, die die Gewerkschaften zur Durchführung von Urabstimmungen vor der Bestreikung eines Arbeitgeber(verband)s verpflichtet, wäre jedenfalls dann zu bejahen, wenn man in einer solchen ausdrücklichen Normierung lediglich einen deklaratorischen, nicht aber konstitutiven Rechtsetzungsakt sehen würde. In der Tat wird teilweise angenommen, es bestehe bereits nach aktueller Rechtslage ein solches Urabstimmungserfordernis für die Gewerkschaften. So leitet dies Säcker aus "ungeschriebenem zwingendem Berufsverbandsrecht" ab, da das Mitentscheidungsrecht der Verbandsmitglieder über die Führung eines Arbeitskampfs elementarer Bestandteil der freien, unmittelbaren Willensbildung der Verbände sei424 . Maßgeblicher Grund für die Urabstimmungsverpflichtung wäre seiner Argumentation folgend also die Verpflichtung zu einer 420 Eine lediglich rechtsethische Verpflichtung, nicht jedoch zwingend gesetzliche oder verfassungsrechtliche Vorgabe an die Gewerkschaften und ihre Satzungsgestaltung nimmt aber an: Rauscher, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 14 (1973), 201 (221). 421 Dieser Vorschlag gelangte über eine interne Diskussion nicht hinaus. Anders noch der Vorschlag der F.D.P.-Fraktion von 1977, der aber eine solche Regelung nicht enthielt (vgl. RdA 77, 235). 422 Kehnnann/Bobke, ZRP 1985,79 (insb. 81). 423 Kroll, Der Außenseiter in der Arbeitsrechtsordnung, S. 108 f.; Vorderwülbecke, BB 87,750 (751). Bedenken dagegen bereits vorher bei Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 510. 424 Säcker als Bearbeiter der 7. Auflage des Hueck 1Nipperdey, Arbeitsrecht 11 12, S. 1026.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
demokratischen Binnenstruktur der Gewerkschaften. Ähnlich auch die Argumentation bei Ramm, der unter Anknüpfung an Art. 21 I S. 3 GG das Erfordernis der Urabstimmung als "unerläßlichen Bestandteil der gewerkschaftlichen Willensbildung" bezeichnet425 . Andere leiten dieses Erfordernis aus der Verpflichtung zu einer fairen Kampfführung und dem ultima-ratio-Prinzip ab: Der Streik sei für den Arbeitgeber( -verband) und auch für die an den Streikbefehl der Gewerkschaften gebundenen organisierten Arbeitnehmer erst dann hinzunehmen, wenn ihm die Urabstimmung als letztes friedliches Druckmittel warnend vorausgegangen ist426 . Das Bundesarbeitsgericht ist dem zumindest für den Warnstreik nicht gefolgt. Dieser sei zulässig auch ohne eine vorherige Urabstimmung, die ihn ohnehin praktisch undurchführbar machen würde427 . Aber auch wenn man der Rechtsprechung und der weitaus herrschenden Meinung im Schrifttum folgt428 und davon ausgeht, bisher bestehe keine Verpflichtung zur Urabstimmung, wird man dem Gesetzgeber das Recht zu einer solchen -dann konstitutiven- Regelung nicht absprechen können. Deren Verfassungsmäßigkeit stünde insbesondere nicht Art. 9 III GG entgegen. Denn das Grundrecht der Koalitionsfreiheit bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung429 . Zwar ist das Arbeitskampfrecht bis jetzt gesetzlich weitgehend ungeregelt geblieben, dies ändert jedoch nichts daran, daß der Gesetzgeber aufgrund dieser Ausgestaltungskompetenz berechtigt, ja u.U. verpflichtet ist, am Schutzgut des Art. 9 III GG orientiert, koordinierende Regelungen zu schaffen, die gewährleisten, daß die verschiedenen aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können. Dabei macht die Möglichkeit des Einsatzes von Kampfmitteln rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich, die sichern, daß Sinn und Zweck dieses Freiheitsrechts sowie seine Einbettung in die verfassungsrechtliche Ordnung gewahrt wird43o . Daher muß der Gesetzgeber ebenso wie bei den Vereinen des Art. 9 I GG auch für die Koalitionen des Art. 9 III GG einen Ausgleich anstreben, der geeignet ist, deren freie Assoziation und Selbstbestimmung unter Berücksichtigung der Rechte Dritter und sonstiger schutzbedürftiger Belange zu ermöglichen und zu erhalten43I. Ramm, Die Freiheit der Willensbildung (1960), S. 134 ff. So vor allem Vorderwalbecke, BB 87, 750 (755 f.). Diese den Arbeitskampf herauszögemde Funktion der Urabstimmung ist auch der Grund für deren gesetzliche Anordnung in Großbritannien: Hepple, in: Blanpain, Strikes and Lock-outs in Industrialized Market Economies, S. 193. 427 Vgl nur BAG v. 17. 12. 76 AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf 428 Vgl nur Schmiegel, Inhaltskontrolle von Koalitonssatzungen, S. 163 ff., 165; Scha/z, in: Maunz I Dürigl Herzog I Scholz, GG, Art. 9 Rn 205; Löwisch/Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 58,61 m.w.N. 429 Vgl. BVerfG v. 2. 3. 93 BVerfGE 88, 103 (115) - Poststreik -; BVerfG v. 26. 6. 91 BVerfGE 84, 212 (228). 430 Vgl. BVerfG v. 2. 3. 93 BVerfGE 88, 103 (115) - Poststreik 431 Vgl. BVerfG v. 1. 12.79 BVerfGE 50, 290 (3540 - Mitbestimmung425
426
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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Wird nun durch Gesetz vorgeschrieben, daß statt des Vorstands der Gewerkschaft unmittelbar deren Mitglieder über die Aufnahme eines Streiks entscheiden, so liegt darin zwar eine Einengung der diesbezüglichen gewerkschaftlichen Regelungskompetenz und Verbandsautonomie. Da diese Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts und der Koalitionsbetätigung aber nicht auf eine Einschränkung der Streikfähigkeit abzielt, widerspricht sie nicht dem Schutzgut der Koalitionsfreiheit, sondern entspricht vielmehr der möglicherweise nicht zwingend notwendigen, jedoch U.U. sinnvollen und damit dem Gesetzgeber in seiner Einschätzungsprärogative erlaubten Sicherung der demokratischen Binnenstruktur der Gewerkschaft und ihrer Entscheidungen 432 . Zudem findet es seine Rechtfertigung darin, daß mit einem Streik schwere Folgen für Mitglieder und Dritte verbunden sind, so daß es auch in deren Interesse sinnvoll erscheint, daß der Rahmen einer diesbezüglichen Willensbildung gesetzlich vorgegeben werden kann433 • Beides also, die Zuständigkeit des Gesetzgeber zur Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit und die Tatsache, daß die Koalitionen des Art. 9 III GG in ihrer Binnenstruktur demokratisch organisiert sein müssen, rechtfertigen eine gesetzliche Regelung, die eine Urabstimmung vor Streikbeginn vorschreibt434 .
b) Kann der Gesetzgeber die Einbeziehung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer vorschreiben? Der Einbeziehung von Außenseitern in die Urabstimmung werden jedoch verschiedene Bedenken entgegengehalten, sofern sie durch Gesetz angeordnet und nicht durch die Gewerkschaft selbst in ihrer Satzung bestimmt wird. Sie beruhen vor allem darauf, daß die Koalitionen nicht in ihrer Willensbildung von den Entscheidungen Dritter abhängig gemacht werden dürften435 . Rechtssystematischer Ansatzpunkt ist dabei Art. 9 I GG und Art. 9 III GG: Bestandteil der Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 I GG sei auch die Garantie der Verbandsautonomie. Danach sei ein Verein, worunter auch die Vereinigung i.S. des Art. 9 III GG falle, befugt, seine Angelegenheiten in freier Verantwortung ohne Einflußnahme von außenstehenden Dritten zu regeln. Eine Beteiligung von Außenseitern an der Urabstimmung wäre jedoch eine solche Einflußnahme von außen436 . Art. 9 III GG wieder432 Zum Erfordernis einer demokratischen Binnenstruktur der Gewerkschaften Hanaul Adomeit, Arbeitsrecht, S. 60; vgl. auch Scholz, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 9 GG, Rn 100 mit differenzierter Stellungnahme und umfassenden Nachweisen. 433 Darauf stellen vor allem ab: Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 63. 434 Auch der Professorenentwurf 1988 enthält in § 6 ein Urabstimmungserfordernis für den rechtmäßigen Streik: BirklKonzenlLöwischlRaiserlSeiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 47. 435 Vgl. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 510, und Kroll, Der Außenseiter in der Arbeitsrechtsordnung, S. 109, die ihre Argumentation auf diesen Hinweis beschränken. 436 Vgl. Vorderwühlbecke, BB 87, 750 (751) unter Bezugnahme auf BVerfGE 50, 290 (354) - Mitbestimmung -.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
um schütze neben der Koalitionsbildung auch die Koalitionsbetätigung, also das Recht der Mitglieder, in und durch die Koalitionen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gestalten und zu fördern. Um dieses Wirken durch die Koalitionen sicherzustellen, sei z. B. allgemein anerkannt, daß sie gegnerfrei und auch sonst zu einer wirkungsvollen Gestaltung der Arbeitsbedingungen in der Lage, also hinreichend "sozial mächtig" sein müssen. Die Gegnerfreiheit und soziale Mächtigkeit dürfe aber nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß man mit der Einbeziehung nicht gewerkschaftsangehöriger Arbeitnehmer den Mitgliedern u.U. in ihren Interessen ganz anders gelagerter Berufs- und Standesorganisationen direkten Einfluß auf die Gewerkschaftspolitik ermöglicht, oder allgemeiner: die Arbeitskampffähigkeit der Gewerkschaften durch die Einflußnahme von Nichtorganisierten schwächt437 . Die vorgebrachten Bedenken weisen in die richtige Richtung, ohne vielleicht letztlich zwingend zu sein. Allerdings trifft es zu, daß aus der Verbandsautonomie die Willensunabhängigkeit der Vereinigung von den Entscheidungen Dritter folgt. Dies gilt jedoch nur für "die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte"438, also die eigenen, verbandsintemen Angelegenheiten. Daß die Entscheidung, einen Streik zu beginnen, obwohl mit erheblichen Beeinträchtigungen von Drittinteressen verbunden, dennoch eine solche "eigene Angelegenheit" darstellt, wäre noch zu begründen. Auch das Prinzip der Gegnerfreiheit steht einer Einbeziehung von Außenseitern in die Urabstimmung wohl nicht zwingend entgegen, denn auch der nicht gewerkschaftangehörige Arbeitnehmer wird in der Regel nicht Mitglied einer Vereinigung sein, die primär Arbeitgeberinteressen vertritt439 . Richtig ist aber, daß die Einbeziehung von Außenseitern zu einer Schwächung der Arbeitskampffähigkeit der Gewerkschaften führen würde. Denn der nicht organisierte Arbeitnehmer wird weniger bereitwillig das Risiko eines Streiks auf sich nehmen wollen als sein organisierter Kollege, steht er doch bei arbeitskampfbedingtem Fortfall seines Arbeitsentgelts ohne Unterstützung seitens der Gewerkschaft da. Was ihm ein Arbeitskampf bringen würde, wäre oft nicht mehr als das, was er ihn kosten würde, auch wenn man mit der hier vertretenen Meinung annimmt, daß der nicht organisierte Arbeitnehmer auch bei Fehlen einer individualvertraglichen Bezugnahme auf den jeweils geltenden Tarifvertrag im Falle seiner Aussperrungsbetroffenheit einen Anspruch auf Tariflohn über den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz erwirbt44o . Da aber in Vgl. Kelrrma""IBobke, ZRP 1985,78 (81); Vorderwülrlbecke, BB 87, 750 (751 f.). BVerfG v. 1. 12.79 BVerfGE 50,290 (354) - Mitbestimmung-. 439 Vgl. aber zu einer über diesen klassischen Kern der Gegnerfreiheit hinausgehenden Interpretation dieses Erfordernisses Wiedemann, RdA 76,72 und ihm folgend Hanaul Adomeit, Arbeitsrecht, S. 59. 440 Vgl. dazu Absch. B V I c; siehe die umfassende Untersuchung durch Bohr, Rechtliche Regelungen des Streiks, S. 338 f., der auf wirtschaftswissenschaftlieher Grundlage eine Kosten / Nutzen-Analyse der Streikbeteiligung für den organisierten und den nicht organisierten Arbeitnehmer versucht. 437 438
V. Rechtliche Konsequenzen der Einbeziehung in den Arbeitskampf
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der Regel die Mehrheit der Arbeitnehmer einer Belegschaft nicht organisiert ist, könnte sie ihren ablehnenden Willen gegen den organisierten Teil der Belegschaft und die Gewerkschaft durchsetzen und einen Streik verhindern. Ein anderer, sehr viel grundlegenderer Einwand zeigt jedoch, daß Art. 9 III GG einer Einbeziehung von nicht und anders organisierten Arbeitnehmern in die Urabstimmung entgegensteht. Anknüpfungspunkt ist dabei die RechtsträgerschaJt des Streikrechts: Rechtsträger des sujektiv-privaten und subjektiv-öffentlichen Streikrechts sind die Gewerkschaften als Arbeitnehmervereinigungen i.S. des Art. 9 III GG, nicht der einzelne Arbeitnehmer44l . Wenn aber die Gewerkschaften Rechtsträger des Streikrechts sind, müssen sie auch darüber entscheiden können, ob sie es ausüben oder nicht. Denn wie immer letzIich der schillernde Begriff des subjektiven Rechts zu definieren ist, entscheidendes Merkmal ist die Tatsache, daß der Rechtsträger Willensherrschaft über die Ausübung des Rechts hat, daß nach seinem, und nur nach seinem Willen die Aktualisierung der mit dem Recht verbundenen Befugnisse erfolgt442 . Schreibt ein Gesetz nun die Urabstimmung durch die Gewerkschaftsmitglieder vor, ist dies zulässig. Denn jede Willens bildung der Gewerkschaft leitet sich mittelbar - Entscheidung des gewählten Vorstands - oder unmittelbar - Urabstimmung - von ihren Mitgliedern ab; der Wille der Mitglieder ist der Wille der Gewerkschaft. Es ändert sich also bei dieser Art der Willensbildung nichts daran, daß auch dadurch der Wille der Gewerkschaft ermittelt wird und dieser über das "Ob" eines Streiks entscheidet; ein Eingriff in die Rechtsträgerschaft des Streikrechts liegt nicht vor. Anders bei der Einbeziehung von nicht und anders organisierten Arbeitnehmern: Entscheiden alle Arbeitnehmer in einer Urabstimmung über einen Streik, üben sie auch die Willensherrschaft über das Streikrecht aus. Dazu müßten sie aber selber Rechtsträger des Streikrechts sein, was sie jedoch nicht sind. Eine Einbeziehung von Außenseitern in die Urabstimmung ist also nur möglich, wenn die Gewerkschaft als Träger des Streikrechts den Streikwillen der gesamten Belegschaft als ihren eigenen Willen anerkennt. Dazu muß sie aber autonom, also von sich aus die Beteiligung aller Arbeitnehmer an der Urabstimmung bestimmen. Durch staatliches Gesetz - heteronom - ist dies nicht möglich. c) Ergebnis
Ein Gesetz könnte den Gewerkschaften die Durchführung einer Urabstimmung vor dem Beginn eines Streiks vorschreiben. Eine gesetzlich vorgeschriebene Einbeziehung der Außenseiter entspräche jedoch nicht der sich aus Art. 9 III GG ergebenden Rechtsträgerschaft der Gewerkschaften am Streikrecht und ist daher unzulässig. Die Teilhabe an den Entscheidungen während des Arbeitskampfs ist damit Vgl. Abschn. B. I. 2. und 3. Vgl. nur die Ausführungen Wiedemann, Übertragung und Vererbung, S. 1 und Nachweise Abschn. B. Fn 55. 441
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
zwingend an die Mitgliedschaft in der streikführenden Gewerkschaft gebunden, soweit nicht deren Satzungen selber nicht und anders organisierten Arbeitnehmern Entscheidungsbefugnisse einräumt, was bisher jedoch nicht der Fall ist. Daher kann der Außenseiter lediglich durch seine Beteiligung oder Nicht-Beteiligung am Streik seine Zustimmung oder Ablehnung demonstrieren. VI. Außenseiter und das "Recht zur Betriebsstillegung" Die jüngste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht davon aus, der Arbeitgeber könne sich seiner Pflicht zur Lohnzahlung im Arbeitskampf nicht nur durch Aussperrung oder unter Berufung auf die Regeln des Arbeitskampfrisikos entledigen; im bestreikten Betrieb selber könne er sich auch dem Streikaufruf der Gewerkschaft beugen und diesen Betrieb stillegen443 . Diese Rechtsprechung ist wegen ihrer dogmatischen Unbestimmtheit und der Tatsache, daß es das Gericht für zulässig hält, daß die Gewerkschaften den Abschluß von Notdienstvereinbarungen an die Bedingung knüpfen, daß der Arbeitgeber eine solche Betriebsstillegung vornimmt, im Schrifttum vielfach kritisiert worden444 . Da durch eine Betriebsstillegung aber vor allem Nichtorganisierte, die sich am Streik nicht beteiligen wollen, betroffen sind, muß auch hier auf diese neue Rechtsprechung eingegangen werden. Es stellt sich die Frage, ob dieses Recht grundsätzlich anzuerkennen ist, und wie sich die Einbeziehung der Außenseiter rechtfertigen läßt. Die Antwort darauf soll dadurch versucht werden, daß dieses neue Recht zur Betriebsstillegung mit den bisherigen Instituten "Arbeitskampfrisiko" und "Aussperrung" in Zusammenhang gesetzt und verglichen wird. 1. Betriebsstillegung und Arbeitskampfrisiko
"Die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos sind nicht anwendbar. Dem Arbeitgeber steht es vielmehr frei, wie er auf die kamptbedingte Lage reagieren will,,445. Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Ob die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos anwendbar sind, sagt nur etwas darüber, ob der Arbeitgeber dem arbeitswilligen Arbeitnehmer, der streikbedingt nicht beschäftigt werden kann, den Lohn 443 Vgl. BAG v. 22.3.94 EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 30. 1. 95 EzA Nr. 119 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 27. 6. 1996, BB 1996, S. 218; BAG v. 11. 7. 95, NZA 96, S. 215; BAG v. 11. 7. 95, NZA 96, S. 209. 444 Vgl. Kalb, FS Stahlhacke, S. 213, 221; Löwisch, FS Gitter, S. 533; FischerlRüthers, Anmerk. zu BAG v. 22. 3. 94 EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Thüsing, Anmerk. zu BAG v. 30. 1. 95 EzA Nr. 119 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ders., DB 1995, S. 2603; Lieb, SAE 95, S. 257; Konzen, Anmerk. zu BAG v. 11. 7. 95 AP Nr. 139 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; kritisch auch Gamillscheg, BB 96, S. 212; BauerlHaußmann, DB 96, S. 889; Oetker, Anmerk. zu BAG v. 22. 3. 94 AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zustimmend allein Buschmann, AuR 95, S. 39. 445 BAG v. 22. 3. 94 EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter 11 3 der Gründe.
VI. Außenseiter und das "Recht zur Betriebsstillegung"
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fortzuzahlen hat oder nicht446 • Daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht beschäftigen muß, ist nicht Inhalt der Arbeitskampfrisikolehre, sondern Voraussetzung ihrer Anwendung; der Fortfall der Beschäftigungspflicht folgt aus der Tatsache, daß die Beschäftigung und Arbeitsleitung unmöglich oder - was dem gleichsteht - sinnlos für den Arbeitgeber geworden ist, ultra posse nemo obligatur447 • Die Arbeitskampfrisikolehre fordert nun, daß im Rahmen ihres Geltens der Arbeitnehmer das Lohnrisiko trägt, der Vergütungsanspruch also entfällt. Sie nicht anzuwenden hieße, das Lohnrisiko dem Grundsatz des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos entsprechend dem Arbeitgeber aufzubürden, der Vergütungsanspruch also bestehen bleibt. Gerade dies will das Bundesarbeitsgericht aber nicht; die Klage des Arbeitnehmers wurde abgewiesen. Die Nichtanwendung der Arbeitskampfrisikogrundsätze wäre auch ein schwer vorstellbares Ergebnis, denn dann würde dem unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitgeber nicht nur das Risiko des Produktionsstillstandes durch den gegen ihn gerichteten Streik, sondern zusätzlich das Risiko der Fortzahlung des Lohns an die nicht am Streik beteiligten Arbeitnehmer aufgebürdet, die infolge der Streikauswirkungen nicht beschäftigt werden können. Hierdurch würde das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien empfindlich gestört448 ; die Grundsätze der Arbeitskampfrisikolehre sind daher nicht nur in mittelbar betroffenen Betrieben, sondern erst recht im bestreikten Betrieben anwendbar. Dies hat bereits das Reichsgericht in seiner grundlegenden Kieler-Straßenbahn-Entscheidung festgestellt 449 , seitdem hatte die Rechtsprechung und das allgemeine Schrifttum daran festgehalten 45o . Zurecht wurde diese Aussage, auf die sich das Bundesarbeitsgericht ursprünglich in seiner Begründung stützte, in einem neueren Urteil relativiert: "Es kann hier davon ausgegangen werden, daß diese Grundsätze" [ Le. die Regeln des Arbeitskampfrisikos]" u.U auch dann anzuwenden sind, wenn die 446 Vgl. Löwisch/Bittner, Arbeitskampfrecht, Rn 594; Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 169 ff.; Zöllner/l.oritz, Arbeitsrecht, S. 216 f. 447 Zur Wertung nicht nur der technischen Undurchführbarkeit sondern auch der wirtschaftlichen Sinnlosigkeit der Arbeitsleistung als Fall der Unmöglichkeit überzeugend Kalb, Rechtsgrundlage und Reichweite der Betriebsrisikolehre, S. 95, der in der zweiten Alternative eine Unmöglichkeit wegen Zweckverfehlung sieht. 448 Vgl. BAG NJW 94,1300 (1301). 449 RGZ 106, 273. In dieser Entscheidung, in der das Reichsgericht die Lehre vom Arbeitskampf- und Betriebsrisiko begründete, ging es um den Lohnanspruch von Fahrern der Allg. Lokal- und Straßenbahn-Gesellschaft Kiel, die trotz Bestreikung des Kraftwerks ihres Betriebs ihre Arbeit anboten. Anlaß für die Begründung dieser Risikoverteilungsgrundsätze war also genau ein Fall, den das Gericht jetzt aus dem Anwendungsbereich dieser Konzeption herausnehmen will. 450 Vgl. nur BAG AP Nr. 2,4 zu § 615 Betreibsrisikolehre; BAG AP Nr. 45 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG NJW 94, 1300 (1301); Für das Schrifttum: Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 172; Zöllner/l.oritz, Arbeitsrecht, S. 216; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, S. 945 f.; Schaub, ArbR-HandB, S. 764; Dtto, in: MünchArbeitsR, § 283 Rn 55; Dütz, DB 79, Beil. 14, S. 10; auch in der Schweiz ist dies anerkannt: Rehbinder, Schweizerisches Arbeitsrecht (12. Aufl.1995), S. 84. Anders lediglich diejenigen Autoren, die die Arbeitskampfrisikolehre insgesamt ablehnen, vgl. z. B. Eisel1umn, AuR 81, 365 ff.
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
Unmöglichkeit der Beschäftigung nicht auf Fernwirkungen zurückgeht, die in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil verursacht werden, sondern Folgen eines zeitlich vorangegangenen Arbeitskampf im selben Betrieb ist,,451. 2. Betriebstillegung und Aussperrung
Der Wegfall der Beschäftigungspflicht und des Vergütungsanspruchs erfolgt dadurch, daß der Arbeitgeber durch einseitige Erklärung das Recht ausübe, den bestreikten Betrieb für die Dauer des Arbeitskampfes stillzulegen und die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer zu suspendieren. Das Bundesarbeitsgericht stützt dieses Recht des Arbeitgebers auf zwei Punkte: erstens, daß dieser nicht verpflichtet sei, der Gewerkschaft bei ihrem Streikziel - Stillegung des Betriebes Widerstand zu leisten; zweitens weist es darauf hin, daß der noch arbeitswillige Arbeitnehmer jederzeit in einer doch erfolgenden Streikteilnahme seine Arbeit einstellen könne. Daher müsse es dem Arbeitgeber möglich sein, seinerseits jederzeit die Beschäftigungspflicht und den Vergütungsanspruch zu suspendieren 452 . Die Begründung ist nicht zwingend; ihr Ergebnis läßt sich kaum in die allgemein anerkannten Grundsätze des Arbeitskampfrechts einfügen: Daß den Arbeitgeber keine Pflicht zum Widerstand gegen die Gewerkschaft trifft, ist richtig. Er braucht weder in der Tarifverhandlung deren Forderungen eigene Vorstellungen entgegenzusetzen, noch muß er einen Streik mit Aussperrungen beantworten. Hält er aber die Produktion im bestreikten Betrieb aufrecht, bedeutet dies nur eine Aufrechterhaltung des status quo; die Arbeitsverhältnisse, die vom Streik nicht betroffen sind, werden soweit wie möglich fortgeführt. Die Aufrechterhaltung der Produktion im Betrieb ist also keine Frage der "Pflicht zur Gegenwehr" gegenüber der Gewerkschaft, sondern eine Frage der Erfüllung individualvertraglicher Pflichten gegenüber den arbeitswilligen Arbeitnehmern. Wenn das Bundesarbeitsgericht diese einer Betriebsstillegung entgegenstehenden Pflichten dadurch aus dem Weg räumt, daß der Arbeitgeber erklären könne, er suspendiere die Arbeitspflichten der arbeitswilligen Arbeitnehmer, drängt sich die Frage auf, wie eine solche Erklärung rechtsdogmatisch einzuordnen ist (a) und was der Grund dafür sein könnte, dem Arbeitgeber ein solches Recht einzuräumen (b)? a) Rechtsnatur der Betriebsstillegung
Die Aussperrung ist eine Willenserklärung; die Suspendierung der Beschäftigungspflicht tritt mit Erklärung des Arbeitgebers ein. Im Anwendungsbereich der Betriebs- und der Arbeitskampfrisikolehre tritt demgegenüber der Fortfall der Be451 452
BAG v. 27. 6. 1996, BB 1996, S. 218, 219. BAG v. 22. 3. 94 EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter H.3. der Gründe.
VI. Außenseiter und das "Recht zur Betriebsstillegung"
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schäftigungspflicht nicht erst mit dem Hinweis der Arbeitgebers ein, die Beschäftigung sei unmöglich oder wirtschaftlich sinnlos geworden, sondern unabhängig vom Zutun des Arbeitgebers bereits mit der Unmöglichkeit oder wirtschaftlichen Sinnlosigkeit der Arbeit selbst453 . Die Erklärung des Arbeitgebers ist hier keine Willens-, sondern eine Wissenserklärung. Dies ist ein entscheidender Unterschied zur Aussperrung, weswegen die Aussperrung ein Arbeitskampfmittel ist, der Lohnfortfall nach den Regeln des Arbeitskampfrisikos aber nicht; der gehört rechtsystematisch ins Leistungsstörungsrecht454 . Das Leistungsstörungsrecht nun gilt unterschiedslos für organisierte und nichtorganisierte Arbeitnehmer, das Bundesarbeitsgericht hat seine für die Aussperrung aufgestellten Grenzen richtigerweise auch nie auf die Arbeitskampfriskolehre angewandt. Die Erklärung der Suspendierung der Arbeitsverhältnisse aufgrund Betriebsstillegung ist demgegenüber eine Willenserklärung, nicht bloße Wissenserklärung, denn erst mit der Mitteilung des Arbeitgebers, den Betrieb stillegen zu wollen, werden die Arbeitsverhältnisse suspendiert; sein Zutun ist unerläßlich, er übt eigene Entscheidungsfreiheit aus. Dies rückt diese Erklärung dogmatisch in die Nähe der Aussperrung, eine Aussperrung soll sie jedoch gerade nicht sein. Vielmehr betont das Bundesarbeitsgericht, daß das Recht zur Betriebsstillegung noch nicht einmal Arbeitskampfmittel sei 455 . Dies wurde schon von Gamillscheg bezweifelt456, Kalb spricht von einer im Gegensatz zur kalten "lauwarmen Ausperrung,,457. In der Tat kann diese Betriebsstillegung nur als eine besondere Form der Aussperrung, die nicht den durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht entwickelten Grenzen der Aussperrung unterfallen SOll458, angesehen und rechtlich gewürdigt werden: die Erklärung des Arbeitgebers, er hebe die Arbeitsverhältnisse auf, um den Betrieb stillzulegen, wurde bereits im Kaiserreich als Aussperrung gewertet459 . Ein anderes Mittel des Arbeitgebers, im Arbeitskampf die Beschäftigungspflicht nach seinem Willen zu suspendieren, kennt das deutsche Arbeitskampfrecht (bislang) nicht; auch im Ausland ist es unbekannt46o . 453 Allgern. Meinung, vgl. nur Lieb, Arbeitsrecht, S. 199; Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 399, 218. 454 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 399, 218. 455 BAG v. 11. 7. 95, NZA 96, S. 209, 211. 456 Gamillscheg, OB 1996, S. 212, 213: "Der Sache nach ist die Suspendierung eine Aussperrung, wenn auch das Wort vermieden wird"; für die Einordnung als Arbeitskampfmittel auch Oetker, Anmerk. zu BAG v. 22. 3. 94 AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 457 Kalb, FS Stahlhacke, S. 213, 222. 458 Vgl. grundlegend BAG v. 10.6. 80 AP Nr. 64 u. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zur Darstellung dieser Schranken insgesamt vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 423. 459 Vgl. dazu nur die Darstellung der damals allgern. Meinung im Art. Aussperrung im Brockhaus und Meyers-Konversationslexikon. Zu beachten ist allerdings, daß damals die Aussperrung grundsätzlich lösenden, nicht lediglich suspendierenden Charakter hatte. 460 Für die Schweiz vgl. Rehbinder, Arbeitsrecht, S. 64 ff.; für Österreich vgl. Strasser, Arbeitsrecht 11 (3. Aufl., 1990), S. 163 ff., für Frankreich vgl. Lyon-Caen/ Pilessier, droit du travail, Rn 938, wo eine Suspendierung der Arbeitsverhältnisse durch den Arbeitgeber
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
b) Gründe für ein Recht zur Betriebsstillegung
Daß nun der Arbeitgeber auf die Aussperrung zurückgreifen muß, um die Arbeitspflicht unabhängig von der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zu suspendieren, kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß der einzelne Arbeitnehmer sich jederzeit für einen Streik entscheiden kann und damit seine Arbeitswilligkeit u.U. nur sehr kurz bestehen könnte. Zwar ist es richtig, daß der Arbeitgeber seinerseits "die Möglichkeit haben (muß), seine arbeitsvertraglichen Pflichten der arbeitskampfrechtlichen Lage anzupassen,,461. Ebenso wie der Arbeitnehmer sich aber dafür des Streiks bedienen muß, muß der Arbeitgeber auf die Aussperrung zurückgreifen. Kampfmittel steht gegen Kampfmittel; einer weiteren Waffe des Arbeitgebers bedarf es nicht. Es ist also kein Grund ersichtlich, dem Arbeitgeber eine zusätzliche Reaktionsmöglichkeit "Betriebstillegung" einzuräumen. Dies wird auch daran deutlich, daß es - wie oben dargestellt462 - gerade eine Funktion der Aussperrung ist, die Entlastung von der Lohnzahlungspflicht bei Teil- und Schwerpunktstreiks unabhängig von den für den Arbeitgeber oft nur schwer zu beurteilenden Voraussetzungen einer Unmöglichkeit oder wirtschaftlichen Sinnlosigkeit der Arbeitsleistung zu ermöglichen. Wofür also ein Recht zur Betriebsstillegung? 3. Bedingungen für Notstandsvereinbarungen seitens der Gewerkschaften
Das Begründungsdefizit des Bundesarbeitsgerichts in diesen dogmatischen Fragen beruht wohl darauf, daß Kern der diese Rechtsprechung einleitenden Entscheidungen die Frage war, ob Notstandsvereinbarungen seitens der Gewerkschaft an die Bedingungen geknüpft werden könnten, nur die zu den Notstandsarbeiten zugeteilten Arbeitnehmer durften zur Arbeit zugelassen werden463 . Unabhängig davon, wer Träger der Notdienstarbeiten ist464 : bis dato hat die Rechtsprechung angenommen, die Gewerkschaft sei auch ohne Gegenleistung verpflichtet, solche Notstandsarbeiten, wenn schon nicht gemeinsam mit dem Arbeitgeber zu organisieren, so doch zuzulassen465 . In der Herleitung ist diese Pflicht zwar umstritten: zum Teil nur bei Unmöglichkeit der Arbeitsleistung entsprechend den Regeln der force majeure zulässig ist. 461 BAG v. 22. 3. 94 EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter 11 3 der Gründe. 462 Vgl. Absehn. B. m. 2. b) dd). 463 Vgl. BAG v. 22. 3. 94 EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BAG v. 30. l. 95 EzA Nr. 119 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 464 Für eine gemeinsame Organisationspflieht von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite die herrrsehende Meinung: Otto, MünchHandbArbeitsR, § 278 Rn 148; Brox, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 293; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht 11/2, S. 949; G. Müller, RdA 1982,86 (97); Buschmann, AuR 1980,230 (233). Offengelassen durch das Bundesarbeitsgericht, vgl. zuletzt BAG v. 14. 12.93 NJW 1994,1300 (1302). 465 Zuletzt BAG v. 14. 12. 93 NJW 94, 1300 (1301); ebenso BAG AP Nr. 40, 69, 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Selbst die Arbeitskampfrichtlinien des DGB vom 5. 6. 74 gehen
VI. Außenseiter und das "Recht zur Betriebsstillegung"
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wird die Verpflichtung zu Notstands- und Erhaltungsarbeiten bereits als Gewohnheitsrecht bezeichnet466 , teilweise - so Hueck/Nipperdey/Säcker - wird auf die Ordnungsfunktion der Tarifverträge abgestellt, die durch eine übennäßige Kampfführung nicht in Frage gestellt werden dürfe467 . Ein neuerer Ansatz ist die Verpflichtung der Tarifvertragsparteien aus Treu und Glauben innerhalb des durch die Anbahnung eines Tarifvertrags begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnises 468 . Schließlich wird allgemein auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurückgegriffen, das die Arbeitskampfparteien nicht nur hinsichtlich des "Wann" und "Ob", sondern auch hinsichtlich des "Wie" eines Streiks binde469 • Welchem dieser Ansätze man dabei auch immer folgen mag: hielte man es für zulässig, die Ennöglichung und Organisation solcher Arbeiten an die Bedingung zu knüpfen, arbeitswillige Arbeitnehmer dürften nicht zur Arbeit zugelassen werden, so würden diese Außenstehenden mit den Streikzielen der Gewerkschaft z:wangssolidarisiert. Ein Streik, der u.U. nur einem sehr geringen Teil der Belegschaft sinnvoll erscheint und daher nur mit geringer Beteiligung rechnen könnte, würde sich mittels dieser Zwangsbeteiligung hundertprozentiger Teilnahme erfreuen. Das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite würde dadurch nicht nur dahingehend entschieden gestört, daß die Gewerkschaft zur Durchführung eines Streiks nur noch gerade mal soviele Arbeitnehmer mobiliseren müßte, wie es erforderlich ist, daß der Betrieb oder auch nur einzelne Betriebsmittel ohne eine Notdienstvereinbarung gefährdet wären. Bereits dann könnte sie die Stillegung des Betriebs erreichen, obwohl sie vielleicht nur einen Bruchteil der Belegschaft hinter sich hätte. Diese Paritätsstörung erscheint bedenklich; das Bundesarbeitsgericht setzt sich mit diesem Problem nicht auseinander. Gerade aber die Wahrung der Kräfteparität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ist ein entscheidender Aspekt für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer tarif- oder arbeitskampfrechtlichen Regelung, wie das Bundesverfassungsgericht zuletzt ausdrücklich in der Zweitregisterentscheidung betont hat47o . Vielleicht noch wichtiger - und gerade im Zuammenhang mit der hier erörterten Problematik von Bedeutung - ist ein zweiter Aspekt: diese Zwangssolidarisierung wäre ein entscheidender Einschnitt in die negative Koalitionsfreiheit der nicht organisierten Arbeitnehmer, die ohne Streikunterstützung die Tarifauseinandersetzung durchstehen müßten. Die Beeinträchtigung dievon einer unbedingten Pflicht aus, vgl. § 8 Abs. 1: "Die arbeitskampfführende Gewerkschaft hat Regelungen zu treffen, ob und wie zur Erhaltung der Arbeitsplätze Notstandsarbeiten zu verrichten sind". 466 So bereits Hoeniger, RdA 53,204 (205); a.A. Däubler, AuR 81, 257 (259). 467 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/2, S. 948. 468 Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 420. Zu einer Herieitung aus dem durch vorangegangene Tarifverträge entstandenen Dauerschuldverhältnis Amold, Die tarifvertragliche Dauerrechtsbeziehung. 469 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Löwisch/Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 387. 470 BVerfG NZA 1995, S. 272. 9*
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B. Der Außenseiter auf Arbeitnehmerseite
ser negativen Koalitionsfreiheit wie das Bundesarbeitsgericht mit der faktischen Partizipation des Außenseiters am Tariferfolg zu begründen471 , ist wie oben dargelegt bereits für die Einbeziehung in die Aussperrung nur bedingt tauglich472 . Hier greift diese Herleitung erst recht nicht, da eine Zwangssolidarisierung durch die Gewerkschaft ein einschneidenderer Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit ist, als die Möglichkeit des Arbeitgebers, durch ein Erstrecken der Aussperrung unterschiedslos auf organisierte und nichtorganisierte adäquater auf einen Streik reagieren zu können. Diese Einbeziehung aber mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems zu begründen, ist nicht möglich, da solche Gründe dafür nicht ersichtlich sind. Auch unter dem Gesichtspunkt des Artikel 9 Abs. 3 GG begegnet diese Rechtsprechung also erheblichem Zweifel 473 , insbesondere, wenn man annimmt, die Gewerkschaft könne sich bei der Auswahl zum Notdienst auf organisierte Arbeitnehmer beschränken474 . 4. Ergebnis
Die vorangegangenen gegenteilig entschiedenen Urteile des Bundesarbeitsgerichts konnten sich auf bessere Argumente stützen als die Entscheidungen seit dem 22. 3. 1994; ihnen ist zu folgen. Wenn aber die Rechtsprechung weiterhin an dem Recht zur Betriebstillegung festhalten sollte, ist dies in Bezug auf die Einbeziehung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer nicht anders zu beurteilen als ihre Einbeziehung in die Aussperrung. Notdienstvereinbarungen können aber nicht davon abhängig gemacht werden, daß der bestreikte Arbeitgeber nur die zu Notdienstarbeiten eingeteilten Arbeitnehmer zur Arbeit zuläßt. In Bezug auf den nichtoder andersorganisierten Arbeitnehmer läge hierin ein unzulässiger Eingriff in die negati ve Koalitionsfreiheit.
47 1 BAG v. 22. 3. 94 EzA Nr. 115 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter II 3a der Gründe: "Das entspricht der sozialen Wirklichkeit und der kollektiven Interessenlage. Das Ergebnis eines Arbeitskampfs kommt zumindest faktisch auch den sog. ,Außenseitern' zugute". 472 Vgl. Abschn. B. III. 2. b)cc). 473 So unzutreffend Löwisch, FS Gitter, S. 533; dagegen Thüsing, Anmerk. zu BAG v. 30. 1. 95 EzA Nr. 119 zu Art 9 GG Arbeitskampf. 474 Ebenso Konzen, Anmerk. zu BAG v. 11. 7. 95 AP Nr. 139 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 10.
c. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite I. Legitimation zur Bestreikung von nicht organisierten Arbeitgebern
Aktueller und kontroverser diskutiert als der Streik des Nichtorganisierten ist die Bestreikung des Nichtorganisierten, genauer, ob der nicht verbands angehörige Arbeitgeber im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfs bestreikt werden darf. Das Bundesarbeitsgericht hielt dies in einer Entscheidung vom 9. 4. 1991 obiter dictum für zulässig!. Insbesondere nahm es an, daß die Einbeziehung des Außenseiterarbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf nicht gegen das Prinzip verstoße, wonach derjenige, gegen den der Arbeitskampf gerichtet ist, grundsätzlich auch in der Lage sein müsse, die Forderung zu erfüllen, zu deren Durchsetzung der Arbeitskampf erfolgt (Verbot des Sympathiearbeitskampfs). Denn die Bestreikung eines Außenseiterarbeitgebers verfolge stets auch das Ziel, daß die Forderungen, die die Gewerkschaft gegen den Arbeitgeberverband im Tarifvertrag durchsetzen will, auch Arbeitsbedingungen im Unternehmen des Außenseiters werden sollten. Der Arbeitgeber könne dem durch einen Firmentarifvertrag oder durch die Erklärung nachkommen, daß er sich dem Ergebnis anschließe, das bei den Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaften erreicht werde. Erforderlich sei gemäß dem ultima-ratio-Prinzip lediglich, daß die Gewerkschaft ihre Forderung zuerst auch gegenüber dem Außenseiterarbeitgeber erhebt. Dies müsse ausdrücklich geschehen und nicht lediglich konkludent durch Erhebung der Forderung auf Verbandsebene. Weiter noch ging der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 19. 1. 1978, wonach eine Bestreikung des Außenseiterarbeitgebers im Verbandsarbeitskampf in jedem Fall zulässig sein sole: Es genüge, wenn sich der Arbeitskampf gegen einen tariffähigen Sozialpartner richte, der die Forderung auf Abschluß eines Tarifvertrags jedenfalls erfüllen könnte. Dies sei gemäß § 2 TVG auch der einzelne Arbeitgeber. Unerheblich sei es dahingegen, ob der Sozialpartner tatsächlich zum Abschluß eines solchen Tarifvertrags gezwungen werden soll, oder etwa der nicht verbandszugehörige Arbeitgeber von der Gewerkschaft nur bestreikt werde, um auch hierdurch wirtschaftlichen Druck auf seine Branche und ihren Arbeitgeberverband auszuüben. Eine Identität von Kampfziel- und Kampfrniueladressat wäre danach also nicht erforderlich. 1 2
BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BGH v. 19. 1. 78 EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
Anders wiederum die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt vom 22.2.1990, der Vorinstanz zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9. 4.1991 3 . Danach könne der Außenseiterarbeitgeber in einen Verbandsarbeitskampf einbezogen werden, wenn der in Streit stehende Tarifvertrag erfahrungsgemäß für allgemeinverbindIich erklärt werde. Der Außenseiterarbeitgeber könne im Falle seiner Bestreikung dann seinerseits der Gewerkschaft alsbald Verhandlungen zum Abschluß eines Firmentarifvertrags anbieten und so seine negative Koalitionsfreiheit "aktualisieren". Dann - und nur dann - genieße er den relativen Schutz des ultimaratio-Prinzips, das die Gewerkschaften zu Verhandlungen vor der Fortsetzung seiner Bestreikung zwingt. Eine umfassend schützende "Käseglocke" im Verbandsarbeitskampf um den Außenseiter zu legen, der am Ende dann doch das Ergebnis der Tarifvertragsverhandlungen übernehme, bevorzuge ihn unangemessen gegenüber dem organisierten Arbeitgeber, zumal ja auf der anderen Seite auch der nicht organisierte Arbeitnehmer mit ausgesperrt werden dürfe. In der Literatur sind die verschiedenen Stellungnahmen zu dieser Problematik ähnlich unterschiedlich wie diese drei Urteile ausgefallen4 . Unterschiedlich beurteilt wird vor allem, inwieweit das ultima-ratio-Prinzip und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Sympathiearbeitskampf zu Modifikationen oder zur Rechtswidrigkeit der Einbeziehung von Außenseiterarbeitgebern in einen Verbandsstreik führen müssen. Zumeist wird dabei nach den möglichen Streikzielen der Gewerkschaft bei der Bestreikung des Außenseiterarbeitgebers differenziert5 . Dies soll auch hier geschehen.
1. Bestreikung zur Erzwingung eines Firmentarifvertrags
Es ist nahezu unbestritten, daß eine Gewerkschaft einen nicht organisierten Arbeitgeber zur Erzwingung eines FirmentariJvertrags bestreiken darf'. Die Möglichkeit, bestreikt zu werden, ist dabei notwendige Folge der Tariffahigkeit des einzelnen Arbeitgebers gemäß § 2 I TVG7 . Wenn dieser einen Firmentarifvertrag abLAG Frankfurt v. 22. 2. 90, LAGE Nr. 40 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Vgl. Konzen, SAE SO, 18; SAE 86, 59; SAE 91,343; ihm folgend Ouo, in: MÜllchHandbArbeitsR, § 278, Rn 68; Seiter, Anmerk. zu BAG v. 191.78 EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Lieb, FS Kisse1, S. 653 ff.; Häuser, FS Kissel, S. 297 ff.; wwisch/ Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 330 meinen demgegenüber "daß nicht und anders organisierte Arbeitgeber in einen vom Arbeitgeberverband geführten Arbeitskampf einbezogen werden können, wird - soweit ersichtlich - von niemandem vertreten ... ". 5 Lieb, FS Kissel, S. 653 ff.; Häuser, FS KisseJ, S. 297 ff.; Loritz, in: Lieb I v. Stebutl Zöllner, Arbeitskampfrecht-Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 128 f.; wwisch, in: MünchHandbArbeitsR, § 238 Rn 56. 6 So auch zuletzt BAG v. 11. 8. 92 EzA Nr. 105 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 6 mit umfassenden Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum. 7 "Tariffahigkeit bedingt Arbeitskampffähigkeit". Dies stellt Lieb, FS Kissel, S. 653 (658) neuerdings in Frage, erkennt es jedoch als Prämisse in seine weiteren Ausführungen an. Seine 3
4
I. Die Bestreikung des nicht organisierten Arbeitgebers
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schließen kann, muß die Gewerkschaft einen solchen Vertrag grundsätzlich auch erzwingen können, muß aus der Koalitionsmittelgarantie des Art. 9 III GG auch deren Recht folgen, Außenseiterarbeitgeber für den Abschluß eines Firmentarifvertrags zu bestreiken 8 . Denn der Firmentarifvertrag hat nur dann ebenso wie der Verbandstarifvertrag die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Richtigkeitsgewähr, wenn hinter den Verhandlungen als Druckmittel für einen angemessenen Interessenausgleich die Möglichkeit zur Streikführung steht9 . Die Bestreikung des Außenseiters zur Erzwingung eines Firmentarifvertrags wird nun nicht dadurch unzulässig, daß gleichzeitig auch auf Verbandsebene ein Arbeitskampf geführt wird, unter Umständen zur Durchsetzung eines inhaltlich identischen Tarifvertrags. Entscheidend ist, daß der Außenseiterarbeitgeber auch dann Partei eines Firmentarifvertrags werden soll und die Arbeitsbedingungen beim Außenseiterarbeitgeber in diesem Firmentarifvertrag selbstständig geregelt werden sollen.
2. Bestreikung zur Erzwingung eines Anschlußtarifvertrags
Uneinheitlicher ist die Beurteilung der Bestreikung des Außenseiterarbeitgebers im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfs, wenn dadurch lediglich ein Anschlußtarifvertrag erreicht werden soll oder eine verbindliche Erklärung des bestreikten Außenseiters, daß dieser sich dem Ergebnis anschließen werde, das bei den Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft erreicht wird lO • Unzutreffend ist dabei sicherlich die Annahme des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 9. 4. 1991, dieses Ziel liege notwendig bei jeder Bestreikung eines Außenseiterarbeitgebers im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfs vor 11 • Dies kann so sein, und es wird wohl auch der Regelfall sein, zumindest nach Darstellung der streikführenden Gewerkschaft. Zwingend ist es jedoch nicht. Denn denkbar ist Verweise auf Müller, RdA 90, 321 (322), Rieble, SAE 91, 316 und Staudinger-Richardi, BGB, Vor § 611 Rn 885 stehen entgegen der Auffassung Liebs diesem Prinzip jedoch nicht entgegen. Die angeführten Autoren verneinen Tariffähigkeit und Arbeitskampffähigkeit bei fehlender sozialer Mächtigkeit des einzelnen Arbeitgebers. Zu klären, ob diese Aufassung zutrifft, kann nicht Aufgabe einer die Außenseiterproblematik im Arbeitskampf untersuchenden Darstellung sein. S So auch BAG v. 11. 8. 92 EzA Nr. 105 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 9 BAG v. 11. 8. 92 EzA Nr. 105 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 6. Zu dieser Richtigkeitsgewähr vgl. allgemein Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 164f. 10 Für eine Zulässigkeit: BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 7; Seifer, Anmerk. zu BGH v. 19. 1. 78 EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 150; Konzen, SAE 91,335 (343 f.); Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278 Rn 68. Gegen eine Zulässigkeit: Lieb, FS Kissel, 653 ff.; ders., SAE 93, 268; ders., Arbeitsrecht, S. 194 f.; Rieble, Anmerk. zu BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 15 f. 11 BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 7.
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
auch - wie bereits der Bundesgerichtshof festgestellt hat 12 -, daß ein Außenseiterarbeitgeber nur bestreikt wird, um auch hierdurch wirtschaftlichen Druck auf die Branche und ihren Arbeitgeberverband auszuüben. Wenn die Bestreikung aber wirklich der Erzwingung eines Anschlußtarifvertrags beim Außenseiter dienen soll, werden von Teilen des Schrifttums neben der Forderung des Bundesarbeitsgerichts, die Kampfforderungen müßten auch gegenüber dem Außenseiterarbeitgeber ausdrücklich erhoben worden sein, zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzungen aufgestellt. So fordern Konzen und OUo dafür eine bisher stets erfolgte faktische Anwendung des Verbandstarifs durch den Außenseiterarbeitgeber oder eine zu erwartende Allgemeinverbindlichkeit 13 . Konzen begründet dies damit, daß in diesen Fällen ein Kampfverbot in dem Unternehmen des Außenseiterarbeitgebers dazu führen würde, daß dieser seine eigenen (Tarif-)Interessen ohne Risiko durch den Verband austragen lassen könne, obwohl auch auf Unternehmensebene über den konkreten Inhalt der Arbeitsbedingungen keine Einigung vorliegt, vielmehr die Einigung des Verbandstarifvertrags zumindest faktisch auch dort die Arbeitsbedingungen bestimme. Der Konflikt solle dann nicht vermieden werden, sondern lediglich auf die Verbandsebene verlagert werden. Dieser Umstand und die Tatsache, daß die Forderung nach einem Anschlußtarifvertrag durch den Außenseiterarbeitgeber auch erfüllbar ist, spreche dafür, auch den Anschlußstreit kampfweise austragen zu lassen. Anderes wäre eine unangemessene Bevorzugung des Außenseiters gegenüber den Verbandsmitgliedern 14 • Ähnlich ist die Argumentation Ouos, der auf Konzen verweist 15 , wie auch der Hinweis des Landesarbeitsgerichts Frankfurt, durch ein Verbot der Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf keine arbeitskampfrechtliche "Käseglocke" über den Außenseiterarbeitgeber stülpen zu wollen 16 . Die Argumentation Häusers beschränkt sich demgegenüber im wesentlichen darauf nachzuweisen, daß in der Anerkennung der Streiklegitimation in diesen Fällen kein Verstoß gegen den Grundsatz der Unzulässigkeit von Sympathiearbeitskämpfen liege, und er deswegen zulässig sei 17. Die Richtigkeit dieser zusätzlichen Vorausetzungen und Rechtmäßigkeitskriterien wäre zu erörtern, wenn sich nicht die Ansicht Liebs als richtig erweist, der grundsätzlichere Bedenken gegen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vorbringt. Lieb geht von der generellen Unzulässigkeit der Bestreikung zum Abschluß eines Anschlußtarifvertrags aus und begründet dies damit, daß ein Arbeitgeber BGH v. 19. 1. 78 EzA Ne. 21 zu Art. 9 GG Arbeirskampf, S. 138. So von Konzen, SAE 91, 335 (343 f.) und Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278 Rn 68. Vgl. auch LAG Frankfurt v. 22. 2. 90, LAGE Nr. 40 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 7; Konzen, SAE 86, 56 (59); Dtto, Anmerk. zu BAG v. 11. 8. 92 EzA Nr. \05 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 14. 14 Konzen, SAE 91,335 (343 f.). 15 Dtto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278 Rn 68; vgl. auch ders., Anmerk. zu BAG v. 11. 8. 92 EzA Nr. \05 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 14. 16 LAG Frankfurt v. 22. 2. 90, LAGE Nr. 40 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 7. 17 Vgl. Häuser, FS Kissel, S. 297 (insb. 317ff.). 12 13
I. Die Bestreikung des nicht organisierten Arbeitgebers
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nicht gezwungen werden könne, unter Streik und Streikdrohung einen Tarifvertrag zu akzeptieren, dessen Inhalt er nicht kennen kann 18 . Maßgeblich dafür seien zwei Gesichtspunkte: Zum einen will sich der nicht organisierte Arbeitgeber durch sein Fernbleiben vom Verband gerade die Entscheidungsfreiheit darüber erhalten, ob er die Verbandsarbeitsbedingungen übernehmen will oder nicht. Er übe damit seine verfassungsrechtlich geschützte negative Koalitionsfreiheit aus. Wolle man den Außenseiter in seiner Verhandlungsposition ebenso stellen wie den Verband, der nur über konkret bestimmte Forderungen mit den Gewerkschaften verhandelt, dann könne eine arbeitskampfrechtliche Erklärungsobliegenheit des betroffenen Außenseiterarbeitgebers auch erst dann angenommen werden, wenn er mit konkreten Forderungen seitens der Gewerkschaft konfrontiert wird. Ihn vorher zu bestreiken wäre daher ein Verstoß gegen das ultima-ratio-Prinzip 19. Zum anderen folge die Unzulässigkeit der Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf aus den rechtlichen Grenzen einer dynamischen Verweisung in einem Tarifvertrag. Zwar seien diese Grenzen im einzelnen streitig. Eine abschließende Klärung dieser Problematik sei jedoch nicht erforderlich, denn eine bindende Inbezugnahme von anderweitig noch zu verneinbarenden Normen, die inhaltlich noch gar nicht feststehen, würde einen völligen Verzicht auf die eigene, eigenverantwortlich auszuübende Regelungsmacht darstellen. Dies könne jedenfalls unter Streikdruck nicht verlangt werden 2o . Eine Auseinandersetzung mit der Argumentation Liebs steht bislang noch aus. Sie scheint in der Tat der einzig mögliche Ansatz für einen grundsätzlichen Ausschluß der Bestreikung des Außenseiters zum Abschluß eines Anschlußtarifvertrags während laufender Verbandsverhandlungen zu sein. Denn es trifft zu, daß in der Bestreikung eines Außenseiterarbeitgebers zum Abschluß eines Anschlußtarifvertrags kein Verstoß gegen das Prinzip liegt, wonach sich ein Streik grundsätzlich nur gegen den richten darf, der die mit dem Streik durchzusetzende Forderung auch erfüllen kann 21 . Es wird ja mit dem Anschlußtarifvertrag ein eigenständiges Streikziel gegenüber dem Außenseiterarbeitgeber verfolgt; schließt er den Anschlußtarifvertrag ab, endet auch dessen Bestreikung. Insoweit ist dem Bundesarbeitsgericht also Recht zu geben. Auch kann in einem Tarifvertrag, der auf einen anderen, inhaltlich noch nicht genau bestimmten Tarifvertrag verweist, kein Verstoß gegen das gesetzliche Schriftformerfordernis gesehen werden oder eine unzulässige Delegation der Normsetzungsbefugnis. In diese Richtung zielende Einwände müßten fehlgehen, denn zum einen ist dem Bestimmtheitserfordernis der Schriftform genüge getan, wenn sich jederzeit zweifellos feststellen läßt, auf wel18 Vgl. Lieb, FS Kissel, 653ff.; ders., SAE 93,268; ders., Arbeitsrecht, S. 194f.; kritisch auch Rieble, Anmerk. zu BAG v. 9. 4.91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; ders., Anmerk. zu BVerfG v. 26. 6. 91 EzA Nr. 97 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 19 V gl. Lieb, FS Kissel, 653 (667 ff.). 20 Vgl. Lieb, FS Kissel, 653 (669f.). 21 Verbot des Sympathiearbeitskampfs: Vgl. BAG v. 12. 1. 88 NZA 88, 474 (insb. 475 r.Sp.); BAG v. 5. 3. 85 AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf.
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
che Regelung verwiesen sein soll, zum anderen begeben sich die Tarifvertragsparteien mit einer solchen Verweisung nicht ihrer eigenen Rechtsetzungsbefugnis, denn sie können die Verweisung jederzeit wieder aufheben. Maßgebliche Norm ist damit die Verweisungsnorm, nicht die Norm, auf die verwiesen wurde22 . Wenn Lieb nun meint, es sei aber "unter jedem denkbaren Aspekt unzumutbar,m, einem Arbeitgeber unter Arbeitskampfdruck ein Tarifvertrag abzuverlangen, dessen Inhalt er nicht kennnt, mag dies in der Begründung recht allgemein sein; zusätzlich zu den von ihm angeführten Gesichtspunkten lassen sich jedoch weitere Argumente für die Richtigkeit dieser Annahme finden. Wenn das Bundesverfassungsgericht beispielsweise Bürgschaftsverträge aufgrund der tendenziell schwächeren Verhandlungslage des Bürgen inbesondere dann für sittenwidrig hält, wenn diese erkennbar unter Druck oder aus Unerfahrenheit zustandegekommen sind und in der Höhe nicht begrenzt sind24 , könnte dies möglicherweise dahin verallgemeinert werden, daß generell Blankoverpflichtungserklärungen nicht unter Druck abverlangt werden können. Genau dies aber geschieht bei der Bestreikung um einen Anschlußtarifvertrag im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfs. Aber auch wenn man sich dieser Wertung nicht anschließt, könnte ein anderer Argumentationsansatz aus dem Wesen des Tarifvertrags folgen: Der Tarifvertrag ist ein Friedensvertrag 25 . Die Bedingungen für den Friedensvertrag müssen aber im Zeitpunkt des Vertragsschluß feststehen, wenn nicht eine bedingungslose Kapitulation erwartet wird. Die bedingungslose Kapitulation des Arbeitgebers, der dadurch der Möglichkeit genauer wirtschaftlicher Kalkulation beraubt würde, kann aber kein legitimes Kampfziel der Gewerkschaft sein. Schließlich: Wenn mit der wohl herrschenden Meinung im Schrifttum davon auszugehen ist, daß ein verbandsangehöriger Arbeitgeber nicht mit dem Ziel eines Firmentarifvertrags bestreikt werden darf, weil aus der Verbandszugehörigkeit und der darin verwirklichten positiven Koalitionfreiheit das Recht folgt, die Tarifentscheidungen ausschließlich durch den Verband zu fällen 26, dann folgt aus dem Fernbleiben vom Verband und der sich darin realisierenden negativen Koalitionsfreiheit das Recht, den Inhalt des Tarifvertrags eben nicht durch den Verband, sondern selbst in eigener Verhandlung zu bestimmen. Mit der hier vertretenen Auffassung ist auch keine unzulässige Bevorzugung des Außenseiters gegenüber dem verbandsangehörigen Arbeitgeber verbunden, die Argumentation Konzens und des Landesarbeitsgerichts Frankfurt geht insoweit fehl: Vgl. WiedemannlStumpf, TVG, § 1 Rn 104. Lieb, SAE 93,268 (268 r.Sp.). 24 Vgl. BVerfG v. 19. 10.93 BVerfGE 89, 214 (235) =JZ 1994, S. 408 mit Anmerk. Wiedemann. 25 HuecklNipperdey, Arbeitsrecht 11/ 1, S. 238. 26 Vgl. nur Lieb, Arbeitsrecht, S. 133; Schalz, in Maunz/Dürig/Herzog/Scho1z, Art. 9 GG, Rn 192; Hanaul Adameit, Arbeitsrecht, S. 87; Buchner, OB 70, 2074 (2076); Rüthers, in: Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 137; weitere Nachweise bei WiedemannlStumpf, TVG, § 2 Rn 83, die jedoch selbst eine gegenteilige Ansicht vertreten. 22 23
I. Die Bestreikung des nicht organisierten Arbeitgebers
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Ist der Verbandsarbeitskampf vorbei, kann die Gewerkschaft auch den Außenseiter mit dem Ziel der Übernahme des Verbandstarifs bestreiken. Dieser Forderung wird der Außenseiter regelmäßig nachkommen müssen, weil es für ihn wirtschaftlich ungleich schwerer ist, einen Arbeitskampf durchzustehen als für einen organisierten Arbeitgeber, da nur letzterer Unterstützungszahlungen von seinem Verband erhält. Ja, die Gewerkschaft kann auch bestrebt sein, mit dem Außenseiter einen für sie günstigeren als den Verbandstarifvertrag zu vereinbaren. Auch dem müßte der auf sich allein gestellte Arbeitgeber wohl nachgeben, wenn er nicht die Flucht in den Verband antritt und den Schutz der Friedenspflicht des bereits geschlossenen Verbandstarifvertrags in Anspruch nimmt27 . Aufgrund dieser verbleibenden Möglichkeiten der Bestreikung kann nicht gesagt werden, die Freistellung von Verbandsarbeitskämpfen ohne eigenständige Verhandlung bedeutet eine Bevorzugung des Außenseiters. Sie stellt vielmehr die rechtliche Gleichstellung mit dem organisierten Arbeitgeber dar, der auch nicht in den Arbeitskampf um den Firmentarifvertrag eines Außenseiters einbezogen wird. In beiden Fällen entspricht die schützende "Käseglocke" arbeitskampfrechtlichen Grundprinzipien. Daß sich Gegenteiliges nicht aus der Tatsache herleiten läßt, daß der Außenseiterarbeitgeber faktisch am Verhandlungsergebnis auf Verbandsebene partizipiert, indem er es übernimmt - wie dies vor allem in der Argumentation Ottos und des Landesarbeitsgerichts Frankfurt anklingt28 -, ergibt sich aus den gleichen Gründen, weshalb sich der Partizipationsgedanke nicht zur Legitimation der Aussperrungsbetroffenheit der nicht organisierten Arbeitnehmer eignet. Auch dort geht es um die Frage einer möglichen passiven Betroffenheit durch ein Arbeitskampfmittel gegen den Willen des Außenseiters 29 • Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen 3o • Ergebnis: Ein Anschlußtarifvertrag ist also zulässig. Er darf jedoch nicht unter Streikdruck erzwungen werden, wenn der verwiesene Tarifvertrag inhaltlich noch nicht bestimmt ist. Daher ist eine Bestreikung des Außenseiterarbeitgebers zum Abschluß eines Anschlußtarifvertrags bei noch laufenden Auseinandersetzungen auf Verbandsebene unzulässig.
3. Bestreikung zur Druckausübung auf den Arbeitgeberverband
Schließlich verbleibt die Möglichkeit, daß der nicht organisierte Arbeitgeber ausschließlich mit dem Ziel bestreikt wird, Druck auf den Arbeitgeberverband ausVgl dazu Lieb, NZA 94,229 (229). LAG Frankfurt v. 22. 2. 90, LAGE Nr. 40 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; OUo, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 67 f. 29 Zu der Vergleichbarkeit dieser beiden Fragen siehe auch Seiter, Anmerk. zu BGH v. 19. I. 78 EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 150. 30 Vgl. Abschn. B. 111. 2. b) cc); gegen die Heranziehung des Partizipationsgedankens speziell bei dem hier erörterten Problem auch Rieble, Anmerk. zu BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 17. 27 28
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
zuüben, dessen Mitgliedsunternehmen ebenfalls bestreikt werden. Ob dies in der Praxis vorkommt, kann dahingestellt blieben, denkbar wäre ein solches Ziel jedenfalls. Auch hier wird zum Teil angenommen, eine Bestreikung sei zulässig 3 !. Die weitaus herrschende Meinung im Schrifttum geht jedoch von deren Unzulässigkeit aus 32 . Dem entspricht wohl auch die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts. Denn wenn es davon ausgeht, in der Bestreikung eines Außenseiterarbeitgebers liege immer auch die Forderung, daß die zu erkämpfenden Arbeitsbedingungen auch in dessen Unternehmen gelten sollen - und auf diesen Punkt in der Argumentation maßgeblich abstellt -, dann schließt es damit gleichzeitig die Rechtmäßigkeit einer Bestreikung aus, wo dieser Umstand gerade nicht vOrliegt 33 . Die Einbeziehung des Außenseiterarbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf ist sicherlich nicht undenkbar, auch nicht, wenn gegenüber dem Außenseiter kein eigenes Streikziel angestrebt wird. Denn auch potentiell Unbeteiligte können von den Auswirkungen eines Arbeitskampfmittels betroffen werden, wenn dies die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems gebietet. Deren negative Koalitionsfreiheit muß insoweit zurücktreten. Daher dürfen - wie oben dargelegt - auch nichtorganisierte Arbeitnehmer ausgesperrt werden 34 , daher können auch Sympathiearbeitskämpfe in besonderen Konstellationen zulässig sein, wenn sich nur dadurch eine Kampfparität zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite herstellen läßt35 . Für die Herstellung der Kampfparität zwischen Verband und Gewerkschaft müßte also die Einbeziehung des Außenseiterarbeitgebers in den Streik geeignet und regelmäßig auch erforderlich sein; dann wäre sie auch zulässig. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn schon an der Geeignetheit fehlt es: Mit der Bestreikung des Außenseiterarbeitgebers kann kein Druck auf den arbeitskampfführenden Verband ausgeübt werden, denn er erhält im Falle seiner Bestreikung keine Unterstützungszahlungen vom Verband und hat, da er auch nicht über den Inhalt des Verbandtarifvertrags mitentscheiden kann, auf die Verhandlungsführung keinerlei Einfluß. Im Gegenteil, dadurch daß der Außenseiter ebenfalls bestreikt wird, hilft die Gewerkschaft dem Verband, den Arbeitskampf durchzuhalten, indem die Gefahr gemindert wird, daß Aufträge, die verbandsangehörige, nun aber bestreikte Unternehmen erhalten sollten, an nicht in den Arbeitskampf verwickelte Außenseiterunternehmen vergeben werden, die die rechtzeitige Vertragserfüllung gewährleisten könnten. 31 So BGH v. 19. 1. 78 EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; wohl auch Konzen, SAE 91,335 (343) und Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 278, Rn 68. 32 Lieb, FS Kisse1, 653 (676 f.); ders., SAE 93, 268; Häuser, FS Kisse1, 297 (322); Rieble, Anmerk. zu BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 18 f.; Seiter, Anmerk. zu BGH v. 19. 1. 78 EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 33 Vgl. BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 34 Vgl. Abschn. B. III. 3. 35 Vgl. Rieble, Anmerk. zu BAG v. 9. 4. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 15 m.w.N.; Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 358 ff., die versuchen, solche besonderen Ausnahmesituationen nährer zu präzisieren.
H. Die Aussperrung durch den nicht organisierten Arbeitgeber
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Ergebnis: Die Bestreikung eines Außenseiterarbeitgebers im Rahmen des Verbandsarbeitskampf mit dem ausschließlichen Ziel einer Druckausübung auf den Arbeitgeberverband ist unzulässig.
11. Legitimation zur Aussperrung durch den nicht organisierten Arbeitgeber
Auch die Tatsache, daß ein nicht organisierter Arbeitgeber in einer Tarifauseinandersetzung um einen Firmentarifvertrag aussperren darf, ist - ebenso wie die Möglichkeit, im Rahmen dieser Auseinandersetzung bestreikt zu werden 36 - zwingende Folge seiner Tariffähigkeit. Auch dies ist allgemein anerkannt 37 und durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt38 . Hinsichtlich der dogmatischen Herleitung dieses Aussperrungsrechts aus Art. 9 III GG und dem Erfordernis der Kampfparität kann auf obige Ausführungen verwiesen werden 39 . Schwieriger zu beantworten ist jedoch die Frage, ob der Außenseiterarbeitgeber im Rahmen des Verbandsarbeitskampfs aussperren darf.
1. Kein Ausschluß aufgrund fehlender Bestreikbarkeit
Allein aus der Tatsache, daß der Außenseiterarbeitgeber im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfs nicht bestreikt werden darf, kann nicht geschlossen werden, daß er auch nicht aussperren dar-t°. Dies folgt zum einen daraus, daß der Grundsatz der Kampfparität lediglich die gleichgewichtige, nicht die gleichartige Ausgestaltung der Arbeitskampfmittel auf Arbeitnehmer und Arbeitgeberseite gebietet, hinsichtlich des betroffenen Personenkreises daher durchaus Differenzen bei Streik und Aussperrung bestehen könnten. Zum anderen folgt dies aus dem grundlegenden Unterschied zwischen Aussperrungsbefugnis und Streikbetroffenheit: Bei der Siehe Abschn. C. I. 1. Vgl. nur Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 91; Löwisch/Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 45 jeweils mit weiteren Nachweisen. 38 Vgl. nur BAG v. 11. 8. 92 EzA Nr. 105 zu Art. 9 GG Arbeitskampf mit ausführlicher Begründung. 39 Vgl. Abschn. B. III. 1. 40 Diese zwingende Parallelität aber nimmt zum Beispiel Konzen, SAE 91, 335 (344) an, freilich vom Standpunkt der Zulässigkeit der Bestreikung des Außenseiterarbeitgebers im Verbandsarbeitskampf; vgl. auch die Argumentation Lieb, SAE 93, 268 (279). Dem entspricht auch die Auffassung des Reichsgerichts in seinem Urteil v. 26. 3. 1903, wo es einzig aus der Zulässigkeit des Sympathiearbeitskampfs die Zulässigkeit der Sympathieausperrung folgerte. Aufgrund dieser Argumentation bejahte das Gericht die Zulässigkeit einer Aussperrung durch den nicht bestreikten, nicht organisierten Arbeitgeber zur Unterstützung eines anderen Arbeitgebers (RGZ 54, S. 255, 259 f.). Auf die Außenseiterprob1ematik ging das Gericht jedoch damals - vor Schaffung des Art. 9 III GG - nicht ein. 36 37
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
Teilnahme des nicht organisierten Arbeitgebers an der Verbandsaussperrung handelt es sich um die aktive Ausübung eines Arbeitskampfmittels. Bei seiner Bestreikung ist der Nichtorganisierte nicht aktiv Beteiligter, sondern lediglich passiv betroffen von den Auswirkungen eines Arbeitskampfmittels, das die Gewerkschaft ausübt, nicht aber er selber. Das eine Mal wird er mit seinem Willen am Arbeitskampf beteiligt, das andere Mal gegen seinen Willen. Rückschlüsse von der einen auf die andere Seite sind daher nur bedingt möglich. Dieser bereits angesprochene Unterschied 41 ist auch hier zu beachten. 2. Legitimation aufgrund eines "Kamptbündnisses" zwischen Außenseiterarbeitgeber und Verband
Das Bundesverfassungsgericht bejahte in seinem Aussperrungsbeschluß vom 26. 6. 1991 die Befugnis des nicht organisierten Arbeitgebers zur Aussperrung im Rahmen eines Verbandsarbeitskampfs, wenn bereits vorher im Außenseiterunternehmen die Geltung des Verbandstarifvertrags individualvertraglich vereinbart wurde42 . Dann nämlich sei das zwischen aussperrendem Außenseiter und tariffähigern Verband bestehende "Kampfbündnis" eine Vereinigung i.S. des Art. 9 III GG, weil es den Abschluß eines Tarifvertrags auch im Interesse des Außenseiters beeinflussen solle; auch der Außenseiter betätige sich koalitionsmäßig und stehe daher unter dem Schutz des Art. 9 III GG43 . Dieser Konzeption nach wäre der nicht organisierte Arbeitgeber also gar kein Außenseiter, sondern ebenso wie der verbandsangehörige Arbeitgeber Mitglied der der Gewerkschaft im Arbeitskampf gegenüberstehenden Koalition. Eine Außenseiterproblematik stellt sich bei dieser Sicht der Dinge nicht44 • In der Nähe dieser Entscheidung liegt zumindest dem Ergebnis nach der Professorenentwurf 1988. Nach dessen Begründung soll eine Aussperrung durch einen Außenseiterarbeitgeber im Verbandsarbeitskampf zulässig sein, wenn die Zustimmung des Verbands vorliegt und der umkämpfte Tarifvertrag Auswirkungen auf 41 Vg1. die parallel zu führende Argumentation, warum allein aus der Streikberechtigung des nicht organisierten Arbeitnehmers nicht auf die Möglichkeit seiner Aussperrungsbetroffenheit geschlossen werden darf in Abschn. B. III. 2. b) aa). 42 BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 III GG Arbeitskampf. 43 BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 III GG Arbeitskampf, BI. 5 V. 44 Nach der von der Rechtsprechung zutreffend angenommenen Rechtsträgerschaft der Aussperrung durch die Koalition i. S. d. Art. 9 III GG verbunden mit einem entsprechenden Teilhaberecht (nur) ihrer Mitglieder [Vg1. Abschn. B. I. 2. all konnte der Außenseiterarbeitgeber einzig aufgrund dieser Tatsache als Beschwerdeführer die Verletzung eigener Rechte aus Art. 9 III GG geltend machen, und nur deshalb konnte die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bejaht werden. Daß dies der Grund für das Gericht war, mit geringem Begründungsaufwand dieses nicht abschließend geklärte Problem gleichsam en passant in diese Richtung zu entscheiden, um danach auf der Ebene der Begründetheit Gelegenheit zu erhalten, zu den ganz anders gelagerten Schwerpunkten der Entscheidung Stellung zu nehmen, kann vermutet werden (Vg1. auch Häuser, FS Kissel, S. 297, 302).
11. Die Aussperrung durch den nicht organisierten Arbeitgeber
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die Arbeitsbedingungen im Unternehmen des Außenseiterarbeitgebers hat. Ein eigenständiger Firmentarifvertrag müsse dazu nicht angestrebt werden, es genüge vielmehr die Erwartung, daß sich die Arbeitsbedingungen in dem Außenseiterunternehmen nach den zu erkämpfenden Tarifnormen auf Verbandsebene richten, etwa aufgrund individualvertraglicher Verweisung45 . Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in diesem Punkt ganz überwiegend auf Ablehnung gestoßen 46 . Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts attestiert ihr zumindest "Begründungsdefizite,,47. In der Tat kann die Begründung des Bundesverfassungsgerichts nicht überzeugen; zu rudimentär ist die Argumentation, zu widersprüchlich der Ansatz in seinen Konsequenzen. Durch die Konzeption eines Kamptbündnisses zwischen Außenseiter und Verband, das selbst arbeitskampffähige Vereinigung im Sinne des Art. 9 III GG ist, versucht das Gericht, den nicht organisierten Arbeitgeber dem organisierten Arbeitgeber gleichzustellen. Auf die Arbeitnehmerseite übertragen entspräche dies der oben bereits ausgeführten Argumentation Däublers, der die Verbindung von streikenden Außenseitern und Gewerkschaftsmitgliedern als arbeitskampffähige Vereinigung wertet und daraus das Streikrecht der Nichtorganisierten herleitet48 . Beide Argumentationen implizieren die Anerkennung der durch Arbeitskamptbeteiligung begründeten ad-hoc-Koalition und deren Arbeitskampffähigkeit. Wie bereits oben ausgeführt, wird dies jedoch zutreffend von dem ganz herrschenden Schrifttum und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zumindest für die Arbeitnehmerseite abgelehnt49 . Die der Anerkennung der ad-hoc-Koalition auf Arbeitnehmerseite entgegenstehenden Gründe streiten aber auch gegen die Anerkennung der ad-hoc-Koaliton auf Arbeitgeberseite. Denn dafür, daß Art. 9 III GG nur Vereinigungen erfaßt, die über eine dauerhafte Organisation verfügen, spricht als systematisches Argument schon die Parallelität zu Art. 9 I GG, wo dieses Erfordernis für die Vereinsfreiheit allgemein anerkannt ist50 , als historisches Argument, 45 Birk/Konzen/Löwisch/Raiser/Seiter, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, S. 76 als Erläuterung zu § 25 11 des Entwurfs. 46 Kritisch u.A. Lieb, FS Kisse1, S. 653 (676f.); Rieble, Anmerk. zu BVerfG v. 26. 6. 91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; zustimmend dagegen zumindest im Ergebnis Konzen SAE 91,335 (344). 47 BAG v. 11. 8. 92 AP Nr. 124 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V. 48 VgI. Abschn. B. 1.2. b) aal. 49 Vgl nur Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 76ff. mit ausführlicher Begründung und umfassenden Nachweisen; siehe auch Schotz, in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 9 GG, Rn 213; vgI. auch BVerfGE 38, 281, 303, wo das Gericht davon ausgeht, daß gegenwärtig praktisch nur die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände Vereinigungen i.S. des Art. 9 III GG darstellen. Zum Teil wird auch die ad-hoc-Koalition zwar als Vereinigung i.S. des Art. 9 III GG gewertet, jedoch deren Arbeitskampffähigkeit verneint, so z. B. speziell in bezug auf das hier erörterte Kampfbündnis: Rieble, Anmerk. zu BAG v. 9.4.91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 16.
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
daß auch für den fast wortgleichen Vorgänger des Art. 9 III GG in der Weimarer Reichsverfassung, Art 159 WRV, dies in bezug auf die Vereinigungsfreiheit nahezu unbestritten war5t . Darüberhinaus würde die Anerkennung der ad-hoc- Koalition und ihrer Arbeitskampffähigkeit bei dem hier erörterten Problem der Beteiligung nicht organisierter Arbeitgeber an der Verbandsaussperrung wohl nicht weiterhelfen. Dies zeigt schon ein Blick auf den Ablauf eines Arbeitskampfs. Denn selbst wenn sich Außenseiter der Aussperrung anschließen, bleibt Träger des Arbeitskampfs und Verhandlungspartner der Gewerkschaft nur der Verband, nicht aber ein aus Verband und Außenseiter gebildetes Kamptbündnis: In der Entscheidungsstruktur während des Arbeitskampfs - In welchem Umfang wird der Kampf geführt, wann beendet? - und im Ergebnis am Ende des Arbeitskampfs - Auf welche Unternehmen erstreckt sich der Tarifvertrag? - bleibt der Arbeitskampf verbandsbezogen und der Außenseiter Außenseiter. Schon daran zeigt es sich, daß es falsch ist, das "Kamptbündnis" von nicht organisiertem Arbeitgeber und Verband als Träger des Arbeitskampfs anzunehmen. Schließlich überzeugen auch nicht die Kriterien, nach denen das Bundesverfassungsgericht ein solches Kamptbündnis als Koalition i.S. des Art. 9 III GG wertet. Dies sei immer dann gegeben, wenn der Außenseiterarbeitgeber indivualvertraglich auf den Verbandstarifvertrag verweist52 . Dieser Argumentation liegt der Gedanke zugrunde. daß die Partizipation am Arbeitskampfergebnis Legitimation zu dessen Beeinflussung gibt. Daß aber kein Grundsatz besteht, wonach demjenigen, der an einem Erfolg teilhat, ein Recht zur Mitbewirkung dieses Erfolges einzuräumen ist, wurde schon in bezug auf die Frage der Streikbefugnis nicht organisierter Arbeitnehmer versucht darzulegen; darauf kann verwiesen werden 53 . Für die Anerkennung einer Verbindung zwischen Arbeitgebern als Vereinigung i.S. des Art. 9 III GG muß es vielmehr auf deren Abstimmung im Handeln und die Einwirkungsmöglichkeiten aufeinander ankommen, auf deren organisatorische Verflechtung und auf die Möglichkeit, gemeinsame Entscheidungen bindend herbeizuführen54 . Gleiches muß für die Verbindung von Verband und Außenseiterarbeitgeber gelten. 50 Vgl. nur Scholz, in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 9 GG, Rn 213; v. Münch, in: Bonner Kommentar, Art. 9 GG, Rn 120 jeweils m.w.N. 51 Vgl. Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts (2. Aufl.), S. 68 und Nipperdey, in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung Bd. m (1930), S. 387, die die ad-hoc-Koalition lediglich zu den Vereinigungen i.w.S. zählen. 52 BVerfG v. 26. 6. 91 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 5 V. 53 Vgl. Teil B. I. 3. b) bb). Zu der Begründungsuntauglichkeit des Partizipationsgedanken gerade bei der hier erörterten Frage auch Rieble, Anmerk. zu BVerfG v. 26. 6. 91 EzA Nr. 97 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 26 f; ders., Anmerk. zu BAG v. 9.4.91 EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, S. 16 f. Fehlgehend daher auch die Ausführungen Ouos, in: MünchHandbArbeitsR, § 278 Rn 67, der dezidiert auf die faktische Partizipation als entscheidendes Kriterium abstellt, freilich von der falschen Prämisse (vgl. die Ausführungen Abschn. B. 1.) eines subjektiv-privaten Arbeitskampfrechts mcht In der Hand der Koalitionen, sondern des einzelnen Arbeitgebers. 54 Vgl. nur Scholz, in Maunz / Düng / Herzog / Scholz, Art. 9 GG, Rn 213.
11. Die Aussperrung durch den nicht organisierten Arbeitgeber
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Über diese Anforderungen verliert das Gericht keinen Satz. Dies wird zu Recht kritisiert 55 . Gerade hier würde es aber auch zu weiteren kaum auflösbaren Widersprüchen zu der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommen. Die geht bekanntlich davon aus, daß eine Aussperrung, um verhältnismäßig zu sein, immer nur einen bestimmten Prozentsatz der Angehörigen des umkämpften Tarifbezirks umfassen darf. Die zulässige Höhe im Einzelfall hängt dabei vom Umfang der Bestreikung ab: Je enger der Streik geführt wird, desto mehr Arbeitnehmer dürfen ausgesperrt werden, höchstens aber 25 % der Belegschaft des Tarifbezirks 56 . Wenn nun der Außenseiter im Verbandsarbeitskampf aussperren könnte, ohne daß es der Zustimmung des Verbands bedürfte, würde diese Aussperrungsarithmetik für den Verband aufgrund der Unwägbarkeiten weiterer Anschlußaussperrungen unkalkulierbar. Die Einhaltung eines Gesamtvolumens könnte nicht verlangt werden. Nimmt man hingegen ein Zustimmungserfordernis des Verbands an, so könnte auch dann das Gesamtvolumen der Aussperrungen nur dadurch für den Verband bestimmbar gemacht werden, wenn der Aussperrungsbeschluß des Verbands dem Außenseiter die Aussperrung nicht nur ermöglicht, sondern ebenso wie dem Mitglied des Verbands auch gebietet. Dies wäre jedoch nur schwer vorstellbar, würde doch dadurch die negative Koalitionsfreiheit des nicht organisierten Arbeitgebers völlig außen vorgelassen 57 . Man mag zur Aussperrungsarithmetik des Bundesarbeitsgericht stehen wie man will, eine Auseinandersetzung mit ihr wäre erforderlich gewesen. Ergebnis: Nicht nur aufgrund seiner Begründungsdefizite, sondern aufgrund der Tatsache, daß der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts im ganzen fehlgeht und im unaufgelösten und wohl auch unauflösbaren Widerspruch zu grundlegenden Prämissen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht, ist er abzulehnen. Der nicht organisierte Arbeitgeber bleibt daher Außenseiter. Die Rechtfertigung für seine Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf muß sich auf andere Gründe stützen.
So durch Konzen, SAE 91,335 (342), vgl. auch Lieb, FS Kissel, S. 653, 677. Grundlegend BAG v. 10. 6. 80 AP Nr. 64 u. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Angesichts eines überwiegend ablehnenden Schrifttums scheint das Bundesarbeitsgericht selbst in neueren Entscheidungen diese Rechtsprechung zumindest in Teilbereichen zu modifzieren und den Zahlen lediglich Indizcharakter beizumessen (vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 423). Denoch dürfte sie nicht "endgültig überholt" (Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 423) oder "erledigt" (Hanau, in: Lieb/v. Stebut/Zöllner, Arbeitskampfrecht - Symposion Hugo Seiter zum Gedächnis, S. 90) sein. Daß die Diskussion vielmehr unverändert anhält und eine endgültige Aufgabe der Rechtsprechung durch das Bundesarbeitsgericht noch aussteht: Söllner, Arbeitsrecht, S. 99 ("Die Diskussion dauert an"); vgl. auch Lieb, Arbeitsrecht, S. 87. 57 Dies scheint Konzen, SAE 91, 335 (344) freilich anders zu sehen. Er spricht vom Verbandsbeschluß und Verbandsbefehl zur Aussperrung auch gegenüber dem Außenseiter. Ein Befehl aber ist bindend für seinen Adressaten. Zu der damit verbundenen Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit nimmt er jedoch nicht Stellung. 55
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10 Thüsing
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c. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite 3. Legitimation in Parallelität zur Streikbefugnis Nichtorganisierter Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems
Die Tatsache, daß sich nach der Konzeption des Grundgesetzes im Wechselspiel positiver wie negativer Koalitionsfreiheit ein funktionsfähiges Arbeitskampfsystem bilden muß, könnte auch eine Einbeziehung des Außenseiterarbeitgebers in die Verbandsaussperrung rechtfertigen, und daher der Aussperrungsbeschluß des arbeitskampfführenden Verbands auch dem nicht organisierten Arbeitgeber die kollektive Suspendierung von Arbeitsverhältnissen ermöglichen. Dies findet seine Parallele in dem Umstand, daß ja auch der nicht organisierte Arbeitnehmer in die Suspendierungswirkung des gewerkschaftlichen Streikbeschlusses einbezogen ist, einzig weil dies zur Wahrung eines funktionsfähigen Arbeitskampfsystem erforderlich ist58 . Daher kann hinsichtlich der dogmatischen Grundlagen und der Frage der generellen Möglichkeit der Einbeziehung auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden, wonach die Verbandsmacht der Koalitionen nicht zwingend bei ihren Mitgliedern endet, sondern darüber hinaus auch den Außenseiter erfaßt, wenn übergeordnete Rechtsprinzipien es notwendig erscheinen lassen. Auch wenn danach die Außenseiter nicht lediglich passiv betroffen, sondern aktiv handelnd am Verbandsarbeitskampf teilnehmen könnten, bedarf es dazu keines Ausweichens auf ein Arbeitskampfmodell, das nicht die Koalitionen, sondern den einzelnen Arbeitgeber als Träger eines subjektiv-privaten und subjektiv-öffentlichen Arbeitskampfrechts versteht. Wie bereits erörtert, kann auch ein Arbeitskampfmodell, das von der Rechtsträgerschaft der Koalitionen ausgeht, zu diesem Ergebnis führen 59 . Erforderlich wäre aber, daß auch hier in generalisierender, normativ wertender Betrachtung gesagt werden kann, eine Parität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sei nicht ohne die Einbeziehung von Außenseitern in dieses Arbeitskampfmittel zu erreichen. Für deren Einbeziehung in die Bestreikung konnte dies schon aufgrund fehlender Geeignetheit verneint werden 60 . Bei der Aussperrung durch den nicht organisierten Arbeitgeber trifft dies aber nicht zu, denn der Arbeitgeber kann z. B. durch die Aussperrung von organisierten Arbeitnehmern Druck auf die streikführende Gewerkschaft ausüben, ohne daß es darauf ankommt, ob er selber organisiert ist oder nicht 61 . In Anbetracht des ganz anderen durchschnittlichen Organisationsgrades von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist die Erforderlichkeit der Einbeziehung des Außenseiters in die Verbandsaussperrung aber zu verneinen. Denn bei diesem hohen Organisationsgrad kann man in typisierender Betrachtung davon ausgehen, daß sich schon allein durch die Aussperrung ver58 Vgl. Abschn. B. I. 3. b) cc); zur Vergleichbarkeit dieser heiden Konstellationen vgl. Seiter, Anmerk. zu EzA Nr. 21 zu Art. 9 GG Arheitskampf, S. 150; Konzen, SAE 86, 56 (59); ders., SAE 91,335 (344). 59 Vgl. Abschn. B. I. 3. a) und b). 60 Vgl. Abschn. C. I. 3. 61 Zu den verschiedenen möglichen Funktionen der Aussperrung vgl. Abschn. B. III. 2. b) dd).
IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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bandsangehöriger Arbeitgeber ein hinreichender Druck auf die Gewerkschaft erzielen läßt, insbesondere wenn man bedenkt, daß ja sogar der einzelne nicht organisierte Arbeitgeber tarif- und arbeitskampffähig ist, und auch dort, jedenfalls im Grundsatz, eine Parität zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber bejaht wird62 . Ebenso wie Sympathieaussperrungen nur unter ganz besonderen Umständen zulässig sind, in denen das typischerweise anzunehmende Paritätsverhältnis von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite nicht vOrliegt63 , ist also auch von der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Beteiligung von Außenseiterarbeitgebern an der Verbandsaussperrung auszugehen. Der Organisationsgrad ist auch hier Teil der "sozialen Wirklichkeit des Kampfgeschehens,,64, das die Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts bedingt.
III. Bestreikung und Aussperrung des anders organisierten Arbeitgebers Aus der obigen Erörterung ergibt sich weiter, daß grundsätzlich auch der anders organisierte Arbeitgeber nicht in einen Verbandsarbeitskampf einbezogen werden darf. Er darf nicht zur Druckausübung auf den ihm fremden Verband bestreikt werden, weil er von ihm keine Ausgleichszahlungen zu erwarten hätte und er auch nicht über eine Beendigung des Arbeitskampfs mitentscheiden könnte. Er darf nicht mitaussperren, weil auch dies nicht zur Herstellung einer Kampfparität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite erforderlich ist. Ob der (Anders-)Organisierte mit dem Ziel bestreikt werden kann, mit ihm einen eigenständigen Firmentarifvertrag zu verhandeln und abzuschließen, ist strittig. Verneint man dies mit guten Gründen und dem herrschenden Schrifttum65 , so muß dies auch dann gelten, wenn gleichzeitig parallel ein Arbeitskampf gegen einen anderen Verband mit ähnlichem oder gleichem Regelungsziel geführt wird. Diese nicht unmittelbar die Außenseiterproblematik im Arbeitskampf betreffende Frage braucht hier indes nicht abschließend geklärt zu werden.
IV. Der arbeitskampfrechtliche Status des Mitglieds ohne Tarifbindung Bisher wurde der arbeitskampfrechtliche Status des nicht und anders organisierten Arbeitgebers untersucht. Ihr wurde die Rechtsstellung desjenigen Verbandsmitglieds gegenübergestellt, das am Ergebnis des Arbeitskampfs teilhat, also vom zu 62 Ob für beides einschränkend gegenüber den Voraussetzungen des § 2 I TVG eine besondere soziale Mächtigkeit erforderlich ist (Siehe Nachweise Abschn. C. Fn 7), bedarf hier nicht der Klärung. 63 Vgl. dazu im einzelnen Löwischl Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 361. 64 BAG GS v. 21. 4. 71 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI.8 V; BAG v. 22. 3. 94 AuR 95, 36 (37). 65 Vgl. Nachweise Abschn. C. Fn 24.
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
erkämpfenden Tarifvertrag erfaßt ist, und an der innerverbandlichen Willensbildung beteiligt ist, also mit über den Inhalt des Tarifvertrags und etwaige Arbeitskampfrnaßnahmen entscheidet. Wie aber ist der arbeitskampfrechtliche Status eines Mitglieds des Arbeitgeberverbandes zu beurteilen, das nicht tarifgebunden ist und an der verbandsinternen Willensbildung bei Arbeitskampf- und Tariffragen nicht beteiligt ist? 1. Mitgliedschaft ohne Taritbindung in Arbeitgeberverbänden -
Gründe, Ausmaß und satzungsmäßige Ausgestaltung
Das derzeit in Deutschland praktizierte Modell des einheitlichen Flächentarifvertrags ist seiner Tendenz nach nur bedingt geeignet, die spezifischen Belange des einzelnen Unternehmens zu berücksichtigen 66 . In dem Moment, wo Tarifverträge keine bloßen Mindestbedingungen einer Arbeitnehmerbeschäftigung regeln, sondern ein an der durchschnittlichen Wirtschaftstärke und Ertragslage der brancheneinschlägigen Unternehmen insgesamt orientiertes Entgelt bestimmen, werden einzelne, unterdurchschnittlich starke Unternehmen durch diesen Tarif überfordert. Der Ruf nach tarifvertraglichen Öffnungsklauseln wird lauter67 , die Organisationsrate auf Arbeitgeberseite sinkt oder stagniert. In den neuen Bundesländern, wo die Verbände erst neu aufgebaut wurden, führt dies dazu, daß neugegründete oder umgewandelte Unternehmen oftmals erst gar nicht in den Verband eintreten68 . Dieser schwindenden Attraktivität des Arbeitgeberverbandes als Tarifgemeinschaft stehen dessen Serviceleistungen für seine Mitglieder gegenüber, die - neben der Einsicht in die Notwendigkeit einer gemeinsamen verbandsmäßigen Interessenwahrnehmung - einen Anreiz zum Verbleib im oder zum Eintritt in den Verband bieten. Diese Leistungen des Verbandes an seine Mitglieder sind vielfältig: Dazu gehört die Vertretung vor Arbeits- und Sozialgerichten ebenso wie die Beratung der Mitglieder in Rechtsangelegenheiten von allgemeiner Bedeutung für den Berufsstand69 oder gar in allen wirtschafts- und sozialpolitischen Angelegenheiten 70. Auch die Vertretung gegenüber der Öffentlichkeit, Behörden und gleichartigen Organisationen kann die Aufgabe eines Arbeitgeberverbandes sein 71. Zu dieser Problematik vgl. insb. Lieb, NZA 94, 229 ff.; Kirchner, AuA 95, 73 ff. Zu dem Problem der Öffnungsklauseln vgl. Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn 121 und ThielelThüsing, Wisu 94, 799. 68 Vgl. Abschn. A. 11. 2. 69 Vgl. Z. B. § 2 11 lit. d) Satzung des Verbandes der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie Rheinland-Pfalz vorn 29. 6. 90. 70 Vgl. z. B. § 2 I lit. b) Satzung des Verbandes der mitteldeutschen Bekleidungsindustrie vorn 3. 12.93. 71 Vgl. § 2 11 lit. b) Satzung des Verbandes der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie Rheinland-Pfalz vorn 29. 6. 90 ; vgl. § 2 I lit. a) Satzung des Verbandes der mitteldeutschen Bekleidungsindustrie vorn 3. 12. 93. 66
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IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Taritbindung
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Aufgrund dieser Entwicklung sah man sich auf Arbeitgeberseite zur Wahrung der Mitgliedsstärke und der Attraktivität der Verbandszugehörigkeit vor das Bedürfnis gestellt, mitgliedschaftliche Strukturen zur Verfügung zur stellen, die keine Tarifbindung nach sich ziehen, jedoch eine volle Teilhabe an den übrigen sozialpolitischen Aktivitäten des Verbandes gewährleisten. Zur Lösung dieses Problems wurden zwei Wege eingeschlagen: Einige Verbände - ihnen voran der Verband Deutscher Reeder - teilten sich organisatorisch in zwei Arbeitgeberverbände. Der ursprüngliche Verband gab dabei seine Tariffähigkeit auf, um nur noch die sonstigen Ziele und Aufgaben eines Arbeitgeberverbandes wahrzunehmen. Gleichzeitig wurde aus denjenigen seiner Mitglieder, die eine Verbandsstarifbindung wollen, eine organisatorisch selbständige Tarifgemeinschaft gebildet. Sie und nur sie ist als eigenständiger Arbeitgeberverband Tarifpartner der Gewerkschaft, so daß nur diejenigen Mitglieder des urprünglichen Arbeitgeberverbandes tarifgebunden sind, die auch Mitglieder der Tarifgemeinschaft sind72 . Die Bildung solcher Tarifgemeinschaften bietet arbeitskampfrechtlich keine Besonderheit. Die nicht der Tarifgemeinschaft angehörenden Mitglieder des nur die übrigen sozialpolitischen Aufgaben wahrnehmenden Verbandes sind keine Mitglieder des arbeitskampfführenden Verbandes und deshalb Außenseiter. Dies ist unproblematisch, eine weitere Erörterung dieser Konstellation ist hier nicht erforderlich. Arbeitskampfrechtlich differenzierter könnte sich das hier zu erörternde zweite Modell zur Trennung von Tarifbindung und Teilhabe an den Serviceleistungen des Verbandes darstellen: die Mitgliedschaft ohne Tarijbindung. Hier schafft der Arbeitgeberverband zwei Formen der Mitgliedschaft, die Mitgliedschaft mit Tarifbindung und die ohne Tarifbindung. Diese beiden Mitglieder sind in allem gleichgestellt, außer daß die Mitglieder ohne Tarifbindung am Tarifgeschehen nicht teilnehmen. Denn Unternehmen ohne Tarifbindung können zwar Mitglieder im Vorstand sein, die Tarifabschlußbefugnis ist aber einem sozialpolitischen Ausschuß übertragen. Dieser wird nur von den Mitgliedern mit Tarifbindung gewählt und wird, was die stimmberechtigten Mitglieder betrifft, ausschließlich aus ihren Reihen besetzt. Mitglieder ohne Tarifbindung können lediglich mit beratender Stimme kooptiert werden. Auch haben sie in der Mitgliederversammlung bei der Beschlußfassung über Tariffragen kein Stimmrecht. Werden sie aber von der Gewerkschaft um einen Haustarif angegangen, so unterstützt sie der Verband bei den Verhandlungen. Sie zahlen den gleichen Mitgliedbeitrag wie die nicht tarifgebundenen Mitglieder. Anlaß für die Schaffung der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung war die von der Gewerkschaft durchgesetzte zweite Stufe der Arbeitszeitverkürzung hin zur 35Stundenwoche auch in der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie. Der Verband der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie Rheinland-Pfalz führte dar72 Dieses Verfahren führte beim Verband Deutscher Reeder dazu, daß dort gegenwärtig ein Organisations grad von 95 % erreicht ist, jedoch nur 20 % seiner Mitglieder tarifgebunden aufgrund ihrer gleichzeitigen Mitgliedschaft in der Tarifgemeinschaft Deutscher Reeder sind.
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
aufhin durch Satzungsänderung vom 29.6. 1990 die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ein. Inzwischen gibt es weitere Verbände in dieser Branche, die eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung eingeführt haben. Auch einige Mitgliedsverbände von GesamtextiC 3 und des Bundesverbands der Deutschen Bekleidungsindustrie74 haben dahingehende Satzungsänderungen vorgenommen. Andere Verbände blieben kritisch 75. Insgesamt sind die Mitglieder ohne Tarifbindung noch deutlich in der Unterzahl gegenüber den tarifgebundenen Mitgliedern. Im Hauptverband der Deutschen Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie liegt ihr Anteil noch unter 5 % der Gesamtmitglieder. 2. Rechtliche Zulässigkeit der Mitgliedschaft ohne Taritbindung
Die rechtliche Zulässigkeit dieser Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ist inzwischen instanzgerichtlich anerkannt76 • Ob ihr dennoch rechtliche Bedenken entgegenstehen, erscheint nicht zweifelsfrei 77 • a) Vereinbarkeit mit § 3 I TVG
Gemäß § 3 I TVG sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien tarifgebunden. Die Mitglieder ohne Tarifbindung wären nur dann nicht davon erlaßt, wenn sie keine Mitglieder im Sinne dieser Norm sind. Die Frage einer Vereinbarkeit der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung mit § 3 I TVG würde sich in diesem Fall nicht stellen. Die Arbeitgeberverbände sind - jedenfalls soweit sie in der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände organisiert sind - fast durchgehend rechtsfähige Vereine. Wer Mitglied ist, richtet sich somit nach dem Vereinsrecht des BGB und der Satzung des Verbandes. Maßgeblich für die Klassifizierung eines Rechtsverhältnis als Mitgliedschaft ist damit - unabhängig von der satzungsmäßigen Bezeichnung - die organisatorische Eingliederung in den Verein und die Innehabung der grundlegenden Teilhaberechte, zu denen das Stimmrecht und das aktive und passive Wahlrecht gehören 78 . So z.B der Verband der Textilindustrie Niedersachsen. SO Z. B. der Verband der mitteldeutschen Bekleidungsindustrie am 3. 12.93. 75 SO Z. B. Gesamtmetall als die größte Arbeitgeberspitzenorganisation innerhalb der BOA (Vgl. auch Kirchner, AuA 95, S. 73, 74). 76 Arbeitsgericht Ludwigshafen, Urt. v. 24. 5. 94 (l Ca 3067/93); LAG Rheinland-Pfalz v. 17. 2. 95, LAGE Nr. 10 zu Art. 9 GG mit Anmerk. Thüsing. 77 Für eine Unzulässigkeit: Däubler, ZTR 94, 448 (insb. 453); ders., NZA 96, 225 (insb. 230 f.); Bedenken gegen die satzungsmäßige Ausgestaltung der Rechtsstellung des Mitglieds OT: Räckl, OB 93, 2382; Schaub, BB 94, 2005 (2006); ders., BB 95, 2003 (2005). 78 MünchKomm-Reuter, BGB, § 38 Rn 14ff.; BAG v. 16.2.62 AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, BI. I R. 73
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IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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Das Mitglied ohne Tarifbindung hat die gleichen Rechte und Pflichten wie das Mitglied mit Tarifbindung, bis auf die fehlende Mitwirkungsmöglichkeit im Tarifbereich 79. Es ist bis auf diese Ausnahme in den statusmäßigen Rechten völlig gleichgestellt, zahlt vollen Beitrag und hat die gleiche Pflicht zur Förderung der Interessen des Verbandes und zur Befolgung seiner Beschlüsse. Es ist damit organisatorisch eingegliedertes Vollmitglied seines Verbandes, wenn auch in einem Teilbereich in seinen Rechten beschränkt. Es bleibt daher festzuhalten: Mitglieder ohne Tarifbindung sind Vollmitglieder; Vollmitglieder sind gemäß § 3 I TVG tarifgebunden. Wie aber kann es dann Mitgliedschaften ohne Tarifbindung geben? Die Zulässigkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung kann nicht mit einem Hinweis auf die Zulässigkeit von Gastmitgliedschaften und deren fehlender Tarifgebundenheit begründet werden, wie sie das Bundesarbeitsgericht erstmals in seiner Entscheidung vom 16. 2. 1962 anerkannt hat8o . Dort nämlich rechtfertigte das Gericht die Zulässigkeit der fehlenden Tarifgebundenheit damit, daß es sich bei den Gastmitgliedern gerade nicht um vereinsrechtliche Vollmitglieder handelt, da ihnen keinerlei Stimm-, Wahl- und sonstige Mitentscheidungsrechte eingeräumt wurden 81 . Wiedemann/Stumpjsehen nun im Anschluß daran die rechtliche Grenze einer solchen Gastmitgliedschaft dort, wo das Mitglied sämtliche Vorteile des Berufsverbandes, insbsondere die Rechtsberatung, in Anspruch nehmen darf, sich aber der Tarifgebundenheit entziehen möchte. Dies wäre eine Umgehung der Tarifgebundenheit gemäß § 3 I TVG und daher unzulässig 82 . Es ist naheliegend anzunehmen, daß dies eben den Fall der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung darstellt 83 . Zutreffend hat jedoch Buchner die Grundlage für die rechtliche Zulässigkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung aufgezeigt84 . Sie liegt in einer satzungsmäßigen Beschränkung nicht der Tariffähigkeit, sondern der Tarifzuständigkeit des Arbeitgeberverbandes auf die Mitglieder mit Tarifbindung. Tarifzuständigkeit bedeutet die Fähigkeit eines an sich tariffähigen Verbandes, Tarifverträge mit einem bestimmten Geltungsbereich abschließen zu können 85 . Sie ist allgemein anerkannt
Siehe Abschn. C. IV. 1. BAG v. 16. 2. 62 AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit. 81 BAG v. 16. 2. 62 AP Nr. 12 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, BI. I R. VgI. auch Buchner, SAE 87, 108 (110), der deshalb in der Gastmitgliedschaft lediglich ein schuldrechtliches Verhältnis im Sinne eines Geschäftsbesorgungsverhältnis bestimmter Verbandsdienstleistungen erblickt. 82 Wiedemann/Stumpf, TVG, § 3 Rn 50; a.A. Löwisch/Rieble, TVG, § 3 Rn 17; Däubler wertet die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ausdrücklich als eine Umgehung des § 3 I TVG: Däubler, ZTR 94, 448 (453). 83 Für die Zulässigkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung vgI. allerdings Wiedemann/Thüsing, RdA 95,280 (282). 84 Buchner, NZA 94, 2 (4). 85 VgI. grundlegend BAG v. 27. 11. 64 AP Nr. I zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, BI. 2 V; Wiedemann/Stumpf, TVG, § 2 Rn 24, Löwisch/Rieble, TVG, § 2 Rn 87. 79
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
eine Voraussetzung für die Wirksamkeit des Tarifvertrages 86 und ist von der Tariffähigkeit eines Verbandes, d. h. dessen Fähigkeit überhaupt Tarifverträge abschließen zu können, zu unterscheiden 87 . Beschränkt ein Verband nun wirksam seine Tarifzuständigkeit auf bestimmte Mitglieder oder Mitgliedergruppen, kann er für andere keinen Tarifvertrag abschließen. Dieser wäre unwirksam, ein darauf gerichteter Arbeitskampf rechtswidrig. Kann aber ein Arbeitgeberverband seine Tarifzuständigkeit nicht nur räumlich, sondern auch personell, d. h. auch auf bestimmte Unternehmen beschränken? Daß dies zu bejahen ist, ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Aufgrund ihrer freiheitlichen und privatautonomen Struktur ist den Koalitionen durch Art. 9 I GG und Art. 9 III GG eine weitgehende Satzungsautonomie garantiert 88 . Im Rahmen ihrer autonomen Zwecksetzung bestimmen daher die Verbände selbst, für welchen Raum, welche Branche und welchen Personenkreis sie tätig werden wollen 89 . Dementsprechend wird vom Schrifttum zumeist eine weitestgehende Freiheit der Koalitionen bei der Ausgestaltung ihrer Tarifzuständigkeit angenommen 90 . So hat auch das Bundesarbeitsgericht anerkannt, daß eine Gewerkschaft durch Satzungsänderung ihre Tarifzuständigkeit auf weitere Branchen mit der Maßgabe erweitern kann, daß die tarifliche Rechtssetzungsbefugnis nicht für die gesamte Branche, sondern nur für ein speziell genanntes Unternehmen dieser Branche gelten so1l91. Damit erkannte es die Zulässigkeit einer räumlich-betrieblichen, nicht lediglich branchenmäßigen Begrenzung oder Erweiterung der Tarifzuständigkeit auf Gewerkschaftsseite an. Auf diese Frage - Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft; räumliche oder branchenmäßige Änderung des Tarifbereichs - bezogen sich auch alle anderen im Zusammenhang mit einer streitigen Tarifzuständigkeit vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fälle92 . Nicht anderes kann Wiedemann/Stumpf, TVG, § 2 Rn 24 m.zahLr.w.N. Vgl. nur Wiedemann/Stumpf, TVG, § 2 Rn 28. Siehe auch die Differenzierung m §§ 2a I Nr. 4, 97 ArbGG L979. 88 Vgl. Scholz, in: Maunz I Dii[ig I Herzog I SchoLz, Art. 9 GG, Rn 202. 89 BAG v. L9. LL. 85 und 24. 7. 90 AP Nr. 4 und 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Wiedemann/Stumpf, TVG, § 2 Rn 25; Löwisch/Rieble, TVG, § 2 Rn 87 jeweiLs m.w.N. 90 Reichel! Koberskil Ansey, TVG, § 2 Rn 86: ,,Die Tarifzuständigkeiten werden von den Verbänden autonom festgesetzt"; Kempen/ Hagemeier/Zachert/Zilius, TVG, § 2 Rn 10: "Die Entscheidung darüber, in welchem räumlichen, betriebLich-fachLichen und persönLichen Bereich eine Gewerkschaft als Tarifvertragspartei tätig werden will, liegt ausschließlich bei dieser ( ... ) Grundsätzlich gilt dies auch für die Arbeitgebervereinigungen."; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn 86: "Der Umfang der Zuständigkeit in räumLicher, betriebLich-branchenmäßiger, beruflich-fachlicher und persönLicher Hinsicht ist grundsätzLich der eigenen Entscheidung der Verbände überlassen"; Wiedemann/ Stumpf, TVG, § 2 Rn 32: "Die Tarifvertragspartei ist berechtigt, ihre Zuständigkeit zu beschränken ( .. ) Aus der Satzung muß sich LedigLich mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, welchen Organisationsbereich die KoaLition in Anspruch nehmen will"; vgl. auch Löwisch/RiebLe, TVG, § 2 Rn 87. 91 BAG v. L9. LI. 85 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 92 Vgl. die übrigen unter AP zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit abgedruckten Entscheidungen. 86
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IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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aber für die Arbeitgeberseite gelten und nichts anderes kann für eine personell beschränkte Tarifzuständigkeit gelten: Hält man eine räumlich-betriebliche Einschränkung der Tarifzuständigkeit für zulässig, muß man auch eine personelle für zulässig halten. Dies zeigt sich schon daran, daß auf Gewerkschaftsseite oft zwischen beiden Varianten nicht unterschieden werden kann. Denn dort liegt - wie auch am oben erwähnten Fall deutlich wird- in einer Begrenzung der betrieblichen Zuständigkeit gleichzeitig eine Beschränkung der persönlichen Zuständigkeit in bezug auf die Arbeitnehmer, die im Betrieb eines bestimmten Unternehmens tätig sind. Auch wäre es wenig einleuchte~d, einer Gewerkschaft das Recht zu geben, sich tarifzuständig oder -unzuständig gegenüber einem bestimmten Unternehmen zu erklären, nicht aber dem Arbeitgeberverband dieses Recht einzuräumen. Schließlich: Die Unterscheidung zwischen Tariffahigkeit und Tarifzuständigkeit auch in persönlicher Hinsicht - wie sie das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung vornimmt93 - würde hinfällig, wäre nicht auch eine personelle Begrenzung der Tarifzuständigkeit möglich. Dies ist überdies für die Gewerkschaftsseite in der Praxis schon längst anerkannt: Mit den beamteten Mitgliedern verfügen etwa die ÖTV oder die einzelnen Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Beamtenbundes seit jeher über Mitglieder, für die sie keine Tarifzuständigkeit besitzen. Somit ergibt sich auch die Legitimation zur Begrenzung der Tarifzuständigkeit auf bestimmte in der Satzung gekennzeichnete Mitgliedergruppen - Mitglieder mit Tarifbindung - aus der Satzungsautonomie der Verbände und deren darin verankertem Recht, grundsätzlich selbst zu entscheiden, für wen sie normsetzend tätig werden. Dem steht die ratio des § 3 I TVG nicht entgegen, genauso wie diese Norm einer bloß räumlichen Begrenzung der Tarifzuständigkeit nicht entgegentritt - letzteres ist unbestritten. Es ist kein Hindernis, daß dort wie hier eine von der Regelung des § 3 I TVG abweichende Tarifbindung bei Abschluß des Tarifvertrags zustandekommt. Denn der Sinngehalt des § 3 I TVG - Begrenzung der Reichweite der Normsetzungsbefugnis nur auf die Mitglieder94 - wird durch eine solche Satzungsgestaltung nicht in Frage gestellt, ebenso wie er nicht in Frage gestellt wird, wenn beide Tarifvertragsparteien in ihrem Tarifvertrag sich auf eine Beschränkung des räumlichen oder persönlichen Geltungsbereich einigen, was zu demselben Ergeb93 Vgl. BAG v. 19. 11. 85 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, BI. 7 R: "Auf welche Arbeitnehmer (... ) eine Gewerkschaft ihre Zuständigkeit erstreckt, bestimmt sie aufgrund ihrer Satzungsautonomie ebenfalls selbst"; BAG v. 22. 11. 88 AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, BI. 2 R: ,,Jede Gewerkschaft kann für sich entscheiden, für welche ArbN (... ) sie tätig werden will"; vgl. schon BAG v. 27. 11. 64 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, BI. 3 V: "Wie der Senat bereits (... ) entschieden hat, kann eine Gewerkschaft nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit wirksame Tarifverträge abschließen. Dabei richtet sich der Zuständigkeitsbereich der Gewerkschaft danach, auf welchen Kreis von Arbeitnehmern sie in ihrer Satzung ihre Zuständigkeit erstreckt hat". Die Frage der Tarifzuständigkeit taucht in der Rechtsprechung also auch in personeller Anknüpfung auf. Fehlgehend daher Däubler, ZTR 94, 448 (453). 94 Siehe Abschn. B. III. 2. a); B. V. 3. c) (bb).
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
nis führt 95 . Zwischen tarifvertraglicher und satzungsmäßiger Begrenzung des Geltungsbereichs der Tarifvertrags besteht aber bei der Frage einer möglichen Umgehung des § 3 I TVG kein Unterschied, differieren diese beiden Konstellationen doch nur dadurch, daß in dem einen Fall nur einer, im anderen beide Parteien des Tarifvertrags eine Abweichung von der grundsätzlichen Tarifgebundenheit aller Mitglieder wollen. So würde allein der umgekehrte Fall, d. h. die Ausweitung der normativen Wirkung über die Grenzen des § 3 I TVG hinaus - sei dies satzungsmäßig oder tarifvertraglich vereinbart - dem Sinngehalt dieser Norm widersprechen. Zu Recht wird dies allgemein für unzulässig gehalten 96 . b) Vereinbarkeit mit dem verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und zwingenden Mitwirkungsrechten der Mitglieder
Andere im Schrifftum geäußerten Bedenken richten sich nicht gegen die Zulässigkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung an sich, sondern gegen bestimmte Regelungen ihrer satzungsmäßigen Ausgestaltung 97 . So könnte der Ausschluß einiger Mitglieder von der Entscheidungsfindung des Verbandes bei Arbeitskampfund Tariffragen gegen die Verpflichtung der Verbände zu einer demokratischen Organisation verstoßen. Zwar ist dieses Prinzip in seiner Reichweite und Geltung nicht unumstritten - insbesondere die Frage, ob zu dessen Begründung der für Parteien geltende Art. 21 I S. 3 GG herangezogen werden kann98 • Allgemein anerkannt ist aber, daß es bei den Verbänden ein bestimmtes Mindestmaß an demokratischer Organisation geben muß, was bereits aus der gebotenen Freiwilligkeit des Zusammenschlusses und der körperschaftlichen Struktur folgt. Dazu gehört das Recht eines Mitglieds auf Gleichbehandlung und auf Mitwirkung an der Meinungs- und Willensbildung 99 . Das Recht des Mitglieds ohne Tarifbindung auf Gleichbehandlung wird nicht dadurch verletzt, daß es nicht über Arbeitskampf- und Tariffragen rnitentscheiden darf. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet nur willkürliche Differenzierungen innerhalb der RechtsteIlung der Verbandsrnitglieder lOO . Die satzungsmäßige Entscheidung, daß über Tariffragen nur der entscheiden darf, der selber vom Ta95 Letzteres erkennt auch Däubler an: Däubler, ZTR 94, 448 (453). Er steht damit in Übereinstimmung zur aUgemeinen Meinung (vgl. schon Nikisch, Arbeitsrecht H, S. 263; Hueck/ Nipperdey, Arbeitsrecht lIII, S. 478). 96 BAG GS v. 29. 11. 67 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, BI. 5 R ff.; Wiederoonn/StumpJ, TVG, § 3 Rn 93. 97 Röckl, DB 93, 2382 (2383). Ihm folgend Däubler, ZTR 94, 448 (453). 98 Dafür Hanau/ Adomeit, Arbeitsrecht, S. 60; dagegen: Wiederoonn/ Stumpf, TVG, § 2 Rn 161. Zur demokratischen Organisation insgesamt vgl. Schoh, in: Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 9 GG Rn 100,206. 99 Vgl. Wiederoonn/Stumpf, TVG, § 2 Rn 161. 100 Für aUe: Palandtl Heinrichs, BGB, § 38 Rn 2 m.w.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum.
IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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rif betroffen ist, ist aber nicht willkürlich. Ebenfalls sachlich gerechtfertigt ist entgegen der Auffassung Röckls lOl die Regelung, daß Mitglieder ohne Tarifbindung den gleichen Beitrag zahlen wie tarifgebundene Mitglieder, auch wenn ihre Berechtigung zu Unterstützungszahlungen im Arbeitskampf sich unterscheiden mag. Diese Gleichbehandlung rechtfertigt sich schon daraus, daß jedes Mitglied zumindest dann in den Genuß des Streikfonds kommen könnte, wenn es - was jederzeit möglich ist - seinen Status wechselt und sich für eine Tarifbindung entscheidet 102 . Es braucht in diesem Zusammenhang also gar nicht erörtert zu werden, ob Zahlungen aus dem Streikfonds auch an Mitglieder ohne Tarifbindung gezahlt werden könnten. Dies sehen zumindest einige Richtlinien der Verbände für den Fall vor, daß solche Zahlungen im tarifpolitischen Interesse des Verbandes liegen 103. Dieses Interesse wird auch regelmäßig vorliegen, weil dem Verband nicht daran gelegen sein kann, durch überhöhte Finnentarifverträge den Verbandstarif zu präjudizieren und er generell auf die Lebens- und Überlebensfähigkeit seiner Mitglieder im Arbeitskampf angewiesen ist, auch wenn diese nicht an den Verbandstarif gebunden sind 104 . Der Hinweis Röckls, solche Zahlungen seien unzulässig, weil sie verbandsfremden Zwecken dienten 105, geht also fehl. Schließlich begegnet es auch keinen Bedenken, wenn die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung satzungsmäßig dahin ausgestaltet ist, daß die nicht tarifunterworfenen Mitglieder einen mittelbaren oder unmittelbaren Einfluß auf die Entscheidung über die Vergabe der Streikfondsgelder haben. Röckllehnt dies mit dem Hinweis darauf ab, das aus dem Grundsatz des Mitwirkungsrechts auch folge, daß den Mitgliedern einer Gruppe garantiert sein müsse, daß außer ihnen niemand im Verband auf die sie allein betreffenden Fragen Einfluß nehmen dürfe lO6 • Mag die Geltung eines solchen Grundsatzes angezweifelt werden - der Verweis Röckls auf Löwisch ist unzutreffend, eine eigene Begründung gibt er nicht -, hier ist er jedenfalls nicht entscheidend. Denn wenn alle Mitglieder mit ihrem Beitrag für die Streikzahlungen aufkommen, gehen diese Zahlungen auch alle an, unabhängig davon, wer durch die sie begünstigt wird. Auch der bisher praktizierten satzungsmäßigen Ausgestaltung der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung stehen also keine zwingenden Organisations prinzipien der Verbände entgegen. Sie ist damit zulässig. 101 Räckl, OB 93, 2382 (2383). Ihm folgend Däubler, ZTR 94, 448 (453); ders., NZA 96, 225 (230 f.). 102 Vgl. auch Buchner, NZA 94,2 (S. 8 Fn 33). 103 So die Richtlinien des Verbandes der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie Rheinland-Pfalz; anders dagegen § 4 II S. 1 der Satzung des Verbandes der mitteldeutschen Bekleidungsindustrie vom 3. 12.93: Kein Anspruch auf finanzielle Unterstützung. 104 Dies ergibt sich schon daraus, daß seine Mitgliedsbeiträge von der wirtschaftlichen Ertragslage der Unternehmen abhängen. Dies gilt auch für die Zahlungen an die Gefahrgemeinschaft, aus der die Arbeitskampfunterstützungen finanziert werden. Sie werden nach der Lohnsumme der Unternehmen bestimmt (vgl. etwa § 3 II des Vertrages über die Bildung der Arbeitskampfgefahrgemeinschaft der bauindustriellen Landesverbände ). 105 Räckl, OB 93, 2382 (2384). 106 Räckl, OB 93, 2382 (2383 l.Sp., 23841.Sp.) in Verweis auf Löwisch, ZfA 74, 29 (40).
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
c) Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Verhandlungsparität Schaub schließlich weist auf Bedenken unter dem Gesichtpunkt der Parität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite hin, die er darin begründet sieht, daß Mitglieder ohne Tarifbindung in aller Regel den Verband finanziell und ideell unterstützen, selber aber von einem zu erkämpfenden Verbandstarifvertrag nicht erfaßt wären 107 .
Diese Bedenken sind zur Zeit aber wohl nicht berechtigt. Die gleichgewichtige Ausgestaltung der Kräfteverhältnisse und Arbeitskampfmöglichkeiten der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ist -wie bereits dargelegt 108 - Grundlage für das Funktionieren der Tarifautonomie. Unzulässig wäre dementsprechend eine das Kräfteverhältnis beeinflussende Gestaltung des Tarif- und des Arbeitskampfrecht aber eben nur dann, wenn es sich dadurch in einem solchen Maße verschiebt, daß das Funktionieren der Tarifautonomie nicht mehr gewährleistet wäre. Hier besteht ein weiter Ermessenspielraum des Gesetzgebers, wie zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu § 116 AFG ausführlich dargelegt hat lO9 . Eine solche gravierende Beeinträchtigung ist zur Zeit jedoch nicht ersichtlich; denkbar wäre sie möglicherweise, wenn der Anteil der Mitglieder mit Tarifbindung den der Mitglieder ohne Tarifbindung übersteigen würde. Wenn in diesem Fall die Gewerkschaft einen Verbands tarifvertrag erstreiken würde, könnte sie wirksam nur die Mitglieder mit Tarifbindung bestreiken, denn es wäre in der Praxis kaum durchführbar, Arbeitnehmer für einen Streit zu einem Tarifvertrag zu mobilisieren, der nicht auch ihn zuguste kommen soll - unabhängig von der im folgenden zu beantwortenden Frage, ob dies überhaupt rechtlich zulässig wäre. Die bestreikten, tarifgebundenen Mitglieder des Arbeitgeberverbandes hätten aber aufgrund der Beitragszahlungen der Mitglieder ohne Tarifbindung andere finanzielle Reserven als bei Fehlen von im Verbandsarbeitskampf zumindest faktisch unbestreikbaren Mitgliedern. Eine wirksame Druckausübung auf sie würde also u.U. erheblich erschwert, und zwar um so erheblicher, je mehr nicht tarifgebundene Mitglieder vorhanden wären. Die wäre zumindest solange der Fall, als die Mitglider ohne Tarifbindung die gleichen Mitgliedsbeiträge zahlen wie Mitglieder mit Tarifbindung und so auch die Streikkasse des Arbeitgeberverbands füllen, ohne daß dieser Gefahr läuft, sie im Verbandsarbeitkampf unterstützen zu müssen. Diese Erwägungen sind aber bei dem zur Zeit nur geringen Anteil von Mitgliedern ohne Tarifbindung in Verbänden noch nicht relevant. Erst bei spürbaren Veränderungen der Mitgliedsverhältnisse wäre die grundsätzlich frei zu bestimmende Tarifzuständigkeit durch den Gesichtspunkt der Wahrung der Verhandlungsparität beschränkt.
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Schaub, BB 94, 2006, 2007 f.; ders, BB 95, 2003, 2005. Vgl. Abschn. B. I. 3. b) ce); B. n. 2. b) ce). BVerfG v. 4. 7. 97, EzA Nr. 5 zu § 116 AFG.
IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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3. Arbeitskampfrechtliche Konsequenzen Behandlung als Außenseiter oder als Verbandsmitglied?
Da die Mitgliedschaft ohne Taritbindung zulässig ist, muß deren besonderer Rechtsstellung auch im Arbeitskampf Rechnung getragen werden. Sie erscheint dort als ein Mittelding zwischen der tarifgebundenen Mitgliedschaft und der Verbandslosigkeit. Denn wie der Außenseiter ist das Mitglied ohne Taritbindung nicht tarifunterworfen und ohne innerverbandlichen Einfluß auf das Tarifgeschehen, wie das tarifgebundene Mitglied ist es vereinsrechtliches Vollmitglied der arbeitskampfführenden Koalition. Es der einen oder anderen Seite in der Bestimmung des Arbeitskampfstatus zuschlagen zu wollen, erscheint daher begründungsbedürftig. Eine pauschale Gleichstellung mit der Rechtstellung des Außenseiterarbeitgebers 110 begegnet schon deshalb Bedenken, weil das Mitglied ohne Taritbindung sich in Fragen der Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf anders als der Außenseiter nicht auf seine negative Koalitionsfreiheit berufen kann. Denn die negative Koalitionsfreiheit ist das Recht eines Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, einem Verband fernzublieben und - damit dieses Recht nicht gegenstandslos wird - als Ferngebliebener von deren Wirken so weit wie möglich unbehelligt zu bleiben 111. Das Mitglied ohne Taritbindung ist aber anders als der Außenseiter Mitglied. Seine Einbeziehung oder Ausgrenzung muß sich aus anderen Gründen ergeben. So fehlen bislang Stellungnahmen in der Rechtsprechung zum Arbeitskampfstatus eines Mitglieds ohne Taritbindung, Äußerungen im Schrifttum sind eher kursorisch ll2 . Es gibt jedoch eine bereits verschiedentlich angesprochene arbeitskampfrechtliche Fallgestaltung, in der es ebenfalls um die Einbeziehung von - u.V. auch organisierten - Arbeitgebern in einen Verbandsarbeitskampf geht, für die der arbeitskampfführende Arbeitgeberverband nicht tarifzuständig ist, oder für die der abzuschließende Tarifvertrag aus anderen Gründen nicht gelten soll. Gemeint ist der Sympathiearbeitskampf Zu dieser Frage existieren zahlreiche Stellungnahmen in Rechtsprechung ll3 und Schrifttum 114. Es liegt nahe, auch die Rechtmäßigkeit der Einbeziehung von Mitgliedern ohne Taritbindung in den Verbandsarbeitskampf nach den dort aufgezeigten Kriterien zu beurteilen. Dies tut auch Löwisch 115 , dies entspricht in seiner Tendenz auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, denn dies greift ja z. B. auch bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Bestreikung eines Außenseiterarbeitgebers auf seine Rechtsprechung zum Sympathiearbeitskampf zurück ll6 . So Buchner, NZA 94, 2 (8). Vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, 109; siehe auch Wiedemann, RdA 69,321 (326). 112 Siehe einzig Löwisch, ZfA 74, 29 (45); Buchner, NZA 94,2 (8). 113 Zuletzt BAG v. 12. 1. 88 AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG v. 5. 3. 85 AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, rn.w.N. zur älteren Rechtsprechung. 114 Siehe nur Otto, in: MünchHandbArbeitsR, § 279 Rn 42 ff.; Schaub, ArbeitsR-Handb, § 19311 5 jeweils rn.w.N. 115 Löwisch, ZfA 74, 29 (45). 110 III
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C Der Außenseiter auf ArbeItgeberseite
Die Knterien, nach denen die RechtmäßIgkelt emes Sympathiearbeitskampfs beurteilt wird, smd unterschiedlich, unterschiedlich daher auch die Ansätze m der folgenden Argumentation.
a) Fehlende Identität von Kampfmitteladressat und KampJzieladressat
Die Unzulässlgkeit der Embezlehung des MitglIeds ohne Tanfbmdung m den Verbandsarbeitskampf könnte daraus resultieren, daß dieses Mitglied bel allen den Tanf- und den Arbeitskampfbereich betreffenden Fragen kem MitentscheIdungsrecht im Verband hat. Seme Bestrelkung würde sich also gegen jemanden richten, der auf die Erfüllung der nut dem Streik erhobenen Forderungen keinen Einfluß hat; Kampfzieladressat und Kampfmitteladressat fielen auseinander. Das Bundesarbeitsgericht ll7 hat den Sympathiestreik für unzulässig gehalten, weil der Arbeitskampf nur aufgrund seiner Hilfsfunktion für die Tarifautonomie zulässig sei und durch die Rechtsordnung gewährleistet werde. Daher seien nur solche Arbeitskampfmaßnahmen anzuerkennen, die unmittelbar der Durchsetzung tanfvertraglicher Regelungen dienen. Der Sympathiearbeitskampf verfolge jedoch nur mittelbar diesen Zweck, weil er sich nicht unmittelbar gegen den Kampfzieladressaten richte. Er sei daher grundsätzlich unzulässlg ll8 . Auch der weitaus herrschende Teil des Schrifttums sieht in der Identität von Streikgegner und Tarifpartner eine Rechtmäßlgkeitsvorausetzung für den Strelk" 9 . Im Ausland, so z. B. in Österreich und Frankreich, wird ebenfalls mit emem HinweiS auf diesen Grundsatz die Unzulässigkeit des Sympathiearbeitskampfs begründet 12o.
BAG v. 9 4. 91 AP Nr. 116 zu Art. 9 GG ArbeItskampf, BI. 3 V BAG V. 5 3 85 AP Nr. 85 zu Art. 9 GG ArbeItskampf; BAG v 12. I 88 AP Nr. 90 zu Art. 9 GG ArbeItskampf ll8 Zu den möghche Ausnahmen vgl. BAG v 5 3. 85 AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf und unten Abschn. C IV 3. d). 119 Rüthers, BB 64, 312 (314); ders.! Berghaus, Anmerk. zu BAG v 12. I 88 AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 5, Löwisch/ Rieble, Arbeitskampfrecht, Rn 346 f., Hueck/ Nipperdey, Arbeitsrecht 11/1, S. 884; A.Hueck, FS Herschel, S. 27 (41); Reuß, JuristenJahrbuch 63/64, S. 163 (178 f ); Brox/ Rüthers, Arbeitskampfrecht, Rn 144, Wiedemann, RdA 69, 321 (326); Zöllner / Loritz, Arbeitsrecht, S. 426; Löwisch, Arbeitsrecht, Rn 344. 120 Für Österreich vgl. Tomandel, Streik und Aussperrung als Mittel des Arbeitskampfes, S.206, 120 ff , für Frankreich vgl. Ray, droit du tavait, S 332. Der greve oe solidaritl interne, m dem Sich die durch die zu erkämpfenden Arbeitsregelungen mcht betroffenen Arbeitnehmer des gleichen Unternehmens oder Konzerns zusammentun, Ist regelmäßig zuläSSig. Die UnzulässIgkelt Wird ledighch für den dem deutschen Sympathiestreik entsprechenden greve de solidante externe angenommen, denn nur dort fällt Kampfzlel- und Kampfmitteladressat ausemander (vgl. auch Abschn. B Fn 165 und Lyon-Caen/ Pelissler, drOlt du travall, S 1026 f ). Der Kassationshof geht davon aus, daß Jeder Streik um Forderungen, die der Bestreikte aus Rechtsgründen mcht erfüllen kann, rechtswldng ISt (Cass. ass. plen. 4 7 86, 0 86, S 481, vgl. auch dazu Krieger, RdA 87, S 32,34). 116 117
IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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Von Plander 121 und ihm folgend Bieback 122 ist dem entgegengehalten worden, daß es auch sonst im Arbeitskampf betroffene oder in diesen einbezogene Dritte gebe, die auf den Arbeitskampf selbst keinen Einfluß nehmen können, so etwa der nicht organisierte Arbeitnehmer, der ausgesperrt werden könne oder der nach den Regeln der Betriebs- und Arbeitskampfrisikolehre von den Fernwirkungen eines Arbeitskampfs betroffene Arbeitnehmer außerhalb des Tarifgebiets. Diese Kritik überzeugt jedoch nicht: Gegen den Rückschluß aus der Berechtigung zur Aussperrung von nicht organisierten Arbeitnehmern braucht nur auf den - gerade in bezug auf den hier erörterten Grundsatz: grundlegenden - Unterschied zwischen einer Betroffenheit durch Aussperrung und durch Streik verwiesen zu werden l23 . Gegen den Rückschluß aus der Betroffenheit Dritter nach den Regeln der Betriebsrisiko- und Arbeitskampfrisikolehre ist mit dem Bundesarbeitsgericht und Rüthers / Berghaus darauf hinzuweisen, daß es ein erheblicher Unterschied ist, ob bestimmte Beeinträchtigungen hingenommen werden müssen, weil ein funktionsfähiger Arbeitskampf ohne sie gar nicht denkbar ist, oder ob vorsätzliche Schädigungen Unbeteiligter generell hinzunehmen sind 124• Es wäre voreilig, von der Zulässigkeit einiger Opfer auf die Zulässigkeit aller Opfer zu schließen, ohne zu fragen, warum die Rechtsordnung bestimmte Beeinträchtigungen Unbeteiligter hinnimmt und hinzunehmen hat. Zwingende Einwände gegen das Prinzip der Identität von Kampfzieladressaten und Kampfmitteladressaten wurden also nicht vorgebracht. Sie werden sich in der Tat auch kaum finden lassen, da die Regel, daß sich Druck rechtmäßig nur gegen den richten kann, der ihm auch nachgeben kann, einen allgemeinen Rechtsgedanken darstellt, der auch außerhalb des Arbeitskampfrechts seinen Ausdruck gefunden hat. So kann z. B. ein Zwangsgeld rechtmäßig nur von dem verlangt werden, der die durchzusetzende Handlung auch ausführen kann, ohne daß es darauf ankommt, ob das zugrundeliegende Handlungsgebot rechtmäßig sein mag 125 . Nichtsdestotrotz ist zuzugeben, daß die Identität von Kampfzieladressat und Kampfmitteladressat lediglich ein Grundsatz ist, der nicht einschränkungslos gilt und Ausnahmen zuläßt. Ausnahmen bedürfen jedoch einer Rechtfertigung. Eine solche Rechtfertigung kann - wie oben bereits dargelegt l26_ das Erfordernis eines Plander, AuR 86, 193 (198). Bieback, in: Däubler, Arbeitskampfrecht, Rn 374a. Auch Seifer, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 536 hält dieses Prinzip nicht für einschränkungslos gültig. 123 Siehe Abschn. B. III. 2. a) und Absch. C. 11. 1. 124 BAG v. 12. 1. 88 AP Nr. 90 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bi. 3 V mit Anmerk. Rüthers I Berghaus, Bi. 5 R. 125 So nimmt das Bundesverwaltungsgericht bei rechtlicher Unmöglichkeit der Befolgung einer Bauordnungsverfügung - Abriß eines Schwarzbaus, der jedoch bei Erlaß des Verwaltungsaktes vermietet war - zwar die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes und des darin enthaltenen Handlungsgebotes an, ein auf die Erzwingung gerichteter Zwangsvollstreckungsdruck sei aber rechtswidrig (BVerwG v. 28.4. 72 BVerwGE 40, 101). 126 Siehe Abschn. B. I. 3. b) cc); B. III. 2. b) dd); C. 11. 3. I2l
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
funktionsfähigen Arbeitskampfsystems sein. Daß aber die Einbeziehung von Mitgliedern ohne Tarifbindung in die Bestreikung des Verbandes oder in seine Aussperrung in typisierender Betrachtung für die Gewährleistung eines funktionsfähigen Arbeitskampfsystems erforderlich ist, kann ebensowenig behauptet werden wie für die Einbeziehung des nicht organisierten Arbeitgebers in den Verbandsarbeitskampf. Dafür ist der Organisationsgrad der Arbeitgeber zu hoch und der Anteil der Mitglieder ohne Tarifbindung zu niedrig 127 .
b) Fehlende Identität von Kampfgebiet und Tarifzuständigkeitsgebiet Ein Teil des Schrifttums folgert aus der Tatsache, daß der Arbeitskampf nur als Instrument unmittelbar zur Durchsetzung tarifvertraglicher Regelungen gewährleistet wird, daß die Grenzen des zu erkämpfenden Tarifvertrags zugleich die Schranken eines darauf hinwirkenden Arbeitskampfs bilden müssen, ein Arbeitskampf also nur dort stattfinden darf, wo der angestrebte und umkämpfte Tarifvertrag gelten soU 12s . Dies entspricht auch der Regelung in § 5 I S. I des Professorenentwurfs 1988 129 • Diese Abgrenzung eines zulässigen Hauptstreiks vom unzulässigen Sympathiestreik orientiert sich also nicht am Verhandlungspartner und dessen unmittelbarer Betroffenheit durch den Arbeitskampf, sondern am Geltungsbereich des angestrebten Tarifvertrags und damit an der unmittelbaren Betroffenheit der Tarifunterworfenen. Sie steUt eine engere Eingrenzung als die Anknüpfung am Verhandlungspartner in den Fällen dar, wo ein Tarifvertrag nur für ein Teilgebiet der gemeinsamen Tarifzuständigkeit von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband angestrebt wird. Zwar scheinen die Vertreter dieser Abgrenzung in ihren Erwägungen nur auf die fachlichen und räumlichen Tarifgrenzen auf Arbeitgeberseite abzustellen und die Mitgliedschaft ohne Tarifbindung nicht in ihre Überlegungen mit einzubeziehen. In der Konsequenz dieser am Teilhabegedanken orientierten Auslegung des Unmittelbarkeitserfordernisses liegt aber auch der Ausschluß der Mitglieder ohne Tarifbindung aus dem Arbeitskampf als Folge der Berücksichtigung auch der personellen Grenzen des Tarifvertrags. Ob dieses gleichsam ,,negative Partizipationsprinzip" - nicht: Weil er teilhat, kann er einbezogen werden, sondern: Weil er nicht teilhat, kann er nicht einbezogen werden - schlüssig ist, mag in Anbetracht der bezüglich anderer Fragen des Arbeirskampfrechts bereits dargelegten Argumentationsuntauglichkeit des TeilhaSiehe Absehn. A. H. I. und 2. RÜfhers, BB 64, 312 (314); Rieble, Anmerk. zu BAG EzA Nr. 98 zu Art. 9 GG Arbeltskampfreeht, S. 14; vgl. aueh Promberger, Arbeitskampf und Einzelvertrag, S. 74. 129 Birkl Konzenl Löwischl Raiser I Seifer, Gesetz zur Regelung kollektiver Arbeitskonflikte, § 5 I S. I : "In den Arbeitskampf dürfen nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Betriebe einbezogen werden, in denen der umkämpfte Tarifvertrag gelten würde ... . 127 128
IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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begedankens zweifelhaft erscheinen 130. Dies kann jedoch hier dahingestellt bleiben, weil auch diese Abgrenzung für die Behandlung des Mitglieds ohne Tarifbindung als arbeitskampfrechtlichen Außenseiters sprechen würde und damit dessen Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf als unzulässig erscheinen lassen würde. c) Geeignetheit zur Druckausübung
Ein großer Teil des älteren Schrifttums beurteilt die Frage der Rechtmäßigkeit eines Sympathiearbeitskampfs danach, ob die Kampfmaßnahme, die sich nicht gegen den Kampfzieladressaten richtet, geeignet ist, den Taritkonflikt im Sinne der kampfführenden Partei zu beeinflussen. Erforderlich ist also einzig die konkrete oder zumindest im Regelfall anzunehmende Möglichkeit, durch den Sympathiearbeitskampf auf den Ausgang des unterstützten Arbeitskampfs im Sinne einer Verstärkung des Drucks auf den Kampfgegner Einfluß zu nehmen 13l. Dem entsprach auch die Argumentation des Reichsgerichts und Reichsarbeitsgerichts 132. Wäre dies richtig, müßte die Einbeziehung der Mitglieder ohne Tarifbindung in den Verbandsarbeitskampf als zulässig erachtet werden; denn geeignet zur Druckausübung auf den Arbeitgeberverband ist deren Bestreikung allemal. Dafür ist nicht notwendigerweise erforderlich, daß der Verband sich nach seinen Richtlinien verpflichtet, auch nicht tarifgebundenen Mitgliedern im Falle ihrer Bestreikung Unterstützungszahlungen zu gewähren 133 . Allein schon das Interesse des Verbandes an der wirtschaftlichen Unversehrtheit seiner Mitglieder, die ihn ja durch ihre zumeist ertrags- oder lohnsummenabhängigen Mitgliedsbeiträge finanzieren müssen, führt dazu, daß der Verband zur Abwendung der Bestreikung auch solcher Mitglieder eher geneigt ist, den Gewerkschaftsforderungen nachzugeben. Dieser Ansatz ist jedoch verfehlt: Allein die Tatsache, daß die Einbeziehung eines Mitglieds ohne Tarifbindung oder eines sonstigen Arbeitgebers, der keinen Einfluß auf den Arbeitskampf und den abzuschließenden Tarifvertrag hat, zur Druckausübung auf den Verband geeignet ist, führt nicht zu deren Rechtmäßigkeit. Denn die Geeignetheit eines Arbeitskampfmittels ist ein notwendiges, nicht aber hinreichendes Erfordernis für dessen Rechtmäßigkeit. Wie bei der Ausformung und Herleitung aller anderen Arbeitskampfmittel aus der KoalitionsbetätigungsgaVgl. Abschn. B. I. 3. b) bb); B. III. b) dd). So die Formulierung Löwisch, RdA 62,314 (315). Vgl. auch ders., RdA 67, 45 (49); Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 537; Dietz, Jus 68, 1 (7); Konzen, AcP 177 (1977),473 (514, Fn 249); Auffarth, RdA 77, 129 (135). Eine lediglich abstrakte Geeignetheit läßt ausreichen LAG Hamm EzA Nr. 39 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Zöllner, Arbeitsrecht (3. Aufl.), S. 384; Birk, Die Rechtmäßigkeit gewerkschaftlicher Unterstützungsmaßnahmen, S. 82; umfangreiche Nachweise auch bei Löwisch, ZfA 80, 437 (442) Fn 12. 132 RG v. 26. 3. 03 RGZ 54, 255 (258); RG v. 29. 1. 15 RGZ 86, 152 (154); Kaskel, Arbeitsrecht, S. 373. 133 Wie dies einige Verbände vorsehen, vgl. Abschn. C. Fn 103. 130 \3l
11 Thüsing
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C. Der Außenseiter auf Arbeitgeberseite
rantie des Art. 9 III GG muß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden 134 . Die Ausgestaltung der Arbeitskampfmittel muß also geeignet, erforderlich und angemessen erscheinen, die Tarifautonomie zu sichern und eine hinreichende Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge zu gewährleisten. Die wirtschaftliche Geiselnahme eines am Tarifgeschehen unbeteiligen Arbeitgebers im Interesse eines für ihn fremden Arbeitskampfes ist zwar zur Druckausübung geeignet, sie ist indes für die Funktionsfähigkeit eines Arbeitskampfsystems -wie bereits dargelegt - nicht erforderlich. Richtig ist also, daß ein ungeeignetes Arbeitskampfmittel durch die Rechtsordnung nicht anerkannt werden kann, dogmatisch falsch ist es, von der Geeignetheit auf die Rechtmäßigkeit zu schließen. Zu Recht haben sich daher einige Vertreter der hier kritisierten Auffassung inzwischen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen 135. d) Fehlende Neutralität des Mitglieds ohne Tarijbindung
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Sympathiearbeitskampfs und der Einbeziehung von Mitgliedern ohne Tarifbindung in den Verbandsarbeitskampf ist also trotz anderer Ansätze im Schrifttum der Grundsatz, daß Kampfmitteladressat und Kampfzieladressat im Arbeitskampf identisch sein müssen. Dieser Grundsatz gilt dort nicht, wo anderes für die Funktionsfahigkeit des Arbeitskampfsystems erforderlich ist. Dies ist hier zwar nicht einschlägig l36 , das Bundesarbeitsgericht will aber weitere Ausnahmen zulassen 137: Danach sei ein Sympathiestreik zulässig, wenn der betroffene Arbeitgeber zuvor seine "Neutralität" im Hauptarbeitskampf verletzt hat, etwa durch Übernahme der Produktion, und des weiteren, wenn der vom Sympathiestreik betroffene Arbeitgeber zwar rechtlich selbständig ist, wirtschaftlich aber einen Bestandteil des im Hauptarbeitskampf stehenden Arbeitgebers darstellt. Auch die zweite Alternative ist in diesem Zusammenhang nicht von Relevanz; eine Einbeziehung von Mitgliedern ohne Tarifbindung kann sie nicht rechtfertigen 138. Anderes gilt möglicherweise für die erste Alternative: Auch das Mitglied ohne Tarifbindung ist Mitglied des arbeitskampfführenden Verbandes und finanziert über seinen Beitrag den Arbeitskampf der Arbeitgeberseite. Es könnte daher fraglich sein, es dennoch als neutral im Bezug auf den Arbeitskampf zu werten. Indes liegt in der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung kein aktives Eingreifen in den Hauptarbeitskampf. Dies unterscheidet sein 134 Vgl. dazu Abschn. B I3 a; B. III. 2. a). Allgemein zum Prinzip der Verhältnismäßigkeit Degenhart, Staatsrecht I, Rn 324 ff. 135 So z. B. Löwisch und Zöllner: Löwisch, Arbeitsrecht, Rn 344 entgegen RdA 62,314 (315); ZöllnerlLoritz, Arbeitsrecht, S. 426 entgegen Zöllner, Arbeitsrecht (3. Aufl.), S. 384. 136 Vgl. Abschn. C. IV 3. a). 137 BAG v. 5. 3. 85 AP Nr. 85 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 5 V Bestätigt durch BAG v 12. 1. 88 AP Nr. 90 zu Art. 90 GG Arbeitskampf. 138 Zur Kritik an dieser Ausnahme RütherslBerghaus, Anmerk. zu BAG v.12. 1 88 AP Nr. 90 zu Art. 90 GG ArbeItskampf, BI. 7 V
IV. Der Arbeitskampfstatus des Mitglieds ohne Tarifbindung
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Verhalten etwa von der Übernahme der Produktion eines Bestreikten. Ob in der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung wirklich eine Neutralitätsverletzung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt, bedürfte daher wohl weiterer Erörterung. Diese Frage braucht jedoch nicht abschließend geklärt zu werden, da fehlende Neutralität eine Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf weder im Falle des Sympathiearbeitskampfs noch der Mitgliedschaft ohne Tarifbindung rechtfertigen kann. Denn - wie bereits Lieb und Löwisch überzeugend ausgeführt haben: Es gibt keine Pflicht eines Arbeitgebers zur Neutralität im Arbeitskampf l39 . Davon scheint zu Recht auch das Bundesarbeitsgericht in anderen Entscheidungen auszugehen. So hat es in einer Entscheidung vom 20. 12. 1963 festgestellt, daß die Übernahme einer Produktion eines bestreikten Arbeitgebers der dortigen Klägerin "unter keinem Gesichtspunkt verwehrt werden konnte" 140. Wenn das Bundesarbeitsgericht nun von etwas anderem ausgeht, bedürfte dies der Begründung. Diese Begründung ist nicht erfolgt. Sie dürfe auch schwerlich überzeugen, denn es ergibt sich auch aus dem bisher Gesagten, daß fehlende Neutralität keine Einbeziehung in den Verbandsarbeitskampf rechtfertigen kann: Der Arbeitgeber, der sich im Arbeitskampf nicht neutral verhält, solidarisiert sich mit seinen bestreikten Konkurrenten. Die Solidarität unter Arbeitnehmern oder Arbeitgebern kann jedoch - wie oben bereits dargelegt 141 - nicht die Einbeziehung eines bestimmten Personenkreises in Aussperrung oder Streik rechtfertigen, will man das Solidaritätsprinzip nicht seines rechtlich faßbaren Gehaltes entkleiden und es zu einem beliebig handzuhabenden Zurechnungsprinzip ohne Abgrenzungskriterien umfunktionieren. 4. Ergebnis
Die Einbeziehung von Mitgliedern ohne Tarifbindung in den Verbandsarbeitskampf würde gegen den Grundsatz verstoßen, wonach Kampfmitteladressat und Kampfzieladressat grundsätzlich identisch sein müssen. Für eine Ausnahme von diesem Grundsatz sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Das Mitglied ohne Tarifbindung ist arbeitskampfrechtlich wie ein nicht organisierter Arbeitgeber zu behandeln, der nur um einen Firmentarif bestreikt werden kann, in einem Verbandsarbeitskampf jedoch weder in Streik noch Aussperrung einbezogen werden kann. Lieb, SAE 86, 64 (65 f.); Löwisch, AR-Blattei D, Arbeitskampf 11, zu Entsch. 28. BAG v. 20. 12. 63 AP Nr. 34 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 3 V. 141 Zur Tatsache, daß es die Zuweisung eines aktiv auszuübenden Arbeitskampfmittels nicht rechtfertigen kann -hier die Aussperrung- vgl. Abschn. B. I. 3. b) (aa): Keine Streikbefugnis der Nichtorganisierten aufgrund des Solidaritätsgedankens. Zur Tatsache, daß es nicht die passive Einbeziehung in das Arbeitkampfmittel der Gegenseite rechtfertigen kann -hier die Bestreikung- vgl. Abschn. B. III. 2. b) bb): Keine Befugnis zur Aussperrung von Nichtorganisierten aufgrund des Solidaritätsgedankens. 139
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11*
D. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Streik und Aussperrung stellen keine subjektiv-privaten oder subjektiv-öffentlichen Rechte des einzelnen Arbeitnehmers bzw. Arbeitgebers dar. Sie sind vielmehr Ausfluß der durch Art. 9 III GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit. Rechtsträger von Streik und Verbandsaussperrung sind daher die Koalitionen.
Anders verhält es sich einzig bei der Einzelaussperrung im Arbeitskampf um einen Firmentarifvertrag. Deren Rechtsträger ist der einzelne nicht organisierte Arbeitgeber. Aber auch diese Aussperrung ist mittelbar aus der in Art. 9 III GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit herzuleiten. Denn sie folgt aus der im Tarifvertragsgesetz festgelegten Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, die ihrerseits im Dienste der Betätigungsfreiheit der Koalitionen steht. 2. Der nicht organisierte Arbeitnehmer darf in Aussperrung und Streik mit einbezogen werden, weil dies für die Funktionsfähigkeit des Arbeitskampfsystems erforderlich ist. Die Solidarität der Arbeitnehmer oder die Tatsache, daß auch der nicht organisierte Arbeitnehmer regelmäßig aufgrund individualvertraglicher Bezugnahme am Erfolg des Arbeitskampfs teilhat, können eine Einbeziehung demgegenüber nicht rechtfertigen. Eine Aussperrung kann sich auch ausschließlich auf organisierte Arbeitnehmer beschränken. Ausgleichzahlungen an ausgesperrte, nicht organisierte Arbeitnehmer durch den aussperrenden Arbeitgeber sind rechtswidrig. Eine Differenzierung der Aussperrung nach der Streikteilnahme ist rechtswidrig, wenn sie nach Beendigung der Streiktätigkeit des ausgesperrten Arbeitnehmers erfolgt. 3. Was für den nicht organisierten Arbeitnehmer gilt, gilt auch für den anders organisierten Arbeitnehmer. Insbesondere steht dem nicht entgegen. das dieser u.U. bereits von einem Tarifvertrag erfaßt ist. 4. Folge der Einbindung in den Arbeitskampf ist es, daß auch der Außenseiterarbeitnehmer im Falle seiner Streikbeteiligung oder Aussperrungsbetroffenheit einen Anspruch auf Behandlung nach Tarif aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hat. Eine gesetzliche Regelung, die eine Einbeziehung aller Arbeitnehmer unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit an der Urabstimmung vorsehen würde, stünde im Widerspruch zur Streikrechtsträgerschaft der Gewerkschaften und wäre aufgrund Verstosses gegen Art. 9 III GG verfassungswidrig.
D. Zusammenfassung der Ergebnisse
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5. Das vom Bundesarbeitsgericht in jüngster Rechtsprechung entwickelte "Recht zur Betriebstillegung" ist abzulehnen. Folgt man demgegenüber dem Bundesarbeitsgericht, ist dieses Recht in Bezug auf die Einbeziehung nicht und anders organisierter Arbeitnehmer nicht anders zu beurteilen als ihre Einbeziehung in die Aussperrung. Notdienstvereinbarungen können aber nicht davon abhängig gemacht werden, daß der bestreikte Arbeitgeber nur die zu Notdienstarbeiten eingeteilten Arbeitnehmer zur Arbeit zuläßt. 6. Die nicht und die anders organisierten Arbeitgeber dürfen im Zuge eines Verbandsarbeitskampfes nicht zur Druckausübung auf den Arbeitgeberverband bestreikt werden. Auch ihre Bestreikung zum Abschluß eines Anschlußtarifvertrages ist erst dann rechtmäßig, wenn der Inhalt des in Bezug zu nehmenden Verbandstarifvertrages bereits feststeht. Ebenso darf der Außenseiterarbeitgeber nicht an der Aussperrung im Verbandsarbeitskampf teilnehmen. Gegenteiliges kann insbesondere nicht mit dem Hinweis auf ein "Kamptbündnis" zwischen Arbeitgeberverband und Außenseiterarbeitgeber begründet werden. 7. Die Mitgliedschaft ohne Taritbindung im Arbeitgeberverband ist zulässig. Sie stellt satzungsmäßig eine personelle Beschränkung der Tarifzuständigkeit dar, die nicht im Widerspruch zu § 3 I TVG steht. Aufgrund der Tatsache, daß es keinen Einfluß auf den Inhalt des Verbandstarifvertrags und dessen Arbeitskampfführung hat, ist das Mitglied ohne Taritbindung arbeitskampfrechtlich wie ein Außenseiter zu behandeln. Auch er kann also nur zur Durchsetzung eines Firmentarifvertrags bestreikt werden und nur im Rahmen einer solchen Auseinandersetzung aussperren. 8. Da der Außenseiterarbeitgeber nicht in den Verbandsarbeitskampf einbezogen werden kann, stellt sich die Frage möglicher Konsequenzen seiner Einbeziehung - anders als auf Arbeitnehmerseite - nicht.
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