Gut des Menschen: Untersuchungen zur Problematik und Entwicklung der Glücksethik bei Aristoteles und in der Tradition des Peripatos 9783110216912, 9783110193077

This study analyses the theoretical connections between the conception of happiness, the theory of the good, and an ethi

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German Pages 333 [334] Year 2011

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Table of contents :
Einleitung. Zielsetzung und Quellen
§ 1. Zu Kontext und Zielsetzung der Untersuchung
§ 2. Zu den historischen Quellen
Teil I. Menschliche Natur und praktisches Telos in Aristoteles’ Ethik
§ 1. Einleitung
A) Die Begriffe des Guten und Schönen in der Perspektive aristotelischer Theōria
§ 2. Natürliche Arten als Selbstzwecke
§ 3. Die Korrelation von Sein, Vollkommenheit und Gutsein
§ 4. Die Bedeutung des in der Theōria gegebenen Guten und Schönen für die Lebensform der Forschenden
B) Aristoteles’ praktischer Begriff einer vollendungsfähigen menschlichen Natur
§ 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und als Telos menschlicher Entwicklung
§ 6. Universalismus und Partikularismus in Aristoteles’ Theorie der besten Lebensformen
C) Der Begriff des höchsten praktischen Gutes im Spannungsfeld von objektiver Teleologie und subjektiven Handlungsgründen
§ 7. Bemerkungen zur Funktion der objektiv-teleologischen Argumentation von NE I 6
§ 8. Die einzelnen Elemente der aristotelischen Definition des menschlichen Telos
§ 9. Wie kann das objektiv höchste Gut des Menschen zum subjektiven Zielpunkt menschlicher Praxis werden?
D) Pluralität und Einheit der letztzielhaften Strebensziele
§ 10. Die naturale Grundlage der Vielheit menschlicher Letztziele
§ 11. Der Grund der Einheit des menschlichen Letztzieles
§ 12. Das Verhältnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgründe
Teil II. Peripatetische Positionen zur Bedeutung der nicht-seelischen Güter und zum Begriff eines naturgemäßen Lebens
A) Die Kontroverse um die Symplērōma-These: Sind nicht-seelische Güter ein ,Teil‘ der Eudaimonie?
§ 1. Aristoteles’ Argument in NE I zur Bedeutung äußerer und leiblicher Güter für das menschliche Telos
§ 2. Instrumentelle Deutung versus Sympleroma-These bei den Peripatetikern
§ 3. Die Sympleroma-These in ihrem Verhältnis zur Autarkie- und zur Gradationsthese
B) Die bei Areios Didymos favorisierte jungperipatetische Glücksdefinition
§ 4. Die Elemente der favorisierten jungperipatetischen Glücksdefinition
§ 5. Die Kritik an der Sympleroma-These
C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen zur Bedeutung nicht-seelischer Güter: der „weichere“ und der „strengere“ Standpunkt
§ 6. Die „weiche“ Deutung der favorisierten Glücksdefinition
§ 7. Exkurs: Vergleich der „weichen“ Position bei Areios Didymos mit anderen peripatetischen und altakademischen Quellen
§ 8. Die „strengere“ Deutung der Glücksdefinition bei Areios Didymos
D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren jungperipatetischen Position
§ 9. Nicht-seelische Güter als Material eudaimonischer sittlicher Praxis
§ 10. Der Begriff „προηγούμενος“ und die Spuren der jungperipatetischen Glücksdefinition bei Aspasios und anderen Kommentatoren
§ 11. Der systematische Ertrag dieser Begrifflichkeit im Vergleich zu Aristoteles
E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Güter im Spiegel der peripatetischen Güterdihäresen
§ 12. Nicht-seelische Güter als δυνάμεις und die zwei Bedeutungen des „an sich Erstrebenswerten“
§ 13. Letztziele und die Frage der Natürlichkeit von Strebenszielen
F) Der Begriff natürlicher Strebensziele gemäß der jungperipatetischen Adaption der Oikeiōsis-Lehre
§ 14. Die Oikeiōsis-Lehre bei den Stoikern und bei Antiochos von Askalon
§ 15. Die ,peripatetische‘ Oikeiōsis-Lehre bei Areios Didymos: Interpretation
§ 16. Kritik und Vergleich
G) Glück als naturgemäßes Leben
§ 17. Das Ideal eines naturgemäßen Lebens
§ 18. Das Für und Wider der unterschiedlichen Definitionsmodelle
Nachwort
Literaturverzeichnis
Personenregister
Stellenregister
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 9783110216912, 9783110193077

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Jan Szaif Gut des Menschen

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jens Halfwassen, Dominik Perler, Michael Quante

Band 83

De Gruyter

Gut des Menschen Untersuchungen zur Problematik und Entwicklung der Glücksethik bei Aristoteles und in der Tradition des Peripatos

von

Jan Szaif

De Gruyter

ISBN 978-3-11-019307-7 e-ISBN 978-3-11-021691-2 ISSN 0344-8142 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Druck: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort (2011) Dieses Buch ist eine redigierte Fassung der philosophiegeschichtlichen Abschnitte meiner Bonner Habilitationsschrift von 2001. Ausgangspunkt meines Projektes war das Interesse am aristotelischen Paradigma der Ethik, verbunden mit der Frage, wie sich die Ethik der aristotelischen Schule (des „Peripatos“) w•hrend der sp•thellenistischen Phase in Auseinandersetzung mit anderen hellenistischen Philosophenschulen und insbesondere mit den Stoikern weiterentwickelt hat. In Standarddarstellungen der hellenistischen Philosophie wird speziell die Frage der peripatetischen Glìckstheorie gewçhnlich ìbergangen, obwohl wir Quellentexte besitzen, die einiges an Information enthalten. Die Kapitel zu Aristoteles sind gewissermaßen als Vergleichsfolie fìr den Peripatetikerteil entstanden, was auch die besondere Perspektive dieses Bandes auf Aristoteles’ Ethik erkl•rt. Die Themenstellung dieses Projektes (dessen Kontext und Zielsetzung in meiner Einleitung genauer beschrieben werden) bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen der Frage nach den Elementen vortrefflicher menschlicher Lebenspraxis und der Konzeption natìrlicher Grunddimensionen menschlichen Strebens. Es ist ja gewissermaßen das Markenzeichen einer aristotelischperipatetischen Ethik gewesen, daß sie sich gegen den Gedanken der Autarkie der Weisheit/Tugend ausgesprochen und auch nicht-seelischen (leiblichen und •ußeren) Gìtern Glìcksrelevanz zugeschrieben hat, und zwar auf der Grundlage einer Theorie der natìrlichen Ausrichtungen menschlichen Strebens. Da die ,•ußeren Gìter‘ gedeihliche Beziehungen zu anderen Menschen mit einschließen, stellte sich dann auch die gewichtige Frage nach dem Verh•ltnis von selbstbezìglichem Glìcksinteresse und altruistischen Handlungsmotiven. Daß bei der Publikation bedauerlicherweise eine erhebliche Verzçgerung eingetreten ist, hat damit zu tun, daß von mir ursprìnglich noch substanzielle Erg•nzungen und ›berarbeitungen dieses Projektes einschließlich der systematischen Anh•nge, die jetzt weggelassen worden sind, geplant waren. (In das Kapitel 1 meiner Monographie Freundschaft und Moral. ›ber Freundschaft als Thema der philosophischen Ethik, University Press, Bonn 2005, sind einige der in diesen Anh•ngen entwickelten Gedanken eingeflossen.) Aus verschiedenen Grìnden, die nicht zuletzt mit meiner Situation als Privatdozent in Deutschland und mit meiner ›ber-

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Vorwort (2011)

siedlung in die USA, die neue Priorit•ten mit sich brachte, zu tun hatten, kam es nicht zu diesen geplanten Arbeiten. In Absprache mit dem Verlag habe ich mich darum jetzt dazu entschlossen, den Text dieser Qualifikationsarbeit in einer leicht ìberarbeiteten Form (unter anderem mit einer verbesserten Kapiteleinteilung und besseren ›berleitungen) in den Druck zu geben. Der Text gibt meinen Forschungsstand von 2001/02 wieder, weshalb ich es im Rahmen der redaktionellen ›berarbeitung auch nicht fìr angemessen hielt, die Literaturliste ìber diesen Zeitraum hinaus zu aktualisieren. Bei der Ethik der „Jungperipatetiker“ handelt es sich immer noch um ein vernachl•ssigtes Gebiet, so daß ich annehme, daß die Verçffentlichung meiner damaligen Forschungsergebnisse, die in Manuskriptform bereits einem grçßeren Personenkreis vorgelegen haben, weiterhin ein Desiderat ist. Auch meine Herangehensweise in Teil I – einem Essay zur Theorie des menschlichen Telos bei Aristoteles – scheint mir durch neuere Publikationen nicht ìberholt zu sein. Eine erweiterte englischsprachige Fassung dieser Studie wird mir vielleicht zu einem sp•teren Zeitpunkt die Gelegenheit fìr eine Stellungnahme zur Literatur der letzten Jahre geben. Stellvertretend fìr wichtige Beitr•ge, die nach 2001/02 erschienen sind und mir damals noch nicht zur Verfìgung standen, erw•hne ich einige Arbeiten des 2010 leider viel zu frìh verstorbenen bedeutenden PeripatosForschers Bob Sharples, und zwar insbesondere seine Edition (de Gruyter, 2008) und kommentierte ›bersetzung (Cornell UP, 2004) der in der Mantissa zusammengefaßten, Alexander von Aphrodisias zugeschriebenen Texte sowie seine ›bersetzung der Peripatos-Doxographie des Areios Didymos in der Quellensammlung Peripatetic Philosophy (Cambridge UP, 2010). Verschiedene meiner in der Zwischenzeit erschienenen Aufs•tze und Buchkapitel haben die Themen des Aristoteles-Teils (Teil I) meiner Habilitationsschrift aufgegriffen oder liefern wichtige Erg•nzungen. In das Kapitel Naturbegriff und Gìterlehre in der Ethik des Aristoteles, in Was ist das fìr den Menschen Gute? (hg. von J. Szaif, M. Lutz-Bachmann, de Gruyter, 2004, 54 – 100) sind einige der in Teil I dieser Arbeit enthaltenen Untersuchungsergebnisse eingeflossen. Meine bereits erw•hnte Monographie Freundschaft und Moral verbindet eine Diskussion der aristotelischen Freundschaftstheorie mit systematischen ›berlegungen zur Grundlegung der Ethik und zur mçglichen Bedeutung der Freundschaftsthematik fìr der Ethik. Das Kapitel Aristotle on Friendship as the Paradigmatic Form of Relationship, in How Should we Live? Comparing Ethics in Ancient China and Greco-Roman Antiquity (hg. von R. King, D. Schilling, de Gruyter,

Vorwort (2011)

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2011, 208 – 237) enth•lt eine erweiterte und pr•zisierte Fassung meiner Interpretation der Aristotelischen Freundschaftslehre, die ich in diesem Buch nicht ausfìhrlich darstelle, die aber fìr meinen Interpretationsansatz wichtig ist. Der Aufsatz Aristotle on the Benefits of Virtue (NE X.7 and IX.8), in The Virtuous Life in Greek Ethics (hg. von B. Reis, Cambridge UP, 2006, 167 – 193) enth•lt eine detaillierte Erçrterung von zwei Texten, die fìr die Frage des Verh•ltnisses von selbstbezìglichen und altruistischen Motivationsgrìnden und fìr die Frage der Priorit•t des intellektuell-wissenschaftlichen Lebensentwurfes von zentraler Bedeutung sind. Er erg•nzt zum Beispiel meine Ausfìhrungen in Teil I-D, § 12 dieses Bandes. Die ìberblickhafte Darstellung in meinem Aufsatz Aristoteles: eine teleologische Konzeption von Besitz und Eigentum, in Was ist Eigentum? (hg. von A. Eckl, B. Ludwig, Beck, 2005, 43 – 58) ist einem Aspekt der Aristotelischen Gìterlehre gewidmet, der auch fìr die Thematik dieses Bandes von großem Interesse ist, aber in ihm nicht eigens behandelt wird. Der Aufsatz Die AretÞ des Leibes. Die Stellung der Gesundheit in Platons Gìterlehre, in Leib und Seele in der antiken Philosophie (hg. von D. Frede, B. Reis, de Gruyter, 2009, 205 – 246) beleuchtet die Platonische Vorgeschichte des fìr diesen Band zentralen Themas nicht-seelischer Gìter. Den Herausgebern weiß ich mich fìr die Aufnahme dieser Schrift in die Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie“ zu Dank verpflichtet, und ebenso dem Verlag de Gruyter! Ausdrìcklich sei auch erw•hnt, daß das Zustandekommen dieses Projektes sehr viel mit dem besonderen Forschungsumfeld zu tun hatte, das ich an der inzwischen aufgelçsten „Abteilung B“ des Philosophischen Seminars der Bonner Universit•t unter der Leitung von Ludger Honnefelder vorfinden konnte. Ihm gilt mein herzlicher Dank, in den ich auch einige meiner damaligen Kollegen (unter denen stellvertretend Herr Jìssen genannt sei) einschließen mçchte. lom~t, l³m owm wakep¹r b b_or· oq c±q N\diom jah’ art¹m 1meqce?m sumew_r, leh’ 2t]qym d³ ja· pq¹r %kkour Nøom. Aristoteles, ME IX 9, 1170a5 f. Jan Szaif, Davis (Calif.), im Juli 2011

Inhalt Einleitung. Zielsetzung und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1. Zu Kontext und Zielsetzung der Untersuchung . . . . . . . § 2. Zu den historischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I. Menschliche Natur und praktisches Telos in Aristoteles’ Ethik § 1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

A) Die Begriffe des Guten und Schçnen in der Perspektive aristotelischer Theo¯ria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Natìrliche Arten als Selbstzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Die Korrelation von Sein, Vollkommenheit und Gutsein § 4. Die Bedeutung des in der Theo¯ria gegebenen Guten und Schçnen fìr die Lebensform der Forschenden . . . . . . . . B) Aristoteles’ praktischer Begriff einer vollendungsf•higen menschlichen Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und als Telos menschlicher Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6. Universalismus und Partikularismus in Aristoteles’ Theorie der besten Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 42 43 47 56 59 59 72

C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes im Spannungsfeld von objektiver Teleologie und subjektiven Handlungsgrìnden . 79 § 7. Bemerkungen zur Funktion der objektiv-teleologischen Argumentation von NE I 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 § 8. Die einzelnen Elemente der aristotelischen Definition des menschlichen Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 § 9. Wie kann das objektiv hçchste Gut des Menschen zum subjektiven Zielpunkt menschlicher Praxis werden? . . . . 105

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Inhalt

D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele . . . . . . . § 10. Die naturale Grundlage der Vielheit menschlicher Letztziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11. Der Grund der Einheit des menschlichen Letztzieles . . . § 12. Das Verh•ltnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgrìnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil II. Peripatetische Positionen zur Bedeutung der nicht-seelischen Gìter und zum Begriff eines naturgem•ßen Lebens A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These: Sind nicht-seelische Gìter ein ,Teil‘ der Eudaimonie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1. Aristoteles’ Argument in NE I zur Bedeutung •ußerer und leiblicher Gìter fìr das menschliche Telos . . . . . . . . . . . § 2. Instrumentelle Deutung versus Symple¯ro¯ma-These bei den Peripatetikern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Die Symple¯ro¯ma-These in ihrem Verh•ltnis zur Autarkieund zur Gradationsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147 147 155 161

B) Die bei Areios Didymos favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 § 4. Die Elemente der favorisierten jungperipatetischen Glìcksdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 § 5. Die Kritik an der Symple¯ro¯ma-These . . . . . . . . . . . . . . . 173 C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen zur Bedeutung nicht-seelischer Gìter: der „weichere“ und der „strengere“ Standpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6. Die „weiche“ Deutung der favorisierten Glìcksdefinition § 7. Exkurs: Vergleich der „weichen“ Position bei Areios Didymos mit anderen peripatetischen und altakademischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8. Die „strengere“ Deutung der Glìcksdefinition bei Areios Didymos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren jungperipatetischen Position . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9. Nicht-seelische Gìter als Material eudaimonischer sittlicher Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10. Der Begriff „pqogco}lemor“ und die Spuren der jungperipatetischen Glìcksdefinition bei Aspasios und anderen Kommentatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11. Der systematische Ertrag dieser Begrifflichkeit im Vergleich zu Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI 193 193 199 209

E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter im Spiegel der peripatetischen Gìterdih•resen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 § 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir und die zwei Bedeutungen des „an sich Erstrebenswerten“ . . . . . . . . . 212 § 13. Letztziele und die Frage der Natìrlichkeit von Strebenszielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 F) Der Begriff natìrlicher Strebensziele gem•ß der jungperipatetischen Adaption der Oikeio¯sis-Lehre . . . . . . . . . . § 14. Die Oikeio¯sis-Lehre bei den Stoikern und bei Antiochos von Askalon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15. Die ,peripatetische‘ Oikeio¯sis-Lehre bei Areios Didymos: Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16. Kritik und Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 230 238 257

G) Glìck als naturgem•ßes Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 17. Das Ideal eines naturgem•ßen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 18. Das Fìr und Wider der unterschiedlichen Definitionsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen § 1. Zu Kontext und Zielsetzung der Untersuchung Die aristotelische Ethik ist eine Strebensethik und steht somit, aus der Perspektive sp•terer Entwicklungen, in Antithese zur Orientierung an einem Begriff radikaler Willensfreiheit. Nicht daß die aristotelische Ethik sich gegen den Begriff einer im deliberativen Vermçgen grìndenden Freiheit menschlichen Entscheidens und Handelns stellen wìrde. Dieser ist fìr sie sogar zentral, da sie den Menschen als freien Urheber seiner Handlungen versteht und unter diesem Gesichtspunkt die „menschlichen Angelegenheiten“ zum Gegenstand hat. Jedoch kann das praktische Deliberieren, so wie Aristoteles es analysiert, niemals den Charakter gleichsam einer ethischen Selbstschçpfung haben, sondern ergibt sich aus einem Zusammenwirken der praktischen Vernunft mit den grundlegenden Charakterhaltungen eines Menschen, die Formungen seiner Natur und der in ihr angelegten grundlegenden naturalen Strebetendenzen sind. Daß das Wollen (oder rationale Vorziehen) notwendig das Gute zum Gegenstand hat, bedeutet fìr Aristoteles nicht, daß es notwendig je schon auf bestimmte inhaltliche Konkretionen des Guten bezogen ist. Entsprechend der natìrlichen Selbstliebe, deren rationaler Ausdruck die prudentielle Sorge um das Gelingen des eigenen Lebens ist, will man (de dicto) das, was fìr einen gut ist. Dies garantiert aber nicht, daß das, was man fìr gut/zutr•glich h•lt, auch tats•chlich gut bzw. zutr•glich ist. Darum wird in einem anderen Sinne (de re) immer nur das gewollt, was man fìr gut h•lt, und dieses Fìr-Gut-Halten ist ver•nderlich und entwicklungsf•hig. Andererseits findet die Spezifizierung der eigenen praktischen Ziele auch nicht sozusagen im luftleeren Raum statt. Vielmehr wird es durch die Erfahrung des Guten bestimmt. Man kann jedoch nur das als gut erfahren, was in bestimmter Weise den grundlegenden Potentialen und Tendenzen unseres Erkenntnis- und Strebevermçgens korrespondiert, da diese gleichsam die Dimensionen oder Grundformen der Erfahrung von letztzielhaft Gutem vorgeben. Dabei ist es zwar laut Aristoteles das charakterliche Ethos, als Ausformung unserer Strebensnatur („zweite Natur“), was der deliberativen und reflexiven praktischen ›berlegung ihre Ausrichtung

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

vorgibt und das Fundament fìr die kognitiven Antizipationen des Guten bereitstellt. Dem Ethos seinerseits liegt aber die Strebensnatur quasi als ein nicht beliebig gestaltbares Material und dynamisches Schema von Strukturmomenten zugrunde, ìber das sich generelle Aussagen im Rahmen einer ethischen Anthropologie treffen lassen. In der Tatsache, daß es einen fìr Menschen als solche allgemeingìltigen Kern von Gegebenheiten der Strebens- und Bedìrfnisnatur gibt,1 der das Wollen in bestimmte humane Grunddimensionen des Guten vorstrukturiert, grìndet die Mçglichkeit einer allgemeinen Theorie des fìr Menschen Guten. Nur aus diesem Grund sind wir auch berechtigt, in dem Leitwort der aristotelischen Ethik: t¹ !mhq~pimom !cah|m, „das menschliche Gut“ oder „Gut des Menschen“, nicht bloß ein historisches Relikt zu sehen. Dieser Begriff Gut des Menschen meint bei Aristoteles das hçchste praktische Gut fìr Menschen qua Menschen. Damit wird also nicht das Gute ìberhaupt thematisiert, sondern nur das Gute, das menschlicher Lebenspraxis eine Zielausrichtung geben kann. Gem•ß Aristoteles ist das einzige inhaltlich bestimmbare Gut, das fìr unsere Lebenspraxis im ganzen diese Funktion ausìben kann, das Gelingen und die Vortrefflichkeit dieser Lebenspraxis selbst. Auf der Basis unserer natìrlichen Selbstliebe und unserer rationalen F•higkeit, fìr uns selbst Sorge zu tragen, bleibt in allen konkreten Handlungsentscheidungen, was immer deren jeweilige Zielbezìge sind, dies der ìbergreifende und einheitsstiftende Zielbezug. Doch ist auch dieser Begriff des guten Lebens zun•chst nur eine Leerformel, die durch Inhalt gefìllt werden muß, und diesen Inhalt gewinnt er in aristotelischer Sicht wiederum aus unserem Ethos in Verbindung mit unserer praktischen Urteilskraft, die wiederum nicht von unseren Grundstrebungen und -bedìrfnissen losgelçst werden kçnnen. Letztere sind zwar in hohem Maße kulturell und individuell formbar. Aber gleichwohl gibt es hier anthropologische Konstanten. Daß wir zum Beispiel einen Sinn fìr das Schçne haben und ihn verfeinern kçnnen, daß Erkenntnis fìr uns zu einem lebenspraktischen Letztziel werden kann und daß wir, um glìcklich zu sein, in der einen oder anderen Weise Freundschaft und Liebe kultivieren mìssen, all dies hat seine Grundlagen in der menschlichen Natur 1

Wenn von Bedìrfnisnatur die Rede ist, so muß das, was menschliche Bedìrfnisse sind, in der ganzen Breite dessen thematisiert werden, was der aristotelische Begriff des Strebens umfaßt. Streben ist nach antikem Verst•ndnis immer mit Aspekten des Mangels und damit des Bedìrfens verbunden. Zu einem Begriff des Bedìrfnisses in einer (im weiten Sinne) aristotelischen Perspektive vgl. Wiggins 1998.

§ 1. Zu Kontext und Zielsetzung der Untersuchung

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und kann darum Gegenstand einer ethischen Anthropologie werden, die die Grundgìter menschlicher Lebenspraxis zu analysieren versucht. Der Begriff Gut des Menschen steht fìr die ìbergreifende Zielbestimmung prudentieller Rationalit•t. Dabei verstehe ich hier den Begriff „prudentieller Grìnde“ in dem ursprìnglichen aristotelischen Sinn von vq|mgsir/prudentia, d. h. bezogen auf das Gelingen eines guten menschlichen Lebens im ganzen. Prudentiell gut ist das Zutr•gliche sowie, in letzter Instanz, das, worauf hin alles Zutr•gliche fìr einen Menschen zutr•glich ist – die Gìte seiner Lebenspraxis. Zu einem guten Leben beitragen kçnnen Sachen, Personen, Ereignisse, Aktivit•ten, Sachverhalte etc., und zwar als Mittel, geeignete Rahmenbedingungen oder konstitutive Elemente dessen, was die Gìte oder das Glìcken des Lebens ausmacht. Alles Zutr•gliche kann in diesem weiten Sinne auch als ein „Gut“ bezeichnet werden, und es ist klar, daß dabei der Begriff eines Gutes weiter gefaßt ist als der der materiellen Gìter und daß er zum Beispiel auch Situationen und geistige Aktivit•ten einschließen kann. Diesem Begriff entgegengesetzt ist ein Begriff des ›bels, der sich auf abtr•gliche Zust•nde, Ereignisse, Aktivit•ten etc. bezieht. Die Grundgìter, die dem Begriff des guten Lebens einen Inhalt geben (also nicht nur als kausale Ermçglichungsgrìnde fungieren), kçnnen zugleich auch Typen sinnvoller Lebensentwìrfe definieren. Aristoteles berìcksichtigt nur zwei solche Lebensentwìrfe, unter denen er auch noch eine Art von Rangordnung herstellt: die wissenschaftlich-philosophische Existenzform und die Lebensform des Engagements fìr das Gemeinwesen. Das ist natìrlich zu eng. Aber grunds•tzlich ermçglicht die Gìterlehre eine Typologie sinnvoller Lebensentwìrfe, die durch den Bezug auf je ein inhaltlich bestimmtes genuin zielhaftes Grundgut definiert sind (wobei sich in der Praxis selbstverst•ndlich auch Mischformen bilden kçnnen). Diese Typen sind Konkretionen des menschlichen Telos. Qua Telos, das sich auf der Grundlage eines natìrlichen Potentials und natìrlicher Tendenzen verwirklicht, ist ein solches ,Gut des Menschen‘, gem•ß Aristoteles’ teleologischem Naturbegriff, eine Vollendungsgestalt der menschlichen Natur. Da diese aber angesichts der Freiheit menschlicher Selbstgestaltung nicht aus einem naturwìchsigen Prozeß hervorgehen kann, sind sie zugleich eine Aufgabe der eigenverantwortlichen menschlichen Selbstgestaltung auf individueller und kultureller Ebene. Der aristotelische Typus einer Theorie des fìr Menschen Guten steht in der Gefahr, einseitig die Gestalt eines ethischen Perfektionismus anzunehmen, der aus einem objektiven Modell menschlicher Vollkommenheit meint angeben zu kçnnen, welches dasjenige eigentlich sei, was wir immer

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

schon fìr uns erstreben. Aristoteles selbst liefert hier jedoch eine bessere Vorlage, weil er den Begriff des Guten nicht nur, aber stets auch aus der Perspektive des subjektiv erfahrbaren Strebens thematisiert. Gewiß, das „ist-gut“-Sagen konnotiert objektive Gìltigkeit, gerade auch wenn es relational gebraucht wird („gut“ im Sinne von „zutr•glich fìr“). Wenn jemand fìr sich das Gute erstrebt, so ist es natìrlich, wie schon erw•hnt, seine Intention, das, was tats•chlich fìr ihn gut ist und nicht nur irrtìmlich so erscheint, zu treffen. Das rationale Vorziehen steht darum immer auch unter einem Wahrheitsbezug. Was letztlich in Wahrheit Gìter des menschlichen Lebens sind, l•ßt sich aber nicht an den menschlichen Erfahrungsmçglichkeiten vorbei bestimmen. Prudentielle Wertung bedarf, nicht anders als Naturerkenntnis, nach Aristoteles auch einer empirischen Grundlage, nur daß die Art der Erfahrung, die hier zugrundegelegt werden muß, eine andere ist. Es ist prim•r eine lebenspraktische Erfahrung, in der fìr Menschen, aus der Binnenperspektive ihrer eigenen Lebensfìhrung, bestimmte Gìter als Gìter des menschlichen Lebens erlebbar werden. Weil sich jedoch diese erlebbaren Gìter, bei aller kulturellen und individuellen Diversit•t, im Rahmen bestimmter Grunddimensionen des Guten bewegen, die durch unsere natìrlichen kognitiven Potentiale und Strebetendenzen grundgelegt sind, kann das so verstandene Gut des Menschen zum Gegenstand einer ethischen Anthropologie werden. Bei prudentiellen ›berlegungen braucht es nicht nur um das eigene Gut-Leben zu gehen, sie kçnnen, etwa in Form des Rat-Erteilens, auch anderen zugute kommen. Sie sind aber prinzipiell verschieden von moralischen Begrìndungen. Denn moralische Begrìndungen erfolgen von einem Standpunkt aus, zu dem ganz wesentlich das Moment der Unparteilichkeit gehçrt, das den prudentiellen Grìnden wesensfremd ist, da diese gerade immer aus der Sorge um das Wohl eines ganz bestimmten Menschen (oder einer Gruppe von Menschen) ihren Bezugspunkt und ihre handlungsmotivierende Kraft gewinnen. Gleichwohl gibt es wesentliche Verweisungsbezìge zwischen den Ordnungen der prudentiellen und der moralischen Handlungsgrìnde. Der Wunsch, einem konkreten Menschen in einer Situation zu helfen, kann ja moralisch motiviert sein, bedarf dann aber zur erfolgreichen Umsetzung eines guten prudentiellen Urteilsvermçgens. Vor allem aber mìssen sich auch die allgemeinen moralischen Regeln und Tugendkonzepte (nicht nur, aber wesentlich auch) daran messen lassen, inwieweit sie (auf unparteiliche Weise) dem menschlichen Wohlergehen und gedeihlichen Zusammenleben fçrderlich sind. Schon in die Formulierung der zentralen prohibitiven Bestimmungen der Moral, bei denen es um die Abwendung mçglicher Sch•digungen geht (etwa der

§ 1. Zu Kontext und Zielsetzung der Untersuchung

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Verbote, die auf die Achtung des Lebens, der Freiheit und Unversehrtheit, des Eigentums, des Anspruches auf wahrhaftige Auskunft gehen) fließt ein Verst•ndnis des fìr Menschen Guten ein, denn der Begriff der Schadens, der von den prohibitiven Geboten vorausgesetzt wird, ist nur sozusagen die Kehrseite des Begriffs des Zutr•glichen oder prudentiell Guten. Darum setzt eine inhaltliche ausgefìhrte rationale Moral auch einen prudentiellen Begriff des fìr Menschen Guten voraus, und zwar gerade wenn Moral autonom in der Vernunft verankert und nicht nur soziales Faktum sein soll. Bei Aristoteles gibt es noch keine Theorie des Moralischen stricto sensu, weil hierfìr eine eindeutige begriffliche Trennung von Recht und Moral vorausgesetzt w•re, die wir so bei Aristoteles nicht finden. Im Aristotelischen Verst•ndnis mìssen sich sowohl die rechtlichen als auch die sittlichen Normen des Gemeinwesens daran messen lassen, ob sie erstens Ansprìchen der Verteilungsgerechtigkeit (von Lasten und Vorzìgen, Ehrungen und Aufgaben) Genìge tun und zweitens sinnvoll in Hinblick auf das Gemeinwohl (t¹ joim0 sulv]qom)2 und die Verwirklichung einer vortrefflichen menschlichen Lebensform sind. Unter allen diesen Gesichtspunkten (auch unter dem der Verteilungsgerechtigkeit nach Verdienst und Bef•higung) ist in Aristotelischer Sicht ein ad•quates Verst•ndnis der Bedingungen und Elemente des durch menschliche Praxis zu verwirklichenden Guten die Voraussetzung dafìr, daß die Normen und Institutionen so eingerichtet werden, daß sie ihrer wahren Funktion tats•chlich gerecht werden. Noch in anderer Weise als eben erl•utert gibt es ein Verweisungsverh•ltnis zwischen prudentieller Rationalit•t und Moralit•t – nicht die Moralinhalte, sondern die Frage „Warum moralisch sein?“ betreffend. Diese Frage verlangt sozusagen nach einer prudentiellen Rechtfertigung der moralischen Haltung, d. h. nach einer Rechtfertigung, die diese Haltung als sinnvollen und notwendigen Bestandteil des Gut-Lebens oder menschlichen Telos ausweist. Wenn man sich moralische Wertmaßst•be angeeignet hat, so haben diese auch einen formenden Einfluß auf die eigenen Vorstellungen davon, was fìr ein Mensch man sein und wie man leben will. Aber ist es auch im prudentiellen Sinne vorziehenswert, ein Mensch mit einer solchen Identit•t zu sein? Im Aristotelischen Verst•ndnis sind die Tugenden das, was einen, im Verbund mit der prudentiellen Vernunft, zu einer vortrefflichen Lebenspraxis bef•higt. Aber warum mìssen dazu auch gemeinwohldienliche Tugenden wie die Gerechtigkeit 2

Vgl. NE VIII 11, 1160a11 – 14, Pol. III. 7, 1279a17 – 21; III 12, 1282b14 – 18; s. a. NE V 3, 1129b17 – 19; Pol. I 2, 1253a14 – 18.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

gehçren? Ist nicht der kluge, resolute Egoist ebensogut, oder vielleicht noch besser, zu einer vortrefflichen Lebenspraxis bef•higt? In welchem Verh•ltnis stehen eigentlich altruistische Einstellungen gegenìber Freunden oder dem konkreten Gemeinwesen zum individuellen Gelingen? Und wie verhalten sich die ethischen Tugenden zu diesen auf konkrete Personen und Personenverb•nde bezogenen altruistischen Einstellungen? Altruistische Einstellungen sind zun•chst einmal in der menschlichen Strebensnatur angelegt, die sich nicht in einer natìrlichen Tendenz zur Selbstliebe erschçpft. Aber sie sind in ihrer Rohform genauso wenig sittliche Haltungen wie die Impulse der Selbstliebe. Aristoteles zeigt von den ethischen Tugenden, daß sie eine subjektive Handlungsteleologie einschließen, durch die wir Handlungen unter einem intrinsischen Wertgesichtspunkt, der ihnen als Ausdruck sittlicher Haltungen zukommt, vorziehen. Fìr Aristoteles ist dies der Gesichtspunkt, daß solche Handlungen bzw. die zugrundeliegenden Haltungen ,edel‘ (sittlich schçn) oder gerecht sind. Ihr Charakter als sittlich edler oder gerechter Handlungsweisen leitet sich zwar auch aus den in der Perspektive der Tugenden wìnschenswerten Wirkungen ab, wobei in die Bewertung der Wirkungen altruistische Gesichtspunkte, unter anderem die Gemeinwohldienlichkeit, einfließen. Der fìr die Bewertung aus der prudentiellen Fragestellung heraus maßgebliche Handlungsgrund ist dann aber der inh•rierende sittliche Charakter der Handlung, da dieser es ist, dank dessen diese Handlungsweise zur Qualit•t der je eigenen Lebenspraxis in der Weise eines konstitutiven Bestandteiles einer in sich wertvollen Lebenspraxis beitr•gt. Ein Leben, so die Quintessenz dieses Ansatzes, verwirklicht das Telos des Menschen als eines Wesens, das auf mitmenschliche Kooperation angewiesen ist und in ihr Freude und Erfìllung erfahren kann, erst dann vollst•ndig, wenn es auch die Wertdimension der kooperativen und gemeinwohldienlichen Tugenden realisiert. Durch einen entsprechenden Selbstentwurf und eine damit konsonante Charakterformung wird diese Wertdimension zur Basis des Bewußtseins der eigenen sittlichen Dignit•t (bei Aristoteles lecakoxuw_a, „Hochgesinntheit“, genannt), die eine Form der Erfìllung des in der Selbstliebe grìndenden Wunsches, ein mçglichst vortreffliches Leben zu fìhren, ist. Dadurch scheint sich jedoch auch ein Spannungsverh•ltnis zwischen dieser selbstbezìglichen, in der Selbstliebe grìndenden Motivation zur Sittlichkeit und genuin altruistischen Motiven zu ergeben. Eine Lçsung dieses Problems im Rahmen des aristotelischen Ansatzes kann nur darin liegen, daß eine Form der Verschr•nkung von altruistischen und selbstbezìglichen Zielsetzungen erwiesen wird, durch die jene hçhere Form der

§ 1. Zu Kontext und Zielsetzung der Untersuchung

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Selbstliebe, die sich in der Motivation zu einem sittlichen Selbstentwurf manifestiert, die altruistischen Motivationslagen notwendig einschließt, und zwar deshalb, weil bei bestimmten relevanten Arten von Tugend- oder Freundschaftshandlungen nur diejenigen Akte, die bewußt und absichtlich auch altruistischen Anliegen dienen, jenen sittlichen Wert fìr sich beanspruchen kçnnen, der das je eigene Leben erhçht. In Aristoteles’ Ethiken wird dieses Ph•nomen der Verschr•nkung von selbstbezìglicher und altruistischer Motivationslage am deutlichsten in seiner Analyse der echten Freundschaft herausgearbeitet, welche einen Ph•nomenbereich bezeichnet, der zwar auch einen sittlichen Wert besitzt, aber aufgrund der partikul•ren Natur solcher Bindungen nicht mit den Tugendhaltungen als solchen gleichzusetzen ist. Im Grundsatz mìßte auch fìr die Tugendhaltungen herausgearbeitet werden, wie ihr Selbstverst•ndnis mit dem sozialen bzw. mitmenschlichen Bezug menschlichen Daseins zusammenh•ngt. Dazu gibt es Ans•tze bei Aristoteles, aber keine hinl•ngliche systematische Ausarbeitung. (Die von sp•teren Aristotelikern rezipierte Theorie der sozialen Oikeio¯sis liefert dafìr interessante Ausgangspunkte, wie wir sehen werden.) Unter diesen Voraussetzungen stellt es sich also so dar, daß die Verinnerlichung sittlicher Wertmaßst•be, und ebenso bestimmte Formen partikularer altruistischer Haltungen gegenìber bestimmten Einzelpersonen oder Personenverb•nden, auch im Sinne prudentieller (auf die Qualit•t der Lebenspraxis im ganzen bezogener) Wertungen gut fìr den Betreffenden sind. Dies bedeutet nicht, daß die sittliche Bewertungsdimension oder die Motive der Freundschaft auf selbstbezìgliche prudentielle Motive reduziert wìrden. Die inhaltlichen Antworten zu der Frage, etwa was in einem gegebenen Kontext eine gerechte Verhaltensweise ist, haben ihre je eigenen, in der Teleologie dieser Tugend grìndenden Bewertungsmaßst•be, die nicht auf das je eigene Wohl der handelnden Person finalisiert sind. Aber es ist ein objektiv wertvolleres menschliches Leben, so die These dieses teleologischen Eudaimonismus, sich solche sittlichen Bewertungsmaßst•be angeeignet zu haben und entsprechend zu leben, und auf diese Weise ist dies dann auch gut im Sinne jener erhçhten Form der Selbstliebe, die ein wahrhaft gutes Leben zu verwirklichen trachtet. Wenn man ìber den aristotelischen Ansatz in der Ethik spricht, so muß man auch erw•hnen, daß die philosophische Rezeption der aristotelischen Ethik in Deutschland durch die Debatte um den sogenannten „Neoaristotelismus“ belastet wird,3 der geradezu als Synonym fìr einen Antimo3

Vgl. beispielsweise Schn•delbach 1992.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

dernismus in der philosophischen Ethik herhalten muß. Dabei wird der Aristotelismus in der Ethik mit dem Standpunkt eines unkritischen Traditionalismus und bekennenden Partikularismus identifiziert und in Antithese zum rationalen Universalismus der Moderne gestellt. Der aristotelische Standpunkt in der Ethik wird in diesem Zusammenhang als verwandt mit der Hegelschen Theorie der Sittlichkeit betrachtet, wie sie in den Grundlinien der Philosophie des Rechts dargelegt wird. Nun gibt es hier sicherlich bedeutende Berìhrungspunkte, aber auch einen ganz wesentlichen Unterschied, der in der positiven Funktion liegt, die dem Rekurs auf den Begriff der Strebensnatur in der genuinen Tradition des ethischen Aristotelismus zukommt. Dies ist ja auch ein fìr diese Studie zentraler Gesichtspunkt. Die Reflexion auf die Natur menschlichen Strebens und Bedìrfens erschließt n•mlich kritische Referenzpunkte fìr die Prìfung von faktisch bestehenden Traditionen oder Aspekten dieser Traditionen. (Aristoteles selbst war, wie wir noch sehen werden, alles andere als ein Kuturrelativist.) Sicherlich gibt es einflußreiche dem Neoaristotelismus zuzurechnende Autoren (wenn man sich diese Vokabel ìberhaupt zu eigen macht), die diesen Punkt zu kurz kommen lassen, sicherlich MacIntyre in After Virtue, vielleicht auch, bei allen Verdiensten, Joachim Ritter. Fìr andere Autoren, und zwar gerade im Bereich der angels•chsischen Forschung, wo es eine andere Tradition der Aristoteles-Rezeption gibt, gilt diese Aussage nicht. Der Rekurs auf einen aristotelisch inspirierten praktischen Begriff der menschlichen Natur spielt in so heterogenen (auch in ihrer politischen Stoßrichtung ganz unterschiedlichen) Ans•tzen wie denen von Finnis, Wiggins oder Martha Nussbaum eine wesentliche Rolle. Dank der Reflexion auf die menschliche Strebensnatur l•uft der genuine ethische Aristotelismus also nicht auf eine kritiklose Affirmation des Bestehenden und Partikularen hinaus, da hier vielmehr ein natìrlicher Rahmen menschlicher Selbstgestaltung und menschlicher Glìcksmçglichkeiten thematisiert wird, dem eine wesentliche Kritik- und Maßstabfunktion in Bezug auf die faktischen sozialen Gegebenheiten zukommen kann. Und es dìrfte wohl auch nur auf dieser Grundlage mçglich sein, ad•quat zu beurteilen, welche Bedeutung den gewachsenen Traditionen und Praxisformen mitsamt der darin jeweils enthaltenen „sittlichen Substanz“, im Negativen wie im Positiven, tats•chlich zukommt. In dieser Studie wird es zwar nicht um Fragen der Inhalte moralischer Normen gehen, aber auch gegen die philosophische Thematisierung des guten Lebens werden Bedenken ge•ußert, die sich darauf beziehen, daß man hier nicht zu verallgemeinerungsf•higen inhaltlichen Aussagen kommen kçnne, weil das „gute Leben“ ein Gegenstand individueller

§ 1. Zu Kontext und Zielsetzung der Untersuchung

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Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung geworden sei. Ein solcher Einwand ìbersieht, daß, wie oben bereits erl•utert, die Sorge eines Menschen fìr sein eigenes Lebens zwar einerseits unvertretbar ist und zur Selbstbestimmtheit der individuelle Selbstentwurf gehçrt, andererseits aber dieser Selbstentwurf doch nicht quasi eine Selbstschçpfung aus nichts sein kann, sondern unter den Bedingungen einer Strebens- und Bedìrfnisnatur stattfindet, deren Gestaltbarkeit nicht beliebig ist. Oder um es mit einem antiken Begriff zu sagen, der in dieser Studie eine Rolle spielen wird: Die individuelle Selbstentfaltung schließt immer auch das Moment der (selbstbezìglichen) Oikeio¯sis ein, d. h. einer Selbstaneignung durch einen dynamischen Prozeß, in dem sich etwas Vorgegebenes und Naturales als das Eigene erschließt und so erst zum Gegenstand der gestaltenden Selbstsorge werden kann. Praktische Selbstbestimmung hat darum nicht den Charakter reiner Selbstsetzung.4 Die Ethik des Aristoteles und ihre Spiegelungen in der sp•teren peripatetischen Literatur liefern einen reichen Argumentationsbestand fìr eine ethische Anthropologie in dem hier erl•uterten Sinne. Zur Analyse dieses Argumentationsbestandes beizutragen ist das Ziel dieser Studie. Ihre leitende Fragestellung lautet, in welcher Weise Aristoteles und seine Nachfolger den Begriff jenes praktischen Telos begrìnden und inhaltlich ausfìllen, das den ìbergreifenden Bezugspunkt prudentieller Rationalit•t bildet, und wie sie diesen Begriff des Guten mit einer Analyse der menschlichen Strebensnatur verbinden. Dabei wird auch die Frage der Bedeutung sittlicher und altruistischer Motivationsgrìnde in der Konstitution des fìr Menschen Guten einzubeziehen sein. Die aristotelische Anwendung dieser strebensethischen Anthropologie auf die Frage der angemessenen Inhalte sittlicher und rechtlicher Normen und Institutionen werde ich hingegen in dieser Studie nicht behandeln. Eine normative Ethik im Sinne einer Regelethik ist bei Aristoteles auch noch nicht systematisch ausgefìhrt worden, obwohl seiner Auffassung nach Gesetzgebung wesentlich auch einer ethischen Zielsetzung dienen sollte. Moralische Inhalte werden beim ihm vor allem im Rahmen der Erçrterung von Einzeltugenden verdeutlicht, was hier aber nicht im Zentrum meiner Untersuchung stehen wird. Der erste Teil der Untersuchung ist den Grundzìgen der aristotelischen Theorie des fìr Menschen Guten, seines Bedingungszusammenhanges mit der menschlichen Natur sowie den oben angesprochenen Fragen zur Erkennbarkeit dieses Guten bzw. zur Erkenntnismethode der Ethik gewid4

Vgl. dazu auch meine Bemerkungen in Szaif 2000.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

met. (N•heres siehe in meiner Einleitung zu Teil I.) Im zweiten Teil werde ich die unterschiedlichen „jungperipatetischen“ Positionen zur Theorie des hçchsten menschlichen Gutes, zum Stellenwert der leiblichen und •ußeren, insbesondere mitmenschlichen Gìter und zur Fundierung dieser Bezìge in der Strebensnatur herauszuarbeiten versuchen. Es wird uns hier keine festgeschriebene Schuldoktrin, sondern eine offene, sachorientierte Kontroverse begegnen. Dabei werden sich letztlich zwei Positionen als die systematisch interessanten herauskristallisieren, und meine abschließende These hierzu wird sein, daß diese Positionen zwei formale Aspekte treffen, die beide unaufgebbar fìr eine Theorie des guten Lebens sind. W•hrend im zweiten Teil sozusagen interpretatorische Feldarbeit geleistet werden muß, da die peripatetischen Quellen in Hinblick auf unseren Themenbereich (mit Ausnahme eines Textstìckes zur Oikeio¯sis-Lehre) philosophisch vergleichsweise nur erst wenig erschlossen sind, ist der erste Teil eher als ein Essay konzipiert, der sich nicht an die Ordnung h•lt, in der Aristoteles selbst seine Thesen pr•sentiert, sondern den Stoff im Ausgang von bestimmten systematischen Fragestellungen an Aristoteles organisiert – Fragestellungen, die wenigstens zum Teil auch durch den Diskussionsstand in der sp•teren peripatetischen Philosophie, die auf die Stoiker reagiert, bestimmt sind. Philosophiehistorische Studien mìssen berìcksichtigen, daß ihre Quellen mit einer philosophischen Wahrheitsintention verfaßt worden sind. Wer die philosophische Denkbewegung eines historischen Autors verstehend nachzuvollziehen trachtet, wird darum auch die Schlìssigkeit und Stimmigkeit seiner Texte prìfen mìssen, und er wird damit in die Auseinandersetzung mit den philosophischen Fragen hineingezogen werden, um die es dem Autor selbst geht. Darum ist eine philosophiehistorische Interpretation, wenn sie denn ìberhaupt ihrem Gegenstand gerecht wird, immer auch schon philosophisch, n•mlich in der Weise, daß das leitende Ziel des ad•quaten Verstehens nicht ohne das Hineintreten in die sachbezogene philosophische Frageperspektive mçglich ist. Dies bedeutet not bene nicht, daß man zwischen philosophiehistorischer und systematisch-philosophischer Forschung nicht sinnvoll unterscheiden kçnnte. Im Gegenteil: Diese Unterscheidung ist sogar essentiell, wenn die Seriosit•t sowohl der philosophiehistorischen Interpretation als auch der systematisch-philosophischen Reflexion gewahrt bleiben soll. Der Versuch, einen philosophischen Autor oder philosophische Texte zu verstehen, hat n•mlich einen anderen oder komplexeren leitenden Wahrheitsbezug als das systematisch-philosophische Fragen: Die Ad•quation des

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intersubjektiven Verstehens ist die Ad•quation an das von einer anderen Person Gemeinte. Die historische Interpretation muß sich der Gefahr bewußt sein, die in der Tendenz liegt, in einen historischen Autor die eigenen bevorzugten Denkweisen und Thesen hineinzulesen. Solche Interpretationen sind nicht nur historisch unwahr, sondern auch systematisch unfruchtbar, weil die historischen Texte unserem eigenen Denken nur dann weiterhelfen kçnnen, wenn wir in ihnen nicht nur das wiederfinden, was je schon unsere eigene Perspektive und ›berzeugung ist. Selbstverst•ndlich darf man aber auch nicht in den naiven Glauben verfallen, man kçnne sich in der Interpretation historischer Texte von dem durch die eigenen Fragen und Vorbegriffe gepr•gten Vorverst•ndnis g•nzlich freimachen. Daß es bei der verstehenden Rekonstruktion ein irreduzibles Moment der Perspektivit•t gibt, ist der Grund dafìr, warum die jahrhundertelange Interpretation großer philosophischer Autoren nicht zu bloßer Wiederholung des schon Erkannten fìhrt. Es handelt sich also jeweils erstens um die Aufgabe der Aneignung historischer Grundtexte, die unvermeidlich von der durch die eigene Zeit gepr•gten Verstehensperspektive ihren Ausgang nehmen muß, zweitens aber auch um eine Chance der Befruchtung und Bereicherung der zeitgençssischen philosophischen Reflexion durch das Eigene dieser historischen Vorlagen, die nur dann eine Herausforderung und Bereicherung sein kçnnen, wenn man sich um ein ad•quates Verstehen bemìht. Im Sinne dieser zwei zusammenh•ngenden Motive ist auch diese Studie verfaßt. Aber ist es nicht viel besser, sich direkt mit den philosophischen Sachfragen zu befassen, ohne den Umweg ìber die Lektìre •lterer Texte, zumal wenn diese noch die Aneignung eines aufwendigen hermeneutischexegetischen Know-how erfordert? Dies ist zun•chst einmal eine Frage des persçnlichen Ermessens. Jedoch muß man vor allem fìr die praktische Philosophie herausstellen, daß das Anfangen von einem vermeintlichen Null-Punkt nicht unproblematisch ist, und zwar aus zwei Grìnden: erstens weil man sich damit des reichen Potentials an Argumenten und an Perspektiven der Systematisierung begibt, die die Geschichte philosophischer Ethik bereith•lt, zweitens aber auch von der Sache selbst her, die die Ethik behandelt. Denn wenn es so ist, daß Ethik nicht, oder in jedem Fall nicht vollst•ndig, auf deduktive Weise von einem ethischen fundamentum inconcussum aus begrìndet werden kann, sondern immer auch ein Produkt historischer Entwicklung und Erfahrung ist, dann kann die Sache selbst, um die es hier geht, nicht in Abstraktion von der Geschichte der Ethik greifbar werden. Philosophische Ethiken, die g•nzlich ahistorisch vorgehen, w•ren also in Hinsicht auf ihren Gegenstand naiv, da sie ìbersehen

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

oder sich nicht eingestehen, daß die eigenen Vormeinungen oder Intuitionen, die bei der Theoriekonstruktion faktisch allemal richtunggebend sind, unter anderem Produkte einer historischen Entwicklung sind, zu der auch die Geschichte der philosophisch-ethischen Reflexion beigetragen hat. (Damit soll ìbrigens nicht dem Irrtum das Wort geredet werden, daß historische Bedingtheit Geltung relativiert. Es geht hier darum, daß historisch vermittelte praktische Erfahrung fìr die ethische Erkenntnis selbst relevant ist und daß es ein methodischer Fehler in der Ethik ist, dies zu ignorieren.) Der geschichtliche Verlauf der Philosophie, einschließlich der philosophischen Ethik, entspringt nicht nur, aber auch der inneren Dynamik des Ringens um die Sach- bzw. Begriffsprobleme (beides gehçrt zusammen), wobei wesentliche Entwicklungsschritte dadurch ausgelçst werden kçnnen, daß sich neue sachliche und begriffliche Perspektiven ergeben, die Herausforderungen an die bestehende Theorie darstellen, welche zu einem Neu-Durchdenken der gesamten Theorie und damit zu deren konstruktiver Weiterentwicklung fìhren. Solche Herausforderungen ergeben sich in der Geschichte der philosophischen Ethik zum einen selbstverst•ndlich durch Wandlungen im ethischen und weltanschaulichen Selbstverst•ndnis, durch gesellschaftliche Ver•nderungen im weitesten Sinne, aber auch durch den Kontakt zu anderen philosophischen Traditionen. Wichtig ist aber, daß die Entwicklung einer philosophischen Traditionslinie nie ausschließlich durch solche •ußeren Faktoren bestimmt ist, sondern auch ein Moment der inneren Dynamik enth•lt, die sich aus den Sachfragen ergibt, die mit Hilfe der philosophischen Begrifflichkeiten und Theorieformen gekl•rt werden sollen. Die Herausforderungen durch andere philosophische Traditionen oder durch generelle Ver•nderungen des Selbstverst•ndnisses und der sittlichen Institutionen kçnnen dabei als eine Art Katalysator wirken, der das Neu-Durchdenken der sachlichen und begrifflichen Probleme auslçst. Aufgrund dieses Bezugs der Entwicklungsdynamik der Geschichte der philosophischen Ethik auf die Sachfragen ist das interpretierende Nachvollziehen dieser Geschichte also auch in systematischer Absicht hilfreich. Wenn von der „Geschichte des ethischen Aristotelismus“ gesprochen wird, wie ich dies hier tue, so muß auch deutlich gemacht werden, daß dieser Begriff sehr wohl zu Mißverst•ndnissen Anlaß geben kann. Ganz grob muß man unterscheiden zwischen 1) einer schulm•ßig-institutionellen Anknìpfung an einen Autor (die nicht immer auch eine enge inhaltliche Anlehnung bedeuten muß), 2) einer systematischen Anknìpfung

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ohne institutionellen Bezug und 3) einem wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang im weiteren Sinne, d. h. durch direkten oder indirekten Einfluß der frìheren auf die sp•tere Position. Die Grenzen zwischen (2) und (3) sind fließend. So ist, um das Beispiel des am besten untersuchten mittelalterlichen „Aristotelikers“ Thomas von Aquin zu nehmen, dieser selbstverst•ndlich kein Aristoteliker im institutionellen, sondern allenfalls im sachlich-systematischen Sinn. Tats•chlich ist es aber so, daß ganz zentrale philosophische Elemente der thomasischen Moraltheologie der platonischen und der stoischen Tradition entstammen, weshalb man ebenso berechtigt w•re, ihn philosophisch als einen ethischen Synkretisten zu bezeichnen. Andererseits sind die aristotelischen Strukturmomente der thomasischen Ethik, aber auch seine Auseinandersetzung mit den Aristotelischen Schulschriften in Form von Kommentaren, doch so signifikant, daß man nicht bloß von einer wirkungsgeschichtlichen Beeinflussung sprechen mçchte. Die Geschichte des ethischen Aristotelismus ist also, wie dieses namhafte Beispiel schon zeigt, nicht die einer in sich abgeschlossenen Denkschule, sondern in vielf•ltiger Weise mit anderen Traditionslinien verknìpft. Und dies zeigt sich bereits in jener Phase des institutionellen Aristotelismus, fìr die der Schulname „Peripatos“ steht. Von den Autoren und Texten, die sich in der einen oder anderen Weise der Geschichte des ethischen Aristotelismus zuordnen lassen, sind manche besser, manche schlechter oder kaum erforscht. Zu den noch relativ schwach erforschten Gebieten gehçrt das ethische Material aus der peripatetischen Schule, was ìberraschen mag, da ja allein die Peripatetiker auch in einem institutionellen Sinne Aristoteliker waren und die Texte des antiken Erbes, anders als die vielfach noch gar nicht oder nicht wissenschaftlich edierten mittelalterlichen Texte, generell gut erschlossen sind. Aus meinen Ausfìhrungen zu den Quellentexten im n•chsten Paragraphen werden einige der Grìnde fìr diese Situation hervorgehen. Es ist eine der Zielsetzungen dieser Studie, einen Beitrag zur besseren Erschließung der peripatetischen Ethik zu liefern, wobei der Schwerpunkt meines Interesses hier dem Diskussionsstand unter den sp•thellenistischen Peripatetikern gilt („Jungperipatetiker“), die auf die Herausforderung durch die Stoiker und die anderen hellenistischen Philosophenschulen reagieren mìssen. Die Forschungssituation bei den Peripatetikern steht jedenfalls in einem krassen Gegensatz zu der bei Aristoteles selbst, wo l•ngst der Zustand eingetreten ist, daß die Flut an Publikationen den methodischen Fortgang der Forschung eher behindert. Dieses große Interesse, das sich unter anderem in einer erstaunlich großen Zahl von Monographien jìngeren Datums zur aristotelischen Ethik niederschl•gt, hat auch mit der generellen

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

Renaissance der praktischen Philosophie und Ethik und der Relevanz aristotelischer Theorieelemente fìr die modernen Debatten zu tun, die auf die historische Forschung zurìckwirken. Gleichwohl scheint es mir auch fìr die historische Forschung in der gegenw•rtigen Forschungssituation interessanter, aus dem Gesichtskreis immanenter Aristoteles-Interpretationen herauszutreten und den Aristotelismus als eine dynamische geschichtliche Grçße zu fassen, die in ihren Entwicklungsschritten zu analysieren ist, und zwar so, daß dabei auch der Zusammenhang mit anderen Entwicklungslinien deutlich wird. Meine leitende Pr•misse fìr die den peripatetischen Texten gewidmete Erçrterung, die den zweiten Teil dieser Studie bildet, lautet, daß die Peripatetiker durch den terminologisch und gedanklich sehr differenzierten, gegenìber der Zeit des Aristoteles in markanten Hinsichten ver•nderten philosophischen Diskussionsstand gezwungen gewesen sind, ihre grundlegenden aristotelischen Thesen aus neuem Blickwinkel zu ìberdenken, was die Adaption neuartiger Argumente und Begrifflichkeiten und die Versch•rfung der ìbernommenen Fragestellungen begìnstigte. Von daher muß es aus der Perspektive sowohl der Aristoteles-Exegese als auch der systematischen Fortentwicklung von charakteristischen Ans•tzen des ethischen Aristotelismus von Interesse sein, diesen peripatetischen Diskussionsstand des sp•ten 2. und des 1. Jhdts. v. Chr. kennenzulernen, soweit er sich aus der wahrlich nicht ganz einfachen Quellenlage noch rekonstruieren l•ßt. Dabei kann auf die Einbeziehung der noch vorhandenen ethischen Texte aus dem kaiserzeitlichen Peripatos auf keinen Fall verzichtet werden.

§ 2. Zu den historischen Quellen Die Tatsache, daß uns durch die Textìberlieferung unter dem Namen des Aristoteles drei verschiedene vollst•ndige Ethiken erhalten sind, wirft fìr die Forschung natìrlich die Frage auf, in welchem chronologischen und inhaltlichen Verh•ltnis sie zueinander stehen und ob sie tats•chlich alle Aristoteles zugeschrieben werden kçnnen. Zus•tzlich kompliziert wird die Lage dadurch, daß die NE und die EE drei Bìcher gemeinsam haben (NE V–VII = EE IV–VI), da offen ist, welchem Werk diese „gemeinsamen Bìcher“ ursprìnglich zuzuordnen sind. Authentizit•tsfragen haben schon in der Antike eine Rolle gespielt: Selbst die Nikomachische Ethik ist anscheinend, aufgrund ihres Titels,

§ 2. Zu den historischen Quellen

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bisweilen dem Sohn des Aristoteles, Nikomachos, zugeschrieben worden,5 der aber wohl eher ihr Herausgeber, bzw. Herausgeber eines substanziellen Teils der NE in ihrer jetzigen Form, gewesen sein dìrfte. Die Echtheit der NE ist heute vollkommen unumstritten. Sie ist dasjenige Werk, das wirkungsgeschichtlich unser Bild von der aristotelischen Ethik gepr•gt hat. Sie war schon fìr den sp•ten Peripatos die maßgebliche Fassung der aristotelischen Ethik – Aspasios kommentiert die NE, und zwar in einer Fassung, die die „gemeinsamen Bìcher“ mit einschließt.6 Der byzantinische Sammelkommentar und ebenso die lateinisch-mittelalterlichen ›bersetzungsund Kommentierungsbemìhungen, die ihren Hçhepunkt im 13. Jahrhundert erreichen, haben allesamt die NE zum Gegenstand. Obwohl dem lateinischen Westen ein Manuskript der EE vorliegt, das auch kopiert wird, findet es doch nicht das Interesse der ›bersetzer und Kommentatoren. Das Gewicht der Tradition, die in der NE die maßgebliche Fassung der aristotelischen Ethik sieht, ist zu groß. (Lediglich das Eutychie-Kapitel der EE [VIII 2] hat sich, zusammen mit dem Eutychie-Kapitel der MM [II 8], als Schrift De bona fortuna einer breiten mittelalterlichen Rezeption erfreut.) Entsprechendes gilt im Bereich des arabischen Aristotelismus. Auch die philosophische Auseinandersetzung des 19. und 20. Jahrhunderts mit der aristotelischen Ethik hat sich vornehmlich auf die NE konzentriert, so daß unser Verst•ndnis der aristotelischen Ethik weiterhin prim•r durch dieses Werk gepr•gt ist – allerdings unter Einschluß der gemeinsamen Bìcher, die wohl, mindestens in Teilen und in ihrer ursprìnglichen Fassung, in den Kontext der EE gehçren.7 (Besonders deutlich ist dies bei der Lust-Abhandlung in NE VII = EE VI.) Auch in Zukunft wird die NE ihren Vorrang sicher nicht verlieren, da sie oft genug die ausgereiftere Position darzustellen scheint und auch reichhaltiger ist in der Aufarbeitung der Ph•nomene. Nicht zuletzt genießt sie auch den Vorzug einer sehr viel besseren textlichen ›berlieferung, was die Interpretationsarbeit sehr erleichtert. Gleichwohl gibt es viele Passagen der EE, die von hohem philosophischen 5 6 7

Vgl. etwa Cicero, De fin. V 12. In diesem Punkt mußte Kenny seine ursprìngliche Auffassung (Kenny 1978) im Lichte der Kritik von Irwin 1980b und Cooper 1981 revidieren (Kenny 1992, 119 ff.). Dies r•umt etwa auch der Kenny-Kritiker Cooper ein (1981, 387): „Nowadays I imagine almost every competent and informed critic accepts that the common books were first written for inclusion in the Eudemian treatise. Disagreement and doubt arise, for most part, only over the exact relation of our present common books to those original versions.“ Diese Beschreibung des Forschungsstandes dìrfte auch heute noch Gìltigkeit besitzen. S. a. Buddensiek 1999, 21 ff.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

Interesse sind und die keine Parallelen in der NE haben oder gegenìber den Parallelpassagen eine eigenst•ndige Bedeutung besitzen. Deshalb ist eine Vernachl•ssigung der EE heute selbstverst•ndlich nicht mehr zu rechtfertigen. Wegen der besonderen Schwierigkeiten der Lektìre der EE hierzu noch einige Bemerkungen: Die Eudemische Ethik hat schon in der Antike ein wechselvolles Schicksal gehabt. Es gibt Hinweise darauf, daß sie in der Zeit vor Andronikos keineswegs als nachrangig gegenìber der NE angesehen wurde, Hinweise, denen vor allem Kenny nachgegangen ist, der sogar einen Vorrang der EE in der damaligen Zeit zu beweisen versucht hat.8 Allerdings wissen wir kaum etwas Genaueres ìber Art und Umfang der Rezeption der aristotelischen Pragmatien vor Beginn der systematischen Kommentierung in der Andronikos-Schule, so daß Aussagen hierzu sehr unsicher bleiben. Bereits der Kommentator Aspasios (erste H•lfte des 2. Jh. n. Chr.) h•lt die EE fìr ein Werk des Aristoteles-Schìlers Eudemos. Diese These hat auch in der modernen Philologie zun•chst einen großen Anhang gefunden. Noch in Susemihls verdienstvoller Teubner-Edition wird dieses Werk Eudemos zugeschrieben. Heute wird dieses Werk aber im allgemeinen als authentisch akzeptiert, wozu auch beigetragen haben dìrfte, daß inzwischen seine inhaltliche Bedeutung voll erkannt worden ist. Allerdings wird die Einbeziehung der EE durch den Zustand des ìberlieferten Textes sehr erschwert, der um ein Vielfaches schlechter ist als der irgendeines der anderen maßgeblichen Werke des Aristoteles (auch sehr viel schlechter als der der MM), was eine Folge des fehlenden Rezeptionsinteresses in Sp•tantike und Mittelalter sein dìrfte. Mehr als bei anderen Werken des Aristoteles muß sich die Interpretation der EE darum immer auch mit diffizilen textlichen Fragen auseinandersetzen. Wie Harlfinger 1971 als Ergebnis seiner maßgeblichen kodikologischen Forschungen zur EE herausgestellt hat, ist bereits der Text des Archetypus der uns heute zur Verfìgung stehenden Codices in einem sehr schlechten Zustand gewesen, weshalb die Arbeit am Text zu erheblichen Teilen divinatio sein mìsse.9 In welchem Maße man die EE trotz dieser Schwierigkeiten in die Interpretation mit einbezieht, muß letztlich von den spezifischen Fragestellungen der Interpretation abh•ngen. So sind etwas die Ausfìhrungen der EE in Buch VII zu Freundschaft und Selbstliebe von gleichem Gewicht 8 9

Siehe Kenny 1992, 113 – 142, mit Retraktionen zu einigen Thesen in Kenny 1978, die der Kritik nicht standgehalten haben. Aufgrund der M•ngel der Oxforder Neu-Edition muß die Teubner-Edition von Susemihl weiterhin gleichberechtigt mitbenutzt werden. Vgl. Barnes 1992.

§ 2. Zu den historischen Quellen

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wie entsprechende Ausfìhrungen in der NE, w•hrend die ›berlegungen, die Aristoteles im Rahmen des Eudaimonie-Traktates zum Stellenwert der nicht-seelischen Gìter in NE I 9 – 11 anstellt und die zu einer Erweiterung der Definitionsformel der Eudaimonie fìhren, welche auch in der Politik und in der sp•teren peripatetischen Rezeption maßgeblich ist, in der EE keine Entsprechung haben. (Der Eutychie-Traktat der EE gibt fìr die Frage des Stellenwertes der •ußeren „Glìcksgìter“ nichts her.) Man wird also im Einzelfall, je nach thematischer Fragestellung, entscheiden mìssen. In Hinblick auf die Wirkungsgeschichte genießt selbstverst•ndlich die NE (einschließlich der gemeinsamen Bìcher) den eindeutigen Vorrang. Die MM sind zwar in einem deutlich besseren ›berlieferungszustand, aber inhaltlich viel unbedeutender als die EE. Die Authentizit•tsfrage ist umstritten, wobei die Hauptalternativen die Einstufung als frìheste der drei aristotelischen Ethiken oder als altperipatetische Schulschrift sind.10 Die Mehrzahl der Forscher scheint die MM heutzutage nicht als ein Werk von Aristoteles’ Hand zu betrachten. Ich schließe mich der Einsch•tzung an, daß es sich um eine altperipatetische Schulschrift handelt. Im Aufbau h•lt sie sich eher an die EE als an die NE, ist aber im ìbrigen nach Abschnitten sowohl aus der NE als auch der EE gearbeitet. Daneben weist sie in bestimmten Punkten durchaus inhaltliche Eigentìmlichkeiten auf, die gravierend sind, etwa die systematische Rolle, die der bei Aristoteles sonst relativ unbedeutende Begriff der horme¯ spielt, oder die dezidierte Stellungnahme gegen einen Gottesbegriff, wie Aristoteles ihn in Metaph. XII begrìndet und in EE VII 12 voraussetzt. Die Lehre vom menschlichen Guten schließt in aristotelischer Perspektive die Untersuchung der Vergemeinschaftungsformen des Menschen, und insbesondere der Polis als der vollkommensten und zielhaften Vergemeinschaftungsform, mit ein. Dies wird auch durch die Einleitungsund Schlußkapitel der NE unterstrichen. Dementsprechend muß eine Untersuchung zur aristotelischen Konzeption des menschlichen Guten Aristoteles’ Politik selbstverst•ndlich mit im Auge behalten. Die Aristotelische Rhetorik enth•lt eine Reihe von Aussagen im Bereich der Ethik, etwa zum Glìcksbegriff und zu den Begriffen agathon und kalon, 10 Gegen die Authentizit•t argumentieren u. a. Kapp 1927, Jaeger 1928 (403 f. Anm. 1), Walzer 1929, Brink 1933, Fahnenschmidt 1968, Rowe 1971, Kenny 1978. Verteidiger sind von Arnim beginnend mit seinem Beitrag von 1924, Dirlmeier 1958 und 1962 (nachdem er im Beitrag von 1937 noch gegen die Echtheit argumentiert und sogar eine Datierung in die sp•thellenistische Zeit verfochten hatte), Dìring 1966, Cooper 1973; fìr ungekl•rt bzw. nicht kl•rbar erachtet sie Flashar 1983, 242 – 244.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

die ebenfalls beachtet werden mìssen. Dabei ergeben sich, gerade auch in der Gìter- und Glìckslehre, doktrinale Unvereinbarkeiten mit den Ethiken. Generell gilt, daß sich die Rhetorik sehr viel st•rker als der philosophisch reflektierte Standpunkt der Ethiken am common sense orientiert, entsprechend der Aufgabenstellung eines Rhetors, der, um zu ìberzeugen, die g•ngigen Vormeinungen aufgreifen muß. Die Anknìpfung an und der Rìckbezug auf die Vormeinungen ist zwar auch ein Merkmal der aristotelischen Ethik, welche aber durch ihre methodische Analyse der in den Vorbegriffen und Vormeinungen feststellbaren Widersprìche und Unklarheiten nicht einfach bei den Vormeinungen stehen bleibt.11 Die peripatetischen Texte: ›ber die doktrinale Entwicklung des Aristotelismus in der hellenistischen öra sind wir, was namentlich zugeordnete Angaben betrifft, auf die insgesamt doch sp•rlich zu nennenden Fragmente angewiesen, die von Wehrli gesammelt und kommentiert worden sind. Vergleichsweise umfangreich ist das vorbildlich edierte und ìbersetzte Fragmentenmaterial zur Ethik fìr Theophrast, dem bei weiten bedeutendsten •lteren Peripatetiker und unmittelbaren Nachfolger des Aristoteles.12 Dennoch ist er hinsichtlich seiner Position in den fìr diese Untersuchung relevanten Fragen nur noch unscharf zu greifen. Es gibt keinen Anlaß zu der Annahme, daß Theophrast sich inhaltlich in einen Gegensatz zu Aristoteles gestellt hat. Auch das große Gewicht, daß er der Tyche¯ fìr die Eudaimonie einger•umt hat (ohne darum den Vorrang der seelischen Arete¯ gegenìber leiblichen und •ußeren Gìtern in Frage zu stellen), kann an Ausfìhrungen des Aristoteles in NE I 9 – 11 anknìpfen. Dies fìgt sich allerdings in die Tendenz ein, daß im Peripatos eher die anti-platonische Seite des Aristoteles (neben der ja auch die platonischen Einflìsse bei Aristoteles ganz erheblich sind) akzentuiert wird. Die platonische Ethik geht ja in Richtung des Autarkie-Ideals. W•hrend sich also Theophrast im Einklang mit Aristoteles befindet, steht die Kritik Dikaiarchs am Vorrang der kontemplativen vor der sittlichpolitischen T•tigkeit in klarem Widerspruch zu Aussagen des Aristoteles nicht nur in NE X 6 – 9 und in exoterischen Werken, sondern auch in NE VI (=EE V) und EE VIII 3. Dies ist ein fìr den alten Peripatos durchaus bezeichnendes Faktum. W•hrend Theophrast, der ja nur wenig jìnger war als Aristoteles, dessen vielgestaltiges Forschungsprogramm, an dem er 11 Vgl. dazu Barnes 1980 sowie meine Bemerkungen in I-B zu diesem Thema. 12 Beachte neben der im Quellenteil angegebenen Fragmentensammlung auch noch die •ltere kommentierte Sammlung speziell von ethischen Fragmenten des Theophrast in Fortenbaugh 1984.

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schon zu dessen Lebzeiten mitgewirkt hat, kongenial in seiner ganzen Breite fortfìhrt (im Sinne des Forschens und nicht einer philosophischen Jìngerschaft, welche sich an den verehrten Schriften eines Meisters orientiert), nehmen andere Angehçrige des Peripatos auch Gegenpositionen zu Aristoteles ein. Der alte Peripatos sah sich nicht als Wahrerin einer festgefìgten Lehre. Er bot auch nicht, etwa nach der Art der Epikureer, einen philosophischen Heilsweg an, sondern verstand sich als einen Ort kooperativen und durchaus ergebnisoffenen Forschens. In der konkreten historischen Situation, in der der Peripatos stand, hat sich diese Unabh•ngigkeit von den Schulschriften des Aristoteles aber doch als fatal erwiesen, da nach dem Abtreten der Generation derer, die noch persçnlich bei Aristoteles gehçrt hatten, sehr schnell eine Verengung und Verflachung der Interessen eintrat, bis hin zum g•nzlichen Erlahmen der Forschung w•hrend des 40-j•hrigen Scholarchats des anscheinend inkompetenten Lykon (ab ca. 270 v. Chr.). Die gleichzeitige sehr dynamische Entwicklung der hellenistischen Philosophie wird vor allem durch die Schulgrìndungen der Stoa und des epikureischen Gartens, durch die skeptische Wendung der Akademie sowie durch die Debatten zwischen diesen Schulen bestimmt.13 Der Peripatos erf•hrt eine gewisse Wiederbelebung im 2. Jahrhundert v. Chr., wobei insbesondere der Name des Kritolaos von Phaselis zu nennen ist, und etabliert sich zunehmend wieder als eine ernstzunehmende philosophische Schule, wobei sie wohl am meisten in der Ethik, und dort in der Lehre ìber das menschliche Telos, als eine eigenst•ndige Position breitere Beachtung zu findet. Ich halte mich mit anderen an eine antike Konvention, die hellenistischen Peripatetiker ab Kritolaos (2. Jh. v. Chr.) als jìngere oder Jungperipatetiker zu bezeichnen.14 Kennzeichnend fìr das jungperipatetische Revival ist die starke Beeinflussung durch die stoische Begrifflichkeit, die in dieser Zeit einen pr•genden Einfluß auf das philosophische Denken insgesamt hatte. Bezeichnend ist etwa die Tatsache, daß die Glìcksdefinition des Kritolaos eine eindeutig stoische Begrifflichkeit verwendet („ein in ›bereinstimmung mit der Natur wohlfließendes Leben“,15 daß er aber zugleich jene Gìterlehre vertreten hat, die sozusagen als das Markenzeichen der Peripatetiker galt, gem•ß der auch leibliche und •ußere Vorzìge etwas Gutes/Zutr•gliches sind und zum Wohl des Men13 Zur Geschichte der peripatetischen Schule vgl. Wehrli 1959 und 1983, Lynch 1972, Gottschalk 1987, Sharples 1999a; zum Schicksal der aristotelischen Schulschriften Moraux 1973, 3 ff. 14 Vgl. ArD 46, 10 f. 15 Vgl. dazu unten, II-C, § 7.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

schen beitragen. Die theoretisch anspruchsvolleren Jungperipatetiker wie Kritolaos scheinen also unter Benutzung einer „wissenschaftlichen“, stoisch gepr•gten Terminologie einen ethischen Standpunkt favorisiert zu haben, der in Anknìpfung an aristotelische Motive eine Ethik vertritt, die einen radikalen Bruch mit dem Commonsense-Vorverst•ndnis des Guten meidet. So wurde denn die peripatetische Position in der Ethik auch von außen vor allem im Sinne der Entgegensetzung zu der radikalen und paradoxen stoischen Autarkie-These wahrgenommen. Soweit wir dies aus der bruchstìckhaften ›berlieferung noch erahnen kçnnen, scheint es dabei eine Spannbreite von Positionen gegeben zu haben. Sie reichen von Versuchen, die aristotelische Gìterlehre mit einer abgeschw•chten Fassung des Autarkie-Ideals zu verbinden (so wohl bei Kritolaos), bis hin zu einer weitgehenden Angleichung an den ethischen (griechischen) Commonsense, fìr den das menschliche Wohl ganz wesentlich den Genuß •ußerer Gìter und die Ausstattung mit leiblichen Gìtern wie Gesundheit und Schçnheit einbezieht. Es ist nicht so, daß Aristoteles’ Schriften ganz in Vergessenheit geraten w•ren.16 Aber es gab offensichtlich keine Bemìhungen um eine systematische Interpretation und Kommentierung. Das Fortwirken mag oft genug indirekt gewesen sein, ìber Exzerpte und zusammenfassende Schulschriften. Die namentlich zugeordneten ›berlieferungen im Bereich der Ethik sind fìr die jìngeren Peripatetiker noch dìrftiger als fìr die •lteren. Eine Schlìsselstellung fìr unsere Kenntnis der jungperipatetischen Debatten kommt daher der ethischen Epitome eines gewissen Didymos oder Areios Didymos zu,17 die sich in Teilen aus anonym bleibenden jungperipatetischen Quellen der 1. Jahrhunderts v. Chr. speist und uns mindestens in Auszìgen durch den Anthologien-Schriftsteller Johannes Stobaios erhalten ist. Und zwar l•ßt sich nachweisen, daß mindestens ein Teil der Darstellung der stoischen und der peripatetischen Ethik in Kapitel 7 des II. Buches der Eklogai des Stobaios aus der Epitome des Areios Didymos [ArD] exzerpiert worden ist. Und es spricht viel dafìr, daß dieses umfangreiche Kapitel sogar im ganzen ein Exzerpt aus ArD ist, was wir hier auch voraussetzen werden, ohne daß von der Frage, ob Stobaios in II 7 tats•chlich nur aus einer Quelle oder aus mehreren exzerpiert hat, fìr unsere Zwecke viel abh•ngt. 16 Vgl. Moraux 1973, 3 ff., s. a. Gottschalk 1987, Sharples 1999a. 17 Zur ethischen Epitome des Areios Didymos vgl. die Beitr•ge in Fortenbaugh 1983 sowie Moraux 1973, 259 ff.; s. a. Hahm 1990, Gçransson 1995. Was die weitreichenden Thesen von Giusta 1964/67 betrifft, vgl. die Kritik bei Moraux 1973, 264 ff.

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Was die Person des Areios Didymos betrifft, so hat die von Meineke vorgeschlagene und von Hermann Diels18 sozusagen sanktionierte Identifizierung mit dem Hofphilosophen des Augustus, Areios (Arius), lange Zeit einhellige Zustimmung gefunden. (Sie wìrde eine relativ genaue chronologische Einordnung erlauben.) Eine neuere Untersuchung (Gçransson 1995) hat aber gezeigt, daß dies nicht mehr als eine hçchst unsichere Hypothese ist. Ich setze hier lediglich voraus, daß besagter Areios Didymos ein doxographischer Kompilator war, der dann seinerseits von Stobaios exzerpiert worden ist. Auch unabh•ngig von der problematischen Identifizierung mit dem Hofphilosophen Areios kann man aus den inhaltlichen Bezìgen und Namensnennungen dieser Epitome erschließen, daß ihr Autor wenigstens ungef•hr in der Zeit des Augustus gelebt hat. Da Exzerpte von Areios Didymos auch fìr den Bereich der theoretischen Philosophie bzw. Physik erhalten sind, sind diese ethischen Exzerpte mçglicherweise aus einem von ihm verfaßten umfassenden doxographischen Handbuch entnommen. Aber auch diese Frage braucht uns hier nicht weiter zu kìmmern. Im ìbrigen wissen wir natìrlich nicht, wie vollst•ndig Stobaios aus der Epitome exzerpiert hat bzw. wie eigenm•chtig und geschickt oder ungeschickt er in seinen Kìrzungen war. Die Epitome in der bei Stobaios erhaltenen Form setzt sich aus drei Teilen zusammen: 1) Prolegomena, die vermischte doxographische Informationen zu verschiedenen ethischen Grundbegriffen enthalten, 2) ein zusammenh•ngendes Referat der stoischen Ethik und 3) ein Referat der „aristotelischen“ Ethik. Dieser dritte Teil, der fìr unsere Untersuchung zur jungperipatetischen Debatte, zusammen mit einigen Passagen der Prolegomena, maßgeblich ist, ist selbst eine Kompilation aus ganz heterogenen Quellen. Sie enth•lt beispielsweise ein l•ngeres Zitat oder Exzerpt aus Theophrast zu den Einzeltugenden, Exzerpte aus der aristotelischen Politik, aber eben auch l•ngere Passagen, die eindeutig in einen Diskussionskontext gehçren, der die Auseinandersetzung mit der Stoa voraussetzt. Und zwar sind dies gerade die Passagen, die sich mit der Frage der menschlichen Eudaimonie und der Theorie der natìrlichen Strebensziele auseinandersetzen. Diesen Texten wird hier unser Augenmerk gelten. Dabei wird deutlich werden, daß diese „jungperipatetischen Teile“ wiederum eine Kompilation aus verschiedenen Quellen darstellen, die nicht ohne systematische Spannungen ineinandergearbeitet sind und in denen klar unterscheidbare, ja zum Teil gegenl•ufige systematische Positionen greifbar werden, die sich begrifflich durch eine grçßere oder geringere N•he zur 18 Vgl. Diels’ (1879) Einfìhrung in seiner Edition der Doxographi Graeci, 69 ff.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

Stoa bzw. zu den aristotelischen Vorgaben unterscheiden. Der „jungperipatetische“ Teil des Aristoteliker-Referates enth•lt also keineswegs eine in sich geschlossene Position, sondern spiegelt eher eine Debatte wider, auch wenn dies nicht die Absicht des doxographischen Kompilators (oder seiner unmittelbaren Quelle) gewesen ist. Aber gerade dies macht diesen Text interessant, obwohl er selbstverst•ndlich nicht frei ist von den Schw•chen einer verkìrzenden doxographischen Darstellung. Besondere Fragen hinsichtlich seines „peripatetischen“ Charakters wirft jener Teil des Aristoteliker-Referates bei ArD auf, der in der Forschung bisher bei weitem die grçßte Beachtung gefunden hat: die Darstellung und Adaption der Oikeio¯sis-Lehre im Sinne einer peripatetischen Gìterlehre. Trotz der anti-stoischen Schlußfolgerung, die hier aus der Darstellung der Oikeio¯sis gezogen wird, ist der Abschnitt sehr durch stoische Begrifflichkeit und Argumente gepr•gt. Die Passagen, die der Darstellung der Oikeio¯sis gewidmet sind, weisen erhebliche Gemeinsamkeiten mit der Oikeio¯sis-Lehre des Eklektikers Antiochos von Askalon auf. Sie sind aber bei ArD, und zwar vermutlich schon durch eine der Quellen des Areios Didymos, mit einer Argumentation ìber die richtige Weise der Definition der Eudaimonie zusammengearbeitet, die in ihrer Begrifflichkeit sehr viel schulm•ßiger peripatetisch ist und in der gegen einen Typus von Glìcksdefinition argumentiert wird, wie sie Antiochos und wohl auch viele Peripatetiker vertreten haben (Glìck als eine Art Summe natìrlicher Gìter). Bedauerlicherweise weist der Text der Epitome bei ArD eine Reihe von Problemen auf, und die verdienstvolle Textedition von Wachsmuth von 1884 ist sicherlich nicht das letzte Wort. Ausfìhrliche inhaltliche Darstellungen finden sich bei von Arnim 1926 und bei Moraux 1973, wobei letzterer im ganzen eindeutig vorzuziehen ist, auch wenn von Arnim in einzelnen viele aufschlußreiche Beobachtungen und auch wichtige textkritische Bemerkungen enth•lt. Seine Gesamtdarstellung ist aber problematisch, weil er durch seinen Versuch, die altperipatetische Herkunft der Oikeio¯sis-Lehre zu erweisen, zu teilweise doch recht gewaltsamen Deutungen gelangt. Die These vom altperipatetischen Ursprung der Oikeio¯sisLehre bei ArD ist auch von Dirlmeier 1937 vertreten, aber durch Pohlenz 1940 definitiv widerlegt worden. Der von Fortenbaugh 1983 herausgegebene Band, der der Epitome gewidmet ist, enth•lt ›bersetzungen und Analysen einiger Abschnitte aus dem Stoiker- und dem Peripatos-Teil. Auch bei Annas 1993 wird ein Teil des Oikeio¯sis-Abschnittes ìbersetzt und erçrtert.

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Eine Untersuchung, die sich der Entwicklung des aristotelischen Verst•ndnisses vom menschlichen Guten in der hellenistischen Debatte widmet, kann die Lehre des eben schon erw•hnten Antiochos von Askalon selbstverst•ndlich nicht außer Acht lassen. Antiochos ist sicherlich eine der wirkungsvollsten Gestalten der sp•thellenistischen Philosophie.19 Sein „Programm“ war bekanntlich die Wiederbegrìndung der „Alten Akademie“, also die Abwendung von der skeptischen Philosophie der Akademie in der Tradition des Arkesilaos und Karneades und die Rìckkehr zu einer inhaltlichen philosophischen Lehre mit ungeschm•lertem Wahrheitsanspruch, die bei Platon und seinen altakademischen Nachfolgern anzuknìpfen beansprucht. Zugleich vertrat er die These, daß die aristotelischaltperipatetische Lehre sich nicht wesentlich von der der Platoniker unterscheide und daß auch die Stoiker in ihrer Lehre von den „Alten“ abh•ngen und nur durch einen terminologischen Etikettenschwindel den Anschein einer vçllig neuen Lehre erweckt haben. In der Ethik geht Antiochos auf die traditionelle, alt-akademische wie peripatetische Gìterlehre zurìck, die auch leiblichen und •ußeren Vorzìgen den Status des Guten/ Zutr•glichen zubilligt, und polemisiert gegen die stoische Unterscheidung zwischen dem Guten (!cah\) und dem Vorrangigen (pqogcl]ma). Gleichzeitig ist er aber in der Formulierung seines ethischen Standpunktes und seiner Erkenntnistheorie in hohem Maße von der Begrifflichkeit und den Denkfiguren der Stoa und der Neuen Akademie abh•ngig. Die Aneignung der altakademischen oder altperipatetischen Positionen scheint eher oberfl•chlich zu sein. Letztlich tr•gt seine Philosophie eklektizistische Zìge. Der besondere Erfolg des Antiochos erkl•rt sich wohl daraus, daß er sozusagen ganz im Trend lag und Tendenzen zu einer synkretistischen Ann•herung der Positionen auf der Grundlage eines gemeinsamen philosophischen Vokabulars aufnimmt, die sowohl in der skeptisch-akademischen als auch der stoischen Traditionslinie vor ihm schon wirksam waren. So gab es in der Akademie seit Karneades eine Entwicklung hin zu einer gem•ßigt-skeptischen Position, die die Mçglichkeit zwar nicht von Gewißheit, aber von plausiblem oder relativ verl•ßlichem Urteil einr•umte. Repr•sentativ fìr diese letztere Richtung war im 1. Jh. v. Chr. Philon von Larissa. Antiochos’ Wende war zuerst eine erkenntnistheoretische, indem er von diesem gem•ßigt-skeptischen Standpunkt abrìckte

19 Vgl. zu Antiochos beispielsweise Dillon 1977, Barnes 1989.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

zugunsten eines uneingeschr•nkten Wahrheitsanspruches.20 Dies ermçglichte ihm auch, an Thesen, die Karneades vielleicht nur in dialektischer Absicht durchgespielt hatte, etwa zur Frage des Stellenwertes der Objekte natìrlichen Strebens in der Gìterlehre, auf doktrinale Weise anzuknìpfen. In der Stoa gab es die Tendenz, sich einer weniger paradoxalen Position in der Gìter- und Strebenslehre anzun•hern. Dazu gehçrte, daß das Problem der richtigen ,Auswahl‘ unter den natìrlichen Objekten menschlichen Strebens immer mehr in den Vordergrund rìckte (was auch die sp•taltstoischen Glìcksdefinitionen belegen). Die mittelstoische Ethik des Panaitios deutet die Naturgem•ßheit explizit als eine ›bereinstimmung mit der eigenen Strebensnatur und interessiert sich vornehmlich fìr den Bereich der officia media und des im landl•ufigen Sinne Nìtzlichen, ohne darum mit der offiziellen Schullehre von der absoluten sittlichen Richtigkeit, die allein in dem richtigen Sich-Verhalten zu den natìrlichen Strebungen und Strebensobjekten liegt und nur durch den Weisen zu verwirklichen ist, zu brechen. Aber diese Lehre erscheint bei ihm jetzt doch wohl als eine lebensferne Idealisierung. Poseidonios schließlich tritt in einen offenen Gegensatz zur Ausformulierung der stoischen Orthodoxie durch Chrysipp, indem er gegen dessen Strebensmonismus zugunsten einer sich auf Platon berufenden Theorie der pluralen, heterogenen Strebensfaktoren argumentiert, was ja grosso modo auch der aristotelischen Position entspricht. – In diesem durch synkretistische Ann•herungen gepr•gten Milieu der sp•t-hellenistischen Philosophie war die Philosophie des Antiochos, die zugleich (nicht ohne ideologische Verdrehung) die Aura des Alten fìr sich in Anspruch nahm, sozusagen das rechte Angebot zur rechten Zeit. Antiochos’ Ansatz in der Lehre vom menschlichen Telos und der menschlichen Strebensnatur wird fìr uns vor allem durch Ciceros Schrift De finibus greifbar, insbesondere durch die große geschlossene Exposition in Buch V, die nach einer Schrift des Antiochos zur Thematik des menschlichen Telos gearbeitet ist (die Rede des Piso, V 9-74).21 Aber auch 20 Zur Erkenntnistheorie des Karneades vgl. beispielsweise Long 1986, 94 ff., Schofield 1999b; zu Antiochos’ Verh•ltnis zur Neuen Akademie und Philon von Larissa vgl. Glucker 1978, Barnes 1989. 21 Cicero verdeutlicht durch die Hinweise unmittelbar vor dem Beginn (V 8) und nach dem Ende der Rede des Piso (V 75), daß Piso die Auffassung des Antiochos (Antiochi sententia) wiedergibt. Dieser Sachverhalt wird noch besonders dadurch akzentuiert, daß die von Piso in diesem Abschnitt dargelegte Auffassung ausdrìcklich von der des Lehrers des Piso, Staseas, abgehoben wird (V 75). Denn dadurch wird fìr den rçmischen Leser unmißverst•ndlich klargestellt, daß Piso in

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wichtige Teile des Kritik an der altstoischen Position in Buch IV nebst bestimmten Passagen in Buch II dìrften auf eben diese Schrift des Antiochos zurìckgehen. Daneben ist auch die kurze Zusammenfassung der ethischen Lehre des Antiochos in Ciceros Academica I (ed. post.) 19 – 23 zu beachten. Eine weitere wichtige Quelle, die in der Forschung zu kurz kommt, sind die Exzerpte des Augustinus in De civ. XIX, 1 – 3, aus einer Schrift des Varro (De philosophia), in der Varro ebenfalls nach der Vorlage des Antiochos arbeitet.22 Zwar muß man mit der Mçglichkeit rechnen, daß dieser Rede ìber die Lehre vom Letztziel nicht seinem Lehrer Staseas, sondern Antiochos folgt, den er in Athen gehçrt hat. (Schwer nachvollziehbar ist die Behauptung von Barnes 1989, 65, hier wìrde Staseas als eine der Quellen Ciceros angegeben, wo offensichtlich gerade das Umgekehrte beabsichtigt ist. Staseas hat gem•ß V 75 eine eher theophrastische Linie in der Gìterlehre vertreten [vgl. V 12], von der sich die Antiochos folgende Piso-Rede kritisch distanziert.) Auch die explizit Antiochos-kritischen Anmerkungen Ciceros im Diskussionsteil, der auf die Rede folgt und sich auf diese zurìckbezieht, beweisen, daß die Rede eine Darstellung der Position des Antiochos sein soll. Aus diesen Grìnden erscheint mir die in Mettes (1986/87) Sammlung von Testimonien und Fragmenten des Antiochos vorgebrachte Kritik an der traditionellen Auffassung, daß Antiochos die Quelle fìr die gesamte Rede des Piso sei, als hçchst fragwìrdig. Mettes einziges Argument (60) beinhaltet, daß der Name des Antiochos ìber weite Strecken der Rede nicht f•llt (n•mlich V 23 – 70). Aber das ist ìberhaupt kein triftiges Argument, da Cicero eben in der Einleitung und am Schluß der Rede deren Inhalt im ganzen auf Antiochos zurìckbezogen hat. In dem genannten Stìck, in dem nicht mehr der Name des Antiochos f•llt, ist er, bzw. ist seine Dialogfigur, sozusagen ganz in den Standpunkt des Antiochos eingetreten – bezieht sich nicht auf Antiochos, sondern spricht wie Antiochos. Es ist doch bekannt, daß die antiken Konventionen der Wiedergabe und imitatio ganz andere waren als die unserer Zeit. 22 Wohl ein Mißverst•ndnis ist die Angabe bei Annas 1993, 421 Anm. 43, daß Augustinus sich auf verlorene Teile von Ciceros Dialog Varro (= Academica, ed. post.) beziehe. Augustinus ist ganz eindeutig in seiner Quellenangabe: „… Marcus Varro in libro de philosophia“ (De civ. XIX c. 1, 27 f.), und er vermag selbstverst•ndlich zwischen einem Autor und einer Dialogfigur zu unterscheiden. Auch der Verweis auf Antiochos als Quelle des Varro ist eindeutig : „Haec sensisse atque docuisse Academicos veteres Varro adserit, auctore Antiocho, magistro Ciceronis et suo“ (XIX c. 3, 74 f. – Cicero wird hier deshalb erw•hnt, weil Augustinus im Nachsatz das Diktum des Cicero anfìhrt, Antiochos sei in vielem sehr viel mehr ein Stoiker als ein Altakdemiker gewesen). ›brigens ist Augustinus hier vergleichsweise unverd•chtig einer „verbessernden“ Verf•lschung seiner Vorlage. Denn fìr ihn ist diese Position gerade aufgrund ihrer, wie er es sieht, falschen Grundausrichtung interessant. Er exzerpiert die Ausfìhrungen von Varro/Antiochos, weil er sie als exemplarisch fìr jene zu ìberwindende Position in der Glìckslehre betrachtet, die das Glìck in den Genuß diesseitiger natìrlicher Gìter und einer auf sie bezogenen Tugend ansiedelt und die, wie Augustinus plausibilisieren mçchte, einem plato-

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Varro die Ausfìhrungen des Antiochos erg•nzt und modifiziert hat. Aber im Kern ist es doch die Position des Antiochos, wie auch die ›bereinstimmungen mit den Antiochos-Referaten bei Cicero zeigen. Beide, Cicero und Varro, haben ìbrigens persçnlich w•hrend ihrer Athen-Aufenthalte Antiochos’ Vorlesungen gehçrt. Zwischen der ethischen Lehre der Akademie des Antiochos und peripatetischen Positionen gibt es offensichtliche Berìhrungspunkte, und es hat hier sicher auch Wechselwirkungen gegeben, wie u. a. das AristotelikerReferat bei Areios Didymos belegt.23 Es entspricht ja auch dem ideologischen Anspruch des Antiochos von der Einheit der Lehren der alten Akademie und des alten Peripatos, eine Lehre zu formulieren, die nicht nur akademisch, sondern auch peripatetisch ist. In der Tat stehen der gewissermaßen diesseitige Charakter der Lehre des Antiochos und seine Orientierung am Begriff der Vollendung der menschlichen Natur einschließlich ihrer leiblichen Aspekte einer peripatetischen Sichtweise sehr viel n•her als die ganz am blo_ysir he`-Gedanken orientierte Ethik des „echten“ doktrinalen Platonismus. Da die Gemeinsamkeiten mit einer genuin aristotelischen Lehre aber letztlich doch eher oberfl•chlich sind und im ìbrigen fìr unsere Untersuchung die Debatte, wie man sie aus ArD, in Verbindung mit einigen sp•teren Quellen, in Teilen rekonstruieren kann, von grçßerem Interesse ist als eine einzelne doktrinale Position, wird mein Augenmerk prim•r der Epitome des Areios gelten. Mit Andronikos von Rhodos gewinnt das, was peripatetisches Philosophieren ausmacht, eine grunds•tzlich neue Gestalt. Nicht nur werden die aristotelischen Pragmatien umfassender als zuvor und in einer kritischen Maßst•ben genìgenden Edition zug•nglich gemacht.24 Sondern es beginnt auch die Tradition einer systematischen Textexegese der aristotelischen Schulschriften, deren Ergebnisse in Kommentaren zusammengefaßt werden. Dabei f•llt man keineswegs hinter den Diskussionsstand zurìck, der in der hellenistischen Philosophie erreicht worden ist, sondern setzt sich mit den spezifischen Fragestellungen und Problemen der hellenistischen Phinischen und christlichen Standpunkt in der Ethik „zu weichen“ habe (vgl. De civ. VIII c. 8). 23 Ich denke hier an die zumindest partiellen ›bereinstimmungen in der Darstellung der Oikeio¯sis-Lehre (vgl. dazu unten, II-F). Auch die dialektische Schrift des Alexander(?) von Aphrodisias gegen die Autarkie-These der Stoiker (Mantissa 159 ff.) rekurriert in verschiedenen ihrer Argumente auf Pr•missen, die an die Lehre das Antiochos erinnern. 24 Vgl. zu Andronikos und der Vorgeschichte seiner Edition Moraux 1973, Gottschalk 1987.

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losophie weiterhin intensiv auseinander. Die Herangehensweise ist aber jetzt eine charakteristisch andere, wie uns etwa die kleine Schrift ìber das Pq_tom oQje?om (Mant. 150 – 153) zeigt, die von Alexander von Aphrodisias oder aus seinem Umkreis stammt und die eine Doxographie der Rekonstruktionsversuche einer Aristotelischen Oikeio¯sis-Lehre von nachandrokinischen Peripatetikern enth•lt. Sie beginnt bei dem unmittelbaren Nachfolger des Andronikos in der Schulleitung, Boethos, und seinem Zeitgenossen Xenarchos. W•hrend die Jungperipatetiker in erster Linie systematisch zu argumentieren scheinen und, wenn ìberhaupt, in eher lockerer Anknìpfung an die Vorgaben aristotelischer Texte ihren Standpunkt entwickeln, versuchen Boethos und Xenarchos die Adaption der Oikeio¯sis-Lehre als eine Rekonstruktion aus Aristoteles textexegetisch zu fundieren, indem sie auf bestimmte Passagen der NE, die in dem Opusculum exakt angegeben werden, zurìckgreifen. Insgesamt gilt fìr den sp•ten Peripatos, daß die Autoren jetzt wieder ìber eine detaillierte Kenntnis und ein vertieftes Verst•ndnis der aristotelischen Schulschriften verfìgen und sich bemìhen, ihre Antworten auf die dr•ngenden philosophischen Fragen im Sinne des Aristoteles und seiner Begrifflichkeit zu geben. – Man sollte festhalten, daß solche N•he zu den aristotelischen Texten selbstverst•ndlich nicht eine systematische Schw•che bedeuten muß. Dies verhindert schon das Reflexionsniveau der Aristotelischen Pragmatien und ihr „forschender“ und imgrunde wenig doktrinaler Charakter. Vielmehr war es ja sogar ein Grund fìr den Verfall das alten Peripatos, daß man sich immer weniger mit diesen Schriften auseinandergesetzt hat. Das uns erhaltene Schrifttum zur Ethik aus dem nach-androkinischen Peripatos umfaßt folgende Texte: Da ist erstens der zu etwas mehr als der H•lfte erhaltene Kommentar zur NE von Aspasios (vermutlich 1. H•lfte des 2. Jhdts. n. Chr.).25 Die erhaltenen Teile beziehen sich auf die Bìcher IIV, den grçßeren Teil von Buch VII, und Buch VIII. Fìr diese Untersuchung ist vor allem das in Aspasios’ Kommentar zu NE I und NE VII greifbare Verst•ndnis der aristotelischen Konzeption des praktischen Telos bzw. der Eudaimonie von Belang. Zweitens gibt es die Scholien zu den Bìchern II-V der NE, die in den sp•teren byzantinischen Sammelkommentar aufgenommen wurden. Sie sind der akzeptierten Forschungsmeinung nach peripatetischen Ursprungs (2. und 3. Jh.). Ein Teil dieser Scholien dìrfte auf Adrastos von Aphro25 Zu Aspasios im allgemeinen vgl. insbesondere Moraux 1984, Barnes 1999.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

disias, einen Zeitgenossen des Aspasios, zurìckgehen. Sie sind fìr unsere Themenstellung nur gelegentlich von Interesse. Drittens haben wir von Alexander von Aphrodisias26 zwar keinen EthikKommentar, aber kleinere systematische Abhandlungen und Quaestionen zu ethischen Themen, die unter seinem Namen ìberliefert sind, wobei im Einzelfall nicht zu entscheiden ist, ob sie von Alexander selbst oder aus seinem Umkreis bzw. seiner Schule stammen (ìber die wir leider auch nichts N•heres wissen). Diese kleinen Traktate sind zum einen in die Textsammlung eingegangen, die in den Codices als Buch II von Alexanders Peq· xuw/r tradiert und in der Berliner Edition von Bruns als „Zugabe“ zu De anima (De anima libri Mantissa) herausgegeben worden ist. Acht dieser 25 ursprìnglich selbst•ndigen Schriften der Mantissa behandeln ethisch relevante Fragen. Dazu gehçren etwa die bereits erw•hnte Schrift ìber das Pq_tom oQje?om sowie eine materialreiche dialektische Schrift, die die stoische Autarkiethese auf der Grundlage der stoischen Voraussetzung, daß die Arete¯ eine t]wmg sei, zu widerlegen sucht (Mant. 159 – 168). Zum anderen gibt es eine Sammlung von 30 Traktaten, die unter dem Titel E¯thika Proble¯mata ìberliefert und in der Berliner Edition als IV. Buch der Quaestionen des Alexander herausgegeben worden sind. Ich werde sie hier als Ethische Quaestionen (Eth. Qu.) zitieren. Wiederum gilt, daß es sich um eine Sammlung heterogener kìrzerer Schriften handelt, bei denen im Einzelfall nicht entschieden werden kann, ob sie von Alexander oder aus seiner Schule stammen. Zusammen mit den ethisch relevanten Texten der Mantissa ergeben sie aber ein Bild der peripatetischen Ethik in jener letzten fìr uns greifbaren Phase des antiken Peripatos. Es sei noch Alexanders bedeutende Schrift De fato (Peq· eRlaql]mgr) erw•hnt, die aber fìr die spezifischen Fragestellungen dieser Untersuchung nicht von grçßerem Belang ist. Von Interesse ist hier dagegen derjenige Teil von Alexanders Topik-Kommentar, der den Topoi zum Begriff des mehr oder weniger Wìnschbaren gewidmet ist (Top. III 1-3). Die genannten Texte sind im Rahmen der Berliner Edition der Commentaria in Aristotelem Graeca ediert worden. Sie werden auch im Rahmen des hçchst verdienstvollen, von Richard Sorabji initiierten und betreuten ›bersetzungs-Projektes in englischer ›bersetzung erscheinen, wobei von den hier interessierenden Texten bisher nur die ethischen Quaestionen in der ›bersetzung durch Bob Sharples 1990 vorliegen, die auch mit einem sparsamen, aber instruktiven Anmerkungsapparat versehen ist. 26 Zu Alexander von Aphrodisias im allgemeinen vgl. etwa Sharples 1987.

§ 2. Zu den historischen Quellen

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Diese Texte des kaiserzeitlichen Peripatos sind fìr uns hier vor allem in Hinblick auf die unterschiedlichen peripatetischen Positionen in der sp•thellenistischen Philosophie interessant, die ihre Spuren in den Kommentierungen und den systematischen Opuscula jener sp•ten Peripatetiker hinterlassen haben. So zeigt sich in den dialektischen Argumenten der Schrift gegen die stoische Autarkie-These ein ganzes Spektrum von antistoischen Optionen fìr die Glìcksdefinition, die an unterschiedliche Positionen in der hellenistischen Debatte anknìpfen. Von besonderer Bedeutung fìr unsere Untersuchung sind die Informationen, die wir diesen Kommentaren und Opuscula fìr das ad•quate Verst•ndnis des jungperipatetischen Begriffes der pqogcoul]mg pq÷nir bzw. des 1meqce?m 1m pqogcoul]moir entnehmen kçnnen. Diese Begrifflichkeit hat eine Schlìsselfunktion fìr die Bestimmung des ethischen Stellenwertes der natìrlichen, nicht-seelischen Gìter. Erw•hnt werden muß auch die durchaus brauchbare anonyme Paraphrase der Nikomachischen Ethik, deren Datierung in der Forschung als vçllig offen gilt und die vielleicht erst byzantinischen Ursprungs ist (ohne daß es dafìr im Text eindeutige Indizien g•be).27 Des weiteren gibt es noch doxographisches Material, das sehr viel weniger anspruchsvoll ist, etwa die kurzen und schematischen doxographischen Zusammenfassungen zur aristotelischen oder peripatetischen Ethik, die sich u. a. bei Diogenes Laertios28 und verschiedenen Kirchenv•tern finden. Nicht uninteressant sind die recht umfangreichen Auszìge aus der anti-aristotelischen Polemik des mittel-platonischen Philosophen Attikos, die uns durch Eusebios erhalten sind. Sie sind ein Beleg fìr eine scharfe anti-aristotelische Haltung im kaiserzeitlichen Platonismus. Insgesamt scheint es so zu sein, daß es in der „dogmatischen“ Tradition des Platonismus zun•chst umstritten war, wie man sich zu den Schriften des Aristoteles stellen sollte.29 Die Einheitsthese des Antiochos, der ja selbst nur 27 Der Editor der Berliner Edition (CAG XIX, 2) hat diese Paraphrase aufgrund einer sehr sp•ten Angabe in einem einzigen Kodex einem „Heliodor von Prusa“ zugeschrieben, weshalb sie des çfteren unter dem Namen Heliodor zitiert wird. Jedoch war diese Namensnennung wohl nur eine „verkaufsfçrdernde Maßnahme“ des Kopisten Konstantin Palaiokappa, (vgl. dazu, mit weiteren Literaturverweisen, Gauthier/Jolif 1970, Bd. I, 1, 106 f.), weshalb der Autor der Paraphrase als anonym zu betrachten ist. 28 Zu den Quellen der Aristoteles-Doxographie bei Diogenes Laertios vgl. Moraux 1986. 29 Ob die im Corpus der philosophischen Schriften des Plutarch erhaltene Schrift De virtute, die sich stark an Aristoteles anlehnt, ein Beleg fìr eine Aristoteles-

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

in einer sehr oberfl•chlichen Weise Platoniker war, ist also im platonischen Lager keineswegs generell akzeptiert worden. Noch Plotin hat, in Anschluß an die Aristoteles-kritische Tradition bei Attikos und anderen, eine Kritik der aristotelischen Kategorienlehre verfaßt. Erst sein Nachfolger Porphyrios hat dann fìr die sich herausbildende neuplatonische Schule die These von der „Einheit der Schulen des Platon und des Aristoteles“ in einer gleichnamigen Schrift verbindlich festgelegt und zugleich die Tradition der neuplatonischen Kommentierung der aristotelischen Schriften erçffnet. Die aristotelischen Schriften wurden dadurch zu einem verbindlichen Teil des neuplatonischen Lektìre-Kanons. Alle Kommentare seit dieser Zeit, die uns erhalten sind, mit Ausnahme der Paraphrasen des Themistios (4. Jhdt.), der gleichsam als ein Solit•r dasteht, stammen von Autoren der neuplatonischen Schulrichtung. (Dies bedeutet auch, daß die fìr uns greifbare Geschichte des Peripatos mit Alexander von Aphrodisias endet.30) Die Einheitsthese hatte im Bereich der Logik und Semantik eine historisch folgenschwere Entscheidung gegen das stoische und zugunsten des aristotelischen Paradigmas zur Folge. Hingegen scheint die Ethik des Aristoteles auf kein allzu großes Interesse gestoßen zu sein. Die Tatsache, daß gerade der frìhe und vergleichsweise magere peripatetische Kommentar des Aspasios „ìberlebt“ hat, w•hrend außerhalb der Ethik sonst nur noch die auf sehr viel hçherem Niveau stehenden Kommentare des Alexander von Aphrodisias bewahrt worden sind, hat wohl auch damit zu tun, daß er nicht durch einen grçßeren Kommentar aus der neuplatonischen Schule ersetzt wurde. Dieses vergleichsweise geringe Interesse am peripatetischen Paradigma in der Ethik dìrfte inhaltlich-doktrinale Grìnde haben. Jene Form des situationsbezogenen praktischen Wissens, wie es Aristoteles konzipiert hat, und die ganze sozusagen diesseitige, an der sittlichen Vortrefflichkeit im Rahmen der Polis orientierte Tugendethik waren fìr das neuplatonische Erlçsungsmodell anscheinend wenig ergiebig, w•hrend andere aristotelische Theorie-Elemente, etwa seine Theorie vom nous und dessen T•tigkeit, einen wesentlichen Ausgangspunkt fìr das neuplatonische Denken bereitstellten. Das mutmaßliche Fehlen eines großen Kommentarwerkes von neuplatonischer Hand schließt natìrlich nicht aus, daß die NE in Form von Scholien und kleineren Kommentaren erschlossen wurde, in Verbindung mit dem •lteren, peripatetischen Kommentierungsmaterial. Es ist jedenfreundliche Tendenz unter den Mittelplatonikern ist, h•ngt natìrlich davon ab, ob sie tats•chlich von Plutarch oder einem anderen Mittelplatoniker stammt. 30 Vgl. Sharples 1990b.

§ 2. Zu den historischen Quellen

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falls offensichtlich, daß die byzantinischen Kommentatoren des 12. Jahrhunderts, Eustratios und Michael von Ephesos, in ihren Werken (Eustraios zu NE I und VI, Michael zu NE V, IX und X) dort antike Scholien verarbeiten, wo sie ihnen zur Verfìgung standen – Scholien, die peripatetischen und neuplatonischen Ursprungs sein dìrften. (Einen Beleg fìr diese Arbeitsweise liefern die reichhaltigen ›bereinstimmungen zwischen der anonymen Scholiensammlung zu NE V, die mindestens im Kern peripatetisch ist, und Michaels Kommentar zu demselben Buch). Dabei kçnnen gerade diejenigen Stellen, in denen bei den byzantinischen Kommentatoren miteinander konfligierende Kommentierungen einfließen, die spannendsten sein. Sie zeigen im ìbrigen auch, daß die St•rke dieser byzantinischen Kommentatoren nicht in der systematisierenden Rekonstruktion liegt. Dies unterscheidet ihre Kommentierung grunds•tzlich vom Unternehmen einer systematisch fruchtbaren Rekonstruktion der aristotelischen Philosophie und systematisch koh•renten Vermittlung zwischen Neuplatonismus und Aristotelismus in der arabischen und lateinischen Literatur des Mittelalters. Die Kommentare des Eustratios und des Michael zu den genannten Bìchern der NE sind das Produkt des durch die byzantinische Prinzessin Anna Komnena gefçrderten Projektes, einen vollst•ndigen Kommentar zur NE zusammenzustellen. Fìr diejenigen Bìcher, die nicht durch Eustratios und Michael neu kommentiert wurden, griff man auf antike Scholien zurìck, so daß ein Sammelkommentar zu allen 10 Bìchern der NE entstand, von dem es allerdings verschiedene Versionen gab. Eine dieser Versionen ist durch Robert Grosseteste ins Lateinische ìbertragen worden und hat, in Verbindung mit der neuen lateinischen Gesamtìbersetzung der NE durch Grosseteste, ihre Wirkung fìr die Rezeption der NE im 13. Jahrhundert entfaltet.31 W•hrend man mit Bezug auf die genannten byzantinischen Kommentare sagen kann, daß sie noch unmittelbar relevant sind fìr die Erforschung des Peripatos, n•mlich insofern sie •ltere Scholien exzerpieren, die wenigstens zum Teil aus dem Kontext des Peripatos stammen, ja daß sie aufgrund ihres prim•r archivierenden Interesses zum Teil sogar als Stein31 Die durch Grosseteste ìbertragene Version enth•lt Eustratios zu NE I und VI, die anonymen, im Kern peritatetischen Scholien zu II-V, Aspasios zu VIII, Michael zu IX und X, sowie zu VII einen anonymen, improvisierten byzantinischen Scholienkommentar, der nach einhelliger Forschungsmeinung ziemlich wertlos ist. N•heres zum byzantinischen Sammelkommentar siehe bei Gauthier/Jolif 1970, Bd. I, 1; Mercken 1990 und 1991. Fìr die Datierung von Michael von Ephesos ist der Beitrag von Browning 1962 maßgeblich.

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Einleitung. Zielsetzung und Quellen

bruch fìr solches •ltere Material benutzt werden kçnnen, stellt die rekonstruktiv-systematisierende arabische und okzidentale Auseinandersetzung mit der NE einen wirklichen Neuansatz in der Geschichte des ethischen Aristotelismus dar, der außerhalb des historischen Untersuchungsbereiches dieser Studie liegt.

Teil I. Menschliche Natur und praktisches Telos in Aristoteles’ Ethik

§ 1. Einleitung

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§ 1. Einleitung Ethik, als Teil der praktischen Philosophie, gehçrt fìr Aristoteles in den Bereich des praktischen Wissens und steht darum grunds•tzlich unter der Zielsetzung, menschliches Handeln zu befçrdern.1 Als philosophische Disziplin ist Ethik zwar durchaus eine Form von Theorie – wie ja schon ihre traktathafte Darstellungsform zeigt – und muß darum von der praktischen Klugheit oder Urteilskraft (vq|mgsir) unterschieden werden, die in den situationsbezogenen Deliberationen wirksam ist. Gleichwohl hat auch das traktathaft darstellbare ethische Wissen einen spezifisch praktischen Charakter, erstens weil Ethik durch Kl•rung der begrifflichen und sachlichen Grundlagen vortrefflicher menschlicher Praxis die Vergewisserung und Vertiefung unserer praktischen Haltungen ermçglicht und auf diese Weise unserer Lebenspraxis dient,2 zweitens weil sie – wie noch genauer darzulegen sein wird – als Grundlage fìr ihre begrifflich-sachlichen Analysen eine spezifisch praktische Erfahrung und Urteilskraft voraussetzt.3 In diesem Sinne ist Ethik fìr Aristoteles eine reflektierte und analytisch vertiefte Form der in lebenspraktischer Erfahrung und guter Charakterformung grìndenden praktischen Urteilskraft (vq|mgsir). Das praktische Deliberieren und ìberlegte Handeln erfolgen jeweils in Hinblick auf ein Ziel (t]kor), das in der einen oder anderen Weise als ein Gutes bzw. Gut (!cah|m) betrachtet wird. Die Qualit•t der ›berlegungen und Entscheidungen h•ngt zum einen von der Angemessenheit der gew•hlten Handlungsweise an das Ziel ab, zum anderen aber auch davon, daß das als Ziel angestrebte Gut tats•chlich ein Gut ist.4 Es kann sich auch erweisen, daß das angestrebte Ziel nur vermeintlich ein Gut ist. Damit ergibt sich eine prinzipielle begriffliche Differenz zwischen dem, was als ein 1 2 3

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Siehe insbes. NE I 1, 1095a5 f.; II 2, 1103b26 – 29; vgl. auch X 10, 1179a35-b2; EE I 1, 1214a8 – 15; 5, 1216b2 – 25; Metaph. II 1, 993b20 f. Daß philosophische Ethik ein begrifflicher Kl•rungsprozeß ist, wird besonders eindringlich in EE I 6, 1216b26 – 35 formuliert. Dies ist der Hintergrund von Aristoteles’ These, daß nur der, der bereits die richtigen, auf lebenspraktischer Erfahrung beruhenden Intuitionen und Haltungen mitbringt und vernunftgeleitet lebt, als Hçrer der ,Ethik‘ geeignet ist und Nutzen aus ihr ziehen kann (NE I 1, 1094b27 – 1095a11; 2, 1095b4 – 13; s. a. VI 5, 1140b11 – 20; 9, 1142a11 – 20). Vgl. u. a. NE VI 5, 1140b11 – 20; 10, 1142b32 f.; 13, 1144a28-b1; EE II 11, 1227b19 – 22; Pol. VII 13, 1331b26 – 38.

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Teil I. Menschliche Natur und praktisches Telos in Aristoteles’ Ethik

Gut erscheint (vaim|lemom !cah|m), und dem, was wahrhaft ein Gut ist. Unsere rationale Handlungsintention geht immer auf das wahrhaft Gute, aber de facto kçnnen wir nur das verfolgen, was wir fìr gut halten – also das als gut Erscheinende.5 Ziel der praktischen Rationalit•t muß es sein, daß einem das wahrhaft Gute auch als gut erscheint. Solche praktische Wahrheit 6 im praktischen Deliberieren ist die Leistung der Phrone¯sis (im Zusammenspiel mit den Charaktertugenden). Es ist die Aufgabe der Ethik, diesem Phrone¯sis-Wissen eine theoretisch reflektierte Gestalt zu geben. Der hierbei leitende Begriff des Guten muß von einem modernen moralphilosophischen Verst•ndnis des Guten strikt dissoziiert werden. Die Rede vom Guten hat bei Aristoteles (wie in der antiken Ethik insgesamt) zun•chst keine spezifisch sittlichen Konnotationen. Das Gute ist zwar auch fìr Aristoteles das, was man rationalerweise tun soll – aber nicht im Sinne einer Forderung der Moralit•t oder Gerechtigkeit, die dem Wollen des einzelnen entgegentritt, sondern als das, was der Realisierung des letzten und ìbergreifenden Zieles unseres Strebens dient. Sofern der Begriff des Sollens (t¹ d]om, ¢r de? ) hier ins Spiel kommt, handelt es sich also zun•chst nur um ein (Kantisch gesprochen) hypothetisches Sollen relativ zu einem ìbergreifenden Strebensziel. Aristoteles ist wie die anderen antiken Ethiker der Auffassung, daß jenes letzte und umgreifende Ziel menschlicher Lebenspraxis die Eudaimonie ist – wobei „eqdailom_a“ der Titel fìr die Vorzìglichkeit eines Lebens im ganzen ist, die die Erlangung oder Verwirklichung n•her zu bestimmender Gìter (oder Formen des Guten) voraussetzt.7 Dem Menschen geht es, so die dahinter stehende Intuition, in seinem Streben immer schon um die Vorzìglichkeit seines Lebens. Darum sei dies auch der letzte und ursprìngliche Bezugspunkt praktischer Rationalit•t. Alle praktischen Handlungsentscheidungen lassen sich also mit Bezug darauf hinterfragen, ob sie auch gut sind im Sinne der Realisierung dieses ìbergreifenden Strebenszieles. Das Ziel der Eudaimonie hingegen

5 6

7

Siehe vor allem NE III 6; vgl. EE II 10, 1227a18-b5; VII 2, 1235b18 – 30, 1236a7 – 10; De mot. an. 6, 700b28 ff.; Metaph. XII 7, 1072a27 f. Zum Begriff praktischer Wahrheit vgl. NE VI 2, 1139a21 – 31, b12 und III 6, 1113a22-b2. – Die Frage, was Tr•ger, Bezugsobjekte und Kriterien praktischer Wahrheit sind, ist in der Forschung allerdings sehr umstritten; vgl. etwa Anscombe 1965, Mìller 1982, 231 ff., Honnefelder 1987, Vigo 1998. Vgl. z. B. NE I 2, 1095a17 – 20; I 5, 1097a33-b6, 20 f.; VI 5, 1140a25 – 28; EE I 7, 1217a20 – 22; Pol. VII 13, 1331b39 f. – Zum Ausdruck „eqdailom_a“ vgl. u. a. de Heer 1968, Ritter 1974, Szaif 2002; zu den allgemeinen Facetten dieses Begriffs siehe auch u. a. Nussbaum 1986, Kenny 1992, Annas 1993, Horn 1998.

§ 1. Einleitung

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l•ßt sich fìr Aristoteles (und die antike Ethik im allgemeinen) nicht in Frage stellen. Die praktische Urteilskraft oder Phrone¯sis trifft ihre Handlungsentscheidungen jeweils auf konkretere Arten von Zielen hin. Die Auswahl dieser Ziele, auf die hin die Handlungsentscheidungen erfolgen, enth•lt aber immer schon eine Auffassung davon, worin eigentlich der eudaimonische Charakter einer Lebenspraxis liegt. Die kritische Bewertung von Zielsetzungen, wie sie die theoretisch vertiefte Form praktischer Rationalit•t, also die Ethik, zu leisten hat, muß darum Typen von praktischen Zielen, auf die hin Lebenspraxis ausgerichtet werden kann, in Relation zu dem ìbergreifenden und unhintergehbaren praktischen Ziel der Eudaimonie stellen. Die ethische Erkenntnis von der menschlichen Praxis muß dementsprechend an erster Stelle Erkenntnis der Elemente und Ermçglichungsbedingungen von Eudaimonie sein. Dieses hçchste praktische Gut bezeichnet Aristoteles auch als das „menschliche Gut“ oder Gut des Menschen (t¹ !mhq~pimom !cah|m).8 Er glaubt, wenigstens im „Umriß“9 eine philosophisch begrìndete, fìr den Menschen als solchen maßgebliche Antwort auf die Frage geben zu kçnnen, worin dieses hçchste Gut besteht. Und da er ferner meint, daß Eudaimonie in einer ausgezeichneten Form von Praxis (Eupraxie) besteht und daß diese Eupraxie zugleich auch objektives Ziel oder Vollendung (t]kor) des Menschseins ist, glaubt er folglich, eine umrißhafte Bestimmung des menschlichen Telos geben zu kçnnen. Die Ethik ist somit in einem Doppelsinne der Rede vom Guten – als hçchstes Strebensziel und als objektive Vollendung – die Lehre vom Gut des Menschen. Dies bedeutet nun allerdings nicht, daß der Begriff des Guten im Rahmen der aristotelischen Wissenschaft allein eine Dom•ne der praktischen Philosophie ist. Das Gute ist schon allein deshalb auch ein Gegenstand der aristotelischen Naturwissenschaft, weil die Rede vom Guten mit dem Begriff des Telos und finalen Erkl•rungsgrundes verbunden wird, was fìr eine teleologische Naturbetrachtung selbstverst•ndlich ein ganz zentraler Gesichtspunkt ist. Außerdem operiert Aristoteles auch in seiner „Ersten Philosophie“, der sp•ter so genannten „Metaphysik“, mit einem ontologischen Vollkommenheitsbegriff, der die Begriffe des Seienden und Guten zueinander in Beziehung setzt. 8 9

Vgl. NE I 1, 1094b7; I 6, 1098a16; s. a. I 4, 1096b32 – 35; EE, I 7, 1217a21 ff. Vgl. NE I 7, 1098a20 f.; X 6, 1176a31; s. a. I 1, 1094b19 – 21; II 2, 1104a1 f. Zum Begriff umrißhafter Darstellung vgl. Hçffe 1971/1996, 110 ff., Hçffe 1995, 26 ff.

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Teil I. Menschliche Natur und praktisches Telos in Aristoteles’ Ethik

Darum muß man auch die Frage aufwerfen, ob bzw. in welcher Weise der Begriff des Guten, den die Ethik thematisiert, wenn sie das Gut des Menschen untersucht, von Aristoteles’ naturteleologischem Verst•ndnis des Guten abh•ngt. Zwar legt Aristoteles großen Wert darauf, daß die Ethik ihre Theorie des Guten nicht aus einem universalen, die menschliche Handlungssph•re ìberschreitenden Begriff des Guten ableiten kann. Das ist die Stoßrichtung insbesondere seiner Platon-kritischen Bemerkungen in NE I 4 und EE I 8. In diesem Sinne versteht er das von der Ethik behandelte Gut spezifisch als ein praktisches Gut (z. B. NE 1095a15-17, 1096b32 – 35, 1097a22 – 24). Allerdings reicht diese Eingrenzung der praktischen Philosophie auf ein durch Praxis zu realisierendes Gut des Menschen fìr die Abgrenzung vom naturwissenschaftlichen Begriff des Guten bei Aristoteles noch nicht aus. Denn auch die theoretisch-naturwissenschaftliche Untersuchung natìrlicher Arten kann man in aristotelischer Perspektive so verstehen, daß durch die Analyse der eigentìmlichen Form des Lebens und Gedeihens von Wesen je einer bestimmten Art entdeckt wird, was fìr diese Art das zielhafte Gut ist, welches qua Telos den finalen Erkl•rungsgrund des fìr Exemplare dieser Art eigentìmlichen zweckm•ßigen organischen Aufbaus und ihrer zweckm•ßigen Wachstumsschritte liefert. Im Begriff des !mhq~pimom !cah|m liegt darum noch keine prinzipielle Abgrenzung gegenìber den Gegenst•nden der teleologischen Naturwissenschaft des Aristoteles. Da zudem auch – wie noch zu zeigen sein wird – in verschiedenen wesentlichen Argumenten der Ethik-Traktate naturteleologische und metaphysische Aspekte der Rede vom Guten oder vom Telos ins Spiel kommen, spricht prima facie durchaus einiges dafìr, daß die Ethik in ihrer Methode und ihren allgemeinen Erkenntnisinhalten von Aristoteles als eine Form von Anthropologie verstanden wird, die sich methodisch nicht prinzipiell von anderen teleologischen Untersuchungen natìrlicher Arten unterscheiden muß. Nun scheint aber ein anderer Grund dagegen zu sprechen, n•mlich Aristoteles’ Einteilung der Wissensformen in theoretisches, praktisches und ,poietisches‘ (herstellendes) Wissen. Es ist eindeutig, daß er die Ethik der praktischen Wissensform zuordnet, deren Kennzeichen die Finalisierung auf das Gelingen der je eigenen oder auch der gemeinschaftlich-politischen Praxis ist.10 Doch reicht dies zur inhaltlichen und methodischen Abgrenzung der Ethik noch nicht aus. Man kçnnte dann zwar sagen: Der naturwissenschaftlichen Betrachtung von Lebewesen geht es um die verste10 Zur Einteilung der Wissensformen vgl. Metaph. VI 1, zur Zielsetzung der praktischen Wissensform vgl. die oben, Anm. 1, angegebenen Stellen.

§ 1. Einleitung

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hende Betrachtung der Wirklichkeit – eine teleologische Naturwissenschaft will die Wirklichkeit nicht nur erkennen, sondern auch verstehen –, w•hrend die Ethik das hçchste menschliche Gut unter der praktischen Zielsetzung seiner Verwirklichung zu analysieren versucht. Gleichwohl kçnnte man sich auch unter dieser Voraussetzung die Untersuchung des !mhq~pimom !cah|m als eine theoretische Untersuchung nach dem Muster der Untersuchung der Teleologie anderer natìrlicher Spezies vorstellen, zu der dann der Praxisbezug lediglich in der Form der Anwendung eines theoretischen Wissens hinzuk•me. Entscheidend ist ein anderer Gesichtspunkt, wie ich hier zu plausibilisieren versuchen werde: Im Falle von Menschen wird das der Art entsprechende Telos nicht in einem naturwìchsigen Prozeß realisiert und kann darum auch nicht durch die Beobachtung des naturwìchsig Vorgegebenen erkannt werden. Es ist etwas, das ìberhaupt erst durch die Erfahrung der Resultate menschlicher Selbstgestaltung und aus der Binnenperspektive kulturell und individuell geglìckter menschlicher Selbstgestaltung erkennbar werden kann. Die menschliche Praxis selbst und ihre die spezifisch praktische Erfahrung verarbeitende Rationalit•t mìssen das menschliche Telos erschließen. Sie kçnnen darum das Wissen davon nicht einseitig aus einer theoretisch-naturwissenschaftlichen Untersuchungsperspektive ìbernehmen. Dies bedeutet fìr Aristoteles’ Verst•ndnis des pqajt¹m !cah|m und menschlichen Telos allerdings nicht, daß das in seinen naturwissenschaftlichen und ontologischen Schriften erarbeitete teleologische Verst•ndnis der Natur fìr die aristotelische Ethik irrelevant w•re. Aristoteles versucht das Gut des Menschen als Vollendung seiner Natur zu verstehen und rekurriert dabei ganz eindeutig auch auf Begrifflichkeiten und Perspektiven seiner theoretischen Naturphilosophie. Zugleich insistiert er aber darauf (wie zu zeigen sein wird), daß alle theoretischen Ableitungen zur n•heren inhaltlichen Bestimmung des hçchsten menschlichen Gutes in der Ethik nur dann Glaubwìrdigkeit fìr sich beanspruchen dìrfen, wenn sich ihre Ergebnisse auch mit der empirischen Binnenperspektive geglìckter Lebensvollzìge in Einklang bringen lassen. Um das Verh•ltnis des praktisch-ethischen Verst•ndnisses vom Gut des Menschen und seiner vollendungsf•higen Natur zu Aristoteles’ allgemeinem Naturverst•ndnis und naturtheoretischem Vollkommenheitsbegriff analysieren zu kçnnen, wird es hilfreich sein, als Folie zuerst einige wesentliche Aspekte des theoretisch-metaphysischen Begriffs des Guten und Schçnen im Kontext seiner Naturphilosophie und Ontologie herauszustellen (I-A). Anschließend werde ich den Natur- und Telosbegriff der

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Teil I. Menschliche Natur und praktisches Telos in Aristoteles’ Ethik

aristotelischen Ethik darstellen und dabei der Frage ein besonderes Augenmerk widmen, in welcher Weise menschliche Natur nur durch einen Prozeß vollendungsf•hig ist, der nicht natural (bzw. „naturwìchsig“) sein kann, und welche Konsequenzen dies fìr die Erkenntnistheorie der Ethik hat (I-B, § 5). Die These, daß praktische Erkenntnis des Guten in aristotelischer Perspektive immer auch durch die Binnenperspektive der Erfahrung individuell und kulturell gelingender menschlicher Selbstgestaltung vermittelt ist, scheint einen Pluralismus guter Lebensformen nahezulegen. Aristoteles vertritt aber einen Monismus der einen besten (wissenschaftlich-intellektuellen) Lebensform und beschreibt darìber hinaus auch die ethischen Tugenden im Sinne eines ganz bestimmten, konkreten Ethos, das nicht aus allgemeinen Prinzipien abgeleitet wird. Dies verlangt nach einer Erkl•rung (§ 6). Der n•chste Abschnitt wendet sich dem objektiv-teleologischen Argument in NE I-6 zu, mit dem eine umrißhafte Wesensbestimmung des hçchsten menschlichen Gutes hergeleitet wird, und erçrtert die Frage, welche erkenntnistheoretische Stellung einer solchen Art von „Deduktion“ des hçchsten praktischen Gutes in der Ethik zukommt (I-C, § 7). Der anschließende Durchgang durch die einzelnen Elemente der ,Glìcksdefinition‘ soll das Verst•ndnis der sachlichen Position des Aristoteles zum Gut des Menschen und der Art und Weise ihrer Begrìndung weiter vertiefen (§ 8). Die umrißhafte objektive Bestimmung des hçchsten menschlichen Gutes beantwortet noch nicht die Frage, warum eine solche teleologische Auffassung von der menschlichen Natur und Bestimmung auch aus der Perspektive des handelnden Subjektes relevant sein soll. § 9 wendet sich darum der Frage zu, wie dieses wahre Gute (das als Vollendung der menschlichen Natur begriffen wird) zum Zielpunkt subjektiver Handlungsintentionen werden kann, die zun•chst einmal durch Lust- und Unlustempfindungen bestimmt sind. Nicht nur die Ausrichtung auf ein menschliches Telos und hçchstes praktisches Gut, sondern auch die Pluralit•t verschiedener Arten letztzielhafter Strebensziele ist fìr Aristoteles in der menschlichen Natur fundiert. Die Fundierung der Pluralit•t letztzielhafter Gìter in unserer Strebensnatur werde ich in Abschnitt I-D, § 10 erçrtern, um anschließend der Frage nachzugehen, wie angesichts dieser Pluralit•t von Strebenszielen gleichwohl die Einheit der Zielausrichtung einer rationalen Lebensfìhrung mçglich ist (§ 11). Im abschließenden § 12 werde ich mich dann einer weiteren Form von Einheitsproblematik hinsichtlich der Motivationsgrìnde menschlichen Handelns zuwenden, bei der es darum geht, wie sich altruistische Motivationsgrìnde zu dem ìbergreifenden Ziel der je eigenen

§ 1. Einleitung

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Eudaimonie verhalten und ob die Aristotelische Position letztlich auf eine Form von moralischem Egoismus hinausl•uft.

A) Die Begriffe des Guten und Schçnen in der Perspektive aristotelischer Theo¯ria Der fìr diese Studie relevante Begriff des Guten ist der eines praktischen Gutes (pqajt¹m !cah|m), womit, wie erw•hnt, dasjenige Gute gemeint ist, das in menschlicher Praxis realisiert werden kann. Grunds•tzlich muß der Begriff von Praxis zwar nicht auf Menschen beschr•nkt sein, da es in der Aristotelischen Metaphysik auch andere rationale Wesen gibt, die sich in einem Modus absichtlichen kinetischen T•tigseins befinden (n•mlich die mit Rationalit•t ausgestatteten Himmelssph•ren). Aber die Ethik hat selbstverst•ndlich das Gut menschlicher Praxis im Auge. Aber warum wird dann dieser Begriff des Guten ìberhaupt als ein praktischer bezeichnet? Ist dies schlicht ein redundanter Zusatz? Die Relevanz dieses Zusatzes ergibt sich in Aristoteles’ Augen daraus, daß es auch eine Anwendung dieses Begriffes in der Perspektive aristotelischer Theo¯ria gibt, die nicht an den Bereich des Tuns gebunden ist. Dies deutet sich bereits in Aristoteles’ Anwendung der Kategorienlehre auf den Begriff des Guten an.11 Aristoteles behauptet, daß der Begriff des Guten, genauso wie der des Seins, ìber alle Kategorien verteilt ist. W•hrend dabei die Beispiele, die fìr das Gute in der Kategorie der Qualit•t (Arete¯), in der Kategorie der Relation (das Nìtzliche/Brauchbare, t¹ wq^silom), in der Kategorie der Zeitbestimmungen (der gìnstige Zeitpunkt, b jaiq|r) und in der Kategorie des Wirkens (das Lehren) in einem klaren Zusammenhang mit menschlicher Praxis stehen oder, wie das rechte Maß (l]tqiom) in der Kategorie der Quantit•t, stehen kçnnen, ist dieser Praxisbezug weniger klar im Falle der Kategorie der Substanz, fìr die Gott und der Intellekt als Beispiele angegeben werden. Was Gott betrifft, so wird dann zwar insbesondere durch die Ausfìhrungen in Metaph. XII deutlich, daß der Gott die Praxis anderer rationaler Wesen als Gegenstand einer Nach11 Vgl. NE I 4, 1096b23 – 29; EE I 8, 1217b25 – 18a1; s. a. Ackrill 1977, Burnyeat 1987, 213 f. mit Anm. 2, Burnyeat 2000, 78 – 80. Die Aussage in Metaph. XIII 3, 1078a31 f., die die Anwendung des Begriffs „!cah|m“ auf den Bereich des Praktischen einzugrenzen vorschl•gt, repr•sentiert nicht Aristoteles’ generelle Vorgehensweise, wie man vermutlich EE I 8, 1218a15 – 24, vor allem aber den unten in § 3 zu diskutierenden Textstìcken entnehmen kann.

§ 2. Natìrliche Arten als Selbstzwecke

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ahmung beeinflussen kann, die durch die Vollkommenheit des gçttlichen Seins motiviert ist. Aber die Abh•ngigkeitsbeziehungen scheinen dabei so gelagert zu sein, daß das gçttliche Sein zum Gegenstand der Nachahmung wird, weil es vollkommen und in diesem Sinne gut ist, und nicht umgekehrt. Mit anderen Worten, der Gott ist nicht gut/vollkommen, weil er nachgeahmt wird, sondern er wird nachgeahmt, weil er, oder sein Sein, gut/ vollkommen ist. Dies l•ßt zwar noch die Mçglichkeit offen, daß die gçttliche Vollkommenheit unter dem Gesichtspunkt als eine Form von Gutsein bezeichnet wird, daß die Nachahmung diese Vollkommenseins erstrebenswert ist; aber dies wird, wenn ich recht sehe, von Aristoteles so nicht ausgefìhrt. Eher haben wir es mit einem Aspekt der Rede vom Guten zu tun, die aus einer nicht praktischen, sondern metaphysisch-theoretischen Perspektive diesen Begriff mit dem des Hçchstrangigen und Vollkommenen assoziiert. Wenn bestimmte ,Substanzen‘ ihrem Wesen nach in der Kategorie der Substanz den hçchsten Rang einnehmen, da ihr Seinsmodus, etwa als reine Aktualit•t im Falle Gottes, am vollkommensten ist, so sind sie aus diesem Grund und in diesem spezifischen Sinne wesentlich auch ein in sich Gutes. Da Aristoteles zur Anwendung der Kategorienlehre auf den Begriff des Guten nur Andeutungen macht, bleiben fìr die Interpretation erhebliche Unsicherheiten bestehen. Ich werde auf den Gesichtspunkt der Gìte als Vollkommenheit einer Substanz anhand anderer Textstìcke in § 3 ausfìhrlicher eingehen. Zuerst werde ich jedoch kurz einen Blick auf bestimmte Aspekte des teleologischen Naturbegriffs bei Aristoteles werfen, die als Hintergrund fìr den spezifisch praktisch-teleologischen Naturbegriff bei Aristoteles, um den es im n•chsten Kapitel gehen wird, von Bedeutung sind.

§ 2. Natìrliche Arten als Selbstzwecke In unserer belebten natìrlichen Umwelt, aber auch bei uns selbst, kçnnen wir st•ndig Prozesse wahrnehmen, die ohne rationale Steuerung und unabh•ngig von Bewußtsein zweckm•ßig auf bestimmte Ziele hin verlaufen. Offensichtlich ist dies etwa bei den Pflanzen, die sich aus Samen zu hochorganisierten Lebewesen entwickeln und neue Samen mit der gleichen gerichteten Entwicklungsdynamik hervorbringen. Diese Individuen sind sowohl in diachroner als auch synchroner Perspektive in hohem Maße zweckm•ßig, d. h. entwickeln sich zweckm•ßig und sind mit Blick auf die Funktionen der Selbsterhaltung und Fortpflanzung sinnvoll organisch

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aufgebaut, ohne daß es ein rational handelndes Wesen g•be, das, wie bei einem Artefakt, dafìr die Ursache w•re. Diese Ph•nomenologie zielgerichteter Entwicklung und Organisation in der Natur unterhalb der Ebene bewußten zielorientierten Handelns ist der wesentliche Anstoßpunkt der aristotelischen teleologischen Naturwissenschaft.12 Nun ist unser Verst•ndnis von Zweckm•ßigkeit immer auch durch unsere eigene Erfahrung des Planens bestimmt, das in der Wahl geeigneter Mittel zur Verwirklichung eines Zieles oder Zweckes besteht. Die aristotelische Naturwissenschaft unterscheidet das Geschehen in der v}sir von dem kunstvollen menschlichen Handeln und Herstellen, der t]wmg, und expliziert es zugleich mit Hilfe bestimmter Analogien zur t]wmg, die Aristoteles auch zu der Aussage motivieren, daß t]wmg teils Nachahmung, teils Fortsetzung oder Erg•nzung der Natur sei (vgl. Phys. 199a15 ff.). Beim technisch hergestellten Gegenstand kçnnen das Material und die funktionale Form unterschieden werden, wobei letztere den Gegenstand als einen Gegenstand von der und der (funktionalen) Art charakterisiert. Des weiteren ist diese Form der Zielpunkt, das Telos des Herstellungsvorganges, w•hrend sein unmittelbarer Ausgangspunkt der herstellende Handwerker ist, letztlich aber die von ihm intentional konzipierte Form, die nach einem geeigneten Material verlangt. Damit sind die vier Prinzipien oder Erkl•rungsgrìnde eines konkreten Gegenstandes von bestimmter Art genannt, die Aristoteles unterscheidet (z. B. Metaph. I 3, 983a24-b32; V 2; Phys. II 3). Sie finden sich auch bei den lebenden Naturdingen, nur daß das hervorbringende Prinzip jetzt nicht ein rational t•tiges Wesen und eine von ihm konzipierte Form sind, sondern eine naturwìchsige Dynamik, die in dem Naturding selbst wirksam ist. Mit anderen Worten, der Begriff der v}sir h•ngt fìr Aristoteles mit der Idee eines Wirkprinzips zusammen, das dem Naturding eine in ihm selbst liegende autopoietische Kraft und Zielgerichtetheit verleiht, ohne das Vermçgen bewußter Intentionalit•t vorauszusetzen. Das Vorhandensein dieser Art von Wirkprinzip in der Natur ist die Grundhypothese der aristotelischen Naturwissenschaft, die durch die Ph•nomenologie der zweckm•ßigen Formen und Prozesse in der subrationalen Natur veranlaßt wird (vgl. Phys. II 1, 193a3-9). Aristoteles unterscheidet verschiedene miteinander zusammenh•ngende Bedeutungen des Wortes „v}sir“, aber der prim•re Sinn dieses Wortes liegt seiner Ansicht nach darin, das Wesen bzw. die Artform einer 12 Zu Aristoteles’ Konzeption der Finalurs•chlichkeit in der Natur und zur Rolle des Begriffs des Guten in diesem Zusammenhang vgl. u. a. Gotthelf 1987 und 1988, Kahn 1985, Cooper 1987b, Irwin 1988, Furley 1996, Kullmann 1985 und 1998.

§ 2. Natìrliche Arten als Selbstzwecke

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Sache zu bezeichnen, die in sich ein auf sie selbst bezogenes (aktives) Prinzip von Bewegung, Vergrçßerung und/oder Ver•nderung hat (vgl. Phys. II 1, 192b8 – 32, 193b3-12; Metaph. V 4, 1015a13 – 15). Da sich Natur in Wachstumsprozessen als die jeweilige vollendete natìrliche Artform in gewisser Weise selbst herstellt und bewahrt, ist diese zielgerichtete Wirkweise selbstbezìglich, so daß die v}sir zugleich auch Telos bzw. finaler Erkl•rungsgrund ist und sich als ein solcher mit dem Begriff des Guten verknìpfen l•ßt (Metaph. I 3, 983a31 f.; vgl. V 2, 1013b25 – 28; Phys. II 3, 195a23 – 25; An. post. II 11, 94b34 – 95a9). Und zwar ist die natìrliche Form, die in den zielgerichteten naturwìchsigen Prozessen erzeugt und erhalten wird, sogar in noch klarerer Weise zielhaft als die Formen der Artefakte, weil die Artefakte selbst je nur Mittel zum Zweck sind, w•hrend eine natìrliche Artform je ein letzter Zweck ist. Allerdings ist sie ein solcher letzter Zweck auch jeweils nur in einem relativierten Sinne, n•mlich im Kontext der Selbsterhaltung und Reproduktion einer bestimmten Spezies. Denn es wird hierbei nicht vorausgesetzt, daß die Form auch fìr Wesen anderer Art oder in universaler Perspektive ein letztzielhaftes Gut ist.13 Relativ zu diesem je eigenen Telos ist alles, was zur zielgerichteten Entwicklung eines Wesens mit dieser Artform beitr•gt, etwas Gutes im Sinne des fìr es Zweckm•ßigen.14 Der Begriff des Guten im Sinne des Zweckm•ßigen baut jedoch auf dem Begriff des Guten als etwas in sich Zielhaftem auf und setzt ihn voraus (vgl. z. B. NE I 4, 1096b8-14). Dank des v}sir-Charakters bençtigen Lebewesen also im Gegensatz zu Artefakten keinen •ußeren Hersteller, da sie sich jeweils selbst hervorbringen – also gleichsam sich selbst hervorbringende Zwecke sind (wobei 13 Erg•nzend zu dieser Behauptung einer selbstbezìglichen Teleologie finden sich bei Aristoteles auch Belege fìr einen teleologischen Erkl•rungszusammenhang zwischen den natìrlichen Arten und dem vollkommensten Seienden; vgl. dazu unten, § 3. Eine Vorstellung ganz anderer Art, die die Existenz der subrationalen natìrlichen Arten teleologisch auf den menschlichen Nutzen bezieht, findet sich in der Politik, im Kontext der Theorie des Eigentums, artikuliert (I 8, 1256b7 – 26; vgl. dazu Schìtrumpf 1991 ad loc.). Dies ist aber nicht die Perspektive seiner naturtheoretischen Schriften. In der Physik (II 2, 194a35) stellt er ausdrìcklich fest, daß der Mensch nur in „gewissem Sinne“ Zweck (im Sinne des Wofìr) der ìbrigen Naturdinge sei, n•mlich indem er sie als Material fìr seine eigenen Zwecke gebrauche – was ein vom Menschen an diese Dinge herangetragener Zweck ist, also nicht aus der ihnen immanenten Teleologie entspringt. Siehe zu dem Thema Gaiser 1969, Graeser 1972, Kullmann 1998, 271 f. 14 Vgl. etwa die Formulierung in Phys. II 7, 198b8 f: „di|ti b]ktiom ovtyr, oqw "pk_r, !kk± pq¹r tµm 2j\stou oqs_am“ („… weil es so besser ist, nicht schlechthin, sondern in Relation zum Wesen der jeweiligen Sache“).

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dieser Prozeß allerdings jeweils auch durch geeignete Umweltfaktoren unterstìtzt werden muß, die aber nur externe Ermçglichungsbedingungen eines Vorganges sind, der seine Zielgerichtetheit aus einem inneren Prinzip erh•lt). Mit Blick auf diesen Sachverhalt kçnnte man auch sagen, daß es in Aristoteles’ Begriff der v}sir gleichsam einen begrifflichen Spannungsbogen zwischen v}sir als innerem Wirkprinzip und v}sir als der vollendeten Form gibt, insofern v}sir als vollendete funktionale Form Resultat von v}sir als dem inneren aktiven Entwicklungsvermçgen ist. Dabei sind nicht nur Ausgangs- und Endpunkt der Entwicklung, sondern auch der Entwicklungsprozeß selbst, der von dem einen zum anderen fìhrt (das Wachsen), rein natìrlich bzw. naturwìchsig. (Dieser Sachverhalt wird sich als wichtig erweisen fìr unsere Unterscheidung zwischen vollendeter v}sir im Falle tierischer und pflanzlicher Wesen und vollendeter v}sir als einem praktischen Telos beim Menschen.) Die im Einzelexemplar individuierte Form kann selbstverst•ndlich nicht das sein, was den Anfang des Entstehungsprozesses setzt. Dies w•re die absolute Selbstsetzung eines Naturdinges, was es fìr Aristoteles nicht geben kann. Vielmehr ist es je ein numerisch verschiedenes Individuum mit einem artgleichen Formprinzip, das eine neue Instanziierung der gleichen Form bzw. ein neues so geformtes Individuum hervorbringt (vgl. Phys. 198a24 – 27). Was dabei unmittelbar hervorgebracht wird, ist aber noch nicht die vollendete Form, sondern ein Samen, der erst ein Potential (d}malir) enth•lt, eine Entwicklungskraft, die unterstìtzt durch geeignete Umweltfaktoren die autopoietische Selbstorganisation des neuen Individuums in Gang setzt. In diesem Prozeß der Selbstentfaltung erreichen dann schrittweise alle jene Vermçgen ihre Vollendungsform, die die Artform in ihrer Vollgestalt kennzeichnen, einschließlich des Fortpflanzungsvermçgens, durch dessen Bet•tigung sich der individuen-ìberspannende Prozeß der Selbsterhaltung der Artform fortsetzen kann. Mit Blick auf die voll entwickelte Artform ist des weiteren auch zwischen der Artform als solcher und den ihr gem•ßen Lebensaktivit•ten, die den Charakter einer zweiten Verwirklichungs- oder Vollendungsstufe (Entelechie) haben (z. B. De an. II 1), zu unterscheiden. Aktivit•t ist dabei den Vermçgen, die in der Artform grìnden, gleichsam als das Gute und Bessere teleologisch vorgeordnet (Metaph. IX 9, 1051a4-15). Zus•tzlich kann man auch bei Naturdingen ohne rationalem Vermçgen die gute Verfassung des artgem•ßen Vermçgens, dank derer sich dieses Vermçgen einwandfrei zu der artgem•ßen T•tigkeit aktivieren kann, als etwas fìr sie Gutes betrachten (z. B. EE I 8, 1218a31 – 33). Dies ist das Analogon zum Arete¯-Begriff im Bereich der praktischen Philosophie.

§ 3. Die Korrelation von Sein, Vollkommenheit und Gutsein

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Halten wir fest, daß Aristoteles das, was die Natur eines Lebewesens ist, konsequent vom Telos seiner Entwicklung, d. h. vom Zustand seiner Entfaltung und seines Gedeihens her versteht. Darum mìssen auch die natìrlichen Potentiale und natìrlichen ontogenetischen Entwicklungsschritte vom Telos her verstanden werden. Fìr die wissenschaftliche Erkl•rung bedeutet dies, daß die typischen Entwicklungsschritte, der organische Aufbau und die T•tigkeitsweisen von Lebewesen einer bestimmten Art als Aspekte und funktionale Notwendigkeiten einer Lebensform, die deren artspezifisches Telos ist, analysiert werden mìssen. Der Prozeß der naturwissenschaftlichen Wahrheitsfindung hingegen muß bei der Beobachtung der typischen Entwicklung, Anatomie und T•tigkeitsweisen von Individuen der fraglichen Art ansetzen, um von dort aus zu einem ausgewiesenen Verst•ndnis ihrer Artbestimmung und Lebensform zu gelangen und erkennen zu kçnnen, was das fìr sie Zutr•gliche ist.

§ 3. Die Korrelation von Sein, Vollkommenheit und Gutsein Ich habe erl•utert, in welcher Weise die natìrliche Artform jeweils das Telos oder zielhafte Gut ist, auf welches das natìrliche Funktionieren von Individuen dieser Art ausgerichtet ist. Dabei ist eine jede Artform, unabh•ngig von anderen Formen, quasi sich selbst ihr Zweck und Gut, aber nicht absolut ein Gut. Die Artformen kçnnen aber auch in einen kosmologischen Gesamtzusammenhang gestellt werden, der den Charakter einer scala naturae hat, in der den unterschiedlichen Stufen natìrlicher Artformen unterschiedliche Grade an Seiendheit und Vollkommenheit und entsprechend dazu auch ein unterschiedliches Maß an ,Gìte‘ zugeschrieben wird (wobei es selbstverst•ndlich nicht um Gutsein in einem moralischen Sinne geht). Diese vergleichende Bewertung erfolgt von einem absoluten Standpunkt, der nach ontologischen Vollkommenheitsgraden beurteilt. Besonders signifikant fìr diese ontologisch-axiologische These ist Aristoteles’ Argumentation zur kosmologischen Stellung der hçchsten Gottheit und ihrer Rolle als unbewegter Beweger in Metaph. XII 6 – 10, weshalb ich jetzt zuerst auf einige Aspekte dieses Gedankenganges eingehen werde. Nachdem in Metaph. XII 6 ausgefìhrt worden ist, daß der unbewegte Beweger der ewigen Himmelsbewegung nicht durch Potentialit•t charakterisiert sein kçnne und darum seinem Wesen nach reine und ewige T•tigkeit (1m]qceia, 1071b20) sein mìsse, setzt die Argumentation in XII 7 bei der Feststellung an, daß (allein) das, was Gegenstand des denkenden Erfassens (moe?m) und des Strebens (aq]ceshai) ist, in der Weise eines un-

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bewegt Bewegenden bewege (1072a26). Die sich an diese Feststellung anschließende Argumentation hat den Zweck zu verdeutlichen, daß der unbewegte Beweger, als eine Substanz, die einfach und reine T•tigkeit ist, das prim•re Denk- und Strebensobjekt des Fixsternhimmels (pq_tor oqqam|r) ist und damit zugleich in der Weise eines Finalgrundes als Urheber von dessen Bewegung fungieren kann. Und zwar stellt Aristoteles in dieser Argumentation zuerst die Behauptung auf, daß das erste Denkbare und das erste Erstrebbare identisch seien. Dabei genieße die m|gsir Priorit•t, insofern sie der eqenir den Gegenstand vorgebe. Die m|gsir selbst aber werde vom Gegenstand des Denkens (mogt|m) bewegt bzw. aktiviert.15 Um nun das prim•re mogt|m des Denkens zu bestimmen, greift er auf das pythagoreisch-altakademische Lehrstìck von der parallelen Reihung der Gegens•tze zurìck (sustoiw_a t_m 1mamt_ym, 1072a31).16 Die positiven Glieder in dieser Reihung seien immer das von sich aus Denkbare, da sie von sich aus seinshaltig sind und nicht nur, qua Privationen, durch Negation eines bestimmten Seinsgehaltes erfaßt werden kçnnen. Aristoteles vermag die positive Reihung, an deren Spitze die konvertiblen Begriffe em und 6m („seiend“ und „eines“) stehen kçnnen (vgl. Metaph. IV 2, 1003b22 – 33), bei Gelegenheit auch als die Reihe der !cah\ (des Guten bzw. der Gìter) zu bezeichnen, so in NE I 4, 1096b6 (vgl. EE VII 12, 1245a1-3).17 Prim•r treffe diese Charakterisierung der Denkbarkeit per se auf Substanz (oqs_a) zu, und unter den Substanzen zuallererst auf die einfache und als T•tigkeit subsistierende Substanz (B "pk/ ja· jat’ 1m]qceiam), also auf die hçchste Wesenheit, die somit auch das prim•re Objekt des Denkens sei. Voraussetzung fìr diese These der Abstufung unter den substanziellen Seiendheiten ist die in Metaph. IX 8 – 9 n•her erl•uterte generelle These von der Priorit•t der Vollendetheit oder T•tigkeit (1mtek]weia, 1m]qceia) gegenìber der Potentialit•t, die jedenfalls fìr solche F•lle gilt, in denen die Aktivit•t nicht selbst etwas Schlechtes ist. Sie gilt insbesondere auch mit 15 Dies ist natìrlich eine sehr problematische Pr•misse, der eine Analogievorstellung zwischen sinnlicher Wahrnehmung, die je durch ein aQshgt|m verursacht wird, und geistigem Erfassen zugrundeliegen dìrfte. Gleichzeitig meint Aristoteles aber auch, daß anders als bei der sinnlichen Wahrnehmung im geistigen Erfassen gerade keine physische Einwirkung des erfaßten Allgemeinen auf das Denkvermçgen stattfindet. Vgl. zu dem Themenkomplex etwa Kahn 1992. 16 Vgl. Ross 1924, 376, mit Parallelstellen. 17 In der NE-Passage ist es allerdings nicht eindeutig, ob er hier nur die Ausdrucksweise anderer wiedergibt oder auch seine eigene Ausdrucksweise. Der Passus in EE VII 12 bereitet seine eigenen Interpretationsschwierigkeiten, die hier nicht ausgebreitet werden kçnnen.

§ 3. Die Korrelation von Sein, Vollkommenheit und Gutsein

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Blick auf die hyletischen Potentialit•ten, deren Aktualisierung und Vollendung je durch eine Substanzform (eWdor, pq~tg oqs_a) geleistet wird, die auch als Vollendetheit (1mtek]weia) bezeichnet werden kann (z. B. De an. II 1, 412a9 f., 21; Metaph. VII 13, 1038b5 f.). Dies schließt auch die These von der Priorit•t derjenigen Form von substanzieller Aktualit•t ein, die nicht auf einem bloß potentiellen Sein aufruht, sondern aus sich heraus notwendig Aktivit•t ist, da Potentialit•t als solche gleichsam noch ein Nichtsein (Noch-Nicht-Wirklichsein) ist und ein aktuales Sein, das Aktivierung einer Potenz sei, auch wieder in ein Nichtsein zurìckfallen wird. Dieser positiven Reihe, die ihren Gipfelpunkt in der schlechthin einfachen Substanz und T•tigkeit hat, werden in XII 7 (1072a34 f.) auch der Begriff des jak|m (auf den ich gleich noch zurìckkommen werde) und der des durch sich selbst oder um seiner selbst willen Erstrebens- oder Vorziehenswerten (di’ art¹ aQqet|m) zugeordnet. Und zwar scheint fìr ihn im hçchsten Maße dasjenige ein jak|m oder !cah|m zu sein, was das Erste in der Reihe des Seinshaltigen ist (s. a. De motu anim. 700b33 – 35). Das Erste18 unter dem Denkbaren und Erkennbaren ist also auch das Prim•re in der Reihe des (an sich) Erstrebenswerten. Als ein solches ist es der Beweger des Fixsternhimmels (pq_tor oqqam|r), der selbst ein denkendes, aber auch strebendes und sich bewegendes Wesen ist und der die Seinsvollkommenheit dieses hçchsten Seienden, die von ihm erfaßt und zum Objekt seines Liebens und Begehrens (1q÷m) wird, durch eine mçglichst vollkommene Bewegung nachzuahmen sucht. Der Fixsternhimmel ist also denkend und strebend auf die hçchste transphysische Gottheit bezogen. Was aber ist Gegenstand des Denkens dieser Gottheit selbst? Bei der Erçrterung dieser Frage ab 1072b14 ff. und in XII 9 wird wiederum die Pr•misse zugrunde gelegt, daß das Denken an sich das Beste (weil am meisten Seinshaltige) zum Gegenstand habe. Und im hçchsten Maße mìsse das zutreffen auf das, was im hçchsten Maße Denken ist. Wenn nun das hçchste Wesen als Denken etwas zum Gegenstand h•tte, das besser ist als es selbst, w•re es ja nicht des Erste, sondern dieser Gegenstand w•re das Erste. Aber es kann auch nicht etwas zum Gegenstand haben, das weniger gut und vollkommen ist als es selbst, da es 18 Aristoteles will damit nicht behaupten, daß menschliches Denken und Erkennen seinen Anfang beim Denken und Erfassen des hçchsten Wesens nimmt. Nach seiner bekannten Lehre (vgl. Physik I 1) f•llt das von sich her (am besten) Erkennbare (cm~qila "pk_r) nicht mit dem zusammen, was fìr uns das zuerst kognitiv Vertraute ist (cm~qila Bl?m). Das menschliche Erkennen kann nicht von vornherein die Perspektive eines absoluten Standpunktes einnehmen.

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ja das Beste denkt. Also muß es sich selbst zum Gegenstand haben, d. h. Denken seiner selbst sein (1072b21). Da ferner dieses hçchste Wesen nichts anderes ist als ein subsistierender Denkakt, bedeutet diese Selbstbezìglichkeit in seinem Fall, daß es Denken des Denkens (mo^seyr m|gsir 1074b34 f ), also reine geistige Reflexion in sich selbst ist. Ein Wort zu den Wertausdrìcken, die Aristoteles hier gebraucht: Er fìhrt in der eben referierten Argumentation den Ausdruck „jak|m“ („schçn, gut, edel“) ein, indem er das Objekt des Strebens als das jak|m bezeichnet (1072a27 – 29). Kurz darauf wird „jak|m“ explikativ durch den Ausdruck „di’ art¹ aQqet|m“ erg•nzt (a34 f.). Das fragliche jak|m gehçrt also in den Bereich des „an sich Erstrebenswerten“. Aber auch andere Wertausdrìcke, die zum Sinnbereich des Wortes „!cah|m“ („gut“) gehçren, werden von Aristoteles mit Bezug auf dieses Erste gebraucht. So verwendet er im n•chsten Argumentationsschritt den Superlativ von „!cah|m“ („%qistom“, u. a. 1072a35), und etwas sp•ter beobachten wir auch fließende ›berg•nge zu Wertausdrìcken wie „jq\tistom“ und „tili~tatom“ (1074b26, 30, 34), mit denen die Souver•nit•t und Ehrwìrdigkeit dieses hçchsten Denkgegenstandes betont wird. Er ist also anscheinend in einem umfassenden Sinn etwas im hçchsten Maße Werthaftes. Die spezifische Funktion des Ausdrucks „jak|m“ in diesem Zusammenhang ist nicht leicht einzugrenzen. Allemal geht es um die Vorstellung, daß diesem hçchsten Objekt des Denkens ein hçchster intrinsischer Wert eignet. Dabei dìrfte in dem Ausdruck „jak|m“ sicherlich eine •sthetische Komponente mitschwingen – es geht ja um eine Art anschauenden Betrachtens –, die auch so etwas wie erotische Attraktivit•t mitbezeichnet (entsprechend der g•ngigen Assoziation im Griechischen zwischen den Begriffen 5qyr und jak|r). Denn das hçchste Gut wird ja hier auch als das Objekt eines 5qyr in den Blick genommen. (Diese Art der Verknìpfung der hçchsten, intrinsisch werthaften Objekte intellektueller Kontemplation mit den Begriffen eines bewundernden Schauens und einer Art intellektuell-erotischen Hinwendung hat selbstverst•ndlich platonische Wurzeln.) Das Streben und Begehren des Fixsternhimmels (pq_tor oqqam|r) beruht auf einem rationalen Erfassen, und insoweit ist es auch ein Analogon zum rationalen menschlichen Streben, das auf ein denkend erfaßtes Handlungsziel ausgerichtet ist. Dementsprechend fìhrt Aristoteles auch mit Bezug auf das menschliche Streben in Texten wie De motu anim. 6 und De an. III 10 aus, daß fìr den Strebensakt und die Handlung das jeweilige Telos und Worumwillen als unbewegter Beweger fungiere. Aber es gibt doch zwei entscheidende Unterschiede gegenìber dem kosmologischen Analogon. Das Strebensobjekt muß (sofern es fìr Handlungen ìberhaupt

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relevant werden kann) nach Aristoteles’ Standardtheorie ein pqajt¹m !cah|m sein, d. h. ein Gut, das durch menschliches Handeln Wirklichkeit werden kann. Zweitens braucht das pqajt¹m !cah|m als Strebensobjekt zum Zeitpunkt des Strebens noch keine außermentale Realit•t zu besitzen. Das vollkommene gçttliche T•tigsein ist dagegen erstens kein Strebensziel, das durch die T•tigkeit des pq_tor oqqam|r realisiert werden kçnnte, sondern ein unvollkommen nachgeahmtes Vorbild. Es ist also kein pqajt¹m !cah|m. Zweitens ist dieses Telos aus sich selbst heraus immer schon real, und nicht etwas nur erst Konzipiertes, das noch verwirklicht werden mìßte. Man muß sich fragen, warum es fìr das kosmologische Modell des Aristoteles’ nicht ausreicht zu sagen, daß der pq_tor oqqam|r die ewige Kreisbewegung als seine hçchste Daseinsform erkennt und erstrebt. Es br•uchte doch gar nicht ein darìber hinausliegendes hçchstes Wesen angenommen werden, das reines Sich-Selbst-Denken ist. Die Erkl•rung liegt wohl darin, daß Aristoteles mit einem Modell der Seinsabstufung operiert, die ein öquivalent zur Ordnung des Erkennbaren bzw. der mogt\ ist.19 In dieser Hinsicht ist er, trotz der Kritik an der Ideenlehre, durchaus noch ein Platoniker. Es wird von Aristoteles wohlgemerkt nicht bewiesen, daß das hçchste Objekt des Denkens notwendigerweise real ist, wie dies etwa der sp•tere, auf Anselm von Canterbury zurìckgehende ontologische Gottesbeweis versucht. Daß der Ordnung des denkend Erfaßbaren auch eine Ordnung des Seienden und Realen entspricht, ist eher so etwas wie eine unhinterfragte Grundvoraussetzung des erkenntnistheoretischen Realismus der Tradition sowohl der Eleaten als auch des Platonismus, in der auch Aristoteles steht. Soweit also die Korrelation der Ordnungen des Seienden und des Erkennbaren. Ein zweites ist die Korrelation der Abstufung des Seienden mit der Abstufung des Guten oder In-Sich-Wertvollen. Ihre Grundlage hat diese Verknìpfung in der Vorstellung, daß hçhere Seinsstufen auch hçhere Vollkommenheitsstufen darstellen. Dies bedeutet nun wohlgemerkt nicht, daß dies schon die Gìterordnung ist, die fìr den Menschen in praktischer Einstellung maßgebend ist. Vielmehr ist dies eine Ordnung des Guten, die sich in rein theoretischer Einstellung ergibt, gleichsam im Nachvollzug eines Gottesstandpunktes. Mit diesem ontologisch-axiologischen Prinzip h•ngt des weiteren auch die These von der Korrelation des theoretischen Guten mit Bestimmtheit zusammen, da die hçheren Seinsgrade mit einem verminderten Maß an 19 Vgl. hierzu oben, Anm. 18.

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A) Die Begriffe des Guten und Schçnen in der Perspektive der Theo¯ria

Kontingenz und Potentialit•t20, und damit Unbestimmheit, korrelieren.21 Ein Beispiel fìr einen hçheren Grad an Bestimmtheit sind die strikt rationalen Bewegungsmuster der Himmelskçrper, deren Bewegungen notwendig sind, und zwar nicht im Sinne eines •ußeren Zwanges oder einer bloßen Vorbedingung (conditio sine qua non) des Guten, sondern als Notwendigkeit „schlechthin“: ein aus sich selbst heraus bestimmtes NichtAnders-Sein-Kçnnen (s. Metaph. XII 7, 1072b4 – 13, vgl. V 5, 1015b9 ff.). Insofern etwas in diesem Sinne – aus sich selbst heraus und nicht durch ein anderes – determiniert ist, verh•lt es sich auch gut (jak_r 1072b10 f.). Die Dinge der sublunaren Natur dagegen schließen die Mçglichkeit ungeregelten Zufalls und substanziellen Nichtseins ein (vgl. XII 10, 1075a16 ff.), und sie sind darum aus einer metaphysischen Perspektive gesehen das vergleichsweise Schlechtere.22 Der Gedanke, daß Gutsein mit Bestimmtsein (¢qisl]mom eWmai) korreliert, findet sich auch in einer von Aristoteles als naturtheoretisch (vusij_r) bezeichneten Argumentation in den Ethiken best•tigt (NE IX 9, 1170a13 ff.; EE VI 12, 1244b21 ff.). In den Kontext des ontologisch-axiologischen Grundprinzips, das hçhere Seins- oder Bestimmtheitsgrade mit wertm•ßiger Priorit•t ver20 Zum Zusammenhang von Potentialit•t und Unbestimmtheit (!|qistom) vgl. etwa Metaph. IV 4, 1007b28 f. 21 Im Hintergrund dieser Sichtweise steht eine bestimmte Auffassung von Sein, die sich schon bei Platon nachweisen l•ßt (vgl. Brown 1986, Szaif 1998, 344 ff.), wonach Sein-schlechthin nie im Sinne eines abstrakten Begriffes von Existenz konzipiert wird, sondern so, daß es immer zugleich auch ein zu bestimmendes Sosein einschließt. In sp•terer scholastischer Terminologie kçnnte man sagen, daß nach dieser Sichtweise Existenz und Essenz bzw. Quiddit•t der Sache nach untrennbar zusammengehçren. Deshalb kann das hçhere Maß an Bestimmtheit (und Erkennbarkeit) als ein hçherer Grad an Sein schlechthin aufgefaßt werden. Da das Streben und Vorziehen sein Objekt vom moOr erh•lt, gilt auch, daß das, was im hçchsten Maße reine Bestimmtheit und noetische Faßbarkeit aufweist, vom reinen Standpunkt eines erkennenden Wesens aus gesehen im hçchsten Maße Objekt des Strebens ist. Man kann vielleicht auch sagen, daß sich in der Verknìpfung von Sein, Bestimmtsein, Erkennbarsein und Erstrebbarsein so etwas wie die (im scholastischen Sinne des Wortes) transzendentale Verknìpfung von em und !cah|m ankìndigt. 22 Bezeichnend ist dabei der in XII 10 vorgenommene Vergleich der Physis des Ganzen bzw. der kosmologischen Ordnung mit einem Haushalt, in dem fìr die hçherstehenden Mitglieder sehr viel striktere Normen gelten als fìr die Sklaven und das Vieh (so Aristoteles), was Aristoteles zugleich auch so deutet, daß die inferioren Mitglieder, in ihrer weniger geregelten Lebensweise, weniger zum Gut der Gemeinschaft (zum joim|m) beitragen. Im Rahmen der Analogie zur kosmischen Ordnung bedeutet dies, daß die sublunaren Wesen weniger zur Gìte der Physis im ganzen beitragen als die Himmelskçrper.

§ 3. Die Korrelation von Sein, Vollkommenheit und Gutsein

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knìpft, gehçrt schließlich auch die These, daß ìberhaupt Sein besser ist als Nichtsein (so etwa in De gen. anim. II 1, 731b30, und De gen. et corr. II 10, 336b27ff ). Im Hintergrund steht der grundlegende aristotelische Gedanke, daß die Potentialit•ten in der Natur auf Verwirklichungen und Vollendungen hin angelegt sind, die jeweils ein Telos bzw. eine Entelechie darstellen und somit unter dem Begriff des Guten stehen. Denn die grundlegende Potentialit•t ist diejenige des Stoffes (vkg), ìberhaupt etwas zu sein (im Sinne substanziellen Subsistierens als ontologisch selbst•ndiges, washeitlich bestimmtes Etwas). Die hier im Ausgang von Metaph. XII 7, 9 und 10 skizzierte naturtheoretisch-metaphysische Verwendung von „!cah|m“ und „jak|m“ in gesamtkosmologischer Perspektive l•ßt sich bei Aristoteles auch außerhalb des Kontexts der Lehre vom unbewegten Beweger nachweisen. In einer Schlìsselpassage in De an. II 4 (und •hnlich auch in De gen. anim. II 1, 731b18 ff.) bringt Aristoteles die Selbsterhaltung der sublunaren natìrlichen Artformen durch das Fortpflanzungsgeschehen in Zusammenhang mit dem Gedanken der Teilhabe an der gçttlichen Ewigkeit.23 Dabei suggerieren zwar Aristoteles’ Wendungen in diesem Passus – er spricht von einem Streben nach Teilhabe und einem dadurch motivierten Tun (pq\tteim) –, daß dieses naturhafte Geschehen von einer bewußten Intentionalit•t getragen wird. Aber dies kann nur eine metaphorische Ausdrucksweise sein, da die Natur der subrationalen Wesen (und auch die vegetative Natur in uns) gerade nicht durch ein rationales Denkvermçgen gesteuert wird. Die v}sir ist zielgerichtet und rational ohne rationale Bewußtheit. Und dieser bewußtseinsunabh•ngige Bezug auf das Gute scheint fìr Aristoteles auch den Bezug auf eine hçhere Seinsweise einzuschließen, insofern die Selbsterhaltung der natìrlichen Arten eben als eine gezielte Approximation an einen ewigen Seinsakt verstanden werden muß. Nun mag diese These eines quasi-intentionalen Bezuges des sublunaren v}sir-Geschehens auf eine hçchste Seinsform als ìberflìssiger Zu23 De an. 415a26-b7: „Die am meisten physishafte Funktion (vusij~tatom t_m 5qcym) bei den Lebewesen … besteht darin, etwas anderes so wie es selbst hervorzubringen, ein Tier ein Tier, eine Pflanze eine Pflanze, (und zwar) damit sie am Ewigen und Gçttlichen teilhaben, so wie sie es vermçgen. Denn alles strebt danach und tut um dessentwillen alles, was es naturgem•ß tut. … Da es nun nicht vermag, in Kontinuit•t am Ewigen und Gçttlichen teilzuhaben, weil kein Verg•ngliches als numerisch ein und dasselbe bestehen bleiben kann, so hat es in der Weise an ihm teil, wie es das vermag, das eine mehr, das andere weniger, und bleibt nicht bestehen als es selbst, sondern als etwas wie es selbst, numerisch nicht eins, aber eidetisch eins.“

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A) Die Begriffe des Guten und Schçnen in der Perspektive der Theo¯ria

satz erscheinen. Aber es ist wohl doch ein fìr Aristoteles wichtiger Aspekt in seiner Deutung des t]wmg-analogen Naturgeschehens. Von diesem Naturgeschehen erweist sich n•mlich unter dieser Perspektive, daß es nicht einfach nur in Artformen aufgesplittert ist, sondern daß diese zugleich in einen gemeinsamen ontologischen Verweisungsbezug und damit in eine Gesamtordnung eingespannt sind.24 In gewisser Weise n•hern wir uns hier einer demiurgischen Kosmologie nach dem Vorbild Platons, der ja (u. a. im Timaios) eine planm•ßige Gesamtordnung in der Natur mit mimetischen Bezìgen des dem Wandel unterworfenen Seienden auf das reine, gçttliche Seiende unterstellt. Nun findet sich die demiurgische Konzeption der Kosmologie zwar durchaus auch bei Aristoteles gelegentlich angedeutet, etwa in dem Kapitel Metaph. XII 10, das das Verh•ltnis zwischen Gott und Kosmos mit der Relation zwischen Feldherr und geordnetem Heer vergleicht – ein Vergleich, der suggeriert, daß die Ordnung des Ganzen ein Resultat der Gestaltung durch das hçchste Wesen ist.25 Gleichwohl ist die systematische Position des Aristoteles doch die, an die Stelle einer demiurgischen Gottheit die v}sir zu setzen. Die demiurgische These l•uft ja darauf hinaus, die Rationalit•t der v}sir auf eine gçttliche t]wmg zurìckzufìhren. Die Pointe des aristotelischen v}sir-Begriffs liegt aber gerade darin, v}sir als ein unterhalb der Ebene bewußter Rationalit•t von sich her rational und teleologisch wirkendes Prinzip einzufìhren. Dies kommt etwa in der Formulierung in Phys. VIII 1 zum Ausdruck, die v}sir sei „bei allem Urheber von Ordnung“ (252a12: „aQt_a p÷sim t\neyr“). Und dem entspricht auch jenes h•ufig gebrauchte Diktum, das die prinzipielle Zweckm•ßigkeit der Natur im Auge hat: Die Natur tue nichts bloß aufs Geratewohl / unnçtig / beliebig („B v}sir oqd³m poie? l\tgm“).26 Obwohl gewisse Formulierungen bei Aristoteles dies nahelegen kçnnen, ist es keineswegs seine systematische Position, die Allnatur zu einer demiurgisch waltenden Gottheit zu personifizieren. Die Pointe ist vielmehr die, daß die natìrlichen Prozesse von sich aus eine Zielgerichtetheit aufweisen, so als ob sie das Wirken einer demiurgischen t]wmg w•ren. Soweit also zu einigen Aspekten der kosmologischen und ontologischen Relevanz des Guten bzw. Telosartigen bei Aristoteles. Die wichtigsten theoretischen Grundlagen sind zun•chst einmal das Schema der vier 24 Vgl. Metaph. XII 10, 1075a18 f.: „pq¹r l³m c±q 4m ûpamta sumt]tajtai, …“ („Denn auf eines hin ist alles zusammengeordnet“). 25 Vgl. etwa auch die Rede vom t•tigen Gott in De gen. et corr. 336b27 ff. 26 Vgl. Bonitz 1870, 836b28 ff.

§ 3. Die Korrelation von Sein, Vollkommenheit und Gutsein

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„Ursachen“ bzw. Typen von Erkl•rungsgrìnden, zu denen das !cah|m qua Telos gehçrt, sowie, in Verbindung damit, die Analyse des selbst•ndigen Dinges in einen Aspekt der Potentialit•t und einen Aspekt der Verwirklichung (1m]qceia) und Vollendung (1mtek]weia), wobei die Vollendung, als das Telosartige, und damit als Form (die ihrerseits noch zu einer zweiten Entelechie von T•tigkeitsweisen aktualisiert werden kann), auch das ,Bessere‘ gegenìber dem Potentiellen und Hyletischen darstellt. Da sich ferner unter den verschiedenen natìrlichen Arten der Vollendungen bzw. Formen eine Abstufung nach Bestimmtheits- und Vollkommenheitsgraden vornehmen l•ßt, erçffnet sich auch die Perspektive fìr die These eines kosmologischen Gesamtzusammenhanges, der durch die Ausrichtung auf ein hçchstes Seiendes, das zugleich einen hçchsten intrinsischen Wert besitzt, gestiftet wird. Nur unter diesen eben genannten Gesichtspunkten wird die Aussage in Metaph. XII 10 voll verst•ndlich, daß „in allem am meisten das Gute Prinzip ist“ 27. Mit Blick auf diese Aspekte der theoretischen Philosophie des Aristoteles kçnnte man erwarten, daß auch die Lehre vom Gut des Menschen sich erstens auf die Artform und die ihr gem•ßen uneingeschr•nkten Bet•tigungen beziehen wird und daß zweitens das Ern•hrungs- und Fortpflanzungsgeschehen der Modus ist, in dem sich die Artform erh•lt und dadurch an der gçttlichen Seinvollkommenheit teilhat. Ersteres ist in gewissem Sinne richtig, auch wenn sich ein entscheidender Unterschied mit Bezug auf die Art und Weise, in der das Telos verwirklicht wird und wie es erkannt wird, ergeben wird. Letzteres ist hingegen in der Perspektive der Ethik nicht relevant, da der Mensch vielmehr in erkennender, kontemplativer T•tigkeit je individuell am Gçttlichen zu partizipieren vermag.

27 Metaph. 1075a37: „ja_toi 1m ûpasi l\kista t¹ !cah¹m !qw^“. – Mit diesen Hinweisen soll nota bene nicht suggeriert werden, daß der Bezug auf das Gute in den ontologischen oder naturtheoretischen Untersuchungen des Aristoteles stets thematisch ist. Abgesehen von den Formen der Zweckm•ßigkeit in der Natur, bei deren Erçrterung gelegentlich auf die Terminologie des Guten rekurriert wird, hat dieser Begriff seinen systematischen Ort vor allem dort, wo es um die Frage der kosmologischen Gesamtordnung und um den Begriff eines hçchsten Wesens und letzten finalen Erkl•rungsgrunds geht. Dies sind Gesichtspunkte, die etwa in Buch VII der Metaphysik kaum ins Spiel kommen.

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A) Die Begriffe des Guten und Schçnen in der Perspektive der Theo¯ria

§ 4. Die Bedeutung des in der Theo¯ria gegebenen Guten und Schçnen fìr die Lebensform der Forschenden Bevor wir uns nun dem Thema des praktischen Guten und praktischen Telos zuwenden, mçchte ich kurz noch darauf eingehen, wie die eben erçrterte naturtheoretische und ontologisch-metaphysische Theorie des telos-artigen Guten fìr Aristoteles’ Theorie der wissenschaftlich-kontemplativen Lebensform, die er fìr die hçchste h•lt, maßgeblich werden kann – nicht als eine praktische Norm, sondern als das Objekt jener T•tigkeit, die dem Menschen, so Aristoteles, die hçchste Erfìllung zu vermitteln vermag. Die selbstzweckhafte T•tigkeit des Erkennens um seiner selbst willen, die nach Aristoteles in einem natìrlichen menschlichen Erkenntnistrieb grìndet (vgl. Metaph. I 1, 980a21 – 27), findet ihre hçchste Erfìllung an jenen Erkenntnisobjekten, die in der Rangordnung des Seienden und Erkennbaren an erster Stelle stehen und zugleich die letzten und umfassendsten Erkl•rungsgrìnde der Wirklichkeit liefern (Metaph. I 2, vgl. VI 1). Diese hçchste Form theoretischen Wissens nennt Aristoteles sov_a. Sie schließt die Erkenntnis der Prinzipien (moOr) und das Wissen aus Beweisen (1pist^lg) ein. Ihr Besonderes gegenìber dem theoretischen Wissen im allgemeinen ist die Bedeutsamkeit ihrer Gegenst•nde: Sie ist das Wissen von den im hçchsten Maße sch•tzenswerten Gegenst•nden (1pist^lg t_m tiliyt\tym NE VI 7, 1141a19 f., b2 f.). Darum kann sie auch nicht die Wissenschaft vom Menschen oder den menschlichen Dingen sein, denn der Mensch ist eben nicht das Beste (%qistom) im Kosmos oder in der Physis (ebd. a21 f., a34-b1). Stattdessen ist sie das Wissen von den Erkl•rungsgrìnden des Ganzen, und damit letztlich auch von der hçchsten Seiendheit, dem besten Wesen ìberhaupt.28 Daraus folgt dann auch, daß die intellektuell-betrachtende T•tigkeit im Sinne der sov_a Vorrang gegenìber dem praktischen Deliberieren in menschlichen Angelegenheiten hat. Jedoch wird dadurch die Trennung zwischen theoretisch-metaphysischer und praktischer Gìterordnung nicht aufgehoben. Die Objekte der Theo¯ria sind keine praktischen Gìter, denn praktisches Gut kann nur etwas sein, was durch menschliche Handlungsentscheidungen zu verwirklichen ist. Auch die Theo¯ria selbst ist ein praktisches Gut, denn sie ist eine menschliche T•tigkeit, die aus einer Handlungsentscheidung hervorgeht. Aber die Gegenst•nde der Theo¯ria, 28 Siehe u. a. Metaph. I 2, 982b8; VI 1, 1026a10 – 32; vgl. auch die etwas unspezifischeren, anscheinend auf die gçttlichen Wesen der supralunaren Physis bezogenen Formulierungen in NE VI 7, 1141a34 ff.; X 7, 1177a15.

§ 4 Die Bedeutung des in der Theo¯ria gegebenen Guten und Schçnen

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allen voran jene hçchsten Wesenheiten der supralunaren Physis und das transphysische Optimum, sind selbstverst•ndlich nicht etwas, das durch menschliches Tun hervorgebracht oder affiziert wird. Obwohl also die Theo¯ria ein praktisches Gut ist und somit in die praktische Gìterordnung gehçrt, empf•ngt sie ihren spezifischen Wert und Vorrang doch aus dem Rang ihrer Objekte, welche keine praktischen Gìter sind. Auf diese Weise setzt das ad•quate Verst•ndnis des Ranges der Theo¯ria als eines praktischen und durch vq|mgsir zu besorgenden Gutes (vgl. NE VI 13, 1145a6 – 11) das Verst•ndnis der theoretischen Gìterordnung voraus. Dies hebt aber den noch zu erl•uternden methodischen Grundsatz der aristotelischen Ethik, wonach die Einsicht in das praktische Gute nie ohne eine entsprechende praktische Erfahrung gesichert werden kann, keineswegs auf. Denn auch den besonderen Rang der Theo¯ria als eines praktischen Gutes kann nur der ad•quat einsch•tzen, der sich in theoretischer Betrachtung der Wirklichkeit geìbt und auf diese Weise praktische Erfahrung mit dem Standpunkt der Theo¯ria gewonnen hat, fìr den charakteristisch ist, daß man in ihm eine nicht durch praktische Bedìrfnisse des Menschen geformte Sicht der Beurteilung und Bewertung des Seienden einnimmt. Die Theo¯ria ist also zuallererst Betrachtung des Bewunderungswìrdigen im supralunaren Bereichs und seines letzten Grundes. Aber auch die Betrachtung der natìrlichen Arten im weniger vollkommenen sublunaren Bereich erschließt intrinsisch wertvolle Strukturen. Besonders pr•gnant wird dies in einem Abschnitt von De part. anim. I 5 (645a7 ff.) formuliert, in dem Aristoteles begrìndet, warum die Naturbetrachtung nicht die gemeinhin als unwìrdig erachteten Lebewesen und Teile von Lebewesen ausschließen sollte. Im Zentrum steht dabei der Begriff nicht des Guten/ Vollkommenen, sondern des Schçnen/Edlen (jak|m), der uns aber auch schon im Zusammenhang mit der Charakterisierung des hçchsten Wesens als eines Objekts der bewundernden Betrachtung in Metaph. XII 7 begegnet ist. Beide Begriffe gehçren hier zusammen, aber der Begriff des jak|m verbindet sich besonders gut mit dem Motiv der bewundernden Betrachtung, um das es hier geht. „Denn auch in den Dingen, die fìr die Wahrnehmung keinen Liebreiz haben, h•lt die gestaltende Natur (dgliouqc^sasa v}sir) dennoch in der Betrachtung (heyq_a) gewaltige Freuden bereit fìr diejenigen, die die Erkl•rungsgrìnde (aQt_ai) zu erkennen vermçgen und eine philosophische Naturanlage haben. … Deshalb soll man die Untersuchung ìber die unwìrdigeren Tiere nicht in kindischer Weise mit Widerwillen aufnehmen. Denn in allem Natìrlichen (vusij\) ist etwas Wunderbares (haulast|m). … Denn daß etwas nicht auf

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A) Die Begriffe des Guten und Schçnen in der Perspektive der Theo¯ria

beliebige Weise (tuw|mtyr) geschieht, sondern zielgerichtet (6mej\ timor), findet sich am meisten in den Werken der Natur. Das t]kor, um dessentwillen sich (jeweils etwas in der Natur) gebildet hat und entstanden ist, nimmt die Stellung des jak|m ein.“ (645a7 – 26)

Die theoretische Einstellung des Naturbetrachters bedeutet also, daß er die innere Zweckm•ßigkeit der „Werke der Natur“ untersucht und betrachtet und sich an ihnen als Realisierungen des jak|m erfreut (s. a. 639b20). Das Schçne und Wunderbare der Natur, so wie es sich dem betrachtenden Verstand erschließt, wird mit dem fìr die Gesichtswahrnehmung unerfreulichen Anblick derselben Dinge kontrastiert. Die „Schçnheit“, um die es hier geht, ist also nicht die eines sinnlichen Anblicks. Vielmehr liegt sie in jener Sinnhaftigkeit der zweckm•ßigen, teleologischen Verweisungsstrukturen im organischen Aufbau der Naturwesen, sowie in der Hinordnung der Physis im ganzen auf ein ontologisches Optimum. Naturwissenschaft ist fìr Aristoteles ein verstehendes Analysieren der Natur am Leitfaden der Techne¯-Analogie, die deren zweck- und damit sinnhafte, quasi demiurgische T•tigkeit im Betrachten nachvollzieht. Eben in dieser Form der Erschließung der Natur durch teleologisches Sinnverstehen liegt der eigentliche Charakter des theoretischen Bezuges auf das !cah|m und jak|m.

B) Aristoteles’ praktischer Begriff einer vollendungsf•higen menschlichen Natur § 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und als Telos menschlicher Entwicklung Da der Mensch eine natìrliche Spezies ist, kçnnte man meinen, daß das Telos des menschlichen Lebens sich ebenso in einer auf Beobachtung beruhenden Beschreibung der natìrlichen Teleologie des Menschen eingrenzen ließe wie bei anderen natìrlichen Arten. Vergegenw•rtigen wir uns kurz, wie man sich die Bestimmung des menschlichen Telos durch die Anwendung einer theoretischen Erkenntnis von der Natur des Menschen denken kçnnte: Nach den naturteleologischen Voraussetzungen ist das Telos einer Art, auf das hin die innere v}sir wirkt, die volle Entfaltung und Erhaltung dieser Artform und die ihr gem•ße Form von T•tigkeit. Man kann darum dieses Telos dadurch erschließen, daß man beobachtet, in welchen zweckm•ßigen Schritten Exemplare dieser Art heranwachsen, was die organische Grundlage der T•tigkeitsform eines voll entfalteten Exemplars dieser Art ist und von welchen Trieben bzw. Triebobjekten es dabei zu welchen T•tigkeitsweisen bewegt wird. Aber beim Menschen ist das Telos auf diese theoretisch-betrachtende Weise gerade nicht zu erschließen, und zwar darum, weil sich die Eupraxie, d. h. die beste menschliche T•tigkeitsform, nicht auf eine rein naturwìchsige Weise herausbilden kann und sich darum auch nicht durch die Beobachtung naturwìchsiger Gegebenheiten auffinden l•ßt. Aristoteles sagt ganz explizit, daß Eupraxie eine Auszeichnung von Praxis und damit eine Leistung menschlicher Handlungswahl ist, in der der einzelne Mensch jeweils selbst Urheber und Prinzip der Handlung ist, nicht eine durch ihn hindurch waltende Artnatur (EE II 6, 1222b15 – 29; NE III 7, 1113b17 – 19, vgl. VI 2, 1139a31 – b5).1 Diese Differenz zwischen der naturhaften Bestimmtheit tierischer T•tigkeiten und der freien und verantwortlichen menschlichen Handlungswahl schafft ìberhaupt erst die Mçglichkeit, daß die Natur des Menschen fìr dessen Handeln normativ werden kann. Denn nur fìr ein Wesen, das ìber das Vermçgen zu ratio1

Vgl. Price 1989, 105 – 108.

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

nalen Handlungsentscheidungen verfìgt, kann es rationale Normen seines Handelns geben. Es wird hier zu verdeutlichen sein, daß Aristoteles in der Tat einen solchen normativen Begriff von der menschlichen Natur hat, der in seiner Ethik eine signifikante Rolle spielt. Er vertritt jedoch nicht eine Sichtweise, gem•ß der dieser normative Naturbegriff sich substanziell aus dem naturhaft Vorgegebenen ableiten ließe. Vielmehr kann, wie noch zu erl•utern sein wird, eine inhaltlich ausgefìllte, konkrete Auffassung davon, was im Falle des Menschen vollendete Natur und das der vollendeten Natur Gem•ße ist, nur in einer spezifisch praktischen Form von Erfahrung und Evidenz manifest werden. Dies ist der entscheidende Punkt der Abgrenzung von einem ethischen Naturalismus, welcher darauf hinauslaufen wìrde, daß man das, was ein gelingendes und erfìlltes menschliches Leben ist, auf naturwissenschaftliche Weise eruieren kçnnte (unter modernen Bedingungen etwa durch eine biologische Evolutions- und Verhaltensforschung). Die Funktion des Ausdrucks „v}sir“ und der damit zusammenh•ngenden adverbialen Wendungen „v}sei“ („von Natur aus“) und „jat± v}sim“ („naturgem•ß“) ist nicht nur in den theoretischen, sondern auch in den ethisch-politischen Pragmatien des Aristoteles vielschichtig, weshalb man jeweils sehr genau darauf achtgeben muß, in welcher Weise von Natur oder dem Natìrlichen und Naturgem•ßen die Rede ist. Zum einen wird Natur verstanden als das einem Menschen von Natur aus mitgegebene Potential, seine Veranlagung, seine anf•nglichen und naturwìchsigen Strebensimpulse. Doch all dies ist nur erst der Ausgangspunkt und gleichsam das Material der Charakterformung. Zum anderen wird das, was Natur des Menschen und das seiner Natur Gem•ße ist, vom Telos seiner Entwicklung her verstanden, so wie Aristoteles ja generell v}sir bei Lebewesen auf deren Telos beziehen kann, entsprechend seinem Grundsatz, daß das, was eine Sache ihrer Natur und ihrem Wesen nach ist, erst dann voll realisiert ist, wenn ihr Entstehen zu einem vollst•ndigen Abschluß gelangt ist.2 2

Diese öquivokation des v}sir-Begriffs in der Spannung zwischen Ausgangs- und Endpunkt einer Entwicklung wird von Aristoteles selbst, im Rahmen seiner ethischen Schriften, in EE II 8, 1224b29 – 35 (vgl. Pol. VII 15, 1334b15 – 17), klar herausgestellt. Eine explizite Formulierung der auf den Zielpunkt bezogenen, teleologischen Variante des v}sir-Begriffs findet sich in Pol. I 2, 1252b31 – 34 („… die Natur ist Telos; denn die Beschaffenheit eines jeden Dinges, dessen Entstehen abgeschlossen ist, bezeichnen wir als ihre Natur, wie etwa die des Menschen, des Pferdes, des Hauses“ [ìbers. nach Schìtrumpf ]).

§ 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und Telos

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Der Begriff des Natìrlichen als des Ausgangpunktes und Materials menschlicher Charakterformung besitzt besondere Signifikanz im Rahmen der p•dagogischen Lehre, die Aristoteles u. a. in NE X 103 aufgreift. Sie unterscheidet drei Faktoren beim Zustandekommen der menschlichen Vortrefflichkeit (!qet^),4 erstens die unter dem Titel der seelischen v}sir eines Menschen zusammengefaßten natìrlichen Veranlagungen und Pr•dispositionen, zweitens Eingewçhnung und drittens Unterricht in der Weise rationaler Wissensvermittlung. Illustriert wird dies unter anderem durch ein schon in der Sophistik und bei Platon anzutreffendes Bild,5 das auch Aristoteles benutzt (NE X 10, 1179b23 – 26): Die seelische v}sir, im Sinne der individuellen natìrlichen Veranlagung, ist gleichsam ein zu bearbeitender Acker, wobei zur Bearbeitung oder Kultivierung im Falle der menschlichen Seele sowohl die Formung der Strebens- bzw. Lust- und Unlustdispositionen durch Eingewçhnung in bestimmte Praxisformen als auch die Vermittlung rationaler Einsicht in das Gute und Richtige gehçren, welche aber immer schon eine homologe Formung der Strebensdispositionen voraussetzt (vgl. NE VI 2, 1139a30 f.). Aus diesem Grund kann Ethik ihre intendierte Wirkung, die menschliche Praxis zu fçrdern, nur dann haben, wenn der betreffende „Hçrer“ durch seine praktischen Habitualisierungen bereits strebensm•ßig bzw. affektiv in einer Weise pr•disponiert ist, daß er den durch allgemeine normative Aussagen und Argumente der Ethik entfalteten Begriff des Guten als ìbereinstimmend mit seiner grundlegenden affektiven Strebensausrichtung erfahren kann. Ohne diese Homologie wìrden die Aussagen ethischer Theorie fìr sein praktisches Deliberieren folgenlos bleiben. Diese Zweistufigkeit der Formung des natìrlichen Potentials (die nicht strikt im Sinne eines zeitlichen Nacheinanders zu verstehen ist) entspricht der Zweiteilung jener seelischen Faktoren, die fìr das Zustandekommen von Praxis die Basis liefern, n•mlich des Vermçgens affektiven Strebens und des Vermçgens rationalen Urteilens und Begrìndens (NE I 13 et passim). Sie ist also in der praktischen Psychologie verankert und durch sie nezessitiert. Wenn die Strebensnatur erst einmal durch bestimmte Habitualisierungen geformt ist, dann wirken diese zwar •hnlich wie natìrliche Pr•dispositionen des Strebens (vgl. NE VII 11, 1152a29 ff.), n•mlich indem 3 4 5

1179b20 ff.; vgl. unter anderem Protagoras fr. 80B3 (Diels-Kranz); Platon Men. 70 A; Aristoteles Pol. VII 13, 1332a38 ff.; 15, 1334b6 ff.; s. a. NE I 10, EE I 1. Vgl. zu diesem Thema Burnyeat 1980. Vgl. Antiphon fr. 87B60 (Diels-Kranz). Zu Platon siehe Szaif 2003.

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

sie unserem Streben eine Ausrichtung geben, die den praktischen Deliberationen vorausgeht und ihnen eine Zielorientierung vorgibt.6 Aber sie sind doch durch Eingewçhnung erworbene Dispositionen und gehen damit letztlich auf Handlungsentscheidungen zurìck. Dies ist ein wesentlicher Gesichtspunkt fìr Aristoteles, um die Verantwortlichkeit des Menschen fìr seine Handlungen, aber auch die praktische Bedeutung ethischer und p•dagogischer Reflexion zu sichern. Aus diesem Grund bezeichnet er Charakterhabitualisierungen auch als das Nicht-Natìrliche und hebt sie dezidiert gegen die natìrlichen Charakterveranlagungen ab, die nicht schuldhaft sein kçnnen (NE II 1, 1103b18 ff., vgl. II 4, 1106a9 f.; III 7, 1114a31 ff.). Dabei ist nota bene vom Nicht-Natìrlichen in der Bedeutung des nicht naturwìchsig Gegebenen die Rede. Soweit zur v}sir als der natìrlichen Charakteranlage, die gleichsam das Material menschlicher Selbstformung ist. Die Verbindung des Begriffs v}sir mit dem, was Vollendungsgestalt des Menschen und seiner Praxis ist, wird in anderen Kontexten greifbar. Genannt werden muß zum einen sein Begriff der natìrlichen Gìter (v}sei !cah\), der von ihm •quivalent mit dem des schlechthin Guten ("pk_r !cah\) und teils auch mit dem des an sich Guten (jah’ art± !cah\) gebraucht wird, weshalb er in Verbindung mit diesen beiden anderen Begriffen erl•utert werden muß. Ich werde auf dieses Thema in Abschnitt II-E zurìckkommen und beschr•nke mich jetzt auf Hinweise zum Verh•ltnis der Begriffe „"pk_r !cah|m“ und „v}sei !cah|m“: Wenn Aristoteles in der Ethik vom „schlechthin Guten“ spricht, so versteht er das Gute im Sinne des Zutr•glichen, genauer: im Sinne des fìr Menschen Zutr•glichen. Wir sprechen hier, mit anderen Worten, von einem schlechthin Guten und Zutr•glichen im Rahmen der Thematik des praktischen Guten, das immer das fìr den Menschen Gute ist. Schlechthin fìr einen Menschen zutr•glich und gut ist das, was fìr einen Menschen als Menschen zutr•glich ist, d. h. zur Verwirklichung des menschlichen Telos beitr•gt.7 Der Gegenbegriff dazu ist das, was „(bloß) fìr irgendeinen Bestimmten gut ist“ (!cah|m timi),8 wobei die Einschr•nkung „fìr irgendeinen Bestimmten“ darauf abzielt, daß es immer nur ein Mensch mit einem Defekt sein kann, fìr den etwas gut ist, was nicht schlechthin gut ist – also 6 7 8

Zur habitualisierten Strebensnatur als der „zweiten Natur“ vgl. McDowell 1995a. Siehe etwa NE VII 12, 1152b2 f., wo es heißt, daß jeweils mit Bezug auf das (menschliche) Telos etwas als schlechthin ìbel oder schlechthin gut bezeichnet wird. Z. B. NE VII 13, 1152b26 f.; V 2, 1129b2 f.; EE VII 2, 1235b30 – 35; Top. III 1, 116b8 – 10.

§ 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und Telos

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ein Mensch, der nicht die teleologische Norm des Menschseins erfìllt. Z. B. kçnnen Armut und Krankheit fìr einen schlechten Menschen zutr•glich sein, weil sie bei ihm die schlechte Praxis hemmen und ihn in diesem Sinne ein vergleichsweise etwas besseres Leben fìhren lassen, w•hrend beim Spoudaios (d. h. beim ethisch vortrefflichen Menschen) Armut und Krankheit die vortreffliche Aktivit•t hemmen wìrden. Da also in der Person des Spoudaios der Maßstab des (fìr Menschen) schlechthin Guten und Zutr•glichen sichtbar wird, sind die entsprechenden Gìter etwas nicht nur fìr ihn, sondern schlechthin Gutes. Aus diesem Grund kann im ìbrigen das Ziel der menschlichen Charakterentwicklung auch so beschrieben werden, daß man versuchen muß, so zu werden, daß das schlechthin Gute auch fìr einen selbst gut und nìtzlich ist (EE VII 2, 1236b32 ff.; NE V 2, 1129b4-6). Denn dann ist man gerade so, wie der Spoudaios ist. Das so verstandene schlechthin Zutr•gliche wird gleichgesetzt mit dem von Natur aus Guten (v}sei !cah\),9 womit in diesem Kontext dezidiert nicht gemeint ist, was die fìr Menschen in einem ursprìnglichen Naturzustand zutr•glichen Gìter w•ren, sondern an alles das gedacht ist, wovon ein Mensch, der durch seine intellektuelle und charakterliche Bildung die menschliche Natur vollendet, einen guten Gebrauch machen kann. Naturgem•ße Gìter kçnnen gerade auch menschliche Kulturprodukte wie das Geld sein, da Naturgem•ßheit hier eben nicht Naturwìchsigkeit meint.10 Das Telos, auf das hin Naturgem•ßheit definiert wird, ist im Falle des Menschen nicht zugleich auch der statistische Normalfall (¢r 1p· t¹ pok}). Denn die richtige intellektuelle und charakterliche Formung weist nur der auf, der von diesen Gìtern um willen einer sittlich edlen Praxis oder zur

9 Zur Verwendung von „v}sei !cah\“ im Sinne des teleologischen v}sir-Begriffs siehe etwa NE IX 9, 1170a14 – 16, 21 f.; sowie EE VII 2 und VIII 3 passim. 10 Der so abgeleitete und mit „"pk_r !cah\“ gleichgesetzte Ausdruck „v}sei !cah\“ kann auch in Abhebung zum prim•r sittlich Wertvollen (jak\) als Bezeichnung spezifisch fìr die •ußeren, sozial „umk•mpften“ Gìter (peqil\wgta !cah\, EE VIII 3, 1248b26 f.; NE IX 8, 1169a20 f.) fungieren (Besitz, ömter, Ehrungen u. dgl.), so in EE VIII 3 und VII 2, 1237b30 ff., 1238a16 ff. (vgl. auch NE V 2 und 10, 1134a32 ff.), wobei ihr Status als „Gìter“ oder „Gutes“ im Hinblick darauf gerechtfertigt wird, daß sie der Praxis derjenigen Menschen, die das eigentliche, vollendete Menschsein darstellen, zutr•glich sind, auch wenn sie die Praxis der Vielen oft nur verschlechtern. Dieser eingeschr•nkte Gebrauch des Ausdrucks „v}sei !cah\“ zur Bezeichnung nicht-seelischer Gìter gilt aber bei Aristoteles nicht durchg•ngig.

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

Ermçglichung von Erkenntnis Gebrauch macht. Dies entspricht aber nicht der Lebenshaltung der Mehrzahl der Menschen.11 Dieser teleologische Bezug geht auch in den Begriff der natìrlichen Freuden bzw. des von Natur aus Erfreulichen ein, welches wiederum dasjenige ist, was wohlverfaßten Menschen Lust und Freude bereitet, und dies sind prim•r nicht jene Freuden, die sich rein naturwìchsig einstellen, sondern diejenigen, die vortreffliche intellektuelle und charakterliche Habitualisierungen voraussetzen (Arete¯) und als solche quasi die subjektive oder erlebnishafte Seite der Eudaimonie darstellen.12 Die These, daß das 11 Es wird des çfteren die Auffassung vertreten, daß fìr Aristoteles die Verwirklichung des menschlichen Telos nicht nur wenigen vorbehalten ist, also nicht sozusagen ein erhabenes und elit•res Ziel darstellt, sondern allen offensteht (vgl. etwa Hçffe 1971/1996), wobei man sich insbesondere auf NE I 10, 1099b18 – 20, beruft. Diese Auffassung ist einerseits richtig, andererseits aber auch korrekturbedìrftig. In dem Kontext der fraglichen Stelle geht es darum, daß Arete¯ nicht ein bloßes Geschenk der Tyche¯ bzw. eines gçttlichen Loses, sondern als Mçglichkeit in der menschlichen Natur verankert ist und damit jedem Menschen, dessen Veranlagung in dieser Hinsicht keinen entscheidenden Defekt aufweist, offensteht. Aber er spricht hier von der prinzipiellen Mçglichkeit, nicht davon, daß die Mehrzahl der Menschen das menschliche Potential tats•chlich in der Weise entfalten und praktisch bet•tigen, wie es dem Spoudaios gem•ß ist. Die vollgìltige Eudaimonie auf der Basis von Arete¯ ist auch fìr Aristoteles etwas Seltenes, und zwar schon allein wegen der Schwierigkeit eines treffsicheren ethischen Urteilsvermçgens (z. B. NE II 9, 1109a29 f., 34). Zudem spielt sehr wohl auch die Tyche¯ eine Rolle, und zwar aufgrund des Einflusses der •ußeren Rahmenbedingungen, die die Aktualisierung von Arete¯ zu pq÷nir jat’ !qet^m in erheblichem Maße fçrdern oder behindern kçnnen (vgl. etwa I 9, 1099a31 ff.; I 11). Daß gem•ß Aristoteles die fìr den vortrefflichen Menschen erforderliche motivationale Einstellung nicht von der Mehrzahl der Menschen geteilt wird, geht eindeutig auch aus den Ausfìhrungen in NE I 3 hervor. – Dies ist ìbrigens ein weiteres Indiz dafìr, daß Natur qua Telos im Falle des Menschen anders zu interpretieren ist als im Bereich des rein naturwìchsigen Geschehens, wo das, was v}sei ist, auch der Normalfall ist (¢r 1p· t¹ pok}). 12 Zur These, daß diejenigen T•tigkeitsformen v}sei Bd]a sind, an denen sich der vortreffliche Mensch erfreut, n•mlich edle Praxis bzw. T•tigkeiten jat’ !qet^m, siehe NE I 9, 1099a11 ff. Diese bezeichnet er auch als das „an sich Erfreuliche“ (jah’ art±r Bde?ai (1099a14 f., 21) oder „schlechthin“ Erfreuliche ("pk_r Bd]a, EE VIII 3, 1249a17 – 21). – Die Rede von den v}sei Bd]a ist bei Aristoteles insgesamt uneinheitlich, zum einen, weil auch die Bedeutung im Sinne des naturwìchsig Erfreulichen nachweisbar ist, zum anderen weil die teleologische Bedeutung sich auch auf leibliche Zust•nde beziehen kann, wie das insbesondere durch den LustTraktat in NE VII belegt wird, in dem der Begriff des Natìrlichen eine besondere Rolle spielt. Dieser nimmt nicht nur die distinkten Freuden des Spoudaios in den Blick, sondern betrachtet allgemeiner dasjenige, worin sich eine naturgem•ße

§ 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und Telos

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den hervorragenden Praxisformen Gem•ße auch das „von Natur aus“ oder schlechthin Erfreuliche sei, h•ngt mit der grundlegenden Auffassung des Aristoteles zusammen, daß es keinen Gegensatz zwischen dem Streben nach einem Leben sittlicher und intellektueller Exzellenz und dem Streben nach einem freudvollen Leben gibt und daß beide Aspekte in der Eudaimonie vereint sind (vgl. EE I 1, 1214a1-8; NE I 9, 1099a21 ff.), jedenfalls sofern man sich dabei auf das bezieht, was von Natur aus und an sich das Erfreuliche fìr einen Menschen ist – d. h. fìr jenen voll entwickelten, vortrefflichen Menschen, in dem menschliche Natur ihre Vollendung erreicht. (Ein Beispiel hierfìr sind die edlen Handlungsweisen sittlicher Arete¯, an denen der Spoudaios sich erfreut.) So wie man sagen kann, daß der vortreffliche Mensch derjenige ist, fìr den das schlechthin oder von Natur aus Zutr•gliche zutr•glich ist, kann man darum auch sagen, daß der vortreffliche Mensch derjenige ist, fìr den das schlechthin oder von Natur aus Erfreuliche erfreulich ist.13 Es hieße die aristotelische Pointe dieser Gleichsetzung auf den Kopf stellen, wollte man sie quasi in kynischer Manier so deuten, daß der wohl verfaßte Mensch derjenige ist, der nichts anderes braucht und gebraucht als das, was den ursprìnglichen, vor-kulturellen und insofern natìrlichen Bedìrfnissen gem•ß ist. Viel eher entspricht es der aristotelischen Position in der Gìterlehre, daß naturgem•ß dasjenige ist, was den Bedìrfnissen oder Strebungen des Kulturmenschen entgegenkommt, weil die menschliche Natur ihre teleologische Bestimmung nur durch Formen individueller und sozialer Kultivierung ihres Potentials realisieren kann. Der teleologische Begriff des Natìrlichen beim Menschen ist auch wirksam, wenn Aristoteles von der Natìrlichkeit oder Naturgem•ßheit des Politischen beim Menschen spricht, im Sinne seiner berìhmten Formel vom Menschen als v}sei pokitij¹m f`om (Pol. I 2, 1253a2 f.; III 6,

Verfassung bet•tigt, als solches, was nicht bloß akzidentell, sondern „an sich“ und „von Natur aus“ Freude oder Lust ist. Dies schließt auch den Bereich sinnlicher Freuden ein, bei denen Naturgem•ßheit sich auf den leiblichen Zustand bezieht (z. B. VII 13, 1152b33 ff.). Fìr die Eudaimonie sind aber auch nach der Lehre dieses Traktates nicht die „leiblichen“, sondern jene „hçheren“ Freuden ausschlaggebend, die eine gelungene seelische Formung voraussetzen. Siehe auch EE VII 2, 1235b30 – 1236a7. 13 Siehe etwa NE IX 9, 1170a14 ff., wo auch die öquivalenz des so verstandenen von Natur aus Erfreulichen mit dem schlechthin Guten explizit wird (vgl. auch EE VIII 3, 1249a18 f.).

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

1278b17 ff.).14 Ausgangspunkt der Vergemeinschaftung sind zwar verschiedene Aspekte eines naturwìchsigen Vergemeinschaftungsimpulses. Die Polis-Ordnung ist aber kein naturwìchsiges Gebilde, da sich staatsbìrgerliche Gemeinschaft nur durch die gemeinsame Verst•ndigung ìber die Zielsetzungen und die bindenden Maßst•be des Handelns herausbilden kann (Pol. I 2, 1253a7 – 18)15, als Produkt und Form einer gemeinsamen Praxis. Staatsbìrgerliche Gemeinschaft ist die Vollendung der freien menschlichen Selbstgestaltung unter ihrem gemeinschaftlichen Aspekt, u. a. weil sie diejenige Form der Vergemeinschaftung mit anderen ist, in der individuelle Vortrefflichkeit und die Rolle, die der einzelne beim Zustandekommen des Gemeingutes hat, miteinander harmonieren kçnnen. Sie kann natìrlich sein nur in einem praktisch-teleologischen Sinne von 14 Vgl. Schìtrumpf 1991, 208 f., der den hier relevanten Sinn des Natìrlichen u. a. mit dem Passus in NE VIII 14, 1162a16 – 19, kontrastiert, wo es heißt, daß der Mensch von Natur aus eher paarbildend als staatsbildend sei, wobei aus der Begrìndung hervorgeht, daß Aristoteles an die unmittelbaren natìrlichen Bedìrfnisse und Triebe denkt. Dies ist genau jener anderer Sinn des Natìrlichen im Sinne des Naturwìchsigen, gem•ß dem die Familie in hçherem Maße etwas Natìrliches ist als das Gemeinwesen, w•hrend aus der Perspektive des teleologischen Naturbegriffs, der fìr Pol. I 2 maßgeblich ist, umgekehrt das Gemeinwesen in hçherem Maße das Naturgem•ße ist als die Familie. (Ob in NE I 5, 1097b8 – 11, und IX 9, 1169b16 – 22, eher im Sinne von Pol. I 2 oder von NE VIII 14 von der auf Vergemeinschaftung und Staatsbildung bezogenen Natur des Menschen die Rede ist, mag hier dahingestellt bleiben.) – Verfehlt erscheint mir die Tendenz in der im ìbrigen sehr verdienstvollen Studie von W. Kullmann (1998), die Aristolische Politik, und damit auch seine praktische Philosophie insgesamt, unter Verweis auf den teleologischen v}sir-Begriff und den Gebrauch des Begriffs „pokitij|m“ in biologischen Schriften in Kontinuit•t zu den biologischen Schriften zu setzen (334 ff.). Zwar weiß natìrlich auch Kullmann (vgl. 414), daß die naturwìchsigen Tendenzen nur erst der Ausgangspunkt menschlicher Selbstgestaltung sind, die sich die Vollendung des menschlichen Potentials als Aufgabe vorsetzt (Kultur), nur scheint er mir nicht hinreichend zu wìrdigen, daß eben darin der Grund fìr die prinzipielle Kluft zwischen theoretischer Naturwissenschaft und praktischer Philosophie bei Aristoteles liegt. Denn gerade aus diesem Grund kann das, was vollendete v}sir beim Menschen ist, nicht in einer naturtheoretischen Betrachtung erschlossen werden. 15 Die Pointe der in dieser Passage hergestellten Verbindung des spezifisch politischen Charakters des Menschen mit seiner Sprachbegabtheit liegt gerade darin, daß Sprache eine Verst•ndigung ìber das gemeinsame Recht und gemeinsame Zielsetzungen im Sinne des Gemeinwohls ermçglicht. Erst die sprachlich vermittelte ›bereinstimmung in der Konzeption des Rechten und Guten (= Zutr•glichen) bringe „Familie und Polis hervor“, wie es dort heißt, wobei die Polis noch sehr viel mehr als die Familie ein Produkt der freien gemeinschaftlichen Verst•ndigung ist.

§ 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und Telos

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menschlicher v}sir,16 der die vollendete Natur des Menschen als eine Aufgabe und Leistung seiner verantwortlichen Selbstgestaltung betrachtet. Wenn ich hier von einem praktisch-teleologischen Begriff der Natur spreche, so geschieht dies mit Blick darauf, daß die zu verwirklichende Natur des Menschen eine Aufgabe seiner Praxis und nicht ein vorgegebenes naturwìchsiges Geschehen ist. Diesem speziellen Naturbegriff entspricht das Selbstverst•ndnis der Ethik als einer Wissenschaft vom Menschen als eines Wesens, das Urheber von Praxis ist und sich durch die Wahl seiner Praxis bzw. Lebensform in gewisser Weise selbst „definiert“.17 Dieser letztere, in NE IX 12, 1172a1 f.,18 angedeutete Gedanke der „Selbstdefinition“ durch die Lebenswahl h•ngt begrifflich damit zusammen, daß Leben qua T•tigkeitsform die „zweite Entelechie“ der Substanzform ist, mit der das in der Wesensbestimmung Angelegte zur vollen Aktualisierung gebracht wird. Der Begriff der zweiten Vollendung im T•tigsein hat zwar seine Anwendung auch bei Pflanzen und Tieren. Aber erst beim Menschen 16 Die Vorstellung eines natìrlichen Endpunktes der (nicht durch die Natur selbst besorgten) Entwicklung auch der menschlichen Institutionen exemplifiziert eindrucksvoll auch eine Stelle in der Poetik (4, 1449a14 f.), an der Aristoteles davon spricht, daß die Ver•nderungen der Tragçdie (d. h. ihrer Auffìhrungsform u. dgl.) aufhçrten, sobald die Tragçdie „ihre v}sir“ erreicht hatte – d. h. die ihrem Wesen (und d. h. in diesem Fall: ihrer Funktion) gem•ße Vollendungsgestalt. Selbstverst•ndlich unterstellt Aristoteles damit nicht, daß die Tragçdienform sich naturwìchsig bis zu ihrer Vollendungsgestalt entwickelt hat. 17 Siehe hierzu auch Price 1989, 105 – 108. 18 Die Formulierung: „was fìr einen jeden das Sein ist“ (f pot’ 1st·m 2j\stoir t¹ eWmai), die in ihrem griechischen Wortlaut eindeutig eine Formel zur Bezeichnung definitorischen Seins ist, wird hier explikativ erg•nzt durch eine Formulierung, bei der es um den leitenden Wert geht, auf den hin die Lebensgestaltung entsprechend der gew•hlten Lebenweise ausgerichtet ist und dessen Realisierung das Leben fìr den Betreffenden lebenswert macht („um wessentwillen sie das Leben w•hlen“, ox w\qim aRqoOmtai t¹ f/m, vgl. insbesondere EE I 5), z. B. sinnliche Freuden, ethisch wertvolle Handlungen oder theoretische Erkenntnisse: Indem der Betreffende sein Leben auf eine bestimmte solche T•tigkeitsform hin ausrichtet, die der zentrale Wert seines Lebens ist (vgl. NE I 1, 1094a18 – 26; EE I 2; VIII 3, 1249a21 ff.), definiert er quasi fìr sich selbst sein Leben und Dasein durch diese bestimmte T•tigkeitsform. – Vgl. auch die Analyse der aristotelischen Konzeption menschlicher „Selbstgestaltung“ (sich selbst die Gestalt bzw. „Form“ geben) in Mìller 1982, wobei Mìller allerdings nicht von der hier angefìhrten Passage Gebrauch macht. Die Selbstformung kann beim Menschen aus prinzipiellen Grìnden (fìr Aristoteles ist das Eidos eines Menschen, anders als das Qd_yr poi|m der Stoiker, zwar numerisch, aber nicht qualitativ individuiert) nicht das Eidos im engeren Sinne, sondern nur dessen Aktualisierungsform im Sinne der zweiten Entelechie zum Gegenstand haben.

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

ist es so, daß die Art und Weise der Aktualisierung seines Wesens dem freien w•hlenden Sich-Verhalten anheimgestellt ist und somit den Charakter von Selbstbestimmung hat. Das praktische Wissen im Verbund mit den Charakterhabitualisierungen tritt dabei gleichsam an die Stelle der sich selbst besorgenden, autopoietischen Natur, indem es die Verantwortung fìr das ìbernimmt, was Natur des Menschen als Vollendungsgestalt ist. Man muß sich allerdings fragen, warum Aristoteles ìberhaupt noch vom Natìrlichen mit Bezug auf die praktischen Vollendungsgestalten spricht, wenn diese doch gerade nicht das durch Natur Vorgegebene sind. Man kann sich den entscheidenden Unterschied gegenìber der Situation bei subrationalen Lebewesen auch so verdeutlichen: In Aristoteles’ naturtheoretischem v}sir-Begriff gibt es, wie wir es formuliert haben, eine Art Spannungsbogen zwischen v}sir als immanentem, zielgerichtetem Wirkprinzip, das sich im Fall des Menschen unter anderem in den naturwìchsigen Strebensimpulsen zeigt, und v}sir als der vollendeten und in artgem•ßer T•tigkeit sich manifestierenden Artform. Im Falle subrationaler natìrlicher Arten aktualisiert sich das natìrliche Potential auf rein naturwìchsige Weise zu einer voll ausgebildeten funktionalen Gestalt und ihr gem•ßen T•tigkeit. Auch beim Menschen gibt es entsprechend der aristotelischen Begrifflichkeit diesen Spannungsbogen von natìrlichem Potential und natìrlichen Strebensimpulsen auf der einen Seite und vollendeter Natur auf der anderen, nur daß der Prozeß, der vom einen zum anderen Pol fìhrt, nicht mehr als ein naturwìchsiger begriffen werden kann.19 Er ist nicht naturwìchsig, aber gleichwohl doch naturgem•ß, n•mlich sofern er die Natur des Menschen im teleologischen Sinne des Wortes verwirklicht. Vorausgesetzt ist dabei aber, daß es beim Menschen ìberhaupt noch sinnvoll ist, auch mit Bezug auf den Vollendungszustand von v}sir zu sprechen, obwohl dieser Vollendungszustand nicht von Natur aus zustande kommt. Worin kann fìr Aristoteles die Berechtigung dieser Ausdrucksweise liegen? V}sir ist jedenfalls immer etwas Unbeliebiges – das ist sozusagen eine Minimalbestimmung von v}sir. Wenn das Telos der menschlichen Selbstgestaltung mit dem Begriff der v}sir des Menschen 19 Es ist ein Verdienst von Ritter 1977, diese Sachverhalt in aller wìnschenswerten Deutlichkeit herausgestellt zu haben (z. B. 127). S. a. Schìtrumpf 1991, 206 f., 208 f., 217 f.; Annas 1993, 142 ff. Relevant in diesem Zusammenhang sind auch die Ausfìhrungen Gadamers (1960/1986, 321 ff.) zur Frage, warum die Phrone¯sis nicht ein quasi-technisches Wissen der Selbsthervorbringung nach einem vorgegebenen Modell sein kann.

§ 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und Telos

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verknìpft wird, so beinhaltet dies, daß das so verstandene praktische Gute nicht ein Produkt willkìrlicher Selbstbestimmung des Menschen im Rahmen seiner Mçglichkeiten ist: Der Mensch kann sich in seiner Lebenswahl, durch die er sein eigenes Dasein (im Sinne der Entelechie zweiter Stufe) bestimmt, verfehlen, n•mlich indem er nicht eine Lebensform w•hlt, die dem ad•quat ist, was die besten Mçglichkeiten seines natìrlichen Potentials qua Mensch sind. In dieser Differenz des Verfehlenkçnnens der besten Mçglichkeiten, die in dem natìrlichen Potential angelegt sind, liegt in aristotelischer Perspektive bereits ein wesentlicher Grund dafìr, daß auch beim Menschen von Natur qua Vollendungszustand gesprochen werden kann. Da diese teleologische Natur des Menschen durch ihn nur in seiner freien Praxis zu realisieren ist, muß die so verstandene Natur fìr ihn auch den Charakter einer Norm seines prudentiellen Deliberierens haben – vorausgesetzt es l•ßt sich zeigen, daß Vollendung der besten im eigenen Potential angelegten Mçglichkeiten auch etwas ist, das der Mensch natìrlicherweise als sein Gut erfaßt (vgl. unten, §§ 10-11). Kommen wir noch einmal auf die zu Beginn dieses Paragraphen bereits angedeuteten Konsequenzen dieses Verst•ndnisses vollendeter menschlicher Natur fìr die Frage der Erkenntnis des hçchsten praktischen Gutes zurìck. Da im Falle der menschlichen Natur die Vollendung nicht auf natìrlich-autopoietischem Wege durch diese Natur selbst besorgt wird, sondern eine praktische Aufgabe des Menschen ist, die auch nur in eher seltenen F•llen voll verwirklicht wird, l•ßt sich das Telos, wie erw•hnt, nicht durch Beobachtung des Typischen und Naturwìchsigen in der Entwicklung und Entfaltung von Exemplaren der menschlichen Spezies erschließen.20 Da ferner die natìrlichen Potentiale und Grundstrebungen 20 Zwar reklamiert Aristoteles auch fìr Aussagen der Ethik eine Geltung ¢r 1p· t¹ pok} (NE I 1, 1094b 21). Aber man muß diese Geltung, jedenfalls im Rahmen der Gìterlehre, auf den Typus des ethisch vortrefflichen Menschen beziehen. Zum Beispiel ist gem•ß Aristoteles Reichtum ein (instrumentelles) Gut. Gleichwohl ist Reichtum fìr die Mehrzahl der Menschen objektiv kein Gut, weil sie von Reichtum keinen rechten Gebrauch zu machen verstehen. Die Aussage, daß Reichtum ein Gut ist, gilt vom Menschen darum nur insofern, als man den ethisch vollendeten Menschen in den Blick nimmt, der statistisch eine Ausnahmeerscheinung ist, auch wenn er normativ als Prototyp des Menschseins fungiert. Aber auch mit dieser Pr•zisierung gilt die fragliche Aussage nur ¢r 1p· t¹ pok}, weil es auch dem vortrefflichen Menschen widerfahren kann, daß der Reichtum ihm schadet (z. B. wenn er wegen seines Geldes umgebracht wird). – Eine andere Bedeutung hat das ¢r 1p· t¹ pok}, wenn es um Regeln der Gerechtigkeit geht, die in einem Gemeinwesen von allen zu beachten sind, aber auch situationsbezogene Ausnahmen zulassen.

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

des Menschen erst durch die Vollendungsformen voll erkannt werden kçnnen – denn erst durch diese tritt ja zutage, wovon sie Potentiale sind bzw. was diese Strebungen erfìllt21 –, ist auch die Erkenntnis der menschlichen Natur qua Potential nicht allein aus der Beobachtung des naturwìchsig Gegebenen zu gewinnen. Gleichwohl haben laut Aristoteles auch und gerade die Aussagen der Ethik eine Erfahrungsgrundlage. Den Platz, der in der Biologie der naturkundlichen Beobachtung zukommt, nimmt in der Ethik die Binnenperspektive der lebenspraktischen Erfahrung vortrefflicher Menschen ein, denen sich, auf der Grundlage richtiger Verhaltenshabitualisierungen (1hislo_), die vortrefflichen und erfìllten Praxisformen, mitsamt den ihnen eigentìmlichen Wertbezìgen, als das praktische Gut des Menschen erschließen.22 Erst diese Menschen verfìgen verl•ßlich ìber die richtigen ethischen Urteilsintentionen, die der Ausgangspunkt der angemessenen ethischen Verallgemeinerungen sind.23 Dementsprechend ist es ein methodisches Prinzip der aristotelischen Ethik, daß ethische Reflexion nicht ohne Lebenserfahrung und Charaktergìte24 erfolgreich betrieben werden kçnne. Diese Erfahrung des Guten in unserer Lebenspraxis, aus der in Verbindung mit der richtigen Charakterformung praktische Weisheit bzw. lebenspraktische Klugheit (vq|mgsir) erw•chst, unterscheidet sich von der Erfahrung des Naturkundlers prinzipiell dadurch, daß wir in ihr nicht eine reine Beobachterhaltung einnehmen kçnnen, da es uns immer schon um das Gelingen bzw. die Gìte von Lebenspraxis geht. Darum unterscheidet sie sich auch von ,technischer‘ Erfahrung. Denn w•hrend bei einer Techne¯ Selbstbezìglichkeit nur akzidentell ist (z. B. wenn der Arzt sich selber heilt), sind die Phrone¯sis und die in sie eingehende Erfahrung wesentlich in jenen selbstbezìglichen Zielbezug eingespannt, von dem wir uns nicht distanzieren kçnnen, solange wir ìberhaupt noch aktiv und ìberlegt unser Leben gestalten. Mit dem Gesichtspunkt der notwendigen Erfahrungsgrundlage fìr die ethischen Aussagen steht auch die methodische Forderung in Zusam21 Das allgemeine Prinzip hierzu (die Priorit•t der Aktualisierung vor der Potenz auch in epistemologischer Hinsicht) wird in Metaph. IX 8, 1049b12 – 17 formuliert. 22 Vgl. NE VI 9, 1142a11 – 20; s. a. VI 12, 1143b11 – 14; I 1, 1095a2 – 4; Metaph. I 1, 981a12 – 30. 23 Vgl. NE I 7, 1098a34 – b4; VI 9, 1142a11 – 20, 23 – 30; 12, 1143a25 ff.; s. a. I 1, 1095a2 – 4; 2, 1095a30 – b8. – Den Zusammenhang von Erfahrung und Phrone¯sis sucht Elm, 1996 zu durchleuchten; s. a. Hçffe, 1971/1996, 74 ff. 24 Vgl. NE I 1, 1095a4 – 11; 2, 1095b4 – 6.

§ 5. Menschliche Natur als Entwicklungspotential und Telos

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menhang, daß die Ethik in kritisch-konstruktiver Form die anerkannten bzw. respektablen Vormeinungen (vaim|lema, 5mdona) aufgreifen mìsse.25 Grundlage dieser Forderung ist n•mlich die (letztlich auf sokratische Annahmen zurìckgehende) Auffassung, daß diese Vormeinungen und Urteilsintuitionen immer schon gewisse Teilwahrheiten enthalten, die von Einseitigkeiten und Mißverst•ndnissen bereinigt und in einer alle Teilaspekte der Wahrheit berìcksichtigenden ad•quaten Theorie integriert werden mìssen.26 Wenn man sich fragt, warum diese Vormeinungen bereits Teilwahrheiten enthalten, so kann man nur darauf verweisen, daß sich in ihnen bereits, wenn auch zumeist auf noch unklare Weise, lebenspraktische Erfahrung artikuliert, die Erfahrung des fìr den Menschen Guten ist. Weil nach Aristoteles’ Auffassung die Erschließung der begrifflichen und sachlichen Grundlagen praktischer Wahrheit auf diese lebenspraktische Binnenperspektive angewiesen ist, gehçrt zu seinen methodischen Prinzipien auch die These, daß der Wahrheitserweis von Theoremen der Ethik nie allein auf deduktivem Wege durch Hinfìhrung auf und Ableitung aus hçheren Prinzipien geleistet werden kann. Den deduktiven Beweisen aus Prinzipien muß der Ethiker mißtrauen, wenn sich diese Konklusionen nicht auch durch die kritisch-argumentative Analyse der respektablen Vormeinungen bew•hren lassen (EE I 6, 1216b 35 – 1217a 17). Zum praktisch-teleologischen Begriff von der menschlichen Natur gehçrt also nicht nur der Gesichtspunkt, daß die volle Realisierung dieser Natur die Aufgabe menschlicher Praxis ist und nicht naturwìchsigen Prozessen ìberlassen werden kann, sondern dieser Begriff hat auch eine epistemologische Seite, da die kognitive Erschließung dieses Telos auf einer spezifisch praxisvermittelten Form von Erfahrung aufbaut. Der kognitive Gewinn aus dieser ,internen‘ (oder praxis-immanenten) Perspektive auf das praktische Gute kann prinzipiell nicht durch Resultate einer ,externen‘ Zugangsweise, die mit Pr•missen und Argumenten einer (im aristotelischen Sinne) ,naturwissenschaftlichen‘ Teleologie operiert, kompensiert werden. Die praktische Philosophie und ihr formales Erkenntnisobjekt 25 Vgl. EE I 6, 1216b26 – 35; 1217a10 – 17; VII 2, 1235b13 – 18; NE VII 1, 1145b2 – 7; s. a. I 9, 1098b27 – 29; 2, 1095a28 – 30; VI 12, 1143b11 – 14. Zum Begriff der 5mdona vgl. Top. I 1, 100b21 – 23; 10, 104a8 – 12. – Zur erkenntnismethodischen Funktion des Begriffs der vaim|lema vgl. u. a. Owen 1961 (grundlegend); Barnes 1980; Nussbaum 1986, 240 ff.; zum Begriff 5mdonom vgl. Barnes 1980, 498 ff.; s. a. Smith 1993, 343 ff., Rapp 2002, I, 257 ff. 26 Vgl. EE I 6, 1216b30 – 35; s. a. NE I 9, 1098b27 – 29; Rhet. I 1, 1355a15 – 18.

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

(das praktische Gute) sind somit auch methodisch gegenìber dem Untersuchungsbereich naturkundlicher Theo¯ria eindeutig abgegrenzt. Die Wahrheit praktisch-ethischer Erkenntnis kann nicht allein durch Anwendung objektiver metaphysischer und naturkundlicher Einsichten ausgewiesen werden.

§ 6. Universalismus und Partikularismus in Aristoteles’ Theorie der besten Lebensformen Den Gedanken, daß das natìrliche Potential einen Rahmen fìr die Mçglichkeiten gelingender Entfaltung vorgibt, kçnnte man aus der modernen Perspektive so verstehen, daß es um eine innerhalb der natìrlichen, entwicklungsf•higen Mçglichkeiten freie Selbstgestaltung geht, fìr deren Gelingen oder Mißlingen es keine anderen Kriterien geben kann als erstens die Koh•renz der eigenen Lebensplanung und Lebensfìhrung und zweitens die Angemessenheit an die realen Mçglichkeiten, wie sie durch das eigene Potential und die •ußeren Bedingungen gegeben sind. Nun sind dies zwar durchaus bereits „schwergewichtige“ Kriterien des Gelingens, welche aber doch einen sehr weiten Spielraum fìr gleichwertige alternative Lebensentwìrfe offen lassen. Diese Art von Pluralismus scheint aber nicht die Auffassung des Aristoteles zu sein, da er vielmehr nur zwei Lebensformen als w•hlenswert auszeichnet, von denen dann eine den Vorrang genießt, die beste zu sein. Daß es in seiner Konzeption ìberhaupt eine Pluralit•t von zwei vortrefflichen Lebensformen gibt, grìndet darin, daß er zwei irreduzible Aspekte der menschlichen Natur ansetzt, denen zwei Formen t•tiger Vollendung entsprechen (vgl. insbs. NE X 8). Die menschliche Natur ist n•mlich gem•ß Aristoteles erstens dadurch charakterisiert, daß der Mensch eine Synthese aus einem leiblichen und einem seelischen Prinzip ist. Dies schließt, kurz gesagt, eine affektive Strebensnatur ein, die sich mit praktischer Rationalit•t verbinden muß und in der auch unser sozialer Handlungsbezug grìndet. Gem•ß diesem Aspekt liegt Vollendung der menschlichen Natur in den richtigen Habitualisierungen der Strebensdispositionen in Verbindung mit praktischer Klugheit oder Weisheit sowie in einer dem gem•ßen T•tigkeit. Die hçchste Form t•tiger Erfìllung liegt dabei in der Ausìbung politischer Leitungsfunktionen, durch die der betreffende seine Charaktervorzìge und praktische Weisheit in den Dienst des Gemeinwesens stellen kann. Menschliche Natur ist zweitens auch durch den in gewisser Weise als separat gegenìber dem Leib aufzufassenden

§ 6. Universalismus und Partikularismus in Aristoteles’ Theorie

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Intellekt (moOr) charakterisiert, der in den Ethiken auch als das Gçttliche im Menschen bezeichnet wird.27 Er findet seine t•tige Vollendung in der Theo¯ria des Kosmos und der letzten und umfassenden Erkl•rungsgrìnde der Wirklichkeit. Fìr Aristoteles ist dies die philosophisch-wissenschaftliche Lebensform. Dieser Doppelaspektivit•t der menschlichen Natur entspricht also die doppelte Auspr•gung der besten menschlichen Lebensform. Dabei ist es jeweils nur eine Daseinsweise, die je einem Grundaspekt des natìrlichen Potentials als Weise vollendeter Natur entspricht, nicht eine offene Pluralit•t. Diese beiden Daseinsweisen werden dann in einem weiteren Schritt so gegeneinander hierarchisiert, daß der Vollendung des noetischen Aspektes der eindeutige Vorrang zukommt gegenìber der Vollendung des im engeren Sinne praktischen Aspektes des Menschseins mit seinen konstitutiven Elementen der Leiblichkeit, Affektivit•t und Sozialit•t. Die intellektuell-wissenschaftliche Lebensform schließt zwar die Anwendung ethischer Tugenden mit ein (NE X 8, 1178b5-7), da auch ein solcher Mensch zugleich ein leibliches, affektives und soziales Wesen ist, definiert aber die von ihr erstrebte Form der Eudaimonie nicht als sittlich-politisches T•tigsein. Es zeigt sich nicht nur in der Theorie der besten Lebensform, sondern auch in der speziellen Tugendlehre (deren Erçrterung der Einzeltugenden fìr beide Lebensentwìrfe, den intellektuell-kontemplativen und den praktisch-politischen, relevant ist), daß Aristoteles keinen genuinen Pluralismus vertritt. Denn es ist keineswegs so, daß Aristoteles in seiner Tugendlehre der Mçglichkeit einer Pluralit•t gleichwertiger sittlicher Ethosformen Rechnung tragen wìrde. Vielmehr scheint er sich auf ein recht konkret beschriebenes Ethos festzulegen, wie deutlich zum Beispiel aus seinem Traktat ìber die Hochgesinntheit (lecakoxuw_a) hervorgeht (NE IV 7 – 9, EE III 5), also jener Tugend, von der er sagt, daß sie auf allen anderen ethischen Tugenden aufbaut und sie gleichsam vollendet. Und zwar wird diese Tugend von ihm einerseits ganz allgemein als das angemessene Bewußtsein des Spoudaios von der eigenen ethischen Dignit•t definiert. Es wird dann aber diese Gestalt in so konkreter Weise veranschaulicht, daß man zu dem Schluß gelangen muß, daß sich Aristoteles an einem ganz bestimmten Verhaltenstypus und kulturellen Kontext als idealer Norm orientiert. öhnliches kann man etwa auch ìber seine Beschreibung der Tugenden der Freigebigkeit (1keuheqi|tgr) und der Ma27 NE X 7, 1177a15 f., b26 ff.; 8, 1178b7 ff.; 9, 1179a22 ff.; vgl. EE VIII 3, 1249a21 ff.

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gnifizenz (lecakopq]peia) sagen. Des weiteren gilt auch fìr seinen Tugendkanon im ganzen, daß er in seiner Auswahl und Akzentuierung selbstverst•ndlich die historisch bedingte Bevorzugung einer bestimmten Lebenshaltung widerspiegelt, die Aristoteles als die schlechthin beste aufgefaßt zu haben scheint. Es ist also nicht nur so, daß Aristoteles sich auf nur zwei Formen exzellenter Lebensentwìrfe festlegt, von denen der eine Vorrang vor dem anderen hat, sondern er grenzt auch die sittliche, durch die ethischen Tugenden definierte Seite exzellenten Lebens auf eine konkrete Ethosform ein. Dabei kann man ihm, was seine Pr•ferenz fìr eine bestimmte Kulturund Ethosform betrifft, sicher nicht einfach Naivit•t unterstellen, da die Unterschiedlichkeit der Sitten und Traditionen in den verschiedenen L•ndern und Kulturkreisen zu seiner Zeit l•ngst schon ein Gemeinplatz war (wie wir etwa aus Herodot wissen). Es ist jedoch auch nicht so, daß Aristoteles seinen Tugendkanon systematisch abzuleiten versucht, so wie dies bei der Platonischen Lehre von den Kardinaltugenden in der Politeia der Fall ist. Er unternimmt nicht den Versuch, die einzelnen Tugenden und ihren normativen Gehalt aus den natìrlichen Vermçgen und Strebensimpulsen in systematischer Weise abzuleiten.28 Er vertritt andererseits auch nicht die These der bloßen Relativit•t der kulturell bedingten Auffassungen vom sittlich Edlen und Rechten. Eher ist es so, daß er unterstellt, daß das ethisch Wertvolle (jak|m) in der Geschichte der menschlichen Selbstgestaltung zur Erfahrung gebracht wird, und zwar dort, wo die Kulturentwicklung ihren besten Gang nimmt, was seiner Annahme nach gerade in jenem Kulturraum geschieht, dem er selbst angehçrt. Dabei kann auch die h•ufig ge•ußerte Vorstellung, daß die aristotelische Ethik noch ganz in der Welt der Polis und ihrem partikularistischen Ethos befangen sei, weshalb man von ihr keine universalistische Argumentation hinsichtlich der Normen ethisch richtigen Verhaltens erwarten kçnne, nicht wirklich befriedigen. Im Anschluß an die sokratische Kritik (z. B. Kriton 49D, Politeia I 331D-336A) an den im traditionellen Ethos akzeptierten Vorstellungen darìber, wie man sich verhalten solle, ist ein naives Vertrauen in die Richtigkeit der tradierten Polisethik nicht mehr mçglich. Man beachte auch, daß etwa Aristoteles’ Pr•ferenz fìr den phi28 Der Versuch von Nussbaum 1993, eine solche Ableitung fìr den historischen Aristoteles zu rekonstruieren, ist nur sehr begrenzt erfolgreich. Zu beachten ist auch, daß der formale Begriff der Tugend als einer „Mitte mit Bezug auf uns“ keine Schlußfolgerungen zum konkreten normativen Gehalt einzelner Tugenden ermçglicht.

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losophisch-wissenschaftlichen Lebensentwurf durchaus nicht den hergebrachten Vorstellungen seiner Zeit von einem vortrefflichen Leben entspricht. Zu der ìblichen Auffassung des Gutes, das der politisch T•tige anstrebt, hat er ebenfalls Kritisches zu bemerken (z. B. in NE I 3). Es ist zwar richtig, daß er die Polis als die beste Form menschlicher Vergemeinschaftung betrachtet, jedoch tut er dies auf der Grundlage einer philosophischen Theorie, der zufolge eine politische Partizipationsgemeinschaft und wirtschaftliche Organisationsform freier, gleichberechtigter Bìrger, die ihren Mitgliedern die Muße fìr intrinsisch wertvolle T•tigkeiten gew•hrt, der teleologische Zielpunkt der Entwicklung menschlicher Vergemeinschaftungsformen ist. Im Hintergrund steht die Frage, was fìr den Menschen als solchen die beste individuelle Lebensform und die beste soziale Organisationsform ist. In diesem Sinne ist Aristoteles’ Ethik also durchaus nicht partikularistisch. Warum dann also die Verankerung seiner Tugendlehre in einem ganz bestimmten kulturellen Erfahrungshorizont? Man kann darauf hinweisen, daß die spezielle Tugendlehre aus der Binnenperspektive der Erfahrung des ethisch Wertvollen erfolgen muß, da nach Aristoteles Ableitungen aus abstrakten Prinzipien in der Ethik nicht sehr weit tragen und konkretes ethisches Verst•ndnis erfahrungsvermittelt sein muß (vgl. oben, § 5). Diese Aussage w•re damit vereinbar, daß Aristoteles seinen Tugendkanon nur als eine exemplarische Analyse pr•sentiert, neben die gleichwertig alternative Entwìrfe von sittlichem Selbstverst•ndnis treten kçnnten. Eine moderne Rezeption der aristotelischen Ethik wird seine spezielle Tugendlehre sicherlich in diesem Sinne aufzunehmen versuchen. Aber wir fragen uns hier, was Aristoteles’ eigene Sichtweise war, so wie sie in seinen Ethiken greifbar wird. Da sich bei Aristoteles keine Hinweise auf eine solche Relativierung des Tugendkanons finden, bleibt meines Erachtens nur die Antwort, daß Aristoteles sich an seinem (griechisch gepr•gten) ethisch-kulturellen Erfahrungshorizont orientiert, und zwar nicht bloß gleichsam unversehens oder naiverweise, sondern weil er ihn fìr den universal maßgebenden h•lt.29 29 Graecozentrismus begegnet auch bei anderen Autoren der klassischen Zeit in unterschiedlichen Variationen, vgl. etwa Platon, Rep. 470E; Isokrates, Paneg. 50. Platon verwirft zwar in Polit. 262C – E die Einteilung des Menschengeschlechtes in Hellenen und Barbaren als unwissenschaftlich, aber dies hindert ihn nicht daran, von ihr unter anderem in politischen Kontexten Gebrauch zu machen und seiner „philhellenischen“ Einstellung wie in Rep. 470E Ausdruck zu verleihen. Fìr Aristoteles siehe auch z. B. Pol. I 2, 1252b5 – 9.

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In diesem Zusammenhang mìssen wir uns auch seine geschichtsphilosophischen Ans•tze vergegenw•rtigen, zu denen eine Kulturentwicklungslehre gehçrt. Aristoteles geht von der Annahme aus, daß menschliche Kompetenzen und menschliches Wissen immer wieder von neuem entwickelt und erschlossen werden mìssen. Sie h•ngt mit der zyklischen Geschichtsvorstellung zusammen, die unvermeidlich ist, wenn man einerseits wie Aristoteles die Ewigkeit der Welt und der natìrlichen Spezies, einschließlich der menschlichen Spezies, behauptet, andererseits aber den offensichtlichen Tatsachen menschlicher Kulturentwicklung Rechnung tragen will.30 Menschliche Kulturentwicklung muß unter diesen Voraussetzungen ein Prozeß des Immer-Wieder-Neu-Anfangens sein, dem Katastrophen, die zu Kulturzerstçrung fìhren, vorausgehen. Dabei entwickelt sich aber nach Aristoteles’ Vorstellung nicht jeweils etwas g•nzlich anderes, sondern es werden, wenigstens im Kern, immer wieder die gleichen Kompetenzen und Wahrheiten erschlossen.31 In dieser Vorstellung manifestiert sich so etwas wie ein teleologischer Optimismus des Aristoteles – daß die Entwicklung des Menschen, wenn die natìrlichen Anlagen gut und ausgewogen sind und der „gerade“ Verlauf der Entwicklung nicht durch Stçrfaktoren behindert wird (vgl. EE II 8, 1224b32 f.), schrittweise auf den Zielpunkt der Vollendung des rationalen menschlichen Potentials zul•uft. Allerdings kann Aristoteles nicht konsistenterweise der Auffassung sein, daß die jeweils analoge Kulturentwicklung in jedem Kulturzyklus durch die Physis selbst besorgt wird, da der Mensch sein Telos vielmehr durch seine 30 Aristoteles steht terminologisch noch nicht der objektivierende Begriff von Geschichte zur Verfìgung: „Geschichte“ als Inbegriff dessen, was die Geschichtserz•hlungen darzustellen und zu strukturieren versuchen. Aber das bedeutet nicht, daß er fìr die Dimension des Geschichtlichen blind ist. Vielmehr lebt er in einer Zeit, die bereits auf eine Tradition historiographischer Literatur zurìckblicken kann (Herodot, Thukydides), die neben der Darstellung von Ereignisgeschichte auch das Interesse an der menschlichen Kulturentwicklung widerspiegelt. Außerdem gibt es natìrlich die noch •ltere Tradition der zun•chst im mythologischen Gewande daherkommenden Entwicklungslehren menschlicher Kultur, bzw. menschlicher t]wmg und d_jg. Daß Aristoteles die spezifische Form des Zusammenlebens freier Bìrger in einer Polis, welches fìr ihn der bestmçgliche soziale Kontext ist, als Produkt realer historischer (und nicht nur idealtypischer) Entwicklung erkennt, sieht man etwa an seinen Hinweisen darauf, daß die Entwicklung nicht ìberall bis zur Stufe der Polis-Ordnung vorgedrungen sei und in anderen geographischen Gebieten noch Gemeinschaftsformen vorherrschen, die in Griechenland durch die Polis abgelçst worden sind (z. B. Pol. I 2, 1252b19 – 27). 31 Siehe De cael. 270b16 – 25; Meteor. I 3, 339b27 f.; Metaph. XII 8, 1074a38 – b14; Pol. VII, 10, 1329b25 – 35; vgl. Jaeger 1923, 131.

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Praxis realisieren muß, Urheber seiner Praxis aber der Mensch selbst und nicht eine ihn steuernde Physis ist. Dies schließt jedoch nicht aus, daß zun•chst die elementaren leiblichen und sozialen Bedìrfnisse (wqe_a) des Menschen seiner Entwicklung eine Richtung geben und daß, wenn die Ebene elementarer Bedìrfnisbefriedigung erreicht ist, auch die hçheren Aspekte des menschlichen Lebens, entsprechend seinen Potentialen und den mit ihnen zusammenh•ngenden Strebedispositionen, zur Entfaltung kommen.32 Daß dabei die sachlichen Notwendigkeiten im Falle der elementaren Bedìrfnisbefriedigung fìr im Kern analoge Auspr•gungen menschlicher Technik- und Rechtsformen sorgen, und daß auch das theoretische Wissen aufgrund der vorgegebenen Natur des zu Erkennenden jeweils zu •hnlichen Resultaten fìhrt, ist noch vergleichsweise leicht nachzuvollziehen. Problematischer ist dies fìr den Bereich der Ethosformen, weshalb wir uns ja jetzt auch fragen, warum Aristoteles anscheinend voraussetzt, daß sie teleologisch auf eine bestimmte beste Ethosform zulaufen und daß dabei dem kulturellen Kontext der griechischen Polis die Rolle eines privilegierten Standpunktes zukommt. Ich glaube nicht, daß es auf diese Frage eine wirklich befriedigende Antwort geben kann. Um aber wenigstens so etwas wie eine aristotelische Teilantwort zu rekonstruieren, kçnnen wir auf die folgenden zwei Gesichtspunkte verweisen. Erstens ist festzuhalten, daß die griechischen Stadtstaaten, ob nun demokratisch oder oligarchisch verfaßt, dem Aristotelischen Ideal eines Gemeinwesens freier landbesitzender (und sklavenhaltender) Bìrger sehr viel n•her kommen als die politisch-sozialen Organisationsformen unter den benachbarten Vçlkern. Aristoteles fìhrt seine Ethik als Teil der Politik im umfassenden Sinne ein (NE I 1, 1094a24-b11, 1095a2 f.), da der Staatsmann eine Vorstellung davon haben muss, worin das gute menschliche Leben und die ihm dienenden Tugenden bestehen. Aristoteles’ praktische Philosophie bzw. ,Politik‘ beginnt mit einer Glìcks- und Tugendlehre und endet (in Pol. VII-VIII) mit einer (unvollst•ndig gebliebenen) Idealstaatslehre. Es ist anzunehmen, daß die Tugenden, die Aristoteles in den zwei Fassungen seiner Tugendtraktate beschreibt, im Grundsatz auch die Tugenden jener geistig und politisch t•tigen Bìrger und Landbesitzer seines Idealstaates sind. Man sollte darum Aristoteles zugestehen, daß seine Theorie von der Vollendung der sozialen Organisationsform des Menschen in einem republikanischen Idealstaat, der eine Gemeinschaft freier Staatsbìrger ist, auch hinsichtlich der akzeptablen 32 Vgl. Metaph. I 1; Pol. VII 10, 1329b27 ff.

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B) Aristoteles’ praktischer Begriff der menschlichen Natur

individuellen Ethosformen gleichsam als eine einschr•nkende Bedingung wirkt: Nicht jeder Entwurf eines Tugendkanons paßt zu einer solchen Gemeinschaft der rechtlich Freien und Gleichen. Zweitens ist darauf hinzuweisen, daß Aristoteles in Pol. VII 7 eine klimatisch-geographische Erkl•rung dafìr zu geben versucht, warum gerade Griechenland der Ort ist, an dem die politische und sittliche Kulturentwicklung ihren relativ besten Verlauf nimmt. Angeblich seien die ausgewogenen klimatischen Bedingungen Griechenlands, die mit seiner geographischen Mittellage zusammenh•ngen, der Grund fìr die ausgewogenen natìrlichen seelischen Pr•dispositionen seiner Bewohner. Im Hintergrund steht dabei die These vom Zusammenhang zwischen den klimatischen Bedingungen und dem natìrlich vorgegebenen Charakterpotential. Gem•ß einer schon von Platon vertretenen Theorie,33 an die Aristoteles hier im wesentlichen anknìpft, setzt die beste Entwicklung eines Menschen ein ausgewogenes Potential voraus, wobei es vor allem auf den Ausgleich zwischen dem Aggressions- oder Selbstbehauptungspotential und der Veranlagung zu einer besonnenen, dem Denken und der Vergemeinschaftung fçrderlichen Haltung geht. Die praktische Wahrheit, die sich auf der Ebene des kollektiven Zusammenlebens in einer Verfassung realisiert, welche durch die partizipatorische Rolle des freien Staatsbìrgers die Selbstbehauptungstendenz mit der Vergemeinschaftungstendenz unter geteilten Wert- und Rechtsvorstellungen zum Einklang bringt, setzt darum eine Ausgewogenheit der natìrlichen Pr•dispositionen voraus. Halten wir auch fest, daß sich laut Aristoteles aus gìnstigen natìrlichen Pr•dispositionen kein naturwìchsiger Automatismus ergibt – weder bei Individuen noch im Kollektiv. Vielmehr bringt zwar die Ausgewogenheit der Pr•dispositionen in einer Gemeinschaft deren Entwicklung gleichsam auf die richtige Bahn, deren Vollendung bleibt aber gleichwohl eine Aufgabe der kollektiven menschlichen Selbstgestaltung, die ihr naturgem•ßes Ziel, die Verwirklichung einer selbstbestimmten politischen Partizipationsgemeinschaft, die mit dem Selbstverst•ndnis sittlich-praktischer Lebensentwìrfe kongruiert und zugleich den intellektuellen Bet•tigungen Raum gibt, auch verfehlen kann.

33 Vgl. Platon Rep. 375C, 410B – 412A, 503B – D, 535AB, Tht. 144AB, Plt. 306Eff., Legg. 731BC, 773Aff.

C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes im Spannungsfeld von objektiver Teleologie und subjektiven Handlungsgrìnden § 7. Bemerkungen zur Funktion der objektiv-teleologischen Argumentation von NE I 6 Aristoteles entwickelt im Rahmen seiner Erçrterung des hçchsten menschlichen Gutes eine Definition der Eudaimonie, fìr die eine Art von deduktiver Begrìndung gegeben wird, die sich auf die objektive Teleologie des Menschen qua Menschen bezieht (NE I 6, EE II 1). Wie vertr•gt sich dies mit der hier vertretenen These, daß fìr Aristoteles der Inhalt von Eudaimonie nicht etwas theoretisch Ableitbares, sondern erst in der Geschichte menschlicher Praxis sich Manifestierendes und erfahrbar Werdendes ist? Nun kann man zwar zurecht darauf verweisen, daß die fragliche Definitionsformel nur ein allgemeines Schema liefert, das noch der inhaltlichen Ausfìllung bedarf.1 Gleichwohl schr•nkt dieses Schema den Spielraum fìr mçgliche inhaltliche Konkretisierungen ein, und man muß darum untersuchen, was dies begrìndungstheoretisch fìr den Begriff des praktischen Guten bedeutet. Der These der Abh•ngigkeit der aristotelischen Theorie des praktischen Guten von einer „metaphysischen Biologie“2

1

2

Vgl. die Aussage, mit der unmittelbar anschließend an die Argumentation in NE I 6 die Vorstellung artikuliert wird, daß diese definitorische Grundlegung nur den Charakter einer „Umrißzeichnung“ des hçchsten menschlichen Gutes hat, die der weiteren Ausfìllung bedìrfe, die durch Erfahrung zu bewerkstelligen sei (vgl. zum Begriff des „Grundriß-Charakters“ der Ethik Hçffe 1971/1996 und 1979). Allerdings meint Aristoteles nicht, daß die Ethik zum Inhalt des guten Lebens nicht mehr sagen kçnne, als was in der Definitionsformel von I 6 ausgesprochen wird. Dies ist ein „Umriß“ auf einer sehr hohen Allgemeinheitsstufe, der durch Analysen in den Tugend- und Freundschaftstraktaten konkreter wird. Gleichwohl bleibt die Ethik auch nach solchen partiellen „Ausfìllungen“ immer noch umrißhaft und produziert nicht ein festes Regelwissen, das nur noch quasi mechanisch auf die Einzelf•lle angewendet zu werden br•uchte, um die Vollgestalt eines guten Lebens zu erzielen (vgl. II 2, 1103b34 – 1104a11). So MacIntyre 1985, 148; s. a. Irwin 1980, Kullmann 1998, 334 ff.; kritisch Gill 1990b, Nussbaum, 1988 und 1995, Roche 1988, Schìtrumpf 1991, 102 ff. Zur

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

ist ja insbesondere mit Blick auf die Begrìndung der Definitionsformel in NE I 6 ge•ußert worden, die in einem ersten Teilschritt die Frage nach der besonderen T•tigkeitsform der Spezies Mensch in Abhebung zu Pflanzen und Tieren stellt (1097b33 ff.). Betrachten wir also diese Definitionsformel und ihre Begrìndung etwas n•her. Die aristotelische Formel fìr die grundrißhafte Bestimmung der menschlichen Eudaimonie kommt nicht immer im exakt gleichen Wortlaut vor. Aber sozusagen als gemeinsamen Nenner kann man die Formulierung betrachten, gem•ß der die Eudaimonie T•tigkeit der Seele gem•ß der vollkommenen Tugend in einem vollst•ndigen Leben“ ist (xuw/r 1m]qceia jat’ !qetµm teke_am 1m b_\ teke_\). Statt von der vollkommenen kann auch von der vollkommensten (besten, hçchstrangigen) Tugend gesprochen werden.3 Außerdem kann noch hinzugefìgt werden, daß die Bet•tigung der Tugend mit •ußeren Hilfsmitteln hinl•nglich „ausgestattet“ (jewoqgcgl]mg) sein muß.4 Diese Definitionsformel kçnnte auch als eine formale Charakterisierung des Gedeihens jeglicher biologischer Lebewesens gebraucht werden, wenn man den allgemeinsten Sinn der Begriffe „xuw^“ und „!qet^“ in Rechnung stellt, gem•ß dem die xuw^ Lebensprinzip und Inbegriff der Vermçgen ist, die die spezifische Lebensform eines Wesens ausmachen, !qet^ hingegen die gute Verfaßtheit von etwas, durch die dieses bef•higt ist, seine spezifische Funktion oder T•tigkeit in guter Weise auszuìben. Da es sich um eine Definition der als Eupraxie zu realisierenden Eudaimonie handelt, muß die xuw/r 1m]qceia, um die es in der Ethik geht, zwar auf den mit Rationalit•t verbundenen Bereich eingegrenzt werden. Denn Praxis im Sinne der Ethik l•ßt sich nur als 1m]qceia von rationalen oder mit Rationalit•t verbundenen Vermçgen denken und schließt nicht die naturwìchsigen vegetativen Vorg•nge im menschlichen Kçrper mit ein. Gleichwohl muß man sich fragen, ob es sich hier nicht einfach um die Anwendung eines ontologisch-naturteleologischen Schemas auf den Be-

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Frage des „naturalistischen“ Charakters des ergon-Argumentes vgl. auch GûmezLobo, 1991; Wolf, 2002, 37 ff. Vgl. u. a. EE II 1, 1219a38 f.; NE I 6 1098a16 – 18; I 11, 1101a14 – 16; I 13, 1102a5 f. Die Stelle in NE I 6 qualifiziert die eudaimonische xuw/r 1m]qceia durch den Zusatz jat’ !qet^m und fìgt dann hinzu, daß, wenn es mehrere !qeta_ gibt, der Zusatz lauten sollte: jat± tµm !q_stgm ja· tekeiot\tgm. In I 11 und I 13 heißt es dagegen: jat’ !qetµm teke_am, und ebenso an der genannten Stelle in EE II 1. Dieses in NE I 8-11 eingefìhrte zus•tzliche Definitionselement der Eudaimonie (11, 1101a14 – 16; s. a. X 7, 1177a27-b1; 8, 1178a23 – 34; 9, 1178b33 – 79a17) wird in der Politik best•tigt: vgl. Pol. VII 1, 1323b40 – 24a2; 13, 1331b41 – 32a1.

§ 7. Zur Funktion der objektiv-teleologischen Argumentation

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griff glìckender menschlicher Praxis handelt. Die Tatsache, daß Aristoteles in NE I 6 auf den Gesichtspunkt rekurriert, was spezifisch die den Menschen von Tieren unterscheidende Leistung oder T•tigkeitsform ist, scheint eher dafìr zu sprechen. Vergegenw•rtigen wir uns kurz dieses berìhmte, aber auch notorisch fragwìrdige Argument. In der Fassung der NE wird bekanntlich zuerst die These eingefìhrt, daß in F•llen, wo etwas eine spezifische Leistung oder Funktion (5qcom) hat, der Begriff der eigentìmlichen Exzellenz (t¹ !cah¹m ja· t¹ ew) mit dem Begriff dieser Leistung oder Funktion zusammenh•nge (1097b25 – 27). Lit Hilfe eines Analogieschlusses wird dann die Pr•misse gerechtfertigt, daß so, wie ein Beruf (Schuster, Zimmermann) oder ein Organ (Auge, Hand, Fuß) jeweils eine spezifische Funktion, Leistung oder T•tigkeit haben, es sich auch im Falle des Menschen als solchen verhalten muß (b28 – 33). Im zweiten Teil der Argumentation wird dann mit Hilfe von anthropologischen Pr•missen deduziert, was die eigentìmliche Funktion oder Bestimmung des Menschen ist. Der Begriff der Leistung oder Funktion (5qcom) impliziert dabei nicht, daß der Mensch als solcher von Natur aus einem außerhalb seiner selbst liegenden Ziel diene. Vielmehr wird das 5qcom als eine Form von 1m]qceia spezifiziert, die (qua Eudaimonie) in sich selbst das Ziel sein muß. Die Frage nach dem 5qcom des Menschen wird von Aristoteles mit der Frage nach seiner spezifischen Lebensfunktion oder Lebensleistung, die ihn von den Pflanzen und Tieren unterscheidet, gleichgesetzt. Das spezifisch Menschliche sei die Praxis des Menschen als eines vernunftbegabten Wesens, bzw. die Bet•tigung des rationalen Vermçgens im Menschen (pqajtij^ tir [fyµ] toO k|com 5womtor, 1098a3). Hierin will er nicht nur das rationale Vermçgen im eigentlichen Sinne, sondern auch das affektive Strebevermçgen eingeschlossen wissen, da dieses aufgrund des kognitiven Gehalts der Strebungen und Affekte von sich her in einem Verh•ltnis zur Rationalit•t steht.5 Leben mìsse dabei im Sinne von 1m]qceia, T•tigkeit, und nicht als bloßes Am-Leben-Sein verstanden werden. Dies ist aber noch keine vollst•ndige Angabe des Telos, da T•tigkeit in besserer oder schlechterer Weise vollzogen werden kann. Weil eine Form 5

1098a4: „¢r 1pipeih³r k|c\“ – Aristoteles drìckt hier sehr pr•gnant aus, was er ausfìhrlicher in I 13, 1102a26 ff., erl•utert. Entscheidend ist, daß das affektive Strebevermçgen von sich her eine Beeinflußbarkeit durch den k|cor aufweist, also nicht a-rational ist. Im ìbrigen ist Rationalit•t unter ihrem Aspekt als praktischdeliberative Rationalit•t auch von sich her auf das Streben und die Affekte hingeordnet, da sie jeweils nur in Verbindung mit dem affektiven Streben praktisch wird (vgl. EE II 1, 1219b26 – 1220a4; NE VI 2 und 13).

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

von T•tigkeit dann gut vollzogen wird, wenn sie „gem•ß der eigentìmlichen !qet^ (Exzellenz, Tauglichkeit)“ (a11, 15) vollzogen wird, muß auch das Telos des Menschen die Form einer 1m]qceia jat’ !qet^m haben (a16 f.) Auch dies ist wiederum noch nicht die vollst•ndige Definition, auf die Aristoteles zusteuert – ich werde auf die Elemente der vollst•ndigen Definitionsformel gleich noch zurìckkommen. Aber jedenfalls haben wir an diesem Punkt das wesentliche Ergebnis dieses teleologischen Argumentes erreicht, welches lautet, daß das Telos des Menschen qua Menschen eine vortreffliche T•tigkeit bzw. Praxis auf Grundlage der vortrefflichen Verfaßtheit seiner rationalen oder zur Rationalit•t in Beziehung stehenden Vermçgen ist. Nun beinhaltet dieses Ergebnis imgrunde nicht mehr, als daß der Mensch qua Mensch eine naturgem•ße Bestimmung zu Rationalit•t und rationalit•tskonformer Praxis hat, deren bestmçgliche Realisierung aufgrund der handlungspsychologischen Gegebenheiten beim Menschen neben den kognitiven auch appetitive Tugenden voraussetzt. Der argumentativ fragwìrdige Punkt liegt in der impliziten These, daß das, was sich in anthropologisch-naturtheoretischer Perspektive als das Telos von Exemplaren der Spezies Mensch darstellt, zugleich auch dasjenige ist, was ein einzelner Mensch je fìr sein eigenes Leben vernìnftigerweise als den Zielpunkt seiner Lebenspraxis w•hlen sollte (im Sinne eines prudentiellen Imperativs), da dieses Telos den objektiv richtigen Inhalt menschlicher Eudaimonie spezifiziere. Dabei muß man zwischen der Frage, ob es ìberhaupt objektive Kriterien des Gut-Lebens gibt, und der Frage, ob es ein fìr alle Menschen qua Menschen gìltiges Kriterium gibt, unterscheiden. Aristoteles kann sich darauf berufen, daß der, der fìr sich das Beste erstrebt, aufgrund der eigentìmlichen Wahrheitsintention der praktischen Rationalit•t fìr sich das wahrhaft Beste erstrebt. Fraglich ist dann aber, ob daß, was fìr ein menschliches Individuum das wahrhaft Beste und darum in der praktischen Selbstsorge eigentlich immer schon Intendierte ist, mit dem, was aus naturteleologischer Perspektive das Telos des Menschen qua Menschen ist, gleichgesetzt werden darf. Nun kann fìr Aristoteles, wie ich in § 5 gezeigt habe, die konkrete Ausgestaltung dessen, was das fìr Menschen Beste ist, jedenfalls nicht aus den Beobachtungen natìrlicher Potentiale und Entwicklungstendenzen beim Menschen abgeleitet werden. Und der Gedanke, daß das menschliche Telos in einer besten Form von Praxis auf der Grundlage der dies ermçglichenden Formungen unserer kognitiven und appetitiven Vermçgen liege, ist ja in der Tat noch inhaltlich weitgehend unbestimmt. Dennoch ist diese These einer natìrlichen Bestimmung des Menschen zu rationali-

§ 7. Zur Funktion der objektiv-teleologischen Argumentation

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t•tskonformer Praxis keineswegs harmlos. Denn es ist gerade der naturteleologische Rekurs auf die Eigentìmlichkeit menschlichen Lebens im Unterschied zu tierischem Leben, was den Eindruck erweckt, Aristoteles’ Ethik wìrde von seiner „metaphysischen Biologie“ abh•ngen. Wir mìssen uns darum die Frage stellen, welchen Stellenwert dieses Argument fìr die Grundlegung der aristotelischen Ethik des guten Lebens tats•chlich besitzt. Hierzu ist erstens zu bemerken, daß eine genauere Betrachtung durchaus noch andere Begrìndungsgesichtspunkte der aristotelische Definitionsformel ans Licht bringt. Die Argumentationslage ist insgesamt komplexer, als es die isolierte Betrachtung von NE I 6 erscheinen l•ßt. Unser Durchgang durch die einzelnen Elemente der aristotelischen TelosFormel im n•chsten Paragraphen wird dies veranschaulichen. Vor allem aber muß man die Stellung dieses objektiv-teleologischen Arguments im Lichte von Aristoteles’ prinzipiellen methodischen ›berlegungen bewerten. Es sei in Erinnerung gerufen (vgl. oben, § 5), daß Aristoteles der Auffassung ist, daß deduktive Argumentation in der Ethik nicht fìr sich allein stehen kçnnen. Nur solchen deduktiv plausibilisierten Thesen sei zu trauen, die sich auch durch die Analyse der Vormeinungen (5mdona, vaim|lema, kec|lema) untermauern lassen,6 wobei in diese Vormeinungen jeweils auch praktische Erfahrung eingeflossen ist.7 Es gibt fìr die aristotelische Ethik kein fundamentum inconcussum, aus dem sich sichere Resultate gewinnen lassen, die den Ethiker unabh•ngig machen vom Rekurs auf die Vormeinungen und die durch praktische Erfahrung vermittelten Intuitionen. Deduktive Herleitungen kçnnen trotz ihrer immanenten Schlìssigkeit durch die Einseitigkeit der Perspektive (d. h. durch unzul•ssige Vereinfachung einer komplexeren Sachlage) zu falschen Ergebnissen fìhren, oder auch fìr richtige Thesen die falschen Begrìndungen geben (EE I 6, 1216b35 – 17a17). Die Sicherung des Daß (d. h. der Wahrheit der Thesen) kann darum nie auf die Prìfung der Vormeinungen und Intuitionen verzichten. Dabei l•uft das methodische Ausgang-Nehmen von und Sich-Rìckbeziehen auf die 5mdona und die in ihnen enthaltenen Teilwahrheiten keineswegs auf den Standpunkt einer bloßen Common sense-Ethik hinaus.8 Erstens mìssen als 5mdona und vaim|lema nicht nur solche Vormeinungen berìcksichtigt werden, die von den meisten oder allen Menschen akzeptiert 6 7 8

Vgl. die oben, I-B, § 5, Anm. 25 zitierten Stellen. Vgl. etwa Elm 1996, 83. Vgl. hierzu und ebenso zu der Frage der Bedeutung des Ausdrucks „5mdona“ wie zur Frage ihres Wahrheitsgehaltes insbesondere Barnes 1980.

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werden, sondern auch die Auffassungen, die von Personen mit besonderer Kompetenz (sovo_) vertreten worden sind, wozu selbstverst•ndlich auch die Auffassungen anderer ernstzunehmender Philosophen gehçren (Top. I 1, 100b21 – 23; NE I 2, 1095a28 – 30; I 9, 1098b27 – 29). Sowohl in dem, was sich als allgemeine Ansicht durchsetzt, als auch in den besonders durchdachten oder auf einer besonderen, ausgewiesenen Handlungskompetenz beruhenden Auffassungen ist ein auf praktischer Erfahrung beruhendes Element der praktischen Wahrheit enthalten, welches nicht durch abstrakte deduktive Argumentationen ausgehebelt werden kann.9 Der philosophische Analyseprozeß setzt an bei den Vormeinungen und Vorbegriffen (welche sich teils auch in sprachlichen Aussageformen niederschlagen), gewinnt durch das Aufspìren ihrer Gegens•tzlichkeiten und Unklarheiten seine leitenden Fragestellungen (!poq_ai)10 und erreicht sein Ziel, wenn es ihm gelingt, Antworten auf die Probleme zu finden, die eine in sich stimmige Theorie ergeben, die es erlaubt, die Prinzipien der fraglichen Untersuchungsmaterie klar herauszustellen, die wesentlichen Sachverhalte und Begrifflichkeiten verst•ndlich zu machen, das Moment der Wahrheit an den verschiedenen Vormeinungen zu identifizieren und die scheinbaren oder wirklichen Ungereimtheiten in den Vormeinungen zu erkl•ren. Im Ergebnis bedeutet dies fìr die ethische Theorie, daß sie keineswegs einfach nur verbreitete ethische Auffassungen in einer philosophisch aufbereiteten Form wiederholt. Tats•chlich weicht Aristoteles in vielen Einzelpunkten von den verbreiteten Auffassungen ab. Ein Beispiel dafìr, wo dies ausdrìcklich geschieht, ist die Frage der Finalisierung eines den praktisch-politischen T•tigkeiten gewidmeten Lebens. Normalerweise ist (in Aristoteles’ Zeit) das leitende Ziel derjenigen Menschen, die diesen Lebensweg w•hlen und sich als pokitijo_ hervortun, die Ehre. Aristoteles zeigt aber (NE I 3, 1095b22 – 96a4), daß dies nicht die richtige Einstellung sein kann, wobei er dies unter anderem aus bestimmten Implikationen der Haltung dieser Personen selbst entwickelt. Und zwar weist er darauf hin (b26 ff.), daß diese die Ehrungen eigentlich darum suchen, weil sie sich 9 Diese Methode wendet Aristoteles nicht nur im Bereich der Ethik an (vgl. Owen 1961), doch ich beschr•nke mich hier auf die Anwendung im Bereich der Ethik. In jedem Fall muß die Art der Erfahrung und der Genese des Vorverst•ndnisses im naturkundlichen und metaphysischen Bereich eine andere sein als bei den Begriffen der Praxis. Zu den methodischen Grundschritten „tih]mai t± vaim|lema“, „diapoqe?m“ und „deijm}mai“ vgl. Owen 1961, Barnes 1980. 10 Vgl. EE I 4, 1215a3 ff.: „1pe· d’ eQs·m !poq_ai peq· 2j\stgm pqaclate_am oQje?ai, d/kom fti ja· peq· b_ou toO jqat_stou ja· fy/r t/r !q_stgr eQs_m“.

§ 7. Zur Funktion der objektiv-teleologischen Argumentation

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ihrer eigenen Vortrefflichkeit (Arete¯) durch die Anerkennung anderer versichern wollen, wobei sie die Anerkennung vonseiten der Verst•ndigen vorziehen. Da aber die Verst•ndigen Anerkennung nur mit Blick auf die Arete¯ zollen, mìßten auch sie selbst konsequenterweise die Arete¯ (und nicht die Anerkennung durch jene anderen) als das leitende Gut betrachten. – So in etwa l•ßt sich also aus der Haltung dieser pokitijo_ selbst entwickeln, daß das wahre Gut des politischen Bios die Arete¯ ist, oder noch richtiger die Bet•tigung der Arete¯, wie sich mit Hilfe weiterer vaim|lema zeigen l•ßt (b31 ff.). Auf diese Weise kann man (und dies ist eben auch ein ursprìnglicher Gedanke der sokratischen Dialektik) im Ausgang von den Vormeinungen und zugrundeliegenden Einstellungen diese selbst korrigieren und zu ihrer Wahrheit hinfìhren (EE I 6, 1216b32 – 35). Dank dieser dialektisch-kritischen Hermeneutik der Vormeinungen bleibt der aristotelische Ansatz also nicht an der Positivit•t der Vormeinungen haften.11 Welche Konsequenzen haben diese methodologischen Hinweise fìr die Stellung des teleologischen Argumentes in NE I 6, mit dem eine inhaltliche Eingrenzung des praktischen Telos des Menschen aus anthropologischen Pr•missen hinsichtlich dessen, was das Besondere des Menschen ist, abgeleitet wird? Zun•chst einmal ist festzuhalten, daß die aristotelische Ethik auch in diesem Lehrstìck nicht mit den Voraussetzungen einer theoretischen Naturteleologie steht oder f•llt, weil deduktive Argumente in der aristotelischen Ethik generell nicht den Status unbezweifelbarer Letztbegrìndungen unabh•ngig von der Analyse der relevanten Vormeinungen beanspruchen. Um nun die Attraktivit•t, die dieses Argument in Aristoteles’ Augen gleichwohl besitzt, besser verst•ndlich zu machen, ist es hilfreich, zwischen einer objektiv-teleologischen Perspektive auf den Begriff des hçchsten pqajt¹m !cah|m und einer handlungstheoretischen Perspektive zu unterscheiden. Im ersteren Falle geht es darum, die Vollgestalt eines bestmçglichen Exemplars der Spezies Mensch und ihrer T•tigkeitsweise zu verstehen. Im Zentrum steht die Idee der Vervollkommnung. Ein teleologisches Argument wie das in NE I 6 ist ganz im Sinne dieser Perspektive, da es wenigstens im Umriß einen auf den Menschen in seiner Gattungsidentit•t bezogenen Begriff davon, was die bestmçgliche

11 Zum methodischen Verfahren der aristotelischen Ethik siehe neben den genannten Titeln von Owen und Barnes u. a. auch Nussbaum 1986, Gadamer 1967 und 1960/1986, 317ff, Allan 1961, Aubenque 1963, Elm 1996.

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

Realisierung des Menschseins ist, vorlegt.12 Die andere Perspektive auf den Begriff des fìr Menschen Guten bezieht sich auf Handlungsmotivation: das Gute als das Erstrebte und Intendierte, und das hçchste Gut als das umfassende Ziel unseres Wollens und Strebens (vgl. unten § 9). Beide Perspektiven sind in Aristoteles ethischer Theorie wichtig, aber beim Argument bezìglich des menschlichen 5qcom geht es um die objektiv-teleologische Perspektive. Das 5qcom-Argument dìrfte darìber hinaus in Aristoteles’ Augen auch den Vorzug haben, daß es die praktische Bestimmung des Menschen qua Menschen in das allgemeine Schema der Naturteleologie einfìgt. Ein radikaler Gegensatz von Natur und Freiheit, oder von leib-seelischer Sph•re und Geist, ist kein Teil von Aristoteles’ Weltbild. Darum ist auch der Mensch fìr ihn durch und durch ein Naturwesen, zu dessen natìrlicher Bef•higung und Bestimmung als Spezies die freie Selbstgestaltung gehçrt. Es w•re in Aristoteles’ Perspektive ein unerkl•rlicher Bruch, wenn die Bestimmung des objektiven Telos menschlicher Praxis sich nicht in die generelle Perspektive der in den Spezies grìndenden Teleologie einordnen ließe.13 Insofern gibt es hier also in der Tat einen Bezug zu seiner „meta12 Man kann das Argument vom 5qcom des Menschen darum auch so lesen, daß hier die (logisch) attributive Verwendung von „gut“ in Verbindung mit den Pr•dikaten „Mensch“ und „menschliche Praxis“ eine naturteleologische Deutung erf•hrt. So wie dies bei der attributiven Verwendung von „gut“ im allgemeinen der Fall ist (vgl. Geach 1956), soll auch die Spezifizierung des normativen Gehaltes von „gut“ in Verbindung mit „Mensch“ aus den funktionalen teleologischen Gesichtspunkten gewonnen werden, die mit diesem Pr•dikat bzw. mit dem Begriff dieser Artform verbunden sind. Die Berufsbezeichnungen, die Aristoteles als Beispiel anfìhrt, enthalten in Verbindung mit ihrem deskriptiven Gehalt die Grundlage fìr normative Bestimmungen, weil sie begrifflich mit bestimmten Funktionen und Zielsetzungen verbunden sind, die von den Vertretern dieser Berufsgruppe entsprechend ihren F•higkeiten mehr oder weniger gut erfìllt werden kçnnen. öhnliches gilt fìr kçrperliche Organe. Und so soll auch der Begriff der natìrlichen Art Mensch, in Abhebung zu anderen Arten, Kriterien funktionaler Gìte enthalten, aus denen sich ergibt, welches Maß an Gìte ein Exemplar dieser Art und seine Aktivit•ten besitzen. (Foot 2001 versucht einen solchen Ansatz fìr die zeitgençssische Ethik zu begrìnden. Von Aristoteles unterscheidet sich ihre Vorgehensweise aber meines Erachtens dadurch, daß Aristoteles nicht einseitig auf der Basis einer spezies-bezogenen objektiven Teleologie argumentiert, sondern die subjektive Strebensteleologie einbezieht.) 13 Hierzu sei einmal Gadamer zitiert, der im Rahmen seiner Darstellung des aristotelischen Konzeptes einer eigenst•ndigen praktischen Wissenschaft diesen Punkt sehr treffend formuliert: „Sofern aber die Welt der menschlichen Praxis ihren Ort im Ganzen des Seienden hat, ist die Sph•re menschlicher Praxis und Poiesis insgesamt in das Reich der Natur eingeordnet. Nicht nur die Kunst ahmt die

§ 8. Die einzelnen Elemente der aristotelischen Definition

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physischen Biologie“, jedoch nicht so, daß die Ethik zu einer der teleologischen Biologie untergeordneten Wissensdisziplin wìrde, die ihr Prinzip von letzterer entlehnen muß, und zwar aus den erw•hnten methodologischen Grìnden, die sich auf die eingeschr•nkte Geltung und begrenzte Reichweite solcher Argumentationen beziehen. Ich werde als n•chstes die einzelnen Elemente der aristotelischen Definitionsformel fìr das menschliche Telos bzw. die Eudaimonie der Reihe nach etwas genauer betrachten und zu erkl•ren versuchen. Dabei werde ich auch die Frage im Auge behalten, was in Aristoteles’ Perspektive jeweils die argumentativen Evidenzen sind, die das fragliche Definitionselement stìtzen. Es wird sich best•tigen, daß Aristoteles generell aus einer objektiven Perspektive danach fragt, was das beste menschliche Leben sei, seine Resultate aber grunds•tzlich immer auch durch die von praktischer Erfahrung mitgepr•gten vaim|lema bzw. kec|lema auszuweisen sucht.

§ 8. Die einzelnen Elemente der aristotelischen Definition des menschlichen Telos Wie ich oben bereits erw•hnt habe, stellt die Formulierung, Eudaimonie sei eine (mit Gìtern ausgestattete) T•tigkeit der Seele gem•ß der vollkommenen (oder vollkommensten) Tugend in einem vollst•ndigen Leben“, so etwas wie den gemeinsamen Nenner der verschiedenen Stellen dar, an denen Aristoteles seine allgemeine Wesensbestimmung des menschlichen Telos wiedergibt. (Der Zusatz „mit Gìtern ausgestattet“ wird noch nicht in NE I 6 eingefìhrt, sondern erst in I 9 – 11. Ich werde die Aristotelische TelosFormel jetzt aber in dieser ihrer vollst•ndigen Fassung betrachten.) Man kann die fragliche Definition so gliedern, daß sie als Gattungsbestimmung die Formel „T•tigkeit der Seele“ enth•lt, die dann durch verschiedene Zus•tze weiter eingegrenzt wird. Ich werde der Reihe nach diese Gattungsbestimmung und ihre verschiedenen Zus•tze erçrtern: a) T•tigkeit der Seele b) gem•ß der Tugend c) (… gem•ß der) vollkommenen (oder vollkommensten) (Tugend) d) mit Gìtern ausgestattete (T•tigkeit …) e) in einem vollst•ndigen Leben Natur nach. Auch die menschliche Praxis tut solches, sofern sie auf nichts als auf die hçchste Erfìllung des Menschseins selbst hin orientiert ist.“ (Gadamer 1978, 100).

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a) „T•tigkeit der Seele / xuw/r 1m]qceia“ Eine grundlegende Weichenstellung liegt in der Subsumption des hçchsten menschlichen Gutes unter den Begriff der 1m]qceia. Um uns ihre Implikationen zu vergegenw•rtigen, ist es am besten, beim Begriff des pqajt¹m !cah|m des Menschen anzusetzen, der ja den Gegenstandsbereich von Ethik definiert. Das durch Praxis realisierbare Gut des Menschen kçnnte entweder etwas von der Praxis Verschiedenes oder die Praxis selbst sein (qua Eupraxie), oder eine Kombination aus beidem. Aristoteles legt sich darauf fest, daß das hçchste oder vollkommene praktische Gut des Menschen im wesentlichen nichts anderes ist als seine Eupraxie, und seine Definition der Eudaimonie als spezifisch ausgezeichneter Energeia der Seele steht damit in einem Zusammenhang. Denn Eupraxie ist in jedem Fall, qua Praxis, eine Energeia der Seele (welche in der Ethik als das Prinzip freier Handlungen betrachtet wird). – ›ber das Fìr und Wider dieser Identifikation der Eudaimonie mit Eupraxie wird in Teil II noch einiges zu sagen sein. Aristoteles verbindet diese These bezìglich des pqajt¹m !cah|m mit einer Kritik an der platonischen Sichtweise, gem•ß der es genìgen wìrde, die Eudaimonie in der Arete¯ der Seele anzusiedeln, was nach Aristoteles bedeuten wìrde, daß Eudaimonie etwas Zust•ndliches bzw. Dispositionelles ist, da es sich bei der Arete¯ um eine Art von (stabiler) Disposition handele. Es ist ein von Aristoteles immer wieder als sozusagen seine Entdeckung herausgestellter Punkt, daß Eudaimonie nicht allein Sache eines Habitus sein kann, also nicht allein schon durch Arete¯ gegeben ist, sondern deren Bet•tigung, die er wq/sir !qet/r oder 1m]qceia jat’ !qet^m nennt, erfordert. Diese Festlegung bedeutet nicht nur, daß das menschliche Telos nicht allein in seelischen Dispositionen bestehen kann, sondern auch, daß ìberhaupt statische Eigenschaften oder Gìter noch nicht die Eudaimonie ausmachen. Wie Aristoteles ursprìnglich zu dieser Auffassung gekommen ist, wird wohl eher durch EE II 1 als durch NE I 6 deutlich.14 In der EE beginnt er mit einem Hinweis auf den Primat der seelischen gegenìber den nichtseelischen Gìtern (vgl. NE I 8)15 und verweist auf eine diesbezìgliche 14 Zur Analyse des Argumentes in EE II 1 vgl. Woods 1992, 85 ff. 15 Nach aristotelischer Lehre sind selbstverst•ndlich auch die vegetativen Vermçgen „seelisch“, d. h. Aspekte von „xuw^“ als dem Lebensprinzip des Menschen. In der Gìtereinteilung, die ja ein 5mdonom ist, das Aristoteles ìbernimmt, werden sie aber eher mit den leiblichen Gìtern (z. B. Gesundheit) verknìpft. Aristoteles kann diese Gìtereinteilung gleichwohl in seine Ethik integrieren, weil in der Perspektive

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Erl•uterung in seinen exoterischen Schriften.16 Die Lehre vom Primat der seelischen Gìter ist bei Platon gut belegt, dìrfte aber eine, wie auch Aristoteles’ Formulierungen erkennen lassen, verbreitete Ansicht gewesen sein, ein typisches 5mdonom philosophischer Ethik (NE I 8, 1098b18 f.), dem z. B. auch Hedonisten zustimmen kçnnen, insofern auch Bdom^ ein seelischer Vorgang oder Zustand ist. Bei Platon ist die Grundlage dieser Lehre klar: die Identifikation des menschlichen Selbst mit der Seele. Wenn der Mensch eigentlich seine Seele ist, und Eudaimonie die beste menschliche Daseinsweise, dann muß sie in einer ausgezeichneten Seinsweise der Seele liegen, also in einem seelischen Gut. Dies ist nun zwar bereits mit Bezug auf Platon eine Beschreibung seiner Position, die nur als holzschnittartige Vereinfachung ad•quat ist, wirkt aber in diesem Sinne durchaus auch bei Aristoteles fort, und zwar anscheinend auch in der Lehre vom Primat der seelischen Gìter. Die Erl•uterungen in exoterischen Schriften, auf die er in der Textpassage in EE II 1 verweist, haben wahrscheinlich an diese Lehre von der rationalen Seele als dem eigentlichen Selbst des Menschen angeknìpft. Somit ist auch deutlich, daß er sich auf den Boden einer Sichtweise stellt, der zufolge die Eudaimonie mit dem identifiziert werden muß, was die Vervollkommnung des menschlichen Selbst ermçglicht. (Weitere Best•tigungen hierfìr erhalten wir aus den Textpassagen, die ich in meinen Anmerkungen zu (c) anfìhren werde. Dort werde ich auch zeigen, daß die Lehre von der rationalen Seele als dem eigentlichen Selbst von Aristoteles nicht nur durch eine metaphysische Argumentation, sondern auch durch Verweis auf unsere Selbsterfahrung gestìtzt wird.) Wenn einmal zugestanden ist, daß das hçchste praktische Gut fìr den Menschen im Bereich der seelischen Gìter liegt, dann l•ßt sich auch relativ einfach plausibilisieren, daß dieses Gut nicht in einem bloßen Habitus, einer zust•ndlichen Disposition, liegen kann, sondern eine Weise von T•tigsein sein muß – dies ist der zweite wesentliche Argumentationsschritt in EE II 1. Aristoteles weist darauf hin, daß seelische Dispositionen nach der Art von F•higkeiten, Kompetenzen, Tauglichkeiten immer entweder der Themenstellung der Ethik menschliches Leben nicht unter seinem biologischen Aspekt, sondern als Praxis thematisiert wird. Dementsprechend sind die relevanten seelischen Vermçgen nur solche, die direkt mit der Prinzipiierung von freier Praxis zu tun haben, also die kognitiven Vermçgen und das affektive Strebevermçgen. Zur Geschichte dieser Gìtereinteilung vgl. Dirlmeier 1937, 27 ff., und 1958, 281 ff. 16 Dieser Verweis ist fìr uns nicht mehr genau greifbar. Vielleicht ist De philosophia gemeint. Vgl. etwa Dirlmeier 1962 ad loc.

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auf bestimmte •ußere Wirkungen bzw. Produkte finalisiert sind oder in der Bet•tigung selbst (1m]qceia, wq/sir) ihr Ziel haben. Eine F•higkeit ist nie ein Selbstzweck. Den F•higkeiten und Tauglichkeiten qua seelischen Habitus ist also je ein anderes Gut wertm•ßig vorgeordnet, entweder eine Art von intrinsisch erstrebenswerter T•tigkeit oder eine Art von Produkt oder Wirkung (EE II 1, 1219a6 – 18; s. a. NE I 1, 1094a1 – 18). Wenn aber gilt, daß das hçchste menschliche Gut im Bereich der seelischen Gìter situiert ist, kann es nicht durch die Hervorbringungen •ußerer Produkte konstituiert werden, sondern muß mit einer Weise oder Weisen von selbstzweckhafter T•tigkeit identifiziert werden (vgl. NE VI 2, 1139b1-4). (Dabei ist vorausgesetzt, daß die T•tigkeiten, anders als •ußere Produkte und Wirkungen, selbst auch seelische Gìter sind, da sie Aktualisierungen seelischer Vermçgen des Menschen sind.) Daß die Eudaimonie nicht schon in dem bloßen Habitus der Arete¯ liegen kann, l•ßt sich auch im Rekurs auf die Vormeinungen oder Intuitionen plausibilisieren, entsprechend der methodischen Forderung, daß die Ergebnisse der deduktiven Herleitungsversuche durch Vergleich mit den 5mdona/vaim|lema geprìft werden mìssen. Aristoteles verweist u. a. auf den denkbaren Fall, daß jemand zwar alle guten Dispositionen besitzt, aber sich, wie die mythologische Gestalt des Endymion, in einem st•ndigen Zustand des Schlafs oder der Bewußtlosigkeit befindet.17 Niemand wìrde hier von einem guten Leben oder Wohlergehen sprechen, obwohl die Arete¯ vorhanden ist. b) „(T•tigkeit …) gem•ß der Tugend / (1m]qceia) jat’ !qet^m“ Die Bestimmung der Eudaimonie als Energeia ist noch nicht hinreichend, denn es gibt auch mangelhafte und schlechte Bet•tigungsformen. Bei T•tigkeitsvermçgen, die in unterschiedlicher Weise formbar sind, so wie dies bei den menschlichen Vermçgen der Fall ist, muß die gute Form der Bet•tigung auf einer guten Entwicklung und Verfaßtheit der Vermçgen aufbauen. Der Verweis auf die Arete¯-Gem•ßheit der eudaimoniehaften Praxis zielt darauf, daß die gute Weise der Bet•tigung der menschlichen 17 NE I 9, 1098b30 – 99a7, vgl. 1102b6 ff., 1178b19 f.; EE II 1, 1219b16 – 20. – In NE I wird das „Endymion-Argument“ in dem Teil angefìhrt, der die versuchte deduktive Bestimmung des menschlichen Guten anhand der kec|lema bew•hrt (1098b10), wobei die kec|lema, von denen hier die Rede ist, den vaim|lema und 5mdona entsprechen.

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Handlungsvermçgen solche guten Habitualisierungen voraussetzt, und d. h. 1m]qceia jat’ !qet^m sein muß. Die Arete¯ gew•hrleistet dabei, ganz allgemein gesprochen, zwei Dinge: Erstens bef•higt sie einen dazu, in der besten Weise t•tig zu sein, denn erst durch sie wird das Vermçgen qualitativ so geformt und gesteigert, daß man tats•chlich in der richtigen Weise zu den angemessenen Handlungsentscheidungen gelangen kann (was er u. a. durch die Analogie mit den technischen Kìnsten erl•utert, die zur Hervorbringung kunstvoller Produkte bef•higen, z. B. NE I 6, 1098a11 f.). Zweitens ist die Arete¯ eine best•ndige gute Verfaßtheit (Cat. 8, Metaph. V 20), und sie gew•hrleistet damit, daß das gute T•tigsein nicht nur eine Episode ist, sondern ein Leben im ganzen charakterisiert. Bei dem hçchsten Gut des Menschen, bzw. der Eudaimonie, geht es ja um die Qualit•t des Lebens im ganzen. Bei Wesen, die ìberhaupt zu solchen Habitualisierungen f•hig sind, kommt also der begriffsanalytische Zusammenhang zwischen der Arete¯ und einer guten Energeia, die ihre Ursache in dem betreffenden Lebewesen selbst hat und best•ndig ist, zum Tragen. Vorausgesetzt, daß wir ìberhaupt nach einer objektiven Bestheit menschlicher Praxis fragen, ist es darum evident, daß zu „1m]qceia“ noch das Bestimmungsmoment „jat’ !qet^m“ hinzukommen muß. Auf dieser Stufe des Bestimmungsganges ist noch nichts darìber ausgesagt, ob die fìr die Eupraxie des Menschen grundlegende Arete¯ kooperative Verhaltensdispositionen (moralische Tugenden im zeitgençssischen Sinne) einschließt. Der Begriff „!qet^“ meint zun•chst ganz allgemein eine vortreffliche Verfaßtheit, was immer das sei. Der n•chste Schritt bei Aristoteles ist dann zwar, entsprechend der Vermçgenspsychologie des Menschen zwischen den Formungen oder Habitualisierungen der rein intellektuellen Vermçgen und denen des Strebens und Sich-Verhaltens zu unterscheiden (NE I 13). Jedoch impliziert diese Unterscheidung noch nichts hinsichtlich deren moralischen Gehaltes. Es ist nicht die Aufgabe der Definitionsformel fìr Eudaimonie, inhaltliche Bestimmungen zu den Tugenden zu liefern. c) „(gem•ß der) vollkommenen/vollkommensten (Tugend) / (jat’ !qet^m) teke_am/tekeiot\tgm“ Die Bestimmung der Eudaimonie als xuw/r 1m]qceia jat’ !qet^m besagt fìr sich genommen lediglich, daß die Eudaimonie in einer guten Lebensfìhrung besteht auf der Grundlage entsprechender Habitualisierungen. Das Moment der Arete¯-Gem•ßheit wird nun aber unter anderem so er-

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g•nzt, daß es sich um vollkommene Arete¯ handeln muß. Zun•chst muß man festhalten, daß das Bestimmungsmoment „t]keiom“ ausgesprochen •quivok ist und darum nicht nur den modernen Kommentatoren, sondern auch schon den antiken Peripatetikern Kopfzerbrechen bereitet. Die Qualifizierung als „vollkommene Arete¯“ kann bedeuten, daß sie alle Einzeltugenden mit einschließt. Sie kann aber auch meinen, daß es um die vortrefflichste aller menschlichen Tugenden geht. Die EE gibt dem t]keiom eindeutig die Bedeutung der Vollst•ndigkeit und expliziert die Glìcksdefinition auf ein Kalokagathie-Ideal umfassender Arete¯ hin. NE X expliziert dagegen die Eudaimonie als T•tigkeit eines bestimmten Vermçgens, n•mlich des der theoretischen Erkenntnis, die den hçchsten Wert besitzt, weil sie nicht nur menschlicher, sondern geradezu gçttlicher Natur ist und den Menschen auf gçttliche Gegenst•nde ausrichtet. Diese Eingrenzung der Eudaimonie auf die Bet•tigung eines hçchsten Vermçgens und seiner Arete¯, der sov_a, wird bereits durch die genaue Formulierung in NE I 6 antizipiert, die das jat’ !qet^m durch den Zusatz erg•nzt: „wenn es aber mehrere !qeta_ gibt, dann gem•ß der besten und vollkommensten“ (1098a17 f.).18 Was rechtfertigt die Eingrenzung auf vollkommene Arete¯ ? Sobald man sich ìberhaupt auf den Standpunkt einl•ßt, nach der objektiven Bestheit des menschlichen Lebens zu fragen, ist es nicht nur konsequent zu akzeptieren, daß das gute Leben als eine T•tigkeit jat’ !qet^m zu bestimmen ist, sondern auch, daß die Formung durch vollkommene Arete¯ vorzuziehen 18 Die Deutung dieser Satzes h•ngt mit der kontroversen Forschungsdebatte um die Frage zusammen, ob und, falls ja, in welchem Sinne Aristoteles das praktische Telos des Menschen in NE I 5-6 als ein inklusives Ziel definiert (vgl. unten, § 8(d) und Anm. 28 und 29). Brennpunkt dieser Debatte ist ein anderer Satz in I 5-6, in dem es um den Begriff der Autarkie des hçchsten pqajt¹m !cah|m geht (1097b16 – 20), da Aristoteles’ Formulierung in diesem Satz das st•rkste Argument fìr die Inklusivit•tsthese zu liefern scheint. Denn wenn man Aristoteles nicht (wie Hardie 1965 und 1968/1980) eine inkonsistente Gesamtaussage in I 5-6 zuschreiben will, muß man im Falle einer solchen Deutung von 1097b16 – 20 auch versuchen, das „t]keiom“ in der Definitionsformel von 1098a16 – 18 im Sinne der Inklusivit•tsthese zu deuten, wie Ackrill 1974, Keyt 1980 und andere dies tun. Allerdings kann der Satz in 1097b16 – 20 ohne weiteres auch anders gedeutet werden (vgl. hierzu unten, II-A, § 1, Anm. 9). Darum gibt es eigentlich keinen hinreichenden Grund, von der naheliegenden (und auch traditionellen) Interpretation der Formulierung in 1098a16 – 18, die darin einen Hinweis auf die „dominant end“-Theorie von NE X 7 sieht und die Konsistenz von I 5-6 und X 7 (vgl. Kenny 1992, 86 ff ) wahrt, abzugehen. Außerdem stçßt die inklusive Deutung des „t]keiom“ 1098a16 – 18 bei n•herer Betrachtung auf erhebliche Schwierigkeiten und scheint mir durch Heinaman 1988, 36 ff., der an Kenny 1978 anknìpft, endgìltig widerlegt.

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ist. Dies ist gleichsam nur die Steigerung vom Guten zum Besten. Es fragt sich dann allerdings, nach welchem Gesichtspunkt man einen Habitus nicht nur als gut, sondern als den besten oder vollkommenen betrachtet. Und hier konkurrieren in Aristoteles’ Ethik zwei Gesichtspunkte miteinander, der der Hçchstrangigkeit, welche sich aus den Objekten des Vermçgens bzw. der T•tigkeit ergibt, und der der Vollst•ndigkeit. In Zusammenhang mit der Kennzeichnung der theoretischen T•tigkeit als der hçchstrangigen rekurriert Aristoteles in NE X 6 ff. eindeutig auf naturund seinsteleologische Gesichtspunkte, w•hrend die EE ihren Gesichtspunkt der Vollst•ndigkeit eher auf begriffsanalytische Weise aus dem mit der eqdailom_a verknìpften Begriff des t]keiom entwickeln mçchte (II 1, 1219b38 f., 1220a2-4), was aber nicht wirklich zwingend ist eben wegen der unterschiedlichen Gesichtspunkte, unter denen man von vollkommener Arete¯ sprechen kann. Der Sache nach geht es hier um ein theoretisch imgrunde gar nicht auflçsbares Problem, n•mlich daß man sein Leben entweder ganz auf die Verwirklichung einer spezifischen Daseinsmçglichkeit fokussieren kann, oder aber versuchen kann, seine Vermçgen umfassend auszubilden. Es gibt keinen begriffsanalytischen Grund, die eine der anderen Option vorzuziehen. Die Problematik, welche Art der Vervollkommnung von Arete¯ vorzuziehen sei, steht in einem Zusammenhang mit der Frage, was eigentlich das menschliche Selbst ist, dem die vernìnftige Selbstliebe (vik_a pq¹r 2aut|m, NE IX 4 und 8, EE VII 6) gilt. Dabei reicht die auf den ersten Blick naheliegende Antwort, daß ein jeder Mensch, als er selbst, jeweils die ganze leib-seelische Einheit ist, fìr Aristoteles nicht aus. Denn fìr die zwei erstrebenswerten Lebens- und T•tigkeitsformen, die er unterscheidet, gilt, daß nur die eine den Menschen als leib-seelische Ganzheit vollendet, w•hrend in der anderen der Intellekt fìr sich t•tig ist. Die Beantwortung der Frage, welche T•tigkeitsform das hçherrangige Gut-fìr-den-Menschen ist, muß darauf rekurrieren, was eigentlich der Mensch ist, bzw. was im Kern das zu vollendende menschliche Selbst ausmacht. Dies ist nun eine große, fìr die antike Philosophie sehr bedeutsame Thematik, die eigentliche Klammer zwischen praktischer Philosophie und theoretischer Selbsterkenntnis. Ich kann dies hier nicht in extenso weiterverfolgen, aber es muß an dieser Stelle doch wenigstens summarisch auf diese Zusammenh•nge eingegangen werden. Aristoteles vertritt in NE X 7 und in den Kapiteln NE IX 4 und 8, die ìber die Selbstliebe handeln, explizit die als Identit•tssatz gemeinte Aussage: daß ein jeder jeweils sein Intellekt sei, oder doch wenigstens „am

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

meisten“ (l\kista) sein Intellekt sei.19 Mit anderen Worten, das menschliche Selbst ist der Intellekt, oder wenigstens macht der Intellekt den Kern des menschlichen Selbst aus. Die beiden Formulierungen besagen selbstverst•ndlich nicht einfach dasselbe, da die zweite darauf hindeutet, daß auch noch anderes als der Intellekt zum menschlichen Selbst beitr•gt. Aristoteles’ Grìnde fìr diese These werden durch zwei Begriffe angezeigt, die er in der zusammenfassenden Formulierung in NE X 7, 1178a2 f., nebeneinanderstellt: j}qiom und %leimom. Im ganzen lautet der Satz wie folgt, wobei sich das „dieses“ in dem Identit•tssatz auf den rationalen Seelenteil zurìckbezieht: „Denn es scheint auch ein jeder dieses zu sein, da es das Gebietende (j}qiom) und Bessere (%leimom) ist“

Der Ausdruck „j}qiom“ konnotiert die Rolle des Intellekts als des sozusagen legitimen Herren gegenìber den anderen Seelenfaktoren. Im Hintergrund steht die schon in Platons Politeia im Zusammenhang mit der Ph•nomenologie der Strebenskonflikte entwickelte Theorie, die das habituelle Verh•ltnis der seelischen Antriebe als eine Herrschaftsordnung und quasipolitische Verfassung beschreibt, wobei die naturgem•ße Herrschaft dem Besten zukommt, n•mlich der Rationalit•t. Damit verbindet Platon die These, daß die Rationalit•t das eigentliche Selbst des Menschen ist – der Mensch im Menschen, der sich gegen das Animalische im Menschen durchsetzen muß (Rep. 588B ff.). Fìr Aristoteles, so kçnnen wir vermuten, sind vor allem zwei Grìnde ausschlaggebend. Zum einen ist da die Ph•nomenologie der Beherrschtheit und Unbeherrschtheit, auf die ja schon Platon hingewiesen hat: In dem Konflikt zwischen dem praktischen Urteil unserer vernìnftigen ›berlegung und einem impulsiven Handlungstrieb, der auf etwas aus ist, was die vernìnftige ›berlegung verwirft, erfahren wir diesen nicht durch die Rationalit•t vermittelten Trieb als etwas Externes, als einen Zwang, den wir bezwingen oder dem wir unterliegen. Und dies schl•gt sich auch in der sprachlichen Ausdrucksweise nieder, gem•ß der in dem einen Fall von 1cjq\teia (Beherrschtheit), in dem anderen von !jqas_a (wortwçrtlich „Herrschaftslosigkeit“) gesprochen wird. Was da 19 Siehe NE IX 8, 1168b28 – 69a6 (insbs. b34 f., a2): „ja· 1cjqatµr d³ ja· !jqatµr k]cetai t` jqate?m t¹m moOm C l^, ¢r to}tou 2j\stou emtor· … fti l³m owm toOh’ 6jast|r 1stim C l\kista, oqj %dgkom, …“); IX 4, 1166a22 f.: „d|neie d’ #m t¹ mooOm 6jastor eWmai C l\kista“; vgl. a16 f: „toO c±q diamogtijoO w\qim, fpeq 6jastor eWmai doje?“; X 7, 1178a2 f. und a7 (jeweils mit Bezug auf den rationalen Seelenteil bzw. moOr): „d|neie d’ #m ja· eWmai 6jastor toOto [sc. moOr], eUpeq t¹ j}qiom ja· %leimom“, „… toOto [sc. b moOr] l\kista %mhqypor“).

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jeweils herrscht oder die Herrschaft verliert, sind wir selbst, bzw. die Rationalit•t, welche somit das eigentliche Selbst des Menschen sein muß.20 Eng damit zusammengehçrig ist der Verweis darauf, daß wir uns in den ìberlegten und d. h. rationalen Entscheidungen am meisten als frei bzw. als Urheber von Handlungen erfahren (1168b35 f.). Auch die wertende Charakterisierung des rationalen Seelenteiles als des Besseren kann man mit diesen Konflikterfahrungen verbinden, insofern dabei dem ìberlegt das Zutr•gliche vorziehenden rationalen Urteil die mehr oder weniger chaotische Impulsivit•t eines rohen Antriebes entgegensteht, die in diesem Gegensatz als das Schlechtere erfahren wird. Nun ergibt sich aber aus diesen Pr•missen noch nicht unmittelbar der Vorzug der theoretisch-intellektuellen T•tigkeit, denn auch die ethische Praxis des Spoudaios ist ja gepr•gt durch Rationalit•t, n•mlich als praktische Vernìnftigkeit. Jedoch ist die vortreffliche ethische Praxis nur mçglich als eine Homologie des Urteilens und Strebens, d. h. rationales ›berlegen und affektive Strebensdispositionen mìssen hier Hand in Hand gehen. Affekte sind jedoch jeweils Zust•nde oder Ver•nderungen des leibseelischen Ganzen. Sie haben immer zugleich eine kognitive und eine leiblich-physiologische Komponente (De an. I 1, 403a3 ff.). Dementsprechend ist auch die T•tigkeit, die aus dem Zusammenwirken von Phrone¯sis und ethischen Tugenden entspringt, Vollendung des Menschen als leib-seelischer Ganzheit (NE X 8, 1178a9 – 23). In der rein intellektuellen T•tigkeit ist der moOr dagegen ganz fìr sich t•tig.21 Wenn nun aber gilt, daß der Intellekt das Beste im Menschen und zugleich das eigentliche 20 Dieses Argument wird in NE IX 8, 1168b34 f., angesprochen. Meines Erachtens spielt Aristoteles hier nicht nur mit der Etymologie der Ausdrìcke „1cjqat^r“ und „!jqat^r“, wie Gauthier (ad loc.) zu meinen scheint, sondern deutet, in Anknìpfung an Platon (vgl. etwa den berìhmten Passus Rep. 439Ef.), auf die innere Selbsterfahrung in Strebenskonflikten hin. 21 Aristoteles erw•hnt in diesen Passagen der Ethik nicht, was er in der Erkenntnispsychologie von De anima herausstellt, n•mlich daß die erkennende T•tigkeit des Intellekts beim Menschen von der T•tigkeit des sinnlichen Vorstellungsvermçgens begleitet sein muß. Da letztere auch fìr Aristoteles einer physiologischen Grundlage bedarf, kann also auch das Denken nicht ohne leiblich-physiologische Prozesse ablaufen. Allerdings vertritt Aristoteles dabei doch die Auffassung, daß die sinnlichen Vorstellungen nur gleichsam das Material liefern, an dem sich die Intellektion vollzieht. Die aus allgemeinen Begriffen konstituierten Denkakte haben selbst keine unmittelbare physiologische Grundlage. Insofern kann man auch auf der Grundlage der differenzierteren Theorie von De anima sagen, daß die Denkakte als solche T•tigkeit nur des Intellekts und nicht des leib-seelischen Ganzen sind.

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

Selbst des Menschen ist, so muß die T•tigkeit, in der der Intellekt gleichsam ganz fìr sich ist, auch den Vorrang genießen vor der T•tigkeit, in der er mit leiblich bedingten Komponenten zusammenwirkt. So jedenfalls Aristoteles, der hier durchaus von einem absoluten Standpunkt theoretisch-naturteleologischer Wertungen aus argumentiert, welcher aber doch zugleich auch eine fìr den Menschen erfahrbare Bewertungsperspektive ist. Es ist dies die Perspektive der ontologischen und naturtheoretischen Theo¯ria, der sich ihre hçchsten Objekte als das sehr viel Wertvollere gegenìber dem Bereich des „Menschlichen“ erschließen, mit dem es die ethischen Tugenden und die Phrone¯sis zu tun haben (NE VI 7, 1141a17b8; vgl. X 7, 1177a15, 1177b26 ff.; 8, 1178b21 – 23). An diesem Punkt in der Erçrterung des vorrangigen praktischen Gutes bricht gewissermaßen die Perspektive der theoretischen Gìterordnung ein, welche sich der selbst•ndigen T•tigkeit des moOr erschließt (vgl. oben, §§ 3-4). Der Intellekt lernt dabei, die rein theoretisch-kontemplative T•tigkeit als seine hçchstrangige T•tigkeitsform zu begreifen, was dann auch fìr die rationalen praktischen Wertungen in der Weise maßgeblich wird, daß die Phrone¯sis die Theo¯ria als das hçchstrangige praktische Gut und folglich als Zielpunkt des vernìnftigen Lebensentwurfes versteht und dementsprechend fìr die Verwirklichung dieser T•tigkeitsform Sorge tr•gt (NE VI 13, 1145a6 – 11). Dabei werden wohlgemerkt nicht die Objekte der Theo¯ria, wohl aber diese selbst, qua T•tigkeitsform, als praktisches Gut begriffen, die Vorrangigkeit dieses besonderen praktischen Gutes aber unter Rekurs auf die theoretische Gìterordnung begrìndet. Nun muß dies nicht notwendigerweise bedeuten, daß die Theo¯ria mit der Eudaimonie g•nzlich gleichgesetzt wird. Dies h•ngt vielmehr davon ab, ob das Telos bzw. die pq÷nir jat’ !qetµm teke_am unter dem Aspekt des Hçchstrangigen oder des Vollst•ndigen und Umfassenden gesehen werden. Ersteres ist ja der leitende Gesichtspunkt in NE X 6-9, auf den auch schon die Formulierung der Glìcksdefinition in NE I 6, 1098a16 – 18, vorauszuweisen scheint, w•hrend letzteres der maßgebliche Gesichtspunkt in der EE ist.22 Auch die EE setzt den Vorrang der noetischen T•tigkeit voraus (VIII 3, 1249a21 ff.), sieht aber das Telos menschlichen Lebens doch als eine Verknìpfung von Theo¯ria und sittlicher Praxis. Demgegenìber identifiziert NE X das Telos mit der Theo¯ria, h•lt aber zugleich fest, daß derjenige, der diese philosophische Lebensform w•hlt, sich auch sittlich richtig verhalten wird (1178b5-7). Letztlich stimmen also die NE und die EE darin ìberein, daß zu dem besten Leben eines Menschen beide Ver22 Vgl. Kenny 1978 und 1992.

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vollkommnungsaspekte gehçren und daß dabei der Theo¯ria eine Hçherrangigkeit zukommt, nur daß beide Ethiken entsprechend ihrem unterschiedlichen Verst•ndnis des t]keiom daraus je eine andere Konsequenz fìr die Beantwortung der Frage nach dem vollkommenen menschlichen Gut ziehen. Die theoretisch-metaphysische Perspektive einer Wertabstufung im Sinne einer scala naturae kommt im ìbrigen auch bei der Vergleichung der an elementaren sinnlichen Genìssen orientierten Lebensform (b_or !pokaustij|r) mit der philosophischen und der sittlich-politischen zum Tragen. Es ist ja keineswegs so, daß ein Mensch, der den sjop|r seines Lebens in diese sinnlichen Befriedigungen legt, unbeherrscht sein muß. Die eigentliche Schlechtigkeit ist fìr Aristoteles dann gegeben, wenn bei einer solchen falschen Orientierung praktische Werturteile und Strebensimpulse im Einklang miteinander stehen, d. h. wenn sich jemand nicht nur durch Willensschw•che zu diesen Handlungen hinreißen l•ßt, sondern sie tats•chlich fìr erstrebenswert h•lt (vgl. NE VI 5,1140b17 – 20; VII 9, 1151a5 – 7). Gem•ß Aristoteles ist dies ein Leben, das seinen Grundwert in etwas setzt, das der Mensch mit den nicht-rationalen Tieren gemeinsam hat, eben den Genuß bei bestimmten elementaren sinnlichen Befriedigungen, zu denen auch die Tiere f•hig sind. Mit einer solchen Wertorientierung begibt er sich darum auf ein tierisches Niveau. – Sie ist gleichsam eines Menschen nicht wìrdig (EE I 5, 1215b30 – 16a2, vgl. NE I 3, 1095b19 – 22). – Im Hintergrund steht hier eindeutig ein wertender Vergleich der menschlichen mit der tierischen Lebensform, verbunden mit der Vorstellung, daß die Objekte der den spezifisch menschlichen Mçglichkeiten gerecht werdenden Wertorientierungen einen objektiv hçheren Wert besitzen. Zusammenfassend kann man sagen, daß bei der inhaltlichen Konkretisierung vollkommener Arete¯, deren Bet•tigung das hçchste menschliche Gut realisiert, sich erstens die Aufgabe einer vergleichenden Bewertung unterschiedlicher Grundtypen menschlicher Lebensentwìrfe und Wertorientierungen (Wahrheit, sittliches jak|m, sinnliche Lust) stellt, daß zweitens diese Bewertung nicht unabh•ngig von der Frage, was eigentlich das menschliche Selbst ist, durchgefìhrt werden kann, da es ja um das Gute-fìr-den-Menschen geht, und daß drittens Aristoteles bei der Beantwortung der Frage nach dem eigentlichen Selbst Gesichtspunkte unserer Selbsterfahrung mit Gesichtspunkten einer naturtheoretisch-metaphysischen Bewertung der unterschiedlichen Vermçgen des Menschen verbindet.

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

d) „mit Gìtern ausgestattete (T•tigkeit der Seele) / (xuw/r 1m]qceia) jewoqgcgl]mg“ Als 1m]qceia jat’ !qet^m der Seele ist die Eudaimonie ein seelisches Gut. Hintergrund ist, wie bereits angedeutet, die Auffassung, daß menschliche Eudaimonie den Charakter von Praxis hat, Praxis aber in seelischen Vermçgen und Habitualisierungen der Rationalit•t und Affektivit•t grìndet. Aristoteles stellt dann jedoch in solcher Weise eine Verbindung zum traditionellen Lehrstìck vom Primat der seelischen Gìter her (NE I 8; EE II 1, 1218b31 ff.), daß er zugleich auch eine Abh•ngigkeitsrelation zwischen diesen vollendeten T•tigkeiten und bestimmten nicht-seelischen Gìtern statuiert. Auch den nicht-seelischen Gìtern wird somit ein wesentlicher Beitrag zur Eudaimonie zugeschrieben. Jedoch muß dies nicht mehr beinhalten, als daß ihnen relativ zur Eudaimonie eine im weitesten Sinne instrumentelle Funktion zukommt, bzw. daß sie externe Ermçglichungsbedingungen, nicht integrale Bestandteile (Konstituentien) von Eudaimonie sind (vgl. EE I 2, 1214b11 ff.). Dies gilt nota bene auch fìr die leiblichen Gìter einschließlich der Gesundheit. In NE X 8 gibt Aristoteles einige Beispiele fìr die instrumentelle Funktion der nicht-seelischen Gìter mit Bezug auf menschliche Eupraxie (1178a23 – 34): Der Freigebige bençtige Geldmittel, um großzìgig geben zu kçnnen, der Rechtschaffene, um Geliehenes zurìckerstatten zu kçnnen. Der Tapfere brauche Kraft, um sich in Kriegshandlungen unter Beweis stellen zu kçnnen, der M•ßige Gelegenheiten fìr ìbertriebenen Genuß, in denen er sich durch Maßhalten bew•hren kann. Es sind also jeweils bestimmte Hilfsmittel oder Umst•nde, durch welche sich die fraglichen Tugenden allererst in der ihnen angemessenen Form bet•tigen kçnnen. Er betont in diesem Passus des weiteren, daß rein intellektuelle T•tigkeit weniger auf •ußere Hilfsmittel angewiesen ist, aber selbstverst•ndlich auch die Versorgung mit den zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit notwendigen Gìtern voraussetze. Fìr die sittlich erstrebenswerten T•tigkeitsformen sei aber ein grçßeres Maß an Ausstattung notwendig. Ein wichtiger Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist, daß nicht jede Form sittlich richtigen Handelns auch ein geeigneter Bestandteil eudaimonischer Praxis ist. Vergegenw•rtigen wir uns noch einmal das Beispiel der Großzìgigkeit/Freigebigkeit (1keuheqi|tgr). Aristoteles definiert sie als einen Habitus des richtigen Umganges mit Geld oder geldwerten Gìtern im Geben und Nehmen. Erfìllung findet diese Tugend aber nur im Geben (NE IV 1, 1120a9 ff.). Wenn der Großzìgige in Not ist, wird er zwar auch Geld annehmen, und zwar auf eine angemessene Weise.

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Er handelt auch auf diese Weise dieser Tugend gem•ß, aber es ist dies doch nicht die glìckskonstitutive Form der Anwendung dieser Tugend. Das Geben setzt aber entsprechende Mittel voraus, die mehr von der Tyche¯ als von der Tugend selbst abh•ngen. Ein weiterer fìr die volle Entfaltung der Großzìgigkeit zur ihr gem•ßen Praxis relevanter Faktor ist das Vorhandensein anderer Menschen, die es auch wirklich wert sind, daß man ihnen gegenìber großzìgig ist.23 Mit anderen Worten, nicht nur die Mittel, sondern auch angemessene Objekte fìr diese Bet•tigung mìssen vorhanden sein, was aber wiederum von •ußeren Glìcksumst•nden abh•ngt.24 Die instrumentelle Rolle der nicht-seelischen Gìter und •ußeren Umst•nde fìr eudaimonische Praxis ist sozusagen die offizielle Lehre des Aristoteles, die wir in allen seinen Schriften zur praktischen Philosophie einschließlich der Politik antreffen.25 Aristoteles’ Diskussion in NE I 8-11 lenkt jedoch unserer Aufmerksamkeit unter anderem auf bestimmte glìcksethische Intuitionen, die sich durch Beispiele großer Unglìcksf•lle, die einen Menschen heimsuchen („Priamos-Schicksal“), illustrieren lassen und die auch in Aristoteles’ Sicht dafìr sprechen, daß schwere Unglìcksf•lle wie der Verlust der Angehçrigen die Eudaimonie, auch abgesehen von ihrer negativen Wirkung auf das T•tigsein, aufheben kçnnen. Wenn dies so ist, ließe sich Eudaimonie nicht vollst•ndig auf einen Modus von T•tigsein reduzieren, sondern wìrde auch gewisse externe Gìter als Konstituentien von Eudaimonie einschließen. Ich werde auf die relevanten Textpassagen zu Beginn von Teil II (§ 1) n•her eingehen. Vorl•ufig genìgt es, sich an der instrumentellen Funktion nicht-seelischer Gìter zu orientieren. 23 Vgl. Aristoteles’ Ausfìhrungen zum „Wohltun“ oder „segensreichen Wirken“ (eqeqcete?m), das einerseits als eine Form exzellenter Praxis eine Weise der positiven Erfahrung des eigenen Daseins, bzw. des eigenen Wertes, der eigenen Dignit•t ermçglicht, andererseits auch entsprechende Beziehungen zu anderen Menschen voraussetzt (Freunde, Angehçrige, ein sch•tzenswertes Gemeinwesen), die Raum geben fìr solche Aktivit•ten, da nicht jeglichem Adressaten gegenìber Großzìgigkeit angemessen ist (NE VIII 1, 1155a6-9; 9, 1169b10 – 22; 11, 1171a25 – 27, b12 – 16). 24 In den Aussagen dieses Absatzes deutet sich eine Problematik an, auf die ich in Teil II-D (§§ 10 – 11) zurìckkommen werde: Der Begriff des sittlichen jak|m wird einerseits mit dem der sittlichen Richtigkeit verknìpft, zugleich aber doch enger gefaßt, da nicht alle Handlungen, die unter den gegebenen Umst•nden das sittlich Richtige sind, zugleich auch die Teleologie der jeweils zust•ndigen Tugend erfìllen und eudaimonie-stiftend sind. 25 Zur Frage, ob damit die Ausfìhrungen in der aristotelischen Rhetorik I 5-6 kompatibel sind, vgl. unten, II-E, § 12.

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

Der Bezug auf nicht-seelische Gìter, die als •ußere Ermçglichungsbedingungen von Eupraxie fungieren, wird in NE I 6 oder EE II 1 noch nicht in die Definitionsformel aufgenommen, kann an diesen Stellen aber bereits vorausgesetzt werden, wenn man die Tatsache in Rechnung stellt, daß nach Aristoteles die uneingeschr•nkte Aktivierung der Arete¯ zu Energeia nicht ohne geeignete nicht-seelische Hilfsmittel mçglich ist. Diese Abh•ngigkeitsrelation ist jedoch nicht schon im Begriff der 1m]qceia jat’ !qet^m als solchen enthalten. So kçnnte etwa jemand, der stoisch inspiriert ist, die These vertreten, daß das menschliche Gut immer schon dadurch realisiert ist, daß wir uns zu den faktisch gegebenen Umst•nden in der besten Weise verhalten. Die Eudaimonie qua 1m]qceia jat’ !qet^m w•re dann nicht von nicht-seelischen Gìtern abh•ngig oder durch sie steigerbar, sondern l•ge allein in den Weisen der inneren Stellungnahme zu den Umst•nden begrìndet. Da dies aber nicht die aristotelische Position ist, mìssen hier noch Zusatzpr•missen einfließen, die die Frage betreffen, worin eine voll entfaltete pq÷nir jat’ !qet^m eigentlich besteht und was ihre Ermçglichungsbedingungen sind. Der Hinweis auf die nichtseelischen Gìter als Ermçglichungsbedingungen der eudaimonischen Praxis ist darum ein nicht-redundanter Bestandteil des Eudaimonie-Begriffes. Folglich ist es auch der Sache nach angemessen, wenn Aristoteles in NE I 11, 1101a14 – 16, die Formel fìr die Eudaimonie noch um dieses weitere Element erg•nzt.26 In der Politik (z. B. VII 1, 1323b40 – 24a2) knìpft er an 26 Der entscheidende Satz in NE I 11 (1101a14 – 16) lautet: „t_ owm jyk}ei k]ceim eqda_loma t¹m jat’ !qetµm teke_am 1meqcoOmta ja· to?r 1jt¹r !caho?r Rjam_r jewoqgcgl]mom lµ t¹m tuw|mta wq|mom !kk± t]keiom b_om ;“ Er stellt zwar unmittelbar die Antwort auf eine spezifische in I 11 entwickelte Aporie dar, die mit Solon in Verbindung gebracht wird, n•mlich ob man niemanden vor seinem Tod glìcklich preisen kann und ob dies dann, paradoxerweise, bedeutet, daß erst ein Toter glìcklich sein kann. Zugleich kommt diesem Satz aber auch grunds•tzlichere Bedeutung in Hinsicht auf die aristotelische Glìcksdefinition zu (vgl. Cooper 1985, 173 f.) Daß es sich hier tats•chlich um eine Analyse handelt, die bei Aristoteles auch an anderen Stellen fortwirkt, zeigen die bereits erw•hnten Parallelen in NE X 7-9 (1177a27-b1, 1178a23 – 34, 1178b33 – 79a17) und in der Politik (u. a. VII 1, 1323b40 – 24a2 „b_or l³m %qistor … b let’ !qet/r jewoqgcgl]mgr 1p· tosoOtom ¦ste let]weim t_m jat’ !qetµm pq\neym“; 13, 1331b41 f.). S. a. NE VII (=EE VI) 14, 1153b17 – 25. – Daß die zitierte Formel in NE I 11 nicht die eqdailom_a, sondern den eqda_lym zum Gegenstand hat, scheint mir, anders als Kenny 1992, 41 (gegen Cooper 1985) nicht von ausschlaggebender Bedeutung zu sein, da, wer den eqda_lym definiert, implizit auch die eqdailom_a definiert, um umgekehrt (vgl. auch die zitierte Stelle in Pol. VII 1, die explizit die beste Lebensweise, also die Eudaimoinie, zum Gegenstand hat). Mit Skepsis zu betrachten ist der Versuch von Kenny 1992, 33 – 36, gegen die in diesem Punkt zutreffende

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diese Erweiterung der Telos-Formel an, und auch fìr die peripatetische Tradition ist sie der maßgebliche Ausgangspunkt. Wenn nicht-seelische Gìter den Status externer Ermçglichungsbedingungen der 1m]qceia jat’ !qet^m haben, so heißt dies, daß seelische Arete¯ allein die Eupraxie nicht gew•hrleisten kann und daß die Eupraxie darum auch von einer gìnstigen Tyche¯ abh•ngt (eqtuw_a), da Besitz oder Verlust der relevanten nicht-seelischen Gìter immer auch eine Angelegenheit gìnstigen oder ungìnstigen Zufalls oder Schicksals ist. Damit bezieht Aristoteles Stellung gegen die in der platonischen Tradition virulente These von der Autarkie der Eudaimonie gegenìber der Tyche¯27, die sp•ter eindringlich von den Stoikern vertreten werden wird. Wie genau der Beitrag der nicht-seelischen Gìter zur Eupraxie zu verstehen ist, ergibt sich aus der Analyse der Teleologie der einzelnen Tugenden. Die EudaimonieFormel als solche pr•judiziert hier noch nichts. Sie h•ngt aber in ihrer erweiterten Form gleichwohl von einer solchen Analyse ab, weil erst durch sie wirklich deutlich werden kann, daß und wie beste menschliche T•tigkeit in Abh•ngigkeit zur „Ausstattung“ mit externen Hilfsmitteln steht (und in welcher Weise dabei auch unseren lebenspraktischen Intuitionen und Vormeinungen Rechnung getragen werden muß). Die Tatsache, daß Aristoteles einen Verweis auf die •ußeren Gìter in seine Definition des menschlichen Telos einbezieht, scheint auf den ersten Blick einen schlagenden Grund zugunsten der These, daß er das hçchste menschliche Gut als ein inklusives Gut definiere, zu liefern. Jedoch muß man in diesem Zusammenhang auch auf die erheblichen Unklarheiten hinweisen28, die sich bei der Formulierung der These von der Eudaimonie als einem „inklusiven Gut“ oder „inklusiven Ziel“, das nicht-seelische Analyse von Nussbaum 1986, 329 ff., gem•ß der in diesen Kontexten bei Aristoteles die Begriffe des eqda_lym und des laj\qior austauschbar gebraucht werden, wenigstens mit Blick auf die Textpassage 1101a14 – 21 die These zu rechtfertigen, daß Aristoteles zwischen diesen beiden Glìckspr•dikaten unterscheide. Das Problem, das er so zu entsch•rfen hofft, n•mlich daß ìber die Eudaimonie strenggenommen nicht mit Blick auf bestimmte Lebensphasen, sondern nur mit Blick auf das Leben im ganzen und somit eigentlich erst nach Abschluß des Lebens entschieden werden kann, ergibt sich schon fìr die in I 6 erreichte Formel aufgrund der Klausel 1m b_\ teke_\. Und dort geht es definitiv um eqdailom_a und nicht allein um lajaqi|tgr. 27 Zur platonischen Tradition vgl. Annas 1999 (deren Interpretation der Gìterlehre Platons mir allerdings etwas zu weit in Richtung einer stoischen Sichtweise zu gehen scheint). 28 Vgl. etwa Kraut 1989, Heinaman 1992.

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

Gìter mit einschließe29, ergeben kçnnen. Grunds•tzlich muß man bei der Rede von „Teilen“ oder „Konstituentien“ der Eudaimonie mindestens drei mçgliche Bedeutungen unterscheiden: Wenn ein ontologischer Sinn unterstellt wird, so bedeutete dies, daß externe Gìter als integrale Bestandteile oder Konstituentien der Eudaimonie aufgefaßt werden. Wenn lediglich gemeint ist, daß ein Verweis auf externe Gìter in der Definitionsformel fìr Eudaimonie enthalten ist, so ließe dies die Mçglichkeit offen, daß sie nicht im ontologischen Sinne Bestandteile der Eudaimonie sind – etwa wenn Eudaimonie als eine Form von Praxis betrachtet wird, die lediglich Teilhandlungen, nicht aber •ußere Objekte als ,Bestandteile‘ enthalten kann. Schließlich kann von Enthaltensein auch in einem rein logischen Sinne gesprochen werden, gem•ß dem externe Gìter notwendige Bedingungen sind, weshalb Eudaimonie das Gegebensein dieser Gìter impliziert. Bei der Erçrterung der mit dem Begriff der Inklusivit•t verbundenen Probleme ist es wichtig, daß klargestellt wird, erstens ob man Inklusivit•t in einem ontologischen, definitorischen oder logischen Sinne versteht und zweitens ob man die so verstandene Inklusivit•t nur auf Praxisformen oder auch auf leibliche und •ußere Gìter bezieht.30 Die in I 11, 1101a14 – 16, vervollst•ndigte Version der Definitionsformel beinhaltet nicht mehr als ein definitorisches Enthaltensein, aber einige der Formulierungen in I 9 und I 11 kçnnten auch im Sinne eines ontologischen Enthaltenseins interpretiert werden (vgl. unten, II-A, § 1). In den Debatten der Peripatetiker 29 Vgl. u. a. Ackrill (z. B. 1974), Cooper (z. B. 1985), Irwin (z. B. 1985), Keyt 1983, Nussbaum 1986, Price 1980, Urmson 1988. 30 Beispielsweise drìckt sich Ackrill in seinem einflußreichen Aufsatz von 1974 teils so aus, als umfasse das hçchste Gut nur Weisen von Praxis, teils auch so, als ob es Gìter aller drei Gìterklassen umfasse (21: „… contains all intrinsically worthwhile activities“, 22: „… is inclusive of all intrinsic goods [zu denen Ackrill mit Aristoteles auch nicht-seelische Gìter z•hlt]“; mit •hnlichen Unklarheiten auch Irwin 1985, 93 f. und 97. Grçßere begriffliche Differenziertheit weisen hingegen die Analysen u. a. von Heinaman 1988, Kraut 1989, Lawrence 1997 auf ). Zwar sind diese Unklarheiten teilweise auch schon bei Aristoteles angelegt, andererseits vermag Aristoteles, wenn es ihm darauf ankommt, eindeutig zwischen einem integralen Bestandteil und einer bloßen notwendigen Bedingung, die im ontologischen Sinne nicht Teil ist, zu unterscheiden und streicht die Bedeutung dieser Unterscheidung in EE I 2 sogar mit besonderem Nachdruck heraus (vgl. auch I 5, 1216a39 f.; II 1, 1219b12 f., NE VI 13, 1144a3-6). Was den Bezug auf nichtseelische Gìter in der Definitionsformel betrifft (vgl. Cooper 1985), so ergibt sich daraus jedenfalls noch nicht, daß sie mehr als nur externe Ermçglichungsbedingungen sind. Eine Definition kann auch auf etwas Bezug nehmen, das nicht integraler Bestandteil des Definiendum ist, wohl aber in einer notwendigen Relation zu ihm steht.

§ 8. Die einzelnen Elemente der aristotelischen Definition

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zur Glìcksdefinition wird diese Frage eine wichtige Rolle spielen. Ich werde darauf in Teil II n•her eingehen. e) „in einem vollst•ndigen Leben / 1m b_\ teke_\“ Auch hier gilt, daß dieser Zusatz plausibel ist, sofern man sich ìberhaupt auf die Frage nach der objektiven Bestheit eines menschlichen Lebens einl•ßt. Das t•tige Leben schließt eine stufenweise Entwicklung in der Zeit mit einem natìrlichen Ende ein, so daß es auch in der zeitlichen Erstrekkung des Lebens einen Maßstab der Vollst•ndigkeit und Vollkommenheit gibt. Darum muß „Eudaimonie“, als Bestheit oder Vollkommenheit des menschlichen Lebens, auch diesen Aspekt mit einschließen. Im ìbrigen kann dieser Gesichtspunkt auch an die g•ngigen Vormeinungen anknìpfen. Allerdings ist die Interpretation dieses Zusatzes doch nicht so einfach, wie es vielleicht zuerst den Anschein hat. Der b_or t]keior kann das vollst•ndige Leben meinen, welches alle Phasen des natìrlichen Lebensbogens durchschreitet, oder aber ein Leben, daß vollst•ndig ist in dem Sinne, daß es alle Vermçgen voll entfaltet hat, d. h. sich im Stadium der Reife befindet. In peripatetischen Texten finden sich beide Bedeutungen nebeneinander (MM 1185a1-9, ArD 131, 19 – 132, 8). Allerdings geht aus der Erl•uterung in NE I 6 selbst sowie aus der Parallelstelle in NE X 7 (1177b25) hervor, daß Aristoteles hier an zeitliche Ausdehnung denkt,31 was auch eindeutig die Position der EE ist (II 1, 1219a35 ff.): Eudaimonische Praxis kann sich nicht in einem kurzen Zeitraum erfìllen. Eudaimonie muß die verschiedenen Vollkommenheitsmomente eines Leben umfassen, wozu auch die Vollst•ndigkeit der Lebensphasen gehçrt. Jedoch handelt man sich auf diese Weise das Solon’sche Paradox ein, das Aristoteles in der EE schlicht akzeptiert, w•hrend er in der NE, I 11, damit zu ringen scheint, ohne ein wirklich eindeutiges Ergebnis zu erreichen.32 Wenn sich die Eudaimonie immer auf das Ganze eines nicht vorzeitig abgebrochenen Lebens bezieht, dann kann es nie ein sicheres Bewußtsein des geglìckten Lebens w•hrend dieses Lebens selbst geben, da man es erst von seinem Ende her beurteilen kann, mit dem aber das Beurteilen-Kçnnen zugleich auch aufhçrt. Nun kann man ja sagen, daß es 31 Anders Gauthier/Jolif 1970, II-1, 59 f. 32 Zu Aristoteles’ Deutung des Solon’schen Paradoxes vgl. u. a. Irwin 1985, Cooper 1985, Scott 2000.

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

einfach eine Folge der Temporalit•t des menschlichen Lebens ist, daß man des Gelingens seines Lebens nie aufs Ganze gewiß sein kann, außer vielleicht in jener allerletzten Phase des Sterbens, falls man so stirbt, daß dabei noch Zeit fìr ein Resìmee des Lebens bleibt. Aber kçnnte man mit Bezug auf ein Leben nicht auch davon sprechen, daß es wenigstens in bestimmten Phasen ein gelingendes und glìckliches Leben war? In gewissem Sinne wird das ja von Aristoteles unterstellt, wenn er behauptet, daß bestimmte extreme Unglìcksf•lle die Eudaimonie auslçschen kçnnen (selbst wenn der Betreffende sich immer noch den Umst•nden entsprechend edel verhalten wird, weshalb sein Leben auch in einer solchen Situation nicht als gescheitert betrachtet werden kann; vgl. 1100b30 – 1101a8). Denn wenn es so ist, daß ein eudaimonischer Zustand in einen nicht-eudaimonischen ìbergehen kann, dann impliziert das ja auch, daß Eudaimonie lebensabschnittsweise vorliegen kann. Aristoteles kehrt dann aber doch wieder zu der Betrachtungswesie zurìck, daß ein Leben erst vom Ende her auf Eudaimonie hin beurteilt werden kann (1101a16 – 19). Sachlich haben imgrunde beide Perspektiven ihre Berechtigung. Sofern es aber um das Telos des menschlichen Lebens geht, muß doch die Lebenspanne im ganzen in den Blick treten. Das Solon’sche Paradox erg•be sich nicht, wenn die eudaimoniehafte Praxis allein von der Arete¯ und nicht auch von •ußeren Glìcksumst•nden (eqtuw^lata) bzw. der Abwesenheit schwerwiegenden Mißgeschicks abh•ngen wìrde. In der Tat ist dies ja der Hintergrund dafìr, daß vor allem die Stoiker gegen die Peripatetiker und den common sense die Irrelevanz der •ußeren Glìcksumst•nde einschließlich des Todeszeitpunktes fìr die Realisierung des Telos zu beweisen versuchen. Wenn die pq÷nir jat’ !qet^m teke_am eine Gegebenheit w•re, die unabh•ngig von •ußeren Hilfsmitteln das menschliche Telos realisiert und fìr die es auch nicht relevant ist, ob einen der Tod frìh oder sp•t ereilt, so wìrde sich aus dem Bewußtsein der eigenen Arete¯ in der Tat jederzeit das Bewußtsein der Eudaimonie ergeben. Aber das ist eine Position, die fìr die aristotelische Ethik eben nicht mçglich ist, da sie in ›bereinstimmung mit den Vormeinungen den unzeitigen Tod oder die Behinderung der Praxis durch widrige Umst•nde als genuine ›bel betrachtet. Dies ist im ìbrigen auch der Grund dafìr, warum die Erweiterung der Eudaimonieformel um den expliziten Bezug auf die Ausstattung mit nicht-seelischen Gìtern bei Aristoteles gerade im Zusammenhang mit der Erçrterung des Solon’schen Paradoxes erfolgt (NE I 11), denn unzeitiger Tod ist ja durch den Verlust des leiblichen Gutes der Gesundheit oder durch •ußere Gewalteinwirkungen bedingt.

§ 9. Das objektiv hçchste Gut des Menschen als subjektiver Zielpunkt

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Jedoch bedeutet das Kriterium der temporalen Vollendung eines Lebens nicht, daß jemandem die Eudaimonie abgesprochen werden muß, weil er in seiner Blìte fìr eine gute Sache stirbt. Aristoteles diskutiert diesen Fall in Zusammenhang mit den Handlungen der Tapferkeit (NE III 9 – 12, IX 8). In einem solchen Fall wird das Leben nicht von seinem vorzeitigen Ende her entwertet, sondern bew•hrt sich vielmehr gerade im edlen Tod auf das Hçchste. Aber aus der Tatsache solcher Ausnahmef•lle ergibt sich fìr Aristoteles nicht, daß vorzeitiger Tod generell kein ›bel sei. Und in jedem Fall muß die Lebensspanne des Betreffenden ausreichend gewesen sein, um eine hinl•ngliche charakterliche und intellektuelle Reife zu erlangen, weil ohne diese Reife noch nicht einmal von Arete¯ im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann.

§ 9. Wie kann das objektiv hçchste Gut des Menschen zum subjektiven Zielpunkt menschlicher Praxis werden? Die aristotelische Ethik unterstellt nicht nur, daß es ein wahres Gut des Menschen gibt – seine objektive Wesenserfìllung (die freilich nur im Prozeß menschlicher Selbsterfahrung deutlich werden kann) –, sondern erçrtert auch die Handlungsteleologie aus der Perspektive des Handelnden, d. h. den subjektiven Zielbezug. Dieser ist ja in gewissem Sinne sogar das Prim•re, da er der Ausgangspunkt des ethischen Fragens ist. Dementsprechend verweist Aristoteles am Anfang der NE auf die finale Gerichtetheit unserer menschlichen T•tigkeiten und technischen Vermçgen, und greift in diesem Zusammenhang eine altakademische Formel auf, die besonders mit dem Namen des Eudoxos von Knidos verknìpft ist, n•mlich daß das Gute das sei, wonach alles strebe (ox p\mta 1v_etai, 1094a3). Hinter dieser durch Aristoteles und die scholastische Rezeption klassisch gewordenen Formulierung stand bei Eudoxos die Idee, daß sich die Kl•rung der Frage, was eigentlich das Gute sei, daraus ergeben mìßte, daß man nachweist, was das von allen Wesen, die ìber ein Strebevermçgen verfìgen, grundlegend Erstrebte ist. Aristoteles gebraucht diese Formulierung nur, um auf den Zusammenhang zwischen den Begriffen des Strebens und des Guten aufmerksam zu machen. Er ist nicht der Meinung, daß es ein inhaltlich bestimmtes einheitliches Gutes gibt, das von allen Wesen, die ìberhaupt streben, erstrebt wird (vgl. EE I 8, 1218a30 ff.). Nun kann man allerdings die Idee einer grunds•tzlichen Korrelation zwischen dem Streben und dem Guten auch so verstehen, daß das Gutsein sich aus dem Er-

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strebtsein ergebe, ihm also begrifflich nachgeordnet sei. Das Gute wìrde damit nicht objektiv bestehen, sondern jeweils erst durch ein Wollen oder Streben „gesetzt“ werden, und w•re in diesem Sinne fundamental subjektiv. Dies entspricht aber nicht dem Vorverst•ndnis unserer Handlungsrationalit•t, wie Aristoteles herausstellt: Wir erstreben etwas, weil wir es fìr gut halten, nicht umgekehrt, d. h. wir setzen jeweils voraus, daß etwas gut ist bzw. gut ist fìr mich, und daß in diesem Gutsein der Grund dafìr liegt, daß es erstrebenswert ist (vgl. Metaph. XII 7, 1072a29).33 Wenn gleichwohl die Bestimmung gelten soll, daß gut fìr jemand das ist, was Objekt seines Strebens ist, und dies nicht einen Wert-Subjektivismus bedeuten soll, dann muß man voraussetzen, daß das Streben von vornherein auf das objektiv Gute fìr das betreffende Wesen ausgerichtet ist. Diese Voraussetzung bereitet im Rahmen von Aristoteles’ Naturteleologie auf der Ebene der subrationalen tierischen Lebewesen, die ìber appetitive Lust- und Unlustgefìhle verfìgen, keinerlei Probleme. Ihre Physis wirkt durch das Strebevermçgen hindurch auf die naturgem•ße Selbsterhaltung und -entfaltung hin. Beim Menschen gibt es aber diesen Automatismus nicht. Was kann es also beim Menschen bedeuten, wenn man sagt, daß er durch seine Strebensnatur von vornherein auf das fìr ihn objektiv Gute ausgerichtet ist? Bevor ich diese Frage weiter erçrtere, noch eine Zwischenbemerkung zum Begriff des Guten-fìr, der eine leicht in die Irre fìhrende öquivokation aufweist. Etwas kann in dem Sinn fìr jemanden ein Gut sein, daß er meint, es sei ein Gut; oder in dem Sinne, daß es zutr•glich ist fìr ihn (unabh•ngig davon, ob er das auch meint). Im ersten Fall geht es um eine epistemische Einstellung, im zweiten um die objektive Relation des Zutr•glich-Seins34. Wenn hier vom Guten fìr den Menschen oder fìr einen bestimmten Menschen die Rede ist, so ist immer diese objektive Relation gemeint, nicht eine epistemische Einstellung. Was kann es also beim Menschen bedeuten, daß er schon durch seine Strebensnatur auf das fìr ihn objektiv Gute ausgerichtet ist? Aristoteles verweist auf einen ursprìnglichen Impuls der Selbstliebe, die ursprìngliche Benevolenz eines jeden Menschen sich selbst gegenìber, die sich darin ausdrìckt, daß er sein Dasein zu bewahren trachtet und sich wìnscht, was gut bzw. zutr•glich fìr ihn selbst ist – letztlich ein gutes und glìckliches Leben (NE VIII 2, 1155b21 – 27; IX 4, 1166a1 ff.; 8, 1168b5 f., 9 f.). Die 33 Siehe hierzu auch Wiggins 1987. 34 Z. B. NE III 6, 1113a15 – b2; VI 5, 1040a25 – 28; 8, 1141b13 f.; VIII 2, 1155b21 – 27.

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ursprìngliche Selbstliebe kann zwar durch seelische Konflikte gestçrt werden, die bis zur Selbsttçtung, also der praktischen Verneinung des eigenen Lebens fìhren kçnnen. Aber von Natur aus (sowohl im Sinne eines ursprìnglichen natìrlichen Impulses35 als auch der vollendeten seelischen Verfassung) ist sich der Mensch, und ist ihm sein Leben, erstrebenswert (EE VII 6, 1240b19 – 21, 28 – 30), und darum erstrebt er auch das, was fìr sein Leben zutr•glich ist. Was er fìr zutr•glich h•lt, h•ngt dann zwar davon ab, was er sich unter einem guten Leben vorstellt, d. h. auf welchen Grundwert er sein Leben ausrichtet. Aber er intendiert, insofern er die Eudaimonie intendiert, das objektiv fìr ihn Gute, auch wenn er es durch eine irrige Auffassung der inhaltlichen Bestimmungen von Eudaimonie verfehlt (vgl. NE III 6). Der entscheidende Erkl•rungsgrund dafìr, daß das subjektive, durch die naturale Selbstliebe auf das eigene Wohl ausgerichtete Streben das objektiv Gute fìr diesen Menschen intendiert, liegt also darin, daß dieses naturale Streben zugleich das Streben eines rationalen Wesens ist, das sich immer die Frage stellen kann, ob das, was es als sein Gutes anstrebt, auch in Wahrheit sein Gutes ist. Diese Objektivit•ts- oder Wahrheitsintention liegt schon im „ist gut“-Sagen, und sie h•ngt damit zusammen, daß ein rationales Wesen sich bewußt auf das Gute als Gutes bezieht. Aber ist es auch so, daß die Bestimmung des objektiv Guten und Erstrebenswerten fìr einen (individuellen) Menschen damit in Zusammenhang steht, was fìr „den“ Menschen, also fìr Menschen ìberhaupt, das Gute ist? Wenn man den Begriff des guten Lebens fìr objektivierbar h•lt, bleibt immer noch die Frage, ob sich auch allgemeine Bestimmungen dessen, was das gute Leben eines Menschen qua Menschen ausmacht, begrìnden lassen, und wenn ja, ob diese universalen Aspekte menschlicher Eudaimonie nur einen Rahmen vorgeben, der sich durch unterschiedliche, aber gleichwertige Charakterausformungen und Lebensentwìrfe ausfìllen l•ßt, oder ob es darìber hinaus einen universal besten Charakter- und Lebenstypus gibt. Angesichts des relativ hohen Grades an inhaltlicher Unbestimmtheit der Aristotelischen Glìcksdefinition kann man seine Konzeption so zu interpretieren versuchen, daß die mit Bezug auf alle Menschen gìltigen Aussagen nur erst so etwas wie einen Rahmen konstituieren, der durch ganz unterschiedliche, individuell angemessene Lebensentwìrfe ausgefìllt werden kann, wobei fìr deren Angemessenheit partikulare Gegebenheiten wie die je eigene Veranlagung, soziale Situation und die bereits getroffenen 35 Vgl. Pol. II 5, 1263b1.

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Lebensentscheidungen von Bedeutung sind.36 Diese Interpretation kçnnte darauf verweisen, daß fìr Aristoteles zur Richtigkeit der Handlungsentscheidungen, durch die man das eigene Leben gestaltet, die Anpassung an die Besonderheiten der Situation gehçrt. Phrone¯sis ist ja prim•r die F•higkeit, sich zum Besonderen angemessen zu verhalten. Wir haben auch keinerlei Grund zu bezweifeln, daß fìr ihn dabei Gesichtspunkte wie die eigene soziale Position, die eigenen F•higkeiten, bereits getroffene Entscheidungen und eingegangene Verpflichtungen etc. wesentliche Aspekte der zu berìcksichtigenden Situation sind. Dennoch scheint diese pluralistische Position nicht Aristoteles’ Sichtweise zu sein, wie ich bereits erl•utert habe (§§ 5-6). Daraus, daß er die Gestalt des besten menschlichen Lebens mit der Praxis eines ganz bestimmten Typus von Menschen, der zur vollen Entfaltung auch besonderer Lebensumst•nde bedarf, identifiziert, folgt zwar nicht, daß seiner Auffassung nach jeder rational entscheidende Mensch versuchen muß, so zu leben wie etwa der in NE IV 7 ff. beschriebene Typus des lecak|xuwor, n•mlich dann nicht, wenn dies nicht in der Reichweite der fìr ihn gegebenen konkreten Lebensmçglichkeiten liegt. Aber es impliziert sehr wohl, daß derjenige, der diese beste Form eines Selbstentwurfes umst•ndehalber nicht verwirklichen kann, eben auch nicht das Optimum menschlicher Lebenspraxis realisiert. Nun ist es ist also in aristotelischer Perspektive zwar so, daß die naturale Selbstliebe im Falle rationaler Wesen aufgrund der Verbindung mit der Wahrheitsintention den Bezug auf das objektiv Gute fìr den Menschen einschließt. Gleichwohl muß eine Ethik des menschlichen Telos, bzw. der objektiven Eudaimonie, wie Aristoteles sie unternimmt, auch kl•ren, wie dieses objektive Gut des Menschen sich zu den positiven subjektiven Erlebnisweisen verh•lt, die in der griechischen Philosophie am h•ufigsten unter dem Titel der „Bdom^“ thematisiert werden. Denn was wir faktisch erstreben, wird im hohen Maße davon beeinflußt, was uns angenehm ist, Freude bereitet oder beglìckt. Dementsprechend kann die Frage, wie sich subjektive Handlungsteleologie und das objektiv Gute zueinander verhalten, nur dann abschließend beantwortet werden, wenn auch gekl•rt wird, wie das, was objektiv gut ist, zugleich als das Erfreuliche unser Handeln motivieren kann. Dabei ist zun•chst vor Mißverst•ndnissen zu warnen, zu denen die Begriffe eqdailom_a und Bdom^ aufgrund ihrer modernen Konnotationen 36 Dies entspr•che, grob gesagt, der Theorie der menschlichen „Rollen“ bei Panaitios, die Cicero in De officiis I 93 ff. exzerpiert hat, was zeigt, daß eine solche Betrachtungsweise auch fìr antike Autoren mçglich ist.

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Anlaß geben kçnnen. „eqdailom_a“ ist in der griechischen Philosophie ganz allgemein der Titel fìr die beste menschliche Daseinsweise, ohne daß durch die Verwendung dieses Ausdruckes schon eine Festlegung darauf stattgefunden hat, was die beste Daseinsweise ausmacht.37 Gerade wegen dieser begrifflichen Unbestimmtheit und Ergebnisoffenheit konnte dieser Begriff zum Leitwort fìr ganz heterogene ethische Schulen werden. Insbesondere impliziert „eqdailom_a“ nicht eine Festlegung darauf, daß das hçchste Gut, das der Mensch in seinem Leben realisieren kann, in einem subjektiven Zustand der Zufriedenheit oder Beglìcktheit liegt. Eine Ethik der eqdailom_a ist also nicht eo ipso schon eine eud•monistische Ethik, so wie Kant und andere den Begriff Eud•monismus verstehen. Auch der Begriff „Bdom^“ kann Mißverst•ndnisse verursachen, und zwar durch die modernen Konnotationen des Wortes „Hedonismus“. Dort, wo in der griechischen Philosophie die Bdom^ als ein erstrebenswertes Gut bezeichnet wird, muß dies keineswegs eine Bevorzugung kçrperlich-sinnlicher Lìste bedeuten. Der Ausdruck „Bdom^“ kann fìr alle mçglichen Varianten eines sozusagen positiv erlebten subjektiven Gemìtszustandes stehen, welcher durch Worte wie „angenehm“, „lustvoll“, „Freude“, „Beglìckung“ und dgl. beschrieben wird. Bei Aristoteles, wie schon bei Platon, wird darum mit der Frage, wie sich die Bdom^ zur eqdailom_a verh•lt, ganz allgemein das Verh•ltnis von bester Lebensweise und subjektiv freudvollen oder beglìckendem Erleben angesprochen. Und ihre leitende These ist, daß das objektive beste Leben auch mit der hçchsten oder reinsten Form von Bdom^ einhergeht, weshalb es gar keinen grunds•tzlichen Konflikt zwischen subjektiver Handlungsteleologie und dem objektiv Besten gibt.38 Allerdings stellt sich dieser Einklang von objektiver Bestheit und subjektivem Erleben nur auf der Grundlage einer richtigen Charakterformung ein. Es ist eine wesentliche Leistung der ethischen Tugenden, daß man sich an dem erfreut, was auch wirklich das Gute ist. Eben durch die Formung dieses Erlebens erh•lt unser Streben seine Ausrichtung. Wer sich an Dingen erfreut, die nicht gut sind, ist darum zwar noch nicht automatisch ein Mensch, der auch schlecht handelt. Denn es kann so sein, daß in ihm gleichzeitig auch noch die Impulse zum Guten wirksam sind und daß in diesem inneren Strebenskonflikt die Impulse zum Guten sich durchsetzen (1cjq\teia). Aber dies ist dann nur eine instabile seelische Ordnung, die nicht auf einer Homologie von Streben und praktischem 37 Vgl. oben, I-A, § 1, Anm. 7. 38 NE I 9, 1099a13ff; IX 9 1170a14 ff.; EE I 1, 1214a1-8; VIII 3.

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Urteilen beruht. Dieser Mensch ist nur beherrscht, hat aber nicht das Telos menschlicher Entwicklung erreicht. Die aristotelische These lautet also, daß das subjektive, durch Dispositionen zu Lustempfinden und Freude geformte Streben und das Vorziehen des objektiv Guten beim Menschen grunds•tzlich im Einklang miteinander stehen – und zwar nicht, weil die Bestimmung des Guten aus dem Angenehmen oder Lustvollen abgeleitet wìrde, sondern weil der Mensch lernen kann, sich an dem, was gut ist, auch zu erfreuen.39 Dabei soll dieses Gute, um das es hier geht, auch das sittlich Gute einschließen, weil der Spoudaios gerade ein solcher ist, der Freude am sittlich guten Tun empfindet. Hier ergibt sich aus unserem jìdisch-christlich gepr•gten Ethikverst•ndnis eine Nachfrage. Es erscheint als unwahrscheinlich, daß ein Mensch am ethisch Gebotenen immer auch seine Freude hat, weil man vielmehr die Erfahrung macht, daß das ethisch Gebotene mit dem, was Lust und Freude bereitet, in Konflikt stehen kann – wenn es nicht gerade ein Heiliger ist. Der aristotelische Spoudaios ist zwar auch ein eher selten vorkommender Mensch, aber eine Konzeption •hnlich der der Heiligkeit w•re hier ganz fehl am Platze. An dieser Stelle muß man darum einen grunds•tzlichen Perspektivenunterschied ansprechen, der sich aus der Orientierung an zwei heterogenen Grundworten fìr die Bezeichnung des ethisch Wertvollen ergibt. Das Grundwort der jìdisch-christlichen Moraltradition lautet „Gesetz“, das der antiken, platonisch-aristotelisch-stoischen Traditionslinie „t¹ jak|m“. Doch bevor ich auf diesen Unterschied zurìckkomme, ist zuerst noch die Bedeutung des Ausdrucks „jak|m“ in der Ethik des Aristoteles etwas genauer zu analysieren. Der Begriff „Sittlichkeit“ oder „Moralit•t“ hat kein exaktes Pendant in der aristotelischen Terminologie. Der Ph•nomenbereich wird bei ihm aber am ehesten durch den Ausdruck „t± jak± ja· t± d_jaia“ (vgl. NE I 1, 1094b14 f.) bezeichnet. Der Schlìsselbegriff scheint dabei der des jak|m zu sein. Denn Aristoteles stellt immer wieder heraus, daß die Bet•tigungen der ethischen Tugenden um des jak|m willen (toO jakoO 6meja) geschehen mìssen, d. h. daß sie durch das diesen Handlungsweisen inh•rierende Moment des jak|m motiviert sein mìssen, sofern sie denn tats•chlich ethische Handlungsweisen sind. Wenn in NE II 3 unter den notwendigen Bedingungen der tugendgem•ßen Handlungsweise die Bedingung aufgez•hlt wird, daß man sie „um ihretwillen w•hlt“ (pqoaiqo}lemor di’ aqt\), so hat dies den gleichen Hintergrund. Denn das, was eine Handlung um ihretwillen erstrebenswert macht, ist eben ihr Charakter, ein jak|m zu 39 Vgl. Burnyeat 1980.

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sein.40 Nun ist allerdings gerade dieser Begriff „jak|m“ mit seiner eigentìmlichen Bedeutungsspanne im Deutschen oder anderen einschl•gigen modernen Sprachen besonders schwer wiederzugeben. Sogar das klassische Latein hat hier, obwohl zeitlich viel n•her stehend, kein wirklich treffendes Pendant anzubieten. Die von den lateinischen Autoren bevorzugte ›bersetzung fìr „jak|m“ in ethischer Bedeutung lautet „honestum“, also wortwçrtlich das Ehrbare, Wìrdige, Achtenswerte, was aber eher das Pendant zum griechischen Wort „t_liom“ ist und nur einen (wenn auch wichtigen) Bedeutungsaspekt der ethischen Verwendung von „jak|m“ trifft. Zum Bedeutungsfeld von „jak|m“ gehçrt bekanntlich eine im engeren Sinne •sthetische Bedeutung, gem•ß der „jak|m“ durch „schçn“ (pulchrum) ìbersetzt wird. Das so verstandene jak|m ist das fìr ein Sinnesvermçgen Erfreuliche. Auff•llig ist dabei, daß Aristoteles in NE X 4, wo es um sinnlich-•sthetische Anschauung geht, die Rede vom j\kkistom ohne weiteres mit dem Begriff des Besten (jq\tistom, spoudai|tatom) verbindet: Fìr ihn ist es anscheinend so, daß die Erfreulichkeit und Schçnheit eines Wahrnehmungsobjektes mit seiner inneren werthaften Qualit•t korreliert. Dieser Gedanke ist auch nicht schwer zu verstehen, wenn man sich das damalige Verst•ndnis des Kunstschçnen vor Augen h•lt, das uns etwa durch Platon vertraut ist, der aber seinerseits darin vom klassischen grie40 Daß die ethische Praxis des Spoudaios generell durch ihre eigene sittliche Qualit•t als jak|m motiviert wird (um des jak|m willen oder wegen des jak|m), wird von Aristoteles im Kontext seiner Tugendlehre wiederholt ausgesprochen (NE III 10, 1115b11 – 13; 11, 1116b2 f., 1117a16 f.; 12, 1117b9; 14, 1119a18; 15, 1119b15 f.; IV 2, 1120a12 – 25; IV 4, 1122b6 f.; EE III 1, 1230a26ff; s. a. EE I 5, 1216a25 f.). Daß eine tugendhafte Handlung nach Aristoteles eine Handlung ist, die eine bestimmte subjektive Einstellung des Betreffenden voraussetzt, wozu unter anderem die richtige Motivation (das ox 6meja) gehçrt, ergibt sich aus der Tatsache, daß eine tugendhafte Handlung im Vollsinne eine solche ist, die von dem Betreffenden um ihrer sittlich vortrefflichen Qualit•t willen gew•hlt wird. Dies setzt einen ethischen Habitus des W•hlens voraus, wie er fìr den Spoudaios kennzeichnend ist. (Vgl. Ross 1964, 204, Gauthier/Jolif 1970, Bd. 2, ad 1115b12 – 13, zu der These, daß der Begriff „jak|m“ in diesem Zusammenhang eine intrinsische Qualit•t der Handlung meint und nicht zur Bezeichnung einer erstrebten Wirkung dient.) In diesem Sinne sind auch die Aussagen zu verstehen, daß der Spoudaios die tugendhaften Handlungen um ihrer selbst willen w•hlt (NE II 3, 1105a32; VI 13, 1144a13 – 20), daß die ethische Praxis als Eupraxie sich selbst ihr Telos ist (u. a. VI 6, 1140b6 f.) und daß sie in sich etwas von Natur aus, und darum auch fìr den Spoudaios, Lustvolles ist (u. a. NE I 9, 1099a7 – 31). Neben dem jak|m ist auch das Moment des d_jaiom fìr den Spoudaios selbstzweckhaft motivierend (NE V 9, 1134a1 f.; vgl. auch I 9, 1099a7 – 21 [mit Bezug auf die Motivation des dijaiopqace?m in a10 f. und a18 f.]; IX 8, 1168b25 – 28).

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chischen Verst•ndnis des Kunstschçnen in der Architektur, Bildhauerei, Kompositionskunst etc. abh•ngt.41 Sichtbare Gestalten oder hçrbare Tonfolgen sind schçn jeweils dank einer bestimmten inneren Ordnung und Proportion. Diese stimmige Proportioniertheit stellt diejenige Art von intrinsisch werthafter Qualit•t dar, durch die etwas der darauf bezogenen Sinneswahrnehmung besonders entgegen kommt bzw., in aristotelischer Terminologie, ihm seine Weise bester Energeia ermçglicht, die dann auch in besonderem Maße freud- oder lustvoll ist und das Objekt darum als ein jak|m ausweist (vgl. NE X 4, 1174b14-31). Das so verstandene jak|m ist also etwas, das von sich her, durch eine bestimmte innere, werthafte Qualit•t, die beste und am meisten lustvolle Bet•tigung eines Sinnesorgans ermçglicht. Diesen sinnlich-•sthetischen Begriff des jak|m ìbertr•gt Aristoteles in derselben Textpassage in NE X 4 auf den Bereich der Gegenst•nde wissenschaftlich-theoretischer Kontemplation, die fìr ihn ja ebenfalls jak\ sind, wie wir auch aus anderen Textpassagen wissen.42 Und zwar besteht die Analogie darin, daß auch die theoretischen Gegenst•nde in dem Maße jak\ sind, wie sich an ihnen die erkennend-verstehende T•tigkeit des Intellekts auf gute und lustvolle Weise bet•tigen kann. Ein eindrìckliches Beispiel fìr das jak|m in der theoretischen Kontemplation liefert die oben in § 4 zitierte Passage aus De part. anim. I 5 (645a7 ff.), die mit Bezug auf „unwìrdige“ Tierarten und Kçrperteile den mangelnden Liebreiz der sinnlichen Erscheinung mit dem fìr die wissenschafltiche Betrachtung sich erschließenden jak|m kontrastiert, das hier in der inneren Zweckm•ßigkeit des organischen Aufbaus besteht. Aber nicht nur fìr die Objekte der Naturbetrachtung und Kosmologie, sondern auch mit Bezug auf mathematisch-geometrische Objekte und Beweise kennt Aristoteles diese Dimension des jak|m (Metaph. XIII 3, 1078a31 ff.), und es handelt sich hier um Erfahrungen, die wir durchaus noch nachvollziehen kçnnen. In Aristoteles’ Verst•ndnis gibt es also eine nahtlose Analogie zwischen dem sinnlich Schçnen und dem Erfreulichen fìr die theoretische Kontemplation. Hier wie dort gibt es jeweils eine spezifische innere, werthafte Qualit•t der Sache, die sie zu einem besonders geeigneten und erfreulichen Objekt des fraglichen rezeptiven Vermçgens macht, weshalb sie nicht nur als etwas intrinsisch Gutes, sondern auch als ein jak|m bezeichnet wird. Dies kçnnte der Hintergrund fìr eine der zwei Definitionen des jak|m sein, die in der Rhetorik (1366a33 f.) angefìhrt werden. Ihre Fomulierung 41 Vgl. hierzu Burnyeat 2000. 42 Z. B. NE X 7, 1177a15. Vgl. auch oben, §§ 3 und 4.

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lautet, daß das jak|m dasjenige sei, was gut sei und aufgrund seines Gutseins erfreue.43 W•hrend dieser Begriff des jak|m also im weiteren Sinne •sthetisch ist, zielt die andere in der Rhetorik angebotene Definition eindeutig auf die sittliche Bedeutung von „jak|m“, die im Deutschen oft durch den Ausdruck „edel“ wiedergegeben wird: Diese Definitionsformel lautet: „dasjenige, was als etwas durch sich selbst Erstrebenswertes (di’ art¹ aRqet¹m em) (auch) lobenswert (1paimet|m) ist“ (1366a33 f., s. a. EE VIII 3, 1248b18 ff.). Der Begriff di’ art¹ aRqet|m kennzeichnet solches, was einen intrinsischen Wert besitzt. Nur wird dieser jetzt nicht mit dem Erfreulichen, sondern mit Lob und Tadel, und damit mit dem Bereich sozialer Sanktionen in Verbindung gebracht. Wie aus anderen Passagen der Rhetorik (I 9, 1366b34 – 67a6; II 13, 1389b36 – 90a1) noch deutlicher hervorgeht, ist das so verstandene jak|m das sozial Gewìnschte – oder weniger modern ausgedrìckt: das, was in einem bestimmten Gemeinwesen mit Blick auf das bonum commune die gewìnschten Verhaltensdispositionen und Handlungsweisen ihrer Mitglieder sind und durch Lob sowie durch Ehre und Anerkennung (til^) belohnt wird (1366b34 f.). Dazu paßt auch, daß in den genannten Passagen der Rhetorik ein Gegensatz hergestellt wird zwischen dem, was fìr einen selbst das Nìtzliche ist, und dem jak|m, und daß dementsprechend das jak|m mit einer altruistischen Motivation in Verbindung gebracht wird (1366b34 – 67a6). Weil das sittliche jak|m mit sozialen Forderungen und Sanktionen verbunden ist, steht es auch in einem engen Zusammenhang mit dem Begriff des d_jaiom, der ja etwa in der Politik ausdrìcklich mit dem bonum commune (joim0 sulv]qom) verknìpft wird.44 Der gleiche Gedanke kommt auch in der von Aristoteles in NE V 3, 1130a3, zitierten Formulierung des Thrasymachos zum Ausdruck, wonach das d_jaiom das „Gut des anderen“ (!kk|tqiom !cah|m) sei (vgl. Platon, Rep. I 343C3), denn dies ist eine Entsprechung zu der Charakterisierung des ethischen jak|m in Rhet. I 9 als altruistischer Handlungsweise. Dieser Gegensatz von selbstbezìglicher und altruistischer Motivation, dem eine Antithese zwischen den jak\ und d_jaia einerseits und dem fìr einen selbst Zutr•glichen (sulv]qomta) 43 „d #m !cah¹m cm Bd» ×, fti !cah|m“. – Zum Bedeutungsspektrum von jak|m gehçrt auch die Bedeutung des Nìtzlichen, Zutr•glichen, und die eben angefìhrte Definitionsformel in der Rhetorik schließt dies sicherlich mit ein. Prim•r dìrfte jedoch an das gedacht sein, was durch eine besondere intrinsische Wertqualit•t erfreulich ist, wobei das elementare Beispiel die wohlproportionierten und darum schçnen Sinnesobjekte sind. 44 Pol. III 12, 1282b16 ff.; s. a. NE V 3, 1129b11 ff.; VIII 11, 1160a13 f.

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andererseits entsprechen wìrde, ist nun aber gerade nicht die eigentliche Lehre des Aristoteles, welche am deutlichsten in NE IX 8 formuliert wird. In der Rhetorik wird, entsprechend den Intentionen dieser t]wmg, lediglich das landl•ufige Verst•ndnis des jak|m in sittlicher Bedeutung artikuliert. Die aristotelische Auflçsung dieses scheinbaren Gegensatzes besteht, kurz gesagt, darin, daß die ethisch wertvollen Handlungen als konstitutive Elemente der besten Daseinsweise eines Menschen erwiesen werden. Dadurch erscheint das jak|m nicht mehr als ein Gegensatz zu dem fìr einen selbst Zutr•glichen, nicht mehr als eine einseitig altruistische Handlungsweise, die durch soziale Anerkennung „belohnt“ wird, sondern als dasjenige, was eine wohlverstandene Selbstliebe bevorzugen wird, weil es dem eigenen Leben einen intrinsischen Wert vermittelt – weil es, mit anderen Worten, diesen Menschen und sein Leben selbst zu einem jak|m macht und Grundlage fìr das Bewußtseins seiner eigenen Wìrde ist (vgl. NE IV 7). Ich werde auf diesen Gedanken noch einmal ausfìhrlicher zu sprechen kommen (§ 12). Gegenw•rtig ist fìr uns vor allem die Feststellung von Bedeutung, daß es nach der aristotelischen Analyse in den Ethiken den ethisch wohl verfaßten Menschen gerade auszeichnet, daß er am sittlichen Tun Freude hat, weil es ein jak|m ist. Darum ist das ethische Handeln auch, wie schon erl•utert (§ 5), etwas „von Natur aus Erfreuliches“, n•mlich in dem Sinne, daß der Spoudaios, in dem sich die menschliche Natur vollendet, an diesem Tun um seiner selbst willen Freude haben wird. Im Ergebnis kçnnen wir die folgenden zwei Aspekte am Begriff des sittlichen jak|m in der Ethik festhalten: Das sittliche jak|m weist erstens einen Bezug zu den sozialen Erwartungen und Forderungen auf, wie er sich im Diskurs von Lob und Tadel manifestiert. Es steht zweitens (anders als in der Rhetorik) nicht im Gegensatz zu der quasi-•sthetischen Bedeutung des jak|m als des intrinsisch Erfreulichen und Attraktiven,45 weil fìr den Spoudaios, der das objektiv Gute vorzieht, vielmehr das sittlich richtige und „edle“ Handeln ein Quell von Freude ist. Wie stellt sich im Lichte dieser Feststellungen der grunds•tzliche Perspektivenunterschied dar, der aus der Orientierung am Begriff des jak|m statt an der des Gesetzes entspringt? W•hrend zum Begriff des Gesetzes direkt der der Sanktion gehçrt, die ein Gegenstand von Furcht ist, konnotiert der Begriff des jak|m die Vorstellung des Erfreulichen und Attraktiven. Das jak|m ist von sich aus „anziehend“ (ein Aspekt, der st•rker noch bei Platon zum Tragen kommt, aber auch bei Aristoteles in der Verknìpfung des jak|m mit dem Erfreu45 Vgl. etwa Owens 1981, 261 f.

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lichen mitschwingt). Weil das ethisch rechte Verhalten etwas von sich her fìr den Menschen Attraktives und Erfreuliches ist (sofern er seine Natur zu ihrer besten und eigentlichen Gestalt entwickelt), ist es ein in aristotelischer Perspektive unverst•ndlicher Gedanke, daß gerade im tugendhaften Niederk•mpfen schlechter Strebungen oder Triebe („Tugend im Kampfe“) ein besonderes Verdienst liegen soll. Ein solcher innerer Konflikt ist vielmehr immer ein Mangel an charakterlicher Arete¯. – Selbstverst•ndlich ist der eben gezeichnete Gegensatz zwischen dem furchteinflçßenden Gesetz und der Attraktivit•t eines „edlen Charakters“ etwas plakativ. Aber er trifft doch einen wesentlichen Punkt. (Die Geschichte der religiçsen Ethik ist gerade dort innovativ gewesen, wo sie das Gesetz nicht nur als eine •ußere, durch die Allmacht und Heiligkeit des Gesetzgebers verbindliche und wirksame Richtschnur betrachtet, sondern auf seine innere Rationalit•t und Attraktivit•t hin freizulegen versucht, wodurch die beiden entgegengesetzten Standpunkte zu einer Vermittlung gelangen. Aber dies sei hier nur am Rande bemerkt.) Wenn man mit Blick auf die aristotelische Konzeption der Sittlichkeit oder des ethisch Richtigen die Orientierung am Begriff des jak|m und in Verbindung damit an der Attraktivit•t und Erfreulichkeit des sittlich Richtigen herausstellt, so darf man aber auch nicht gleichsam das Kind mit dem Bade ausschìtten, indem man den normativ-fordernden Charakter des ethischen jak|m unterschl•gt. Daß sich das ethische jak|m fìr Aristoteles mit dem Begriff des Richtigen (aqh|m) und dem des d]om („Gesollten“) oder ¢r de? („wie es sein soll“) verbindet,46 ist zwar schon ein hinreichender Beleg dafìr, daß das jak|m als eine Norm begriffen wird. Jedoch ist der Begriff der Normativit•t weiter als der des sittlich Gebotenen. So findet sich das Moment des Normativen auch z. B. im Bereich des im engeren Sinne östhetischen, etwa bei den durch die klassische Baukunst zu wahrenden Proportionen. Daß das ethische jak|m dennoch nicht einfach ein auf Verhaltensweisen ìbertragenes •sthetisches Konzept ist, liegt an seinem Gemeinwohlbezug, der in die Konstitution dessen, was sittlich „schçne“ Handlung ist, mit einfließt. Nur weil in Aristoteles’ Begriff des ethischen jak|m dieser Bezug auf das bonum commune (joim0 sulv]qom) und damit auf das sozial Erwartete und Geforderte gewahrt bleibt, gibt es

46 Zu „t¹ d]om“ in der Lehre von der tugendhaften Handlung vgl. z. B. NE 1107a4, 1118b20, 1121a1, 1122b29; zu „¢r de?“ (in Verknìpfung mit dem Ideal der Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig): 1107b27, 1108a27, 1115b12, 1118a5, 1120b32, 1123b14, 1125b20, 1154a18.

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C) Der Begriff des hçchsten praktischen Gutes

fìr ihn keinen Bruch zwischen dem jak|m auf der einen und dem Rechten und Gerechten (d_jaiom) auf der anderen Seite. Mit Blick auf die Ausgangsfrage nach der Vermittlung von objektiver Teleologie und subjektiver Handlungsintentionalit•t bedeutet dies, daß jenes aus der Selbstliebe in Verbindung mit dem rationalen Wahrheitsbezug entspringende Streben nach dem wahrhaft Guten-fìr-mich auch denjenigen Aspekt objektiver Bestheit eines menschlichen Lebens einschließt, der durch die sittlichen Begriffe des jak|m und d_jaiom markiert wird. Dies manifestiert sich in der Person des Spoudaios, der die Attraktivit•t eines sittlichen Selbstverst•ndnisses uneingeschr•nkt zu erfassen vermag und eben darum auch das Maß fìr die richtige menschliche Lebenseinstellung ist.

D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele Ein naheliegender Einwand gegen die These von dem einen Letztziel des Menschen und seiner Gleichsetzung mit der Eudaimonie lautet, daß es zwar richtig sei, daß ìberlegtes menschliches Tun jeweils auf ein Letztziel ausgerichtet sein muß, daß daraus aber nicht folge, daß es fìr alles menschliche Tun ein und dasselbe Letztziel gebe. Aristoteles tr•gt diesem Einwand insoweit Rechnung, als er keineswegs alle Ziele menschlichen Handelns zu bloßen Mitteln der Eudaimonie mediatisiert. Vielmehr weist er auf die Mçglichkeit einer motivationalen Doppelbestimmung von Handlungszielen hin, die darin besteht, daß sie sowohl um ihrer selbst willen als auch mit Blick auf ihren Bezug zur Eudaimonie angestrebt werden kçnnen (NE I 5, 1097b30 ff.), und gibt verschiedene Beispiele fìr solche Ziele, die sowohl als eigenst•ndige Letztziele als auch in Hinblick auf ihren Beitrag zur Eudaimonie erstrebt werden kçnnen. Lediglich die Eudaimonie sei etwas, das immer nur um ihrer selbst willen, nie in Hinblick auf etwas anderes erstrebt werde. Mit Blick auf dieses Merkmal nennt Aristoteles die Eudaimonie ein „schlechthin zielhaftes Ziel“ ("pk_r t]keiom t]kor). Daß Aristoteles die These, der letzte, unhintergehbare Motivationsgrund unseres Tuns sei die je eigene Eupraxie, mit der Feststellung verbindet, daß es auch andere Gìter gibt, die selbstzweckhaft erstrebenswert sind, beweist, daß er jedenfalls nicht den Standpunkt eines simplen Egoismus propagiert, der alles andere und alle anderen auf das eigene Wohl hin mediatisiert. Dies w•re insbesondere auch nicht vereinbar mit der Ph•nomenologie zwischenmenschlicher Philia, die Aristoteles in beiden Versionen seines Freundschaftstraktates (NE VIII-IX, EE VII) eingehend untersucht: Es ist nicht nur so, daß andere Menschen uns um ihrer selbst willen liebenswert werden kçnnen und wir ihnen um ihretwillen, motiviert durch die Sorge um ihr Wohl, Gutes tun. Sondern ein menschliches Leben ohne genuine Freundschaft und Liebe kann nicht wirklich ein gutes und gelungenes Leben sein – so Aristoteles selbst.1 Des weiteren f•llt auf, daß die 1

NE IX 9, EE VII 12; s. a. NE I 5, 1097b7 – 11; IX 12, 1172a1 ff.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

Charaktertugenden oft auf Handlungen ausgerichtet sind, die eine positive Wirkung auf andere und auf das Gemeinwohl entfalten (vgl. NE IX 8, 1169a6 – 13, 18 – 20). Wenn die aristotelische Konzeption der unhintergehbaren Selbstzweckhaftigkeit von Eupraxie tats•chlich auf einen rein egoistischen Standpunkt hinauslaufen wìrde, so mìßte man erwarten, daß sich dies auch in der Lehre von den einzelnen Charaktertugenden niederschl•gt, also etwa das Ideal eines Thrasymachos formuliert wird, der die (vermeintlich) starke Persçnlichkeit anpreist, die andere zu Instrumenten ihrer eigenen Interessen macht (Platon, Rep. 343A–344C), oder daß eine Art kontraktualistischer Begrìndung der kooperativen Tugendhaltungen formuliert wird. Der aristotelische Spoudaios sieht die Erfìllung seines sittlichen Lebensideals aber im Tun des sittlich Edlen und Gerechten (der jak\ und d_jaia), das als in sich erstrebenswert anerkannt wird. Nun bedeutet diese Haltung zwar niemals (gem•ß Aristoteles) einen selbstvergessenen Altruismus – auch nicht im Falle des Opfertodes (NE 1169a18 – 26) –, weil der Spoudaios die Gemeinschaft mit einem anderen oder die sittliche, gemeinwohlorientierte Tat immer auch als ein Gut fìr sich selbst begreift, insofern es zur Steigerung oder Bew•hrung seines exzellenten Lebensentwurfes beitr•gt. Aber eine solche Konsequenz fìr die Steigerung des Wertes des eigenen Daseins haben sittliche Handlungen nur dann, wenn sie mit der ihnen gem•ßen Motivationsstruktur ausgefìhrt werden, in der der Freund, bzw. die edle Tat, als etwas um seiner selbst willen Liebenswertes bzw. Erstrebenswertes fungiert. Ich werde auf die Frage der Motivationsstruktur sittlich wertvoller Handlungen und die sich dabei ergebenden Probleme in § 12 zurìckkommen. Zuerst mçchte ich darlegen, wie es gem•ß Aristoteles ìberhaupt zu dieser Pluralit•t selbstzweckhafter Gìter oder Motivationsgrìnde kommt, deren Verh•ltnis zu dem einen, schlechthin letztzielhaften Gut der Eudaimonie sich dann als ein kl•rungsbedìrftiges Problem ethischer Theorie erweist. Die verschiedenen Bereiche von Gìtern und Motivationsgrìnden, die sich der menschlichen Erfahrung als selbstzweckhaft erschließen, sind in den grundlegenden natìrlichen Strebensimpulsen angelegt, die in der menschlichen Praxis ihre Ausgestaltung erhalten. Bei Aristoteles gibt es nirgendwo eine systematische Lehre von den verschiedenen naturwìchsigen Strebensimpulsen bzw. natìrlichen Strebensobjekten des Menschen, so wie dies dann in den hellenistischen Debatten oder in der (davon indirekt abh•ngenden) Thomasischen Inklinationen-Lehre der Fall ist. Die Elemente fìr eine solche Theorie sind aber bei Aristoteles vorhanden, wenn auch ìber verschiedene Kontexte verstreut. Die Tatsache, daß Aristoteles eine Konzeption menschlicher Charakterformung ìber-

§ 10. Die naturale Grundlage der Vielheit menschlicher Letztziele

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nimmt und ausgestaltet, gem•ß der die Tugenden sozusagen Kultivierungsformen eines in natìrlichen Strebenstendenzen sich manifestierenden natìrlichen Potentials sind (vgl. § 5), gew•hrleistet, daß ein solcher Blick auf die verschiedenen Aspekte naturwìchsigen Strebens sehr wohl auch den Intentionen seiner eigenen ethischen Lehre entspricht. Im folgenden sei darum ein kurzer Durchgang durch die verschiedenen Aspekte naturwìchsiger menschlicher Strebensdisposition und ihr Verh•ltnis zur pq÷nir jat’ !qet^m unternommen. Anschließend werde ich mich der Frage zuwenden, wodurch die Einheit des lebenspraktischen Telos gestiftet wird und ob es dafìr auch eine Grundlage in unserer Strebensnatur gibt (§ 11).

§ 10. Die naturale Grundlage der Vielheit menschlicher Letztziele Ich werde im folgenden der Reihe nach auf die menschliche F•higkeit zu sinnlichem Genießen und Anschauen, zu kontemplativem Anschauen, zur freudvollen Selbstwahrnehmung, zur Freude an kooperativen Tugendhandlungen sowie zu Freundschaft und zur Loyalit•t gegenìber dem Gemeinwesen eingehen. Die selbstbezìgliche Teleologie der natìrlichen Artform manifestiert sich bei den Tieren in bestimmten mit Lust- und Unlustgefìhlen verbundenen Strebungen, die letztlich der Erhaltung und Fortpflanzung der Artform dienen, ohne daß das Tier sich dieses Zieles bewußt wìrde. Auch beim Menschen sind diese mit Lust- und Unlustgefìhlen verbundenen Strebungen auf naturwìchsige Weise wirksam, etwa in Verbindung mit der Ern•hrungs- und Fortpflanzungsfunktion. Nun hat bereits Platon deutlich gemacht, daß ein animalischer bzw. leiblicher Trieb als solcher, auch wenn er beim Menschen auftritt, sein Objekt nicht als ein Gutes oder Mittel zu einem Gut intendiert: Durst als solcher hat das Getr•nk zum Gegenstand, nicht das Gute oder Zutr•gliche (welches das Getr•nk mit Blick auf die Selbsterhaltung ist).2 Erst der Zugriff der Rationalit•t ordnet die leiblichen Begierden und ihre Objekte in ein Verweisungsgefìge des Guten ein – was im ìbrigen auch mit Bezug auf andere bereits bei Tieren zu beobachtende Regungen gilt, etwa die „muthaften“ Regungen der Selbstbehauptung (Aggression). Im Kern wird dies von Aristoteles nicht anders gesehen: Der Mensch verliert sich mit seinen animalischen Antrieben nicht, wie das Tier, 2

Rep. 438 A-439B, vgl. etwa Szaif 1998a, 48 – 50.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

an die Unmittelbarkeit der je konkreten Objekte seines Begehren, weil er sich zu Handlungen entscheidet, und Entscheidungen immer auf ein als Gut betrachtetes Ziel hin erfolgen. Fìr die Objekte sinnlichen Begehrens, im genannten Beispiel das Getr•nk, bedeutet dies, daß der vernìnftig Entscheidende sie als ein bloßes Mittel begreift, etwa als ein Mittel zur Bewahrung des leiblichen Wohlbefindens. W•hrend es also fìr das Tier, das aus der Unmittelbarkeit seiner subrationalen Empfindungen und Verhaltensimpulse heraus lebt, subjektiv ìberhaupt kein Gutes geben kann (da das Gute, wie das Wahre, erst fìr die Rationalit•t Objekt werden kann), erweisen sich in der Perspektive menschlicher Handlungsrationalit•t die ursprìnglichen Objekte sinnlichen Begehrens zun•chst einmal zwar als Gìter, aber doch nur als instrumentelle Gìter, deren Unverzichtbarkeit unserer kçrperlichen Natur geschuldet ist. Menschen kçnnen ein Getr•nk allerdings auch aufgrund seines Wohlgeschmacks zu sich nehmen, um den Wohlgeschmack zu genießen. Wird dabei das Getr•nk zu etwas in sich Werthaftem fìr den Trinkenden? Allemal kann der Genuß selbst die Rolle eines Selbstzweckes einnehmen – was fìr Aristoteles die Form eines ethisch fehlerhaften Verhaltens haben kann, aber nicht muß. Ein negatives Extrembeispiel ist das des Verfressenen, dem die animalische Lust des Herunterschlingens als solche zu einem Selbstzweck wird (NE III 13, 1118a23-b3). Hier ist auch das Objekt, das heruntergeschlungen wird, nur Mittel zu einem (minderwertigen) Zweck. Diese Form des Genusses ist fìr einen Menschen nicht erstrebenswert, weil sie ihn auf ein tierisches Niveau herabsenkt (1118b2 – 4). Aber das heißt nicht, daß sinnlicher Genuß eo ipso etwas Animalisches ist. Vielmehr erkennt Aristoteles (im Kontext der Erçrterung der M•ßigung, syvqos}mg), daß sogar die Mehrzahl der Formen sinnlichen Genusses, die dem Menschen mçglich, ihm auch eigentìmlich sind. Es sind dies fìr Aristoteles jene Formen der reinen sinnlichen Lìste, der Freude an schçnen sinnlichen Wahrnehmungen als solchen im Sehen, Hçren, Riechen, selbst im Schmecken und Fìhlen, die ìber den Bezug auf die animalische Funktion des Verschlingens von Nahrung oder des rein triebhaften Sexualverhaltens hinausreichen (1118a1-b8; vgl. EE III 2, 1230b21 – 31a18). In sich erstrebenswert sind diese Weisen der sinnlichen Kontemplation, weil in ihnen das jeweilige Vermçgen sein in der T•tigkeit selbst liegendes Telos erreicht, und zwar uneingeschr•nkt genau dann, wenn es selbst in der besten Weise verfaßt ist und sich mit Bezug auf das beste oder schçnste Objekt bet•tigen kann, was mit einem lustvollen Erleben einhergeht (NE X 4, 1174b14 – 23). Die Bet•tigung dieser Vermçgen hat folglich nicht nur eine instrumentelle Teleologie, gem•ß der sie andere T•tigkeiten ermçg-

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licht, sondern sie kann fìr den Menschen auch als solche, ohne ethisches Fehlverhalten, erstrebenswert und natìrlicherweise lustvoll sein. (Daß sie nicht nur faktisch von Menschen als etwas Selbstzweckhaftes erstrebt, sondern auch objektiv selbstzweckhaft erstrebenswert ist, liegt fìr Aristoteles naturteleologisch darin begrìndet, daß sie eine Steigerung des menschlichen Seins darstellt – gem•ß dem ontologischen Primat der T•tigkeit vor dem Vermçgen.) Im ìbrigen erschließt sich dabei nicht nur diese Form von Aktivit•t selbst als intrinsisch wertvoll, sondern auch ihr sinnliches Objekt, der Gegenstand der sinnlichen Kontemplation, n•mlich insofern er ein j\kkistom ist („etwas hervorragend Schçnes“ 1174b15; vgl. EE III 2, 1230b25 – 31a12), das durch sich selbst, und nicht durch einen Nutzen, Freude bereitet. Der intrinsische Wert der Aktivit•t ist mit dem intrinsischen Wert des Objektes, auf das sie von sich her bezogen ist, gekoppelt. Und beides hat insofern ein Fundament in den natìrlichen Strebensimpulsen der Sinnlichkeit, als diese Strebensimpulse zu Bet•tigungen geneigt machen, die dann, wenn sie ìber das Animalische hinausgehen, ihren eigenen intrinsischen Wert und den ihres Objektes entdecken. Aristoteles erkennt, daß diese sozusagen kontemplativen Formen des sinnlichen Genusses etwas spezifisch Menschliches sind, analysiert aber nicht, weshalb Menschen, nicht aber Tiere, die doch ìber die gleichen Sinne verfìgen, zu dieser Form des sinnlichen Genusses f•hig sind. H•tte er die Analyse hier weitergetrieben, so h•tte er vielleicht herausgearbeitet, daß diese Form sinnlicher T•tigkeit ein Aspekt des den Menschen kennzeichnenden rationalen Vermçgens des Distanznehmens ist, durch das er aus der Unmittelbarkeit des Trieblebens heraustreten und auch seine Sinnlichkeit in anderer Weise erfahren kann als die Tiere. Er erkennt durchaus den selbstzweckhaften Status bestimmter sinnlicher Genìsse an3 (einschließlich der Genìsse des Anschauens oder Anhçrens bildnerischer oder melodischer Kunstwerke) und sieht hier auch ethischen Regelungsbedarf im Sinne der Wahrung der rechten Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig (1118a1-9). Aber er faßt sie nicht als eine gegenìber dem Ethischen und dem Wissenschaftlichen eigenst•ndige Erfìllungsform des rationalen Potentials des Menschen auf, welche einer eigenen Form der Kultivierung durch spezifische Kompetenzen und Habitualisierungen f•hig ist. Fìr die Eupraxie des menschlichen Lebens, als pq÷nir jat’ !qet^m 3

Mit Bezug auf das Sehen siehe etwa NE I 4, 1096b17; vgl. EE I 5, 1215b32 – 34; Metaph. I 1, 980a21-27.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

und Vollendung des menschlichen Potentials, z•hlen sie darum nicht mit, oder nur ganz marginal. Fìr Aristoteles ist die natìrliche Lust an den Sinnen, und insbesondere am Sehen, im wesentlichen wohl nichts anderes als eine inferiore Vorform der Lust am intellektuellen Erkennen (vgl. Metaph. I 1, 980a21-27). Sowohl die Aisthesis als auch der Intellekt sind Vermçgen des Unterscheidens (jq_meim), aber die kognitive Leistung des intellektuellen Vermçgens nimmt einen viel hçheren Rang ein, unter anderem weil sie sich bis zum Bereich des Gçttlichen erheben und den begrenzten und inferioren Raum des Menschlichen gleichsam hinter sich lassen kann (NE VI 7, 1141a17-b8; X 7, 1177b26 ff.; 8, 1178b21 – 23). Wie in diesem Zusammenhang die Werterfahrung der Theo¯ria auf die Vorzugswahl der Phrone¯sis zurìckwirkt, habe ich oben bereits erl•utert. Voraussetzung dafìr ist aber, daß der Mensch ìberhaupt das Vermçgen zu den auf diese Gegenst•nde bezogenen T•tigkeiten und Werterfahrungen besitzt, ein Vermçgen, das wie alle natìrlichen Vermçgen mit dem natìrlicher Antrieb einhergeht, es an den geeigneten Objekten zu bet•tigen. Mit der lustvollen Bet•tigung der kognitiven Vermçgen, und zuhçchst mit der Intellektion, h•ngt noch ein anderes anschauliches Bewußtsein zusammen, die lustvolle Wahrnehmung des eigenen Daseins, das in der Bet•tigung der kognitiven Vermçgen reflexiv erfahren werden kann. Im lustvollen Bewußtsein des eigenen Daseins findet die natìrliche Benevolenz des Menschen sich selbst bzw. seinem eigenen Dasein gegenìber ihre Erfìllung. W•hrend bei den subrationalen tierischen Lebewesen die Artnatur zwar auch in einem teleologischen Selbstbezug steht, kann der einzelne Mensch sein Dasein bewußt als ein Gut fìr ihn selbst erfahren und wird so zur ìberlegten Selbstbejahung f•hig.4 Allerdings kann er auch kritisch die Frage danach stellen, welche T•tigkeitsform sein Leben ìberhaupt lebenswert macht, und diese Besinnung steht im Horizont der Mçglichkeit, das eigene Leben zu verneinen (EE I 5, 1215b15 ff.; VII 6, 1240b11 – 26; NE IX 4, 1166b2 – 25). Obwohl die Selbstliebe also fìr den Menschen natìrlich ist, ist sie ihm nicht von Natur aus garantiert. Vielmehr muß er sich seines eigenen Wertes im Lichte seines rationalen Verst•ndnisses des Guten erst versichern. Die kontemplative T•tigkeit, der die 4

Zur basalen Stellung der Selbstliebe, die beim Menschen zur F•higkeit wird, sich selbst als ein Gut zu begreifen, vgl. u. a. NE VIII, 1155b21 – 27; 9, 1159a11 f.; IX 4, 1166a1 ff.; 8, 1168a35-b10; EE VII 6, 1240a21-b37. Zur Erfìllung dieser Selbstliebe durch reflexive Selbstwahrnehmung in den kognitiven Akten vgl. NE IX 9, 1170a13-b19; EE VII 12, 1244b21 – 45a10.

§ 10. Die naturale Grundlage der Vielheit menschlicher Letztziele

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intellektuelle Tugend der sov_a zugeordnet wird, stellt die hçchste Form der Erfìllung des in der Selbstliebe wurzelnden Strebens nach Vergewisserung der eigenen Dignit•t dar, weil sie jene Daseinsweise ist, in der das „beste“ Vermçgen des Menschen sich an den besten und am meisten verehrenswìrdigen Gegenst•nden best•tigt, ja diese sogar in gewisser Weise (als abgelçste „Formen“) in sich selbst aufnimmt und sich ihnen angleicht.5 Bei den ethischen Tugenden, die in Verbindung der praktischen Rationalit•t unsere Begierden, Affekte und Verhaltensdispositionen formen und das Fundament unserer lebenspraktischen Entscheidungen sind, zeigt sich ein Unterschied in der Relation zu den natìrlichen Impulsen im Vergleich zu den rein intellektuellen Potentialen. Der natìrliche Impuls zum und die natìrliche Freude am unterscheidenden Erfassen bedìrfen nicht der Zìgelung, sondern sollen sich so weit wie menschenmçglich zu ihrer hçchsten Form und Kontinuit•t steigern. Demgegenìber sind die natìrlich vorgegebenen affektiven Anlagen zun•chst einmal nur eine Art Rohmaterial, das der richtigen Formung und des richtigen Maßes bedarf angesichts eines mçglichen Zuviel oder Zuwenig. Bestimmte natìrliche Pr•dispositionen, etwa die Anlage zu einem muthaften Verhalten, oder eine gewisse angeborene M•ßigkeit der sinnlichen Regungen, kçnnen dabei zwar fìr die erzieherische Formung des ethischen Charakters einen gìnstigen Ausgangspunkt bereitstellen. Aber die Entwicklung zu genuinen Tugenden hat nicht einfach die Form der Steigerung solcher gìnstigen Anlagen (die auch von sich her noch nicht miteinander harmonieren mìssen). Entscheidend ist vielmehr die Vermittlung mit praktischer Rationalit•t. Warum muß aber die rationalit•tskonforme Habitualisierung der Affekte und Verhaltensweisen eines Menschen Dispositionen zu kooperativem und benevolentem Verhalten mit einschließen? Gibt es hierfìr eine Grundlage in den natìrlichen Strebensdispositionen? Aus dem abstrakten Begriff von ethischer Arete¯ als je einer Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig l•ßt sich derartiges noch nicht ableiten. Aristoteles spezifiziert die Mitte jedoch als eine Mitte „mit Bezug auf uns“ (NE II 5, 1106a26 ff.), wobei dieses „auf uns“ die Bezugnahme auf allgemein 5

In den Kontext dieser epistemologischen Sichtweise gehçrt das bekannte Diktum des Aristoteles, daß die Seele in gewisser Weise alles Seiende sei (De an. III 8, 431b21) bzw. werden kçnne. Man kann sich fragen, ob sich in ethischer Hinsicht fìr Aristoteles hierin ein Anknìpfungspunkt an das platonische Ideal der blo_ysir he` ergibt, da die abstrahierende Aktualisierung kognitiver Formen in der Seele im Falle der hçchsten Erkenntnisse der sov_a ja die Formen gçttlicher Entit•ten einschließt.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

menschliche Gegebenheiten einschließt.6 Vor allem aber sind die Tugenden Vervollkommnungen des menschlichen Daseins, welches wesentlich durch natìrliche soziale Pr•dispositionen und Bedìrfnishaltungen mitgepr•gt ist. Die Bet•tigung von Tugenden wie Gerechtigkeit und Großzìgigkeit ist eine Vervollkommnung eben dieses sozialen oder mitmenschlichen Seins. Und darum gilt in aristotelischer Perspektive der folgende Zusammenhang: Sofern dieses soziale Sein ein irreduzibler Aspekt menschlichen Lebens ist, und ein Leben in strikter Vereinzelung nie ein erfìlltes menschliches Leben sein kann (vgl. z. B. NE I 5, 1097b8 – 11; VIII 1, 1155a4-6; IX 9, 1169b10 – 22, 1170a4 – 11), gehçren auch die Vervollkommnungsaspekte sozialer Praxis zu dem, was menschliche Eupraxie ausmacht, und zwar nicht nur aus der Perspektive einer objektiven Teleologie menschlicher Praxis, sondern auch aus der des subjektiven Strebens und Erlebens auf der Grundlage bestimmter natìrlicher Verhaltensimpulse der Vergemeinschaftung, die eine eigenst•ndige Dimension von Werterfahrung und praktischer Erfìllung erçffnen. Was sind diese natìrlichen sozialen Verhaltensimpulse, die das soziale Sein des Menschen als einen integralen Bestandteil seines Strebens und Daseins markieren? Zu den elementaren animalischen Antrieben, die auch noch im Menschen wirken, gehçren der Geschlechtstrieb und sozusagen der Fìrsorgeimpuls fìr die Nachkommen, die, zusammen mit der Hilfsbedìrftigkeit derjenigen, die nicht fìr sich selbst sorgen kçnnen, das naturwìchsige Fundament des elementaren sozialen Verbandes, der Familie, bilden, der sich dann zu grçßeren Verwandtschaftsverb•nden erweitert (Pol. I 2, 1252a24 ff.; NE VIII 14). Aber auch die Herausbildung von Freundschaften oder kameradschaftlichen Verbindungen unter Gleichaltrigen zu gemeinsamen Bet•tigungen und Vergnìgungen scheint mehr oder weniger spontan zu erfolgen (z. B. NE 1156a31-b6). Diese naturwìchsigen Vergemeinschaftungsimpulse werden dann jedoch beim gereiften Menschen gewissermaßen durch das Medium der prudentiellen Deliberation gefiltert, die ihre Orientierung aus den durch Habitualisierung gleichsam kultivierten Strebensdispositionen erh•lt. Mit anderen Worten, es bleibt nicht bei diesen spontanen Impulsen, sondern es tritt eine Fortentwicklung ein im Sinne der Herausbildung eines durch Charakter und Urteilsvermçgen geformten Sich-Beziehens auf das Gute. So hat etwa die Bindung zwischen Mann und Frau einen natìrlichen Ausgangspunkt 6

Zur Bedeutung der Formel „l]som pq¹r Bl÷r“ vgl. vor allem Brown 1997; zu den Problemen der Anwendung auf die unterschiedlichen Arten von Aspekten, die bei einer Handlungsentscheidung maßgeblich sind, Mìller 2001.

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im triebhaften „Paarungsverhalten“, erschçpft sich aber im Falle des Menschen, auch nach Aristoteles’ (antiquierter) Auffassung des Verh•ltnisses von Mann und Frau, nicht darin, sondern entwickelt sich zu einer Gemeinschaft der gemeinsamen Lebensbesorgung, zu der auch der ethische Aspekt einer wechselseitigen nicht-instrumentellen Wertsch•tzung gehçrt, die ihre Orientierung aus charakterbezogenen Wertvorstellungen erh•lt (NE VIII 14, 1161a16 – 29). Dieses Art des ›berganges von eine lust- oder nutzenbezogenen Verbindung zu einer auf geteilten ethischen Wertmaßst•ben beruhenden Gemeinschaft, die dann außerdem noch nìtzlich und angenehm ist, kennzeichnet generell die Teleologie zwischenmenschlicher Philia und Vergemeinschaftung. An die Stelle jener mehr oder weniger spontanen kameradschaftlichen oder erotischen Bindungen zwischen jungen Leuten etwa treten Bindungen, die gepr•gt sind durch eine sich auf das Ethos beziehende wechselseitige Wertsch•tzung und durch Sympraxie auf der Grundlage einer geteilten Konzeption vom Gut-Leben.7 Und so wird auch der Familien- und Sippenverband ìberformt durch den staatsbìrgerlichen Verband, der nicht nur eine (relativ) autarke Versorgungsgemeinschaft verwirklicht, sondern einem bestimmten Ethos verpflichtet ist, indem er eine Rechtsgemeinschaft zum Zweck der Verwirklichung des bonum commune (joim0 sulv]qom) bildet, das keineswegs nur die Besorgung und den gerechten Austausch von •ußeren Gìtern meint, sondern auch das Gut-Leben der Bìrger in der Weise sittlich-politischer und kontemplativwissenschaftlicher Bet•tigung einschließt.8 Dementsprechend setzt auch die Loyalit•t gegenìber dem Gemeinwesen, dem man angehçrt (zur Polis als patq_r, „Vaterstadt“), ein Verst•ndnis von Zugehçrigkeit ein, das ìber eine durch •ußere Gìter definierte Nutzengemeinschaft hinausweist (vgl. Pol. III 6, 1278b17 – 21). Einerseits ist dieses Gemeinwesen also ein Produkt kollektiver menschlicher Selbstgestaltung durch die gemeinsame Verst•ndigung ìber die Zielsetzungen und Rechtsnormen, welche durch das Sprach- und Vernunftvermçgen ermçglicht wird, und somit ein rationales pqajt¹m !cah|m. Andererseits grìndet es in dem ursprìnglichen Vergemeinschaftungsimpuls, da ohne diesen Impuls die Bindung an die

7 8

Vgl. etwa NE 1156a31-b6 mit 1156b17 – 32, 1157b28 – 32. Vgl. Pol. I 2, 1252b27 – 30; III 9, 1280b39 – 81a3; VII 1, 1323a14 – 21; sowie VII 3, VII 14 – 15 und VIII 3 zur Thematik jener hçheren, durch Muße bestimmten T•tigkeitsformen, in denen sich (unter idealen Bedingungen) der eigentliche Zweck des Staatsbìrgerverbandes erfìllt.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

Polis nicht ìber eine bloße Nutzengemeinschaft, die man fìr die eigenen Zwecke instrumentalisiert, hinausgelangen kçnnte.9 Der Staatsbìrgerverband ist auch der Kontext, in dem ethische Tugend insgesamt mit Gerechtigkeit im allgemeinsten Sinn, die sich auch als Gesetzestreue (b m|lilor) manifestiert, gleichgesetzt werden kann (NE V 3), und zwar auf der Grundlage der Pr•missen, erstens daß die ethischen Tugenden, wenn sie im Verhalten zu anderen zur Anwendung kommen, zum Wohlergehen anderer und des Gemeinwesens beitragen und somit einem altruistischen Zweck dienen, und zweitens daß die Arten von Handlungen oder Unterlassungen, die in der Gesetzgebung angeordnet werden, in vielen F•llen mit dem kongruieren, was ein den Tugenden gem•ßes Verhalten ist. Am klarsten wird von Aristoteles der Gedanke einer nicht-instrumentellen strebensm•ßigen Hinordnung auf andere fìr den Fall der genuinen, nicht bloß durch Nutzen oder Vergnìgen motivierten Philia unter Gleichen formuliert10 : Der Freund verh•lt sich zu seinem Freund „wie zu sich selbst“ (NE IX 4, 1166a30 f.; IX 9, 1170b5 f.). Der Freund ist dem Freund ein zweites „Ich-Selbst“ (%kkor/6teqor aqt|r, NE IX 4, 1166b31 f.; IX 9, 1169b6 f., 1170b6 f.; EE VII 12, 1245a30). Das Sich-Verhalten zum anderen wie zu sich selbst bedeutet genauer, daß die kennzeichnenden Merkmale des harmonischen Selbstverh•ltnisses des guten Menschen, der „Freund mit sich selbst ist“, in analogischer Weise auf das Verh•ltnis zum anderen ìbertragen werden. Zu diesen Merkmalen gehçren die Benevolenz, aus der heraus man dem anderen Gutes tut und die Erhaltung seines Daseins wìnscht, sowie geteilte Pr•ferenzen und Aktivit•ten und das sympathetische Miterleben (NE IX 4, EE VII 6). Der Grund dafìr, daß ein anderer Mensch fìr jemanden zu einem zweiten „Ich-Selbst“ werden kann, liegt in der Wertsch•tzung, die sich auf das bezieht, was dieser „als er selbst 9 Von einem gemeinschaftsbildenden Drang oder Antrieb (bql^) spricht Aristoteles in Pol. I 2, 1253a29 f. Er ist ein Aspekt der natìrlichen Bestimmung des Menschen als f`om pokitij|m (1253a2 f.; NE I 5, 1097b11; IX 9, 1169b18 f.; EE VII 10, 1242a19 – 28). Eine ausfìhrliche Begrìndung, weshalb der eqda_lym, unabh•ngig von irgendeinem •ußerlichen Nutzen, der Philia in ihrer Vollform (die Sympraxie mit ethisch gleichgesinnten Menschen) bedarf, da sie eine notwendige Erg•nzung und Vervollkommnung seines Selbstverh•ltnisses beinhaltet, wird in EE VII 12 und NE IX 9 versucht. 10 Zum aristotelischen Begriff der Freundschaft vgl. Cooper 1976/77 und 1977, Price 1989 (besonders hilfreich!), Stern-Gillet 1995, Pakaluk 1998; zum historischen und literarischen Kontext der Freundschaftsthematik in der Antike Fìrst 1996, Konstan 1997.

§ 10. Die naturale Grundlage der Vielheit menschlicher Letztziele

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ist“ (NE VIII 3, 1156a16, 17 f.), im Gegensatz zu einer Wertsch•tzung, die sich nur auf einen Nutzen oder Lustgewinn bezieht, die man durch den anderen empf•ngt. So ist ja auch die selbstbezìgliche Wertsch•tzung (oder der Selbsthaß) auf das bezogen, was man als man selbst ist. Was jemand als er selbst ist, das ist fìr Aristoteles durch die Habitualisierungen seines Charakters und seiner rationalen Vermçgen bestimmt – mit anderen Worten durch seine Arete¯ (VIII 3, 1156a10 – 19; 4, 1156b7 – 12; 6, 1157b3 f.). Diese Sichtweise h•ngt mit dem zentralen Gesichtspunkt der ethischen Perspektive auf den Menschen zusammen, dem zufolge der Mensch seinem Wesen nach !qwµ pq\neyr ist: Prinzip und Urheber von Handlungen. Denn die Qualit•t dieses Prinzips, das der Mensch seinem Wesen nach ist, wird durch die Formungen der fìr die Praxis (einschließlich der Theo¯ria) relevanten Vermçgen bestimmt, d. h. durch Arete¯. Nach Aristoteles sind also die Grìnde, aus denen heraus der Spoudaios den Freund sch•tzt, die gleichen wie die, aus denen heraus er sich selbst sch•tzt, und darum kann er diesem anderen gegenìber auch eine analoge Haltung wie sich selbst gegenìber einnehmen. Durch die Herausbildung solcher genuiner Freundschaften geschieht nun das folgende: Indem der andere fìr mich zu einem zweiten Ich-Selbst wird, verschr•nkt sich mein Wohl mit dem seinen. Er wird n•mlich zu einem Gut-fìr-mich (NE VIII 4, 1156b12 – 14; 7, 1157b33 f.), d. h. tr•gt durch sein Dasein und Wohlergehen zu meinem Wohl bei, auch ohne daß ich von ihm irgendwelche Leistungen empfange. Und umgekehrt gilt das gleiche, da genuine Freundschaft immer ein wechselseitiges Verh•ltnis ist. Diese Art der Verschr•nkung des je eigenen Wohls mit dem des anderen hat dann aber auch zur Folge, daß mein Wohl durch Mißgeschicke, die dem anderen widerfahren, in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Ergibt sich daraus nicht ein praktisches Argument gegen die Philia? Schließlich ist doch die Wahrscheinlichkeit, daß von zweien einer das Opfer einer mala fortuna (!tuw_a) wird, etwas hçherer als bei nur einem. Selbstverst•ndlich kann man in Erwiderung darauf Argumente vorbringen, die eher auf den instrumentellen Nutzen von Freundschaft zielen, n•mlich daß man sich unter Freunden helfen und beistehen kann. Aber dieser Gesichtspunkt ist nicht alles und nicht das Entscheidende. Der Aristotelische Standpunkt scheint zu sein, daß auch unabh•ngig von solchen Aspekten des Nutzens ein Leben in strikter Vereinzelung der menschlichen Natur widerspricht, weshalb zum Glìck des Spoudaios Freundschaften gehçren, obwohl er sich dadurch in gewissem Sinne von der Tyche¯ auch noch eines anderen Menschen abh•ngig macht.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

Im Kontext der Frage, ob der Glìckliche autark ist, stellt Aristoteles auch eine Verbindung zwischen Philia und Selbstwahrnehmung her: W•hrend die Gottheit sich selbst vçllig transparent sei, vermag ein Mensch sich selbst in seinen Freunden besser kennenzulernen, als es ihm auf sich allein gestellt mçglich sei.11 Da aber das Verh•ltnis eines Menschen zu sich selbst seine Erfìllung in Akten der Selbstwahrnehmung findet, in denen er seiner t•tigen Arete¯ gewahr wird, bedarf also auch und gerade der Spoudaios der Freunde als eines Mediums seiner Selbstwahrnehmung. – Diese Argumentation kann leicht den Eindruck erwecken, daß Aristoteles seinem Begriff vom Freund als einem zweiten ,Ich-selbst‘ eine narzißtische Wendung gibt. Man muß dieses Argument jedoch in seinem spezifischen Argumentationszusammenhang bewerten, in dem es darum geht, die Frage der Autarkie zu beantworten. Die Pointe des Argumentes liegt darin, zu zeigen, daß fìr die hçchste Form der Erfìllung auch unseres Selbstverh•ltnisses der Freund unerl•ßlich ist, weshalb der eqda_lym nicht vçllig autark sein kann. Der Verweis auf die ursprìngliche Sozialit•t des Menschen erkl•rt im ìbrigen auch, warum die Anerkennung durch die anderen, wie sie sich in Ehrungen (tila_) ausdrìckt, in den Listen der selbstzweckhaft erstrebenswerten Gìter eines Menschen auftaucht (NE I 4, 1096b18; 5, 1097b2). Fìr ein im strikten Sinne autarkes Wesen w•re die Anerkennung oder Nicht-Anerkennung durch andere ein Adiaphoron. Anerkennung kann ihren vollen Wert nur dann besitzen kann, wenn sie von Menschen kommen, die der Betreffende selbst auch zu achten vermag.12

§ 11. Der Grund der Einheit des menschlichen Letztzieles Die eben gegebene Skizze des Zusammenhanges, der zwischen der Pluralit•t von Typen letztzielhafter Aktivit•ten und Bindungen einerseits und den natìrlichen Potentialen und Strebenstendenzen im Menschen andererseits besteht, beantwortet noch nicht die Frage, wie gleichzeitig die Einheit des lebenspraktischen Telos in einem vortrefflichen menschlichen Leben mçglich ist. Der Begriff der Eudaimonie oder des guten Lebens, der das ìbergreifende Telos bezeichnet, ist ja zun•chst nur eine Leerformel, und selbst die durch die Perspektive menschlicher Selbstperfektionierung gepr•gte Glìcksdefinition des Aristoteles ist, wie gesehen, zun•chst von 11 EE VII 12, 1245a35 – 37, vgl. NE IX 9, 1169b28 – 1170a4. 12 Vgl. NE IV 7, 1124a4 – 7, 10 – 12; s. a. I 3, 1095b26 – 29

§ 11. Der Grund der Einheit des menschlichen Letztzieles

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formaler Allgemeinheit und gewinnt inhaltliche Spezifit•t erst dadurch, daß den in ihr enthaltenen Begriffen, etwa dem der vollkommenen Arete¯, ein auf die menschlichen Potentiale bezogener Inhalt gegeben wird. Dazu mìssen Praxisformen ausgewiesen werden, die die Erfìllung bestimmter hochwertiger Potentiale des Menschen sind und die zugleich auch von Menschen als intrinsisch wertvoll und erfìllend erlebt werden kçnnen. Daß bei der Entfaltung dieser Potentiale die subjektive mit der objektiven Handlungsteleologie des Menschen in Einklang kommen kann, verdankt sich in aristotelischer Perspektive der Tatsache, daß diesen Potentialen naturwìchsige Strebensimpulse entsprechen und die Entfaltung und bestmçgliche Aktivierung der Potentiale mit Lust und Freude verbunden ist. Dementsprechend sind die Bereiche dessen, was sich den Menschen als erstrebenswerte Praxisform erschließen kann, rahmenhaft durch die natìrlichen Strebensimpulse vorgezeichnet. Allerdings verweist nicht jedwede Art des Strebens auf Praxisformen, die in sich erstrebenswert sind. Ein Teil dieser Strebungen hat n•mlich bloß instrumentelle Gìter zum Gegenstand, weshalb es eine der wesentlichen Aufgaben der praktischen Rationalit•t ist, im Rahmen einer Lebenskonzeption die unterschiedlichen Typen von Strebensobjekten so in ein Verh•ltnis zueinander zu setzen, wie es ihrem tats•chlichen Wert entspricht. Die Versorgung allein mit instrumentellen Gìtern macht ein Leben noch nicht lebenswert, solange sie nicht dazu gebraucht werden, zielhafte Gìter zu verwirklichen. Um eine lebenspraktische Antwort auf den mythologisch ìberlieferten Spruch des Silen geben zu kçnnen, daß es fìr Menschen das Beste w•re, nicht geboren worden zu sein, und das Zweitbeste, schnell zu sterben, muß ìber die Besorgung der lebensnotwendigen und zweckdienlichen Gìter hinaus ein Verst•ndnis von Praxisformen gewonnen werden, die aus sich selbst heraus erstrebenswert sind und dadurch das Leben, das sich in diesen Praxisformen vollzieht, erstrebenswert machen.13 Aber auch mit Blick auf die in sich wertvollen und befriedigenden Praxisformen muß ein Maßstab entwickelt werden, der es erlaubt, diese relativ zueinander zu bewerten und einzuordnen. Aus diesem Grunde hebt Aristoteles die Bedeutung eines wertm•ßigen Fokuspunktes (sjop|r) 13 In EE I 5 entfaltet Aristoteles die Fragestellung, was dasjenige an einem menschlichen Leben ist, was dieses Leben ìberhaupt erst lebenswert macht, und stellt einen Bezug zum Thema der Lebenswahl und der intrinsisch wertvollen und befriedigenden Praxis-Formen her. Dabei spielt er auf die Geschichte ìber den Ausspruch des Silen an (1215b20 – 22), die er ausfìhrlicher in seinem Dialog Eudemos (fr. 44 Rose) wiedergegeben hat.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

heraus, auf den hin die eigene Lebenspraxis im ganzen organisiert werden kann (EE I 2, 1214b6 – 11; vgl. NE I 1, 1094a22 – 26). Er beinhaltet die Wahl einer bestimmten Lebensform, eines b_or. Der sjop|r des philosophischen Bios ist die Erkenntnis der hçchsten Ursachen und Grìnde des Wirklichen, w•hrend vortreffliche Taten (t± jak\) im Sinne des Gemeinwohls der sjop|r des ethisch-politischen b_or sind, wenn dieser richtig konzipiert wird. Aber entsprechend den unterschiedlichen Bereichen und Aspekten von Werterfahrung kçnnen auch andere Gìter, die durchaus einen selbstzweckhaften Charakter haben, in den Mittelpunkt eines Lebens gestellt werden, etwa die soziale Anerkennung durch Ehren und ömter, oder die Lust am Schauen und Hçren. Insofern dabei aber eine Verkehrung der Priorit•ten gegenìber hçheren Formen von selbstzweckhafter Praxis stattfindet, sind dies in aristotelischer Perspektive bereits Fehlkonzeptionen des guten Lebens. Noch abtr•glicher sind die irrigen Lebenskonzeptionen, die etwas, das gar nicht ein selbstzweckhaft erstrebenswertes Gut des Menschen ist, in den Mittelpunkt des Lebensentwurfes stellen, etwa die Freßlust oder den Erwerb von Geld und geldwerten Gìtern. Was die Relation der Praxisformen zum schlechthin zielhaften Gut der Eudaimonie bzw. Eupraxie betrifft, so muß man zwischen den beiden unterschiedlichen bei Aristoteles anzutreffenden Betrachtungsweisen des menschlichen Telos unterscheiden, die wir in § 8 (c) erl•utert haben: Im Falle der inhaltlichen Bestimmung der Eupraxie durch die hçchstrangige Praxisform („dominantes Ziel“) wird die Eupraxie mit dieser hçchstrangigen Praxisform identifiziert, w•hrend sich die anderen selbstzweckhaften Praxisformen als nachrangige, aber keineswegs bloß instrumentell zu erstrebende Vollendungsaspekte des Menschen darstellen. Im Falle der Bestimmung der Eupraxie als eines inklusiven Gutes wird man dagegen sagen kçnnen, daß diese selbstzweckhaften Praxisformen, oder wenigstens die bedeutenderen unter ihnen, gemeinsam die konstitutiven Elemente sind, die das glìckende Leben im ganzen ausmachen. Man hat es hier also mit einer Ausfìllungsrelation zu tun dergestalt, daß die Teile dem Ganzen Gehalt geben. Die „dominante“ und die „inklusive“ These sind imgrunde nicht Konzeptionen zweier verschiedener Lebensformen, sondern unterschiedliche Betrachtungsweisen einer Lebensweise.14 14 Dabei setzte ich voraus, daß von „Inklusivit•t“ ausschließlich mit Bezug auf Praxisformen gesprochen wird, die in einem ontologischen Sinne Teil der Eudaimonie qua vortrefflicher Lebenspraxis sind; vgl. oben, I-C, § 8(d).

§ 11. Der Grund der Einheit des menschlichen Letztzieles

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Dabei darf man die Frage, ob die beste Lebensweise im Sinne der Identifikation des Telos mit einem dominanten oder einem inklusiven Gut beschrieben wird, nicht mit der Frage verwechseln, in welchem Verh•ltnis ein Leben, dessen hçchster Fokuspunkt die Theo¯ria ist, zu einem Leben steht, dessen hçchster Fokuspunkt in der „edlen“ sittlich-politischen Bet•tigung liegt. Das Leben, das auf das sittliche jak|m als hçchstem sjop|r ausgerichtet ist, ist fìr Aristoteles allemal nur second best,15 gleich ob man die Eudaimonie im Sinne des „dominanten“ oder des „inklusiven“ Telos definiert. Das beste Leben sieht in der Theo¯ria immer die hçchste Erfìllungsform des menschlichen Potentials, schließt aber in jedem Fall sittliches Tun mit ein, als Vollendung menschlicher Praxis unter ihren affektiven, sozialen und leiblichen Aspekten (vgl. NE X 8, 1178b5-7)16, wobei dann je nach dem zugrundegelegten Begriff des Vollkommenen – als des Hçchstrangigen oder als des Vollst•ndigen – dieser Aspekt entweder als integraler Bestandteil auch der Eudaimonie betrachtet wird (so in EE VIII 3) oder nicht (so in NE X 6-9).17 Nun ist es ja so, daß in der Gìterlehre des Aristoteles nicht nur die seelischen Gìter den Status selbstzweckhafter !cah\ innehaben kçnnen (n•mlich vor allem die Praxisformen, die die Eudaimonie konstituieren), sondern auch bestimmte nicht-seelische Gìter, auf die sich menschliche Aktivit•t bezieht. Solche •ußeren, selbstzweckhaften Gìter sind auch fìr den Spoudaios sehr wohl maßgeblich, insbesondere die v_koi und das Gemeinwesen. In welcher Relation stehen solche selbstzweckhaften Gìter, die zu der Eudaimonie beitragen, aber nicht stricto sensu Teil der als Modus von Praxis definierten Eudaimonie sein kçnnen, zur Eudaimonie? Dies ist eine Frage, zu der Aristoteles nicht wirklich eine gekl•rte Position hinterlassen hat (vgl. Teil II, § 1) und die in den Diskussionen des Peripatos erhebliches Gewicht besitzen wird. In jedem Fall ist es aber eine sozusagen unverrìckbare Voraussetzung fìr Aristoteles, daß ein •ußeres Gut nicht den Status eines ausschließlich letztzielhaften Zieles besitzen kann, da der Spoudaios zum Beispiel seinen Freund, oder das gute Gemeinwesen, als dessen Teil er sich begreift, immer auch auf sein eigenes Wohl zurìckbeziehen wird (ohne sie darum auf den Status bloß instrumenteller Gìter zu 15 Vgl. Kraut 1989. 16 Dies spricht gegen eine instrumentalisierende Konzeption (wie sie etwa Buddensiek 1999 vertritt), der zufolge die Funktion der ethischen Tugenden darin besteht, durch Eind•mmung der Affekte den Freiraum fìr die Theo¯ria zu schaffen. Die sittlichen Tugenden haben ihre eigenst•ndige Teleologie. 17 Zur Kritik an Versuchen, auch NE X 6-9 im Sinne der Inklusivit•tsthese zu lesen (z. B. Keyt 1980), siehe Kenny 1992, 86 ff.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

reduzieren). Daß der praktisch rationale Mensch umgekehrt die Gìte des eigenen Daseins nicht nur als ein selbstzweckhaftes Gut, sondern zugleich auch als ein Mittel fìr anderes begreifen und erstreben kçnnte (etwa indem er gut und erfolgreich lebt, um seine Erzeuger oder Erzieher stolz zu machen), dies ist ein Gedanke, den Aristoteles offensichtlich nicht fìr plausibel h•lt. Das Gelingen der eigenen Lebenspraxis ist das eine Gut, welches vernìnftigerweise nie auch noch ein Mittel fìr etwas anderes sein kann. In diesem Sinne ist praktische Rationalit•t bei ihm eine Ausgestaltung der natìrlichen Selbstliebe und hat darin den Grund der Einheit ihres Telos. Denn dank der privilegierten Stellung der Sorge um das Glìcken des je eigenen Lebens, in Verbindung mit der Tatsache, das andere letztzielhafte T•tigkeiten und Bindungen als konstitutive Teile in den Entwurf einer eudaimonischen Lebenspraxis eingezeichnet und auf einen bestimmten zentralen Wert als sjop|r hin organisiert werden kçnnen, ist gew•hrleistet, daß die Pluralit•t der naturhaft vorstruktierten Strebensziele die Einheit der Zielausrichtung einer rationalen Lebensfìhrung nicht aufhebt.

§ 12. Das Verh•ltnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgrìnde Abschließend sei auf ein Problem eingegangen, das sich bei Aristoteles hinsichtlich der Motivation sittlich wertvollen Handelns ergibt. Die Frage, die ich im Blick habe, lautet, ob die Aristotelische Position letztlich nicht doch auf eine Form des moralischen Egoismus hinausl•uft bzw. wie sich in seiner Theorie altruistische Motivationsgrìnde zum ìbergreifenden Ziel der je eigenen Eudaimonie verhalten. Zun•chst sei noch einmal an die naturale Ausgangsbasis fìr altruistische Handlungsgrìnde erinnert. Daß zur Vollendungsgestalt menschlicher Natur und menschlicher Praxis ìberhaupt ethische Tugenden mit einem altruistischen Bezug gehçren, grìndet fìr Aristoteles, wie wir gesehen haben (§ 10), in der sozialen Natur des Menschen und den entsprechenden Verhaltensimpulsen. Es ist schlicht eine naturwìchsige Komponente unserer Strebensnatur, daß sich unser Streben nicht in einem von anderen Menschen isolierten Leben erfìllen kann, und zwar nicht nur, weil wir die Hilfe anderer Menschen brauchen, sondern weil in uns auch unabh•ngig davon ein Bedìrfnis nach Freundschaft und Partizipation an einem Gemeinwesen wirksam ist. Aus dieser naturwìchsigen Vorgabe heraus ist menschliche Praxis immer zugleich auch soziale und mitmenschliche

§ 12. Das Verh•ltnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgrìnde

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Praxis, und schließt die Vervollkommnung menschlicher Praxis darum auch Vervollkommnung dieses sozialen und mitmenschlichen Bezuges auf der Basis entsprechender Tugenden und Bindungen mit ein. Die Notwendigkeit der Sympraxie mit anderen und des Wohltuns fìr andere ergibt sich fìr Aristoteles nota bene nicht schon aus dem Begriff des Guten. Er vertritt nicht die Lehre des bonum diffusivum sui. Die Gottheit, so wie er sie konzipiert, bedarf nicht der Philia und kennt auch keine schenkende Liebe, sondern ruht ganz in sich. Nicht das Gutsein als solches, sondern der natìrliche Grundimpuls zum anderen hin ist der Grund, daß Menschen ihre Eupraxie, ihre gestaltete und entfaltete Natur, auch durch Philia und die ihr gem•ße Praxis des Wohltuns definieren mìssen.18 Der entscheidende Motivationsgrund sittlicher Handlungen als solcher ist zwar, wie wir auch gesehen haben, die ihnen inh•rierende Qualit•t des (sittlichen) jak|m, und der Begriff des jak|m steht oft in einem engen Zusammenhang mit dem eines intrinsisch Guten (Vollkommenen). Aber die Tatsache, daß das sittliche jak|m wesentlich einen Gemeinwohlbezug einschließt, wird bei Aristoteles nicht aus abstrakten Grunds•tzen hinsichtlich des Wesens des Guten abgeleitet, sondern ergibt sich aus der sozialen Natur des Menschen, durch die die soziale Verhaltensdimension als ein naturgem•ßer Aspekt menschlicher Selbstvervollkommnung gesetzt ist. Das sittliche jak|m kann, in ›bereinstimmung mit der in der Rhetorik erw•hnten Definition (1366a33 f.; vgl. oben, § 9), als dasjenige bestimmt werden, was um seiner selbst willen erstrebenswert und zugleich auch lobenswert ist. Das Moment, um seiner selbst willen erstrebenswert zu sein (di’ art¹ aRqet|m), kennzeichnet eine Sache oder T•tigkeit, die einen intrinsischen Wert besitzt, im Gegensatz zu einem bloß instrumentellen Wert. Das Moment des Lobenswerten stellt den Bezug zu Vorzìgen her, die einer Person und ihren Handlungsweisen zukommen und Gegenstand positiver sozialer Erwartungshaltungen und Sanktionen sind. Wenn die ethische Handlung mit Blick auf ihren edlen Charakter (toO jakoO 6meja) ausgefìhrt werden muß, so meint dies, daß sie um der ihr inh•rierenden sittlichen Qualit•t willen gew•hlt werden muß. Was dabei im besonderen 18 Zum Gegensatz zwischen dem in-sich-ruhenden Glìck der Gottheit und dem Angewiesensein des Menschen auf Gemeinschaft mit anderen siehe insbesondere EE VII 12, 1245b14 – 19 (und vgl. Metaph. XII 7, 1072b14 ff.; 9, 1074b21 ff.); zum Gesichtspunkt, daß das Bedìrfnis des vortrefflichen Menschen, seine Gìter auch anderen zugute kommen zu lassen, in einem naturwìchsigen Vergemeinschaftsimpuls grìndet (nicht in einem prinzipiellen „diffusiven“ Charakter des Guten) vgl. etwa NE IX 9, 1169b16 ff.; IX 7.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

das motivierende jak|m ist, wird durch die jeweilige Art von Tugend spezifiziert, die zur Anwendung kommt. Nun soll aber andererseits nicht die sittliche Qualit•t der Praxis das hçchste selbstzweckhafte Gut sein, sondern die Eudaimonie,19 was bei oberfl•chlicher Betrachtung den Eindruck hervorrufen kann, daß Aristoteles einen auf das eigene Wohlergehen bezogenen Konsequenzialismus vertritt, gem•ß dem nicht die sittliche Qualit•t, sondern die eigene Eudaimonie der eigentliche Motivationsgrund ist. Dies wìrde aber nicht nur eine fragwìrdige Theorie sittlicher Motivation sein, sondern auch zu Aristoteles’ eigenen Aussagen in den Tugendtraktaten im Widerspruch stehen. Die Lçsung dieser Schwierigkeit besteht grunds•tzlich darin, daß man Aristoteles’ Theorie, wie schon erw•hnt, im Sinne einer Form von doppelter motivationaler Bestimmung sittlicher Handlungen interpretiert. Im Sinne dieses Vorschlages kann gar kein Gegensatz zwischen sittlicher und eudaimonie-bezogener Motivation bestehen, weil Handlungen, die sittlich gut sind, vielmehr aufgrund ihres Wertes je auch den Wert des eigenen Daseins, das sie ausfìllen, steigern.20 Dementsprechend kann eine sittliche Handlung immer mit Blick auf ihren inneren Wert und zugleich auch im Bewußtsein der Tatsache, daß damit der Wert oder die Dignit•t der eigenen Lebenspraxis bew•hrt wird, gew•hlt werden. Am klarsten wird dieser Gedanke von Aristoteles in NE IX 8 formuliert, wo er explizit das Problem des scheinbaren Widerspruchs zwischen 19 Vgl. NE I 12, wo Aristoteles ausfìhrt, daß die Eudaimonie nicht zum Lobenswerten gehçre, da das Lobenswerte etwas dem hçchsten Gut Nachrangiges sei. 20 Daß Aristoteles den deliberativ-praktischen Entscheidungsprozeß, der der Eupraxie zugrunde liegt, nach dem Modell der technisch-herstellenden Rationalit•t beschreibt (z. B. in NE III 5), obwohl er andererseits doch die Unterschiedlichkeit beider Rationalit•tsformen betont (etwa in VI 4-5), kann in diesem Zusammenhang zu Mißverst•ndnissen fìhren. Die Bedeutung des Vergleichs mit technischen Entscheidungsprozessen ist in der Forschung intensiv diskutiert worden sind (vgl. zu dieser Debatte etwa Allan 1955 und 1977; Gauthier/Jolif 1970, II 6 f., 209 – 12, 226; Sorabji 1980; Wiggins 1987; Nussbaum 1978, 165 – 220; Mìller 1982, 27 – 168). Es ist wichtig, die technische Zweck-Mittel-Relation als ein Analogon zur Arbeitsweise der praktischen Rationalit•t zu verstehen, deren Aufgabe darin liegt, mit Blick auf konkrete vorgegebene Entscheidungssituationen diejenigen Handlungsweisen herauszufinden, die situationsangemessene Konkretionen der allgemeinen ethischen Zielsetzung eines sittlich edlen bzw. rechtschaffenen Verhaltens darstellen. Diese Konkretionen sind dann quasi die „Mittel“, das Ziel der sittlich vortrefflichen Praxis zu verwirklichen, jedoch so, daß sie dem Ziel nicht •ußerlich sind, sondern sich wie das Besondere zum Allgemeinen verhalten und damit zugleich der erstrebten vortrefflichen Daseinsweise einen Inhalt geben (vgl. etwa Wiggins 1987).

§ 12. Das Verh•ltnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgrìnde

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der natìrlichen Selbstliebe und dem altruistischen Charakter sittlich motivierten Handelns anspricht. Er verweist zuerst auf die landl•ufige Ansicht, daß schlechte Menschen alles um ihres Eigeninteresses willen tun, w•hrend das Handeln guter Menschen durch das jak|m und durch Freundschaft motiviert werde. Mit dieser Sichtweise kontrastiert er dann die Tatsache der natìrlichen Selbstliebe der Menschen, die dagegen spricht, daß Selbstliebe ein Defekt des Charakters ist. Vielmehr sei Selbstliebe auch die Wurzel sogar der Freundschaft, da diese gleichsam eine ›bertragung von Elementen des glìcklichen Selbstverh•ltnisses („Freundschaft mit sich selbst“) auf das Verh•ltnis zu einem anderen sei (als einem zweiten „Ichselbst“), wodurch eine Beziehung gestiftet wird, durch die dieses Selbstverh•ltnis erg•nzt, aber nicht ersetzt wird und die auch nicht die vergleichsweise Priorit•t des Selbstverh•ltnisses aufhebt (1168b9 f., 1169a34b1). Die popul•re Vorstellung vom Gegensatz zwischen schlechter egoistischer und „edler“, lobenswerter altruistischer Motivation wird in diesem Abschnitt der NE durch eine Unterscheidung von zwei Formen von Selbstliebe korrigiert, die mit zwei unterschiedlichen Aspekten des menschlichen Selbst und zwei unterschiedlichen Typen von Gìtern zusammenh•ngen. Und zwar verweist er auf jene „umk•mpften“ Gìter, bei denen es sich ganz generell um •ußere Gìter handelt: Geld, Ehrungen und solches, wovon man sinnliche Befriedigung erhalten kann. Wegen des Konfliktpotentials, daß diese Gìter und die auf sie gerichteten Begehrlichkeiten mit sich bringen, bedarf es fìr das soziale Zusammenleben der Tugend der Gerechtigkeit (und zwar vermutlich sowohl im Sinne der distributiven als auch der kommutativen Gerechtigkeit, die – als Tugenden – die Motivation so formen, daß man in der Rechtm•ßigkeit der Verteilung oder des Austausches selbst einen Motivationsgrund fìr das entsprechende Verhalten sieht [vgl. NE V 9-10, 1134a1-23], der hçheren Rang besitzt als das Interesse an jenen „umk•mpften“ Gìtern21). Diese Gìter fungieren des weiteren auch als das Material von Handlungen benevolenten, nicht-geschuldeten Gebens und Schenkens im Rahmen der Philia, die in diesem freundschaftlichen Tun einen hçheren Wert erblickt als in der Aneignung solcher Gìter. Fìr diejenigen nun, die in der Weise egoistisch handeln, daß sie sich an solchen •ußeren Gìtern mehr aneignen wollen, als ihnen zusteht (Pleonexie), ist eben die Aneignung solcher Gìter das leitende Motiv. Dieses Verhalten ist aber irrational, weil in ihm die objektive Ordnung der Gìter 21 NE V 2, 1129b1ff; IX 8, 1168b15 – 23, 1169a20 – 22.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

fìr einen Menschen verkehrt wird. Denn durch ein solches sittlich schlechtes, tadelnswertes Verhalten wird das hçchste Gut dieses Menschen, n•mlich der intrinsische Wert seiner Lebenspraxis, besch•digt. Er verfehlt sein eigentliches Telos, die Eupraxie. Diese Form der das eigene Gut verfehlenden Selbstliebe entspringt aus der Dominanz von irrationalen Strebensfaktoren, und da das eigentliche Selbst des Menschen seine Rationalit•t ist, verfehlt der so eingestellte Mensch nicht nur sein Gut, sondern in Verbindung damit auch das, was sein eigentliches Selbst ist. Die wahre Selbstliebe ist diejenige Einstellung, in der der rational verfaßte Mensch sich das rational als fìr-ihn-gut Erkannte aneignet. Und dieses als fìr-mich-gut Erkannte ist eben, im Bereich der sittlichen und auch der freundschaftlichen Handlungen, nicht die Aneignung irgendwelcher •ußerer Gìter, sondern die innere Auszeichnung eines „edlen“ Handelns, durch die der betreffende Mensch sich selbst als vernìnftig und edel erfahren kann. Fìr dieses Gut gilt ferner, daß es, anders als jene „umk•mpften“ Gìter, nicht zu einem sozialen Gegensatz fìhrt, sondern mit dem Gemeinwohlinteresse harmoniert: Wenn die Menschen nicht die Aneignung dieser •ußeren Gìter als ihr hçchstes Ziel betrachten wìrden, sondern vielmehr ein Wettkampf darum bestìnde, wer die edelsten Handlungen vollbr•chte, so wìrden sich die Einzelnen dadurch nicht nur je fìr sich selbst ein wahres Gut aneignen (n•mlich die Eupraxie), sondern es wìrde zugleich auch das, was dem Gemeinwohl geschuldet ist, erfìllt werden (1169a8 – 11). Soweit also in nuce der Lçsungsvorschlag in NE IX 8, der auf eine Theorie gleichsam einer hçheren Form von Egoismus hinausl•uft, die den Gegensatz von Egoismus und Gemeinwohlorientierung aufhebt, weil jene Handlungen einer zu sittlichem Selbstverst•ndnis erhçhten Selbstliebe zugleich auch den Freunden und dem Gemeinwohl dienlich sind. Die entscheidende Pr•misse hierfìr lautet, daß das Moment des jak|m, das in den sittlich wertvollen Handlungsweisen und Freundschaften enthalten ist, das eigene „Selbstwertgefìhl“ bzw. (aristotelisch formuliert) das angemessene Bewußtsein der eigenen Dignit•t stìtzt. Dies ist die These von NE IX 8, die in Einklang steht mit der generellen Perspektive einer Ethik des guten Lebens und im besonderen auch durch die Ausfìhrungen zur Hochgesinntheit (lecakoxuw_a) als dem Bewußtsein der eigenen sittlichen Dignit•t sinnvoll erg•nzt wird. Allerdings begrìnden gerade diese Abschnitte der NE, mehr als alles andere, den Eindruck der Selbstzentriertheit des aristotelischen Spoudaios. Es wird im Lichte dieser Passagen fraglich, ob Aristoteles wirklich die Vermittlung der selbstbezìglichen und der auf andere bezogenen Stre-

§ 12. Das Verh•ltnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgrìnde

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bensrichtung des Menschen in einer Weise gelungen ist, die der Ph•nomenologie der ethischen Motivation und der freundschaftlichen Verbundenheit mit anderen gerecht wird. Wie großzìgig, so kann man zum Beispiel fragen, ist jemand, dessen Großzìgigkeit nur durch das Interesse am edlen Charakter der eigenen Praxis motiviert ist?22 Nun ist Max Schelers pauschale Kritik an Ethiken, die die innere Qualit•t der Handlung und damit letztlich die Vortrefflichkeit des Handelnden zum Motivationsgrund erheben, wohl doch ìberzogen. Scheler spricht bekanntlich von ethischem „Pharis•ismus“.23 Aber ist es nicht so: Wenn jemand gegenìber einem Menschen, den er als seinen Feind betrachten muß, gleichwohl nicht zu unlauteren Mitteln greift aufgrund seiner Gerechtigkeitsliebe, so kann es nur die innere Qualit•t der Haltung und die Loyalit•t dem eigenen Selbstentwurf gegenìber sein, was ihn zu dieser Haltung motiviert. (Was darìber hinausgeht, w•re nicht mehr bloß iustitia, sondern caritas.) Problematisch ist lediglich die Reduzierung des Moralischen insgesamt auf diese Art von Gerechtigkeit. Im ìbrigen ist es auch bei Tugendhandlungen, in denen ich durch das Leid des anderen und meine Benevolenz ihm gegenìber motiviert werde, so, daß sie mit dem sittlichen Selbstverh•ltnis verschr•nkt sein mìssen. Rein spontane, sozusagen naturwìchsige Sympathie ist kein Akt der Sittlichkeit. Erst wenn solche Akte aus einer reflektierten Haltung heraus erfolgen, die die motivationale Ang•nglichkeit fìr die Bedìrfnisse der anderen als eine Qualit•t der Person, die man sein will, versteht, haben wir es mit Sittlichkeit im eigentlichen Sinne zu tun. Der zuletzt ge•ußerte Gedanke stellt einen Bezug zu der These von der Irreduzibilit•t des praktischen Selbstbezuges her, die darin grìndet, daß jede Handlungsentscheidung eine praktische Stellungnahme zu den eigenen Daseinsmçglichkeiten ist24 und darum auch im Horizont der Frage nach dem guten Leben zu sehen ist. Jedoch birgt dieser Gedanke auch die Gefahr einer Vereinseitigung in sich, die zur Folge h•tte, daß sich das ethisch motivierte Tun ganz auf die Realisierung eines Selbstentwurfes reduziert. Muß man ìber Aristoteles’ Ansatz sagen, daß er sich eben diese Art der Vereinseitigung zu Schulden kommen l•ßt? 22 Besonders deutlich arbeitet dies de Vogel 1985 aus. Eine optimistische Beurteilung der Vereinbarkeit vertreten zum Beispiel Annas 1993, 260; Broadie 1991, 442, Korsgaard 1996a, 216. Zur Problematik von Altruismus und Egoismus in der aristotelischen Ethik vgl. auch Annas 1977, 1988, Kahn 1981, Madigan 1991. 23 Vgl. z. B. Scheler 1954, 49, 140 f. 24 Vgl. Tugendhat 1979, 164 ff., im Anschluß an Heideggers Existenzialanalyse.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

Was der aristotelische Ansatz imgrunde braucht, ist eine Theorie der Dreifachmotivation, die das Motiviertwerden durch die Bedìrfnisse anderer einschließt und vom Motiviertwerden durch den inh•rierenden Wertcharakter der sittlichen Handlung als solcher unterscheidet. Es gibt viele sittlich wertvolle Handlungen, fìr die eine motivationale Hinwendung zu den Bedìrfnissen anderer wesentlich ist, wie etwa im Fall der Großzìgigkeit.25 Das entscheidende Problem ist dann, wie sich dazu jener ,innere‘ Wert der Handlung verh•lt, der den unmittelbaren Motivationsgrund einer sich als ethisch wertvoll bewußten Praxis liefert. Bei der oben beschriebenen Doppelbestimmtheit ging es darum, daß die Handlung, die um ihres edlen Charakters willen gew•hlt wird, zugleich auch als produktiver Bestandteil des glìckenden Lebens im ganzen betrachtet werden und darum mit der zu einer rationalen Sorge um die eigene Eudaimonie fortentwickelten natìrlichen Selbstliebe kongruieren kann. Jetzt geht es darum, noch weiter auszudifferenzieren, so daß zwischen einerseits dem edlen Charakter der Handlung, der in die Gesamt-Eupraxie des Lebens eingeht, und andererseits der Benevolenz bzw. dem Sich-Angehen-Lassen durch die Bedìrfnisse anderer, das wenigstens bei bestimmten Typen ethischen Handelns zum Wesen dieser Handlung gehçrt, unterschieden wird. Es ist zwar gewiß so, daß bei angemessen großzìgigen Handlungen laut Aristoteles auch die Wahl der Adressaten bzw. Nutznießer eine Rolle spielt. Mit anderen Worten, der edle Charakter der Handlung kann nicht unabh•ngig von der Frage der richtigen Adressatenwahl bestimmt werden. Gleichwohl darf man den edlen Charakter, den die Handlung aufgrund ihrer sittlichen Angemessenheit besitzt, nicht mit dem Motiv, einem anderen zu helfen, einfach gleichsetzen. Dementsprechend stoßen wir auf drei Typen von Motivationsgrìnden, die etwa im Fall der großzìgigen Handlung zum Tragen kommen kçnnen: 1) die Tatsache, daß sie durch ein Sich-Angehen-Lassen durch die Bedìrfnisse des oder der Anderen angeregt wird, 2) die Tatsache, daß sie qua sittlich edle Handlungsweise etwas um ihrer selbst Erstrebenswertes ist, und 3) die Tatsache, daß ein derartiges sittlich wertvolles Sich-Verhalten den Charakter des eigenen Lebens im ganzen als Eupraxie wahren hilft. Die 25 Es gibt sogar, jedenfalls fìr uns, spezifisch eine Tugend der Anteilnahme, die sich darauf bezieht, daß ein Mensch fìr die Situationen und Bedìrfnisse anderer Menschen sensibel ist und sich zu solidarischen Handlungsweisen um der anderen willen motivieren l•ßt. Im aristotelischen Schema w•ren dies Handlungen der Benevolenz und Philia, und der passende Ausdruck hierfìr w•re vikamhqyp_a, ,Menschenfreundlichkeit‘. Aristoteles erw•hnt jedoch diesen Begriff nur am Rande (vgl. NE 1155a20). Er hat keine systematische Stellung in seiner Tugendlehre.

§ 12. Das Verh•ltnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgrìnde

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damit postulierte Verbindung von selbstbezìglicher Sorge um die eigene Eupraxie und Motiviertwerden durch die Bedìrfnisse eines anderen oder anderer wirkt zwar, wie erw•hnt, auf den ersten Blick problematisch, weil die altruistische und die selbstbezìgliche Motivation gegenl•ufig zu sein scheinen. Ist es aber wirklich so, daß die anteilnehmende und hilfsbereite Handlungsweise an sittlichem Wert verliert, wenn der Betreffende gleichsam aus der Unmittelbarkeit seines guten Tuns, das auf das Wohl des anderen (und damit auf eine Wirkung) als Telos ausgerichtet ist, herauszutreten und dieses Tun als einen integralen Bestandteil seines Lebensentwurfes zu begreifen vermag?26 Wenn dies kein Widerspruch ist, sondern sogar eine Notwendigkeit des menschlichen Handelns als Selbstbestimmung, dann hat in diesen F•llen auch der Bezug zur eigenen Selbst- und Lebenskonzeption eine motivationale Bedeutung, ohne daß darum der Bezug auf das Wohl des anderen um seinetwillen aufgehoben wìrde.27 Aus der Sicht post-antiker ethischer Theorien w•re dabei allerdings wesentlich, daß die Gesichtspunkte (1) und (2) im Verst•ndnis des Handelnden so verknìpft sind, daß das motivationale Sich-Angehen-Lassen durch das Bedìrfnis eines anderen fìr den sittlichen Wert der Handlung als solcher, um den es in (2) geht, mit konstitutiv ist. Jedoch wird gerade dieser Gesichtpunkt, so weit ich sehen kann, bei Aristoteles nirgendwo eindeutig ausgefìhrt. Dies ist der Grund, weshalb der Eindruck entstehen kann, daß der aristotelische Spoudaios imgrunde selbstgef•llig agiert. Zwar finden sich bei Aristoteles gewisse Ans•tze dafìr, das der sittlichen Handlung als solcher inh•rierende Moment des jak|m mit dem Bezug auf das Wohlergehen anderer zu verbinden. So scheint er zu meinen, daß Tugenden wie Tapferkeit oder Großzìgigkeit ihre hçchste Erfìllung finden, wenn sie den v_koi oder dem Gemeinwesen zugute kommen28, was darauf hindeutet, daß solche Tugendhandlungen, wenigstens in F•llen dieser Art, auch altruistisch motiviert sind. Jedoch mìßte diese Erkenntnis dann auch in seine Motivationsanalyse fìr die besagten Tugenden explizit einbezogen werden, was nicht der Fall ist. 26 Vgl. Korsgaard 1996, 49 ff. zum Begriff des „reflexive endorsement“. Stufen (2) und (3) in meiner Beschreibung entsprechen, so kçnnte man sagen, zwei Stufen von reflexive endorsement. 27 Im konkreten Einzelfall wird dieser Rìckbezug auf die Selbstkonzeption selbstverst•ndlich oft nur latent sein. 28 Fìr Tapferkeit vgl. die Aussagen in NE III 9, 1115a29 – 34 mit IX 8, 1169a18 – 26 und X 1177b4 – 18; fìr Großzìgigkeit siehe NE VIII 1, 1155a4 – 9; IX 9, 1169b8 – 16; IX 11, 1171a22 – 27; IV 2, 1120b3 f.

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D) Pluralit•t und Einheit der letztzielhaften Strebensziele

Man kçnnte auch darauf verweisen, daß ein expliziter Bezug auf das Gemeinwohl oder das Wohl bestimmter anderer erstens im Kontext seiner Abhandlung ìber Gerechtigkeit begegnet, und zwar insbesondere in der Erçrterung der Gerechtigkeit im allgemeinsten Sinne, welche die Tugenden insgesamt einschließt, insofern sie auch anderen Menschen, mit denen wir interagieren, zugute kommen (NE V 3), sowie zweitens im Kontext der Freundschaftstraktate, zum Beispiel dort, wo diese ìber Handlungen der Großzìgigkeit gegenìber Freunden sprechen. Auch die Thematik der staatsbìrgerlichen Tugend dìrfte in diesem Zusammenhang von Interesse sein. Aber diese Elemente zu einer Theorie altruistischer Handlungsgrìnde werden nicht in die Tugendlehre insgesamt systematisch integriert, so wie das eigentlich, wie mir scheint, nçtig gewesen w•re. Am ehesten scheint mir Aristoteles die Struktur einer dreifachen motivationalen Bestimmtheit im Kontext seiner Theorie der hçchsten (,ethischen‘) Form von Freundschaft freigelegt zu haben. Zwar wird auch dort die These der Dreifachbestimmtheit nicht explizit als These formuliert, aber die einzelnen Komponenten werden doch deutlich herausgearbeitet. Zu den Handlungen der Freundschaft gehçren erstens genuine Akte der Benevolenz, die dem anderen um seinetwillen gelten.29 Die Aktivit•ten echter Freundschaft sind sodann zweitens auch ein jak|m, das auch unabh•ngig vom Nutzen erstrebenswert ist. Aber sie haben diese Qualit•t nur, wenn der Betreffende zugleich genuin durch Benevolenz dem anderen gegenìber motiviert ist und ihm Gutes tut um seinetwillen! (Die Elemente (1) und (2) sind hier also wesentlich miteinander verbunden.) Bet•tigungen der Freundschaft sind drittens auch ein konstitutives Element von Eudaimonie. Mit Blick auf solche Ans•tze, aber auch auf die festzustellenden Defizite kann man also zumindest sagen, daß Aristoteles sozusagen auf der Spur der Ph•nomenologie der genuin altruistischen Aspekte sittlicher Motivation war, die er mit bestimmten elementaren Strebetendenzen des Menschen verbindet, deren Vollendungsgestalten die Herausbildung von gemeinwohldienlichen Tugenden, Freundschaft auf der Basis wechselseitiger und irrtumsfreier Wertsch•tzung sowie der partizipatorische Staatsbìrgerverband sind. Andererseits scheint bei ihm die These vom Primat des Selbstverh•ltnisses in Verbindung damit, wie er die Motivation von Tugendhandlungen beschreibt, doch auch zur Folge zu haben, daß alles an29 Zur Priorit•t des Gebens gegenìber dem Annehmen im Falle ethischer Freundschaft vgl. NE VIII 1, 1155a6 – 9; 15, 1162b6 – 8; IX 7, 1167b28 ff.; 8, 1169a18b2; 9, 1169b10 – 22; 11, 1171b12 – 25

§ 12. Das Verh•ltnis selbstreferentieller und altruistischer Motivationsgrìnde

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dere und alle Anderen gleichsam als bloße Ausstattungsmerkmale und externe Ermçglichungsgrìnde der selbstgef•lligen Freude an der eigenen Eupraxie erscheinen kçnnen, und zwar deshalb, weil er die spezifische motivationale Mehrfachbestimmtheit sittlicher Handlungen im Kontext der Tugendlehre nicht ausdrìcklich herausarbeitet, obwohl die Bausteine dazu bei ihm vorhanden sind. Dieses Problem kann auch unter Verwendung einer spezifisch aristotelischen Terminologie auf den Punkt gebracht werden: Aristoteles unterscheidet terminologisch scharf zwischen Praxis und Poie¯sis. Praxis hat nach seiner Lehre ihr Telos in ihr selbst, Poie¯sis in einem •ußeren Werk.30 Da es der durch Benevolenz motivierten Handlung darum geht, etwas Gutes fìr einen anderen zu bewirken, f•llt sie in die Kategorie der Poie¯sis. Aber nur Praxis konstituiert Eudaimonie, weil Eudaimonie immer eine um ihrer selbst erstrebenswerte Form von T•tigkeit sein muß (gem•ß Aristoteles’ Voraussetzungen). Andererseits gehçrt Benevolenz aber zu bestimmten sittlichen wertvollen Handlungen und damit zu bestimmten Aspekten von Eupraxie. Die Lçsung kçnnte hier eigentlich nur die sein, daß man ein und dieselbe T•tigkeit je unter verschiedenen Gesichtspunkten zugleich als Poie¯sis und als Praxis versteht, mitsamt den entsprechenden motivationalen Bezìgen, n•mlich als ein Wirken (Poie¯sis), insofern sie durch Benevolenz motiviert ein externes Gut intendiert, und als Praxis bzw. ,Sich-Verhalten‘, insofern sie durch den ihr inh•rierenden Wert als sittlicher Handlung motiviert wird.31

30 Zu pq÷nir versus po_gsir vgl. NE VI 2, 1139b1 – 4; 4, 1140a2 – 6; 5, 1140b6 f.; Pol. I 4, 1254a5-8 (s. a. NE I 1, 1094a3 – 6); zu pq÷nir/ 1m]qceia versus j_mgsir vgl. Metaph. IX 7, 1048b18 – 35; IX 8, 1050a23-b2. Die Rede von pq÷nir kann als Gegenbegriff zu heyq_a fungieren (z. B. NE X 6, 1177a21 f.) und ist dann begrifflich enger als 1m]qceia, da auch die heyq_a eine 1m]qceia t/r xuw/r ist. Aber in einem etwas weiteren Sinne (vielleicht in Anlehnung an die Wendung ew pq\tteim, die als Synonym zu eqdailome?m fungiert, z. B. NE I 2, 1095a18 – 20) ist jede T•tigkeitsform, die konstitutiv fìr Eudaimonie bzw. Eupraxie sein kann, eine Form von Praxis (vgl. etwa Pol., VII 3, 1325a32, b14 – 30; I 4, 1254a7). In der Regel werde ich hier in diesem letzteren Sinne von Praxis sprechen. – Zur Debatte um die Unterscheidung von Praxis und Poie¯sis vgl. u. a. Ebert 1976; Mìller 1982, 209 ff., Heinaman 1996. 31 In diese Richtung weisen etwa auch die durch Aristoteles angeregten Kritiken bzw. Deutungsvorschl•ge bei Mìller 1982, 209 ff. (in kritischer Auseinandersetzung mit Ebert 1976) und Wiggins 1998, 132 ff. S. a. Korsgaard 1996a, 216 f., die von einer „double-aspect theory of motivation“ spricht.

Teil II. Peripatetische Positionen zur Bedeutung der nicht-seelischen Gìter und zum Begriff eines naturgem•ßen Lebens

Teil II. Peripatetische Positionen

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Gem•ß der aristotelischen Analyse verwirklicht sich das menschliche Telos im wesentlichen als eine Form von Eupraxie – als vortreffliche Praxis. Da Praxis eine Bet•tigung der spezifisch seelischen, mit Rationalit•t und Handlungsfreiheit verbundenen Vermçgen ist, bedeutet dies in der Perspektive der klassischen Dreiteilung von seelischen, leiblichen und •ußeren Gìtern, die Aristoteles ìbernimmt, daß das praktische Telos, die Eudaimonie, ein seelisches Gut ist. Die volle Entfaltung des Potentials zu vortrefflicher Praxis h•ngt zwar auch von einer hinl•nglich guten leiblichen Verfassung und geeigneten •ußeren Rahmenbedingungen ab. Aber dies muß nicht mehr beinhalten als daß den nicht-seelischen Gìtern der Status externer Ermçglichungsgrìnde zukommt. An diese Feststellung muß sich die Frage anschließen, ob denn alle nicht-seelischen Gìter etwa nur instrumentelle Gìter sind, wobei zu berìcksichtigen ist, daß andere Menschen, oder das Gemeinwesen, dem man angehçrt, im Sinne dieser Gìtereinteilung auch •ußere Gìter sind (vgl. NE 1169b9 f.). Im aristotelischen Ansatz liegt, wie wir gesehen haben, die Gefahr, daß auch bei solidarischen Handlungen, insofern diese als arete¯gem•ße und darum intrinsisch wertvolle Konstituentien der je eigenen Eupraxie betrachtet werden, die anderen nur noch als eine Art Mittel zur Ermçglichung dieser Eupraxie fungieren, indem sie bestimmte Arten von Tugendhandlungen als deren „angemessene“ Objekte ermçglichen. An verschiedenen Stellen drìckt sich Aristoteles durchaus in einer Weise aus, die dem Vorwurf eines moralischen Egoismus entgegenkommt. Wenn wir jedoch alle relevanten Texte berìcksichtigen (wozu insbesondere auch die Thematik der Philia gehçrt), so wird deutlich, daß er altruistische Motivationsgrìnde in seine Theorie der guten Lebenspraxis durchaus einzubeziehen vermag (vgl. I-D, § 12). Warum ist es ìberhaupt so, daß das der Praxis zugrundeliegende menschliche Streben auf •ußere Gìter (und insbesondere den Bereich der mitmenschlichen Bezìge) in solcher Weise bezogen ist, daß es seine Erfìllung verfehlte, wenn diese Gìter auf eine bloß instrumentelle Funktion reduziert wìrden? Diese Frage verweist in aristotelischer Perspektive auf die naturalen Strukturmomente unseres Strebens (vgl. I-D, § 10). Wir werden im folgenden untersuchen, wie sich diese Fragestellung bei den Peripatetikern weiterentwickelt, und zwar mit der in der Einleitung begrìndeten Schwerpunktsetzung bei den Jungperipatetikern und beim Fortwirken spezifisch jungperipatetischer Themen und Begrifflichkeiten in den Kommentaren des kaiserzeitlichen Peripatos. Fìr weitere Informationen zu den Quellentexten sei ebenfalls auf die allgemeine Einleitung verwiesen.

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Teil II. Peripatetische Positionen

Vordergrìndig scheint es bei den unterschiedlichen Positionen und Debatten unter den Peripatetikern, die ich analysieren werde, nur um die Frage des Stellenwerts der •ußeren und leiblichen Gìter fìr das gute Leben zu gehen. Der Sache nach wird damit jedoch zugleich das fìr den aristotelischen Ansatz zentrale Thema behandelt, wie sich die prudentielle (auf das eigene Gelingen oder Telos bezogene) Rationalit•t zu den naturalen Pr•dispositionen unseres Strebens und insbesondere zu den sozialen Bezìgen des Menschen verh•lt, die in den kooperativen Tugenden und Institutionen vollendet werden.

A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These: Sind nicht-seelische Gìter ein ,Teil‘ der Eudaimonie? § 1. Aristoteles’ Argument in NE I zur Bedeutung •ußerer und leiblicher Gìter fìr das menschliche Telos Aristoteles’ Auffassung von der Relevanz der leiblichen und •ußeren Gìter und damit auch der •ußeren Glìcksumst•nde (Eutychie) fìr die Eudaimonie stellt in der Perspektive der antiken philosophischen Ethiken gleichsam das offensichtlichste Erkennungsmerkmal der Ethik des Aristoteles und seiner Schule dar. Unklarheiten ergeben sich dabei vor allem hinsichtlich der Frage, ob und, wenn ja, wie bestimmte •ußere und leibliche Gìter nicht nur einen im weitesten Sinne instrumentellen Beitrag zur Eudaimonie leisten, sondern konstitutive Bestandteile des guten Lebens und menschlichen Telos sind. Die zentralen Textstìcke zu dieser Frage finden sich bei Aristoteles in NE I 8 – 11 (insbesondere 9 und 11), gehçren aber nicht zu den klarsten Kapiteln in seiner Ethik. Die Eudemische Ethik bejaht zwar ebenfalls unzweideutig die Notwendigkeit •ußerer Gìter zur Verwirklichung der besten T•tigkeitsformen, geht aber auf die Frage, ob diesen Gìtern auch unabh•ngig von ihrer instrumentellen Funktion eine konstitutive Rolle fìr menschliches Lebensglìck zukommt, nicht ein.1 Zur terminologischen Klarheit sei noch darauf hingewiesen, daß die Diskussion in den fraglichen Textpassagen auf die •ußeren Gìter fokussiert ist, daß dabei aber doch die leiblichen Gìter generell mitgemeint sind. Sie scheinen bisweilen stillschweigend unter die •ußeren Gìter subsumiert zu werden, gleichsam als Teil jener „ìbrigen Gìter“ (vgl. NE 1099b27), die den seelischen •ußerlich sind.2 Obwohl im Grundsatz die Unterscheidung 1

2

Die bereits in EE I 2 getroffene Unterscheidung zwischen Bestandteilen und externen Ermçglichungsbedingungen zielt auf diese Art der lebenspraktischen Bedeutung der nicht-seelischen Glìcksgìter. Außerdem verdeutlich auch die Abhandlung ìber die Bdom^ in NE VII (= EE VI), die ursprìnglich wohl eher in den Kontext der EE gehçrt hat (vgl. Einleitung, § 2), den notwendigen Beitrag der •ußeren Gìter zur „unbehinderten“ und auf diese Weise eudaimonischen Bet•tigung der Arete¯ (vgl. VII 14, 1153b17 – 21). So spricht er in dem wichtigen Passus 1099a31-b6 expressis verbis von den •ußeren Gìtern (t± 1jt|r), nennt dann aber auch kçrperliche Schçnheit bzw. das ›bel

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

leiblicher und •ußerer Gìter keineswegs in Frage gestellt wird, so bleiben durch diese Vorgehensweise doch die eventuellen Besonderheiten der leiblichen Gìter unterbelichtet. Dementsprechend wird auch mein Augenmerk hier zun•chst prim•r den •ußeren Gìtern gelten, zu denen auch der Bereich der sozialen und affektiven Bindungen gehçrt. In welchem Sinne die ,Ausstattung‘ (woqgc_a) mit •ußeren (oder auch leiblichen) Gìtern zum Glìck beitr•gt, wird bereits in I 9 erçrtert (1099a31-b8), wobei zwei Aspekte unterschieden werden. Wir kçnnen den entscheidenden Textpassus wie folgt wiedergeben (a32-b6): 1) „Es ist n•mlich unmçglich, oder wenigstens nicht leicht, das SittlichSchçne (jak\) zu tun, wenn man keine Ausstattung hat (!woq^cgtom emta). Denn vieles wird, gleichsam wie durch Werkzeuge (di’ aqc\mym), durch Freunde, Reichtum oder politischen Einfluß verrichtet.“ 2) „Es gibt einige Gìter, deren Fehlen das Glìck besudelt (Nupa_meim), zum Beispiel gute Abstammung, Kindersegen, Schçnheit. Man kann jemandem nicht uneingeschr•nkt Eudaimonie zusprechen, wenn er ìberaus h•ßlich ist, eine unedle Abstammung hat, einsam oder ohne Kinder ist, und wohl noch weniger, wenn er sehr ìble Kinder oder Freunde hat, oder solche, die zwar gut sind, aber versterben.“

Hier werden also zwei maßgebliche Varianten der Deutung des Wertes •ußerer Gìter unterschieden. In Absatz (1) treten sie als instrumentelle Gìter in den Blick, die insofern zur Eudaimonie gehçren, als Eudaimonie ausgezeichnete Praxis ist und Praxis Mittel voraussetzt, um sich realisieren zu kçnnen. Daraus, daß Eudaimonie nicht einfach in einem Habitus bestehen kann, sondern Praxis auf der Grundlage guter Habitus ist, ergibt sich fìr Aristoteles also die Notwendigkeit der Einbeziehung •ußerer Gìter (und damit auch der Tyche¯). Insbesondere fìr die praktisch-politische Lebensform gilt, daß sie ihre hçchste Erfìllung, die im Wirken fìr das großer H•ßlichkeit als Beispiele (vgl. Gauthier/Jolif 1970 ad loc., Cooper 1985, 177; s. a. Aspasios In I EN, 23, 32 – 24, 1; anders Eustratios 85, 6-10). – Daß Aristoteles anstelle der Dreiteilung explizit eine Zweiteilung in seelische und •ußere Gìter vertreten kann, die die leiblichen unter die •ußeren subsumiert, wìrde eindeutig best•tigt durch EE II 1, 1218b32 f., falls der durch die Codices ìberlieferte Text Vertrauen verdient. Angesichts des hohen Grades an Textverderbtheit der EE ist aber die Konjektur von Spengel, die die Dreiteilung wiederherstellen wìrde, ernstlich zu erw•gen. (Gegen diese Konjektur spricht mçglicherweise, daß man bei einer Dreierliste fìr die Heraushebung der seelischen Gìter eher einen Superlativ – vgl. die Paralleltexte NE 1098b14 f., MM 1184b5 – anstelle des Komparativs aRqet~teqa (b33) erwarten wìrde.) Grçßeres Gewicht hat darum die Stelle in Pol. VII 1, an der summarisch von den der Tyche¯ ausgesetzten Gìtern außerhalb der Seele die Rede ist (1323b27 f. t_m … 1jt¹r !cah_m t/r xuw/r, vgl. b25).

§ 1. NE I zur Bedeutung •ußerer und leiblicher Gìter

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Gemeinwesen liegt, nicht ohne •ußere Gìter erreichen kann, da etwa Armut, schlecht angesehene Herkunft, mangelnde Beziehungen jeweils die Wahl in ömter verhindern kçnnen, welche dem betreffenden ìberhaupt erst die Gestaltungsmçglichkeit fìr sein Gemeinwesen geben. Der theoretische b_or ist zwar sehr viel weniger von •ußeren und leiblichen Gìtern abh•ngig, wie Aristoteles in NE X 7 herausstreicht, wird aber selbstverst•ndlich durch Krankheit oder durch Armut, die zu schwerer Lohnarbeit zwingt, ebenfalls behindert oder unmçglich gemacht (1177a27-b1). Gem•ß einer Bemerkung in I 10 (1099b27 f.) kann man die instrumentellen Gìter weiter einteilen, und zwar in Gìter, die ,notwendig‘ sind (!macja?a), damit menschliche Praxis ìberhaupt mçglich ist, und Gìter, die fìr die Bet•tigungen nìtzlich und fçrderlich sind (s}meqca ja· wq^sila). Bei den !macja?a ist an lebenserhaltende Gìter zu denken, gegebenenfalls auch an ein Minimum sozialer Bindung. Der b_or heyqgtij|r bençtigt nicht viel mehr als diese !macja?a, w•hrend die volle Entfaltung der praktisch-politischen Lebensform in erheblichem Maße auf s}meqca ja· wq^sila angewiesen ist (vgl. X 7, 1177a28 ff.; 8, 1178a25 ff.): Die Handlungen der ethisch-politischen Tugend werden umso großartiger und edler/schçner ausfallen (le_four ja· jakk_our), je geeigneter die •ußeren Umst•nde und Hilfsmittel sind (X 8, 1178b2 f.). Wie wir aus dem zweiten Absatz im oben angefìhrten Zitat erfahren, beschr•nkt sich der Beitrag der •ußeren (und auch leiblichen) Gìter zur Eudaimonie nicht auf ihre Funktion als ,Werkzeuge‘ (eqcama) der Praxis. Das Eigentìmliche des in (2) genannten Aspektes liegt darin, daß diese Gìter bzw. ihr Fehlen, oder die entgegengesetzten ›bel, eine steigernde (1100b25 f.) bzw. einschr•nkende Wirkung nicht bloß durch eine instrumentelle bzw. obstruktive Leistung haben, gem•ß der sie die Praxis fçrdern oder behindern. Der Tod der Kinder muß nicht das Wirken des guten Staatsmannes fìr sein Gemeinwesen beeintr•chtigen, da er sie nicht als Mittel seiner politischen T•tigkeit bençtigt. Aber kann man sein Leben noch uneingeschr•nkt als ein gutes Leben betrachten, wenn ihm solches widerfahren ist? Das wìrde den vaim|lema im aristotelischen Sinne zuwiderlaufen, deren Wahrheitskern eine angemessene ethische Theorie erschließen und bewahren will. Aber wie kann man die nicht-instrumentellen Auswirkungen eines solchen ›bels auf das Glìck begrifflich fassen? Der Ausdruck „besudeln“ ist noch sehr bildlich. Aber er macht, zusammen mit der eigentìmlichen Zusammenstellung von Beispielen, doch eins hinl•nglich klar: Es geht Aristoteles hier nicht darum, Instrumente von Adressaten unseres Handelns, die wir um ihrer selbst willen sch•tzen oder lieben, zu unterscheiden. Das Beispiel des Todes der Kinder kçnnte dies

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

nahelegen, aber es wird in einem Atemzug mit kçrperlicher H•ßlichkeit und Bastard-Abstammung genannt, die die betreffende Person selbst affizieren und nicht die Adressaten seines Handelns sind.3 Gleichwohl muß es sich um einen nicht-instrumentellen Aspekt handeln, da er ja gerade vom Instrumentellen in seiner negativen Form (Behinderung der Praxis) unterschieden wird. Gibt uns Aristoteles noch weitere Hinweise, wie das vage als „Besudeln“ bezeichnete Moment genauer zu fassen ist? Die Ausfìhrungen zu dem gleichen Thema in I 11 gebrauchen zur Illustrierung das Beispiel des (bereits in 1100a8 erw•hnten) Priamos (vgl. 1101a8), der in hohem Alter als Kçnig von Troja die Zerstçrung seiner Heimat und grausame Vernichtung seiner Familie miterleben mußte. Zun•chst einmal heißt es zwar in 1100b7 – 11, daß das menschliche Leben fìr sein Wohl zus•tzlich noch der gìnstigen Glìcksumst•nde (und damit der •ußeren und leiblichen Gìter) bedìrfe, daß aber ausschlaggebend (j}qiai) fìr die Eudaimonie die tugendgem•ßen Bet•tigungen (1m]qceiai) seien. Damit wird also der Vorrang der hçchsten seelischen Gìter, n•mlich der 1m]qceiai jat’ !qet^m, klar artikuliert. Aber so einfach ist die Sachlage dann doch nicht, denn erstens h•ngen die 1m]qceiai ja auch vom Gegebensein der •ußeren und leiblichen Mittel ab, und zweitens scheint, wie der Priamos-Fall zeigt, das Fehlen bestimmter leiblicher und •ußerer Gìter, bzw. das Eintreten der ihnen entgegengesetzten ›bel, auch unabh•ngig von ihrer mçglichen instrumentellen Dienlichkeit bzw. Abtr•glichkeit einen erheblichen Einfluß auf die Eudaimonie zu haben. Letzteres wird von Aristoteles im weiteren Verlauf von I 11 deutlich ausgesprochen: In 1100b18 – 33 heißt es, daß kleinere Glìcksumst•nde (eqtuw^lata) und ihr Gegenteil mit Blick auf das Leben im ganzen zwar nicht ins Gewicht fallen, daß aber große und zahlreiche Glìcksumst•nde das Glìck des Guten steigern kçnnen, w•hrend entgegengesetzte Umst•nde dessen Glìck „bedrìcken und besudeln (bzw. besch•digen)“.4 Das bedeute zwar nicht, daß aus einem Glìcklichen ein Elender werden kçnne 3

4

Damit scheidet der Deutungsversuch dieses Aspektes (2) im Sinne der Unterscheidung von Objekten und Instrumenten der gelingenden Praxis aus, wie ihn Nussbaum 1986, 327 f., 332, versucht. Vgl. Gauthier/Jolif 1970, 70 f., 82, die allerdings unberechtigterweise auch die Einteilung in 1099b27 f. damit parallelisieren (75). 1100b25 ff.: „t± d³ lec\ka ja· pokk± cim|lema l³m ew lajaqi~teqom t¹m b_om poi^sei …, !m\pakim d³ sulba_momta hk_bei ja· kula_metai t¹ laj\qiom.“ „kula_metai“ kann mehr oder weniger als ein Synonym von „Nupa_meim“ („beschmutzen, besudeln“) in I 9 betrachtet werden, aber auch „besch•digen“ bedeuten.

§ 1. NE I zur Bedeutung •ußerer und leiblicher Gìter

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(%hkior – ein Gegenbegriff zu eqda_lym oder laj\qior).5 Denn um ein eqda_lym gewesen zu sein, muß man auch ein Spoudaios (bzw. !cah|r) gewesen sein. Daß aber ein Spoudaios zu einem Elenden werden kçnne (d. h. zu einem Menschen, dessen Leben grunds•tzlich gescheitert ist), dies mçchte Aristoteles gerade ausschließen. Er r•umt lediglich ein, daß der Spoudaios seine Eudaimonie verlieren kçnne, wenn ihm eine Priamosartige Atychie widerf•hrt. Betrachten wir die Begrìndungen: Als Grund fìr die steigernde Wirkung großer positiver Glìcksumst•nde wird angegeben (1100b26 – 28), daß sie erstens eine zus•tzliche Ausschmìckung des Lebens darstellen (sumepijosle?m) und daß zweitens auch die Art und Weise, wie der Gute mit ihnen umgeht oder von ihnen Gebrauch macht, schçn und gut ist (jakµ ja· spouda_a). Letzteres l•uft auf den Gesichtspunkt der instrumentellen Funktion hinaus: Die das jak|m anstrebende sittliche Praxis wird durch die vorhandenen vorzìglichen Mittel und Umst•nde in ihrer Qualit•t gesteigert. Der zuerst genannte Gesichtspunkt ist dagegen das positive Gegenstìck zu dem in I 9 genannten Aspekt (2): Der „Besudelung“ der Eudaimonie durch den Verlust solcher Gìter entspricht ihre „Verschçnerung“ durch deren reichliches Vorhandensein. Daß die großen Unglìcksf•lle das Glìck „bedrìcken (hk_beim) und besudeln/besch•digen (kula_meshai)“, wird sodann damit erkl•rt, daß sie Trauer und Leid (kOpai) verursachen und viele T•tigkeiten des Guten behindern (b29 f.). Dabei entspricht die Rede von der Behinderung der T•tigkeit eindeutig dem instrumentellen Gesichtspunkt, der im Positiven den Charakter der Fçrderung des eigenen T•tigseins hat. Wie der Verweis auf das Leid einzuordnen ist, ist hingegen weniger klar. Man kçnnte es dem quasi-•sthetischen Aspekt der „Besudelung“ zuordnen (als Gegenstìck zum sumepijosle?m). Es kann aber auch gemeint sein, daß das durch Unglìcksf•lle hervorgerufene Leid ein Hinderungsgrund der Praxis ist, also negativ instrumentell wirksam ist. Warum aber empfindet der Spoudaios ìberhaupt Leid in solchen F•llen, wenn nicht diese Unglìcksumst•nde selbst, sondern erst seine Trauer ìber sie, die Praxis behindern? Verh•lt er sich damit nicht in praktisch unvernìnftiger Weise, also unvereinbar mit 5

So die eindeutige Aussage in 1101a6 f. In I 10, 1100a9, ist zwar von der Mçglichkeit des tekeut/sai !hk_yr des Guten die Rede, aber der elende Tod muß fìr Aristoteles natìrlich nicht implizieren, daß auch das Leben dieses Menschen aufs ganze gesehen elend war. Es wird an dieser Stelle nur behauptet, daß niemand einen Menschen noch glìcklich preisen werde (oqde·r eqdailom_fei), dessen Leben einen solchen Abschluß gefunden hat. Aber das bedeutet nicht, daß man so weit gehen muß, dieses Leben rìckblickend als elend zu bezeichnen.

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

echter Arete¯ ? Oder ist dieses Leid die angemessene emotionale Reaktion auf diese Unglìcksf•lle, welches jedoch gleichsam die eudaimonische Gestalt dieses Lebens schm•lert, und zwar auch abgesehen vom Gesichtspunkt der Behinderung der eigenen T•tigkeit? Letzteres scheint mir das im Text Gemeinte zu sein, aber dies muß Vermutung bleiben. Unabh•ngig davon, wie wir diese spezifische Ausdrucksweise interpretieren, ist schon durch die beiden anderen Textstellen (1099a32-b6 und 1100b26 – 28) hinreichend gesichert, daß Aristoteles zwei Weisen unterscheidet, in denen externe Gìter einen Beitrag zur Eudaimonie leisten. Daß selbst die schlimmsten Umst•nde aus jenem Spoudaios keinen Elenden machen kçnnen, wird damit begrìndet, daß er nie auf schlechte und hassenswerte Weise handeln werde (b34 f.). Auch unter solchen Umst•nden wird in seinen Handlungen noch das jak|m durchscheinen, wird er das Beste und Schçnste aus der gegebenen Situation machen (1101a2 f.) Hiermit ist deutlich ausgesprochen, daß der Kern des Glìcks in einer richtigen inneren Verfassung liegt, die sich in sittlich richtigen Handlungen bet•tigt. Gleichwohl heißt es in diesem Passus dann auch, daß •ußere ›bel, wenn sie ein Ausmaß wie bei Priamos erreichen, die Eudaimonie zunichte machen kçnnen, wobei offensichtlich nicht nur an den instrumentellen Schaden, sondern auch an jenen anderen Aspekt, der sich nicht auf das Instrumentelle reduzieren l•ßt, gedacht ist. (Allerdings muß man sich dann auch fragen, ob angesichts des Priamos-Beispiels die Charakterisierung dieses nicht-instrumentellen Aspektes durch eher •sthetische Kennzeichnungen wie „ausschmìcken“ oder „besudeln“ den ethischen vaim|lema tats•chlich gerecht wird.) Fassen wir zusammen: Aristoteles’ Position beinhaltet erstens, daß eine gute charakterliche Verfaßtheit eine hinreichende Bedingung dafìr ist, daß der Betreffende kein %hkior ist – daß das Leben eines solchen Menschen nie als grunds•tzlich gescheitert betrachtet werden kann. Denn unbeschadet der unglìcklichen Umst•nde hat er in seinem Leben das entwickelt und bew•hrt, was den Kern menschlicher Vollendung ausmacht, n•mlich die guten kognitiven und ethischen Haltungen, die sich selbst in der Atychie noch durch eine den Umst•nden angemessene edle Verhaltensweise manifestieren. Gescheiterte Lebenspraxis (Kakodaimonie) resultiert aus schlechten, minderwertigen Verhaltensweisen, die der Spoudaios auf keinen Fall an den Tag legen wird.6 Jedoch ist die Abwesenheit von Kako6

Sehr fragwìrdig ist die von Nussbaum 1986, 336 ff., vorgebrachte These, daß die Lebensumst•nde laut Aristoteles nicht nur die Praxis, sondern auch den Charakter des Spoudaios besch•digen kçnnen. Dies l•uft den Aussagen in NE I 11 zuwider.

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daimonie noch keine hinreichende Bedingung fìr Eudaimonie, da Aristoteles vielmehr die Mçglichkeit eines mittleren Zustands postuliert. Zweitens beinhaltet seine Position, daß fìr die eigentliche Eudaimonie ein bestimmtes Maß an Ausstattung mit nicht-seelischen Gìtern notwendig ist, und damit auch ein gewisses Maß an Eutychie, und zwar aufgrund der im weiteren Sinne instrumentellen Funktion dieser Gìter. Zum einen w•re ohne ein bestimmtes Minimum an solchen Gìtern Leben (und damit auch Gut-Leben) gar nicht mçglich, zum anderen erfordert die praktische Bet•tigung insbesondere der sozialen Tugenden ein ìber das Lebensnotwendige hinausgehendes Maß an Ausstattung, wenn sich diese T•tigkeitsformen uneingeschr•nkt entfalten kçnnen sollen. Aus diesem Grund ist im ìbrigen der ethisch-politische Lebensentwurf in hçherem Maße auf nicht-seelische Gìter angewiesen als das kontemplative Lebensmodell. Im Hintergrund steht die Voraussetzung, daß nicht allein schon der Besitz der Tugenden, sondern erst deren uneingeschr•nkte Aktualisierung zu T•tigkeit die Eudaimonie konstituiert. In Abhebung zu dieser im weiteren Sinne instrumentellen Funktion der nicht-seelischen Gìter (als Mittel und angemessene Objekte arete¯geleiteter Praxis) kommt in den eben erçrterten Textstìcken in NE I 9 und I 11 drittens auch der Aspekt eines strikt nicht-instrumentellen Bezugs dieser Gìter zur Eudaimonie in den Blick, und zwar gleichsam im Sinne von erg•nzenden Attributen eines gelingenden Lebens, deren Verlust die Gìte dieses Lebens selbst einschr•nkt. Zwar muß man einr•umen, daß die instrumentelle Deutung bei Aristoteles eindeutig Vorrang genießt. So liegt die Stoßrichtung in den anderen systematisch maßgeblichen Passagen, die die Funktion der nicht-seelischen Gìter in den Blick nehmen (I 10, 1099b25 – 28; X 7-97; VII 14; Pol. VII 18), jeweils im Verweis auf deren (im weiten Sinne) instrumentellen Beitrag zur eudaimonischen Praxis.

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Die fraglichen Passagen in der Rhetorik (II 12 – 14 und 15 – 18) liefern eine Charaktertypologie der Lebensalter und beschreiben typische Wirkungen bestimmter •ußerer Glìcksumst•nde auf den Charakter, ohne zu unterstellen, daß jene seltenen, in exemplarischer Weise vortrefflichen Menschen in der selben Weise durch solche Lebensumst•nde beeinflußbar sind. Siehe insbesondere X 8, 1178a23 – 34. In Pol. VII 1 heißt es zun•chst ganz vage, daß zum Glìck die Gìter aller drei Gìterklassen (seelisch, leiblich, •ußerlich) notwendig sind, was im Sinne eines summativen konstitutiven Beitrages auch der nicht-seelischen Gìter verstanden werden kçnnte (Symple¯ro¯ma-These, s. u.). Aber das Argument in 1323b6-12 enth•lt eine Festlegung auf deren instrumentelle Rolle, w•hrend konstitutiv fìr die Eudaimonie nur die Tugend und ihre Bet•tigung sind (vgl. b21 – 23, 40 ff.).

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Aber NE I 9 – 11 ist derjenige Text bei Aristoteles, der sich am ausfìhrlichsten dieser Problematik widmet, weshalb die dort getroffene Differenzierung systematisches Gewicht hat. Nun verbleiben jedoch hinsichtlich dieses zweiten, strikt nicht-instrumentellen Aspektes in Aristoteles’ Darstellung erhebliche Unklarheiten. Die entscheidende Frage, die sich mit Blick auf diesen Aspekt stellt und die in den peripatetischen Diskussionen zu einem zentralen Thema werden wird, lautet, ob die nicht-seelischen Gìter, oder bestimmte unter ihnen, nicht nur als •ußere Ermçglichungsgrìnde von Eupraxie zum Telos beitragen, sondern zugleich auch unabh•ngig davon integrale Bestandteile der Eudaimonie sind. Selbst wenn ihr Eigengewicht als Bestandteile der Eudaimonie gegenìber den Formen ausgezeichneter Praxis nur vergleichsweise gering w•re, wìrde dies doch bedeuten, daß die menschliche Eudaimonie nicht schlechthin mit ausgezeichneten Formen von Praxis gleichgesetzt werden kçnnte, sondern letztlich ein inklusives Gut w•re, zu dem nicht-seelische Gìter als eigenst•ndige Komponenten gehçrten. Dabei geht es wohlgemerkt nicht einfach um den Gegensatz zwischen der Deutung der Eudaimonie als eines dominanten oder eines inklusiven Gutes. Denn auch dann, wenn man das Telos allein aus verschiedenen Praxisformen (etwa der Theo¯ria und der sittlich-politischen Praxis) zusammengesetzt sein l•ßt, hat man es bereits mit der Theorie eines inklusiven Gutes zu tun (so wie sie in der EE vertreten wird). Hier handelt es sich jetzt aber um die Frage, ob die Eudaimonie in der Weise als ein inklusives Gut verstanden werden muß, daß sie sich, statt strikt ein seelisches Gut zu sein (als Verwirklichung seelischer Vermçgen), als Aggregat aus Gìtern verschiedener Gìterklassen erweist. In der hellenistischen Ethik wird fìr die Vorstellung von einem Gìteraggregat, das nicht-seelische Gìter einschließt, der Begriff „sulpk^qyla !cah_m“ gebraucht. Die Frage, die sich daran entzìndet, lautet: Ist die Eudaimonie eine Art Summe aus Gìtern (der verschiedenen Gìterklassen), oder ist sie strikt ein seelisches Gut, so daß die leiblichen und •ußeren Gìter relativ zur Eudaimonie nur eine im weiten Sinne instrumentelle Funktion haben kçnnen?9 Dieser Debatte mçchte ich mich jetzt zuwenden. 9

Daß der Begriff des sulpk^qyla !cah_m bei den Peripatetikern nicht fìr Inklusivit•t schlechthin, sondern fìr eine bestimmte Form von Inklusivit•t steht, l•ßt sich auch anhand der Deutung des Satzes in NE I 5, 1097b16 – 20, zeigen, der in der neueren Debatte um die Inklusivit•tsthese gleichsam als Brennpunkt fungiert. Wenn man diesen Satz im Lichte von Top. III 2, 117a17 ff. und NE X 2 (vgl. auch MM I 2, 1184a15 – 38) so versteht, daß Aristoteles ausschließen mçchte, daß die

§ 2. Instrumentelle Deutung versus Symple¯ro¯ma-These

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§ 2. Instrumentelle Deutung versus Symple¯ro¯ma-These bei den Peripatetikern Obwohl Aristoteles den Begriff des sulpk^qyla !cah_m bzw. der !cah± sulpkgqytij\ (bona completiva – „kompletive Gìter“) noch nicht gebraucht, so findet sich bei ihm doch die sachlich damit verwandte begriffliche Unterscheidung zwischen integralen Bestandteilen (l]qg) des Glìcks und •ußeren, sekund•ren Ermçglichungsbedingungen. Diese sei darum zuerst kurz erl•utert, wobei der maßgebliche Text sich in EE I 2, 1214b11 ff., findet. Dort wird von dem, worin das gute Leben besteht (b13), bzw. was die Teile der Eudaimonie sind (b26), dasjenige abgegrenzt, ohne dem einem Menschen derartiges nicht zukommen kann. Zur Erl•uterung verweist Aristoteles auf den Unterschied zwischen dem Gesundsein und den Dingen, ohne die man nicht gesund sein kann. Was Gesundsein selbst ausmacht, kçnnte etwa eine bestimmte ausgewogene Mischung der Kçrpers•fte sein, w•hrend ein Ohne-welches-nicht der Gesundheit etwa die gesunde Ern•hrung ist, die nicht Teil der Gesundheit, wohl aber eine notwendige Bedingung dafìr ist. Dieser Begriff des Ohne-welches-nicht scheint auf den ersten Blick identisch zu sein mit dem einer notwendigen Bedingung. Aber hier muß Eudaimonie mit anderen Gìtern „zusammengez•hlt“ werden, d. h. mit anderen Gìtern zusammen ein grçßeres Gesamtgut bilden kann, dann l•ßt sich daran auch die Aussage anschließen, daß die anderen Gìter, sofern sie fìr die Eudaimonie ìberhaupt relevant sind, in ihr jeweils schon „enthalten“ seien. Dieses „Enthaltensein“ kann aber in wenigstens zweierlei Weise aufgefaßt werden, n•mlich entweder rein logisch (im Sinne des Begriffs notwendiger Bedingungen), oder aber ontologisch (im Sinne der konstitutiver Teile dessen, was Eudaimonie genannt wird, was dann zu einer Entscheidung darìber zwingt, ob man Eudaimonie als einen Modus von Praxis begreift, die nur Teilhandlungen, und gegebenenfalls auch noch die begleitende Bdom^, als Teile umfassen kann, oder als ein Aggregat aus heterogenen Gìtern; s. a. oben, I-C, § 8(d). Bei Aspasios In I NE, 16, 33 – 17, 17 (vgl. zur Deutung dieses Abschnittes Sharples 1999b), Alexander In III Top. 247, 18 – 20, und beim Paraphrasten, 12, 42 – 13, 9, wird das Enthaltensein im logischen Sinne aufgefaßt. (In der neueren Diskussion liegen Kraut 1989 und Lawrence 1997 auf dieser Linie.) Dies ist eine andere Sichtweise als diejenige, die in der Symple¯ro¯ma-These ihren Ausdruck findet, gegen die sich Aspasios an anderer Stelle explizit ausspricht (vgl. unten, § 2 und Anm. 13 ebd.). Es ist dies sogar eine Sichtweise, die auch mit der „dominant end“-These kompatibel ist, da ja auch die mit einer einzigen Praxisform identifizierte Eudaimonie weitere Gìter als externe Ermçglichungsbedingungen voraussetzt. Wenn man das Enthaltensein hingegen ontologisch auffaßt, so entspricht das der Symple¯ro¯ma-These (vgl. den Kommentar zu dieser Stelle bei Eustratios In I NE, 64, 34 – 65, 17).

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

man doch differenzieren: Auch das Gegebensein konstitutiver Bestandteile hat im rein logischen Sinne den Status notwendiger Bedingungen. Der Begriff des Ohne-welches-nicht dient aber der Eingrenzung von bloß sekund•ren Ermçglichungsbedingungen. Zuerst findet sich diese Begrifflichkeit in Platons Phaidon (98B-99B) und dient dort dazu, die materiellen Ermçglichungsbedingungen und das rational angestrebte Telos zu unterscheiden: Das Telos (!cah|m) ist der eigentliche Erkl•rungsgrund, die materiellen Faktoren lediglich das, ohne welches die auf das Telos ausgerichtete wirkende Ursache dieses Telos nicht realisieren kann. Diese Unterscheidung wird in Aristoteles’ Physik aufgegriffen (siehe vor allem Phys. II 9), und zwar in der Weise, daß die hyletischen Bestandteile, in Abhebung zum Telos bzw. der Form, als das Ohne-welches-nicht charakterisiert werden (200a5-10). Die Aussagen in EE I 2 beinhalten eine andere Anwendung dieser Unterscheidung, da dort ebenfalls die Teile des Telos von dessen sekund•ren Ermçglichungsbedingungen abgegrenzt werden.10 Integrale Bestandteile des praktischen Telos, der Eudaimonie, sind nach Aristoteles allemal die 1m]qceiai jat’ !qet^m. Diejenigen Gìter dagegen, die bloß qua Mittel zur Ermçglichung solcher 1m]qceiai dienen, fallen in die Klasse des Ohne-welches-nicht. Nun haben wir aber gesehen, daß Beispiele wie der Fall des Priamos die Frage dringlich werden lassen, ob gewisse •ußere und leibliche Gìter nicht doch auch l]qg, integrale Bestandteile, der Eudaimonie sind. In diesem Zusammenhang wird nun in der hellenistischen Diskussion, und insbesondere auch bei peripatetischen Autoren, der Begriff der sulpkgqytij\ (kompletiven Gìter) gebraucht, wobei im technischen Sinne unter einem „symplerotischen“ Gut eben genau ein solches Gut verstanden wird, das integraler Bestandteil des Glìcks ist, also ein l]qor t/r eqdailom_ar im Sinne des Aristoteles.11 Zur Frage, welche Arten von Gìtern den Status von sulpkgqytij\ beanspruchen kçnnen, ergeben sich nun im Kontext der peripatetischen und eklektizistischen Theorien verschiedene konfligierende Positionen. So heißt es in der ethischen Epitome des Areios Didymos ìber den Peripatetiker Kritolaos und die ihm nachfolgenden „jìngeren“ Peripatetiker (n•mlich des 2. und 1. Jh. v. Chr.), sie h•tten die Auffassung vertreten, das 10 Eine weitere Art der Anwendung findet sich in Pol. VII 8, 1328a21 ff. 11 Vgl. etwa ArD 130, 9 f. Zum Begriff des sulpk^qyla bzw. der sulpkgqytij\ vgl. Moraux 1973, 329 Anm. 29, mit zus•tzlichen Belegstellen aus der Tradition der Aristoteles-Kommentare, die diese Terminologie auch außerhalb der Gìterlehre nachweisen. Vgl. auch die bei Sextus Empiricus referierte Definition von „l]qor“als „sulpkgqytij¹m toO fkou“ (Adv. math. IX 337).

§ 2. Instrumentelle Deutung versus Symple¯ro¯ma-These

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Telos (und d. h. die Eudaimonie) sei aus allen Gìtern (n•mlich aus den Gìtern aller drei Gìterklassen) „ausgefìllt“ (sulpepkgqyl]mom).12 Auch in der Aristoteles-Doxographie bei DL begegnet uns diese These. In einer eingeschr•nkten Form vertritt sie auch Antiochos von Askalon, fìr den neben den seelischen nur noch die leiblichen Gìter sulpkgqytij\ sind (vgl. Cicero, De fin. V 37, 44, 71; s. a. IV 32 – 41). Die sp•tere Entwicklung innerhalb des Peripatos scheint sich aber von der These, daß die leiblichen und •ußeren Gìter in das sulpk^qyla der Eudaimonie einzubeziehen seien, abgewandt zu haben. So wird diese These schon im Peripatos-Referat bei ArD, dessen diesbezìgliche Quellen auf das 1. Jh. v. Chr. zurìckgehen dìrften, ausdrìcklich verworfen (s. u.), und auch Aspasios nimmt gegen diese These Stellung und versucht statt dessen mçglichst die instrumentelle Deutung stark zu machen, also die •ußeren und leiblichen Gìter generell der Klasse des Ohne-welches-nicht zuzuordnen. Und das gilt auch fìr den byzantinischen Kommentar des Eustratios (der natìrlich •ltere Scholien verarbeitet).13 Allerdings kçnnten sich Anh•nger der Symple¯ro¯ma-These durchaus auf jene Textstellen bei Aristoteles, etwa den Abschnitt I 9, 1099b2 – 6, zu berufen versuchen, die den zweiten, nicht-instrumentellen Aspekt herausstellen, unter dem •ußere Gìter zum Guten des Menschen gehçren bzw. die entgegengesetzten ›bel das Glìck „besudeln“ und besch•digen kçnnen.14 Entsprechend seiner kritischen Tendenz gegenìber dieser Position 12 ArD 46, 10 ff. (= Kritolaos fr. 19 Wehrli; vgl. auch fr. 20 Wehrli). Die von Wehrli in seinem Kommentar ad loc. fìr dieses Zeugnis behauptete Abh•ngigkeit von Antiochos von Askalon scheint mir durch seine Argumentation nicht hinl•nglich erwiesen zu sein. Wehrli scheint nicht zu sehen, daß die dem Kritolaos zugeschriebene Position nicht identisch mit der des Antiochos ist, denn nach Antiochos sind die •ußeren Gìter nicht Teil des sulpk^qyla der Eudaimonie. 13 Aspasios, In I EN, 24, 3ff: „de?tai d³ t_m 1jt¹r !cah_m B eqdailom_a oqw ¢r leq_m oqd’ ¢r !mapkgqytij_m aqt/r !kk’ ¢r aqc\mym, …“. Eustratios, In I EN, 98, 9 f: „t± d’ 5nyhem !cah± Bce?shai (sc. de? ) ¢r sumeqc\, oq l]mtoi sulpkgqytij± …“. Zur Verknìpfung mit dem Begriff der ¨m oqj %meu vgl. ebd. 85, 18 – 28. Eustratios ist allerdings inkonsistent, denn er bezeichnet in seinem Kommentar zu 1097b16 ff. die leiblichen und •ußeren Gìter als l]qg t/r eqdailom_ar (65, 3 f.). Der Verdacht liegt nahe, daß er die Sache nicht wirklich durchdacht hat und zu verschiedenen Stellen verschiedene Scholien verarbeitet, deren Aussagen eigentlich nicht kompatibel sind. 14 Noch sehr viel weiter kommen ihnen die Ausfìhrungen in Rhet. I 5 entgegen, wo explizit •ußere und auch leibliche Gìter als Teile der Eudaimonie (1360b6 ff., b19 ff.), also nicht bloß als notwendige Bedingungen, ¨m oqj %meu, bezeichnet werden. Aristoteles-immanent ist zu diesem Kapitel zu bemerken, daß es nicht Aristoteles’ eigenen systematischen Begriff der Eudaimonie darstellt, sondern sich,

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

versucht Aspasios die in diesem Abschnitt gegebenen Beispiele fìr den nicht-instrumentellen Aspekt als F•lle von wenigstens indirekt instrumentellen Gìtern bzw. ›beln zu verstehen. In einer fìr seinen paraphrasierenden Stil ungewçhnlichen Bemerkung, die erahnen l•ßt, daß dieser Passus unter den Kommentatoren Kontroversen ausgelçst hat, formuliert er zun•chst, Aristoteles scheine sich manchen in diesem Passus „auf weichlichere Weise“ auszudrìcken (lakajyt]qyr 24, 24) als zuvor, als es um die instrumentelle Funktion ging, wendet dann aber im folgenden die Aristotelischen Beispiele so, daß sie sich entweder als indirekte Hinderungsgrìnde der Praxis erweisen (vgl. 25, 11) – etwa eine schlechte Herkunft, die das Ansehen besch•digt und dadurch die Chancen zu erfolgreicher praktisch-politischer T•tigkeit mindert – oder als Indizien dafìr, daß der Betreffende gar kein Spoudaios ist (so mit Bezug auf Aristoteles’ Beispiel des Einsamen – Vereinsamung ist widernatìrlich und l•ßt auf einen Charakterfehler schließen). Darin steckt indirekt auch eine Kritik an Aristoteles’ Beispielen. Auch das seelische Leid, welches der Tod der Kinder verursacht, sei ein Hinderungsgrund fìr die dem Glìcklichen eigentìmliche Praxis (vgl. 30, 9-11). Mit anderen Worten, er mçchte Aristoteles in diesem Abschnitt so interpretieren, daß es dort nicht wirklich um eine Zweiteilung zwischen einem instrumentellen und einem nicht-instrumentellen Beitrag der •ußeren Gìter zum Glìck geht. Aristoteles’ Bemerkung in I 11, daß bestimmte •ußere Gìter eine zus•tzliche Ausschmìckung des Glìcks darstellen, die ins Gewicht f•llt, wenn diese Glìcksgìter sehr groß ausfallen, wendet er so, daß dieser ìber das natìrliche, fìr die eigentìmlichen Bet•tigungen des Spoudaios notwendige Maß hinausgehende Zufluß von Glìcksgìtern der Eudaimonie •ußerlich bleibt. Er vergleicht dies mit dem Fall, daß ein schçner Kçrper durch Zierrat zus•tzlich geschmìckt wird, ohne durch diesen Zierrat erst schçn zu werden, denn er sei ja schon schçn (30, 15 ff.). Als ein bloßer Zierat des eqda_lym trage es nichts Wesentliches zu ihr bei, sondern lasse den (dank

der Aufgabenstellung der Rhetorik gem•ß, an landl•ufigen Vorstellungen ìber das Glìck orientiert. Wir wissen nicht, wie intensiv sich jìngere Peripatetiker wie Kritolaos (der immerhin als Scholarch der Peripatetiker in Athen galt) mit Aristoteles’ eigenen Schriften auseinandergesetzt haben, und vor allem mit welchen seiner Schriften (zu denen ja auch die Dialoge gehçrten). Mçgliche direkte Abh•ngigkeiten von Texten des Aristoteles sind auch angesichts der sp•rlichen ›berlieferungslage und der terminologischen Anlehnung an die hellenistische Philosophie schwer zu rekonstruieren.

§ 2. Instrumentelle Deutung versus Symple¯ro¯ma-These

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seiner erfìllten Praxis) ohnehin schon Glìcklichen auch noch glìcklich erscheinen. 15 Fìr Aspasios kann der Beitrag der •ußeren Gìter zum Glìck also nur ein instrumenteller sein. Der zweite, nicht-instrumentelle Aspekt meint nur den Zierrat, durch den man auch glìcklich erscheint, verbessert aber an der Eudaimonie selbst nichts (ja kann einer noch nicht gefestigten Arete¯ sogar abtr•glich sein, vgl. 30, 3-7; 152, 8 ff.). Aristoteles’ eigene Wortwahl („sumepijosle?m“) liefert einer solchen Deutung durchaus einen Ansatzpunkt,16 auch wenn sie wohl nicht dem von Aristoteles Gemeinten entspricht. Daß umgekehrt große •ußere ›bel die Eudaimonie nach Aristoteles aufheben kçnnen, erkl•rt Aspasios durch die negative instrumentelle Wirkung, also dadurch, daß sie direkt oder indirekt (aufgrund des verursachten Leids) als Hinderungsgrìnde vorzìglicher Praxis wirken (30, 9 – 11; vgl. 25, 10 – 12; 152, 2 – 5). Es sei darauf hingewiesen, daß Aspasios’ Ablehnung der Symple¯ro¯maThese auch seine Deutung der umstrittenen, auf verschiedene Weise deutbaren Stelle in NE I 5, 1097b16 – 20 beeinflußt.17 Laut Aspasios will Aristoteles dort sagen, daß die Eudaimonie nicht mit irgendeinem anderen Gut zu einem noch grçßeren Gut summativ zusammengefìgt werden kann, weil diese anderen Gìter vielmehr jeweils schon in der Eudaimonie impliziert sind, n•mlich insofern es ihrer Mitwirkung bedarf, um Eudaimonie hervorzubringen (poigtij\, 17, 12). (Der Begriff der poigtij\ ist dabei, wie wir noch sehen werden, von dem der kompletiven Gìter zu unterscheiden.) Aspasios’ Aussage, daß, wem die Eudaimonie zuteil wird, auch diese anderen Gìter zukommen (17, 7 f.), ist darum nicht so zu verstehen, daß sie integrale Bestandteile der Eudaimonie sind, sondern so, daß sie der Eudaimonie als externe Ermçglichungsbedingungen beigesellt sind. Dies steht (pace Kenny 1992, 25) ganz und gar nicht in Widerspruch zu der Kennzeichnung dieser Gìter als poigtij\ der Eudaimonia und ist darum auch kompatibel mit seiner negativen Stellungnahme zur Symple¯ro¯ma-These. Der Byzantiner Eustratios dagegen hat in seinem Kommentar zu diesem Passus ein Scholion exzerpiert (In EN I, 64, 33 ff.), das geradezu in Reinform die Symple¯ro¯ma-These beinhaltet (obwohl er diese 15 In I EN, 30, 14 f.: „… lajaqi~teqom d³ ovtyr eWpem ¦ste va_meshai lajaqi~teqom di± t¹ 1pijosle?m, ¦r vgsi.“ 16 Vgl. auch die terminologische Unterscheidung bei Thomas zwischen der Funktion sicut instrumenta und der als decor quidam felicitatis (In I EN, 14 [n. 173], vgl. 13 [n. 163], 16 [n. 194]). 17 Vgl. oben, II-A, § 1, Anm. 9.

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

an anderer Stelle ablehnt, was in der neueren Forschungsdiskussion von den Anh•ngern der Inklusivit•tsthese, die sich auf Eustratios berufen, ìbersehen wird.18

18 Cooper 1985, White 1990 u. a.; s. a. oben, § 2, Anm. 13. – In diesem Zusammenhang sei der Hinweis gestattet, daß die isolierte Betrachtung nur einer oder ganz weniger Kommentierungsstellen in einem Kommentar zum Zwecke der Untermauerung der eigenen, auf Aristoteles bezogenen Interpretationsthese zu erheblichen Mißverst•ndnissen bezìglich der Kommentatoren fìhren kann. Einzelne Stellen aus Kommentaren mìssen im Kontext des gesamten Kommentars und unter Berìcksichtigung der philosophischen Diskussionszusammenh•nge, auf die sie oder ihre Quellen reagieren, gelesen und interpretiert werden. Ein Beispiel ist Coopers Behauptung (1981, 384 f.), daß die Unterscheidung bei Eustratios zwischen symplerotischen Gìtern, die wesentlich sind, und solchen, die nebens•chlich sind, gleichwohl aber eine geringfìgige Steigerung der Eudaimonie mit sich bringen (z. B. „schçnes Haar“), eine Dummheit sei („silly“), die aus einer christlichen Theologenperspektive resultiere (Eustratios war Bischof ), gem•ß der nur Gott als ein Gut betrachtet werden kçnne, zu dem sich nichts mehr hinzufìgen lasse. Er beruft sich darauf, daß in der Kommentierung bei Albert (Super Ethica I 7 [p. 35, ll. 42 ff.]) und Thomas (In I NE, 9 [nn. 115 f.]) dieser letztere Gesichtspunkt mit ins Spiel kommt. Nun findet sich bei Eustratios ìberhaupt nicht der Bezug auf Gott. Vielmehr haben wir es mit einem Exzerpt aus einer antiken Glosse zu tun, die die hellenistische Symple¯ro¯ma-These reproduziert. Das Beispiel „schçnes Haar“ ist typisch fìr die hellenistische Debatte zu dieser These: Schçnes Haar ist ein leibliches Gut, und leibliche Schçnheit etwas in der griechischen, nicht aber in der monastisch-christlichen Kultur eminent Wichtiges. Die Symplerotiker wie Antiochos tragen dem Rechnung, indem sie leibliche Gìter einschließlich Aspekten leiblicher Schçnheit als Teil einer gesteigerten Eudaimonie anerkennen. Dies gibt dann zu dem Einwand Anlaß, daß es doch auch sehr geringfìgige leibliche Gìter gibt, die folglich auch Bestandteil der Eudaimonie sein mìßten, was aber als absurd erscheint. (Cicero nennt das Beispiel „Unversehrtheit aller Fingern•gel“; De fin. V 80.) Die Symplerotiker antworten auf diesen Einwand mit der Unterscheidung zwischen wesentlichen und nebens•chlichen Bestandteilen von Eudaimonie. – Kurz, was uns hier bei Eustratios begegnet, ist nicht eine vermeintliche mittelalterliche Theologenperspektive, sondern eine These, der ein im Kontext der hellenistischen Debatte signifikantes Problem zugrundeliegt. Die Thematik, die dagegen bei Albert und Thomas ins Spiel kommt, ist vçllig anderer Art: die Unterscheidung von diesseitiger felicitas imperfecta und jenseitiger felicitas perfecta, wovon sich keine Spur im Exzerpt bei Eustratios findet.

§ 3. Symple¯ro¯ma, Autarkie und Gradation

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§ 3. Die Symple¯ro¯ma-These in ihrem Verh•ltnis zur Autarkieund zur Gradationsthese Zwei wesentliche Gesichtspunkte, die mit der Auseinandersetzung um die Symple¯ro¯ma-These zusammenh•ngen, sind die Frage der Steigerungsf•higkeit der Eudaimonie (Gradationsthese) und die Frage, ob Arete¯ fìr Eudaimonie allein hinreichend ist, unabh•ngig von der Qualit•t der leiblichen und •ußeren Gìter (Autarkie-These). Was Aristoteles betrifft, so ergibt sich aus den erçrterten Stellen, daß er erstens die Eudaimonie in der Tat fìr eine steigerungsf•hige Grçße h•lt, und zwar gerade auch aufgrund ihres Zusammenhangs mit den leiblichen und •ußeren Gìtern,19 und daß er zweitens die Arete¯ zwar als eine hinreichende Bedingung dafìr betrachtet, nicht ein %hkior oder jajoda_lym zu sein, aber zugleich ein bestimmtes Maß an Ausstattung mit leiblichen und •ußeren Gìtern zur notwendigen Bedingung fìr Eudaimonie erkl•rt. Damit rìckt er von der (wohl schon bei den Sokratikern diskutierten) These ab, daß die Arete¯ die allein hinreichende und zugleich allein notwendige Bedingung der Eu19 Steigerungsf•higkeit der Eudaimonie ist eine der platonisch-aristotelischen Tradition gemeinsame These. Sie wirft die Frage auf, inwiefern die Eudaimonie ìberhaupt noch ein eindeutiges Maß hat, so wie man dies von einem „hçchsten Gut“ erwarten mìßte (vgl. Cicero De fin. V 81, Tusc. V 50). Die sowohl im Kontext der Symple¯ro¯ma-These als auch der instrumentellen Deutung der nichtseelischen Gìter begegnende Differenzierung zwischen den fìr die Eudaimonie wesentlichen Gìtern und den dazu noch hinzukommenden, die Eudaimonie steigernden Gìtern (z. B. Polemon fr. 123 [Gigante]; Cicero De fin. IV 15 [= Antiochos]; ArD 126, 14 ff.; 144, 21 ff.; Eustratios In I NE, 65, 3 f.), ist eine Strategie, diesem Problem zu begegnen. Ein interessanter Kl•rungsversuch findet sich bei Nemesios, c. 43 (p. 129, 6 – 14), erhalten, dessen Bemerkungen ich so verstehe: Wenn man Glìck als eine Grçße betrachtet, deren notwendige und hinreichende Bedingung die Tugend ist (welche selbst als nicht-steigerungsf•hige und nicht-verkleinerbare Grçße betrachtet wird), dann faßt man sie als eine Grçße mit exaktem Umriß auf, vergleichbar der Grçße zwei-Ellen-lang (die ja aufgehoben wird, sobald man etwas hinzufìgt oder wegnimmt). Wenn man Glìck dagegen als eine Grçße betrachtet, die vermindert werden kann (etwa durch das Wegnehmen •ußerer und leiblicher Gìter), ohne deswegen aufzuhçren, Glìck zu sein, so betrachtet man sie nach Art eines Haufens, der immer noch eine Anh•ufung von etwas (z. B. von Gìtern) ist, wenn man einen Teil wegnimmt, nur eben eine kleinere Anh•ufung. Fìr Nemesios ist Glìck also ein Begriff, der einerseits als eine diskrete, quantitativ unver•nderliche Grçße betrachtet werden kann (n•mlich insofern die Tugend notwendige und hinreichende Bedingung des Glìcks ist), andererseits auch als kontinuierliche, gradierbare Grçße, insofern die hinzukommenden oder abgehenden •ußeren Gìter einen Einfluß auf das Glìck haben – was, grob gesagt, der peripatetischen Sichtweise entspricht.

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

daimonie sei (eine These, die sich sp•ter die Stoiker zu eigen machen), und fìhrt ìberdies einen mittleren Zustand zwischen Eudaimonie und Kakodaimonie ein. Der Sache nach ist eine Stellungnahme gegen die Autarkiethese sowohl mit der Symple¯ro¯ma-These als auch mit einer rein instrumentellen Deutung der nicht-seelischen Gìter kompatibel. Aspasios, aber auch schon bestimmte anonyme Jungperipatetiker, wie wir noch sehen werden, vertreten die Linie einer rein instrumentellen Deutung. Andererseits geht die Symple¯ro¯ma-These zwar mit der Gradationsthese einher, muß aber nicht mit der Verneinung der Autarkie-These verbunden zu werden. So vertreten Kritolaos und Antiochos zwei unterschiedliche Varianten der Symple¯ro¯ma-These, die sie mit der Gradationsthese verbinden, bejahen aber gleichzeitig die Autarkie-These: Die Arete¯ sei allein fìr sich hinreichend zur Eudaimonie, obwohl die Eudaimonie durch nichtseelische kompletive Gìter noch steigerungsf•hig sei. Ihre formelhafte, aber imgrunde alles andere als klare Zusammenfassung findet diese These in der (bei Cicero lateinisch wiedergegebenen) Formulierung des Antiochos, daß der Gute zwar in jedem Fall beatus, nicht aber notwendigerweise auch beatissimus (eqdailom]stator) sei (De fin. V 81, 95).20 Obwohl also 20 Die Behauptung des Antiochos, mit der These, daß Arete¯ hinreichend fìr das Glìck sei, auch den Standpunkt des alten Peripatos wiederzugeben, dìrfte zwar falsch sein, allemal mit Blick auf Aristoteles oder auf Theophrast, dem ìberragenden Vertreter des nach-aristotelischen Alten Peripatos. (Gegenìber letzterem scheint Antiochos sich selbst abgesetzt zu haben, vgl. Cicero, De fin. V 12). Was dagegen die Alte Akademie betrifft, so gibt es immerhin Hinweise in diese Richtung fìr die Scholarchen Xenokrates und Polemon, vielleicht auch fìr Speusipp, wobei es allerdings mißlich ist, daß diese ›berlieferung zum Teil durch Antiochos gefiltert ist (etwa bei Cicero) und gerade Antiochos in diesem Punkt keine verl•ßliche Quelle darstellt. (Zu Polemon siehe fr. 123 Gigante [aus Clemens Alex., Strom. II 22]: „doclat_fei coOm [sc. Polemo] wyq·r l³m !qet/r lgd]pote #m eqdailom_am rp\qweim, d_wa d³ ja· t_m sylatij_m ja· t_m 1jt¹r tµm !qetµm aqt\qjg pq¹r eqdailom_am eWmai.“ [„Er (Polemon) vertritt jedenfalls die Lehrmeinung, daß Glìck niemals ohne Tugend besteht, daß aber die Tugend sowohl ohne die kçrperlichen als auch ohne die •ußeren (sc. Gìter) hinreichend zum Glìck ist.“] Zu Xenokrates siehe fr. 81 und 82 Heinze [beide aus Aristoteles’ Topik]; s. a. fr. 86 u. 87 Heinze und zu Xenokrates und Speusipp zusammen fr. 91 Heinze [= 58c Lang]: „Xenocrates et Speusippus putant beatum vel sola virtute fieri posse, non tamen unum bonum esse, quod honestum est“. Auch im kaiserzeitlichen, sogenannten mittleren Platonismus findet sich die Auffassung, daß Tugend allein hinreichend fìr die Eudaimonie sei, ohne daß deswegen jedoch die Steigerungsf•higkeit des Glìcks ausgeschlossen werden muß (vgl. Alkinoos 27, 4; Attikos fr. 2, §§ 2 – 4): Wenn Alkinoos den Stoikern in der Behauptung zustimmt, daß allein das Sittlich-

§ 3. Symple¯ro¯ma, Autarkie und Gradation

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die nicht-seelischen Gìter, oder eine Teilklasse von ihnen, dem Glìck noch etwas hinzufìgen, bedeutet der Verlust dieser Gìter doch nicht den Verlust der Eudaimonie. Dies soll auch ein dem Kritolaos (fr. 21 f. Wehrli) zugeschriebenes, von Antiochos aufgegriffenes Bild zum Ausdruck bringen: Wollte man die Tugend und die anderen Gìter miteinander messen, so wìrden Erde und Meer die Tugend nicht aufwiegen kçnnen. Die nichtseelischen Gìter, oder eine Teilklasse von ihnen, sind also zwar kompletiv, d. h. kçnnen als Teile der Eudaimonie diese noch steigern, besitzen aber einfach nicht genug „Gewicht“, um durch ihren Verlust die Eudaimonie zunichte zu machen. Aus dem Disput um die drei Fragen, ob Eudaimonie autark ist, ob sie ein Symple¯ro¯ma aus verschiedenen Gìterklassen ist und ob sie Gradation zul•ßt, ergibt sich eine verwirrende Vielfalt von mçglichen Positionen. Es wird darum hilfreich sein, diese schematisch aufzulisten. Die Autarkiethese ist nur eine neben anderen mçglichen Thesen zum logischen Bedingungsverh•ltnis zwischen der Arete¯ und der Eudaimonie oder ihrem Gegenteil, wobei ja zus•tzlich auch noch ein mittlerer Zustand angenommen werden kann. Wenn man dies mit der Frage verknìpft, ob die Eudaimonie durch außerseelische Gìter steigerungsf•hig ist, so ergeben sich weitere Kombinationsmçglichkeiten (wobei ich hier die Frage, ob Arete¯ selbst steigerungsf•hig ist und dadurch auch die Eudaimonie steigern kann, zur Vereinfachung ausklammern werde21). Historisch haben sich im stoischakademisch-peripatetischen Diskussionskontext folgende Alternativen herauskristallisiert: I) Arete¯ ist notwendige und hinreichende Bedingung fìr Eudaimonie. Eudaimonie ist (wie Arete¯) nicht steigerungsf•hig. II) Arete¯ ist notwendige und hinreichende Bedingung fìr Eudaimonie. Eudaimonie ist steigerungsf•hig durch außerseelische Gìter. III) Arete¯ ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung fìr Eudaimonie. Arete¯ ist eine hinreichende Bedingung dafìr, nicht jajoda_lym zu sein. (Eine logische Konsequenz aus diesen beiden Feststellungen ist, daß es einen mittleren Zustand zwischen EudaiSchçne gut sei, so kçnnte man dies zwar als Hinweis darauf nehmen, daß er wie die Stoiker die Steigerungsf•higkeit des Glìcks ablehnt. Dies folgt aber nicht. Denn die Behauptung, daß die leiblichen und •ußeren Gìter irrelevant fìr das Glìck seien, ist kompatibel mit der Steigerungsthese, wenn man, anders als die Stoiker, die Arete¯ selbst fìr entwicklungs- und steigerungsf•hig h•lt (vgl. Attikos a. a. O.: eqdailom]stator b dijai|tator). 21 Vgl. Anm. 20 oben.

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A) Die Kontroverse um die Symple¯ro¯ma-These

monie und Kakodaimonie geben muß). Eudaimonie ist steigerungsf•hig durch außerseelische Gìter. IV) Arete¯ ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung fìr Eudaimonie. Arete¯ ist nicht eine hinreichende Bedingung fìr das Vermeiden von Kakodaimonie (d. h. außerseelische ›bel kçnnen auch das Leben eines guten/weisen Menschen elend sein lassen).22 Position (I) ist die altstoische, wird zum Teil auch von mittleren Platonikern ìbernommen; Position (II) wird u. a. von Antiochos und (wenn man der ›berlieferung in diesem Punkt trauen kann) von Kritolaos23 vertreten; Position (III) kann man als die eigentlich Aristotelische bezeichnen; Position (IV) findet sich z. B. in der Aristoteles-Doxographie bei DL. Zur Frage, ob die •ußeren und leiblichen Gìter zum menschlichen Telos bzw. zur Eudaimonie kompletiv oder (wenn sie denn ìberhaupt eine Rolle spielen) nur instrumentell beitragen, ergeben sich folgende Alternativen: a) Nur seelische Gìter sind kompletiv. b) Nur seelische und leibliche Gìter sind kompletiv. c) Seelische, leibliche und •ußere Gìter sind kompletiv. Position (a) wird bei ArD und Aspasios verteidigt; Position (b) ist die des Antiochos; Position (c) wird Kritolaos zugeschrieben, entspricht aber auch einer, wie man es nennen kçnnte, „vulg•rperipatetischen“ Tendenz, die die peripatetische Ethik als eine Common sense-Ethik versteht, welche die landl•ufigen Vorstellungen ìber die Gìter und die Tugenden aufgreift24 (was fìr die Ethik des Kritolaos nicht gilt). 22 In symbolischer Schreibweise kann man diese Bedingungsverh•ltnisse recht einfach ausdrìcken. (Genau genommen handelt es sich jeweils um Allquantifikationen (ìber Personen) mit nachfolgendem Modaloperator, aber die Variablen und Allquantoren kçnnen hier der Vereinfachung halber weggelassen werden.) „A“: Arete¯ ; „E“: Eudaimonie; „K“: Kakodaimonie. & (A Ž E) (I) – (II): (III): i) & (–A ƒ –E) ii) ^ (A { –E) iii) & (A ƒ –K) iv) [als Konsequenz aus (ii) und (iii):] ^ (–E { –K) (IV): i) & (–A ƒ –E) ii) ^ (A { K) Der Unterschied zwischen den Positionen (I) und (II) ergibt sich daraus, daß in (II) die Steigerungsf•higkeit der Eudaimonie angenommen wird. 23 Vgl. zu Kritolaos unten, II-C, § 7. 24 Vgl. unten, II-C, § 7.

§ 3. Symple¯ro¯ma, Autarkie und Gradation

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Zwischen den Positionen (I)-(IV) und (a)-(c) sind wiederum verschiedene Kombinationen mçglich, die ich hier aber nicht durchexerzieren mçchte. Ich weise nur darauf hin, daß die Kombination (IIIa) z. B. von Aspasios favorisiert wird, w•hrend (IVc) jene von mir unfreundlich als „vulg•rperipatetisch“ bezeichnete Position repr•sentiert, die vielfach als typisch peripatetisch gegolten zu haben scheint. Antiochos steht fìr (IIb), Kritolaos fìr (IIc), wobei beide, wie schon erw•hnt, zu diesem Zweck voraussetzen mìssen, daß der Beitrag der Arete¯ und der der leiblichen bzw. der leiblichen und •ußeren Gìter sich so enorm unterscheiden, daß selbst schlimmste leibliche und/oder •ußere ›bel das durch die Arete¯ gew•hrte Glìck nur minimal reduzieren, nicht aber aufheben. Gleichwohl zwingt sie dieser Standpunkt dazu, quantitative Kommensurabilit•t zwischen seelischen und nicht-seelischen Gìtern anzunehmen.

B) Die bei Areios Didymos favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition Wenden wir uns jetzt jenen jungperipatetischen Teilen der ethischen Epitome des Areios Didymos zu, denen hier mein besonderes Augenmerk gelten wird. Es soll zun•chst anhand einer dort skizzierten spezifisch jungperipatetischen Glìcksdefinition und der damit verbundenen Kritik an der These, •ußere und leibliche Gìter wìrden das Glìck kompletiv erg•nzen, verdeutlicht werden, wie dieser Ansatz die glìcksfçrdernde Funktion dieser Gìter begrifflich zu fassen versucht. Doch zuerst sei, in Anknìpfung an unsere Bemerkungen in der Einleitung zum kompilatorischen Charakter dieser Epitome, ein kurzer ›berblick ìber die Passagen in ArD gegeben, die fìr die Rekonstruktion des jungperipatetischen Glìcksverst•ndnisses prim•r von Interesse sind. Insgesamt scheinen die Abschnitte, die ich hier aufliste, ìber anonyme jungperipatetische Quellen vermittelt worden zu sein. Zwar gibt es eine Reihe von Bezìgen zu Erçrterungen bei Aristoteles, was aber keineswegs bedeuten muß, daß der Autor der jeweiligen jungperipatetischen Quelle eine der aristotelischen Pragmatien im Original gelesen hat. (Es fehlen ausdrìcklichen Zitate!) Um die Bezugnahme auf die relevanten Textabschnitte zu erleichtern, werde ich sie nicht nur auflisten, sondern auch mit Ziffern versehen:1 A3 [= 118, 5 – 128, 9]:2 ein Text, der selbst aus mehreren Quellen stammen dìrfte. A3a [= 118, 5 – 119, 19] und A3b [= 119, 22 – 124, 14; 125, 14 – 126, 11; 127, 3 – 128, 9]: 1

2

W•hrend die Numerierung der Abschnitte meine eigene Texteinteilung wiedergibt, beziehen sich Zahlen in den Klammern auf die Seiten und Zeilen der Wachsmuth-Edition. Ich liste nur diejenigen Textabschnitte auf, die fìr meine Ausfìhrungen relevant sind. Zu dem Passus 127, 3 – 128, 9 in A3b ist zu bemerken, daß Moraux 1973 beachtenswerte Argumente fìr die These vorbringt, wonach ab 127, 9 ein l•ngerer Einschub vorliegt.

B) Die bei Areios favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition

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Textstìcke, die eine peripatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre enthalten, welche sich in vielen Punkten mit Antiochos berìhrt. A3d (= 126, 12 – 127, 2): ein Abschnitt, der dezidiert gegen die Symple¯ro¯ma-These (und damit implizit auch gegen Antiochos) argumentiert und sich an eine orthodoxere jungperipatetische Analyse des menschlichen Telos anlehnt. B3 [= 129, 19 – 130, 12]: ein weiterer Text, der in einer •hnlichen Weise wie A3d, und systematisch kompatibel mit A3d, gegen die Symple¯ro¯ma-These argumentiert. B4 [= 130, 15 – 134, 6]: B4a [= 130, 15 – 21; 131, 14 – 132, 19]: ein Text, der vor allem drei unterschiedliche Formeln der Glìcksdefinition anfìhrt und dann die in der ersten Formel verwendeten Begriffe n•her erl•utert. Die in diesem Textstìck bevorzugte Glìcksdefinition ist identisch mit der Glìcksdefinition, die in einem Abschnitt der Prolegomena der Epitome als die klarste von allen herausgehoben und dort ebenfalls n•her erl•utert wird (50, 11 – 51, 17). Allerdings decken sich die Erl•uterungen in dem Abschnitt der Prolegomena nicht mit denen in B4a. B4b [= 130, 21 – 131, 13]: ein offensichtlicher Einschub, der den Zusammenhang von B4a unterbricht und unter anderem eine identische Definition des Telos wie in A3b enth•lt. B4c [= 132, 20 – 134, 6]: ein Text, der an B4a anknìpft, mit weiteren Bemerkungen zu solchen Fragen wie: Kann Eudaimonie gesteigert werden? Kann sie verloren gehen? Gibt es einen mittleren Status zwischen Eudaimonie und Kakodaimonie? C [= 134, 8 – 137, 12]: eine Zusammenstellung von Gìterdihairesen, mit gewissen nachtr•glichen Systematisierungsversuchen. Es ergibt sich eine nicht aufzuhebende Inkonsistenz hinsichtlich des fìr die Gìterlehre des ganzen Peripatosreferates bei ArD fundamentalen Begriffs des di’ art¹ aRqet|m, wobei die eine Position mit der in A3a–b begrìndeten Gìterlehre ìbereinstimmt, die andere mit der Skizze in B4 in Einklang gebracht werden kann und auch zu B3 und A3d nicht im Widerspruch stehen muß.

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B) Die bei Areios favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition

F [= 143, 24 – 145, 10]: Bemerkungen zu Unterscheidung und Rangordnung der verschiedenen b_oi, anscheinend aus mehreren Quellen (mindestens zwei) kompiliert. Damit wird ein Thema von neuem aufgegriffen, das bereits in A3b (125, 14 ff.) und in B4b (132, 15 – 19) berìhrt worden ist. Gemeinsamer Nenner scheint der Vorrang eines Lebensentwurfes zu sein, der wissenschaftlich-kontemplative T•tigkeit mit sittlicher und, wenn mçglich, auch politischer Praxis vereinigt (b_or s}mhetor). Außerdem wird (wie schon in B4c) der Begriff eines mittleren Zustandes zwischen Eudaimonie und Kakodaimonie verteidigt (l]sor b_or). Ich werde mich hier zuerst auf die Abschnitte A3d, B3 und B4a konzentrieren. Dabei werde ich zuerst die bei ArD favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition und die in A3d vorgebrachte Widerlegung der Symple¯ro¯ma-These analysieren. Anhand von B3 und B4a werde ich sodann zwei unterschiedliche ethische Positionen zum Stellenwert der nicht-seelischen Gìter fìr die Eudaimonie nachweisen, eine strengere und eine weichere Position, die jedoch beide mit der zu analysierenden jungperipatetischen Glìcksdefinition verbunden werden und beide mit dem formalen Argument gegen die Symple¯ro¯ma-These vereinbar sind. Aus der Perspektive der weicheren Position, die in B4a in den Blick tritt, gehçrt zur Eudaimonie auch das Genießen von natìrlicherweise erstrebten, nichtseelischen Gìtern. Aus der Perspektive der strengeren Position, die besonders eindeutig in B3 greifbar wird, sind allein solche Handlungen fìr die Eudaimonie konstitutiv, die durch das jak|m motiviert werden und die sich dank gìnstiger Rahmenbedingungen auch ungehindert im Sinne der edlen Zielsetzungen realisieren kçnnen. („jak|m“ kann dabei fìr die Dignit•t sowohl der sittlich richtigen Handlungsweisen als auch der Objekte wissenschaftlicher Kontemplation stehen.) Das Genießen nicht-seelischer Gìter als eigenst•ndiger Motivationsgrund im Rahmen der eudaimonischen Praxis des Spoudaios wird von dieser strengeren Position ausgeschlossen. Ich werde zuerst auf die „weichere“ Position eingehen, bevor ich dann die strengere Position analysiere, die auch fìr die Interpretation der NE bei Aspasios maßgebend ist (II-C u. D.). Fìr das richtige Verst•ndnis der jungperipatetischen Glìcksdefinition ist es notwendig, einen genauen Begriff von der Bedeutung, die dem jungperipatetischen Fachausdruck „pqogco}lemor“ im Kontext der Glìcksdefinition zukommt, zu gewinnen. Die Deutung dieses Begriffs stellt darum einen zentralen Teil meiner

§ 4. Die Elemente der favorisierten jungperipatetischen Glìcksdefinition

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nachfolgenden Ausfìhrungen dar, wobei ich neben ArD auch Aspasios und andere sp•tere peripatetische Texte einbeziehen werde.

§ 4. Die Elemente der favorisierten jungperipatetischen Glìcksdefinition Werfen wir also zuerst einen Blick auf jene Formel der Glìcksdefinition, die in dem Abschnitt B4a dadurch besonders herausgehoben wird, daß sie genauer erl•utert wird, und die auch schon in den Prolegomena (50, 11 ff.) als die klarste von allen aristotelisch-peripatetischen Telos-Formeln bezeichnet und dort ebenfalls n•her erl•utert worden ist. (Ich werde sie im weiteren als die „favorisierte“ Definitionsformel bezeichnen.) T1 „Eudaimonie sei ,die prim•re/begìnstigte (pqogcoul]mg) Anwendung vollkommener Arete¯ (wq/sir !qet/r teke_ar) in einem vollst•ndigen Leben (1m b_\ teke_\)‘.“ (130, 18 f.; vgl. 51, 11 f.)3

Diese Formel kann fìr sich beanspruchen, nach dem Maßstab der Vorgaben bei Aristoteles vollst•ndig zu sein (wenn man einmal davon absieht, daß der Ausdruck „Seele“ nicht eigens genannt wird4). Um dies zu belegen, 3

4

Der relevante Text in 51, 11 f. lautet: ja· t¹ p\mtym sav]statom· ,wq/sir !qet/r teke_ar 1m b_\ teke_\ pqogcoul]mg‘. Hierzu ist folgendes zu bemerken: Die Codices haben pqogcoul]mgm statt pqogcoul]mg, was aber nicht richtig sein kann, da pqogcoul]mgm grammatisch in der Luft h•ngt. Wachsmuths Konjektur woqgcoul]mg ist hier wie an anderen Stellen entsprechend der dazu heute einhelligen Forschungsmeinung abzulehnen. Wenn also nur die grammatische Endung dieses Ausdrucks korrigiert werden muß, so gibt es abgesehen von der hier favorisierten noch zwei weitere Mçglichkeiten. Man kçnnte das Partizip auf !qet/r beziehen und in den Genitiv setzen (Gaisford), oder man kçnnte eine adverbiale Endung annehmen (pqogcoul]myr Heeren). Aber der Vergleich mit der fast identischen Formulierung in 130, 18 f., und auch mit den Varianten in 51, 9 – 11, zeigt, daß dieses Partizip jeweils auf wq/sir oder seine Aquivalente bezogen wird. Folglich ist hier der Nominativ pqogcoul]mg zu lesen. Im ìbrigen ist dies auch pal•ographisch die einfachste Erkl•rung. Denn gleich im Anschluß muß mit Wachsmuth ein 1m wiederhergestellt werden ( b_\ d³ teke_\). Eigentlich ist zwischen dem g und dem m nur ein e ausgefallen: …PQOGCOULEMG(E)MBIYI… Daß in dem folgenden Satz, der einzelne Elemente dieser Formel zitiert und erkl•rt, wiederum pqogcoul]mgm steht (Zeile 14), l•ßt sich durch die Kongruenz mit wq/sim erkl•ren, das nun im Akkusativ steht, oder es handelt sich um eine nachtr•gliche Fehlkorrektur zur Angleichung an den korrupten Text in Zeile 13. Ich glaube nicht, daß dies ins Gewicht f•llt. Auch Aristoteles kann diese Spezifikation weglassen (z. B. EE II 1, 1219a38 f.), ohne daß sich der Sinngehalt seiner

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B) Die bei Areios favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition

aber auch, um den (im griechischen Wortlaut an letzter Stelle stehenden) Zusatz „pqogcoul]mg“, der von Aristoteles her nicht vertraut ist, besser einstufen zu kçnnen, sei ein kurzer Vergleich mit den Grundelementen der Glìcksdefinition bei Aristoteles angestellt, die ich in I-C, § 8, n•her erl•utert habe: 1) Der Begriff der wq/sir !qet/r (Gebrauch / Anwendung der Arete¯) ist hier als ein öquivalent zu dem technischeren Ausdruck „1m]qceia jat’ !qet^m“ (T•tigsein gem•ß der Arete¯) zu verstehen, der in NE I 6 gebraucht wird. Dies entspricht den Elementen (a) und (b) in meiner Analyse in I-C, § 8. Auch Aristoteles kann in diesem Zusammenhang von wq/sir sprechen, in Abhebung zum bloßen, inaktiven Besitz von Arete¯ (so in dem Parallelkapitel EE II 1, 1219a11 – 18, a24, b2). Auch ArD wechselt ohne weiteres vom Ausdruck wq/sir zum Ausdruck 1m]qceia ìber (132, 8 f.; s. a. 51, 9 f.). 2) Die differenzierende Bestimmung, daß es sich um die Anwendung einer vollkommenen Arete¯ (!qet/r teke_ar) handelt, hat ihre genaue Entsprechung bei Aristoteles (vgl. NE I 11, 1101a14; I 13, 1102a6), wobei allerdings wiederum die notorischen öquivokationen hinsichtlich der Bedeutung von „t]keior“ auftreten (vgl. I-C, § 8(c)). Bei Aristoteles ist es vor allem die Alternative zwischen der „inklusiven“ und der „dominanten“ Deutung (die „ganze“ Arete¯, welche alle Einzel-Aretai einschließt, vgl. EE 1219a37, oder die „hçchstrangige“ unter den Einzel-Aretai, die dem hçchstrangigen Seelenteil zuzuordnen ist). Die Erl•uterungen bei ArD (51, 1-8; 131, 14-19) zeigen, daß in den peripatetischen Diskussionen noch weitere Deutungsmçglichkeiten hinzugekommen sind.5 3) Ebenso entspricht die Wendung „1m b_\ teke_\“ exakt dem, was wir von Aristoteles kennen (NE I 6, 1098a18): Es reicht fìr die Verwirklichung des Telos nicht aus, daß die Arete¯ zu einer ihr gem•ßen Praxis aktualisiert

5

Definition ver•ndert. Menschliche 1m]qceia oder wq/sir ist eo ipso eine Aktivierung seelischer Vermçgen. In 131, 14 ff., wird das Element „(!qet^) teke_a“ im Sinne der begrifflichen Abgrenzung sowohl von der gìnstigen natìrlichen Veranlagung zu Arete¯ (eqvu_a) als auch von der sich in Entwicklung befindenden Arete¯ (pqojop^) erl•utert. Daß er im Zusammenhang mit der !qetµ teke_a auch die jakojacah_a nennt, spricht aber schon fìr ein inklusives Verst•ndnis der vollendeten Arete¯, was auch, trotz der unterschiedlichen Quellen, dem Gesamttenor der Ausfìhrungen bei ArD entspricht.

§ 4. Die Elemente der favorisierten jungperipatetischen Glìcksdefinition

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wird, sondern die Lebenspraxis im ganzen muß auch in zeitlicher Erstreckung ihr Maß der Vollendung erreichen (vgl. I-C, § 8(e).6 4) Nun aber zu jenem neuartigen Element: die wq/sir !qet/r teke_ar muß nicht nur ein vollst•ndiges Leben durchschreiten, sie muß auch noch „pqogcoul]mg“ sein. Seiner generellen Bedeutung nach kann dieser in den jìngeren peripatetischen Texten gebr•uchliche Ausdruck7 ganz allgemein das Prim•re und Vorrangige („Leitende“), spezifischer auch das gleichsam Erstklassige oder Modellhafte bezeichnen, in Abhebung zu dem, was sekund•r, nachrangig oder defizient ist. Was genau die Bedeutung ist, muß jeweils im Kontext entschieden werden. Erfreulicherweise gibt uns ArD in beiden Abschnitten eine Erkl•rung mit: In 51, 14 f., heißt es, die wq/sir sei pqogcoul]mg, weil sie 1m !caho?r und nicht 1m jajo?r stattfinde. Aber was meint die Wendung, daß die Anwendung der Tugend „im Guten“ bzw. „in Gìtern“ stattfinde? In B4a, 132, 8 ff., ist die Erkl•rung ausfìhrlicher: T2 „(1) Die Bet•tigung der Arete¯ (sc. im Falle des Glìcklichen) sei pqogcoul]mg, weil es ganz und gar notwendig sei, daß sie im Rahmen der naturgem•ßen Gìter stattfinde (1m to?r jat± v}sim !caho?r rp\qweim)8, da der Gute zwar auch im Rahmen von ›beln (1m jajo_r) die Tugend richtig anwenden dìrfte, jedoch nicht selig (laj\qior) sein wird, und auch unter Qualen wohl seine edle Art unter Beweis stellen dìrfte, aber nicht auf eudaimonische Weise (eqdailomij_r). …“9

Der Begriff der naturgem•ßen Gìter – ich werde auf ihn noch zurìckkommen –, dìrfte hier die leiblichen und •ußeren Gìter meinen (vgl. 126, 14 – 20), die dem menschlichen Gedeihen fçrderlich sind. Grunds•tzlich 6

7

8 9

In der peripatetischen Tradition gibt es mit Bezug auf die Deutung dieses Definitionselements offenkundig eine Kontroverse, bei der es darum geht, ob mit dem „vollendeten Leben“ das Leben des Erwachsenen gemeint ist im Gegensatz zu dem des Kindes oder die vollst•ndige Zeitspanne des Lebens, die alle natìrlichen Lebensalter umfaßt. Im ersteren Fall meint Vollendung des Lebens nicht eine Qualit•t der zeitlichen Erstreckung, sondern die Tatsache, daß es sich um ein hinl•nglich entfaltetes menschliches Leben handelt, dem alle menschlichen F•higkeiten (vor allem die Rationalit•t) bereits zur Verfìgung stehen. In der Erl•uterung dieses Definitionszusatzes bei ArD, 131, 19 – 132, 8, werden beide Deutungen einfach nebeneinander gestellt (vgl. auch MM I 4, 1185a1-9). Zur Bedeutung dieses Ausdrucks siehe Moraux 1973, 353 Anm. 117; als weitere Beitr•ge zur Diskussion ìber die Bedeutung dieses Ausdrucks sind zu nennen Giusta 1961/62; Grilli 1969; die Debatte zwischen P. M. Huby und M. D. Rohr in Fortenbaugh 1983, 121 – 138; Sharples 1990a, 64 f. Anm. 220. Zu der paraphrasierenden ›bersetzung des „1m“ mit „im Rahmen von“ vgl. unten, § 5. Zum Text vgl. von Arnim 1926, 30.

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B) Die bei Areios favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition

kçnnen zwar auch seelische Gìter mit dem Ausdruck „!cah± jat± v}sim“ mitgemeint sein. Allerdings gehen sie schon in die Formung des umfassenden seelischen Gutes der Arete¯ mit ein, und der Autor denkt hier an solche Gìter, die nicht schon in der Arete¯ selbst enthalten oder vorausgesetzt sind, sondern zus•tzlich noch hinzukommen kçnnen, eben die leiblichen und •ußeren Gìter. Damit ist es dann anscheinend auch nicht mehr schwer, die Entsprechung bei Aristoteles zu diesem vierten Element der jungperipatetischen Glìcksdefinition zu finden, n•mlich in jener Formulierung, die bei Aristoteles in NE I 11 eingefìhrt wird, als Resultat einer Erçrterung, die auf den Wert auch der •ußeren (und leiblichen), tyche¯-abh•ngigen Gìter reflektiert (vgl. I-C, §8(d) und II-A, § 1). Denn dort wird die Definition des Glìcklichen erg•nzt um den Bezug auf die „Ausstattung (jewoqgcgl]mor)“ mit •ußeren Gìtern (1101a15, vgl. 1099a33). Handelt es sich um eine bloß verbale Differenz? Dann w•re an dieser jungperipatetischen Formel in der Tat der Sache nach nichts neu. Ich glaube aber nicht, daß pqogco}lemor hier schlicht dasselbe bedeutet wie das Aristotelische jewoqgcgl]mor. Zwar wird eine 1m]qceia jat’ !qet^m immer dann als pqogcoul]mg charakterisiert, wenn sie auch durch eine Ausstattung mit den erforderlichen leiblichen und •ußeren Gìtern hinreichend „begìnstigt“ ist. Aber wir werden noch sehen, daß, entsprechend der Grundbedeutung dieses Ausdrucks, eine arete¯-gem•ße Praxis stricto sensu dann und nur dann pqogcoul]mg ist, wenn sie die „prim•re“ und sozusagen „erstklassige“ Aktualisierungsform der Arete¯ darstellt, wie sie nur unter gìnstigen •ußeren Rahmenbedingungen mçglich ist. Mit diesem Begriff „erstklassiger“ Aktualisierungsformen einer Arete¯ h•ngt, so meine These, das Bemìhen zusammen, in Anknìpfung an Aristoteles das Bedingungsverh•ltnis zwischen Arete¯, Eudaimonie und •ußeren Rahmenbedingungen begrifflich pr•ziser zu fassen, als dies bei Aristoteles selbst geschieht. Der Ausdruck „pqogco}lemor“ darf ìbrigens – dies sei hier sogleich angemerkt – nicht mit dem zentralen stoischen Fachterminus „pqogcl]mor“ verwechselt werden, der zur Bezeichnung der „Vorzìge“ dient, die im landl•ufigen Sprachgebrauch als Gìter gelten, aber gem•ß der stoischen Analyse lediglich etwas Vorzuziehendes, nicht etwas Gutes und Erstrebenswertes sind. Trotz der oberfl•chlichen öhnlichkeit handelt es sich um ein ganz anderes Verb und auch um eine andere Partizipialform.10 Zwar hat 10 „pqogco}lemor“ ist ein Partizip Pr•sens zu dem medialen Deponens mit aktivischer Bedeutung „pqogc]olai“ („vorangehen, leiten“). Wie das Partizip „pqogco}lemor“

§ 5. Die Kritik an der Symple¯ro¯ma-These

173

auch der Ausdruck „pqogco}lemor“ seine Spuren hinterlassen in den Zeugnissen zur altstoischen Lehre (vgl. die Belege im Index von SVF). Er wird aber nie in der technischen Bedeutung von „pqogcl]mom“ verwendet.11 Die Stoiker sind in ihrem terminologischen Sprachgebrauch sehr exakt. Und auch die Peripatetiker vermeiden in diesem Punkt eine Vermischung der Terminologien und bezeichnen jene Gìter, die der pqogcoul]mg pq÷nir dienen, zwar als „pqogco}lema (wie wir noch sehen werden), aber nie als „pqogcl]ma“. Denn letzterer Terminus ist mit einer stoischen These assoziiert, die der peripatetischen Gìterlehre diametral entgegengesetzt ist. Dort, wo es Berìhrungspunkte mit der stoischen Thematik der „pqogcl]ma“ gibt, haben sie sachliche, nicht semantische Grìnde (n•mlich in der Thematik der Objekte natìrlichen Strebens). – Die Grundbedeutung des Ausdrucks „pqogco}lemor“ ist also klar. Was seine genaue Bedeutung als technischer Terminus in der peripatetischen Ethik ist, kann nur aus peripatetischen Quellen gekl•rt werden.

§ 5. Die Kritik an der Symple¯ro¯ma-These Wenn die arete¯-geleitete Praxis erst in Verbindung mit nicht-seelischen Gìtern Eudaimonie zur Folge hat, so kommt fìr die Analyse alles darauf an, die Relation zwischen arete¯-geleiteter Praxis und nicht-seelischen Gìtern genauer zu bestimmen. Beginnen wir unsere Betrachtung zu dieser Frage mit dem Abschnitt A3d bei ArD, der gegen die Vorstellung argumentiert, daß die nicht-seelischen Gìter zur Eudaimonie schlicht auf additive Weise beitragen. Ich lasse hier jetzt lediglich den Anfang weg, da er eine eher ungeschickte ›berleitung darstellt, die ohne den Kontext, den ich erst sp•ter erçrtern werde, nicht verst•ndlich werden kann:

die Bedeutung des „Prim•ren, Erstklassigen etc.“ annehmen konnte, ist im Ausgang von der Bedeutung „vorangehend“ leicht nachzuvollziehen. „pqogcl]mor“ ist das Partizip Perfekt zu der Passivform des Verbs „pqo\cy“ und steht fìr das Vorrangige, „auf einen vorderen Platz Gestellte“. 11 Dies gilt auch fìr die Formulierung der zweiten Telos-Definition des Antipater, wie sie uns im Stoiker-Teil von ArD ìberliefert ist (= SVF III, Ant 57). „pqogco}lema jat± v}sim“ fungiert dort als Synonym zu „pq_ta jat± v}sim“.

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B) Die bei Areios favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition

T3 „(2)…, mìsse man vernìnftigerweise annehmen, daß das Telos nicht ein sulpk^qyla aus den leiblichen und den •ußeren Gìtern sei,12 und auch nicht darin bestehe, daß es einem glìckt, dieser Gìter13 habhaft zu werden. (3) Vielmehr bestehe es (sc. das Telos) darin, daß man im Rahmen (1m) der leiblichen und der •ußeren Gìter, entweder aller, oder der meisten und wichtigsten, tugendgem•ß lebe. (4) Deshalb sei die Eudaimonie tugendgem•ßes T•tigsein (1m]qceia jat’ !qet^m), das in wunschgem•ß prim•ren/begìnstigten Handlungen stattfindet (1m pq\nesi pqogcoul]mair jat’ eqw^m). (5) Die leiblichen und die •ußeren Gìter aber werden als EudaimonieBewirkendes (poigtij± t/r eqdailom_ar) bezeichnet, weil sie durch ihr Vorhandensein einen Beitrag dazu leisten. (6) Diejenigen jedoch, die meinen, daß sie kompletive Bestandteile (sulpkgqoOm) der Eudaimonie sind, ignorieren, daß die Eudaimonie Leben ist und das Leben aus Handlung besteht (1j pq\neyr sulpepk^qytai). Von den leiblichen oder •ußeren Gìtern ist keines an sich Handlung, ja nicht einmal T•tigsein (1m]qceia).“ (A3d ; 126, 14 – 127, 2)

(3) und (4) enthalten unvollst•ndige Definitionsformeln fìr das menschliche Telos bzw. die menschliche Eudaimonie, die, trotz gewisser Unterschiede, im Kern mit der eben erçrterten vollst•ndigen Definitionsformel aus B4a ìbereinstimmen: Die Formulierung in Absatz (4) spricht von 1m]qceia jat’ !qet^m, w•hrend in der gem•ß B4a favorisierten Formel (T1) von wq/sir !qet/r die Rede ist, in den Erl•uterungen dazu aber auch von 1m]qceia t/r !qet^r. In T1 wird die wq/sir !qet/r selbst kurz und bìndig als pqogcoul]mg bezeichnet, w•hrend sich hier in (4) der etwas komplexere Zusatz „1m pq\nesi pqogcoul]mair jat’ eqw^m“ findet. Wenn wir weiter unten die Bedeutung, die der Begriff „pqogco}lemom“ in diesem Zusammenhang hat, genauer analysieren, wird deutlich werden, daß beide Formulierungen, jedenfalls aus der Perspektive der „strengeren“ Deutung dieser Telosformel, auf 12 Isoliert betrachtet kann diese Formulierung als Verweis auf eine Position, die die Eudaimonie ausschließlich aus nicht-seelischen Gìtern zusammengesetzt sein l•ßt, verstanden werden, was in etwa dem von Karneades dialektisch vertretenen Standpunkt entsprechen wìrde. Eine solche These hat aber unter den schulm•ßigen Peripatetikern niemand ernsthaft vertreten. Die Symple¯ro¯ma-These wird bei ihnen entweder auf alle drei oder wenigstens auf zwei Gìterklassen (seelische und leibliche) bezogen. Der Einschluß der leiblichen und gegebenenfalls auch •ußeren Gìter ist der strittige Punkt in dieser peripatetischen Debatte, um den es auch an dieser Stelle geht. Der Textpassus dient dazu, das Ergebnis der peripatetischen Adaption der Oikieio¯sis-Lehre dahingehend zu pr•zisieren, daß es nicht zur Stìtzung der Symple¯ro¯ma-These verwendet wird. 13 Gçrgemanns 1983, 172, ist recht zu geben, daß die in Wachsmuths Edition von Usener ìbernommene Konjektur "p\mtym fìr aqt_m fallen zu lassen ist.

§ 5. Die Kritik an der Symple¯ro¯ma-These

175

dasselbe hinauslaufen und daß der Zusatz „jat’ eqw^m“ („wunschgem•ß“) kein neues, eigenst•ndiges Element der Glìcksdefinition darstellt: Es geht jeweils darum, daß die „prim•ren“ Bet•tigungsweisen der Tugend bzw. Tugenden, die ihrer immanenten Teleologie entsprechen (und damit auch den Wìnschen des Tugendhaften), das Vorhandensein bestimmter nichtseelischer Gìter voraussetzen. Die Formulierung in Absatz (3) erinnert an die Wendung, mit der in B4a der Ausdruck „pqogcoul]mg“ erl•utert wurde (T2): Die Bet•tigung der Arete¯ sei pqogcoul]mg, wenn sie „im Rahmen der naturgem•ßen Gìter stattfinde“ (1m to?r jat± v}sim !caho?r rp\qweim)“ – so hieß es dort. Statt von den !cah± jat± v}sim ist hier explizit von den leiblichen und •ußeren Gìtern die Rede, aber es wird wie in B4a das vage „1m“ („in“) gebraucht, das ich jeweils interpretierend und paraphrasierend mit „im Rahmen von“ wiedergegeben habe, um auszudrìcken, was hier gemeint sein dìrfte, n•mlich daß diese Gìter zwar in einer gewissen Weise zu dem Telos beitragen, indem die tugendgem•ße Praxis gleichsam in sie eingebettet sein muß, um zugleich glìckliche Praxis zu sein, daß sie aber doch nur als notwendige Rahmenbedingungen, nicht als ein integrale Bestandteile des Telos zu seiner Realisierung beitragen. – Allerdings ist vorl•ufig noch in hohem Maße kl•rungsbedìrftig, wie genau die durch „1m“ ausgedrìckte Relation hier zu verstehen ist. Dies wird im weiteren eine zentrale Fragestellung fìr uns sein. W•hrend in Absatz (2) die Behauptung aufstellt wird, daß die Symple¯ro¯ma-These falsch sei, und in (6) das entscheidende Argument dafìr formuliert wird, bereiten die Aussagen in (3) und (4) dieses Argument vor, indem sie die Eudaimonie als eine Form von Leben und T•tigsein charakterisieren, zu der die nicht-seelischen Gìter einen notwendigen Rahmen bilden, innerhalb dessen die eudaimonischen Bet•tigungen der Arete¯ mçglich werden. Absatz (5) konzediert, daß sich damit erweist, daß auch die nicht-seelischen Gìter einen Beitrag zur Verwirklichung von Eudaimonie leisten (und in diesem Sinne „poigtij± t/r eqdailom_ar“ sind, vgl. unten). Aber in (6) holt der Autor dann gewissermaßen zum entscheidenden Schlag gegen die Symple¯ro¯ma-These aus. Und zwar wird den Anh•ngern der Symple¯ro¯ma-These vorgehalten, daß sie eine Art Kategorienfehler begehen. Denn da Eudaimonie ein so und so spezifizierter menschlicher Lebensvollzug ist, der menschliche Lebensvollzug sich aber aus Praxis und nichts anderem zusammensetzt, kçnne nichts, was nicht Praxis ist, Bestandteil der menschlichen Eudaimonie sein. Da •ußere Gegenst•nde, Sachen ebenso wie Personen, aber auch kçrperliche Quali-

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B) Die bei Areios favorisierte jungperipatetische Glìcksdefinition

t•ten, nicht Praxis sind, kçnnen sie folglich auch nicht Bestandteil von Eudaimonie sein. Daß der Begriff des sulpkgqytij|m (des „Anfìllenden“) im Sinne einer Teil-Ganzes-Relation zu verstehen ist, habe ich bei meiner ›bersetzung und Deutung vorausgesetzt. Best•tigt wird diese Voraussetzung in dem zweiten Textabschnitt (B3), der gegen die Symple¯ro¯ma-These argumentiert und ebenfalls nur Handlungen als Teile von Eudaimonie gelten l•ßt. Von dem Begriff des Teiles (l]qor) heißt es dort, daß man unter einem Teil etwas verstehen mìsse, was sulpkgqytij|m eines Ganzen sei (130, 9 f.), woraus dann fìr uns umgekehrt auch folgt, daß offensichtlich jedes Teil eines Ganzen als ein solches „Anfìllendes“ betrachtet werden kann.14 Selbstverst•ndlich wird mit diesem kategorialen Argument nicht ausgeschlossen, daß der Bezug etwa auf bestimmte •ußere Gegenst•nde in die Definition einer bestimmten Art von Handlung eingehen kann: Zum Begriff der Handlung des Ohrfeigens gehçrt der Bezug auf jenen, der geohrfeigt wird. Aber das heißt nicht, daß dieser Andere Bestandteil der Handlung ist, wie etwa das Ausholen mit dem Arm Bestandteil der Handlung ist. Er ist ihr Objekt. Ebenso ist der Hammer nicht Bestandteil des H•mmerns, sondern dessen definitionsgem•ßes Instrument. (Wollte man diese logisch-kategoriale Unterscheidung bestreiten, so wìrde dies in aristotelischer Perspektive die Konsequenz haben, daß eine selbst•ndige Substanz, z. B. der Hammer, konstitutiver Bestandteil eines Akzidenz einer anderen Substanz, also etwa der Handlung, die ich ausfìhre, sein kçnnte, was aber aus der Perspektive der von Aristoteles formulierten, auch unseren sprachlich vorgeformten Intuitionen entsprechenden Ding-EigenschaftOntologie absurd ist.)

14 Vgl. zu „sulpkgqytij|m“ auch Moraux 1973, 329 Anm. 29.

C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen zur Bedeutung nicht-seelischer Gìter: der „weichere“ und der „strengere“ Standpunkt § 6. Die „weiche“ Deutung der favorisierten Glìcksdefinition Das eben referierte formale Argument gegen die Symple¯ro¯ma-These (T3, Absatz (6)) schließt aus, daß irgendetwas, das nicht Praxis ist, integraler Bestandteil des menschlichen Telos sein kann, aber es schließt nicht aus, daß das Genießen leiblicher oder •ußerer Gìter Bestandteil des Telos ist. Denn auch aktives Genießen ist eine Form von 1m]qceia. Der oben (§ 4) nur erst unvollst•ndig zitierte Passus aus B4a (Zitat T2), in dem das Definitionselement „pqogcoul]mg“ in T1 erl•utert wird, weist in der Tat in die Richtung eines solchen Verst•ndnisses, das ich hier als die „weichere“ Deutung der Glìcksformel bezeichnen mçchte, um diese anschließend mit der strengeren Deutung zu kontrastieren. Zun•chst sei das fragliche Textstìck, das sich erl•uternd auf die ,favorisierte‘ Glìcksdefinition T1 bezieht, vollst•ndig zitiert: T4 „(1) Die Bet•tigung der Arete¯ sei (sc. im Falle des Glìcklichen) pqogcoul]mg, weil es ganz und gar notwendig sei, daß sie im Rahmen der naturgem•ßen Gìter stattfinde (1m to?r jat± v}sim !caho?r rp\qweim), da der Gute zwar auch im Rahmen von ›beln (1m jajo_r) die Tugend richtig anwenden dìrfte, jedoch nicht selig (laj\qior) sein wird, und auch unter Qualen wohl seine edle Art unter Beweis stellen dìrfte, aber nicht auf eudaimonische Weise (eqdailomij_r). (2) Der Grund dafìr ist, daß die Arete¯ fìr sich genommen nur Schçnes/ Edles (jak\) hervorbringt, die Eudaimonie aber die Verbindung des Schçnen/ Edlen und des Guten (jak± j!cah\). (3) Denn sie mçchte nicht im Schrecklichen ausharren, sondern der guten Dinge genießen (t_m !cah_m !poka}eim), zus•tzlich dazu, daß sie Recht und Gesetz in der Gemeinschaft (t¹ 1m joimym_ô d_jaiom) wahren und weder des Schçnen/Edlen in der Kontemplation (t_m 1m t0 heyq_ô jak_m) noch des Lebensnotwendigen verlustig gehen mçchte. (4) Denn die Eudaimonie sei etwas, das im hçchsten Maße angenehm und edel/schçn sei (Fdist|m ti ja· j\kkistom).1“ (B4a ; 132, 8 – 19)

1

von Arnim 1926, 31, erkennt richtig (contra Wachsmuth) die enge Zusammen-

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

Satz (2) mag in seiner Kìrze zun•chst reichlich kryptisch anmuten, aber das Gemeinte ist, wie mir scheint, doch hinreichend klar: Die Rede vom Guten (!cah|m) konnotiert hier, wie so oft im Griechischen, den Begriff des Zutr•glichen, und d. h. des Glìcksfçrdernden, der Begriff des jak|m dagegen das ethisch Richtige und Edle. Arete¯ garantiert nur ethische Richtigkeit der Praxis, nicht aber, daß auch jene natìrlichen Gìter, von denen (1) spricht, vorhanden sind, die als Rahmenbedingungen zur Arete¯ hinzukommen mìssen, damit die Eudaimonie mçglich wird.2 Diese Aussage kann man, isoliert betrachtet, so verstehen, daß erst dann, wenn der Arete¯ die erforderlichen nicht-seelischen Gìter zur Verfìgung stehen, sie sich in einer Weise bet•tigen kann, daß die sittlichen Handlungen nicht mehr nur sittlich richtig und schçn (jaka_), sondern zugleich auch glìckskonstitutiv sind (und damit gut im Sinne von zutr•glich). Dies w•re noch ganz in der Linie der strengeren peripatetischen Deutung der Telosformel. Aber die nachfolgende Aussage (3), mit der das in (2) Gesagte n•her erl•utert wird („c\q“), weist doch in eine andere Richtung. Und zwar werden in Absatz (3) vier Aspekte der Eudaimonie genannt, wobei die Reihenfolge keine Wertung impliziert: An erster Stelle im Text, aber als etwas, das zu den anderen Momenten noch hinzukommen muß, wird auf das Genießen von Gìtern verwiesen, wobei wohl an die in (1) genannten naturgem•ßen nicht-seelischen Gìter zu denken ist. Zweitens wird das Engagement fìr die dem Wohl der Gemeinschaft dienliche Rechtsordnung und Gerechtigkeit erw•hnt, gleichsam als Inbegriff des sittlichen Lebensideals, und drittens die auf das kontemplative jak|m (Wahrheit und Einsicht) ausgerichtete Theo¯ria. An vierter Stelle erw•hnt der Text das Lebensnotwendige, d. h. Gìter, die die Lebenserhaltung ermçglichen. Daß der Verweis auf das Lebensnotwendige direkt im Anschluß an des Ideal des theoretischen Lebens genannt wird, l•ßt an die von Aristoteles her vertraute Feststellung denken, daß der b_or heyqgtij|r an •ußeren Gìtern nicht mehr als das Lebensnotwendige bençtige (NE X 7, 1177a27). Aber der Verweis auf das Lebensnotwendige hat hier noch eine andere Pointe:

2

gehçrigkeit dieses Satzes (4) mit dem Vorausgehenden. Dem schließt sich auch Moraux 1973, 356, an. Die Formulierung in (2) ist insofern etwas schr•g, als man zwar sagen kann, daß die Arete¯ das Sittlich-Schçne hervorbringe (sittlich richtige Handlungen), aber nicht ohne weiteres, daß die Eudaimonie die Verbindung des Sittlich-Schçnen und des Guten (Glìckszutr•glichen) hervorbringe. Passender w•re die umgekehrte Formulierung, daß sich aus der Kombination des Sittlich-Schçnen und des Zutr•glichen die Eudaimonie ergebe.

§ 6. Die „weiche“ Deutung der favorisierten Glìcksdefinition

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Daß n•mlich ìberhaupt zwischen der Versorgung mit dem lebenserhaltenden Maß an nicht-seelischen Gìtern und dem Genießen der nichtseelischen Gìter unterschieden wird, l•ßt klarer hervortreten, daß hier dem Genießen in der Tat ein nicht-instrumenteller Eigenwert zugeschrieben wird. Die Verbindung der beiden an zweiter und dritter Stelle genannten Aspekte, die ich dem sittlich-politischen und dem theoretischen Lebensideal zugeordnet habe, entspricht der im Peripatetiker-Teil der Epitome generell zu beobachtenden Pr•ferenz fìr den b_or s}mhgtor, d. h. die Synthese aus dem sittlich-politischen und dem theoretischen Lebensideal (siehe vor allem F; 143, 24 – 145, 2; vgl. 125, 14 – 126, 11).3 Das eigentlich Signifikante ist aber, daß hier auch dem !poka}eim, dem Genießen nichtseelischer Gìter, ein Eigenrecht einger•umt wird. Denn bei Aristoteles ist es eine Kernaussage, daß im Gegensatz zu dem sittlich-politischen und dem theoretischen Lebensideal der b_or !pokaustij|r keinerlei Dignit•t besitze und fìr die Bestimmung des Telos von vornherein ausscheide, da er den Menschen auf die Ebene des Animalischen herabziehe (NE I 3, 1095b14 – 22; EE I 4-5, 1215a25-b6, b30 – 1216a2). Dieser Topos begegnet auch bei ArD selbst an einer anderen Stelle (Abschnitt F; 144, 17 f.), die natìrlich auf eine andere Quelle als B4a zurìckgehen kann. Allerdings wird das !poka}eim an den fraglichen Stellen bei Aristoteles und auch bei ArD in Abschnitt F auf die kçrperlichen Genìsse im engeren Sinne eingegrenzt, die beim Spoudaios durch die Tugend der syvqos}mg geregelt werden. In dem von uns jetzt erçrterten Abschnitt aus B4a mìssen es zwar andere Freuden sein als die des ethisch richtigen Verhaltens in der Gemeinschaft oder der wissenschaftlichen Betrachtung, denn diese T•tigkeitsformen werden gesondert aufgelistet. Aber das Genießen „natìrlicher Gìter“ beschr•nkt sich hier sicher nicht auf die bloß „animalischen“ Genìsse, sondern schließt ein sehr viel weiteres Spektrum von Gìtern und darauf bezogenen Genìssen ein. Dies entspricht im ìbrigen der in der hellenistischen Ethik ìblichen Bedeutung der Rede von natìrlichen Gìtern bzw. Vorzìgen (vgl. II-G, § 17). Auch der Genuß von leiblichen und sozialen Gìtern (z. B. die eigene kçrperliche Schçnheit, das soziale Ansehen, Freundschaften, Wohlstand) entspricht naturwìchsigen Strebenstendenzen des Menschen und ist in diesem Sinne „natìrlich“. Zur Erl•uterung der Feststellung (4) wird noch die Aussage (5) nachgereicht, daß die Eudaimonie nicht nur durch eine hçchste Steigerung des jak|m, sondern auch durch eine hçchste Steigerung des Bd}, also des 3

Vgl. Moraux 1973, 403 ff.

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

Angenehmen oder Freude-Bereitenden ausgezeichnet ist. Aussage (5) kann als eine Erl•uterung von (4) dienen, wenn man das !poka}eim spezifisch mit dem Aspekt der Bdom^ verknìpft, so wie das von der Wortbedeutung und auch durch die Ausfìhrungen bei Aristoteles zum !poka}eim nahegelegt wird: Da die Eudaimonie nicht nur edle Praxis, sondern auch etwas ìberaus Freudvolles ist, mìsse sie auch den Aspekt des Genießens mit einschließen – so das implizite Argument. Da ferner Satz (4), der den Aspekt des Genießens der Gìter eingebracht hat, selbst eine Erl•uterung oder Explikation der Feststellung in (3) ist, wonach im Falle der Eudaimonie zum jak|m auch noch das !cah|m mit hinzutritt, l•uft das Ganze auf die These hinaus, daß die durch die natìrlichen Gìter ermçglichte Eudaimonie sich gegenìber dem Fall der sittlich richtigen Praxis unter ungìnstigen Umst•nden dadurch auszeichne, daß zu dem Moment des sittlichen (oder auch theoretischen) jak|m noch die Freude am Genuß jener natìrlichen Gìter hinzutritt. Daß sich in der Eudaimonie die Aspekte des jak|m, des !cah|m und des Bd} miteinander verknìpfen, ist eine gut-aristotelische These, die uns in der NE in I 9, 1099a24 – 31, begegnet. In der EE dient sie sogar als Einleitung in die gesamte ethische Pragmatie (I 1, 1214a1-8) und erf•hrt dann eine n•here Explikation vor allem in dem bedeutenden Schlußkapitel VIII 3. Nun hat Aristoteles dabei aber die These im Sinn, daß in der Eudaimonie diese drei Aspekte zusammenfallen, weil eben jene Weisen von Praxis bzw. 1m]qceia, aus denen die menschliche Eudaimonie bestehe, erstens als lobenswerte Bet•tigungen der Arete¯ das Moment des jak|m, zweitens als Grund der Eudaimonie das Moment des !cah|m, und drittens als hçchste Verwirklichungsformen menschlichen T•tigkeit zugleich auch, in einer hçheren und reineren Form als die kçrperlichen Lìste, das Moment des Bd} in sich tragen. Gem•ß den Intentionen des Aristoteles mìßten also das jak|m und das d_jaiom selbst zum Gegenstand jener die Eudaimonie begleitenden Freude werden. Hier dagegen scheinen wir es eher mit der Vorstellung einer Aufteilung zu tun zu haben, wonach neben die Wahrung des Rechtlichen und die wissenschaftliche Kontemplation auch noch gleichsam ein Feierabend des Genießens der natìrlichen, nichtseelischen Gìter tritt.4 4

Dazu paßt im ìbrigen auch die Formulierung des Einleitungssatzes von B4 (130, 15 – 18): Die Ziele (sjopo_) der einzelnen Handlungen (aR jat± l]qor pq\neir) seien das Edle / Schçne (jak|m), das Zutr•gliche (sulv]qom) oder das Angenehme/ Erfreuliche, und die Eudaimonie sei die Summe dieser Handlungen. – W•hrend also Aristoteles behauptet, daß jeweils ein und diesselbe Handlung edel, zutr•glich

§ 6. Die „weiche“ Deutung der favorisierten Glìcksdefinition

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Diese Auffassung impliziert auch eine Deutung jener Beziehung von arete¯-gem•ßer Praxis und nicht-seelischen Gìtern, die sowohl hier als auch in dem (oben in § 5 zitierten) gegen die Symple¯ro¯ma-These gerichteten Argument von A3d durch das vage „in“ ausgedrìckt wird: Die arete¯-gem•ße Praxis muß, wenn aus ihr Eudaimonie resultieren soll, in den Rahmen der nicht-seelischen Gìter eingebettet sein, weil zum Telos des menschlichen Lebens, neben der Sittlichkeit und der Kontemplation, auch die elementareren natìrlichen Freuden gehçren, wie sie aus dem Genuß nicht-seelischer Gìter erwachsen (wobei der Genuß sich in den Grenzen des sittlich und rechtlich Akzeptablen, des 1m joimym_ô d_jaiom, bewegen muß). Dies ist wohlgemerkt eine, aber nicht die einzige mçgliche Deutung dieses „in“. Wir werden vielmehr sehen, daß sich bei ArD auch eine andere Deutung findet, die dann fìr den sp•teren Peripatos die einzig noch akzeptable ist. Eine wesentliche Rolle bei der Deutung der zitierten Textpassage aus B4a kommt dem Begriff des !poka}eim zu. Die Rede vom „Genießen“ ist an dieser Stelle bei ArD, wie schon angedeutet, keineswegs so eng zu verstehen wie in der Aristotelischen Kritik am b_or !pokaustij|r. Bei dem Begriff der natìrlichen Gìter in (2), auf den sich die Rede von den zu genießenden Gìtern in (4) zurìckbezieht, ist prim•r an leibliche und •ußere Gìter zu denken, die aber weit mehr einschließen als Essen, Trinken und Sexualit•t. Genießen kann man auch, daß man gesund ist oder schçn ist, oder den Verkehr mit Freunden, das Ansehen, die Macht, den Wohlstand – um einige typische Beispiele fìr leibliche und •ußere Gìter zu nennen. Entscheidend ist letztlich die Frage der Motivation: Ist der Genuß solcher außerhalb der seelischen Arete¯ liegender Gìter (aller oder wenigstens einiger?) als etwas um seiner selbst willen Erstrebenswertes Teil der Eudaimonie, oder sind diese Gìter nur insofern der Eudaimonie dienlich, als sie eine Praxis unterstìtzen, die ganz durch das praktische oder theoretische jak|m motiviert ist?5 Letzteres ist der Standpunkt einer ethisch strengeren Deutung der Glìcksdefinition, auf die ich gleich noch eingehen werde.

5

und erfreulich und in dieser Einheit der Momente glìckskonstitutiv sei, wird hier eine Art Aufgabenverteilung unter den glìckskonstitutiven Handlungen unterstellt: Die Handlungen sind teils auf das jak|m, teils auf Nìtzliches, teils auf das Bd} ausgerichtet (letzteres sind die Akte des Genießens), und erst in der Summe der Einzelhandlungen ergibt sich die Vereinigung dieser Momente zur Eudaimonie. Vgl. 144, 4 f., wo es vom Spoudaios heißt: „pqoaiq^seshai … ja· pq\tteim ja· heyqe?m t± jak\“.

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

Doch bevor ich dies tue, mçchte ich erst noch eine Frage aufgreifen, die aufgrund der schlechten ›berlieferungslage leider nur mit Schwierigkeiten zu beantworten ist, n•mlich was die historischen Anknìpfungspunkte fìr die in B4a greifbare These sind, welche dem Genießen unterhalb der Ebene sittlicher und kognitiv-kontemplativer Motivation Raum gibt.

§ 7. Exkurs: Vergleich der „weichen“ Position bei Areios Didymos mit anderen peripatetischen und altakademischen Quellen Die Genuß-These ist imgrunde eine Modifikation der Symple¯ro¯ma-These, die dem Endymion-Argument Rechnung tr•gt, welches besagt, daß der bloße Besitz von irgendetwas, was es auch sei, nicht glìckstiftend sein kann, da fìr den Komatçsen alles nichts ist. Erst wenn das, was ich besitze, in meiner T•tigkeit wirksam werden oder im bewußten Genießen erfreuen kann, tr•gt es zur Eudaimonie bei. In ihren praktischen Konsequenzen ist der in T4 vorgetragene ,weichere‘ Standpunkt mehr oder weniger deckungsgleich mit jener Variante der Symple¯ro¯ma-These, die das Vorhandensein bestimmter kompletiver nicht-seelischer Gìter zur notwendigen Bedingung von Eudaimonie erkl•rt, nur daß in T4 berìcksichtigt wird, daß nicht der bloße Besitz solcher Gìter, sondern erst ihr Genuß zur Eudaimonie beitr•gt. In der Zeit des Niedergangs des Peripatos nach Theophrast betrachtete man es ganz generell als das typische Merkmal der peripatetischen Ethiker, daß sie in Opposition zum ethischen Rigorismus der Stoiker neben den traditionellen Tugenden auch den Beitrag leiblicher und •ußerer Gìter zur Eudaimonie wìrdigten. Dies entsprach auch der Rolle, die die Altperipatetiker, anknìpfend an entsprechende Ausfìhrungen bei Aristoteles, der Tyche¯ fìr das Zustandekommen von Eudaimonie beimaßen. Einschl•gig waren insbesondere die entsprechenden Ausfìhrungen Theophrasts in ›ber das Glìck und einigen anderen Schriften. Allerdings ist es die Aristotelische Position in NE I, daß der Verlust bestimmter nicht-seelischer Gìter die Eudaimonie nicht in ihr Gegenteil, die Kakodaimonie, verkehren kçnne. Das Leben dessen, der ìberhaupt die Entwicklungsstufe des Spoudaios erreicht habe, kçnne nicht durch unglìckliche Umst•nde in ein grunds•tzlich gescheitertes Leben umgewandelt werden. Auch im Abschnitt B4c in ArD, dessen Argumentationslinie dem Text T5 sehr nahe steht, wird diese Sichtweise vertreten (133, 6 – 11).

§ 7. Exkurs: Vergleich mit anderen Quellen

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Daß aber das, was als „peripatetisch“ in der Ethik wahrgenommen wurde, eine noch weitergehende Ann•herung an den landl•ufigen Commonsense einschließen konnte, nach dessen Auffassung schwere •ußere Unglìcksumst•nde wie im Fall des Priamos sehr wohl auch den vortrefflichsten Menschen elend werden lassen kçnnen, dies zeigt u. a. das kurze doxographische Stìck zur peripatetischen Ethik, das sich bei Diogenes Laertios, V 30 f., findet.6 Die Eudaimonie wird dort als ein Symple¯ro¯ma aus allen drei Gìterklassen bestimmt, und es werden stichwortartig die wesentlichen Implikationen im Sinne einer Analyse notwendiger und hinreichender Bedingungen herausgestellt. Konform mit Aristoteles gehen dabei die Aussagen, daß die Schlechtigkeit allein hinreichend fìr Kakodaimonie sei, Arete¯ aber nicht allein hinreichend fìr Eudaimonie. Nicht vereinbar mit Aristoteles ist hingegen die Aussage, daß leibliche und •ußere ›bel („Beschwerden, Armut und dergleichen“) allein hinreichend dafìr seien, daß der Weise (sov|r)7 sich im Zustand der Kakodaimonie befinde. – Hier haben wir es mit einer Sichtweise des Peripatetischen zu tun, die ganz durch den Gedanken eines mçglichst klaren Gegensatzes zur stoischen Ethik inspiriert ist und das Peripatetische als die Stimme des ethischen Commonsense versteht, die sich gegen die paradoxale stoische Ethik erhebt. Bezeichnend dafìr ist auch die Behauptung, daß die Tugenden einander nicht implizieren (lµ !mtajokouhe?m). Damit wird nicht nur eine stoische (und sokratisch-platonische), sondern auch eine aristotelische These negiert. Denn gem•ß NE VI 13 ist die Auffassung, daß der eine besonnen, aber vielleicht nicht tapfer, ein anderer dafìr tapfer, aber unbesonnen ist, nur mit Bezug auf die bloßen Vorformen von Tugend, nicht aber im Falle der eigentlichen Tugend zutreffend.8 6 7 8

Zur Frage der (wohl durchaus heterogenen) Quellen dieser kurzen ethischen Doxographie vgl. Moraux 1986, der in einigen wichtigen Punkten Moraux 1949 korrigiert, insbesondere was die Frage der doktrinalen N•he zu Aristoteles betrifft. „sov|r“ ist hier natìrlich im hellenistischen, nicht im aristotelischen Sinne zu verstehen – der Weise, der ìber vollendete Arete¯ verfìgt. Noch weiter von der genuinen aristotelischen Glìckskonzeption weicht die These zu den „Teilen der Eudaimonie“ ab, die sich in den sogenannten Divisiones Aristoteleae findet (Diogenes Laertios III, 98 f. – in der Version der Divisiones im cod. Marc. findet sich diese Einteilung nicht). Fìnf konstitutive Teile werden unterschieden: 1) Wohlberatenheit (eqbouk_a), 2) gute Sinnesorgane und Gesundheit, 3) Eutychie in den Handlungen, 4) gutes Ansehen bei den Menschen, 5) Wohlstand. Sittliche Tugend figuriert hier nicht einmal mehr ausdrìcklich als ein Bestandteil des Symple¯ro¯ma. Immerhin scheint ausgerechnet die Erl•uterung zum Punkt der Eutychie in den Handlungen diesen Bezug einzubringen, indem es dort heißt, daß sie dann gegeben sei, wenn jemand in dem, worauf er bei seinem

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

Die Vorstellung, daß die Symple¯ro¯ma-These typisch peripatetisch sei und daß sie zumindest die Ablehnung der Autarkie-These impliziere, die ja auch Aristoteles verwirft, hat in der Doxographie weite Verbreitung gefunden.9 Eine andere Deutung erf•hrt die Symple¯ro¯ma-These bei Antiochos, der sich dazu u. a. auf Kritolaos von Phaselis beruft, durch den der Athener Peripatos im 2. Jhdt. v. Chr. eine gewisse Wiederbelebung erfahren zu haben scheint (vgl. Einleitung). Gem•ß dem bei Klemens von Alexandrien erhaltenen Zeugnis (fr. 20 Wehrli) hat Kritolaos die Eudaimonie als „Vollendetheit eines naturgem•ß wohlfließenden Lebens“ (tekei|tgr jat± v}sim eqqooOmtor b_ou) definiert, wobei mit der „Vollendetheit“, so wird von Klemens erg•nzt, das Symple¯ro¯ma aus allen drei Gìterklassen gemeint sei.10 Der letztgenannte Aspekt wird auch durch eine Angabe bei ArD best•tigt (46, 10 ff. = fr. 19 Wehrli). Der Begriff der Eudaimonie als eines wohlfließenden Lebens ist klassisch stoisch, und man erkennt hieran den starken begrifflichen Einfluß der Stoiker. Die anti-stoische Pointe liegt aber natìrlich in der Einbeziehung nichtseelischer Gìter. Nun hat ja die Symple¯ro¯ma-These zun•chst einmal jenes Mißliche an sich, daß der Besitz •ußerer Gìter unbegrenzt steigerbar ist und damit jedes Maß fìr die Eudaimonie verloren zu gehen scheint (die damit aufhçren wìrde, ein wohlbestimmtes Telos zu sein). Man kann annehmen, daß sich fìr Kritolaos das Maß der •ußeren Gìter daraus ergab, was notwendig ist, Handeln sinnt, das trifft, was der Spoudaios tun muß; III 99: „B d³ eqtuw_a (sc. c_metai) ftam 1v’ $ sjope? pq\n, jat’ aqh¹m $ de? pq\tteim t¹m sjouda?om.“ (Gegen

Wendland, Mutschmann, mit Marcovich [Teubner], Long [OCT] und Hicks [Loeb] kann das ìberlieferte jat’ aqh¹m beibehalten werden.) Der Spoudaios ist bei Aristoteles allemal ein sittlich Handelnder, aber er ist auch allgemeiner der maßstabhaft Handelnde. Und in diesem Punkt der Divisio muß es um nicht mehr gehen, als daß man seine Ziele erreicht, bzw. daß die darauf ausgerichteten Handlungen, die auch der maßstabhaft Handelnde w•hlen wìrde, glìcken (Eutychie!). Was dieses Glìcken der Handlung am meisten befçrdert, das dìrfte die an erster Stelle genannte Wohlberatenheit sein, von der es hier heißt, daß sie durch Erziehung und Erfahrung erworben werde. Auch das klingt im ersten Moment gutaristotelisch, ist es aber doch nicht, weil der integrative Bezug auf die sittlichen Tugenden fehlt, ohne den bloße Klugheit nicht zu praktischer Weisheit (vq|mgsir) werden kann. Was letztlich die Ziele sind, auf die hin die Euboulia die richtige Handlungswahl zu treffen versucht, das zeigt sich in den anderen Punkten, also Gesundheit, Ansehen und Wohlstand. Damit scheinen wir beim Standpunkt einer reinen konsequenzialistischen Klugheitsethik angelangt. 9 Vgl. Attikos fr. 2 passim und in der Patristik u. a. Klemens von Alexandien Strom. II, cap. 21, 128, 3 – 5; Ambrosius De off. ministr. 2, 2 (= Theophrast fr. 480B). 10 Beachte auch das anonyme, aber inhaltsgleiche Zitat aus Plutarch, De audiendis poetis 24 E, das Wehrli 1944 – 59, X, 68, anfìhrt.

§ 7. Exkurs: Vergleich mit anderen Quellen

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damit der Mensch entsprechend seinen natìrlichen Grunddispositionen zu jenem ungestçrten Fließen des Lebens gelangen kann. Die durch fr. 24 (Wehrli) belegte Tatsache, daß Kritolaos sich mit der stoischen Affektenlehre und ihrem einseitigen Rationalismus kritisch auseinandergesetzt hat, ist in diesem Zusammenhang signifikant. Wenn von ihm, im Sinne der platonisch-aristotelischen Tradition, irreduzible irrationale Strebensfaktoren angenommen worden sind, so kann sich ihm die Symple¯ro¯mathese als eine Konsequenz aus der menschlichen Strebensnatur dargestellt haben: Die Arete¯ und Weisheit des Menschen ruht nicht vçllig autark in sich, weil sich das menschliche Streben auch noch auf andere Ziele bezieht, eben auch auf leibliche und •ußere Gìter. Das Wohlfließen des Lebens muß darum auch eine angemessene Befriedigung dieser irreduziblen Bedìrfnisse jenseits reiner Rationalit•t einschließen. – Von diesem Ansatz her l•ßt sich auch die Glìcksbestimmung seines Schìlers Diodoros von Tyros zu verstehen, die die Aspekte des jak_r (edel, sittlich schçn) und des !owk^tyr (beschwerdefrei) kombiniert (fr. 4 h Wehrli). Die !owkgs_a ist hier genau das, was sich einstellt, wenn die natìrlichen subrationalen Bedìrfnisse in dem Maße gestillt sind, daß das Leben des Weisen in einem glatten Fluß verlaufen kann. Nun kann man eine solche Sichtweise mit der These verbinden, daß der vergleichsweise Wert der seelischen gegenìber den nicht-seelischen Gìtern immens hçher ist. Auch dies scheint die Auffassung des Kritolaos gewesen zu sein, die er in dem bereits erw•hnten bildhaften Vergleich ausgedrìckt hat, auf den sich Antiochos beruft: Kçnnte man die Tugend im Verh•ltnis zu den anderen Gìtern messen, so wìrden selbst Erde und Meer die Tugend nicht aufwiegen (fr. 21 f. Wehrli). Kritolaos fìgt sich damit in das von Antiochos konstruierte Bild der eigentlichen Lehre der Altakademiker und Peripatetiker ein, die, im Gegensatz zu Theophrast, von dem Antiochos sich absetzt,11 den Einfluß der Tyche¯ und der von ihr abh•ngigen nicht-seelischen Gìter auf die Eudaimonie minimalisiert und damit auf die von Antiochos selbst favorisierten Autarkie-These verweist. Allerdings ist dieser philosophiehistorischen Konstruktion des Antiochos bekanntlich mit einigem Mißtrauen zu begegnen, da wir ja etwa fìr Aristoteles (den Antiochos ebenfalls fìr sich reklamiert) definitiv wissen, daß er nicht die Autarkie-These vertreten hat. Auch fìr Kritolaos kçnnen wir letztlich nicht mit Sicherheit sagen, was seine Position in dieser Frage war. Daß er den selbstzweckhaften Wert der nicht-seelischen Gìter in der Tat minimalisiert hat, zeigt das Bild von der Waage. Gleichzeitig kçnnte er aber 11 So Cicero im Anschluß an Antiochos in De fin. V 12 (=Theophrast fr. 498), V 77.

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

doch den entgegengesetzten ›beln einen erheblichen „Stçrwert“, im Sinne negativ-instrumenteller Stçrfaktoren, einger•umt haben dergestalt, daß solche ›bel den Lebensfluß im Extremfall in einer Weise beeintr•chtigen, daß die Eudaimonie aufgehoben wird. Dies war der fìr Theophrast entscheidende Gesichtspunkt. Auch die Position der Altakademiker zu diesen Fragen kçnnen wir aufgrund der sp•rlichen ›berlieferungslage kaum noch zuverl•ssig eingrenzen. Immerhin scheint die Autarkie-These bei ihnen in der Tat schon virulent gewesen zu sein, und zwar als eine Auslegung sokratisch-platonischer Vorgaben.12 Eine andere Frage ist, ob sie auch die These vom selbstzweckhaften Wert nicht-seelischer Gìter vertreten haben, wie Antiochos es darstellt (vgl. z. B. Cicero, De fin. V 21). Dieses Problem sei kurz anhand von Xenokrates und Polemon veranschaulicht: Wir haben in der Tat sehr gute Belege (n•mlich durch seinen Zeitgenossen Aristoteles) dafìr, daß Xenokrates die Autarkie-These vertreten hat (fr. 81 und 82 Heinze). Auch fìr seinen Schìler Polemon ist dies verbìrgt (fr. 123 Gigante). Des weiteren ist klar, daß sie eine traditionelle, vor-stoische Gìter-Lehre vertreten haben, nach der auch leibliche und nicht-seelische Gìter in gewisser, wenn auch sekund•rer Weise zur Eudaimonie beitragen. Dabei scheint allerdings Xenokrates, soweit wir unserer ›berlieferung trauen kçnnen, die nicht-seelischen Gìter als lediglich instrumentelle Gìter bzw. notwendige Rahmenbedingungen verstanden zu haben (fr. 77 Heinze, vgl. unten, II–E, § 12, Anm. 7). Aber wenn die nicht-seelischen Gìter einen instrumentellen Beitrag zu der Eudaimonie leisten, kann man dann noch sagen, daß die Arete¯ autark ist? Polemon wird eine Formulierung zugeschrieben, die der Symple¯ro¯ma-These entsprechen wìrde. Aber es gibt Indizien, daß dies nur eine sp•tere Interpretation ist.13 Sein in Kontinuit•t zu Platon, Speusipp und Xenokrates stehendes Ideal eines der menschlichen Physis gem•ßen Lebens w•re gut damit vereinbar, daß er den nicht-seelischen Gìtern (zumindest) einen instrumentellen Wert zugeschrieben hat.14 Ein Rekonstruktionsversuch der altakademischen Positionen mìßte somit zwischen folgenden drei Mçglichkeiten unterscheiden: 1) Die nicht-seelischen Gìter leisten nur einen instrumentellen Beitrag (sind also nicht „Teil“ der Eudaimonie), kçnnen aber als instrumentelle Gìter Arete¯ steigern. Die Arete¯ ist allein hinreichend fìr Eudaimonie, 12 Vgl. zu diesem Thema Annas 1999. 13 Im entscheidenden Satz bei Klemens (= fr. 123 Gigante) heißt es sehr vorsichtig: „va_metai … bouk|lemor“. Vgl. Kr•mer 1983, 157. 14 Siehe dazu unten, II-G, § 17.

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wobei allerdings das Gegebensein von Arete¯ ein gewisses Minimum an Versorgung mit nicht-seelischen Gìtern voraussetzt – die !macja?a.15 2) Bestimmte nicht-seelische Gìter werden auch um ihrer selbst willen angestrebt und genossen. Als solche nicht-instrumentellen Gìter sind sie, bzw. ist ihr Genuß, Bestandteil der Eudaimonie. Ihre nicht-instrumentelle Bedeutung fìr das Glìck ist aber so gering, daß ihr Verlust Eudaimonie nicht aufheben kann, weshalb sie ein nicht-notwendiger Bestandteil von Eudaimonie sind. (Dieser nicht-notwendige Beitrag ist zu unterscheiden vom Beitrag der !macja?a, da diese nicht Bestandteil, sondern nur Rahmenbedingung der Arete¯ und Eudaimonie, in dieser Funktion aber notwendig sind.) 3) Wie (2), nur daß die nicht-seelischen Gìter (oder die darauf bezogenen Genìsse) jetzt als ein notwendiger Bestandteil der Eudaimonie gefaßt werden (wobei dann noch zu kl•ren w•re, ob der Verlust der relevanten nicht-seelischen Gìter hinreichend ist fìr Kakodaimonie oder die Mçglichkeit eines mittleren Zustandes angenommen wird).16 Wenn man hier vermutungsweise die altakademische Position eines Xenokrates oder Polemon einzeichnen mçchte, so ist es eher unwahrscheinlich, daß sie als orthodoxe Platoniker dem Genießen nicht-seelischer Gìter einen eigenst•ndigen, nicht-instrumentellen Wert zugebilligt haben. Gleichzeitig dìrften sie aber die Steigerungsf•higkeit der Eudaimonie auch durch die nicht-seelischen Gìter angenommen haben, wenn anders diese als genuine Gìter einen instrumentellen Beitrag zur Eudaimonie ìber das unbedingt notwendige Minimum hinaus leisten, so wie das die Glìcks-

15 Hier entsteht eine erhebliche Unklarheit hinsichtlich der Frage, ob eine Grundalimentation gemeint ist, die ausreichend Muße fìr die Entfaltung einer kontemplativen T•tigkeit l•ßt, oder das bloße ›berleben, wie mìhselig auch immer. Die aristotelisch-peripatetische Position erreicht hier grçßere Klarheit, weil sie die Eudaimonie eindeutig mit Anwendung und Bet•tigung verknìpft, weshalb bloßer Besitz von Arete¯, und damit auch bloßes ›berleben, nicht hinreichend sein kçnnen fìr die Eudaimoinie, woraus folgt, daß die !macja?a ein solches Maß an nichtseelischen Gìtern umfassen mìssen, daß mußevolle T•tigkeit mçglich wird. – Vgl. zu dieser Position Varro nach Antiochos apud Augustinus De civ. XIX 3, ll. 41 – 43. (Die Stelle nennt als nicht-seelische Voraussetzung der Arete¯ nur das fìr die Subsistenz der Arete¯ notwendige Maß an leiblichen Gìtern. Doch leibliche Gìter setzen wiederum •ußere Gìter voraus.) 16 Dies ist ein etwas vereinfachtes Schema gegenìber dem oben in II-A, § 3 entwickelten. Position (1) entspricht IIa, (2) entspricht IIb/c und (3) IIIb/c oder IVb/ c.

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

formel des Xenokrates nahelegt.17 Ihre Position h•tte also in etwa der Formulierung (1) entsprochen. Position (2) ist die des Antiochos, wenn man hinzunimmt, daß Antiochos aus bestimmten zus•tzlichen Annahmen heraus nur die selbstzweckhaften leiblichen, nicht aber die selbstzweckhaften •ußeren Gìter als kompletiv betrachtet hat. Position (3) dagegen ist eine Sichtweise, die durch den oben analysierten Passus von ArD exemplifiziert wird und die eine Ann•herung an den Commonsense-Standpunkt darstellt.18 Systematisch entscheidend fìr die Wahl zwischen den Positionen (1) und (2) oder (3) ist letztlich die Frage, ob dem Genießen der nicht-seelischen Gìter ein eigener glìckskonstitutiver Beitrag zugebilligt wird. Fìr Antiochos finden sich entsprechende Formulierungen, leider nur in lateinischer Wiedergabe, wobei wohl sicher nicht in allen F•llen dem lateinischen „frui“ ein griechisches „!poka}eim“ entspricht. Antiochos hat dies auch auf die Altakademiker zurìckprojiziert, etwa indem er Polemon eine gleichlautende Aussage zuschrieb.19 Aber dies ist nur Teil seiner philosophiehistorischen Konstruktion, die auf einen sp•teren, durch Karneades gepr•gten Diskussionsstand reagiert. Und zwar hat Karneades in seiner dialektischen Argumentation gegen die Stoiker den Standpunkt eingenommen, daß gerade der Genuß der naturwìchsig erstrebten nichtseelischen Gìter das Glìck ausmache und Tugend/Weisheit, als ars vivendi, nur ein darauf bezogenes, dies ermçglichendes instrumentelles Gut sei. Uns ist diese These zwar nur in lateinischer Wiedergabe ìberliefert („frui princiips naturalibus“).20 Es spricht aber viel dafìr, daß Karneades hier in

17 Fìr Polemon w•re diese Konzeption der Steigerungsf•higkeit der Eudaimonie sogar eindeutig belegt, wenn man fr. 123 Gigante, in dem zwischen den zwei F•llen differenziert wird, daß man mit den fìr die Eudaimonie relevanten Gìtern vollst•ndig versorgt ist oder daß man doch wenigstens die bedeutendsten von ihnen besitzt, als ein Zitat betrachtet. Denn diese Differenzierung ist typischerweise mit dem Gedanken der Steigerungsf•higkeit verbunden (vgl. unten Anm. 22). Allerdings legt die Formulierung bei Klemens nahe, daß dieser Satz nicht ein Zitat von Polemon ist, sondern nur eine Interpretation; vgl. oben, II-A, § 3, Anm. 20. 18 Wenn man die Information aus dem an B3a sich eng anschließenden Abschnitt B3c hinzunimmt (133, 6 – 11: Verlust der Eudaimonie fìhrt nicht zu Kakodaimonie, sondern zu einem mittleren Zustand), so ergibt sich, das die in diesen Abschnitten vertretene Position in ArD in die Kategorie IIIc f•llt gem•ß unserer Einteilung in § 3. 19 Vgl. Cicero Lucull. 131. 20 Cicero De fin. II 35.

§ 7. Exkurs: Vergleich mit anderen Quellen

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der Tat den Ausdruck „!poka}eim“ gebraucht hat21 (also „!poka}eim t_m pq~tym jat± v}sim“).22 Antiochos hat seine These als die im Vergleich zu Karneades und den Stoikern ausgewogene Position darzustellen versucht, die das Richtige der beiden extremen Standpunkte zur Kombination bringt, indem sie die These, daß die Arete¯ das hçchste intrinsisch wertvolle und glìckskonstitutive Gut fìr einen Menschen ist, mit der Aussage verbindet, daß zum guten Leben auch der Genuß der nicht-seelischen Gìter gehçre, der allerdings auch die Kunst des richtigen Gebrauchs dieser Gìter und damit die Arete¯ voraussetze.23 Dementsprechend gelangt er zu Formulierungen, die das jak_r f/m mit dem !poka}eim verknìpfen und insofern der Position entsprechen, die uns in B4a bei ArD begegnet (T4),24 21 So auch Mette 1985, 128. Als Alternative kommt „tucw\meim c. gen.“ in Frage. Vgl. die zweite Telos-Formel des Antipater von Tarsos, des stoischen Widersachers von Karneades (SVF III, Ant. 57; vgl. dazu Long 1967, Striker 1986.) Das tucw\meim ermçglicht aber erst den Besitz. „wq/shai“ wìrde auf ein darìber hinausliegendes inhaltliches Telos als Wofìr des Gebrauchens verweisen. Die Karneades-These l•uft aber sachlich darauf hinaus, daß im Erlangen und Genießen dieser Gìter schon die Eudaimonie liegt. Darum ist „!poka}eim“ auch sachlich naheliegend. 22 Es gibt noch weitere Stellen bei Cicero, die diese Telos-Formel in inhaltlich fast identischen Wendungen dem Karneades mit ausdrìcklicher Namensnennung zuschreiben: De fin. V 20: frui rebus iis, quas primas secundum naturam diximus; Lucull. 131 (mit Einbeziehung der Lehre von der Oikeio¯sis, conciliatio): frui rebus iis, quas pimas natura conciliavisset; Tusc. V 84: naturae primis bonis aut omnibus aut maximis frui. Die in den Tusculanen wiedergegebene Formulierung enth•lt den Zusatz „aut omnibus aut maximis“ (= C t_m p\mtym C t_m lec_stym), der sinngem•ß vielleicht schon von Polemon gebraucht worden ist (vgl. fr. 123 Gigante) und sich auf die Mçglichkeit gesteigerter Eudaimonie bezieht, die voraussetzt, daß nicht nur die „wichtigsten“, sondern „alle“ natìrlichen Gìter (was immer das heißen mag) zur Verfìgung stehen (s. a. ArD 126, 17 f.; 131, 5 f.; 144, 23 – 145, 1). Demnach wìrde seine Telos-Formel in etwa wie folgt gelautet haben: !poka}eim t_m pq~tym jat± v}sim, C t_m p\mtym C t_m lec_stym (oder t_m pke_stym ja· juqiyt\tym, vgl. die angegebenen Stellen bei ArD) – Glìck als Erlangen (tucw\meim) und Genießen (!poka}eim) der naturwìchsig erstrebten leiblichen und •ußeren Gìter, steigerbar durch eine mçglichst vollst•ndige „Versorgung“ mit solchen Gìtern. 23 Vgl. Varro nach Antiochos apud Augustinus De civ. XIX c. 3, 38 – 40. 24 Vgl. etwa (in Ciceros lateinischer Wiedergabe) De fin. II 34: „virtute adhibita frui primis a natura datis“; Lucull. 131: „honeste … vivere fruentem rebus iis, quas primas hominis natura conciliet“ (bei den prima naturae handelt es sich um die prim•ren, vor allem leiblich bestimmten naturwìchsigen Strebensziele). – Augustinus setzt seine eigene Konzeption des Glìcks als Gottes-Genießen (fruitio Dei) in ausdrìcklichen Gegensatz zu dieser Konzeption, die ihm durch Varro vermittelt wird (De civ. VIII, c. 8; vgl. XIX, c. 1-3).

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

nur daß Antiochos damit dann auch noch die Autarkie-These in Einklang zu bringen versucht, die bei ArD verworfen wird. Das muß aber keineswegs bedeuten, daß die Aussage in B4a von Antiochos abh•ngig ist. Der Abschnitt B4 ist insgesamt in seiner Begrifflichkeit sehr viel peripatetischer als Antiochos oder der Antiochos sehr nahestehende Abschnitt A3. Bei der fragmentarischen ›berlieferungslage, und angesichts der Tatsache einer Flut von schulm•ßiger und popul•rphilosophischer ethischer Literatur, die im Hellenismus produziert worden ist, ist unser Blickfeld notwendigerweise sehr verengt. Wir haben es im Abschnitt B4 mit einer Deutung aristotelisch-altperipatetischer Vorgaben zu tun, die in Abhebung zum stoischen Rigorismus und im Sinne jener Ann•herung an einen ethischen Commonsense-Standpunkt erfolgt, die eine wichtige Tendenz unter den sich als peripatetisch verstehenden Philosophen und Gebildeten der hellenistischen Zeit dargestellt haben dìrfte.

§ 8. Die „strengere“ Deutung der Glìcksdefinition bei Areios Didymos Betrachten wir nun, wie angekìndigt, auch die ethisch strengere Deutung der Telos-Formel bei ArD. Sie geht besonders pr•gnant aus Formulierungen hervor, die sich in dem Abschnitt B3 finden, der wie A3d (vgl. T3) gegen die Symple¯ro¯ma-These argumentiert: T5 „Die Eudaimonie bilde sich aus den schçnen/edlen (jaka_) und prim•ren/ begìnstigten (pqogco}lemai) Handlungen. Darum sei sie auch durch und durch schçn/edel, so wie auch die T•tigkeit (1m]qceia) an den Flçten durch und durch kunstvoll (5mtewmor) sei. Denn die Hinzunahme des Materialen (rkij\) treibe die Eudaimonie nicht aus der Reinheit des Schçnen/Edlen heraus, so wie auch der Gebrauch der Werkzeuge (eqcama) die durch und durch kunstvolle T•tigkeit der Heilkunst nicht (sc. aus der Reinheit des Kunstvollen heraustreibe). …“ (129, 19 ff.)

Der Unterschied zwischen arete¯-geleiteter und eudaimonischer T•tigkeit wird hier terminologisch pr•gnant so ausgedrìckt (s. a. 131, 12 f.), daß die 1m]qceia jat’ !qet^m mit der jakµ pq÷nir gleichgesetzt wird, w•hrend die Eudaimonie sich aus jaka· ja· pqogco}lemai pq\neir zusammensetze. Der Ausdruck „rkij\“ („das Materiale“) steht fìr die •ußeren und leiblichen Gìter (dazu unten mehr). Aus der Behauptung, daß die Eudaimonie durch und durch, d. h. in allen ihren Teilen, ethisch wertvolles Handeln ist, geht eindeutig hervor, daß es nach der Auffassung der Quelle dieses Textstìckes

§ 8. Die „strengere“ Deutung der Glìcksdefinition bei Areios Didymos

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nicht neben den jaka· pq\neir noch andere pqogco}lemai pq\neir als Bestandteile der Eudaimonie gibt, sondern daß die glìckstiftenden, durch gìnstige •ußere und leibliche Bedingungen ermçglichten pqogco}lemai pq\neir immer auch und zuerst sittlich-wertvolle Handlungen sind. Kçnnte nicht auch ein Vertreter der eben skizzierten „weicheren“ Position dies fìr sich reklamieren, n•mlich unter Hinweis darauf, daß gem•ß seiner Konzeption des Glìcklichen dieser seine •ußeren Gìter genießen, aber dabei doch ein rechtes Maß wahren und damit sowohl im engen (auf kçrperliche Lìste bezogenen) als auch im weiten Sinne des Wortes der Tugend der syvqos}mg Genìge tun wird? Der Vertreter der strengeren Position wird dem entgegenhalten, daß eine solche Einstellung keineswegs im eigentlichen Sinne eine arete¯-geleitete Handlungsweise darstellt, weil eine arete¯-geleitete Handlung sich jeweils dadurch auszeichnet, daß sie durch den sittlichen Charakter dieser Handlung motiviert ist – toO jakoO 6meja, wie es formelhaft bei Aristoteles heißt. Auch das maßvolle Sich-Verhalten, in dem sich die Tugend der syvqos}mg manifestiert, ist beim Spoudaios gem•ß Aristoteles durch eben diesen maßvollen und darum sittlich-schçnen Charakter motiviert (NE III 15, 1119b16).25 Selbstverst•ndlich schließt Aristoteles damit nicht aus, daß der Spoudaios natìrliche Strebungen hat, die •ußere Objekte zum Gegenstand haben, und daß ihm auch diese Objekte Lust bereiten kçnnen. Aber dies ist nicht der Zielpunkt seiner rationalen Handlungswahl, die sich vielmehr in diesem Kontext, etwa bei maßvollem sinnlichem Genuß, an dem sittlichen Moment orientiert (das dann in reflektierender Einstellung zugleich als konstitutives Element des Telos des eigenen Daseins begriffen und gew•hlt werden kann). Den Genuß •ußerer Gìter schlicht um des Genusses willen zu w•hlen w•re dagegen kein produktiver Bestandteil im Lebensentwurf des Spoudaios. Das Pathos, mit dem B3 auf der Reinheit des sittlichen Momentes in der eudaimonischen Praxis insistiert, weist ebenfalls ganz in diese Richtung.26 (Die jakµ ja· pqogcoul]mg pq÷nir kann ìbrigens grunds•tzlich auch die intellektuell-kontemplative Praxis mit einschließen, die das theoretische jak|m zum Gegenstand hat.27)

25 Vgl. oben, Teil I, §§ 9 und 12. 26 Damit steht dieser Passus auch in scharfem Gegensatz zu dem Einleitungssatz (130, 15 – 18) des sich anschließenden Abschnitts B4, den wir oben, in II C, § 6, Anm. 4 analysiert haben und der sicher, wie B4a insgesamt, direkt oder indirekt auf eine andere Quelle zurìckgeht. 27 Vgl. ArD, 132, 17 f.; 144, 5.

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C) Zwei entgegengesetzte jungperipatetische Positionen

Jene oben skizzierte weichere Position, die die Eudaimonie sozusagen auch fìr das Genießen von Gìtern çffnet, die weniger erhaben sind als das sittliche oder theoretische jak|m, •hnelt, wie wir bereits gesehen haben (§ 7), in ihren praktischen Konsequenzen der ethisch laxeren Variante der Symple¯ro¯ma-These. Auch unter den Vertretern der Symple¯ro¯ma-These gibt es ja den Unterschied zwischen einer strengeren und einer laxeren Position: Die einen betrachten die nicht-seelischen Gìter zwar als Bestandteile der Eudaimonie, sehen ihren Beitrag aber als ganz gering und nicht als eine notwendige Bedingung fìr Eudaimonie an, w•hrend die anderen ihnen eine erhebliche Bedeutung fìr die Eudaimonie zuschreiben und sie zu notwendigen Bestandteilen von Eudaimonie erkl•ren. Die bei ArD in B4a (T3) greifbare Position tr•gt zwar dem formalen Einwand gegen die Symple¯ro¯ma-These Rechnung, daß nichts, was nicht seelische 1m]qceia ist, Bestandteil von Eudaimonie qua ausgezeichnetem Modus von Praxis sein kann, kommt aber auch der Intuition der laxeren Vertreter der Symple¯ro¯ma-These entgegen, indem sie das Genießen solcher nicht-seelischen Gìter zu einem wesentlichen Bestandteil der Eudaimonie erkl•rt. Demgegenìber r•umt der Vertreter einer strengeren Position wie der in B3 zwar ein, daß die nicht-seelischen Gìter einen wesentlichen Beitrag leisten, der jedoch nur instrumentell sei, weshalb sie nicht als eigenst•ndige Motivationsgrìnde qua Objekte eines Genießens fungieren kçnnen. Die Debatte hat sich also von der Frage, welche Arten von Gìtern Teil der Eudaimonie sind, zu der Frage verschoben, was fìr Arten von Handlungen, mitsamt ihren Motivationsgrìnden, Teil der Eudaimonie sind.

D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren jungperipatetischen Position § 9. Nicht-seelische Gìter als Material eudaimonischer sittlicher Praxis Als n•chstes werde ich nun die begrifflichen Ressourcen der eben nur erst skizzierten strengeren jungperipatetischen Deutung der Glìcksdefinition n•her ausleuchten. Auch gem•ß der strengeren Position liefern die nichtseelischen Gìter einen Beitrag zur Eudaimonie, und zwar indem sie aus einer sittlich einwandfreien Praxis (jakµ pq÷nir) eine pqogcoul]mg pq÷nir machen. Diese Relation mìssen wir noch genauer fassen. Da sie gem•ß A3d und B3 (vgl. T3 und T5) nicht auf kompletive Weise dazu beitragen, kann es sich nicht um eine Teil-Ganzes-Relation handeln. Von Aristoteles her wird man sogleich an eine im weiteren Sinne instrumentelle Funktion denken. Doch sollten wir uns auf die Ausdrucksweise einlassen, die diese jungperipatetischen Textpassagen selbst gebrauchen. In T3, Absatz (3) (= 126, 16 ff.) wird das Telos ja vage als ein arete¯-geleitetes Leben „in“ leiblichen und •ußeren Gìtern bezeichnet, was ich interpretierend und provisorisch mit „im Rahmen von“ ìbersetzt habe, weil diese Gìter offensichtlich so etwas wie notwendige Rahmenbedingungen einer Praxis sind, die die Qualit•t von Eudaimonie annehmen kann. Damit verbindet sich in Absatz (4) die Feststellung, daß die Eudaimonie eine 1m]qceia jat’ !qet^m sei, die sich in wunschgem•ßen pqogco}lemai pq\neir manifestiere. Nur besagt der Begriff der pqogco}lemai pq\neir fìr uns vorl•ufig nicht mehr, als daß zum arete¯-geleiteten Charakter der Praxis nicht-seelische Gìter hinzukommen, die in einer erst noch zu kl•renden Weise der sittlichen Praxis einen eudaimonischen Charakter verleihen. Auch das weitere begriffliche Instrumentarium, daß uns in den Abschnitten A3d und B3 begegnet, gibt uns noch nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage. Gleichwohl sollten wir uns die dort verwendete Fachterminologie n•her anschauen. Da ist zum einen der Ausdruck der „poigtij± t/r eqdailom_ar“: Weil die nicht-seelischen Gìter durch ihr Vorhandensein (paq|mta 126, 22) zur Eudaimonie beitragen, oder, sch•rfer formuliert, weil durch sie die jakµ pq÷nir zu einer eqdailomijµ pq÷nir erhçht wird, kçnnen sie wie in Absatz (5) von T5 (A3d) als „poigtij± t/r eqdailom_ar“

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

bezeichnet werden, d. h. als solches, was als ein (•ußerer) Wirkfaktor Eudaimonie mit hervorbringt.1 Der Abschnitt B3 erl•utert diese Begrifflichkeit noch etwas genauer (130, 4-12), indem er eine Verknìpfung herstellt mit der bereits von Aristoteles her bekannten Unterscheidung zwischen Teilen (l]qg) und •ußeren Ermçglichungsbedingungen einer Sache (¨m %meu oq dumat|m), die nicht Teile der Sache sind (EE I 2)2. Damit wird auch explizit gesagt, daß die Relation zwischen nicht-seelischen Gìtern und Eudaimonie eine notwendige Beziehung im Sinne hypothetischer Notwendigkeit ist. Aufschlußreicher ist imgrunde ein anderes Detail in B3, n•mlich daß dort die nicht-seelischen Gìter als „Material der Arete¯“ bezeichnet werden (rkij\, vgl. 134, 19: rkij± t_m !qet_m), was im Rahmen einer AnalogieBehauptung geschieht, gem•ß der Werkzeuge sich zur Bet•tigung bestimmter t]wmai analog verhalten wie nicht-seelische Gìter qua rkij\ zur eudaimoniegem•ßen Praxis. Die nicht-seelischen Gìter werden hier also nicht direkt als Werkzeuge der eudaimoniegem•ßen Praxis bezeichnet, wie man das von Aristoteles her erwarten kçnnte,3 sondern als Material, wobei 1 2 3

Zu dieser Terminologie vgl. auch ArD 134, 17 – 19; zum stoischen Gebrauch dieses Begriffs und den sich dabei ergebenden systematischen Problemen (die dieses peripatetische Textstìck nicht betreffen) Graeser 1972b. Vgl. oben, II-A, § 2. Bei Aristoteles selbst, und auch bei seinen sp•teren Kommentatoren, ist es, wie schon gesehen, eher typisch, die •ußeren Gìter als eine Art von eqcama, d. h. als instrumentelle Mittel arete¯-gem•ßer T•tigkeit zu fassen. Daneben findet sich in der aristotelischen Tradition auch die naheliegende Unterscheidung zwischen dem, worauf sich die Handlungen beziehen (peq· û) und was insofern gleichsam ihr Material ist, und den instrumentellen Mitteln der Handlung, die dabei zur Anwendung kommen. Die an dieser Stelle bei ArD gebrauchte Terminologie der rkij\ leitet sich aber sicher aus der stoischen Betrachtungsweise her, gem•ß der die Gìter bzw. pqogcl]ma Material jener 1jkoc^ sind, als deren Kunst die Arete¯ gefaßt wird. Dieser stoische Hintergrund wird durch die Parallele in 134, 17 – 19, best•tigt, wo die rkij\ mit den poigtij\ gleichgesetzt werden in Abhebung zu den tekij\. Dies ist ein stoisches Begriffspaar, das hier peripatetisch gewendet wird, n•mlich dergestalt, daß tekij\ die jat’ !qetµm pqogco}lemai pq\neir sind, poigtij\ dagegen die rkij± t_m !qet_m, was neben dem Material tugendhafter Handlungen im Sinne des peq· f auch die instrumentellen Gìter im engeren Sinne einschließen muß. Immerhin findet sich aber auch bei Aristoteles, in NE I 11, ein Vergleich zwischen dem Spoudaios, der mit •ußeren Gìtern nur schlecht versorgt ist, und einem Schuster, dem nur schlechtes Leder zur Verfìgung steht: So wie der Schuster aus dem Leder, das ihm zur Verfìgung steht, jeweils das Bestmçgliche machen, aber eben keine besseren Resultate hervorbringen wird, als das Material erlaubt, so wird auch der Spoudaios aus dem fìr seine Lebenspraxis gegebenen Material, der •ußeren Ausstattung, jeweils die bestmçgliche Praxis erzielen. Zwar wird das Ergebnis

§ 9. Nicht-seelische Gìter als Material eudaimonischer sittlicher Praxis

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das tertium comparationis darin liegt, daß es sich jeweils um einen •ußeren Ermçglichungsfaktor der Praxis handelt. Diese Charakterisierung der nicht-seelischen Gìter als „Material“ der Arete¯ ist hier insofern aufschlußreich, als sie einen stoischen Hintergrund hat, der uns die Debatte erschließt, in deren Zusammenhang die begriffliche Trennung in B3 zwischen jakµ pq÷nir und pqogcoul]mg pq÷nir ihre eigentliche Pointe gewinnt. Bekanntlich sind Vorteile wie Gesundheit oder Wohlstand fìr die Stoiker zwar nicht im eigentlichen Sinne Gutes, weil sie nicht zum menschlichen Telos bzw. zur menschlichen Eudaimonie beitragen, welche vielmehr allein in Arete¯ grìnde. Sie besitzen aber gleichwohl eine Art von Wert (!n_a), wie sich darin zeigt, daß der Weise, wenn nicht besondere Umst•nde eintreten, die Gesundheit der Krankheit, den Wohlstand der Armut vorziehen wird. Die entscheidende Frage ist natìrlich, wieso er das tun wird, wenn doch diese Vorzìge (pqogcl]ma) indifferent sind mit Bezug auf das Telos menschlichen Handelns. Gem•ß der stoischen Antwort hat dies damit zu tun, daß diesen Vorzìgen der Status der Naturgem•ßheit zukommt: Gesundheit ist ein naturgem•ßer Zustand des Menschen, Wohlstand ist nìtzlich in Hinsicht auf bestimmte naturgem•ße Handlungsweisen, etwa um sich einen guten Arzt leisten zu kçnnen, wenn man krank wird, oder um Freunden zu helfen. Die entscheidende Frage, an der sich dann auch die Kritik der Peripatetiker gegenìber den Stoikern entzìndet, lautet, warum etwas, das in dieser Weise der menschlichen Natur entgegenkommt und eben deshalb auch vom Weisen bevorzugt wird, gleichwohl fìr das menschliche Glìck indifferent sein soll. In Zusammenhang mit dem Vorziehen solcher nichtseelischer pqogcl]ma hat nun schon Chrysipp von 1jkoc^, Auswahl, gesprochen (vgl. SVF III, 491).4 Bei Diogenes von Babylon und Antipater von Tarsos, die immer

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bei einer schlechten Ausstattung sozusagen armseliger sein, aber in der Art und Weise, wie er aus dem Gegebenen das Bestmçgliche macht, wird sich eben doch seine Arete¯ zeigen (1100b33 – 1101a6). Dies ist die Art von Gedankenfìhrung, die es auch von Aristoteles her verst•ndlich machen wìrde, warum in jungperipatetischer Terminologie, im Kontext der Unterscheidung zwischen der sittlich-richtigen und der sittlich-richtigen-und-begìnstigten Praxis die •ußeren Gìter als rkij\ der Arete¯ bzw. ihrer 1m]qceia verstanden werden kçnnen. Allerdings findet sich in dem genannten Passus der NE auch, und zwar an erster Stelle, ein anderer Vergleich (n•mlich mit einem Heer, daß einem Feldherrn zur Verfìgung steht), der die Analogie zu eqcama, d. h. zu instrumentellen Mitteln, nahelegt (siehe dazu etwa Eustratios ad loc., 99, 15 – 100, 10, sowie 85, 5 – 28). Dies ist bei Aristoteles auch sonst das Typische. Siehe hierzu Long 1967, 68 f. (gegen Pohlenz).

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

noch als orthodoxe Vertreter der Stoa gelten kçnnen, wird dieser Terminus dann zu einem Schlìsselelement der Definition des menschlichen Telos. So definiert Diogenes die Eudaimonie als die richtige rationale Einstellung (eqkociste?m) in der 1jkoc^ (Auswahl) bzw. !pejkoc^ (Abwahl) hinsichtlich jener leiblichen und •ußeren Werte (vgl. SVF III, Diog. 44). Noch pointierter legt die zweite fìr Antipater ìberlieferte Telos-Formel die Eudaimonie in das stete, nicht abweichende Bemìhen um Erlangung der naturgem•ßen Vorzìge (vgl. SVF III, Ant. 57) – wohlgemerkt in das Bemìhen, nicht in den Erfolg dieses Bemìhens. Damit ergibt sich aber um so deutlicher das Problem, daß hier scheinbar zwei Zielsetzungen des Lebens in ungekl•rter Beziehung nebeneinander stehen (vgl. Plutarch, De comm. not. 1070F ff.), n•mlich zum einen die Eudaimonie, die in der inneren Haltung unabh•ngig von dem der Tyche¯ ausgesetzten Erfolg liegen soll, zum anderen jene nicht-seelischen natìrlichen Strebensziele, bzw. der durch ihre Verwirklichung ermçglichte jat± v}sim b_or. Veranschaulicht wird diese Problematik anhand des Vergleichs des Weisen mit einem Bogenschìtzen (Cicero, De fin. III 22): Der stoische Weise ist wie ein Bogenschìtze, dem es nicht auf das Treffen, sondern allein auf das regelgerechte Praktizieren seiner Kunst ankommt, wobei das regelgerechte Praktizieren eben darin besteht, sich auf die richtige, kunstvolle Weise um das Treffen zu bemìhen.5 In den Kontext des stoischen 1jkoc^-Begriffs gehçrt auch die Charakterisierung der nicht-seelischen naturgem•ßen Vorzìge als Material (vkg) der Arete¯ bzw. der von ihr praktizierten 1jkoc^ und !pejkoc^.6 Sie sind das Material, mit dem die Arete¯ das menschliche Telos, die Eudaimonie, realisiert, aber so, daß die Arete¯, was immer die Umst•nde sein mçgen, darin ein geeignetes Material fìr ihre Bet•tigung des Vorziehens und Meidens hat. Denn was immer die Umst•nde auch sein mçgen, der Weise wird in der Lage sein, jeweils dasjenige vorzuziehen, was in der gegebenen Situation objektiv das Vorzuziehende ist. An der Richtigkeit 5 6

Vgl. zu Problematik und Hintergrund dieses Vergleiches, neben Long 1967, insbesondere auch Striker 1986. Vgl. Cicero, De fin. III, § 61: prima autem illa naturae … sub iudicium sapientiae et dilectum cadunt, estque illa subiecta quasi materia sapientiae“; Plutarch, De comm not. 1071B (= SVF III, 195): „t]kor l³m c±q t¹ 1jk]ceshai ja· kalb\meim 1je?ma (sc. t± pq_ta jat± v}sim) vqom_lyr· 1je?ma d³ aqt± ja· t¹ tucw\meim aqt_m oq t]kor, !kk’ ¦speq vkg tir rp|jeitai tµm 1jkejtijµm !n_am 5wousa“; SVF III, 114; 115; Alexander (?) Aphr. Mant. 160, 4-7. Nach SVF III, 491 scheint schon Chrysipp in dieser Weise von der vkg sittlich richtigen Handelns gesprochen zu haben.

§ 9. Nicht-seelische Gìter als Material eudaimonischer sittlicher Praxis

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und Gìte dieser inneren, rationalen Haltung zu den Dingen kçnnen die ungìnstigen Umst•nde nichts •ndern. Der Begriff der „1jkoc^“ wird auch im jungperipatetischen Kontext durchaus gebraucht, wie etwa der Abschnitt ArD A3a-b belegt, in dem dieser Begriff sogar zentral ist. Auch fìr den gegenw•rtig erçrterten Abschnitt B3 (vgl. T5) ist zu vermuten, daß, wenn hier die nicht-seelischen Gìter generell als Material der Arete¯ gekennzeichnet werden, im Hintergrund jene Diskussion steht, die sich um die Frage dreht, ob die als F•higkeit zur richtigen „1jkoc^“ verstandene Lebenskunst bzw. Arete¯ ihr Telos (d. h. die Eudaimonie) autark in sich selbst verwirklicht oder dieses erst im tats•chlichen „Treffen“, d. h. im Erlangen und Gebrauchen der naturgem•ßen Vorzìge, verwirklicht. Die peripatetische Gegenposition zur orthodoxen Stoa geht dahin, die Eudaimonie von den •ußeren Erfolgschancen der 1jkoc^ abh•ngig zu machen. Eudaimonie h•ngt dann also davon ab, ob sich die naturgem•ßen Gìter auch tats•chlich erlangen und gebrauchen lassen, was nicht allein in der Macht des guten und weisen Menschen steht, sondern wesentlich durch kontingente Umst•nde mitbestimmt wird. Dies ist der Grund fìr die implizite Unterscheidung in B3 zwischen einer jakµ pq÷nir und einer jakµ ja· pqogcoul]mg pq÷nir, die ihre Entsprechung in A3d (vgl. T3) hat (1m]qceia jat’ !qet^m versus 1m]qceia jat’ !qetµm 1m pq\nesi pqogcoul]mair jat’ eqw^m), wobei der Zusatz „pqogcoul]mair“ wie gesehen darauf zielt, daß sich das arete¯-geleitete Leben, wenn es zugleich eudaimonisch sein soll, „in“ den leiblichen und •ußeren Gìtern, oder, wie es in B4a (132, 8 ff.) heißt, „in den naturgem•ßen Gìtern“ vollziehen muß. Dabei korreliert jene vage Rede von den •ußeren und leiblichen Gìtern als dem Worin („1m“) der eudaimonischen Praxis mit der Auffassung, daß sie das Material der Arete¯ sind und daß die Arete¯ mit diesem Material, wenn es von hinreichender Gìte ist (und nur dann!), die eudaimonische Praxis realisiert. Diese Stoßrichtung der peripatetischen Kritik, so wie sie ausgehend von der auf den Ekloge¯-Begriff fokussierten Kontroverse zwischen Diogenes und Antipater auf der einen und Karneades auf der anderen Seite entwickelt worden ist, spiegelt sich noch in verschiedenen Passagen der dialektisch gegen die stoische Autarkie-These argumentierenden Schrift des Alexander(?) von Aphrodisias wider. So finden wir dort (1) die Verknìpfung der Eudaimonie mit dem „naturgem•ßen Leben“ (jat± v}sim b_or), wobei dieser Begriff im Sinne einer hinreichenden Ausstattung mit außerseelischen natìrlichen Gìtern verstanden wird (Mant. 176, 13 ff.); (2) die Gegenìberstellung zwischen dem nur sittlich guten und dem zugleich auch glìckstiftenden Umgang mit den Gegebenheiten, abh•ngig

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

von deren Qualit•t (ebd. 167, 9 – 13); die Unterscheidung zweier Qualit•ten von arete¯-geleiteter 1m]qceia in Korrelation mit der •ußeren Ausstattung, analog zu den anderen t]wmai, dergestalt daß nur bei gìnstiger Ausstattung auch das Telos erreicht wird (ebd. 160, 31 – 161, 3); sowie die Verbindung der arete¯-geleiteten 1m]qceia mit dem Begriff der 1jkoc^ und dem einer geeigneten vkg, deren Gegebensein die Arete¯ selbst nicht garantieren kann (ebd. 160, 1 ff.). Wenn es also so ist, daß es zwei Qualit•ten sittlicher Praxis gibt, zum einen die sittliche Richtigkeit des Handelns, die auch unter ungìnstigen Umst•nden wie Verfolgung, materiellem Elend, Krankheit, Verlust von Angehçrigen gewahrt werden kann und ein lobenswertes jak|m darstellt, aber das Leben nicht glìcklich macht, und zum anderen eine durch •ußere und leibliche Gìter begìnstigte prim•re Realisierungsform sittlichen Handelns, die glìckstiftend ist, dann kommt alles darauf an, wie sich bestimmen l•ßt, welche Gìter fìr die pqogcoul]mg pq÷nir erforderlich sind. Bei der Interpretation werden wir dann auch die Frage im Auge behalten mìssen, was der Begriff der naturgem•ßen nicht-seelischen Gìter gegebenenfalls zur Lçsung dieses Problems beitr•gt. Es ist ja gerade nicht so, daß die jungperipatetischen Texte in B3 oder A3d, die die strengere Position repr•sentieren, die nicht-seelischen Gìter (bzw. den Genuß dieser Gìter) bloß additiv zur sittlich richtigen Praxis hinzufìgen wollen. Vielmehr soll die sittlich richtige Praxis selbst durch das geeignete Material nicht-seelischer Gìter jene qualitative Steigerung erfahren, durch die sie dann auch eudaimoniegem•ße Praxis ist. Dies kann nur so geschehen, daß diese Gìter einen Bezug zur immanenten Teleologie dieser Tugenden aufweisen. In diesem sp•t-hellenistischen Diskussionskontext kann der Begriff des v}sei !cah|m allerdings nicht mehr strikt vom Telos der menschlichen Entwicklung her bestimmt werden, so wie wir das bei Aristoteles gesehen haben. Die Thematik wird jetzt vielmehr im Lichte der zentralen Fragestellung hellenistischer Ethik gesehen, wie sich die urspìnglichen, naturwìchsigen Strebensimpulse und ihre Objektbereiche zu der Arete¯ verhalten. – Doch dazu sp•ter mehr. Analysieren wir als N•chstes, wie der sp•tere, orthodox peripatetische Kommentator der aristotelischen Ethik, Aspasios, den entscheidenden Begriff der pqogcoul]mg 1m]qceia versteht. Wir finden bei Aspasios, aber auch in den anonymen Scholien zu NE II-V und in einigen ethischen Opuscula des Alexander(?) von Aphrodisias, insgesamt ein sehr viel detaillierteres Material zur Erschließung dieses jungperipatetischen Schlìsselbegriffs, wenn auch gleichsam in der Brechung einer enger am historischen Aristoteles angelehnten Tugend- und Glìckslehre.

§ 10. Der Begriff „pqogco}lemor“

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§ 10. Der Begriff „pqogco}lemor“ und die Spuren der jungperipatetischen Glìcksdefinition bei Aspasios und anderen Kommentatoren Ich habe oben die These formuliert, daß der Ausdruck „pqogco}lemor“ im Kontext der Glìcksdefinition nicht einfach die gìnstige Ausstattung mit nicht-seelischen Gìtern bedeutet, sondern entsprechend seiner Grundbedeutung die sozusagen „erstklassige“ Weise der Bet•tigung einer Arete¯ meint, fìr die aus sachlichen Grìnden die Ausstattung mit •ußeren Mitteln eine Voraussetzung ist. Diese These l•ßt sich durch einen Vergleich mit dem Sprachgebrauch bei Aspasios und einigen anderen sp•teren peripatetischen Texten erh•rten, wobei dieses Wort, im Rahmen der Tugend- und Glìckslehre, in mehreren signifikanten terminologischen Wendungen gebraucht wird, die analysiert werden mìssen. Die Untersuchung der wesentlichen Stellen in diesen Texten, an denen von dieser Begrifflichkeit Gebrauch gemacht wird, ist aber auch generell fìr das Verst•ndnis der aristotelisch-peripatetischen Tugend- und Glìcksethik sehr instruktiv, was zugleich den systematischen Stellenwert dieser Begrifflichkeit untermauert. Allerdings hat dies doch den Charakter einer Spurensuche, da es sich nicht um einen von Aristoteles selbst gebrauchten Terminus handelt und die sp•teren peripatetischen Kommentatoren sich wieder sehr viel enger an die Begrifflichkeit des historischen Aristoteles anlehnen. Ich werde die wesentlichen Stellen durchgehen und dabei jeweils einer kurzen Interpretation unterziehen mìssen, natìrlich in einer systematisch sinnvollen Reihenfolge. Den Ausgangspunkt unserer Darstellung soll die adverbiale Form „pqogcoul]myr“ bilden.7 Diese kommt im Corpus peripatetischer Kommentare des çfteren in der Bedeutung „auf prim•re / eigentliche Weise“ vor, in Antithese etwa zu „deut]qyr“ („sekund•r“)8, zu „jat± sulbebgj|r“ („akzidentell“)9, zu „6petai“ („nachfolgend“)10, zu „5sti d’ ¢r“ („in gewisser Weise“, Aspas. 96, 35). Gerade dann, wenn sie explizit oder implizit in Antithese zu „jat± sulbebgj|r“ oder zum bloß Nachfolgenden gebraucht

7 Vgl. zu diesem Terminus auch Sharples 1990a, 64 f. Anm.; Huby/Rohr 1983; Moraux 1973, 353 Anm. 117; Grilli 1969; Giusta 1961/62; Dirlmeier 1937, 15 – 19; von Arnim 1926, 31 – 33. 8 Z. B. Alex. Aphr., Mant. 150, 11; Anon. In II-V EN 125, 24. 9 Aspasius 145, 7; Alex. Aphr., Mant. 166, 18; 177, 8; Anon. In II-V EN 170, 17. 10 Aspasius 81, 21; Alex. Aphr., Eth. Quaest. 119, 11.

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

wird, kann sie auch spezifisch zum Ausdruck bringen, daß etwas zu etwas in einer notwendigen, wesensm•ßigen Beziehung steht.11 Betrachten wir nun etwas genauer ein Beispiel bei Aspasios fìr die Verwendung von „pqogcoul]myr“ in Bezug auf arete¯-geleitetes Verhalten. Es kommt in seinem Kommentar zu NE III 9, 1115a24-b6 vor (In III EN, 81, 16 – 82, 2), wobei der Problemkontext der folgende ist: Aristoteles erarbeitet eine Definition der Tapferkeit (!mdqe_a), indem er genauer untersucht, was dasjenige potentiell furchterregende ›bel ist, demgegenìber der Tapfere definitionsgem•ß die richtige furchtlose Einstellung hat. In dem genannten Abschnitt gelangt er zu dem Ergebnis, daß im eigentlichen Sinne derjenige als tapfer bezeichnet werde, der Furchtlosigkeit im Angesicht eines edlen, sittlich schçnen Todes an den Tag lege (peq· t¹m jak¹m h\matom !de^r), und zwar vor allem wenn es sich dabei um einen nicht nur edlen, sondern auch plçtzlichen, unvorbereiteten Tod handele, so wie er insbesondere im Krieg eintreten kçnne. In einer zus•tzlichen Bemerkung, deren argumentative Struktur nicht ganz klar ist, grenzt er davon F•lle drohenden Todes ab, in denen sich der Tapfere zwar auch nicht •ngstlich verhalten werde, die aber doch nicht das eigentliche Objekt der Tapferkeit darstellen, weil in ihnen keine Wehrhaftigkeit unter Beweis gestellt werden kann und der Tod kein jak|m ist. Und zwar sind dies Situationen wie Gefahr auf hoher See oder Krankheit. Aspasios arbeitet in seiner Paraphrase den unterschiedlichen Bezug dieser zwei Situationsarten, in denen der Tapfere furchtlos ist, zur eigentlichen Bestimmung der

11 So wird bei Aspasios in 96, 33 ff., festgestellt, daß wir pqogcoul]myr vom Menschen (und nicht von der Seele oder von der Arete¯) aussagen, daß er „von etwas Gebrauch mache“. Hintergrund ist die aristotelische Lehre, daß das eigentliche Subjekt menschlicher T•tigkeiten eben der Mensch und nicht seine Seele oder deren Arete¯ ist. D. h. mit Hilfe dieses Adverbs wird gegenìber einer abgeleiteten und sozusagen uneigentlichen Aussageweise die prim•re Aussageweise herausgehoben, die zum Ausdruck bringt, was das wesensm•ßige Subjekt des Gebrauchens ist. (Bei Aristoteles schließt das definitorische Sein einer natìrlichen Eigenschaft immer auch die Spezifizierung ihres Substrates mit ein.) – In 145, 1 – 14, wird erçrtert, ob die Lustgefìhle, wie sie etwa beim Essen und Trinken auftreten, einer c]mesir / j_mgsir oder einer 1m]qceia zuzuordnen seien: Wir empfinden Lust pqogcoul]myr aufgrund der 1m]qceia eines natìrlichen bzw. seelischen Vermçgens, und nur akzidentell (sulba_mei, jat± sulbebgj|r) ist dadurch auch die j_mgsir der Auffìllung lustvoll. Auch dieses Beispiel macht also deutlich, daß „pqogcoul]myr“, wie bei Aristoteles das „jah’ art|“, eine begriffliche Zuordnung herausstellen kann, die prim•r ist bzw. zum definitionsgem•ßen Sein einer Sache gehçrt, im Gegensatz zu einer nur nachfolgenden bzw. abgeleiteten Verknìpfung.

§ 10. Der Begriff „pqogco}lemor“

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Tapferkeit begrifflich etwas sch•rfer heraus, als dies bei Aristoteles der Fall ist: „Ist nun tapfer, wer hinsichtlich jeder beliebigen Art von Tod furchlos ist, oder nicht? Es wird ja durchaus nicht derjenige als tapfer bezeichnet, der in den ìbelsten Umst•nden oder in den Gefahren auf See oder in Krankheit furchtlos ist, sondern derjenige, der es in den edelsten (j\kkistoi) Todes(weisen) ist. Solche sind die Tode im Krieg fìr die Vaterstadt und die Lieben. Denn fìr jede Arete¯ ist Telos das jak|m, weshalb der Tapfere den Tod fìr das jak|m vorzieht und sich gegenìber diesem Tod furchtlos verh•lt. … Prim•r (pqogcoul]myr) verh•lt sich der Tapfere also furchtlos gegenìber dem edlen (jak|r) Tod. Nachfolgend ist er aber auch auf hoher See und in Krankheiten furchtlos aufgrund der Zurìstung seiner Seele. Allerdings wird deswegen nicht derjenige, der auf hoher See furchtlos ist [gemeint sind die berufsm•ßigen Seeleute], als tapfer bezeichnet. Denn der Tapfere ist nicht aus gleicher Ursache furchtlos wie die Seeleute. Denn die Tapferen werden es auf nicht unedle Weise ertragen, obwohl sie [in einer solchen Situation] an die Rettung nicht mehr glauben und bisweilen sogar Verdruß ausdrìcken angesichts eines derartigen Todes, denn sie wollen nicht umsonst (l\tgm) sterben, sondern so, daß sie dabei ein jak|m verrichten. Die Seeleute dagegen fìrchten sich nicht, weil sie aufgrund ihrer Erfahrung einen guten Ausgang erwarten.“ (81, 18 – 35)

W•hrend also die Seeleute dank ihres besseren Einsch•tzungsvermçgens die scheinbar ausweglose Situation auf stìrmischer See als gar nicht so gef•hrlich erkennen und sich darum nicht •ngstlich verhalten, ist es beim Tapferen die innere, vernunftgem•ße affektive Disposition, die dazu fìhrt, daß er sich auch in dieser scheinbaren Ausweglosigkeit nicht wìrdelos •ngstlich verh•lt. Der springende Punkt dabei ist, daß diese Furchtlosigkeit des Tapferen angesichts eines drohenden sinnlosen Todes nur eine Konsequenz, ein 2p|lemom, seiner inneren seelischen Verfassung („Zurìstung“) ist, deren eigentliches Objekt in etwas anderem liegt, n•mlich in der richtigen affektiven Disposition gegenìber einem sinnvollen, sittlich edlen Tod fìr das Gemeinwesen und die Angehçrigen. Das Adverb „pqogcoul]myr“ dient hier dazu, jenes „prim•re“ und definitionsgem•ße Anwendungsfeld der Tapferkeit, auf das hin diese Tugend finalisiert ist, gegenìber Umst•nden herauszustellen, unter denen sich die Tapferkeit zwar auch in einem sittlich richtigen Verhalten auswirkt (vgl. 82, 1: v]qousi letq_yr), aber nicht ihre eigentliche Bestimmung erfìllen kann. Analysieren wir als n•chstes, ausgehend von dem eben gegebenen Beispiel, die Rede vom pqogco}lemom 5qcom bzw. der pqogcoul]mg 1m]qceia einer Tugend, zuerst anhand von Aspasios’ Kommentar zu NE IV 1, wo es um jene Tugend geht, die den richtigen Umgang mit Geld betrifft und 1keuheqi|tgr (Großzìgigkeit) genannt wird. Aristoteles fìhrt aus, daß die Großzìgigkeit eine Mitte hinsichtlich des Gebens und Nehmens (oder

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

auch Nicht-Annehmens) von Geld bzw. geltwerten Gìtern sei, daß sie sich aber vorzugsweise im Geben bet•tige (1119b25 f.). Letztere These wird in 1120a8 ff. mit verschiedenen Argumenten begrìndet, und zwar unter anderem mit Verweis darauf, daß sich Arete¯ generell im guten Tun und nicht im Empfangen des Guten zeige und sich auch angemessener im aktiven Handeln als im Unterlassen manifestiere. Er weist auch darauf hin, daß dem Geben eher Lob zuteil werde als dem Nehmen, und daß Unterlassen des falschen Annehmens auch in die Dom•ne der Gerechtigkeit falle. Auf diese Punkte beziehen sich die folgenden Formulierungen in Aspasios’ Paraphrase: „Ferner ist es eher Sache der Arete¯, Sittlich-Richtiges (jak\) zu tun als das Sittlich-Falsche nicht zu tun. Denn das Gelobt-Werden ist ihr eigentìmlicher als das Nicht-Getadelt-Werden. Denn beides gehçrt zwar zum Tugendhaften, aber das prim•re Werk (pqogco}lemom 5qcom) liegt doch darin, daß man das Sittlich-Richtige (t± jak\) tut. Deshalb ist das prim•re Werk (pqogco}lemom 5qcom) der Großzìgigkeit das Geben, wie man soll (¢r de? ). Denn dafìr gibt es Lob. Dafìr aber, daß man nicht auf ìble Weise nimmt, gibt es kein Lob, sondern es reicht, daß man nicht getadelt wird. … Ferner ist ihr das Nicht-Nehmen mit der Gerechtigkeit gemeinsam. …, aber das Geben/Schenken von Geld ist den Großzìgigen eigentìmlich. Worin nun das Eigentìmliche der Großzìgigkeit liegt, darauf bezieht sich die Großzìgigkeit. Allerdings darf man diesbezìglich nicht vermuten, Aristoteles meine, daß sich die Großzìgigkeit nicht auch darauf beziehe, davon nicht zu nehmen, wovon man nicht soll, und davon zu nehmen – wenn es denn notwendig ist – wovon man soll, sondern daß das prim•re Werk (pqogco}lemom 5qcom) der Großzìgigkeit – dasjenige, was ihr Spezifikum ausmacht (jah’ d eQdopoie?tai) – das richtige Geben sei.“ (97, 27 – 32; 98, 2 – 9)

Hier ist ganz klar, was die Kennzeichnung eines bestimmten Handlungstyps als das pqogco}lemom 5qcom der Großzìgigkeit meint – an anderen Stellen spricht er ìbrigens in gleicher Bedeutung auch von ihrer pqogcoul]mg 1m]qceia (52, 34; 96, 14): Es ist derjenige Handlungstyp, den man beschreiben muß, wenn man verdeutlichen will, was das Spezifische oder Charakteristische der betreffenden Tugend ist. Der Ausdruck „pqogco}lemor“ bezieht sich hier also wieder, ausgehend von der vagen Grundbedeutung des Prim•ren oder Vorrangigen, auf das, was entsprechend der Wesensbestimmung einer Sache das Prim•re oder Vorrangige ist. Im Falle der Tapferkeit wurde eine Handlungssituation, in der die Tapferkeit ihre eigentliche Bestimmung erfìllen kann, gegenìber einer anderen Handlungssituation herausgestellt, auf die hin die Tapferkeit ìberhaupt nicht konzipiert ist, obgleich sie auch in dieser Situation ein sittlich richtiges Verhalten zur Folge hat. Hier dagegen wird eine (gìnstige Umst•nde

§ 10. Der Begriff „pqogco}lemor“

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voraussetzende) Bet•tigungsweise der Großzìgigkeit als vorrangig gegenìber anderen Handlungsweisen dargestellt, die zwar auch in der Definition der Großzìgigkeit als Mitte hinsichtlich des Gebens und Nehmens von Geld mit eingeschlossen sind, aber doch nur nachrangige Bet•tigungen dieser Tugend qua Tugend sind. In beiden F•llen weisen die Begrìndungen durchaus eine sachliche Gemeinsamkeit auf: Es geht jeweils um die Frage, was die immanente Teleologie einer Tugend erfìllt. Man kann dies auch so ausdrìcken, daß jede Einzeltugend auf das ihr eigentìmliche lobenswerte jak|m hin entworfen ist, die Tapferkeit etwa auf das Ertragen von Todesgefahr bei der Verteidigung des Gemeinwesens und der Angehçrigen, die Großzìgigkeit auf einen Umgang mit Geld, der andere am eigenen Wohlstand teilhaben l•ßt. Die pqogcoul]mg 1m]qceia einer Tugend ist dann jeweils diejenige T•tigkeit, in der sich dieses spezifische Telos der fraglichen Tugend erfìllt. Betrachten wir nun, wie die pqogco}lemai 1m]qceiai der Tugenden mit der Eudaimonie korrelieren. Der folgende Passus gehçrt zu Aspasios’ Kommentar zur Lustabhandlung in NE VII. Zum Problemkontext, auf den Aspasios reagiert, ist zu bemerken, daß in diesem Traktat bekanntlich die hçchste Form der Bdom^ mit der Eudaimonie, und dementsprechend mit dem Letztziel, anscheinend gleichgesetzt wird (VII 14, 1153b7 – 14, vgl. Aspasios 150, 31 ff.), wobei das Letztziel hier als die unbehinderte 1m]qceia aller Tugenden, oder einer bestimmten unter ihnen, definiert wird. Diese Gleichsetzung steht aber im Widerspruch zur Lusttheorie in NE X, gem•ß der die Bdom^ lediglich das vollendende Begleitmoment derjenigen 1m]qceia ist, in der die Eudaimonie grìndet. Aspasios vermutet, daß der Lusttraktat in NE VII eher von Eudemos als von Aristoteles selbst stammen dìrfte, in jedem Fall aber, selbst wenn er von Aristoteles stammt, die Sachlage nicht analytisch genau wie in NE X, sondern nur in einer common sense-Argumentation (1md|nyr) darstelle. Dementsprechend deutet er die Lustdefinition von NE VII so um, daß Lust mit dieser unbehinderten (!melp|distor) 1m]qceia zwar nicht identisch, aber untrennbar verbunden ist. Und zwar begleite die Bdom^ die 1m]qceia der Arete¯ genau dann, wenn diese „unbehindert“ stattfinde (151, 32 f.). Die Charakterisierung „unbehindert“ verbindet Aristoteles selbst mit dem Hinweis, daß zur Eudaimonie auch leibliche und •ußere Gìter, und folglich auch das Glìck im Sinne der Tyche¯, notwendig seien, da sich anderenfalls die 1m]qceia der Arete¯ eben nicht unbehindert entfalten kçnne (1153b17 ff.). Er wendet sich dabei explizit sowohl gegen die Behauptung, daß die Eudaimonie auch dann noch bewahrt werden kçnne, wenn man aufs Rad geflochten wird, als auch gegen die Reduzierung der Eudaimonie auf

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

Eutychie. Diese letzteren Ausfìhrungen paraphrasiert Aspasios nun wie folgt: „Deshalb sagt er (sc. Aristoteles), daß der Glìckliche (eqda_lym) auch der leiblichen und •ußeren Gìter bedìrfe, damit er nicht hinsichtlich der prim•ren Bet•tigungen (pqogco}lemai 1m]qceiai) behindert werde. Und er tadelt dort zurecht diejenigen, die behaupten, daß der Gute glìcklich (eqda_lym) sei, selbst wenn er aufs Rad geflochten wird. Weil der Glìckliche (eqda_lym) auch der Tyche¯ bedarf, glauben manche, daß die Eutychie dasselbe sei wie die Eudaimonie. Sie ist aber nicht dasselbe, sondern erfìllt den Begriff einer (sekund•ren) Ermçglichungsbedingung (ox oqj %meu).“ (152, 2 – 7)

In dieser Paraphrase wird begrifflich genauer gefaßt, was behindert wird, wenn die leiblichen und •ußeren Gegebenheiten ungìnstig sind: eben jene pqogco}lemai 1m]qceiai, d. h. jene Bet•tigungsformen einer Arete¯, die von deren Begriff oder Wesen her die prim•re und eigentliche Aktivierungsform darstellen. Den leiblichen und •ußeren Gìtern, die eine solche prim•re Aktualisierung ermçglichen, wird pr•ziser der technische Begriff einer sekund•ren, externen Ermçglichungsbedingung zugeordnet, so wie wir dies schon von ArD kennen. Zugleich implizieren diese Ausfìhrungen bereits, daß die •ußeren Gìter nur insofern externe Ermçglichungsbedingungen der Eudaimonie des sittlich Guten sind, als sie dazu beitragen, daß sich die jeweiligen Tugenden ungehindert in denjenigen prim•ren Bet•tigungsformen aktualisieren kçnnen, die ihre eigentliche Erfìllung darstellen. Diese pqogco}lemai 1m]qceiai der Tugenden kçnnen, wie ein anonymes peripatetisches Scholion zu EN V 10 zeigt, begrifflich mit bloßen peqistatija· 1m]qceiai kontrastiert werden (Anon. In V EN, 230, 27 – 37). Dabei fließt in leicht nachvollziehbarer Weise der ursprìnglich stoische Begriff des „Umstandes“ (peq_stasir, circumstantia) ein, der dort vor allem im Zusammenhang mit dem Begriff der angemessenen oder geziemenden Handlungsweisen (jah^jomta) seine Bedeutung hat: Eine Handlungsweise, die normalerweise nicht angemessen bzw. naturgem•ß ist, kann unter besonderen, ungìnstigen Umst•nden das Angemessene sein (jah^jomta peqistatij\ SVF III 496). Bei dem peripatetischen Autor wird daraus, ìbertragen auf die unterschiedlichen Qualit•ten der Bet•tigung einer spezifischen Arete¯, die These, daß jene vorzuziehenden (aRqet~teqai) pqogco}lemai 1m]qceiai, in denen zugleich die Eudaimonie begrìndet liegt, nicht ohne leibliche und •ußere Gìter mçglich sind, deren Fehlen nur noch nachrangige peqistatija· 1m]qceiai dieser Arete¯ zul•ßt – was man etwa am Beispiel der Großzìgigkeit so erl•utern kann, daß der Großzìgige, wenn seine pekuni•ren Umst•nde dies erfordern, in der Weise einer peqi-

§ 10. Der Begriff „pqogco}lemor“

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statijµ 1m]qceia von einem Schuldner das ihm geschuldete Geld einfor-

dern wird. Unter den gegebenen Umst•nden trifft er damit die rechte Mitte hinsichtlich des Gebens und Nehmens von Geld, aber es ist dies keine Weise der glìckstiftenden „prim•ren“ Bet•tigung dieser Tugend. In Aspasios’ Kommentar zu NE VII 14 findet sich auch ein Beispiel fìr die Wendung „1m]qceia 1m pqogcoul]moir“, die wir als n•chstes zu kl•ren haben und die in jene Variante der jungperipatetischen Glìcksdefinition eingeht, die bei Aspasios und anderen sp•ten Peripatetikern noch greifbar ist. Grunds•tzlich ist „1m]qceia 1m pqogcoul]moir“ extensionsgleich mit dem Ausdruck „pqogcoul]mg 1m]qceia“, aber es ist zu kl•ren, was dabei die Wendung „1m pqogcoul]moir“ meint: die Handlungen, die diese 1m]qceia ausmachen, oder die Umst•nde, die sie ermçglichen? In 151, 10 ff., heißt es, daß zu jedem Habitus bestimmte unbehinderte 1m]qceiai gehçren. Und hinzugefìgt wird, daß dies im Fall der „besten Habitus“, also der Formen von Arete¯, dann gegeben sei, wenn diese 1m]qceiai, „ohne daß etwas dabei behindert, 1m pqogcoul]moir ja· aRqeto?r stattfinden“.12 Aus dieser Passage allein l•ßt sich allerdings nicht entscheiden, ob jene pqogco}lema, die hier als Vorzuziehendes bzw. Wìnschenswertes bezeichnet werden (aRqet\), die Handlungen meinen, „in“ denen sich die jeweilige Arete¯ aktiviert (vgl. ArD 126, 19 f.: 1m pq\nesi pqogcoul]mair jat’ eqw^m), oder die Umst•nde, Gìter, Rahmenbedingungen, „in“ denen diese Aktivierung mçglich wird (vgl. ArD 126, 17 f; 132, 9 f.). Es gibt aber andere Stellen, die deutlich genug zeigen, daß sich „1m pqogcoul]moir“ auf die Rahmenbedingungen der Handlung, und damit auf jene leiblichen und •ußeren Gìter bezieht, die eine bestimmte Handlungsweise, die die exemplarische Bet•tigungsform einer Arete¯ ist, ermçglichen. Aufschlußreich ist etwa ein Passus in dem dialektischen Opusculum gegen die stoische Autarkie-These von Alexander von Aphrodisias oder aus seinem Umkreis: „Des weiteren: Bei jeglicher Kunst (t]wmg) ist es so, daß die Bet•tigung (1m]qceia) in zweifacher Weise stattfinden kann: einerseits 1m pqogcoul]moir, wie bei der Flçtenkunst, wenn einer kçrperlich gesund ist, Flçten hat, wie er es wìnscht, und von außen ihn nichts bel•stigt; andererseits in Unerwìnschtem (1m !bouk^toir) und solchem, was zum vorher Gesagten gegenteilig ist. 12 An dieser Stelle ist diese Aussage Teil der Protasis eines Argumentes, das Aspasios problematisiert. Aber nicht diese Pr•misse, sondern die nachfolgende Gleichsetzung der Eudaimonie mit einer bestimmten Form von He¯done¯ (151, 13 – 15) wird von Aspasios kritisiert.

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

Wie nun bei den anderen Kìnsten das Telos in jenen Bet•tigungen (1m]qceiai) liegt, die das Erwìnschte betreffen und 1m pqogcoul]moir13 stattfinden, so auch bei der Arete¯, wenn denn auch sie eine Techne¯ ist.“ (Mant., 160, 31 – 161, 3)

Bei den Argumenten dieses Opusculums geht es jeweils darum zu zeigen, daß das Erreichen des Telos auch noch durch andere Gìter als nur die Arete¯ bedingt sein muß. Dementsprechend hat dieses Argument hier die Stoßrichtung, daß, wenn nicht jede Bet•tigung, sondern nur die 1m pqogcoul]moir die Zielbestimmung der Arete¯ erfìllt, folglich die Arete¯ eben nicht autark bei der Verwirklichung ihres Telos ist. Daß die Arete¯ eine Techne¯ sei, dies ist hier nur eine zu dialektischen Zwecken von den Stoikern ìbernommene Voraussetzung. Aus aristotelischer Sicht ist sie selbstverst•ndlich keine Techne¯. Der Vergleich mit der Flçtenkunst kann gleichwohl immer noch einen explikativen Wert im Sinne einer Analogie haben, so wie wir dies ja auch aus Aristoteles’ Ethiken kennen. Fìr uns ist an dieser Passage gegenw•rtig als erstes von Interesse, daß sie zeigt, daß es sich bei den pqogco}lema, von denen in der Wendung „1m pqogcoul]moir“ die Rede ist, in der Tat um die •ußeren und leiblichen Gìter handelt, nicht um die durch sie mit ermçglichten T•tigkeiten selbst. Zweitens best•tigt sie in aller wìnschenswerten Deutlichkeit, daß solche Gìter je in Relation zu der besten Form von Bet•tigung einer Techne¯ oder Arete¯ pqogco}lema genannt werden. Nun ist an dieser Stelle entsprechend dem Diskussionskontext nicht von spezifischen Tugenden die Rede. Wenn wir unseren Blick auf die bei Aspasios gegebene Diskussionssituation, die sich an spezifischen Tugenden und ihrer Teleologie orientiert, zurìckwenden, so ist herauszustellen, daß die pqogco}lema, in denen sich eine pqogcoul]mg 1m]qceia realisiert, nicht irgendwelche gìnstigen Rahmenbedingungen sind, sondern diejenigen, die spezifisch fìr die Erfordernisse der jeweiligen Arete¯ und ihrer prim•ren Aktualisierungsform relevant sind. Dieser Bezug auf die Teleologie der 13 Der edierte Text hat hier die weibliche Form pqogcoul]mair (attributiv zum nachfolgenden „1m]qce_air“). Aber das dìrfte eher ein Kopistenfehler sein, denn mit diesem Text ist das „1m“ in Zeile 2 imgrunde eine ìberflìssige Wiederholung des „1m“ in Zeile 1, und man vermißt zudem den Artikel nach dem zweiten „1m“. Richtiger w•re dann vielmehr dessen Athetese: „t¹ t]kor 1m ta?r peq· t± boukgt± ja· [1m] pqogcoul]mair 1meqce_air.“ Aber vermutlich mçchte der Autor hier ìberhaupt nicht von 1m pqogcoul]moir im vorausgegangenen Satz zu 1m ta?r pqogcoul]mair 1meqce_air ìbergehen, sondern spricht davon, daß das Telos in denjenigen 1m]qceiai liege, die peq· t± boukgt± ja· 1m pqogcoul]moir stattfinden (so auch Cooper 1985, 186 Anm. 17).

§ 10. Der Begriff „pqogco}lemor“

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Arete¯ als solcher oder auf die je besondere Teleologie einer Einzeltugend ist nun auch maßgeblich fìr das richtige Verst•ndnis der Rede von den „erwìnschten“ Dingen (boukgt\), die dem „aRqet\“ bei Aspasios 150, 11 und dem „jat’ eqw^m“ bei ArD 126, 20 entspricht: Es ist hier keineswegs an subjektive Pr•ferenzen zu denken, genauso wenig wie es fìr den Flçtenspieler bloß eine Frage subjektiver Pr•ferenz ist, was eine wìnschenswerte, n•mlich gute Flçte ist. Aus der Teleologie der betreffenden Tugend ergibt sich, was fìr denjenigen, der sich die Zielausrichtung dieser Arete¯ zu eigen macht, geeignete Rahmenbedingungen und dienliche Gìter sind. Da jemand, der Arete¯ uneingeschr•nkt besitzt, die spezifischen „prim•ren“ Bet•tigungsformen von Arete¯ dann und nur dann realisieren kann, wenn auch die darauf bezogenen geeigneten Rahmenbedingungen (das 1m pqogcoul]moir) gegeben sind, besteht zwischen den Ausdrìcken „pqogcoul]mg 1m]qceia“ und „1m]qceia 1m pqogcoul]moir“ eine uneingeschr•nkte öquivalenz. Es ist insofern nur ein kontingenter Umstand, daß die bei den sp•teren Peripatetikern noch greifbare Version der jungperipatetischen Glìcksdefinition formelhaft von „1m]qceia 1m pqogcoul]moir“ und nicht von pqogcoul]mg 1m]qceia spricht. Ein relativ vollst•ndiges Beispiel fìr diese Formel findet sich etwa in einem Opusculum des Alexander(?) von Aphrodisias, das eine Kurzdarstellung der Glìcks- und Tugendlehre enth•lt: Eudaimonie sei „tugendgeleitete Bet•tigung (1m]qceia jat’ !qet^m) der rationalen Seele, zuzìglich des: ,in einem vollst•ndigen Leben‘ – denn nichts Vollkommenes ist in einem Unvollst•ndigen –, und ferner des: ,1m pqogcoul]moir‘, weil die prim•ren (pqogco}lemai) und wìnschenswerten (boukgta_)14 Bet•tigungen Werkzeuge bençtigen.“ (Eth. Quaest. XXV, 148, 29 – 33)

Was Aspasios betrifft, so h•lt er sich, da sein Kommentar weitgehend den Charakter einer Paraphrase hat, an den Stellen, an denen Eudaimonie von Aristoteles ausdrìcklich definiert wird, eng an Aristoteles’ eigene Terminologie. Gleichwohl kommt diese jungperipatetische Version der Definitionsformel bei ihm in verschiedenen Passagen zum Vorschein, u. a. in 26, 14 f., wo er eine Stelle zu erkl•ren versucht (1099b26), an der Ari-

14 Die vom Editor Bruns ìbernommene Konjektur „boukeut\r“ anstelle des in den Codices ìberlieferten „boukgt\r“ ist abzulehnen, da „boukgt\r“ durch die Parallele in Mant. 160, 31 – 161, 3 einwandfrei gerechtfertig ist (vgl. Cooper 1985, 187 Anm. 18; Sharples 1990a ad loc.). Vgl. auch Aspasios 151, 10 ff., und Anon. In V EN 230, 32 ff.

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

stoteles die Definitionsformel nur unvollst•ndig wiedergibt, und als Erg•nzung das „1m pqogcoul]moir“ w•hlt.15 Der T•tigkeit des Guten 1m pqogcoul]moir eignet des weiteren auch jene hçhere Form der Lust oder Freude, die ein inneres, untrennbares Begleitmoment der Eudaimonie ist. Dies wird etwa in dem oben bereits erçrterten Kommentar des Aspasios zu NE VII 14 herausgestellt (151, 26 – 152, 2). Auch seine Deutung von NE I 9, 1099a7 – 31 (22, 15 – 23, 29), verdeutlicht diesen Punkt: Die Bet•tigung der Arete¯ sei fìr den Guten zugleich etwas Lust- bzw. Freudvolles, wenigstens sofern sie, und das ist die entscheidende Einschr•nkung, 1m pqogcoul]moir stattfinde (22, 25 f., 34 f.; vgl. 153, 28 f.). Also nur eine solche arete¯-geleitete Aktivit•t, die unter Bedingungen stattfindet, welche eine „prim•re“ Aktivierungsformen von Arete¯ ermçglichen, bereitet dem Guten jene Freude, die inneres, nicht von außen herkommendes (22, 29 – 35; 23, 16 – 18) Begleitmoment der Eudaimonie ist. Im Hintergrund steht hier natìrlich die grundlegende aristotelische These, daß Kennzeichen wahrer Arete¯ die F•higkeit sei, am sittlich Richtigen bzw. Tugendgem•ßen auch ungetrìbte Freude zu empfinden. Erst diese Haltung, in der das jak|m mit dem Bd} zur Deckung kommt, gew•hrleistet, daß der Betreffende mit sich selbst praktisch eins ist, und d. h. nicht unauflçslichen Konflikten seiner Handlungsmotivation ausgesetzt ist. Allerdings wird die in dieser These liegende ethische Forderung, sich am sittlich Schçnen und Richtigen auch freuen zu kçnnen, jetzt insoweit pr•zisiert, als vom sittlich guten Menschen nicht erwartet wird, daß er sein arete¯-geleitetes Tun unter allen Umst•nden als lustvoll erlebt. Nur die pqogco}lemai 1m]qceiai, in denen sich die Bestimmung der jeweiligen Tugend im prim•ren und eigentlichen Sinne erfìllen kann, sind fìr den sittlich Guten zugleich auch lustvoll. – Um es noch einmal am Beispiel des Großzìgigen zu veranschaulichen: Bedingt durch die negativen Umst•nde wird er seine Arete¯ in angemessener Weise durch das Zurìckfordern von Geld bet•tigen mìssen, aber er wird daran keine Freude haben (vielmehr w•re dies gerade ein Indiz fìr das gegenteilige Laster der Geldgier). Anders hingegen wird er sie bet•tigen kçnnen, wenn gìnstige Umst•nde es ihm ermçglichen, zu einem Zeitpunkt, der ange15 Aristoteles gebraucht in NE 1099b26 die Wendung „xuw/r 1m]qceia jat’ !qetµm poi\ tir“. Aspasios fìllt die durch das „poi\ tir“ markierte Lìcke durch das „1m pqogcoul]moir“ aus (was an dieser Stelle dem von Aristoteles Gemeinten ìbrigens kaum entsprechen dìrfte). Ein weiterer Beleg fìr diese Formel bei Aspasios ist 173, 31 f., wo die laj\qioi und eqda_lomer als jat’ !qetµm 1meqcoOmter 1m pqogcoul]moir bezeichnet werden. Siehe auch 22, 34 f.; 24, 26 f.; 30, 9 – 11.

§ 11. Der systematische Ertrag dieser Begrifflichkeit

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messen ist, und in der richtigen Weise sich bei denen, wo es angemessen ist, als großzìgig zu erweisen. Dies wird ihm ein lustvolles Tun sein und eine lustvolle Selbstwahrnehmung im Bewußtsein der sittlichen Qualit•t seiner Handlung, die er nicht bloß aus Pflicht tut, eine heimliche Geldgier ìberwindend, sondern weil sie durch eben diese Qualit•t fìr ihn attraktiv ist.

§ 11. Der systematische Ertrag dieser Begrifflichkeit im Vergleich zu Aristoteles Diese Analyse der pqogco}lemai 1m]qceiai bzw. des 1meqce?m jat’ !qetµm 1m pqogcoul]moir liefert uns einen klareren Begriff davon, in welcher Weise die nicht-seelischen Gìter als externe Ermçglichungsbedingungen die Aktivierung der Arete¯ selbst steigern kçnnen, statt nur additiv das Glìck sittlichen T•tigseins zu erg•nzen. – Dies war ja unsere Ausgangsfrage (vgl. oben, § 9). – Die Unterscheidung zwischen der 1m]qceia jat’ !qetµm und der 1m]qceia jat’ !qetµm 1m pqogcoul]moir deckt sich dabei vçllig mit der zwischen jakµ pq÷nir und jakµ ja· pqogcoul]mg pq÷nir. Der entscheidende systematische Punkt ist dabei, daß nur eine solche T•tigkeitsweise glìckstiftend ist, die nicht nur sittlich richtig (jat’ !qet¶m, jak^) ist, sondern auch die Teleologie der jeweiligen Arete¯ erfìllt, was passende Rahmenbedingungen voraussetzt. (Dies muß man nicht so verstehen, daß alle T•tigkeiten des Glìcklichen pqogco}lemai sind – aber produktiv fìr sein Glìck sind eben nur pqogco}lemai 1m]qceiai). Gem•ß dieser Position ist der Beitrag der nicht-seelischen Gìter strikt auf ihre im weiteren Sinne instrumentelle Rolle beschr•nkt, durch die sie es ermçglichen, daß sich die sittlich richtige Praxis zu jener prim•ren, eudaimonischen und zugleich lustvollen Aktualisierungsform von Arete¯ steigert. Ist diese neue Terminologie, die in den jungperipatetischen Quellen von ArD greifbar wird und in den sp•teren peripatetischen Texten fortwirkt, systematisch produktiv fìr die Formulierung eines aristotelischen Standpunktes in der Ethik? Aristoteles differenziert ja klar zwischen Arete¯ und 1m]qceia der Arete¯ und ordnet das Telos, und ebenso die lustvolle Selbstwahrnehmung, der 1m]qceia zu. Er macht auch deutlich, daß die 1m]qceia der ethischen Arete¯ ìber die fìr jedes menschliche Leben ìberhaupt erforderlichen lebensnotwendigen Gìter hinaus noch weitere nìtzliche Gìter fìr ihre beste Bet•tigung bençtigt, die jenes jak|m verwirklicht, auf das hin der Lebensentwurf des Spoudaios fokussiert ist und

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D) Die begrifflichen Ressourcen der strengeren Position

aus dem er seine Lebensfreude gewinnt. Aber es ergibt sich dabei doch eine begriffliche Unsch•rfe, die sich insbesondere am Begriff des sittlichen jak|m manifestiert: Daß der Spoudaios nur bei hinreichender „Ausstattung“ mit Gìtern seine Arete¯ in eudaimonischer Weise und lustvoll bet•tigen kann, wird einerseits damit begrìndet, daß er dank der Ausstattung in hçherem Maße jenes jak|m realisieren kann, auf das seine vortrefflichen Charakterpr•gungen ausgerichtet sind. Nun h•ngt aber andererseits die inhaltliche Bestimmung des ethischen jak|m mit der Frage zusammen, welche Art von „Mitte“ der Affekte oder des Verhaltens die jeweilige Tugend ist. Die „Mitte“ ist dabei deckungsgleich mit dem, was die richtige praktische ›berlegung anweist, die auf die konkreten Umst•nde eingeht. Und wenn man diesen Gesichtspunkt isoliert, dann scheint es, daß das ethische jak|m unter allen Umst•nden realisierbar ist, da es ja mit Bezug auf jegliche Umst•nde ein richtiges und angemessenes Verhalten gibt.16 Dies wìrde bedeuten, daß das Moment des ethischen jak|m gar keine durch die Qualit•t der Umst•nde bedingte Steigerung erlauben wìrde, weil alles allein darauf ankommt, die unter den gegebenen Umst•nden angemessene Entscheidung zu treffen – was genau die stoische Position ist. W•hrend die Stoiker in dieser Hinsicht einen begrifflich eindeutigen Standpunkt erreichen, ergibt sich eine Unsch•rfe bei Aristoteles, weil er nicht nur der sittlich richtigen Verhaltensweise unter ungìnstigen Umst•nden den Charakter des jak_r pq\tteim zuspricht, sondern das jak|m zugleich auch mit der Vorstellung von ,attraktiven‘ Handlungssituationen, in denen sich die Teleologie der jeweiligen Tugend unter den ihr angemessen Umst•nden 16 Zur Verknìpfung des ethischen jak|m mit dem Begriff des ¢r de? oder d]om vgl. NE III 10, 1115b11 – 13; 15, 1119b15 – 18; IV 2, 1121a1; 3, 1121b4 f. Das ¢r de? wird des çfteren mit dem Begriff der Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig verknìpft, z. B. II 5, 1106b21 – 23; III 10, 1116a6 f.; IV 2, 1120b31 f.; IV 7, 1123b13 f., wobei dies bekanntlich in gewissem Sinne eine Vereinfachung ist, die mit dem formalen Charakter des Begriffs von der Tugend als einer Mitte zusammenh•ngt. Der Blick auf die Ph•nomene macht eine Differenzierung von Aspekten der Richtigkeit oder Angemessenheit nçtig; vgl. etwa NE II 5, 1106b21 f., wo das d]om (als die zu treffende und gebotene Mitte) in die Aspekte wann?, aus welchem Anlaß?, mit Bezug auf welche Personen? worumwillen? und wie? differenziert wird. Dies ist keine vollst•ndige Liste. Was jeweils die relevanten Aspekte sind, h•ngt vom Handlungstyp ab, um den es geht. Da es auch fìr widrige Situationen und Umst•nde ein Handeln ¢r de? gibt, das die relevanten Aspekte der Situation angemessen berìcksichtigt, kçnnen sich ein gefestigter Charakter und ein ausgereiftes praktisches Beurteilungsvermçgen auch unter solchen Umst•nden bew•hren (vgl. Pol. VII 13, 1332a19 – 20; NE I 11, 1100b30 – 33).

§ 11. Der systematische Ertrag dieser Begrifflichkeit

211

voll entfalten kann, verbindet. In dieser Hinsicht stellt darum die eindeutige Unterscheidung der Jungperipatetiker zwischen jakµ pq÷nir und pqogcoul]mg pq÷nir, und damit zusammenh•ngend zwischen jakµ pq÷nir und eqdailomijµ pq÷nir (131, 12 f., vgl. Alexander Aphr., Mant. 167, 9-13)17, einen konzeptionellen Fortschritt dar. Dies ist sicher auf die Auseinandersetzung mit der stoischen Lehre zurìckzufìhren, die zu grçßerer begrifflicher Klarheit in diesem Punkt zwang. Halten wir als vorl•ufiges Ergebnis unserer Analyse der „strengeren“ Position fest: Die ,sittlich edle‘ Praxis wird eindeutig dem Gesichtspunkt der Richtigkeit und Angemessenheit der Handlungsentscheidungen unter gegebenen Umst•nden zugeordnet und von eudaimonischer sittlicher Praxis unter wunschgem•ß gìnstigen Umst•nden unterschieden – einer Praxis, die das Streben des sittlichen geformten Menschen erfìllt, weil seine Haltung sich in den ihr angemessenen sozialen Bezìgen und mit den ihr angemessenen Wirkungen entfalten kann. (In welcher Abh•ngigkeitsbeziehung diese Perspektive gegebenenfalls zur spezifisch menschlichen Strebensnatur und ihrer Ausrichtung auf bestimmte „natìrliche Gìter“ steht, werden wir noch zu untersuchen haben.) Durch diese Unterscheidung wird es mçglich, die sittliche Wìrde, mit der der Spoudaios sich der Atychie zu stellen vermag, ohne jede Einschr•nkung zur Geltung zu bringen. Des weiteren kann auch die prinzipielle Verwundbarkeit menschlicher Eudaimonie durch unvorhersehbare Schicksalsschl•ge einger•umt und begrìndet werden. Zugleich kann aber gegen die „laxeren“ Varianten der peripatetischen Ethik der ethisch anspruchsvolle Grundsatz aufrechterhalten werden, daß die glìckliche Praxis des Spoudaios ohne Einschr•nkung eine durch sittlich vortreffliche Haltungen (und gegebenenfalls auch durch die theoretisch-kognitive Wahrheitsausrichtung) motivierte Praxis ist.

17 Bei Aristoteles selbst findet sich der Ansatz zu dieser begrifflichen Unterscheidung am deutlichsten in Pol. VII 13, 1332a19 – 21.

E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter im Spiegel der peripatetischen Gìterdih•resen In meinen einleitenden Bemerkungen zu Teil II habe ich bereits kurz auf die begrifflichen und sachlichen Probleme hingewiesen, die mit der Frage zusammenh•ngen, ob und, wenn ja, aus welchen Grìnden bestimmte nicht-seelische Gìter nicht nur instrumentelle, sondern auch selbstzweckhafte (bzw. letztzielhafte) Gìter sind. Diese Problematik spiegelt sich auch in den aristotelischen und peripatetischen Gìterdih•resen wieder, insbesondere in Zusammenhang mit den Begriffen des an sich oder durch sich selbst Erstrebenswerten (jah’ arto aRqet|m, di’ arto aRqet|m). Ich werde darum einige der Gìterdih•resen in Abschnitt C (134, 8 – 137, 12) bei ArD n•her untersuchen, aber auch Aristoteles’ eigene Einteilungen sowie relevante Stellen bei sp•teren Peripatetikern wie Aspasios und Alexander von Aphrodisias in meine Erçrterung einbeziehen. Dabei wird sich herausstellen, daß der Begriff des an sich oder durch sich selbst Erstrebenswerten in zweierlei Bedeutung gebraucht werden kann. Zugleich werden wir auch auf zwei der Sache nach unterschiedliche Auffassungen zum Status der nicht-seelischen Gìter stoßen (§ 12). Meine Darlegungen in § 13 werden dann zu der fìr die Abschnitte II-F und II-G zentralen Frage ìberleiten, ob bestimme nicht-seelische •ußere Gìter fìr uns aufgrund unserer natìrlichen Strebensdispositionen nicht nur nìtzlich, sondern auch um ihrer selbst willen erstrebenswert sind (und zwar auch dann, wenn sie nicht Konstituentien der je eigenen Eudaimonie sein sollten).

§ 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir und die zwei Bedeutungen des „an sich Erstrebenswerten“ Der Dih•resen-Abschnitt bei ArD umfaßt 12 Gìtereinteilungen, die auf den ersten Blick ziemlich willkìrlich aneinandergereiht scheinen. Es besteht in diesem Punkt eine gewisse öhnlichkeit zur kìrzeren Sammlung von Dih•resen in MM I 2, wo ebenfalls der Zusammenhang der Dih•resen undeutlich und ihre Kompatibilit•t fraglich ist. (Die inhaltlichen ›berschneidungen beider Dih•resen-Sammlungen sind allerdings nur partiell.)

§ 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir

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Bei n•heren Zusehen erweist sich, daß in dem Text bei ArD immerhin in Teilen ein sekund•rer systematischer Aufbau versucht wird, der aber einige gravierende sachliche Unvereinbarkeiten nicht aus dem Weg zu r•umen vermag.1 Die Dih•resen lassen sich teils auf Aristoteles und die •ltere Akademie zurìckverfolgen, teils sind sie auch von der Stoa her adaptiert worden. Sie sollen hier nicht in extenso und der Reihe nach, sondern nur in einigen Ausschnitten erçrtert werden, soweit dies mit Blick auf die eben genannte Fragestellung unerl•ßlich ist. Werfen wir zuerst einen Blick auf die Einteilung in C4 (134, 20 – 135, 10), die eine Sequenz von vier sachlich aufeinanderfolgenden Dih•resen erçffnet (C 4-7 in meiner Numerierung). C4 teilt die Gìter (!cah\) ein: t_lia (zu Ehrendes), 1paimet\ (Lobenswertes), dum\leir (,Kr•fte‘, Steigerungspotenzen)2, ¡v]kila (Nìtzliches). Diese Einteilung ist, wenigstens was ihre ersten drei Glieder betrifft, schon bei Aristoteles in NE I 12 nachweisbar, und es spricht m. E. einiges dafìr, daß Aristoteles sie von Eudoxos von Knidos ìbernommen hat. Allemal dìrfte sie aus dem Umkreis der Alten Akademie stammen und wird in NE I 12 als etwas Bekanntes vorausgesetzt. In den MM, die ja vermutlich eine alt-peripatetische Schulschrift sind, findet sie sich in ihrer vollst•ndigen Form referiert (I 2, 1183b19 – 27). Nach dem Zeugnis des Alexander von Aphrodisias kam sie auch in einer Aristoteles zugeschriebenen Dia_qesir t_m !cah_m vor (In Top. III, 242, 4 [= fr. 113 Rose]), die Teil eines grçßeren Dih•resenwerks gewesen sein mag.3 Mit dieser Einteilung wird eine Art Rangordnung von Gìtern aufgestellt, die das zu Ehrende (t_liom) an die Spitze stellt, wobei sich dies, wenigstens in der ursprìnglichen Version dieser Einteilung, auf ein 1

2

3

Sorgf•ltige Analysen dieses Abschnittes finden sich bei Moraux 1973, 365 – 377, und Sharples 1983. Die Konsistenzprobleme und die mutmaßliche Heterogeneit•t der Quellen werden von Moraux besonders deutlich herausgearbeitet, w•hrend Sharples vor allem die systematischen Verbindungen unter den Dih•resen auszuleuchten versucht. Vgl. zu dem Abschnitt auch von Arnim 1926, Giusta 1964/ 67. Die spezifische Bedeutung von „d}malir“ in dieser Einteilung ist schwer zu ìbersetzen, wie gleich noch deutlich werden wird. Es handelt sich jedenfalls nicht um den abstrakten Sinne von „Vermçgen“, sondern um Gìter, durch deren Besitz unsere praktischen Mçglichkeiten gesteigert werden. Vgl. Moraux 1951. In den beiden erhaltenen Versionen der Divisiones Aristoteleae findet sich diese Einteilung nicht.

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E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

hçchstes, gçttliches und darum zu ehrendes Gut bezieht. Aristoles in NE I 12 subsumiert die Eudaimonie unter diese Kategorie.4 An zweiter Stelle folgt das, was man lobt (1paimet|m), n•mlich die Tugenden, die einen Beitrag zur Eudaimonie leisten, ohne schon Eudaimonie zu sein (da ja erst die Bet•tigungen eudaimonisch sein kçnnen). An dritter Stelle stehen die dum\leir – Gìter, von denen der Spoudaios einen guten Gebrauch macht und mit deren Hilfe er seine Eupraxie zu steigern vermag, die aber, wenn sie schlechten Menschen zur Verfìgung stehen, deren Praxis in einem negativen Sinne steigern, d. h. verschlimmern. (MM I 2 nennt die Beispiele Amt/Herrschaft, Reichtum, Kraft, Schçnheit.) An vierter Stelle schließlich steht die Klasse desjenigen, was diese dum\leir hervorbringt oder bewahrt (ArD 134, 24 f., MM I 2, 1183b35 – 37). Bei ArD werden die Gìter dieser vierten Klasse als das Nìtzliche (¡v]kila) rubriziert (siehe auch Aspasios, In I EN, 32, 16; Alexander, In Top. III, 229, 4; 242, 7). Dieses ViererSchema ist, insbesondere was die Erkl•rung des Verh•ltnisses der Begriffe t_liom und 1paimet|m betrifft, sehr explikationsbedìrftig und ergibt vielleicht nur im Kontext der Gìterlehre des Eudoxos einen wirklich guten Sinn.5 Fìr unsere Fragestellung zum Status •ußerer Gìter ist hier aber vor allem der Begriff der dum\leir von Interesse, der bei Aristoteles in dem hier fraglichen Sinn in NE I 12 nur kurz erw•hnt wird (1101b12). In der pe4

5

Zu der ursprìnglichen Fassung dieser Einteilung scheint gehçrt zu haben, daß neben der Eudaimonie die Gottheit als verehrenswìrdiges Gut genannt und die Eudaimonie selbst als etwas Gçttliches bezeichnet wird (NE I 12, 1101b21 – 31, 35 – 1102a4). Wenn dann aber in MM I 2 und bei ArD die Eudaimonie nicht mehr unter den Beispielen fìr t_lia auftaucht (wohl aber bei Aristoteles fr. 113 Rose), so ist hier die ursprìngliche Pointe dieser Einteilung im Kontext der Frage nach dem menschlichen Telos aus dem Blick geraten. Eudoxos hat, wie man aus dem l•ngeren, z. T. wçrtlichen Zitat in NE X 2 in Verbindung mit NE I 12 rekonstruieren kann, die These vertreten, daß es ein umfassendes Gut gibt, nach welchem alles in der Natur, rationale (Menschen, Himmelskçrper) ebenso wie irrationale Wesen, strebt, n•mlich die Bdom^. Dieses hçchste Gut sei etwas Gçttliches und etwas Verehrungswìrdiges (t_liom). Das Lobenswerte sei ein nachgeordnetes Gut, da wir etwas jeweils darum loben, weil es einen Bezug auf das (von Eudoxos mit der Bdom^ gleichsetzte) eigentliche oder hçchste Gute hat. (Von Aristoteles wird dies anscheinend so verstanden, daß die Tugenden gelobt werden, weil tugendgem•ße T•tigkeiten das hçchste Gut realisieren.) Die dum\leir dagegen sind dasjenige, was die Bet•tigung der Tugenden in glìckstiftender Weise mçglich macht. (Vgl. auch Gauthier / Jolif ad I 12 und X 2.) – Aristoteles gebraucht diese Einteilung, um aus der Unterscheidung zwischen der Eudaimonie als einem t_liom und der Tugend als einem 1paimet|m ein weiteres Argument gegen die Gleichsetzung von Eudaimonie und Arete¯ zu gewinnen (vgl. auch EE II 1, 1219b8 – 16).

§ 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir

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ripatetischen Tradition werden unter diesen Begriff typischerweise jene leiblichen und •ußeren Gìter (z. B. ömter, Reichtum, Kraft und Schçnheit, um die Beispielliste aus MM I 2 zu zitieren) subsumiert, die der Spoudaios fìr erstrebenswert halten wird, da sie geeignet sind, seine gute Praxis zu steigern, z. B. indem der Reichtum ihm Mçglichkeiten zur Bet•tigung seiner Freigebigkeit verschafft.6 Obwohl diese Verwendung des d}malir-Begriffs nicht genuin aristotelisch ist7 – und keinesfalls mit der Rede von den dum\leir der Seele, die zu Habitus geformt werden, verwechselt werden darf 8 – wird sie von peripatetischen Texten ìbernommen und gilt auch doxographisch sp•ter als typisch aristotelisch und peripatetisch.9 6

7

8 9

Vgl. mit dem hier erçrterten Passus in ArD (der nur drei •ußere Gìter – Reichtum, ömter, Macht – als Beispiele nennt; 134, 23; s. a. 135, 4 f.; 135, 19 – 136, 1) u. a. MM I 2, 1183b27 – 35; Aspasios In I EN, 32, 12 – 15; Anon. In V EN, 230, 27 – 33; Alexander Aphr. In Top. 229, 6 f. – In anderen Zusammenh•ngen kçnnen auch solche seelischen Gìter unter diesen Begriff subsumiert werden, auf die das Kriterium fìr ein d}malir-Gut zutrifft, n•mlich daß es die gute Praxis des Spoudaios, aber auch die schlechte Praxis eines schlechten Menschen zu steigern vermag. Dieses Kriterium l•ßt sich n•mlich auch auf alle t]wmai im aristotelischen Sinne anwenden (die als kognitive Habitus seelische Gìter sind). Siehe bei Aspasios In I EN, 5, 27 – 29; 6, 5 – 11; vgl. Paraphrast In EN, 22, 18 f.; Eustratios In I EN, 104, 25 – 105, 1. Was den durch die Verweise auf Eudoxos belegten Ursprung dieses Begriffs von d}malir im Umkreis der Alten Akademie betrifft, so sei darauf hingewiesen, daß er mçglicherweise auch in der durch Clemens von Alexandrien ìberlieferten Glìcksdefinition des Xenokrates wirksam ist: Die Eudaimonie bestehe im Besitz der eigentìmlichen !qet^ und der dieser dienenden d}malir (fr. 77 Heinze: „Nemojq\tgr … eqdailom_am !pod_dysi jt/sim t/r oQje_ar !qet/r ja· t/r rpgqetij/r aqt0 dum\leyr“). Signifikant ist auch, daß sich ein Bezug zu dem Definitionsversuch fìr Arete¯ in Platons Menon 77B herstellen l•ßt, wonach Arete¯ darin bestìnde, daß man nach den jak\ strebe und sich ihrer auch erm•chtigen kçnne (dumat|r). Der Definitionsversuch scheitert im Menon zwar, nicht zuletzt aufgrund der begrifflich-argumentativen Unzul•nglichkeiten Menons, und zwar unter anderem, weil er unf•hig ist, die verschiedenen Arten von Gìtern angemessen zu unterscheiden und zu bewerten. Aber rìckblickend liegt es nahe, in platonischaltakademischer Perspektive die Ausrichtung des Strebens auf die jak\ mit der inneren sittlichen Verfassung und ihren edlen Zielsetzungen, die d}malir dagegen mit den •ußeren Mitteln, die es erlauben, die edlen Ziele auch zu realisieren, in Verbindung zu setzen. So ist das dann vielleicht auch in der Xenokratischen Definition gemeint. Zu den mehrfachen Bedeutungen von „d}malir“ in der aristotelischen Ethik vgl. Aspasios In I EN, 5, 23 ff. Vgl. z. B. die polemische Darstellung der Aristotelischen Ethik bei dem Platoniker Attikos, fr. 2, § 18.

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E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

In der sich anschließenden Einteilung C5 (ArD, 135, 1 – 10) werden die ersten drei Glieder von Einteilung C4, also t_lia, 1paimet\ und dum\leir, der Klasse der jah’ art± aRqet\ zugeordnet, das vierte Glied hingegen (dasjenige, was die dum\leir bewirkt oder bewahrt – die ¡v]kila) der Klasse der di’ 6teqa aRqet\. Daß die dum\leir insgesamt unter die jah’ art± aRqet\ bzw. jah’ art± !cah\ (135, 4) subsumiert werden, in Abhebung zu den bloßen di’ 6teqa aRqet\, paßt zwar dazu, daß sie auch in C4 von den bloßen ¡v]kila abgegrenzt werden, ist aber auf den ersten Blick gleichwohl sehr merkwìrdig: Ist nicht z. B. auch Reichtum ein bloß instrumentelles Gut und kann darum nichts selbstzweckhaft Erstrebenswertes, sondern nur ein di’ 6teqom aRqet|m sein? Oder steht der Terminus „jah’ art¹ aRqet|m“ hier gar nicht fìr Selbstzweckhaftigkeit bzw. Letztzielhaftigkeit? (Allemal geht es im Zusammenhang dieser Gìterdih•resen nicht darum, ob etwas faktisch von bestimmten Menschen zu einem eigenst•ndigen Strebensziel bzw. Selbstzweck erhoben wird, was ja etwa bei Reichtum oft genug der Fall ist. Die gesamte Erçrterung im Hintergrund dieser Gìterdih•resen bezieht sich auf das objektiv Gute.) Man hat sich gefragt, ob hier vielleicht signifikant ist, daß nicht vom „di’ art¹ aRqet|m“, sondern vom „jah’ art¹ aRqet|m“ die Rede ist.10 Strenggenommen lautet das terminologische Oppositum zu „jah’ art¹ aRqet|m“ „jat± sulbebgj¹r aRqet|m“, zu „di’ art¹ aRqet|m“ dagegen „di’ 6teqom/%kko aRqet|m“. Aber schon Aristoteles h•lt beide Gegensatzpaare nicht strikt auseinander (vgl. Top. III, 116a29 – 39) und gebraucht „jah’ art¹ aRqet|m“ ohne weiteres auch als Gegenbegriff zu „di’ 6teqom/%kko aRqet|m“ (z. B. NE I 5, 1097a31, 32; X 6, 1176b3, 4 f.). Und dies ist auch in C5 der Fall. Wenn „jah’ art¹ aRqet|m“ aber als Gegenbegriff zu „di’ 6teqom aRqet|m“ gebraucht wird, muß es •quivalent sein mit „di’ art¹ aRqet|m“.11 Was ist also das Kriterium fìr die Klassifizierung als „jah’ art| bzw. di’ art| Erstrebenswertes“? ArD 56, 10 ff. gibt eine Definition, gem•ß der alles dasjenige di’ art¹ aRqet|m ist, „was nicht wegen etwas anderem bewegt oder antreibt“12. Dies meint offensichtlich, daß etwas als es selbst, nicht in Hinblick auf irgendeinen Nutzen, das Streben motiviert (Selbstzweck10 Siehe von Arnim 1926, 58 f., vgl. die kritischen Bemerkungen hierzu bei Moraux 1973, 373 f., Sharples 1983, 146 ff. 11 Dementsprechend wechselt auch Aristoteles ohne Bedenken vom einen zum anderen Ausdruck: vgl. X 6, 1176b6 mit b8 f.; NE VII 6, 1148a29 mit b3. 12 ArD 56, 10 ff.: „di’ 2aut± l³m owm 1stim aRqet\, fsa pq¹r tµm aVqesim art_m oq di’ %kko ti jime? C pqotq]petai“ (vgl. die stoische Definition der jah’ art± kgpt² apud ArD 82, 1-3).

§ 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir

217

haftigkeit). Diese Bedeutung entspricht mit Sicherheit auch der bei Aristoteles in NE I 4 (1096b7 – 27) und I 5 (1097a25 – b6) eingefìhrten. Dabei muß man beachten, daß fìr Aristoteles Selbstzweckhaftigkeit nicht ausschließt, daß etwas zugleich auch um seines Nutzens bzw. seiner Zutr•glichkeit willen erstrebt werden kann. Das einzige strikt nicht mediatisierbare Gut ist die je eigene Eudaimonie. Aber es gibt eben auch andere Gìter, die nicht nur mit Blick auf ihren Beitrag zur Eudaimonie, sondern auch unabh•ngig davon, um ihrer selbst willen, geliebt oder erstrebt werden kçnnen und welche darum auch jah’ art± bzw. di’ art± aRqet\ heißen. Mìssen wir diese Bedeutung der Selbstzweckhaftigkeit auch fìr C5 voraussetzen? Wenn ja, so wìrden die dum\leir hier als selbstzweckhafte Gìter klassifiziert. Betrachten wir, wie in C5 diese Klassifizierung begrìndet wird (135, 3 – 8). Es wird dort das folgende, vielleicht nur unvollst•ndig wiedergegebene Analogieargument gebraucht: So wie Gesundes oder Gesundheitliches (rcieim\) dasjenige sei, was ein Arzt zu erlangen und gebrauchen suche (und zwar, so kçnnen wir erg•nzen, mit Blick auf die Gesundheit), so sei das jah’ art¹ !cah|m solches, wovon der Gute (mit Blick auf die Eudaimonie?) einen guten Gebrauch machen kann.13 Diese Begrìndung weist nun in eine ganz andere Richtung als die der Selbstzweckhaftigkeit: Wie immer man das Argument zu rekonstruieren versucht, es scheint jedenfalls darum zu gehen, daß die Bezeichnung „gut“ (bzw. „an sich gut“) auf dasjenige angewendet wird, von dem der Spoudaios (bzw. der !cah¹r !m^q) einen guten, glìcksfçrdernden Gebrauch machen kann. Dies bedeutet selbstverst•ndlich nicht, daß darum alles, was fìr den Spoudaios zutr•glich ist, zugleich auch ein selbstzweckhaftes Strebensobjekt sein muß. Mehr als Dienlichkeit bzw. Tauglichkeit fìr die Zwecke eines vortrefflichen Menschen ist in diesem Argument nicht impliziert. Dies wird auch durch die sich anschließende Dih•rese C6 (135, 11 – 16) best•tigt, die die jah’ art± !cah\ in die zwei Klassen der Ziele (t]kg) und Nicht-Ziele (oq t]kg) einteilt. Daran ist fìr uns jetzt vor allem interessant, daß der Ausdruck „jah’ art¹ !cah|m“ hier so aufgefaßt wird, daß er solches umfassen kann, was ausdrìcklich nicht zielhaften Charakter hat. Dies untermauert die These, daß die Begriffsopposition „jah’ art¹ versus di’ 6teqom aRqetºm / !cah|m“ hier in einem Sinn gebraucht wird, bei dem es nicht spezifisch um Letztzielhaftigkeit geht, sondern gem•ß dem auch 13 Der entscheidende Satz lautet auf Griechisch: „ja· oXr d}matai ew wq/shai !cah|r, jah’ art± !cah± pevuj]mai, ¦speq rcieim\, $ ja· fgt^seiem %m b Qatq¹r ja· d}matai wq/shai.“ (135, 6 – 8; Text nach von Arnim 1926, 52; s. a. Sharples 1983, 155 Anm. 35).

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E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

dasjenige, was von sich her eine Dienlichkeit fìr den Guten hat, als ein an sich Gutes und Erstrebenswertes bezeichnet werden kann.14 Diese nur bei oberfl•chlicher Betrachtung merkwìrdige aristotelische Terminologie, die das fìr den Guten Zutr•gliche als etwas an sich und durch sich selbst Erstrebenswertes und Gutes faßt, h•ngt mit Aristoteles’ Begriff des schlechthin Guten ("pk_r !cah|m) und von Natur aus Guten (v}sei !cah|m) zusammen (vgl. dazu oben, I-B, § 5). Der Begriff des "pk_r !cah|m, des einfachhin oder schlechthin Guten, bezieht sich in der aristotelischen Ethik nota bene immer auf das Gut des Menschen, nicht auf ein in metaphysisch-naturtheoretischer Perspektive gegebenes schlechthin Gutes. Der Gegenbegriff ist das, was gut ist je nur fìr einen bestimmten Menschen (!cah|m timi).15 Vom !cah|m timi ist bei Aristoteles in terminologischer Bedeutung immer dann die Rede, wenn etwas nur aufgrund eines bestimmten Fehlers oder Mangels dieses Menschen das fìr ihn Bessere und Zutr•gliche ist. Ein typisches aristotelisches Beispiel ist etwa das „Geschnittenwerden“ (vgl. Top. III 1, 116b8 – 10): Schlechthin (ohne einschr•nkende Qualifikation) ist dies kein Gut fìr einen Menschen, sondern nur unter bestimmten Umst•nden und darum eben nur jeweils fìr einen solchen Menschen, bei dem diese Umst•nde gegeben sind, z. B. wenn er an einer bestimmten Krankheit leidet, bei der ein Schnitt Linderung schaffen kann. Ein anderes Beispiel ist, daß Armut fìr einen Menschen, der sittlich nicht gefestigt ist, zutr•glich sein kann, indem sie ihn von einem ausschweifenden Lebenswandel abh•lt. Hingegen ist Reichtum ein Gut schlechthin, weil der fehlerfreie Mensch, der Spoudaios, davon guten Gebrauch machen kann. Kriterium fìr das schlechthin Gute ist also, was fìr den Spoudaios zutr•glich ist.16 Wieso ist nicht auch der Reichtum ein bloßes !cah|m timi, n•mlich fìr einen charakterlich gut verfaßten Menschen? Keinesfalls geht es darum, was das statistisch Normale ist. Den Maßstab liefert der Spoudaios, und der ist fìr Aristoteles eher ein seltener Fall. Er ist aus dem Grund die Norm, weil in ihm das Menschsein in seiner Vollendung vorliegt und weil das, was schlechthin (fìr Menschen) gut ist, in Aristoteles’ teleologischer Perspektive daran zu messen ist, was fìr den das 14 Als Beispiele fìr Nicht-Ziele werden eine gute Veranlagung (eqvu_a) sowie Lernvorg•nge und Wiedererinnerungen (lah^seir, !malm^seir) genannt. Offensichtlich geht es darum, daß letztere jeweils nur Vorstufen zu etwas anderem sind, welches als Ziel intendiert wird: gute Veranlagung ! Tugend; Lernvorg•nge ! Wissen. 15 Siehe NE VII 13, 1152b26 f.; V 2, 1129b2 f.; EE VII 2, 1235b30 – 35; Top. III 1, 116b8 – 10. Vgl. auch die Erl•uterung bei Alexander In Top. III, 232, 17 – 25. 16 Vgl. EE VII 2, 1236b32 ff.; NE V 2, 1129b4-6.

§ 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir

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Menschsein vollendenden Menschen zutr•glich ist. Hieraus erkl•rt sich dann auch, warum Aristoteles als öquivalent zu „"pk_r !cah|m“ die Rede vom „v}sei !cah|m“ gebrauchen kann: Daß der Spoudaios die Norm vollendeten Menschseins ist, kann n•mlich im Sinne von Aristoteles’ teleologischem Naturbegriff auch so ausgedrìckt werden, daß in ihm die menschliche Natur qua Telos Wirklichkeit geworden ist. Dementsprechend sind die Gìter, die diesem Menschen zutr•glich sind, die naturgem•ßen Gìter des Menschen (v}sei !cah|m).17 Die Rede vom an sich (jat’ art|) oder durch sich selbst (di’ art|) Erstrebenswerten kann bei Aristoteles als öquivalent zum Begriff des schlechthin Guten in der erl•uterten Bedeutung fungieren, also das bezeichnen, was auf nicht-akzidentelle Weise durch seine ihm eigene Qualit•t etwas fìr den (fehlerlosen) Menschen Gutes und Zutr•gliches ist.18 Da aber Aristoteles vom „jah’ art¹ aRqet|m“ bzw. „di’ art¹ aRqet|m“ in anderen Kontexten auch im Sinne der Letztzielhaftigkeit sprechen kann, wie wir eben bereits gesehen haben (z. B. in NE I 5), werden diese Ausdrìcke in der aristotelischen Tradition folglich •quivok und kontextabh•ngig gebraucht. Wie verh•lt sich dazu der Begriff der dum\leir ? Den dum\leir eignet ja eine charakteristische Zweischneidigkeit, da sie eine steigernde Wirkung sowohl fìr die sittliche Praxis des Spoudaios als auch – im Negativen – fìr die verwerfliche Praxis des sittlich Schlechten haben (z. B. MM 1183b28 – 32; ArD 135, 17 – 136, 8; Aspasios, In I EN 32, 13 – 15; Anon., In V EN 230, 27 – 32). Dies kçnnte so gewendet werden, daß es sich bei den dum\leir ìberhaupt nicht um genuine Gìter handelt. Das jedenfalls ist die Stoßrichtung des sokratischen Gebrauchs-Argumentes (vgl. Euthd. 280Bff., Men. 87Eff.), welches sp•ter die Stoiker aufnehmen werden. Aristoteles betont dagegen, daß diese Gìter, auch wenn sie eo ipso nicht alle den Status selbstzweckhafter Strebensobjekte beanspruchen kçnnen, gleichwohl genuine Gìter sind. Darum sind sie in aristotelischer Per17 Vgl. I-B, § 5, mit Belegen. 18 Diese Bedeutung ist wohl auch fìr die Einteilung der Gìter bzw. Gegenst•nde von Freude in NE VII 6 (1147b23 – 31, 1148a22-b4; vgl. Gauthier/Jolif 1970, II-1, 623 f., 626) anzusetzen, die den Reichtum unter die jah’ art± bzw. di’ art± aRqet\ z•hlt, wodurch sich ein scheinbarer Widerspruch zu der Einteilung in I 5 ergibt, die Reichtum als Beispiel fìr ein bloßes di’ 6teqom aRqet|m nennt. In I 5 geht es aber um Selbstzweckhaftigkeit, und wenn man davon die andere Bedeutung unterscheidet, in der das von sich her dem Menschen Zutr•gliche gemeint ist, lçst sich der scheinbare Widerspruch auf. Denn Reichtum ist fìr den Menschen (in seiner Vollendungsgestalt) kein selbstzweckhaftes Gut, aber entsprechend seinen funktionalen Qualit•ten etwas von sich her Zutr•gliches.

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E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

spektive "pk_r oder v}sei !cah\ und damit zugleich auch, in dem erl•uterten Sinne, jah’ art± bzw. di’ art± aRqet\. Diese Interpretation wird auch durch die Analyse der sp•teren peripatetischen Kommentatoren best•tigt, denen die eben erçrterten Probleme sehr wohl bewußt sind. So fragt sich Aspasios (11, 4-8) mit Blick auf eine Stelle in NE I 3, an der Aristoteles den Reichtum als etwas bloß Nìtzliches charakterisiert, das man um einer anderen Sache willen anstrebt, wieso Aristoteles an anderen Stellen den Reichtum als ein di’ art¹ aRqet|m bezeichne. Sein Lçsungsvorschlag lautet wie folgt: Insofern Reichtum zum „naturgem•ß verfaßten (Menschen)“ (womit er den Spoudaios meint) paßt und fìr diesen schlechthin gut ist ("pk_r !cah|m), sei es auch ein di’ art¹ aRqet|m. Insofern er aber ein Werkzeug fìr den Guten ist, sei er um einer anderen Sache willen erstrebenswert. – Im Kern ist dies bereits die von uns eben skizzierte Unterscheidung zwischen zwei Bedeutungen der Rede vom „di’ art¹ aRqet|m“, zum einen im Sinne eines eigenst•ndigen, selbstzweckhaften Strebenszieles und zum anderen als öquivalent zum Ausdruck „"pk_r !cah|m“, dessen Definition als des Zutr•glichen fìr den guten (bzw. fìr den die menschliche Natur vollendenden) Menschen einschl•gig ist und des çfteren in peripatetischen Texten begegnet.19 19 Einen weiteren bedeutenden Beleg dafìr, daß man sich in der hellenistischen philosophischen Debatte ìber diese öquivokation im klaren war, liefert eine fìr den Stoiker Diogenes von Babylon ìberlieferte Distinktion, auf die Wachsmuth in seiner Edition hinweist. Und zwar hat Diogenes die zwei fraglichen Bedeutungen in stoischer Ausdrucksweise so unterschieden (ArD 64, 13 – 17 [= SVF III, fr. 48 Diog]): In der einen Bedeutung meint „di’ art± aRqet\“ die „tekij_r aRqet\“, in der anderen dasjenige, „was in sich selbst den Grund dafìr hat, daß es erstrebenswert ist“ (fsa 1m arto?r 5wei tµm aQt_am toO aRqet± eWmai). Die tekij_r aRqet\ (= tekij\) sind das zielhaft Erstrebenswerte, w•hrend die Formel: „was in sich selbst den Grund dafìr hat, daß es erstrebenswert ist“, sich auf alle poigtij\ beziehen l•ßt, insofern sie von sich her eine Qualit•t haben, durch die sie zur Eudaimonie beitragen. Dies ist, mutatis mutandis, die gleiche Unterscheidung wie bei Aspasios und Alexander. – Nur auf dieser Grundlage kann im ìbrigen der (hier nicht referierten) Einteilung in C3 (134, 17 – 19) ein guter Sinn abgewonnen werden. Sie lehnt sich stark an stoische Begrifflichkeit an, aber sozusagen mit einer peripatetischen Pointe: Die di’ art± aRqet\ werden in tekij\ und pogtij\ eingeteilt, wobei erstere mit den arete¯-geleiteten pqogco}lemai pq\neir, letztere mit den rkij± t_m !qet_m gleichgesetzt werden, bei denen es sich, wie wir schon wissen, um die naturgem•ßen nicht-seelischen Gìter handelt, von denen die arete¯-geleitete Praxis guten Gebrauch macht. (tekij\ sind gem•ß den stoischen Begriffseinteilungen solches, was zum Telos, der Eudaimonie, mit dazugehçrt, w•hrend die pogtij\ dazu beitragen, daß Telos hervorzubringen, ohne ihm anzugehçren. Vgl. Rieth 1934,

§ 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir

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Alexander von Aphrodisias unternimmt in einem Passus seines TopikKommentars den Versuch, diese öquivokation zu beseitigen, indem er einerseits den Begriff des „jah’ art¹ aRqet|m“ so definiert, daß er mit „"pk_r !cah|m“ •quivalent ist, und andererseits die Bedeutung der Selbstzweckhaftigkeit fìr den Ausdruck „di’ art¹ aRqet|m“ reserviert (230, 6 – 231, 14; zu Top. III 1, 116a31 ff.). Dabei spielt auch wieder das Problem hinein, ob der Reichtum etwa auch ein selbstzweckhaftes Gut ist, wie eine von Alexander in 229, 2 ff. referierte Dih•rese zu behaupten scheint. Gem•ß Alexanders Kl•rungsversuch ist etwas jah’ art¹ aRqet|m genau dann, wenn der Grund seiner Dienlichkeit in seiner eigenen Natur liegt, und dazu braucht es nicht etwas um seiner selbst willen Erstrebenswertes zu sein.20 (Das ist mehr oder weniger die gleiche Erkl•rung, die Aspasios in 11, 4 ff. [s. a. 162, 4 ff.] fìr eine der beiden Bedeutungen von „di’ art¹ aRqet|m“ gegeben hat.) Wieso ein Gut wie Reichtum den Grund seiner Dienlichkeit in seiner eigenen Natur hat (w•hrend etwa Armut nur akzidentell ein Gut ist), wird an einer anderen Stelle von Alexanders Kommentars zu Top. III 1 etwas genauer auseinandergesetzt: „[Die Feststellung,] niemand sch•tze den Reichtum seiner selbst wegen (di’ art|), sondern wegen etwas anderem, hebt nicht [die Feststellung] auf, daß der Reichtum durch seine eigene Natur erstrebenswert sei. Insoweit er n•mlich ein Werkzeug ist, ist er etwas derartiges [d.h. ist er etwas, das wegen etwas anderem gesch•tzt wird]. Insoweit es aber in seiner eigenen Natur grìndet, daß er fìr den Spoudaios in Hinblick auf die arete¯-gem•ßen Bet•tigungen ein Werkzeug ist, und nicht [erst] durch den Spoudaios ein Werkzeug in Hinblick auf die arete¯-gem•ßen Bet•tigungen wird, ist er jah’ art|m gut und erstrebenswert. Denn daß er nìtzlich ist, grìndet in seiner eigenen Natur. Daß n•mlich nicht der Spoudaios ihn zu etwas derartigem macht, ergibt sich klarerweise daraus, daß er die Armut nicht zu etwas derartigem machen kann, obwohl er auch von ihr Gebrauch machen kann, und ferner daraus, daß er den Reichtum der Armut vorzieht.“ (243, 2 – 11) 23; Graeser 1972b). Dies wìrde, wenn „di’ art± aRqet|m“ nur im Sinne der Selbstzweckhaftigkeit verstanden werden kann, wiederum zu dem merkwìrdigen Ergebnis fìhren, daß alles, was geeignet ist, zur Verwirklichung des Telos beizutragen, zugleich auch um seiner selbst willen erstrebenswert sein soll. Wenn wir uns dagegen an die Formel halten: „was in sich selbst den Grund dafìr hat, daß es erstrebenswert ist“, so kann sich dies in der Tat auf alle pogtij\ beziehen, insofern sie eben von sich her eine Qualit•t haben, die ihre Dienlichkeit begrìndet. 20 Vgl. 231, 6-8 (mit Bezug auf Reichtum und die anderen „aqcamij± !cah\“, 231, 5): „Der Reichtum ist n•mlich jah’ art| (ein Gut), weil er durch seine eigene Natur ein Werkzeug schçner/edler Bet•tigungen ist (1m]qceiai jaka_), aber nicht di’ art|, weil jegliches Werkzeug (eqcamom) wegen anderem erstrebenswert ist (di’ \kko aRqet|m).“

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E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

Dieser Passus enth•lt imgrunde mehrere Argumente zur Explikation der These, daß hier eine Qualit•t in der Sache selbst vorliegt, die sie als ein Gut auszeichnet. Begnìgen wir uns mit dem Hinweis darauf, daß der Kerngedanke jedenfalls darin liegt, daß die werkzeughaften Gìter von sich her eine Tauglichkeit und Dienlichkeit aufweisen und nicht nur durch akzidentelle Umst•nde bedingt zweckdienlich sind. Der Bezug auf das menschliche Wohl muß dazu jeweils schon in dem ad•quaten funktionalen Begriff der Sache qua „Werkzeug“ angelegt sein. Diese Form der Erkl•rung l•ßt sich auf alle anderen dum\leir ìbertragen (und ist auch fìr eine der beiden Grundbedeutungen des •quivoken Begriffs „di’ art¹ aRqet|m“ relevant). Kommen wir auf unseren Ausgangspunkt, die Gìterdih•resen C4 und C5, zurìck. Es scheint, daß sich durch Verweis auf die schon fìr Aristoteles zu belegenden Bedeutungsunterschiede in der Rede vom an sich Erstrebenswerten die Probleme haben ausr•umen lassen. Aber warum wird eigentlich in C4-5 die von den dum\leir abgegrenzte vierte Gìterklasse der (bloßen) di’ 6teqa aRqet\ auch als Klasse der (bloßen) ¡v]kila bezeichnet? Mìßte nicht auch Reichtum als eine bloßes ¡v]kilom bezeichnet werden, da doch Reichtum ein (von sich her geeignetes) instrumentelles Gut ist? Die Charakterisierung der vierten Klasse als bloße ¡v]kila ist zumindest eine sehr mißverst•ndliche Terminologie, weil sie doch nahelegt, daß alles andere, auch dum\leir wie Reichtum und Macht, etwas nicht bloß instrumentell (durch Dienlichkeit), sondern selbstzweckhaft Gutes ist. Der Text in C5 gibt zwar durch die Begrìndung, die er liefert und die wir oben analysiert haben, der Einteilung einen hinl•nglich klaren Sinn. Aber es handelt sich doch um eine terminologische Merkwìrdigkeit. Und da hier tradierte Einteilungen wiedergegeben werden, muß man sich fragen, ob uns in diesem Detail nicht die Spuren einer anderen Theorie begegnen. Die Schwierigkeit best•tigt sich, wenn man zwei sp•tere Texte bei Aspasios und bei Alexander hinzunimmt, die ebenfalls die Einteilung der Gìter in t_lia, 1paimet\, dum\leir und ¡v]kila referieren. Dort findet sich die Verknìpfung dieser spezifischen Gìtereinteilung mit den Begriffen des di’ art| und des di’ 6teqom aRqet|m, und zwar so, daß die (bloßen) ¡v]kila gleichgesetzt werden mit dem, was immer nur um eines anderen willen erstrebt wird (!e· di’ 6teqa aRqet\ Aspasios 32, 16 – 18; vgl. Alexander Aphr., In III Top. 229, 3 f.), w•hrend es von den 1paimet\, z. B. den Tugenden, aber auch von den dum\leir einschließlich des Reichtums heißt, daß sie sowohl di’ 6teqa als auch di’ art± aRqet\ seien (Alexander Aphr.,

§ 12. Nicht-seelische Gìter als dum\leir

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ebd. 229, 5-7)21. Dies best•tigt zun•chst einmal nur, daß es ein im Peripatos tradiertes Lehrstìck gewesen ist, daß die Klasse der dum\leir als ganzes in der Kategorie von Gìtern eingeschlossen ist, die jeweils auch ein di’ art¹ aRqet|m sein kçnne. Zu denken gibt nun aber die Tatsache, daß zugleich eine Verbindung zu dem Lehrstìck hergestellt wird, wonach die Tugenden sowohl um ihrer selbst willen als auch mit Blick auf ihren Beitrag zur Eudaimonie erstrebenswert seien (ebd. 229, 5 f.). Denn in dem systematischen Kontext, in dem dieses Lehrstìck entwickelt wird (siehe v. a. NE I 5), geht es eindeutig darum, daß den Tugenden neben ihrer Dienlichkeit fìr die Eudaimonie auch ein selbstzweckhafter Status zukommt. Es ist dort also vom di’ art¹ aRqet|m im Sinne des Selbstzweckhaften (d. h. um seiner selbst willen Erstrebenswerten) die Rede. Dann mìßte aber auch die Charakterisierung der dum\leir als di’ art± aRqet\ in diesen beiden Passagen bei Aspasius und Alexander im Sinne der Selbstzweckhaftigkeit verstanden werden, wenn wir es nicht schlicht mit einer Begriffskonfusion zu tun haben. Letzteres sollte man natìrlich nicht ohne Not voraussetzen. Dies sind also Indizien fìr das Vorhandensein einer Tradition, die die d}maleir insgesamt nicht nur als instrumentelle, sondern als genuin zielhafte Gìter versteht. (Dabei wird natìrlich zugleich auch ihre Zutr•glichkeit fìr die Eudamonie herausgestellt. Der springende Punkt ist, daß alle diese Gìter, auch der Reichtum, jeweils auch um ihrer selbst willen erstrebenswerte Gìter sind.) Diese Tradition kçnnte beispielsweise auf ein Mißverstehen des aristotelischen Begriffs des "pk_r !cah|m zurìckgehen. Oder gibt es bei Aristoteles selbst einen Ansatzpunkt fìr diese Sichtweise? Den gibt es durchaus, und zwar in Rhet. I 5-6.22 Dies l•ßt sich am besten wiederum am Beispiel des Reichtums erl•utern. Bereits in Rhet. I 5 wird der Reichtum unter den „Teilen“ der Eudaimonie aufgelistet (1360b19 f., vgl. b4-7, b24 ff.) und in 1361a12 ff. als eines dieser Teile der Eudaimonie n•her erçrtert. In I 6 wird er dann wieder erw•hnt, und zwar im Zusammenhang einer Liste von Gìtern, bei denen, wo das mçglich ist, zwischen dem Aspekt, daß es sich um eine !qet^ handelt, und dem, daß das fragliche Gut andere Gìter hervorbringt (poigtij|m), unterschieden wird. Der Aspekt, eine Arete¯ zu sein, scheint dabei mit dem Aspekt, ein jah’ art| 21 Aspasios sagt in dem fraglichen Passus 32, 9 ff. zwar nicht ausdrìcklich, daß die dum\leir sowohl um ihrer selbst willen als auch wegen etwas anderem erstrebenswert sind, aber daß sie jedenfalls auch um ihrer selbst willen erstrebenswert sind, ist darin impliziert, daß die vierte Gìterklasse exklusiv als !e· di’ 6teqa aRqet\ charakterisiert wird. Vgl. Sharples 1983, 155 Anm. 36 22 Vgl. von Arnim 1926, 60 – 62.

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E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

aRqet|m zu sein, assoziiert zu werden.23 Vom Reichtum heißt es, daß er die

Arete¯ des Besitzes sei und vieles hervorbringe.24 Als Arete¯ des Besitzes (s. a. Pol. I 13, 1259b20 f.)25 steht er in Analogie zu den seelischen Tugenden als !qeta· xuw/r (1362b13 f.) und zu kçrperlichen Vorzìgen als !qeta· s~lator (b15). Es ist zumindest mçglich, die in Rhet. I 6 implizierte Position so aufzufassen, daß diese Bereiche von Arete¯ als ,Bestheiten‘ je unterschiedlicher Aspekte des einer Person Eigenen je um ihrer selbst willen erstrebenswert sind und daß sie als solche der Person zugehçrige Vortrefflichkeiten konstitutive Teile des Telos bzw. der Eudaimonie sind (was selbstverst•ndlich nicht ausschließt, daß sie jeweils zugleich auch als poigtij\ erstrebenswert sein kçnnen).26 Dies mag ein Ausgangspunkt fìr die zuletzt erçrterte Deutungstradition im Peripatos gewesen sein. Halten wir also vorl•ufig fest: Die These, daß alle nicht-seelischen dum\leir etwas an sich und durch sich selbst Erstrebenswertes sind, kann in zweierlei Weise verstanden werden und ist wohl auch in der peripatetischen Tradition auf zweierlei Weise verstanden worden. Entweder ist gemeint (Position A), daß sie an sich und durch sich selbst erstrebenswert sind, weil sie von ihrer Natur her eine Geeignetheit oder Tauglichkeit fìr die Stei23 Das wird so nicht explizit ausgesprochen, aber es liegt doch nahe, dies zu schlußfolgern, wenn man 1362b15 und 18 f. mit b19 f und 26 f. in Parallele setzt, da an den ersten beiden Stellen die Arete¯ mit dem Hervorbringen von Gìtern, an den beiden letzteren Stellen aber das An-Sich-Erstrebenswert-Sein mit dem Hervorbringen von Gìtern kontrastiert wird. Die Schlußfolgerung, daß darum auch die drei Formen von Arete¯ (der Seele, des Kçrpers und des Eigentums) die Stelle von etwas an sich Erstrebenswerten einnehmen, ist selbstverst•ndlich nicht zwingend. Aber es geht mir hier nicht darum, was wir diesem Abschnitt der Rhetorik zu Aristoteles’ eigenen Auffassungen entnehmen kçnnen, sondern wie solche Textpassagen von sp•teren Peripatetikern rezipiert worden sein kçnnen. – Rapp 2002, II, 337 – 340, kommt zu dem Schluß, daß die Rede von „Teilen“ der Eudaimonie in Rhet. I 5-6, anders als in EE I 2, einen vagen Sinn hat, der nicht mehr impliziert, als daß etwas zu den Voraussetzungen von Eudaimonie gehçrt. Das ist durchaus plausibel, aber peripatetische Rezipienten mçgen den Gebrauch des Wortes „Teil“ mit dem pr•ziseren Sinn von EE I 2 assoziiert haben. 24 1362b18 f.: „pkoOtor· !qetµ c±q jt^seyr ja· poigtij¹m pokk_m.“ 25 In der Theorie von Besitz/Eigentum in Politik I 8-10 wird dieser eindeutig als ein dank seiner Brauchbarkeit instrumentell erstrebenswertes Gut gedeutet, das nicht zu einem Selbstzweck werden darf. 26 Bei ArD kçnnte man den Abschnitt 124, 18 – 125, 13 (= A3c) mit seiner Behauptung einer Analogie zwischen dem seelischen Gut syvqos}mg, dem leiblichen Gut Gesundheit und dem •ußeren Gut Reichtum dieser Tradition zuordnen, zumal dort auch dem Reichtum der Status eines di’ art¹ aRqet|m zugesprochen wird (impliziert in 125, 10-12).

§ 13. Letztziele und die Frage der Natìrlichkeit von Strebenszielen

225

gerung der Praxis des Spoudaios aufweisen. Oder sie werden so aufgefaßt (Position B), daß sie um ihrer selbst willen (also letztzielhaft) erstrebenswert sind, und zwar vielleicht deshalb, weil sie als Teilaspekte und Steigerungen des „Eigenen“ eines vollendeten Menschen verstanden werden und somit als Teile seines Telos selbstzweckhaft sind in der Weise von Teilzielen, die im inklusiven Gesamt-Telos enthalten sind. Position B wìrde somit auch eine Affinit•t zur sp•teren Symple¯ro¯ma-These aufweisen. Position A ist jedoch besser belegt und kommt meines Erachtens der sozusagen offiziellen Sicht des Aristoteles in seinen Ethiken sehr nahe, wenigstens was jene nichtseelischen Gìter betrifft, die die Praxis des Spoudaios steigern, ohne selbst den Charakter von selbstzweckhaften Strebenszielen zu haben (z. B. Gesundheit und Reichtum). Es ist des weiteren auch mçglich, unter den nicht-seelischen Gìtern mit Blick darauf, ob sie nur von Natur aus zutr•glich oder auch selbstzweckhaft erstebenswert sind, zu unterscheiden. Dies deutet auf eine dritte denkbare Position hin, auf die ich im n•chsten Paragraphen zu sprechen kommen werde. Wenn nun im Sinne dieser dritten Position in der Tat nur ein Teil der nicht-seelischen Gìter (bzw. "pk_r !cah\) auch selbstzweckhaft erstrebenswert ist, ein anderer Teil hingegen ausschließlich aufgrund ihrer Dienlichkeit, dann fragt es sich, ob es einen Grund fìr diesen Unterschied gibt, der in den natìrlichen Grunddispositionen unseres Strebens liegt. Die Erçrterung im n•chsten Paragraphen wird darum auf den Begriff der natìrlichen Strebensziele hinfìhren.

§ 13. Letztziele und die Frage der Natìrlichkeit von Strebenszielen Die Dih•rese C11 (137, 4-7) teilt die Gìter in drei Klassen mit Hilfe der beiden Bestimmungen „di’ art¹ aRqet|m“ und „poigtij|m“ ein. Dabei wird wenigstens implizit unterstellt, daß ein „poigtij|m“, qua „poigtij|m“ („Wirkgut“), „di’ 6teqom aRqet|m“ („durch etwas anderes erstrebenswert“) ist. Und zwar ist terminologisch sowohl bei den Stoikern als auch bei den Peripatetikern ein Gut genau dann ein poigtij|m, wenn es dazu beitr•gt, Eudaimonie hervorzubringen (was nicht ausschließen muß, daß es in einer Doppelfunktion zugleich auch letztzielhaft erstrebt wird). Die erste Klasse umfaßt alles, was nur di’ art¹ aRqet|m ist, die dritte alles, was nur poigtij|m ist, und zur zweiten Klasse gehçrt das, was sowohl di’ art¹ aRqet|m als auch poigtij|m ist.

226

E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

Diese Einteilung scheint der Sache nach große öhnlichkeit mit der bei Platon am Anfang von Buch II der Politeia einfìhrten Klassifizierung von Gìtern aufzuweisen (Rep. 357B-D). Es bestehen auch wichtige Bezìge zu Aristoteles’ Ausfìhrungen in NE I 5, wo ganz eindeutig vom di’ art¹ aRqet|m (bzw. jah’ art¹ aRqet|m)27 im Sinne des selbstzweckhaft Erstrebenswerten die Rede ist. Vergegenw•rtigen wir uns kurz die Unterscheidungen in NE I 5 (1097a25-b6, vgl. auch I 4, 1096b7 – 27): Die Ziele menschlichen Handelns (t]kg) sind entweder jah’ art± aRqet\, d. h. um ihrer selbst willen erstrebenswert, oder nur di’ 6teqa aRqet\, nur um einer anderen Sache willen erstrebenswert, der sie als Mittel dienen kçnnen. Nur ein t]kor des ersteren Typs ist auch ein t]keiom t]kor (selbstzweckhaftes / vollkommenes Ziel). Aber auch hinsichtlich dieser selbstzweckhaften Gìter gibt es eine Abstufung gem•ß dem Kriterium, ob etwas auch mit Blick auf etwas anderes oder nur um seiner selbst willen erstrebenswert ist. Letzteres, das "pk_r t]keiom t]kor, ist die Eudaimonie. Das instrumentelle Gut Reichtum hingegen gehçrt in die Klasse von Zielen, die nur als Mittel fìr etwas anderes erstrebenswert sind, also in die Klasse der bloßen di’ 6teqa aRqet\ (NE I 5, 1097a26 f.). Als Beispiel fìr das, was auch, aber nicht nur, um seiner selbst willen erstrebenswert ist, wird unter anderem die Ehrung genannt (til^), die ein •ußeres Gut ist, weil Ehrungen von anderen Personen ausgehen (vgl. NE IV 7, 1123b21 f.) Die anderen Beispiele, die er nennt, sind seelische Gìter. Die Dih•rese C 11 nennt als Beispiele fìr die mittlere Klasse Tugend, Gesundheit und Freunde, also je ein Beispiel aus der Klasse der seelischen, der leiblichen und der •ußeren Gìter. Als einziges Beispiel fìr ein bloßes poigtij|m figuriert der Reichtum. Die Einordnung der Beispiele Tugend und Freunde ist vçllig unkontrovers. Daß Reichtum in die dritte Klasse eingeordnet wird, also als ein bloßes di’ 6teqom aRqet|m figuriert, stimmt mit der Position in den aristotelischen Ethiken vçllig ìberein, da es in dieser Einteilung um Selbstzweckhaftigkeit geht und der Reichtum gem•ß den Ethiken ebenfalls kein selbstzweckhaftes Gut ist. Was Gesundheit betrifft, so kenne ich keinen Beleg aus den aristotelischen Ethiken, wo sie als ein selbstzweckhaftes Gut eingestuft wird. Ihr Fehlen in den Beispiellisten von NE I 4 und I 5 ist durchaus signifikant. Was ist der Hintergrund fìr die unterschiedliche Zuordnung von Gesundheit und Reichtum? An der Dih•rese C 11 f•llt die sachliche Verwandtschaft zu der Gìtereinteilung auf, die in dem Abschnitt A3a-b 27 Diese beiden Ausdrìcke werden in NE I 5, wie schon erw•hnt, anscheinend bedeutungsm•ßig nicht unterschieden.

§ 13. Letztziele und die Frage der Natìrlichkeit von Strebenszielen

227

vorausgesetzt wird, der eine peripatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre enth•lt. Wir finden dort die gleiche Gegenìberstellung der Momente der Selbstzweckhaftigkeit (di’ art¹ aRqet|m) und des Nutzens,28 und implizit die gleiche Einteilung in drei Klassen mit einer mittleren Klasse von Gìtern, die sowohl selbstzweckhaft als auch aufgrund ihrer Glìckszutr•glichkeit erstrebt werden. Auch hinsichtlich der Beispiele scheint es eine grunds•tzliche ›bereinstimmung zu geben: Das leibliche Gut Gesundheit (122, 21) erscheint dort als ein Gut der mittleren Klasse, ist also etwas auch selbstzweckhaft Erstrebenswertes, w•hrend hinsichtlich der •ußeren Gìter wohl so differenziert wird, daß ein Gut wie z. B. der Freund ebenfalls zum sowohl selbstweckhaft Erstrebenswerten als auch Glìcksdienlichen gehçrt, w•hrend ein Gut wie Reichtum nur um seiner Zutr•glichkeit willen erstrebenswert ist.29 Anders aber als in der Dih•rese C 11 wird im Oikeio¯sisAbschnitt mit dem Status eines auch selbstzweckhaft erstrebenswerten Gutes der Begriff eines natìrlichen Gutes (t± jat± v}sim) verknìpft (118, 17) und dieser Zusammenhang durch die Theorie der natìrlichen Strebungen begrìndet. Diese Verknìpfungen finden sich im ìbrigen im Grundsatz auch in der Theorie des Antiochos von Askalon wieder. Antiochos z•hlt neben den seelischen auch die leiblichen Vorzìge sowie bestimmte, aber nicht alle •ußeren Gìter zu den di’ art± aRqet\ (propter se expetenda in Ciceros lateinischer ›bertragung). Und zwar handelt es sich bei diesen nicht nur zutr•glichen, sondern auch um ihrer selbst willen erstrebenswerten •ußeren Gìtern unter anderem um die Objekte unserer zwischenmenschlichen Zuneigung (Angehçrige, Freunde, Mitbìrger, die Mitmenschen ìberhaupt). Der Reichtum ist hingegen auch fìr Antiochos bloß ein instrumentelles Gut.30 Zusammen mit den seelischen und leiblichen Gìtern bilden die selbstzweckhaften •ußeren Gìter das bonum naturale des

28 ArD 119, 22 f.; 120, 16 f.; 121, 1 f.; 123, 7. In A3a und b wird in begrifflicher Antithese zu „di’ art¹ aRqet|m“ der Ausdruck „wqe_a“ (Nutzen, Brauchbarkeit) verwendet (bzw. in einem Fall „!n_a“). In der resìmierenden Bemerkung am Anfang von A3d finden wir dann auch die dazu •quivalente Antithese di’ art¹ aRqet|m / poigtij|m wieder (126, 12-14). 29 Siehe hierzu unten, II-F, § 15. 30 Daß zu den •ußeren Gìtern, die zugleich per se expetenda sind, nur Mitmenschen und die Gemeinschaft z•hlen, wird durch die Beispielliste und den Duktus der Argumentation in dem hierzu entscheidenden Abschnitt von De fin. V (65 – 69) nahegelegt und durch Akad. I 21 best•tigt.

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E) Der Begriff an sich erstrebenswerter Gìter

Menschen (Acad. I 21),31 da sie dem Menschen von Natur aus zielhafte Strebensobjekte sind. Eine theoretische Grundlage fìr die Erkl•rung des Status nicht-seelischer Gìter als selbstzweckhafter Strebensziele wird in der jungperipatetischen Adaption der Oikeio¯sis-Lehre bei ArD entwickelt, der ich mich jetzt zuwenden mçchte.

31 Acad. I 21 („Ac de summo quidem atque naturali bono sic agunt; cetera autem …“) grenzt das summum naturale bonum, den Inbegriff der prim•ren natìrlichen Strebensziele, der alle per se expentenda umfaßt, einschließlich der menschlichen Gemeinschaft, von den ìbrigen •ußeren Gìtern ab, die nur der Steigerung oder Bewahrung von prim•ren Gìtern dienen.

F) Der Begriff natìrlicher Strebensziele gem•ß der jungperipatetischen Adaption der Oikeio¯sis-Lehre Der Oikeio¯sis-Abschnitt im Peripatetiker-Teil von ArD (A3a und b, 118, 5 – 126, 11)1 dokumentiert den Versuch, diese ursprìnglich stoische Lehre fìr die Zwecke einer pluralen peripatetischen Gìterlehre zu adaptieren. Insbesondere dient dieser Versuch dem Ziel zu verdeutlichen, daß und warum bestimmte nicht-seelische Gìter, entsprechend den Gegebenheiten der menschlichen Strebensnatur, etwas selbstzweckhaft Erstrebenswertes sind. Die Version der Theorie bei ArD weist erhebliche Gemeinsamkeiten mit der eklektizistischen Theorie des Antiochos von Askalon auf, der die Oikeio¯sis-Lehre ebenfalls im Sinne einer dem Peripatos nahestehenden Gìterlehre uminterpretiert.2 In beiden Versionen geht es darum, die Gìterlehre in einer genetischen Betrachtung der menschlichen Strebensnatur zu fundieren. Inwieweit die Adaption und Transformation dieses stoischen Lehrstìcks fìr die Zwecke einer peripatetischen Gìterlehre tats•chlich gelingt, kann nur auf der Basis einer genauen Analyse dieses Abschnittes entschieden werden. Bevor ich dazu Stellung nehme, inwieweit dieser Versuch seiner systematischen Aufgabenstellung tats•chlich gerecht wird (§ 16), werde ich darum zuerst in der Weise einer Paraphrase und Kommentierung die wesentlichen Teile des Oikeio¯sis-Abschnittes bei ArD analysieren (§ 15). Aufgrund der Provenienz dieser Lehre aus einem stoischen Kontext ist es erforderlich, zun•chst einmal die Grundzìge der orthodox-stoischen Oikeio¯sis-Lehre darzustellen (§ 14). 1

2

Zur Einteilung der Abschnitte vgl. die einleitenden Bemerkungen von II-B (oben). Der Passus 124, 18 – 125, 13 (= A3c) ist sicher ein Einschub (vgl. Moraux 1973). Den anschließenden Passus 125, 14 – 126, 11 werden wir hier als zusammengehçrig mit A3b behandeln. Vielleicht gehçrt er aber auch ursprìnglich mit A3c zusammen (vgl. unten, Anm. 36). In jedem Fall sind die Ausfìhrungen in 125, 14 – 126, 11 kompatibel mit A3b. Vgl. Cicero, De fin. V 24 – 45, 65 – 68. Der Standpunkt des Antiochos wird dadurch verkompliziert, daß fìr ihn die natìrlichen selbstzweckhaften leiblichen Gìter zugleich auch sulpkgqytij\ (completiva) sind, nicht aber die natìrlichen selbstzweckhaften •ußeren Gìter (De fin. V 68 f.). Diese Sonderthese hat bei ArD keine explizite Entsprechung.

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

§ 14. Die Oikeio¯sis-Lehre bei den Stoikern und bei Antiochos von Askalon Die Oikeio¯sis-Lehre der Stoiker3 ist eine Antwort auf die Frage, was das eigentliche Gut des Menschen ist. Vermutlich ist sie eine Reaktion auf den epikureischen Versuch, die Bdom^ als das eigentliche Gut des Menschen durch ein Argument zu erweisen, das von der Pr•misse ausgeht, daß ein Mensch von seiner Geburt an das Lustbringende erstrebt und das Schmerzbringende meidet („Wiegenargument“).4 Diese angeblich ursprìngliche Ausrichtung menschlichen Strebens auf die Bdom^ zeige n•mlich, so die epikureischer Auffassung, worauf die noch unverdorbene Natur des Menschen ausgerichtet ist.5 Sie sei ein Beleg dafìr, daß das Telos auch der rationalen Lebensfìhrung eines Menschen in Begriffen von Lust und Schmerzvermeidung expliziert werden mìsse. Die Stoiker versuchen demgegenìber nachzuweisen, daß schon die ursprìngliche Strebensdisposition nicht durch die Lust bestimmt ist, sondern durch die Wohlgeneigtheit gegenìber sich selbst und der eigenen Konstitution, auf deren Erhaltung und Entfaltung das Streben (bql^) von Anfang an naturwìchsig ausgerichtet sei. Dieses ursprìngliche, in der je individuellen Entwicklung eines Menschen am Anfang stehende Strebensziel wird in der hellenistischen Diskussion als das pq_tom oQje?om bezeichnet. Das Wort „oQje?om“, in dem „oWjor“ mitgehçrt wird (Haus, Heim, Hausgemeinschaft bzw. Familie) deckt ein Bedeutungsspektrum ab, zu dem das Angehçrige, Vertraute, Verwandte, sowie das Eigene, Eigentìmliche und Geeignete gehçren, und es kontrastiert mit dem „!kk|tqiom“, dem Fremden. Weil man fìr das, was einem angehçrig und vertraut ist, Zuneigung empfindet, fìr das Fremde, Nicht-Dazugehçrige, Ungeeignete dagegen Abneigung, kann „oQje?om“ zur Bezeichnung dessen verwendet werden, worauf das Streben und die Zuneigung ausgerichtet sind. Da „oQje?om“ zugleich auch das „Eigene“ konnotiert, hat dieser Ausdruck noch den besonderen Vorzug, andeuten zu kçnnen, daß es sich um das je eigene und eigentìmliche Strebensobjekt eines Wesens handelt, ohne damit zu 3

4 5

Zur Semantik des Ausdrucks „oQje_ysir“ vgl. Pembroke 1971; Kerferd 1972, 178 ff.; Gçrgemanns 1983, 181 ff. Zur stoischen Oikeio¯sis-Lehre im allgemeinen und zu den mit ihr zusammenh•ngenden begrifflichen Fragen siehe des weiteren u. a. Engberg-Pedersen 1990; Forschner 1995, 142 – 159; Inwood 1985, 182 ff., 218 ff.; Kidd 1971; Long 1967; Striker 1983; Annas 1993. Vgl. Brunschwig 1986. Vgl. Cicero, De fin. I 30.

§ 14. Die Oikeio¯sis-Lehre bei den Stoikern und bei Antiochos

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insinuieren, daß diese Strebensausrichtung einfach auf willkìrlicher Setzung beruhe, da er vielmehr zugleich auch eine objektive Zugehçrigkeit konnotiert. Auch „!cah|m“ als Bezeichnung des Strebensobjektes hat eine objektive Konnotation, ist aber offen ist fìr eine Deutung, wonach das universale Gut letztes Objekt des Strebens ist. Bereits Platon faßt die Option ins Auge, das Objekt des Strebens und Liebens als „oQje?om“ zu bezeichnen, bevorzugt aber den Begriff „!cah|m“, vermutlich aus eben dem Grund, daß er das Streben letztlich auf das universale Gut bezogen wissen will, nicht nur auf ein je Eigenes.6 In der hellenistischen Philosophie setzt sich aber dieser Terminus im Zusammenhang mit der Frage nach dem ursprìnglichen und naturwìchsigen Strebensobjekt durch, vermutlich auch deshalb, weil die Stoiker, deren Terminologie in dieser Epoche quasi zur lingua franca des Philosophierens wird, aus Grìnden, die mit ihrer Gìterlehre zusammenh•ngen, es gerade vermeiden wollen, das Objekt des naturwìchsigen Strebens als !cah|m zu bezeichnen. Kann man das „pq_tom oQje?om“ in die aristotelische Terminologie als das „pq_tom aqejt|m“ zurìckìbersetzen, wie dies Vertreter des sp•ten Peripatos tun?7 Der Ausdruck „oQje?|m timi“ kann ohne weiteres fìr eine Relation zwischen zwei Personen stehen (und auch reflexiv verwendet werden), aber kann man auch sagen, daß eine Person eine andere, oder sich selbst, fìr „erstrebenswert“ h•lt (statt zu sagen, daß sie ihr Sein, ihre Gesundheit etc. fìr erstrebenswert h•lt)? Aristoteles selbst jedenfalls scheint keine Bedenken gegen diese Ausdrucksweise zu haben, denn in EE VII 6 (1240b15, 20) heißt es, daß ein Mensch sich selbst aqejt|r sei. Der entscheidende Gesichtspunkt ist allemal, daß die Pro-Einstellung gegenìber einem oQje?om immer mit einer strebensm•ßigen Disposition verbunden ist, aus der heraus man dieses zu bewahren, zu fçrdern und (bei Sachen) sich anzueignen bzw. in seinem Besitz zu erhalten trachtet. Der Vorgang, in dem sich etwas als das oQje?om erschließt, also als das Objekt des Strebens oder der Zuneigung, wird terminologisch als Oikeio¯sis (oQje_ysir) bezeichnet. Dieser Ausdruck korreliert mit dem Verb „oQjeioOm“, das in seiner terminologischen Verwendung vornehmlich als Deponens passivum in medialer Bedeutung gebraucht wird („oQjeioOs¢ai“).8 6 7 8

Vgl. Lys. 211Dff., Symp. 205Ef.; und siehe dazu Szaif 1998a. Vgl. den Anfang der Schrift T_m paq± ‘Aqistot]kour peq· toO pq~tou oQje_ou (Alexander[?] von Aphrosias, Mant. 150, 20 ff.). Siehe Gçrgemanns 1983, 184. Zur Begrìndung dafìr, daß es sich hier um ein Deponens handelt, weist Gçrgemanns darauf hin, daß die passive Form nie mit der

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

Wenn aktivisch von „oQjeioOm“ die Rede ist, so ist das Subjekt bzw. Agens dieser Oikeio¯sis die v}sir, direktes Objekt der betreffende Mensch9, indirektes Objekt (im Dativ oder mit pq|r cum acc.), dasjenige, dem man dadurch zugeneigt wird. Gemeint ist dann, daß die Natur den betreffenden Menschen mit Bezug auf etwas oder jemand wohlgeneigt macht. Die passive Form in medialer Bedeutung drìckt dementsprechend aus, daß sich einem Menschen (als Subjekt des oQjeioOshai oder oQjeiyh/mai) in einem natìrlichen Prozeß etwas als Gegenstand seiner Wohlgeneigtheit erschließt, oder daß er sich in dem aus diesem Prozeß resultierenden Zustand der Wohlgeneigtheit befindet (ájei_shai).10 Gem•ß der stoischen These ist Objekt der ursprìnglichen Wohlgeneigtheit eines Menschen dieser selbst, bzw. seine Konstitution (s}stasir). Der Gegensatz zur Oikeio¯sis ist die !kkotq_ysir (alienatio), also der Vorgang, in dem sich einem etwas oder jemand als fremd und Objekt der Abneigung erschließt. Man kçnnte auch sagen: „Entfremdung“, allerdings schwingt bei dem Wort „Entfremdung“ doch die Vorstellung mit, daß das oder der, von dem man sich entfremdet, vorher vertraut gewesen ist, was bei der ursprìnglichen !kkotq_ysir nicht der Fall ist. Vielmehr gehçrt zur ursprìnglichen, naturwìchsigen Oikeio¯sis mit Bezug auf die eigene Person und deren natìrliche Konstitution ein ebenso ursprìngliches Abgrenzen gegen das der eigenen Natur objektiv Fremde oder Abtr•gliche. Dasjenige, worauf schon der Neugeborene naturwìchsig hingeneigt ist, sein ursprìngliches Strebensobjekt, ist gem•ß der stoischen These nicht die Lust. Vielmehr lasse sich als Grundtrieb beim neugeborenen Menschen (wie auch bei tierischen Lebewesen) der Trieb der Selbsterhaltung bzw. der Erhaltung und Entfaltung der eigenen Konstitution (s}stasir) beobachten. Dieses Grundstreben h•ngt zusammen mit der gleichursprìnglichen, alles Empfinden begleitenden Selbstwahrnehmung (suma_shgsir), die die Konstruktion rp| cum gen. gebraucht wird, wie dies bei einer passiven Form in passiver Bedeutung zu erwarten w•re. 9 Es kann sich auch um ein Tier handeln, denn auch dort gibt es ursprìngliche Oikeio¯sis. 10 In dem Ausdruck „Oikeio¯sis“ schwingt natìrlich das ganze Bedeutungssprektrum von „oQje?om“ mit. Entscheidend ist, daß derjenige Vorgang als Oikeio¯sis bezeichnet wird, der sich bei einer Person x in Hinsicht auf eine Person oder Sache y vollzieht dergestalt, daß Person x im Ergebnis die Person oder Sache y als ihr oQje?om betrachtet und dementsprechend y gegenìber wohlgeneigt ist. Das oQje?om kann auch als das v_kom bezeichnet werden im Sinne der Relation: y ist dem x lieb/teuer. „Wohlgeneigheit“ scheint mir das beste deutsche öquivalent zu sein (so bei Forschner 1995); vgl. die Begrìndung der ›bersetzung „well-disposed“ bei Pembroke 1971, an die sich auch Gçrgemanns 1983 anschließt.

§ 14. Die Oikeio¯sis-Lehre bei den Stoikern und bei Antiochos

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Wahrnehmung der leiblichen Teile mit einschließt. Daß dabei die Natur als das Agens bezeichnet werden kann, das den Menschen sich selbst zugeneigt macht, darf nicht so verstanden werden, als ob es sich um eine Einwirkung von außen handele. Die Natur wirkt hier gleichsam von innen heraus, als das dem Individuum selbst innewohnende Prinzip, das sich zu seinem k|cor fortentwickeln wird, also als die Vorstufe zum rationalen Selbst. Es handelt sich aber auch nicht um einen freien Akt der Selbstwahl und Selbstaneignung, sondern um den in diesem Einzelwesen naturwìchsig sich manifestierenden Impuls der Selbstliebe, der sich zur rationalen Selbstbejahung erst noch entwickeln muß. Aus dieser naturwìchsigen Selbstaffirmation heraus beginnt der Mensch, das Naturgem•ße zu erstreben, d. h. dasjenige, was der Erhaltung und Entfaltung seiner Konstitution zutr•glich ist (selbst wenn es mit Schmerzen verbunden sein sollte11), die sch•dlichen Dinge dagegen, das Naturwidrige, zu meiden. Soweit handelt es sich bei der stoischen Oikeio¯sis-Lehre also um eine These ìber das naturwìchsige Strebensziel. Der springende Punkt dieser Lehre liegt nun aber in der These, daß man das Telos des Menschen keineswegs direkt aus dem, was das ursprìngliche Objekt unseres Geneigtseins ist (das pq_tom oQje?om), ableiten kçnne. Vielmehr vollziehe sich im einzelnen Menschen ein Entwicklungsprozeß, durch den sich sein Wesen von dem noch vorrationalen zu einem rationalen Charakter wandle. Und dementsprechend ver•ndere sich auch der Sinn der selbstbezìglichen Oikeio¯sis fundamental. Nachdem die Wahl des Naturgem•ßen schrittweise bewußter, best•ndiger und konsistenter geworden ist, geschehe der entscheidende Wendepunkt in der Entwicklung, wenn schließlich jene Ordnung selbst des richtigen Vorziehens und W•hlens und die zugrundeliegende Tugend und Weisheit als das eigentliche Gut des Menschen erfaßt werden.12 Hier findet fìr die Stoiker gleichsam ein qualitativer Sprung statt, weil das zur Arete¯ und Sophia vollendete rationale Selbst, das im bewußten Einklang mit der Allnatur steht, sich nun als sein eigentliches Gut begreift, also in seiner T•tigkeit nicht mehr auf die ursprìnglichen natìrlichen Strebensziele wie Gesundheit und Fortleben, sondern auf die Wahrung dieser inneren Haltung als Telos ausgerichtet ist. Auch der Weise wird zwar unter normalen Umst•nden diese ursprìnglichen natìrlichen Strebensziele ihren Gegens•tzen vorziehen, wird es aber keineswegs als 11 Vgl. Seneca, Ep. mor. 121, 8. 12 So in etwa wird dieser Vorgang in der Version der Oikeio¯sis-Lehre beschrieben, die sich in dem bei Cicero, De fin. III benutzten stoischen Handbuch gefunden haben muß.

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

einen Schaden fìr sich betrachten, wenn das kausale Geschehen in der Gesamtnatur, das er als durch und durch gut erkennt, zu Umst•nden fìhrt, unter denen er nicht mehr in angemessener Weise an einem dieser ursprìnglichen Strebensziele festhalten kann. Es wird diese ursprìnglichen natìrlichen Strebensziele darum zwar noch als Vorzuziehendes (pqogcl]ma), das eine bestimmte Art von Wert (!n_a) besitzt, anerkennen, nicht aber als Gutes (!cah\) und Nìtzliches (¡v]kila), weil deren Verlust nicht die innere Haltung selbst berìhrt, in der die Vollendung des Menschen und Harmonie mit der Allnatur liegt.13 Dieses hçchste Entwicklungsstadium der Oikeio¯sis, in der das vollendete rationale Selbst sich selbst als sein wahres Gut affirmiert, steht also einerseits in Kontinuit•t zur ursprìnglichen Oikeio¯sis, da es sich schon bei dieser um den Impuls der Selbstliebe handelte, aus der heraus man sich selbst und seine Konstitution zu bewahren und das ihr Zutr•gliche zu erlangen trachtet. Nur hat sich jetzt die eigene Konstitution grundlegend gewandelt, da sich das innere Prinzip zum rationalen Selbst des Weisen fortentwickelt hat. Der Begriff der ursprìnglichen natìrlichen Strebensziele, der pq_ta jat± v}sim, welche sich aus der prim•ren Hinneigung zur Wahrung und Entfaltung der eigenen Konstitution ergeben, gewinnt eine zentrale Stellung in den Debatten zwischen dem akademischen Skeptiker Karneades und den Vertretern der stoischen Orthodoxie Diogenes von Babylon und Antipater von Tarsos. Karneades hat im Rahmen seines skeptisch-dialektischen Argumentationsprogramms ein kombinatorisches Schema mçglicher Definitionen der Eudaimonie entwickelt, das dann von Antiochos von Askalon aufgenommen und vermutlich noch weiter ausgebaut worden ist. In dieser erweiterten Fassung begegnet sie bei Cicero sowie, vermittelt ìber Varro (De philosophia) und vielleicht mit weiteren Modifikationen, bei Augustinus (De civ. XIX, 1 – 3). Diese berìhmte divisio Carneadea geht von der in den hellenistischen Schulen konsensf•higen Pr•misse aus, daß das Telos etwas sein mìsse, auf das das menschliche Streben von Natur aus ausgerichtet ist. Worauf nun der natìrliche Strebensimpuls gehe, darìber gebe es unterschiedliche Auffassungen. Karneades unterscheidet (laut Cicero, De fin. V 16 ff.) drei Mçglichkeiten: Lust (Bdom^), Beschwerdefreiheit (!owkgs_a) oder die pq_ta jat± v}sim, wobei letzterer Begriff eine Pluralit•t von ursprìnglichen natìrlichen Strebenszielen umfaßt. Die Liste von Beispielen, die Cicero fìr die pq_ta jat± v}sim angibt, umfaßt vor 13 Zur Relevanz des Bezugs auf die Allnatur in der stoischen Ethik vgl. Long 1996, Striker 1991, Forschner 1998 – gegen eine kantianisierende Interpretationstendenz wie bei Annas 1993, Engberg-Pedersen 1990.

§ 14. Die Oikeio¯sis-Lehre bei den Stoikern und bei Antiochos

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allem leibliche Gìter (u. a. Gesundheit, intakte Sinne, Schçnheit), aber auch Schmerzfreiheit und gute seelische Anlagen, jedoch nicht – und das ist entscheidend – die entwickelte Arete¯.14 Eine weitere Differenzierung ergibt sich laut Karneades aus der Mçglichkeit, das Telos entweder mit dem Erlangen oder Verwirklichen des bzw. der naturwìchsigen Strebensziele oder aber mit der inneren Haltung bzw. Lebenskunst (= Arete¯), aus der heraus man sich zu naturwìchsigen Strebenszielen korrekt w•hlend verh•lt, zu identifizieren. Mit dieser letzteren Option zielt Karneades vor allem auf die Stoiker, deren Widerlegung sein eigentliches Argumentationsziel ist. Und zwar nimmt er ihnen gegenìber dialektisch (ohne dogmatische Festlegung) die Position ein, daß das Telos im Erlangen bzw. Genießen der pq_ta jat± v}sim bestehe,15 w•hrend die Arete¯ qua t]wmg des richtigen Ausw•hlens oder Vorziehens nicht Bestandteil des Telos ist, sondern der Erreichung des Telos lediglich dient und daher bloß ein instrumentelles Gut ist. Die Debatte, die Karneades auslçst und die sich im einzelnen kaum noch rekonstruieren l•ßt, zwingt die Stoiker zu einer genaueren Bestimmung des Verh•ltnisses der Objekte der rationalen 1jkoc^ und des Telos. Ferner fìhrt sie wohl auch zu einer Akzentverschiebung, durch die das w•hlende Sich-Verhalten zu den Objekten naturwìchsigen Strebens in das Zentrum der Bestimmung von Arete¯ und Eudaimonie rìckt.16 Entscheidende Bedeutung gewinnt dabei die Frage, wie die Arete¯ einerseits als eine Techne¯ der richtigen 1jkoc^ in ›bereinstimmung mit den urspìnglichen naturwìchsigen Strebensdispositionen konzipiert werden kann, andererseits aber allein die Bewahrung und Praktizierung dieser Techne¯ das Gut ist, auf welches das rationale Streben hingeordnet ist. In diesem Zusammenhang werden der stoische Weise und seine Praxis der 1jkoc^ mit der T•14 In •hnlicher Weise beschr•nkt sich auch die Liste der pq~ta jat± v}sim bei ArD, 47, 20 – 48, 3, auf kçrperliche Gìter und gute seelische Anlagen. 15 Vgl. auch oben, II-C, § 7. 16 Man hat in der neueren Stoiker-Forschung viel Gewicht auf den Nachweis gelegt, daß sich Stoiker wie Diogenes von Babylon und Antipater von Tarsos, und selbst ein Panaitios, noch ganz im Rahmen der durch Zenon, Kleanthes und vor allem Chrysipp definierten stoischen Orthodoxie bewegen. Die vorgebrachten Argumente (z. B. Kidd 1971, Long 1967) sind auch ìberzeugend. Andererseits zeigt die Geschichte etwa der Theologie, daß man im Umgang mit kanonischen Texten die Orthodoxie wahren und gleichwohl durch Interpretation der tradierten S•tze und eigene Gewichtung sehr wohl neue Akzente setzen und Perspektiven erçffnen kann, die so den Autoren der kanonischen Texte nicht vorgeschwebt haben. „Orthodoxie“ ist also ein mit Vorsicht zu gebrauchender Begriff, der jedenfalls Kreativit•t nicht auszuschließen braucht.

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

tigkeit eines Bogenschìtzen verglichen, dem es nicht um das Treffen des Zieles, sondern nur um die kunstgem•ße Ausfìhrung seiner Techne¯ geht, und der, ob er nun trifft oder, aufgrund widriger Umst•nde, daneben schießt, das Telos seiner Kunst gleichermaßen gut zu verwirklichen meint, solange er nur seine Schußversuche kunstgem•ß ausfìhrt. Von dem Begriff des naturgem•ßen Lebens l•ßt sich in diesem Zusammenhang verdeutlichen, daß er auf zweierlei Weise verstanden werden kann. Zum einen ist ein Leben naturgem•ß, das die naturwìchsigen menschlichen Strebensziele realisiert, z. B. Gesundheit und ein langes Leben, oder auch die sozialen Gìter, auf die der Mensch als ein gemeinschaftliches Wesen natìrlicherweise ausgerichtet ist. Auch jene Typen angemessener oder „gehçriger“ Handlungsweisen, die die Stoiker als l]sa jah^jomta (officia media) bezeichnen, und denen sich allgemeine Handlungsregeln (praecepta) zuordnen lassen (z. B. „Sorge fìr deine Gesundheit!“) beziehen sich auf diese naturgem•ßen Ziele. Dieser jat± v}sim b_or, der in dem Bild vom Bogenschìtzen dem Treffen der Zielscheibe entspricht, ist jedoch den Wechsell•ufen des kausalen Weltgeschehens, des „Schicksals“ (eRlaql]mg), ausgesetzt, da •ußere Umst•nde, die der Handelnde nicht •ndern kann, den Verlust solcher Vorzìge, oder auch den freiwilligen Verzicht auf sie zur Vermeidung gewichtigerer Nachteile, herbeifìhren kçnnen. Was dagegen durch die •ußeren Umst•nde nicht beeinflußt werden kann, ist die innere Haltung der Arete¯. Sie konstituiert die hçhere Form der Naturgem•ßheit (das f/m blokocoul]myr t0 v}sei), die eine rationale Einstimmung mit der Natur im ganzen ist und sich nur bewahren l•ßt, wenn man in den pq_ta jat± v}sim keine wirklichen Gìter erblickt (wobei zu berìcksichtigen ist, daß in dieser Debatte der Begriff eines Gutes, !cah|m, terminologisch fìr dasjenige steht, was einen Beitrag zur Eudaimonie leistet). Da der stoischen Weise seine spezifisch menschliche Natur akzeptiert, wird er zwar die ursprìnglichen, seiner leiblichen Konstitution und sozialen Ausrichtung gem•ßen Strebensobjekte ihren Gegens•tzen generell vorziehen. Aber er wird dies aus einer Haltung heraus tun, in der er diese Objekte eben nicht mehr erstrebt, sondern nur noch vorzieht und das tats•chliche Erlangen dieser Objekte (das Treffen der Zielscheibe) als indifferent fìr die Verwirklichung seines Telos betrachten. Erst diese durch die innere rationale Haltung bedingte Form der ›bereinstimmung mit der eigenen rationalen Natur und der Allnatur verleiht den Handlungen die Qualit•t von t]keia jah^jomta (officia perfecta) bzw. jatoqh~lata (recte facta).

§ 14. Die Oikeio¯sis-Lehre bei den Stoikern und bei Antiochos

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Antiochos knìpft an die Auseinandersetzung der Stoiker mit Karneades an, indem er es gleichsam mit einem Sowohl-als-auch versucht: Sein Bogenschìtze verfolgt sozusagen beides selbstzweckhaft, sowohl die Zielscheibe zu treffen (d. h. die naturwìchsigen Strebensziele, die er als echte Gìter anerkennt, zu realisieren) als auch die Techne¯ des Schießens zu besitzen und zu praktizieren (= Arete¯), aber so, daß dabei das letztere, die Arete¯, doch Vorrang genießt. Mit anderen Worten, die Arete¯ ist bei ihm das prim•re selbstzweckhafte Ziel, aber auch die nicht-seelischen naturgem•ßen Gìter tragen zur Verwirklichung des Telos bei, und zwar teils kompletiv, teils instrumentell. Allerdings mçchte er sich nicht die Konsequenz einhandeln, daß die menschliche Eudaimonie zum Spielball der Tyche¯ wird. Darum vertritt er die These, daß die Arete¯ auch fìr sich allein die Eudaimonie des Menschen gew•hrleisten kann, allerdings so, daß die anderen Gìter diese Eudaimonie dann noch steigern kçnnen (und zwar nicht nur als instrumentelle Gìter, sondern als konstitutive Bestandteile gesteigerter Eudaimonie). Die Oikeio¯sis stellt sich in dieser Perspektive als ein Prozeß der Erschließung von Gìtern dar ohne jenen radikalen qualitativen Sprung in eine vollkommen ver•nderte Werteinstellung, durch den sich die Arete¯/Weisheit als das einzig wahre Gut des Menschen begreifen wìrde. Denn laut Antiochos erfaßt sich die Arete¯, wenn der Entwicklungsprozeß an sein Ende gelangt, zwar als dasjenige natìrliche Gut des Menschen, das das grçßte Gewicht besitzt und auch erst den richtigen Gebrauch der anderen Gìter ermçglicht. Aber sie betrachtet sich nicht als das einzige kompletive Gut des menschlichen Telos, weshalb das Verwirklichen der ursprìnglichen Strebensziele weiterhin relevant ist (vgl. Cicero, De fin. V 38-40). Antiochos’ sozusagen ideologischer Anspruch war es ja, mit seiner Philosophie gegen die Skepsis der Neuen Akademie (Arkesilaos, Karneades) und gegen den angeblichen terminologischen Etikettenschwindel der Stoa die Philosophie der Alten Akademie, aber auch des Peripatos, wieder neu zu begrìnden (vgl. Einleitung, § 2). Faktisch greift Antiochos in seinem doktrinalen Standpunkt aber auf sehr viel Stoisches zurìck. Zu jenen stoischen Elementen seines Denkens gehçrt im Bereich der Ethik die zentrale Rolle der Oikeio¯sis-Lehre, die er aber im Sinne seines eigenen Gìterbegriffs (der altakdemisch und altperipatetisch sein soll) adaptiert und modifiziert. Diese Idee, die Oikeio¯sis-Lehre fìr die Exposition einer peripatetischen Gìterlehre zu adaptieren, wird auch durch das Peripatetiker-Referat bei ArD belegt. Von Aristoteles her betrachtet liegt die besondere Chance, die der Ansatz bei der Oikeio¯sis-Lehre erçffnet, darin, die bei Aristoteles verstreuten Hinweise auf die (rahmenhafte) inhaltliche

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

Bestimmung des fìr den Menschen Guten durch die verschiedenen Aspekte seiner Strebensnatur (vgl. oben, I-D, § 10) zu einem Gesamtbild zu vereinigen, und zwar im Ausgang von einem Modell der Entwicklung seiner Strebensnatur. Wir werden zu prìfen haben, ob die Quellen, die ArD verwertet, diese Chance auch realisieren.

§ 15. Die ,peripatetische‘ Oikeio¯sis-Lehre bei Areios Didymos: Interpretation Betrachten wir nun im einzelnen, wie bei ArD im Textstìck A3 (118, 5 ff.) der Begriff natìrlicher, selbstzweckhafter Gìter mit Hilfe einer modifizierten Oikeio¯sis-Lehre eingefìhrt und begrìndet wird.17 Die wichtigsten Beweisziele scheinen zu sein, erstens daß es •ußere und leibliche Gìter des Menschen gibt, die fìr ihn natìrlich und selbstzweckhaft erstrebenswert sind, und zweitens daß sich im Prozeß der Oikeio¯sis schließlich die Arete¯ selbst, gleichsam in einem reflexiven Akt der Rìckwendung auf sich selbst, als das grçßte, aber nicht einzige, natìrliche Gut entdeckt. Bei der Interpretation mìssen wir uns immer der Mçglichkeit gew•rtig sein, daß durch die doxographische ›berarbeitung und Kìrzung argumentative Strukturen verunklart worden sind. Insbesondere ist mit der Mçglichkeit von Lìcken im Argumentationsgang und irrefìhrenden ›berleitungen zu rechnen. Keinesfalls darf man ohne weiteres den Partikeln trauen, die Begrìndung oder Erl•uterung einer zuvor ge•ußerten These anzeigen. Denn der doxographische Kompilator (es kçnnen sogar mehrere am Werk gewesen sein) kann durch mangelhaftes Erfassen der argumentativen Struktur seiner Vorlage solche Partikel in irrefìhrender Weise eingefìgt oder nach Kìrzungen auch einfach stehengelassen haben, obwohl sie funktionslos geworden sind. – Betrachten wir jetzt einen ersten Teil dieses Abschnittes etwas genauer: 17 Zur Interpretation dieses Abschnittes vgl. insbesondere von Arnim 1926 (sehr detailliert und mit verschiedenen sehr sinnvollen Vorschl•gen zur Textemendation); Pohlenz 1940, 26 – 47; Moraux 1973, 316 – 350; Gçrgemanns 1983 (enth•lt auch eine englische ›bersetzung dieses Abschnittes). S. a. Dirlmeier 1937, 77 – 97; Annas 1993, 279 – 287, 415 – 418; Strache 1909; Meurer 1859; Giusta 1964/67. Die Beitr•ge von von Arnim 1926 und Dirlmeier 1937 versuchen die Oikeio¯sisLehre bei ArD auf Theophrast zurìckzufìhren, so daß sie vorstoisch w•re. Die sp•tere Forschung hat aber die Abh•ngigkeit von genuin stoischer Begrifflichkeit hinreichend nachgewiesen (s. Pohlenz 1940, Brink 1956, Gçrgemanns 1983). Die Thesen von Giusta 1964/67 werden kritisiert bei Moraux 1973, 264 – 269.

§ 15. Die ,peripatetische‘ Oikeio¯sis-Lehre bei Areios Didymos

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„…(2)18 Denn der Mensch, der sich gem•ß Kçrper und Seele von den anderen Lebewesen dadurch unterscheide, daß er in seiner Mittelstellung zwischen den unsterblichen und den sterblichen [Wesen] zu beiderlei in Gemeinschaft steht, zu den rationalen Wesen (kocij\) durch das Gçttliche an seiner Seele, zu den vernunftlosen (%koca) durch das Sterbliche an seinem Kçrper, strebe dementsprechend die Vollkommenheit (tekei|tgr) von beidem an [sc. von sterblichem Kçrper und gçttlicher Seele]. (3) Und als erstes strebe er nach dem Sein, denn er sei von Natur aus mit Bezug auf sich selbst wohlgesinnt (v}sei ájei_shai pq¹r 2aut|m)19, weshalb er sich, wie es angemessen ist, in dem Naturgem•ßen (1m to?r jat± v}sim) wohlfìhle, dagegen Mißfallen empfinde im Falle des Naturwidrigen (1p· to?r paq± v}sim). (4) Denn er bemìhe sich darum, die Gesundheit zu erlangen, begehre die Freude/Lust und strebe nach dem Leben, weil diese [Dinge] naturgem•ß (jat± v}sim) seien und durch sich selbst erstrebenswert (di’ art± aRqet\) und gut (!cah\). Was aber die Gegens•tze betreffe, so stoße er die Krankheit und den Schmerz und das Verderben von sich weg und sei diesen abgeneigt, weil sie gegen die Natur seien und durch sich selbst meidenswert und schlecht. (5) Denn uns sei lieb (v_kom) der Kçrper, lieb die Seele, und lieb [auch] die Teile und die Vermçgen und die T•tigkeiten dieser [beiden], …“ (A3a, 118, 6 – 119, 2)20

Der fìr den weiteren Argumentationsgang wesentliche Gedanke, der in (2) mit der Lehre von der Mittelstellung des Menschen verbunden wird, ist die 18 Satz (1), den ich hier nicht zitiere, enth•lt folgende Aussage: Es sei so, daß die Arete¯ aus drei Faktoren zustandekomme (tekeioOshai): Natur, Gewçhnung (5hor), Ratio (k|cor). Dies ist eine klassische, auch aristotelische Lehre, doch bleibt der Zusammenhang mit den Ausfìhrungen in (2) dunkel. Auch im weiteren Argumentationsgang kommt der Text auf diese Dreiteilung von Faktoren fìr die Entwicklung der Arete¯ nicht zurìck, n•mlich insbesondere nicht auf den Aspekt der Gewçhnung (5hor) – vgl. Gçrgemanns 1983, 174. Viel eher scheint (1) zu den Ausfìhungen in dem Textstìck A1 (116, 21 – 117, 10) zu passen, wo unter anderem auf einen Unterschied zwischen der die natìrlichen Anlagen fortentwickelnden Eingewçhnung bei Tieren und der bei Menschen hingewiesen wird, n•mlich daß die Tiere bestimmte nicht angeborene Eigenschaften nur durch Zwang (Abrichtung) annehmen, w•hrend beim Menschen die Eingewçhnung mit der Entwicklung der Rationalit•t Hand in Hand geht. Mçglicherweise ist es einfach so, daß die Rolle, die im Abschnitt A3 den Faktoren v}sir und k|cor fìr die Genese der Arete¯ zukommt, einen ungeschickten Kompilator dazu veranlaßt hat, diesen gut-aristotelischen und bereits in A1 implizierten Lehrsatz dem Abschnitt A3 als Einleitungssatz voranzustellen. 19 Mit dieser ›bersetzung von „ájei_shai pq|r …“ orientiere ich mich an dem Vorschlag von Pembroke 1971, 116: „well-disposed“, dem auch Gçrgemanns 1983 in seiner ›bertragung folgt. 20 Die Ausdrìcke in den eckigen Klammern haben keine direkte Entsprechung im Text, sondern sind von mir zur Verdeutlichung hinzugefìgt.

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These, daß sich aus dem Zusammengesetztsein des Menschen aus einem unsterblich-rationalen und einem leiblich-sterblichen Teil auch eine Zweigeteiltheit seines Strebens nach Selbstvollendung ergebe: n•mlich in Hinsicht sowohl auf die Seele als auch den Leib. Dies ist eine der wesentlichen Thesen des Abschnittes A3, die durch die weiteren Ausfìhrungen noch untermauert werden wird. Auch fìr die Version der Oikeio¯sisLehre, die Antiochos gem•ß Cicero vertritt (De fin. V 24-45), und fìr seine darauf gegrìndete Gìterlehre ist dieser Gedanke zentral, was natìrlich die Frage nach dem Verh•ltnis zu der Lehre des Antiochos aufwirft. Fìr Antiochos ist alles Streben in der Natur auf die eigene Vollendung ausgerichtet, und weil die Natur des Menschen eine leib-seelische ist, eignet dem Menschen eine strebensm•ßige Ausrichtung auf sowohl die seelischen als auch die leiblichen Vorzìge.21 Auch ArD setzt also mit der These eines Vollendungsstrebens an, das sich auf beide Aspekte des Menschen bezieht. Diese Pr•misse kann man keineswegs einfach als aristotelisch betrachten. Selbstverst•ndlich reflektiert auch Aristoteles auf die leib-seelische Natur des Menschen. Dies ist ja, salopp gesprochen, geradezu sein „Markenzeichen“. Aber in der Ethik geht er nicht einfach von der naturmetaphysischen These eines Vollendungsstrebens der leib-seelischen menschlichen Natur aus, welches unser naturwìchsiges Streben forme. Seine Bezugspunkte sind vielmehr die menschliche Praxis, ihren beiden Quellen Rationalit•t und Affektivit•t, sowie die immanente selbstbezìgliche Teleologie der menschlichen Praxis, deren Erfìllung ein gelingendes Zusammenspiel von Rationalit•t und Affektivit•t auf der Grundlage entsprechender seelischer Tugenden voraussetzt. Die leiblichen Vorzìge, angefangen bei der Gesundheit, kommen in dieser Perspektive gegenìber dem Telos der Eupraxie nur als instrumentelle Gìter in den Blick. In Paragraph (3) des oben zitierten Abschnitts wird nun, im direkten Anschluß an die These des doppelten Vervollkommnungsstrebens die These der ursprìnglichen selbstbezìglichen Oikeio¯sis eingefìhrt und daran die These der strebensm•ßigen Ausrichtung auf alles Naturgem•ße angeknìpft. Der Begriff der Oikeio¯sis wird hier durch die Perfektform „ájei_shai“ ausgedrìckt. Das griechische Perfekt ist bekanntlich keine Vergangenheitsform, sondern bezeichnet, sofern es einen temporalen Bezug hat, einen gegenw•rtigen Zustand als Resultat eines Geschehens in der Vergangenheit. Gemeint ist also eine zust•ndliche, basale Pro-Einstellung des Menschen im Verh•ltnis zu sich selbst, welche im ìbrigen „von Natur 21 Vgl. Cicero, De fin. V 24 – 26, 34 und 37.

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aus“ (v}sei) gegeben ist, also eine naturwìchsige Strebensdisposition darstellt. Wenn nun also in (3) die These einer ursprìnglichen Selbstliebe mit der These von der strebensm•ßigen Ausrichtung auf das „Naturgem•ße“ verbunden wird, so ist bei letzterem Ausdruck an das zu denken, was das der menschlichen Natur Gem•ße ist. Nur so ergibt sich der erforderliche direkte Zusammenhang: Aufgrund der strebensm•ßigen Pro-Einstellung mit Bezug auf sich selbst, und damit auf die Bewahrung und Entfaltung seiner eigenen Natur und Konstitution, fìhlt sich der Mensch in dem wohl, was seiner Natur gem•ß ist. Was ist aber das der Natur eines Menschen Gem•ße? Woran hat man dabei konkret zu denken? Der folgende Satz (4) gibt darauf eine partielle Antwort, aber er verunklart, wie ich noch zeigen werde, die argumentative Struktur des Abschnittes und kçnnte ein Einschub sein. Betrachten wir darum zuerst Absatz (5), der sich organisch an (2) und (3) anschließt, da wir dort erfahren, wieso die Behauptung eines zwief•ltigen, auf seelische und leibliche Vorzìge aufgeteilten Vervollkommnungsstrebens mit der These der ursprìnglichen strebensm•ßigen Selbstbejahung in einem Zusammenhang steht: Weil sich der Mensch, dem diese ursprìngliche Selbstliebe gilt, in Seele und Kçrper, und des weiteren in die Teile und Aspekte von Seele und Kçrper ausdifferenziert, so sind alle diese Teile nicht nur indirekt in dem Gesamtobjekt der Selbstliebe mit inbegriffen, sondern werden auch je fìr sich zu Objekten der intentionalen ProEinstellung. Dieser Gedankengang, auf den A 3 noch einmal in einer etwas expliziteren Formulierung zurìckkommen wird (122, 11 f.), erscheint allerdings nicht schlìssig zu sein, so wie er hier formuliert wird: Daraus, daß ein Objekt O Gegenstand einer intentionalen Einstellung v ist, folgt nicht notwendigerweise, daß auch die Teile von O, je fìr sich, Objekte der gleichen intentionalen Einstellung v sind. Im Hintergrund steht aber wohl die in diesem doxographischen Text ausgelassene (stoische) Lehre, wonach die ursprìngliche strebensm•ßige Selbstaffirmation mit dem Bewußtwerden bzw. der Wahrnehmung (suma_shgsir) der Teile der eigenen Konstitution verknìpft ist, welche somit kognitiv und darum dann auch strebensm•ßig als das dem eigenen Selbst Zugehçrige wahrgenommen werden, so daß die Selbstaffirmation sich intentional auch auf die Teile er Konstitution bezieht.22 22 Vgl. den Hierokles-Papyros (insbesondere 4, 51 – 53) und SVF III 197; s. a. Pohlenz 1940, 1 ff.; Long 1996a. (Damit die These, daß der Selbsterhaltungsimpuls mit einer Selbstwahrnehmung einhergeht, die immer schon die Wahr-

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Was ist nun aber das „Naturgem•ße“ (t± jat± v}sim)? Wenn wir uns selbst, und wenn uns unsere Teile und deren charakteristische Vermçgen und T•tigkeiten von Natur aus lieb sind, und wenn ferner, wie schon in Absatz (2) festgestellt, das menschliche Streben auf die Vervollkommnung dieser Teile zielt, dann liegt es nahe zu vermuten, daß es sich bei den naturgem•ßen Dingen erstens um die naturgem•ßen Zust•nde und Bet•tigungen von Kçrper und Seele und ihren Teilen handelt, zweitens um jene •ußeren Mittel oder Umst•nde, die diese bewahren oder fçrdern. Soweit unser Rekonstruktionsversuch fìr (2), (3) und (5). Wie steht es mit den Aussagen in (4)? An die These der grundlegenden strebensm•ßigen Bejahung seiner selbst bzw. des eigenen Seins und an die damit verknìpfte These, daß man sich darum natìrlicherweise in dem, was der eigenen Natur gem•ß ist, wohlfìhlt, wird hier eine Liste von drei naturgem•ßen Grundgìtern angeschlossen. Allerdings bereitet diese Liste Schwierigkeiten fìr die Rekonstruktion des Argumentes: 1) Nach dem Vorausgegangenen wìrde man erwarten, daß jetzt Gìter aufgez•hlt werden, die von Natur aus in einem positiven Bezug zum menschlichen Sein oder Leben stehen und insofern diesem pq_tom oQje?om nachgeordnet sind. Aber wieso wird dann dieses Leben selbst noch einmal als ein Gut aufgez•hlt? 2) Auch die Reihenfolge, in der diese Gìter genannt werden, kann Befremden hervorrufen – warum das Leben zuletzt?23 3) Wie verh•lt sich eigentlich diese Dreiheit von Grundgìtern zu der zuvor angedeuteten Dichotomie in seelische und leibliche Vorzìge? Diese Schwierigkeiten in Verbindung mit der Tatsache, daß sich Paragraph (5) sehr viel besser als Fortsetzung von (2) und (3) lesen l•ßt, scheinen mir dafìr zu sprechen, daß (4) ein Einschub ist. Auff•llig ist die anti-stoische Pointe, die Bdom^ unter die Grundgìter des Menschen einzureihen, vor allem aber die Aussage, mit der der Begriff des Naturgem•ßen in eine Reihe gestellt wird mit dem Begriff eines durch sich selbst erstrebenswerten Gutes (di’ art¹ aRqet¹m ja· !cah|m). Diese Aussage ist ein zentrales Anliegen des zweiten Teils des Oikeio¯sis-Abschnitts (A3b ; 119, 22 ff.), wie man daran sieht, daß A3b immer wieder darauf zurìckkommt, die naturwìchsigen Strebensziele als di’ art± aRqet\ herauszustellen.24 nehmung der Teile der leib-seelischen Konstitution einschließt, plausibel erscheint, muß man eine quasi dunkle und ungerichtete Form der leib-seelischen Selbstwahrnehmung annehmen.; vgl. etwa Seneca, Ep. mor. 121, 12 f.) 23 Vgl. Pohlenz 1940, 27 f. 24 Der Abschnitt A3b ist nur mit einer sehr ungeschickten ›berleitung an den Abschnitt A3a angeknìpft, was die Vermutung nahelegt, das diese Verbindung nicht ursprìnglich ist. Vielleicht ist ja (4) als Einschub von dem gleichen Doxographen in A3a eingefìgt worden, der auch die Zusammenstellung mit A3b vorgenommen

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Wenn ich hier „di’ art¹ aRqet|m“ im Sinne von Selbstzweckhaftigkeit auffasse, so muß dies allerdings noch begrìndet werden. Denn es hat sich ja bereits gezeigt (vgl. oben, § 12), daß der Begriff „di’ art¹ aRqet|m“ in zwei Bedeutungen gebraucht werden kann: im Sinne des nicht instrumentell, sondern selbstzweckhaft Erstrebten, sowie in dem Sinne, daß etwas in seiner eigenen Natur einen Grund des Erstrebenswert-Seins hat, was auch bei denjenigen instrumentellen Gìtern der Fall ist, die in ihrer eigenen Natur den Grund ihrer Tauglichkeit fìr den Menschen haben. Daß in A3 von di’ art± aRqet\ im ersteren Sinne die Rede ist, zeigen aber die sp•teren Stellen in diesem Abschnitt eindeutig, in denen die di’ art± aRqet\ in Gegensatz zu dem gesetzt werden, was nur aufgrund seines Nutzens erstrebt wird (119, 22 f.; 120, 16 f.; 123, 7; s. a. 121, 1 f.; 126, 12 – 24). Die Feststellung in (5), die den Bezug der ursprìnglichen Selbstliebe in die verschiedenen Teile und Aspekte des menschlichen Selbst ausdifferenziert, leitet zugleich zu Ausfìhrungen ìber, in denen diese naturwìchsigen Impulse in einen Zusammenhang mit der Genese der rationalen Arete¯ gebracht werden: „(5) Denn uns sei lieb (v_kom) der Kçrper, lieb die Seele, und lieb [auch] die Teile und die Vermçgen und die T•tigkeiten dieser [beiden], (6) [und] in der Sorge (pq|moia) fìr die Bewahrung dieser [Dinge]25 liege der Ursprung (!qw^) des Antriebes (bql^), des Angemessenen (jah^jom) und der Arete¯. (7) Wenn es n•mlich hinsichtlich des W•hlens und Meidens der genannten [Dinge] [sc. des Naturgem•ßen und Naturwidrigen] nie zum Irrtum kommen wìrde, sondern wir best•ndig des Guten (!cah\) habhaft und der ›bel unteilhaftig w•ren, so wìrden wir niemals nach der richtigen und t•uschungsfreien Auswahl (1jkoc^) gesucht haben. (8) Da wir uns aber oft durch Unwissenheit hinsichtlich des W•hlens und Meidens t•uschten und das Gute verschm•hten, dagegen in die ›bel als in [vermeintlich] Gutes hineingerieten, so haben wir gezwungenermaßen nach dem festen Beurteilungswissen (t/r 1pijq_seyr b]baior eUdgsir) gesucht. (9) Und wir haben es [sc. dieses Wissen], von dem wir auch bemerkten, daß es im Einklang mit der Natur (sum\d¹r t0 v}sei) steht, wegen der Großartigkeit seiner T•tigkeit „Arete¯“ [sc. „Bestheit“] genannt, und haben dieser in gewaltiger (dailom_yr) Bewunderung eine Ehre vor allen anderen [Dingen] zugebilligt. (10) Denn die Handlungen haben ihre Grundlage (!qw\r) in der Wahl (1jkoc^) des Naturgem•ßen und der Abwahl (!pejkoc^) des Naturwidrigen, hat, und zwar weil er auch schon in A3a die Kernthese von der Verbindung von Naturgem•ßheit und Selbstzweckhaftigkeit eines Strebenszieles ansprechen wollte. 25 Die von Wachsmuth ìbernommene Konjektur „‹di’› ¨m“ ist nicht plausibel; vgl. den Text bei von Arnim 1926, 134; Gçrgemanns 1983.

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und so auch das sogenannte Angemessene (jah^jomta), weshalb auch die [ethisch] richtigen Handlungen (jatoqh~seir) und die [ethischen] Verfehlungen ("laqt_ai) in diesem und mit Bezug auf diese [sc. das Naturgem•ße und Naturwidrige26] stattfinden.“ (A3a, 118, 20 – 119, 19)

Paragraph (6) enth•lt als erstes die Aussage, daß das grundlegende Streben des Menschen, die bql^ (die zun•chst naturwìchsig ist, bevor sie durch die Arete¯ geformt wird), seinen Ursprung, entsprechend der naturwìchsigen Selbstliebe, in der Sorge um die Bewahrung der Teile, Vermçgen und charakteristischen Bet•tigungen von Leib und Seele habe. Zweitens soll die so ausdifferenzierte Selbstliebe auch die Basis fìr angemessene Handlungen (die jah^jomta) sowie fìr die Arete¯ liefern. Wie die Arete¯ sich aus dieser ursprìnglichen Strebensausrichtung ergibt, wird in (7) bis (9) n•her erl•utert. Und zwar t•uschen wir uns oft im W•hlen oder Vorziehen des Guten bzw. Meiden des ›blen und verfehlen so die Intention unserer naturwìchsigen Sorge fìr uns selbst. Durch diesen Umstand gençtigt, trachten wir danach, ein sicheres, t•uschungsfreies Beurteilungsvermçgen zu erwerben, dank dessen wir in der Auswahl (1jkoc^) unter den gegebenen Handlungsoptionen auch tats•chlich das, was (unserer) Natur gem•ß ist, treffen und das, was ihr zuwider ist, meiden. Die Arete¯ wird mit eben diesem festen Beurteilungswissen gleichgesetzt, und ihr Name, in einer impliziten etymologischen Ableitung von „%qistom“ („Bestes“), auf die bewunderungswìrdige Großartigkeit zurìckgefìhrt, die einem Wissen und seiner Bet•tigung eignen, welche uns in ›bereinstimmung zur Natur setzen.27 Da die Arete¯ ein rationales Beurteilungswissen ist, das erst erworben und nicht schon vorgegeben ist, gelangen wir mit der Entwicklung der Arete¯ von der Stufe naturwìchsigen Strebens zu der des begrìndeten W•hlens. Was ist die Stellung der jah^jomta zur ursprìnglichen selbstbezìglichen Sorge und zum Naturgem•ßen und Naturwidrigen? Hierzu enth•lt 26 Der Rìckbezug von „t_m eQqgl]mym“ ist nicht ganz eindeutig, aber es mìssen doch wohl die jat± v}sim und paq± v}sim gemeint sein, von denen schon in (3) die Rede war (vgl. von Arnim 1926, 137), nicht die „Teile, Vermçgen und T•tigkeiten“, von denen in (5) die Rede ist (wie Gçrgemanns 1983, 175, zu meinen scheint), denn die Teile kçnnen nicht Objekte der aRq]seir werden, sondern nur das Naturgem•ße, das ihnen fçrderlich ist. 27 Daß gerade auch die ›bereinstimmung mit der v}sir in Zusammenhang mit dieser Namensgebung und dem dailom_yr haul\feim hervorgehoben wird, spricht dafìr, daß hier, jedenfalls in der Perspektive der ursprìnglichen Quelle, nicht mehr nur an die spezifische Natur des Menschen, sondern auch an die gçttliche Allnatur gedacht wird, in die sie eingebettet ist – eine typisch stoische Perspektive.

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(10) weitere Hinweise, wobei aufschlußreich die Abgrenzung von den ethisch richtigen Handlungen ist (jatoqh~seir),28 in denen sich die Arete¯ bet•tigt. Wir haben es hier natìrlich mit stoischer Terminologie reinsten Wassers zu tun, und ohne die Berìcksichtigung stoischer Paralleltexte w•re der Text hier auch gar nicht voll verst•ndlich. Und zwar heißt es in (10) erstens, daß die Handlungen ihre Grundlage in der Wahl (1jkoc^) bzw. Abwahl (!pejkoc^) des Naturgem•ßen und Naturwidrigen haben. Wahl und Abwahl sind die Entsprechungen zu einem rein naturwìchsigen Erstreben und Meiden auf der Entwicklungsstufe eines rationalen Wesens. Daß die Handlungen eines rationalen Wesens im Kern ein w•hlendes SichBeziehen auf das seiner Natur Gem•ße oder ihr Zuwiderlaufende sind, ist einsichtig, wenn man unterstellt, daß auch das rationale W•hlen prim•r von der Sorge fìr das eigene Selbst und seine seelischen und leiblichen Teile und Aspekte bestimmt wird. Zweitens wird in (10) behauptet, daß auch die jah^jomta die gleiche Grundlage haben. jah^jomta sind im stoischen Verst•ndnis, wie bereits erw•hnt, die angemessenen, „gehçrigen“29 Handlungs- oder Verhaltensweisen, deren Angemessenheit sich beim Menschen aus der Ausrichtung auf das Naturgem•ße ergibt. Die jah^jomta sind aber nicht eo ipso schon Handlungen der Arete¯. Denn letztere, die jatoqh~lata oder jatoqh~seir, gewinnen ihre Qualit•t durch die innere Haltung der Arete¯, aus der heraus gehandelt wird, und haben auch in dieser ihr eigentliches Ziel. Gleichwohl haben sie auch im Naturgem•ßen weiterhin einen Bezugspunkt, da sich die Arete¯ als Techne¯ des richtigen Vorziehens des Naturgem•ßen bet•tigt. Die Differenzierung in (10), wonach das Naturgem•ße (und das zu meidende Naturwidrige) fìr die jah^jomta die !qw^, fìr die jatoqh~seir aber nur noch den Bezugspunkt (peq· û) und das Material (1m oXr) darstellen, hat diesen doktrinalen Hintergrund30 und verweist damit auf ein stoisches Lehrstìck, bei dem 28 Es ist hier von „jat|qhysir“/„"laqt_a“, nicht von „jat|qhyla“ die Rede, und Stoiker unterscheiden strenggenommen in der Weise zwischen „jat|qhyla“ (versus „"l\qtgla“) und „jat|qhysir“ (versus „"laqt_a“), daß „jat|qhyla“ fìr die aus einer richtigen Haltung heraus erfolgte Handlung, „jat|qhysir“ eher fìr das Hervorbringen dieser Handlung bzw. fìr den inneren Akt steht (vgl. Ciceros ›bersetzungen „recte factum“ und „recta effectio“ De fin. III 45 [SVF III 524]; s. a. SVF III 517; 526; 528; ein etwas anderer Deutungsversuch bei Rieth 1933, 112). Fìr das Verst•ndnis dieser Stelle bei ArD spielt diese Bedeutungsdistinktion allerdings keine Rolle. Ohnehin gehçren „jat|qhysir“ und „jat|qhyla“ der Sache nach zusammen. 29 So versucht Rieth 1933 es wiederzugeben. 30 Vgl. Kidd 1971, 156 f., sowie SVF III 491 (Plutarch, De comm. not. 1069E) und Cicero, De fin. III 59 – 61

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hçchst zweifelhaft ist, ob es auch nur ansatzweise in ein Handlungs- und Gìterlehre des aristotelischen Typs integriert werden kann. Inwieweit handelt es sich bei diesem Textstìck (2) bis (10) ìberhaupt noch in einer inhaltlich zu spezifizierenden Weise um einen peripatetischen Gedankengang? Antistoisch ist jedenfalls die Aussage in (4), mit der bestimmten naturgem•ßen Dingen, die Objekte naturwìchsigen Strebens sind, der Status von Gìtern, die durch sich selbst erstrebenswert sind, einger•umt wird. (In stoischer Begrifflichkeit w•ren dies nicht !cah\, sondern bloße pqogcl]ma, und auch nicht „durch sich selbst erstrebenswert“, di’ art± aRqet\, sondern nur „durch sich selbst ergreifenswert“, di’ art± kgpt\.) Nicht mit stoischer Orthodoxie zu vereinbaren ist auch die These in (4), daß die Lust als Strebensziel ebenso ursprìnglich wie die Lebenserhaltung ist. Allerdings verdunkelt (4) den Argumentationsduktus, weshalb ich vermutet habe, daß dieser Satz nicht zur •ltesten Schicht des Textes A3a gehçrt. Wenn man den Text (2)-(10) ohne (4) betrachtet, so ist zuerst einmal festzuhalten, daß auch in (7) die jat± v}sim als !cah\ bezeichnet werden. Ansonsten ist dieser Text nicht nur in der Wortwahl, sondern auch durch die dabei vorausgesetzten Begriffe und Argumente, in vielerlei Hinsicht durch und durch stoisch gepr•gt. Dazu z•hlen der einseitige Intellektualismus in der Auffassung der Arete¯, der Arete¯ mit Wissen (eUdgsir) gleichsetzt und in dieser Form klar unaristotelisch ist, sowie die Auffassung, daß die jah^jomta Handlungsweisen sind, die die jat± v}sim zum Gegenstand haben, welche dann fìr die jatoqh~seir nur das Material darstellen.31 Durchaus typisch fìr eine stoische Sichtweise ist auch das Interesse an einer etymologischen Erkl•rung des Wortes „!qet^“, aber auch, daß in Zusammenhang mit der Großartigkeit und Verehrungswìrdigkeit der Arete¯ („dailom_yr“) gerade auf ihre ›bereinstimmung mit der Physis verwiesen wird, wobei jetzt durchaus an die Allnatur zu denken w•re, die fìr den stoischen Weisen letztlich der Maßstab ist. Die Abweichungen gegenìber der altstoischen Position bestehen teilweise nur in der Auslassung bestimmter Theoreme, die aber indirekt doch vorausgesetzt werden. So erw•hnt der Text bei ArD nicht die Lehre von der suma_shgsir der Teile, wohl aber die dies voraussetzende Lehre, daß die selbstbezìgliche Zuneigung die Zuneigung zu allen Teilen nach sich zieht. Ebenso wird nicht erw•hnt, daß die Entwicklung von den ursprìnglichen Impulsen zur Arete¯ Zwischenschritte erfordert, zu denen eine Phase gehçrt, in der man sich nur erst an den jah^jomta, und d. h. an einer rein •ußerlichen, in Regeln 31 Vgl. Pohlenz 1940, 29 f.

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faßbaren Handlungsrichtigkeit orientiert. Aber die Art und Weise der Abgrenzung zwischen jah^jomta und jatoqh~seir scheint diesen Hintergrund doch wiederum implizit vorauszusetzen. Eine entscheidende doktrinale Modifikation liegt in der Bereitschaft, auf jene ursprìnglichen naturgem•ßen Strebensziele den Begriff des Guten anzuwenden (119, 6), in Verbindung mit dem Vervollkommnungsargument, das aus dem leibseelischen Dualismus und einem unterstellten natìrlichen Vervollkommnungsstreben in das Telos des Menschen sowohl seelische als auch kçrperliche Vortrefflichkeiten einbezieht. Diesbezìglich haben wir bereits die ›bereinstimmung mit der Oikeio¯sis-Lehre des Antiochos herausgestellt.32 Ob ein solcher Adaptionsversuch der Oikeio¯sisLehre ìberhaupt konsistent sein kann, h•ngt wesentlich davon ab, wie man jenen Schritt analysiert, mit dem die Arete¯ sich als Gut ihrer selbst bewußt wird. Denn fìr die Stoiker, nicht aber fìr Antiochos oder fìr den Text bei ArD ist dies der Wendepunkt, an dem sich der Erfolg des naturwìchsigen Strebens als indifferent mit Bezug auf das Telos herausstellt sowie der Begriff der ›bereinstimmung mit der Natur einen ganz neuen Sinn gewinnt. Ich werde weiter unten auf diese Frage in Zusammenhang mit einer Stelle in A3b, 123, 17 ff., zurìckkommen, die auf diese Stufe der Entwicklung n•her eingeht. W•hrend also dieser erste Abschnitt A3a, den wir bisher diskutiert haben, zu zeigen versucht, wie die Arete¯ auf der ursprìnglichen Oikeio¯sis aufbaut, und dies mit einer Gìterlehre — la Antiochos verknìpft, hat der nachfolgende zweite Abschnitt A3b die Zielsetzung, eine Rangfolge unter den natìrlichen, selbstzweckhaften Gìtern zu erweisen. Das Argument in A3b, das sich so in keinem anderen erhaltenen Text findet, rekurriert auf den Begriff der sozialen Oikeio¯sis, die eine Verbindung zu anderen Menschen und zu anderen Arten von •ußeren Gìtern, die mit der sozialen Orientierung zusammenh•ngen (z. B. das gute Ansehen), herstellt. Ein Gut wie Reichtum tritt dagegen nicht als selbstzweckhaft naturwìchsiges Strebensziel in den Blick. In Abhebung zu der Klasse selbstzweckhafter •ußerer Gìter soll der hçhere Rang der guten Verfassung der Teile und Aspekte des eigenen leibseelischen Selbst herausgestellt, und zweitens dann auch der Vorrang der seelischen vor den leiblichen Gìtern erwiesen werden. Der Einsatz der Erçrterung zur sozialen Oikeio¯sis am Beginn von A3b (119, 22 ff.) ist unvermittelt, da der dunkle ›berleitungssatz in 119, 20 f., wohl eher der ungeschickte Versuch eines Doxographen ist. 32 Vgl. hierzu auch Striker 1983. (Es ist allerdings nicht so, daß alle Peripatetiker diese Form des Vervollkommnungsargumentes vertreten, wie Striker es erscheinen l•ßt.)

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

Die Beschreibung der sozialen Oikeio¯sis ist bei den Stoikern eine wichtige Erg•nzung zu der Lehre von der ursprìnglichen selbstbezìglichen Oikeio¯sis. Bereits in der klassischen orthodoxen Ausformulierung bei Chrysipp wird der Impuls altruistischer Zuneigung als in gewissem Sinne gleichursprìnglich mit dem der Selbstliebe betrachtet. Als fundamental gilt dabei die Liebe der Eltern zu ihren Kindern, was allerdings auch zeigt, das Ursprìnglichkeit hier nicht in einem chronologischen Sinne gemeint sein kann. Die eigentliche Pointe der Lehre von der sozialen Oikeio¯sis liegt in der schrittweisen Erweiterung der natìrlichen Zuneigung zu anderen ìber Zwischenstufen bis hin zu einer universalen Menschenliebe, die wohl auch die Anerkennung der universal geltenden natìrlichen rechtsethischen Normen erkl•ren soll.33 Fìr die soziale Oikeio¯sis scheint nicht anders als fìr die selbstbezìgliche zu gelten, daß sie von ihrem Ursprung her naturwìchsig ist, aber eine grunds•tzliche qualitative Ver•nderung erf•hrt, wenn erst einmal der strikt rationale Standpunkt der Arete¯ erreicht ist und der Betreffende sich auf dieser Grundlage als Freund aller anderen Weisen und als Bìrger der aus Gçttern und Menschen gebildeten „Weltstadt“ begreift. Zur Erl•uterung der sozialen Oikeio¯sis beginnt der Text mit der Feststellung, daß niemand so roh und bestialisch sei, daß seine strebensm•ßige Pro-Einstellung gegenìber den eigenen Kindern sich nur auf den Nutzen beziehe, den die Kinder fìr ihn haben. Die Pro-Einstellung gelte den Kindern auch um ihrer selbst willen, was sich zum Beispiel darin manifestiere, daß einem jeden von Natur aus daran liegt, daß es seinen Kindern auch nach seinem Tod noch gut geht (also wenn er selbst davon keinen Nutzen mehr ziehen kann). Daß das Kind den Status eines di’ art¹ aRqet|m genießt, und zwar im Sinne des Selbstzweckhaften, nicht nur Zweckdienlichen (wqe_a 119, 23; 120, 17; vgl. a. 120, 9), grìndet in seiner natìrlichen Verwandtschaft (oQjei|tgr) zu den Eltern. Eine solche gibt es 33 Vgl. Cicero, De fin. III 62 – 67; vielleicht auch Porphyrios, De abstin. III 19 (= SVF I 197 – allerdings legt der Kontext der Stelle bei Porphyrios eher den Konnex mit der selbstbezìglichen Oikeio¯sis nah, welche den Unterschied von Eigenem und Fremdem begrìndet und so den Objektbereich von Gerechtigkeit konstituiert). Man hat diese Doktrin bereits in der Antike scharf mit Verweis darauf kritisiert, daß Zuneigung nicht das Fundament der Gerechtigkeit sein kann, weil die Selbstliebe doch immer st•rker als die Zuneigung anderen, zumal Unbekannten gegenìber sei (Anonymus in Platonis Theaet. V, 18 ff.; vgl. dazu u. a. Pembroke 1971, 127 ff.; Annas 1993, 270 ff.; Long/Sedley 1987, 353). Die Entgegnung darauf kann nur sein, daß, wenn das Entwicklungsstadium einer strikt rationalen Haltung erreicht ist, kein Gegensatz mehr zwischen dem Telos des eigenen Handelns und den universalen, rationalen Verhaltensnormen der „Weltstadt“ besteht.

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aber auch zu den anderen natìrlichen Verwandten in nach Verwandtschaftsgraden abnehmender Intensit•t, die darum ebenfalls den Status von di’ art± aRqet\ genießen (120, 8 – 16). Daß diese Verwandtschaftsgrade Grund einer natìrlichen nicht-instrumentellen Pro-Einstellung sind (vgl. 121, 16 f.: eumoia vusijµ ja· vik_a), ja daß diese Einstellung sogar den Kreis der Mitbìrger qua Mitbìrger mit einschließt, hat seinen Grund darin, daß der Mensch ein „vik\kkgkom ja· joimymij¹m f`om“ (120, 14) ist, d. h. ein Lebewesen, fìr das wechselseitige Zuneigung und Gemeinschaftsbildung charakteristisch sind. Wenn aber diese Einstellung auch alle Mitbìrger einbezieht, so muß sie sich auch auf die Stammesgenossen und letztlich auf alle Menschen erweitern lassen. Daß dies tats•chlich der Fall ist, wird mit Verweis darauf belegt, daß es eine natìrliche Hilfsbereitsschaft auch gegenìber Unbekannten gibt. Die rhetorisch ausgefeilte, mit Dichterzitaten angereicherte Darstellung der natìrlichen und zugleich rationalen (jat± k|com 121, 17 f.) Philia gegenìber allen Menschen (vgl. 121, 22: vikamhqyp_a) erf•hrt ihre Klimax in einem Zitat, mit dem die durch die Allnatur gestiftete Gemeinschaft von Menschen und Gçttern evoziert wird (121, 16 – 21). – Wieder ist ìberdeutlich, in welch großem Maße sich das Ganze aus stoischem Gedankengut speist. Als eine Konsequenz natìrlicher Philanthropie wird herausgestellt, daß uns natìrlicherweise, unabh•ngig vom Nutzen, daran liegt, bei anderen Menschen ìber unseren Tod hinaus in gutem Ruf (eqvgl_a) zu stehen (121, 8 f.). – Wenn der Mensch nicht ein auf den Mitmenschen hin orientiertes Wesen w•re, kçnnte ihm der gute Ruf, wenigstens nach seinem Tod, ja ganz gleichgìltig sein. – Entsprechend ihrem Gemeinschaftssinn haben Menschen nicht nur eine Pro-Einstellung zu anderen Menschen, sondern ist ihnen auch die Pro-Einstellung dieser anderen Menschen ihnen gegenìber erstrebenswert in der Weise eines di’ art¹ aRqet|m. Wie in 121, 2 ff. ausgefìhrt wird, umfaßt dies die Philia und das Wohlwollen, welche die anderen (angefangen bei denen, die mit uns das Leben teilen) fìr uns empfinden, und des weiteren auch das Lob von diesen anderen und deren gute Meinung ìber uns (eqdon_a).34 In der resìmierenden Bemerkung in 122, 7 – 9, heißt es dann, daß gezeigt worden sei, daß •ußere Gìter di’ art± aRqet\ seien, wobei eine interpretatorische Unsicherheit dahingehend besteht, ob von den •ußeren Gìtern ìberhaupt oder nur von den aufgelisteten •ußeren Gìtern, die allesamt in den Kontext der sozialen Oikeio¯sis gehçren, die Rede ist. Die Argumentation des Abschnitts bezieht sich jedenfalls nur auf die Objekte der sozialen Oikeio¯sis, was im wesentlichen die 34 Zum kontroversen Status der eqdon_a bei den Stoikern vgl. Cicero, De fin. III 57.

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anderen Menschen, unsere Philia zu diesen anderen Menschen und deren Philia und Hochsch•tzung fìr uns umfaßt.35 Daß auch ein Gut wie Reichtum selbstzweckhaft ist, l•ßt sich daraus nicht ableiten.36 Der n•chste Schritt im Argumentationsgang besteht darin, daß daraus, daß solche •ußeren Gìter di’ art± aRqet\ sein kçnnen, gefolgert wird, daß dies dann umso mehr fìr die Gìter gelten mìsse, die Seele und Leib betreffen. Dabei wird auf die schon in A3a vertretene Vorstellung zurìckgegriffen, daß sich die selbstbezìgliche Pro-Einstellung des Menschen auch auf seine Teile beziehen mìsse, angefangen bei Seele und Leib als den umfassendsten Teilen (122, 11 f.). Der Text legt grçßten Wert auf die Feststellung, daß der Leib und seine Teile, sowie deren vorzìgliche Verfaßtheiten (!qeta_) Gìter sind in der Weise der di’ art± aRqet\. Als !qeta_ des Kçrpers werden Vorzìge wie Gesundheit, Kraft, Schçnheit, Schnelligkeit und scharfe Wahrnehmung genannt. Fìr die These, daß die selbstbezìgliche Zuneigung irgendwie noch st•rker ist als die mitmenschliche, wird nicht eindeutig eine Begrìndung geliefert. Die Formulierungen in 122, 14 – 18, legen allerdings nahe, daß sich der Autor von der Vorstellung leiten l•ßt, daß die abnehmenden Intensit•tsgrade der Zuneigung mit dem Grad der Entfernung korrelieren. Und man selbst ist sich eben „am n•chsten“. ›brigens muß damit, auch wenn die Formulierungen in dem Text etwas mißverst•ndlich sind, nicht gemeint sein, daß jegliches leibliche Gut einem von Natur aus wichtiger ist als jeder andere Mensch. Eher geht es darum, daß die eigene gute Verfassung, die seelische und leibliche Gìter umfaßt, von Natur aus eine strebensm•ßige Priorit•t gegenìber der Verfassung irgendeines anderen Menschen besitzt, und daß darum auch die eigenen leiblichen Vorzìge fìr einen selbst wichtiger sind als die leiblichen Vorzìge eines anderen Men35 Aus diesem Grund sind die Konjekturen „taOta“ oder „taut_“ fìr das unhaltbare „ta}tgm“ sachlich plausibler als die Konjektur „ta}t,“. 36 Allerdings wird in 124, 18 – 125, 13 (= A3c) der Reichtum als eines der •ußeren Gìter, die di’ art± aRqet\ sind, erw•hnt. Jedoch spricht sehr viel dafìr, daß dieses Textstìck ursprìnglich nicht aus der gleichen Feder stammt wie A3b. Dieser Abschnitt ìberlappt sich n•mlich thematisch mit dem unmittelbar vorangegangenen Passus 124, 1 – 14, der sich organisch an das Vorherige anfìgt und auch durch das Dichterzitat eine stilistische Verwandtschaft mit ihm aufweist, und wirkt teilweise redundant. (Moraux 1973, 325 – 327, vermutet mit plausiblen Grìnden, daß A3c ein sp•terer Einschub ist. Es kçnnte aber auch sein, daß der anschließende Passus 125, 14 – 126, 11 im Kern mit A3c ursprìnglich zusammengehçrt hat, da der erste Satz von 125, 14 ff., sich gut anzuschließen scheint. Jedenfalls dìrfte A3c nachtr•glich an das Vorhergehende angefìgt worden sein, ob nun allein oder zusammen mit 125, 14 ff.)

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schen (122, 14 – 16). Sicherlich kann man auch gegen diese Behauptung noch bestimmte Ph•nomene des Altruismus anfìhren, wie sie etwa bei der Elternliebe auftreten. Aber wenigstens ist dies keine von vornherein absurde These, wie es die These w•re, daß der kleinste Vorzug fìr den eigenen Leib von Natur einen grçßeren selbstzweckhaften Wert besitzt als das Dasein eines nahestehenden Menschen. Der n•chste Schritt der Argumentation (123, 17 ff.) zielt darauf, daß die seelischen Gìter, und zuoberst die Arete¯, in hçherem Maße selbstzweckhaft erstrebenswert sind als die leiblichen Gìter: „(1) Wenn also von den leiblichen Gìtern erwiesen worden ist, daß sie durch sich selbst erstrebenswert (di’ art± aRqet\) sind, und das ihnen Entgegengesetzte durch sich selbst meidenswert, so mìssen auch die Teile der Seele und die Tugenden der Teile und der ganzen Seele durch sich selbst erstrebenswert sein. (2) Denn nachdem die Tugend [zun•chst] von den leiblichen und •ußeren Gìtern her ihren Auftritt37 erlangt hat [sc. als Kunst des Ausw•hlens mit Blick auf diese Gìter], wie wir gezeigt haben, und sich [dann] zu sich selbst hingewendet hat und wahrgenommen hat, daß sie selbst auch zu den naturgem•ßen [Dingen] gehçrt, [und zwar] noch sehr viel mehr als die Vortrefflichkeiten (!qeta_) des Kçrpers, ist sie mit Bezug auf sich selbst wohlgesinnt geworden (ájei~hg pq¹r 2aut^m), in der Weise, wie man mit Bezug auf etwas durch sich selbst Erstrebenswertes [wohlgesinnt wird] (¢r pq¹r di’ artµm aRqet^m), und [ist] mit Bezug auf sich selbst [sogar] in hçherem Maße [wohlgesinnt geworden] als mit Bezug auf die Vortrefflichkeiten des Kçrpers. (3) Deshalb seien die Tugenden der Seele viel verehrenswerter [sc. als die Vortrefflichkeiten des Kçrpers].“ (A3b, 123, 17 – 27)

Das entscheidende Argument in (2) stellt heraus, daß die Entwicklung der Arete¯ bei den •ußeren und leiblichen Gìtern ansetzt, was man mit der Darstellung in A3a verbinden kann, die die Entstehung der Arete¯ mit dem Bedìrfnis nach einem sicheren Beurteilungswissen in der Auswahl der naturgem•ßen Gìter verbunden hat. Wenn aber einmal die Arete¯ sich herausgebildet hat, so entdeckt sie auch sich selbst als ein selbstzweckhaftes natìrliches Gut, und zwar als eines, das ein noch grçßeres Gewicht besitzt als die anderen selbstzweckhaften Gìter. Diese Selbstentdeckung der Arete¯ geschieht wiederum in der Weise einer selbstbezìglichen Oikeio¯sis, die jetzt aber nicht den Ausgangs-, sondern Abschlußpunkt der Entwicklung darstellt. Schon in der urspìnglichen Oikeio¯sis ist der Mensch sich selbst zugeeignet, sich selbst freund geworden (ájei_shai pq¹r 2aut|m 118, 12), nur war zu diesem Zeitpunkt die Arete¯ noch nicht entwickelt, weshalb sich

37 „eUsodor“ hier m. E. im theatralischen Sinne des „Auftritts“.

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der natìrliche Impuls der Selbstliebe vornehmlich auf die leibliche Konstitution und die ihr zutr•glichen •ußeren Gìter bezog. Die modernen Kommentatoren halten es fìr eine Merkwìrdigkeit, daß bei ArD die Arete¯ selbst als Subjekt dieser letzten Stufe der Oikeio¯sis auftritt, bzw. sprechen von einer aus dramatischen Grìnden gew•hlten Personifizierung der Arete¯.38 Von Aristoteles her gesehen kçnnte es sich in der Tat nur um eine metaphorische Ausdrucksweise handeln, da aristotelisch die Arete¯ eine unselbst•ndige Qualit•t ist. Anders stellt es sich vor dem stoischen Hintergrund dar, denn fìr die materialistischen Stoiker ist die Arete¯ ein lebendiger Kçrper, ja ein Lebewesen (f`om), n•mlich das seelische Bcglomij|m, insofern dieses gut verfaßt ist.39 Daß das wohl verfaßte Bcglomij|m sich auf sich selbst zurìckbezieht und dabei sich selbst vertraut und zugeneigt wird, ist unter dieser Voraussetzung eine nichtmetaphorische Aussage. Dies wìrde dann auch dafìr sprechen, daß hier weiterhin eine intellektualistische Sichtweise der Arete¯ leitend ist. Der unmittelbare Anlaß, die Arete¯ hier selbst als Subjekt ihrer Oikeio¯sis auftreten zu lassen, dìrfte darin liegen, daß der Gedankengang bei der Abstufung der selbstzweckhaften Gìter vom Gesichtspunkt der N•he Gebrauch macht. So wie einem der eigene Leib und dessen Vortrefflichkeiten n•her und darum in hçherem Maße zugeeignet sind als der Kçrper eines Freundes mitsamt dessen kçrperlichen Vortrefflichkeiten, so soll dies auch fìr die Arete¯ im Verh•ltnis zu den Vortrefflichkeiten des Leibes gelten. Nichts kann der Arete¯ n•her sein als sie sich selbst. Wenn in diesem Zusammenhang auch vom Naturgem•ßen die Rede ist, so muß man bedenken, daß es um das geht, was der Natur des Menschen gem•ß ist. Es ist darum eine erste Pointe des Gedankenganges, daß sich das menschliche Selbst in der Arete¯ als dasjenige entdeckt, was am meisten und unmittelbarsten der eigenen Natur gem•ß und damit im hçchsten Maße das Streben der selbstbezìglichen Oikeio¯sis erfìllt. Die zweite Pointe liegt aber darin, daß die ìbrigen natìrlichen Gìter nicht den Status des um seiner selbst willen Erstrebenswerten verlieren, sondern sich in lediglich gradueller Abstufung als weniger erstrebenswert erweisen (s. a. 126, 12 – 14). 38 Vgl. aber die inhaltlich ìber Varro auf Antiochos zurìckgehenden Formulierungen in Augustinus, De civ. XIX 3 (p. 662, l. 27 ff.), in denen ebenfalls die Arete¯ als das Subjekt der Hinwendung fungiert: „Quapropter eadem virtus, id est ars agendae vitae, cum acceperit prima naturae, … omnia propter se ipsa appetit simulque etiam se ipsam, ominibusque simul et seipsa utitur, eo fine ut omnibus delectetur atque perfruatur …“ 39 Vgl. SVF III 305 – 7; s. a. Forschner 1995, 177 f.

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Gerade in dieser zweiten Pointe liegt die eindeutigste doktrinale Diskrepanz gegenìber der orthodoxen stoischen Lehre, gem•ß der sich in diesem Stadium jener qualitative Umschlag in der Entwicklung unseres Wertens vollzieht, der bedeutet, daß wir den Besitz oder Nichtbesitz leiblicher und •ußerer Gìter als indifferent fìr die Eudaimonie begreifen. Gem•ß der in dem Text von ArD an dieser Stelle erreichten Position muß sich dagegen die von praktischer Rationalit•t getragene Praxis, sofern sie auf die Auswahl leiblicher und •ußerer Gìter ausgerichtet ist, auf zwei Arten von selbstzweckhaften Zielen beziehen. Denn einerseits ist sie sich dabei als arete¯-gem•ßes Tun selbst ein naturgem•ßes Strebensziel, andererseits sehr wohl auch auf leibliche und •ußere Gìter als auf natìrliche, selbstzweckhafte Strebensziele ausgerichtet: Dabei ist dann zwar der arete¯gem•ße Charakter das von Natur gewichtigere Strebensziel, aber nicht so, daß die nicht-seelischen selbstzweckhaften Gìter bloß als Mittel zur Ermçglichung der ethischen Praxis in den Blick k•men. Zum Beispiel mìßten gem•ß dieser Position Handlungen, die der Fçrderung der eigenen Gesundheit dienen, um der Gesundheit willen erfolgen, zugleich aber, und in noch hçherem Maße, qua T•tigkeiten der Arete¯ um ihrer selbst willen erstrebt werden. Und auch mit Bezug auf die oben aufgeworfene Frage, wie sich die sittlich richtigen Handlungen (jatoqh~seir) zu den naturwìchsigen Strebenszielen verhalten, mìßte man dementsprechend sagen, daß sie ihr Telos nicht allein in sich selbst als arete¯- und eudaimoniegem•ße T•tigkeiten, sondern auch durch die Realisierung des die leiblichen und •ußeren Gìter einschließenden „naturgem•ßen Lebens“ verwirklichen. In welcher Weise tragen nun die natìrlichen nicht-seelischen Strebensobjekte gem•ß dieser Position zur Eudaimonie bei – instrumentell oder auch kompletiv? Wir haben bisher wesentliche ›bereinstimmungen mit Antiochos von Askalon feststellen kçnnen, und bei Antiochos sieht es ja so aus, daß er zwischen Eudaimonie und gesteigerter Eudaimonie unterscheidet, um sagen zu kçnnen, erstens daß die Arete¯ die hinreichende Bedingung fìr Eudaimonie ist und zweitens daß zur Verwirklichung der gesteigerten Eudaimonie leibliche und •ußere Gìter hinzukommen mìssen, wobei die leiblichen Gìter nicht nur instrumentell, sondern auch kompletiv zur Steigerung der Eudaimonie beitragen. Innerhalb des Oikeio¯sis-Abschnitts bei ArD sind fìr diese Frage vor allem zwei Textabschnitte relevant. Der erste, 125, 14ff – 126, 11, bringt den Gesichtspunkt der zwei Lebensformen, der sozialen und der kontemplativen, ins Spiel und verbindet dies mit den zwei Grundausrichtungen der Oikeio¯sis. Das Ergebnis wendet er dann auch auf die Frage des rationalen Suizids an. Den zweiten Abschnitt, 126, 12 – 127, 2 (= A3d), haben wir bereits oben

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analysiert (II-B, § 5, T3). Er enth•lt ein formales Argument, das sich dezidiert gegen die Symple¯ro¯ma-These wendet, ist also mit der Position des Antiochos eindeutig unvereinbar. Wie steht es mit dem ersten der beiden eben genannten Abschnitte, den ich in meiner Einteilung noch zu A3b hinzurechne? Im Mittelpunkt dieses Abschnittes steht die Frage, woran sich der Wert eines Lebens bemißt (paqaletqe?shai). Terminologisch ist uns diese Ausdrucksweise aus stoischem Kontext vertraut, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Thema des rationalen Suizids bzw. „wohlbegrìndeten Abgangs“ (eukocor 1nacyc^). Der Sache nach knìpft sie aber auch an Aristoteles’ Ausfìhrungen in EE I 5 an, die die Frage aufwerfen, welche Art von Lebensaktivit•t das Leben ìberhaupt lebenswert macht. Der Text bei ArD trifft die Feststellung, daß das Leben sich (seinem Wert nach) einerseits an den politischen und gemeinschaftsorientierten, andererseits an den theoretisch-kontemplativen T•tigkeiten bemißt. Diese beide Praxisformen werden mit den beiden Grundausrichtungen der Oikeio¯sis in Verbindung gebracht. Und zwar soll unsere natìrliche Hinneigung zur Erkenntnis der Wirklichkeit (B t/r !kghe_ar 1pist^lg) gerade in der selbstbezìglichen Oikeio¯sis verankert sein: „Da sie (sc. die Arete¯), wie wir sagten, am allermeisten mit Bezug auf sich selbst wohlgeneigt ist (pq¹r 2aut^m ájei_shai), so ist klar, daß sie selbst notwendigerweise auch mit Bezug auf das Wissen von der Wirklichkeit (B t/r !kghe_ar 1pist^lg) von Natur aus (vusij_r) wohlgeneigt ist.“ (125, 23 – 126, 2)

Demgegenìber wird die Ausrichtung der Arete¯ auf eine politisch-gemeinschaftliche Lebensform mit der sozialen Oikeio¯sis in Verbindung gebracht, und zwar durch den Hinweis darauf, daß die Arete¯ nicht egoistisch (v_kautor), sondern gemeinschaftlich und politisch orientiert sei. Daß die theoretische Lebensform die hçchste Erfìllung des selbstbezìglichen Strebens nach dem Guten ist, ist ebenso eine aristotelische Lehre (ausfìhrlich begrìndet in NE X 6-9). Allerdings sieht Aristoteles auch in den ethischen Tugenden und im Tun des ethischen jak|m eine Erfìllung der richtig verstandenen Selbstliebe. Daß diese Tugenden zugleich die soziale Natur des Menschen widerspiegeln, erkl•rt sich bei Aristoteles ebenfalls aus der sozialen Natur des Menschen. Insofern kçnnen die Aussagen dieses Abschnittes als kompatibel mit Aristoteles betrachtet werden, wenn sie auch in ihrer plakativen doxographischen Kìrze die Thematik nicht hinreichend ausdifferenzieren. Im ìbrigen fungiert hier wiederum die Arete¯ selbst als das Subjekt der ausgezeichneten T•tig-

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keitsformen – auch der theoretisch-kontempativen –, was auf ein intellektualistisches Verst•ndnis von Arete¯ schließen l•ßt.40 Von den zuvor thematisierten leiblichen Vorzìgen und (selbstzweckhaften) •ußeren Gìtern heißt es, daß sie einerseits um ihrer selbst willen, wenn auch nur in geringerem Maße als die seelischen Aretai, erstrebt werden, andererseits auch mit Blick auf ihre Dienlichkeit fìr die beiden ausgezeichneten Praxisformen, an denen sich der Wert des Lebens bemißt (125, 14 – 19), erstrebenswert sind. Damit wird eine peripatetische Perspektive unterstellt, gem•ß der die nicht-seelischen Gìter allemal auf instrumentelle Weise zum Lebensglìck beitragen, indem sie die Entfaltung der vorzìglichen T•tigkeitsformen ermçglichen. Daß wir uns damit wiederum von dem stoischen Paradigma, trotz der begrifflichen Anleihen und der intellektualistischen Perspektive auf die Arete¯, deutlich entfernt haben, zeigt auch die kurze Erçrterung zur rationalen Selbsttçtung, die sich unmittelbar anschließt (126, 2 – 11)41. Fìr die Stoiker42 bewegt sich die Abw•gung, ob man am Leben bleiben oder aus dem Leben ausscheiden soll, ganz auf der Ebene der pqogcl]ma, da auch das Leben selbst ein bloßes pqogcl]mom ist, nicht ein wahres Gut. Wenn der Weise feststellt, daß in seinem Leben die natìrlichen Vorzìge ìberwiegen, so wird er es auch als angemessen betrachten, an dem natìrlichen Vorzug des Fortlebens festzuhalten. Verh•lt es sich dagegen umgekehrt, wird er es als die sittlich richtige Handlungsweise erachten, aus dem Leben auszuscheiden. Das wahre Gut, also die eigene innere Haltung, werde dadurch n•mlich nicht 40 Zwar sind fìr Aristoteles auch die theoretisch-intellektuellen Habitus !qeta_, aber er vertritt nicht die Vorstellung von einer alle intellektuellen und ethischen Tugenden zu etwas in sich Einheitlichem zusammenfassenden !qet^. Vielmehr bleibt es bei der fundamentalen Trennung zwischen der sov_a einerseits und dem Komplex aus vq|mgsir und ethischen !qeta_ andererseits, wobei die vq|mgsir die Lebenspraxis zwar auf das Ziel der Bet•tigung der sov_a hin gestaltet, jedoch ohne daß dadurch die klare Differenz von sov_a und vq|mgsir aufgehoben wìrde (NE IV 13). In diesem Passus bei ArD wird hingegen der !qet^ schlechthin die theoretische Kontemplation als Erfìllung ihrer selbstbezìglichen Oikeio¯sis zugeordnet, obwohl sie zuerst als ein Vermçgen rationaler Handlungswahl eingefìhrt worden ist, also als praktische Rationalit•t. Wenn aber gleichzeitig daran festgehalten werden soll, daß die !qet^ auf sich selbst als ihr hçchstes praktisches Gut bezogen ist, dann kann diese theoretische T•tigkeit nur eine T•tigkeit und Erfìllung der zugleich praktisch w•hlenden !qet^ sein. 41 Es besteht kein hinreichender Grund, daß ìberlieferte „ja·“ in 126, 6 mit Wachsmuth durch die Konjektur jaj_r zu ersetzen. Vgl. Moraux 1973, 328 Anm. 26. Siehe zu diesem Argument auch v. Arnim 1926, 156. 42 Vgl. Cicero De fin. III 60 f. (= SVF III 763), ArD 110, 9 – 15 (= SVF III 758), SVF III 766.

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betroffen, denn fìr sie sei auch die zeitliche Ausdehnung kein steigernder oder schm•lernder Faktor. Die Lebensdauer ist somit ein !di\voqom, das auf einer Ebene mit den anderen natìrlichen Vorzìgen in den distanzierten rationalen Kalkìl des Weisen einbezogen wird, ohne daß dieser sein Telos daran bindet. In diesem Textstìck von ArD hingegen wird die Frage der Fortsetzung des Lebens mit der glìckskonstitutiven T•tigkeit selbst in Verbindung gebracht: Der Spoudaios setzt nur so lange sein Leben fort, wie er noch zu eudaimonischen Praxisformen f•hig ist, womit impliziert ist, daß der Verlust nicht-seelischer Gìter die Eudaimonie selbst aufheben kann, was die Stoiker mit ihrer Argumentation zum Suizid gerade ausschließen wollen. Die bis zu diesem Punkt im Gedankengang erreichte Position zum Verh•ltnis von Telos und naturwìchsigen Strebenszielen ist noch kompatibel mit der Lehre des Antiochos, mit der wir ja auch sonst schon eine Reihe von ›bereinstimmungen festgestellt haben und die, auf der Grundlage der These vom zwief•ltigen Vervollkommnungsstreben, die leiblichen Gìter nicht nur als Mittel, sondern als konstitutive Bestandteile gesteigerter Eudaimonie auffaßt. Ja, isoliert betrachtet, legen A3a und b eine solche oder •hnliche Sichtweise sogar nahe. Denn wenn leibliche Gìter, aufgrund des natìrlichen Vollendungsstrebens der leib-seelischen Natur des Menschen naturwìchsig und selbstzweckhaft erstrebt werden (nicht grunds•tzlich anders, wenn auch in geringerem Maße als die seelische Vollendung), so liegt es nahe, wie Antiochos und aus den gleichen Grìnden diese leiblichen Gìter, bzw. das Erlangen dieser Gìter, als mitkonstitutiv fìr die Eudaimonie, oder fìr so etwas wie gesteigerte Eudaimonie, zu betrachten. Nun wird ja aber in dem unmittelbar anschließenden Abschnitt von A3 (126, 12 – 127, 2, = A3d) eine Widerlegung der Symple¯ro¯mathese und damit auch einer solchen Sichtweise formuliert. Es spricht jedoch m. E. einiges dafìr, daß der Abschnitt A3d nicht ursprìnglich mit dem Kern der Abschnitte A3a und A3b zusammengehçrt. Der Duktus des Textes von A3d unterscheidet sich insbesondere von dem in A3b : A3d orientiert sich an einer eindeutig jungperipatetischen Definitionsformel fìr die Eudaimonie (126, 18 – 20) und bemìht sich um ein stringentes, allerdings auch sehr formales Argument gegen die Symple¯ro¯mathese, das schlìssig auf den aristotelischen und peripatetischen Definitionsformeln aufbaut. Demgegenìber weist A3b erstens einen sehr viel rhetorischeren Stil auf, fìr den etwa die wiederholten Dichterzitate charakteristisch sind, und stellt inhaltlich weitgehend eine Adaption stoischen Gedankenguts im Sinne einer peripatetischen Gìterlehre dar.

§ 16. Kritik und Vergleich

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§ 16. Kritik und Vergleich Der Prozeß der Kompilation dieses Textes wird sich wohl kaum verl•ßlich rekonstruieren lassen. Aber in der einen oder anderen Form muß eine Synthese von stoischem und aristotelisch-peripatetischem Gedankengut stattgefunden haben, und darum stellt sich auch die Frage, was der Anlaß dazu ist, die stoische Oikeio¯sis-Lehre in die Exposition der peripatetischen Gìterlehre einzubeziehen. Zugleich sollte man sich auch fragen, wie geglìckt dieser Adaptionsversuch ist und welche sachliche Relevanz er besitzt. Was die Veranlassung betrifft, so kann man erstens davon ausgehen, daß es schlicht zum Standard in der philosophischen Ethik des 2. und 1. Jhdts. v. Chr. gehçrte, die Lehre vom Guten und vom Telos auch im Kontext der Frage nach dem ursprìnglichen natìrlichen Strebensziel des Menschen zu erçrtern. Dafìr spricht etwa die fìr den Skeptiker Karneades bezeugte Aussage, daß nahezu alle doktrinalen Vertreter der Philosophie sich darin einig seien, daß das Telos, fìr das die Arete¯ als Lebenskunst Sorge trage, sich auch anhand der natìrlichen ursprìnglichen Strebensziele ausweisen lassen mìsse (Cicero, De fin. V 17). Von daher bestand fìr die Vertreter einer peripatetischen Gìterlehre schon eine starke •ußere Veranlassung, eine solche allgemein anerkannte Fragestellung im Sinne ihrer eigenen Position zu beantworten. Zweitens laden auch die systematischen Vorgaben bei Aristoteles zu einer Adaption der Oikeio¯sis-Lehre ein. Denn Aristoteles vertrat eine Strebensethik, und die Oikeio¯sis-Lehre ist im Kern eine Exposition der Strebensethik, welche in einer genetischen Perspektive das Verh•ltnis von naturwìchsigen Strebensimpulsen und praktischer Rationalit•t beleuchtet. Die Erçrterung dieses Verh•ltnisses fìhrt in den systematischen Kern einer jeden Strebensethik. Die Hinweise, die sich bei Aristoteles verstreut finden, kçnnten im Ausgang von der Oikeio¯sis-Lehre zu einem zusammenh•ngenden Lehrstìck vereinigt werden. Auch die Tatsache, daß die Oikeio¯sisLehre ihren Ausgang vom Impuls der strebensm•ßigen Selbstaffirmation nimmt, kommt Aristoteles’ Konzeption der natìrlich verankerten Selbstsorge entgegen, die in ein Verh•ltnis zu dem von Aristoteles ebenfalls angenommenen sozialen Impuls des Menschen gesetzt werden muß. Da die Fragen, in welchem Sinne leibliche und •ußere Gìter selbstzweckhaft sein kçnnen und was alles zu der Klasse dieser selbstzweckhaften nicht-seelischen Gìter gehçrt, unter den Vertretern einer peripatetischen oder eklektizistischen Gìterlehre kontrovers waren (siehe II-E), mag drittens auch die Absicht, mit Hilfe der Adaption der Oikeio¯sis-Lehre in bestimmter Weise zu diesen Fragen begrìndet Stellung zu nehmen, eine

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wesentliche Veranlassung gewesen sein. Dabei scheint der Text A3a und b (bzw. seine Quelle oder Quellen) ursprìnglich eher in die Richtung einer Version der Symple¯ro¯ma-Modells zu verweisen, w•hrend A3d dies dann sozusagen korrigiert im Sinne des Eupraxie-Modells. Kann man diesen Adaptionsversuch als sachlich geglìckt und relevant erachten? Wird er den eben an zweiter Stelle genannten Chancen einer systematisch fruchtbaren Anwendung auf den aristotelischen Ansatz gerecht? Zun•chst einmal muß man auf die zutage getretenen konzeptionellen Spannungen hinweisen, die daraus resultieren, daß stoische Begrifflichkeiten und Argumentationszusammenh•nge fìr einen peripatetischen Kontext sozusagen zurechtgebogen werden. Dem Expos¦ fehlt es darum an der erforderlichen inneren begrifflichen Koh•renz. Insbesondere erscheint fragwìrdig, wie der einseitige Intellektualismus in der Charakterisierung der Arete¯ mit einem aristotelischen Verst•ndnis ethischer Arete¯ vereinbart werden kann. Auch die Charakterisierung des Naturgem•ßen als des bloßen Materials der sittlichen Handlungen (jatoqh~seir) bedìrfte zumindest noch einer weiteren Explikation. Denn unter stoischen Pr•missen bedeutet diese Aussage, daß die Realisierung (bzw. erfolgreiche Aneignung oder Bewahrung) dieser Gìter irrelevant fìr die sittliche und eudaimonische Qualit•t der Handlung bzw. „Auswahl“ ist. Fìr die genuinen Peripatetiker macht die von der Tyche¯ abh•ngige Qualit•t des fìr die Auswahl zur Verfìgung stehenden Materials dagegen sehr wohl einen Unterschied mit Blick auf die Verwirklichung des Telos aus, und zwar auch gem•ß den Vertretern der ,strengeren‘ Position, die den nicht-seelischen natìrlichen Gìtern lediglich eine (im weiten Sinne) instrumentelle Funktion fìr die arete¯-gem•ße Praxis zuschreiben. Als ein weiteres wesentliches Manko muß man herausstellen, daß die Ph•nomenologie natìrlicher Strebungen zu undifferenziert bleibt und diesbezìglich hinter den Elementen einer Theorie natìrlicher Strebensdispositionen, die man bei Aristoteles sammeln kann, zurìckbleibt. Nun hat es angesichts der Plastizit•t des natìrlichen Strebens zwar durchaus auch seine Gefahren, wenn man zu sehr ins Detail zu gehen versucht. Aber eine etwas genauere Ph•nomenologie der Strebungen, die sich auch, aber nicht nur am Leitfaden natìrlicher Vermçgen orientieren kann, scheint doch mçglich. Außerdem bleibt in diesem Expos¦ vçllig unterbelichtet, auch und gerade im Vergleich zu den stoischen Vorlagen, wie sich die kognitive Seite der Entwicklung der Strebensdispositionen und die damit verbundene Genese unserer wertenden Begriffe im Ausgang von den basalen Erfahrungen menschlichen Agierens und Interagierens vollzieht.

§ 16. Kritik und Vergleich

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Des weiteren reicht es, was die soziale Dimension des Menschen betrifft, nicht aus, nur den Impuls der schrittweise sich erweiternden Wohlgeneigtheit anderen Menschen gegenìber herauszustellen, gleichsam als erg•nzenden und korrigierenden Faktor zu der auf das eigene leibseelische Dasein bezogenen strebensm•ßigen Selbstaffirmation. Denn hierbei ger•t ein wesentlicher Aspekt der Strebensnatur aus dem Blick, der bereits in der platonischen Unterscheidung zwischen der begehrenden Seelenfunktion (1pihulgtij|m) und dem huloeid]r enthalten ist, welche auch bei Aristoteles und in der aristotelischen Tradition rezipiert wird. Das huloeid]r oder „mutartige“, mit Affekten wie Zorn und Empçrung verknìpfte Vermçgen ermçglicht die Selbstbehauptung gegenìber Angreifern, aber auch die Selbstkontrolle der Begierden. Zorn (Agression) und Selbstbehauptung sind ein wesentlicher Aspekt der sozialen Dimension des Menschen.43 Wenn der Mensch als ein soziales Wesen betrachtet wird, reicht es also nicht aus, nur seine Tendenz zur Benevolenz gegenìber anderen und sein Bedìrfnis nach Philia und Anerkennung durch die anderen in den Blick zu nehmen, sondern man muß auch den Zorn als ein fundamentales Strebensmoment einbeziehen. Dementsprechend ist es schon bei Platon und Aristoteles ein zentrales Thema im Rahmen der Erçrterung der natìrlichen Pr•dispositionen zu den Tugenden, daß es eine Spannung gibt zwischen einer natìrlichen Veranlagung zu einem starken Gemeinschaftssinn, die mit den natìrlichen Vorformen der Besonnenheit und der Gerechtigkeit zusammenh•ngt, und der Veranlagung zu einem wehrhaften Charakter. Wie Aristoteles in der Politik ausfìhrt (VII 7), begìnstigt das ›berwiegen einer Veranlagung zu besonnenem und gemeinschaftsvertr•glichem Verhalten die Entwicklung der menschlichen Wissenskultur, aber auch die Machtergreifung despotischer Regime, die die Bìrger versklaven, w•hrend das ›berwiegen der wehrhaften Veranlagung den Zustand einer kulturlosen Anarchie des Krieges aller gegen alle fçrdere. Selbstbehaupung ohne Gemeinschaftssinn, und ebenso Gemeinschaftssinn ohne Selbstbehauptung vereiteln die Entwicklung einer dem Menschen angemessenen Kultur und Gemeinschaftsform, weshalb die Kulturentwicklung und Vergemeinschaftung der Menschen immer auch im Horizont dieser zwei potentiell konfligierenden, aber doch essentiell wichtigen natìrlichen Charakterdispositionen gesehen werden mìssen. Es reicht darum nicht aus, wenn man ìber die Vergemeinschaftung des Menschen und ihr Fundament in der Strebensnatur spricht, nur die Disposition zur Wohlgeneigtheit gegen andere als produktiven Bestandteil der Verge43 Vgl. Korff 1973.

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

meinschaftung in den Blick zu nehmen. Die Exposition bei ArD ìbernimmt hier eine Einseitigkeit der stoischen Darstellung sozialer Oikeio¯sis. Ein sehr beachtenswerter Ansatz in dieser Version der Oikeio¯sis, und ebenso in der •hnlichen Auffassung des Antiochos, liegt jedoch in der Perspektive, die sie hinsichtlich des Verh•ltnisses zu unserer Leiblichkeit erçffnet. In Aristoteles’ Gìterlehre stellt es sich so dar, daß der Leib und die verschiedenen Aspekte seiner guten Verfaßtheit, insbesondere die Gesundheit, Gìter sind, weil sie die unbehinderte Entfaltung der eigenen sinnvollen Praxis ermçglichen und fçrdern. Als solches sind sie dann aber nur instrumentelle Gìter. Zwar deutet sich in NE I 9 und 11 noch eine andere Sichtweise auf wenigstens einen bestimmten Aspekt kçrperlicher Vorzìglichkeit an, n•mlich die (•sthetische) Schçnheit, aber dies wird erstens nicht hinreichend expliziert und ist mçglicherweise auch nur ein Aspekt der erstrebenswerten sozialen Anerkennung. Was hingegen das nach unserem Verst•ndnis wichtigste leibliche Gut betrifft, die Gesundheit, so bleibt es Aristoteles’ leitende Auffassung, daß sie ein nur instrumentelles Gut sei. Demgegenìber wird in der Oikeio¯sis-Lehre jenes ursprìngliche Vertrautsein mit der eigenen Leiblichkeit analysiert, das zur Folge hat, daß wir den je eigenen Leib in seinen Teilen und Vermçgen als das uns Eigene erfahren und strebensm•ßig als ein selbstzweckhaftes Gut affirmieren, was sich auch darin manifestiert, daß wir nicht nur mit Blick auf den Nutzen das ihnen Abtr•gliche meiden und das ihnen Zutr•gliche erstreben (wenigstens wenn wir ein nicht-entfremdetes Verh•ltnis zu unserer Leiblichkeit haben). In stoischer Perspektive w•re dies zwar nur ein ›bergangsstadium, weil das Ziel der Entwicklung darin liege, daß der Mensch sich schließlich nur noch in Hinblick auf seine innere rationale Haltung selbstzweckhaft affirmiert und alle leiblichen Gìter als indifferent fìr das Telos erkennt. Antiochos und der Text bei ArD vertreten demgegenìber aber eine These der Kontinuit•t der menschlichen Natur, die beinhaltet, daß auch auf der Stufe der voll entwickelten Rationalit•t neben der Arete¯ die ursprìnglichen naturwìchsigen Strebensziele als Gìter noch anerkannt werden. Der Weise wird nach dieser Auffassung seinen Leib und dessen gute Verfaßtheit weiterhin nicht bloß als ein instrumentelles Gut betrachten, das die ungestçrte kontemplative und sittlich-gemeinschaftsorientierte T•tigkeit ermçglicht, sondern sie werden auch um ihrer selbst willen Objekt seiner Wohlgeneigtheit sein, weil sie elementar in den Bezug seiner Selbstvertrautheit hineingehçren. Sicherlich kçnnen Menschen auch eine Einstellung entwickeln, in der sie dem eigenen Leib abgeneigt sind, oder doch wenigstens in der Weise ein distanziertes Verh•ltnis zu ihm einnehmen, daß

§ 16. Kritik und Vergleich

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sie ihn und sein Wohlergehen nur als ein Mittel betrachten. Aber aus der Perspektive dieser jungperipatetischen Adaption der Oikeio¯sis-Lehre l•uft dies der natìrlichen Oikeio¯sis zuwider. Es w•re ein Fall von !kkotq_ysir/ alienatio mit Bezug auf etwas eigentlich und ursprìnglich Zugehçriges (also im eigentlichen Sinne des Wortes ein Fall von Entfremdung). Selbstverst•ndlich kommen hier auch Voraussetzungen bezìglich der Frage, was eigentlich das menschliche Selbst ausmacht, ins Spiel. Denn !kkotq_ysir ist nicht eo ipso etwas Schlechtes. Vielmehr ist es natìrlich und auch rational, das einem Schadende abzuweisen und als etwas Fremdes von sich abzustoßen. Wenn aber die leibliche Konstitution objektiv Teil des eigenen Selbst ist, dann ist die !kkotq_ysir mit Bezug auf den Leib eine Form der Selbstentfremdung. In der dominanten Traditionslinie des Platonismus hingegen wird der Leib eher als sch•dlich fìr das mit dem rationalen Kern der Seele identifizierte Selbst betrachtet. Unter solchen Pr•missen w•re die Entfremdung vom eigenen Leib die angemessene Reaktion und eine Voraussetzung fìr die Selbstfindung. Demgegenìber betonen der jungperipatetische Text und Antiochos die immer auch leibliche Natur des menschlichen Selbst und grìnden darauf den Status leiblicher Gìter als natìrlicher und selbstzweckhafter Gìter, welche sich als solche im ursprìnglichen Prozeß der Selbstaneignung erschließen und auch vom Standpunkt der entwickelten praktischen Rationalit•t aus diesen Status bewahren. Daß in dieser Version der Oikeio¯sis-Lehre hinsichtlich der Theorie der leiblichen Gìter ein interessantes Potential vorliegt, das in der sp•teren Entwicklung anscheinend nicht bewahrt wird, best•tigt der Vergleich mit der Schrift des Alexander von Aphrodisias (oder eines seiner Schìler) ìber das pq_tom oQje?om (Mant. 150 – 153), die explizit die •lteren Ans•tze in der Andronikos-Schule zu einer Oikeio¯sis-Lehre im Sinne der Nikomachischen Ethik fortfìhrt.44 Das Ergebnis der sehr formalen, kaum an der Ph•nomenologie des Strebens interessierten Erçrterung l•ßt sich wie folgt zusammenfassen: Das Streben habe (gem•ß einer berìhmten aristotelischen Distinktion) immer einen zwief•ltigen Bezug, ein direktes und ein indi44 Das doxographische Referat in diesem Opusculum geht bis auf die unmittelbar an Andronikos anschließende Generation zurìck (Boethos und Xenarchos). Gem•ß dem Zeugnis dieser Schrift setzen diese bei ihrem Versuch, die aristotelische Antwort auf die Frage nach dem ursprìnglichen Objekt der Oikeio¯sis zu formulieren, bei zwei Passagen der NE an, die in dem Opusculum exakt angegeben werden. Dies ist bezeichnend fìr die Herangehensweise der nach-androkinischen Peripatetiker und ihre N•he zu den aristotelischen Schulschriften. Die •lteren peripatetisch-eklektizistischen Versuche werden gar nicht mehr erw•hnt.

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F) Die jungperipatetische Adaption der Oikeio¯sis-Lehre

rektes Objekt, ein Was und ein Fìr-Wen. Daß Fìr-Wen sei der Strebende selbst, weshalb das von Menschen erstrebte Gute immer das fìr einen Menschen (je fìr uns selbst) Gute sein mìsse (t¹ Bl]teqom !cah|m) (152, 15 – 27). Das Gute fìr ein Wesen sei immer dasjenige 1meqce_ô eWmai, in dem sich seine spezifische d}malir vollende. Allerdings vollziehe der einzelne Mensch je eine Entwicklung, in deren erster Phase er nur ein sinnliches Wesen sei (aQshgtij|r). Das pq_tom oQje?om sei darum die der sinnlichen Verfaßtheit gem•ße 1m]ceia. Das Telos liege aber in jener 1m]qceia, die dem rationalen oder intellektuellen Wesen (kocij|r, mogtij|r) des erwachsenen Menschen gem•ß ist (152, 35 – 153, 5; vgl. 151, 30 – 152, 15). Da das Streben jeweils auf die unbehinderte 1m]qceia entsprechend dem jeweiligen Entwicklungsstand der eigenen v}sir gehe, und unbehinderte 1m]qceia immer zugleich Bdom^ als ihr Begleitmoment aufweise und dadurch vollendet werde, sei Bdom^ im Streben nach der 1m]qceia bzw. nach Selbstrealisierung jeweils mitintendiert, und zwar sowohl im anf•nglichen, sinnlichen als auch im entwickelten, rationalen Stadium. Darum kçnne das pq_tom oQje?om (anf•ngliches Stadium) nicht nur als 1meqce_ô eWmai, sondern auch als (je in bestimmter Weise qualifizierte) Bdom^ bezeichnet werden, was allerdings nicht bedeute, daß die 1m]qceia nur als Mittel fìr die Bdom^ angestrebt wìrde (153, 5 ff.; s. a. 151, 27 – 29). – Soweit die These dieses Traktates. Mit Blick auf die Frage, welchen Status die leiblichen Gìter im Stadium der entwickelten Rationalit•t besitzen, muß man sagen, daß sie hier schlicht unter den Tisch fallen. Man kann unterstellen, daß nach dieser Theorie im sinnlich-animalischen Stadium der Kindheit das Streben entsprechend den Funktionen ausgerichtet ist, die mit der leiblichen Selbsterhaltung verbunden sind. Aber dies ist ja ein zu ìberwindendes Stadium (das nach Aristoteles bekanntlich ìberhaupt nicht lebenswert w•re, wenn es nicht die Perspektive des Erwachsenwerdens g•be). Fìr den rationalen Menschen liegt das oQje?om in dem, was mit seiner Rationalit•t verknìpft ist, also in der Bet•tigung der ethischen und dianoetischen Tugenden, und zuhçchst in der heyq_a. Fìr die leiblichen Gìter bleibt dann wohl nur noch eine instrumentelle Rolle ìbrig, und daß dies die von den sp•teren Peripatetikern bevorzugte Sichtweise ist, wissen wir auch aus anderen Stellen (siehe oben, II-A, § 2). Als ein Fazit kçnnen wir festhalten, daß der bei ArD greifbare Versuch einer Adaption der Oikeio¯sis-Lehre fìr die Zwecke einer pluralen, antistoischen Gìterlehre auf der Grundlage der Analyse der menschlichen Strebensnatur nur mit großen Einschr•nkungen als ein Erfolg gelten kann. Es gelingt der Quelle nicht, die Oikeio¯sis-Lehre wirklich organisch in die aristotelische Ethik zu integrieren, da sie zu stark einer stoischen Begriff-

§ 16. Kritik und Vergleich

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lichkeit und stoischen Theorieelementen verhaftet bleibt, die nicht mit einem genuin peripatetischen Standpunkt vereinbar sind. Darum kommt dieser Versuch letztlich ìber eine bloß eklektizistische Synthese mit latenten Inkoh•renzen nicht hinaus. Zudem ist die bei Aristoteles greifbare, wenn auch an keiner Stelle systematisch zusammengefaßte Analyse der natìrlichen Strebensimpulse eigentlich schon viel differenzierter als die Ausfìhrungen zur Oikeio¯sis im Peripatetikerkapitel von ArD (oder auch als die Parallelen bei Antiochos in ihrer durch Cicero vermittelten Form). Andererseits enth•lt die dort entwickelte Konzeption sehr wohl Perspektiven fìr eine systematisch fruchtbare Fortentwicklung des aristotelischen Ansatzes. Dies gilt insbesondere fìr die Frage des praktischen Selbstverh•ltnisses des Menschen unter dem Aspekt seiner Leiblichkeit. Eigentìmlicherweise bleiben ja gerade die leiblichen Gìter bei Aristoteles (trotz des sogenannten aristotelischen „Hylemorphismus“) unterbelichtet. Insbesondere das zentrale leibliche Gut der Gesundheit scheint in der Theorie des Aristoteles nicht mehr als ein externes instrumentelles Gut zu sein, w•hrend die Oikeio¯sis-Lehre in ihrer bei ArD und Antiochos greifbaren Fassung Gesundheit in das praktische Selbstverh•ltnis des Menschen einzeichnet. Es liegt vermutlich an den Schw•chen einer solchen eklektizistischen Herangehensweise, daß diese Art der Adaption der Oikeio¯sis-Lehre im nach-andronkinischen Peripatos nicht fortgewirkt hat. Die sp•ten Peripatetiker halten sich bei ihrer Rekonstruktion einer aristotelischen Form von Oikeio¯sis-Lehre sehr eng an die Vorgaben bei Aristoteles, weshalb sie in diesem Fall auch systematisch nicht ìber Aristoteles hinausfìhren. Dies bedeutet allerdings nicht, daß die Wirkungsgeschichte dieses Ansatzes abgebrochen w•re, denn ìber die breite Rezeption der in wesentlichen Aspekten gleichen Theorie bei Antiochos wirken die systematischen Gedanken dieses Ansatzes fort. Im ìbrigen •ndert die Tatsache, daß die Synthese mit der aristotelischen Theorie hier noch nicht wirklich gelingt, nichts daran, daß es eine systematische Chance und Aufgabe fìr den aristotelischen Ansatz ist, die verschiedenen Aspekte der Vorstrukturierung unseres Verstehens und Erstrebens des Guten in einer Theorie der menschlichen Strebensnatur zusammenzufassen, die auch deren dynamischen Charakter berìcksichtigt, so wie dies die Oikeio¯sis-Lehre tut. Im ethischen Aristotelismus des 13. Jahrhunderts – genau genommen handelt es sich um synkretistische Theorien, die Aristoteles eine besondere Beachtung schenken – wird diese systematische Aufgabenstellung wieder in einer umfassenden Weise in Angriff genommen werden.

G) Glìck als naturgem•ßes Leben Die These, daß menschliche Eudaimonie in der einen oder anderen Weise mit der Naturgem•ßheit eines Lebens zu tun habe, besitzt besondere Prominenz in der hellenistischen Philosophie. Die peripatetischen Thesen zu diesem Thema mìssen darum in ihrem hellenistischen Diskussionskontext gedeutet werden, wobei als Referenzpunkt der stoischen Philosophie besondere Bedeutung zukommt. Ich werde darum in § 17 zuerst eine kurze ìberblicksm•ßige Darstellung der Entwicklung der Thematik des naturgem•ßen Lebens bei Polemon, in der orthodoxen Stoa und bei Karneades geben, was als Vergleichsfolie fìr die Analyse der peripatetischen Positionen dienen soll, und anschließend zwei grundlegende peripatetische Alternativen unterscheiden und beschreiben. Der abschließende § 18 wird dann die Schw•chen und St•rken dieser beiden Modelle erçrtern.

§ 17. Das Ideal eines naturgem•ßen Lebens Laut Antiochos von Askalon war es zuerst der Altakademiker Polemon (ein Schìler des Xenokrates), der die Forderung, naturgem•ß zu leben (jat± v}sim f/m, secundum naturam vivere), gleichsam zum ethischen Leitmotto erhoben hat (Cicero, De fin. IV 14). Zwar wird in der Forschung auch die Mçglichkeit diskutiert, daß Polemon damit auf Zenon von Kition, seinen nur etwas jìngeren Zeitgenossen und Begrìnder der Stoa, reagiert hat, der ebenfalls das Prinzip der Naturgem•ßheit in das Zentrum der Ethik stellte. Aber dies ist imgrunde eine nebens•chliche Frage, da der Begriff der Naturgem•ßheit auch schon in der •lteren philosophischen Tradition eine gewichtige Rolle gespielt hat, und zwar nicht zuletzt auch bei Platon und Aristoteles.1 Polemon2 war Schìler jenes Xenokrates, der der platonischen Philosophie einen systemhaften und eindeutig metaphysischen Charakter verlieh (auf Grundlage der dazu bei Platon unzweifelhaft vorhandenen 1 2

Zu den Ursprìngen vgl. Heinimann 1945, Kerferd 1981, 111 ff. Zu Polemons Ethik und zu Antiochos’ Verh•ltnis zu Polemon vgl. Philippson 1932; Pohlenz 1959, 249 ff.; v. Fritz 1952; Brink 1956, 143 f.; Kr•mer 1983, 156 – 161.

§ 17. Das Ideal eines naturgem•ßen Lebens

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reichhaltigen Ansatzpunkte, und sicher auch angeregt durch sogenannte agrapha dogmata). Dementsprechend kann man auch fìr seinen Schìler Polemon erwarten, daß sein Verst•ndnis der Naturgem•ßheit entscheidend durch Platonische Vorgaben bestimmt war, und zwar insbesondere durch jenen Aspekt der Platonischen Seelenkonzeption, der die transzendente Dimension des menschlichen Selbst in den Mittelpunkt stellt. Polemon wird das jat± v}sim so verstanden haben, daß als Maßstab die Natur des Menschen fungiert (etwa im Anschluß an Platon, Tht. 174B4, 175C7). Das, was v}sir des Menschen ist, wird er im Lichte jener platonischen Thematik gedeutet haben, die den Menschen (bzw. seinen rationalen Seelenkern) ìber sich hinausweist, entsprechend seiner Verwandtschaft mit den Ideen bzw. mit einem hçchsten gçttlichen Geist. (Es gibt ein verl•ßliches Detail der ›berlieferung, das gerade fìr die Bedeutung dieses Gesichtspunktes bei Polemon spricht.3) In dieser Perspektive wird es auch leichter nachvollziehbar, mit welchen Grìnden er sich, entsprechend Platonischen und Xenokratischen Vorgaben, der Autarkie-These anschloß: Wenn die hçchste und eigentliche Bestimmung der Seele in ihrem inneren rationalen T•tigsein besteht, dann kann der Verlust nicht-seelischer Gìter die Eudaimoine nicht auslçschen. Gleichwohl scheint er doch auch, ebenfalls mit Xenokrates, eine Steigerungsf•higkeit der Eudaimonie durch nicht-seelische Gìter angenommen zu haben (vgl. oben, II-A, § 3), was sich fìr ihn daraus ergeben haben mag, daß die menschliche Physis eben nicht nur reiner Geist ist. In welcher Weise man sich den Beitrag der nichtseelischen natìrlichen Gìter gem•ß Polemon vorzustellen hat, darìber l•ßt sich aber wohl nichts Genaueres sagen, weil die diesbezìgliche, ohnehin nur sp•rliche ›berlieferung unter dem begrìndeten Verdacht steht, durch Antiochos ìberformt worden zu sein.

3

Ich meine jenes fast kuriose, aber darum sicherlich auch authentische Detail der ›berlieferung, Polemon habe in seinen Schriften ìber das naturgem•ße Leben vor dem Verzehr von tierischem Fleisch gewarnt mit dem Argument, daß tierisches Fleisch fìr rationale Wesen nicht zutr•glich sei, da es auf eine Angleichung mit irrationalen Seelen hin strukturiert sei (fr. 112 Gigante; vgl. dazu v. Fritz 1952, 2526). Bei dieser Warnung treibt Polemon offensichtlich die Sorge um, dieses nur fìr die Seelen vernunftloser Wesen angemessene Fleisch kçnnte, wenn verzehrt, die rationale Seele des Menschen in ihrer T•tigkeit behindern. Daß sich dieser Gedanke gerade in seinen Abhandlungen „›ber das naturgem•ße Leben“ findet, ist ein deutliches Indiz dafìr, daß Polemon die menschliche Physis prim•r unter ihrer Bestimmung auf das Erkennen hin versteht, wozu dann in der Perspektive eines xenokratischen Platonikers allemal auch jener transzendente Bezug gehçrt.

266

G) Glìck als naturgem•ßes Leben

Wichtiger als Polemon fìr die weitere Entwicklung ist allemal der ethische Begriff des Naturgem•ßen in der stoischen Philosophie, deren Orthodoxie bekanntlich durch Zenon und Kleanthes begrìndet wurde und durch Chrysipp ihre endgìltige Gestalt angenommen hat. Ich habe verschiedene Aspekte und Probleme dieser Konzeption hier bereits erçrtert (vgl. oben, II-F, § 14). Ich werde jetzt, im Sinne eines kurzen ›berblicks, einige dieser Punkte rekapitulieren und um einige weitere Elemente erg•nzen (ohne zu beanspruchen, damit einen origin•ren Beitrag zur Erforschung der stoischen Ethik zu leisten, da diese nicht das Thema meiner Untersuchung ist).4 Wie insbesondere Chrysipps Definitionsformel fìr das menschliche Telos zum Ausdruck bringt („leben gem•ß der Erfahrung dessen, was sich von Natur aus ereignet“; SVF III, 4, 12-15), scheint bei den •lteren Stoikern das Verst•ndnis von Naturgem•ßheit (bzw. „Homologie mit der v}sir“) durch das Ideal der ›bereinstimmung des Weisen mit der Allnatur gepr•gt worden zu sein, wobei diese ›bereinstimmung der Grund dafìr sei, daß er autark werde gegenìber dem, was sich einer noch unaufgekl•rten Perspektive als blindes Walten der Tyche¯ darstellt. Der Weise begreift das Geschehen im Kosmos (verstanden als eine Ganzheit, die auch das menschliche Geschehen umfaßt) als T•tigkeit der rationalen, vollkommenen Allnatur. Da an diesem Geschehen, von einem holistischen Standpunkt aus betrachtet, nichts Schlechtes ist, kann es auch fìr den Weisen, der seine Rationalit•t voll entwickelt und sich darum den absoluten Standpunkt der Vernunft zu eigen gemacht hat, nichts Schlechtes geben. Er erkennt, daß seine eigene Vollkommenheit gerade darin besteht, diese Form der Einsicht erreicht zu haben, durch die das rationale, steuernde Prinzip in ihm gleichsam zu sich selbst kommt und dank der er nicht mehr an jenen vermeintlichen Gìtern h•ngt, auf die der noch nicht vollkommen vernìnftige Mensch durch sein Streben (bql^) natìrlicherweise ausgerichtet ist. Es stellt sich die Frage, was diese im Standpunkt der Weisheit erreichte Distanzierung von den ursprìnglichen natìrlichen Strebensobjekten praktisch bedeutet. (Zu diesen gehçren beispielsweise Gesundheit und das individuelle Fortbestehen, welches durch den Tod ausgelçscht wird.) Eine denkbare These lautet, daß der Weise diese Art von scheinbaren Gìtern nicht einmal mehr als vorziehenswert betrachten wird, da er auf seiner vollendeten Entwicklungsstufe eine ganz andere Art von Strebensziel entwickelt hat, n•mlich die ›bereinstimmung mit der rationalen Welt4

Zur stoischen Ethik im allgemeinen vgl. zum Beispiel die entsprechenden Abschnitte in Long/Sedley 1987 und Long 1986 sowie Striker 1991, Forschner 1995.

§ 17. Das Ideal eines naturgem•ßen Lebens

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ordnung von einem absoluten Standpunkt aus. Dies ist die Position des heterodoxen Stoikers Ariston von Chios, die der Ethik schlechterdings den Boden entzieht, da mit der vçlligen Entwertung aller landl•ufigen Gìter nur noch die Weisheit selbst als etwas Vorzuziehendes ìbrigbleibt, die dann aber als praktische Weisheit in ihrer reinen Selbstbezìglichkeit inhaltsleer wird, da es nichts anderes mehr gibt, mit Bezug worauf sie noch praktische Urteile des Vorziehens und Meidens vollziehen kann. Demgegenìber vertritt die stoische Orthodoxie die These, daß auch der Weise das Fortleben, Gesundheit und die anderen Objekte des urspìnglichen natìrlichen Strebens als etwas im Normalfall Vorzuziehendes betrachten wird. Jedoch wird er sie nicht als etwas Gutes oder Nìtzliches/Zutr•gliches (¡v]kilom) betrachten, sondern nur als ein in der Auswahl (1jkoc^) „Vorrangiges“ (pqogcl]mom), und nicht als etwas Erstrebenswertes (aRqet|m), sondern nur als ein „Ergreifenswertes“ (kgpt|m). Durch diese Konzeption der von den Nicht-Weisen erstrebten scheinbaren Gìter als im Regelfall vorzuziehender pqogcl]ma wahrt die stoische Theorie fìr die Ethik das ganze Spektrum von Gegenst•nden praktischen Vorziehen oder Meidens. Die Schlìsselfrage lautet dann, ob die These der Irrelevanz jener „ergreifenswerten“ Vorzìge fìr das Wohl tats•chlich damit vereinbar ist, daß sie gleichwohl einen praktischen Vorzug genießen. Wie kann etwas einen praktischen Vorzug genießen, wenn es in keiner Weise nìtzlich/zutr•glich ist, da es keinen Beitrag zum menschlichen Wohl leistet? Diese Position ist in hohem Maße kontraintuitiv. Wenn diejenigen Vorzìge, die natìrlicherweise von Menschen, die noch nicht weise sind, erstrebt werden, in Wahrheit keinen Unterschied fìr die Eudaimonie eines Menschen ausmachen, stellt dann nicht die Position des Ariston die angemessene Schlußfolgerung dar? Wenn es aber doch so ist, daß der Weise, obwohl allein die Arete¯ ihn eqda_lym sein l•ßt, Grìnde hat, auch jene anderen Vorzìge fìr sich zu w•hlen, mìssen diese Vorzìge dann nicht doch auch zur Steigerung seines Glìcks etwas beitragen, wie geringfìgig auch immer? Dann w•ren aber auch sie etwas Gutes/Zutr•gliches und Erstrebenswertes. – Genau dies ist die Stoßrichtung der eklektizistischen Ethik des Antiochos, der sich dazu u. a. auch auf Kritolaos, den wichtigsten Peripatetiker des 2. Jhdts. v. Chr., berufen hat. Bei den Nachfolgern des Chrysipp Diogenes von Babylon und Antipater von Tarsos wird schon in der Definitionsformel fìr Eudaimonie ein Bezug zu der F•higkeit des richtigen w•hlenden Sich-Verhaltens zu den naturgem•ßen Vorzìgen (pqogcl]ma) hergestellt, w•hrend vorher der Akzent prim•r auf der ›bereinstimmung und Homologie mit der Allnatur lag. Allerdings bedeutet dies nicht, daß die sp•taltstoischen Definitions-

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G) Glìck als naturgem•ßes Leben

formeln der Eudaimonie in einem Widerspruch zur •lteren Orthodoxie stehen. Auch fìr Chrysipp ist schon belegt (SVF III, 191), daß er die Arete¯ mit dem Vermçgen der 1jkoc^ der naturgem•ßen Vorzìge verbunden hat. Die Pointe liegt jeweils darin, daß die glìckskonstitutive Arete¯ die richtige innere Einstellung des Vorziehens und Ausw•hlens naturgem•ßer Vorzìge ist, die aber nur aus einer distanzierten Haltung heraus vorgezogen, nicht erstrebt werden. Denn wenn sie erstrebt wìrden, w•re auch das Erlangen dieser Vorzìge glìcksrelevant, so daß der Weise nicht mehr strikt autark w•re. Dann stìnde er auch nicht mehr im vollkommenen Einklang mit dem Walten der Allnatur, da er den jederzeit mçglichen Verlust dieser Vorzìge (z. B. der Gesundheit) als ein ›bel betrachten mìßte. Es ist wohl gerade diese Trennung zwischen Erstreben und distanziertem rationalem Vorziehen, wodurch sich bei den Stoikern der Begriff der Naturgem•ßheit bestimmter Objekte des Vorziehens mit der Konzeption von Normen verbindet, die einen moralischen Forderungscharaker haben. In der Perspektive von Platon oder Aristoteles ist das zielhafte Naturgem•ße immer zugleich das eigentlich Gewollte, welches darum der praktisch Einsichtige und Tugendhafte auch affektiv affirmieren wird, so daß hier kein dem natìrlichen Streben entgegenstehendes Sollen auftritt, sondern dem Streben sein eigentlich immer schon intendiertes Objekt aufgezeigt wird.5 Fìr den stoischen Weisen sind die naturgem•ßen Vorzìge dagegen keineswegs Ziel seines Handelns im Sinne des Erstrebten, wie wir gesehen haben. Weil dabei jedoch der relative „Auswahl-Wert“ (1jkejtijµ 5

Bei Platon wird der Begriff des Naturgem•ßen unter anderem in der moralischen Psychologie gebraucht. Wie besonders deutlich in Politeia IV formuliert wird, liefern zun•chst einmal die Begriffe der Einheit und Zusammenstimmung das Kriterium fìr ein funktional sinnvolles und darum naturgem•ßes Zusammenwirken der motivationalen Kr•fte in der menschlichen Seele. Aber Einheit kann auch den Charakter einer Zwangsordnung haben, als ein nur erzwungenes, naturwidriges Zusammenwirken auf ein bestimmtes Ziel hin. Ein Seelenzustand, in dem die Rationalit•t fìr ein Ziel instrumentalisiert wird, das nicht der Prìfung der Rationalit•t standhalten wìrde, ist eine Zwangsordnung, in der der von Natur aus bessere und (dank seiner Erkenntnisf•higkeit) von Natur aus zur Leitung bestimmte Seelenfaktor (Phd. 79E-80A, Rep. 431A, 432A, 444D) einem anderen Faktor unterworfen wird. Die natìrliche Ordnung der Seele repr•sentiert hingegen einen inneren Rechtszustand (dijaios}mg), in Analogie zum naturgem•ßen Nomos (m|lor jat± v}sim 456C1, vgl. 428E) der idealstaatlich verfaßten Polis, der die unterschiedlichen Funktionstr•ger zum Wohl des Ganzen unter der Herrschaft der Weisen zusammenwirken l•ßt. Die Rìckkehr zu einem Ordnungszustand der Seele, der ihrer (teleologisch verstandenen) Natur gem•ß ist, kann auch als die Rìckkehr der Seele zu ihrer „ursprìnglichen Natur“ (!qwa_a v}sir Tim. 90D) beschrieben werden.

§ 17. Das Ideal eines naturgem•ßen Lebens

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!n_a) der naturgem•ßen Vorzìge jeweils richtig erkannt werden muß, gewinnt die rechte sittliche Handlung (jat|qhyla) zwar nicht ihren

Motivationsgrund, wohl aber ihren konkreten Inhalt aus dem Bezug auf die Objekte des Ausw•hlens und deren relative Werte. Da diese wiederum den ursprìnglichen natìrlichen Neigungen entsprechen, spezifiziert die Strebensnatur, die im Falle des Weisen durch den absoluten rationalen Standpunkt ìberwunden wird, doch die Inhalte des ethischen Sollens, bei dem es sich jetzt in der Tat um ein genuines Sollen handelt, weil diese Inhalte aus der distanzierten Warte des Weisen nicht mehr Erfìllungen seines Strebens sind, sondern solches, was die Rationalit•t als vorzuziehen vorschreibt. Indem er auf diese Weise vorzieht, handelt der Weise zugleich in ›bereinstimmung mit der Allnatur, die nichts anderes als die Rationalit•t in ihrer umfassenden kosmologischen Dimension ist, weshalb derjenige, der tut, was seine Vernunft vorschreibt, das tut, was die Natur vorschreibt („Gesetz der Natur“).6 Obwohl die sp•taltstoischen Definitionsformeln, die in der Glìcksdefinition selbst explizit auf das Ausw•hlen naturgem•ßer Vorzìge Bezug nehmen, dadurch, wie erl•utert, keineswegs den Boden der stoischen Orthodoxie verlassen, haben wir es doch mit einer deutlichen Akzentverschiebung zu tun, die auch im Kontext der wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Debatte mit Karneades zu sehen ist. In seiner dialektischen Kritik an der stoischen Gìterlehre nahm der akademische Skeptiker eine Gegenposition ein, die die in der Oikeio¯sis-Lehre explizierte Theorie der ursprìnglichen natìrlichen Strebensziele (pq_ta jat± v}sim) und die strikte Unterscheidung zwischen diesen und der intellektualistisch als Techne¯ konzipierten Arete¯ aufgreift. Wenn die Arete¯, so das Argument des Karneades (vgl. oben, II-C, § 7), die Techne¯ der richtigen Auswahl mit Bezug auf die natìrlicherweise erstrebten Gìter ist, dann ist sie auf das Erlangen dieser Gìter hin finalisiert und selbst nur ein instrumentelles Gut. Die Eudaimonie kann darum nicht in der Arete¯ bestehen, sondern ist Erfìllung jener natìrlichen Strebungen, die sich bereits vor der Herausbildung der Arete¯-Techne¯ manifestieren und deren Erfìllung die Arete¯ zu besorgen hat. – Dies ist geradezu spiegelbildlich die Gegenposition zu jener sp•taltstoischen Perspektive, die ebenfalls die Arete¯ prim•r als Kunst des richtigen Ausw•hlens mit Bezug auf die pq_ta jat± v}sim betrachtet, aber in der inneren rationalen Haltung zu diesen Vorzìgen (und d. h. in der Arete¯ selbst), nicht im erfolgreichen Erlangen und Genießen dieser Vorzìge die Eudaimonie ansiedelt. 6

Vgl. zu diesem Thema Striker 1987 und 1991.

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G) Glìck als naturgem•ßes Leben

Fìr das Verst•ndnis der sp•teren peripatetischen Ethik ist an dieser Debatte entscheidend, daß aus ihr ein neuer Begriff des naturgem•ßen Lebens hervorgeht. Man kann jetzt vom naturgem•ßen Leben (b jat± v}sim b_or) auch in dem Sinne sprechen, daß es ein Leben ist, fìr das alle oder die wesentlichen natìrlichen Gìter bzw. Vorzìge gegeben sind. (Diese Bedeutung muß strikt unterschieden werden von dem oben erw•hnten stoischen Begriff der rationalen Homologie mit der Natur.) Die entscheidende Frage lautet nun, wie sich das so definierte naturgem•ße Leben zur Eudaimonie verh•lt. In orthodoxer stoischer Perspektive ist es schlicht ein Adiaphoron, ergreifenswert, wenn die Gelegenheit gegeben ist, nicht aber erstrebenswert. Gem•ß der dialektischen Gegenposition des Karneades w•re es hingegen identisch mit der Eudaimonie. Demgegenìber vertritt Antiochos eine gleichsam additiv vermittelnde Position, die die Eudaimonie einerseits nach stoischem Vorbild mit der inneren Haltung der Arete¯ identifiziert, andererseits es als notwendige Bedingung fìr „gesteigerte“ Eudaimonie betrachtet, daß das Leben des Betreffenden zus•tzlich auch noch die ursprìnglichen natìrlichen Strebensziele erfìllt, also naturgem•ß im eben skizzierten Sinne ist (vgl. Cicero, De fin. IV 14 f.). Diese letztere Position hatte offensichtlich auch unter jungperipatetischen Philosophen ihre Vertreter, wobei die Naturgem•ßheit im Sinne des Lebens mit den naturgem•ßen Gìtern gegebenenfalls als zus•tzliche notwendige Bedingung nicht nur fìr „gesteigerte“ Eudaimonie, sondern fìr Eudaimonie ìberhaupt betrachtet werden konnte (so vermutlich im Abschnitt B4c bei ArD: 133, 6 – 11; vgl. II-C, § 7). Davon ist die Position einer anderen peripatetischen Linie zu unterscheiden, die (in enger Anlehnung an aristotelische Vorgaben) das Verh•ltnis der natìrlichen Gìter zur Arete¯ strikt im Sinne der Definition von Eudaimonie als ausgezeichneter Praxis expliziert. Dies wird gleich noch zu erl•utern sein. Doch zuerst zu jenem additiven Modell, welches eine von zwei Weisen darstellt, im Kontext der peripatetischen Gìterlehre den Begriff naturgem•ßen Lebens zu deuten. a) Naturgem•ßheit im Sinne des additiven Modells Folgender Ansatzpunkt charakterisiert das additive Modell, wenn man es auf der Basis der modifizierten Oikeio¯sis-Lehre expliziert: Wenn die Arete¯ als das hçchste naturgem•ße Gut des Menschen (seelische Vollkommenheit) erschlossen wird, so fìhrt dies nicht dazu, daß die anderen Aspekte des menschlichen Strebens, die einerseits in der selbstbezìglichen Oikeio¯sis des Menschen als eines auch leiblichen Wesens und andererseits in der sozialen

§ 17. Das Ideal eines naturgem•ßen Lebens

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Oikeio¯sis wurzeln, ihren Wertcharakter grundlegend ver•ndern. Obwohl die durch diese Strebungen motivierte Auswahl der leiblichen und sozialen Gìter jetzt durch die (intellektualistisch konzipierte) Arete¯ qua Auswahlkompetenz gesteuert wird und zweitens diese Gìter jetzt gegenìber dem ebenfalls naturgem•ßen Gut Weisheit/Arete¯ nur noch eine nachrangige Stellung einnehmen, bewahren sie ihren Status als Objekte des der menschlichen Natur gem•ßen Strebens und damit als Gìter des Menschen (vgl. z. B. Cicero, De fin. IV 14 f.). Es bleibt gleichsam die Kontinuit•t der menschlichen Strebensnatur gewahrt (vgl. ebd. IV 42). Auch der Weise wird also Vorzìge wie Gesundheit oder ein langes Leben fìr erstrebenswerte Gìter halten, unbeschadet ihrer Nachrangigkeit gegenìber der seelischen Arete¯ und den ihr gem•ßen Verhaltensweisen. Je nachdem, ob dieser additive Ansatz (der selbstverst•ndlich auch unabh•ngig von einer Oikeio¯sis-Konzeption vertreten werden kann) die These vertritt, daß Arete¯ allein hinreichend fìr die Eudaimonie ist und daß Eudaimonie durch andere naturgem•ße Gìter lediglich gesteigert wird, oder die These, daß jene anderen Gìter oder deren Genuß eine notwendige Bedingung der Eudaimonie darstellen, schließt er sich entweder dem in der hellenistischen Philosophie weit verbreitete Ideal einer durch Weisheit/ Tugend ermçglichten Autarkie an oder n•hert sich etwas mehr dem Standpunkt des landl•ufigen ethischen Commonsense. Das additive Modell l•dt zu einer Definition der Eudaimonie im Sinne der Symple¯ro¯ma-Formel ein, kann sich aber, wie gesehen (II-C, § 6), auch an jenen Typus von Definitionsformel anlehnen, der im direkten Anschluß an Aristoteles die Eudaimonie als eine Form von Energeia definiert. Die Eudaimonie, bzw. gesteigerte Eudaimonie, wird dann nicht als ein Aggregat aus Gìtern, das auch nicht-seelische Gìter enth•lt, sondern als ausgezeichnete Energeia, die auch die Aktivit•t des Genießens (!poka}eim, frui) jener Gìter einschließt, definiert. In diesem Sinne wird etwa der Begriff der „arete¯-gem•ßen Aktivit•t im Rahmen von natìrlichen Gìtern“ (1meqce?m jat’ !qetµm 1m to?r jat± v}sim) im Abschnitt in B 4 bei ArD gedeutet (132, 8 – 19; vgl. II-C, § 6), n•mlich so, daß dabei zum sittlich rechten Tun (dijaiopqace?m o. dgl.) der Genuß natìrlicher Gìter hinzukommt (!poka}eim t_m jat± v}sim). Das additive Modell kommt nicht ohne Elemente der Hierarchisierung aus, wenn es sich nicht die Konsequenz einhandeln mçchte, daß sich der Weise umwillen des Genusses naturgem•ßer Strebensobjekte gegebenenfalls auch auf eine ethisch verwerfliche Weise verhalten wird, etwa indem er Forderungen der Gerechtigkeit gegenìber dem Interesse des Genusses hintanstellt. Diese Hierarchisierung erfolgt im Rahmen des additiven

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Modells am einfachsten unter Verweis auf den vergleichsweise hçheren Wert der seelischen Vollkommenheiten, die jene ethischen Handlungsdispositionen mit einschließen, aus denen heraus man die Forderungen der Gerechtigkeit beachtet. Aber dieses Begrìndungsmodell stçßt durchaus auf Schwierigkeiten: Wie verh•lt es sich mit dem Fall, in dem man einem geliebten Menschen unter Mißachtung dessen, was einem anderen gerechterweise zusteht, einen Vorteil verschafft? Sicherlich schm•lert man dadurch seine eigene ethische Vortrefflichkeit. Aber es geht einem in diesem Fall ja nicht nur um einen selbst, sondern um das Wohl des geliebten Anderen, der nicht einfach bloß ein nachrangiges Gut ist. – Zu diesem Beispiel ließe sich viel sagen, es soll hier aber nur als ein Hinweis darauf dienen, daß, wenn man sich dem additiven Modell anschließt, es mit Blick auf den Fall von Zielkonflikten nicht ausreicht, auf den vergleichsweise hçheren natìrlichen Wert der Sittlichkeit als eines Aspektes der Selbstvervollkommnung der Seele zu verweisen. Die Sittlichkeit muß noch in anderer Weise als eine einschr•nkende Bedingung fìr die Ausrichtung auf andere Gìter betrachtet werden. Halten wir fest, wie der Begriff der Naturgem•ßen im eben beschriebenen ethischen Ansatz fungiert: Es geht hier um eine Form der ›bereinstimmung mit der eigenen Natur, als Natur des Menschen, nicht um den Einklang mit dem Wirken oder den Gesetzen einer Allnatur. Hieran l•ßt sich dann zwar auch der schon fìr Aristoteles zu statuierende Grundsatz anschließen, daß es generell in der Natur ein (vorbewußtes) Streben nach Selbsterhaltung und -entfaltung gibt. Insofern kçnnen auch jene peripatetischen und eklektizistischen hellenistischen Ethiker, die die Naturgem•ßheit auf die spezifisch menschliche Natur beziehen, dies zugleich als Ausfluß eines allgemeinen „Naturgesetzes“ verstehen, das im Falle des Menschen praktisch-normativ ist. Aber dies ist doch etwas anderes als der altstoische Gedanke, daß der Weise durch seine rationale Haltung mit dem natìrlichen Lauf der Ereignisse im Einklang steht. Denn die fraglichen Peripatetiker und Eklektiker vertreten sehr wohl die Auffassung, daß der natìrliche Lauf der Ereignisse abtr•gliche Folgen fìr die Verwirklichung des normativen „naturgem•ßen Lebens“ des Menschen haben kann, wenn dadurch natìrliche Gìter dem Menschen vorenthalten oder entzogen werden. Besonders deutlich wird fìr uns bei Antiochos (ìber Cicero), wie das normative Prinzip eines naturgem•ßen Lebens, das Antiochos gleichsam zum Leitmotto seiner Ethik w•hlt, in seiner Bedeutung durch den spezifischen Bezug auf die menschliche Natur gegenìber den stoischen Vorgaben transformiert wird. Wenn Antiochos den normativ-verpflichtenden

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Charakter der eigenen Natur und ihrer Strebensziele herausstellt, also das Ideal der Naturgem•ßheit (secundum naturam vivere) mit dem Empfinden eines Verpflichtungsmomentes verbindet (natura parendum esse „Der Natur ist zu gehorchen“, Acad. I 19), so steht er damit in der Tradition einer stoischen Perspektive, die die Natur als gesetzgebend versteht. Aber er bezieht dies eben auf die je eigene Natur des Menschen qua Menschen, seine leibseelischen Konstituentien und deren Vollendungen,7 und er deutet in Verbindung damit das natìrliche Gesetz als das der Selbstliebe, die beim Menschen ihre Erfìllung gerade in diesen Vollendungen erf•hrt.8 Antiochos berìcksichtigt auch die Ausrichtung auf die Objekte der natìrlichen sozialen Oikeio¯sis. Jedoch sieht er sie nicht als integrale Bestandteile der Eudaimonie, da sie nicht ein Teil der je eigenen zu vervollkommnenden Natur sind. Gleichwohl sind sie notwendig fìr die Verwirklichung der gesteigerten Form von Eudaimonie, da sie durch die menschliche Strebensnatur etwas selbstzweckhaft Erstrebtes sind und zudem auch bestimmten Tugenden und Praxisformen entgegen kommen, die Teilaspekte der je eigenen Vervollkommnung sind (De fin. V 69). Andere Vertreter einer Glìcksdefinition nach dem Symple¯ro¯ma-Modell haben dagegen auch die •ußeren selbstzweckhaften Gìter als integralen Bestandteil der Eudaimonie gefaßt (vgl. II-A, § 2), vermutlich indem sie das hçchste Gut des Menschen nicht strikt als die vollendete leib-seelische Natur des Menschen, sondern als das Erlangen all jener Gìter (oder der wichtigsten), auf die ein Mensch gem•ß seiner Strebensnatur ausgerichtet ist, verstanden haben.

7

8

De fin. V 26: „… homini id esse in bonis ultimum, secundum naturam vivere, quod ita interpretemur: vivere ex hominis natura undique perfecta et nihil requirente.“ Vgl. auch Acad. I 19: „extremum esse rerum expetendarum et finem bonorum adeptum esse omnia e natura et animo et corpore et vita.“ „vita“ meint hier die nìtzlichen •ußeren Gìter, den „Lebensunterhalt“, wobei aber De fin. V 68 deutlich ausspricht, daß diese nicht integraler Teil des sulpk^qyla !cah_m sind („ita fit ut duo genera propter se expetendarum reperiantur, unum quod est in iis in quibus completur [= sulpepk^qytai] illud extremum, quae sunt aut animi aut corporis; haec autem quae sunt extrinsecus …, ut amici, ut parentes, ut liberi …, sunt illa quidem sua sponte cara, sed eodem in genere quo illa non sunt.“; vgl. auch Augustinus, De civ. XIX, c. 3, ll. 22 – 24). Die •ußeren Gìter sind teils solches, was um seiner selbst willen erstrebenswert oder Objekt der Zuneigung ist, aber zugleich auch dadurch einen Bezug zur je eigenen Eudaimonie hat, daß es den Anlaß zu sittlichen Handlungen liefert (De fin. V 69), teils solches, was zur Erlangung oder Bewahrung selbstzweckhafter Gìter als bloß instrumentelles Gut beitr•gt (Acad. I 21). Siehe u. a. De fin. IV 16, 25, 32, V 24 – 26, 33, 37.

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b) Naturgem•ßheit im Sinne des instrumentellen Modells (Euchrestie) F•llt die eben skizzierte additive Auffassung nicht hinter das alte, bereits sokratisch-platonische Argument zurìck, welches bei der Feststellung ansetzt, daß man von solchen Gìtern sowohl einen guten als auch einen schlechten Gebrauch machen kann, weshalb mit Bezug auf sie weder der Besitz noch ein beliebiges Genießen schon etwas Gutes fìr den Menschen sein kçnnen? Der entscheidende Begriff in diesem Argument (cf. Platon, Euthd. 280Bff., Men. 87Eff.) ist der des wq/shai, der „gebrauchen“ und in einem generelleren Sinne auch „umgehen mit“ bedeutet. Das bloße Haben solcher Gìter sei noch indifferent, und wir kçnnen erg•nzen, auch das Sich-Freuen an diesen Gìtern (= Genießen), solange nicht spezifiziert wird, wie man von diesen Gìtern Gebrauch macht, um sich an ihnen zu erfreuen. Erst durch das richtige oder falsche Umgehen mit solchen Gìtern ergibt sich, ob sie fìr den Betreffenden zutr•glich oder sch•dlich sind. Der richtige Umgang mit ihnen ist aber eine Leistung der Arete¯. Dieser Gesichtspunkt wird durchaus auch von Antiochos berìcksichtigt, insofern er die gesteigerte Eudaimonie nicht bloß als Summe der Gìter faßt, sondern von der Anwendung der Arete¯ mit Bezug auf die Gìter spricht, wobei er aber prim•r an die 1jkoc^ zu denken scheint, die auf ein Erlangen oder Genießen zielt.9 Ebenso haben vermutlich auch die jungperipatetischen Vertreter der Symple¯ro¯ma-These berìcksichtigt, daß ohne praktische Weisheit nicht die rechte Auswahl der natìrlichen Gìter gew•hrleistet ist. Gem•ß der Theorie der Vertreter einer „strikteren“ jungperipatetischen Position mìßte diese „Auswahl“ aber nicht auf ein Haben und Genießen, sondern auf den Gebrauch und Umgang mit ihnen zum Zwecke sittlicher oder wissenschaftlicher Praxisformen zielen. Letztere haben ihre eigene, „hçherstufige“ Teleologie, die auf das praktische oder das theoretische jak|m ausgerichtet ist und fìr das Genießen natìrlicher Gìter als einer eigenst•ndigen Zielsetzung keinen Raum l•ßt. Der Rekurs auf diesen Begriff des rechten Umgangs/Gebrauchs steht anscheinend auch im Zentrum der Kritik von Vertretern der strikteren peripatetischen Position an der stoischen Konzeption von der 1jkoc^ als einer gleichsam distanzierten wertenden Haltung zu den Dingen, die ihre 9

Die Berìcksichtigung dieses auf die Mçglichkeit guten oder schlechten Gebrauchens von Gìtern bezogenen Argumentes ist besonders deutlich in Augustinus’ Exzerpten aus Varro, welcher sich seinerseits auf Antiochos stìtzt (De civ. XIX, c. 3, ll. 37 – 40). Zur Finalisierung auf das Erlangen und Genießen vgl. ebd. c. 3, ll. 27 – 32, sowie Cicero, De fin. II 34 „virtute adhibita frui primis a natura datis“, V 44.

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Erfìllung auch unabh•ngig vom Erlangen dieser Dinge finden kann.10 Die Bet•tigung der Tugend, so der Einwand, erfìlle ihr Telos nicht bloß in der abstrakten Angemessenheit des Vorziehens dessen, was das im Vergleich W•hlenswertere unter den gegebenen Umst•nden ist. Die Bet•tigung der Tugend sei vielmehr ein Umgehen-mit und Gebrauchen, fìr das die •ußeren Objekte und Hilfsmittel Materien darstellen, die mehr oder weniger geeignet sein kçnnen im Sinne der bestmçglichen Verwirklichung der eigenen Arete¯ zu Praxis (etwa analog dazu, wie der Handwerker oder Kìnstler auch optimale Werkzeuge und Materialien bençtigt, um die bestmçglichen Resultate zu produzieren11). Das Vorziehen und W•hlen geschieht immer schon unter der Zielsetzung eines solchen Gebrauchens, und zwar in der Weise, daß erst im Gebrauchen der angemessenen ,Instrumente‘ und ,Materialien‘ das Telos der edlen Praxis voll verwirklicht werden kann. Sittliche Praxis erfìllt ja, wie wir gesehen haben (II-D), entsprechend der sittlichen Qualit•t ihrer Wirkungen und der sozialen Bezìge, in denen sie steht, in hçherem oder geringerem Maße die Teleologie einer spezifischen Tugend und tr•gt darum auch je in unterschiedlichem Maße zur Eudaimonie bei. Die Qualit•t der Wirkungen h•ngt aber nicht nur von der inneren Arete¯, sondern auch von der Qualit•t der •ußeren Materien ab, in und mit denen die Arete¯ sich bet•tigt. Wenn diese Materien eine vollendete Form der tugendgem•ßen Praxis ermçglichen, so kann sie als Praxis „1m pqogcoul]moir“ (unter begìnstigten Umst•nden) bezeichnet werden, oder sinngleich auch als Praxis „1m to?r jat± v}sim“, d. h. als Praxis unter den der menschlichen Natur gem•ßen (fçrderlichen) Umst•nden (vgl. II-D, §§ 9-10). Zwar l•ßt sich, was die nicht-seelischen pqogco}lema im Sinne der strikteren Peripatetiker sind, nicht einfach aus naturwìchsigen Strebensimpulsen ableiten. Vielmehr ergibt sich dies, wie erl•utert, aus der Teleologie der einzelnen Tugenden, die Kultivierungsformen der naturwìchsigen Strebenspotentiale sind. Man kçnnte darum meinen, daß die Orientierung an den naturwìchsigen Strebensimpulsen oder „ursprìnglichen natìrlichen Strebenszielen“ (pq_ta jat± v}sim) im Rahmen dieser Position ìberflìssig geworden sei. Aber dem ist nicht so. Zwar l•ßt sich, was im einzelnen die erstrebenswerten naturgem•ßen Gìter sind, nicht einfach 10 Vgl. Alexander(?)Aphr., Mant. 163, 32 – 164, 21. 11 Vgl. den bei Aristoteles selbst gebrauchten Vergleich mit dem kunstgem•ß arbeitenden Schuster, bei dem die Qualit•t der Produkte sich entsprechend der Qualit•t des ihm zur Verfìgung stehenden Materials unterscheiden wird (NE I 11, 1100b33 – 1101a6).

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G) Glìck als naturgem•ßes Leben

aus der Vorgabe der ursprìnglichen, naturwìchsigen Strebensdispositionen ableiten. Aber diese geben doch die Objektbereiche vor, mit denen es menschliche T•tigkeit generell, und darum auch arete¯-geleitete T•tigkeit, aufgrund der menschlichen Natur zu tun hat. In diesem Sinne strukturieren sie das Feld dessen, was fìr die Praxis des vollendeten Menschen zutr•glich und in diesem teleologischen Sinne das der menschlichen Natur Gem•ße (t± jat± v}sim) ist. Auch gem•ß dieser strikteren peripatetischen Sichtweise schließt also die Eudaimonie den Bezug auf naturgem•ße nicht-seelische Gìter mit ein (im Sinne eines 1meqce?m jat’ !qetµm 1m to?r jat± v}sim), was jetzt aber so verstanden wird, daß das Naturgem•ße im Bereich der nicht-seelischen Gìter die geeigneten Materien bzw. Objekte und Hilfsmittel arete¯-gem•ßen T•tigseins sind. Hier sind jetzt also beide Aspekte, die Vollendung der seelischen Potentiale und die Aneignung natìrlicher nicht-seelischer Gìter, durch die Konzeption der Eupraxie als des richtigen Gebrauches (Euchrestie) der angemessenen Materien miteinander integriert, w•hrend nach der anderen, „laxeren“ Deutung der Genuß natìrlicher Gìter additiv zum rechten Tun hinzukommt. In diesem Sinne ist das naturgem•ße Leben ein Leben, das durch das Erlangen und den rechten Umgang mit den geeigneten nicht-seelischen Gìtern die hçchsten (mit Wissenschaft und sittlich-gemeinwohldienlichem Tun verbundenen) Formen menschlicher Praxis realisiert und die diesen angemessenen Freuden erlebt. Es ist offenkundig, daß diese Konzeption, auch wenn sie der hellenistischen Begrifflichkeit Rechnung tr•gt, den Vorgaben bei Aristoteles sehr nahe kommt.12

12 Vgl. Aspasios’ Begriff vom Spoudaios als dem „naturgem•ß verfaßten“ Menschen (b jat± v}sim diaje_lemor ; vgl. u. a. 11, 4 – 8; 75, 26 – 76, 8; 97, 15 – 17; 146, 2 – 6; 152, 22 – 31), fìr den das naturgem•ß Gute gut und das naturgem•ß Erfreuliche erfreulich ist. Wie seine Erl•uterungen zeigen, meint er dies in dem gut aristotelischen Sinne (vgl. oben, I–B), daß dies der die menschlichen Potentiale vollendende und dadurch die menschliche Natur verwirklichende Mensch ist, auf den hin das definiert ist, was das fìr den Menschen naturgem•ß Gute und Erfreuliche ist.

§ 18. Das Fìr und Wider der unterschiedlichen Definitionsmodelle

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§ 18. Das Fìr und Wider der unterschiedlichen Definitionsmodelle Als die wesentliche formale Unterscheidung hinsichtlich der Typen von Glìcksdefinition im Peripatos hat sich ja herausgestellt, daß die Eudaimonie definiert wird entweder als ein ,Symple¯ro¯ma‘, d. h. als eine (in sich strukturierte) Summe von (naturgem•ßen) Gìtern, oder als eine ausgezeichnete Form von Praxis, die durch (naturgem•ße) nicht-seelische Gìter gesteigert wird – was ich hier terminologisch als ,Eupraxie‘ bezeichne. Die Steigerung der Qualit•t der Lebenspraxis durch nicht-seelische Gìter kann wiederum in zweierlei Weise konzipiert werden, n•mlich entweder in dem Sinne, daß diese Gìter das geeignete „Material“ vollendeter wissenschaftlicher und sittlicher Praxis sind, oder so, daß sie schlicht Objekte eines aktiven Genießens sind. Gem•ß der „strengeren“ Variante des Eupraxie-Modells besteht die Eudaimonie allein aus den beiden Grundtypen „edler“ Praxis, der wissenschaftlichen Kontemplation sowie dem sittlichen und gemeinwohl-orientierten Tun (vgl. II-C, § 8). Dies kann dann auch als ein arete¯-gem•ßes 1meqce?m 1m to?r jat± v}sim expliziert werden, wobei der springende Punkt der ist, daß das Gebrauchen von oder Umgehen mit (wq/shai) den der menschlichen Natur gem•ßen nicht-seelischen Gìtern auf das jak|m der sittlichen und kontemplativen Praxis hin finalisiert wird. Die „weichere“ Version des Eupraxie-Ansatzes, laut der zur uneingeschr•nkten Eudaimonie auch so etwas wie das eigenst•ndige Genießen der natìrlicherweise erstrebten leiblichen und •ußeren Gìter hinzugehçrt (vgl. II-C, §§ 6-7), weist in ihrem additiven Charakter eine grunds•tzliche öhnlichkeit mit dem Symple¯ro¯ma-Modell auf, insofern hier jeweils die nicht-seelischen Gìter nicht bloß als instrumentelle Gìter zur Ermçglichung von sittlicher und kontemplativer Praxis gesehen werden. Aufgrund dieser sachlichen Verwandtschaft habe ich beides unter dem Titel eines additiven Modells zusammengefaßt. Diesem additiven habe ich das instrumentelle Modell gegenìbergestellt (,Euchrestie‘), welches beinhaltet, daß die nicht-seelischen natìrlichen Gìter relativ zur Eudaimonie nur •ußere Ermçglichungsbedingungen fìr die Realisierung ,hçherer‘ (sittlicher und wissenschaftlicher) Ziele sind. Nun gibt es ja gem•ß der aristotelischen Analyse der Stebensnatur selbstzweckhafte Gìter, die fìr den Menschen auch unabh•ngig von seiner Sorge um die eigene Eudaimonie erstrebenswert sind. Dies wird auch durch die Theorie der Oikeio¯sis in ihrer eklektizistischen bzw. jungperipatetischen Fassung best•tigt. Die leitende Intuition der Vertreter der

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G) Glìck als naturgem•ßes Leben

Symple¯ro¯ma-These dìrfte sein, daß aus dieser Tatsache hinsichtlich unserer Strebensnatur folge, daß solche Gìter dann auch fìr unser Glìck oder Wohl relevant sein mìssen, und zwar nicht als bloße Mittel, da sie ja selbstzweckhaft erstrebt werden, sondern als integrale Bestandteile des schlechthin letztzielhaften und zugleich inklusiven Gutes der Eudaimonie. Es bereitet ihnen also keine Schwierigkeit, die These, daß die Eudaimonie das „schlechthin letztzielhafte Gut“ sei, mit den ph•nomenalen Evidenzen dafìr zu verbinden, daß wir auch auf anderes in letztzielhafter Weise bezogen sind. Das Euchrestie-Modell hingegen basiert auf den ebenfalls bei Aristoteles anknìpfenden Thesen, daß ein nicht-seelisches Gut erst durch den rechten Umgang oder Gebrauch zur Eudaimonie beitrage, daß aber der rechte Umgang pq÷nir jat’ !qet^m und diese sich selbst ihr eigentliches und hçchstes Gut sei, weshalb sie auch (wenn sie sich unbehindert entfalten kann) die Eudaimonie des Menschen konstituiere. Wer diesen Standpunkt einnimmt, kann zwar durchaus auch die Mçglichkeit zugestehen, daß anderes, was nicht integraler Bestandteil der Eudaimonie ist, um seiner selbst willen erstrebenswert bzw. ein selbstzweckhaftes Gut ist. Gleichwohl gilt dann, daß diese externen Gìter, insofern sie zur je eigenen Eudaimonie in Beziehung gesetzt werden, nur instrumentelle Gìter sind. Da Eudaimonie zugleich das vorrangige und ìbergreifende Gut ist, entsteht eine Unklarheit hinsichtlich des Status der externen selbstzweckhaften Gìter sowie der Handlungen, die auf sie als selbstzweckhafte Gìter (und nicht bloß als Mittel oder gìnstige Umst•nde) bezogen sind. Wie ich bereits in Teil I, § 12, erl•utert habe, handelt es sich hier um eine charakteristische Schwierigkeit eudaimonistischer Ethiken in Bezug auf das Ph•nomen altruistischer Handlungsmotive. Bei Aristoteles selbst ergeben sich Ans•tze zu einer Lçsung dieses Problems am ehesten aus seiner Theorie der Freundschaft. Wie steht es aber mit den hier erçrterten peripatetischen Theorien? Der Symple¯ro¯ma-Ansatz hat eine recht einfache Antwort auf die Frage, wie externe selbstzweckhafte Gìter in den Bezug auf die je eigene Eudaimonie integriert werden kçnnen – n•mlich schlicht indem sie ein Teil jenes Aggregats von selbstzweckhaften Zielen oder Gìtern sind, als welches die je eigene Eudaimonie definiert wird. Fìr das Euchrestie-Modell ist dieses Problem dagegen weniger leicht zu lçsen. In meinen abschließenden Bemerkungen mçchte ich diese Problemlage anhand zweier Beispiele erl•utern, n•mlich des Gutes der Gesundheit und des Gutes der Freundschaft. Ich werde dies mit einer Erçrterung des Fìr-und-Wider des additiven und des instrumentellen Modells verbinden.

§ 18. Das Fìr und Wider der unterschiedlichen Definitionsmodelle

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Der ethische Stellenwert von Gesundheit bleibt in den aristotelischen Ethiken sehr unterbelichtet. Aristoteles scheint der Auffassung zu sein, daß Gesundheit ein natìrliches Gut nur insofern ist, als sie die pq÷nir jat’ !qet^m befçrdert. Somit ist sie letztlich nur ein bloß instrumentelles Gut. Zu dieser Sichtweise tr•gt bei, daß Praxis von Aristoteles konsequent als ein seelisches Gut betrachtet wird, da sie Bet•tigung seelischer Vermçgen ist, zu denen sich die leiblichen Organe und die Vorzìglichkeiten des Kçrpers wie Gesundheit und Kraft als instrumentelle Gìter verhalten. Zwar ist es ja in der Perspektive der aristotelischen Naturwissenschaft eigentlich so, daß Vorzìge wie Gesundheit und Kraft Verfaßtheiten auf der Ebene der vegetativen Vermçgen sind, welche ein Aspekt von Seele qua Lebensprinzip sind. In der Perspektive der Ethik z•hlen als seelische Gìter aber nur solche Vermçgen und Dispositionen, deren Aktualisierungsformen den Charakter von Handlungen haben, was fìr die vegetativen dynamischen Gleichgewichtszust•nde, die die Gesundheit ausmachen, nicht gilt. Gesundheit ist also bei Aristoteles ein externes Gut relativ zum seelischen Gut der Eupraxie und folglich nicht Bestandteil von Eudaimonie, sondern nur ein fçrdernder Umstand. Demgegenìber erçffnet die Oikeio¯sis-Lehre fìr die Aristoteliker eine ganz neue Perspektive, um zu verstehen, in welcher Weise Gesundheit in das Selbstverh•ltnis des Menschen eingezeichnet ist. Sie beschreibt den Prozeß, in dem man sich seiner selbst bewußt wird und jene ursprìngliche auf sich bezogene Zuneigung entwickelt, die auch eine entsprechende Einstellung zu den Teilen der eigenen leiblichen Konstitution einschließt, da sich der Mensch zun•chst prim•r als ein leibliches Wesen mit leiblichen Bedìrfnissen erf•hrt. Diese naturgem•ße „Hinneigung“ zum eigenen Leib (die auch der Grund dafìr ist, warum ein Leichnam nicht ein Sache ist) wird in ihrem Stellenwert sp•ter zwar gravierend eingeschr•nkt durch die sich entwickelnde vorrangige Hinneigung zu den rationalen Aspekten der eigenen Persçnlichkeit, aber wir verstehen uns gleichwohl weiterhin auch als leibliche Wesen und sind uns gem•ß jenem natìrlichen und ursprìnglichen Impuls selbstbezìglicher Zuneigung auch in unserer Leiblichkeit vertraut und zugeneigt. Diese ist also in solcher Perspektive nicht nur ein instrumentelles Gut fìr die Eupraxie, sondern ein Aspekt unseres Selbst und seines Wohlergehens, dem wir letztzielhaft zugeneigt sind. Den eigenen Leib und seine vorzìgliche Verfassung als ein bloß instrumentelles Gut in Hinblick auf das eigene Wohl zu betrachten, w•re in dieser Perspektive Indiz fìr ein unnatìrliches, gebrochenes (und d. h. entfremdetes) Selbstverh•ltnis.

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Dies bedeutet dann aber auch, daß die ausschließliche Identifikation der Eudaimonie (verstanden als Erfìllung des auf das Lebensglìck bezogenen Strebens) mit T•tigkeit eine unzureichende Bestimmung ist. In ihrer vollst•ndigen Form schließt sie leibliches Wohl und leibliche Vorzìge ein, die nicht Praxis sind, sondern in dynamischen Zust•ndlichkeiten auf der vegetativen Ebene und anderen zust•ndlichen Eigenschaften grìnden. Wenn dies so ist, dann ist die Eudaimonie in der Tat ein Symple¯ro¯ma, bei dem zu den seelischen mindestens noch bestimmte leibliche Gìter als integrale Bestandteile hinzutreten. Wie vergleicht sich damit jener ausgezeichnete Typus eines •ußeren Gutes, die Freundschaft bzw. der Freund? Anders als im Falle der Gesundheit hat Aristoteles den ethischen Stellenwert der Freundschaft ausgiebig untersucht. Er hat aber die Ergebnisse dieser Untersuchungen nicht wirklich in die Gìterlehre und Motivationsanalyse seiner EudaimonieTraktate und Tugend-Traktate eingearbeitet (vgl. oben, I–D, § 12). Die Eudaimonie-Traktate berìcksichtigen zwar die Tatsache des Angewiesenseins menschlicher Eudaimonie auf genuine Freundschaft und Liebe und relativieren dementsprechend die Autarkie des vortrefflichen Menschen. Es wird aber nicht im Lichte der Ergebnisse der Philia-Traktate herausgearbeitet, in welcher Weise das eigene Wohl mit dem der Freunde so verschr•nkt ist, daß deren Wohlergehen als ein selbstzweckhaftes Ziel meines Strebens und Vorziehens Grund auch meines eigenen Wohls ist.13 Ebenso bleiben im Rahmen der Analyse der Teleologie der Tugendhandlungen fundamentale Unklarheiten hinsichtlich des motivationalen Stellenwertes, den Benevolenz und Philia dabei genießen. Wenn man die Freundschaftslehre ernst nimmt, und ebenso die Theorie der sozialen Oikeio¯sis, die im Kern die gleiche These beinhaltet, n•mlich daß sich das Wohl eines Menschen durch Philia mit dem Wohl (bestimmter) anderer Menschen als etwas um seiner selbst willen Intendiertes verschr•nkt, dann scheint auch dies wiederum zum Ergebnis zu haben, daß die Eudaimonie nicht nur in der je eigenen Eupraxie bestehen kann, sondern das Wohl dieser anderen mir lieben Personen einschließt, welches somit als ein letztzielhaftes Teilgut

13 Die Hinweise in NE I 9 und 11 (vgl. II-A, § 1) auf einen Beitrag der nicht-seelischen Gìter zur Eudaimonie, der sich nicht auf deren instrumentelle Funktion fìr die Eudaimonie reduzieren l•ßt, ist zwar ein Ansatzpunkt fìr die Symple¯ro¯maThese. Jedoch dìrfte Aristoteles’ Charakterisierung des positiven nicht-instrumentellen Beitrages dieser Gìter zur Eudaimonie als sumepijosle?m („mit ausschmìcken“) sicher nicht den hier gemeinten Punkt treffen.

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in mein eigenes Wohl eingeht. Auch dieses Ergebnis spricht wiederum zugunsten der Symple¯ro¯ma-Formel. Die Betrachtung der beiden Grundgìter Gesundheit und Freundschaft/Freunde hat also Argumente zugunsten des Symple¯ro¯ma-Ansatzes ergeben. Gleichwohl ist das Symple¯ro¯ma-Modell allein nicht hinreichend. Die Definition der Eudaimonie als ausgezeichnetes T•tigsein (Eupraxie) trifft einen ganz wesentlichen Punkt, der nicht verloren gehen darf. Ich meine den Gesichtspunkt, daß es nicht reicht, Freunde oder Gesundheit zu haben, sondern daß man mit solchen Gìtern auch in der richtigen Weise umgehen muß, was jeweils schon eine Form von Praxis ist. Betrachten wir zuerst wieder das Beispiel des gesunden Leibes: Was kçnnte hier eine Form des „Umgangs“ sein, in der dessen Status als eines letztzielhaften Teilgutes zur Geltung kommt? Gesundheit ist einerseits ein Gut, weil ihr Vorhandensein gew•hrleistet, daß unsere Praxis nicht durch Krankheit behindert wird. In dieser Weise ist sie aber nur ein instrumentelles Gut, nicht ein positiver Bestandteil des guten Lebens: Abwesenheit von Hinderungsgrìnden fìr andere Praxisformen, bzw. Steigerung der Handlungsmçglichkeiten, die auf andere Ziele hin finalisiert sind. Aber es gibt auch Praxisformen, in denen die Leiblichkeit als solche in positiver Weise erfahren und bet•tigt wird. So ist es zumindest ein Teilaspekt oder mçglicher Fokuspunkt von Bet•tigungen wie Tanz oder Gymnastik, sich gleichsam in der eigenen Leiblichkeit positiv zu erfahren. Dabei handelt es sich zugleich um Weisen der Selbsterfahrung, da der Leib und sein gutes Verfaßtsein ein ursprìnglicher Aspekt unseres Selbst ist. Man kann hier auch von Genießen sprechen (wie in jener Formulierung in 132, 8 – 19 bei ArD 14), aber dieser Begriff hat den erheblichen Nachteil, erstens zu undifferenziert und zweitens zu passivisch zu sein. Vielmehr handelt es sich um unterschiedliche aktive Bet•tigungsformen. (Diese Bemerkungen enthalten, nota bene, kein Theoriestìck, das wir bei Aristoteles finden kçnnen! Aristoteles’ Analyse der Bdom^ als Weise von unbehinderter 1m]qceia bzw. als vollendendes Begleitmoment solcher Weisen von 1m]qceia kçnnte jedoch durchaus interessante Ansatzpunkte fìr eine Vertiefung dieses Themas liefern.) Einen •hnlichen Ansatzpunkt kann man auch mit Bezug auf das Gut der Freundschaft w•hlen. Die Tatsache, Freunde oder einem nahestehende Menschen zu haben, mag schon als solche trçstlich und befriedigend sein, wobei hier das Bewußtsein der Mçglichkeit des negativen Gegenfalles, der 14 Vgl. oben, Zitat T4, Absatz (3), in II-C, § 6.

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G) Glìck als naturgem•ßes Leben

Vereinsamung, eine analoge Rolle spielt wie beim Fall des Gesunden, der sich im Bewußtsein der Mçglichkeit von Krankheit ìber sein Gesundsein freut. Aber die st•rkeren, positiven Formen der Erfahrung von Freundschaft und Freunden ergeben sich im Rahmen der geteilten Aktivit•ten (sulpq\tteim) und Weisen des suf/m (der geteilten Lebenspraxis). Die Erfahrung der Gemeinschaft mit einem anderen ist beglìckend fìr den Freund oder Liebenden, aber sie bedarf eben, wie Aristoteles zurecht betont, jener Formen der Sympraxie, in denen Freundschaft (oder Liebe) zur Erfìllung kommt.15 ›berdies ist Freundschaft ein dynamisches Gut, da sie sich nur durch gemeinsame Aktivit•ten entwickeln und nur in solchen dauerhaft bewahrt werden kann. Die Freundschaft hat darum nicht nur ihre subjektive Erfìllung in den gemeinsamen Aktivit•ten, sondern sie erreicht auch objektiv ihre Vollform erst durch das T•tigsein. Trotz der hier eben herausgestellten Analogie zwischen der Rolle der Gesundheit als des vorrangigen leiblichen und der Freunde als eines zentralen •ußeren Gutes ist auch auf einen wesentlichen Unterschied zwischen der Relation zum eigenen Leib und der Relation zu nahestehenden Personen hinzuweisen. W•hrend man die Oikeio¯sis in Bezug auf den eigenen Leib als einen Aspekt des gelingenden Selbstverh•ltnisses betrachten muß, wird in den Bindungen der Philia oder den Tugenden der staatsbìrgerlichen Loyalit•t und Partizipation der Selbstbezug um einen Bezug auf andere Personen erweitert. Dabei ist der Begriff des angemessenen wq/shai (Euchrestie) zu einseitig. Er meint zwar, bezogen auf solche interpersonellen Einstellungen, nicht ein „Gebrauchen“ der anderen fìr die eigenen Zwecke, sondern den guten und richtigen Umgang mit ihnen. Aber er bleibt doch einer Betrachtungsweise verhaftet, die nur die Aktivit•t je einer Person in den Blick nimmt. Dadurch bleibt verdeckt, daß dieser Umgang, in seinen hçchsten Formen (d. h. der individuellen Freundschaft/Liebe und der staatsbìrgerlichen Kooperation) den Charakter von Sympraxie hat, die durch den Bezug auf ein nur gemeinsam zu verwirklichendes Gut motiviert ist – wobei in Aristoteles’ Verst•ndnis das gemeinsam zu verwirklichende Gut das Gelingen dieser gemeinsamen Praxis selbst ist, da gute Praxis letztlich ihr eigener Zweck und in dieser Weise Eudaimonie ist. Es w•re darum besser, in Anknìpfung an diese aristotelischen Gedanken zum Zielbezug der Philia und der staatsbìrgerlichen Vergemeinschaftung, diesen spezifischen Formen exzellenten T•tigseins den Begriff der Sympraxie (anstelle von Euchrestie) zuzuordnen. Sie werden, nota bene, so 15 Zu Sympraxie als Erfìllung der Freundschaft vgl. NE VIII 5, 1157b5 – 24; IX 12, 1171b29 – 72a14; EE VII 12, 1245a11-b19.

§ 18. Das Fìr und Wider der unterschiedlichen Definitionsmodelle

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konzipiert, daß darin jedes einzelne Subjekt auch je fìr sich sein Ziel vortrefflicher Lebenspraxis auf bestmçgliche Weise verwirklicht, weshalb t•tige Partizipation im Sinne von Sympraxie scharf von organizistischen Modellen zu unterscheiden ist, die den einzelnen nur noch als funktionalen Teil und nicht zugleich auch als Endzweck begreifen. Des weiteren ist am Rigorismus des Euchrestiemodells auch zu bem•ngeln, daß Formen der Geselligkeit, die wesentlich zur Praxis der Freundschaft gehçren, aber unterhalb der hçchsten (wissenschaftlichen und sittlich-politischen) T•tigkeiten angesiedelt sind, aus der inhaltlichen Bestimmung der Eudaimonie herausfallen. Mìssen wir mit Blick auf unsere Erw•gungen zur Bedeutung des T•tigseins am Ende nicht doch zu dem Ergebnis gelangen, daß es irrefìhrend ist, die eigene Gesundheit oder die Freundschaft und die Freunde als statische und quasi-dingliche Gìter, die man haben kann, zu Konstituentien der Eudaimonie zu erkl•ren? Die Argumente zugunsten der Symple¯ro¯ma-These sind durch die eben vorgebrachten Bemerkungen nicht entkr•ftet worden. Es ist durchaus so, daß auch abgesehen von der Mçglichkeit und Wirklichkeit gemeinsamer Aktivit•ten ein anderer Mensch und die Tatsache seines Wohlergehens ein Aspekt des Lebensglìcks eines Menschen sein kçnnen, sofern es sich um echte Freundschaft oder Liebe handelt.16 Dies ist gerade auch in der subjektiven Teleologie jener Einstellungen und T•tigkeiten enthalten, in denen ein Gut wie Freundschaft oder Liebe als zielhaftes Gut erlebbar wird. (Was den Fall des leiblichen Selbstverh•ltnisses betrifft, so kann man etwa darauf verweisen, daß Sterbende sich normalerweise einen respektvollen Umgang mit ihrem Leichnam wìnschen – obwohl der tote Kçrper gerade nicht mehr fìr den Betreffenden ,brauchbar‘ ist.) Letztlich bezeichnen Symple¯ro¯ma und Eupraxie/Sympraxie wohl zwei verschiedene Ebenen der Konstitution des guten Lebens und drìcken somit Teilwahrheiten aus, die zueinander in Beziehung gesetzt werden mìssen. Das Symple¯ro¯ma umfaßt die fìr einen selbst letztzielhaften Gìter, die in das einfließen, was das Lebensglìck ausmacht, wozu auch nahestehende Menschen und ihr Wohlergehen sowie der eigene Leib und dessen Unversehrtheit gehçren. Jedoch ist das bloße Vorhandensein solcher um ihrer selbst willen gesch•tzter Gìter, und unser Bewußtsein davon, noch 16 Dabei ist jedoch zu beachten, daß wir vielen Menschen Gutes wìnschen kçnnen, ohne daß darum deren Wohlergehen oder Unglìck je im Einzelfall fìr unser eigenes Lebensglìck wirklich einen Unterschied ausmachen wìrde. Letzteres setzt besonders starke Bindungen voraus, die ìber bloße Benevolenz hinausgehen.

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G) Glìck als naturgem•ßes Leben

nicht hinreichend fìr das gute Leben. Sie sind Komponenten unseres Lebensglìcks, ohne dieses voll auszuschçpfen. Ihren vollen Beitrag als Teilaspekte des guten Lebens leisten sie vielmehr erst durch angemessene und freudvolle Formen des Umgehens mit ihnen. Halten wir auch fest, daß diese Schlußbemerkungen im Ergebnis eine Stellungnahme zugunsten eines additiven Modells enthalten. Dabei ist dann aber auch auf den unterschiedlichen Rang, den solche letztzielhaften Gìter in einer vernìnftigen Konzeption des Gut-Lebens innehaben kçnnen (oder sollten), hinzuweisen. Es ist hier nicht der Ort, solche Aussagen in systematischer Absicht und auf der Basis einer ethischen Theorie der Grunddimensionen glìckenden menschlichen Daseins n•her zu begrìnden. Sofern man sich aber ìberhaupt auf diese Art von Fragestellung einl•ßt, scheint es doch relativ klar, daß ein nicht-entfremdetes Verh•ltnis zur eigenen Leiblichkeit bestenfalls ein vergleichsweise sekund•rer Aspekt in einer Theorie des Gut-Lebens sein kann. Den Beziehungen zu anderen Menschen, die sich unter den Bezeichnungen Freundschaft und Liebe fassen lassen, kommt dagegen schon eine sehr viel zentralere Bedeutung zu. Die Sympraxie erfordert aber auch geteilte Inhalte oder letztzielhafte Gìter, die ìber bloße Geselligkeit hinausgehen und auf die hin die gemeinsame Lebenspraxis entworfen wird. In moderner Perspektive wird man selbstverst•ndlich nicht mehr an einem Monismus des besten Lebensentwurfes (oder Dualismus von zwei besten Lebensentwìrfen) festhalten kçnnen, sondern eher an eine offene (aber nicht willkìrliche) Liste denken, in die T•tigkeitsformen wie die elterliche Rolle, das karitative Tun, gesellschaftliches Engagement, wissenschaftliches Forschen, religiçse Kontemplation, technische oder kìnstlerische Kreativit•t etc. gehçren. Das moralische Selbstverst•ndnis hingegen (das etwa durch den Begriff des Gewissens expliziert werden kann) wird man in neuzeitlicher Perspektive als einen Aspekt des menschlichen Selbstverh•ltnisses sehen, dessen prim•re Rolle darin liegt, den anderen sinnstiftenden T•tigkeiten Grenzen zu setzen, wo dies moralisch geboten ist, unbeschadet der Tatsache, daß ein moralisches Selbstverst•ndnis fìr die F•higkeit, sich selbst achten zu kçnnen, wesentlich ist.

Nachwort Ist es angesichts der brennenden ethischen, gesellschaftspolitischen und umweltpolitischen Fragen unserer Zeit, die auch die normative Philosophie herausfordern, nicht ein fragwìrdiges Unterfangen, viele Seiten mit Analysen von antiken Theorien ìber die Elemente menschlichen Lebensglìcks, jenes „voreiligen Vorteil[s] eines nahen Verlusts“ (Rilke, Neunte Duineser Elegie), zu fìllen? In meiner Einleitung habe ich bereits angedeutet, daß Fragen der normativen Ethik auch eine Analyse der Bedingungen menschlichen Wohlergehens erfordern, sofern man zugesteht, daß eine bedeutsame Relation zwischen der inhaltlichen Konkretisierung dessen, was moralisch verpflichtend oder verdienstvoll ist, und den Kriterien von Individual- und Gemeinwohl besteht. Die antike aristotelischperipatetische Philosophie ist fìr uns heute vergleichsweise wenig ergiebig, was die Analyse der konzeptionellen Grundlagen moralischer Verpflichtung betrifft. Ihre St•rken liegen eher in der Theorie der Grundgìter oder Dimensionen glìckender menschlicher Lebenspraxis, ohne die sich eine Idee des Individual- und Gemeinwohls wohl kaum sachgerecht entwickeln l•ßt. Aus diesem Grund begegnet uns ja in der heutigen philosophischen Ethik auch der Versuch, die Kantische und die Aristotelische Theorie einander n•herzubringen. Doch auch abgesehen von solchen fìr die philosophische Ethik im engeren Sinne relevanten Perspektiven scheint mir die Theorie der grundlegenden Gestalten des fìr Menschen Guten fìr die Konzeption einer humanen Gesellschaft, die ihre Mitglieder nicht einseitig auf den Status von Humanressourcen und Konsumenten reduziert, unerl•ßlich zu sein. Selbstverst•ndlich kçnnen dabei antike Theoriestìcke nicht unvermittelt in einen zeitgençssischen Diskussionskontext ìbertragen werden. Aber sie kçnnen dabei helfen, das zu bearbeitende Feld zu organisieren, und liefern wertvolle Ansatzpunkte fìr wenigstens partielle Antworten.

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Entsprechend dem Zeitraum der Fertigstellung meiner Habilitationsschrift enth•lt dieses Verzeichnis Titel bis 2001/02. Siehe Vorwort.

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Namenregister Historische Autoren Adrastos von Aphrodisias 27 Albertus Magnus 160 Alexander (oder Pseudo-Alexander) von Aphrodisias 26–28, 30, 155, 196–198, 205, 207, 211–215, 218, 220–223, 231, 261, 275 Alkinoos 162, 163 Ambrosius 184 Andronikos 16, 26, 27, 261, 261 Anna Komnena 31 Antiochos von Askalon 22–26, 29, 157, 160–165, 167, 184–190, 227, 229, 230, 234, 237, 240, 247, 252–254, 256, 260, 261, 263–265, 267, 270, 272–274 Antipater von Tarsos 173, 189, 195–197, 234, 235, 267 Antiphon (der Sophist) 61 Areios Didymos passim Ariston von Chios 267 Aristoteles passim Arkesilaos 23, 237 Aspasios 15, 16, 27, 28, 30, 31, 148, 155, 157–159, 162, 164, 165, 168, 169, 198–208, 212, 214, 215, 219–223, 276 Attikos 29, 30, 162, 163, 184, 215 Augustinus 25, 187, 189, 234, 252, 273, 274 Boethos (der Peripatetiker)

27, 261

Chrysipp(os) 24, 195, 196, 235, 248, 266–268 Cicero 15, 24–26, 108, 157, 160–162, 185, 186, 188, 189, 196, 227, 229, 230, 233, 234, 237, 240, 245, 248, 249, 255, 257, 263, 264, 270–272, 274

Dikaiarch(os) von Messene 18 Diodoros von Tyros 185 Diogenes Laertios 29, 183 Diogenes von Babylon 195–197, 220, 234, 235, 267 Eudemos von Rhodos 16, 203 Eudoxos von Knidos 105, 213 Eustratios 31, 148, 155, 157, 159–161, 195, 215 Hegel, G. W. F. 8 Heidegger, Martin 137 Hierokles 241 Isokrates

75

Karneades 23, 24, 174, 188, 189, 197, 234, 235, 237, 257, 264, 269, 270 Kleanthes 235, 266 Konstantin Palaiokappa 29 Kritolaos von Phaselis 19, 20, 156–158, 162–165, 167, 184, 185, 267 Lykon (der Peripatetiker) Michael von Ephesos

19

31

Nemesios von Emesa 161 Nikomachos (Sohn des Aristoteles) 15 Panaitios 24, 108, 235 Paraphrast / Pseudo-Heliodor 155, 215 Philon von Larissa 23, 24 Piso 24, 25

29,

307

Namenregister

Platon 23, 24, 30, 38, 52, 54, 61, 74, 75, 78, 89, 94, 95, 101, 109, 111, 113 f., 118, 119, 156, 186, 215, 226, 231, 259, 264, 265, 268, 274, 286 Plotin(os) 30 Plutarch(os) 29, 30, 184, 196, 245 Polemon 161, 162, 186–189, 264–266 Porphyrios 30, 248 Poseidonios 24 Protagoras 61 Robert Grosseteste Seneca

31

233, 242

Speusippos 162, 186 Staseas 24, 25 Stobaios (Johannes Stobaios)

20, 21

Themistios 30 Theophrast(os) 18, 21, 25, 162, 182, 184–186, 238 Thomas von Aquin 13, 118, 159, 160 Varro 25, 26, 187, 189, 234, 252, 274 Xenarchos (der Peripatetiker) 27, 261 Xenokrates 162, 186–188, 215, 264, 265 Zenon von Kition

235, 264, 266

Moderne Autoren Ackrill, J. L. 42, 92, 102 Allan, D. J. 85, 134 Annas, Julia 22, 25, 36, 68, 101, 137, 186, 230, 234, 238, 248 Anscombe, Elisabeth 36 Arnim, Hans von 17, 22, 171, 177, 199, 213, 216, 217, 223, 238, 243, 244 Aubenque, Pierre 85 Barnes, Jonathan 16, 18, 23–25, 27, 71, 83–85 Bonitz, Hermann 54 Brink, K. O. 17, 238, 264 Broadie, Sarah 137 Brown, Lesley 52, 124 Browning, Robert 31 Bruns, Ivo 28, 207 Brunschwig, Jacques 230 Buddensiek, Friedemann 15, 131 Burnyeat, Myles F. 42, 61, 110, 112 Cooper, John M. 15, 17, 44, 100, 102, 103, 126, 148, 160, 206, 207 de Heer, Cornelis 36 de Vogel, Cornelia 137 Diels, Hermann 21, 61

Dillon, John 23 Dirlmeier, Franz 17, 22, 89, 199, 238 Dìring, Ingemar 17 Ebert, Theodor 141 Elm, Ralf 70, 83, 85 Engberg-Pedersen, Troels

230, 234

Fahnenschmidt, Gerhard 17 Finnis, John 8 Flashar, Hellmut 17 Foot, Philippa 86 Forschner, Maximilian 230, 232, 234, 252, 266 Fortenbaugh, William W. 18, 20, 22, 171 Fritz, Kurt von 264, 265 Furley, David 44 Fìrst, Alfons 126 Gadamer, Hans-Georg 68, 85–87 Gaiser, Konrad 45 Gauthier, Ren¦ Antoine 29, 31, 95, 103, 111, 134, 148, 150, 214, 219 Geach, Peter T. 86 Gill, Christopher 79 Giusta, Michelangelo 20, 171, 199, 213, 238

308

Namenregister

Glucker, John 24 Gûmez-Lobo, Alfonso 80 Gçransson, Tryggve 20, 21 Gçrgemanns, Herwig 174, 230–232, 238, 239, 243, 244 Gotthelf, Allan 44 Gottschalk, H. B. 19, 20, 26 Graeser, Andreas 45, 194, 221 Grilli, A. 171, 199 Hahm, D. E. 20 Hardie, W. F. R. 92 Harlfinger, Dieter 16 Heinaman, Robert 92, 101, 102, 141 Heinimann, Felix 264 Hicks, R. D. 184 Hçffe, Otfried 37, 64, 70, 79 Honnefelder, Ludger 36 Horn, Christoph 36 Huby, P. M. 171, 199 Inwood, Brad 230 Irwin, Terence H. 15, 44, 79, 102, 103 Jaeger, Werner 17, 76 Jolif, Jean Yves 29, 31, 103, 111, 134, 148, 150, 214, 219 Kahn, Charles H. 44, 48, 137 Kapp, Ernst 17 Kenny, Anthony 15–17, 36, 92, 96, 100, 131, 159 Kerferd, G. B. 230, 264 Keyt, David 92, 102, 131 Kidd, Ian G. 230, 235, 245 Konstan, David 126 Korff, Wilhelm 259 Korsgaard, Christine M. 137, 139, 141 Kr•mer, Hans Joachim 186, 264 Kraut, Richard 101, 102, 131, 155 Kullmann, Wolfgang 44, 45, 66, 79 Lawrence, Gavin 102, 155 Long, Anthony A. 24, 189, 195, 196, 230, 234, 235, 241, 248, 266

Long, H. S. 184 Lynch, John P. 19 MacIntyre, Alasdair 8, 79 Madigan, Arthur 137 Marcovich, Miroslav 184 McDowell, John 62 Meineke, August 21 Mercken, H. P. F. 31 Mette, Hans Joachim 25, 189 Meurer, Hermann 238 Moraux, Paul 19, 20, 22, 26, 27, 29, 156, 166, 171, 176, 178, 179, 183, 199, 213, 216, 229, 238, 250, 255 Mìller, Anselm W. 36, 67, 124, 134, 141 Mutschmann, Hermann 184 Nussbaum, Martha C. 8, 36, 71, 74, 79, 85, 101, 102, 134, 150, 152 Owen, G. E. L. 71, 84, 85 Owens, Joseph 114 Pakaluk, Michael 126 Pembroke, S. G. 230, 232, 239, 248 Philippson, Robert 264 Pohlenz, Max 22, 195, 238, 241, 142, 246, 264 Price, Anthony W. 59, 67, 102, 126 Rapp, Christof 71, 224 Rieth, Otto 220, 245 Ritter, Joachim 8, 36, 68 Roche, T. D. 79 Ross, David W. 48, 111 Rowe, Christopher J. 17 Scheler, Max 137 Schn•delbach, Herbert 7 Schofield, Malcolm 24 Schìtrumpf, Eckart 45, 60, 66, 68, 79 Scott, Dominic 103 Sedley, David 248, 266 Sharples, Robert W. 19, 20, 28, 30, 155, 171, 199, 207, 213, 216, 217, 223

309

Namenregister

Smith, Robin 71 Sorabji, Richard 28, 134 Stern-Gillet, Suzanne 126 Strache, Hans 238 Striker, Gisela 189, 196, 230, 234, 247, 266, 269 Susemihl, Franz 16, 287 Szaif, Jan 9, 36, 52, 61, 119, 231 Tugendhat, Ernst Urmson, J. O.

137

102

Vigo, Alejandro

36

Wachsmuth, Kurt 22, 166, 169, 174, 177, 220, 243, 255 Walzer, Richard 17, 287 Wehrli, Fritz 18, 19, 157, 163, 184, 185 Wendland, P. 184 White, Stephen 160 Wiggins, David 2, 8, 106, 134, 141 Wolf, Ursula 80 Woods, Michael 88

Stellenregister Albertus Magnus Super Ethica I 7 [p. 35, ll. 42ff.]) 160

– p. 176, 13 ff. 197 – p. 177, 8 199

Alexander (oder Pseudo-Alexander) von Aphrodisias (CAG II, 2; Suppl. II, 1; II, 2) Eth. Quaest. – p. 119, 11 199 – p. 148, 29–33 207 In Top. – p. 229, 2 ff. 221 – p. 229, 3 f. 221, 222 – p. 229, 4 214 – p. 229, 5 f. 223 – p. 229, 5–7 223 – p. 229, 6 f. 215 – p. 230, 6 – p. 231, 14 221 – p. 231, 5 221 – p. 231, 6–8 221 – p. 232, 17–25 218 – p. 242, 4 213 – p. 242, 7 214 – p. 243, 2–11 221 f. – p. 247, 18–20 155 Mant. – p. 150, 11 199 – p. 150, 20 ff. 231 – p. 150–153 27, 261 – p. 151, 27–29 262 – p. 151, 30 – p. 152, 15 262 – p. 152, 15–27 262 – p. 152, 35 – p. 153, 5 262 – p. 153, 5 ff. 262 – p. 160, 1 ff. 198 – p. 160, 4–7 196 – p. 160, 31 – p. 161, 3 198, 205 f., 207 – p. 163, 32 – p. 164, 21 275 – p. 166, 18 199 – p. 167, 9–13 198, 211

Alkinoos 27, 4 162 Ambrosius De off. ministr. II, ii, § 4

184

Anonymus, In II–V EN (CAG XX) p. 125, 24 199 p. 170, 17 199 p. 230, 27–33 215, 219 p. 230, 27–37 204 p. 230, 32 ff. 207 Anonymus, In Platonis Theaet. (ed. Sedley) V, 18 ff. 248 Antiphon (edd. Diels/Kranz) fr. 87B60 61 Areios Didymos apud Stobaios, Eclogae II, c. vii [=ArD] (ed. Wachsmuth) p. 46, 10 f. 19 p. 46, 10 ff. 157, 184 p. 47, 20 – p. 48, 3 235 p. 50, 11 ff. 169 p. 51, 1–8 170 p. 51, 9 f. 170 p. 51, 9–11 169 p. 51, 14 f. 171 p. 56, 10 ff. 216 p. 64, 13–17 220 p. 82, 1–3 216 p. 110, 9–15 255 p. 116, 21 – p. 117, 10 239

312

Stellenregister

p. 118, 5 – p. 119, 19 (=A3a) 238–247 p. 118, 5 – p. 128, 9 (=A3a–b) 197, 226, 227, 229, 238 – 256 p. 118, 6 – p. 119, 2 239–243 p. 118, 12 251 p. 118, 17 227 p. 118, 20 – p. 119, 19 243–247 p. 119, 20 f. 247 p. 119, 22 f. 227, 243 p. 119, 22 – p. 128, 9 (= A3b) 242, 247–256 p. 119, 23 248 p. 120, 8–16 249 p. 120, 9 248 p. 120, 14 249 p. 120, 16 f. 227, 243 p. 120, 17 248 p. 121, 1 f. 227, 243 p. 121, 2 ff. 249 p. 121, 8 f. 249 p. 121, 16 f. 249 p. 121, 16–21 249 p. 121, 17 f. 249 p. 121, 22 249 p. 122, 7–9 249 p. 122, 11 f. 241, 250 p. 122, 14–16 251 p. 122, 14–18 250 p. 122, 21 227 p. 123, 7 227, 243 p. 123, 17–27 247, 251 p. 124, 1–14 250 p. 124, 18 – p. 125, 13 224, 229, 250 p. 125, 10–12 224 p. 125, 14–19 255 p. 125, 14 – p. 126, 11 153, 179, 229, 250 p. 125, 23 – p. 126, 2 254 p. 126, 2–11 255 p. 126, 6 255 p. 126, 12–14 227, 252 p. 126, 12–24 243 p. 126, 12 – p. 127, 2 (= A3d) 198, 256, 258 p. 126, 14–18 161 p. 126, 14–20 171

p. 126, 14 – p. 127, 2 (= T3) 173–176, 192, 193, 197, 253 f., 256 p. 126, 16 ff. 193 p. 126, 17 f. 189, 205 p. 126, 18–20 256 p. 126, 19 f. 205 p. 126, 20 207 p. 126, 22 193 p. 127, 3 – p. 128, 9 168 p. 129, 19 – p. 130, 3 (= T5) 190–193 p. 129, 19 – p. 130, 12 (= B 3) 190–198 p. 130, 4–12 194 p. 130, 9 f. 156, 176 p. 130, 15–18 180, 191 p. 130, 15 – p. 134, 6 (= B 4) 190 p. 130, 18 f. (= T1) 169, 174, 177 p. 131, 5 f. 189 p. 131, 12 f. 190, 211 p. 131, 14–19 170 p. 131, 19 – p. 132, 8 103, 171 p. 132, 8 f. 170 p. 132, 8–12 (= T2) 171, 175, 177, 197 p. 132, 8–19 (= T4) 177–181, 189, 281, 271 p. 132, 9 f. 205 p. 132, 17 f. 191 p. 133, 6–11 182, 188, 270 p. 134, 8 – p. 137, 12 (= C) 212 –228 p. 134, 17–19 194, 220 p. 134, 19 194 p. 134, 20 – p. 135, 10 (= C 4) 213–216, 222 p. 134, 23 215 p. 134, 24 f. 214 p. 135, 1–10 (= C 5) 216 f., 222 p. 135, 3–8 217 p. 135, 4 216 p. 135, 4 f. 215 p. 135, 6–8 217 p. 135, 11–16 (C 6) 217 f. p. 135, 17 – p. 136, 8 219 p. 135, 19 – p. 136, 1 215 p. 137, 4–7 (= C 11) 225–228

Stellenregister

p. 143, 24 – p. 145, 2 p. 144, 4 f. 181 p. 144, 5 191 p. 144, 17 f. 179 p. 144, 21 ff. 161 p. 144, 23 – p. 145, 1

179

189

Aristoteles fr. 113 (Rose) 213 An. post. II 11, 94b34–95a9 45 Cat. 8 91 De an. – I 1, 403a3 ff. 95 – II 1 46 – II 1, 412a9 f. 49 – II 1, 412a21 49 – II 4, 415a26–b7 53 – III 8, 431b21 123 – III 10 50 De cael. I 3, 270b16–25 76 De gen. anim. – II 1, 731b18 ff. 53 – II 1, 731b30 53 De gen. et corr. II 10, 336b27 ff. 53, 54 De motu anim. – 6 50 – 6, 700b28 ff. 36 – 6, 700b33–35 49 De part. anim. – I 1, 639b20 58 – I 5, 645a7 ff. 57 f., 112 EE – I 1 61 – I 1, 1214a1–8 65, 109, 180 – I 1, 1214a8–15 35 – I 2 67, 102, 147, 194, 224 – I 2, 1214b6–11 130 – I 2, 1214b11 ff. 98, 155 – I 2, 1214b13 155 – I 2, 1214b26 155 – I 4, 1215a3 ff. 84 – I 4, 1215a25–b6 179 – I 5 67, 129, 254 – I 5, 1215b15 ff. 122 – I 5, 1215b20–22 129 – I 5, 1215b30–1216a2 97, 179 – I 5, 1215b32–34 121 – I 5, 1216a25 f. 111

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

313

I 5, 1216a39 f. 102 I 5, 1216b2–25 35 I 6, 1216b26–35 35, 71 I 6, 1216b30–35 71 I 6, 1216b32–35 85 I 6, 1216b35–1217a17 71, 83 I 6, 1217a10–17 71 I 7, 1217a20–22 36 I 7, 1217a21 ff. 37 I 8 38 I 8, 1217b25–1218a1 42 I 8, 1218a15–24 42 I 8, 1218a30 ff. 105 I 8, 1218a31–33 46 II 1 79, 88, 89, 100, 156 II 1, 1218b31 ff. 98 II 1, 1218b32 f. 148 II 1, 1219a6–18 90 II 1, 1219a11–18 170 II 1, 1219a24 170 II 1, 1219a35 ff. 103 II 1, 1219a37 170 II 1, 1219a38 f. 80, 169, 214 II 1, 1219b2 170 II 1, 1219b8–16 214 II 1, 1219b12 f. 102 II 1, 1219b16–20 90 II 1, 1219b26–1220a4 81 II 1, 1219b38 f. 93 II 1, 1220a2–4 93 II 6, 1222b15–29 59 II 8, 1224b29–35 60 II 8, 1224b32 f. 76 II 10, 1227a18–b5 36 II 11, 1227b19–22 35 III 1, 1230a26 ff. 111 III 2, 1230b21–1231a18 120 III 2, 1230b25–1231a12 121 III 5 73 VII 2 63 VII 2, 1235b13–18 71 VII 2, 1235b18–30 36 VII 2, 1235b30–35 62, 218 VII 2, 1235b30–1236a7 65 VII 2, 1236a7–10 36 VII 2, 1236b32 ff. 63, 218 VII 2, 1237b30 ff. 63 VII 2, 1238a16 ff. 63

314

Stellenregister

– VII 6 93, 126 – VII 6, 1240a21–b37 122 – VII 6, 1240b11–26 122 – VII 6, 1240b15 231 – VII 6, 1240b19–21 107 – VII 6, 1240b20 231 – VII 6, 1240b28–30 107 – VII 10, 1242a19–28 126 – VII 12 17, 48, 117, 126 – VII 12, 1244b21 ff. 52 – VII 12, 1244b21–1245a10 122 – VII 12, 1245a1–3 84 – VII 12, 1245a11–b19 282 – VII 12, 1245a30 126 – VII 12, 1245a35–37 128 – VII 12, 1245b14–19 133 – VIII 2 15 – VIII 3 18, 63, 109, 131, 180 – VIII 3, 1248b18 ff. 113 – VIII 3, 1248b26 f. 63 – VIII 3, 1249a17–21 64 – VIII 3, 1249a18 f. 65 – VIII 3, 1249a21 ff. 67, 73, 96 Eudemos, fr. 44 (Rose) 129 Metaph. – I 1 77 – I 1, 980a21–27 56, 121, 122 – I 1, 981a12–30 70 – I 2 56 – I 2, 982b8 56 – I 3, 983a24–b32 44 – I 3, 983a31 f. 45 – II 1, 993b20 f. 35 – IV 2, 1003b22–33 48 – IV 4, 1007b28 f. 52 – V 2 44 – V 2, 1013b25–28 45 – V 4, 1015a13–15 45 – V 5, 1015b9 ff. 52 – V 20 91 – VI 1 38, 56 – VI 1, 1026a10–32 56 – VII 13, 1038b5 f. 49 – IX 7, 1048b18–35 141 – IX 8, 1049b12–17 70 – IX 8, 1050a23–b2 141 – IX 8–9 48 – IX 9, 1051a4–15 46

– XII 6 47 – XII 6, 1071b20 47 – XII 7 47, 53 – XII 7, 1072a26 48 – XII 7, 1072a27 f. 36 – XII 7, 1072a27–29 50 – XII 7, 1072a29 47, 106 – XII 7, 1072a31 48 – XII 7, 1072a34 f. 49, 50 – XII 7, 1072a35 50 – XII 7, 1072b4–13 52 – XII 7, 1072b10 f. 52 – XII 7, 1072b14 ff. 49, 133 – XII 7, 1072b21 50 – XII 8, 1074a38–b14 76 – XII 9 49, 53 – XII 9, 1074b21 ff. 133 – XII 9, 1074b26 50 – XII 9, 1074b30 50 – XII 9, 1074b34 50 – XII 9, 1074b34 f. 50 – XII 10 52, 53, 54 – XII 10, 1075a16 ff. 52 – XII 10, 1075a18 f. 54 – XII 10, 1075a37 55 – XIII 3, 1078a31 f. 42 – XIII 3, 1078a31 ff. 112 Meteor. I 3, 339b27 f. 76 MM – I 2 212, 214, 215 – I 2, 1183b19–27 213 – I 2, 1183b27–35 215 – I 2, 1183b28–32 219 – I 2, 1183b35–37 214 – I 2, 1184a15–38 154 – I 3, 1184b5 148 – I 4, 1185a1–9 103, 171 – II 8 15 NE – I 1, 1094a1–18 90 – I 1, 1094a3 105 – I 1, 1094a3–6 141 – I 1, 1094a18–26 67 – I 1, 1094a22–26 130 – I 1, 1094a24–b11 77 – I 1, 1094b7 37 – I 1, 1094b14 f. 110 – I 1, 1094b19–21 37

Stellenregister

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I 1, 1094b21 69 I 1, 1094b27–1095a11 35 I 1, 1095a2 f. 77 I 1, 1095a2–4 70 I 1, 1095a4–11 70 I 1, 1095a5 f. 35 I 2, 1095a15–17 38 I 2, 1095a17–20 36 I 2, 1095a18–20 141 I 2, 1095a28–30 71, 84 I 2, 1095a30–b8 70 I 2, 1095b4–6 70 I 2, 1095b4–13 35 I 3 64, 75, 220 I 3, 1095b14–22 179 I 3, 1095b19–22 97 I 3, 1095b22–1096a4 84 I 3, 1095b26 ff. 84 I 3, 1095b26–29 128 I 3, 1095b31 ff. 85 I 4 38, 226 I 4, 1096b6 48 I 4, 1096b7–27 217, 226 I 4, 1096b8–14 45 I 4, 1096b17 121 I 4, 1096b18 128 I 4, 1096b23–29 42 I 4, 1096b32–35 37, 38 I 5 219, 223, 226 I 5, 1097a22–24 38 I 5, 1097a25–b6 217, 226 I 5, 1097a26 f. 226 I 5, 1097a31 216 I 5, 1097a32 216 I 5, 1097a33–b6 36 I 5, 1097b11 126 I 5, 1097b16 ff. 15I7 I 5, 1097b16–20 92, 154, 159 I 5, 1097b2 128 I 5, 1097b7–11 117 I 5, 1097b8–11 66, 124 I 5, 1097b20 f. 36 I 5, 1097b30 ff. 117 I 5–6 92 I 6 40, 79–105, 170 I 6, 1097b25–27 81 I 6, 1097b28–33 81 I 6, 1097b33 ff. 80

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I 6, 1098a3 81 I 6, 1098a4 81 I 6, 1098a11 82 I 6, 1098a11 f. 91 I 6, 1098a15 82 I 6, 1098a16 37 I 6, 1098a16 f. 82 I 6, 1098a16–18 80, 92, 96 I 6, 1098a17 f. 92 I 6, 1098a18 170 I 7, 1098a20 f. 37 I 7, 1098a34–b4 70 I 8 88, 98 I 8, 1098b10 90 I 8, 1098b14 f. 148 I 8, 1098b18 f. 89 I 8–11 99, 147 I 9 102, 151, 153, 260, 280 I 9, 1098b27–29 71, 84 I 9, 1098b30–1199a7 90 I 9, 1099a7–31 111, 208 I 9, 1099a10 f. 111 I 9, 1099a11 ff. 64 I 9, 1099a13 ff. 109 I 9, 1099a14 f. 64 I 9, 1099a18 f. 111 I 9, 1099a21 64 I 9, 1099a21 ff. 65 I 9, 1099a24–31 180 I 9, 1099a31 ff. 64 I 9, 1099a31–b6 147 I 9, 1099a31–b8 148 I 9, 1099a32–b6 148, 152 I 9, 1099a33 172 I 9, 1099b2–6 157 I 9–11 17, 18, 87 I 10 61 I 10, 1099b18–20 64 I 10, 1099b25–28 153 I 10, 1099b26 207, 208 I 10, 1099b27 147 I 10, 1099b27 f. 149, 150 I 10, 1100a8 150 I 10, 1100a9 151 I 11 64, 102, 103, 104, 150, 152, 153, 158, 172, 260, 280 – I 11, 1100b7–11 150 – I 11, 1100b18–33 150

316 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Stellenregister

I 11, 1100b25 f. 149 I 11, 1100b25 ff. 150 I 11, 1100b26–28 151, 152 I 11, 1100b29 f. 151 I 11, 1100b30–33 210 I 11, 1100b30–1101a8 104 I 11, 1100b33–1101a6 194 f., 275 I 11, 1100b34 f. 152 I 11, 1101a2 f. 152 I 11, 1101a6 f. 151 I 11, 1101a8 150 I 11, 1101a14 170 I 11, 1101a14–16 80, 100, 102 I 11, 1101a14–21 101 I 11, 1101a15 172 I 11, 1101a16–19 104 I 12 134, 213, 214 I 12, 1101b12 214 I 12, 1101b21–31 214 I 12, 1101b35–1102a4 214 I 13 61, 91 I 13, 1102a5 f. 80 I 13, 1102a6 170 I 13, 1102a26 ff. 81 I 13, 1102b6 ff. 90 II 1, 1103b18 ff. 62 II 2, 1103b26–29 35 II 2, 1103b34–1104a11 79 II 2, 1104a1 f. 37 II 3 110 II 3, 1105a32 111 II 4, 1106a9 f. 62 II 5, 1106a26 ff. 123 II 5, 1106b21 f. 210 II 5, 1106b21–23 210 II 6, 1107a4 115 II 7, 1107b27 115 II 7, 1108a27 115 II 9, 1109a29 f. 64 II 9, 1109a34 64 III 5 134 III 6 36, 107 III 6, 1113a15–b2 106 III 6, 1113a22–b2 36 III 7, 1113b17–19 59 III 7, 1114a31 ff. 62 III 9, 1115a24–b6 200 III 9, 1115a29–34 139

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III 9–12 105 III 10, 1115b11–13 111, 210 III 10, 1115b12 115 III 10, 1116a6 f. 210 III 11, 1116b2 f. 111 III 11, 1117a16 f. 111 III 12, 1117b9 111 III 13, 1118a1–9 121 III 13, 1118a1–b8 120 III 13, 1118a5 115 III 13, 1118a23–b3 120 III 13, 1118b2–4 120 III 13, 1118b20 115 III 14, 1119a18 111 III 15, 1119b15 f. 111 III 15, 1119b15–18 210 III 15, 1119b16 191 IV 1, 1119b25 f. 202 IV 1, 1120a8 ff. 202 IV 1, 1120a9 ff. 98 IV 2, 1120a12–25 111 IV 2, 1120b3 f. 139 IV 2, 1120b31 f. 210 IV 2, 1120b32 115 IV 2, 1121a1 115, 210 IV 3, 1121b4 f. 210 IV 4, 1122b6 f. 111 IV 5, 1122b29 115 IV 7 114 IV 7, 1123b13 f. 210 IV 7, 1123b14 115 IV 7, 1123b21 f. 226 IV 7, 1124a4–7 128 IV 7, 1124a10–12 128 IV 7–9 73, 108 IV 10, 1125b20 115 IV 13 255 V 2 63 V 2, 1129b1 ff. 135 V 2, 1129b2 f. 62, 218 V 2, 1129b4–6 63, 218 V 3 126, 140 V 3, 1129b11 ff. 113 V 3, 1129b17–19 5 V 3, 1130a3 113 V 9, 1134a1 f. 111 V 9–10, 1134a1–23 135 V 10, 1134a32 ff. 63

Stellenregister

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VI 2 81 VI 2, 1139a21–31 36 VI 2, 1139a30 f. 61 VI 2, 1139a31–b5 59 VI 2, 1139b1–4 90, 141 VI 2, 1139b12 36 VI 4, 1140a2–6 141 VI 4–5 134 VI 5, 1140a25–28 36, 106 VI 6, 1140b6 f. 111, 141 VI 5, 1140b11–20 35 VI 5, 1140b17–20 97 VI 7, 1141a17–b8 96, 122 VI 7, 1141a19 f. 56 VI 7, 1141a21 f. 56 VI 7, 1141a34 ff. 56 VI 7, 1141a34–b1 56 VI 7, 1141b2 f. 56 VI 8, 1141b13 f. 106 VI 9, 1142a11–20 35, 70 VI 9, 1142a23–30 70 VI 10, 1142b32 f. 35 VI 12, 1143a25 ff. 70 VI 12, 1143b11–14 70, 71 VI 13 41, 183 VI 13, 1144a3–6 102 VI 13, 1144a13–20 111 VI 13, 1144a28–b1 35 VI 13, 1145a6–11 96 VII 1, 1145b2–7 71 VII 6, 1147b23–31 219 VII 6, 1148a22–b4 219 VII 6, 1148a29 216 VII 6, 1148b3 216 VII 9, 1151a5–7 97 VII 11, 1152a29 ff. 61 VII 12, 1152b2 f. 62 VII 13, 1152b26 f. 62, 218 VII 13, 1152b33 ff. 56 VII 14 153, 205, 208 VII 14, 1153b7–14 203 VII 14, 1153b17 ff. 203 VII 14, 1153b17–21 147 VII 14, 1153b17–25 100 VII 14, 1154a18 115 VIII 1, 1155a4–6 124 VIII 1, 1155a4–9 139 VIII 1, 1155a6–9 99, 140

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VIII 1, 1155a20 138 VIII 2, 1155b21–27 106, 122 VIII 3, 1156a10–19 127 VIII 3, 1156a16 127 VIII 3, 1156a17 f. 127 VIII 3, 1156a31–b6 124, 125 VIII 4, 1156b7–12 127 VIII 4, 1156b12–14 127 VIII 4, 1156b17–32 125 VIII 6, 1157b3 f. 127 VIII 5, 1157b5–24 282 VIII 7, 1157b28–32 125 VIII 7, 1157b33 f. 127 VIII 7, 1159a11 f. 122 VIII 11, 1160a11–14 5 VIII 11, 1160a13 f. 113 VIII 14 124 VIII 14, 1162a16–19 66 VIII 14, 1161a16–29 125 VIII 15, 1162b6–8 140 IX 4 93, 126 IX 4, 1166a1 ff. 106, 122 IX 4, 1166a16 f. 94 IX 4, 1166a22 f. 94 IX 4, 1166a30 f. 126 IX 4, 1166b2–25 122 IX 4, 1166b31 f. 126 IX 7 133 IX 7, 1167b28 ff. 140 IX 8 93, 105, 114, 134, 136 IX 8, 1168a35–b10 122 IX 8, 1168b5 f. 106 IX 8, 1168b9 f. 106, 135 IX 8, 1168b15–23 135 IX 8, 1168b25–28 111 IX 8, 1168b28–1169a6 94 IX 8, 1168b34 f. 94, 95 IX 8, 1168b35 f. 95 IX 8, 1169a6–13 118 IX 8, 1169a8–11 136 IX 8, 1169a18–20 118 IX 8, 1169a18–26 118, 135 IX 8, 1169a18–b2 140 IX 8, 1169a20 f. 63 IX 8, 1169a20–22 135 IX 8, 1169a34–b1 135 IX 9 117, 126 IX 9, 1169b6 f. 126

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Stellenregister

IX 9, 1169b8–16 139 IX 9, 1169b9 f. 145 IX 9, 1169b10–22 99, 124, 140 IX 9, 1169b16 ff. 133 IX 9, 1169b16–22 66 IX 9, 1169b18 f. 126 IX 9, 1169b28–1170a4 128 IX 9, 1170a4–11 124 IX 9, 1170a13 ff. 52 IX 9, 1170a13–b19 122 IX 9, 1170a14 ff. 56, 109 IX 9, 1170a14–16 63 IX 9, 1170a21 f. 63 IX 9, 1170b5 f. 126 IX 9, 1170b6 f. 126 IX 11, 1171a22–27 139 IX 11, 1171a25–27 99 IX 11, 1171b12–16 140 IX 11, 1171b12–25 140 IX 12, 1171b29–1172a14 282 IX 12, 1172a1 f. 67 IX 12, 1172a1 ff. 117 X 2 154, 214 X 4 111 X 4, 1174b14–23 120 X 4, 1174b14–31 112 X 4, 1174b15 121 X 6, 1176a31 37 X 6, 1176b3 216 X 6, 1176b4 f. 216 X 6, 1176b6 216 X 6, 1176b8 f. 216 X 6, 1177a21 f. 141 X 6–9 18, 93, 96, 131, 254 X 7 92, 93, 178 X 7, 1177a15 56, 96, 112 X 7, 1177a15 f. 73 X 7, 1177a27–b1 80, 100, 149 X 7, 1177a28 ff. 149 X 7, 1177b4–18 134 X 7, 1177b25 103 X 7, 1177b26 ff. 73, 96, 122 X 7, 1178a2 f. 94 X 7, 1178a7 94 X 7–9 153 X 8 72 X 8, 1178a9–23 95 X 8, 1178a23–34 80, 98, 100, 153

– X 8, 1178a25 ff. 149 – X 8, 1178b2 f. 149 – X 8, 1178b5–7 73, 96, 131 – X 8, 1178b7 ff. 73 – X 8, 1178b19 f. 90 – X 8, 1178b21–23 96, 122 – X 9, 1178b33–1179a17 80, 100 – X 9, 1179a22 ff. 73 – X 10, 1179a35–b2 35 – X 10, 1179b20 ff. 61 – X 10, 1179b23–26 61 Phys. – I 1 49 – II 1, 192b8–32 45 – II 1, 193a3–9 44 – II 1, 193b3–12 45 – II 2, 194a35 45 – II 3 44 – II 3, 195a23–25 45 – II 7, 198a24–27 46 – II 7, 198b8 f. 45 – II 8, 199a15 ff. 44 – II 9, 200a5–10 156 – VIII 1, 252a12 54 Poet. 4, 1449a14 f. 67 Pol. – I 2 66 – I 2, 1252a24 ff. 124 – I 2, 1252b5–9 75 – I 2, 1252b19–27 76 – I 2, 1252b27–30 125 – I 2, 1252b31–34 60 – I 2, 1253a2 f. 65, 126 – I 2, 1253a7–18 66 – I 2, 1253a14–18 5 – I 2, 1253a29 f. 126 – I 4, 1254a5–8 141 – I 4, 1254a7 141 – I 8, 1256b7–26 45 – I 8–10 224 – I 13, 1259b20 f. 224 – II 5, 1263b1 107 – III 6, 1278b17 ff. 65 f. – III 6, 1278b17–21 125 – III 7, 1279a17–21 5 – III 9, 1280b39–1281a3 125 – III 12, 1282b14–18 5 – III 12, 1282b16 ff. 113

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– VII 1 100, 153 – VII 1, 1323a14–21 125 – VII 1, 1323b6–12 153 – VII 1, 1323b21–23 153 – VII 1, 1323b25 148 – VII 1, 1323b27 f. 148 – VII 1, 1323b40 ff. 153 – VII 1, 1323b40–1324a2 80, 100 – VII 3 125 – VII 3, 1325a32 141 – VII 3, 1325b14–30 141 – VII 7 78, 259 – VII 8, 1328a21 ff. 156 – VII 10, 1329b25–35 76 – VII 10, 1329b27 ff. 77 – VII 13, 1331b26–38 35 – VII 13, 1331b39 f. 36 – VII 13, 1331b41 f. 100 – VII 13, 1331b41–32a1 80 – VII 13, 1332a19–20 210, 211 – VII 13, 1332a38 ff. 61 – VII 14–15 125 – VII 15, 1334b6 ff. 61 – VII 15, 1334b15–17 60 – VIII 3 125 Rhet. – I 1, 1355a15–18 71 – I 5, 1360b4–7 223 – I 5, 1360b6 ff. 157 – I 5, 1360b19 f. 223 – I 5, 1360b19 ff. 157 – I 5, 1360b24 ff. 223 – I 5, 1361a12 ff. 223 – I 5–6 99, 223, 224 – I 6 223, 224 – I 6, 1362b13 f. 224 – I 6, 1362b15 224 – I 6, 1362b18 f. 224 – I 6, 1362b19 f. 224 – I 6, 1362b26 f. 224 – I 9 113 – I 9, 1366a33 f. 112, 113, 133 – I 9, 1366b34 f. 113 – I 9, 1366b34–1367a6 113 – II 12–14 153 – II 13, 1389b36–1390a1 113 – II 15–18 153 Top.

– – – – – – –

I 1, 100b21–23 I 10, 104a8–12 III 1, 116a29–39 III 1, 116a31 ff. III 1, 116b8–10 III 1–3 28 III 2, 117a17 ff.

71, 84 71 216 221 62, 218 154

Aspasios (ed. CAG XIX,1) p. 5, 23 ff. 215 p. 5, 27–29 215 p. 6, 5–11 215 p. 11, 4–8 220, 221, 276 p. 16, 33 – p. 17, 17 155 p. 17, 7 f. 159 p. 17, 12 159 p. 22, 15 – p. 23, 29 208 p. 22, 25 f. 208 p. 22, 29–35 208 p. 22, 34 f. 208 p. 23, 16–18 208 p. 23, 32 – p. 24, 1 148 p. 24, 3 ff. 157 p. 24, 24 158 p. 24, 26 f. 208 p. 25, 10–12 159 p. 25, 11 158 p. 26, 14 f. 207 p. 30, 3–7 159 p. 30, 9–11 158, 208 p. 30, 14 f. 159 p. 30, 15 ff. 158, 159 p. 32, 9 ff. 223 p. 32, 12–15 215 p. 32, 13–15 219 p. 32, 16 214 p. 32, 16–18 222 p. 52, 34 202 p. 75, 26 – p. 76, 8 276 p. 81, 16 – p. 82, 2 200 p. 81, 18–35 201 p. 81, 21 199 p. 82, 1 201 p. 96, 14 202 p. 96, 33 ff. 200 p. 96, 35 199 p. 97, 15–17 276 p. 97, 27–32 202

320 p. 98, 2–9 202 p. 145, 1–14 200 p. 145, 7 199 p. 146, 2–6 276 p. 150, 11 207 p. 150, 31 ff. 203 p. 151, 10 ff. 205, 207 p. 151, 13–15 205 p. 151, 26 – p. 152, 2 208 p. 151, 32 f. 203 p. 152, 2–5 159 p. 152, 2–7 204 p. 152, 8 ff. 159 p. 152, 22–31 276 p. 153, 28 f. 208 p. 162, 4 ff. 221 p. 173, 31 f. 208 Attikos (ed. des Places) fr. 2 184 fr. 2, §§ 2–3 162, 163 fr. 2, §18 215 Augustinus De civ. – VIII, c. 8 26, 189 – XIX, c. 1, ll. 27 f. 25 – XIX, cc. 1–3 25, 189, 234 – XIX, c. 3, ll. 22–24 273 – XIX, c. 3, ll. 27 ff. 252 – XIX, c. 3, ll. 27–32 274 – XIX, c. 3, ll. 37–40 274 – XIX, c. 3, ll. 38–40 189 – XIX, c. 3, ll. 41–43 187 – XIX, c. 3, ll. 74 f. 25 Cicero Acad. – I 19 273 – I 19–23 25 – I 21 186, 227, 228, 273 De fin. – I 30 230 – II 34 189, 274 – II 35 188 – III 22 196 – III 45 245 – III 57 249

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– III 59–61 245 – III 60 f. 255 – III 61 196 – III 62–67 248 – IV 15 161 – IV 16 273 – IV 25 273 – IV 32 273 – IV 32–41 157 – IV 14 264 – IV 14 f. 270, 271 – IV 42 271 – V 8 24 – V 9–74 24 – V 12 15, 25, 162, 185 – V 16 ff. 234 – V 17 257 – V 20 189 – V 23–70 25 – V 24–26 240, 273 – V 24–45 229, 240 – V 26 273 – V 33 273 – V 34 240 – V 37 157, 240, 273 – V 38–40 237 – V 44 157, 274 – V 65–68 229 – V 65–69 227 – V 68 273 – V 68 f. 229 – V 69 273 – V 71 157 – V 75 24, 25 – V 77 185 – V 80 160 – V 81 161, 162 – V 95 162 De off. I 93 ff. 108 Lucull. 131 188, 189 Tusc. – V 50 161 – V 84 189 Clemens Alexandrinus Strom. – II, c. 21, 128, 3–5 184 – II, c. 22, 133 162

321

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Diodoros von Tyros (ed. Wehrli) fr. 4 h 185 Diogenes Laertios III 98 f. 183 f. V 30 f. 183 Eustratios, In I EN (CAG XX) p. 64, 33 ff. 159 p. 64, 34 – p. 65, 17 155 p. 65, 3 f. 157, 161 p. 85, 5–28 195 p. 85, 6–10 148 p. 85, 18–28 157 p. 98, 9 f. 157 p. 99, 15 – p. 100, 10 185 p. 104, 25 – p. 105, 1 215 Hierokles (Ethische Elementarlehre, edd. Bastianini/Long) 4, 51–53 241 Isokrates Paneg. 50

75

Kritolaos (ed. Wehrli) fr. 19 157, 184 fr. 20 157, 184 fr. 21 f. 163, 185 fr. 24 185 Nemesios (ed. Morani) c. 43 (p. 129, ll. 6–14) 161 Paraphrast In EN (CAG XIX,2) p. 12, 42 – p. 13, 9 155 p. 22, 18 f. 215 Platon Euthd. 280B ff. 219, 274 Krit. 49D 74 Legg. – 731BC 78 – 773A ff. 78 Lys. 211D ff. 231 Men. – 70A 61 – 77B 215

– 87E ff. 219, 274 Phd. – 79E–80A 268 – 98B–99B 156 Polit. – 262C–E 75 – 306E ff. 78 Rep. – 331D–336A 74 – 343A–344C 118 – 343C3 113 – 357B–D 226 – 375C 78 – 410B–412A 78 – 428E 268 – 431A 268 – 432A 268 – 438A–439B 119 – 439E f. 95 – 444D 268 – 456C1 268 – 470E 75 – 503B–D 78 – 535AB 78 – 588B ff. 94 Symp. 205E f. 231 Tht. – 144AB 78 – 174B4 265 – 175C7 265 Tim. 90D 268 Plutarch De aud. poet. 24E 184 De comm. not. – 1069E 245 – 1070F ff. 196 – 1071B 196 Polemon (ed. Gigante) fr. 112 Gigante 265 fr. 123 161, 162, 186, 188 Porphyrios De abstin. III 19

248

Protagoras (edd. Diels/Kranz) fr. 80B3 61

322

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Seneca Ep. mor. – 121, 8 233 – 121, 12 f. 242 Sextus Empiricus Adv. math. IX 337

156

Speusippos (ed. Lang) fr. 58c 162 Stoiker–Fragmente (ed. von Arnim) SVF – I 197 248 – III 4 266 – III 12–15 266 – III 114–115 196 – III 191 195, 268 – III 195 196 – III 197 241 – III 305–7 252 – III 491 196, 245 – III 496 204 – III 517 245 – III 524 245 – III 526 245

– – – – – – –

III 528 245 III 758 255 III 763 255 III 766 255 III, Ant. 57 173, 189, 196 III, Diog. 44 196 III, Diog. 48 220

Theophrast (edd. Fortenbaugh e. a.) fr. 480B 184 fr. 498 185 Thomas von Aquin In I EN – 9 [nn. 115 f.] 160 – 13 [n. 163] 159 – 14 [n. 173] 159 – 16 [n. 194] 159 Xenokrates (ed. Heinze) fr. 77 186, 215 fr. 81 162, 186 fr. 82 162, 186 fr. 86 162 fr. 87 162 fr. 91 162